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Full text of "Johann Gottfried von Herder's sämmtliche Werke : zur Philosophie und Geschichte"

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m Gottf > von Herder’s 


— nn 


Ihilofophie und Geſchichte. 





Meunter Theil. 


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4 
Stuttgart und Tübingen, 
dur © Botta'tthen Buchhandiung. 
a" 18628 


1 


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Fer ad eo wagdur 
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Fir. Chonet FFare or CanLaıtd 
Ni 19, 1358 | 





| 


Seele um Spott, 





Von 
Sohann Gottfried von Herder, 


/ 


— 





Herausgegeben 
durch 


Johann Georg Muͤller. 


—X 
* 


Stuttgart und Tuͤbingen, 
\nder U ©. EGotta'ſchen Buchhandlung 
18238 








v 





. 


L 
Vom 
Erkennen und Empfinden 
ber 
| menſchlichen Seele. 





Bemerkungen und Traͤume. 


—AA— — 
v all α osdas Moser EpyErcı zu AB vnayı. 


1778. 


Li 


l 
Est Deus in nobis, agitante calescimus Ile, 


Virg. 


Sreſter WBerſuoch. 
Bam“ Erbennen und: Empfinden: in. ihrem 


menſchlichen Urfprunge und den ©efegen 
Ihrer. Wirkung. 





In allem, was wir todte Matur nommen, ken⸗ 
en wir keinen Inuern Zuſtand. Wir ſprechen taͤg⸗ 
ip dad Wert Schwere, Stoß, Fall, Bewer 
gung, Ruhe, Kraft, fogar: Kraft der Träge 
Heit aus,. und. wer weiß, was es, inwendig der. 
Gache ſelbſt bedente?- 

Ze mehr wir indeß das große Schaufplel wir: 
Texder Keäfte in der Natur ſinnend anfehen, deſto 
weniger koͤnnen wir umhin, uͤberall Aehnlichkeit 
mit und. zu fühlen, alles mit unfrer Empfindung 
zu beieben. Mir ſprechen von Wirkſamkeit und 
Ruhe, von eigner oder empfangener, von bleiben⸗ 
der oder fich. fortyflanzender, tobter oder lebendiger 
Kraft vdllig aus unfrer Seele. Schwere ſcheint uns 
ein Seguen zum Mittelpunkte, zum Ziel und Drt der 
Rabe; Traͤgheit die Heine Theilruhe auf fei- 
wem eignen Mittelpunkte, durch Sufammenhang mit 
(m Feist; Bewegung ein fremder Trieb, ein 
miteetheiltes fortwirkendes Streben, das die Ruhe 


überwindet, fremder Dinge Ruhe ftöret, bis es bie 
feinige wieder findet. Welche wunderbare Erſchei⸗ 
nung iſt die Elaſticitaͤt! ſchon eine Art Auto 
mat, das ſich zwar nicht Bewegung geben, aber wies 
berherftellen kann: der erſte ſcheinbare Zunfe zur 
Thätigkeit in eblen Naturen. Jener griechiſche 
Weife, der das Syftem Newtons im Traum ahnte, 
ſprach von Liebe und Haß ber Körper: ber gro⸗ 
fe Magnetismus In ber Natur, ber anziehet und 
fortftößt, ift lange ald Seele der Welt betrad: 
tet worden. So Wärme und Kälte, und bie 
feinfte edelſte Wärme, ber eleftrifhe Strom, 
dieſe fonderbare Erſcheinung bes großen, allgegen⸗ 
wärtigen Lebensgeiſtes. So das große Geheimniß 
ber Fortbildung, Verjängung, Verfeines 
tung aller Welen, biefer Abgrund von Haß und 
Liebe, Anziehung unb Verwandlung in fich und aus 
ſich: — der empfindende Menfch fühlt ſich in alles, 
fuͤhlt alles aus fi heraus, umb drudt darauf fein 
Bid, fein Gepraͤge. So ward Newton in fel- 
nem Weltzebäude wider Willen ein Dichter, wie 
Buffon in feiner Kosmogonie, und Leibnis in 
feiner präftabilirten Harmonie und Monadenlehre. 
Wie unfre ganze Pfochologie aus Bildwoͤrtern beftes 
bet, fo war es meiftend Ein neues Bild, Eine 
Analogie, Ein auffallendes Gleichniß, das bie größ- 
ten und Fühnften Theorien geboren. Die Weltwei⸗ 
fen, die gegen die Bilderſprache deklamiren, und 
felbft lauter alten, oft unverftanbnen Bildgoͤtzen die⸗ 
nen, find wenigftens mit ſich felbft ſehr uneinig. 
Sie wollen nicht, daß neues Gold geprägt werde, 
da fie doch nichts thun, als aus eben ſolchem, oft 


= 9 | 
vl Flchtern Geibe ewig un ewig Defefken Bi. 


pinnen. 

Aber wie? iſt in dieſer „Analogie zum 
Menfhen‘ and Wahrheit? Menſchliche Wahr⸗ 
heit gewiß, und von einer höheren hebe ich, fo lange 
\aMenfch bin, Feine Kunde. Mic kümmert die uͤber⸗ 
irdiſche Abſtraktion fehr wenig, die fih aus allem, 
ws „Kreis unfres Denkens und Em- 
pfindens“ heißt, ich weiß nicht auf weichen Thron - 
der Gottheit fehet, da Wortwelten fchafft und über 
led Mögliche und Wirkliche richtet, Was wir 
wiffen, wiſſen wir nur aus Analogie, von ber Krea⸗ 
tur zu und und von ung zum Schöpfer. Soll id 
alfo dem nicht trauen, ber mic in biefen Kreis von 
Empfindungen und Yehnlichkeit ſetzte, mir keinen 

oudern Schliäffel, in das Innere der Dinge einzu⸗ 
dringen, gab, als mein Gepräge oder vielmehr das 
wiederglängende Bild feines In meinem Geiſte; men 
fol ich denn trauen und glauben? Sollogismen koͤn⸗ 
nen mich nichts lehren, wo ed aufs erfte Em⸗ 
pfaͤngniß der Wahrheit anfommt, bie ia jene 
une entwiceln, nachdem fie empfangen tft; mithin 
iſt das Gefhwäs von Worterflärungen und Beweis. 
fen meiſtens nur ein Brettfpiel, das auf angenom⸗ 
menen Regeln und Hypotheſen ruhet. Die ftille 
Aehnlichkeit, die ich Im Ganzen meiner Schöpfung, 
meiner Seele und meines Lebens empfinde und 
ahne; der große Geiſt, der mich anmwehet und mir 
Im Kleinen und Großen, in der fihtbaren und un- 
fichtbaren Welt Einen Gang, Einerlei Geſetze zei⸗ 
get — der iſt mein Siegel der Wahrheit. Gluͤcklich 
wenn es auch dieſe Schrift auf fich hätte, und ſtille, 


% — 


10 


shättge: Lefer, Goellbih fie audre uicht ſchecibe 
eben dieſelbe Analogie, das Gefuͤhl vom. dem 
Einen, ver in: aller Mannigfattigkeit hereſchet, em⸗ 
pfandon! Ich ſchaͤme ‚und nicht, an den VBraſten 
Meier großen- Mutter- Natur nur aldı ein. Hub zu 
fangen, faufe nach Bidern, nah Aehnlihtelten, 
nach Geſehen der-Kebereiaftimmung zu Einem, weit 
ich kein andres Spiel meiner. bentenden. Kräfte 
wenn ja gebacht werben muß) fenne, und glaube 
uͤbrigens, daß Homer und Sophotled, Dans 
te, Shakeſpear und Rlopfed der Piycholo⸗ 
gie amd -Meniheutenasnif mehr-Stoff. geitefert. has 
den, ats ſelbſt die: Ariftateles und Lelbnine 
aller Voͤlker und Zeiten. ' 
. 1. Vom Weiz. | 
Tlefer kuaͤnnen wir.wohl die Empfindung in th- 
rem Werben. nicht hinabbegleiten, als zu dem foua= 
derbaren Phänomenen, das. Haller „Melz‘. ges 
nannt hat. Das gereiste Faͤſerchen zieht. ich zu: 
fammen , und breitet. fi wieder aus; vielleicht ein 
Stamen, das erfte glimmende Zünkleln zur. Empfin- 
dung, zu. dem ſich Die todte Materie durch. viele 
Gänge, und Stufen bed Mechanismus und Der. Orga⸗ 
niſation hinaufgeläutert. — Sp klein und dunfel 
diefer Anfang des edlen Vermoͤgens, das ‚wir. Em⸗ 
pfinden nennen, ſcheine, fo wichtig muß er ſeyn, 
fo viel wird. durch Ihn ausgerichtet. - Ohne Samen⸗ 
roͤrner iſt keine Ernte, kein Gewaͤchs ohne zarte 
Wurzeln.und Staubfäden, und vieleicht wären uufre 
görtlipften Kräfte nicht. ohue dieſe Ausſaat ‚dunkler 
Megungen und Reize. . 
Schon in der thierifhen Natur, was für Laften 


En 





l 


1 

find ante aut Wirkſaackelt eines Muskels 
geburdet!Wie mehr ziehen diefe kteinen dunnen 
Siieryen,: ld eE nach den Gete hen des Mecutide 
nens grobe· Srricke thun wirben! Wohet· num Biete 
frbehere Eraft ala: vielleiche eben durch Drieb fedorn 
det imern⸗Rei⸗z e⸗ NDie Natur hat kauſend bue 
lebendige Steitte in tauſendfachem Kampf im ein 
fo vleifaches Boruaͤhren und Widerſtreden verſloch⸗ 
ten: ſie kuͤrzen and laͤngen ſich mit Immerer Kraft, 
nehmen · am Spiele des Muskels, jeder auf ſeine 
VSetſe, Deeil, dadurch traͤgt and-giehet jener. Hat 
un je und: Wounderbarers gefehen, ale ein: fchlas 
dendes „Herg.-wilt. Felnem unerſchoͤpfilhen Reize? 
Ela Abgrund. innerer. dauler Kraͤfte, das wahre - 
Vuld der organiſchen/ Almacht, die vielleicht. inniger 
Ik, als der Schwung ber Sonnen -und: Erden, — 
Web. um breitet ſich aus: dieſem unerſchoͤrfilchen 
Dramen und Abgrunde der Reiz durch unſer ganzes 
Ahaus, belebt jede kleine ſoielende Flber — alles 
naqch einartigem, einfachem Geſetze. Wenn wir uns 
wol beſiaden, iſt unſre Bruſt weit, das Herz 
qlaͤct geſund, jede Fiber verrichtet ihr Amt im 
Eriele. Da faͤhrt Schrecken auf uns zu; und 
flehe, als erfie Bewegung, noch ohne Gedanken von 
Bucht ru Wlderfand, tritt unſer relzbares Ich auf 
feinen Mittelpuukt zuräd, das Blut zum Herzen, 
bie Fiber, felbfh: daB. Haar, ftarıt empor; gleich⸗ 
ſam ehr organiſcher Bote zus Gegenwehrz die Wache 
ſteht ſertig. Zorn Im erfien Anfall, ein zum Wi⸗ 
derſtande ſich regendes Kriegäheer,. wie rüttelt er 
da Herz, tkeibt das Blut in bie Grenzen, auf 
Wangen, in Adern, Flamme in die Augen — 


12 
mersos dE era ıppaves autpıpelayar - 

Ilynioyı , 066€ Je os nugı Aapnerowvrs sıxımv. 

. Die Hände ſtreben, find Fräftiger und ftärker. Muth 
bebt die Bruft, Lebensothem die wehende Nafe, . 
das Geſchoͤpf kennet Keine Gefahr. Lauter Phaͤno⸗ 
mene des Aufregens unfrer Reize beim Schre= 
den, bes gewaltfamen Fortdranges beiim Zorne. 
Hingegen bie. Liebe, wie fänftiget fie und ‚milder! 
Das Herz wallet, aber nicht zu zerftören, das Feuer 
fileßet, aber nur, daß es hinuͤber walle und feine 
fanfte Gluth verhauche. Das Geſchoͤpf ſucht Vers 
einigung, Auflöfung, Zerſchmelzung: der 
Fiberbau weitet fih, tft wie Im Umfaſſen eines Au⸗ 
dern, und kommt mur daun wieder, wenn fih das 
hinuͤberwallende Geſchoͤpf wieder allein, ein abge⸗ 
trenntes iſolirtes Eins, fuͤhlet. Noch alſo in den 
verflochtenſten Empfindungen und Leidenſchaften unſe⸗ 
rer ſo zuſammengeſetzten Maſchine wird das Eine 
Geſetz ſichtbar, das die kleine Fiber mit ihrem 
glimmenden Fuͤnklein von Reize regte, naͤmlich: 
Schmerz, Beruͤhrung eines Fremden zieht zu⸗ 
ſammen: da ſammelt ſich die Kraft, vermehrt 
ſich zum Widerſtande und ſtellt ſich wieder her. 
Wohlſeyn und liebliche Waͤrme breitet aus, 
macht Ruhe, fanften Genuß und Aufloͤſung. Was 
in der todten Natur Ausbreitung und Surädziehung, 
Waͤrme und Kälte iſt, das fheinen bier diefe dunk⸗ 
len Stamina des Reizes zur Empfindung: eine 
Ebbe und Fluth, in der fi, wie das Weltall, fo 
bie ganze empfindende Natur ber Menſchen, Thiere, 
and wo fie ſich weiter hinab erftredte, bewegt und 
reget. 





153 


Die zu allem gehört auch hlezu Modulation, 
Maß, fanfte Mifhung und Fortſchreitung. 
Furcht und Freude, Schreden und Zorn — was plöß- 
lich wie ein Blitzſtrahl trifft, kaum auch wie ein Blitz⸗ 
ſtrahl toͤdten. Die Fiber (mechaniſch zu reden), bie 
ſich ausbreitete, kann nicht zuräd; die ſich zuruͤck⸗ 
309, kann ſich nicht wieder laͤngern: Todesſchlag 
hemmete ihr Spiel. Jeder treffende Affekt, ſelbſt 
die ſanfte Scham, kann ploͤtzlich toͤdten. 


Sanfte Empfindungen ſind freilich nicht ſo ge⸗ 
waltſam, aber ununterbrochen zerſtoͤren ſie gleich⸗ 
falls. Sie ermatten, machen ſtumpf und kraftlos. 
Wie mancher Spbarit iſt unter Kitzein und Roſen⸗ 
duͤften, gewiß nicht eines ſanften Todes, bei leben⸗ 
dem Leibe verblichen. 


Sind wir ganz ohne Reiz — grauſame Krank⸗ 
beit! fie heißt Wuͤſte, Langewelle, Kloſter. Die 
Safer zehrt gleihfam an fich felbit, der Roſt fript 
das müßige Schwert. Daher jener verhaltene Haß, 
der nicht Born werben kann, der elende Neid, 
der niht That werden kann, Neue, Traurig: 
Leit, Verzweiflung, die weder zurädrufen noch 
beſſern — graufame Schlangen, die am Herzen bes 
Menſchen nagen. Stile Wuth, Efel, Verdruß mit 
Ohnmacht, iſt der Höllenwolf, der an fich ſelbſt frißt. 


Zum Empfangen und Geben tft der Menfch ges 
fhaffen, zu Wirkſamkelt und Freude, zum Thun 
und Leiden. Im Wohlſeyn faugt fein Körper und 
duftet, empfänget leicht und wird ihm leicht zu ge⸗ 
ben: die Natur thut ihm, er der Natur fanfte Ges 
walt an.. In diefer Anziehung und Ausbreitung, 


pP 


14 


Thaͤtigheit sub Ruhe llagt Geſundheit und Gluͤck 
des Lebens. 

Jo bin auf die Preisſrage beglezig :: was das 
„Othemhelen eigentlich fuͤr Wirkungen im lebendi⸗ 
„gem Roͤrper besvorbeiuge ?‘‘ Zu meinem Dipe te. bes 
trachte ich's bier. nur ebonmaͤßig als don harmeni⸗ 
ſchen⸗ Takt, mit dem die Natar wafre: Maſchine 
aingen wad mit Lebensgeiſt anhauchen wollte. So 
iſt ſie, bis anf die feiaſten Werkzeuge der Empfie- 
dungen und Gedanken in ewiger Anſtrengung und 
Erhelung: alles arbeitet, wie jene Steine, zur 
Leler Amphions. Durch's Othembolen wird’ daB 
Kind, das Pflanze gewefen war, Thier. " Bel’ ki 
nem Kranken, bei einem Aechzenden, wie gibt das _ 
Othemholen Muth, dahingegen jeder Seufzer glelig- 
fam Kräfte verhaucht. „Lobd ſey den Allmäditigen, 
„fagt: ver perfifihe Dichter Sadi, für jeden Lebens⸗ 
„othem. Ein Athen, den nran-in ſich zeucht, ſtaͤr⸗ 
„ter, ein Athem, den man von ſich laͤßt, erfreuet 
„das Reden: In jedem Athemzuge find zwolerlei 
„Gnaden.“ — Wie jede Prelsader ſchlaͤgt, wie nur 
durch Zuſammenziehung das Herz Kraft beſommt, 
den Lebeusitrum, ausbreitend, fortzuſhleßen;ſo 
muß and vor außen der Luſthauch kommen, eh in 
Modulationen sir-ergutdten: mid- zu beteben. Alles 
ſcheint nach Einerlei Geſetzen geordnet. — Did 
ich wuͤrde nicht fertig werden, dieß große Phaͤnome⸗ 
non·von Wirkung und Ruhe Zufamenziehung usb 
Aus breitung durch alle feine Wogo zu verfolgen; laſ⸗ 
fet uns woiter hin eilen! 


ein wchaniſches aber: uͤbe naechaniſches Spiel 


⸗ 





}- 
a5 
wei: Ausbreiten und! Aufuninehzlehen fagt wendig 
ober nihts, wenn nicht: vom innen uub’nußen fm 
Die: Urſache deſſelben voraugeſetzt wiirde, „Rei, 
Leben. Der Schöpfer: muß win: geiſtiges Band 
geknaͤpfti hahen, bap:gewille Dinge: biafem empfi- 
denden Theil aͤhnlich / andre wihrig find -—- ein Band, 
das / vonteiner Mechauuk abhnngt⸗das ſich micht wal⸗ 
ter erklaͤren laͤßt, indeß gegteuht werden mn, 
weil es da ft, weit es ſich in hunderttauſend Et⸗ 
ſcheimmgenz eñtget. Sieh jene Pflanze, Deu ſcho⸗ 
aen Ba organiſcher Fiheen! Wie kehrt, wie wen⸗ 
det ſie ihre Puͤtter, den Tyan zu trinken, der ſie 
erquithet! Sie: fett und drehet ihre Wurzel, bis 
‚ge ſtehet: jede Stände, jedes Baͤumcben beugt 
ſich nach friſcher Luſt, ſo vlel ed Hann: Die Bhune 
oͤſfaet ſich der. Ankunft Ihres Braͤutigams, der 
Eome. Wie ichen manche Wurzela unter der 
Erbe thren Feind, wie ſpaͤhen und fuchen ſie ſich 
Hain uudNahrung!) Wie mnnıderbar: ewig laͤntert 
eine Pflanze fremden Saft zu. Theilen ihres feinern 
Seibſt, waͤchſt, liebt, gibt md‘ empfängt Samen 
auf den Fittigen des Zephyrs, treibt lebende Ab⸗ 
dräde von ſich, Blaͤner, Keime, Bluͤthen, Fruͤchte; 
indeß altet fie, „verliert allmaͤlich ihre Reize zu em⸗ 
pfanpen und ihre Kraft, erneut zu geben, ſtirbt — 
eit —— Wunder von der Mächt: des Lebens 
und ſeiner Wirkung in einem organiſchen: Pflan⸗ 
genförper. 

Durchſchauten wir Dem unendlich ‚feinen. und 
verftochtenen Thierlörper;\ wuͤrden wir: nicht eben⸗ 
fais: jede Fiber, jeden Muüstel, jeden reizbaren 
Eyälsta demfeiben Amt, und In derfelden ‚Kraft 


16 
en, fih @aft des Lebens zu ſuchen nacı feiner 
Weile? Biut und Milchſaft, werden fie nicht 


“ yom allen Faſern und Dräfen beraubt? Jede fact, 


was ihr noth thut, gewiß nicht ohne entfprechende 
Annere Befriedigung. Hunger und Durjt in dei 
ganzen Mafchine eines thierifhen Körperd — weicht 
möctigen Gtadelu und Triebe! nad warum find fe 

fo mächtig, als weil fie ein Nogregat find ale ber 
Yumklen Winfche, der verlangenden Sehnſucht, 
der jeder Heine Lebensbuſch unfres Körpers, 
Befriedigung und Erhaltung feiner felbit duͤrſtet. 

iſt die Stimme eines Meers von Wellen, deren GA“ 

fi dunkler und lauter in einander verlleret FAR? 


nach Saft und Leben duͤrſtender Blumengarten. 


Jede Blume will ihr Werk treiben, empfangen, ge⸗ 
meßen, fortläutern, geben. Das Kraut zehrt 
Waſſer und Erde und laͤutert fie zu Theilen von ſich 
hinauf: das Thier macht unedlere Kräuter zu ed⸗ 
ferm Thierfafte: ber Menfh verwandelt Kraͤutet 
und Thiere in organifhe Theile feines gebent, 
Bringt fie in die Bearbeitung höherer, feineret 
Relze. So läutert ſich alles hinauf: höheres Leben 
mu6 von geringerm, durch Uufopferung und ger 
ftörung werden. - Pa 
Endlich der tieffte‘ Reiz, fo wie ber mächtigfte 
Hunger und Durft, die Liebe! Daß fih zwei Wer 
fen paaren, fich In ihrem Beduͤrfniß und Werlangen « 
Ging fühlen; daß ihre gemeinfhaftlihe Regung, der | 
ganze Brunn organifher Kräfte wechfelfeitig Eind y 
iſt und ein Drittes wird in beider Bilde — welde 4 


. Wirkung des Reizes im ganzen lebenden Ich anlmazt 


Ufer Weſen! Thiere haben ſich noch ohne Hauptu 
begatten 


87 


Yiebenfiteme:. ber Funke dee Schöpfung zündet mb. 

es wird ein. neues Ich, bie Toilebfeder neuer Em⸗ 

Moaroen und Drlse, otn drittes Hera ſchlast. 
& 
2 Mi. * 
—8 „uber den Unſprung ber —— — 
ſp ſenderber auechariſche Traͤume gehabt, als 

os ke wehrlich von Leim und. Roth gemacht wären. 
he irgen ge im Monde, im Umbus, md war⸗ 
t:., vhne Weifel nackt mowkalt, auf ihre praͤſta⸗ 
biete Scheiben, ober Uhren, ober Kleider, bie 
neh angekichheten Leiter; uun iſt Gehaͤuſe, Kleid/ 
Uhr fertie und der arme, ſo lange muͤßige Einwoh⸗ 
vor, wird wechaniſch hinzugefuͤhrt, daß er — bei‘ 
Leider nicht in fie wirke, ſondern nur mit ihr praͤſta⸗ 
bilirt / harmoniſch, Gedanken and ſich ſpiune, wie er 

fie end) dort km Limbus ſpaun, und. ſie, die Uhr des 
Koͤrpers, ihm gleich ſchlage. Es iſt wohl über die 
umeshrlihe Dürftigkeit bes Syſtkus nichts zu fa= 
genz aber, was dazu. Anlaß geben koͤnnen, wird 
mir ſchwer zu denlen. Iſt Kraft da in ber Natur, 
Die aus zween Koͤrpern, bloß durch. organiſchen 
Reiz, einen dritten: bilde, ber. die ganze gelftige 
Rate feiner Eitern habe, wie wir's an jeder Blume 
und Pflanze ſehen: Hit Kraft ba in ber Natur, daß 
zwo reizbare Fibern, auf gewiſſe Weife verflochten,. 
einen Meiz geben, der aus Einer nicht entſtehen 
annte and jetzt von neuer Art iſt, wie und, duͤnkt 
ih, jaber Stan, ja jeder Mustel analogifch ses 

GSerders Werke z. Philoſ. u. Geſch. K. 2 


n- 


— 


18 

get; iſt endlich Kraft da, aus zwei Koͤrpern, die 

uns todt duͤnken, aus der Vermiſchung zweier Ele⸗ 
mente, wenn's die Natur thut, einen dritten dar⸗ 
zuſtellen, der den vorigen aͤhnlich, aber ein neues 
Ding iſt, und, durch Kunſt in jene aufgeloͤſt, all 
ſeine Kraft verlieret; iſt dieß alles, ſo unbegreif⸗ 
lich es ſeyn mag, da und nicht zu laͤngnen — mer iſt 
nun, der den Gang der Analogie, den großen Gang 
der Schoͤpfung mit ſeinem Federmeſſerchen hier 
ploͤtzlich abſchneide, und ſage, daß der eroͤffnete Ab⸗ 
grund des Reizes zweener durch und durch organi⸗ 
ſchen, lebenden Weſen, ohne den ja beide nichts 

als todte Erdklumpen waͤren, jetzt in groͤßter Innig⸗ 
keit des Fortſtrebens und der Vereinigung, kelnen 
Abdruck von fich darſtellen koͤnne, in dem alle feine 
‚Kräfte leben. Hat das Herz Macht, Empfindungen, 
die um bdaffelbe gelagert find, fo zu einen, daß 
Ein Trieb, Eine Begierde werde: hat ber Kopf 
Macht, Empfindungen, die den Körper durchwal⸗ 
len, in Eine Borftellung zu fallen, und jene durch 
dieſe, die fo andrer Natur fcheint, zu lenken; 
wie, daß nicht aus ber Flamme aller vereinigten 
Reize und Leben ein Lebensfunte, gleihfam im 
ſchnellen Fluge und alfo über den kriechend langſamen 
Gang mechaniſcher Stod= und Triebwerke weit hin⸗ 
aus, zu einer neuen höhern Stufe feiner Läuterung 
walle, und als Abguß aller Kräfte zweier für ein- 
ander gefchaffener Wefen, erſtes Principium eines 
Lebens höherer Ordnung werde? Keimt nicht alle& 
Leben weiter? laͤutert ſich nicht jeder Funke der 
Schöpfung durch Kandle zu feinerer Flamme hinauf? 
und hier fprang ia der befeeltefte Funke bes Reizes 


| 19 ‘ 
mb der Ehöpfungskraft zweener durch und durch 
befeelten Weſen. . 

Sch fage nicht, daß ich hiemit was erklaͤre; 
ich dabe noch Feine Philoſophie gekannt, die, was 
Kraft fep, erkläre, es rege fich Kraft in Einem 
Der in zween Weſen. Was Philofophie thut, iſt 
bemerken, unter einander ordnen, erläutern, 
| nahdem fie Kraft, Reiz, Wirkung ſchon Immer 
vorausſetzt. Nun begreife ich nicht, warum 
Man, wenn fi in jedem Einzelnen nichts er⸗ 
Hirn läßt, die Wirkung des Einen in's Andre 
laͤugnen und Erfcheinungen dee Natur in der Ber: 
Einigung zweler Hohn fprechen müßte, die man bei 
jedem einzeln unerklärt annimmt. Wer nie 
fügt, was Kraft in der Seele fey und wie fie in ihr 
wirle, dem will ich gleich erflären, wie fie außer 

h, auch anf andre Seelen, auch auf Koͤrper wirke, 
die eleicht nicht in der Natur durch ſolche Bretter⸗ 
Winde yon der Seele (vurn) geſchieden find, ale 
fe die Klammern unfrer Detaphyfif ſcheiben. ueber⸗ 
haupt iſt in der Natur nichts gefchleden; alles fließt 
durch anmerkliche Uebergange auf⸗ und Ineinanter; 
und gewiß, was Leben in der Schöpfung fft, iſt in 
Men Beftalten, Formen und Kandien nur Ein . 

» Eine Flamme. 

Jnfonderheit, duͤnkt mich, hätte dem Erfinder 
es Monadenpoems das Syftem präftabilicter Har⸗ 
Monie fremde ſeyn dürfen, denn mir fcheint 8, beide 
heſtehen nicht wohl bei einander. Niemand fagte 
4 beſſer, als Leibnis, daß der Körper, als fol- 
der, nur Phänomenen von Subſtauzen fen, wie 
die Milchſtraße von Sternen und bie Wolfe von 


+ 


20‘ e 


ropfen. Selbſt bie Bewegung fuchte Leibnitz 
ja als Erſcheinung eines Innern Zuſtandes zu 
erklären, den wir nicht Fennen, der: aber Vorſtel⸗ 


- 


4 


lung ſeyn Fönnte, weil und fonft kein innerer Bus: 


wi 


ſtand hekannt iſt. Wie, und auf.diefen Innern Zu⸗ 
ſtand der Kraͤfte und Gubftangen ihres Koͤrpers 
könnte die Seele, als ſolche, nicht wirken? ſie, die 
ja von ber Natur jener und. ſelbſt innigſte, wirkendate 
Kraft iſt. Sie herrſchte alſo nur im Gebiet ihrer 
Schweſtern, lauter ihr aͤhnlichen Weſen, und. 
koͤnnte fie da nicht bereichen? 


E Zu as: 
Doc es iſt zu früh, einzelnen Folgerungen Raum 
zu.gebent wir ‚bleiben noch bet Erſcheinungen der 
ganzen Mafchine. Der innere Menfh mit all ſei⸗ 


-nemw.dunffen Kräften, Nelgen und Trieben aiſt nur 


Einer. Alle Leldenfhaften, um's. Herz gelanert, 
und mancherlei Werkzeuge regend, hangen durch. 
unfichtbare Bande zufammen, und fhlagen Wurzel: 
im fehuften Ban unfrer befeelten. Fibera. Jedes 
Faͤſerchen, wenn wir's einfehen- Fonnten, gabört 
ohne: Zweifel mit dazu, jedes: engere und meisere: 
Gefäß, jede ſtaͤrker und ſchwaͤcher wallende Blut⸗ 
Fugel. Der Muth: des Löwen wie die Furchtfamkeit 
dee Hafen, liegt in feinem befeelten Innern Baue. 
Durch die engen Pulsadern des Loͤwen dringt das 
waͤrmere Blut mit Gewalt bins der Hirſch hat ein 
Herz mit weiten, offenen Gefäßen, sin ſcheuer Koͤ⸗ 
nig des Waldes, trotz ſeiner Krone. Zur Zeit der 
Brunſt iſt indeß auch der ſcheue Hirſch kuͤhn; es iſt A 
die Beit feiner .erregten Reize und vermehrten Ins 


nern Wärme. .- x 


z -21 

Im Abgrunde des Rekzes und ſolcher dumkoln 
Rrafte Liegt im Menſchen und Tpferen der Same zu 
‚aller Leldenſchaft und Unternehmung. Mehr oder 
. "minder Reiz des Herzens und feiner Diener macht 
Helden nber Felge, Helden in der Liebe oder im 
"Zurne, Das Herz Achills wurde in feinen Neben 
von ſchwarzen Sora gerüttelt: es gehoͤrte die Reiz⸗ 
darkelt dazu, ein Achtlles zu werden. Der ſatte 
Awe hat feinen Muth verloren, ein Weih Kann ihn 
jagen; ein hungriger Wolf aber,. Geler, Lime — 
‚wie maͤchtige @eröpfel 


Die Tanieriiar women meiflens ie froͤhtieſen 
WMenſchen, Männer ven offener,: uekter "Beh: oft 
tener iſt, wie an Stimme, ſo an Handlaug ein eben 
‚seblänkener Juͤngling ohne Keaft und tiefen Ainghrum. 

7 Die Inaigleit Kiefe und Wwbreiaung, mit der 
Wir Letdenchait enipfungen, versnbeitan und · ſort⸗ 
Manzen, macht und zu den Sachen oder tiefen Ge⸗ 
‚fen, Die mir ſind. Oft Uegen vater dem Sinenh- 
fell Urfachen, die wir ſehr unrichtig und muͤhfam 
des Kopie schen; 'her Gedunke Laun dahin wicht 
dommen, mem nicht die Eupfindang verher oan 
Ührem Orte war. Wie fern wir am dem, 8 
Mn nt, Theil nehmen, wie tief Liche ‚ned 
aD, Etel und Abſchen, Verdruß und Wolaft- Ihre 
Barzein in und ſchlagen; bas:ftimmtäss Selten: 
Mmiel umfeer Qedanlen, des macht und zu drum 
Wanſchen, die wir ud. er 

‚Bor ſolhem Abgrunde dunkter Empfindungen, 
Traͤfte und Reize graut nun unfeer heilen und klaren 


—— 


22 


pyilsſophle am meiften: fie ſeguet ſich davor, als 
vor der Höhle uniterfter Seelenfräfte, und mag 
lieber auf dem Leibnisifchen Schachhrett mit einigen 


tauben Wörtern und Klaffififationen von Dunkeln . 


und Flaren, deutlihen und verworrenen 
Ideen, vom Erkennen in und außer ſich, mit 
ſich und ohne fih felbft m. dgl. fpielen. Diefe 
Methode tft fo leicht und lieblich, daß man's ſchon 
jam Srundfaß beliebt hat, lauter taube Wörter 
in die Philoſophie einzuführen, bei denen man fo 
wenig denken dürfe, als der Rechnende bei feinen 


Zahlen: das werde der Philoſophie zur Bolllommens 
heit der Mathematik verhelfen, daß man Immerfort 


ſchließen Tönne, ohne zu beufen — eine Philoſo⸗ 
phie, vor der und ulle Mufen bewahren! Was 


macht's eben, daß auch die gute wahre Phllofopble 


fo tief hernieder gefommen iſt, als, weil man bet 
ihr durch ganze Kapitel und Lehren über lauter All 
gemeinworten nichts gedacht hat? Nothwendig wirft 
die jeder gefunde Kopf bei Seite und ſpricht: „ich 
„will bei jedem Worte was beſt immtes zu den— 
ten baben, aud an jeder neuen Stelle, wo es 
„sea vorkommt.’ Und mein! wie mangelhaft find 
unſre metaphufifhen Begriffe und Wörter! welche 
Sorgfamkeit bat man alfo nöthig‘, jeden Augenblick 
den Begriff feftzubalten, genau zuzuſehen, ob es 
noch in dieſem Fall derfelbe oder nur noch fein 
“leeres Phantom fey? Meines geringen Erachtens 
iſt keine Pſpchologie, die nicht Im jedem Schritte. 
beſtimmte Phyſiologie ſey, möslih. Hals 
lers phyſiologiſches Werk zur Pſpchologie erhoben 

und wie Ppgmalions Statue mit Geiſt belebet — 


| 


| 
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j 23 
nisdann koͤnnen wir etwas uͤber's Denken und Em: 
pfinden fagen. 

Drei Wege weiß ich nur, die biezu führen moͤch⸗ 
ten: Lebensbeſchreibungen, Bemerkungen der Aerzte 
and Freunde, Weiſſagungen ber Dichter — fie allein 
Tonnen ums Stoff zur wahren Seelenlehre ſchaffen. 


£ebensbefchretbungen, am meiſten von fi ſelbſt, 


wenn fie treu und fcharffinnig find, welche tiefe Be⸗ 
fonderheiten würden fie Iiefern! Sind keine zwei 
Dinge auf der Welt glei , bat kein Sergliederer 
noch je zwo gleihe Adern, Drüfen, Muskeln und 
Kanaͤle gefunden — man verfolge dieſe Verſchieden⸗ 
heit durch ein ganzes Menſchengebaͤude, bie zu je⸗ 


dem Fleinen Rabe, jedem Reiz und Dufte bes gei⸗ 


ſtigen Lebensſtromes — welche Unendlichkeit, wel- 
‚her Abgrund! Ein Meer von Tiefen, wo Welle 
über Welle fich regt, und wo alle Abftraftionen von 
Aehnlichkeit, Klaſſe, allgemeiner Ordnung nur bret= 
terne Wände des Beduͤrfniſſes oder bunte Katten⸗ 
haͤuſer zum Spiel find. 

Hätte ein einzelner Menſch nun die Aufrichtige 
keit und Treue, ſich felbft zu zeichnen, ganz, 
wie er fich Fennet und fühlet: hätte er. Muths ge⸗ 
ung, in ben tiefen Abgrund platonifcher Erinnerung 
Hinein zu ſchauen, und ſich nichts zu verfchweigen: 
Muth genug, fi dur feinen ganzen belebten Bau, 
durch fein ganzes Leben zu verfolgen, mit allem, 
was ihm jeder Zeigefinger auf fein Inneres Ich zu= 
wintet — welche lebendige Phyfioguomif würde dar⸗ 
ans werben, ohne Zweifel tiefer, ale aus dem Um⸗ 
riß von Stirn und Nafe. Kein Theil, glaube ich, 
Fein Glied waͤre ohne Beitrag und Deutung. Er 





4 
_ 
Pr 





‚wärbe und fagen 'Iauen: ‚Hier Thligt das Kam, 
„matt; hier ift die Bruft platt und ungewoͤlbet, dort 
„der Arm kraſtlos; hler keucht die umge, dort 
„bmpft der Deruch; bier fehlt lebendiger Othem; 
Seſicht, Ohr daͤmmert — der Körper bittirt mie 
hfer ſchwach und vernorten, fo muB alſo amp We 
„oder ba meine Seele ſchteiſben. Das ſehlt mir; 
nba th jenes, und aus ſolhem Grunde, habe; — 
Berfolgte der treue Gefchlchtfdriser ſein ſelbſt birß 
ſodaunn durch alle Folgen, zeigte, daß kein Maugel 
und Heine Kraft an Einem Ort bleibe ſondern ſort⸗ 
wire, und daß bie Seele wach ſolchen gegebnen 
Formeln unvermusper fortſchließe: zeigte, wie jede 
SHiefgeit und Kälte, jede falſche Kosnbination und 
fehlende Regung nochweudig immer vorlommen und 
in jeder Wirkung man den Abdruck ſeines gamzen Ich 
mit Kraft und Mangel Hefern müffe — weiche 
Lehrende Gruempel waͤren Beſchreibungen von ‚der 
Art! Das werbon philoſophiſche Zeiten feyu, wenn 
man ſolche ſchreibt; nicht, da man ſich und alle 
Meuſchengeſchichte in allgemeine Formeln und Wort⸗ 
uebel einhuͤllet. Wenn der Stoiker Lipfſins und 
naudre feines Gelichters ſich alſo haͤtten zeichnon wol⸗ 
den, wie anders erſchlenen ſie, als ſie aus ben daͤme⸗ 
mernden Wortprodultionen ihres obern Stockwerks 
jetzt erſcheinen! 
Mie find Peine Lebensbeſchrelbungen oinzelner 
Menſchen von fi felbft bekannt, die nicht Immer, 
fo einfeitig und flag manchmal ihr Seſichtspuntt 
war, viel Merkwuͤrdiges gehabt Hätten. Außer dem, 
was Auguſtin, Petrarka, Montage in 
ihre Schriften von ſich ſelbſt eingeſtreuet, will ich 


ba 


95 

ner Sardan Ab einen weihen Selbſtmaͤrkerer - 
‚wenwen, bei deſſen aͤnßerſter Schwaͤche, ewisem Hin⸗ 
und Wegbeben vom Selbſtmorde man ſchauert. El⸗ 
nige ſonberbare Phaͤnomene, wie ein Geſchoͤpf fo 
Aliuðbliags in die Gefahr reunen, oder fo ſchwin⸗ 
end, furchtſam and feige ewig vor fehmem Schat⸗ 
ten Wiegen kann, Yaben nicht graufender erörtert 
werden Wanen, als alſo, aus dem weichen Mark 
amer eignen Empſendung. Es tft ſonberbar, wie 
‚eine eigne Lebensbeſchreibung den samen Man. 
ww von Selten zeiget, von denen er fi eben nicht 
geigen nl, und man freht aus Fälfen ber Art, daB. . 
altes in der Natar ein Ganzes fen, daß man ſich, 
gerad’ chen in dunklen Anzeigungen ımb Proben, 
wor ſich ſelbſt am wenigſten verlaͤugnen koͤnne. 

Da wir indeß noch lange auf Lebensbeſchreibun⸗ 
gan der Art werden warten muͤffen, und es viel- 
Felde alipt elnmal gut und nuͤtzlich waͤre, das tiefite- 
Weltashuns- in uns, das nur Gott ımb wir kennen 
ſelen, jedem Thoren zu verrathen; fo Treten Frem⸗ 
de am unfre Stelle, und was bei Kranken der 
Arze tft, ſoͤlte bei mertwärdigen Perſonen ihr 
Vreund werden. Daß unter, ben vielen Bemerkun⸗ 
gen der Aerzte alter und nener Seiten nicht auch eine 
Menge ſern müßte, die Diefe dunklen Reize und 
Kräfte in's Licht fehten, iſt gar kein Zweifel; bie 
serfiochtenfte Pathologie ber Seele und her Leiden⸗ 


"IM. Baruds eigne Lebensbeſchreibung ſammt einer 
aufrichtigen Entdeckung einer der greſten, obwahl 
größtentheifsnoch undefannten Leibes und Gemüths⸗ 
- wlase. Leip:, 1738. infond. S. 237— 372. 





26 
Kchaften hängt von ihnen und nicht von der Spekula⸗ 


tion ab; aber meines Willens find ſie ungeorbnet, _ 


ungefammelt, und nicht jeder hat dazu Luft oder 
Muße. Mit ihnen kämen gewiß die fonderbarften 
Anomallen und Analogien menfhliher Abenteuers 
lichkeit zum Morfhein, und der Borfieher eines 
Toll: und Siechenhaufes gäbe die frappanteften 
Beiträge zur Geſchichte der Genies aller Zeiten 
and Länder. — Wenn ich die Fremde zu den Aerz⸗ 
ten zähle, thue ich nicht Unrecht. Sie haben eben 
die Abfiht, die jene haben, dazu noch in den Um⸗ 
dtänden mehrerer Vertraulichkeit und Handlung. 
Es tft unbegreiflich, was oft Eine menſchliche Seele 
in die andre für dunkle Wirkung, Ahnung und Zug 
bat, wie man's oft an den fonderbarften Proben 
einftimmiger Gemäther, Lüfte und Kräfte fiehet. 
Sympathie und Liebe, Wolluft und Ehrgeiz, Neid 
amd Eiferfucht enträthfeln durch Blicke, durch ge= 
heime Winfe, was unter fieben Deden hinter ber 


Bruſt verborgen liegt, wittern gleihfum, aus lau=_ 


ter kleinen fihtbaren Anzeigen, das tief verborgene 
Geheimniß. — Dieß find Fleine verzerrte Proben 
von dem, was eine reine menfshlihe Seele mit 


Fleiß, Liebe und. Wartung über den andern und wie 


weit fie in ihn Hineln zu dringen vermöge! — eine 
Tiefe, von ber man noch bisher weder Grund hat, 
noch zum Grunde zu kommen ein Senkblei weiß. 
Der reinfte Menſch auf Erden Fannte fie alle, 
‚bedurfte keines Zeugniffes von außen; 


denn er wußte wohl, was im Menfdhen . 


war, und es wird dem Menfchengeifte in einer be⸗ 
ſonders herrlichen Analogie mit dem Geiſte der Gott⸗ 


N 


— 


27 “ 
heit zugeſchrieben, daß nur der Geiſt des 
Menihen, was im Menſchen iſt, wiſſe, 
gleihfam auf ſich felbft ruhe und in feinen Tiefen 
forfhe. — . " 

Wenn niemand anders, fo haben bieg Die 
Weiffagungen und geheimen Ahnungen 
der Dichter bewieſen. Ein Charakter, von 
Shatefpear gefchaffen, geführt, gehalten, tft 
oft ein ganzes Menfchenleben in feinen verborgnen 
Quellen: ohne daß er’s weiß, mahlt er bie Leiden 
ſchaft bie auf die tiefften Abarände und Faſern, aus 
denen fie ſproßt. Wenn neulich jemand behauptet 
hat, daß Shakeſpear Fein Phyflognomift fey, aus 
dem Profil der Nafe, fo gebe ich's Ihm gerne zu, 
denn zu einem Detail der Art hat er wenig Zeit, 
außer wo ed, wie bei Richard III., die offenbarfte 
Noth fordert; aber bag er Fein Phyfiolog fey, 
mit allem, wie fih Phpflologte auch von außen 
zeiget, das müßte niemand fagen, der Hamlet 
und Lear, Ophelia oder Dthello nur im 
Traume gefehen hätte: unvermerft mahlt er Ham⸗ 
let bis auf feine Haare. Da alles Aeußere nur 
Abglanz ber Innern Seele tft: wie tief ift nicht ber 
barbarifhe gotbifhe Shafefpear durch Erdlagen und 
Erdſchichten überall zu ben Grundzuͤgen gefommen, 
aus benen ein Menſch wählt, fo wie Klopftod 
zu ben geheimſten Wellen und Schwingungen einer 
zeinen bimmlifchen Seele! Das Stubium ber Dich⸗ 
ter zu biefem Zwecke haben meiftend nur die Eng- 
Länder (verfteht fih, nur an Ihren Dichtern: denn 
was wird ein Engländer außer England Guts finden?) 


perſucht; und Deutfchen iſt, ftatt unnüger Lobredben - 





28 
und Eindfither Negenfiouen, hier ein grı 
Feld von Zeiten und Voͤlkern br. ’ or 
Und bis dahin, daß dieſe drei Aufgaben erſchoͤpft 

nd, mag die Antwort anfgefchoben werden, „un⸗ 
‚fer weichen Dedfugungen etwag retze ?“ Ich koͤnnte 
in fauben und unſtaͤten Ansbräden zehn Formeln zur 


an umge reibet, md: und reget. Sder fh Aimtte 


fügen: er retzi, wenn er ms fo Ahdıkh, ſo mal 
ft — aber was hleße dieß alles? Im Grunde mer. 


mmet, er retzt nenn er retzt, und das giaudt. 


ein jeder. Es mng auch-g eglaubt, d.f, erfrg- 


‚ten, empfunden nierben, and flieht jedes afgemeine 
Wortgeftam und abſtrakte Vorherſehen. Menn-ein 


Gegenſtand, von dem wir nicht traͤumten, nichts 
dofften, ſich proͤhltch fo nahe unſerm Ich zeigt, dag, 
wie der Winh dfe Orafesipigen, der Magnet der 


| int einem feiner Singer ſpielet. Ste hangen mike 
de i 





ar 
mit der unbekannten Weltgegend zuſanmmen; ion 
din fie etlen: unſichtbare Bande ziehen — 
fie mögen dahin kommen, oder nicht, es mag ein 
Ey — oder Kreide, worauf die Henne bruͤtet. 
Die Selten ber Schöpfung. find ſo vielartig, und ba 
jede Seite ſollte gefuͤhlt, geahnet, hinan empfunden 
werden, ſo mußten bie Juſtinkte, ee and Wins: 
zeln der Empfindung fo mancherlei ſeyn, daß fie 
oft fein anderes Weſen, als mas-fie 4 —22 
LKegreiſt oder ahnet. 
Sxrefflich auch, daß es alſo, und-bie tiofſte Tiofe 
unfrer Soeie mit Macht. bedegt iſt! Hufe arme 
Denkerinun war gewiß nicht de, jeden Reiz⸗ 
dasc Samenkorn jeglicher Empfindung, in 
erſten Beftaudtheiten ze faſſen: fie wer nicht. im 
Stande, ein uſchendos Weltmeer fo Dunkler Bo: 
gen⸗leut zu hören, -ohme daß. ſie es mit Scheuder m 
and Wagft, mit ber Vorſorge aller Furcht und Kleine, 
mäthigäelt umfinge: und das Steuer. ihrer Hand: 
entßele. Die mästerkihe Natur entfernte alfo von 
ihr, was von Ihrem Haren Bewußtſeyn nicht abhau⸗ 
gen konate, wog jeden Eindruck ab, den ſie davon ⸗ 
botam, amd ſpuͤrte jeden Kanal aus, der zu ihr fuͤhr⸗ 
te. Nun trennet ſie nicht Wurzeln, ſondern genie⸗ 
Feb Blaͤthe. Düfte wehen ihr aus dunkeln Vuͤſchen 
zu, die ſie micht pflantte picht erzog: ſie ſteht auf 
einem Abgrunde von Unendlichkeit und weiß nicht, 
daß ſie darauf ſteha; durch dieſe gluͤcliche Unwiſſen⸗ 
heit steht, fie feſt mad ſicher. Nicht minder. gut für 
bie-hunleln Kraͤfte und Reize, bie auf fo ſubalter⸗ 
nem Standort mitwirken möflen: ſie willen nicht, 
wegu? Hünuen. und ſollen'g nicht willen: ber Grad 


an = 
Tropfen. Gelbft die Bewegung fuchte Leibnitz 
ja als Erſcheinung eines Innern Zuſtandes gm 
 erflären, den wie nicht Eennen, ber aber Vorſtel⸗ 
lung ſeyn Fünnte, weil und fonft kein innerer Zu⸗ 
ffandıdefannt.if, Wie, umd — Innern Zu⸗ 
ftand der Kräfte und Subſtanzen ihres Koͤrpers 
könnte ‚bie, Seele, als ſolche, nicht wirken? ſie, bie 
ja von der Natur jener und ſelbſt innigſte, wirlendſte 
Kraft iſt. Sie herrſchte alſo nur im Gebiet ihrer 
Schwehern, lauter ihr Abulkhen Weſen, und 
koͤnnte ſie da ulcht horrſchen? | 

— J ä N TEE i 
Doch es iſt zu fruͤh, einzelnen Folgerungen Kaum. - 
zu gebent wir bleiben noch bei Erſcheinungen der 
ganzen Maſchine. Der Innere Menſch miit all ſei⸗ 
nan dunklen Kräften, Reizen und Trieben aͤſt nur 
Eimer. Alle Leldenſchaften, um's. Herz gelagert, 
und mancherlei Werkzeuge regend, hangen Dutch. 
unſichtbare Bande ˖zuſammen, und ſchlagen Wurzel: 
im feiuſten Ban unſrer befeelten Fiber. Jedes 
Faͤſerchen, wenn wirs einſehen koͤnnten, gehört 
ohne Zweifel wit dazu, jedes engers und wellere 
Gefäß, jede ſtaͤrker und ſchwaͤcher wallende Blut⸗ 
kugel. Der Muth: des Löwen wie die Furchtſamkeit 
dee Hafen, ‚liegt in feinem befeelten Innern Baue. 
Dusch die engen Yuldadern des Loͤwen dringt das | 
wärmere Blut mit Gewalt bins der Hirſch herein | 
Herz mit.weiten, offenen Gefäßen, ein ſcheuer Köe 
nig des: Waldes, trotz feiner Krone. Zur Zeit. der 
Brunſt iſt indeß auch der ſcheue Hirſch kuͤhn; es iſt 
die Zeit feiner erregten Reize und vermehrten ku⸗ 
nern Waͤrme. N 


n ‘21 


varkeit dazu, ein Achille⸗ zu werben. Der fatte 
xAdwe hat ſeinen Muth verloren, ein Weib kann ihn 
Jagen; ehr yungriger Wolf aber, GSeier, Line — 
"wie maͤchtige Geſchopfe! 
Die Tanferſten wen meiſten⸗ die froͤbtlleſten 
Beinen, "Männer non offener,: meiter VBeiuſt: ft 
den in ben Aebe, wie km Lehen. EAn Werſchnit⸗ 


[3 


‚sener Al. wie an Stimme, fo an Handlung ein eben 


‚blinkener Juͤngling ohne Mxaft und tiefen Aadkru. 


— Die Jugialckt Wehe und Mshreieung, mit der 
ir Seßbenfhaft en 


empfargen, verenbeiten ;undfert- 


langen, macht uns zu den Fuchen-pher tiefen Se⸗ 


fen, Die mir ind. Oft bagen unteridem Siyench- 
dell Urfachen, Die wir fohr:untächtig- ud mubfam 
Ms Ropfe ſuchen; vder GSedunke Laun dabin nicht 
dommen, dam nicht die Ewpfinbeng vorher ‚am 


Üdtem Ort⸗ :sgar. ‚Mie  Yern wir ad, 


Ras ug, el ce, wie tief Liebe nad 
AB Ekel und Abſchen, Verdruß und Wolauſt ihre 
Wurzeln in nas ſchiagen; bas-fimmt Ass Soiten⸗ 
Biel vucer Qedanien, des macht und zu dru 
Wenſchen, die wit ĩjach. 

„or Sem Abgrunde dunkter Empfindungen, 
Traͤfte md Reize graut nun unſter hellen. und klaren 


⸗ 


22 

Phlisfophie am meiften: fie feguet fih davor, als 
vor ber Höhle unterfter Seelenfräfte, und mag 
lieber auf dem Leibnisiihen Schachbrett mit einigen 
tauben Wörtern und Klaflifitationen von bunfeln . 
und Flaren, deutlihen und verworrenen 
Ideen, vom Erfennen in und außer ſich, mit 
ſich und ohne ſich ſelbſt u. dgl. fplelen. Diefe 
Methode iſt fo leicht und lieblich, daß man's ſchon 
zum Orundfaß beliebt Hat, lauter taube Wörter 
fn die Philoſophie einzuführen, bei denen man fo 
wenig benfen dürfe, als der Rechnende bei feinen 
Zahlen: das werde ber Philoſophie zur Vollkommen⸗ 
heit der Mathematik verhelfen, daß man immerfort 
ſchlleßen Tönne, ohne zu deuten — eine Philoſo⸗ 
phie, vor der uns alle Mufen bewahren! Was 
macht's eben, daß auch bie gute wahre Philoſophie 
fo tief hernieder gelommen iſt, als, weil man bet 
ihr durch ganze Kapitel und Lehren über lauter Als 
gemeinworten nichts gedacht hat? Nothwendig wirft 
die jeder gefunde Kopf bei Seite nnd fpricht: „ich 
„will bei jedem Worte was beſt immtes zu den⸗ 
„ten baben, auch an jeder neuen Stelle, wo es 
„neu vorkommt.“ Und mein! wie mangelhaft ind 
unſre metaphyſiſchen Begriffe und Wörter! welche 
Sorgfamteit hat man alfo noͤthig, jeden Augenblick 
den Begriff feftzubalten, genau zuzufehen, ob es 
noch in diefem Fall derſelbe oder nur noch ſein 
leeres Phantom fen? Meines geringen Erachtens 
iſt keine Pſpchologie, die nicht In jedem Schritte 
beſtimmte Phyſiologie ſey, moͤglich Hals 
lers phyſiologiſches Werk zur Pſychologie erhoben 

und wie Pygmalions Statue mit Geiſt belebet — 


M 23. | 
alsdann Tinnen’swir etwas übers Denken und Em⸗ 


pfinden fagen. | . | 

Drei Wege weiß ich nur, bie hiezu führen moͤch⸗ 
ten: Lebensbefchreibungen, Bemerkungen ber Aerzte 
and Freunde, Weiſſagungen ber Dichter — fie allein 
Tonnen uns Stoff zur wahren Seelenlehre fchaffen. 
Lebensbefchreibungen, am meiften von fich felbft, 
wenn fie treu und ſcharfſinnig find, welche tiefe Be⸗ 
fonderheiten würden fie liefern! Sind keine zwei 
Dinge auf ber Welt gleich, bat Fein Zergliederer 
noch je zwo gleihe Adern, Drüfen, Muskeln und 
Kanaͤle gefunden — man verfolge biefe Verſchieden⸗ 
beit durch ein ganzes Menſchengebaͤnde, bis zu je⸗ 
dem Tleinen Nabe, jedem Reiz und Dufte bes gei⸗ 
ftigen Lebensſtromes — welche Unendlichkeit, wel- 
her Abgrund! Ein Meer von Tiefen, wo Welle 
über Welle ſich regt, und wo alle Abftraftionen von 
Aehnlichkeit, Kaffe, allgemeiner Ordnung nur bret= 
terne Wände des Beduͤrfniſſes oder bunte Karten: 
haͤuſer zum Spiel find. 

Hätte ein einzelner Menſch nun die Aufrichtig⸗ 
keit und Treue, ſich ſelbſt zu zeichnen, ganz, 
wie er ſich kennet und fuͤhlet: haͤtte er Muths ge⸗ 
ung , in ben tiefen Abgrund platoniſcher Erinnerung 
hinein. zu fchauen, und fich nichts zu verfchweigen: 
Muth genug, fi durch feinen ganzen belebten Bau, 
durch fein ganzes Leben zu verfolgen, mit allem, 
was ihm jeder Zeigefinger auf fein Inneres Ich zu⸗ 
winfet — welche lebendige Phyſiognomik würde dar⸗ 
aus werben, ohne Zweifel tiefer, ald aus dem Um⸗ 
riß von Stirn und Nafe. Kein Theil, glaube ich, 
Sein Glied waͤre ohne Beitrag und Deutung. Er 


} 


2 
würde. uns fageı Ibnuen: „Hier ſchͤgt dae Han, 


„matt; hier iſt die Bruft platt und ungewißhme, dort 


„der Arm krafties; hler Tent die Lmnge, dort 
nudumpft ber @ermm; hier fehlt lebendiger Othem; 
ASeſicht, Ohr daͤmmert — der Körper bitirt mir 
hler ſchwach und vernveren, fo muß re au He 
„ober da meine: Serie fchreifen. Das ſehlt mie; 
ba Ich jenes, und aus folgem Grunde, babe 
Werfolgte der treue Seſchichtſchrever fein ſribſt bieg 
ſodann durch alle Folgen, zeigte, daß kein Mangel 
und leine Kraft an Einem Drt Bleibe fondern forte 
wirte, mb daß bie Seele nach ſolchen gegebaen 
Formeln unvermutper ſortſchließe: geigte, wie jede 
Schiefheit und Kaͤlte, jede falſche Kombination uud 
feglende Regung nothwondig immer vorkommen: und 
In jeder Wirkung man den Abdruck feines. ganzen Ye 
mit Kraft und Mangel Hefern muͤſſe — weile 
lehtende Crempel wären Beſchreibungen von der 
Art! Das werben philoſophiſche Zeiten eyn, wenn 
man ſolche ſchreibt; nicht, da man fih und aue 


WMeuſchengeſchichte in allgemeine Formeln und Wort- 
nebel einhuͤlet. Wenn ber Sltoiker Lipfus und 


andre ſeines Gelichters ſich alſo haͤtten zeichnon wol⸗ 


den, wie anders erſchienen ſie als ſie aus ben dam⸗ 


mernden Wortproduktionen ihres obern Stockwerko 
jetzt erſcheinen! 
Mir find keine Lebensbeſchreibungen einzelner 
Menſchen von ſich ſelbſt bekannt, die nicht kumer, 
ſo einfeltig und flach manchmal ihr Seſichts puntt 
war, viel Merkwuͤrdiges gehabt hätten. Außer dem, 
was Auguftin, Petrarka, Montage in 


Ipre Schriften vor ſich ſelbſt eingeſtreuet, solid, 


— 
63 





_ y. AU 20 2 U OEM — — 


25 

nur ESardan Und einen weichen Selbſtmaͤrkerer - 
Aernen, bei deſſen aͤnßerſter Schwaͤche, ewigem Hin⸗ 
and Wegbeben vom Selbſtmorde man ſchauert. El⸗ 
ige ſonberbare Phänomene, wie ein Geſchoͤpf fo 
Sditngs in die Gefahr reunen, oder fo ſchwin⸗ 
delud, furchtſam und feige ewig vor fehrem Schat⸗ 
ten Wegen kann, haben nicht graufender erörtert 
werden Kunen, als alſo, aus dem weichen Mark 
faer Amen Empſindung. Es iſt ſonderbar, wie 
eine eigne Lebensbeſchreibung den ganzen Mann 
ww von Selten zeiget, von denen er ſich eben nicht 
geigen will, und man fieht aus Faͤllen der Art, daß. 
alles in der Natur ein Ganzes fey, daß man ſich, 
gerad' eben fu dunklen Anzeigungen und Proben, 
or fi felbſt am wenigſten verlaͤugnen könne. . 

Da wie indeß noch lange auf Lebensbeſchreibun⸗ 
gen der Art werben warten muͤffen, und es viel⸗ 
Ficht nicht einmal gut: und muͤtzlich waͤre, das tiefſte 
eilkzehum in uns, das nur Gott und wir kennen 
fößten, jedem Thoren zu verrathen; fo treten Frem⸗ 
se m wire Stelle, und was bei ‘Kranken ber’ 
Arze tft, ſolte bei merkwuͤrbigen Yerfonen ihr 
Sreunb werben. Daß unter, den vielen Bemerkun⸗ 
gen der Aerzte alter und nener Seiten nicht auch eine 
Menge ſern muͤßte, die Biefe dunklen Reize und 
Kräfte in's Acht fehten, iſt gar Ten Zweifel; die 
serfiochtenfte Pathologie der Seele ımd her Leiden⸗ 


"IM. Beruds eigne Lebensbeſchreibung ſammt einer 
aufrichtigen Entdeckung einer der gröſßten, obwott 
großtentheils noch unbekannten Leibes⸗ und Gemüths⸗ 
plage. Zeipꝛ. 1738. infond, 6 257 — 372. 


26 


Kchaften Hängt von ihnen und nicht von der Spekula⸗ 
tion ab; aber meines Willens find fie ungeordnet, 
ungefammelt, und nicht jeder hat dazu Luft oder 
Muße. Mit ihnen Fämen gewiß die fonberbarften 
Anomallen und Analogien menfchliher Abenteuers 
lichkeit zum Morfchein, und der Vorſteher eines 
Toll: und Siechenhauſes gäbe bie frappantefien 
Beiträge zur Gefchichte der Genies aller Zeiten 
und Länder. — Wenn ich bie Freunde zu ben Aerz⸗ 


ten zähle, thue ich nicht Unrecht. Sie haben eben 


die Abfiht, die jene haben, dazu noch in deu Um⸗ 


dtänden mehrerer Vertraulichkeit und Handlung. 


Es tft unbegreiftich, was oft Eine menfhlihe Seele 
in die andre für dunkle Wirkung, Ahnung und Zug 
bat, wie man's oft an ben fonderbarften Proben 
einftimmiger Gemuͤther, Lüfte und Kräfte fiebet. 
Spmpathie und Liebe, Wolluft und Ehrgeiz, Neid 
and Eiferfucht enträthfeln durch Blicke, durch ge= 
heime Winfe, was unter fieben Deden hinter ber 


Bruft verborgen liegt, wittern gleihfam, aus lau⸗ 


ter Heinen fihtbaren Anzeigen, das tief verborgene 
Geheimniß. — Dieß find Feine verzerrte Proben 
son dem, was eine reine menfshlihe Seele mit 


Fleiß, Liebe und. Wartung über den andern und wie 


weit fie in ihn hinein zu dringen vermöge! — eine 
Tiefe, von der man noch bisher weder Grund hat, 
noch zum Grande zu kommen ein Senfblei- weiß. 
Der reinfte Menfch auf Erden Fannte fie alle, 


‚bedurfte Feines Zeugniffes von außen; 


denn er wußte wohl, was im Menfhen 
war, und ed wird dem Menfchengeifte in einer be= 


ſonders herrlichen Analogie mit dem Geiſte ber Gott⸗ 


N 


— — — — — —RX 





27 


heit zugeſchrieben, daß nur ber Geiſt des 
Menſchen, was im Menfhen iſt, wiffe, 
gleichſam auf ſich ſelbſt ruhe und in feinen Tiefen 
forfhe. — 

Wenn niemand anders, fo haben dieß die 
Weiffagungen und geheimen Ahnungen 
der Dichter bewieſen. Ein Charakter, von 
Shalefpear gefhaffen, geführt, gehalten, tft 
oft ein ganzes Menfchenleben in feinen verborgnen 
Quellen: ohne daß er's weiß, mahlt er die Leiden⸗ 
Schaft bie auf die tiefften Abgruͤnde und Faſern, aus 
denen fie ſproßt. Wenn neulich jemand behanptet 
hat, daß Shakefpear Fein Phyſiognomiſt fey, aus 
dem Profil der Nafe, fo gebe ich's ihm gerne zu, 
denn zu einem Detail der Art bat er wenig Zelt, 
außer wo es, wie bei Richard III., die offenbarfte 
Noth fordert; aber daß er kein Phyfiolog fey, 
mit allem, wie fih Phyſiologle auch von außen 
zeiget, das müßte niemand fagen, der Hamlet 
und Lear, Ophelia oder Othello nur im 
Traume gefehen hätte: unvermerft mahlt er Ham⸗ 
let bis auf feine Haare. Da alles Aeußere nur 
Abglanz ber Innern Seele iſt: wie tief ift nicht der 
darbarifche gothifhe Shakefpear durch Erdlagen und 
Erdſchichten überall zu den Grundzuͤgen gefommen, 
aus denen ein Menſch wählt, fo wie Klopſtock 
zu den gehelmften Wellen und Schwingungen einer 
seinen bimmlifhen Seele! Das Stublum der Dich⸗ 

ter zu dieſem Zwede haben meiftens nur die Eng- 
laͤnder (verfteht fih, nur an Ihren Dictern: denn 
was wird ein Engländer außer England Guts finden?) 


verfucht; ung Deutſchen ift, ftatt unnüher Lobreden - 


| ‘28 

und Elndffiher Rezenflonen, hier noch bin großes 
Feld von Zeiten und Völkern übrig. | 

Und bis dahin, daß dieſe drei Aufgaben erſchoͤpft 
ſind, mag die Antwort aufgeſchoben werden, „un⸗ 
„ter welchen Bedingungen etwas retze?“ Ich koͤnnte 
In tauben und unſtaͤten Ausdrucken zehn Formeln zur 
Aufloͤfung geben, ſagen: daß uns etwas retze, wenn 
wir nicht umhin Finnen, daß es ung nicht retze, 


. wenn der Gegenſtand uns fo nah liegt, daß er iich 


7 


an uns reibet, und uns reget. Oder ich koͤmte 
Jagen: er'refzt, wenn er ms fo aͤhulkch, fo analoß. 
iſt — aber was Hefe dteß alles? Im Grunde mr 


immer, er retzt, wenn er reizt, und das glaubt. 


ein jeder. Cs muß auch geglaubt, db. i. erfah⸗ 
ten, empfunden werden, nnd flieht jedes allgemeine 
Wortgeftam und abſtrakte Vorherſehen. Wenn ein 
Begenſtand, von dem wir nicht traͤumten, nihte 
Hofften, fi ploͤtzllch ſo nahe unferm Ich zeigt, daß, 
wie der Wind dfe Grafesfpisen, der Magnet der 
Feilſtanb regt, Ihm die geheimſten Ttiebe unfreg: 
Herzens willlg folgen — was iſt da zu gruͤbeln, 
‘30 argumentiren? es iſt' neue Erfahrung, bie 
wohl: aus dem Syftem ber beften Welt folgen mag, 
aber nicht eben aus unferm Syſtem jest folget. Es 
iſt ein neuer weiſſagender Trieb, der ims Genuß 
zuſagt, dunkel ihn ahnen laͤßt, Raum und Bett 
uͤberſpringet, und und Vorgeſchmack gibt in die Zu⸗ 
kunft. Mielletiht iſt's alfo mit dem Inſtinkt der 
Thtere. Sie find mie Salten, die An gewiſſer 
Klang bes Weltalls regt, auf denen der Weltgetſt 
pi einem feiner Singer fpieler. Ste hangen nift 
dem Clement, mit dem Geſchoͤpf, mit den Jungen, 


4‘ 


& 


au. 
mit der ‚unbekannten Weltgegenh zufammen; ion 
hin fie: eilen: unſichtbare Bande ziehen Ve ha 
fie mögen dahin Fommen, oder nicht, es mag ein 
Ey 23 oder Kreide, worauf die Henne bruͤtet. 
Die Seiten ber Schoͤpfung find ſo vielartig, und da 
de Seite ſollte gefuͤhlt, geahnet, hinan empfunden 
werden, fo mußten bie Juſtinlte, * nnd Wur⸗ 
zeln der Empfindung fo mancherlei ſeyn, daß fir 
oft kein anderes Meſen, ald-mas-fie (iR emp, 
Esgreift ober ahnet. 

Sveffflich auch, daß es alſo, und-bie tisfſte Tiefe 
unfeer Soebe mis Macht bededt iſt! Unſre arme 
Denlerinn war gewiß nicht de, jeden Reiz⸗ 
das Samenkorn jegliher Empfindung, in ſeinen 
erſten Veſtaundtheilen zu faſſen: fie war nicht: im, 
Stande, ein cuſchendos Weltmeer fo dunkler Wo⸗ 
gen/ laut zu Den ohne daß fieses-- mit Scheuder m 
ud: Hagit, mit ber Vorſorge aller Furcht und Kleine. 
mäthigäeit umfinge. und das: Steuer ihrer Hand; 
entſieie. Die muͤtterliche Ratur entfernte alfo von 
ihr, was von ihrem klaren Bewußtſeyn nicht abhan⸗ 
gen Taumte, wog jeden Eindruck ab, den ſie davon. / 
betam, und ſpuͤrte jeden Kanal aus, der gu. ihr fuͤhr⸗ 
te. Nun itrennet ſie nicht Wurzeln, ſondern genie⸗ 
Fer Blaͤthe. Düfte wehen ihr aus dunkeln Buͤſchen 
30 bie ſie micht pflanzte gicht arzog: ſie eht auf 

einem von Unendlichkeit und weiß nicht, 
dab ſie darauf ftehe; Durch biefe glädliche Unwiſſen⸗ 
heit ſreht fie feft und ſicher. Nicht minder. gut für 
die dunleln Kraͤſte und Reize, bie auf fo fubalter- 
wem Standort mitwirken moͤſſen: De wiſſen nicht, 
wegn? dnanen und follen’d Bu willen: ber Grab 


30 | 
ihrer Dunkelheit iſt Güte und Weisheit. Ein Erb- 
Hop, durchhaucht von Lebensothem des Schoͤpfers, 
tft unfer Leimengebäube. 
2. Sinne. 
Unterlag unfre Seele dem Meere tommender 
Wellen von Reiz und Gefühl von außen: fo gab 


uns die Gottheit Sinne: von Innen, fo-webte 


fie ung ein Nervengebäube, 

Der Nerve beweifet feiner, was bort von den 
Fibern des Reizes allgemein gefägt wurde, er zie— 
bet fi zufammen oder tritt hervor nach Art des 
Gegenftandes, der zu ihm gelanget. Jettt wallet 
er entgegen, und die Spitzen feiner äußerften Buͤſche 
richten fih empor. Die Zunge ſchmecket zum vor= 
and: die Geruchbäfchlein thun fih auf dem kom— 
menden Dufte: ſelbſt Ohr und Auge öffnen ſich dem 
Schal und dem Lichte, und infonderheit bei den 
gröbern Sinnen eilen bie Lebengsgeifter mit Macht 
Dazu, ihren neuen Saft zu empfangen. — Gegen- 
theils, wo Schmerz nahet, fleucht der Nerve und 
granfet. Wir fhauern zufammen bei einem aͤußerſt 
disharmoniſchen Schafe: unſre Zunge widert bet 
übelm Geſchmack, wie der Geruch bei widrigem 
Dufte. Das Ohr, fagt der Lateiner, entfeßet fidy 
zu hören, das Auge zu-fehen; Könnte fie, fo ſchloͤſſe 
ſich die Gefühlsfnofpe, wie die Blume dem Falter 
Abendhauche. Graufen, Schauer, Erbrechen, bet 


dem Geruche das Niefen, find lauter folhe Phaͤno⸗ 


mene bes Zurädtritts, bes Widerftandes, 


der Stemmung, als ein fanftes Hinwallen 


und Zerſchmelzen bei angenehmen Gegenftän- 


den Hebersang und Uebergabe zeigt. Im 


q 
fi 


| 
I 


ölh- . 
Grunde ſind's alfo noch jene Geſetze und Phaͤno⸗ 
mene, bie wir bei jeder Reizesfiber bemerken, und 
daß auch noch bei den geiftigen Empfindungen des 
Sqhoͤnen und des Erhabnen jenes Geſetz ſtatt 
finde, daß jedes Gefühl des Erhabnen nämlich mit 
einem Zuruͤctritt auf ſich, mit Selbſtgefuͤhl, 
und jede Empfindung des Schoͤnen mit Hinwal⸗ 


len aus ſich, mit Mitge fuͤhl und Mittheilung 


verbunden ſey, hat der vortreffliche Verfaſſer einer 
ſehr befannten Abhandlung *) gut ausgeführt — 
eine Theorie, über bie ich Ihn, ob fie gleich unter 
edlen Geſchaͤften und Geſinnungen nur Spiel, nur 
Erholung für ihn war, faft beneide. 

Vielleicht wird mir bald günftige Muße, Auf⸗ 


füge zu fammeln, die ih über die Cmpfindungsart -- 


einiger einzelnen Sinne bingeworfen habe; hier 
gehet mein Zweck nur aufs Allgemeine, und bes 
merke, was ich bort bei dem Reiz und feinem Ge- 
senftande fagte, daß auch hier bei den Sinnen ein 
Medium, ein gemilles geiftiges Band flatt finde, 
ohne welches ber Sinn weder zum Gegenſtande, 
noh der Gegenftand zum Sinne innig gelangen 
Tönnte, dem wir alfo bei allen ſinnlichen Kenntnif- 
fen trauen, glauben mäfTen. Ohne Licht wire- 
unfer Auge und unfre fehende Seelenfraft mäßig, 
ohne Schall das Ohr leer: es mußte alfo ein eig 

Meer geihaffen werden, das In beide Sinne fließe 


und bie Begenftände in diefeiben bringe; oder mit 


andern Worten, „Das fo viel von den Bea 


») Burke Unterf. über den Urſprung unfrer Begriffe 


| nom Erhabnen und Schoͤnen, Rise 1773. 


PR _ 
choͤ pfen abreigt, als diefe. Yforte em. 
fangen. kann, alles. übrige, ihren gar 
„sen unendlihen Abgrund, ihnen aber 
Aaͤſſet.“ Wunderbared Drgan bed Weſens, in 


dem alles Lebt umd empfindet! Der Lichtſtrahl if. 
fein Winf, fein Finger ober Stab in unſre Seele; 
Schall it fein Hauch, das wunderbare Mprt feinen, 


Geſchoͤpfe und Diener. 


Wie mächtig Hat der Schöpfer hlemit feige Weit 


für und gemeitet! Alle groben Sinne, Faſern und 


Reize koͤnnen nur in ſich empfinden, ber Gegass- 
ſtand muß Hinzu kommen, fie beruͤhnen und mit 
ihnen gewiſſermaßen ſelbſt Eins werden. Hier mird 


ſchon dem Erkennen außer und Weg gebahnet. *) 


Unſer Ohr hört über Wellen bin; ber Liihtftrabt 


Ge 


wird Stab,. mit dem wir bis zum. Sirius hinauf 


zeichen. Unmittelbar vor meinem Auge has daß 
große Auge der Welt ein allgemeines Organ ausge— 


breitet, das tauſend Gefchöpfe in mich bringt, das 
tauſend Weſen mit einem Kleide für mich beiels. 
det, Um mein Ohr fließt ein Meer von. Wellen, 


das feine Hand ausgoß, bamit.eine Welt von Ge- . 


genfiänden In mich dringe, die mir ſouſt ewig ein 
dunkles ſtilles Todtengrab bleiben müßte. Da ge 


braucht mein Siuu alle die. Kunſtgriffe und. Feinhei⸗ 


ten, die ein Blinder mit dem Stabe gebraucht, zu 
faften, zu fühlen, Entfernung, — 





9 S. Sulzers vortreffliche Abhandfl. vom Denken und 
Empfinden, in feinen vermiſchten philofophif 
Schriften, Ybhandl. VIL..und Hist, de IAcad. Bayale 
de Berlin, T. XIX. pag. 07 30. : 


— 


85 


Maß zu lernen, und am Ende willen wiz ohne bieß 
Medium nichts, ihm mäflen wir glauben. Be⸗ 
traͤgt mic ber Schall, das Licht, ber Duft, bie 
Würze; iſt mein Stun falich, ober Habe ich ihn nur 
falſch zu brauchen mich gewöhnet, fo bin ih mit all 
seiner Kenntniß und Spekulation verloren. Auch 
kaun der Segenftand für taufenb andere Sinnen In 
kaufend andern Medien ganz etwas anderes, vol⸗ 
lends in fich felbft ein Abgrund feyn, von dem ich 
nichts wittre und ahne; für mid iſt er nur das, was. 
mir der Sinn und fein Medium, jenes bie Pforte, 
dieß der Zeigefinger der Gottheit für unſere Seele, 
dargibt. Innig wiſſen wir außer uns nichts: ohne 
Sinne waͤre uns das Weltgebaͤude ein zuſammenge⸗ 
flochtner Knaͤuel dunkler Reise: der Schöpfer mußte 
ſcheiden, trennen, für und in uns buchſtabiren. 
Nun muß ich nochmals. bemerken, daß den Bei- 
trag genau zu unterfuchen, den jeder Sinn ber 
Geele liefere, ein angenehmer und dußerft merk⸗ 
wärbiger Zuftweg ſeyn müßte, ben wir und auf an⸗ 
dere Zeit erſparen. Daß aber nicht bei zwei Men⸗ 
ſchen diefer Sinnenbeitrag an Art und Stärke, Tiefe 
und Ausbreitung einerlei feyn kann, bezeugen viele 
Proben. Geſicht und Gehoͤr, die den meiften Stoff 
sum Denken geben, fiad felten bei einem Menſchen 
in gleichem Grabe der Ausbildung und natürlichen 
Stärke. Klarheit des Auges haflet oft tiefe Iunig- 
keit des Ohrs (geiftig zu reden) ; die beiden Roffe find 
alfo ungleich, bie zunaͤchſt am Wagen der Pſoche ziehen, 
Die drei grösten epiſchen Dichter in aller Welt, Ho⸗ 
mer, Dfflanund Milton, waren blind, als ob dieſe 
ſtille Dunkelheit dazu gehörte, daß alle Blider, bie fle 





Pre 
geſehen und erfafſet hatten, nme, er 
füge Melodie werden. dhmnsen. Ein bllabge⸗ 

Dorner Dichter und- ein taubgoborner Philoſorh maß 
ten fonberbare Eigenheiten neben, ſo wie. Der dlin- 
de Saunderfon mit bem Gehbr, Gun und 
Gefühl liebte. Wenn eine allgemeine philoſophi 
ſche Sprache je erfunden würbe, wär's stelstcht:vom 
einem Taub: und Stummgebornen, ber gleikfanz 
ganz Gefiht, ganz Zeichen der Abſtraktion wäre, 
Heine zwei Dichter haben je ein Sylbenmaß gleich 
gebraucht und mahrfheinlich auch glebch sefählen 
Eine ſapphlſche Ode bei ber Griedim, Bei: Katull 
und Horaz iſt fat nicht Daffelbe: welch mitteimde 
ßiges Ohr wird nicht einen Hexameter von Kilo p⸗ 
ſtock, Aleift, Bodmer odervonkutrez, Birne 
git oder Dvtidtug beinahe auf den erſten Mang 
unterfcheiden? Dem Einen Dieter iſt feine Mufe 
Geſicht, Bild, dem andern Stimme, dens 
dritten Handlung? Ein Prophes ward durch Sat⸗ 
tenfptei gewedt, der andere durch, Sefichte: Tele 
zween Mahler und Dichter haben Einen Gegen 
fand, wenn auch nur Ein Gleichniß, gleich gefehen, 
gefaßt, geſchitdert. 

Eine Unendlichkeit muͤßte es werben, wenn man 
diefe Verſchiedenheit bes Beitrages verſchiedener 
Sinne über Länder, Zelten und Voͤlker verfolgen 
koͤnnte: was z. B. daran Urſache ey, daß Franzo⸗ 
fen und Italiener ſich bei Muſik, Itallenor und 
Niederländer ſich bei Mahlerei fo ein anderes Ding 
denken? Denn offenbar werden bie Kante auf bie= 
fer Wegſcheide von Nationen mit andern Geiftes⸗ 
finnen empfunden, mit andern Geiſtes ſinnen vollen⸗ 


as 
det Mevs ſndeſ ahaan aur fait, babi ſevrſi⸗ 
GSinns 


Bohpin nub-Wefhhten; 

. hr biesfehke Symcheichenm Auumuhdtte: Das Ger 
ur orgt ver Ge war: glaubt zu ſehen, ndnd 
nur fühlte: Eer ſicht and Getzür eigen: einnnder 
wechſelſeitig: der Beruch ſcheinet ber Geiſt des Ge⸗ 
u. oder iſt ahm wentzarens ul cher Beuder. 
Wusch ans allenn acht uch : wirtr nun die Serbe fi 


NadFat,. deſſea Bere — Zeifen abreißt uud 
fſaimende Abzrinide duneben zoigt, kameſo wulk, 
daß eu. zubetzt den AÄuukein, brennenden Abgruud 
Immer weben ſich ſath. Mehr als Ein Ehmaͤrmer 
ſaefterer Art glaubte ſich iamer von hellem Licht 
mageben, unbelb der große Deuter, Tihirw 
haufen”), Lveſſen Nut zu.findiren wunisftens ro⸗ 
mutig war, fund.fich nicht eher iin wahren 
GSebaneuſerome, als wenn er Funkon und Strah⸗ 
ben um fi ſahe. Das Erempet eines andern 
Mhlis ſorhren Ife mie bobannt, ber: bet: bes Anfauge 
ſeiner Krankhrit, In einer Art. ſenderbaren Ohn 
wacht Winde: hoͤrte, die letzten Worte von dem, 





*) 5. Elogrde Eechitaiigaven pi Mr. Fohtenelle, 


56 " 
was er gelefen, Ein Menſch befigt die Kunſt zu 
ſe hen ungleich mehr als die Kunft zu Hören: nach 
bem wird fih, er fey Dichter oder Philoſoph, ge= 
wiß feine Erkenntniß, fein Vortrag, fein Styl, feine 
Zuſammenſetzung richten. Wie viel heißen Dichter 
und find nur Wiblinge oder Werftanbmänner, weil 
Ihnen ganz bie dichterifche Einbilbung an Geſicht und 
Sehör fehlet! und wie manche, die, wie Plato, 
ur einige Gleichniſſe ausmahlen, und bie Gleich⸗ 
alffe bleiben ewig | Zoch ich komme zu weit. 


® 

Wenn alſo aus unfern Sinnen in bie Einbils 

dungskraft, ober wie wir dieß Meer innerer Sinn⸗ 
lichleit nennen wollen, alles zufammenfleußt und 
Darauf unfere Gedanken, Empfindungen und Triebe 
fhwimmen und wallen: bat die Natur abermals 
nichts gewebet, bas fie einige, das fie Leite? Aller- 
dings, und dieß iſt das Nervengebäube. Zarte 
Siberbande, dadurch der Schöpfer bie Innere und 
äußere Welt, und In-und Herz und Kopf, Denken 
und Wollen, Sinne und ale Glieder knuͤpfet! Wirk⸗ 
ich ein folhes Medlum der Empfindung für ben 
geiftigen Menfhen, als es das Licht für's Auge, 
der Schall fuͤr's Ohr von außen feyn konnte, 

Wir empfinden nur, was unfere Nerven und 
geben; darnach und daraus Fönnen wir auch nur den⸗ 
fen. Nenne man nun diefen lebendigen Geiſt, der 
ung durchwallet, Flamme cder. Aether; genug, er 
iſt das unbegreifliche, himmliſche Wefen, das alles 
zu mir bringt und in mir einet. Was hat der Ge⸗ 
genſtand, den ich ſehe, mit meinem Hirn, das Hirn 
mit meinem wallenden Herzen gemein, daß jenes 


— 


57 


Bild, daß dieß Leidenfhaft werke? Eiche 
da iſt ein Etwas, das von fonderbarer Natur feyn 
muß, weil es fo fonberbaren Verſchiedenheiten die 
net. Das Licht Fonnte nur Eins, den ganzen dun⸗ 
keln Abgrund der Welt zum Bilde machen, dem 
Ange alles veräugen: ber Schall Fonnte nur Eins, 
hörbar machen, was fonft nur für andere Sinne da 
wäre.” So weiter. Diefer Innere Aether muß nicht 
Licht, Shall, Duft feun, aber er muß alles em- 
pfangen und fa ſich verwandeln koͤnnen. Er kann 
dem Kopfe Licht, dem Herzen Reiz werben: er muß 
alfo igrer Natur ſeyn, oder zunaͤchſt an fie grenzen. 
Ein Gedanke, und Flammenfttom gießt fid, vom 
Kopf zum Herzen. Gin Meiz, eine Empfindung, 
und es bist Gedanke, es wird Wie, Entwurf, 
That, Handlung: alles durch Einen und denfelben 
. Boten. Wahrlich, wenn biefes nicht Saitenſpiel 
der Sottheit heißt: was folte fo heißen? . 
Hätte Ih nun Macht und Kenntniß genug, dieß 
edle Saitenſplel in feinem Bau, in ſeiner Fuͤhrung 
und Knotung, Verſchlingung und Verfeinung dar— 
zuſtellen, zu zeigen, daß kein Aſt, kein Band, kein 
Koͤtchen umſonſt ſey, und daß nach dem Maße, wie 
es binde und ſich leite, auch unſere Empfindungen, 
Slie der und Triebe (freilich nicht mechaniſch durch 
Hieb und Stoß!) einander binden, anregen und 
ſtaͤrken — o welch ein Werk von ſonderbar feinen 
Entwickelungen und Bemerkungen aus dem Grunde 
unſerer Seele muͤßte es werden! Ich weiß nicht, ob 
es ſchon da iſt; ob ein denkender und fühlender 
Phyſiolog es inſonderheit zu dem Zwecke, zu dem 
ich s wuͤnſche, geſchrieben. Mich dünft, es mäßte 


us 


Die duſte Berchfta ben rurift / des Scho pfees eu h 
tan, wie er Gliederhand uandeaheilte, ſie rhriodart 
widder :befeette, Gefühle abteitete, unteubrüitte; 
Instete, fbärkte, ſo boß bad: Auge wur Teen durf 
wurd die Eingeaweltier wallen; das Dirihieti:muhliunfon 
Arm ſchlaͤgt, ber Mand baſſet amd geurt ſuch⸗ bus 
alle Glieder — Wander uͤher Ybmmder! alu wahee, 
feiwe Biannmennerifüden · Schoͤpfert. — 
Aber wir bieiben wieder mur bei allgemeinen 
Phinomenen: z. €. den ſogenanuten „Wirkungen 
„der Sirchitäungsireft im Wiuttenleike.” "Aukele :yan 
ben fie, wei ihr Soſtem fie mirht :orteny, werebe 
gebaͤugnet, on doch brinahe jedermann ftaspantvo 
Besiptete davon bekanut ſeyn koͤnnen; wasſihalſe es 
alßo, Erbahrungen gegen die Scat laͤngnen? Wire 
in unſerm Körper, und inſonderheit im zarten Ars 
per der Mutder, zu der Zeit, da ſie ben Ungebot⸗ 
nen traͤgt, von plampem Mechenimus, Hölyement 


Douck uud Ei die Redo: Füße die: Seele wit ih⸗ 


ver. Einälidungdbraft: im der Zirbeldoufe mb: ſollte 
nan mit Frangen Ab Leiten zum Kinbe gelangen 
müſſen: ſreitich fo koͤnnde man had wriſe Dane 


ſchuͤttein. Ne aber, ba und allen Erſahrangen 


alles voll Reiz Fit uud Lehen, ba diefe Leben anf 
fo wunderbase Art ein Cins im uns ind, ein Seen 
lenmenfih (nero: Bayızor), Dem alt: meihes 
nkfchen Tolebwere und Glteder winig dienen; mib 
da nun eben dieß zuſammengeſeroͤmte beſevlte Eites 
in uns Einbil dang hehße, wenn wir Dad Werk 
in feinem. wageen Umfunge nehmen; was iR tirges 
‚rehmtes darin, daß biefe Svetrimelt,; in deren Wells 
to gleichfam das Kind Ichwebt, Kkafer gauge piuugle: 


r 


| 
| 
| 
| 
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| 
| 


- 39 

ae Dies, biriätn-feinsı Minen hält, ihm auq 
jede Eindruͤcke, jede Reize vor ſich mittheile? Ja 
ern Bufammiendange geiſtiger Kräfte verſchwindet 
Wu und Zeit, bie mar für die grobe Aörperweis 
Ua zu fJe va ſcheiren. Wie worden gebiidet, fagt bie afte 
Vorgeetdedeſcue Weteteit, m Schoofe ber Lebens⸗ 
aaurter , wie Im’ Micktipunkt ber Ede, wohln alte 
Aiusikfte uud Chabriite zufammen ſtroͤmen. Hierin - 
eb Weider unfere Philo ſophen, wir aicht Die ihre, - 
ME dem fogenariiten „Einſtuß der Seele auf 
„Arn Höryer nad des Köeperd auf die Seele’ hat 
«6 chen Ge Bewaudtutß. Sollte hier erwes borch 
Oebeidraſe, veinfikihgefpiamte Nerven, Hieb unb 
Stop eritädt werden, fo ſtehe man immer an und 
Mugae. Nun aber, ba unfer Gebäude nichts vom 
gekem hotzernen Weberſtuhle weiß, da alles te 
Reiz wud Daft mund Kraft und aͤtherifchem Strom 
farsimmmet, da unfer guarer Körper in. feinen man 
Werte: Sheflen fo mannichfaltig befeelt, war Ein 
Bei: aAnſiarbarer, imutger, aber minder 
hel le r ad duntler Kraͤfte zu ſeyn ſcheinet, dab 
Br genunueſten Bande oiſt mit ber Monarthinn, die in 
ss Denker und will, ſo, daß ihr alles zu Gebot ſteht, 
and Pu didſem innig verknuͤpften Neib Raum und 
verfineinbet: was natäkrlidyer, als dag fie Aber 
herrſche, ohme die fie nicht das wäre, 
was ſte ft? dem nur durch dieß Reich, in dier 
ſem Zuſammenbange ward und iſt fie menſchliche 
Br Ir Denken wird nur aus Empfindung: 
AA Diener mad Engel, Luft: und Flammenboten 
Wedinen War cvre Speife zu, fe wie diefe mr in: Ihe 
Een Ren. Sie dervſcht mit Leibuid au 


40 


reben, in einem Reiche fehlummernber, aber um fo 
inniger wirkender Wefen. 

Ich kann mir überhaupt nicht denken, wie meine, 
Seele etwas aud ſich fpinne und aus ſich eine 
Welt träume, ja nicht einmal denken, wie fie et- 
was außer fi) empfinde, wovon kein Analogon in 
ihr und ihrem Körper fey. Wäre in dieſem Körper 
kein Licht, kein Schal: fo hätten wir auf aller wei⸗ 
ten Welt von nichts, was Schall und Licht iſt, Em⸗ 
pfindung: und wäre in ihr felbft, oder um fie, nichte 
dem Schall, dem Licht Analoges, noch wäre Fein Be- 
griff deſſen möglich. Nun aber zeigen alle Tritte, die 
wir bisher zuruͤckgelegt Haben, daß die Gottheit une 
dieß alles durch Wege und Kandle fhaffte, die im⸗ 
mer emrfangeu, läutern, fortſchwemmen, mehr eis - 
nigen, ber Seele ähnliher machen, was ferne ihr 
noch fo undhnlih war. Ich fürchte mich alfo gar . 
‚nicht vor dem alten Ausdrud, daß ber Menſch eine 
Heine Welt ſey, daß unfer Körper Auszug alles 
Körperreiche, wie unfere Seele ein Reich aller gels - 
fligen Kräfte, die zu ung gelangen, feyn muͤſſe, 
und daß ſchlechthin, was wir nicht find, wie auch 
nicht erkennen und empfinden Fönnen. Die For: 
mular: Philofophie, bie alles aus fih, aus Innerer 
Vorftellungsfraft der Monade herauswindet, bat 
freilich alle dieß nicht nöthig, weil fie alles in fi 
bat; ich weiß aber nicht, wie es dahin gefommen 
iſt, und fie weiß es ſelbſt nicht. 

‚Aber fo wäre ja die Seele materiell? oder wie” 
„hätten gar viele immaterielle Seelen ?’’ So weit 
find wir noch nicht, mein Lefer; ich weiß noch nicht, 
was material und immaterial ſey, glaube aber nicht, 


41 
daß die Natur zwiſchen beiben eiſerne Bretter be: 
feſtigt habe, weit ich bie. eiſernen Bretter in ber 
Natur nirgend fehe und gewiß da am wenigſten 
verunthen Ian, wo bie Natur fo innig vereinte. 
Genug, wir gehen jetzo zufoͤrderſt zum - 


5 Erfennen und Wollen 


über. Alle Empfindungen, bie zu einer gewiſſen 
Helle ſteigen, (der innere Zuſtand dabei iſt unnenn- 
bar)- werden Apperception, Gedanke; bie 


Seele ertennet, daß fie empfinde. & 


„Was nun and Gedanke fey, To ift in ihm die 
innigſte Kraft, aus Vielem, das uns zuftrömt, ein 
lichtes Eins zu machen, und, wenn ich fo fagen 
darf, eine Art Ruͤkwirkung merkbar, bie am 
helleſten fühlet, daß fie ein Eins, ein Selbſt iſt. 
Eine Büderfprache der Art ſcheint freilich myſtiſch; 
in Geheimniſſen aber, und im tiefften Geheimniß 
der Schöpfung unferer Seele, kann man fih kaum 
anders erflären. Genug, was wir bei jedem Reiz, 


- jeder Empfindung, jedem Sinne fahen, daß ndm- 


lich die Natur „ein Vieles eine,’ das geſchieht bier 
auf die helleſte, innigſte Weite. Ä 

Wollen wir num der Erfahrung folgen, fo fehen 
wir, die Seele ipinnet, weiß, erfennet nichts aus 
ſich, fondern was ihr von innen und außen Ihe 
Weltall zuflrömt, und der Finger Gottes zuwinket. 


Aus dem platonifchen Reiche der Vorwelt klommt ihr 


nichts wieder: fie hat fich auch felbft nicht auf den 
Platz gefekt, wo fie ſtehet; weiß ſelbſt nicht, wie 
fie dahin Fam. Aber das weiß fie, ober ſollte es 
wiſſen, daß fie nur das exfenne, mas dieſer Platz 


-_ 


- 


142 

it zrum daß es mit ven and fh feroſt rehlo ine 
vor Sphegti bes nalverſam, mir em menblcen 
matnge iyerr yofliturn Adaft in: anankteigen Selb ſte 
Dett. uchts ſey. Die ik iu car Schale der: Gett⸗ 
heit, die fie ſith wian ſeibſt gegeben: Fe mw die 
Retze, die Sinne, die Kräfte und Gelegenheiten 
brauchen, die Eur durch eine gluͤckliche, moerdiente 
rat zu Ttheil wurden, uber fie zieht ſich im 
me Mühe art, wo ihre göättikhe Kraft laͤtrmnet 
ww erblladet. Der abfiraire Sgelomus alfe, Rd 
wenn er auch nur Schulſprache wire, DAR mich der 
Wuhrheit aud dem offnen Gunge ber Natur ent⸗ 
gegen. 

Ich kunn hier nie inte meine schen, Defits 


dem Sinne zu zeigen, wlie Weile und güttg der Wir 


ser umferer Natur uns uͤberall au Formeln Je 
ner Weisheit uud Guüte Aber; duß er ann 
Aber unanfhoͤrllch alſo uͤber, daß unfere Seele eigens 
u ni Ibnne und thue, als Formeln der Art 
auf zulbſeu, mit einem Abdrucke goͤtt Abeh er ER ei 
ste, zwWar nkcht aus Fluſterneß, aber a Daͤmme⸗ 
Hang Licht, aus einer naſſen Flamme Kelle, wareme 
Funken hervor zu rufen: mich duͤnkt, bieß zeigen 
und ſagen ale Handlungen: unſerer erkennenden, 
wellensen Seele, Ste iſt das Bild der Sotthelt, 
und ſucht anf alles, was fie umgtet, dieß Bild zu 
pꝓraͤgen, macht das Vielfache Eins, ſuchet and Lage 
agrthheit, aus unſtaͤrer Ruhe helle Thaͤtigkeit und 
Sirkung, und immerdar iſt's, als ob fie dabei ik 
A biſcke und mit dem hohen Gefuͤhl „ich Din Tocht 
niet Gottes, bin fein BAD“ gu fich ſpreche: „laf⸗ 
ernste und wi und welter: Wir Daben von 


Be > ——— 1. Ver "N Eee Be 


45 


lalxev ern Ahticcuit Begeiſf Ad. handen olns 
men ſchtiche· Sere fadig ii: ei nbt ia Ach rare 
wuiist: gueuvſac a eh undi an ch Meitull 
kubenunb ülmatinden: FJeder höhere TBuad' des 
Derurbse nk, enfaı erigam let dee 
werbung der. Witt ha md rakheit ikegtiräker 
fen Dunkeln "Grunde von nnigftetm Rot; und Be 
wupttenn ihrer Tocbit, ihtrer Muaft, ihres tar 
wen chend. . 

Wan ii: gewohnt, ber Oecke ‚cine Menge Un⸗ 
mrerhfte gu: geben, Stuchiliums und Borauds: 
pr, D Iha ung ogu ho ab Srehähtaih; ie 
dſſen zukgen wiele Orfulnwngen, duß, was ka ihnen 
mht Apervo eptoᷣo PB.) 20 780 05) 1177 7 2.0207 beſt⸗ 
LSBATE aud der Seubate t hatißgtett u nu 
iu Dew Meer zaſtrornonder "Ginutihlekt, das fie 
vo. u ihr Marrrialien lie ſert, nicht aher zu ihr 
ibſo sehbre. Wie wird mm dieſen Kraͤften tief 
auf den Grund kommen, wenn man ſie nur von 
oben ber als Fee dehandolt, Klein ber Seele 
wohnen, oder gar uiO gerranuerte Feachwerle von 
cuander ſchetrdet and anuöhänzin eiaxeln betrachtet. 
ad tuuder Blabildang nad ben Geboch dabß, 
yes rin erungand Boerwus fickt muß ſich die 
einer Gotteceraft fern Seels, Annere in ſich 
Binende Thärtgkelt, Bewuftfeyn, Ap⸗ 
yrscegtion” zebgew: in dem Muße dieſer hat 
An: Monſth Berkarndı, BGewiſſen, Willem 
dreddeltt, day wisse! Ka zuſtromende Wogen 
U großev Welen 

Man nennet 7 wer Eindittangetreft 
WU vem Dichter als [ch Erbtheib zu geben; 






9— 
ſehr boͤſe aber, wenn die Eiubildung ohne Be⸗ 


wußtſeyn und Verſtand iſt: ber Dichter iſt nur eit 


raſender Traͤumer. Angebliche Philoſophen haben 
Witz und Gedaͤchtniß verſchrieen, jenen nur 
Schalksnarren, dieſes Wortkraͤmern übergeben; 
Schade alsdaun für bie edlen Kräfte. Witz und 
Gedaͤchtniß, Einbildung und Dichtungs— 
gabe find von guten Seelen fo verſtaͤndig gebraucht 


worden, daß ihr großer Verſtand gewiß nicht ohne 


jene weitfaffenden Wurzeln hätte erwachfen können. 
Homer nnd Shakeſpear waren gewiß große 
— wie Leibnts ein ſehr witziger st 

bei dem meiftens eine Metapher, ein Bild, ein 
bingeworfenes Gleichniß die Theorien ergengte, bie 
er auf ein Quartblatt binwarf und aus ber die We⸗ 
berzänfte nach ihm dicke Bände fpannen. Rabelnis 
und Swift, Buttler und ſelbſt ber große Ba⸗ 
! o waren wißige Köpfe: der letzte gehört auch zu 

enen 

— deren Ring durch Ein Gedankenpaar 

vertraulich keuſch vermaͤhlt oft tauſende gebar. 
es wäre aber nicht mein Feind, dem ih ihren Wie 
und Ihre Bilderfprache wuͤnſchte. Bako war dem 
ſcholaſtiſchen Scharffinn feind, aber nur dem fc o⸗ 
laſtiſchen Scharffiun, der jede lebendige Kreatur 
Gottes In Moder auflöfet. Wahren Scharflinn liebte 
und bewies er ſelbſt. Locke's Philoſophie war 
das Federmeiler zu Descartes Sefpinnften, unb 
es gehörte Leibnitzens Wis dazu, Bailens 
dialektiſchen Scharfſinn in ſeinem Uebertriebenen zu 
entfalten. Das Wortgedaͤchtniß der Schulpedanten 
iR eine elende Sache und trocknet bie Seele zum 


45 
ilmmerlichen Nameuregiſter auf; zu einem Gdfar - 
ud Mithridat aber gehörte ba nicht auch ihr 
Namengedaͤchtniß? Kurz, ale biefe Kräfte 
And Im Grunde nur Eine Kraft, wenn fie menſch⸗ 
Uch, gut und nuͤtzlich ſeyn follen, und das iſt Ber: 
Kaud, Anſchanung mit imerem Bewußt⸗ 
feyn. Man nehme ihnen dieſes, fo iſt die Einbil⸗ 
ung Blendiwerk, der Wit Hubifh, das Gebacht⸗ 
wi leer, der Scharffiuu Spinumeb; in dem Maß 
aber, als fie jenes haben, vereinigen fich, bie fonft 
eindinnen fchienen, und werben nur Wurzeln ober 
Darftellungen Einer und berfelben Euerz - 
gie ber Seele. Gedaͤchtniß und Einbildung wers 
ben das ausgebreitete und tiefe Bild ber Wahrheit: 
Scharfſinn fondert, und Witz verbindet, damit eben 
ein helles wichtiges Eins werde: Phantafie fleugt 
anf, Selbſtbewußtſeyn faltet bie Flügel: lauter 
Aeußerungen Einer und derfelben Energie und Ela⸗ 
ſticitaͤt ber Seele. 

Wie aber? hat biefe innere Elaſticitat keinen 
Helfer, keinen Stab, an dem ſie ſich ſtuͤtze und 
halte? kein Medium, wenn Ich fo ſagen darf, das 
ſie wecke und ihre Wirkung leite, wie wir's bei je⸗ 
dem Neiz, bei jedem Sinne fanden? Ich glaube, 
ja! und dieß Medium unſeres Selbſtgefuͤhls und 
geiſtigen Bewußtſeyns iſt — Sprache. Stumm⸗ 
und Taubgeborne zeigen durch ſonderbare Proben, 
wie tief die Vernunft, das Selbſtbewußtſeyn, wo 
he nicht nachahmen können, fchlummere; und ich - 
glaube (meiner vorigen Meinung ziemlich zuwider), 
daß wirklich ein folcher Stab der Aufweckung unferm 

! Innen Be ewußtfeys zu Hülfe fommen muß⸗ 


46 


» 10, alsı: ons At: ben: Auge, du: stehe, We 


SExhall dem Ohr; daß es Höre. Su wie dbleſe Außere 
netten: für ihes Sieme: wirllich Sprache ſtub, bie 
thaen; gewife Elganſchuften und: Gettew :ber Diuge 
vorkuhftableen: fe, glaub⸗ In, außte Mont, 
Sp erache zu Hatfe Lemmen; water: Inniglies 
Cohen und Hoͤren gleichfalls zu wechen und zu lol 
sen, So, ſehen at, ſanemett ſich das Atadı, CE 


herutfpeeen:wis:edfeben: lorat, und‘ gennu * 


zu: Foige denken. Wor Klader bemerkt Hat, wie 
ke ſprochen und besten: lernen, bie ſondetbaren 
Auomalion unb Analogira, der ſich davei nie, 
wies kaum mehr: puchlele. Auch: In den tie ſſren 
Sprachon iſt Beeawndt ht are Ci Bis 
st, Eine Sachet Anyos. Der Menſch gaſct 
fe taage Eder une Beben, bie er ſprbche, bis 
or, inwendig Im: feinen: Goste,. nenuet. DIE 
Wienfihen, die, wom ic fo ſagen Darf, vlel von 
diefem Innern Wort, von biefer nfchausmben; 
goͤrtlichen Bege⸗tchnumg sig ab e haben, haben auch 
vier Berftand, viel Urtheil. Die es nicht der 
ben, und fänpämme ein ganzes: Meer von Bileen 
um fie, gaffen nur, wenn fie Tehen, Tunren wi 
erfaffen, nicht In Ti verwandeln, nicht gebrauchen 
Ye mehr man dieſe innere Sprache rines Monſcheu 
flaͤrdet, leiter, berertchert, Bidet: vero mehr let. 
tet man ſeine Vernunft, und macht das: Soͤttlkichs 
in ibm lebenbis, das Stäbe: dor Wahrhelt Kraut; 
mad fich an Ihnen, wie aus: dem Schimmer, en 
por riet: — Die geoße Welt: von Fohgew, bie 
dteß gibt, werden wir an: einem andern Orte felent 
Unfere Erkennniß iſt alſs, ob'e gleich Freiiiy Bud 


| En ME — — — — —— 


— — 


& 
Unten Geſiit un icue, nich. fe —— 
wiki: and las, alt man side, Das albes 
elgerehmer: (adı biäher gepeigt If, Da auſer Eee 
Beunası u and Emnfndung.seonhe, ſiehet am, bay 
Grsenfeuh muß no; dauch scheine Vande; 
Dune: sine Wind zusink Sommen, her undi erlen⸗ 
sendegre, Dieſe Lchee, daſer Glan rined Brei 
den, der ſich in und:ceinprägt, gikt-unfeem: Deine 
Tehne.gangn Bitaituuh Bichtung. Mugeatek elek _ 
GBehend mh Hörems und uftıbmams. von außen, 
wishes vie: ia: tiefer Wacht vnd Bilndhelt: taypen, 
menn alt: Mühe bie Nutermeilung für nad ge⸗ 
dat und gleichſam fertige. Gedankenformein me, 
eingeprägt hätte. Da hab ſich unfre Kraft empor, 
Iso fich ſeibſt fuͤllen and beauchen; Lange. und 
ur bebenſlang geilen. mir em: due. uns gereichten 
Grchben kähefter Kindeit, Denken ſelbſt, aber wen 
ka. Formen, wie audre dachten, erkennen, werauf 
and der Finger ſolcher Methoaden winkt; das ande⸗ 
N.ſor und, als oh ed gar nicht maͤre. 

Meiſtens iſt dieſe „Gie burt unfrer Dem 
nands‘ den Wehfen. unfser Meit fo unanſtaͤnnis, 
daß fie fe ganz verkennen und ihrs Vernunft ale 
ein eiagewachſenes, emtges, von. allen unabzaͤngi⸗ 
906, nnteästihes Orakel verchren. Oher Zweifel 
gingen dieſe Malen nie im laugen Seide, Iernben 
wie ſprerhen, wie ihre Märterinnen ſprachen, 
Yan vto lleicht ger leiuen einge ſ chaaͤakten —** 
dungskreis,“ keine Mutter: und Menſchon⸗ 
ſo rache. Sie ſprechen, wie Me Goͤtter: d. i. fie 

denden rein wub erfeunen aͤtheriſch, Daher denn 
| ung aichto als Blair = und Bernunftfpräge ven 









48 


— ihren Lippen kommen koͤnnen. Alles iſt ihnen an= 
geboren, eingepflanzt, der Funke untruͤglicher Ver⸗ 
nunft, ohne einen Prometheus, vom Himmel ge⸗ 
ſtohlen. Laß ſie reden und ihre Bildwoͤrter anbe⸗ 
ten: fie willen nicht, was fie thun. Je tiefer je⸗ 
mand in fich felbft, in den Bau und Urſprung feiner 
ebeiften Gedanken hinab ſtieg, defto mehr wird er 
Augen und Fuͤße decken und fagen: „was Ich bin, 
„bin ich geworden. Wie ein Baum bin ich gewach⸗ 
„ten: der Keim war da; aber Luft, Erbe und alle 
„Elemente, bie ich nicht um mich faßte, mußten 


„beitragen, den Keim, bie Sucht, den Baum zu 


F ‚bilden,‘ 


* 

% \ 
Auch Erkennen ohne Bolten tft nichts 
ein falſches, unvollftänbiges Erkennen, Iſt Erfenut= 
niß nur Apperception, tiefes Gefühl der Wahr⸗ 
heit? wer wird Wahrheit fehen-und nicht ſehen? 
Güte erfennen und nicht wotlen und lieben? 
Eben dieſe Abthellungen zeigen, wie fehr der Baum 
— — unſres Innern zerzauſt und verfafert fen, daß Speku⸗ 
lation ung für Erkenntniß, und Spiel für Thaͤtigkelt 
gelten kann. Spekulation tft nur Streben zur Er⸗ 
kenntniß; ein Thor nur vergißt dad Haben über 
dem Streben. Spekulation iſt Zertheilung: wer 
ewig theilt, wird nie ganz beſitzen und brauchen. 
Belist man aber, und fühlt, daß man befite: fo 
iſt bei einem Gefunden das Brauchen und Genießen 

natuͤrlich. 

Auch iſt fo denn Feine Leidenſchaft, Feine 
Empfindung ausgefchloffen, die nicht durch ſolches 
Erkennen Wollen wuͤrde: eben im beften Ertennrniß | 
koͤnnen 


- v. ” 
—ı . — 





Bo 0 - 
oememunbunhfion:dile wirken, WR. das Hefe @e-: - 





Iampfen. , 
free Daſeyns, und fie’ 
muß es auch bei dem ebelften ‚Erkennen bleiben. 
Weihe Qugung und Leidewfäaft, die fi nicht mit 
Eifeseiuiß unb Liebe, Gottes und bes Naͤcſten, 
beteden Uche, daß ſie nur um fo reiner, fiherer: 
ee? Die Schlacken werben menge 
benanty Sexr mb wahre Gold fol bleiben. Jede. 
Saft eder Relz⸗ dev-in meiner Bruft fi,  _ 
rufen und nur im Geifte meines Urs 
Yeirıs wirken. —— 
Werwer lehrt mies dieſes it's: eln Gewiß⸗ 
Tan, ein mmneitfäree Gefahl, daB mic, abgetrennt‘ 
von aler Erceaataiß, rigtigen Weg zeige? Die 
Bere. Felbit ſchainen Unſtan, wenn man fie fo vor⸗ 
toigt; 10 glaube aber Taum, daB fo etwas ie eines > 
Meuſchen Meinnung geweſen. Iſt jede gtuͤndlicheßò 
wat ohne Wollen, fo kann auch keit 
Don : Un Erkennen ſeyn: -fie find nur Eine 
Energie der Seele. Aber wie unſer Erfennen - 
nur m enſchlich iſt und alfe feyn muß, wenn es 
vet Teyn: fol; fo Tann auch unfer Wollen nur 
wenſchlich fen, mithin and und von menſche 
lecher Empfindung. Menfchheit iſt das edle Maß, 
Mch dem wir erkennen und handeln: Selbſt- und: 
| Mitge fügt alfo (abermals Ausbreitung und In: 
; thetzlehnng: ſuind die Beiden. Aeuß erungen ber Elaſti⸗ 
Berders Biere. Philoſ. u. Geſch. R. A 








—X 


— 50 


citat uuſres Willens; Liebe iſt alſo das edelſte 
Erkennen, wie die edelſte Empfindung. Den gro=- 


fen Urheber in ſich, fich In andre hinein zu lieben 
und dann diefem fihern Suge zu folgen: das tft mo⸗ 
zalifches Gefühl, das ift Gewiſſen. Nur der lee⸗ 
"ren Spekulation, nicht aber dem Erkennen ſtehet's 
entgegen, denn das wahre Erkennen iſt Lieben, tft 
menfhlih fühlen. - 

Siehe die ganze Natur, betrachte die große Ana⸗ 


logie der Schöpfung. Alles fühlt ſich und ſeines⸗ 


gleichen, Leben wallet zu Leben. Jede Saite bebt 


ihrem Ton, jede Fiber verwebt ſich mit ihrer Ge⸗ 


ſpielinn, Thier fühle mit Thier; warum ſollte nicht 
Menſch mit Menſchen fühlen? Nur er iſt Bild 
Gottes, ein Auszug und Verwalter ber Schöpfung: 
alfo fchlafen in ihm taufend Kräfte, Reize ımb- 
Gefühle; es muß alfo in ihnen Orbunng herr 
Shen, daß Alle aufwachen und angewahbt werben 
koͤnnen, daß er Senſorium feines Gottes in allem 


‚ Xebenden der Schöpfung, nah dem Maße e+ 


ihm verwandt iſt, werde. Dieß edle allgemeine 
Gefühl wird alfo eben durch das, was es iſt, Er⸗ 
Tenntniß, die edelſte Kenntniß Gottes und feiner 
Nebengefhörfe durch Wirkſamkeit und Liebe. 
Selbſtgefuͤhl fol nur die conditio sine qua non, 
der Kiumpe bleibeg, ber ung auf unfeer Stelle feſt⸗ 
haͤlt, nicht Zweck, fondern Mittel. Aber nothwen⸗ 


diges Mittel: denn es iſt und bleibt wahr, daß 


wir unfern Nächften nur wie ung felbft lieben. Sind 
wir und untren, wie werden wir andern tren ſeyn? 
Im Grad der Tiefe unſres Selbfigefühls liegt 


auch der Grad des Mitgefuͤhls mit andern: beum 


— — — — 


. 


51 


nur und ſelbſt Eönmen wir in anbre sleihfem bins 
ein fühlen. 

Mich duͤnkt, es find alfo leere Streitigkeiten, 
wo das Principium unſrer Moralitaͤt ſey, ob im 
Wollen oder Erkennen ? ob In unfeer oder In frember 
Vollkommenheit? Alles Wollen fängt freilich vom 
Erkennen an, aber alles Erkennen wirb auch wie: 
derum nur durch Empfindung. . Eigene Vollklommen⸗ 
beit Tann Ich nur durch die Vollkommenheit anbrer, 
wie dieſe durch jene erlangen. Shen Hippokra⸗ 
tes nannte bie menſchliche Natur einen lebendi⸗ 
gen Kreis, und das iſt fie. Ein Wagen Geites, 
Auge um und um, vol Windes und Lebenbiger 
Mäder. Man muß fih alfo vor nichts fo fehr, als 
vor dem einfeitigen Zerſtuͤcken und Zerlegen hüten. 
Waſſer allein thats nicht, und die liebe Kalte ſpeku⸗ 
Urende Vernunft wird die deinen Willen eher laͤh⸗ 
men, als bie Willen, Triebfebern, Gefuͤhl geben. 
Ro follte es in deine Vernunft kommen, wenn nicht 
duch Empfindung? Würde der Kopf denken, wenn 
dein Herz nicht fchläge? Aber Gegentheils, willſt 
du auf jedes Pochen und Wallen deines Herzens, 
anf jeden Nachhall einer gereisten Fiber, als auf 
bie Stimme Gottes merken, und ihr blindlings fol⸗ 
gen: wo kannſt du bingerathen? ba alsdann dein 
Verſtand zu fpdt kommt. Kurz, folge ber Natur! 
. fey kein Polype ohne Kopf und Feine Steinbäfte ohne 
Herz: laß ben Strom deines Lebens friſch In deiner - 
Bruft fhlagen, aber auch zum feinen Mark deines 
Berftandes hinauf geläutert, und da Lebensgeift 


Much die Frage entſchiede ſich hier alſo: ob dieß 


52. 


nn er Mollen wase Angeerbtes oder Eenmbues,.nad- 
Steles oder Abhängiges fen? es entfcheidet ſich gaup- 
aus dem: Grunhe: daß wahres Erlennen und gutes 


Wollen nur Einerlei ſey, Gine Kraft uns 


Bintfamkeit der Seele. War unſer Erken⸗ 
nen nun nicht durch fi, willkaͤrlich und nagebunben; 
hatte ed, wenn es ſich aufs tiefſte als Selbſt fuͤhe 
len wollte; Staͤbe der Aufrichtung, Innere Sprache 
noͤthig: wahelich, fo wird's "dem Willen nicht mer 
dars ſeyn koͤnnen. Agamemnon hatte: feinem 
“ Sapter: von Thyafk, der :von Atrews, bieten 
von Pelops, diefer vom Deus endlich, und 
Ho pth ͤſrus hatte ihn geſchmledet: ſo gehtis auch 
mit. dem edelſtenr Koͤnigsſeeter, „ber Freiheit 
unaſter Seele 
Won Freiheit ſchwaͤtzen, iſt fee leicht, wernn 
mais jedem Metz, jedem Scheingut als einer uns 
ſuffiienten Urſache dienet. Es iſt meiſtens ein 
erbiumlicher Toug mit: diefen ſuffickenten Graͤuden, 


to das AAgemeine immer wuhr ſcheiat, und das 


beſondre Einzelne des beſtimmten Fallos tft. Lüge, 
Pranrift ein Knecht des Mechanismus, @iefer aber 
in die‘ lichte Himmelsvernunft vertleidet) und waͤh⸗ 
net ſich frei; ein Skiave in: Ketten, und traͤumet 
ſich dieſe als Blumenkraͤnze. Sobald man in's 
Spekuliren lommt, kann man aus allem alles 
machen, duͤnkt fi aufgeflogen zum Empyreum, und 
der arme Wurm liegt noch in der Huͤlle ohne Fluͤgel 
md Frühling. — Da iſt's wahrlich der erſte Keim 
zur Freiheit, fühlen, daß man nicht frei ſep, und 
an weichen Banden man hafte? Die harten freie, 
ſten Menſchen fügen dieß am ef, and ſtreben 


ji 


55 


weiter; wahnfinnige/ zum Berker geberne Eruven, 
hoͤhnen ſie, und — von hohen Teaume- en 
Schtamme legen, Luther, mit feinem Bude 
de servo arbitrio, ward und wird von den Wenig⸗ 
ften verftanden; man widerſtritt elend ‚oder plärret 
nach, warum? weil. man nicht. wie Luther fuͤhlet und 
hinauf ringet. 
Wo Geiſt des Herrn iſt, da iſt Freiheit. Je 
tiefer, reiner und goͤttlicher unſer Erkennen tft, de⸗ 
ſto reiner, goͤttlicher und allgemeiner iſt auch unfer 
Wirken, mithin deſto freier unſre Freiheit. Leuch⸗ 
tet uns aus alem nur Licht Gotftes an, wallet 
und allenthalben nur Flamme des Schoͤpfers: 
ſo werden wir, im Bilde ſeiner, Könige. aus Skla⸗ 
ven, und bekommen, was jener Philoſoph ſuchte, 
m und einen Punkt, die Welt um ung zu uͤberwin⸗ 
deny außer der Welt einen Punkt, fie, mit allem, 
was fie hat, zu bewegen. Wir ftehen auf Höherm 
Grunde, und mit jedem Dinge auf feinem Grunde, 
wandeln im großen Senſorium der Schöpfung Got⸗ 
tes, der Flamme alles Deukens und Empfindens, 
der Liebe. Sie iſt die hoͤhſte Vernunft, wie 
das reinfte, göttlichfte Wollen; wollen wir dieſes 
nicht dem Heil. Sohannes, fo mögen wir's dem ohne 
Zweifel noch göttlihern Spinoza glauben, deſſen 
Dirtofepdie und Moral fi) ganz um dieſe Achſe 
eget 


Prima creatura Dei fuit lux sensus: postrema, 
lax rationis. Et hoc ipsum est, coelo in terris 
frui, quando mens humana in caritate movetur, 


' 


- 5 4 


in providentia quieseit et supra polos veritatis 
eircumfertur. \ 
\ = Baco de veritate. 





ULace intellettual piena d’amore . 
“ Amor di vero, ben pien de letisia, 
Letizia che trascende ogni dolsore. 
- Dante. 


» 





Sie war die Lante feiner Hand, 
Die er zu feiner Luft erfand; 
Er gab ihr Millionen Saiten, 
Und jede Elingt, und jeder Klang - - 
Tönt zum harmonifhen Gefang 
. Der Lehre feiner Heimlichkeiten. 
| Witthof. 


— 


Zweiter VBerfud. 


Einfluß beider Kräfte in einander und auf Cha- 
rafter und Genie des Menfchen. 


(Bon welhem letztern ein andermal mehr.) 





Beinah' zu lange haben wir und in Allgemeiu- 
Dertern aufhalten müflen, hinter denen mancher, 
der an die liebe Abftraftion nicht gewöhnt iſt, viel- 
leicht fo Eing kit, als er war; laſſet und, um elnfs 
germaßen nuͤtzlich zu werden, die Philoſophie vom 
Wolfenhimmel auf die Erde rufen, und unfern 
Sat In beftimmten einzelnen Fällen und Klaffen be: 
trachten: 


- 


I. Unfer Denken hängt ab vom Empfinden. 


. 1. Bei jedem einzelnen Menſchen. 

Wer in's Tollhaus gehet,- findet alle Narren auf 
verſchiedene Urt, jeden in feiner Welt, rafen: fo 
tafen wir alle ſehr vernünftig, jeder nah feinen 
Säften und Launen. Der tieffte Grund unſeres 


. , | 
> r . . \ 


66 
Daſeyns iſt individnell, ſowohl in Empfindungen“ 
als Gedanken. Bemerkt nur in einzelnen Fällen, 
aus wie fonderbaren Keimen und Samenkoͤrnern 
jenem und diefem die Saat feiner‘ Leidenſchaften 
wachfe? Wobet der Cine kalt bleibt, dabei gluͤhet 
der Andere: ale Thlergattungen unter einander 
find vielleicht nicht fo verfhieben, als Menfch vom 
Menſchen. 
Wuͤrde ein Menſch den tiefſten, a en 
Grund feiner Liebhabereien und Gefühle, 
Träume und Gebankenfahrten zeichnen ne 
welch ein Roman! Jetzt thun ed nur etwa Krank: 
. heiten und Augenbiide der Leidenfhaft: und oft 
welche Ungeheuer und blaue Meerwmunder wird man 
gewahr! 
Man follte jedes Buch als den Abdruck einer 
lebendigen Menſchenſeele betrachten UDnnen; ie 
 jebenbiger und wahrer ber Abdruck iſt, fe weniger 
der Verfaffer  hofirte und ein eiendes Allgemeinge⸗ 
wis zwiſchen den vier Een bes Randes gab; 
wvie ſonderbar und einzeln: but es uns öfters | - DfE. 
43 ein Räthfel ohne Wuflöfung, sine Maͤnze ohne⸗ 
Umſchrift: die flachſten Leſer, und meiſtens dle 
hohleſten, daher auch die lauteſten von allen, die 
reſpekt. Kunſtrichter, meſſen nach ihrem unmaßgeb-- 
lichen. wentgen Seibſt, ſehreien aud verdammen. 
Der beſcheldnere Weiſe urtheilt, wie Sokrates 
| Aber Heraklits Schriften, ſuchet mehr Im Geiſte 
des Urhebers, als im: Buche zu loſen: je mehr er 
Yahtn-emdsiugt, je Hahter mud zuſammenhaͤngender 
wird alles. Dias Lehen elned Autors iſt der bofte: 
Kommentar. feiner: Schriften, wenn vr näntfiey 
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— Me: N ’ 
No. 


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327 
se. ab rt ſeibſt Eins: Mi, nicht einer 
7 aa Wegſchriben md Sandfiraßen nach⸗ 


Zedes nit, zumal ein⸗ganzes, großes Ge⸗ 
ihr, ein url: den: Seele und dos Lebens, iſt ein 
tfhrrccher· Verraͤther feines Urhebers, oft, wo 
Weſer am ‚wenigen ſich zu verrathen glaubte. 
Micht nur ſichet man bei ihm erwa, wie ber Pobel 
ft, des Mannos dichteriſche Dalente; man: flieht 
wa, wehhe Sinne und Neigungen bei ihm herrfch⸗ 
ten? buch; wolche Wege und wie er Blilder empfing? 
nie er fie und das Chaos ſolner Eindraͤcke regelte 
and ‘fügte? Die Liehlingsfeiten ſeines Herzens, 
ſo wie oft die Sthickſale feines Lebens : ſeinen 
whmliiken oder kindiſchen Verſtand, bie Seabe 
Heaed: Deutens und feiner Erinnerung — Doch ich 
wong mſern Funſtrichtern, die von fo etwas In ih⸗ 
wem Lrben ubiht getraͤumt, ſchon viel zu viel gefagt 
eben, Frellich iſt nicht jede Kothfeele eines ſol⸗ 
en: Stadiums worth; allein von einer Kothſeele 
brauchte man auch eine Abbruͤcke, weder in Schrif⸗ 
m noch In Thaten. Mo:es der Mühe-Iohnt, iſt 
He rebendige Leren, dieſe Dibination In bie 
Werle des Urheber Has einzige Lefen md das 
Hefte Mietenper Diibung. Es wich eine: Art Be⸗ 
‚gehfierung, Vertraulichkeit und Freundſchaft, Pie 
uns da, wo wir nicht gleich denken und fühlen, oft 
am beherrichſten und: angemehmiten: tft..: und die ei= 
serttuh Das, was man Lieblingsſchriftſtellbeir 
nennt, bezgeichnet. Solches Lefen If 'Wettelfer, 
Hevriſtik: wir klimmen mit auf ſchoͤpferiſhe Ho⸗ 
Yen, oder entdecken den Jerthum und die Abweichung 


— 


an ENGE j rn 


58 - 
An ihrer Geburtsſtaͤtte. Je mehr man ben Verfaffer 
-Iebendig kennt und mit ihm gelebt hat, befto leben⸗ 
diger wird diefer Umgang. N 

Ein Menfch in verfchiebenen Lebens zeiten iſt ſich 
nicht gleich, denkt anders, ger er anders em⸗ 
pfindet. Jedermann weiß, wie öfters, zumal bei 
ploͤtzlichen Leibenfchaften, uns unfer erites Urtheil 
träge; und wie Gegentheils der erfte Eindbrud 
an Friſche und Neuheit nichts feines Gleichen habe. 
Das erfie unbefangne Werk eines Autors iſt daher 
meiſtens das befte: feine Bäche iſt im Aufbruch, 
ſeine Seele noch Morgenröthe. Vieles Ift bei ihm 
noch volle, ungemefne Empfindung, was nachher 
Srübelei oder reifer Gedanke wird, ber fchon fein 
Ingendroth verloren. Wir lieben immer mehr das 
Kalbe als das Ganze, den verſprechenden Morgen 
mehr als den Mittag in hoͤchſter Sonnenhoͤhe. Wir 
wollen lieber empfinden als when lieber ſelhſt und 
vielleicht zu viel errathen, als langſam hergezaͤhlt 
' erhalten. Indeſſen finb zum Beſten der Welt alle 
Lebens: und alle Tagszeiten nöthig. 

Die alten Deutfchen faßten Entfchläffe in Trun⸗ 
Fenheit und führten fie nüchtern aus, andre werben 
‚fie nüchtern faffen und trunken ausführen. Judeß 
iſt's wahr, unfte Kugel bewegt fi immer um biefe 
beiden Brennpunkte unfrer Ellipfe, und ift felten 
beiden gleich nahe. Vielleicht kann fie und fol ſie's 
auch nicht ſeyn; nur häte fie fih vor jedem Aeußer- 
ften, aus dem ſie nicht wieder zuruͤck kann. Sie ers 
mattet im reinen Verftande und finkt in der bren⸗ 
enden Leidenfchaft unter. 

Vielleicht hat niemand bie Schwachhelt der Men⸗ 


- 


! 
59 
ſchen und ihre Abhaͤngigkeit von den kleinſten Klei⸗ 
nigkelten ber Einpfindung reicher und natuͤrlicher be⸗ 
merkt, als Montagne und Porik. Sie haben 
die Hogrometrie der Menſchheit bearbeitet; 
die Photometrie und bie Dynamit menſqli⸗ 
her Seelen muͤſſen andere geben: Shekeſpear, 
glaube ich, gibt Proben von allem. 

2. Wie einzelne Menſchen, fo find noch 
wehr Familien und Voͤlker vom einander vers . 
fibleben: nad) bem "reife Ihrer Empfindungs⸗ rich⸗ 
tet fih auch Ihre Denlart. Söhne eines Stamm: 
vaters von gleiherer Drganifation in efnerlei Welt 
und Klima müflen einander ähnlicher denken, ale 
Antipoden an Sitte und Empfindung. Man hat bie 
Religion und Moral der Völker, die an rauhen Ge- 
genden, zwifhen Gebirgen und Felskluͤften, auf ei⸗ 
wer fenerfpeienden, oft erbebenden Erde, oder an 
fhrediihen Meeren wohnen, allemal wild, fehred- 
lich und ftaımend gefunden, und oft machen Natio- 
nen, bie offenbar Eines Urſprungs find, dicht an 
einauber, hierin den fonderbarften Unterſchied. Ge⸗ 
fege, Regierung, Lebensweife thun noch mehr, und 
fo wird die Denkart des Volks, eine Tochter def 
allen, auch deß allen Zeuginn. Ich mag feine Bel- 
fptele anführen, weil die ganze Erdfugel davon 
Zeuge ft, und mir fchon einige gute Sammlungen 
Aber den verfhiedenen Geiſt der Voͤlker aus ih⸗ 
vem Empfindungs- und Lebenskreiſe ba- 
ben. Ich wollte, wir hätten eine ohne alle Hypo⸗ 
thefen, und, fo viel möglich, voll geprüfter Wahrheit. 

Einer Nation auf den ganz ungeänderten Stamm 
ihrer Empfindungen eine neue Lehre und 


— h. 0. 


‘ 


60 


Den kart aufzwingoen wollen, ohne daß ſtich jene 
mit dieſer im mindeſten miſche, iſt meiſtens umnuͤtz 
oft auch ſchaͤdlich. Die Denkart eines Volks iſt die 
" Bläthe ſeiner Gmpfindungsweiſe; in dieſe muß man 
rinftießen oder jene iſt wellend. Einem wilden Wolle 
plbtzlich das Reſultat der feinſten Abſtraktionon auf⸗ 


buͤrden, wozu es weder Kopf noch Herz, weder Ana⸗ 


kogie von Lebensart noch Sprache hat, wird allemal 
ein wunderbarer Miſchmaſch. Was ward Ariftote⸗ 
les in den Haͤnden der Araber? was iſt des Papſte 
thum in Sina worden? Jener ein Muſelmann, dieß 
ein lebendiger Confucianismus. 


Wenn Miſſionarien nach Indien gehn und Thler⸗ 
blut duften, wofür der: Brahme ſchauert: wie viel 
hat der arme Indianer zu bekaͤmpfen, che er haͤr«n 
kann, was man von ihm wolle! Und wenn das eine 
fache edle Chriſtenthum, (gewiß. die Roligian für 


alle Möller. ber-Erbe!) Ihnen. gar in dem Dunſt einer | 


aengen Selte und Stubirfiuhe. erſcheint, wie anf 
ſich das. mit ihrem. Hirn und. Hirulein fügen? 
Die Vorſehung ſelbſt tft: bie beſte Brlehrertkun 
der Bdiler, fie aͤndert Zeiten Denkarten, Sitten, 
wie fie Himmel und Erde, Kreiſe von-Empfindungen 


und Umſtaͤnden aͤndert. Man vergloiche Deutſih⸗ 


land mit dem, was es zu: Karls des Großen uber 
Hermanns Zeiten war. Wuͤrden dieſe es erfemeen, 
wenn ſie wieder erſchienen?˖ Die größte Veraͤnbe⸗ 
sung in der Welt tft „dieſer Fort⸗ und Um— 
lauf im Reiche der Geifter nah verdu- 
„derten Empfindungen, Bebärfuiffen 


„und Situationen.” Die Geſchirhte der Vol⸗ 


>, 


125 


— wer; weiß aber bei den ver⸗ 
des Schickſals Zweck und Stier? 
Da —— indeß nie ohne Mittel haus 
dein: ſo ſind eben auch zu dieſer „Um bil dang 
der Kiewnſtuiſſe durch Enpfindungen“ 
Menſchen bie ebeiften Werkzeuge. Die Männer, 
die auf ber Welt das Meifte ausgerichtet, biteben 
wie bei ber Bluͤthe ſolcher und folder Meinungen 
fuhen, ſondern wagten ſich zur Wurzel der Empfin⸗ 
tan dem Herzen, der Lebonsweiſe. Dichter eder 
Meile, Geſetzgaber ober Hoerfuͤhrer, Religlonoſtiſ⸗ 
ter oder Memagogen, fie trafen: das Herz und dar 
nit wirkten ſie auf Ideen. Bako lieh: 
Inngpn- und ſcholaſtifche · Spelulationen llegen, und 
ging auf erſte Begeiffe, Sachen, Natur. Er: grub, 
wie · ⸗ oue Brüder, nach dem · Schatze, und Die reiche- 
Sarto ut: bin uurwaͤhlten Ader wuchs von ſelbſt. 
+ Die. größten Wahrheiten wie die aͤrgſten Lügen, 
die oerhabenften Kenntniffe und bie ſcheußlichſten Irr⸗ 
thaner eines Volls wachſen meiſters and Samen⸗ 
koͤrnern, bie nicht dafür erkannt werben; fie werben. 
vom Einfluͤſſen belebt, bie oft gerade für's Gegen: 
thoil deſſen, was fie find, gelten. Der Arzt alfo, 
der: Uebel heiten will, ſuche fie im Grunde; aber 
eben, wenn er da fucht, wird das Kind oder das. - 
kranke Jahrhundert Ihm fchlecht danken. Laͤßt er 
fig: zu ſeinem lieben Siechthum herab, und ſucht es 
mit Goſundheit zu uͤberwoben — wer ift größer und: - 
willkommner als er! bie Säule aller Wiſſenſchaft 
und alles Ruhmes. Neun aber greift er-nah un- 
ferm Herzen, nach umfern Liebliugsempfindungen 
mb Schwaͤchen, mit deuen me fo wohl war — bin 


62 


weg mit ihm, dem Verraͤther der Menſchheit, dem 
Mörder unſrer beſten Kenntniſſe und Freuden! 
Wir wolten einen Bund mit ihm machen, droben 
"am Baum zu bleiben und wollten ihm darum baß 
dienen, nun gräbt er zur Wurzel und ſchlitzet die 
glatte Rinde auf — der Undankbare! 
Sofrates vor feinen Richtern verglich die weiſe 
- Stadt Athen mit einer Gefellfhaft Kinder, denen 
er ihre Näfchereien nehmen wollte, und fie alfe 
ſaͤmmtlich zu Feinden hatte. Sokrates ſtarb, nicht 
als Dieb athentenfifher Naͤſcherelen, ſondern als 
Verführer der Jugend und Gotteslaͤugner. Die 
Soppiften feiner Zeit, die treulofen Werzte, die ſuͤ⸗ 
es Gift miſchten, arbeiteten alle am Flor ber Wiſ⸗ 
fenfchaft und Gluͤckſeligkeit ihrer Bürger. 
Dreer beſte Segen, den ein Vater feinem phllofo= 
phirenden, gubernirenden, (und wie man weiter das 
Irende fortfegen will) Sohn nachlaſſen Tann, tft 
diefer: „liebes Söhnteln, freichle die Wangen 
„deines Geſchaͤfts, und laß das Geſchwuͤr inwen⸗ 
„dig freffen und zehren. Pflege den Baum an fel- 
„mer Krone, und fchnelde ihn nad) der neueſten Ge— 
„ſtalt etwa; um Wurzel und Stamm aber fey un- 
„bekuͤmmert.“ Es iſt gerade ber Segen des Va— 
ters in der Gellertſchen Fabel, nur mit feinern 
Worten. 

Es ift eine alte ewige Bemerkung, daß die wuͤr⸗ 
digſten Erleuchter und Beſſerer der Welt nicht ſo⸗ 
gleich wirkten, oft lebenslang verkannt wurden, und 
nah Tahrhunderten blähte exrft ihre Ruhm hervor. 
Warum? Ihre Gedanken⸗ ober Empfindungsfphäre war 
bem Jahrhunderte zu fern und zu hoch. „Was wii 


ATS UT EEE EA — — — 


_ 68 
dieſer Steinllump ſagen?“ ſagten fie zum Fuß ber 


Biudſaͤule, (denn Höher hinauf langte ihr Blick nicht) 


und bewarfen das arme Poſtamente (nicht die Biit⸗ 
fänle, an bie ihre Hand voll Drift nicht reichte) mit 
Koth. Nach Jahrhunderten, da heNerer Tag war, - 
tädte die Natur aus dem Nebel, und nun zeigte: 
fih, daß im Dunkeln auch damals fchon manches ge- 
wirkt hatte und beſſerer Zeit Platz machte, Ueber⸗ 
haupt war nie ein.wahrer Gedanke und‘ eine 
gute Empfindung verloren. Was wahr und gut 
iR, hängt mit dem Senforkum der Schöpfung, dem 
großen Seiſte zufammen, an deſſen Gewande nichts 
umkommt. Die Aloe bluͤht ſpaͤt, aber herrlich: 
ein ganzer Garten in Einem Baume! — 


3. Wie es eine allgemeine Menfhenem- - 
pfindung gibt, fo. muß es auch eine allgemeine 
Menſchendenkart (sensus communis) geben; 
mit keinem Wort aber treiben die moraliſch⸗philoſo⸗ 
phifchen Philifter aͤrgere Schleihmwaare, als mit dfe- 
fem. Wenn jeder, wo der Schuh Ten Hühnerauge 
druͤckt, fich gleich auf allgemeinen Meuſchenverſtand 
und Menſchenempfindung beziehet: fo ehret er der 
Genius der Menfchheit, den er in fein Hühnerauge: 
verwandelt, wahrlich nicht, und zeigt jedem Klugen 
nichts weiter, als daß ber leidende Herr fih mit 
nichts Befferm zu tröften wille. Für Menſchen⸗ 
vernunft und allgemeinen Menfchenverftand und 
Menfchenempfinbung alen Reſpekt; aber, lieber 


Freund, diefe Dinge find etwas anders als eure 


Schlafmuͤtze. | 
Ich koͤnnte hier über den allgemeinen Menfgen- 


64. 


verſtand and. Maͤhrchen erzählen, als 3. B. von 
jenem klugen Mann, ber ale Schiffe im Hafen zu 
Athen fein glaubte und ſich dabei ſehr wohl befanb;. 
oder von. jenem Araber, der alle feine Bruͤber ber: 
Wuͤße inmmer gu Gaſft ruft, ob er gleich nichts far 
fie hat, und wohl weiß, daß Meilen umher Eehner 
lebendige Seele: ba iſt; ober von jenem: Mohren⸗ 
König, der allen Petentatens der Erbe num zu ſpelſen 
‚erlaubt, nachdem er gefpeift hat; oder — oder — 
ſch frote aber, die allgemeine 


zuerſt wenden; alſo satis supergue! 
Freilich muß es einen allgemeinen Dienfäyem, 


wie Engels⸗, Löwen: und Beſtienverſtand geben; 


ih fuͤrchte aber, dag ein einzelner, zumal Meike 
and preßhafter des Geſchlechts, daruͤber oe 
lUch Auskunft geben, unb die Höhe, .Riefe, Breiter 
and Länge deſſelben zeichnen koͤnnte. So viel wir; 
von allgemeiner Vernunft ſchwatzen, fo wenig haben 
wir's noch. erörtert: was dieſe eigentlich Fey? abi 
wo file haufe? woher ſich unfre Vernunft eutſpou⸗ 
‚nen? wo Wölfer abgehen, und wo alle fidh zufamımen; 
finden? Die allgemeine Menfchenveruunft, wie wie 
das Wort gern nehmen möchten, iſt Bemdutelung, 
unferer Lieblingsgriffen, Abgötterei, Blind- und 
Draͤgheit. Und was wahre Menfchenvernunft, Menz- 


ſchenempfindung und Beduͤrfniß iſt md ewig ſeyn 


wird, davor ſchließen wir Augen und Ohren. — 
Doch abermal genug, und hinznu zur andem Uchten 
herrlichen Frage: 


= OO M. Was 


* 
A— ⸗— — — — — — — — 


Fr 


Un A El. 


— 5-1 


65 


11. Was wirkt unfer Denken auf's Empfinden? 

Und barf ich da auch erfte Empfindung zur Ant: 
wort fchreiben, fo muß ich fagen: jetzo fehr wenig! 
Mas weiß unfer Jahrhundert nicht! wie Abt fih's 
nie Im Denken, Erkennen, ja fogar ex professo 
Im Empfinden! Und wenn der Baum nur ans Fruͤch⸗ 
ten erkannt wird, von diefem Denken und Empfin⸗ 
deln, wo tft die Frucht ? 

„Ohne Zweifel muß es alfo. nicht das rechte 
Denten, das rechte Empfinden ſeyn!“ — ucb 
das glaube ich anch. Bloßes Spekuliren. und Sen: 
timentaliſiren hilft nichts: jenes ſtumpft die Seele, 
wie dieß das Herz ab. Der Kopf wirb zum übers 
ſchuͤtteten Kornboden, mo nichts aufgeht, das Herz 
zum ausgewafchenen, zerriffenen Lappen, der zuletzt 
zu nichts taugt, ale daß er Mift werde. 

Das Uebel fängt früh an, oft fhon In Mutter: 
leibe. Bie wir find, find unfre Kinder: niemand 
Tann was beflere, als ſich ſelbſt der Nachwelt 
seben. Zu früh erſchoͤpfte Lebensgeifter, von Weich: 
heit, ueppigkeit und Müßiggang welke Fibern pflan= 
sen ſich fort: denn Fein Abfluß fpringt höher als 
feine Quelle. Die berähmteften Spekulanten und 
Empfindler werden alfo (hon geboren. In dieß 
sähe Mark, In dieß verfileßende Wachs, was kann 
hiaein gedrudt werden, das da bleibe, das fort- 
wirfe? Wie Schleim und Gallert entſchluͤpft das 
Geſchoͤpf den Händen feiner Bildung. | 

Alfo erzogen, alfo wähft’s auf. Die Lehrer 
thun alle, ald ob, was fie ihm fagen, nicht 
wahr wäre; Ihnen iſt's auch meiſtens nicht wann 
denn fie haben's eben fo gelernt, und in ihre 

Herterd Werte . Philoſ. u, Eeſch. IX, 6 ” 


. 
J— * 


“ 

Sen tt davon geſpart und onwmban. PER 
Eltern und Lehrer, Kanzeln und Katheber: das 
Kind und der Knabe hört übersll Geſchwaͤtz, FL 

wo wenig fehlt, dab man niht mitten in der rd 
Äune. halte und fege, was jener uber die Hoͤllen⸗ 
firafen fagte: „fürchte dich nicht, Liebes Kind, I 
„munß dir das nur ſagen. Glaube nichts davon, 
„denn ich glaube ſelbſt nichte, wie du ſieheſt.“ Die 
große Stimme des Beiſpiels ſagt ihnen dieß laut 
und unaufbörlic. 

Erwachſen alfo unter lauter Wortkraͤmerel 
und thaͤtiger Luͤge lernt der Knabe nur Eine 
Wahrheit erkennen, Die er auch von ganzem Her⸗ 
zen glaubt, naͤmlich: „krieche wie die, fo vor. lt 
„ſind, durch's Leben, genieße und ſchwaͤtze viels 
„thue aber wenig, alles nur für Dich, damit du de 
„nichts abbrechen, und fröhne deinen Lüften.” Aus 
jeder weiden, böfen Gewohnheit, aus jeder würgi- 
gen, füßen Taffe und warmen Schuͤſſel, von jedem 
wallenden Bufen und liekäugelnden artigen&efichte, 
buftet und Alegt ihm die Lehre zu: ex. Abt fie früh 
und er.wird fie Lebenslang üben, 

le gibt das nun feine Eipfindungen un 
Epelulationen? Ahr warmen Etuben, Ihr welden 
Polſter, ihr artigen Geſellſchaften, und du lieber 
Woblſtand ſtummer und lauter Eüxden, weiche 
wilde Leidenſchaſten habt ihr vertligt, welde Ihöne 
Romane von Empfindungen und Evrfularionen hatt 
ine getorsm! Das Wuse iſt verlöfcht, der Körpie 
weit, der Die unftdr, dag Hirn fi felbit vers 
zebrend. Es wallt auf und. ſinkt nieder: feine Ein- 
drüde, weder Geliebte uch Freund haften. Am 


— 


” + 


Bnttäich ‚Jolie Geme PAR: Offhuu⸗ mb 
mit ruft mehrzu gereped; deſto meht rodkme 
vie: Medien und Phaue dm Moade. Cradfindirm 
Dr; ferner Drkalatfonen mir Amer lrvenbe 
wärdisen Ftchtigtett und Foinheit, au Die kekn 
Me weniger, als ihr Nheber giäubt. Bi 
folre Rad? er tat ar nichts mehr zuuben 
wiarts auectenuen, mats durrhecnpftaden 
Bir, uiſchulbiner Innlling, oe 
HA, aus ediem Edamen, ein? geſunde, feſtt 
see Krſpe! Nicht zu —* © nee 
entfaltet, um balb gu verwelkon, met up 8 
diln Huilkhe Tante Aephhre; ckte wünträue 
kei er gefaltet, in Noch, Wlan: md 
Wehktuch erwwachſenn, danite Beine Erk nntniſſe Thaß 
Pf feufihe, verſchloſſene Empfiobungen 
she; Wahrheit aufs Haze Leben wutben — 
urà tullt fecitque puer, ſudavit et alan, 
äbstindir Verlere et vind — cut cz meéfidri 
Tatb — figft Mäccotuia Titan. 
We air yal derVarer der irunen Are. 
ren nett ſetines Geſchlechts geſorgt, daß er TOR 
ſern won dieten abelſullenden Kenkeniffen und ver 
Krtäinten Ehtbfiäfungen geboreü merden Ich. 
DR are Mar und Erima ertehner imd 
tanffinwer viel geſraaber ais Der Vornehme und Ger 
lehrte: der geſſitere Milde viel gertiitder, uns Der 
undiiere Eutuihir, der Mann von Ameauung 
mir TtIingeeit veſſtee, An das iuͤblde, hatwuhn⸗ 
wre Bere Ab and Satz qrören zum Lehen; 
ſie moſſen aber, he ae Note, maͤbka gebraucht 
were, Fo Ku fie, Karla nie: Wenn 


2* 


68 


an die treme Menſchengattung ſiehet, bie wenig 


weiß, aber das wenige ganz empfindet und uͤbet, 
and. fobann deu andern Theil von Menfchen wahr: 


nimmt, wo Erkenntniß die Empfindung, und biefe 


jenes zerftört, daß aus beiden nichts wird; follte 
man nicht denfen, Spekulation und Empfindeiet 


feven ung zum bitterfien Fluche gegeben? Wer blich 
feinem Berufe treuer? weſſen Kräfte find mehr in 
Ebenmaß und Ordnung? wer genießt mehr Selig: 
Zeit und Ruhe? Weber Erkenntniß noch Empfindung 


Allein können fie geben, wenn nicht beide einans 


ber unterftägen, heben und ſtaͤrken. 

+ Die gefundefien Menihen aller Zeit hatten 
nichts ausſchließend: Erkenntniß uad Empfindung 
Aoß in ihnen zu Menſchenleben, zu That, zu Sluͤck⸗ 
jeliglelt zufammen. Auch die abfiraftefte Wiſ⸗ 


—--. 


ſenſchaft bat ihre Anfhauung, und meiſtens ward 
der gluͤclichſte Blick auch in ihr nur in Gefaäft, 


That, Handlung geboren. So Bako, Sarpt, 
Grotius und fat Immer jeder Beite feiner 


Art. Er kam zur Wiſſenſchaft ald Freund, als 


Liebling, nicht als Leibeigner und Sklave, darum 
fand er Gunſt und Beifall. Wären Homer und 
Sophokles, Dffian und Syakspear, Mil- 
ton und Daute Profefloren der Poelle gewefen, 
oder zu Ihrem. Geſange fürftlich befoldet worden: 
fie wären faum, was fie find, worden, \ 
Erkenntniß und Empfindung leben nur in That, 
in Wahrheit. Meligton ift ausgeftorben in einem 
Kreife, wo ſie nicht in Vorbildern lebt: todtes 
Bekenntniß, Gebraͤuche, Formelngelehrſamkeit uud 


Eplbenſtecherei, wenn ſie auch ſeidſt in ten Urſpra⸗ 


— — — FE} — A — — 


69 - 
den und auf ben Lippen der Stifter ihr Werk trieße, 
kann jene Tochter des Himmels weder darſtellen, 
noch erfegen, die In Menfchen leben muß, oder fie 
MR nicht mehr: fie iſt, wie Aftrda, zu ihrem Va⸗ 
terlaude gekehret. - | 

Ga Zeiten elſo, dba noch alles näher zuſammen 
war, und man die Fäden menſchlicher Beſtimmung, 
Gaben und Kräfte noch nicht fo lodgewunden und 
aus ihrem verflochtenen Knaͤuel heraus gegauft hats 
te: ia Seiten, da Ein Menſch mehr ald Eins und 
jeder alles war, was Er feya konnte — die Geſchiote 
zeigt offeabar, daß große, thätige, gute Menfchen da: 
mals unfeltuer gewefen, als in Zeitaltern, wo alles ge⸗ 
tremut iſt, jeder nur mit Einer Kraft oder Einem 
Kraltleia feiner Seele dienen foll, und uͤbrigens 
unter einem elenden Mechanismus feufzer. Ich 
nebme die Griechen in ihren ſchoͤnſten Zeiten zum 
Beifplel. Was durfte rin Maan fenn! und was 
war er! Aeſchyvlus, Sophokles, Zenophon, 
Ylato: da ftänte eine Kraft die andere, und alles 
Mieb im kraͤftigen Naturfpleie. Seitdem mit Staͤn⸗ 
den, Rang und Lebensarten ſich auch, cheu! die 
Sipigfetten. aetheilt: feltdem es auf unferm Stuhl 
geſchrieben fteht, „was der ſeyn foll, ber da 
fiße“ und er’s alfo, wie die Pothia, ohne Zwei⸗ 
fel von unten auflernet : fettdem Diy’ome, Beſtallun⸗ 
gen uud ausfıiiekende Freipeitstriefe aus jedem 
eb machen, was ein Affe wollte, ſeitdem denkt 
sur Ber Eine, er ſieht, forſot, empfindet, han⸗ 
deit nicht, raft nur immer wie jener -eingefperrte - 
Vogel, der nichta an fawäsen wußte: ih denke! - 
Ein andrer fol ohne Kopf handeln und anoch- 


- 72 | > 
hatten, waren vermutLiich ihnen felbft um thefſten 
die Klauen im Sefihte. Wie Ungeheuer und witbe 
Thiere, kann auch Menſchen der Art eine verbarbne 
‚Belt und Staatsverfaflung wohl brauchen; oft finb 
fie Rattenpulver und Kehrbefen, ben Saal zu fe 
gen. ben fo oft werden aber auch bie beiten, ſit⸗ 
tigften und wirklich größeften Menſchen unter Bil⸗ 
dern der Art verfchrieen, weil fie etwa einem Un⸗ 
terdräder und Lentefchinder zu nahe traten, oder 
weit fih Matten und Fröfche gegen fie empdrten. 
einer Stärke und Größe Faum überhaupt niemand: 
weder ein Quentlein no eine Elle zugeben: und 


das Geſchrei der Jungen auf Stelzen hinter dem 


Miefen, der vor Ihnen gebet, oder das Yab der 
Efelein in Löwenhäuten, wird bald verrathen. So 
viel ift gewiß, jede große und ſtarke Seele hat auch 


Anlage, bie tugendhaftefte zu werden. Wo diefe 
Leldenſchaſt möglich war, war auch eine andre moͤg⸗ 


 Kenntnife gewägren Finnen, die über jene here 


Ih, die ihre das Gegengewicht hielt; und über- 


haupt, welche Leidenfhaft und Empfindung muß. 


denn auf's Boͤſe verwandt werden, daß man nick. 
anders könnte? Vlelleicht Haben Menſchen von ſtar⸗ 
ler Seele mehr Mühe fich zu überwinden: fie ha⸗ 
ben-aber auch mehr Kraft, und nur wenn fie ben. 
Sieg vollendet haben, ſollte man fie große Mens 
fven nennen, das ft, wenn fie gute Menſchen 
geworden. Und alsdann iſt's doch wohl ohne Zwei⸗ 
fel, daß ein Schiff, das mit großen Winden und- 
- wöhlgeräfleren Segeln fährt, weiter kommt, ald der 
träge lee Kahn da am flachen felchten Iher. 

Tiefe Empfindungen muͤſſen immer auch tiefe 


| 





— —⏑ — OR ⏑⏑ — — 


75 . on 
fürn, umb ſodaun And bie ſtaͤrkſten Leidenſchaften 
mb Triebe, wohlgeordnet, nur das ſinnliche Sche⸗ 
ma ber flarten Vernunft, bie In ihnen wirket. 
Gelbft jede mißrathene große Seele beweist dieſes 
In ihren beifern glüdlihen Stunden. Wenn fie: 
binter Ausſchweifungen und Tollheiten zu fih kommt, 
Rene und die gute Natur In ibr zuruͤckkehret, wie 
tiefer fuͤhlt fie dann das.gefliftete Gute und Boͤſe, 
als jene redfeligen Schwäger, jene flachen Köpfe 
und Herzen! Blutthränen möchte fie weinen, und 
bie auch fpate beffere Crkenntniß wird gewiß in 
der Folge in ihr tiefer graben, fiiller und mehr. 
wirken, als das fprubelnde Geſchwaͤtz aller Sophi⸗ 
fien in ihrem eignen werthen Selbſt, gefchweige in 
andern gewirkt hat. Ich kenne in der Geſchichte 
keinen verfallnen großen Mann, wo man nicht im⸗ 
wer auch noch im Shutt den Tempel bewundern. 
und feufzen müßte: edier Palaft, wie bift du zur 
Mörbergrube worden! 


Ich glaube diefe Betrachtungen wohl necht wet⸗ 
ter fortſetzen zu bür’en, weil ja nicht die ſtarken, 
fondern die ſchwachen, feinen und zarten Empfins 
dungen die Lieblingsſaiten unfers Inſtruments find, 
und wir jene nur für Abenteuer halten, Der Etrom 
der Zeiten fließt ſonderbar zwifchen feinen Ufern; er 
ſchlaͤngelt fi, wie alle Etiöme, und ſelbſt das große 
Meitmeer, bie und dorthin in entgegen ſtehenden 
Winkeln. Bald it Ber Boden für Erfenntniß, bald für ‘ 
Empfindung, und allemal blühen fodann die Plan: 
sen am beften, die aus dem Naturboden dieſes 
Volke, diefer Zeit ſproſſen. Zu einer Zeit gaffen 





+ 


RE 
Wie: Zbelfen. alle empor, fehen gew Simmel „und: 
züylen die Sterne, Übrigens nitgend weniger, wäh 
in ihrem Vaterlande, in ihrer Stadt zu Haufe. 
Bald thut man Kreuzzuͤgo nach dem guldnen Bues 
der Toteranz, allgemeinen Religlon und Menſwen⸗ 
liebe, vielleicht oben fo abentenertich als Die Kteuß 
sicher des heiligen Grabes und des Spftemd frem⸗ 
der Beten. Dieſer arbeiter, das Menfhenge-- 
ſihlecht zu jenem "Bilde mir getdnem Haupt zu ma⸗ 
Den, das aber auf Fußen von hen ruber: einem 
andern ſall's Ungeheuer, Greif und Sphinx werden; 


Die Gotcheit laͤßt ſie arbeiten, und weiß eine 


Wagſchale durch Me andre zu lenken: Empfindung 
durc Deflore Kenntabffe, Kenntmiß durch Empfindung. 

Ueber wie viele Vorurthelie ſind wir wirktih 
Gimmes, vor denen eine aubre Zeit die Kniee beugtet- 


Enige milde Lichtſtrahlen aus der edtern Seele 


goͤttlicher Menfchen zeigten ſte, zuarft mir Schim⸗ 
mer, In Morgendaͤmmerung. Die Finſterniß wap⸗ 
nete ſich und ſtritt lauge; aber da ging die herrliche 


Sonns auf, und die dunkle Nacht mußte hinweg 
zellen. — Verzage nicht, [feber Morgenitern, oder 


ihr ſchoͤnen einzelnen Strahlen der Morgenroͤthe: 
de macht woch nicht Mittag; aber hinter end iſt 


die Fackel der AUmacht; unwiderſtehlich wird fie 
Ipren Lauf anfangen und enden. 

Liht war der Mafang der Schöpfung, und eg 
gibet kebn edleces Loos in der Welt, ale za erleuch⸗ 
ser, wenn dad Rat rechter. Art iſt. Seibſt der 
Sohn Gettes konnte hienieden nichts befferd thun, 
ais Wahrheit lehren 3 aber fein Licht war Wärme, 

feine Warrhelt ewlges Leben. Der -Musfprug kit 


ee er er u 


« 
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vetecrſcichen/ darudie meat aa⸗ ur dein 
naher aklan. uk Br Fake ah 
mehr „ld: das Kick Lieben, weil Ihre, 
rar be: nibs hanıaay. daß in Dinfem.gchainen 
"und. eit:-sehr..verihäuten. Sufke ahtz auch Ant. 
srhache Berikt: tn; u era miak wühe,. 
Wahrheit zu Lehre: und ſelbſt. is ein Koͤnig 
ker: Wanhrhe it zuz herken.. En Sehrte zwi 
rad, woher er gelommean. war, un üUeß 
folmen Zuhscktten. Dem. Segen nach, dab Zicht ewig 
Lid kiriien,. fein: Raser. nad) immer bis: 
Ginfteanih: üherwimärns. mäfle, ver alles 
zu ort: tomemen. werde, wes in thm ge⸗ 
Khan. Jen. — 

Mitch dunkt, die ſer Schwung wird vielen Leſern 
fo tod ſceinen, daß es wohl am beiten ft, abzu⸗ 
brechen, und eine Frage zu behandeln, d'e mene 
in Geſlchte treift und nach der Luſt unſerer Zeir ie 


1 Waus wirt das mancherlei Erkennen 
und Empfinden auf die mancherlei Ge⸗ 
nie's, Charaktere oder wir. die Zau⸗ 
bernamen heißen? 


Ra.Barckb beraanı im Direen. mei ich In der. 
Welt nichts weniger weiß, aid was Geſnie in, es 

mag , deyr, Bir oder das Genie heißean. Niemand 
hat dysn mehr akrwaßt, als die aenterelchen Franz 
zoſen, zumal der tiefe Speiulant, Helvettus 
gelb. Er hat, duͤnkt mich, Genie babem 
Gente [eye Maun van Oeule und fein Mann 


, 
‘ 


16 | 

yon Sente feyn, ſehr fein und weile unterfanlebens 
auch unwiderfprechtich. bewiefen, daß es eigentlich 
gar ein Genie (angeborae Naturart) gebe, ſon⸗ 
dern daß wir alle al& gleiche Plattkoͤpfe auf ber Welt 
 erfchelnen: alles komme daraufan, wie wir drefe 
firt werden.und melden Fraß wir, Genie zu wer: 
den, erwifhen. Dem Baucanfon habe eine 
Use Im Vorzimmer, da er einmal warten mußte, 
fen Genie gegeben u. f. 

Der ſchoͤnen und tiefen Spur find wir Dentiche 
in den legten Zeiten denn amch nachgegangen. Unſe⸗ 
rer Philoſophie und Sprache fehlte fo vieles, da 
beide noch nichts vom „Genie“ mußten; ploͤtz⸗ 
lich gab's Abhandlung über Abhandlung, Verfurh. 
nad) Verſuch daruͤber, und wahrſcheinlich haben wir 
‚ noch von irgend einer metaphyſiſchen Alademie in 
Dänemark, Holland, Deutihland und Italien eine. 
Aufgabe „über'd Genie“ zu ermarten. „Wis Ge: 
nie fey? aus welchen Beitanbtheilen es beitebe, 
„und fit darein natuͤrlich wieder zerlegen laſſe? 
„Wie man dazu und davon komme? u. dgl.’ 

Der befheldene Deutſche, ſagt Klopftod, 
nennt’ 6 bantbar Gabe, und weiter habe ich Davon 

weber Begriff noch Ertiärung. Beute und Cha: 
rafter find — — „bie einzelne Menſchen⸗ 
art *), die einem Gott gegeben,“ weder mehr 
noch minder. 


Nun find der Gaben fo viel, als Meufhen. 


auf der Erde find, und In allen Menſchen Hi gemife 


®) Genius, ingenium, indalen, rin animae,: charaster 


baden in altem Eprachen Diele Bedeutung. 


” » 

- 77 
ſermaßen auch nur Eine Gabe, Erlenntnif und 
Empfindung, d. i. inneres Leben ber Apper⸗ 
seption und Elafticität ber Seele. Wo dieß 
da if, tft Genie und mehr Genie, we «6 - 
mehr, und weniger, wo es weniger Ik m. f. 
Nur dieß innere Leben ber Seele gibt der Einbil⸗ 
Yung, bem Gedaͤchtniß, dem Witz, dem Scharf⸗ 
fun, und wie man weiter zaͤhle, Ausbreitung, 
Tiefe, Energie, Wahrheit. Laß ein Genie 
buntere Farben ſchlagen als der Pfan mit feinem 
Schweife, jenes einbilbungsreicher feyn als Bellere- 
»hons Saul, dieß felnere Sachen als Spinnweb 
thellen — aber trenne von ihren Werfen und Uns 
ternehmungen Verſtand, Gefuaͤhl der Wahr⸗ 
heit, inneres Menſchenleben: ſo ſind's nur 
Thlerkraͤfte, an denen fie jedesmal ein Vieh uͤber⸗ 
windet. Der Redner wird Solbenzaͤhler, der Dich⸗ 
ter Verſificateur oder Tollhaͤusler, der Gramma⸗ 
tier Wortkraͤmer, fo bald ihm der Himmel jene 
lebendige Quelle verfagt hat oder biefe ihm 
verfieget.. i 

- Ju dem Verftende iſt die Natur. alfo an Ges 
wie's nicht fo unfrudtbar , ale wir wähnen, wenn 
wir bloß Buͤchergenie's und Papiermotten dafür hal⸗ 
ten. Jeder Menſch von. edein lebendigen Kräften 
iſt Genie auf feiner Stelle, in feinem Berk, zu 
{einer Beſtimmung, und wahrlich, die beiten Ge⸗ 

nie's find anßer der Buͤcherſtube. Es ift einfältig, 
wenn der ftubirte Gray in ‚feiner Elegie auf dem 
Kirchhofe da deu jungen Bauerkerl bedauert, daß 
er kein Benie, wie Er, neworden; er würde vers 
muthlich ein größeres, als Gray, worden (Ey, 


N 


BL 


68 


man Die trene Menfchengattumg ſiehet, bie wenig 
weiß, aber das wenige ganz empfindet und über, 
und ſodann deu andern Theil von Menſchen wahre 
nimmt, wo Erfenntniß bie Empfindung, und biefe 


jenes zerftört, daß aus beiden nichts wird; follte 


man nicht denken, Spekulation und Empfindelef 
feven uns zum bitterfien Fluche gegeben? Wer blich 
feinem Berufe treuer? weſſen Kräfte find mehr im 

Ebenmaß und Ordnung? wer genießt mehr Selig: 
Zelt und Ruhe? Weber Erkenntniß noch Empfindung 
Allein können fie geben, wenn nicht beide einans 
der unterſtuͤtzen, heben und ſtaͤrken. 

+ Die gefundeftien Menfchen aller Seit hatten 
nichts ausſchließend: Erkenntniß ud Empfindung 
Aoß in ihnen zu Menfchenteben, zu That, zu Gluͤck⸗ 
jeliglelt zufammen. Auch bie abſtrakteſte Wil: 
fenf&aft hat ihre Anfchanung, und meiſtens warb 
der gluͤclichſte Blick auch in Ihe nur in Geſqaͤft, 
That, Handlung geboren. Eo Bako, Sarpt, 
Sretius und fat Immer jeder Befte feiner 


Kt. Er kam zur Wilfenfchaft als Freund, als 


Liebling, nicht als Lelbeigner und Sklave, darum 
fand er Gunſt und Beifall. Wären Homer und 
Sppholles, Dffian und Shafsyear, Mil 
ton und Dante Profefioren ber Poeſſe geweſen, 
oder zu Ihrem Geſange fürftlich befoidet worden: 
fie wären faum, was fie find, worden, \ | 

Erkenntniß und Empfindung leben nur in Chat, 
In Wahrheit. Religion ift ausgeftorben In einem 
Kreife, wo ſie nicht in Vorbildern lebt: todtes 
Bekenntniß, Gebraͤuche, Formelngelehrſamkeit und 


- Spibenfteerei, wenn ſie auch feibft in tea Urfpraz 


69 - 
den und auf ben Lippen der Stifter ihr Werk triebe, 
leun jene -Tochter des Himmels weder barftellen, : 
noch erfenen, die in Menfchen leben muß, oder fie 
it nit mehr: fie iſt, wie Aſtraͤa, zu Ihrem Bas 
tetlande gefehret. — - | 

In Zeiten alſo, da noch alles näher zufammen 
war, und man die Fäden menſchlicher Beſtimmung, 
Gaben und Kräfte noch nicht fo losgewunden und 
was Ihrem verflochtenen Anduel heraus gezauft hats 
fe: In Zeiten, da Ein Menſch mehr als Eins und 
jeder alles war, was Er feva konnte — die Geſchiote 
selgt offenbar, daß große, thätige, gute Menfchen da: 
mals unfeltner gewefen, als in Zeitaltern, wo alles ges 
trennt it, jeder nur mit Einer Kraft oder Einem 
Aräftieln feiner Seele dienen foll, und übrigene 
unter einem elenden Mechanismus feufzer. Ich 
nehme die Griechen in ihren fchönften Zeiten zum 
Beiſplel. Was durfte ‚ein Maan feun! und was 
wereriXefhulus, Sopbofled, Xenophon, 
Nato: da ſtuͤtzte eine Arafı die andere, und alles 
Nieb im Fräftigen Naturfpiele. Seitdem mit Staͤn⸗ 
den, Rang und Lebensarten ſich auch, cheu! die 
Gihlzkeiten gethelte: ſeiltdem es auf unferm Stuhl 
gefzieben ſteht, „was der ſeyn foll, der da 
ige” und er's alfo, wie die Pothia, ohne Zwei⸗ 
fel von unten auflernet : ſeltdem Dipſome, Beftallun: 
gen und ausſchließende Freibeitäbriefe aus jedem 
alles machen, was ein Affe wollte, ſeitdem bentt 
bur der Bine, er ſieht, forſcht, empfindet, han⸗ 
deit wicht, ruſt aur immer wie jener .eingefperrte 
Bogel, der nichts zn ſowaͤßzen wußte: ich denke! 
Ein andrer fol ohme Kopf Handeln und anoch: 


er 


80 


Ban eh wi m ann | 


nu. hell, das doch Ar Hohen, sngufchligen dran, 
dem erſten Voxbude der Mepuklit vieien Mrässe, 


fehlt daR. Haar amh der Zeh ſhut. Und ſaugipt 


denn jene Menge trockner oder fanler Au wuͤcce 
Gsirefsenzen. und Nigel: zuſemmengewarſae Hau⸗ 
fen Ruſterſchaalen, die, reibmelle aufgenagelt oder 
in Palven gaſtaben, ſeahr ſcaenuͤen und. Henem, 
Speknlanen ahne Hande und Anae, Echmaͤtzer ohne 
Gefühl, Nirgeingeber ohn' alle Kunſt und Behling,, 
Yanazelen, Raber uud Kunſtrichtax, alanda Hafe 


dentker und Holhemrfinder. Saugs fährt denn in 


gendwo im Exaufen, Dünen, abgelebeen SKiunee: 
ein neues Geſchwuͤr oder ein Feines Blaͤtterle in enf 
Der Hout empor: fo laͤu und: wellet alles hianzu, 
Raun und bewundert, wie viel der fsilge Adam. 
ner noch Kraft und Saft-habe. 

„‚Traurige, arme Dame, Phklefaphie, TenE 
 nShafteeburti, fie iſt in_dyaile Mauern, Rels 
„Ienien. und Gan'stskos eingeſwlaſſan, und fen 
„unddenfer” zeriest, was Ge nichkibat, nicht ger 
mießet, und beuft, wovon und woräher fie nicte 

emufintet. Was war bie fcholafuikne. Mrubelei der 
mitsiern. Jahrhunderte, auf dan todten Ariſtotele s 
einnaſchraͤnet, den aan nicht verſtand uad:bafto mehr 
zerleate? Und was. ſind die tauben Regrifſe Werts 
Eränse. und Ahliraktionen, jene Breion, moralikhpon 


litiſcher Svſteme, jenes Triktrat phitoſophiſcher 
Sprache, wn allss, eatweiht ift, wo nlamandı weine. 


mpeg denfer oder mag dabet will, weder Autar.:nech. 
Leiser? Wortidole; und befio,. mehr menden fie que 


— 





2, 


soheter, woll o nichts winken forlen mad. nicht 
wisten. . - - 

Kein. Word Lk verderblicher, als. an bes brek. 
Men GSaben Gottas, Poruumft, Ompfin⸗ 
Jauyı Sprache. Der Juͤnaliag fail abſtrahtren 
und fpetubiren: kommen : tem: ers, fo mird ee 
chend: ein. junger Brei, ein hetzles Behdg, Dad 
aber deſto lauter taͤntt. Lerat er's nicht, und 
tr das Soinunweb mit Füßen: mie viel Gutes wird 
mit zertreten! Wer hat's gemacht, daß die große 
Diana deutſcher Epheſer, bie. Philoſorhie, jetzt fo 
vorſchrieen und unwuͤrdig vorachtet wird, als weis 
Ind! Ihre lieben Anbeter, die Fabrikanten, nicht 
gelbner und fllberner Tempelchen, ſondern hoͤlzer⸗ 
un. Kompendien, Theorien und Suftewe, 

Atmen entgegen iſt bie Sekte der Empfinden . 
groß geworden, der Meinen Rieſen mis hoher Bruſt, 
ſtarker veidenſchaft und Thattraft. „Hase nicht 
„ber weoland geeßbe Helvetius bewieſen, daß 
„Gonie und Tugend zu einander wie Katze und Haud 
„gehoͤren, und find moraliſche Menſchen nicht die 
„ſchmaͤch ten, orbaͤrmlichſten unter der Sonne? Gro⸗ 
„fer Wille, ſtarke Ungebundenheit und Seibſthelt, 
„ein ewiger Kamof m't Goͤttern und Dimonen, das 
gibt Helden, Nepbiiim, Liwen.“ —— 

Benn’s Leute gäbe, die im Eraft ſo dachten, 
To, glaub' ih, wuͤrde weniz Säsfeligkeit In dem 
Heroismus rahen: dean Miltonk Teufel, der das 
Yandinontum und gar eine Biuͤcke übers Chaos 
Yaute, biieb immer ein unfeliger Teufel. Walz 
ienfkein und Cromwell wıren zuleßt unfelize 
Mernſchen, und vom Loͤren, mit dem fie zu thua 


72 


hatten, waren verweutLiich ihnen felbft um tiefſten 
die Klauen im Geſichte. Wie Ungeheuer und wilde 
Thiere, kann and Menſchen ber Art eine verbarbne 
Zeit und Staatsverfaflung wohl brauchen; oft find 
fie Rattenpulver und Kehrbefen, den Saal zu fe= 
gen. hen fo oft werben aber auch bie beiten, ſit⸗ 
tigften und wirklich größeften Menſchen unter Bil: 


dern der Art verfchrieen, weil fie etwa einem Unz 


terbräder und LKentefchinder zu nahe traten, oder 
weil fih Matten und Froͤſche gegen fie empoͤrten. 
Seiner Stärke und Größe kann überhaupt niemand: 
weder ein Quentlein noch eine Eile zugeben: unb 
das Gefchrei der Jungen auf Etelzen hinter dem 
Rieſen, der vor ihnen gebet, oder das Yah der 
Eſelein in Löwenhäuten, wird bald verrathen. So 
viel ift gewiß, jede große und flarfe Seele hat auch 


Anlage, die tugendhaftefte zu werden. Wo dieſe 


Leidenſchaſt möglich war, mar auch eine andre moͤg⸗ 


lich, die ihr das Gegengewicht hielt; und über: 


haupt, welche Leidenfhaft und Empfindung muß. 


denn auf's Boͤſe verwandt werben, daß man nick. 


“anders könnte? Vielleicht haben Menſchen von ſtar⸗ 


ter Seele mehr Mübe fi zu überwinden: fie ha⸗ 
ben-aber auch mehr Kraft, und nur wenn fe den. 
Sieg vollendet haben, jollte man fie große Men= 
fden nennen, das it, wenn fie gute Menſchen 
geworden. Und alsdann iſt's doch wohl ohne Zwei⸗ 
fel, daß ein Ehiff, dad mit großen Winden und- 


: wöhlgerüferen Segeln fährt, weiter fommt, als der 


 Kenutniffe gewähren können, bie über jene gern 


träge lede Kahn da am flachen felchten Uſer. 
Tiefe Empfindungen müflen immer auch tiefe 


| 


= 


15 


ſchen, und ſodann ſind bie ſtaͤrkſten Lerbenfcheften 
und Triebe, wohlgeordnet, nur das ſinnliche Bars 
ma ber ſtarken Vernunft, die in ihnen wirket. 
Gelbft jede mißrathene große Seele beweist diefes 
In ihren beffern glüdlihen Stunden. Wenn fie 
binter Ausſchweifungen und Tollpeiten zu fich kommt, 
Reue und die gute Natur in ibr zuruͤckkehret, wie 
tle fer fuͤhlt fie dann das. geftiftete Gute und Voͤſe, 
als jene redfeligen Schwäger, jene flachen Koͤpfe 
und Herzen! Blutthraͤnen möchte fie weinen, wab- 
bie auch ſpaͤte beffere Erfenntnig wird gewiß im 
der Folge In ihr tiefer graben, ftiller und mehr. 
wirken, als das fprudelnde Geſchwaͤtz aller Sophi⸗ 
ſten im Ihrem eignen werthen Selbſt, geſchweige In 
andern gewirkt hat. Ich kenne fu ber Geſchichte 
feinen verfallnen großen Mann, wo man nicht: im⸗ 
wer auch noch im Shutt den Tempel bewundern. 
und feufjen müßte: edler Palaft, wie biſt du zur 
SMörbergrube worden! 


® 
* » 

Ich glaube diefe Betrachtungen wohl nicht weis - 
ter fortfegen zu dür’en, weit ja nicht bie ſtarken, 
fondern die ſchwachen, feinen und zarten Empfins 
dungen bie Lieblingsſaiten unfers Inftruments find, 
und wir jene nur für Abenteuer halten. Der Strom 
ber Zeiten fließt fonderbar zwiſchen feinen Ufern; ec 
f&längelt fit, wie alle Etidme, und ſelbſt das große 
Meitmeer, bie und dorthin In entgegen ſtehenden 
Winkeln. Bald ift Der Boden für Erkenntniß, bald für ' 
Empfindung, und allemal blühen fodann die Pflan⸗ 
jen am beften, die aus dem Naturboten dieſes 
Volks, dieſer Zeit ſproſſen. Zu einer Zeit gaflen 


1 


* 


— 

yle enmyer, fehen gem Hiumei, und 
züplen bie Sterne, Abrigens nitgend weniger, ai 
in ifeom. Wererbande, in ihrer Stadt: u Haufe 
Bald thut man Kreuzzuͤgo nach dem gäldıren Bties- 
der Toteranz, allgemeinen Religion und Menſthen⸗ 
liebo, vieleicht ober fo abentenertih als bie Kreu⸗ 
stehen des heillgen Grades und des Svſtems frem=- 
der Weiten. Dieſer arbeiter, dus Menfhenges: 
Tolecht zu jenem Bilde mit gotdnem Haupt zu ma⸗ 
en, dad. aber auf Füßen von Thon ruhes: einem 
mdern ſoll's Ungeheuer, Greif und Sphinx werden, 
Die Gosheit käft jie arbeiten, ud weiß eine 
Wagſchale Dusch Die andre. zu lenken: Empfindung 
durch beſſore Kenntaiſte, Kenntniß durch Empfindung. 

Ueber wie viele Vorufthelie fu) mir wirtikh 
Gimmweh, vor denen eine. andre Zeit tie Kniee beugte! 
Einige milde Lichtſtrahlen aus der ediern , Seele 
goͤtilicher Menſchen zeigten fie, zusrſt mit Schim⸗ 
mer, in Morgendaͤmmerung. Die Finſterniß wap⸗ 
nete ſich und ſtritt lange; aber da ging die herrliche 
Eonne auf, und die dunkte Naht mußte hinweg 
sehen. — Versage nicht, Ikeber Morgenftern, oder 
ihr fhönem einzelnen Strahlen ber Morgenröryer 
ir macht noch nicht Mittag; aber hinter ench iſt 
die Fackel der Almacht; ummiderfichtiig wird fie 
Ihren Lauf anfangen und enden, zZ 

time war der Rafang der Schhpfung, und e& 
- 868 fehn edleres Loos in der Weit, ale zu erleuch⸗ 
ser, wenn das Licht rechter Art iſt. Seibſt der 
Sehr Gettes konnte hienieden nichts beſſers thun, 
aid Wahrheit lehren 5 aber fein Licht war Wärme, 
feine Wapspeit ewiges Leben. Der Nusfpru iſt 


2 . 
7) ! BR. R 
vndenaefhntehen:. dalıbie: Mani am une Def 

man Bahrheit Kablan uch Din Flak er ah 
men Alt Dam Kit lichen, weil Ihre 
Mar be:niht hanızav Nah: in diaſem geheimes 
und. ort: sehr. verihäaten. Sadke abs ach. An 
sröanehe Berixt. fen. Er mara nid wäh. 
Behrbeit zu Lehre. und ſelbit. æis, ein König: 
der: Wesrheit zus Merken. En Iehrte zu 

tüd, woher er gelommean. war, und lief: 
Tehmen Fußtratten dem Begen vach. daß Licht ewig 
Licha kirien,. felnmı Rasur. nad) immer ‚bis: 
Ginfieanis: üuberwimäes mälle, ver alles. 
zu. Bott: fmmmen werde, wer in thm ge⸗ 
Kante N... j 
Mich daͤnkt, die ſer Schwuna wird vielen Leſern 
fo tod ſceinen, daß es wohl am beiten tft, abzu⸗ 
brechen, und eine Frage zu behandeln, die mene 
in Geſichte kreife und nach der Luſt unſerer Zeir iſt. 


a Mas wirft das mancherlei Erkennen 
und Empfinden auf die mauherlei Gr= ' 
nielſs, Charaktere, oder wre. die Zau⸗ 
bernamen ⸗heißen - 

Da borc“ch aber aeu im Daͤrren. weil ich in der, 
Melt nichts weniner.weiß, als was Menisht, es 
master, Bir oderdas Gauie heifen. Niemand 
hat.denen mehr aewaßt, alg die aewlerelchen Frans 
zoſen, zumal der tiefe Speiulant, Helvettus 
Jeibſt. Er nat. duͤnkt, mih, Genie babea, 
Geute fepnn Wan. van Smile and fen Mann 


* 


76 


yon Genie ſeyn, ſehr fein und weiſe unterfileben; 
auch unwiderſprechlich bewieſen, daß es eigentlich 
gar fein Genie (angeborne Naturart) gebe, ſon⸗ 
dern daß wir alle als gleiche Plattlöpfe anf der Weit 
erfheinen: alles komme daraufan, wie wir brefe 
firt werden.und welhen Fraß wir, Genie zu wer: 
den, erwiihden. Dem Baucanfon habe eine 
Uhr Im Vorzimmer, da er einmal warten mußte; 
fein Genie gegeben u. f. 

Der fhönen und tiefen Spur find wir Deutiche 
in den legten Zeiten denn auch nachgegangen. Unſe⸗ 
rer- Phllofophle und Sprache fehlte fo vieles, da 
beide noch nihte vom „@ente” wußten; Ylöß- 
lich gab's Abhandlung über Abhandlung, Verfſurh. 
nach Verſuch daruͤber, und wahrſcheinlich haben wir 
noch von irgend einet metaphyſiſchen Akademie im 
Daͤnemark, Holland, Deutſchland und Italien eine 
Aufgabe „uͤber's Genie“ zu ermarten. „Wis Se: 
„nie fey? aus welchen Beſtandtheilen es beſtehe, 
„und fi darein natuͤrlich wieder zerlegen laſſe? 
„Wie man dazu und davon komme? u. dgl.” 

Der befheidene Deutſche, ſagt Klopftod, 
nennt's dankbar Babe, und weiter habe ih Davon 
weder Begriff noch Erklaͤrung. Genie und Eha- 


rafter fnd — — „die einzelne Menſchen⸗ 
art *), die einem Gott gegeben,” weder mehr 
neh minder. 


. Run find der Gaben fo viel, ale Meufhen, 
auf der Erde ind, und In allen Menſchen tft gewife 


®) Genius, ingenium, indnlen, vis amimae,- character 


haben in allen Eprachen dieſe Bedeutung. 


” » 

- - 77 
ſermaßen auch nur Eine Gabe, Erfenntnif aub 
Empfindung, d. i. inneres Leben ber Upper 
seption und Elaftichtät der Seele. Wo dieß 
da iſt, iſt Genie und mehr Genie, wo «6 - 
mehr, und weniger, wo es weniger ik m. f. 
Nur dieß innere Leben ber Seele gibt der Einbil- 
Yang, bem Gedaͤchtniß, dem Wis, dem Scharf⸗ 
fun, und wie man weiter zähle, Ausbreitung, 
Tiefe, Energie, Wahrheit. Laß ein Genie 
buntere Farben fchlagen als der Pfau mit feinem 
Schweife, jenes einbildungsreicher feyn als Bellere- 
pꝓhons Saul, dieß felnere Sachen als Spiunweb 
thellen — aber trenne von ihren Werken und Un⸗ 
ternehmungen Berftand, Gefuͤhl der Wahr 
heit, inneres Menfhenleben: fo ſind's nur 
Thierkraͤfte, an denen fie jedesmal ein Vieh übers - 
windet. Der Redner wird Spibenzähler, ber Dis 
ter Derfificatenr oder Tollhaͤnsler, der Gramma⸗ 

. tier Wortfrämer, fo bald ihm der Himmel jene 
lebendige Quelle verfagt hat oder dieſe ihm 
verfieget.. 

- Su dem Verftende Ift die Natur alfo au Ge⸗ 

ale's nicht fo unfrugtbar, als wir wähnen, wenn 
wir bloß Buͤchergenie's und Papiermotten dafür hal⸗ 
ten. Jeder Menſch von. edein lebendigen Kräften 
iſt Senie auf feiner Stelle, in feinem Werl, zu 
feiner Beſtimmung, und wahrlih, bie beiten Ges: 

. alles find anßer der Buͤcherſtube. Es iſt einfättig, 
wenn ber ftudirte Gray in feiner Elegie auf dem 
Kirchhofe da den jungen Bauerkerl bedauert, daß 
er kein Benie, wie Er, neworden; er würde vers 
muthlich ein größeres, als Grap, worden ſepn, 


N 


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’ ..:.%8 V u 
wer iveder Ray, noch ver N zum Beſten u 
wie en Fake: warum He Matar wenkcec 
Bro: Direct ms große Geſetzze ber, Go 
wetnls 9. herborbridze? Pad beiikn-eldrehig 
And: chafaltig,  toptden watch , wie jettet Wwe ſagt, 
da er ſeinen erſthactzenen Brurer auf dex Täpite 
füpy medſtens nicht vone Loren, ſoudrruMenfcher 
von Zeugen in eigener Sache, ſtolz vbet ſehran⸗ 
baqhtig beantwortet. "CH lauge bie Nadut ar zeſua⸗ 
Sea Reimen und bluhenben Baduͤmen TEE MAR 
dat; wird ſſeis auch nucht an Menſengenien = 
ben, mie die ekten abzoritſthen Silit vid 
Nachtreter größer Peiite" immnde beſutehten. M. 
Thörias, in feintn Bloges über gibheeMaunner,iſt 
baſonderheit an "dergielnen geſchraubteni With 
Bombaſt reith, ohne zwrifenweiler ſelbſreln⸗ rö⸗ 
per Munn th, 2 | 
Die Natur hat der ebeln Keime grung:e 'ncit WER 
rennen ſie Hffcht And zertreten fie rate ben Fzon | 
weil wit dac Benir riet nu. | 
keit, nach zu fruͤher Meife oder uͤbertſebrarm j 
Mus ſchaͤtzen. Ein wohſgrvebeter, Hefähder, ! 
zraftizet WIERH, lebrad auf ſeknet Srele, und Die | 
 Terdit ſetzr Ada wirkend, gieht unfere Magen le 5 
te auf ſich, als jendt andere mit Einem äberntfe 5, 
\ 
i 
\ 
| 





Bienen, vorgeblidetenn Zuge, den ihm DEE Marak 
in Gnade oder fr Sort) veritzh, und ben von 
Jugend auf hlazuwaßenve Tiere Sen Ar 
th So wie, Nein Ein Wlye EHE, DAB“ anubere 
era ſaarfer Aehtt, we ſich aun Holzhaner inbvuſt 
Träger ſetae Arbehnt urkein atn mein free, WER 
cs enbliih ⸗Kraukheltea gibht, da Ed Gliſd, - 


—3 


% 
* 


‘ 79 

fe Mer aniihgi und zum Rlaſen waͤchſt⸗ ins 
per jan andern. J———— fo iſts mir dem, 
was bie Wäbeliprage Genie nennt. Hier ein 
übertriebener Witzling ohne gefunden Verdand und 
Herzendtreue; dort ein fllegendes Sonnenroß mad 
verbreunet Die Erbe: hier ein Spekalapt -chne bie 
mindefie Anfbonung und Handlung, ter mit den 
nitigften Dingen wie mit unbebeutenden Zahlen 
iplelets ein Held mit Leidenſchaft bis nahe ber Ver⸗ 
rüdung: ein gute? Kopf endilch, wie man's 
nennet, das it ein Seradier und Schwaͤtzer über 
Dinge, davon er fein Wort verfieht, Aber die er 
aber mit den Modeformeln ſpielet. — Iſt das 
Benie, wie bit du vom Simmel gefallen , da ſchoͤ⸗ 
ner genſtern, und. webſt and tanzeſt glei ei⸗ 
nem Iırlkhte auf fumpfigen Wieſen, ober rolle 
als ein ſchaͤduͤcher Komet daher: vor dir Echreden 
und hinter dir Peſt und Leihen. Iſt das Genie, 
wer wollis haben? wer nicht Lieber wuͤnſchen, daß 
die Natur außerordentlich felten folde Köder. und 
Ungeheuer bilde! Much bilder fie Die Natur ſeit⸗ 
ner, als unfere menſchliche Geſellſhaſt. Wenn In 
Diefer alle Stänte, Aemter, Berufsarbeiten urd 
Hulälfe zu mirken fo getheilt und melitens lauter 
tielue Zinler zu Einem Nenner find, den fein Men 
aus zuiprechen waget: fo will jeder verdorbene .ftoise 
Liytput gern ein Rieſe auf Feiner Stelle, vor 
taufeu) andern ausgezeichnet, In ſeiner Epbäre wer⸗ 
den.. Gr. zwingt den Strom feiner Erkeuntniſſe 
und Empfindungen auf Einen Punkt bin, daß er de 
herrlich brauie, ſucht Lurch das größte Uebertreiben, 
ein Einzeiner. feiner Ars gu werden; cr helßt ein 


. L | 
80 j 

WBente! Dant der Matur, baß feld Unkraut nicht 
an allen Zaͤunen wählt. or jede Heerbe, fat 
Huart, gehört nur Ein Geißbock, fonft verliefen 
fie ſich alle. 
. Man lefe nur das Leben folder Leute, md es 

tft ein Beweis mit Flammenzügen vom Ungluͤck ih⸗ 
res Schickſals. Wo tobt mehr Unruhe, Neid, 
Menſchenhaß, Eifer und Rachſucht, ober wenn fie 
noch niedrigere Zwecke hatten, mehr Geiz, Eitelkeit 
der Wolluſt, als bei ſolchen Aftergeburten und 
Baftarten der Menſchheit? Daher bei dieſem jemer 
gottlofe Fleiß, der alles Del aus feiner Lebens⸗ 
Tampe trodnet, bei jenem ein nagender Hunger 
nah Wiffenfhaft und Uebermacht, daß er wie ein 
Seelengerippe mit Gluthaugen ober wie eine leben⸗ 
dige Nachtlampe da ſtehet. Diefer tft eine gufam- - 
men gebeinte Abſtraktion, jener ein Flappernder 
Storh auf der Thurmſpitze in einem Neft voll ge⸗ 
raubter Schlangen und Kröten. Am erften Genie, 
das den Funken vom Himmel ftahl, nagte der Geier, 
und jene Genie's, bie gar den Himmel beſtuͤrmen 
wollten, liegen unter dem Aetna und andern Ber: 
gen. Sie Hatten zum Theil auch hundert Hände 
und Schlangenfhwänze, wie die himmelftärmenden 
Genie's und nenen Neligionsfchöpfer unſrer Zeiten; 
aber Vater Zeud war ihnen gewachfen. 

Gluͤcklich, den frühe die Natur vor folder Ge⸗ 
niefucht bewahrte! dem zeitig fich der Engel entges 
gen ftellte, und allenfalld aıh, wenn er fein Thier 
ſchlug, diefem den Mund aufthat, fich feiner Fahrt 
zu widerfesen, Damit er nicht weiſſazete nach-G es 

Nuſten, fondern fels Herz und feine Art in Uaſchuid 
J bes 


8, .. : 

bemanzte. Laſſet ung, da ich's nicht von mir er⸗ 
halten kann, biefe Gattung fiindfeliger Genien 
bes Menſchengeſchlechts nah allen Prädifamenten 
und Attributen von Begeifterung, Schoͤpferkraft, 
Originalitaͤt, himmelaufſtrebender, ſich aus ſich 
ſelbſ entwickelnder Urmacht u. dgl. zu loben, lieber 
die Fluͤgel falten, und das „wahre Genie, das 
a nur durch feine Beſcheidenheit auszeichnet,’ auch 


feiner, Bescheidenheit gemäß, mehr Durch das, wo⸗ 


von es nicht weiß, als das, wovon die Welt tönet, 

greifen. Ih waͤnſche nichts, als daß dieſe hinge⸗ 

worfenen Züge Leſer finden, die ihnen Wahrheit 

nigt zujauchzen, Tandberg mit ſanftklopfendem Herzen 
nach⸗ und verempÿnden. — 

en 4 

% % ’ 

Sebe edle Menfhenart fohläft, wie aller 

gute Same im ſilllen Keime: Ift da und erfennet 


fih feibft nicht. Was tr Abſicht auf Seelenträfte 


Bernie Heißt, ift in Abficht auf Willen und Em: 
vindung, Charakter.” Woher weiß bet arme 
Selm, unb woher fol er's wiſſen, welche Reize, 
Kräfte, Düfte des Lebens ihm im Augenbii feines 


Werdens zuftrömten? *) Das Siegel Gottes, die 





%) Ella si sedea 
'IUMmile- in tanta gloria 
. Cowäita dell’ amaroso nembo: 
Qual-den:cadca sul lembo 
‚ Qual gu le. trocce bionde . 
‚Qual si posava in terra o qual su l’onde, 
Petrarca. 


Berders Werte 4. Phil. u. Geſch. L. 6 


” 82 


. Dede der Shyöpfung ruhet auf ihm: er ward gebil⸗ 
bet im Mittelpuntte der Erbe. 

So viel fchen wir, daß ein Kind, wie die Ge: 
ſtalt feines Körpers und Angefihte, auch die Züge 
feiner Art zu denten und zu empfinden mitbringt: es 
ift ein geblideter ganzer Menſch, obſchon Im Kleinen. 
Du kannſt Fein Glied hinzuthun, das ihm fehlet; 

eine Leidenſchaſt, keinen Hauptzug hinwegthun, 
der da iſt. Wer das zarte Scitenſpiel junger Kin⸗ 
der und Knaben zu behorchen, wer nur in ihrem 
Geſichte zu leſen weiß: welche Bemerkungen von 
Genie und Charakter, d. i. einzelner Men⸗ 
ſchenart wird er machen! Es klingen leiſe Toͤne, 
die gleichſam aus einer andern Welt zu kommen 
ſcheinen: hie und da regt ſich ein Zug von Nachden⸗ 
ten, Leldenſchaft, Empfindung, ber eine ganze 
Welt fchlafender Kräfte, einen ganzen Iebendigen 
Menfchen weiſſagt, und- es tft, duͤnkt mich, bie 
plattefte Meinung, bie je in einen Pablerkopf ge⸗ 


Tommen, daß alle menfhlihe Seelen gleih, daß 


fie alle als platte leere Tafeln auf die Welt kommen. 


Keine zwei Sandlörner find einander gleih, ge— 


fhweige folhe reiche Keime und Abgründe Son 
Kräften, ald zwo Menfchenfeeien, ober ih hätte 
von dem Wort Menfchenfeele gar Eeinen Gedanken. 
Auch das Leibnigifhe Gleichniß von Marmorftüden, 
in tenen der Umriß zur künftigen Bildſaͤule ſchon 
da lieet, duͤnkt mie noch zu wenig, wenigfiens zu 
todt. Au Kinde iſt ein Quell von mancherlei Le⸗ 
ben, nur neh mit Duft und Nebel bededt; eine 
Knofpe, In der der ganze Bam, die ganze Blume 
eingehuͤllt bluͤhet. 





83 


Micht zu fruͤh reife fie auf, diefe lebensſchwan⸗ 
gere Kuofpe, la’ fie fih in's Laub der Beſcheiden⸗ 
beit und oft Dumpfhelt, wie wir fagen, verfieden: - 
Es iſt ein mnerfegliger Schade, wenn man die liebe 
iungfräuliche Blume aufbricht, daß fie lebenslang 
weite. Fuͤhlſt du bie_Freuden bee Morgenröthe, - 
ihren lieben erfien Dämmerungsfirahl nicht? War: 
te! die große Sonne wird fchon hervor fchreiten. 
man auch mit der Anferziehung junger menfchlicher - 
Pflanzen nicht genug eilen. Da ftehn fie, bie 
jungen Männer, die Kinder von hundert Jahren, 
daß man ſieht und fchauert. Die verworrene * 
zung, bie ſich, wie Winfelmann ſagt, suerit 
durch einen fliegenden Reiz verräth, muß gleich be- 
ſtimmt, Erfahrungen und SKenntniffe, die erft 
Früchte männlicher Tahre ſeyn follten, mit Gewalt 
bineln gezwungen werben, daß In weniger. Zeit: 
Juͤnglingen felbft die Luft zu leben vergeht, die aͤch⸗ 
ten Srenden ber jungen Sabre immer feltuer -wer=- 
den, und Uebermuth, Vorwitz, Tolldühnhelt, Aus⸗ 
ſchweifung fi) mit elender Schwaͤche und Mattig- 
keit abwechfeln oder .enden. Wenn ein Mann vor- 


der Suͤndfluth, ein Patriarch, oder auch nur, (ſehr | 


unidealiſch geredet) ein alter treuherziger Bauer 
Begriff hätte, den Auffchrei. und bag unverfhämte 
Gekreiſch unferer jungen Genie's zu richten: arıme 
Menſchheit, wie würde er. dich bedauern! 
| Sf Genie und Charakter nur Lebendige 
Menfhenart, nichts mehr und nichts minder: 
bemerfet dieſe, nähret. die innere Quelle, übt bie 
Thaͤtigkeit und Elaftichtät der Seele, aber nur wie. 


84: :. 


ſi escit. om wit. Mogtgcaechtui 
ohuesKeun: am Rörpen old Sexlo lihuuumigs.dems . 
auch das kleinſte Kiad aiſt ein lebendigen Miewid: 
und. bet-:alle menſchlichen Stelentraͤfte, nicht; bluß, 
wie aͤhr⸗ waͤnnt, die edle Gedaͤchtnißgabe. Abes wie 
die Naum alles wach ſenlaͤßt, muß auch ihre edelſte 
Pflanse, das Menſchergeſchoͤv, machten in. Hallen; 
wehe dem, der Kins her Unſchuldigen durch feine 
Frublugheit; und ordanngalaſe Sittenweitcheit, viel⸗ 
leicht auf immer zerſtoͤrt unh aͤraert —. 
IJ Der arwmochende Juͤngliag ſindot ſich audevcaes· 
ſcheide eines Lebens, wen: fi Knabenn uud Jang⸗ 
LUnasſcer trenten.· Dft erſcheint Ike. da Selen 
niugrund zeigt Ihm site: uud Höhen feiner Zalunſt, 
abes nur — In: bunfaler Tramme. Indeſſen auch 
einem Greiſe, am latzten Tage ſeines Lebendidft. 
den Zxeum der Jugeud, der erße Puloſchaag all⸗ ſeb⸗ 
nes kuͤnftigen Lebans, prophetiſche Enszitung. 
er zu ſeinem kuͤnftigen Merbund Weſen use 
wenis Entwickelung hraucht/ findet feines Gatwickter 
‚and leicht. Ein Euklades, eine: Uhr, ein Bes 
maͤhlde, ein;Blatt unbekannter Ziffern wockte m Ta 
herauf, ale ob's Apollo ſelbſt mit der Leier 
fuͤr andere iſt viel Gefahr, Erfahrung, oft. ein Ru⸗ 
bikon noͤthig. CAfar an Mexunders Dild⸗ 
ſaͤule, Alexander au Achllles Grabe weinend — 
welch; ein weiſſagender, rührember :Anbiitt! :: Da 
ſchlaͤft's In der Seele, oder vielmehr es ſchlaͤft nicht 
mehr, kann aber jetzt nur in Thraͤnen heraus, eluſt 
wirds andere heraue ſtroͤmen. 
Auch hier. entheckt nur Seele die Serie: :elgne 
gute Menſchenart kanne dine frembe: Menſchenart al⸗ 


a 


B 


85 


Kein erſehen,itueutund mhaen. Die: ie er⸗ 

“ fahfungsvoller, ftiller, neidloſer Greis, desrden 
ZZucegling/ verloren· in Bar: Teibit,! beuiserfet, und 
itm Tin Bert Tpkicht ,; das lobensſang «in Feiner 

Secletoͤnet. Oder ea wirſt derfeibe nur ſo winen 
Bliack, Vehtt'Zehchen , reine @inählohle- ſorglos neben 
.: Meyhteder:t bet Sungling nahen fie auf, fier-war 
lange todo uni? verge fen, eb Da-glinmmt-fien: gerade 

"jet; ana der⸗ Zid die ſer Wicdergefthlagingeit, Druͤb⸗ 
fa and Nulte cwieder: er waͤrmt· fein Herz ann ihr, 
als Timer ſie jetzt eben: wom Milben der iebe und 


ef ſind dene men Schiffer, ſchon under'm 

: Ausebeht der Morgenräshe, / Stuͤrme befehteben.. Gr 
verfhlägt, komnit in's Land der Ungeheuer und: Rie⸗ 
fon, Wwerrgeräth in die Saͤrten ber Ar mi dia. Gluͤck⸗ 
Bay; wert Age idie Ooͤttinn · mit dem Spieget der 
Wahrheit bald erſchlen, daß er ſich feibſe ſehe / und 
Meer ermanne Alßdann / ween er zeitig genug 
entlommnt ‚wären iihm abe Qturme und · Wafchrten 
ſehr Auͤnich, die: ſeim unverfuchtes Sadiff uͤbten. 
Jeder vdre Wihberſtand, jedes tiefe und. fitike Leiden 
prägt treffilche Zage uns im Geſicht und: Seele: 

die ren Rriunpherunferer Jugendzeit werden das 
runetum · safſiens unferes ganzen lehdigen Lebens. 
Jammertfaber, wenn der Jgling unteritegtz wenn 
er druͤue noerca ober hinuͤber zie henden⸗ Gogeaftänden 
gm neheweilet! Ee verbitderiifih wird hart und- 
rre⸗ der weich und iſtern, und verhaucht ſein 
Deden⸗ in enz: ber Jahre. Zu ftuͤh geitehwfet.. 
Atkebloſet er wieder und. verſteht nichts anders. Zu 
fr aa Lumaerhefebadet Abergieht er alles mit 


% 


v 


86 | 


Menſcheuhaß und Galle: fo find viel gute Menſchen 
ganz ober Halb verloren. 

Es tft bekannt, daß eine Eiche lange und lang⸗ 
fam wachfe, dagegen ber Erbihwamm in Einer 
Nacht auffhießt. Auch bei den ſonderbarſten unb 
zu den größten Dingen berufenen Menfchen trifft 
dieß oft ein. Junius Brutus blieb lange brutus: 
Eimenes ging lange mit dem Bettelſack number, 
ber ihm ſchlecht anftand: und Correggio war 
nicht jung mehr, da er fein io son pittore ausrief. 
Der edle Menfch hat die Himmelsleiter in fi, die 
er erft hinauf feyn muß, ehe ihm ein Wort entfabre: 
der Alltagsſchwaͤtzer, das ift, der gute Kopf, der 
redfellge Menfch von leichter Lippe, iſt immer, auch 
ehe er angefangen bat, am Ende. Cr hat, wie 
man fagt, alles gleih weg. Er kann den 
Ocean mit einer aufgelnadten Nußſchale zum Nach⸗ 
tifh ausfaufen — — 

O du heilige, liebe Stille zarter, befchelbuer 
Gemuͤther, wie wohl thuſt du! Wohl thuft du bem, 
der Dich genteßet: er erfpart fih hundert Worwarfe, 
Gaukeleien, Wunderniffe, Fragen und Zweifel; er 
erfpart andern den Anblick der Muͤhe und gibt 
That. Newton, der Jüngling, hatte alle Theo⸗ 
rien, die fein Leben verewigten, fertig, und wußte. 
nicht, daß er fie Habe. Der Fall eines Apfels un- 
ter dem Baume lehrte Ihn das Syftem der Weiten, 
und zeitlebens blieb er der befcheibene, ſtille, Fenfche 


Mann, ber wahre Gotteſsverehrer. Siehe Shas 


keſpear In fein Geſicht, ob da auf ber fanften 
ſtillen Flaͤche, in dem fih alle Gegenftände, Hand⸗ 


‚tungen und Charaktere ber Welt ſpiegeln konnten, 


! 


87 

der Affenwis, bie arinfenbe Gchabenfrende, ber 
Yahoo. herrfchte, der andre Geunie's auszeichnet? 
&r war und blieb Schaufpieler, der fi nie einmal 
zu beh erfien Rollen erhob. Bako's Lichtfeele 
Hatte mit dem Geſtirn viel Aehnlichkeit, bei deſſen 
erfinfterung er allemal In Ohnmacht fanf: er bren- 
wet nicht, aber er glänzet fanft und leuchtet. Welch 
ein Uebender Menfchenfänger muß Homer gewe⸗ 
fen feyn, wenn man den immer gleichen und fanf- 
ten Strom feiner ®efänge hinabgleitet! Wie fillle, - 
neldlofe Männer Virgil und Horaz, Petrar- 
ca und Lafontaine, Kopernifus und Kepp- 
{er, Montagne und Sarpi. Der Schwärmer 
Malebranche ließ fih von R. Simon erft 
lange mit der Kritik martern, ehe er feinen Des: 
cartes fand. Luther Fämpfte Tange mit fi, - 
che er mit der Welt anfing zu fämpfen, und blieb 
immer, troß eiſerner Härte und Stärke, im Werke 
feines Berufs, im Privatleben der weichfte und red: 
AUchſte Mann, der mit fich feibft mehr rans, als 
manche von ihm glauben — — 

Ueberhaupt iſt's Knabengeſchrei, was yon dem 
angeborsen Enthuſiasmus, der heitern, im⸗ 
mer ftrömenden und ſich felbft belohnenden Quelle 
des Gente's da her theortfirt wird. Der wahre 
Meuſch Gottes fühlt mehr feine Schwähen und 
Grenzen, als daß er fih Im Abgrunde feiner „po⸗ 
fitiven Kraft” mit Mond und Sonne babe. Er 
ſtrebt und muß alfo noch nicht Haben: ftößt ſich 
oft wund an ber Dede, bie ihn umgibt, an ber 
Schale, bie ihn verſchließet, geſchweige daß er fich 
insmer Im Empyreum feiner Allſeligkeit fühle. Der 


"88 


Strahl, ber Ihm bisweilen tief in ſein Innetes: 
wird, was er fey? und was kein anderer: fuͤr(gͤhn 
ſeyn folle? iſt meiſtens nur Trofkbiid, nur Kelch 
der Stärkung zu neuem Fortſtreden. Je unendiiher 
das Medium, die Weitſeite ift, für die er unmit⸗ 
telbar hinter feiner Erdſcholle Sinn hat: deſto mehr 
wird er Kraftiofigleit, Wüfte, Verbannung fpären, 
und nady neuem Saft, nach höherm Auffluge and: 
Vollendung feines Werks lechzen — — - 


Ich koͤnnte noch lange Züge ber Art hinzelh- 
nen, bie freilih nur für den Verftändigen da fte- 
ben, und dem großen Haufen Unfinn feinen fol 
len; aber was hülfe e8? Dem Mann, ber Genie 
und Charafter, d. i. gute eigne Art hat, wie, 
. Gott fie Ihm gab und er fie niht umfonft empfan- 
gen zu haben glaubet, fagen dergleichen Strihe un- 
endlich weniger, ald er feibft weiß, und da fie dem 
Haufen Krähen, Spagen und Elitern ohne Iwelfet 
nichts fagen, fo ruhe, lieber Kiel! gib Ihnen lie- 
ber eine Definition vom Genie und feinen man= 
herlei Arten, dem univerfalen und partifu- 
laren, philofonhifhen und aͤſthetiſchen, 
hiſtorkſhhen und pſittaco-kritiſchen Ge— 
nie u. f. " 


— 


« 
* 2 
Aber leider! kann ich von meinem: Gaͤnſekieb das 
nicht erhalten. Er ſchnattert mir vor, daß das je 
keine Unterſcheidungen der Natur, ſondern 
menſcolicher Zunfte and Buͤch er find, daß aber 
bie Natur nicht mach den Faͤchern unferer Nepofito- 


es 


gg 


rin und nach ben" Doktorhuten uhreren' Fänsiiiten 
eincheile. Er hat das Gänfegenie md’ den’ Skäfe- 
charakter, kaut zu ſagen, daß in dieſen Zetlen Und 
Betirtken oft der geſunde Meuſchenverſtaͤnd und 
Menſcheucharakter, die das einzige wahre? Genie 
find, aufhoͤre, ja haͤtte Beinahe Luſt, Leber die Stra⸗ 
fen ber Schuſter und Schneider, Troͤdler und Lein⸗ 
weber, Jaͤger und Miethkutſcher durch zu ſchuattern, 
und Ihr mauncherlei Gente zu begudfen. — — 
Du haft reiht, Weber Kiel!’ deun kein Gaͤrtuer Hat. 
noch feine Gewaͤchſe nach dem blauen ober rothen Topfe 
genannt, in die er fie etwa ſetzte, goſchselge daß 
ein Botaniſt bloß bie Kräuter, die auf Miſtbeeten 
und in Treibhaͤuſern wachſen, für die ganze leben⸗ 
dige Flora angefehen hätte. Man müßte alſo ent⸗ 
weder aus der Seele heraus qhuratteriſiren, 
oder alle die Stellen, - Formen und Berlin 
gen durchlaufen, in und zu denen bie Nutur jethre 
Meufhen bildet. Wer Fans das aber? und wer - 
raun alfo Gente’s einteilen und wWurätterifiten?- 
— Indeffen laßt und weritsftend Eine Eiutheilung 
verfaden! — | | 
In allem, was Kraft tt, laͤfſfet ſich Jauig⸗ 
keit und Ausbreitung unterfhrtden; for maß 
ed andy: bei der Menfhenart ſeyn, und das 
‚wäre etwa eine Cintbellnng. Ein Menſch; det ſtark 
ta ſich ſelbſt iſt, fuͤhlet ſich nut in weniges, aber 
ſeht tief hnein, und kann faſt in Eluet Sache leben 
mad weben. Das ſind Menſchen vor ſtarkem Enn, 
von tiefem Erteunen und Eipfinden, und die Mut⸗ 
ter Natur hatı dieſe Gattung hrer Kluder ſelbſe 
ſchon bezeichnet. Man ſiehet kelnen unſtaten Witt, 


⸗⸗ 


90 


ein kleines fllegenbes Fener, keine verworrenen 
halbentworfenen Zuͤge: was bie Bildung ſagt, ſagt 
He ganz, elnfaltig und tief in Wirkung. Ein Menſch, 
der fi durch alle Glieder und Leidenfchaften alſo 
ſtark, geſund und wohl fühltes wie teen muß er 
alles empfangen und geben! von wie vielen Ber: 
fireuungen, Vor⸗ und Halburtheilen frei ſeyn! ein 
ſterbliches Ebenbild goͤttlicher Staͤrke und Einfalt. 
Gegen zehn kleine Laſter gewapnet, verachtend 
viele kleine Triebfedern, handelt ex lieber durch 
Eine große, ſiehet nicht auf andre, weil er ſie ſelbſt 
fuͤhlt m. fe — Eine andre Gattung von Kraft er⸗ 
fest durch Ausbreitung, durch Lebhaftigkeit und 
Schnelle, was ihr an tiefer Iunigleit abgeht. Ste 
find Esprits, Geiſter, alle Farben im Spiele, 
' Die Natur hat ihre Bildung befeelet, ihnen 
Neigungen gegeben, die nicht Gluth, aber Strah⸗ 
fenfhimmer weit um fie her find. Voll Phantafie, 
Flug, Anlage, Leichtigkeit zum Entwerfen, zum 
Verfünbigen, zum Borzeigen, aber wenig von Be- 
ſtandheit, That, Ausdaurung — — So könnte ich 
eintheilen und viel Spielwerl machen, wie Ah nun 
der Here Verſtand und'die Fran Empfins 
Yung babei verhalte? wie diefe beiden Klaffen von 
Denfern und Empfindern gegen einander nöthig 
find, fich einander einzufchränten, zu ſtaͤrken, zu 
heben? daß die Innigkeit Miittelpuntt, die Aus⸗ 
breitung Radius fey un. fe — Hinter alle dem 
Spielwerk aber, was wäre nun beftimmtes gefagt? 
Und braͤchen fih nicht noch Immer die Grade Pe 
Innigkeit und_Yusbreitung unenbiih in⸗ 

und auseinander? - 


91 


Nun koͤnnte ich die Geelenträfte alphabetiſch 
durchnehmen und zeigen: 

That in the soul, while memory prevaile 

The solid poW’r of understanding fails 

Where beams of bright imagimation play 

The memory’s soft figures melt away — 

wie e6 dem weifen Pope zu nennen belicht bat. 
Oder mit Bako bie trodwen, kalten Unterſchei⸗ 
dungs macher von deu warmen erhabenen Pa a⸗ 
rern nener Gedanken und Bilder ſondern; eine 
Atheilunng, worin ‚allerdings mehr tiefe. und be⸗ 
ſcheidene Wahrheit iſt, als in jenem popifchen 
Klingklang. Oder mit Paſcal die deux sortes 
d’esprits, l’un de pénétrer vivement et profon- 
dement les cons&quences des principes — l’es- 
prit de justesse: l’autre de comprendre un 
grand nombre de principes sans les confondre, 
l'esprit de g&ometrie — was melftend auf meine 
erfte @inthellung von Innigkeit und Ausbreitung 
der Geiſtesaabe binausläuft — Diefe deax sortes 
d’esprits fönnte ich verfolgen und mit: Huarte 
gar die vier Kapſeln des Sehirus darnach orbnen 
— — aber genug! laß alles bie zur Aufgabe Ir- 
genb einer europaͤlſchen Bocietät, bie gern willen 
-möchte, mas Genie fey? und wie vlelerlei Genie 
es gebe?. 

Gewaltig grob ik ber Korper ber allgemeinen 
Menſchennatur, und wer weiß, wer an ihm Faͤſer⸗ 
‚hen vom Auge oder ein Theil der Herzmustel, 
Nagel am Fuß oder ein Haͤutchen ber Fingerſpitze 
fey? „das man fi abrafpelt, um feiner zu empfins 
„den,“ vote ber jängfie Theoriſt aller gelehtten Ge⸗ 


— 


+0 92 
nie's, die Qupſubler ug —RX I) ausge: 


nommen, bemerft hat. 


Lieber will ich mit cin paar Augeme inen Anmer⸗ 
kungen das Ganze meiner ·bangweblisen Abandlung 
ſchließen: 

1 Iſt etwas in ihr wahr: ie Teint, 
ide Gott zwiſthen Guy findenund Denben in 
-- upferex Natur gemucht hat! Ein‘ feines Dewebe, 
: wur ⸗durch Wortferntin von elwandes "zu ‚trennen. 
Das oberſte GSeſchopfiſcheint mit une Car kon zu 
haben, eim pfirnd on zu. müſſen, wenn es da Ganze 
nicht ans ſich ruft dd enter. Und welches Ge⸗ 
ſchoͤpf kann das? Keins als unſere Philsſoͤphen/ die 
Lehrer and Lehrlinge: am hohen Baume der Weisheit. 
2. Alles ſogenaunte reine Denken ıtaybdle 
BGottheit hinein, iſt Trug und Spiel, Herdnofte 
Schwaͤrmerei, die ſich nur feibſt might: dafuͤr⸗ otken⸗ 
net.“ Alle cufer Dielen iſt aus und due Eepfiu⸗ 
dung entſtanden, trägt auch, trotz allen Deftillation, 
davon noch reiche puren. "Die ſogencunten rei: 
nen Begriffe Hub uteiſtens reine Viffern nad Heros 
von der mathenntiſchen Tafel, wad-Haben, platt 
: "amd plump auf Nuturbinge unſerer fo"gufanmenge- 
festen Menſchheit angrwandt, auch: Stffewhiserth. 
Dem Manne, der in der ganzen neuern Metappofif 
. . Diele GSeiſterchen deffadıt und abthut bet: warten 
mehr als dead Geſpenſterhelden Tyemwrtusth: 
rentraͤnze; nar nf er ſich isch wicht wer manthem 
leeren Schrecken/ uud vot Seife dit fer Eeiſrehen 
in ic Goſicht, fuͤrchten. 
Einigen drucke den Gwen finden ms au ·ent⸗ 


, 95:2 
gehon zu -wollem.; daburch daß man- Die Wärbe- bi: 


ſes Lobeno ltaktteie, IR eia gefahrlicher Syritt, ' 


dena DraAume⸗ wie Hamlet fagt; odek wie wir 
fagten ‚ Cinpfiwdangen- und Gedanken mif- 


Li 


fen: wleder -Tommen, - Und nun weiche Empfin- 


dungen dw ohhe Gedanken? Man trete an einen 


Entislöten, frage, warmn ePEthat? wie kiein die 
Urſechen.waren? : mie leicht abzuthln, wenn man 
nur in ihn geblidt hätte? und nun verfhloß er fih: '- 


ber Baum nahın feine Gewalt zufammen, um fic 
zu eutwurzeln — da liegt er. Verdorret, aber Wur⸗ 
sel und Zweige find an ihm; und wo iſt bie Dryade, 
die biefen ganzen Baum beiebte? wo iſt fie? 

4. Unſterblichkeit einer metaphpfifhen Monas 
iſt nichts, als metaphyfiſche Unſterblichkeit, deren 


— 


Phyſiſches mic nicht uͤberzeuget. Iſt Seele das, 


was wir fühlen, wovon alle Völfer und Menſchen 


willen, was auch der Name fagt, das nämlich, was 


uns befeelt, Urgrund und Summe unferer Ge⸗ 


danfen, Empfindungen und Kräfte: fo iſt von ihrer 
Unſterblichleit aus ihr ſelbſt Feine: Demonftra- 
tion möglih. Wir wideln in Worte ein, was wir 


herauswideln wollen, feßenvoraus, was kein Menfh 


erweifen kann, oder auch nur begreift oder verftehet, 


und koͤnnen ſodann, was man will, folgern. Der. 
Uebergang unferes Lebens in ein höheres - 


Leben, das Bleiben und Warten unferes 


Innern Menfhen aufs Gericht, bie Auf— 


erfiehung unferes Leibes zu einem nenen 
Himmel und einer neuen Erde läßt fi nicht 
demonftriren aus unferer Monas — — Ä 


5. Es iſt ein Inneres Kennzeichen von be | 


9 


Wahrheit der Belisien, dab fie. sans und gar 
menſchlich iſt, daß fie weber ——** noch 
gruͤbelt, ſondern denkt und handelt, zu denken und 
zu handeln Kraft und Vorrath leihet. Ihr Er⸗ 
kenntniß iſt leben dig, die Summe aller Erkennt⸗ 

niß und Empfindungen, ewiges Leben. Wenn's 
eine allgemeine —A und Em- 
pfindung-gibt, iſt's in ihr, und eben das iſt ihre 
vertauntene Seite. 





Ay yvas ra das Beos, üdımv dan. 


Einige Geſpraͤche 
über Spinoza's Syftem; 
nmeb ſt 
EShaftesburts Naturhymnus. 


1800 
X 


Borrede_ 
sur weiten Ausgabe, 





Schon vor mehreren Jahren Hätte dieſe Ausgabe 
zrfheinen können, mit. der ich aber aus verfchiedenen 
Urſachen fäumte. 

Seit 1787 nämlih, (in welchem Jahr diefe Ger . 
räche gedrudt waren) hatte fih im philofoppifchen 
Sorizont Deutfhlands manches geändert. Der Name 
Spinoza, den man vorher gewoͤhnlich mit Schauber 
wnd Abſcheu nannte, war feitdem bei einigen fo hoch 
geſtiegen, daß fie ihn nicht anders ald zur Verunglim⸗ 
pfung Leibnitzens und anderer treffliher Geiſter zu 
vennen wußten. Ja, man hatte fein Spftem fo gemiß, 
braucht, daß, vergeffend alle Schranken menſchlicher Ge: 
kenntniß, die Er fo richtig anerkannte, man ben Kegel 
“uf den Kopf ftellte, und aus einem eingebilbeten en, 
gen Ich das gefammte Weltall, feinem ganzen Inhalt 
nah, auszuſpinnen ſich erkühnte. Diefen objektlofen 
Traum nannte man den transfcenbentalen Spt, 
nosismng, und Höhnte den alten Spinoza, daß Er 

fe weit nicht gelangt war. Andererfeits fuhr man fort 
BSerdero Bat . Phileſ.u.Geſch. 7 


9% 

zu behaupten: „Spinoza Habe Gott zeriheitt, ihm 
das Denken geraubt; fein Gott fen nur ein Kollek⸗ 
tivname.” Und fuhr dennod fort, auch zu behaup: 
ten: „Unter diefem Kollektivnamen Tiege bei Spinoze 
altes in Ketten blinder Nothwendigkeit gefangen. 
Spinoza’s Gott jey ein defpotifher, wilder Polyphenr, 
dem Er das Auga geragber.” — In fo anmaßend ab: 
fprechenden Zeiten durften anfpruchsiofe Gefpräde über 
Spinoza's Syſtem Eelnen erireufichen Anblick des offnen 
Sonneniihtd erwarten.. . 

Da indeflen ihr Zwed nicht geweien war, Spinoza’g 
Syftem in jedem gebrauchten Ausdruck zu reiten, oder 
es gar zu apotKeofiren, wohl aber, es verfländlich zu 
mahen, und durch Weghebung einiger Wortwände zu 
zeigen, wohin Spingza wollte: fo durfte und darf ich 
diefer, einem achtungswürdigen Denker ertviefenen Pflicht 
der Menfchheit, mich nicht ſchämen. Archytas's 
Schatte bei Horaz fhien mir zuzurufen: \ 

— — „Sciffer, verfäume du richt dem unbegrabnen 

Haupt und meinen Gebeinen ein wenig 

Fliegenden Staubeb zu ſchenken. — 

Eileſt du gleich; dus darfſt nicht ange verweilen; ein Saudwoll 

Erde dreimal auf mich! dann fegle weiter.‘ 
Warum folte ich ihm diefe Liebe nicht erjeigen? Jahe⸗ 
Hunderte hindurch ift das Reich der Wahrheit Ein zu: 
fommenhangendes ungetheiltes Reichs wer Mißverftänd: 
niffe voriger Zeiten hebt oder mindert, Täufer damit dem 
Verſtand zukünftiger Seiten. 

In einer andern Sprahe und Denkart gebildet, 
war Spinoza gewiffermaßen ein Fremdling dei 


99 


Wirms, in werchem er-{driebs Torbem es alfa nicht 


Bernunfe und‘ Billigfert; daß man feinem- Ausdruck 
zurechthelfe, nicht aber zuerſt an den Steinen 
kaue, d. i. ſich ausſchließend an die haͤrteſten Worte 
halte? Einen Schröftfteter: aus ſich ſelbft zu erkide 
ren iſt die homestas jedem honasto fdufbig. ' 
Ueberhaupt gehört zu Beurtheilung und Erfaſſung 
eined Syſtems, in welchem auf Zreih.eit und 
Zreude des Gemüths, auf wahrhafte En 
kenntniß und thätige Seligkeit alled ankommt, 
ein vorurtheilsfreier Tiberaler Sinn: denn wie 
erzwänge fih wahres Erfenntniß, froher Sinn, thätige 
Liebe? „Seligkeit, fagt Spingza, ift niht Lohn der 
Tugend, fondern die. Tugend ferdf: Nicht 
weit wir die Seidenfhaften bezwingen, find 
wir felig; fondern weil wir es find, bezwin: 
gen wir jene.” Ein Gleiches iſt's auch mit dem Er; 


Innen der Wahrheit. Weil wir fie erkennen, bezwin⸗ 


gen wir Vorurtheile; dagegen was in ihr dem Uebelr. 
wiſſenden ein ehern Joch dünft,, wird dem wahrhaft 
Erfennenden das thätige, das Königliche Gefek der Frei: 
heit. „In Ihm leben, weben und find wir,” 
fügte der Apofter; „wie find feines Geſchlechts,“ 
hatte ein Dichtek vor ihm gefagt, den der Apoftel mit 
Beifall anführet. Mit derfelden Zreigeit, mit ber 
Paulus Worte eines Dichters, die der Inbegriff die: 
ſes Syſtems find, anführt, durfte ich dieß Syitem 
erfäutern. 

Den Play der verſprochenen Adraften möge vor 


4. 


/ 


100 


Ser Hand Sthaftesbury's Naturhymnus erfegen. 
Eine weitere Ausbildung durfte ich ihm nicht geben, 

als die ihhm in den beliebten Gefpräden der Moralists 

der Bufammenhang erlaubte. Was ber Iyrifhen Boll⸗ 
kommenheit abgeht, erftattet der Inhalt. 


Nicht Vollkonmenes nur, nicht Wahres, Schoͤnes und Gutes; 
Waprpeit und Guͤt· it Er, md die Vollkommenheit ſeibſt. 
Feinde ſchafft ſie zu Freunden, zum Lichte — 
Wen Gott liebet, der liebt, ſelig von allem gellebt. 


Borrede 
sur erfien Ausgabe 





Zehn oder zwölf Jahre find’s, feit ich eine Kleine 
Schrift mit mir umher trug, . die den Namen: Gpis 
noza, Shaftesbury, Leib nitz führen ſollte. Sie 
war fertig in meinen Gedanken, und ich ging mehr: 
mals an die Ausführung derfefben ; allemal aber warb 
ich unterbrochen , und mußte ihe eine andere Gtunde 
wünſchen. 

Neue Zeitumſtände führten mich unvermerkt zu fol 
genden Gefprähen. Man würde ihren Smed fehr vers 
innen, wenn man fie bloß für eine Chrenrettung 
des Spinoza hielte; bei Verftändigen hat Spinoza diefe 
khrenrettung nicht nöthig, und er ſollte, meinem Zweck 
vemäß, jetzt bloß die Handhabe eines Opfergefäßes wer . 
den, aus weichem ich einige Tropfen bem Altar meiner . 
Jugend darbringen wollte. "Warum ih von Spinoza 
ausging, Tag theild in der Reihe meiner Gedanken, 
theils in Veranlaſſungen, die meine Zeit mir darbot. 

Niemand indeß nehme meine Schrift fo auf, als 
ed ich irgend einer gangbaren Philoſophie vor: oder 


— 


: 10% 

jwifchentteten , fie verdrängen, Parteien herausfordern, 
ober zwifchen Parteien ein unberufener Schiedsrichter 
werden wollte Es find Gefprähe einiger Perfonen, 
die ihre Meinungen mit eben dem Recht äußern, mit 
. welchem jeder andere feine Lehrfäge darſtellt. Geſpraͤche 
find Feine Entfcheidungen , noch minder wollten fie Zank 
erregen: denn über Gott merde ich nie ftreiten. 

Sehnlicher wünfhte ich, daß, was bier in Ge: 
foräh dloß angedeutet werden Konnte , eine unferer 
Philoſophie angemeſſenere Form erlebte. Nur einen 
ruhigen, hHeitern Eommer wünſchte ich mir für meine 
Abraften oder von den Gefeken der Natur, 
fofern fie auf Weisheit, Macht und Güte .ard auf einer 
innern Nothwendigkeit ruhen. Da ich aber beftimmt 
bin, in meinem Leben ferbft der Nothwendigkeit, nit 
der Willkür zu folgen: fo wird die ewige Wahrheit, 
wenn ihre mein Merk angenehm ift, mir auch Muße 
dazu verleihen. Zufrieden wäre ih, wenn biefe kleine 
Serarbeit einige unbefangene Liebhaber der PHilofophie 
erfreute, Kennern gefiele, und hie und da einem Irren⸗ 
den den Weg zeigte.’ | 

eimar, den 23. April 1787. 


sSerder. 


> * 





— — — — — 


Erſtes Gefpräd. 


Yhllolans. Gehen Sie, Theophron, bie 
erquickende Stunde, bie mach dem ſchrecklichen Ge⸗ 
witter folget. Schwefelwolken thuͤrmten fih auf, 
die und den Anblick der Sonne nahmen, und alles 
Irbiſche In ſchweren Othem ſetzten; fie find zer- 
tekmmort, und alles haucht wieder Teicht und froͤh⸗ 
Uch. So ſtelle Ih mir den Suftand der Wiſſenſchaft 
vor, da Spinoza und feines gleichen ber Welt deu 
Yabliz Gottes mit Ihren: ſchweren Däuften rauben 
wollten: biefe thuͤrmten fich auch. sum Himmel em⸗ 
yor, und umzogen das Firmament; aber eine ge- 
funbere Philoſophie hat fie wie die Rieſen binun- 
tergeftärgt, und ber nachdenkende Geiſt erblidt bie 
Arahlende Sonne wieder. 

Theophron. Haben Sie den Spinnza gele⸗ 
fen, lieber Frennd? 

Philolaus. GSeleſen habe ich ihn nicht; mer 
wollte auch jedes binkle Buch eines Unſinnigen le⸗ 
Gent Aber das habe. ich ans dem Munde vieler, 
De ihn geleſen Haben, daß er ein Atheift und Pau⸗ 
cheiſt, ein-Lehrer der blinden Nothwendigkeit, ein 
Feind ber Offenbarung, ein Spütter der Religion, 
mithin ein Verwuͤſter der Staaten und aller buͤrger⸗ 


104 ” . j 
Uden Geſellſchaft, kurz ein Feind bes menfhlichen 
Geſchlechts geweſen, und als ein folder geſtorben 
ſey. Er verbient alſo Haß und Abſchen aller Men⸗ 
ſchenfreunde und wahren Philoſophen. 

Theophron. Die Gewitterwolke indeſſen 
verdiente ihm nicht, mit der Sie ihn eben verglichen 
haben: denn fie gehäst zur Naturordnung und if 
heilbringend und nuͤtzlich. ber, ohne Gleichniß zus 
reden, haben Ste, mein Freund, auch nichts Naͤhe⸗ 
ces und Beftimmtes Aber Spinoza gelefen, woran 
wir uns Im Geſpraͤch halten könnten? 

Philolaus. Vieles, z. B. den Artitel über 
ihn in Baple. 

Theophron. An Bapyle haben Sie dieß⸗ 
mal nicht eben den beſten Gewaͤhrsmann. Er, dem 
ſonſt alle Syſteme gleichguͤltig waren, weil er ſelbſt 
kein Syſtem hatte, blieb in Abſicht des Spinoza 
nicht gleichguͤltig. Er nahm eifrig Partei gegen 
denſelben, wozu ihn ohne Zweifel Umſtaͤnde der Zeit 
und des Orts veranlaßten. Vielleicht lebte er dem 
Verſtorbenen zu nahe: die Lehre, ja ſelbſt der Na⸗ 
me des Spinoza war damals ein Schimpfwort, wie 
beide es großentheild noch jeßt find: alles Unge⸗ 
zeimte und Gottloſe nannte und nennet man zum 
Theil noch Spinoziſtiſch. Nun war es des feinen 
Dialektikers Bayle Sache wohl nicht, ein Spftem 
als Syftem zu ergründen, und mit dem tiefften Ge⸗ 
fühl der Wahrheit ganz zu beherzigen. Er burd- 
flog alle Lehrgebäube, nahm ſcharfſinnig ihre Ver⸗ 
ſchiedenheiten auf, fofern fie ihm zu feinen Zweifeln 
dienten: jetzt war ihm biefe Meinung wichtig, jetz⸗ 
“ eine andere; von dem aber, was Ianere philoſophi⸗ 


N 


Jahrzahl bes Moreri und bie Frage: ob ein 
Gott fey ? wieviel berfelben feven ? woher das Boͤſe 
in ber Welt entipringe? n. dergi. beichäftigen ihn 
mit N reiten Intereſſe. Ich glaubte aber, das ge: 
höre zum Woͤrterbuchſchreiber. 
Theophron. Dahin wollen wir Bavle 


ſtanigſten Gedankenſpieles. Nennen Sie mir einen 
andern Schriftfteller, der fo viel und vielerlei mit 
gleicher Aumenth, mit gleicher Aufmerkſamkeit ums 
faßt ober berührt hätte? Er war der philoſophiſch⸗ 
hiſtoriſche Voltaire feiner Zeit, deffen Ltebhaberet 
ſich vom erhabenften Gegenſtande bis zur Fleinften 


Aieinigkeit eines hiſtoriſchen Umſtandes, einer Anek⸗ 


dote, eines Buͤchertitels oder gar einer Zote er⸗ 
ſtreckte. Fuͤr einen Geiſt ſolcher Art war nun Spi⸗ 
noza's Syſtem eben nicht. Dieſer eingeſchloſſene, 
ſchwere Denker harte von allem, was Meinung war, 
einen vielleicht zu wegwerfenden Begriff, und ging 
mit mathematifher Genauigkeit der reinen Wahr: 
heit nach, wo er ſolche zu finden glaubte, Fuͤr fie 


N 106 


rgaß er alles auberr, cund vor Baptist Wlehre 
mkeit, von feinem Win nud Scharſſtun Hutter 
elleicht nicht Eins gegen Taufend, Zwei Käpfe 
icher Art werben einander ſchwerlich Getechtigkeit 
ibderfahren laſſen, und doch bin ich aͤberzengt, bitte 
Splnetza gegen den Verfaſſer des Woͤrterbuchs 
‚er gethan, als der muntere, vielgeſchaͤftige Bayle 
gegen Spinoza thun mochte. Dieſem warf man 
han in ſeinem Leben vor, daß er Spkuoza's Spſrem 
ht recht gefaßt habe, und ex hat: ſich gegen biefen 
orwurf in einem eigenen Fr verteidigt”). 

Philolaus. eb ulfo far Spiueza: dem 
w den größten Haufen hat eben doch: Bapte Ben 
iegeiff feftgefeht, den man von: ihm heget. Wie 
enige lefen Spins’s bunkle Scheiften, und alle 
zelt lieſet den tauſendfach abwechſelnden, ange- 
Amen Vahyle. 

Theophron. So iſtie, mein Freund, und doch 
ich nicht ganz alſo. Fuͤr das leichte Heer von * 
en hat Bayle den Begriff von Spinoza firirt; let⸗ 
er aber: für den fchweren Phalanı haben es mel- 
ens ſtreitende Philo ſophen und Theologen gethau, 
ad da iſt ihm noch aͤbler begegnet. Es ging. ihm 
ah dem Evangelio: ſeine naͤchſten Hausgenoſſen 
urden ſeine aͤrgſten Feinde, die Earteſianer. Sie 
ollten und mußten ihre Philoſophle, von ber er 
nsgegangen war, und mit beren Worten: er ſprach, 
‚u ber. feinigen abfondern, damit wicht auch ſie in 
m Verdacht des Spinoziemus : kämen: natuͤrlbch 
it fich dieſe philoſophiſche Behutſamkeit von bes 





*) Oeurr. de Bayle T. IV: p. ı69. ı70. 


— 


107 


ertefras· die auf· Ede: nachfelgenbe Yerbeeftı 
diegen die Theologen feft alasıftlenfi 


. Wuirlsikberre 
Binen: gegen ihm led; denn er hatte nicht nur Ab 


dad Zudenthum und die Bücher des alten Teſi 
ment feine Melnung fehr frei, Ihnen ſehr anſtoͤſ 
tzeaͤnßert, ſondern, welches ihnen wiel ärger duͤnk 
mußte, er hatte zuerſt vorgügiih gegen fie ti 


Geber ergriffen. Ihrer Streitfucht, ihren Zaͤnl 


relen fhrieb er einen grogen Theil vom Verfall d 
Sheikentiyums, van der Unwirkſamkeit der ſchoͤnſt 
Lehrſatze · deffelben au, und ob er die gleich oh 
Bitterkeit that, fo koͤnnen Sie ſich doch lebcht d 

Phaͤlo launs. Die iſt mir vor Augen. HU 
gen Parteien darf nur ein Friedensſtifter ohne Bo 
macht zwiſchentreten, und er bat beide gegen ſi 
Weite Vollmacht aber- hatte ber Tube Spinoza? 

Theophrou. Keine andere Vollmacht, a 
die er glaubte aus: der Humb ber Villlakeit und Wal 
heit empfangen: zu haben; nur freilich bebiente 
fich derſelben nicht eben auf weltfinge Weile. \ 
machte ſeine ‚reiigtöfe politik in rinem Werk I 
kaunt, deien Theologie Juden uud Chriſten aı 
dringen mußte*); ſeine politiſchen Grundſaͤtze w 
ren fo ſtrack, fo ſchuurgerade, daß fie ber dama 
om Zeit gewiß nicht eingehen konnten. Tem Star 
ranmite er das voͤllige Mecht ein, den dufem Gi 


— 

*) Tractatua Theologico-Politicus, eontinens dissertation 
aliquot, quibus ostenditur, libertatem philosophandi n 
tantum salva pietate et reipwblicae pace posse conce 
sed eandem nisi cum pace reipublicae ipsaque piet: 
telli-non-pope. Hambwg. (Amıstelod.). 1670. 


_ - 108 
orbuen; der Weruunft beblelt er 
a nalte Geribeit bes Gehrande Inc fche 


vor; beides duͤnkte ben metften fo übertrieben, als 
ob er Feuer und Waſſer mifchen weilte. 


Seine 
Theorie alfe mußte nothwendig fheitern, wie fie\ 


Dann in manchem auch und noch jetzt zu hart, zu 
Hobbeſiſch duͤnkt, ob wir gleih In Grunbfägen vr 
Duldung weit vorgerädt ind. — Lode, Baylı 
Shaftesbury u. a. singen leifer. 

Philolaus. Und doch mußten auch ſie dul⸗ 
den, ehe ihre billigſten Saͤhe allgemein anerkannt 
wurden. In Materien folher Art Hat freilich ein 


disputirender Dialektiter, wie Bayle, oder ein eine | 


Heldender Dichter, wie Voltaire, viel Vortheil vor 
dem ernften Philoſophen, ber feine Säge ſtrack hin⸗ 
ſtellt. Jene dürfen und können immer fagen: „ich 
habe uur disputirt, Wahres und Falſches einander 
entgegengeftelt, und beides eingekleidet; man 
wähle!” Yu biefem angenommenen, immer verdäus 
derten Gewande gehen fie nicht nur fiherer, ſondern 
wirken auch defto Allgemeiner. Baple machte ge⸗ 
wiß auf fein Seltalter mehr Wirkung, als Spinoza 
und Leibniz; Voltaire mehr als Rouſſeau oder als 
anbere noch firengere Philoſophen. 

Theophron. Wie man’ nimmt, Philolaus; 

es gibt eine zweifache Wirkung. Eine breitet fi 
weit umher; eine andere wurzelt um fo feiter. Ich 
wollte, daß ein philofophifch = Fritifcher Drann, kein 
Juͤngling, zu unferer Zeit den theologiſch⸗ politifchen 
Verfuc des Spinoza mit Anmerkungen herausgaͤbe). 





I Er IR feitdem uͤberſetzt erſchienen (Sera 1787), aber 


| 


109 


@4 wäre ein nägliger Verſuch, zu fehen, was bie 
Zeit in Ihm bekräftigt ober wiberlegt habe. In ber 
Sen Aber bie Schriften bes alten Kefisments amente has 

ben ſeitdem manche manches als eine —8 Ent⸗ 
deckung, Dazu unvollkommener geſagt, das in Spi⸗ 
noza bereits gruͤndlicher ſtand. Im Punkte der To⸗ 


Frel⸗ 
lich iſt in dieſem Wert, wie in allen feinen andern 
Schriften, alles hart gefagt; für Werke ber Einbll⸗ 
dungskraft, Poeſie z. B., hatte Spinoza nur einen 
metaphyſiſchen Sinn; in der ganzen Kompoſition 
feines Werts ift er ein einfamer Deuter, dem bie 
Grazie bes Weltumganges, des einfchmeicelnden 
Vortrags unbelannt war, und, wie mich bünkt, 
wohl auch unbelaunt fepn burfte. 

Philolaus. Nur darauf fenen Sie es, Theo⸗ 
phron? Ein Menſch ohne Srundfäke, ein Atheift, 
ein Pantheift m. f., über welche Materie könnte ber 
ſchreiben, daß er bei Vernänftigen Eingang fände? 
Er fol fogar den Pantheismus und Atheismus ha⸗ 
ben bemonfiriren wollen; was gebt über den 
Unfiun? 

Theophron. Den Atheismus und Pantheids 
mus bemonftriren? und beide zugleich? Wie finb 
beide In einem und bemfelben Syſteme möglich? 
Der Yantheift hat doch Immeg einen Gett, ob er 





ohne bie Anmerkungen, die Hier gewuͤnſcht Werden, 
Seine Ethik it mit Anmerkungen begleitet, Unmert. ' 
der zweiten Ausſsgabe. 





’ 


| lio | 
füh gleich In ber: Natur Sottes irret; Ver io 
hiagegen, der Gott fihlesterbings laͤngnet, Mm 
weber Pautheift, noch Volytheit ſeyn, wenn man 


nicht mit dem Namen ſplelet. Ueberdem, m Be, 


wie kann man ben Atheismus, d. i. eine Negation, 
erweiſen? | 


Phaͤlolaus. Warum nit? wonn miniche 
innern Widerſpruch Im Begriff von Sott entbecktr⸗ 
oder zu entdeden glaubte. 

Therphron. Einen iunern Widerſpruch ine 

im hoͤchſten Begriff, deſſen die Menſch⸗ 
heit A iR? ich bekenne, daß ich davon nichte be⸗ 


greife. 
Pyilotaus, Deßhalb war er auch ein tiNeflas 
alger, bee demonſtriren weilte, was nicht zu de⸗ 
mouſtriren war: dem unſere nee Philoſophie ſagt 
laut? „weder daß ein Gott ſey, noch daß er niit 
ſoy, iſt zu demonſtriren. Das: erſte muß man ale 
Poſtulat annehmen und — glauben.“ 
Theophronu. Se, wuͤrde ein--anbarer-fagen, 
muͤßte es wenigſtens freiſtehen „Eins von beiddu 
zu glauben und: als Peſtulat anzunehmen, d. i. 
Atheiſt, Deift oder Theiſt zu ſeyn, nachdem wir 
Glauben haben.“ — Doc laſſen Sie diefen Puntt 
waberähtt: Gpinsza fen Atheiſt, Panthoiſt oder 
eine Zwittergeſtalt von ‚beiden goweſen, ſo ſchmer⸗ 
zen mich die Beinamen, Die Ste einem Unbebann⸗ 
son geben. In ber Phlivſophte find wir aus Dee 
Selten ber Ehrentitel hinaus, mit denen Spinoza 
no: von Korthold, Bracher und aubeem. ge- 


naunt ward; Der Erſte⸗ glaubte wihtg zu: ſeyn. 


wenn er den Benedictus in einen Maledkotus und 


\ ) 


_ 


411 


den Mauren. Gplunpein einen- —;X 
wsiehrte: Del andern ſund bie: Veiworte „neh, 
gihlod, unfiunig, umverfädmt, geitestäfterlih, per 
ſulentialiſch/ abſcheulich⸗⸗ — Formeln, nie 
denen fie ihn aus dem Reiche ber. Outer: eitiren. 
Cin:Ermwählter. dat fogee das Zeichen ber ewigen 
Verwerfung anf feinem: Geſichte gefunden: aubere - 
baden ihn auf feinem: Todesbette um Erbauung 
winfein hoͤren. Ich bin kein Spineziſt, und werde 
nie einer werden; die Art aber, mit ber man uͤber 
dieſen verlebten ſtillen Weifen bie Urtheile des ve⸗ 
tigen Jahrhunderts, des jaͤmmerlichſten Streittahr⸗ 
hunderts, noch zu unferer Zeit wiederholen will, 
ich geſtehe es, mein Freund. Philolaus, iſt mir un⸗ 
ertraͤglich. Hier hahen Sie ein Vuͤchelchen ˖ von acht 
Bogen”), in: denen noch dazu das Meiſte ein: Ge⸗ 
wiſch von Aumerkungen iſt, die Ste gang uͤberſchla⸗ 
sen duͤrfen; es iſt nichte als das LebenuSpino⸗ 
zas, ſehr trocken, aber mit hiſteriſcher Genauigksit 
emaͤhlt: denn man ſieht, daß der Serſae um ier 
dea Uenſtand beſorgt geiwefen. Gin: unpasteilfiber 
Mann hat es gofchtieben; Nie Sa ſandern 
ein evangelifher: Paſtor, der „vor Gott bezengt, 
daß er in Spinoza's theologiſch⸗ politiſchem Traktat 
nichts Gruͤndliches gefunden, noch etwas, das in 
dem Glaubensbekenntniß, womit er den evangeli⸗ 
ſchen Wahrhelten zugethau iſt/ Uhn im gorlugſten 
auf der Welt zi —— sewefen; weil 
— ber gr ae Beweise man nichts als vor⸗ 
bedungene Saͤtze, uud was man Inden Schulen pe- 


*) Leben des Spinoza von Joh. Aolerue. Franfi. 4333. 





112 


«itiones prineipii nennt, barinnen finde.” einem 
ſo vorfigtigen Führer können a 6ie amwer⸗ 


—* fo lege ich Ihnen auch des Atheiſten Weite 
felbft hin; leiber find es nur zwei Eleine Bände. 
Philolaus. —— den Tpeophron wide. 


nem evangelifhen Yafter, alfo gefchrieben, und alfe 
gebrudt, Tagen? 


Ein fonderbarer Mann, biefer Epinoa. Wie 
"and ſein Syſtem ſeyn möge; es iſt etwas Wahr⸗ 
heitſuchendes, Standhaftes und Selbſtbeſtaͤndiges in 
ſeinem Charakter und Leben. Er legt ib auf 
die jübifche Theologie und verläßt fie, um bie Na— 
turlehre grändlich zu erlernen; bie Werke bes Des⸗ 
rartes Tommen ihm in bie Hände, und da er fie wit 
fonderbarer Begierde gelefen hat und nachher bes 
kennet, daß, was er an phtlofophifcher Erken 
befige, er aus ihnen gefchöpft Habe: fo wendet er 
ſich HR vom Judenthum weg, weil er fich uͤberzeugt 
glaubt, daß er den Lehrfägen beffelben nicht weiter 


folgen 
*) In Heidenreich Natur und Gott” (B. 1. Leipg. 
4789) iſt der erfte Theil des Wurfaked la vie et l’esprit 
de Mr. Benoit de. Spinoza überfegt. Obgleich enthufias 
ſtiſch gefchrieben, ſtimmt dieß elogium eines feiner 
Sreunde und Bekannten dennoch mit Colers Lebens⸗ 
beſchreibung sufammen und iR merkwürdig, Anmerk. 
der weiten Musgabe. 





AA — — —— — 


1ls 


fhigen"tönne. Man bietet ihm ein Jahrgeld von 
faufenb Gulden an, damit er une fernerhin die Sp 
Hagdge Befuchen möge; er ſchlaͤgt es auge, nnd jiehet 
ſſch ohne Getaͤuſch in die Stife, Man thut ihn Im 
den Bann! er anfworfet; und lernt in. der Stille 
eine Handthlerung, fid felbft zu naͤhren. Meid 
ehr anderes Betragen, als In Ähnlichen Umſtaͤnden 
des unglucttichen, brauſenden Yeofta*), der nicht 
zur Rhe kommen Fonnte, Bid ihm ber Tod Ruhe 
hate! Sch wollte, dad man Spinoja's Antwort 
auf den Batın der portugiejlfhen Synagoge in Am 
ſterbam (wenn fie nicht fogleich zertiſſen und abge⸗ 
than It) erhalten Fönnte; fie würde uns die ür⸗ 
fahen felnes Entſchluſſes, wie inich duͤnkt, eben fo. 
ſtatrt und bündig, als fanft und ſtille fagen: bean. 
ed Herefht ein fanftmüthiger, ſtiller Geiſt in dieſes 
Mannes Leben. Jetzt verfertlgt er optlſche Glaͤſer, 
md lernt won ihm ſeibſt zeichnen, Der Lebens be⸗ 
(reiben hat eine Sammlung ſeiner Zeichnungen in; 
Haͤnden gehabt, darunter auch Perſonen gewefen,. 
die bet Ihın mur einen Beſuch abſtatteten, die er. 
alfo wahrſchelnlich aus dem Gedaͤchtniß gezelchnet. 
Unter biefen Uebungen war auch Maſaniello in ſei⸗ 
ner bekannten Sifcherkleidung, vor dem der Wirt: 
bes Spinoza verſſcherte daß dieß Bid ihm ſelbſt 
ahnlich geſehen habe, Ein jonderbarer Einfal, fi. 
als Mafanlello zu seinen; oder vielleicht ein, 
Wirths eknfal. — Yun ſchleiſt Spinoza Gläfer, - 





) ©. Uriel. Acostae exemplar hamanae: vitao hinter Afıqt 
borchs amica collatione eum Judaeo, Basil. ı?%o. und 
in Müllers Bekenntnigen mertw. Manncr, IL. Theil, 


derders Werte . Phlioſ. u. Eeſch. IX. 8 


114 


feine Sreunbe verlaufen fie, und er lebt ſparſam; in 
gwei bis drei Tagen fiehet er oft niemand. Viele 
Hieten ihm ihren Beutel und Ihre Hülfe an; alles 
aber fchlägt er beſcheiden aus, Lebt von geringen 
Speiſen und ſchließt feine Nechnungen alle Viertel- 
kahre, nur damit er wicht mehr aufwende, ale er 
aufjuwenben habe. Er ift, wie er feinen Hauslen- 
ten fagt, eine Schlange, die mit dem Schwanz im 
Munde einen Eirkel macht, anzuzeigen, daß ihm 
von feinen Jahres - Einkünften nichts übrig bleibe. 
Ich Habe das Symbol unter feinem Bilde gefehen, 
and es thoͤricht auf fein Syſtem gedeutet. — Welch 
ein wahrerer Philoſoph In dieſem allen, als manche 
dieſes Namens! Er will nicht mehr ſammeln, als 
was noͤthig ſey, um mit Wohlſtand begraben zu 
werden; er will aber auch niemanden zur Laſt fal⸗ 
len, und nur durch ſich felbſt leben. Sein Betragen 
iſt ſtill und friedlich: Here uͤber feine Leidenſchaften 
zeiget er ſich nie weder fehr traurig, noch ſehr froͤh⸗ 
lich. Geſpraͤchig troͤſtet er die Leidenden ſeines 
Hauſes und ermahnet fie, ihre Ungluͤcks faͤlle als ein 
„son Gott ihnen zugeſchicktes Loos“ gebulbig zu er⸗ 
tragen: er redet den Kindern zu, daß fie den Got⸗ 
tesbienft fleißig befuchen möchten, und unterrichtet 
fie, wie fie ihren Eltern gehorfam feyn folten, fragt 
feine Hausgenoffen, melden Nuben fie aus der an⸗ 
gehörten Predigt geſchnnd Hält hoch von dem 
erbaulichen, guten Geiftlihen, ber bier genannt. 
wird*). „Eure Meligion iſt gut, fpriht der ſtlile 


*, Ein Worgänger eben des Colerus, der fein Leben ges 
ſchrieben. 


115 


Weite, ihr habt nicht nöthig, eine andere zu fuchen, 
noch daran zu zweifeln, daß ihre dabei bie Seligkelt 


erlangen werdet, fofern ihr nur ber Gottſeligkeit 


euch ergebet, und zugleich ein friedliches und ruhl⸗ 
ges Leben fuͤhret.“ Sein aufrichtigfter Freund bie: 
tet ihm ein Geſchenk von zweitauſend Gulden an, 
um mit einiger mehrerer Bequemlichkeit zu leben; 
er verbittet es freundlich. Jeuer wii ihn zu feinem 


Erben einfeßen; er nimmt die Wohlthat nicht an, 
und ſetzt das Jahrgeld, das biefer ihm In feinen: 


festen Lebensjahren aufdringt, faft noch um bie 
Hälfte herunter. So lebt er, und fticht In feinem 
fünf und vierzigften Jahr eben fo ruhig, als er ge- 
lebt hatte. Wenige Stunden vorher hatte er mit 
feinen Hausleuten noch ein langes Geſpraͤch über 
die gehörte Predigt, und ehe fie Nachmittags bie 
Kirche verlaffen, erblaßt er In Gegenwart feines 


Arztes. Sein ganzer Nachlaß beträgt nah dem 


Berfauf 590 Gulden und 14 Stüber, um welde 
Eumme ſich noch feine Anverwanbten zankten. Ein 
ſanfter Schimmer firahlet durch fein Leben: denn 
man fiehet, wie ſeine Freunde ihn lieben, wie alle, 
die ihn kennen, ihn fchäßen, und wie er ſich deffen 
nie uͤberhebt, Leinen ſtoͤrrig abweiſet. Als ihm. 
der Churfürft von der Pfalz eine Lehrftelle auf feiner 
Untverfität antragen I ber Freiheit nach ſei⸗ 
nen Srundfäßen fortzu en., wie er es ſeinem 
Vorhaben am bienlichiten finden würbe, antwortete 
er vorfihtig: „er wife nicht, In welche Schranken bie: 
Freiheit, feine Meinungen zu erklären, eingefchloffen 
ſeyn folle, damit es nicht fchtene, daß er die Landes⸗ 
religion ftören wolle”, und nahm den Ruf nicht an. 





2 


4 

Von feinen Meinungen „weiß. ic frelllch noch 
alt, was ich zu halten habe; ſelbſt aber, bie bier 
als. irrig angefährten, wahrſcheinlich feine aͤrgſten 
Stellen, tragen bei,aller Yaraborle dad Siegel .ber 
Veberzeugung deſſen an, ſich, der. biefe Meluungen 
degte. Gr will ſie keinem aufbringen, er. will kelne 
Sekte ſilften, amd. zwar nicht ‚aus Menſchenſurcht, 
Tondern ‚aus, Scheu, die Meinungen ‚anderen Men- 
(hen auch nach .felnem Tode zu ftören.. „Während 
feines Lebens hat er nichts herausgegeben „. Ald,ei 
nen Kleinen Traltat, ‚mit welchem er Nabe zu 
ten gedachte; als die ſe Bemuͤhung fehlſchlug, wohnte 
et init. feiner Phlloſophle allein und verbrennt we— 
nige Tage vor. ſelnem Tohbe noch eine angefangene 
Ucherſethung des alten Teſtaments, damlt fie auch 
nach feinem Tode kelnen Unfrlehen verurſachen 
moͤchte. Ich wollte, daß er fie nicht. verbrannt 
hätte: beim hatte fie keinen Werth In ſich, ſa 
fie bie Zelt doch vertilget. Ä 


i ® & ; 

Wohlan alſo zu feinen Echriften! Ste find 
nach feinem Tode erfchlenen; er hatte fie, wie. ber 
Augenfchein zeigt, für fich Telbft gefchrieben. . Und 
es find meiſtens Fragmente”). —R 


*) Bd. S. opera posihuma Iagao Com. ) 467. 





117 


A ber Berfetäng der Verſtanber 
namd von vem Wege, auf: wecken 
u. man an beiten zur wahren Keane 
„nieder Dinge netanget). 


„Velehrt von der Enfegrans, daß Ira ‚md 
une Isngemeinen Lehen häufis-hegegwes, eis leorer 
Tandıfen weit ich fah, daß alles, was ich fuͤrchtete/ 
In: Hi felbfh: woder Boͤfes woch Gutes habe, als for 
fern dae Gemuͤth dadurch denen wird, entſchleß ich 
mich vndlich zu forihen, ob es etumd:gehe, das 
wahshaft aut. foy-und. ſich mittheile, fe 
daß; nis. SBertvenfung: alles. :anhesa,- die Serie: vor 
ihm allein / afficiet wuͤrde7. ja ob os twas gebe, bad, 
mw ich s faͤnde und haͤtte, mir einen unvorruͤckten 
buhfen-undewigen Freudegenuß gewaͤhren Lönne d 
W ſage „daß/ iii. mich emblich entſchloſſene“ 
beun dem erſten Anblick mach ſchien es unrathſac 
zuſeyn, um eine mir danmls ungowiſſe Sache. eine 
gewiſſe/ verlieren zu wollen; ich ſah naͤulich die Bora 
tee, die aus Ehre und Roichthum entſpringen, 
un bie ich nicht· weiter ſuchon müßte, ſobald ich mich 
eroſtlich sach. meinem ‚neuen. Zweck: wonden wollte⸗ 
Yye: alſo das hoͤchſte Gluͤs in Ihnen: ſo fahe:ich 
wohl, daß Ad: deſſelbon oeutbohren muͤßte; fände es 
ſech· aber in ihnen alcht, und ich jagte Ahnen doch nach: 
ſe můßte ich ſelner auch entbehren. Ich · uͤberlegte 
eek mir ſelbſt, ob⸗ os nicht · moͤglich ſey, zu male 
som neuen Zued odrr wenigſtens zur Gewißheit be 
lemmen; daß es einem: ſolchen gebe/⸗ mem ich auch 


— — — 
j ‚Irdetutes de imtelleckus entondatione in app: poschum. 
Bpihöane p} 36H. 


“ 


118 


‚meine gewöhnliche Lebensweife nicht veränderte; 
dieß verfuchte Ich oft, aber vergebens. Denn was 
ans gemeiniglich im Leben vorfommt, unb von den 
Menfchen (nach ihren Handlungen zu urtheilen) für 
das. höchfte Gut angeſehen wirb, laͤßt ſich auf dret 
Stuͤcke bringen: auf Reichthuͤmer, Ehre und Luft. 
Durch alle drei aber wirb das Gemuͤth fo zerſtreuet, 
daß es an Fein anderes Gut irgend gebenten kann. 
Denn was die Wolluft betrifft, fo taͤuſcht fie das 
Gemuͤth eine Zeitlang, als ob es in einem Gut 
ruhe, und hindert es damit an irgend ein anberes 
Gut zu beuten; bald aber folget auf ihren Genuß 
de tieffte Traurigkeit, bie ben Geiſt, wenn nicht 
feffelt, fo doch ftöret und ftumpf macht. Auch wen 
wir Ehre und Reichthum verfolgen, zerfireuet fi 
die Seele, Infonderheit wenn wir jene um ihr ſelbſt 
willen begehrten, well fie uns aledann ein hoͤchſtes 
‚Gut bünten. Und zwar zerfireuet bie Ehre das 
Gemuͤth noch mehr ald ber Reichthum, weil fie 
fortwährend als ein wahres Gut und als der 
legte Zweck gefchäßt wird, nach welchem man alles 
einrichten müffe. Ferner findet bei Ehre und Reichs 
thuͤmern zwar nicht, wie bei dee Wolluſt, bie Reue 
ſtatt; fondern je mehr man von beiden befißt, deſto 
mehr freuet man fich, und wird mehr und mehr an=' 
geregt, fie zu vermehren... Schlägt aber bei irgend 
einem Sufalle die Hoffnung fehl: To bringen beide 
bie größefte Traurigkeit. Endlich iſt auch die Ehre 
deßwegen ein großes Hinderniß, weil, um fie zw 
erlangen, man fein Leben nothwenbig nach der Denk 
art anderer Menſchen einrichten muß, daß man 
. nämlich fllehe, was fie fliehen, und fuche, was ſie ſuchen. 


119 


yDa ich alſo Tahe, daß dieß alles mir Hinberniß 
joy, mich auf mein neues Werk zu legen, ja mit. 
denſelben in ſolchem Widerſpruch Hehe, daß ich von 
einem oder dem andern nothwendig ablaſſen muͤſſe: 
ſo werd ich gezwungen zu forſchen, welches von hei⸗ 
den mir nuͤtzlicher wäre? Denn ich kam, wie geſagt, 
in ben Gall, ein gewiſſes Gut für ein ungewiſſes 
aufgeben zu wollen. Als ich aber biefe Ueberle⸗ 
gung etwas fortgefeht hatte, fo fand Ich zuerſt, daß, 
wenn ich meine alte Lebenswelfe gegen bie neue ver⸗ 
tauſchte, ich Immer doch nur ein feiner Natur nach 
ungewified Gut gegen ein auberes ungewilles aufs, 
gebe, bas feiner Natur nach nicht ungewiß 
ſeyn könne, weil ich eben ein feſtes Gut ſuchte; 

erw das nur fofern zweifelhaft bliebe, ob Ich's 
erreiche? Durch fortgefehtes Nachbenten kam ich, 
sar fo weit, einzuſehn, daß, wenn ich alles recht, 
amd ganz überlegte, ich gewiſſe Uebel gegen ein ge⸗ 
wies Gut vertaufhte. Ich ſah nämlich, daß ich 
in der größeften Gefahr ſchwebte, und in ber Noth 
wire, ein auch ungewilles Nettungsmittel mit allem: 
Kräften zu ſuchen; wie ber Kranke, ber, wenn er 
kein Mittel braucht, den gewiſſen Tod vor fih fies. 
het, auch ein ungewiſſes Mittel mit allen Kräften 
Inden muß, da feine ganze Hoffnung darauf berus 
het. Alle bie Dinge aber, denen ber große Haufe, 
nachſtrebt, gewähren nicht nur Fein Mittel zur Er⸗ 
haltung unferes Seyns, fonbern fie. verhindern daſ⸗ 
felbe auch, und find oft die Urſache des Untergangs 
derer, bie fie befihen, Immer aber bie Urfache des _ 
Untergangs berer, bie von ihnen kefellen werben. - 

„Es gibt viele Beiſpiele von Menfchen, die ih⸗ 


4 


120 

res Relchthums wegen ſich dis auf den —— 
gen Tiefen, auch Belſpfele von Menſche 

Güter zw erlangen, fi fo vielen en 

tet, dag ſie endlich Ihre Thorheit mir‘ ns ne 
boßten Nicht wenlgere gibt es die ee 
erlaigen ober jun erhalten, aufs elendefte send 
unzahllze Beirpiele endlich Find won ſolchee ferne 
deh, die durch übermäßige Wolf Tore: Ed" dem 
ſchleunlgt Haben. Aue dieſe edel ſchelnen ir Sm 
her zu kommen, daß das ganze Glück ober WER 
in der Beſchaffenhelt des Seg ee 
Iteht, dem wir mit Liebe zugethan fiber 
etwas, was man nicht Hebt, entſtehet keſneStretcke 
ham gramet ſich nicht daruher, wenn es Or 
det man fühlt Fehten Neid, wenn er Ar 
beſitzt, keine Furcht, teten Hapy mir; Tote wer 
muthsbewegung; welches alles zutrifft, veund man 
ſe vergängiihe Dinge Lebt, wie alle bie ſiaz, vw 
denen wir blaher geredet Haben. ziehe ader zarite: 
nem eigen und unendlichen Gegenſtauhe kann an 
Fehde der Seele zewahren, eine Freude, die vvn 
feiner Traurigkelt weis; wahrllch ein fehr We 
ſchenswurbiget Zweck, nach weichenn man TE Ar: 
ins ſtreben muüßte! Ohne Urſach aber Her: 

der nicht des Anedtucs Be — 





— daß, (he REN 
m a ——— ar; ſo Ak 
a un es jene le And iger 





| 
| 


Deascie —* 

fe wentoßtas Doktor nicht 16 aröß, :diß: ehe 
sangen wit Unobalolca Wnfadge: Danyei 
Bedonı ſtwiſclendaame ſetden maren⸗ und· aur tuczo 
Belt daurrten! ſonanen fien Doch, made: ich dae 
wenn Eute mehr und mehe erkenaen lerute/ nicht 
sanfter; ſondern danerten auch baͤnger? zumialba 
un eiaſih / hafe ber Erworb / des Gelbes ober die Luſt⸗ 
und: Ohrbeglerbe' Inc: To‘ Tu —* diedem 
Wildist want iie vico et, fonderu als 
—— Sucht mun fe ale inter, fo Me 

A De Bern und dindern wRhe,' ſondern forbern 
—— — getangen, deßhaid mar 

4 

v,leeohl tag ame Biryi ſigen; was ich ee 
wehrte Salt e Verftege, uad zugleich, a6 DAB 


Be, et une nur begtefunigsn ne 
geſegt werden, ſo, daß eine und dieſelbe Sache gut 
nn: uͤbrt hethen kanu In verſchledener Ruͤckſicht: Te: 
A vottromm eh und unvoltko miren. Dei 
REN auch kamt nirchts volllommen oder uh% 
v onnnen genanut werben, vorgaͤmlich weil wir: 
Ah, Viß auet, was zeſchieht, nach einet ewigen 
Oernunge und nach zewiſfen Raturgeſethen —— 
Dar Are der ſchwache Menſch dieſe Ordnung wii“ 
—— * nicht erreicht, und fi dubel in 
ce merkte Natur deakt, bie vlei feſter als 
Maige ſed, da: keinx Hinbetnig ſieher, warum er 
ee Farbe Ratur icht ertungen Fölinte: ſo wirb wo 
angoeci TREE Du ſfuchen/ die ihn zu diefer SET 






-122 


Iommenheit führen. Alles, was ein Mittel ſeyn 
kann, dahin zu gelangen, heißt ihm ein wahres 
Out; das hoͤchſte Ent aber if, dahin zu ge= 
langen, daß er mit andern Individuen, wo möglich, 
einer ſolchen Natur geniefe. Was bieh für eine 
Natur fep, werben wir an feinem Ort feben: fie 
ſey naͤmlich Erkenntniß der Vereinigung, 
die mein Jauerſtes (mens) mit der gan- 
sen Natur hat. Dieß iſt alfo der Zwec, nach 
welchem ich fitebe, eine folhe Natur zu erlangen, 


und daß viele fie mit mir erlangen mögen; d. £, zu. 


meiner Gluͤckſeligkeit gehöret es auch, Fleiß anzu⸗ 
wenden, daß viele andere das einfehen, was ich 
einfebe, daß Ihr Verftand und ihre Begierde völlig 
mit ber meinigen übereinftimme. Und bamit dieß 
werde, fo iſt noͤthig, daß fie won der Natur fo viel 
verfiehen, als noͤthig ft, eine ſolche Natur im er= 
langen; ferner, eine Geſellſchaft zu ftiften, in-wel- 
der eine große Anzahl auf die leichtefte Art mit 
Sicherheit dahin gelangen möge, Weiter muß man 
auf die Moral: Philofophie und auf bie Lehre von 
der Erziehung ber Kinder Fleiß anwenden, und 
weil die Geſundheit kein kleines Mittel tft, dieſen 
Zweck zu erreichen, muß die gange Mebichn in Orb- 
nung gebracht werben. Weil auch durch die Kunſt 
viel Schweres leicht gemacht, viele Zeit erfpart und 
viele Bequemlichkeit für's. Leben erworben wird: fo 


iſt auch die Mechanik auf Feine Weiſe zu verachten. 
Bor allen Dingen aber iſt eine Art auszuftunen, wie 


der Verftand geheilt und (wieferu es aufangeweife 
gefhehen kann) gereinigt werde, bamit er die Sache 
ohne Irrthum und aufs beſte einfehen lerne. Jeder⸗ 





[ - — — ie 


123 


wmanıı fichet bierans, daß ich alle Dinge auf Einen 
Zweck, auf Ein Ziel richten wolle, nämlich daß man 
zur eben genannten hoͤchſten Vollkommenheit bes 
Menfchen gelange. Was alfo In den Wiſſenſchaften 
alchts zu unferm Zweck beiträgt, muß als unnuͤtz 
verworfen, kurz alle unfere Gedanken’ und Handlun- 
gen zu biefem Zweck gerichtet werden. Well aber, 
wenn wir den Verftand auf ben rechten Weg zu len⸗ 
ten ſuchen, wir auch leben muͤſſen, fo muͤſſen wie 
auch einige Lebendregeln als gut annehmen. Diefe 
namlich : | 

1. Nah ber Dentart bes gemeinen Mannes zu 
reden und alles zu bewirken, was une kein Hinderniß 
in Weg legt, unfer Ziel zu erreichen. Denn von ihm 
fönnen wir großen Vortheil erwarten, wenn wir, fo 
weit es feyn kaun, und feiner Denkart bequemen. 
Sr wird auch auf diefe Weiſe der Wahrheit ſelbſt 
ein geneigtes Ohr ſchenken. 

2. Des Vergnuͤgens nur fofern zu genießen, als 
es zur Sefundheit gehöret. 

2. Geld und jedes andere nur ſoweit zu fuchen, 
als es zum Leben, zur Geſundheit und zur Sitte des 
Landes gehöret, In wiefern diefe unferm Zweck nicht 
widerſtrebet.“ u | 


* * 
* 

Träume ich oder habe ich gelefen? Ich glaubte 
einen frechen Atheiften zu finden, und finde beinahe 
einen metaphyſiſch⸗ moralifhen Schwärmer. Welch 
ein Ideal des menſchlichen Beſtrebens, der Wiſſen⸗ 
Maſft, der Naturkenntniß iſt in feiner Seele! und 
er geht zu ihm mit fo uͤberdachtem, mühfam = ſchwe⸗ 
zem Schritt und Styl, al6 manche zur Umaͤnderung 


122 
ihres Lebens nicht An's gloſter wundern. Offenrir 
it der Aufſatz aus den Jahren des Mannes, ba’ eb 
vom Judenthum Abſchied nahm, und feine phttoſppht· 
ſche Lebensart wählte . "Cr hat dieſe fottgefeiit 
BR ans Ende feine Lebens; was mug er inte 
erreicht haben? — Abet ſiehe da‘ kommt Theo⸗ 
ptron. — a A a 
Theophron. So fleißig? Philotaus, WW 
haben bie MWitterinng nicht ganz Wahr geldbet; dir 
abgeregneten Gewitterwolfen haben uns ee Kite 
verurſacht, die man nach Ihrem Gleichniß nicht ver: 
muthen ſollte. —— 

Philolaus. Laſſen Ste mein Gleichntz may 
geben mile dieſen Band mit; ich ſehe, ich habe mi. 
an Spinoza geltret. Was, meinen Ste, pol'ty 
zuerſt leſen? ae? ergt J 

Theoppron. Seine Erin. Das uͤbrige er 
Fragment und der theologlfdj- politifche Traktat war 
eihe frühere Probe⸗Zeltſchrift. Geſfaͤllt's Ihnen, fo 
uehmen Sie einige Regeln mit auf die Seife. 

1. Ehe Sie den Spinbza Iefen, muß Mnen 
Des-Cartes, wenn auch nur als Woͤrtetbuth, We 
Tanne ſeyn. In ihm fehet Sie den Urſprung ber 
- Worte und Formeln, alfo auch mancher ſondetharen 
harten Formeln des Spitoza. Nehmen Sie hiezu 
Des: Carted Hauptſchriften oder einen ſelner Schuͤ⸗ 
lee**), unter weichen inſonderhelt Clauberg Ye 
— —— 

DE Vorrede⸗ der Herautgedern ſugrn ſetze irre 
vm Wreikiiung, vintun in dem eiufſa nia nchaet Dimafah 
ud vroh erſcheine der NAuſſntz ſey ˖ nicht vollen deq.⸗ 


un —— %. d. . 
%) Des-Cartos opp. Philosoph. Amstelod. 168. Begii Pi 


425 


Säke.bes Carteſſanlemus klar und ordentlich vor» 

trägt 3, Sle-werben, ſolche hier fu Einem Bande bei- 
dammen finden. Sodann gehen Sie an bed Des— 
Cartes prineipia philosophiae von Spinoza felhit, 
NAHE für ‚einen ſeiner Lehrlinge aufgefest hat *); 

Sie treffen in ihnen ben Uebergang zu feinem. eiges 
nen Spfteman. Einen Bam muß man nicht etwa 
nur in. ‚feinem. Gipfel: und Zweigen, fondern in 
Stamm und Aeſten, ja wo möglich ben ** 
ſungen ſeines Eutſtehens und Wachsthums nach, im 
. MBuszel, Boden und Kllma kennen lernen; geſetzt, 
daß es auch eln Giftbaum waͤre. Denn uͤſen Sie 
dleſen Phlloſophen bed vorigen Jahrhunderts nad 
ber Sprache unſerer Phlloſophle: jo muͤßte er 
Ihnen frellich, wie er vlelen noch jetzt erſcheint, ‚ein 
Ungeheuer duͤnken. 

2. Geben Sie ſorgfaͤltig auf ſelne geometrlſche 
Methode ‚Act, amd laſſen fich von ihr nicht nur 
uldt berärten, fonbern bemerken auch, wo diefe Ihn 
berüdte. Des - Gartes verleitcte ihn zu übe; und 
Er wagte ben fühnen Verſuch, fie auch ber Form 

‚les. matural. Amst. 4654.: Raari:clav. philes. at. Lugd. 
6546.) Elauberas Fhyn. Metaphys. etc. „Ku Gariasio 
M#iaplicet, fügt ‚Bribnigy audania .et.fautus nimias.con- 
. junetus. cum. styli obsrpritate , ‚confusione, maledi.- 
centia. Longe magis mihi probatur Claubergiuy 
discipulus ejus, plahus, perspicuus,. brevis, methodi? 
‚ qua.“  Leibpit. OQtium Hamnoveran. ed. Fellero. 
p- 184. £ 
*%) Amstol. 1663. „Quem ego enidam juveni, quem meas 
opiniones aperte docere nolebam, antehac dietaveram,*'* 


fagt Spitoza In feinem neunten Briefe S- 423. 


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4 


ueled Oremplard werben Sie von einer alten Hand 
ischetene Nutmrifungen auf bie Ethik und in der 
Zu ul Ir finden. Dienten dieſe Briefe zu keinem 
” Ser: do zeigten fie, wie ganz ed dem 
m feiner Pillefephie ein-Ernft geweſen, 
= 5 von Ihe überzeugt hatte, und wie 
Yin derieiben füplte. Wenn Sie dieß 
det baden und Ihnen daran etwas 
wir über Ihre Sweifel oder über feine 
ı Drltreed reden. 
FL : Ich wi Ihrem Rath folgen, ob 
Bett. 











m; 


127 _ 


Theophron. ben fäht mir eine Obe in bie 
Hand: an Bott; von einem Atheiften, 
Philolaus. Ron Spinoza? 


Theophron. Der war kein Dichter; von 
einem Atheiſten, der des Atheismus wegen ver⸗ 
braunt ward. 


Philolaus. Und eine Ode auf Gott machte: 
I win fie leſen: — 


Deo”, 


Dei supremo percita Aamine , 

Mentem voluntas exstimulat meoam ; 

Hine per negatum teatat alta 
Daedaliis iter ire eeris; 


Audetgue coeli non memeorabile 
Metari Mumen principio earens 
Er fine, defnire Musae 

Exiguo hreviore gyre. 


*) Da. diefe Ode feitdem in Koſegartens Poeflen, 
(8. 1. ©. 35.) wohlllingend Üüberfegt iR: fo ſtehe fe 
Gier , dieſe Ueberſetzung: 


ot t 


Durchwebt von deffen Odem, der ewig lebt, 

Bon deffen Gluth gezündet, der nie errifcht, 

Entbrennt die Seere, ſchwingt den Fittig, 
Steiget in nimmererflogne Höhen. 


Und ftrebet mühfaın aufwärts zum Throne def, 
Den keine Zunge nannte, Fein Hytmnus fang, 
Den Beine Schranke grenzt noch enget, 

Nicht des Beginns, noch Bed Endens Schranke. 


:OyigR men obrteriieug um, = 
"Origo, ſons et grigeipium awi En 7 
Suiquue finis terminusque " 

Prineipio sie‘ tesmiogne. F 
u 


t —5 Nempore in vinnibris 
Wmenipuimeanns ipss Dub lowiä, ie 
Partes in omnes distributus —W A 

‚ Integer usque, manens uhique.- . op 
Nec comprehensum ullis regionibus. en 
Ullisve clausum limitibus loca 
Tenent, sed omnig liber omne . 

Diditas *) in spatium vagalur. 
Illius alta est Velle patehtsa, 
Opus voluntae iesartabilis } 
Et magnus absque quastitate - 
Atque bonus sine: yunlitate. 


Cr ift der Wefen Urgrumd, und iſt ihr Ziet, 

Sein eigner enger Urgrund, fein eignes Bler“ 

Beginnt, begrenzt, beſchränkt ſich ſelber, 
Grenzenlos zwar, und deginn- und endlos. 


u⸗Sanz,ngerhellt/ untheitbar, —B— 
" GrfWtit fein Wefen jeglichen Ato mus 
Des ungemeßnen Raums und jeden 
Stiebenden Tropfen des Zeiten: Stromes. 


Ihn decken Hohe Tempel⸗Gewölbe nicht. 
Ihn faſſen nicht die Himmel, die Erden nicht: 
Frei, unumhüllet, ungefeſſelt 

Waltet und herrſcht er Im großen alte. 


Eein Will it. That. Wer ſteuert dem Machtigen? 

Wer hemmt den Unrückrufbaren? Groß iſt er 

Und gut; nicht mit der Meßkunſt Groͤßen, 
Micht mit der Güte der Sittenlehren. 


— 


re 





*) Divisus 2 dideup.pseWiridere, 








. 129 
Quod dieit, uno tempore perfcit; 
Mirere, fiat vox vel opus prius ? 
Cam dixit, en cum voce cuncta 
Sunt universa simul creata. 


* 


Cuacta intuetur, perspicit omnia, 
Atque in una solus, (solas est omnmia,) 
Quae sunt, fuerunt et futura 

Praevidet ipse perennitate. 


Atque ipse plenus cuncta replet Sui 

Et semper idem sustinet omnia 

Et fert movetque amplectiturgue 
Atque supercilio guabernat. 


Te, Te oro, tandem respice me bonus, 

Tibigue nodo junge adamantino: 

Id namque solum unumgue et omne 
Beddere quod potis est beätos. 


Quicungue junzit Te sibi et altius 0. 
Vni adhaerescit, continet omnia 


‚Steaks, flugs, im Huigefchiehet, was Er gebeut. 
Das Weltall ſchlief des eifernen Nichtfeyng Schlaf. 
Er rief: Erwache! Schnellerwadend 

Rafft' es fih auf, und erilaunt’ und Eniete, 


«Sein alfduechdringend Auge durchſchaut das ALL, 
‚Und Hegt.und trägt, bewahret und waͤrmet es. 
Almädtig herrſcht fein Wink, allmaͤchtig 

Walter des Schrecklichen hohe Braue. 


Dich flehꝰ ich, Guter! faͤhel auf mich herab! 
Mit Demantketten binde mic feft an Dich! 
Wei Dir, bei Die iſt volle Gnüge, 

Einzig bei Die, und bei Beinem ‚andern ! 


Wohldem, der Dich ergreifet, ar dich ſich hängt, 
Arn Dich fi innig fpinieget, Dich feſt —*88 
Serders Werte. Philei. u. Seſch. IX. 9 


' 230 


Teque omnibps oireumflugniem. 
Divitiis nihilgue ogaulem., 


‚Tu, cum necesge est, nullibi defieis 
Vitroque praebes omnibus omnia 
Ipsumque Ta: qui sis $uturus ; 

Omnibus. omnia.submigtstras. 


Laboriosis Tu viggr inclitug, 

Tu portus alto navifragantibus, 

Tu fons perennis perstrepentes 
_ Qui latices salientis ardent. 


Tu summa nostrie.peskorihus ‚quies, 

Tranquillitasque et pax placidissima,„ 

Tu mensus *) 'es rerum modusque, 
Tu species et amata forma. 


Dich habend, Bater, Hat er ufkes, 
Alles, was ſaͤttigt, und was befeliaf. 


Du, Bu entzeuchſt Dich Eeinem,Lder Dein bedarß 

Zreiwitiig ſchenbſt Du jeglichen. jegliches. 

Dich ſelbſt, der war, und iſt und. ſeyn wird, 
Ewiger, ſchenkſt Du dem frommen Fleher 


Du biſt dem müherliegenden Nerv' und Mark, 

Und biſt dem klippenſcheiternden Bucht und Port, 

Und biſt der durſtgeborſtnen Lippe PM; 
Lechzender Wanderer Qustientüßte.® _ 


Du bift. der Arbeitfeligen füße Ruh, - 
Biſt unfern Bufen Frieden und Freudigtett, 
Bift jeder Schönheit Urgebilde, 

Iegricher Trefflichkeit ewge Urjorm, 


- 





— N 


©). Menapr ©, Mplsurn.. 


j 26l — 
Tu meta „ pondus- Ta namersa, decor 
Tuque ordo, Tu pax atque honor atque amor 
Cunctis‘,' salusque et vita et aucta 

Nectare 'et ambroosia veluptas, 


Iu,verus.altae fons'sapientiae, 

Tu vera.lux, Tu lexzenerabilis, 

Tu certa spes, Tugue aeviterne 
Bt vatio ot: via verstaspie; 


Decus jubarque et lumen amabile 
* Et lameralmum atque inviolabile; 
Pu: suirma ‘simmeasum, duid-ultra? 
 Mehlinibis;> optilmus, umad, /üdenn, 


. Biſt Zahl und Maß, und. Zirkef und Harınonie, 
Und Pracht und Ordnung, Hoheit und Majeftät, 
Bift unfre Wonne, unfre Woltuft, 

Unfer Ambroſia, unfer Nektar. 


O du, der Wahrheit Richtſcheit, des Rechtes Norm— 
‚Dei quten Bleiſchnur, heitiges Urgeſetz, 

Du, unſre Hoftnung, unſre Weisheit, 

Eeuchfende dacker des irren Geiſtes. 


ran, Aifertkäge, Wätde goheit; wie ſingꝰ ih Diche 
ELicht, Liebe; Leben, Leabſar; ie feire ich Dip: 
Der Summen Summe! AM des Anen 
Einmziger, Ewiger, Kößter ,' Beſter! 


[| 


ur er X — 

. . Be 

3Waedeeg peter. 

Fr BEra EEE En ——— —— | : 
vyh ilotans. Ich Torte niſt meinem Spi- 

noza⸗ aber Beinahe ungeiwiffer, als ich vorher war. 


— 


Ir 


-122 


Iommenbeit führen. Alles, was ein Mittel ſeyn 
kann, babin zu gelangen, beißt ihm ein wahres 
Gut; das hoͤchſte Gut aber iſt, dahin zu ges 
langen, daß er mit andern Individuen, wo möglich, 
einer ſolchen Natur genieße, Was dieß für eine 
Natur fep, werben wir an feinem Ort fehen: fie 
ſey nämlich Erfenntnip der Vereinigung, 
die mein Innerſtes (mens) mit der. gan 
zen Natur hat. Diep tft alfo der Zweck, na 
welchem ich fteebe, eine folhe Natur zu erlangen, 
und daß viele fie mit mir erlangen mögen; b. i. zu 
meiner Slüdfeligleit geböret es auch, Fleiß anzu⸗ 
wenden, daß viele andere. das einfehen, was ich 
einfehe, daß ihr Verſtand und ihre Begierde völlig 
mit der meinigen übereinftimme. Und bamit bieß 
werbe, fo tft nöthig, daß fie von der Natur fo viel 
verſtehen, als noͤthig ift, eine ſolche Natur zu ers 
langen; ferner, eine Sefellichaft zu ftiften, in wel⸗ 
her eine große Anzahl auf die Leichtefte Art mit 
Sicherheit dahin gelangen möge. Weiter muß man 
anf die Moral: Phllofophie und anf die Lehre von 
der Erziehung der Kinder Fleiß anwenden, und 
weil die Geſundheit Fein Kleines Drittel tft, dieſen 
Zwed zu erreichen, muß bie ganze Medicin in Ord⸗ 
nung gebracht werden. Weil auch durch die Kunſt 
viel Schweres leicht gemacht, viele Zeit erfpart und 
viele Bequemlichkeit für's Leben erworben wich: fo 
tft auch die Mechanik auf Feine Weiſe zu verachten. 
Vor allen Dingen aber iſt eine Art auszufinnen, wie 
der Verftand geheilt und (mwiefern ed anfangsweife 
gefhehen kann) gereinigt werde, bamit er bie Sache 
ohne Irrthum und aufs beite einfehen lerne. Jeder⸗ 


123 


mann fichet bierans, daß ich alle Dinge auf Einen 
. Zwei, auf Ein Ziel richten wolle, nämlich daß man 

zur eben genannten hoͤchſten Volllommenheit bes 
Menſchen gelange. Was alfo in den Wiſſenſchaften 
nichts zu unferm Zweck beiträgt, muß als unnuͤtz 
serworfen, kurz alle unfere Gedanken und Handlun- 
gen zu dieſem Zweck gerichtet werden. Weil aber, 
wenn wir den Verſtand auf den rechten Weg zu len 
ten fuchen, wie auch leben müllen, fo muͤſſen wie 
aud einige Lebensregeln ale gut annehmen. Diefe 
nämlich : . 

1. Nach der Dentart bes gemeinen Mannes zu 
reden und alles zu bewirken, mas uns Fein Hinderniß 
in Weg legt, unfer Ziel zu erreichen. Denn von ihm 
Fönnen wir großen Vortheil erwarten, wenn wir, fo 
weit es feyn kann, uns feiner Denfart bequemen. 
Er wirb auch auf dieſe Weiſe der Wahrheit felbft 
ein geneigtes Ohr fchenfen. | 

2. Des Vergnuͤgens nur fofern zu genießen, als 
es zur Sefundheit gehöret. 

3. Geld und jedes andere nur foweit zu fuchen, 
als es zum Leben, zur Geſundheit und zur Sitte bes 

Landes gehdret, In wiefern dieſe unferm Zweck nicht 
widerſtrebet.“ | 


% # 
. * 

Träume ich oder habe ich gelefen? Ich glaubte 
einen frechen Atheiften zu finden, und finde beinahe 
einen metaphyſiſch⸗ moralifhen Schwärmer. Welch 
ein Ideal des menfchlichen Beſtrebens, der Willen: 
ſchaft, der Naturkenntniß iſt in feiner Seele! und 
er geht zu ihm mir fo auͤberdachtem, muͤhſam⸗ſchwe⸗ 
rem Schritt und Styl, ale manche zur Umaͤnderung 





i | 124 


ihtes Lebens nicht In’s Kloſter winner. Rfente— 
iſt der Auſſatz aus den Fahren des Mannee, Da’ er 
vom Judenthum Abſchled hahın, und feine phtfofpphle 
ide Lebensart wählte %. Er hat diefe fottaefeßt 
bie an's Ende feines Lebens; was mug er in ige 
erreicht Haben? — Abet ſiehe ba’ kommt Theo⸗ 
ptron. 

CTheophron. So ſteißig? Philotaus, Se 
Yaden die Wittetung nicht ganz wahr geldbet; dir 
abgeregneten Gewitterwolken haben uns eine Kaite 
verurſacht, bie man nach Ihrem Gleichniß nicht wer: 
mutheh folte. | 5 — 

PHitolans. Laſſen Ste merk Glkichnkß un 

geben mie diefen Band mit; ich ſehe, ich habe wich 
an Spinopa zeltret. Was, meinen Sie, pol . 
zuerſt leſen? — PERL, 
_ Kheophron. Seine Ethtt. Dias uüuͤbrige tt 
Fragment und ber theologlſch⸗politiſche Traktat war 
eine frühere Probe-Zeltſchrift. Gefailt's Ihnen, fo 
‚nehmen Sie einige Regeln mit auf die Reife. 

J. Ehe Sie den Spindza leſen, muß Ihnen 
Des-Caries, wenn auch nur als Woͤrtetbuth, Wer 
kannt ſeyn. In ihm ſehen Sie den urſprung der 

Worte und Formeln, alfo auch mancher fondetharen 
harten Formeln des Spinoza. Nehmen Ste hiezu 
Des: Sartes Hauptſchriften oder einen ſeiner chuͤ⸗ 
lee**), unter welchen Infonderheit Claubrrg bie 

EHE Votreder der Herautgeder Marind ſae niet 

vm Breilifiung, „wenn im Dem Okıffagr Manchds dia 

u voherfheines der-Nuiag ſer ˖ nicht vollendet 


A. d. B..- 
*W) Des-Cartes opp. Philosoph. Amstelod. 1685, Hogii Bhi- 





425 


Saͤtze des Carteflaulemus klar und ordentlich vor⸗ 
trägt > Sle werben ſolche bier in Einem Bande bel⸗ 
jannmen finden. Sodann gehen Sie au des Ded- 
Cartes principia philosophiae von Splnoza felbik, 
die ex für ‚einen feiner Lehrlinge aufgefeht bat *); 
Sie treffen ‚In ihnen ben Uebergang zu feinem.eiges 
neu Spſtem an. Einen Baum muß man ulcht etwa 
nur in ‚feinem Gipfel und Hweigen, Sondern In 
Stamm und, Neften, ja wo möglih ben Weranlaf- 
ſungen ſelnes Eutſtehens und Wachẽthums nah, in 
Euxrzel, Boden und Klima kennen lernen; geſetzt, 

daß es auch ein Giftbaum wäre. Deun laͤſen Sie 
dleſen Phlloſophen bes vorigen Jahrhunderté nad 
ber Sprache unſerer -Phllofopbie: jo müßte er 
Ihnen freilich, wie er vlelen noch jetzt exſcheint, ein 
Ungeheuer duͤnken. 

2. Geben Sle forgfältig auf felne geometriſche 
Methode Acht, und Laflen fib von ihr nicht nur 
nicht beruͤcken, fonderu beinerfen auch, wo biefe ihn 
berüdte. Des - Earted verleitete ihn zu ihr; und 
Er wagte ben führen Verſuch, fie auch ber Form 





les, natural.. Amst. ı654.. Raaei clav. philes. nat. Lupd. 
ı 2684- ; Elauberas Ehya.: Metaphys. etc. „Im Gariasio 
Hiaplices, fügt -Rribnigr audacia et fautus, nimius won- 
. junctus, cum styli obscaritate , ‚confusione, maledi- 
centia. Longe magis mihi probatar Claubergius, 
discipulus ejus, plahus, perspicuus,,. brevis, methodi* 
: aux.“ Leibait. OQium Hamnoveran.: ed. Fellero. 
p- 184. a 
*) Amstel. 1663. ,„Quem egö enidam javeni, quem meas 
opiniones aperte docere nolebam, antchac dietaveram,'' 


fast Sp inoia in feinem neunten Brinfe ©: 423. 


l 


126 


nach auf alle, felbft die verfiochtenften, moralifchen 
Materien anziivenden. ben dieſer Verſuch hätte 


feine geometrifhen Nachfolger In der Metaphyfit 


J 


warnen moͤgen. 

3. Bleiben Sie nie bei Spinoza ſtehen, ſondern 
rufen bei jedem ſeiner paradoxen Saͤtze die aͤltere 
und neuere Philoſophie zu Huͤlfe, wie dieſe etwa 
ſolche oder eine aͤhnliche Behauptung weggeraͤumt 
oder leichter, beſſer, unanſtoͤßiger, gluͤcklicher aus: 
gedruͤckt habe? Sogleich wird Ihnen dann in's Ange 
fallen, warum dieſer Autor ſie nicht alſo, vlelleicht 
nicht fo gluͤcklich Habe ausdruͤcken koͤnnen; mithin 
werden Ste ben Urfprung feines Wort = Irrthums 
und den Fort= ober Ruͤckgang ber Wahrheit ſelbſt 


gewahr werben. Nehmen Sie in dieſer Abficht feine 


wenigen Briefe als Erläuterungen zu Huͤlfe 9; fie 
Härten in manchem viel auf, nnd an bem ande 
meines Exemplars werden Sie von einer alten Hand 
geſchriebene Nachweiſungen auf die Ethik und In der 
Ethik auf fie finden. Dienten biefe Briefe zu keinem 
andern Zwei: fo zeigten fie, wie ganz es dem 
Spinoza mit feiner Philoſophie ein-Erhft geivefen, 
wie fehr er ſich von ihr Aberzeugt hatte, und wie 
glücklich er ſich in derſelben fühlte. ‚Wenn Ste dieß 
Geſchaͤft geendet haben und Ihnen daran etwas 
liegt, wollen wir über Ihre Zweifel oder über feine 
Irrthuͤmer ein Weiteres reden. Ä 

— Philolaus. Ich win Ihrem Rath folgen, ob 
er gleich viel fordert. | 





— 


) Opp. posth. p. 395, veq. 


127 _ 


Theophron. ben fäht mir eine Ode in bie 
Hand: an Bott; von einem Atheiften. 


Phtlolaus. Non Spinoza? 


Theophron. Der war kein Dichter; von 
einem Atheiſten, ber des Atheismus wegen ver: 
braune warb. 


Philolaus. Und eine Ode auf Gott machte: 
ig will fie lefen: — 


De o 5). 


Dei supremo percita Aamine \ 

Mentem voluntas eıstimulat moam ; 

Hine per negatum teatat alta 
Daedaliis iter ire eeris; 


Audetgue coeli non memerabile 
Metari Mumen principio carens 
Er fine, defnire Musae 

Exiguo breviore gyre. 


2) Da. dieſe Dde ſeitdem in Koſegartens Vochen, 
(B. 1. ©. 35.) wohlklingend uͤberſetzt iR: fo ſtehe ſte 
bier, dieſe Ueberſetzung: 


Sott. 


Durchwebt von deſſen Odem, der ewig lebt, 

Von deſſen Gluth gezündet, der nie erliſcht, 

Entbrennt die Seele, ſchwingt den Fittig, 
Steiget in nimmererflogne Höhen. 


Und ftrebet mühſam aufwärts zum Throne def, 

Den keine Zunge nannte, Fein Hytmnus fang, 

Den keine Schranfe grenzt noch enget, 
Nicht des Beginns, noch des Endens Schranke. 


res . 


ıNORIER aan alrterine ug ur em, 2 
'Origo, „dans et grigeiplum awi 2. 
‚Suique ſinis terminusque 

Prineipio sike tesminogie. f 
* blue Dotus, tompore in omnibis - — u 
’ "PDranijguissenns kpsn Dieub lorid, 2 
Partes in omnes distributus nn J 
Integer usque, manane ukique.. J 


Nec comprehensum ullis regionibus. lt 
Ullisve clausum limitibus loca 
Tenent, sed omnig liber omne . 

Diditus *) in epatium vagatar. 
Illias alta est Velle petehtsn, 
Opus voluntas:iesariabilis ; 
Zt magnus absque.quasititate 

Atque bonus sineımsalisate, 


Sr iſt der Wefen- urgrund, und iſt ihe gieh ur 

Sein eignee ewger Urgrund, fein eignes ziet 

Beginnt, begrenzt, beſchränkt ih Yelder, 
Grenzenlos zwar, und Yeginn: und endlos. 


- 1 @anz, ungetßeht,- antheirbar, —B— 
: irrt fein Weſen jeglichen Atorhus . , 
Des ungemefnen Raums'und jeven ° “ 
Stiedenden Tropfen ded Zeiten : Stromes. 


Ihn deden hohe Tempel: Gewöürbe nicht. 
Ihn faffen nicht die Himmel,. die Erden reichte 
Srei, unumhüllet, ungefeſſelt 

Waltet und herrſcht er Tin großen Alte. 


Eein Will iſt That. Wer fteuert dem Maͤchtigen? 

Wer hemmt den Unrückrufbaren? Groß ift er 

Und gut; nicht mit der Meßkunft BSrößen, 
Micht mit ter Güte der Sittenlehren. 


44 





*) Divisua.a dihee.oreWiridere, 
| Qued 


j 129 
Quod dieit, uno tempore perficit; 
Mirere, fiat vox vel opus prius ? 
Cum dixit, en cum voce cuncta 
Sunt universa simul creata. 


x 


Cuncta intuetur, perspicit omnia, 
Atque in una solus, (solus est ommia,) 
Quae sunt, fuerunt et fatura 

Praevidet ipse perennitate. 


Atque ipse plenus cuncta replet Sui 

Et semper idem sustinet omnia 

Et fert movretque amplectiturque 
Atque supercilio guabernat. 


Te, Te oro, tandem respice me bonus, 
Tibigue nodo junge adamantino: 
“ Id namque solum unumgue et omne 
Beddere quod potis est beatos. 


Quicungue junzit Te sibi et altims . 
‘Uni adhaerescit, continet omnia 


Straks, flugs, im Huigefchtehet, was Er gebeut. 
Das Weltall ſchlief des eifernen Nichtfeyns Schlaf. 
Er rief: Erwache! Schnellerwachend 

Rafft' es ſich auf, und erſtaunt' und kniete. 


Sein alldurchdringend Auge durchſchaut das Au, 
‚Und Hegt.und trägt, bewahret und waͤrmet es. 
Allmächtig berriht fein Wink, allmächtig 

Wartet des Schrecktichen hohe Braue. 


Did fleh’ ih, Suter! fücher auf mich herab: 
"Mit Demantketten binde mich feft an Dich! 
Wei Dir, Hei Die iſt volle Gnuͤge, 

Einzig bei Die, und bei keinem andern ı 


Wohl dem, der Dich ergreifet, an dich ſich hängt, 
an Die ſich innig fchinieget, Dich fett —*8 
Feder Werte). Phllei, u. Seſch· Xx. 9 


— 230 


Teque omnibns oireumüugskem. 
Divitiis nihikgue egautem. 


‚Tu, cum necesge est, nullibi defieis 
Vitroque praebes omnibus omnia 
Ipsumque Tea. qui sis futarus ; 

Omnibus. omnia.submigtstras. 


Laboriosis Tu vigor inelitng, 
: Tu portus alto navifragantibus, 
Tu fons perennis perstrepentes 
Qui latices salientis ardemt. 


Tu summa nostrig,peetorihns quies, 

Tranquillitasque et pax placidissima, 

Tu mensus *) 'es rerum modusque, 
Tu species et amata forma. 


Dich abend, Vater, Hat er altes, 
Alles, was ſattigt, und was beſeligt. 


Bu, Bu entjeuchft Dich keinem, [der Dein bedarf 

greiwitiig: ſchenbſt Du jeglichen. jegliches. SR 

Dich ſelbſt, der war, and: ift und. feyn wird, 
Ewiger, ſchenkſt⸗Du dem frommen Sicher! 


Du biſt dem müherliegenden Nerv' und Mark, 

Und biſt dem klippenſcheiternden Bucht und Yort, 

Und biſt der durſtgeborſtnen Lippe 
Lechzender Wanderer Quetientüßte.?: — 


Du biſt der Arbeitſeligen ſüße Ruh, 
Biſt unſern Buſen Frieden und Freudigkebt, 
Biſt jeder Schoͤnheit Urgebilde, 

Jegticher Treffrichkeit ewge Urform, 


- 





— 


®). Mesaor ©, Papnsuira. 


Kal fl 
Tu meta, pondus, Tu namerna, decor 
Tagque ordo,. Tu pax atque honor atque amor 
Cunctis‘, salusque et vita et aucta 

Nectare ‘et ambrosia veluptas,; 


Tu,verus:altae fons:sapientiae, 

Tu veralux, Tu lex zsenerabilis, 

Tu certa sped, Tugue Aeriterne 
Brratia et: via veritasgie; 


Decus jubarque et lumen amabile 
‘ Et lameralmum atque inviolabile; 
" Pu suhrma simmasum'‘, -duidk-ultra? 
' MWehiinikis,>optümus, ummd, !idenn, 


ae BEZAH- un Maß, und Zirbel und Harmonie, 
Uns Pracht und Ordnung, Hoheit und Majeftät, 
Bift unfre Wonne, unfre Woltuft, 

Unfer Ambroſia, unfer Nektar. 


Odu, —— eit, des Rechtes Norm, 
„Dei gulen Bleiſchnur, hetliges urgeſetz, 

‚Du, unfse Hoſtnung, unſre Weishett, 

. -Leuchgende- Jacker des irren Stiftes. 


Sran Achtſteutzt, Würde”; gdheit, Peine Dicht 
. Echt," Liebe Leben, Kübfar; wie feire h Dh: 
Der Summen Suttine ! Aveo Atlen! 

Eimiger, rüger, rönen Boſtern 

ei N Ve, 

4 7 ie Hua. To. 

. Bw vr Kr oe nen r! a⸗ ch. 

an 2:1. 4 


pyirotane. en Aa roh. meinem Spi⸗ ⸗ 
nozas aher beinahe ageieiffet, al — vothet an 


— 


I) 


13% 


Daß er kein Atheift fen, erfheint auf allen Blaͤt⸗ 
tern; die Idee von Gott iſt ihm die erfte und letzte, 
ja bie einzige aler Ideen, an bie er Welt- und 
Naturkenntniß, das Bewußtſeyn fein felbft und 
aller Dinge um ihn her, feine Ethik und Politik 
Anäpfet. Ohne ben Begriff Sottes iſt feine Seele 
nichts, vermag nichts, auch nicht fich felbft zu den⸗ 
Ten; es tft ihm fremd und beinahe unbegreiftich, 
wie Menſchen Gott gleihfam nur zu einer Folge 
anderer Wahrheiten, fogar finnliher Bemerkungen 
Haben made:. Eönnen, da alle Wahrheit wie alles 
Dafeyn nur aus einer in fich beftehenden ewigen 
Wahrheit, aus dem umenblihen, ewigen Daſeyn 
Gottes folget *). Diefer Begriff iſt Spinoza fo 


*) v. Ethic. p. 4g. schol. et epist. 21. 39. do. 49. etc, 
„Jedermann muß ja einränmen, daß nichts ohne Gott 
weder ſeyn noch gedacht werden könne: denn alle geſte⸗ 

"ben, daß Gott aller Dinze, ſowohl ihrem Weien «tt 
ihrem Dafeyn aach, einzige Urſache fey. Inzwiſchen 
ſagen doch auch die meiſten, zum Weſen cincd Dinges 
gehöre daß, ohne welches das Ding weder feun, noch 
‚gedacht werden fanı. Sie müfen.alfo glauben, ents 
weder, dag De Natur Gottes zum Wien der erichafs 
fenen Dinge gehöre, oder daß die erſchaffenen Dinge 
ohne Gott ſeyn und gedacht iverden können, oder — 
welches wohl daB gewifTene ift, fie willen nit, was 
fie meinen. Die Urſache bievon, halte ich, lag In der 
sehlerhaften Ordnung ihreß Philoſophirens. Die götte 
liche Natur, die fie vor allem andern betrachten ſoll⸗ 
ten, weit fie fowohf ihrer Natur ald unfrer Erkennt⸗ 
niß nach das erfie iſt, fehten fie zutetzt; die Objekte 
der Sinne, (wie fie ed nennen) ſtellten fie allem veran. 
Wenn fie dieie betrachteten, dachten fie an nichts we⸗ 


135 \ 


geiawärtig, fo ummittelbar und innig geisorbew,- 
daß ich ihn eher für einen Begeifterten fürs Daſeyn 
Gottes, als für einen Zweifler oder Läugner deſſel⸗ 
ben hielte. In Erfenntniß und Liebe Gottes fest 
er alle Volllommenheit, Tugend und Gluͤckſeligkeit 
ber Menſchen; und daß dieß Feine Maske, fondern: 
des Phllofophen Ueberzeugung fey, zeigen feine: 
Briefe, ja, ich möchte ſagen, jeder Kleinfte Theil. _ 
feines philoſophiſchen Gebäudes, jede Zeile feiner 
Schriften. Möge er fi in ter Idee von Bott ger 
feret haben; wie aber Lefer feiner Werke je fagen 
konnten, daß er die Idee von Gott verläugnet und 
ben Atheismus demonftrirt habe, tft unbegreiflich. 
Theophron. Auch ich trauete mir beinahe 
ſelbſt nicht, da ich diefen Autor Ias und mit dem: 
zufammenhfielt, was andre über ihn fasten. Und 
Doc las ich Ihn nicht als ein Neuling der Philoſophie 
ober in einiger Nebenabfiht, Tondern unbefangen, 
eher mit Vorurtheil wider ald für ihn, nachdem ich 
außer den alten Weltweifen die Schriften Baum 
garten, Leibnig, Shaftesbury und Ber: 
felet nicht nur gelefen, fondern ſtudirt hatte, 
Laſſen Sie uns indeß bei dieſer Befremdung nicht 
fiehen bleiben, die fih von feibft aufklären wird, 
wenn wir fein Syftem durchgehen; was haben Sie 
für Zweifel dagegen? 


niger als die Gottheit; wenn fie nachher zu diefer 
Äbersingen, Tonnten fie an nichts weniger als an 
ihre vorigen Fiamente denken, denen fie die Kenntniß 
natürlicher Dinge fiberbauet hatten, und die ihnen 
zum Verſtande der göttlichen Natur nichts helfen konn⸗ 
sen, uU. f. 


158 

Philola us Wo ſoll ich unfengen noch 

gen? Das. ganze Syſtem tft: mir ein Paradoxon. 

„Es Hit nur eine Sudſtanz! Dieſo iſt Sort; alle 
„Dinge find in ihm me Mobiſtkationen.“ 

Theophron. Am Wort Subſtanz ſtoßen Ste 

ſich nicht; Spinoza nahm's nach ‚feiner reinften, 


ftrenugſten, hoͤchſten Bedeutung, und mußte es ſo 


nehmen, wenn er, feiner gewählten: Methode nach, 
» 8. ſynthetiſch einen erſt en Begriff-zum Grunde 
tegen wollte. Was heißt Subftanz, als ein Ding, 
das für ſich beſteht, alfo das bie Hrfes 
He feines Daſeyns in Fi ſeibſt hat? 
Ich wollte, daß dem Wort dieſe reine Webentung- 
ta der Philoſophie haͤtte bleiben koͤnnen. Im ſchaͤrf⸗ 
ſten Voerſtande iſt Fein ſubſiſtirendes Ding der Welt 
eine Subftanz, weil alles von einander, und zuleht 
alles von Einem abhaͤngt, das die Selbſtſtaͤndigkeit 
feibſt, d. i. die hoͤchſte, einzige Subſtanz iſt. De: 
aber die menſchliche Phlioſophie immer gern dem 
Gefuͤhl der Menſchen treu bleilbt, ind ihm in 
einem gewiſſen Sinn tren bleiben muß, da wir uns 
aber bei aller unſrer Abhaͤngigkeit doch auch fuͤr 
felbſtſtaͤndig Halten, auf gewiſſe Weite daflır 
Pr hatten koͤnnen, ob wir gleich une befiebend. 

‚wow — j 
Philolaus. Ey dann! Nun und nimmer 

And wir doch bloße Modifikationen ? 

Theophron, Das Wort tft auſtößig, und 
wird nie in der Philoſophie Raumgewinnen. Wagte 
es indeß die. Leibnitziſche Schule dieMaterie eine 
Erſcheinung von Sırbflisapen: zu: nennen; 
warum follte dem Spinoza nicht fein Ausdruck er⸗ 





155 
lbrjchn? Worden die fopenaunien Sun R: 
ber Welt allefammt von göttliger Kraft erhalten, 
ia bebamen fie, wie iches: hergebrachte Dem an au⸗ 
nimmt, nur bar goͤttlicht Kraft ihr Daſedn, was 
"fe, wenn man wil, anders als modlficirte 
Erfhefuungen goͤttticher Krafte (phaenomena sub- 
stantiata), jede nad der Stelle, nah der Seit, 
wo den Organen, in und mit welchen fie erſchei⸗ 
rl beſtehend und: energiſch. Spinoza nahm alfo 
mit feiner einzigen GSubſtanz eine kurze For 
mel , die. feinen: Syſtem allerdings viel Safahtıhens: 
haug gibt, ob. fis. gleich unferm: Ohr fremb Hingt, 
Immer war ſie doch beſſer, als jene Gelegen- 
heits-Urſachen der. Karteſianer, nach denen 
Gott gleichfalls alles ſelbſt, mar: aber gele gente 
heitlich wirken ſolte. 
Philolaus. Merdings ein weit undequeme⸗ 
ver Ausdtruck — 
Theophron. Und doch, wie lange hat er ge⸗ 
guten! Selbſt bie Leibnttziſche Philoſophie hat Ihm 
we durch: eine andere artigere Formel höflich hin⸗ 
wegge ſcheuchet. 
Philolaus. Sie meinen die präftabilizte 
Harmonie aller Dinge ' 
Theophron. Eben fie. In keinem diefer 
Ausdruͤcke liegt Ketzerei; nur Einer Ik unbequemer 
als der andere, und im Grunde verſtehen wir bei 
alten gleich wenig. Wir willen nicht, was Sehfant, | 
bt t: ein beſtehendes Prinzipium der Kraft ſey, ober 


wie Kraft wirke; viel weniger wiſſen wir, was bie 


Aukraft fey, oder was fie alles hervorgebracht habe, 
jene noch alles hervorbringe, und jedem -Dinge- 


156 
feine Weiſe mittheile. Daß labeſe⸗ eh neck 
nem GSelbftbeftande ruhen, von einem Selbſt⸗ 
fländigen, fowohl feinem Dafeyn nach, als in feiner 
Berbindung mit andern, mithin im Grunde fowohl 
als in jeder Aeußerung feiner Kräfte abhangen mühe; 
daran kann Fein Tonfequenter Geiſt zweifeln — 
Woran denken Sie, Philolaus? 

Philolaus. Ich ſehe fo manche pathetifche 
Deklamation gegen Spinoza anf einmal in ihr Nichts 
zurädgehn, bie mit Nichts als dem Namen ſeiner 
„einzigen Subflang und feiner Modi 
fifaitonen‘ Tämpfte; fie fochten alle bloß mit 
einem Nebel unbequemer Worte. Ihnen iſt be= 
Fannt, Theophron, weld ein Heer lächerlicher Wi⸗ 


berfpräche und Gottesläfterungen man ihm andich⸗ 


tete, z. B. daß, feinem Syftem zufolge, Bott dei 
allem Guten alles Böfe in-ber Welt thue, daß ſo⸗ 
nach Gott es fey, ber alle Thorheiten weräbe, alle 
Irrthuͤmer denke, gegen fi fireite, ſich in Spi⸗ 
noza felbft läftere und laͤngne u. f. Was von Spi⸗ 
noza s Mobdifitationen gilt, gilt ed von Des: Eartes 
gelegentlihen Urfachen, von Leibnitzens praͤſtabilir⸗ 
ter Harmonie, ja felbft vom phoſiſchen Einfluß min: 
ber? Geſchehen biefe Dinge In Gottes Welt: fo ge⸗ 
ſchehen fie durch den Gebrauch und Mißbrauch feiner 
Kräfte, d. i. der Kräfte, die er abhängigen Weſen 
anſchuf und in ihnen erhält; man möge fich feine 
Vorherſehung oder Mitwirkung auf ſolche oder eine 
andre Welfe denken. Ueberhaupt babe ichs gefun= 
den, daß, wenn man bie Meinung eines vernuͤnf⸗ 
tigen Menfchen gar zu unvernänftig uud ungereimt 
vorſtellt, man felbft entweder eine Ungerechtigkeit 


187 


begehe ober eine lingereimtheit ſage. Man macht 
fih mit ſolchen Sormeln ben Gleg zwar leiht: es 
Ik aber auch nur das Blendwerk eines Sieges. 
Theophron. Nlfo werden Sie jebt auch da⸗ 
tin Leine Gottesläfterung finden, wenn Spinoza 
das felbftftändige Weſen eine niht:vorüäberges 
heube, fondern bie bleibende Immanente 
Urſache aller Dinge nennet *)? 

Phtlolaus. Mie könnte ich fie finden, da 
ſich gegentheils, auch nad, den angenommenen For⸗ 
meln, bei Bott als einer vorübergehenden 
Urſache ber Dinge nichts denken läßt. Wie und 
wann und wen gehet er vorüber? Ein Gefhöpf- 
ohne des Scaffenden Beiftend iſt nichts ;. pn 
wie kann ber vorübergehen, ber Teinen abgeſchloſ⸗ 
fenen Ort hat, keinen Ort raͤumet, In dem keine 
Abwechſelung und Veraͤnderung ſeyn kann? — _ 

Theophron. Aber wie? wenn Gott „außer 
der Belt’’ wohnte? | 

Philolaus. Was ift ein Ort außer der Welt? 
Sie felbft und Raum und Seit in ihr, durch wel- 
he wir die Dinge meflen und zählen, find ia allein 


*) Prop. 18. verglichen mit Ep. sı. „In Gott, fane ich 
mit Paulus, vieleicht auch mit allen alten Philoſo⸗ 
phen (obgleich auf andre Weiſe); und Ich möchte fügen, 
auch mit allen alten Hebräern ıfodiel fich aus einigen, 
obwohl fchr verküümmelten Traditionen muthmaßen 
läßt): in Bott weht und ift Alle. Glauben aber 
Einige, dieß gehe darauf hinaus, daß Bott und die 
Natur (unter der fie fich eine gewiſſe Maſſe oder fürs 
yerliche Materie denken) Eins und daſſelbe fen, ſo 
verfehlen fie ganz ded Weges. Opp. posih. p- Ag, 





188 
durch ihn, den Unenblichen, denkbar, daRumit- bei- 
Dingen ſelbſt Wo und Wenn, db. k. das Muß 
und ben Zuſammenhang ihrer Kräfte: feßzt, bes 
grenzt, ordnet. , j 
Theophron. Ste gerathen alſo auch nicht in 
das Labyrinth von Fragen: 
„Wie Gott die Ewigkeit einſt einſam durchgedacht? 
Warum jest und nicht eh er eine Welt gemacht?“ 
Diver: 
— „wWie fid) die weiten Kretfe 
Der anfangstofen Dau’r geheinmt in ihrer Reifer 
Wir ewig ward zus Beit und wieber-Beiten Fluß 
Ins Mer der Ewigkeit fid, einſt verlleren muß?“ u.f.: 
Philolaus. Sch ſetze nicht hinzu: 

„Das ſoll ich nicht verſtehn und Fein Geſchöpfe fragen; 
Es möge ſich mein Feind mit ſolchem Vorwitz plagen” 
Denn auch meinem Feinde wuͤnſchte ich dergleichen 
NPyhantome ber Einbildungẽtraft als einen unergeänd: 

lichen Gegenftand bes: Wiffens nit. Gott durch⸗ 
dachte Feine. Ewigkeit einſam: es mar fein Jetzt und 
Tein Ehe, eb eine Welt war: eine anfangslofe Dauer 
iR keine Ewigkeit Gottes, und in. diefer gibte Leine 
Reife: Das Emig kann fo wenig. zur Seit, als die 
Bett zur Ewigkeit ober: das Endliche zum: Imendtichen 
werben. 0 
| Theophron. Das haben Ste doc nicht erſt 
aus Spinoza ‚gelernet? IJ 
Pharͤlolaus. Vielmehr freute es mich, daß 
er die gewöhnlichen, ganz unphilo ſophiſchen Verwir⸗ 
zungen: heiruͤber ſtrenge voruͤbergegangen wer; und 








J 
16083 
2 vnd 4}. 2.172 wirds Endiss-tmhefitiniate, 
das Dark ſich Uneridliche · Hichſtbeſtimmte gemwie: 
untorſchiod ). Exwtgleit im polen: She bed’ 
Worts kann durch koine Zeit⸗Dauer erblärt werben, 
goſetzt, dahin Hefe auch endlos (indefinite) au⸗ 
naͤhme. Dauer iſt eine unbefilumnse Fortſetzung 
des Dafevns, die: ſchon in jedem Moment ein Maß 
dee Vergaͤnglichkeit, des Zuluͤnftigen wie bes Were 
gangenen, mit! ſich fuͤhretr. Dem Umvergaͤnglichen, 
durch She! Umveraͤnderlichen kann fie: fo wenig zuge⸗ 
farteben werben, daß vielmehr fen: reiner Bi⸗ 
griff nie dieſer zugemiſchteu pPhantaſte 


v 
Dheophron⸗ Die Welt ſt alſd ug 
ut sleiä eig? ⸗ꝰ on 
DHtlolans: Wie Tann fie dieß ſeyn, da fie 
er, d. 1. ein Spyſtem det Dauer zu: md nad 
ehrander geordneter Dinge iſt, deven: teinem das 
abſolute Daſeyn ober bie unwandelbare Ewigkeit: 
ohne Maß und Zeitendauer zubemmme? 





x) we. Epiat 19. „Maß / Zahl und Zeit ſind nichts als 
Denk » oder vielmehr Imaginationsweiſen. Daher. 
alte, die durch Ähnliche, überdem übelverfiandene No⸗ 
tionen den Zortfchritt der Natur haben verſtehen 
wotten, fich fo wunderbar verwirret Haben. Denn de 
es vielt Begriffe gibt, bie wir nicht durch Imaginatlon⸗ 
fordern durch ben Verſtand allein. erreichen/ 8. B. 

Subſtanz, Ewigkeit u. f.; fo thäte dar, der diete Ne 

griffe, durch jene Hülfsmittel der Imogination erfiäs 

ren wollte, nichts weiter, als daß er fih Muhe 

Fa eher hattet zu var“ Op. Povib. 


\ 
140° 
Theophron. Alſo machts Ihnen auch Feine 
Verwirrung ber Begriffe, ba bie ewige Macht 
Gottes (in unferer gewohnten Sprache zu reden). 
fhaffer, Ihuf und Ihaffen werbe, und doch 
keinem ber Gefchöpfe, auch ihrem ganzen Spitem 
nicht, feine Ewigkeit zukommt? 
Philolaus. Die ewige Macht Gottes ſchaf⸗ 
fet, ſchuf und wird ſchaffen, weil fie, bie ewig= 
wirkende Macht, nie müßig iſt und nie müßig ſeyn 
Tonnte; des Geſchaffenen Dafeyn beruhet nur, wie. 
fein Name felbft fagt, auf einer Folge, und bat mit 
allen feines Gleichen das Zeitenmaß der Werände- 
rung in fih, Alſo auch eine Immerhin fortgefeßte. 
WBeltfhöpfung wird durch diefe Fortfeßung nie ewig. 
Ihr Maß iſt endlos; aber nur In Gedanken bee 
Meffenden Ift und wird diefes Endloſen Map. Dieß 
alles begreife ich leicht; ich Habe aber einen andern 
Zweifel, den ich gelöfet wuͤnſchte. Er betrifft die 
Eigenfhaften diefes unendlichen, ewigen Got⸗ 
tes bei Spinoza. Wie konnte Er, ber Seit unb 
Ewigkeit fo richtig unterfcheidet, auf der andern 
Seite ſo unzufammenhängend fepn, daß er ‚Die 
Ausdehnung zur Cigenfhaft ®ottes 
macht?’ Verhaͤlt fi der Raum nicht wie die Zeit? 
Iſt nun jene mit dem Begriff des Ewigen ganz un- 
vergleichbar: fo iſt auch Ausdehnung, (Ertenfion) 
mit dem Begriff einer untheilbaren Subſtanz, bie 
Spinoza mit felfenfefter Stärfe annimmt *), gleikh- 
falls unvereinbar. nn 


“ 





*) Rein Attribut der Guben kann wahrbaft gedacht 
Werden, aus welchem folge: die Eubſtanz jen theilbar. 








241 


Theophron. Ihre Bemerkung it wahr: fes 
gen Sie aber au, wo Spinoza biefen Ausbend 
waͤhlet. Bedient er fih feiner In feiner reinen 
Theorie von Gott? 

. Phllolans. Sonderbar! Er braucht ihn 
nur, wenn er bie Seele von ber Materie, d. i. 
das Dentende vom Ausgedehnten unterfcheibet *). 

Theophron. Iſt num Anddehnung und Ma⸗ 
terie Einerlei? Sehen Sie da den Carteſiſchen Fehl⸗ 
ausdruck, deu unfer Autor in der Sprache feiner Zeit 
nicht wohl umgehen Tonnte, und ber für Diele bie 
Hälfte feines Syſtems verbunfelt. Des⸗Cartes hatte 
die Materie duch Ausdehnung erklärt, und 
man koͤnnte fie eben fo wohl durch Zeit erklären: 
denn jene wie biefe find Maße Ihres Daſeyns mit 
andern und nach einander. Run mögen beide Maße 
unumgänglichinsthwendig für jeden denkenden Geiſt 
feyn, der feibft buch. Ort und Zeit befchräntt iſt; 
das Wefen bir Materie aber werben fie durch bieſe 
aufere Dentart nie. Spinoza ſahe das Unhinrei⸗ 
gende biefer Carteſiſchen Erklaͤrung fo gut ale wir; 
leſen Sie feine Briefe “), Wenn er alfo in feiner 


Ethie. prop. XI. „Die wzlolut· unendliche Sudan‘ ik 

unthrilbar.“ prop. XII, 

*) Im ⸗ten Theil dee Ethik de muate., 

”*) Br, 69. 70. 71. 72. Ausbruickuch ſagt er in dieſen 
Briefen: „daß von Des⸗Cartes die Materie durch 
Ausdehnung übel definiert. worden, daß aus der Aus⸗ 
Tehnung die Varietät dev Körper nicht zu erklären 
ſey,“ und nehet fo weit, daß er die Kartefifhen Na⸗ 
turpeineir’'en nicht nur unnüs, fondern ungereimt 

' mennet. Opp. pöeth. p. 596. ag. 


. 12 


ethundie Mebenn see rat Ausdehnung, 
du unit Dias geicharitand annahen, aud fie akaaın 
sun, uugleichartigen Dinge, dem Gebanfen, -gagen- 
über ftellte, fo wußte ex felbft, daß zu Exkdeumg 
des Weſens der Ringer dieß kein ausdruccender 
Begriff ſey. Ehen ſo wußte en und miederholess, 
‚daß. Sedenbe und Ancdehnang nichts mit einander 
zIn ſchaffen haben; er tadelt Des⸗Fartes, Daß er 
von der Arbeldruſe hinaus des Kurper bewegen, die 
Afferten baͤndigen wollr. U. f. Im war Nas: 
Sehnung ein reiner Verſtasdesbagriff, ‚untichlher 
in ſich, nur duuch Hilfämitsel dev Imaginetion geile 
bar. Den Panbt alfo, warm gerade nur dleſe 
: Velden Begriffe, Aucdehnung und Gebaunke, bie 
‚wa Ctgeuſchaften ſaven, dahurch ſich unter maud⸗ 
‚len audern Eigenſchaſten, bie: alleſammt eine 
hoͤchſte Mealttaͤt ausdruͤcken, der Unendliche und of⸗ 
fenbart Habe 7 Hek Sptudza umerdetent ,- fo ‚oft er 
deßhalb beftagt warde. Mas if ıin der Ausbeh⸗ 
‚nung: für Realltaͤt, uecun wir: a weh ecdlas, 
dei. ſo unbefimntsutsgefeikt,: wie eiar imamehin 
fortwaͤhrende Dauer annehmen ? Obae efen, ‚die 
wirkende Kräfte iſt nichts in Ihr; nur für finufiche 
Seſchoͤpfe iſt ſie dası Maß einer Welt, eines Ne- 
beneinanderſeyns mehrerer: Geschöpfe. Hum Ab ſo⸗ 
Int = Unendlichen: gehört flosustehti, ‚fonMieufle auch 
Bohne: inaere wefentllche Wolllommenheit ſeines Da⸗ 
ſeyne ausdruͤttt das keinen, A ar HIHE einen 
— Dem be te, v e, allo auch möcht 
eine endlofe 

Phi —— Fi eher. Theophron verja⸗ 

gen Sie mir einen widrigen Nebels-denmäsefer un⸗ 


23 ® . \ 


sehlshmmbgchnbnde Bait, wie oma da Beit 
des Spinoga zu nennen :pflgake., war mir 44u3 
ud enlher 


0 


TDheophron. Dem hellen Weltweifen Spi⸗ 
noza war er ed eben ſo ſehr. Nicht Gott nennet er - 
ein Ertenfum, (defien Untheitbarkeit er vielmehr 
firenge behauptet,) ſondern die Koͤrperwelt (res 
'eıtensas) nannte er „ein Attribut, das ein Unend⸗ 
Uiches feines Serbftbeftehenden, mie bie Ge⸗ 
dantenwelt von Ihm rin andres Unendtiches aus⸗ 
druͤckt.“ Groͤbere Formeln, phantafliſche Bilber 
vernichten ſeinen Begriff ganz. 


Yhilalaud. Mi wundert, daß ich dieß un⸗ 
bemertkt lieh, da fe klare Stellen ſeiner Briefe dar⸗ 
anf weiten. Das fabe Ich wotzl, daß Spinoza ber 
Theliung eines unendlich = ausgebehuten und bad 
einachen Weſens durch die Verkellung: bes watbe- 
matiſchen Namms ertmeichen wollte, in welchem 
ua mathecnatiſchon Linfen und Flaͤhen leine phoſi⸗ 
tem Körper worden. Da nun der wathematiſche 
Zemı auch :ume. ein Ahfiwaktıma der Einbildungs⸗ 
Iraft, eine Behlagung der Wahnkeiten iſt, die nicht 
andere als im Damm gehacht werden Innen: ſo 
Tann nach, menn Eipiuega ihn der Materie gleich 
zu /achten ſcheint, und: ihn ein Attribut Gottes 
nennet, unsicher Ausſunft ſeyn, durch welche phy⸗ 
ſiſche, d. tr’ wirtlihe Koͤrper im ihrer Varietaͤt er⸗ 
Hört werben ſollen; und da iſt er, nah Spinoza 
ſelbſt, Teine Auskunft. Ich wollte, der Weltweife 
‚hätte einen Aus druck vermieden, der yon. ben Mei- 
ſten grob gemißbraucht werden iſt, anders aber, 


m 


“ 

144 
wie Ste mit Recht fagen, die Hälfte feines fo duvch⸗ 
dachten Syſtems verbuntelt. 
. Theophron. Wörter, m. Fr., ‚gelten wie 

Münzen. Spinoza's ober vielmehr Des = Eartes 
Zeit war bie Zeit ber Meßkunſt, aber bie Kindheit 
der Naturkunde, ohne welche bie Metaphyſik Luft 
fchlöffer banet._ Des⸗Cartes felbft bauete dergletz 
den, denen Spinoza, wie mehrere Stellen zeigen, 
‚genau Ihren Werth zu gebeu wußte. Je mehr man 
feitbem die Materie der Körper phyfifch unterſucht 
‚hat, deſto mehr entdedte man In ihr wirkende, ein⸗ 
ander gegenwirkende Kräfte, und verließ bie leere 
Definition der Ausbehnung. Schon Leibnitz, In 
deſſen Geiſt fih aus allen Naturreihen und Wiſſen⸗ 
ſchaften fruchtbare Begriffe gefellten, drang barauf, 
daß man auch im Begriff der Körper nothwendig zu⸗ 

letzt auf einfache Subſtanzen kommen mäfle, von 
denen er unter bem Kamen wefentliher Eins 
heiten, d. i. der Monaben manches erzählte. 

Leider aber, ba ber lebhafte Verftand biefes Manz. 

nes alles fo gern als Dichtung vorteug, wurben 

diefe feine Monaden, deren Sinn Wolf felbft nur 
theilweife aufnahm, bald nur als ein winiges Maͤhr⸗ 
hen betrachtet. Der Mathematiter Boskowich 
ift, obwohl nur von einer ganz andern Seite, auf 

‘eben dergleichen untheilbare wirkende Eleimente ge- 
tommen, ohne welche fi, wie er glaubte, die Na⸗ 

tur ber Körper nicht erklären laſſe); die Chemiker 

wählen 

*) Boscowich Philosophiae natur, theoria redacta ad 


unieam legem virium in siatura exsistentium. Vienm, , 
* 1760. 


285 | — 
Ka ee — er ; 
Feen wiebetum eine audze Sprache. Faut Ihnen 
‚Nusdrud bei, der dem fmeoffen Iterfdiehe 
sulihen elft und Materle/ dem Earteſiſhen Dualis: 
mus entwelcht, und prägnanter als bas leere Wort 
Ausbehnmung oder als dag grobe Wert Braterte 
die Natur ber ‚Körper bezeihwet? en 
Dhilolans. Ich müßte keins, als segant: 
he Kräfte Dadurch, bänkt weich, bekäme 
Spinszad Spitem felbit eine: ſchoͤnere Enheit. 
Denn feine Gottheit unendliche Eigenſchafter ie 
fh faßt , deren jede ein ewiges und unendliches 
Befen auf unendlich = verſchledene Weiſe ausdruͤdt: 
“0 haben wir nicht mehr zo Elgeuſchaften des 
Denkens und der Ausdehnung zu ſetzen, die nichts 
mit einander gemein hätten: wir laffen das anpafe- 
ſende Wort Eigenfhaft (Attribut). meg-und feri 
sen dafür, daß fich die Gottheit 4n unewdr 
Uchen Kräften auf unendlihe Wellen, 
9. organic offenbare. Sofort bieibt une 
u aicht mehr ber hinderliche Riegel vorgefpoben: 
„in welchen Eigenfhaften, «ußer dem Gebauten 
und der — — ſich die Gottheit andem Welt: 
ſpſlemen offenbare?” ba fie doch, unſerm Welt: 
neifen aufolge, unendliche dergieichen ihr Weſen 
ausdruͤckende Eigenheiten befinen foll, von wrichen 
er und teine, ae biefe zwei zu nennen wußte. In 
allen Welten offenbart fich die Gottheit organifchr 
d. & durch wirkende Kraite. Diefe Wefen = muss 
druckende Unendlichkeit her Kräfte Gottes hat durch⸗ 
aus keine Grenzen, obwohl fie allenthalben denſel⸗ 
ben Gott offenbaret. Kein Weltfoften barf das 
andre neidend befragen: „wie fi) denn In ihm die 
‚Feed Werte Phil. u. Sepp IX. 40 


146 
Gottheit dargeftelt habe?’ Ueberall iſt's wie bier; 
überall koͤnnen nur organifhe Kräfte wirken, untr 
jede derſelben macht une Eigenfchaften einer unenb= 
lihen Macht kenntlich. 
Theophron. Wohl! Philolaus. Dieb teiffe 
in ben Mittelpuntt des Spinoziſchen Lehrgebaͤundes. 
- Macht iſt ihm Weſenheit; alle Attribute und Mo⸗ 
difikationen derfeiben find Ihm ausgedruͤckt⸗ da r⸗ 
geſtellte, wirkliche und wirtfeme Chi 
tigkeiten. In der Gelfterwelt- iſt's der Ge— 
danke, in der Koͤrperwelt die Bewegung; ich 
wüßte nicht, unter welches Hauptwort beide fi fo 
ungezwungen faflen lleßen, als unter ben Begriff 
Kraft, Macht, Organ, von benen jede Thaͤtig⸗ 
keit in der Körper= und Geiſterwelt ausgeht. Mit 
dem Wort organiſche Kräfte bezeichnet man 
das Innen und Außen, dad Geiſtige und Körpers 
bafte zugleih: denn wie Keine Kraft ohne Organ 
At, fo iſt umd wirkt kein Geiſt ohne Körber. Es 
ift Indeffen auch nur Ausbrnd: denn wirverftehen 
nicht was Kraft iſt, wollen auch das Wort Körper 
damit nicht erklärt haben. 
Philolaus. In Anfehung des Innern Zu⸗ 

fammenhanges der Welt gibt ung, duͤnkt mich, ber 
Ausdruck fchöne Folgen. Nicht duch Raum und 
Zeit allein, als durch bloß äußere Maße ber Dinge, 
ift fie verbinden; fie iſt's durch Ihr eigenfliches We⸗ 
fen, durch das Principlum ihrer Eriftenz ſelbſt, be 
allenthalben in ihr und zwar im innigſten Zufam⸗ 
menhauge aur organifhe Kräfte wirtn. Im 
der- Weit, die wir kennen, ſteht die Denkkraft BR 
an; ihr folgen Millionen andee Empfindangs⸗ und 





147 


Wirkungskraͤfte, und Cr, der Selbſtſtaͤndige, er iſt 
im hoͤchſten, einzigen Verſtande des Worts, Kraft, 
d. i. die Urkraft aller Kräfte, Organ aller Organe, 
Dh’ Ihn iſt Feines berfelben denkbar, ohn' ihn wirft 
keine der Kräfte, und alle im innigſten Zuſammen⸗ 
Hange brüden in jeder Beſchraͤnkuug, Form und Er⸗ 

9 Ihn aus, ben Selbfiftändigen, bie 


ur- und Allkraft, durch welche auch fie beſtehen 


: Sheophrom. Mich freut’, Philolaus, daß 
Sie diefe Idee fo rein aufnehmen und fo reich an⸗ 
wenden. Auch dem Ausdruck nach tritt das Syſtem 
unfres Philoſophen beinahe ſchon bamit in das Licht 
einer tabellofen Einheit, bie ihm das anftößige Wort 
Ausbehnung raubte; bemerken Sie ans dem von 
Ihnen gegebenen Geſichtspuntte nicht noch aubere 
Y sichten? 

Philolaus, Eine Reihe anderer. Alle ans 
Aöfigen Ausdräde z. B. fallen weg, wie Gott, nad 
biefem ober nach einem andern. Spſtem, auf und 
durch die tobte Materie wirke. Sie iſt nicht tobt, 
ſondern fie lebet: denn in ihre wirken, ihren innern 
und Aufern Organen gemäß, lebendige mannigfal- 
tige Kräfte. Je mehr wir bie Materie kennen ler: 
nen, befto mehrere derfeiben entdeden wir In ihr, 
fo, baß der leere Begriff einer todten Ausdehnung 
bei ihr voͤllig verſchwindet. In unfern Seiten, wie 
zahlreiche, verihiedene Kräfte hat man in der Luft 
entdeckt? was hat die nenere Chemie In den Koͤr⸗ 
pern für manderlei Energieen der Anziehung; Bin⸗ 
dung, Aufloͤſung, Surkditoßung gefunden? Ehe die 


magnetiſche, che bie eleftrifhe Kraft eutdet war, 


- 


N. 


"148 
wer Härte fe in ben Körpern vermuthete wie age 
loſe andre mögen in tguen wich uuentbedt ſchlufen 
Es iſt Schade, daß ein denſender Seiſt, wie ps 
— fo früte von waferue Schauplatz Gkiawen 
e. 


Theophron. Mund wie dien Auweg, m; 
Fe., und etieben wit, was der forfchenden Made 
weit aufbrhalten bleibe; wenig, enk wir, ſolaugt 
wir da find, bie Gegenwart und Wirkung ber Gets 
heit erkennen, wo und wie Mb ums dleſelbe öffen- 
bare Gpiasga fast; daß jede Eigenſchaft; oder 
wie win's nanaten, jede in deer Schoͤpſegz offenbarte 
Sraft Gottes ein Unendliches aus draͤct; ie verſtre 
hen Sie bas7 da jeder Theil der Wit ſeine Sthru⸗ 
ben hat, nicht bloß nach Ort und Feit, fondern uch 
feibft zufolge der ihm ein wohnenden Eaergkeen. 

Dhilolans. Sind nicht Raum undrit bleſe 
graßen Sedankenbiider; endios? welcht mizaͤhlbare 
Menge wörtkiiger Kruͤftr und Torten una ig Ar 
ihnen offenbaren? Und da warb Ort und Belt, ge⸗ 
ſchweige den wirkenden Kräften ſribſt nach, ketue 
zwei Erſcheinungen dieſelben feyn koͤnnen? welthe 
uUaendlichteit eutſpringt wis dieſem Immer neh My 
verjängenden Quell goͤttlicher Schoͤnheit! Sehen 
Sie hinans gen Himmel, nah jenen Milhatraßen 
yon Somen und Welten. Mit ſelnen Spiegelglaſe 
entdeckt der Columbus unſerer Notton vielleſcht ebea 
jeht neue Heere derſelben in einem lehnen, unſern 
Augen unfihtbaren Nebelwoͤtkchen. In wie mert⸗ 
wuͤrdtigen Seiten keben wir, da merhoͤrte, kanin ges 
abnete Offenburungen Gottes vom Himmel nieder⸗ 
Reim! jede detfeiben ur net aersdrttud Die 





Felt. had: iefans, dad elle biefe Mückter 
Mif ver: Schafft und haͤlt nud tudger. 


m Unendligen iſt der Unendliche: Einer. und ewig. 
m Darfteften, im Seyn, im Erhalten und Schaflen 
nur Einer, 
Zaumex- fid gleich und unendlich. Wie ewige Eäuten, 
ſo ſtehen 


of 

Auſt hin Welebe; hie er: fh achte: ſo wie er: fir dachtæ. 

Wit aus ihnan Ypränperung und bleibt, in innen, de 
a 1777 


Theophron. Vortrefflich, mein werther 
Dbilolaus,. Mit dem legten Zuge haben: Sie zu: 
glelch das Unendliche angedeutet, das in jeder 
Naturkraft ſelbſt, auch ohne Ruͤeſicht ihrer 
Berbindung in einem endloſen Raum, in einer end⸗ 
Infen Zeit bleibend wohnet. Erwaͤgen Sie die in⸗ 
nere Fülle der Kraft, die in jedem lebendigen We⸗ 
fen wirket, wie es durch eine ihm eingenflanzte 
ſtile Energie entſtehen, und ſich nicht: anders ale 
duch Wer erhalten und fortpflangen konnte. =_ 
fragten Sie bie Kräfte, bie Im Ban eines Thiers 
fo. verfchwiggen wirken. Mit welher Macht Hängen 
feine Theile zufammen ! Mei ein Mader - und 
Triebwert gehört dazu, daß es fih bewege, ſich 
feinen Lebensſaft bereite, alle bie Handlungen and- 
übe, dazn es beftimmt. ift, endlich daß es aus fel- 
ner Natur alelartige Weſen, Bilder feiner feibft, 
lebend und wirkend, mir gleicher Kraft bear, nach 


2) u Ang ufr Henninge —R Ver mchen⸗ 
openhagen ii. 





Ex 


"150 
‚gleicher Anlage gebildet, hervorbringe, erzeuge; 
In der Generation allein Liegt ein Wunder ber 


Schöpfung, d. 8. einer eingepflanzten, einmwohnen= - 


den Macht der Gottheit, die fih, wenn ich fo kuͤhn 
reden darf, in das Werfen jeder Organifation glelch⸗ 
ſam ſelbſt befchränkt hat, umd in biefem Werfen, 
nach ewigen Gefeßen, unverrüdt und unmwandelbar, 
wie allenthalben die Gottheit allein wirken Tann, 
wirket. In der Materie, die wir tobt nennen, 
Streben auf jedem Punkt nicht minder und nicht klei⸗ 
nere göttliche Kräfte: wir find mit Allmacht umge: 
ben, wir fhwimmen in einem Ocean der Mad, 
fo, daß jenes alte Gleichniß immer und überall wahr 
bleibet: „die Gottheit fey ein Kreis, deſſen Mit⸗ 
telpunft allenthalben, deffen Umkreis nirgend If,“ 
weil weder im Raum noch in ber Zeit, als In bie 
Ben Bildern unferer Einbildungskraft, die Elubil⸗ 
dungsfraft irgend ein Ende findet. Mich duͤnkt, 
der Ausdrud des Spinoza fey glüdlih, daß bie 
Zeit nur ein fombolifhes Bild der 
Ewigkeit fey; ich wolte mit- Ihnen, Daß er 
den Raum auch als ein ſolches, ale das ſym⸗ 
bolifhe Bild der abfoluten Unendlich⸗ 
fett des Untheilbaren bdargeftellt hätte, wie 
er fich Ihn dachte. Nicht etwa nur- für ung iſt das 
Weſen des Ewigen unausmeßbar; es iſt an ſich 


feines Maßes fähig; In jedem Punkt feiner Wir: 


fung, der nur für ung ein Punkt iſt, trägt es feine 
Unendlichkeit In fi. | 
Philolaus. Ich befürdte, m. $r., daß We⸗ 


nige diefen Unterſchled des durch ſich ſelbſt Unemd- 
lichen und des duch Raum und Zeit in der Ein: 


" 151 

vudungskraft gedachten Endlofen faflen werben, 
anf welchem doch Spinoza's ganzes Syſtem ruhet *). 
Als eingeſchraͤnkte Weſen ſchwimmen wir im Raum 
und in der Zeit; wir zaͤhlen und meſſen alles mit 
ihrem Maß, und ſteigen mit Muͤhe von Bildern der 
Einbildungskraft zu dem Begriff, der alles Raum⸗ 
und Zeitenmaß ausſchließt. Haͤtte man dieſen Un⸗ 
terſchied gefaßt; gewiß man haͤtte nicht ſo viel von 
dem weltlichen und außerweltlichen Gott geredet, 
noch weniger wuͤrde man den Spinoza je beſchuldigt 
haben, daß ex ſeinen Gott In die Welt einſchließe 
ud mit derſelben identificire. Sein unendil- 
ches, hoͤchſt⸗ wirklihes Weſen iſt fo wenig die Welt 
ſelbſt, als das Abfolnte der Vernunft und das 
Endlofe der Einblldungskraft Eins find: kein Theil 
der Welt kann alfo auch ein Theil Gottes Teynt 
denn das höchfte Weſen iſt feinem erften Begriff 
nach untheilbar. Deutlich .Tehe ich jetzt, daß man 
unferm Phlloſophen den Pantheismus eben fo un- 
recht Schuld gegeben habe, als den Atheldmus, 
„Ale Dinge, faat er, find Modifikationen, oder wie 
er es fonft unanftöpiger nennt, thätige Ausdruͤcke 
der göttlihen Kraft, Darftellungen einer der 
Belt einwohnenden ewigen Wirkung Gottes; nicht 
aber find fie zertrennliche Theile eines völlig untheil⸗ 
baren Einzigen Dafeynd.” 

Theophron. Läugnen wollen wir's indeſſen 
nicht, Phllolans, daß manche Ausdruͤcke Spinoza's 
feinen Gegnern, die nur bei Ausdruͤcken ſtehen blie⸗ 





9,68. feinen merkordigen 20hen Br. Opp. posth. p. 


- 152 
"ben und ſolche burch andre feiner beutlichften Gri 
fähe zu erklären nicht Kuft hatten, zu Mifver 
niſſen Aula geben onnten. Auf eine Ihm. eigen: 
thuͤmliche Bedeutung des Worts Suhftany hait 
er fein Sritem angelegt, und da er diefer eben fü 
ungewöhnliche Bebentungen ber Worte U ttr£b 
Modifikation n. f. beifigte, auch die 9 

Erklaͤrung der Materie als Ausdehnung beibe 


fo mußte er, bem gröfejten Theil feine Spftems 
Den Irtthum ae, 







nad, harte Ausbrüde wählen. thum abe 
daß er das Weſen Gottes und der Welt verwirn 
habe, hätte man ihm am wenigſten aufbürben follen: 
viele feiner Theoreme werden eben befwegen un: 
bequem, weil er das Wefen Gottes und der el 
ie Immer unterfcheiben will und nicht genug wieder- 
holen kann „Gott unter folcher Modifiation, unter 
olchem Attribut betrachtet.” Mer tft, ber ben 
egräif der naturirenden und naturirten 
Nat ur mehr ald Er unterfcheibet? — Den leſch⸗ 
teren Zufammenhang philofophffcher Wahrheiten 
fordern stüklihe Mortlombinationen, und Leip- 
nt, dieſer Proteus der Wiffenfchaft, ein vor MI: 
Konen andern leichte verbindender Kopf, Er behaͤlt 
das Verdlenſt, chen nach fo manchen unbequeme 
Darſtellungsarten der Scholaſtiker, des Des: z, 
Spineza, Hobbes u. a. viel zu dlefen (efhtern Su- 
ſammenhange beigetragen zu haben, Eine glüdlihe 
Leichtigkeit mannichfaltiger Verbindungen ‚war, wie 
mich dänft, Leidnigeng alänzendeg Talent; in feinen 
unbedeutendſten Auffägen Hat er oft Samenf er 
hingeworfen, bie lange noch nicht alle aufgenonmmen, 


 sehöiwelge denn gut Ernte gebiehen Thiß, Ihin 







153 


feibik raue bie 2 — nen, Reichthym gan —* 
Ben, weil er mit zu vielem E mar, 
ouletzt * Tod Dr —* Ki 
Dhllolane. Sir ſarlehen unfer n 
Y Hofophen unter andern bag Bene * dr 
zuerſt geweſen, ber beim Begriff non ber Mate⸗ 
e den Grund Ihrer Erfcheinung * at erlelhe 
abfonach, in die Metaphufif eingeführt habe; 
jeffte nad, Ein —5— 5 ſeine zwar ſRunrel⸗ 
e, aber, wie mih duͤnkt, zu meit arfrichene 
Ze. der Porn Are u ande 
Seefen und Koͤrpern, We he wie 
ii Hirn, amar übereloftten mind, aber ynab- 
lg von einander fielen“ — — ſeyn? 
ſeine Materie von Inwaterlellen Sräften 
—— melde jede ‚hüheze Art 
zieller Sröfte wirlen mag und kann, fo heflätigte 
—— Pr “ Ef der fear te —39 ẽ nfluß 
enthalben. die Natur zeigt 8 | 
nad keine willtuͤrliche Hypotheſ * N 
chen - auf. feinem Spſſem in einer —— aften Por⸗ 
ſtelunggweiſe. Die ganze Melt Gottes mird eip 
ei a Kräfte, deren Feine obne RPer⸗ 
Inbung mit andern Ik, weil chen nur aus dieſer 
und gegenſeitigen Mirkung ibrer allgr 
se er einungen und Meränberungen her Welt 
werben. Und mit wie weniger Anfpferung hätte 
Leibnis dieſen Schritt thun mögen! da feine 
praͤſtabilirte Harmonie eigentlich doch ſchen im Carte⸗ 
ſianiomus Tag, der jene Abſchichtung der Geiſter 
—— Kr J— von der wit het ern, Man auf 
h 


158 


Theophron. Und wie, wenn eben biefe Naͤ⸗ 
de des Sarteflantemus unfern Leibnis wie ben Spi⸗ 
noza am vollen Gebrauch feiner beflern Erklärung 
gehindert hätte? denn bas iſt das Schickſal auch bes 
fruchtbarſten menfchlichen Geiſtes, daß er, mit Ort 
und Zeit umfangen, in gewiffen Ideen gleichſam auf- 
waͤchſt, und fich nachher nicht ohne Mühe von ihnen 
zu trennen vermag. Leibnitz lebte bie blübendfte 
geit feines phllofophifchen Lebens, den Gedanken 
nach, mehr In Frankreich als In Deutfchlend. Dort 
ſtand er in fo vielen Verbindungen; von dort and 
glaͤnzte fein fcharfiinniger Verſtand zuerft über En- 
ropa auf. Da nun in Frankreich Des: Cartes und 
Malebranche, fie mochten angenommen oder beftrit- 
ten werben, im meiften Ruf ftanden: wie anders, 
als daß feine Bemuͤhung vorzüglich anf biefed Feld 
‘der Ehre gezogen werden mußte? Cr bildete alfo 
feine Hppothefe der präftabilirten Harmonie mit ef- 
ner Geſchicklichkeit aus, daß fie die Gelegenheits⸗ 
Urfahen des Eartefind, fo wie den unmittelbaren 
poͤttlichen Einfluß des Malebranche allerdings ent- 
vehrlich machen Fonnte, ob fie gleich auf bie man⸗ 
gelhaften Grundſaͤtze des erften Philoſophen ſelbſt 
gebauet war. Leibnis ſprach fo gern nach der Faſ⸗ 
Tungsfraft Anderer; für fie erfand er feine finnreichen 
Hypotheſen *). Als er fpäterhin durch bie Lehre 


7) In schodis gallicis de syatemate harmonide praestabi- 
litae agentibus, animam tanatim, ut substantiam, non 

ut simul gorporis Entelechiam consideravi,. quia. hoc 

ad rem, quam tunc agebam, ad explicandum nimirum 
consensum inter Corpus ot, mentem mon pertinebat; ne. 


\ 
155 


der Monadologie der Metaphufil dber Körper einen 
andern Weg anwied, ließ er jene Hypothefe, bie 
einmal in Ruf sefommen war unb zum Ruhm feis 
ned Namens viel beigetragen hatte, an ihrem Ort 
ſtetzen, ober vielmehr er bog fie biefer neuen Hypo⸗ 
thefe fehr gefehlt an, indem er jede Seele mit eis . 
nem organtichen Körper vereinigte. Blieb es gleich 
keine präftabilirte Harmonie mehr zwifchen Geiſt 
and Materie, fondern eine Harmonte zwiſchen hoͤ⸗ 
Heren und uleberen Kräften; Harmonie blieb es 
Goch immer: denn wer konnte, wer Kann es erklaͤ⸗ 
ten, wie Kraft anf Kraft wirket ? 

Phaelolaus. Sie retten. Ihren Verehrten fein; 
erlauben Sie mir aber zu fagen, daß ich Im ganzen 
Spinoza, In beffen Ausdräden doch Hartes genug 
Aft, nichts fo Gezwungenes gefunden habe, als eben 
dir präftabilirte Harmonie, bie auch Er zum Grun⸗ 


Theophron. Er? Wo? 

Philolaus. Mich duͤnkt, allenthalben. „Seine 
zwei Attribute, Deuken und Ausdehnung, 
oder Bewegung ſtehen neben einander; jedes 
muß für fih gedacht, keins kann aus dem andern 
erklaͤrt werben; jedes durch fich aber druͤckt die Rea⸗ 
Heät bes Ewigen aus;“ iſt dieß nicht Harmonie? 
Harmente zweier einander unmittelbarer Ausdruͤ⸗ 
de der hoͤchſten Realität? Da fie in biefer 
Ähren ewigen Grund haben, warum follte man fe 
nicht Harmonte nennen dufen? 


r 


que aliud a Cartesianis desiderahatar. Opp. Leihnit. 
9. IL. P. 1. P. 269. - - 


l 


388 ; 

Theonbion  Präkabisirte ‚Daunente ae- 
wiß nicht, ‚am wenigen in Leliyie Gimme: en 
Ihe welß Spinoga'sSyitem nihts. Es Isugek Aeige 
endlofe Zahl einzelner Subſtanzen, deren. Germer 
nie. präftabilict wäre; mu ‚Eine Selbſteſtaͤndigkent 
dennet es, bie fi auf unendliche Weife für. ans 
im zwei großen Attributen ausdrac. Nach Finlunse 
drikten beide Eine Weſenhelt auf: ‚ben, wie.Me. 
meint, iſ Eine aus der Adern nick erftärkich 
Gene Negeli wenn Zwel ia einem Butttee 
Eins find, find fhe ungag rinandarıfeihf 
Eins, foll hier alſo nicht Aatt finden; ‚oder keibe 
Pikteihute Erlen in elnender, und winken, Am fie 
Ein. Wefan auf verfchiehene Diet andbıslden, ‚Eie, 
Die Materie. wurde eilt, dar Gain Materie, gar 
in unfeser Baritellungsart auterihleäen; eig @inen- 
lei, dem Spinoꝛa fast. antangeusehet. Mir.fohem, 
bier will fein Spftem nicht erklären; es ſetzt vos 
ans und nimmt an, ‚mas wir eber erklaͤrt willen 
wollten, „wie mämlich. die ewige. Meonas. fkb in 
Attributen ale eine DOnss, eis sine. innere 
Den =. und aͤnßere Mewegimasfcaft enbare⸗ ‚Bike 
Assmonie: zwiſchen die ſem Aeußern und. Inyarır eng 
widelt Spiungs ut, da er fie. als Deffeihe, 
alt Eins In einem verſchledenen Zwol, voraus ſeta 
and. auch im Menſchen bei dar Berbinbung ‚webichen 
Werte und Körper unerklaͤrt aunimmt, Mau Annte 
fie wit auders als ‚eige fpmöoktfhe Antımde 
nie nennen, wenn man ihr ben Nauen 
geben wollte. Das Erpanfum mit allen in ihm wir⸗ 
{erben Kräften, der Vemegnng u, f. ware eine 

ußere Darſtellung der innern ewigen Dentkraft, 





137 


rer us vder, erg 
nennet, das Obiekt der Seele iſt; ſind wir mit 
er Haru din ie wetter, Ad wir 
daren ) 

PhUdlaus. Th höre nicht, baß wie je wel: 
ter gelangen werden, ja ich fehe nicht, warum wit 
welter gelangen muͤßten. Metapbyfie helßt Nach— 
SHaTtt; Mie follte jene bie Phyſit verlaſſen, fie 
aber immer begleiten. Allenthalben fodann bemerkt 
fie, WIE Kraft ohne Organ nicht wirken, oder von und 
mentgfteng uicht wahrgenommen werden Fönne, wie 
allenthalben fi alfo das Aeußere zum Innern 
fügen, jendd in diefem etfiheinen, dieß das Innere 
ausdrüten müſſe, mit einem Mort, wie allent- 
halben sich die Natur organlfire. Dies if 
Sutofonnfe, die mit Weglaſſung myſtiſcher Wort- 
formen ihren Weg rüſtig fortgchen, und jerie Spe- 
eifatlon ergänzen batf, die felt Des = Gartes, 
sum Thell in Gewande der Mathematik feibit, der 


u rail i 


% Nah Svinoza, fast Leifing, if die Seele nichts, 
als der fich denfende Körper; der Körper nichts aid die 
N Aausdehnende Seele. &. Leſſings Leben und Nach⸗ 
aß: 28. 2. S. 176. Genau nnd wahre „Our: 
EEE IR Srisniönnr auf tie Spur vet 
»ordeevenimmirin Hacmönte gefommien.’ 
©. 167. Aber durch welchen andern Carteßaner oder 
ättern Ppiloſophen konnte er nicht darauf gekommen 
feun?. Und warum durch einen ältern Philorophen? 
Drückt jeine Hypotheſe, von Wittfürtickeiren aerons 
Bere, eribas anders aus als Kin Sec dir Erfab⸗ 
vins | 


— 


Pd 


158 
wahren Phlloſophie, d. i. der Keuntntiß der Natıte, 


voreilte. 


Theophron. Uebereilen auch Sie fi nicht. 
Dieß Gewand, mein Freund‘, war ihr nuͤtzlich, es 
breitete die Sprache der Philoſophie zu einem: Abe 
ent der Beobachtungen und Gedanken. Denn, for: 
derte ed nicht Beftimmtheit in den Begriffen, Ge⸗ 
nauigfeit In den Beweiſen und Ordnung? Fteilich 
konnte das Kleid nicht die Sache felbft aͤndern oder 


- vertreten. Sind die Begriffe einmal willkuͤrlich er= 


faßt oder unvollftändig abfteahirt: fo Hilft alle ma⸗ 
thematifch= reine Darftelung berfelben, In ber be- 
ften methobdifchen Ordnung, nihte. Hat man an- 
genommen, was man nicht annehmen follte, fo wer⸗ 
den bie Beweiſe Scheinbeweife, und bie ftrenge. 
Form ſelbſt ein Hinderniß der Wahrheit. Mir ſa— 
hen dieß an Spinoza. Mit einem willkürlich = an= 
genommenen Begriff, 3. B. Subſtanz, Attribut, 


Modlfication, war eine Menge anderer willfürli- 


her Erklärungen eines Einen, das ſich in zwel At- 


tributen darſtellt, u. f. veranlaßt, welche feine 
vortreffliche funthetifche Methode nicht gut machen, 
wohl aber täufchend verbergen Fonnte. In ber Kris 
sit macht man die Probe, Verſe in Profe aufzuld- 
fen, und nimmt den Grundſatz an, da, was in 
Hofe Unſinn iſt, es auch in Werfen ſeyn muͤſſe; 
mit dem mathematifchen Vortrage metaphyfifcher 
Site follte man es eben fo machen. Vorausſetzun⸗ 
gen, behauptend= harte Ausbräde, bie in ungebun- 
dener Rede den Verſtand beleidigen, Finnen durch 
die geometrifche Form fo wenig gutgemacht werben, 
daß man ſich eher aufgebracht fuͤhlt, wenn man 


m 


159 
Stae der Art dem Schelnenah demonftrirt ſteht, 
und ſich zuletzt orieutiren muß, wie man mit der 
sefanden Vernunft daran fey. — 

Philolans. Sonderbare Philoſophle, bie 
ſich zu letzt orlentiret; da eben He, dem Inhalt 
wie der Methode nach, vom Anfauge bis zum Ende 
uns orientiren follte. Genug indeflen, daß Spk 
noza weder ein Atheift noch Pantheift ift, ein drit⸗ 
ter harter Knoten in ihm bleibt mit noch übrig. 

Theophron. Ich merke Leicht, wer er ſey; 

und wie, wenn wir eben in bem harten Knoten ein. 
Soldftäd finden? 
. Dhllolans. Es fon mic freuen, und jede 
Mühe der Auflöfung bed Knotens wird mir will. 
kommen feun; aber wer, m. Fr., iſt der Verfaſſer 
der — Dde,, bie Sie mir neulich mittheil⸗ 
ten 

‚Cheophrom. ia Atheiſt, ber verbrannt: 
wurde, Vanini. Noch auf dem Richtplatz hob er 
einen Strohhalm auf und ſagte: „daß, wenn er 
fo nugluͤcklich wäre, Feine andern Beweiſe vom Da⸗ 
ſeyn Gottes zu haben, als dieſen Strohhalm: fe 
würde dieſer ihm genug ſeyn.“ 

Phillolaus. Und warb verbrannt? EEE, 
fonft als Ketzer? 

Theopoͤron. Ein eitler junger Mann. war 
er, von vielen Fähigkeiten und vieler Ruhmſucht: 
er. wollte ein Julius Caͤſar in der Philoſophie ſeyn 
und ward ihr trantiges Opfer. Wie gefaͤllt Ihnen 
ſeine Ode? 

Philolaus. Fuͤr die Zeiten Vaninl's gefaͤllt fie 
mir ſehr wohl. Der Ausdruck iſt im Latein der da⸗ 


* 


160! 


mallgen Seit und die Theorie über das bo Mt, Be: 


ſen ſcholaſtiſch; der zweite Theil bes Gebihts aber 
it innig und herzlich. Der Dichter, durchbrungen 
von feinem Gegenftande, bietet allen Relchthum ſel⸗ 
ner Sprache auf, um und den Einzigen darzuftellen, 
ohne beit mit nichts, durch ben wir alles find, was. 
wir And, was mie —*5 — und wirken. 
Theophron. So wird ihnen viellelt au 

dieg Blatt mörgenfändifher Sentenzen über ba 
hoͤchſte Weſen nicht mißfallen. Ste find Im a 
der Sprachtn des Orlents gebacht, und Fünnen mit 
anders als in folhen gelefen werben. IH Spimopa 
—5 fie woͤhl; morgen ſprechen wir über Ih 


we 
— 


— 


Ernige Lauer der Morgentanber. 


gu Ihm leben, weben unb ſind wir, Bor Hab 
felües Geſchlects. 
Paulus. 


Mn Tot; fm A au gn ihm find m Dinge. 
| Ihm fey Ehre in Ewigteit. 
| A a us. 





ich OR 
item wit viel — ſo — atee 
doch nicht erſchoͤpfen; der Inbegriff aller Sebanfen, 
das Al tft Er. 
F | Sitach. 


Sm 


— 161 


Ihm allein kommt es zu, zu ſagen: Ich! Er, 
deffen Reich ewig umd deſſen Weſen ſich ſelbſt genug 
iſt. Wer außer ihm ſagt: Ich! iſt ein Teufel. 


Der Sefchöpfe Eigenfchaften find alle zwiefach: 
denn wie fie auf der einen Seite Macht haben: fo 
haben fie auf der andern Schwachheit. Wenn fich in 
einer Sache Weberfluß befindet: fo findet fi auch 
Mangel bei ihr. Kenntniß und Unwiſſenhelit find 
wit einander vereinigt, Kraft undb-Schwachheit, Le⸗ 
Ben. und Tod. Nur des Schöpfere Macht iſt ohne 
Orenzen, fein Reichthum ohne Mangel, feine Wiſ⸗ 
ſenſchaft ohne Dunkelheit, ſein Leben ohne Tod. 
Alle Dinge ſind zwiefach geſchaffen, Gott allein iſt 
einzig und ewig. 


Die Menſchen, o Gott, meſſen Dich nicht mit 
dem Maß, mit welchem Du gemeſſen werden mußt; 
sur von Deinem Weſen allein Tann Dein Weſen 
begriffen werden. Denn was für ein Verhaͤltniß 
kann ſeyn zwifchen dem, der ewig ift, und zwiſchen 
dem, der in der Zeit gefchaffen worben? zwiſchen 
ein wenig Weller und Erde, und zwiſchen dem | 
Herren aller Dinge? 


Die droben im Tempel feiner Herrlichteit anbe⸗ 
ten, geſtehen es und ſagen: „wir verehren Dich 
nicht, o Gott, mit wuͤrdiger Verehrung.“ Wenn 
fie den Glanz ‚feiner Schoͤnheit preiſen, ſtehen ſte 
erſtaunt und klagen: „wir erkennen Dich nicht, 
o GSott, mit wahrer Crfenntniß.” 

Und wenn nun jemand mich um Tein Lob fragte, 

Serderd Werte 3. Philoſ. u, Geſch. IX, 4 








“ 162 a: 
mas follte der Siuniofe vom Bildloſen fagen? Der 
ziebende wird ein Opfer. des Geliebten und das 
Dpfer verfiummt. — 

| adi. 


Ein Betrachter Gottes, ein tebliher Mann, 
ſenlte das Haupt zum Buſen, und ſchlen wie unter⸗ 
gegangen im: Meer der Beſchauung. Als er ew⸗ 
porkam, redete ihn Einer feiner Vertrauten an md, 
ſprach: was haſt du ſchoͤnes mitgebracht aus dem 
Garten, in dem bawarel! 
89% wollte Roſen brechen, autivortete er; mein 

Kteid, meinen Bufen. wollte ich aufuͤllen mit ihnen,⸗ 
ein Geſchenk für meine Freunde; ſchon nahte ih 
mich dem Bufch voll fchöner erquickender Nofen; al- 
lein der. ſtarke Duft derſelben bexauſchte, uͤberwaͤl⸗ 
tigte mich; meiner San) entſank das Kleld uud ale 
gefammelten Rofen.” ee ge age 

Lantſingende Nachtigall, von der Müde Irene: 
was Lebe fen? Sie .filegt hinein in die geliebte- 
Flamme, ihr Fluͤgel verfenget; tobt und ſtumm ſinkt 
fie darnieder. nn EEE 

Jene Prahler, jene Schwäßer von Bott wien 
nichts von ihm; wer ihn kennet, ſchweigt. 

O Du, höher. als alle Gedanken, als alles ur⸗ 
theu, als jede Meinung, als jede Einbildung. 
Alles, was. die Väter fasten, las und hörte ih: Ge⸗ 
fpräch und Leben iſt zu Ende, mad ich bin: eben, am 
Anfange Deiner. Veſchreibung. — | 

Sadi. 





2 


185 ’ 
Drittes Ber 





bilo lia u s. Washaben Sie da. fürreine schöne 
—8* vor ſich? Schoͤm wie die Liebe und eruſt wie 
die Weicheit: ſie blickt zum verſchleierten Buſen 
hinab ⸗ and haͤlt die Linke, als ob fie etwas an ihr 
meße z. die gzemeſſen⸗ Hand: hält einen weis. Ihr 
flißfes Ditt, die ſanfte Erhabenheit in ihrer ganzen 
—— hezehipnen gewiß eine gluͤcbringende, gute 


—— been. Es Pr die Neme ſae der Orie⸗ 

; in werfonlfichter Begriff, ben ich liche, 
—* fie / die Dochter der⸗ Setechtigkeit: uſte mif⸗ 
feb mit der Rechten das Betragen und Gluͤck der 
Serdlichen ab, mad Bit unparteliſch sum: Buen 
biauster. Fuͤr den, ber das Maß trifft, Halt fie 
den Zweig der Belbhnung. 

— Hat ſie nicht fonſt ein Rab un⸗ 
ter ihren Fuͤßen? 

Theophrvn. Sie hat's; zur Anzeige, daß 
fe das Gluͤck bes Uebermuͤthigen im ſchnellen Nu, 
durch bie leichteſte Berührung, frArze und ihn ver- 
berbe. Bei der Blidfaͤule ließ der Kuͤnſtler dieß 
Symbol weg, md gab ihr dafür den ſtillen Tritt, 
die fefte Haltung, die Ste bemerkten; ımfere Neme⸗ 
ſis, m. Fr., ſol des fchredenden ſtuͤrzenden Rades 
auch nicht: beduͤrfen. Das ernſte guͤtige Angeſicht 
der Goͤttinn, ihr weiſes Maß und ber Zweig des 
Gluͤckes in threr Hand find der Symbole genug, und 
an die feſte Naturwahrheit zu erinnern: „daß aller 


164 


Beitand, alles Wohlfenn, in das Daſeyn ber Dinge 
felbft nur auf Map, Proportion und Ordnung ge- 
bauet feyen, und ſich buch diefe allein erhalten.’ 

Philolaus. Da treffen Sie, Theophron, 
auf den Sas eines meiner geachtetften Phllofophen, 
den ich ben Leibnitz unferer3 it nennen möchte, La m⸗ 
bertd. Sowohl in feinem Organon als in feiner 
Architeltonik kann er nicht oft genug auf bie Wahr- 
beit zurädtommen, „daß ber Beharrungszuftaud, 
mithin das Weſen jedes eingeſchraͤnkten Dinges, 
allenthalben auf einem Maximum berube, bei wel- 
chem gegenfeltige Regeln einander einfchränten, mit⸗ 
bin die Beſtandheit der Dinge und ihre Innere Wahr: 
heit, nebft dem Ebenmaß, der Ordnung, Schön: 
beit, Güte, die ſie begleiten, auf eine Art innerer 
Nothwendigkeit gegründet ſey.“ Er gibt Ih⸗ 
nen alfo Ihre Nemeſis, mit dem mellenden Arin 
und dem Zweige In der Hand, als eine mathema⸗ 
tiſch⸗ phyſiſch⸗ metaphufifche Formel. 

Theophron. Auch in dieſer Geſtalt habe Ich 
fie lieb und, wenn fich ungleichartige Dinge verglei- 
en ließen, faft noch lieber, als in welcher fie der 
Köuftler bildete. Dieſer mußte fich begnügen, man⸗ 
cherlei Symbole zufammenzufügen; bie abftrakte 
Wahrheit gibt mir folche als nothwendige Beftim- 
mungen des Begriffes felbft, mithin nehmen bas 
Map und der Zweig der Belohnung in ihr eine we- 
fentlihere Seftalt an. Aber wo ift das Rad ber 
Veraͤnderung, das der Nemeſis gehöret, In ihrer 
mathematifchen Formel? 

Philolaus. Der Weltweife vergaß es nicht; 
er bemerkte, „daß, wenn Dinge oder Syſteme von 


u N 


165 


Dingen In ihrem Beharrungszuſtande geftört wer⸗ 
- den, fie fih demfelden auf eine ober die andere 
Beife wieder zu nähern trachten“ und beftimmte 
die Welfen. 


Theophron. Vortrefflich. Sie fehen, Phi⸗ 
lolaus, den Vorzug ſolcher wiſſenſchaftlichen For⸗ 
meln. Was der gemeine Verſtand in täglichen Er⸗ 
fahrungen dunkel bemerkt, bringen fie ins Licht, 
führen e8 auf allgemeine Geſetze, ia wo möglich auf 
Zahl und Größe zuruͤck; dadurch bekommt ihre Be⸗ 
hauptung einen Werth ber beftimmten Gewiß- 
beit, ia einer allgemeinen Anwendung, bie man 
nachher bei jedem einzelnen Gegenftande gern ver⸗ 

folget. Wahrſcheinlich wird es Ihr Lambert auch 
{9 gemacht haben. . 

Philotaus. In reihem Maße. Er wendet 
das Maximum feines Beharrungszuftandes in mans 
cherlei Beifpielen auf die verſchiedenſten Gegenftän- 
de an, und findet es bei allen befchräntten und zu⸗ 
fammengefehten Spitemen der Kräfte. So hat er 
in einer eigenen Abhandlung die Bewegungen bes 
menſchlichen Körpers berechnet und eine Reihe von 
ihren Maximis gefunden: gleichergeftalt hat er eine 
Theorie der Ordnung verfuht und feinen. Behar⸗ 
rungszuftend auch auf Gegenftände der Schönhekt, 
der Guͤte, des Nutzens anzuwenden angefangen, 
Er hat mehrmals den Wunſch geäußert, daß bei 
allen Syſtemen zuſainmengeſetzter, befchränfter 
Kräfte diefe Regel bewiefen und angewandt wer- 
den möchte. Gewiß hätte er auch felbft diefen ſei⸗ 
nen Lieblingsſatz noch weiter verfolgt, wenn Ihn 


496 


nicht. ein. fruͤhzeitiger Tab. zum Vachtheil: mehrener 
Wiſſenſchaften, ‚die er anbaute, dahingeriſſen hätte. 

Theophron. Sein Tod iſt zu bedauern; 
aber andere Geiſter werden anbauen, was er ange: 
baut zu fehen wänfhte. In der mathematifchen 
Phyſik hat man- mehrere dergleichen: Geſete und 
Sompenfatlonen bereits gefunden, die alle Wirur 
ausſchließen, und dem denkenden Geiſt ben Hohen Be⸗ 
griff „Innerer Vollkommenheit, Guͤte add 
Schoͤnhett in der Exiſtenz und Fortdaner 
eines Dinges’’ zu feiner unbeſchreiblichen Fren⸗ 
de geben. Aus manchen biefer Bemerkungen hat 
man freilich Anfangs zuviel fließen wollen; bag 


fhabet aber der Schönheit Ihrer Erfindung nicht. | 


Der Irrthum ſchleift fi ab; die Wahrheit bleibet. 
Se mehr die Phyſik zunimmt: deſto weiter kommen 
wir ans dem NMeich-Hihrder Macht und Willkuͤr ge 
aus, in's Reich: der weifeften Nothwendigkeit, einer 

in ſich Telbft- feften Gaͤte und Schoͤnhett. Zebefian- 
Iofe Furcht verſchwindet, wenn der freudigklare 
Silun allenthalben eine Schöpfung gewahr wird, in 
deren kleinſtem Punkt der ganze Gott In Geſetzen 
feiner Weisheit und. Guͤte gegenwaͤrtig iſt, und, dem 
Weſen jedes Geſchoͤpfs nach, mit: feiner ungetheil⸗ 
ten und untheilbaren Kraft wirket. Woſbleibt 3. B. 
ber leere Schrecken, daß ein Komet unfere Erbe 
uͤberftuͤgeln möge, ſeitdem man den Gang dieſer 
Weltkoͤrper genauer Femme, und nach beu:biäker:ge- 
machten Wahrnehmungen ſelbſt bie: Fälle ‚berechnet 


hat, in welchen eine ſolche Ueberſtuͤrzung zu befuͤrch⸗ 


- ten wire? Die Möglichkeit dieſes Unfalls wird durch 
die Berechnung fo ungeheuer Hein, daß ſie, dem 


— 


167 

Hp Verhaltniß der Kräfte ugch, durch weiche ſich 
VI Weltan eryalt, beinahe zum Nichts verſchwin⸗ 
Det. Was hat man nicht von den Unregelmaͤpigkei⸗ 
ten und Ihren böfen Folgen gemähnt, in welche ſich 
die’ Htenmelstörper durch Ihre: gegenfeitigen Anzbe⸗ 
Yungen mit der Zeit ftärzen müßten! Der leere 
Sgrecen iſt duch bie Flärere Anſicht der Sache ſelbſt 
v unben, da man gefunden hat, daß nach une 
wandelbaren Gefetzen alle Störungen ber Planeten 
periodiſch in beftimmten Bremsen enthalten find, 
uud dieſe Unregelmaͤßigkeiten einander felbit com⸗ 
penffren; das Planetenfpftem iſt alfo beftehend, 
bleibend. Wohlthaͤtige, ſchoͤne Nothwendigkeit, 
unter deren uͤberallausgebreitetem Scepter wir le⸗ 
ben! Sie iſt ein Kind der hoͤchſten Weisheit, die 
Zwillingsſchweſter der ewigen Macht, bie Mut⸗ 
ter aller Guͤte, Gluͤckſeligkeit, Sicherheit und Ord⸗ 
nung ). Wuͤßte ich ein ſchoͤneres Bild derſelben 
aus dem Alterthum; bie Nemeſis ſollte dieſer hoͤ⸗ 
heren Adraſtea Togleich Ihren Platz einraͤumen. 

Philolaus. Das alſo war dag Goldſtuͤck, 
das fie mir in dem Knoten verſprachen, den ung 
Spinoza mit feiner Innern Nothwendigkeit 
der Natur Gottes, bie und offenbaret, ia im 
and um uns wefentlich ansgedruͤckt fen in allen hoͤch⸗ 


*) De Kicher gehjrigen, aſtronomitoer Abbandlungen 
von la Grange und Ia Place ftehen in den Denk. 
ſchriften der Berliner und Patifer Akademie, Des 
Nzwtons unſerer zeit, Pierre Simon la Place 
Exposition du Systeme _du monde, die feitdem (1796) 
erſchien, ift eine Himmelscharte die ſer weifen ewigen . 
Geſepe des Weltaut, Anmerk. ber 2te Aussabe. 


168 


ſten Naturgeſetzen, geknuͤpft hat? Aber, Theo⸗ 
phron, der Knoten iſt noch nicht geloͤſet. Wie hart 
redet er gegen alle Abſichten Gottes in der Schoͤ⸗ 
pfuag! Wie beſtimmt ſpricht er Gott den Verſtand 
und Willen ab, und leitet alles, was da iſt, blos 
und allein aus ſeiner unendlichen Macht ab, die er 
nicht nur uͤber Verſtand und Abſichten ſetzt, ſondern 
auch von denſelben trennet und unterſcheidet). Sie 
wiffen, m. Fr., daß dieſe Säge unferm Philofo- 
phen die eifrigften Gegner zugezogen haben 9; 
ſelbſt Leibnitz, der den Spinoza ehren mußte, 
hat ſich in feiner Theodicee und fonft aufs beſtimm⸗ 
tefte gegen fie erklärt ***). Wenn Ste dieſe fo be- 
leidigenden Sie mit dem In manchem andern fo 
vortrefflihen Syſtem des Spinoza vereinigen koͤn⸗ 
nen, fo wünfche ich mir felbft die Nemeſis zu feyn, 
bie Ihnen den Zweig reiche. 

Theophron. Ich wuͤnſche Ihn nur aus der 
Hand der Wahrbeit: denn ich kann Ear beweifen, 
theild daß Spinoza auch In diefen Sägen ‚nur deß⸗ 
halb anftößfg iſt, weil er in der Carteſiſchen Spra- 
he fprah, und auf das beftimmtefte in ihr fprechen 
wollte; theils daß man Ihn noch viel härter verftanden 
bat, als er fi hart ausdruͤckte. Setzen wir ine 


*) „Der wirkende Verſtand (intellectus actu), fen er end⸗ 
„lich oder unendlich, muß wie Wille, Liebe, Begierde 
iur abgeleiteten, nicht zur bervorbringenden. Natur 
„gezählt werden.’ Prop. 3ı.. „Die Natur hat keinen 
nvorgefegten Endzweck; alle Endurfachen find Dich⸗ 
tungen der Dienfchen.”’ Prop. 36. append. u. f. 

”) 6. Br. 24.235, u. f. > - 
*’*) 6 in) Regifter feiner Opp. den Namen Svinoia. 


* 





169 , 
Ausdruͤcke des Carteſianismus In andere ung geläus 
figere um, und erklären bes Spinoza Säße ber rei- 
nen Grundidee zufolge, auf welche er fein ganzes 
Syftem bauete: fo heilen fie fich auf; die Nebel 
ziehen hinweg und Spinoza gewinnt, wie mich duͤnkt, 
ſelbſt einen Schritt vor Leibnig voraus, ber vorfih- 
tig, aber in diefem Stüd vielleicht zu vorſichtig, ai⸗ 
- fo auch nicht genmgthuend auf ihn folgte. 
Philolaus. Ich bin ſehr neugierig. 
Theophron. Zuerſt laͤugne ich's völlig, daß 
Spinoza Gott zu einem gedankenloſen Weſen dichte; 
ſchwerlich kann es einen Irrthum geben, der ſeinem 
Spſtem mehr zuwider liefe als dieſer. Das Wee 
ſen Gottes iſt bei ihm durchaus Wirklichkeit, 
und Spinoza war ſelbſt zu ſehr ein Denker, um 
wicht die Realitaͤt auch dieſer Volllommenheit, der 
hoͤchſten, die wir kennen, innig zu ſchaͤtzen und zu 
fühlen. Sein hoͤchſtes Weſen alſo, das alle Voll⸗ 
kommenheit auf die vollkommenſte Wels 
ſe beſitzet, kann der vorzuͤglichſten derſelben, des 
Denkens, nicht ermangeln: denn wie waͤren ſonſt, 
da alles nur durch Ihn und in Ihm iſt, Gedanken 
und Borftellungsarten in eingefchräntten, denkenden 
Geſchoͤpfen? die, nach Spindoza's Syftem, alles 
ſammt ja nur Darſtellungen und reale Folgen jenes 
hoͤchſtrealen Daſeyns find, das, nach ſeiner Erklaͤ⸗ 
rung, allein den Namen eines Selbſtbeſtehenden 
verdienet. In Gott iſt alſo, wie er oft und deut⸗ 
lich ſagt *),. unter unendlichen Eigerſchaften andy, 


*) „Je mehr Realität oder Wirtlichteit ein Ding beſitzt, 
„deſto mehr Attribute kommen ihm zu.“ Erop. 9.3 


4 "170 - 


die Bpltommenpeit eines unendlichen Deuteng, die 
Sptnoza eben nur_ bewegen vom Verſtande und 





- nGt, das ſelbſtſtändige Weſen, befkebend .in unend» 
lichen Attributen, deren jedes fein unendliche ewi⸗ 
„ges Werfen ausdrückt, exiſtirt nothwendig. (Prop. 11.) 
„Aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur muß 
‚Unendliches auf unendliche Weſen, d; 3. Alfeß, deſſen 
rein unendlicher Verſtand fähig iſt, (quae sub Intellec- 

“ tum infnikam eadere possunt) folgen,“ (Prpp. 16.) 
Sorte? Verſtand iſt die Urſache der Dinge, ſowobi 
„bier Exriſtenz als Ihrem Weſen nachz er If alſo Kam 
Berftande. aller Dinge weſentlich unterſchieden.“ 
‚(Prop. 18. Schol,) Gottes Eriften; und Werfen. if 
„Eins und Daſſelbe.““ Prop. 20. „Auf keine andere 
Weife, int Feiner andern. Ordnung haben die Dinge 
hervorgebracht werben können, als fie hervorgebracht 
„ſind; mithin im der größeften Votlkommenheit, weil 

aſie aus der vollkommenſten Natur nothwendig fols 
men. Niemand kann uns überreden, su glauben daß 
Bott. nicht alles, was in feinem Verſtande iſt in der 
⸗Vollkommenheit, wie er es erkennet, ſchaffen wolle, 
Erop. 33. Schol. 3.) „Gedanke iſt ein Attribut Got⸗ 
tet, Eins feiner unendlichen Attribute, das fein 
ewiges unendliche Weſen auddräckt,zr (P. 11. Prop. ı.) 

In Gott iſt nothwendig eine. Idee ſomohl feines 
Weſens, als alles deſſen, was aus feinem Weſen 

"= sMothimendig folgt, Der Pöber verſteht unter Gottes 

Macht eine freie Willkür, wir haben aber gezeigt, 
vſdaßß Bott mit derfelben othwendigkeit handle, mit 
srder er ſich felbft erfennet, (se ipsum intelligit) 
rd. b. wie ed aus der Nothwendigkeit der göttlichen 

Natur folgt, deß Gott fich felbſt erkenne, fo 
«folgt auch aus ihr, dag Gott unendliches auf. unend: 

0 alle. Meise, Wirte, (KfOP. 3. Sehod „Die :Sdee 
248oꝛtet aus EDER anendliches uch Weiſe 


- 


u 





271 - 


Berftellumgänelicn —— Meſen ſtreng 
unterfcheibet, um jene als urſpruͤnglich, ahſolnt und 
einzig ja ihrer Art, ganz unvergleichbar mit dieſen, 
znu bezeichnen. Sie werben fein Gleichniß hemerkt 
haben, daß ſich bie. Gedanken Gottes zu menſchli⸗ 
chen Vorſtellungsarten wohl. kaum anders verhalten 
konnten, als das Geſtirn am Himmel, dad man 
den Hund:nennt, zu einem irdiſchen Hunde. — 

Philolaus. Das Gleichniß hat mic mehr be⸗ 
troffen als: belehret 

Theophron. Belehren ſollte es auch. nicht; 
aber ſcharf unterſcheiden. Es zeigt, daß Spinoza 
auch hier lieber zu ſcharf griff und ſich zu hart aus⸗ 
drädte, als daß Er, ein Elfrer für den wuͤrdigſten, 
hoͤchſten Begriff von Gott, dieſen zu irgend einer 
ſchwachen Vergleichung mit Verſtandesbegriffen ober 
Kraͤften, denen die verſtaͤndlichen Dinge vorliegen 
muͤſſen, erniedrigen wollte. Daß alle reine, wah⸗ 
re, vollſtaͤndige Erkenntniß auch in unferer Serie 
gleihfam.nur eine Formel des göttlihen Er: 
kennens ſey: das, getraue ich mir zu ſagen, 
hat niemand ſtaͤrker behauptet als Spinoza, Ct 


— —— — 


„folgt, kann nur Eine ſeyn: denn ein unendlicher 
„Merſand begreift nichts in ſich, als Gottes Autribute 

„und Affectionen. Erop. 4.) „Die Ordnung und Ver⸗ 
„bindung feiner Ideen if die Ordnung und Verbin: 
„dung der Sachen ſelbſt.“ (Prop. 7.) Bad irgend 
‚vom unendlichen Verſtande gedacht werten kann ale 
„confiituirend des eibſtbeſtehenden Weſens, dad allch 
„gehört zum Einzigen Seibnftändigen.’’ u. f. (Erap. 7- 
Schek) 


. 172 


ber die Natur des Goͤttlichen im Menſchen einzig 
sur in biefe, Gott gleichfam ähnliche, reine, leben- 
dige Erkenntniß Gottes, feiner Eigenſchaften und 
Wirkungen febte. 

Philolaus. Wie aber? ſollte Spinoza's un⸗ 
endlich⸗ denkendes Weſen nicht blos ein geſammelter 
Name aller der Verſtandes- und Denkkraͤfte Tepe, 
die in einzelnen Geſchoͤpfen allein wirklich ſind und 
denken? 

Theophron. Gott ein geſammelter Name? 
das wirklichſte Weſen ein Unding, der Schatte in 
der Vorſtellungsart einzelner Menſchen? oder viel⸗ 
mehr ein bloßes Wort, der Schall eines Namens? 
Der böchft= Lebendige alfo ein Todter, der Altwirk- 
Tame ein Nichts, bie Teste ſtumpfſte Wirkung 
menſchlicher Kräfte? Phllolaus, wenn Ste bas aus 
eigener Meinung dem Spinoza zufchreiben und das 
völligfte Gegenthell feines Syſtems zu ſeinem Sy- 
ftem machen können! — Doc) das Eönnen Sie nicht, 
Unmöglih, daß Ste ben aud in feinen Behaup- 
tungen wenigftend zufammenhängenden Weltwelfen 
‚von Blatt zu Blatt, von Anfang zu Ende fo miß- 
verftehen Fonnten. Wahrfcheinlich ſprachen Sie aus 
dem Munde feiner Gegner im vorigen Jahrhun⸗ 

tt. — 
Philolaus. Eifern Sie nit; Im Gefpräd 
führt man bisweilen auch einen fremden Saft ein, 
‚wenn er der Materie forthilft und fie durch Ge⸗ 
genfäpe erläutert. Fuͤr mich bin ich über Spf- 
nozas Meinung hierüber durchaus nicht zweifelhaft 
sewefen, feitbem ich ſeine Ethik gelefen. Wie ei⸗ 
fert er gegen bie, die Gott zu einem abſtrakten, 








— 173 nn 
tebten Conſectarium der Welt nahen wollen! da 
dieſes einzige Wefen bei ihm bie Urſache alles Seyns 
amd Denkens, mithin auch unferer Vernunft, jeder 
Wahrheit und jeder Werbindung von Wahrheiten 
it! Wie hoch hält er eine volftändige und vollkom⸗ 
mene Idee )! Ste tft Ihm die Erfenntniß des Ge⸗ 
fege der Natur, in ihnen des ewigen, göttlichen 
Weſens; göttlih auch darin, daß fie die Dinge 
wicht zufällig, fondern als nothwendig unter einem 
Bilde der Ewigkeit denfet, und eben diefer Innern 
Nothwendigkeit wegen ihrer fo gewiß tft, wie Gott 
derfelben gewiß fein ann. Höher läßt fi das We⸗ 
fen des menfchlihen Gemuͤths, das Fraft feiner 
Katur Wahrheit erfennet, und folche ald Wahrheit 
liebt, fchwerlich heben; und Er, ber das Denken 
fo hoch erhob, follte feinen Gott, den Urfprung, 
Gegenſtand und Inbegriff aller Erkenntniß, ge⸗ 
dankenlos, blind wie einen- Polyphemus gedichtet 
haben? Beinahe ſchaͤme ich mic, felbft vor dem Gei⸗ 
fie des Mannes, daß ich dieſen Antipoden- Vorwurf 
gegen ihn auch nur beiläufig anführte. 


Theophron. Wohlen alfo, eine unendliche, 


urſpruͤngliche Denkkraft tft nach Spinoza Gott 
weſentlich; über die unendliche Wirkungskraft 


in ihm haben wir, dieſem Syſtem nach, niht u 


zweifeln. 


Phiholaus. Nein! denn auch In der ent- 
fprangenen Natur tft nad Spinoza Verſtand und 
Wille fogar Eins. D. i. in unferer lindern Spra⸗ 


*) Zeuge deſſen It Spinoza's ganze Ethik, 


174 


Se ein Verſtund, der das Werte ‘eläfleht, “ik 
auch das Befte wollen tind, wenn er die Kraft dazu 
hat, es wirfen. An ber unenblihen Macht ſel⸗ 
nes Gottes aber tft nicht zu zweifeln; ba eben dieſe 


Macht, d. 1. Wirklichkeit und Wirtfamteit, 


ihm das tft, woher er ulles leitet. 


Cheophron. Was, meinen Sie, hinderte 


ihn alfo, daß er die unendliche Denk⸗ und Wir⸗ 


kungskraft nicht verband, und In dieſer Verbindung 


das nicht deutlicher ausdruͤckte, was er in ihr noth⸗ 
wendig finden mußte, naͤmlich: (mach unſerer Weiſe 


zu reden) daß die hoͤchſte Macht nothwen 


dig auch die weiſeſte Mat, mithin eine 
nach innern ewigen Geſetzen geordnete, 
unendliche Güte ſey? Denn eine ungeorbnete, 
regelloſe, biinde Macht tft ja nie die hoͤchſte: nie 
kann fie das Vorbild und’ der Inbegriff aller der 
. Innern Wahrheit und Regelmaͤßligkeit feyn, bie wir, 
obgleich fo eingeſchraͤnkte Weſen, nach ewigen Ge⸗ 
-feßen in der Schoͤpfung bemerken; wenn ſte ſelb ſt 
dieſe Geſetze nicht kennet, "und ſolche wicht als ihre 
ewige, : immere: Natur ausaͤbet. Von einen geord⸗ 
neben müßte: Die blinde Mat nothwendig übertrof- 
fen werben und koͤnnte alfo nicht Bott ſeyn. — 
Philolaus. Ich danke Ihnen, daß Sie: mir 


auf Einmal den Schleier zerreißen, der mir, nie - 


Spinsza, das. Licht nahm. In ber Earteflihen Ter⸗ 
minologie ſtanden Gedanke und Ausdehnung. ihn als 


swei-aus einander unerklaͤrliche Attribate entgegen; 


der Gedanke kann nicht durch bie Ausdehnung, bie 
Ausdehnung Keane den Gedanken begrenst wer- 
ben, Da er'mm bilde: als" Wigetifcikfteii Gottes, 


— 


/ 
175 

eitzes mthellbaren Weſens, annahm, und keine 
duch bie andere zu erklären wagte; fo mußte er 
ein. drittes anneſmnen, unter welches ſich beide 
fügten, und dad wat — was Fonnte es andere ſeyn? 
ale Macht, d. f. wirkliche Witkfainfeit, wirkſa⸗ 
mes Daſeyn! Der Begriff von Macht, wie der Be⸗ 
griff von Materie und des Denkens — — 
fallen alle drei, dieſem Syſtem ſelbſt zufolge, in 
einander, b. i. in ben Begriff einer Urkraft, die 
eben wohl in ber Materie, als dem’ Organ ber. 
Begriffe, als im Denken felbft unendlich wirket. 
Auch Macht und Gedanke werden hleinit Eins: denn 
der Gedanke it Macht, und war die vollkommen⸗ 
ſte, ſchlechterdings unendliche Macht, eben dadurch, 
daß er alles in fich iſt und hat, was jur unendli— 
chen, in ſich ſelbſt gegruͤndeten, ſich ſelbſt ausdruͤ⸗ 
ckenden Macht gehoͤret. Der Knoten 'tft alfo geld⸗ 
ſet, und das Gold In demſelben liegt vor mir. Die 
„ewige Urkraft,“ bie Kraft aller Kraͤfte, iſt 
nur Eine; und In jeder Elgenſchaft derſelben, wie 
jeihe ünfer Verſtand auch theilen möge, iſt ſie 
Aeich unendlich. Nach ewigen Gefeßen Feines We: 

denkt, w rt und iſt Gott das Bollfommenfte 
auf jede von ihm allein’ denkbare, d. f. die vollkom⸗ 
menfte Weiſe. Nicht weife find feine Gedanken, 
fondern die Weisheit: nicht gut allein find ſeine 
Wirkungen, fonbern bie Güte: und das alles nicht 
aus Zwang, nicht aus Willkuͤr, als ob auch das 
Gegentheil fintt Haben Fönnte, fondern aus feiner 
imern, eigen j" iin: weſentktchen Natur; aus ur- 
fHränglicher, een Güte, d. Fi Thyaͤtis⸗ 
keit und RUHR 


— 176 
Sept ſehe ich auch, m. Fr., warum Spinoza 
fo ſehr gegen die „End-Abſichten“ iſt und dem An⸗ 
Schein nach hart gegen fieredet. Ste find ihm ſchwa⸗ 
de Ueberlegungen und Vorftellungsar 
ten, Wiltfürlihkeiten nd Velleitäten, 
die z. DB. der Künftler gewollt aber auch nicht ge: 
wolt haben könnte. Was Gott wirkte, darüber 
durfte er nicht erft rathichlagen und wählen; die 
Wirkung floß aus ber Natur des volllommenften 
Weſens: fie war einzig, und außer Ihr nichts an: 
ders möglich. | 
Sept weiß ich, warum bie vielen Anthropopa⸗ 
Thieen, felbft in Leibnitz vortrefflicher Theodicee, mir 
nie recht zum Herzen wollten, ob ich damals gleich 
an ihre Stelle nichts befferd zu ſetzen wußte, weil 
ich vor der blinden Nothwendigkeit zurädbebte. Ich 
bemerke jet, daß meine Furcht vergebens war, 
and daß man Feine blinde Nothwendigkeit nöthig 
habe, um jene lichtuolle, wirkende Nothwendigkeit 
zu verehren, die durch die Natur Ihres Weſens iſt 
and denkt und will und wirket. Haben Ste die 
Theodicee zur Hand, Theophron? 
—Theophton. In mehr als einer Sprache; 
hier aber eine Fürzere Theodicee von einem unferer 
beliebteſten Dichter *). 





.Philolaus. 
„Die Riſſe liegen aufgeſchlagen 
Die, als die Gottheit ſchuf, vor ihrem Augé lagen: 
Das Reich des Möglichen ſteigt aus gewohnter 
Nacht; 
Die Welt verändert fi ‚mit immer neuer Pracht, 
2) 15 Inrifche Gedichte, Theodicee. 


* * 
[4 - 
s 


— — 
ch Kanfenb Indenpen Entwürfen, 
a —— zu ſchnellem Seyn bedürfen. 
Doch Dämmerung und kalte Schatten 
Gehn über Welten auf, die mich entzücket hatten; 
Der Schöpfer waͤhlt fie nicht: er waͤhlet unfre Zeit, 
Der Ungefeuer Sig” — | 


Es lt, die treue Theobicee bes Leibnis, fdöm ver: 
Atfieitet; doch aber, wie mic, dünft, vom Phllofo- 
„oben gedacht auf Koften rein: philofophlfcher gottes- 
MWürbiger Wahrhelt. Mor Gott lagen Feine Riſſe 
„aufgeiblagen; er ſaß nicht wie ein grübelnder Künft- 
„Jet, Der ſich den Kopf zerbrach, entwarf, verglich, 
verwarf, wählte. Kein Mei des Moͤgllchen ift 
außer ber Macht und bem Willen bes Unenblichen 
‚da: denn wenn Er's nicht ſchaffen wollte, nicht ſchaf— 
fen konnte: fo war es nicht indglich. Keine Welt, 
sasfhmeige: tunfend Welten nach lockenden Entwuͤr⸗ 
fen ıbla.nur. eine inte zu ihrem Daſeyn bedurft 
' Hätten, und bie Gott doch nicht wählte, : konnten je 
ln Gedanke Gottes. werden. Er ſpielte nicht mit 
Welten, wie Atabenmit Seifenbiafen ſpielen, bis 
ihre Eine gefiel.umb. eu fie vorzog.: Waren taufend 
andere außer dieſer moͤglich: ſo konnte ein größerer 
‚Bott ſie erſchaffen; ber. ſchwaͤchere, muͤhſam⸗ über- 
Aegende ‚ward: von ihm uͤberwunden und war nicht 
Gott ⸗ 


XSF REDEN Yemgrften Sle ee? Chen dieß 
al, Pb Muh... £ ' ; 
WE. Take tn u — 
x, MDa kn Bas · Qigen eb: Torben eh BERN» Nach ein 
Vorher uud Nachher gibt, ſo folgt aud ber bloßen 
Berverd Werte ,. Philoſ. u. Geſch. IXx. 413 


2 x ) 


\ 


\ 178 .. 


Phtlolaus. Ich bemerkte es wohl und lefe 
weiter: . 

„Eh' ihn die Morgenfterne Iobten 
. Und auf fein fhaffend Wort des Chaos Tiefen tobten, _ 
Greor der Weifelte den ausgeführten Plan — . 
Die fhönen Verſe fagen baffelbe. Der Welfefte 
erfor nicht, wo es keiner vorgängigen, zweifelnden 
teberlegung bedurfte. Ale dieſe Gedankenreihen, 
diefe Plane, biefe wechfelnden Entwürfe find mit 
der vollfommenften Natur des unendlichen, unver 
aͤnderlichen Geiſtes unvereinbar. Sie gehören im. 
jene taube uny ſtumme Ewigkeit, bie der müßige 
Spott 

— — — „einſt einfam burchgebacht, 

„Bis dann erft und nicht eh’ er eine Welt gemacht,“ 


woräber wir fhon Eins find. Deich wundert, wie 
Leibnitz dergleichen Authropopathieen Raum ge⸗ 
ben konnte. 

Theophron. Daruͤber wundern Sie ſich 
nicht. Er gab ihnen in einem popularen Buch, ſei⸗ 
ner Theodicee, Raum, und Sie wiſſen, wozu bie 
populare Vorftelungsart oft verleitet. Die vielen 
und -jcheinbaren Einwürfe Bayle's zwangen ihm, 
feine Gegengründe behutfam vorzutragen, nab fie 
auf alle Seiten zu wenden; daher dann die Anthro⸗ 


Vollkommenheit Gottes, daß er ein Anderes beichlie⸗ 
fen, als er befchloffen hat, weder köͤnne noch sefonne 
babe. Bor jeinen Beichlüſſen war ed nicht, noch ohne 
diecelbe. Menderte er dieſe, fo würde er feinen Ver⸗ 
- Band und Willen Ändern. I i. ein anderer ot on," 
(Prop. 33, van, ® J 


- 





179 


popathleen , ja beinahe durchgängig ein fortgefegter 
feiner Anthropomorphismus, den auch ich zwar fer 
mic ans diefem fhönen Buch binwegwänfcte, der 

aber für Leibnigens Zeiten zu feinem Zweck noͤthig 
war. Schade nur, daß feine Nachfolger nicht im⸗ 
mer unterfchledben, was bei ihm bloß @inkleibung 
oder Accommodation war, und was firenge zu [e= 
nem Spftem gehöret. So hat man 3.8. auch 
Spinoza lange und oft durch Unterfcheidung ber Welt 
„außer Gott und in Bott” widerlegen wollen. „In 
Gott ſey die Welt ewig als Idee,“ d. i. als Seifen⸗ 
blafe gewefen, mit welcher er in der Einbildung 
fpielte: er ergößte fih an ihr und brätete große, 
große Emigkeiten hindurch das ungeborne Ei and. 
Jetzt kam die Zeit; (denken Sie ſich in der Ewig⸗ 
teit des müßlgen Gottes bie Lange, lange Seit) 
und num befchtoß er zu fchaffen. Ploͤtzlich trat bie 
Welt aus Gott heraus, fie, die fo lange In Ihm 
gewefen war, und jeßt tft fie immer außer dem⸗ 
felben; Er außer ber Welt. Im großen Nichts 
der uralten, mäßigen Ewigkeit hat er fein Raͤnm⸗ 
chen, wo er fich ſelbſt betrachtet, und wahrſcheinlich 
über das Project einer andern Welt nachſinnt. Ich 
geftehe ed, Epikurs Götter fird mir leidlicher als 
Meß müßige, melancholiſche Wefen, durch welches 
man frify und frei den Spinoga zu widerlegen 
glaubte. Leibnis iſt an diefen Unbegriffen n.ct 
Schuld, als fofern er als ein bichterifher Kopf auch 
bet firengen Wahrheiten Einkleidung, d. i. Bilder, 
Gle ichniſſe, Allegorien, Anthrepopathleen und anſtoͤ⸗ 
ßig ſcheinenden Wahrheiten das Bequemen zu frem⸗ 
der Begriffen nie verſchmaͤhte. 


N 
8 


Phils laus. Deſto ſchlimmer für ſeine Nach⸗ 
ſolger: denn da ſie den Kern von ber Schale nicht 
ſonderten, ſo hleß ihnen Leibnitzlanis mus, was 
hei Leibnitz ſelbſt nur einkleidende Dichtung „ober 
Aecommodation war. — Gegen bie Nothwendig⸗ 
Neit des Spinoza indeſſen hat er ſich ſtark erklaͤret. 

Theophron. In einer popularen Theodicee, 
in ber es nicht fein Zweck war den. Spinoza ſanft 
zurechtzuruͤken, wie er's in einer andern: vortreffli- 

den Schrift mit Locke gethan-hat”), ſondern fein 
‚eigenes Spftem von Spinaza's ſcharf zu untexſcheiden. 
Philolaus. Und dieß eigene Spſtem Leib⸗ 
nitzens war — | j 
Theophron. Das Syſtem ber mor.al iſchen 
Nothwendigkeit in. Gott, nach welchem er das Beſte 
«and Convenien; wählte, | | 
Philolaus. Und wie iſt die moraliſche Noth⸗ 

wendigkeit von der Nothwendigkeit, die wir die we⸗ 

fentliche, innere, goͤttliche nennen ‚wollen, 
unterſchieden? Gott: muß. dad. Beſte, aicht durch 
‚eine ſchwache Willkuͤr, ſondern ſeiner Natur. uac, 
ohne langſame Vergleihung mit dem Schlechtern, 
das an ſich ein Nichts iſt, vollſtaͤndig einſehen und 
wirken. Auch im Soſtem des Spinoza iſt von ei⸗ 
nem phyſiſchen, d. i. blinden. Augen Zwange gar 
„nicht die Rede; . gegen ihn ſtreitet er aus vollen 
„Kräften **). ESittengeſetze yon. augen aber kennet 
Gott nicht — | 


3 w) Beute. Philösophigqwes’de Leibnitz publ. p- Raspe Amet. 
“113765, beinahe! die Lerreict ſte unter Belsnigensuuchnii 
on) von dem uͤbrigens jede Zeile lehrreich iſt. 

*#) „Keineswegs untenperie: Ich Bott int m. RR d m, 


— 
⸗ 


181 
Theophrom aAn bie dachte auch Lekbnity 
nicht; da er das Wort „moraliſche Nvthwen— 
bipfett’’ wählte; er ſetzte ſie bioß der phyſiſchen, 
d. t. der blinden Macht oder dem aͤußern Zwange 
entgegen, und ſließ fich in Anfehung der erften an 
die harten Ausdruͤcke des Spinoze. Selbſt feine 
moraliſche Nothwendigkeit in Gott hat er, fo viel 
er konnte, durch Anthropopathieen eines Entwurfs, 
einer Wahl, der Gonvenienz u. f. gemildert. 
Philolaus. Ob Bayle nichts darauf zu ant⸗ 
worten gehabt hätte, tft eine Frage. Leibnitz mußte 
fi bei jener Wahl, In welcher Gott bad Befte nad 
Convenienz wählet, auf Abfichten beziehen, die nur 
SGott wiſſe, die wir als gut annehmen, eben weil 
fie Sott wählte, fonft würde er fie nicht gewaͤhlt 
haben u. f. 
 Theophron. Das mupte er freitich. 
Philolaus. Und welher Sterblihe wird's 
nicht thun müffen? fobald er von der Innern Noth⸗ 
wendigkeit, die durch fich ſelbſt Güte iſt, den Bild 
wegwendet, und einzelne Abſichten Gottes nach Gone 
venfenz errathen will. Unvermuthet finft er in’ ein 
Meer erdichteter Endzwecke, die er bewundert ober 
vermuthet, bei welchen er abet den Grund der gan- 


ſondern ich: denke mir, daß aus der Natur Gottes alles 
fo mworhwendig folge, wie jeder ed ſich aus der Natur 
Gortes folgend: denft, daß Gott fich feloft.erfcm 
net. Beim letzten längnet niemand, daß ed aus der 
gðe tlichen: Matair notbwendig folge, und doch denkt ſich 
dabei niemand, daß Gott von einen Schichkſal gezwun⸗ 
sen ſich ſelbſt erkenne; er erkennet ſich frei, und. doch 
nothwendig.“ Br, 23. Opp. post. p. 459. . 


182 


‚zen Erfihelnung, bie innere Natur ber Sa—⸗ 
be, nah unwandelbarzewigen Geſetzen, 
zu erforfhen leicht aufgibt. Welche Menge Thes- 
diceen, Teleologieen, Phyſiko⸗-Theologieen find auf 
diefe Convenienz errichtet, die aus Convenienz dem 
hoͤchſten Wefen oft niht nur fehr eingefchräntte, 
Schwache Abfihten unterſchoben, fondern zuleßt dar⸗ 
auf hinausgingen, alles zur Willkuͤr Gottes zu 
machen, die goldne Kette der Natur zu zerreißen, 
um ein paar Gegenftäude in ihr zu ffollren, daß 
eben an dieſer und jener Stelle ein elektriſcher 
Funke willkuͤrlicher göttliher Abficht erfcheine. Ich 
geftebe, das ift meine Philoſophie nicht. 
j Theophron. Und weldes iſt bie Ihrige, 
Philolaus? 

Philolaus. Um bie Geſetze der Natur, um 
die Innere Natur der Dinge mih zu befümmern, 
wie fie da find. _ Bedingt iſt das Dafeyn der Welt, 
Daran zwalfelt niemand: denn eine Wirkung iſt nur 
durch ihre Urfache, nicht durch fich felber. Da aber 
die Welt einmal dba iſt, (wie fie auch entitanden 
ſeyn möge,) und nicht etwa nur bie und da Spuren 
von Macht, Weisheit und Büre zeigt, wie man ge: 
meiniglich redet, fondern in jedem Punkt, im We⸗ 
fen jedes Dingrs und feiner Eigenſchaften, (wenn 
ich fo fagen darf) den ganzen Sort offenbare:, wie 
er nämlich in die ſem Eymbol, in diefem Punkt 
des Raumes und der Zeit ſichtbar und energifch 
werben konnte; welche Kiadheit wäre es, allein und 
Immer zu fragen: warum und zu welchen geheimen 
Abſichten er fi denn wohl hier alfo, dort alfo geof⸗ 
Tenbaret haben möge? flatt der nothwendigern und 


} ‘ 


185 


Yobuern Unterſuchung: was es denn eigentlich fey, 
Das fih und weldergeftalt es ſich offenbare? d. i. 
welche Kräfte-der Natur und nad welchen Gefegen 
fie, nicht nur In diefem oder jenem Organ, fondern 
allenthalben organiſch, wirken. 
Theophron. Fahren Sie fort, Philolaus. 
Philolaus. Wir nennen die Welt, weil ſie 
eine Wirkung und voll Wirkungen iſt, zufaͤllig; 
der Ausdruck iſt unpaſſend und ſelbſt der Sprache 
zuwider. Die Wirkung der hoͤchſten Macht, die 
nach nothwendigen innern Geſetzen ihres Weſens, 
mithin der volllommenſten Güte und Weisheit wir⸗ 
Tee, iſt nicht Zufall, fo wenig der Verſtand Gottes . 
(das Wort im rechten Sinne gebraucht) zufällig. 
weife, zufällig gut if. Er ſchuf das Mögliche und 
einer unendlihen Macht iſt alles Mögliche möglich. 
Dieß alles num iſt, wie wir's nennen, durch Kaum 
und Seit, d. t. durch wefentliche Ordnung, verbun- 
den: jedes hervorgebrachte Ding iſt durch die voll- 
Zommenfte Zudividualität beftimmt und mit Ihr um⸗ 
fcheäntet: weder im Ganzen der Welt, noch In ih: 
rem kleinſten Theile ift alfo Zufall. Außer dem, 
was der allmaͤchtig⸗wirkende Geiſt möglich fand, iſt 
jede Moͤglichkeit ein Traum, ſo wie es außer dem 
Raume keinen Raum, außer der Zeit Feine Zeit gibt. 
Alles dieß find leere Phantome ber Einbildungs- 
Etaft, Worte, die ein Traum zufammenfehte, und 
in denen nur ein Traum Anfchauungen wähnet. 
Keinen Augenblick alfo ruhete der Schöpfer: 
denn in der Ewigkeit Gottes gibt's Feine Augenblide. 
und der weſentlich Wirkſame ruhete nie. Deßhalb 
aber iſt die Welt nicht wie Gott ewig: denn fie iſt 


% 


1 =” "a 


etde eng von Dingen dei Zeit: "Ferdi Wir" 
genbtick der Zeitenfolge alſo, ja die gaije Zetten⸗ 
folge felbft ift mit der abfoluten Ewigkeit Gortes 
unvergleichbar. Alle Dinge der Zeltenfolge ſſnd be: 
dingt, find abhängig von einander, ganz abhängig‘ 
endlic von der Urfache, die fie hervorbrachte; keins 
derfelben iſt alfo mit dem Dafenn Gottes zu ver— 
gleihen. Was die Zeit für die Folge int: I der 
Raum für die Coexiſtenz. Gott it durch Felnen 
Raum ausmepbar, weil er mit keinen "Dinge als 
- feined Gleichen coeriftist; er iſt aber die ewige Ur⸗ 
ſache, die unergründlihe Wurzel aller Dinge, fo et: 
haben über unfere Einbildungskraft, daß in ihm al⸗ 
ler Raum und alle Seit, Denkbilder unferer Phanz 
tafie, ſchwinden. Wir endfihe Weſen, mit Raum 
and Zelt umfangen, die wir und alles nur unter ih⸗ 
rem Maß denken, wir koͤnnen von’ det hoͤchſten Ur— 
fahe nur fagen: fie if, fle wirfet; aber mit‘ 
diefem Worte fagen wit alles. MIE unendlicher 
Macht, die durch fih die hoͤchſte Gute iſt, wirft 
fie in jedem Punkt des Raums, In jedem Augenblick 
der fortellenden Seit; Raum und Zeit aber find nur 
ung ein dunkles oder helleres Bild von Zuſammen— 
hang der Wefen nach jener feftbeitimmten ewigen‘ 
Drdnung, welche die Eigenſchaft und Wirkung der 
unendlichen Wirklichkeit ſelbſt iſt, mithin auf nichts 
geringerm als diefer unthellbaren ewigen Unendlich= 
keit ruhet. Kein edleres Geſchaͤft alfo kennt unſet 
Gelſt, als, In den ung‘ gegebenen Symbolen ber 
Wirklichkeit, der Ordnung 'zu folgen, die im Wer: 
ftande des Ewigen war, iſt and feyn wird. Jedes 
feiner Geſetze iſt das Wefen der mer ſelbſt, ihnen 


— 





1% . 


—— dngehärgt‘, ſondernekus hit’ ihnen: 
Sr Weſen iſt fein Geſetz, fein Gere Ihr Werten; ' 
die Verbindung aller iſt eine thätige Daritellung ſei⸗ 
ner Wirkfamkeiten und’ Kräfte: Wie kindiſch wäre 
ed nun, wenn, indem id die Schönheit des Cirkels 
und feiner mancherlei Verhaͤltniſſe: bewundere, ic 
tiefſtnnig den gehehnen, befondern: Abſichten nach⸗ 
ſpuren wolfte, warum Gott ſolch einen Cirkel ſchuf? 
warum er die genanen, ſchoͤnen Verhaͤltaiſſe in ihm 
zut Natur bes Cirkels und unferer meſſenden Ver⸗ 
nmft: machte? Der Raum wäre fein Raum, werk: 
in ihin nicht unter allen moͤglichen Umriſſen auch der 
Eirtot ſtatt finden: ſollte, und unfere Vernumft wäre. 
keine Vernunſt, wenn fie die ſchoͤnen Verhaͤltniſſe 
jeder Abtheilung in ihm nicht bemerken koͤnnte. 

Thiebphron. Ich will Ihnen mit andetn Bei⸗ 
ſplelen helfen, Philolaus. Wenn immerhin bie 
Menfätn bei der Bewunderung ftehen' gebifebeit 
w | 

— „Daß Sterne folder Sahı, 
SHÄH inner gleichein Schritt und ewig’Hellem Straß 
DBÜrgeln' verdiente Geſen vermiſcht und nicht ver⸗ 
J wirtet, 
In eigen Kreiſen geien und nie ine Lauf verirret:“ 
ſol ware dleſe: Bewunderung allerdings ſchon einer 
Art? von Audetung des Gottes gewefen, von: dem 
— „Sen Bir iſt thre Malt; 

ar: nee Vewegung, Ruf und jede’ Eigenſchaft 
Atich Muß und Abfrcht aus⸗ — 
und man haͤtke ſich· dabel vlele Abſichten, falſche und - 
wäßre, würdige und unwuͤtdige erdenken moͤgen. 


⸗ 


186 


Der Naturweife aber, der von biefen Abſichten vor⸗ 
erſt hinwegſah, und eben „das verdeckte Gefeg‘ 
aufſuchte, durch welches die Sterne 

— vermiſcht und nicht verwirret, 
In eignen Kreiſen gehn, und nie ihr Lauf ſich irret; 
er that mehr, als ber größte Abſichten-Dichter thun 
konnte. Er dachte dem Gedanken Gottes nach und 
fand Ihn: nicht in einem Traum. willfürlicher Con _ 
venlenzen, fondern im Weſen der Dinge felbft, de⸗ 
ven Verhältniffe er maß, wog und zählte. ent 
erkennen wir Das große Geſetz dieſes Weltbaues, 
und unſere Bewunderung iſt vernuͤnftig; da ſie ſonſt 
ewig und immerhin ein zwar frommes, aber leeres 
Skaunen geweſen waͤre. 


Philolaus. Setzen Sie dazu, ein ſehr truͤg⸗ 
Alches Staunen: denn wenn wir a priori partikulare 
Abſichten Gottes in die Schoͤpfung bringen, und in 
der ewigen Rathkammer wollen gehoͤrt haben, war⸗ 
am Saturn einen Ring, unſere Erde einen Mond, 
Mars und Venus aber Feinen haben? auf welche 
Bahn täufhender Hypothefen wagen wir ung, die 
meiftens der Tünftige Tag widerleget! Weber den 
Ming des Saturns, über den Mond der Erde und 
der Venus, war aus dem Reglſter göttliher Abſich⸗ 
ten fo manches gefagt und geglaubt worden, bag 
man befhämt zurücknehmen mußte, als man fand, 
Venus habe Feinen Mond, mit der Beleuchtung 
der Saturnsd: Einwohner aus Ihrem Demant: Ringe, 
wie mit unferm Monde felbft, verhalte es ſich nach 
weitern Entdedungen auch anders, ald man dem 
erſten Scheine nach annahm. Allen dieſen Truͤglich⸗ 





187 


teiten, zu welchen man den heiligen Namen nicht 
mißbrauchen ſollte, entgeht der beſcheidene Natur⸗ 
forſcher, der uns zwar nicht partikulare Willensmei⸗ 
nungen aus der Kammer des goͤttlichen Raths ver⸗ 
kuͤndigt; aber dafuͤr die Beſchaffenheit der Dinge 
ſelbſt unterſucht und auf die ihnen weſentlich einge⸗ 
pflanzten Geſetze merket. Er ſucht und findet, ins 
dem er die Abſichten Gottes zu vergeſſen ſcheint, in 
jedem Gegenſtande und Punkt der Schoͤpfung den 
ganzen Gott, d. i. in jedem Dinge eine ihm weſent⸗ 
liche Wahrheit, Harmonie und Schoͤnheit, ohne 
welche es nicht waͤre und ſeyn koͤnnte, auf welche 
alſo ſeine Exiſtenz mit innerer, zwar einer voruͤber⸗ 
gehenden und bedingten, dennoch aber In ihrer Art 
eben fo wefentlihen Nothwendigkeit ges 
gründet ift, als auf welcher unbedingt und ewig das 
Daſeyn Gottes ruhet. Eben die völlige Abhängig- 
keit der Dinge von Gott macht ihre Weſen zu noth⸗ 
wendigen Dentbildern feiner Macht, Güte und 
Schönheit, ‚wie ſich diefe nur In folchen und kei⸗ 
nen andern Erfcheinungen offenbaren konnte. Ich 
wuͤnſchte, daß Spinoza ein Jahrhundert fpäter ge= 
boren wäre, um von den Hppothefen des Des-Car⸗ 
tes fern, im freiern Licht der Narurlebre und Na⸗ 
turgeſchichte zu phllofophiren; wie treffiih würde 
feine abfttafte Philoſophie diefe hohen Entdelungen 
gebraucht. haben! 

Theophron. Und ich wänfhte, Daß andere 
auf dem Wege tayfer fortgeben mögen, für welchen 
Spinoza an feiner Stelle die Bahı brach, nämlich: 
reine Naturgefege zu entwideln, ohne fi um var⸗ 

titulare Abfihten Gottes babel zu Fümmern. Wer 


188 


mir die Naturgeſetze zefgenFümte, wie nach inne⸗ 
rer Nothwendigkeit aus Verbindung witkender Kräfte 
in folder und keinen andern Organen unfere Er⸗ 
fheinungen der ſogenannt todten und lebendigen 
Schöpfung Salze, Pflanzen, Thiere und Menſchen 
erfcheinen, wirten, leben; handeln? hätte die ſhoͤn⸗ 
ſte Bewimderung, Liebe und Verehrung Gottes 
weit mehr befördert, als ber mir aus der Kammer 
des götrlihen Mathe predigt: daß wir die Fuße zum 
Gehen, das Auge zum Sehen haben u. f. 
Philolaus. Mich dürft, mir ſolchen Phyfiko: 
Theologteen gehe es ziemlich hinunter. 
Theophron. Zu ihrer Zeit waren‘ ſie fehe 
nuͤtzlich; ſie waren eigentlich nichts als Eindtich- po⸗ 
pulare Anwendungen einer neuen feſteren Natur: 
lehre. Ihe Grund wird alſo Immer bleiben: ja 
die Wahrheit in ihnen wird ſich noch ungleich mehr 
veredeln, wenn man nicht mehr bei jedem einzel⸗ 
nen kleinen Umſtande nach einzelnen kleinen Abfich- 
ten haft, fondern immer mehr einen Bild: über 
das Ganze gewinner, das bis auf feine Heinften 
Verbindungen nur Ein Syftem ft, in welchem fi 
nach unveränderlihen Innern Regeln die weifefte 
Güte offenbaret. Ein Gebäude der Gottesvereh⸗ 
rung, das ſowohl metaphyfſſch über das Endloſe 
des Raumes und ber Seit geht, als es phyſiſch im 
.. Mefen der Dinge felbft unerſchuͤtterlich feſt rutrer! 
Jedes gefundene wahre Naturgeſetz wäre damit eine 
gefundene Negel des ewigen goͤttlichen Verftandes, 
F nur Wahrheit denken, nur Wirklichkeit wirken 


e. 
Phklolaus. Wle dauert's mich, daß die YEE 





‘189 
Aeſophle ded Splnoza, die dahin weiſet, mit. fo 
smanchen.ahichredenden Härten verwebt iſt! beun In 


diefer Geſtalt mird ſie doch immer nur für. Wenige 
Bleiben. 


Theophron. Eben das iſt gut: ber große 
Heæufe diefe Polloſophie nicht leſen; eine Sekte 
muß ſie nle ſtiften | 
Phllolaus. Dafür hat ihr Urheber, feinen 
Srunbfägen zufolge, Schon durch den Vortrag ge⸗ 
-forget*). Indeſſen Idugne ich's nicht, daß ich den 
ſcoͤnen Wahrheiten; ‘die er über Gott, die Welt, 
‚über das Wefen. und die Natur. des Menfchen, über 
feine Schwachheit und Stärfe, über ben Zuftand fel- 
‚ner Sclaverei und Freipeit fagt, mehr Ausbreitung 
und eine tiefere Einwirkung wuͤnſchte, als fie in ſei⸗ 
nem Buch für die Meiften haben können und haben 
merden. So eingenommen ich gegen ihn war: fo 
durchdrungen bin-ich jest von her Innigen Wahr- 
heitstiebe dieſes Mannes und von der Vortrefflich⸗ 
„Zeit feiner .moralifhen ſowohl als mehrerer feiner 


philoſophiſchen Grundſaͤtze. Ich wuͤnſchte, daß ihn 


Viele ſo kennen lernten. 


‚ Sheopäron. Zeit und Wahrheit werden das 
ſchon bewirken. Leſen Sie dieß Bu und ſehen, 





*) „Wer begierig iſt, anderem mit Rath und Chat dahin 

x gurhelfen daß ſie insgeſammt des höchſten Getes ge⸗ 

mießen, der wird ſiche beſletßigen/ ſich ihre Liebe zu ers 

werben, nicht aber ſie in eine Bewunderung ſeiner 

. su ziehen, daß eine Wiſſenſchaft von ihm den Kamen 
= erhalte. m 'Erk, P. IV. Opp, Cap. 25. 


— 


190 


was Leſſing über ihn geſagt hat”). Haben Sie 
nichts von dem Lärm gehört, über dem Grabe dieſes 
Gelehrten! „er fey ein Spinozift geweſen?“ 

Philolaus. Ich habe es nicht hören mögen, 
weil ih, Ste willen, von Spinoza fo übel unterrich⸗ 
tet war, und mir ben Namen Leffings nicht germ 
durch einen Flecken verunftalten wollte. Jetzt werde 
ich mit befto größerer .Begierbe lefen, was er von 
ihm fagte, ba ich mir Leffing fo wenig ald einen 
Spinsziften denken kann, als wir beide es find. Er 
war nicht gefrbaffen, ein ... tft zu feyn, welche 
Buchftaben man au dieſer Endung voranfeben 
möge, und die Lüden In Spinoza's Vortrage wird 
fein Scharffinn gewiß nicht verfannt haben. 

Theophron. Lefen Sie: dann wollen wie 
‚weiter reben. 





Viertes Gefpräd. 


Philolaus. Hier haben Ste Ahr Bu mit 
Dont wieder. Man hört Leffing reden, wenn er 
auch nur Sylben hervorbringt; über unfere Mates 
rie aber hätte ich ihn doch gern ausführlicher ver- 
uommen, {ch kann's nicht laͤngnen. 

Theophron. Ic gleichfalls; wie gefält Ih⸗ 
nen indeß das Wenige, was er ſaget? 

Philolaus. Es iſt zu wenig, um darüber 

u urtheilen; auch, wie es ein Bee geben 


° Ueber die Lehre ve Spinoza, Breslau m. Neue 
vermehrte Ausgabe, Breslan 1789. 


. / 





. % 


191 N 


mußte, zu abgeriffen, ia bie und da, nach Leffinge: 
Manier in Geſpraͤchen, vielleicht zu Eräftig gefagt. 
Iſt's Ihnen nicht entgegen, fa will ich feine Worte 
herausheben, und Darüber ohne alle Anmaßung mei⸗ 
ne Meinung fagen. 

Theophron. Thun Sites, Sie werben da⸗ 
mit bloß Sommentator eines Autors, ber fi felbfk 
ung nicht mehr erläntern fann. O daß er uns hier 
der dritte, d. 8. ber erfte Mann wäre! 
Philolaus. „Die orthodoren Begriffe vom 
„bee Gottheit find nicht mehr für mich; Ih Tan 
„fe nicht genießen ).“ ch, nachbem mir einige 
Steine des Anftoßes aus Spinoza weggeräumt find, 
auch nicht. Das muͤßige Weſen, das außerhalb ber 
Belt fißt, und fich feibft befchauet, fo wie es ſich 
Ewigtelten hindurch befchauete, che es mit dem 
Plan der Welt fertig ward, iſt nicht für mich; für 
Ete, Theophron, auch nicht. 

Theophron. Ich weiß aber nicht, Phllolaus, 
warum wir das Phantom diefes langweiligen traͤgen 
Gottes orthodoxe Begriffe nennen? . Es hat weder 
die Sonfiftenz eines Begriffes, noch iſt's je die Mei⸗ 
nung orthodorer, d. i. der Philofophen geweſen, 
die deutlicher Begriffe fähig waren. Ein folder 
Gott mag Drthodorie der Indier ſeyn, deren Bott 
. Sagrenat ſchon viele Fahrtaufende her mit über den 
Bauch gefchlungenen, hangenden Armen fißt und 
fi) wohl befindet. Ein anderer ihrer Goͤtter llegt 


) ueber de Lehre des Spinoza ©. 12. DieEitatichen 
« wach der eritien Auſsgabe bemerkt, Kind geblieben, und 
in der zweiten leicht zu verfolgen, DEE EEE 


- 


‚492 | 
‚seht Mesnen Im Schlummer, ..feln Haupt takt. im 
Schoos eines feiner Weiber, . die Ihm. den. Kopf 
‚Srabt; ſeine Füge. im Schoos einer andern, ‚die (hm 
‚sie Fußſohlen ſtreichelt. Unaufhoͤrlich fließet der 
Zuder: und Milch-See in ihn; er genießet und 
ruht in träumender Selbfibefhauung. „Wechtsortho: 
dore Goͤtter der. Hindu's! ich ſehe aber: nicht, war: 
um der Anſrige ein Jagrenat oder Wiſtun Fepn 
müßte? 

Philolaus. Ich lefeweiter. „Zraus ner! 
Eins und Alles. Ich, weiß nichts anbers*).. — 
Ich auch nit; ‚nur wuͤnſchte ich aus ‚ber, Seele 

Reffings zu vernehmen, . wie er ſich bie Verbindung 
„biefer beiben größeften Worte, berem unfere, Spra- 
Aqe faͤhlg iſt, erklärte. Auch die Welt ift ein, Eins; 
auch die Gottheit ift ein. All. Leſſing fühlte 
ſelbſt, daß er. bamit noch ‚nichts. beſtimmtes gefagt 

habe: er fam ſich daruͤber naͤher zu. erklären; „aber 
‚auch dieſe ‚feine ‚nähere, Erklärung reicht mit fo 
weit als man wuͤnſchte. Ich lebe feine Hochachtung 
Igegen die Philoſophie Des. Splnoza! ba aber ihn 
‚wie uns, der Geiſt des Spyinoziemud, „ih 
weine ben, ſagt er**), ber in Spinoza ſelbſt gefah— 

 ‚zen.war’! eigentlich allein intereſſiret; da, wle er 
agt**), „ſein Credo in Lelnem Buche ſteht,“ und 
rer es nur unter einer Beblagung, bie ſich ‚eigentlich 
ſelbſt aufhebt ), an ſich kommen laͤßt, ſich nach Je⸗ 
nn RN: 

2) 6.12, ) S. 14. 85.1. 

Dre ea euere ffir Wei ich 
.. Minen ande‘! & 12: (pnuri:fplh mich Grete 
lich: Und doch! lien. Sie erwas Betas Yr 





— 


193 


manden nennen zu wollen; fo find uns biefe unb 
andere Wine, ja die ganze Denkart Leffings genug: 
fame Bärgen, daß er gewiß Feine phantaftifch= rohe 
Äinnlihe All⸗Einheit, dergleichen au das Spitem 
bes Spinoza nicht iſt, zu ſeinem Syftem gemacht 
haben werde. Eben hier fing meine Begierde an, 
zu wiffen, wie Leſſing ‚den Geift, der In Spenoza 
felbft gefahren war’ zu ſich gezaubert und zu dem 
feinigen gemacht habe; und eben hier, Ich muß es 
befennen, war meine Begierde vergebens. Leffing 
bört von einer veritändigen, perfönlichen Urfache 
der Welt, und freuet fi dabei nach feiner Art, daß 
er jetzt etwas ganz neues zu hören befommen wer: 
be’). Am Verftande Gottes konnte Leffings Ver: 
ftand nie zweifeln; Telne Neugierde war alfo auf 
die „perſoͤnliche“ Urfahe ber Welt gerichtet; 
darüber wollte er etwas Neues erfahren. 

Theophron. Erfuhr er's? 

Philolaue. Der Ausdruck Perſon, ſelbſt 


wenn ihn die Theologen von Gott gebrauchen, (die 


dieſe Perſon aber nicht der Welt entgegen ſetzen, 
ſondern als Unterſchied im Weſen Gottes anneh⸗ 


mien,) iſt — (denn der Theolog ſagt nicht: Gott iſt 


eine Perſon, ſondern in Gott ſind Perſonen.) 
Theophron. Laſſen wir die Sprache der 
Zfeofogen, und reden vom Wort Perion philo⸗ 
ſophiſch. 
Philolaus. Zuerſt alſo doch wohl davon, 
was das Wort im feſtgeſtellten Gebrauch bedeutet. 
Verſon (Rooownoy) hieß — — Larve, ſodann — 


®) S. 17. 
Herder Werke 3. Phileſ. u. Gecch. IX, 43. 


- 


194 F 
theatrallſcher Charakter, daburch führte eu 
auf das Eigenthumliche eines —— 
wodurch er ſich von einem andern unterſcheldet; fo 
ging das Wort In die Sprache des gemeinen Zebend 
über. „‚Diefer, fagt man, fptelt feine per 
fon; er bringt feine perfönlihfeit n bie & 
be,’ um. f. So fehte man Perfon der Gade 
entgegen, immer etwas Abftehendes, ausjrig: 
nend Eigenthuͤmliches In ihr bezefchnend. So 
ging es In die Gerichtsſprache, in bie Werfchle: 
denbeit der Stände, Können wir vom diefet Pre- 
fopopde etwas auf Gott anwenden? Er fit weder 
eine Larve noh Maske; weder eine Stan 
desperfon, noch ein abgezeihneter Eha- 
tafter, der mit andern ba iſt, und neben ihnen 
ſplelet. Laſſen wie dieſe Perfonalien, bie fm: 
mer doch, wo nicht auf etwas Falſches, Angenom- 
menes, Angedichtetes, fo doch auf etwas Eigen- 

thümmiches an Geftalt, Bildung, Abzeichnung vor 
andern, auf Stand, Nang und dergleichen führen, 
mithin vom reinen Begriff einer ganz unvergleich⸗ 
baren Mefenheit und Wahrheit entfernen. So we 
nig Gott die Perfon anfiehet, fo wenig fpfelt 
er eine Perſon, fo wenig affeftirt er Perfönlichkei= - 
ten, bat eine perfönlihe, mit andern abſtechende, 
kontraſtirende Denkart, u. f. Erif. Wie Er 
ift niemand. en — 
Theophron. Sollte aber nicht „die Id ch⸗ 
fie Intelligenz” das Wort „ — —X 
fordern, To daß „Einheit des Selbſtbe⸗ 
wußtſeyns“ bie Perfonalität ausmate? 
Philolans, Ich fehe nicht; vielmehr dlelbt 








\ 


295 


dleſeu· Begriſſen Immer: ein Frembes, 
uRmeR Wort. Drapte’ ſahen:es auch Bode 
BR TERBR ER: an / und ſuchten es durch Defiknmatene 
MNodrutke en erftaͤren dafur ſtehtv der Sprachze⸗ 
Rasen, der mit bei Wort Perſon, Perſoͤnlich⸗ 
TE als mit einem Schelndiuge ſplielet. Das inuig⸗ 





)PEFBHãOn, as I-take it, is the name ofthis Self, Whe- 
rever a Man finds what ke calls Himself, there I 
think Another may say is the same Person. Ft 
is w förunsick term, appropriasted Adtions 
Uätdeir Mibriv, and’ a6 belongs only 10’ imtal- 
"heile Agente capäble of ad Law'aud Happinefs and 
"Misert, Look re Esiy' on human understanding, Vol. 
IB-arch.z7. ° 
Le soidait Videntitö rdelle et physique; et l’ap- 
Jarence du soi, accompägnee” de la verite, y joint 
rucatite p ersonnelle. Si Dienchangenitextraordinai- 
Yerhent' 1'Tdentitörsells, la persomielledemsurerait, pour- 
"Hi quo Phomme öonkeivät les apparentdes d’identins, 
alle internes, (c’est-k-dire de la oomssience) que lenex- 
Verkles‘s Soramie- celles qui oonsistent dans ce qui pareit 
aux autres. Ainsi la conscience n’est pas le seul moyen 
de constituer l’identit& personnelle; le rapport d’au- 
trui ou möme d’autres marques y peuvent 
supplder. Leibnitz Oeuyr. phfiosoph. p. 195. 196. 
 Neber den Ghracgebinunh der Worte Perſon, 
VPerſbualichkeit m f. ſchlage man Wörterbücher 
auf, weiche men Will, Latein, Deutſch, Gransdiich, 
Italieniſch/ Spaniſch, Eusliſch; alle fagen in ihren 
gefammslten Stellen, daß dieſe Worte ein Eigen 
thümliches oder Beſonderes unter einer de 
wiſſen Apparenz bezeichnen; welcher Nebenbegriß 
dem Unendlichen im Gegenſatz der Welt gar nicht sur 
"Voramt Avieinche dem Begriff des Einzigen, nieht Sie 
gurirenden vertunfelt, 





196 
dte Selbſtbewußtſeyn vergißt bie Apparenz ber 
Perfon, (das personnel und da6 personnage) 
ſo ganz, daß man ed mit diefem Gerichtewort des 
perſoͤnlichen Erfcheinens gleihfam aus fih ſelbſl je- 
get. Dieb alles wußte Lefling befier wie wir. — 
Ich leſe weiter: „Leſſing hört von einer verſt aͤn⸗ 
digen Urſache der Welt.“ 

Theophron. Hat er ſich daruͤber naͤher er⸗ 

klaͤret? U 
Philolaus. Ihm ward dazu nicht Seit; 

wahrſcheinlich war er hierin auch mit Spinoza voͤllig 


Eins. Wir ſahen, dieſer unterſchied den Verſtand, 


ſofern er zur entſprungenen Natur gehoͤret, von je⸗ 
ner primitiven Denkkraft, die der Grund 
der Dinge ſelbſt iſt. Der abgeleitete Verſtand kann 


nur verſtehen, was vor oder in ihm liegt, was ihm 


gegeben iſt; der urſpruͤnglichen Denkkraft iſt nichts 


gegeben als fie ſelbſt; aus ihr folgt alles. Im die=_| 


ſem Sinn erkennet der hoͤchſte, d. i. primitive Ver⸗ 
ſtand nur ſich ſelbſt, und in ſich alles Moͤgliche als 
Folge. 
Theophron. Iſt dieſer Sinn bed Worts 
aber auch der Sprache gemaͤß? 


Pbilolaus. Wenn er es auch nicht waͤre! 


Er iſt's aber in allen Sprachen, in denen man phi⸗ 
loſophirte. Wenn Locke feinen Berftand. (un- 
derstanding) die „Macht zu percipiren” nennt, 
und ihn fogar einer dunkeln Kamimer, in weiche 
durch die Sinne Licht faͤlll, rergleihet): fo kann 


*) Locke Essay on understand. B. 2. Ch, 21. $.5. Ch. 
11. $. ı7, . 


| 





197 N 


Gott eine folhe dunkle Kammer, in welche Licht 
durch die Stune fält, nicht zugeſchrieben werben. 
Kenn dem fchärfer beftimmten Leibnis das Ver: 
Reben eine „deutliche Perception Ift, verbunden 
mit der Fähigkeit zu reflektiren*); wer wird das 


hoͤchſte Weſen zum Schuͤler machen, und ihm ber: _ 


gleichen ‚‚Zählgtelten zu percipiren und dann zu res 
flettiren,“ zueignen? Die Sprache felbft ſtraͤubt 
fh dagegen, in deren mehreren das Wort Verftand 
ein Auffaffen und Augeinanderlefen der 
Dbjelte (intellectionem) ausdrädt; weiche fremde, 
ihm zum Verfichen gegebene Obiekte las und lleſet 
Sott aus einander? 


Theopbron. Ach bitte, leſen Sie weiter. 


Philolaus. Leſſing fpricht über die Freiheit 
des Willend, - „ch begehre, ſagt er, keinen freien 
Willen: ich bleibe ein ehriicher Lurheraner und be⸗ 
halte den mehr viehifchen. ald menſchlichen Irrthum 
und Gottestäflerung, daß kein freier Wille ſey; 
worein der belle reine Kopf Spluoza's fh auch doch 
zu finden wußte.”’**) Sp fcherzt er mit den Worten 
bed Reichstagsſchluſſes zu Augsburg, und Indem er 
uns auf den hellen, reinen Kopf Spinoza’s verwei⸗ 
fet, erklärt er felbft, wie er den unfrelen Willen 
bes Menfchen angenommen haben wolle.- Mir iſt 
bein Weltweifer bekannt, der die Knechtſchaft des 
menfchliden Willens gründlicher aus einander ge: 
fest, und die Sreipeitdeffeiben vortreffliher beſtimmt 


*) Leibnits. Oeurr. philosoph. p. Raspe p. 132. 
”) ©. 19, 


n 


B X 

babe, als Spinoza*). Dem Menſchen iſtchein gas 
Aegeres Abel. der: Freiheit vorgefeht, als bie Feei⸗ 
beit Bottes ſelbſt, durch eine Art innener Metheen⸗ 
zigkeit, d. i. durch vollſtaͤndige Begriffe, die neh 
Ertenutniß ‚uud Lebe Gottes allein gewähren, kha⸗ 
nen, ber unfere Reidenfhaften, ja uͤber das Schia⸗ 
fal feibft Herren zu werben. Sruͤndlich bewelſet 
es Spinoza, daß, wenn man Freibeit Linkaßes 
vliade Willkir. ummt, her: Menſch eben fo. wenig 
ale Gott ſelbſt den ebeln Mamen der Freiheit ver⸗ 
diene; vielmehr, gehoͤre es zut Voillommenheit der 
Natur Gottes daß ex auf diefe Art nicht frei ſen⸗ 
du 6 daß er eine blinde Willkuͤr uicht komme, wie es 
denn auch zur Vollkommenheit feiner Werfe gehört, 
daß tolle Willkuͤr aus der ganzen Schöpfung vers 
bannt iſt. Ste wäre (um auch mit dem Reichstage 
zu Augsburg gu reden) eine gotteslaͤſterlie 
Luͤcke In. ber Schöpfung, und: flır jedes Geſchöpf, das 
fie beſaͤße, ein zerſtoͤrendes Uebel. Gluͤcklich alfo, 
daß fie ein Widerſpruch fm ſich ſelbſt, ein Unbegriff 
iſt. Ste find doch eben der Meinung, Theophron? 
Thevphron. Keiner andern; aber mas ſagt 
Leſſing von dem Gedanken Gottes? Das fehhler- 
hafte „Verſtehen“ iſt weggeraͤumt; was fehte er 
dagegen ober darüber? | 
Philolaus. Hier ift die Stelle). „Es 
gehört zu den menſchlichen VWorurthellen, daß wie 
den Gedanken als das Erfte und Vornehmſte be⸗ 
trachten, und aus ihm alles. herleiten wollen; da 
doch alles, mit fammt den Worftellungen, von hoͤhe⸗ 





Ehe. LIE. V 961.2, 


199 

ven Principien abhaͤngt. Ausdehnung, Bewegung, 
Sebanfe find offenbar in einer höheren Kraft ge- 
gründet, bie nody lange nicht damit erſchoͤpft Ift. 
Sie muß unendlich vortreffliher ſeyn, als diefe oder 
jene Wirkung; und fo lann ed auch eine Art des 
Genuffes für fie geben, ber nicht allein alle Begriffe 
überfleigt, fondern au völlig außer dem Begriffe 
liegt. Daß wir ung nichts davon denken können, 
hebt bie Möglichkeit nicht auf,” — Was benfen 
Sie von. bilefer Stelle, Theophron? 


Theophron. Ich wänfhte zu willen, was 
Ste davon) denken? 


Philolaus. So muß ich bekennen, daß ich 
mir vergeblich Muͤhe gebe, etwas Beſtimmtes dar⸗ 
aus zu finden. Daß es zu den menſchlichen Vor 
urtheilen gehöre, den Gedanken als das Erfte und 
Vornehmſte zu betrachten, und aus ihm alles her⸗ 
leiten zu wollen, gebe ich zu. Wir Fennen nichts 
höheres in feiner Art, als den Gedanken; Lefling 
felbft bat nichts Höheres. namhaft machen können, 
Alles aus dem Gedanken, d. i. aus Einſicht herlel- 
ten zu können, tft bisher ein vergeblicher Verſuch ge= 
wegen; denn wie Bewegung und jede andere der 
taufend wirkenden Kräfte des Weltalls mit bem Ge⸗ 
danken zufammenhange, iſt immer noch ein Näthfel. 
Daß der Gedanke auf viele andere ihm untergeorb- 
nete Kräfte mirke, willen wir; ob wir gleich die Art 
der Wirkung nicht einfehen. In welcher höheren 
Buaft.aber Gebanfe, Bewegung und alle Kräfte der 
Natur gegründet feyn; wer Ift, ber ung biefes fage? 
. ſelbſt font nur, ed Fönne eine folge Kraft 


200 


geben; bekennt aber felbft, daß wir nicht im Stände 
feyen, etwas von ihr zu gedenken. 

Theopbron. Wie, wenn ih Ihnen aus 
Spinoza felbft zwar nicht eine einzelne höhere 
Kraft, oder Gattung Kräfte, aber ben reellen 
Begriff nennte, in welchem alle Kräfte nicht nur 
gegründet find, fondern ben fie auch alleſammt nicht 
erfchöpfen? Er hat jede Eigenfchaft, die Leſſing von 
feiner unbetannten Kraft fordert, „er iſt unendlich 
vortreffliher, als jede einzelne Wirkung einer ein⸗ 
zelnen Kraft, und gibt wirklich eine Art des Genuſſes, 
der nicht nur alle Begriffe überfteigt, fondern auch 
(war nicht anßer, aber) über und vor jedem 
Begriffe llegt,“ weil jeder Begriff ihn vorausſetzt 
und auf ihm ruhet. 

Philolaus. Und dieſer Begriff iſt? — 

Theophron. Wirklichkeit, Realttaͤt, 
thaͤtiges Daſevn; es iſt der Hauptbegriff bet 
Spinoza, der Grund und Inbegriff aller Kräfte, 
Wirklichkeit, Realität, Daſeyn tft vortreffllher als 
jede feiner Wirkungen? es gibt einen Genuß, ber 
einzelne Begriffe nicht nur überftelgt, fondern mit 
ihnen auch nicht auszumeflen tft: denn die Vorftel: 
lungskraft ift nur Eine feiner Kräfte, ber viele 
andere Kräfte gehorhen. Co iſt's bei Menfen: 
bei allen eingefchränften Weſen muß es derielbe Fall 
feyn; und bei &ott? 

Philolaus. Auf die eminentete Weiſe. 
Seine Eriftenz iſt die Wirklichkeit felbit, Urgrund 
oller Wirkitchkeiten, Inbeariff aller Kräfte, ein Se⸗ 
nuß, der über alle Begriffe geht — 

Theophron. „Der nber auch völlig außer 








201 


dem Begriff liegt?” Dieſe Behauptung llegt völlig 
außer meinem Begriff; d. i. ich kann mic babef 
nichts denfen. Die hoͤchſte Kraft muß ſich ſelbſt 
kennen; fonft tft fie eine blinde Macht, die ſich feibft 
weder genießen noch gebrauchen Fann, ber die in⸗ 
nigfte, wahrſte Wirklichkeit fehlet. " 

Philolaus. „Er, Spinoza, war aber fern, 
unfere elende Urt nah Abſichten zu handeln, für 
die Höchfte Methode auszugeben, und den Gedanken 
oben am zu feßen.‘‘*) 

Theophron. Nah dem Daſeyn, als dem 
Orunde aller Kräfte, ſteht ber Gedanke aud bei 
Ihm oben an; nur iſt er weit entfernt, dem Unend⸗ 
lichen eingefhränfte Vorftellungsarten, Kennt: 
niffe a posteriori, Aufhellungen feiner felbit durch 
muͤhſames Verftäudniß und Einverftändniß mit Din- 
gen außer ihm, fehlbare Berathſchlagungen, will: 
fürliche Abfichten, die er durch Fünftliche Mittel zu 
erftreben babe, zu leihen; weldhes eben die Vor⸗ 
trefflichkeit feines Syſtems ausmacht. 

Philolaus. Leſſing fragt ferner”*): „nah 
was für Vorftellungen fein Freund eine per ſoͤn⸗ 
liche, extramundane Gottheit annehme? ob 
etwa nach den Borftellungen des Leibnitz?“ und 
fürchtete, dieſer fey Im Herzen felbft ein Spinoziſt 
gewefen.**") Zn | 





6.20. *)&. 21. 

»220) „Daß Leifing fich nicht anmaßzte zu behaupten, Leib, 
nig ſey in dem Verftande ein Spinoziſt geweſen, daß 
er ſich ſelbſt dafür erkannt hätte, beweiſt die 
Folge der Geſprächs. JInnere weſentliche Uehniichkeit, 
Identität des Syſtems; das nur hatte Leſſing eigent⸗ 


DI 


N | 208 
Theophron. Mas Lelbnitz im Herzen gewe⸗ 


ſen ſey, mag ich nicht wiſſen; ‚feine Thendicee aber, 


- fo. wie viele feiner Briefe, zeigen, daß er, ‚eben 
am nicht Spinszift au fepn, fein Spftem ausge: 
dacht hatte. Lieber neigte er fich zu Unthropopa- 
thien einer göttliben Wahl nach Ueberlegung, einer 
Auswahl des Beſſeren unter vielem Schlechtern 
nach Konventenzen; alles um ber Spingzifhen Noth- 
wenbigfeit zu entfommen, bie ibm Mecaniemus 


fchien, und gegen welche er ben behutſamern Aus— 


„druck einer moralifhen Nothwendigkelt wählte. 


Er wählte-die Mitte zwiſchen Bayle's Iweifeln und 


Spinoza's harten Ausdrüden, zwiſchen welchen er 
durchzukommen glaubte, Allerdings geſchahe es 
mit vieler Kunſt; aber Baple und Splinoza lebten 
nicht mehr; fie fonnten ihm nicht antworten. 
Phllolaus, „Leibnitzens Begriffe, von ber 
Wahrheit, fagt Leffing ferner *), waren fo befcbaf: 
fen, daß er nicht vertragen konnte, wenn. man ihr 
zu enge Schranfen feßte. Aus biefer Denkungsart 
find viele feiner Behauptungen gefloffen, und es ift 
- bei dem groͤßeſten Scharffinn oft ſehr fhwer, feine 
eigentliche Meinung zu entdecken.“ - Eben darum 
halt’ ich ihn fo werth: Ich meine wegen biefer 
großen Art zu denken, und nicht wegen-biefer 
oder jener Meinung, bie er nur zu haben ſchien, 
oder denn auch wirklich hatte. 


Theophron. Trefflich! Nur ein Nelner 


—* Auge.“  Maber die Qatzre det Saiusie. 
are sale, IER.IS, 444. 


RR 

Kopf iſtis, der ſein Dutzend ſchoͤn bemahlter Wort⸗ 
fbähtelchen;ald Kram nicht nur, ſondern als Menos 
vol. mit, fich.trägt , und nicht begreifen fann, daß 
- anbere, irämer ‚andere Schärhtelhen tragen. Dem, 
wahren, Pbilofophen Aft an den Behältniffen übers 
haupt ‚wenig gelegen; er ſiehet, was darin fen, 
und was fuͤr ihn diene. Meinen Sie dleß nicht 
auch. Philolaus? 

Philnland. Spinoza bat mic gelehrt, baf, 
ie vollffändiger unfere Begriffe find, deſto mehr 
fhmwelgen. unfere Affekten, bejto willlger vereinigen 
fi In ber beutlich =erfannten Wahrheit ale menfd= 
gen Gemüther: denn es gibt nur Eine Vernunft, 
aur Cine Wahrheit. Bel Leibnitz indeß Fann ich's 
nicht bergen, daß er mir oft zu biegfam, zu hypo⸗ 
thefenreich ſcheine. Es iſt ſeine Art, ſich gern al⸗ 
ie anzuſchmiegen, damit er alles nuge und für 


Fheophron. Hoͤren Sie, was darüber Le ſ⸗ 
ſing anderswo ſagt: „So eingenommen, ſchreibt 
er *), man fi auch Leibnitzen für ſeine Philoſophie 
denken darf oder will; fo kann man doch wahrlich 
nicht ſagen, daß er fie ben herrſchenden Lehrſaͤtzen 
aller Parteien anzupaſſen geſucht habe. .MBie wäre 
das auch möglich geweſen? Wie haͤtte es ihm ein⸗ 
lommen koͤnnen, (mit einem alten. Sprichworte zu 
roden) dem Mond ein Kleid zu machen? une, 
wad:er zum Beſten feines. Spftems daun und waun 
Wat, war: serabe das Gegeuthell: er fuchte bie 
herrſchenden LTehrfäße aller Parteien feinem Gy: 


”) 2effings fämmtlide Schriften, TH. 7. &,23..24 


— 


[4 


204 
fiem auzupaffen. Beides iſt nichts weniger als 
einerlei. Leibnitz nahm bei feiner Unterſuchung 
der Wahrheit nie Rädficht auf angenommene Mei⸗ 


nungen; aber in ber feften Heberzeugung, daß keine - 


Meinung angenommen feyn koͤnne, die nicht von 
einer gewiſſen Seite, In einem gewiffen Verſtande 
wahr fey, hatte er wohl oft die Gefälligkeit, dieſe 
Meinung fo lange zu wenden und zu drehen, bis es 
ihm gelang, diefe gewiſſe Seite fichtbar, dieſen ge⸗ 
willen Berftand begreiflih zu machen. Er fchlug 
aus Kleſel Feuer; aber er verbarg fein Feuer nicht 
in Kieſel.“ " 


Philolaus. Wer weiß alfo auh, welchen 
Kabbaliften er fich oder fich Ihn eben damals an⸗ 
paffen wollte, als er, wie Leffing anführt, von 
Gott fagte, „derſelbe befinde fih in einer Immer: 
waͤhrenden Expanſion und Kontraktion; dieß fen 
bie Schöpfung und das Beftehen der Welt.” Mich 
wundert, daß Leſſing an ber ungeheuern Verkoͤrpe⸗ 
zung Geſchmack fand. 


Theophron. In Leibnitz iſt mir diefe Stelle 
noch fremd. Daß aber Leffing fih an ihr ergetzte; 
woran, m. Fr., ergebt man fich nicht manchmal 
im Sefpräh? Für das Syftem des Spinoza hielt 
Leſſing dieß Bild gewiß nicht. Wer die Schöpfung 
und das DBeftehen ber Dinge durch eine immerwaͤh⸗ 
rende Erpanfion und Kontrattion Gottes erklären 
kann; von bem möchte ich mir diefe Erflärungsark 
auch, wie Leffing fagt *), ‚‚natürlich ansgebeten 





*) ©. 34. 


+ 








> 205 
haben.’ Laſſen Sie und das Lefiing’fche Geſpraͤch 
endigen. on 

Philolaus. Es iſt zu Ende. Mir Haben 
alfo dießmal weniger gelernt, als wir wänfhten. 

Theophron. . Und doch iſt mir's nicht unlleb, 
daß auch dieß abgebrochene Sefpräc bekannt gemacht 
it. Dem Verftorbenen kann es nicht ſchaden, wo⸗ 
für ihn der fchwache Sektenmacher halte, und ung 
its angenehm zu ſehen, daß einem fo ausgezeich- 
neten Denker, wie Keffing war, Spinoza nicht un⸗ 
bemerkt geblieben fey*); ia was Er aus ihm hätte 
machen können, wenn er Spinoza's Spftem aus 
einander zu fehen, und in bie ihm eigene Elare 
Sprache zu übertragen, fich Zelt und Muße genom- 
men haͤtte. Im Buche feines Freundes werben 
Ste gewiß auch viel Wahres und Schönes, maͤnn⸗ 
lich⸗ ſchoͤn geſagt, gefunden haben. 

Philolaus. Gewiß: nur muß ich eben ſo 
aufrichtig bekennen, Theophron, daß ich mit ſeiner 


„perſoͤnlichen, fupta= und extramundanen Gott- 


heit“ fo wenig fortkomme, als Leſſing. Gott iſt 
nicht Welt, und Welt iſt nicht Gott: das bleibt 


gewiß; aber mit dem extra und ſupra iſt's, duͤnkt 


mich, auch nicht ausgerichtet. Wenn man von Gott 


0) Noch befriedigender ſiehet man dieß and ein paar Auf 
fägen in Leffings Hinterlaffenen Schriften. 
(Leffings Leben und Nachlaß. Th. 2. ©. 164. u. f.) 
unwiderfprechlich zeigen fie den hellen und reinen Bes 
sriff, Ten Leffing von Spinoza's Suftem hatte, und 
Helen die Scherze feined Geſprächs an den Ort, der 
ihnen achöret, Anmerk. ber zweiten Ausg. 


d 


306 
'teder, muß man ale Idoke des diums inhver 
Zeit vergeſſen, oder unſere beſte Muͤhe iſt ver— 
gebllch. 

Zweitens kann ich'ß eben fo wenig bergen, 
Jakobi mit dem Begriff nice überefuftiinme, den 
ih jet von Spinoza’s Spitem Habe, und hr welchem 
wir beide uns doch Punkt für Punkt verſtanden 
Alſo Fann ih auch In bie Konkluſionen nicht einfekm- 
men ); „Spinoztemus ift Atheismus, 
Die Lelbnis » Wolfifhe Vhffofoppte Fr 
nfht minder fataliftifh als die Shit: 
siftifhe. Jeder Weg der Demonftraffen 
gehet In den Fataliemud aus”u,f, Dein 
nach meiner Einfiht iſt Spinozisnus, wie Inf 
Spinoza dachte, Fein Athelsmus; auch iſt in den 
harten Ausdruͤcken des Spinoza die Lelbnitz Woifi 
ſche Nothwendigkelt mit ber Spinoziſchen nihfeiter- 
lei und dann muß man ſich von dem Wort Fa⸗ 
tallsmus, duͤnkt mich, fo wenig ſchrecken laſſen, 
als von frgenb einem Worte. Hören wir barliber 
Spfnoza felbft ***); „Auf Eeine Welfe unterwerfe 
ih Gott dem Fatum. Daß mit unentwelchticher 
Nothiwenbigkeit aus der Natur Gottes alles’ folge, 
denke ich mir fo, wie ſich jedermann denkt, daß aus 
der Natur Gottes es folge: Gott erkenne ſich felbſt. 


ee. 170. 172. IE SE ES; 
) Han ſehe hlerüber WEHLYE Widirtegung des Spino⸗ 
Uetmus, TH. 2, feiner naturtichen Gotteſgelahrrheit 6. 
671. u. fi, die der deutſchen Ueberſetzung var’ Epino⸗ 
za's Sittelitehre (17447 betgedruckt Hk, 
**#) Epist. 23. Opp. post. 463. 


else ertenne; ex erfenwet ſich frei, obgleich noth⸗ 
{7 
Weder göttliche noch menſchliche Rechte hebt 
biefe Nturnothwendigkelt auf, Die tmoralifchen 
Vorfärlften felbft (ipsa moralia documenta), fie 
Bin Form des Geſetzes oder Rechts von Gott 


— on alemand, und doch denkt fich niemand 


207 
ibel, daß Gott bar’ Schleſal gezwungen ſich 


Mſanen oder nicht, find dennoch göttlich und hell— 

das Gute, das aus der Tugend und aus ber 
ehe Gottes folgt, ob wir es vom Gott als elnem 
Richter einpfangen, oder wenn es aus der Nothwen— 
diofelt der Natur Gottes folgt, es wird deßhalb 
Weber mehr moch minder wuͤnfchenswerth, fo wie 
Gegentnetld die Uebel, die aus böfen Handlungen 
und Affeften folgen, deßhalb weil fie aus ihnen 
notwendig folgen, nicht weniger furchtbar werben. 
del unterm Handlimgen endlich, wir mögen fie noth= 
wendig oder zufällig thun, fühtet und Dennoch Furcht 
oder Hoffnung.‘ 

„Bor Gott werben die Menfchen Feiner Entſchul⸗ 
Ddung fähig, weit fie In feiner Macht find, wie 
Thon in der Hand des Töpfers, der aus demſelben 
Lim Gefaße macht, einige zur Ehre, andere zur 
Unehre,’ 1. f. 
 Theophron, Ohne Zweifel haben Sie mache 
gedacht, wodurch ſich Spino za das fonderbare Schi: 
fat zubereltet hat, auch von feinen Freunden miß- 
kannt zu werden. u 

2 bitolane. Fa wohl, und ich bin immer auf 
- Ve Utfachen zurucgekommen, aufdie Sie mic gleich 
Anfange wleſen. 


208 


Zuerſt find's harte Ausdruͤcke, die in einer 
sum Drud nicht ausgearbeiteten, nah dem Tobe 
des Verfaſſers erfchlenenen Schrift mit andern ver 
glihen, und wenigfiens milde ausgelegt werben 
folten. Wenn Spinoza 3. B. „bie menſchliche 
„Seele, fofern fie ſich die Dinge nach ber Wahrheit 
„oorflelt, einen Theil des göttlichen Verſtandes 
‚„mennt, und diefe deutlichen Begriffe In ihr Be⸗ 
„seite Gottes mennet, nicht fofern ex unendlich 
„iſt, ſondern fofern ex durch die Natur der menſch⸗ 
„lichen Seele ausgedrüdt wird, und ihr Weſen aus- 
„macht, ober fofern er mit thr auch andere Begriffe 
„denket:“ fo lag (man dürfte nur diefe fofern 
aus laſſen) ein Mißverftändniß vor der Thür, das 
fein Syſtem ganz aufhebt. Körper und Seelen 
wurden alfo als Theile von ihm gebacht, von 
‘hm, dem nah Spinozga Untheilbaren. Man 
abdirte Körper, man fummirte menfchlide Gedan⸗ 
ten und fagte: „ſiehe Spinoza's Gott! der unend⸗ 
„liche Verftand bei ihm iſt nichts als das Reſultat 
„aller menfchliheng aud der Diebs- und Narrenge- 
„danken.“ Hätte man überlegt, daß Gedanken⸗ 
und Gedankenweiſen fi nicht addiren, daß fie ad⸗ 
dirt Feine Kraft ausmachen, bie untheilbar in fi 
ſelbſt, untheilbar In jeder fie darftellenden Wirs 
fung feyn fol; hätte man überlegt, daß nad Spi- 
noza ed eine Urkraft und in ihr ein lebendiger 
Begriff ift, der die Ordnung und Verknüpfung aller 
Begriffe und ihrer Folgen, mithin die Verknüpfung 
und Drbnung aller Dinge in fich faßt und thätig aus⸗ 
druͤckt; würde man ihm den feinem Syſtem wibrigs 
fen, jeder Vernunft anftöpigen Unſinn augeſchtiere 


— 


209 
HABERT Ein paar unbegueme Bortformeln waren 
dern Schuld, die man in einer Ihm wugeldufigen 
ihm hätte verzeihen Finnen. 

eben fg ſchaͤhlich iſt's ihm gewefen, daß er man- 
ches feier prägnanteften Worte nicht erklärte, 
auf deſſen beitimmten Sinn boch fo viel anfanı. So 
33. „wenn jedes der unendlichen Attribute feines 
„Gottes auch in allen feinen Modis und Verände- 
„eungen etk unendliches ewiges Weſen ausdruͤ⸗ 
„Ken: ſollz⸗ was bedeutet hier das praͤgnante Wort 
Ausdruck? Sind dieſe Modi bloße Symbole 
oder atsbruͤckende Charaktere? find fie Re⸗ 
praͤſentanten und Darſtellungen bes ewl⸗ 
gen Weſens, das ihr Weſen und Daſeyn ausmacht? 
Demi, ber verſtehen will, bat Spinoza genug ge⸗ 
fagt: Ken fein Werk iſt eine Idee von Anfange 

Dis ans ende Wer über Worte ftreiten wollte, 
fand deſto mehr zu ſtreiten. | 
| Endlich feine an ſich vortreffihe ſpnthetiſche 
Methode; fie fehlte fich nicht bieher, wenig: 
ſtens zwang fie ihn. zu Vorausſetzungen und For- 
mer, die durch die Analpſe gefunden, durchaus 
nicht auffallend geweien waͤren, 3. B. Subftanz, 
Attribut, Modus u. f. Getrauten Sie ſich ni.pt, 
 Theophron, In analytifher Form das ganze Syſtem 

Spinoza's ganz unanſtoͤßig vorzuftellen? 
Theophron. Leffing Tonnte es gewiß. — 

Was glauben Ste, Phllolaus, wenn Spinoza wfe 
der erſchlene, was wuͤrde er denen, die ihn fuͤr ei⸗ 
nen Atheiſten, Pantheiſten, Gottes ver⸗ 
theiler, Gettesfummirer u. f. halten, 
Sagen? 
Gar Werke . Phuleſ. u. Eeſch. IX. 44 


Pd 


z10 - , 
Philolaus. Mich duͤnkt, fehr befcheiden und 
ſehr entſcheidend wuͤrde er ſagen: „was macht ihr 
aus meinem Syſtem, deſſen Grund, eine einzige 
ewige Idee, ihr zerftöret? Sind Modifikationen ohne 
Innere Mealität, tft Ausdrud ohne Etwas, das ſich 


ausdrädt, find Gedankenweiſen ohne eine unbe 


ſchraͤnkte thätige Denkkraft gedenfbar? Wenn ich in 
einer mir ungeläufigen Sprache alles that, was ich 
thun Fonute, um euch ben reinen Begriff und Genug. 
einer unthellbaren Kraft vorftellig zu machen, bie: 
in fih alles, durch und aus fih alles im innig- 
ſten Selbſt mädtig fühlet, wirket und darſtellt; 
wenn ich euch dieß Weſenhafte analogiſch in euch 
ſelbſt darſtellte, um euch dadurch zur hoͤchſten Freude 
und Seligkeit zu führen; wie? ihre wolltet mir an= 
dichten, daß ich das Eins zum Nichts, das thaͤtigſte 
Mefen zu einem leeren Sedel und Kollektionamen: 
von Schatten, bie ohne Licht ia auch nicht Schatten. 
feyn könnten, gemacht, daß ich die Sonne ausges 
löfcht hätte, um aus allen Funken der Johannes 
wärmer eine Unfonne zu fabrleiren — ich bitte euch, 
lefet andere, als meine, zwar nicht ım Geiſt, aber, 
im Ausdrud unvollendete Schriften. 

Theophron. Genug, Sie fprachen von bes. 


Schaͤtzbaren, das Sie fonft In dieſem Heinen Buch ) 


Philolaus. Tas Schäßbarfte war mir bie 
Dettlart des Verfufferd, der auch im Geſpraͤch mit: 
Leſſing vorzüglich barauf hinausgeht, „Vernuͤnfteln 
ſey nicht das ganze Weſen, nicht der ganze Bey 





- 


*) Ueber die Lehre des Epinoja. Bretlau 1786, * 








211 


ſtand menſchllcher Denkkraft. Wie allem, fo auch 
den edelſten Kraͤften unſerer Natur liege Dafeyn- 


sum Grunde; dieß koͤnne nicht in Vernuͤuftelei auf: 
geloͤet, oder gar durch fie hinwegraiſonnirt werden. 
Ohne Exiſtenz und eine Reihe von Erittenzen dichte 
der Menſch nicht, wie er denket; folglich muͤſſe der 
Due feiner Gedanken feyn, nicht, ſich Hirnge— 
ſpenſte zu erträumen, mit Scheinbegriffen und 
Sceinworten, wie mit einer ſelbſtgemachten Wirt- 
lühleit zu fplelen; fondern wie er's nennt, Da- 
feyn zu enthällen, ſolches als etwas Gegebe⸗ 
nes oder (nach feinem Ausdrud) als eine Offeu⸗ 


batung Gottes anzunehmen, über weiche und - 


hinter welche man nicht hinaus kann. Seine 
Sinne mäfle man durch Erfahrung, feinen Innern 
Sinn durch Wahrheitsliebe, Ordnung und Zufams 
menhang im Denken reinigen und fchärfen, willkaͤr⸗ 
Iden Verbindungen exiftenzlofer Scheinbegriffe, 
d.E dem trägen, todten Nichts ertiagen, und de: 
fir was da if, in dem Elgenſchaften und Bes 
dehungen wie es da iſt, kennen lernen. Ein 
ſolches Erkenutniß mit Innigem Gefühl der Wahr: 
beit verbunden, ſey allein wahr: dieß allein 
helle den Geiſt anf, bilde das Herz, bringe DOrd- 
Many und Regelmaßigkelt in alle Verrichtungen un⸗ 
ſetes Lebens; da hingegen jene Gruͤbelei, ohre ein 
Daſeyn von anfen und Regeln der Wahrheit von 


In vorauszuſetzen, den Kopf öde und Das Herz 


ter mache.“ . 

Theophron. Mortrefflih! Jene menſchliche 
Erlenntnig ohne und vor «ler Erfahrung, jene 
Innlipen Anſchauungen ohne und vor aller finnils 


hen Empfindung eined Gegenſtandes, nach einge: 
pflanzten Formen der Denffraft, bie: ihr, von .nlem.. 
manden eingepflangt worben, find Undinge, bie, ie-. 
dem, ber feine eigene Eriſtenz wahrnimmt, dem, 
Kopf veröden. Auch wir, Phllolaus, baben.in unz- 
ſerm Sefpräd den heiligen Namen oft alg ein. bloßes.. 
Symbol brauden müfen, wie wäre es, wenn wir. 
den Luftgang unterbrähen? Sie kennen und fpres, 
hen bie erquickende Sprahe ber Töne; wohlan!. 
hier tft Ihr Werkzeug. 


Phllolays. Ich ſpreche gern. dleſe Geiſtes⸗ 


ſprache: 


Sobt den gewaltigen, den aan Seren, _ 
Ihr Welten feines A 
hr Sonnenhesre, — ſeinem Ruhm, 
Ihr, Erden. ſingt fein. Lob. 


Der Widerhall lod' ihn und die Natur 
Sing’ ihm.ein froh Konzert« 
Uns. Du, der Erden Herr, o Menſch, zerfließ 
In Harmonieen ganz. 


Dich hat er mehr als alles ſonſt —— 
Er gab dir einen Geiſt, 

Der durch den Bau des Ganzen dringt und forſcht 
Die Räder der Natur. 


Erheb' ihn hoch zu Deiner Seligkeit; 
Er braucht kein Lob zum Glück. 

‚Die niedern Neigungen und Laſter fliehn, 
Wenn du zu Ihhm dich ſchwingſt. 


Die Sonne feige nie aus rother Fluth 
Und finke nie darein, 

Daß du nicht deine Stimme ‚einigeft 
Der Etimme der Natur. 


| 


oo zı3 
te Regen und In dürter Seit, 
ImSonnenſchein und Sturm, 


wenns ſumeit "Wenn Froſt aus Waſſer Vliücken Halle, 
Und wenn die Erde⸗grunt. 


Iñ Ueberſchwemmungen, in Krieg und Peſt 
Trau' ihm und ſing' ihm Lob. 

Er ſorgt ſim dithe denk er erſchuf zu Gilt 

Dus menſchliche Gerdjteittt: 


Und o wie liebreich ſorgt er auch für mid 
An Ruhms und Goldes Statt 

ah er Thle Kraft, die währpeit einjufehn, 
Und Sreind’ und Saitenſpier. 


Erhalte mir, o Herr, was Du mir gabfſt; 
Mehr brauch ich nicht zum Glück. 

Mit Heirgem Schawr will ih, ohnmächtig ſonſt, 
Die preiſen ewiglich. 


In finſtern Waldern will ich mich ein 
Mit Dir befchäftigen, 

Und feuien laut und nad) dem Himmel ſehn, 
Der durch die Zweige blickt. 


ad ten ans Geſtad des Meers und Dich 
Sin jeder Woge ſehn, 

Und hören Dich im Sturm, bewundern in 
Der Au Tapeten Dich. 


Ich win entzückt auf Felſen kümmen, burch 
Bereiffirie Wolken ſetn 

Und fachen Dirh ven Tag, bis mich Vie Nast 
In heilene Träume wiogt. 





214 


Theophron. Ich danke Ihnen, Philolaus. 
Möchte man nicht von der Muſit fagen, was Ba- 
aint von feinem Strohhalm fagte: „wäre id 
fo ungluͤcklich, am Dafeyn Gottes zu sweifeln 
und hörte Muſik: fo würde fie mir Demonfira- 
tion ſeyn.“ 

Philolaus. Da find Sie von einer fehr al: 
ten Dentart, Theophron; denn neuerlih hat man 
es fih klar gemacht, daß es eine Demonfitatien 
von Gott weder geben koͤnne, noch gehe. j 

Theophron. Und id möchte behaupten, daß 
es ohne den Begriff Gottes, d. i. einer felbfiftän- 

digen Wahrheit, keine Vernunfit, viel weniger eine 
"Demonftration gebe. Denn ohne noch irgend den 
Urfprung der Kräfte In Betracht zu ziehen, bie 
denten, handeln, wirkten, und bie der über fidh 
ſelbſt fteigende Philoſoph doch nie aus unferer Welt 
wegläugnen kann, fo iſt fhon die Verknuͤpfung 
diefer Kräfte, wie alle ihrem Weſen 
nach wirken, und fih in meiner Seele 
verbinden, mir Beweiſes genug von einem wez 
fentliden Grunde innerer Wahrheit, 
Vebereinftimmung und Volltommenpeit, 
die ihr Dafeyn ſelbſt einfhlieht. Daf 
.es etwas Denkbares gibt, daß dieſes Denkbare 
nah Innern Regeln verknüpft werben kaun, 
und bei unzählbaren Nerfnüpfungen dieſer Art ſich 
Harmonie und Ordnung zeiget; fchon dag tft 
mir Demonftration von Gott, und wenn ich ein un⸗ 
glüdfeliger Egoiſt wäre, der fi das einzige den⸗ 
kende Weſen in der Welt zu-feyn einbildet. Zwi⸗ 
hen jedem Subjekt und Prädikat ſtehet ein Ik 





215 


vder Iſt nicht; dieß Iſt, dieſe Formel der Glei⸗ 
chung und Uebereinſtimmung verſchiedener Begriffe, 
das bloße Zeichen — iſt meine Demonſtration von 
Gott. Denn, nochmals gefagt, es gibt eine Ber 
nunft, eine Verknuͤpfung des Denkbaren in der 
Welt nach unwanbelbaren Negeln, mithin muß es 
einen wefentlihen Grund dieſer Verkruͤ⸗ 
pfung geben. Die Regel dieſer Verknüpfung hat 
niemand millfärlich erfonnen, fo wenig fie irgenb 
ein mit Raum und Seit befangenes, denkendes 
Weſen willkuͤrlich übet. Sie iſt in der Geiſter⸗ 
weit eben bad, was bie Regel bes Gleichgewichts 
unter ben Körpernift: fie trägt ihre innere Noth⸗ 
wendigkeit mit ih. Es gibt alfo eine ſolche in⸗ 
nere Nothwendigkeit, d. i. eine felbfiftändige 
Wahrheit. 
Philolaus. Und biefe felbftitändige Wahr: 
Heit wohnet — 
Theophron. In allem, was da iſt; okjek⸗ 
tiv oder ſubjektiv betrachtet. Unſere Kenntniſſe 
find aus Sinnen und aus ber Erfahrung geſchoͤpft; 
wir muͤſſen wahrnehmen, Aehnlichkelten zuſammen⸗ 
halten, allgemeinere Begriffe aus individnellen 
Verſchiedenheiten abſondern und laͤutern; dieß alles 
iſt ein Weg, der Irrthuͤmer im Wahrnehmen, im 
Abſondern, im Verbinden und Trennen der Be⸗ 
griffe nicht nur moͤglich, ſondern beinahe unvermeid⸗ 
lUch macht: ein nothwendiges Loos ber Menſchheit. 
Die Regel aber in mſerer Seele, nach welcher 
wir wahrnehmen, abfonbern, ſchließen und verbin- 
den, if eine göttlihe Regel: auch im Irr⸗ 
thum haben wir nach ihr gehandelt und mußten nach 


‚316 


ihr handeln, ſelbſt wenn ‚alle Gegenſtaͤnde deo 
Deukens Wahn wären. Nun betrachten Sie reine 


Wahrheiten, Wahrheiten z. B. der Geometrie. u 


Fir unfere Sinne gibt es vielleicht keinen volllom⸗ 
menen Cirkel in der Naturz wenn es aber au 


feinen gäbe, fo iſt mir der gedachte. mathemaetiſche 


Cirkel, mit allem, was in ihm nach innerer Noth⸗ 
wendigkeit geſetzt und bewieſen wird, Demouſtration 
einer ſeloſtſtaͤndigen göttlichen Wahrheit. Er be⸗ 
welſet mir naͤmlich, daß es eine mathemati⸗ 
ſche Vernunft In der Welt gebe, und ba uns 
unfere Sinne nicht zulaffen, fie allentbalben in dei 
Natur ‚zu erkennen und anzumenden: fo ſagt und 
doch feiner Struktur und Abſicht nah jeder Siam, 
und ihrem Weſen nach bie uns einwohnende Ver⸗ 
nunft, daß, wenn es denkende Werfen gibt, die 
. auch mit feinern Siuuen die Weit anſchauen, fie 
nah eben biefer einzigen nothbwendigen 
Regel denken, baß alſo au bad Welen, das 
bie Urfahe meiner und jeder Veruunft if, 
diefelben Inneren Geſetze der Gedanken auf bie emi⸗ 
nentefte Weiſe kennen mäffe, bie es ſeinen 
Wirkungen zu Grundgeſetzen des Daſeyns nicht 
anders ale machen konnte. Sie ſchweigen, Phi⸗ 
lolaus? 

Philolaus. Wie? wenn ein kritiſcher Pi⸗ 
loſoph Ihren Bewels bloß hopothetiſch memnte: 
„wenn es eine Vernnuft gibt; wie aber? war: es 
keine gäbe? 

Theophron. Go gäbe es Feine; ein Phla⸗ 
ſoph, der feine Vernunft aufgibt oder Werft 
laugnet, ans ſrelllch Iaine Demouſtratier⸗ unuam 





217 

ten, haban. W. 3. E. Werken bei 
Seite! Sobald der Philoſoph ein Philoſoph wird, 
d. 1 ſobald er Vernunft anerkennet und ſich dentlich 
macht, was fie ſey; ſo bald iſt ihm eine weſſent⸗ 
liche Nothwendigkeit in Verknuͤpfung 
ber Wahrheiten Im Vegriff der Verauaft 
ſelbſt gegeben. Ich getraue mich zu fagen, daß 
dieß bie einzige weientlihe Demenfiration von 
Gott fey (mehrere wefentlihe kann es auch bcht 
schen), die bei allen Beweiſen wiederlommt; die 
aber niegend fo ſcharf uud rein erſcheint, als-bef. 
ben Geſetzen unſores Verſtandes. 

Alle Beweiſe z. B. aus der Natur, wo wir noth⸗ 
wendige Geſetze der Bewegung und Rahe, des Be⸗ 
tendes der Dinge nach einem Berhältwik ihrer iu⸗ 
mm Kräfte u. f. wahrnehmen, feßen dieſe Regel 
sum Grunde , die wir am reinften bei unferer Ver⸗ 
uf bemerken, naͤmlich: „daß jedes Ding iſt, 
nas es iſt, daß ſein Weſen anf Kraͤften, fein Be⸗ 
ſtand auf einem Ebenmaß dieſer Kraͤfte, ſeine Wir⸗ 
tung auf Verhaͤltniſſen derſelben zu andern Dingen 
beruhe; und mer bieß alles nicht aus willluͤrlichen 
Aſichten, die mie ganz beiſeit ſetzen, ſondern aus 
innern Geſezen der Nothwendiglkeit, 
aus welchen Beſtand und Zerſtoͤrung, Zuammen⸗ 
hung und Abſtoͤſung, Bewegung, Ruhe md Wie⸗ 
Img folgen.” Jede wahre Phyſiko⸗ Theolagke eut⸗ 
weit alſo nichts, als ewige Vernnuft und 
Kraft mac nothwendigen Gefegen, im 
Bau der Beichänfe, in ihrer ganzen Verkinbung 
nach Det und Beil. Sie enthält aͤberell Einen und 
derſelben Schiuß, Eine und hiefeibe Auſchauumg 


‘218 


‘tn taufend DBeifpielen und Gegenftänden vom ver- 
ſchwindenden Kieinften bis aufs muͤberſehbare 
Größte. Die Muſik z. B., mit der Sie mich er- 
‚gest haben, tft eine Formel nothwendiger, 
ewiger Harmonie, auch wenn mein Ohr fie 
nicht hörte, auch wenn, abftrabirenb von aller 
Wolluſt derfelben, fie bloß ein Werftand berech⸗ 
nete und mäße. Daß mein Ohr, daß meine Em: 
pfindung für die Muſik gefchaffen iſt, daß fie auf 
fo viele mir gleichgeftimmte Weſen einerlei Wir⸗ 
Tung thut; das alles macht zwar den Beweis der 
in ihr wohnenden Harmonie lebhafter; es ſetzt 
‚aber feinem bdemonftrativen Werth nichts hipzu. 
Denn wenn auch Fein Ohr in ber Welt unb bag 
Wefen ber Muflt bloß von einem rechnenden 
Berftande gedacht wäre: fo wäre ber Beweis voll-- 
endet. 

Philolaus Ich muß meinen Scherz wieber- 
holen. Wie? wenn durchaus Fein rechnender Ber: 
-ftand wäre? 

Thesphron. So muß ih auch meine Aut⸗ 
wort wiederholen. Gibt es keinen rechnenden Ver⸗ 
ftand: fo gibt ed auch nichts Berechnetes, mithin 
auch Feine Harmonie und Ordnung, bie eine Be: 
tehnung bes Verfiandes if. Raͤumen wie 
alles Denkende weg, fo ift nichts Denkbares; alles 
Wirkliche, fo tft nichts wirklich. Mo gelangen wir 
aber mit folchen Sophiftereien bin? und find fie der 
Philoſophie würdig? Sertreten Ste bie ewigen 
Srundfäge der Vernunft und loͤſen ſolche in hypo⸗ 
thetifhe Wortgefpinafte ohne Eriftenz; und noth⸗ 
wendigeds Erkenutniß einer inneren 





219 


Wahrheit auf; freilich fo ik Feine Demonftration 
alht nur einer, fondern Feiner Exiſtenz moͤglich. 
Bas haben Ste bamit aber gethan, als ben Grund 
alles Denkens aufgehoben? und wie iſt nun ohne 
zuſammenhangendes Denken Philoſophie möglich? 
Ueberzeugen mich ſchon meine Sinne vom Dafeyn 
sah ihrer Art, d. i. auf eine dunkle verwors 
rene Weile; wie ſollte mich meine Vernunft nicht 
von Daſeyn nach Ihrer Art, d. 1. durch beutlich- 
verknüpfte, volftändige Begriffe überzeugen? Ver⸗ 
lange ich aber vor. ihr, daß fie mir ihre Begriffe ale 
ſinnliche Anfchauungen, ohne finnlihe Anfchaunng 
gebe, oder.mir das Daſeyn finulicher Gegenftände, 
die in ihr Gebiet nicht gehören, als reine Vernunft- 
Wahrheiten bemonfirire und tadle fie, daß fie das 
nicht wolle oder vermöge: fo bat mein Tadel nicht 
mehr Grund, als wenn Ich die Farbe hören, das 
Lot ſchmecken und den Schall fehen wollte. Wie _ 
"wollen ung hüten, Philolaus, daß wir nie in biefe 
Gegend. der „Hyperkritik bes gefunden 
Verſtandes“ gerathen, wo man ohne Materia- 
Hen bauet, ohne Erxiftenz ift, ohne Erfahrungen 
weiß, und ohne Kräfte kann. Die Begriffe dieſes 
Reiche find wie die Fata Morgana, fheinbare Nich⸗ 
tigfeiten zurädgeworfener Bilder ohne Haltung, ohne 
Dauer, die fchlechteften Phantasmen, die es in der 
Welt gibt, ſpekulative Phantome, ein Wuſt ber 
Sprache. 
Philolaus. Sie bauen alfo Ihre Demon⸗ 
fitation sigt auf ben Begriff der Urfahe und 
Wirkung? - 
Theophron. 3% nehme biefe Begriffe aus 


\ 


/ 
00 | 
der Erſahrang; in ði Gebtet der Demonſttation Mer 


— 


weiß ich fie nicht anders ais unter dem Begriff bes 


Daſeyns zu verpflanzen, swell-fch weber was Utfache, 
noch was Wöbehung Fey? vielweniger das Band zwi⸗ 
ſhen beiden deutlich erkenne. Demounſtriren Idee 
ſich beb Loiner Erfahrung, duß dieß die Wirkung -je- 
ner Urſache ſey, ob wir wohl ſinnlich klar erkennen 


sder muthmaßen, daß ſie es ſeyn muͤſſe, weil wir 
beide oft md anmer zuſammen⸗ vder nach einaicher 
fanden, Ihnen iſt bekannt, weiche Fehl⸗ Muth: 
maßungen man hieräber-feibit im Lauſ ber taͤulkchen 


Erfahrung bei den gemeinſten "Dingen vft gemutht 
"habe; und der Grund davon HE ſichtbar, weil Jeber 
Schluß von Urſache auf Wirkung, oder umgekehrt 
von Wirkung auf Urſache als Erfahrungsfatz nie De- 
monſtratlion, ſondern Immer nur eine Muktzmußung 
im Reich der Sinnlkehleiten war. Wir wilffen nicht, 


was Kraft iſt, nmoch wie fie witke? wir Teen 


ihre Wirkung nur als Zufchauer, ib Bilden Are 


dadhet andlogkfähe Urthelle. Seibſt Die allgeitietnen 
Raogein biesäber, die wir aufs Beitepeiolßtt finden 


kdaunen wir ale demonfitiven. Was ſpliten wir ka— 
niger keunen, als die Kraft, Die in unß dentt und 


wirket? Wir kennen ſtr indeß fo weitig/ als febe vn 


dere, die außer ans iſt. Selbſt die Gedanken Met- 
wer Seele, als Wirkungen detrachtet, begrekfe ich 
nicht; nur daun find fie mir begreiflkch, wein ich fie 
immanent als Daſeyn, d. f. „als ewige 
Weayrheiten zum Werfen metner :Bernihfe gehdrig⸗⸗ 
unter Vie Regel einer innern Nothwendigkein zu drnu⸗ 
gen vermag. Dahin alſo habe ich auch in Anfehnug 
GBottrs meinen Bewels eingeſchruͤtet; ver gu viel 


Pa 





\ 


Eu 


bemeiien..mfl > laͤuſt. Gefahr dafı er..nlchte de⸗ = 


weile — 

- Phllalaud. Alfa werden Sie ſich auch uͤber 
die Art ber Schoͤzfung nicht erklaͤren, ob ſie Her⸗ 
vorbringung, Emanation u. dgl. fen? 

Thaophron. Wie könnte Ich: dieſes, da ich 
nicht weiß, mau Schaffen, was Hervorbringen heike? 
Diegameine Vorſtelluugs art iſt, daß Gott die Welt 
aus. ſicheh er au og e dacht habe: fie. ſcheint bie: 
reinſte au ſeyn, weil wir von keiner reinern Wir⸗ 
kung ,. alsa vom Gedanken unferer Seele Becriff ha⸗ 
benz. auch haben ſichLe ibn iͤtz und alle helldendeuden 
Konfe an ſie gehaiten, weil, ihnen bie: Erfahrung 
kein beſſeres Bil, die Sprache keinen beffern 
druchgah. Die Bedanken naſerer Serie, fagtıman, 
(ah ap, ſich · arwirkſame Bilder; bie: Gedanken: Got⸗ 
tes „mit inn arer Allmacht beglaitet, waren hoͤchſt 
witkſam. Er: dachte und es ward! er 
wollte und es ſtand da. Ich glaube, es gibt 
über eine für uns unerklaͤrliche Sache feine behut- 
famere Eormel. 

Indeſſen ſchließt ſie nus das. Wefen der Wirkung 
nicht. auf; vielmehr muß. man.fih auch bei diefem 
„heraus“ vor böfen Symboliſationen huͤten. Die 
grobe Vorſtellunggart z. B., daß, Gott: nach Millio⸗ 
ven. Ewlgkeiten bie Welt aus. ſich „he ra usgie⸗ 
dacht“ habe, wie eine-Spinne das Gewebe aus 
ſich ziehe iſt unertraͤglich⸗ 

Philolaus. Die groͤbere Emanation wird es 
Ihnen alſo noch mehr ſeyn, und doch gibt man ſelbſt 
dem Spinoza Schuld, daß er ſein Syſtem aus dem 
Cabbalismus der Juden entlehnt hahe, 


222 


Theophron. Wer hat Ihnen das eingebildet, 
Philolaus? | 

Philolaus. Es tft eine fehr gemeine Mei⸗ 
nung, bie Spinoza felbft veranlaßt *) und vor allenr 
Wachter In Gang gebracht bat. 

Theophron. Wachter war ein gelehrter 
Mann, den ich in jebem andern Betraht, nur 
nicht als einen Phllofophen, ehre. Als ein reifen- 
der Juͤngling von einigen zwanzig Jahren, firktt er 
gegen einen Juden und wollte den Spinozismus im 
Judenthum finden; einige Jahre darauf werd er 
felbft ein Freund ber Cabbala, und wollte, ſeiner 
erften Idee zufolge, die Lehre des Spinoza mit ihre 
vereinigen **). Mich duͤnkt, die Philoſophie des 
Spinoza iſt von der Cabbala eben fo verſchieden, als 
es vergebliche Muͤhe iſt, dieſe durch jene laͤutern zu 
wollen. Die Cabbala iſt eine Symbolif guter und 
fhlechter, im Ganzen aber fchwärmerifcher, dunkler 


%) „Omnia in Deo esse et in Deo moveri cum Paulo affr-. 
mo, auderem etiım dicere cam antiquis omnibus He- 
bracis, quantam ex quibusdam traditionibus, tametsä 
multis modis adulteris, conjicere licet,‘ Epist. ar. 
Opp. posth. p. A4g. 


**) Die erfie Schrift hieß: „der Spinoziſsmus im Juden 
thunt, oder die von dem heutinen Judenthur und ders 
fen geheimen Cabbaſa vergötterte Welt. Un More 
Germano beri.nden und widerlegt von. G. Wachter. 
Simfterd. 199. Die zweite: Elucidarius Cabbalisticus 
s. reconditae Hebracorum philosophiae recensio, epito- 
matore J. G. Wachtero. Rom. ı706. Er fintet 
zwanzig Achnlichkeiten zwiſchen Spinoza's Eyſtem und 
dem Cabbalimus. 


225 


Vorftelungen in ungeheuern Bildern, mit denen 
der reine, heitere philoſophiſche Sinn Spinoza's 

ſich nicht genügen konnte; fonft wäre er ein Jude 
geblieben. In feiner ganzen Ethik finden Sie kein 
Bd, und feine wenigen Gleichniſſe find Ihm falt 
mißrathben. In diefem Betracht iſt er ein Antipode 
ber Cabbala, fo natürlich es übrigend wäre, daß 
et ald ein im Judenthum Erzogener, ein Schüler. 
des berühmten Morteira, gleichfam eine hebrdi- 
fe Auſicht der Dinge in die Gartefifhe Philoſophie 
gebracht hätte. Die erfte Form des Denkens ver- 
lißt und nie ganz, und da Spinoza zum Carteſiſchen 
Syſtem In einer fremden Sprache gelangte, fo war. 
es natürlich, daß er fich ſolches nady der ſeinigen 
typifirte, daher er auch fonthetifh mit dem wefent- - 
lichen Begriff Gottes anhob. Mit der eigentlichen 
Cabbala aber, noch weniger mit Ihren Emanationen, 
(die doch von den Juden eben fo wenig erfunden find, 
als wenig fie zu ihrer Theologie gehören,) bat das 


Syſtem des Spinoza nichts zu ſchaffer. Wo er bie 


Worte „Hervorbringung, Wirkung” brau- 


den muß, brauchte er fie, ohne die Art der Hervor- 
dringung zu erklären; am liebſten aber Ift ihm bag 


 Bort Ausdruck. „Die Welt drüdt Eigen- 
 Shaften der Sottheit aus, unendliche 


auf unendblihe Weiſen;“, dieſe Redart iſt 
eher mathematiſch als kabbaliſtiſch. Mon Aus- 
fluͤſen aus Gott redet Spinoza nie; einem geome⸗ 
triſchen Geiſt ſind dergleichen Bilder auch nicht die 
liebſten. Leibnitz bediente ſich einmal, um bie 


Wirkung Gottes zu erklaͤren, des Ausdrucks „Ful⸗ 


gurationen,“ mobeh er auf das Bild der Sonnen: 


224 


ſtrahten awfpielte; bei Kaftner ) Böen: fe: 
lefen, wie laͤcherlich man das Vild in der Folge ge⸗ 
deutet. Alſo wenn wir von: Gott reden, lieber keine 
Bilder! Auch in der Philoſophie iſt dieß unſer erftes 
Gebot, wie im Gefet Moſes. 

Philolaus. Vom Unrath der Eabbala hielt 
der ſich gewiß frei, der uͤber die Bildausdruͤcke der 
alten Schriften ſeiner Natlon ſelbſt fo ſtrenge ur⸗ 
theilte. Genug indeſſen, ſeine Philoſophle ging 
nicht vom Carteftſchen: Ih denke, darum bin 
ich, fondern vom heiligen Namen feiner Väter aus: 
‚Ab bin, der ih bin und werde ſeyn, 
der ih feyn werde.” Diefen Begriff, der die 
hoͤchſte, völlige unvergleichbare Exiſtenz in fih, fo 
wie Alle Emanatkionen ausſchließt, ihn durfte Spi- 
noza nur entwideln, und der größefte Thekl feines 
Spitems Tag vor ihm. 8 gibt keinen abfoluteren, 
reineren, fruchtbareren Begriff In der menſchlichen 
Vernunft als ihn: denn über bag ewige, durch ſich 
beftehende, volllommenfte „Dafepn, durch welches 
alles geſetzt, In welchem alles gegeben Hk, läßt 
ſich nicht felgen. Wie Elein tft dagegen dad Bild 
der Weltfeele! 

Theophron. Es iſt ein menfchlihes Bild 
und wenn es vorfiddtig gebraucht wird, kann von der 
innig einwohnenden Kraft Gottes mauches dadurch 
anfchaulich gefagt werden; wie denn auch Spinoza 
diefe Analogie gebraucht hat. Indeſſen bleibt es 
ein Bild, das ohne bie größefte Vorſichtigkeit ſo⸗ 


— — gleich 
9) Käfners vernifchte Schriiten Th. 2. S. 11. u. f. 


x 


’ 


225 


geich mißraͤth. Leſen Sie 3. B. bie Stelle, wie 
Leſſing es ſich Im Scherz dachte. 

Philolaus. „Wenn Leſſing ſich eine perfön- 
fihe Gottheit vorſtellen wollte, fo dachte er fle als 
die Seele bes AN.” *) 

Theophron. Merken Sie, wenn er fie eine’ 
perſoͤnliche Gottheit vorfiellen wollte; er hatte: 
aber gegen diefe Perſoͤnlichkeit vorher ſelbſt prote= 
fiirt; und wie könnte man auch bie Seele im Koͤr⸗ 
m eine Perſon nennen? 

Philolaus. „Und das Ganze dachte er ſich 
nach der Analogie eines organifchen Körpers. Diefe 
Seele des Ganzen wäre alfo, wie es alle anderen 
Seelen nach allen möglichen Spitemen find, als 
Seele nur Effekt.“ | 

Theophron. Erwägen Sie: „Bott, bie 
Seele bes Ganzen, ein Effekt! alle anderen Seelen, 
nah allen möglichen Syſtemen Effekte!” Effelte, 
wovon? Bott ein Effekt weſſen? des Ganzen? bes 
organiſchen Körpers? Und das wären, nach allen: 
möglihen Syſtemen, alle Seelen? Ef 
fetter * 

Philolans. „Det organiſche Umfang derſel⸗ 
ben (Seele) koͤnnte nach der Analogie der organi⸗ 
ſchen Thelle dieſes Umfanges inſofern nicht gedacht 
nerden, als er ſich auf nichts, das außer Ihm vor⸗ 





®) Ueber die Lehre des Spinoza ©. 34. 
”*) Eine Erlänterung diefed Ausdrucks, f. Inder ten N 
aaaase des Buchs Über Lie Lehre bei ern & | 
uf, \ 
berders Werte 5. Philoſ. u. Geſch. K 45 


% 


E 2 


⸗ 


6: 
ha den nke, dezichen; von ichen nehmen venb dus: 
wieder geben koͤnnte.“ 

Tuesphron. Alercheommt Gati als Mpele 
der Welt :fcgm ‚einen. orgemifiben :timnfang,. heile: 
dieſes Umfanges; er muß fich anf etwas besiegen. 
Das außer ihm vorhandon iſt, von dem en. nehmen, 
dem er wiedergeben koͤnne. 

Philolaus. „Alſo, um ſich binehben · zu sex 
halten, muß Gott von Zeit zu Heit ſich in Kch ſelbſt 
gewiſſermaßen zuruͤckziehen; Tod aund tfkehuyg, 
mit. dem Leben in fig vereinigen. Wan. e. ſich 
von der Oekonomie eines ſolchen Weſens man⸗ 
cherlei Vorſtellungen machen n. f.“ Scherz! nichte 
als Scherz, wie Leſſings Freund unmittelbar drauf 
ſelbſt fagt *), „daß er bie Idee der Weltſeele bald 
im Scherz, bald im Ernſt gewendet habe.“ 

Theophron. Ste kennen Leifinga Art; bie 
Sache fo zu wenden. — „Es regnet. Das Tine 
ich vleſteicht.“ *) u. f. Offenbar wollte er damit 


- das Bild In ſeiner ſchlimmſten Uebertrelbung dar⸗ 


ſtellen, d. i. perſiſtiren. 
Philolaus. Indeſſen, m. Fr., verhangen 


wir doch nach einer Vorſtellung des Welt = Ganzen. 


Am Einzelnen mag unfere Seele fi nie begnuͤzen, 
und wenn das Gange, wie Ich-freitien einfehe, Tekw: 
Rieſe ſeyn Tann, „der ſich gegen das: Michts ſtraͤubt, 


Fi mit ſchrecktichen Kontorſſonen In ſich ſeibſt gustkıtr. 


zieht, ſich wieder ausdehnet, und alſo Tod und 
Leben ſchafft, damit der Ewiglebende ſich nur von 
Zelt zu. Zeit ſelbſt im Leben. erhalte,” wenn a. dep 


— 
E33. 6,3%, 


AR 
dönk Furl ces oe eua· toll au⸗ 
mic demm voen Vaugen der· Melt bilden: 

5:21,71 21,5 Keine⸗vcflaclichen Werbiiing-i- _ 
Molaus⸗ Das Endlofe uhr ten Birde; Das: ab⸗ 
for Anbudſichei : Einige: noch · miaden. Meiten· 
Ste Tefnee: Pham⸗ 
I a ERROR ERIHTE ge (ale; er rn 


| bait, wen · wit et dh 
3. Beh die And Melten, Tag” und. Menſchen Auhenblice.· 
e: En Yeicht die taufendfte der, Sonnen wärzt jest fi, - 
d’ tatrfend vreiben noch zurücke. 
Proteste Uhhr, veſeelt durch ein’ Sewicht 
ER En" Hu arten Kraft de wegh! 
Se Selen Ne) ad: una einrtandre Ankkgt,:. 
Dirskenihteisfe ind zahl tte — 2 
AT nt 
Ak ham Achim Buga hat den Dichter fein. ganze. 
Gemaͤhlde felbft vernichtet. So thut er's mir ſei⸗ 


| nien witde berdEratahein: 


„Die ſchuellen Sewingen der Gedanken, 

Wogregen⸗ Zeit und Statt und Wind 

Und Aelbſe vide Lichtes Flügel langſam find, > 

Ermüden über dir und hoffen Feine Schranken. 

Gh häufe ungeheure Zahlen, 

Gebirge Mittidmen aufs 

Ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welt zu Hauf; 

Und wann 6 von den fürdterfichkew i Höhe: 

Mit. Eihwisdein. wieder mach dir (eben ': 

SH MERKE verkmsprtanissanfend Malen, 

Noch nicht Kimi Tfeineen dierx 

Ich zieh' ſie ab und du liegftganz vor 
W mid 


- 


— 28 Ä 
Raffen Sie ums alfo ſelbſt von efmerm Dichter lernen, 
anf metaphufifche Phantasmen und leere AUnfhauum 
gen eines endlofen Raums, einer endloſen Zeit, ge⸗ 
ſchweige des untheilbar= ewigen Daſevns In Bildern 
Verſicht zu thun. Philoſophie iſt nicht Phantaſte⸗ 
rei; nichts als Ungehener Tann biefe erzeugen⸗ 
vor denen es jeden, nur nicht dem Erfinder feld: 
ſchandert. un 
Philolaus. Go möchte ih denn, ohn' ale 
Bilder, Raturgefehe der Haushaltung Gottes, ans⸗ 
drädende Symbole der höcften Birk 
lichteit, einer nothwendigen Gäte nad 
Weisheit Tennen lernen. Denn, SCheopbtoh, 
der gordifpe Knoten in Spinoza's Spftem liegt nd. 
vor mir, das Mäthfel: „wie entfiand, ment 
nur Eine’ Subftanz diefen Namen ver 
dienet, der Wahn oder die Wahrheit 
einzelner, vielet, zabllofer Sübſtan-⸗ 
sen?" ee, 
Theophron. Wir wollen die mergende 
Abendftunde zur Unterredung wählen, — IM 
Ihnen diefer Hymnus hefannt? er gibt kein Bild 
"von Gott; aber etwas Beſſeres als Bilder. 


GG oo tu. 00 
No — 
Der Einzige, der allen alles iſt, . 
ft unfer Sott! Geſchöpfe, betet an. 


- Den nicht: Erfhaffenen, den Ginzigen, ' 
Den Ewigen, Gelhöpfe, betet an.' 





96. @leimd Halladat ILL. \ 


229 ı F 
Du feine grobe, weite, ſchoͤne Wert 
Mit allen deinen Feuerkugein dort! _ 
Du_wareft niht, du wurdeft und.bu bift 
In deiner Pracht. Geſchöpfe, betet an. 
4 


Zehntauſend ſeiner Sonnen traten hin 
Und gehen ewig ihren ‚großen Gang. 
Zehntauſend feiner Erden traten hin 
Und geben ewig ihren großen Gang. 
Zehntaufend Myriaden Geifter ſtehn 
Um feinen Thron. Um feinen Thron? — Hinweg 
Mit feinem Thron. Gr fit, er ſtehet nicht, 

Er ift kein König, Fein Katif. Gr ift 
Das Meren aller Wefen; er ift Gott, 
Iſt unfer Gott: Gefhöpfe, betet an. 


Wer ift, den er zu feiner Werkftatt rief, 
Dahinzutreten und zu fehn, 

Wie er ed macht? Wie er den Ocean 

Sn fo gefhmeidigem Gehorfam Härt, - F 
Daß feines Waflers nit ein Tropfe fort 
Aus feiner Tiefe will; wie er den Mond 
An einen dünnen Faden bindet und 

In dlauer Luft ibn fchweben läßt; wie er 
In Zeit von Roffes oder Reiters Hui 
Zehntaufend Millionen Eorneniernen mißt, 
Und keines Apfels, Feines Staubes fehlt! 


Wer ift wie Er? Auf feiner Erde wohnt 
Kein ihm ergebener,, erhabner Geift 
Und Feiner blickt von feinem TWolkfenzug’ 
Und- feinem Morgenroth, der mir es fagt, 
Wie er e8 mat! Ken Seher Gottes iſt, 
Kein Heiliger, kein Frommer, der ed weiß. 


Bon dir, du Eleiner Bau auf welchem wir 
Behntaufend Millionen Ballen dort 
Nur funkeln fehn, hinauf zum Sonnenbal, _ 


— 280 


Kom BSonnenvau Ginaw mmd'Winttis, 
Der millietenmäf: fo: groß wie su 
. Dum armen ⸗Eedenwarm ein Panobniniiſt; 
_... Borbidir, Nu kleiner hier, bis zu dir, 
* Du ſtolzer Adler, der den Kaukaſus 
Auf feinem Flug für einen Kleſel ſieht, 
Bon dir,. du Feine Schnecke, deren Blut 
Die Hüllen ſtolzer Menſchen kärben muß, 
Zu dir, du kluger Affe, welcher ſich 
Die Wangen färbt um ſchön zu. ſeynz unbaum 
So weiter fort zu einem Geiſt, der Bott 
Das Welen aller Werfen denken will, — 


Ha welche Etufen! Werde Stufen.pier 
Und dort in allen Milfionen dort ! 
Sn allem Todten, allem Lebanden, 
Und allem Veinten ,. allen: Schwenens —ı Ko 
Der Einzige, der allenraltes iſt, 
Sf unſen GSott Gaſchopfe betet an. 





1 


Sinfres’Sefpr ih. 





Theano Berpönrien Ste mir, meine Freuns 
de, dap ih Heut Ihre firbidare Zuhoörerlun ſeyn 
darf, wie ich's bisher unſichtbar gewefen. _ Vieles 
von Ihren Gefpraͤchen habe ich nicht verſtanden, und 
aud. heut begehre Kiy.micht eben alles zu werfichen; 
genug für mi, wenn Ich nur im Ganzen dem Sinn 
Ihrer Unterredung folge. Meine Gegenwart fol 
Sie nicht ſtoͤren; ich werde ſcquweigend meine Arbeit 


. — 
REDE TREE Tiere" SER Slerbe⸗ 


yeshyron Sie find willkorninen umnſerm 
Werk, Thehno: deun aiich Sle haden gewiß 
ne Dagegen, Phildlaus, daß Theme zuhdre? 
9hilolaus: Sehr 'viel, wenn fie bloß suhb- 
ende. -Steiinäffen ſich in unſer Geſpraͤch Mi- 
ſFchen, Theans, uud ihm, wenn es fich in eihe 
eereꝰStholaſtet verirret, wieder anf den: Schau⸗ 
Ber Menſchhelt helfen. Verſptechen Ste uns 


Theano. Ich will Sie fo wenig untrrbrechen, 
Mc feyn Fan und Ihnen dafuͤr glelch jetzo zum 
oſpraͤch heſen. "Ste wunſchten geſtern, Phllolaus, 
Regeln der Haushaltung Gottes in ber 
Belt, oder, wie Ste es nunnten, ausdruͤ⸗— 
ude Symbole Telner Wirtiiäteit, 
Mut, Wetshett nird Güte kennen zu ler 
ws wie iſt's moͤgllch, daß Theophton aus dem 
. Diekn, der mis: nmiffteßt, einige Tropfen ſchoͤpfe? 
Faſt· mit Miderwillen hoͤrete ih Ste geftern Melnm- 
Yenakkähren, als ob' das Difegu Gottes unerwels⸗ 
Ep iſey, mdrwunderte mich, Theophron, daß Se 
Ei An dieß Wortgewirr eirlleßen. Das Daſern 
us Mefens kam, wie mich duͤnkt, nur durch 
Saſevyn mb dan die Erfahrung deffelten, nicht 
durchawiutariiche Begriffe ud leere Worte erkanut 
werden, ſo wentg als es durch dieſe auch wegge⸗ 
Sal werden mg. Man hat ein Spruͤchwort, daß 
an darch Tefume weder reich, noch ſatt werde; 
darch· Motte: wird nanſs eben fo wenig. Wir find 
Menſchen, and als Welle, titten, mniiſſen sole 


— 


252 - 
Gott kennen lernen, wie er fih und wirklich geges 
ben und dargeftelt hal. Durch Begriffe empfan⸗ 
. gen wir ihn als einen Begriff, durch Worte als ein 
Wort; durch Anſchauung der Natur, durch ben Ges 
brauch unferer Kräfte, duch den Genuß unſeres 
Lebens genießen wir ihn als wirklihes Dafeyn 
vol Kraft und Leben. Nennen Sie, abftrakte 
Herren, dieß Schwärmerel, fo will ih gern eine 
Schwärmerinn feyn; denn ich mag lieber die 
wirkliche Roſe fehen und genießen, als von einer 
erbichteten, gemahlten Mofe mit oͤdem Kopfbre- 
chen träumen. . 

Theophron. Wohl Theano! Sie ſehen 
‚doch aber die Roſe, die Ste genießen, und werden 
ſich dieſes Genuſſes wegen die Mugen nicht verbin- 
den. Und was arbeiten Ste da? Sie ſticken ſelbſt 
Diefe Blume. Sie ahmen alfo einer Auaft der Na⸗ 
fur nad, die Ihnen nur She bemerkendes Auge 
fihibar machte, und jest das Auge Ihrer Seele, 
Shre lebhafte Erinnerung, der Nadel gleichfam vor⸗ 
zeichnet. Schließen Sie alfo von feinem Gefühl, 
von feinem Genuß der Schöpfung ben Gedanken 
“and; er iſt und zum Innewerden Gottes fo nothe 

. wendig, als Ihrer arbeitenden Nadel bag Bild der 
Zeichnung in Ihrer Seele. Der verlennete bie 
Menſchheit, der den. Schöpfer nur fchmeden und 
fühlen wollte, ohne ihn zu fehen und zu erfennen. 

- Theane. Den Vorwurf verdiene ich nicht, 
Theophron, da ich unfern Philolaus eben vor einem 
gleichen, Fehler einfeitiger Trennung warne. Ich 
habe die Phitofophie herzlich gern, wenn fie bei Ge⸗ 
genftänden, bei wahren Dingen der Natur bleibt 


EZ 
Ds 





| 





b 2 


" 235 


mad ſolche in's Licht ſezt. Ich habe mich ſehr ges 
freuet, da Sie Ihren Freund anf die Innere Schoͤn⸗ 
beit, Guͤte und Wahrheit aufmerkfam machten, 
die allen Gegenſtaͤnden der Schöpfung nicht ale Will⸗ 
für aufgeheftet iſt, ſondern als Wirklichkeit felbit 
in jedem Weſen liegt, und dieß Weſen ausmacht. 
Seit der Zeit bemuͤhe ich mich in allem, was um 


mich iſt, dieſen Punkt der reinen Nothwendigkeit 


auszufinden, und bemerke in ihm Immer Wahrheit, 
Güte, Schönheit. Ich wollte, daß ich, mein Le⸗ 
ben hindurch, alle meine Geſchaͤfte, meine kleinſte 
Kunft, ia felbft diefe armfelige Blume fo fchaffen 
und einrichten könnte, daß bie webende Minerva 
ſelbſt ſagen müßte: „auders als alfo Fonnte fie 
nit gemacht werden.” Wie viel Troſt, welche 
ſuͤße Anmuth Liegt in dem Wort „Nothwendigkeit“ 
Infonderheit für unfer Geſchlecht, dem durch die 
Ordnung der. Natur und dur die Einrichtungen 
ber Menfchen fo wenig Willkür erlaubt ift! Ich danke 
der guten Abraften, daß fie und fo wenig erlaubte, 
da unfer Geſchlecht eben am meiften nah Willkür 
firebet. Jetzt liebe ich diefe Tochter der guͤtigen 
Weisheit, und hafle ale Launen. Ich überlaffe fie 
den Männern, die fih ja willfürlihe Herren der 
Erde zu feyn duͤnken. — | 
Theophron. Halten Ste nicht viel von die⸗ 


fen willtürlihen Herren, liebe Theano. Je went: 


ger Vernunft, defto mebr bat und liebet man Will⸗ 
für. Sch wollte den Mann kennen lernen, ber, 


4 


—E 


weiches kleine Geſchaͤft des Lebens es auch fen, ſol⸗ 


ches auf unzählige Arten gleich gut verrichten koͤnnte, 


und es feiner blinden Wahl uͤberlaſſen glaubte, welz _ 


84 
* von oft Veten et vorgtrhenavblle 


Sew des mannihen Lebens ae 2 


use auf Pflachte zu lernen; ſolche ab us 
: n; er, 
ob eat Pflicht / fey, in sehen Augenbeia ve 
Eebens aufidie leichteſte, beſte Weiſe zu Abi, * 
: fo jedeßmal den. hoͤchſten Punkt der Kaurmit, 
Ddas Deſeh des einzigen Beften, ber halben: wid 
ſhonen Moͤthwendigkeit, zu etreichen. Diefe Iſt 





nu 


| aloe: Bmang,. ulapt: Viothbinft" von: Inte 'obeernen 


außen, ob fie gleich‘ einem unerfchrenen, traͤgen, 
aefo düiet; Ihe oh 


metbniigen Meuſchen 
fanft, ihre Laft iſt leicht, wenn man berfelben ein 
al gewohnet. Wehe dem Ham, der im len 


Gewohnhelten hart ward; wohl aber jedem vernuͤnf⸗ 
Agen, thaͤtigen Weſen, dem ſeine Pakt unddie 


fftchbufte Aet ſte zu aͤben zut Natut, d. i. zur Nine 


wenbiäfeit ward, Er hat ben Lohn der guten Eugel 
An Ph, von denen: die Reflgion'Tast, daß Re, fir 


Sudben beftätigt, nicht mehr fallen Können, noch fal⸗ 
tin: wollen, well ihre Prlkcht Ihnen: Natur, a | 


ihre Tugend Ihnen Himmel und Seligktit iſt. 


wollen ung auch beſtreben, melne Freunde, vorm Ä 


wer Cohn Mefer Tellgen Weſen zu ns: 
warum dürften wir bei ihnen: ſtehen bleiben, da 

uns allenthalben In ber Natur das Sorbi unters 
Waters felbſt voelenchtet, der im Keluſten und 
BSebßeſren ohn' ale ſchwache SE mit ber 
wanzen‘ Schoͤrhelt und Guͤte einer ſelbſtſtaͤndigen 
Vernunft, Waͤhrheit und Nothtwendigteit ar⸗ 


deit. — 
an denn, eine: Freaude, und die Wo 
FOR ſeioſt wird uns vdrithen/ da wir dieerr igror 


⸗ 





Werke.als !Wieriweifete, e ſte Mthmandgtritnu 
uantacinktchen. "RE Acante fie, dem ſttrauf 
nalen mn beuschflliiun Dirt? Meſru datſtelte, hd 
konnte fie ihnen Höheres geben, als was Inte 
war Bieter lichke it/ Datepn. 
Beier Ws, nach uuſern Vegtiffen, der Oruuh 
Adres Ornu fſes, Die Murzeballer feiner unenbiiihen 
Aßraͤfte; iujodenn daſeyenden⸗ Diuge vnicht minder. 
ler "foren Abhaͤngizkeit angeachtet find ober 
duͤnken augewierukd Shbiiangen,, und fühlen unfer 
Dafeyn mit fo Inniger Gewißhelt, mit fo zuver⸗ 
fiaseticher Freude, daß wir an die Zerſtoͤrnug unferer 
nicht nur ungern denken, Tondern auch mit aller 
Gewalt fie ung nicht vorzuftellen vermögen. Es Hi 
das Weſen des: denkenden Geiſtes, dab. er vom 


Nichts durchaus keinen Begriff hat, fo, daß eine 


fonderbare Merddung des Kopfs dazu gehöret, ſich 
nur einzubilden, dab: das Nichts ein denkbarer Be⸗ 
griff ſey. Ein Gehen fuͤr daffelbe dO vder —1 
kann man.ſich erdenken, und.indbem man zwei Dinge 
eingnder widerſprechend erkennt, eins buch das 
andere wegraͤumen. Der Verſtand vermag deutlich 
einzufebhen,. daß, indem er das. eine fi vorſtellt, 
er zu eben ber Zeit ſich nicht auch das andere als 
:jenesnbenfen Biune; barmit; aber hat ernichts Wirk- 
Aches weggeraͤumet, hat auch yon nichts weniger als 
vom abſoluten Nichts einen Begriff. Statt des vol⸗ 
eins z. B. kann er fi einen ungehrucon 
pw arzen: leeren Maum / einbliben; damit aber bii⸗ 
eterer ſich noch Bein Nichts ein. Az dus Nichte 
REIT: es·iſt atſoauch qe den Weſen, das Im 
,.stkgmueige beni ene und Zuberrit mitt 


— — 


2 


—X 


- 


| 28s6. 
Dirklichkelt, Gott, ein leeres Nichts, d. t. un⸗ 


dentbar. Bemerken Sie, Philolaus, was aufbie 


fer Innern Nothwendigkeit des Begriffs vom Daſeyn 
ruhe? | 
Philoldus. Die ſchoͤnſte Wahrbeit. ruhet 
darauf, naͤmlich: daß es kein Nichts in der Natur 
gebe, daß es nie geweſen ſey und nie ſeyn werde, 
weil es etwas Undenkbares, ein Nichts iſt. So 
wenig der Ausdruck: „aus Nichts ein Etwas ſchaf⸗ 
fen“ oder die Schilderung des Dichters: 


„Befruchtetsmit der Kraft des wefenreihen Wortes 
„Gebiert das alte Nichts“ — 


oder 
„ars mit dem Unding noch das neue Wefen rang” — 
oder: 


„Als auf die Macht des alten Nichte 
„Sich goß der erſte Strom des richts, 


einen andern als bichterifhen Sinn haben: fo wenig 
bat unfere Seele einen Begriff davon, was ed heißr: 
—„etwas vernidhten, ein Etwas in Nichts ver 
wandeln,” oder wenr der Dichter fingt: 


„Wenn ein zweites Richt wird biefe Welt begraben; 
Wenn von dem Alles ferbft 1ichts bieibet als die 
‚Stelle: — 
‚denn wenn die Stelle noch da iſt von biefer Welt, 
mithin eine Stelle zu neuen Welten: fo iſt noch 
nichts weniger ald das Nichts da. Wie fehr- find 
‚mir. jest alle diefe Scheinausdräde, leere Seſpen⸗ 
fer elner ſcholaſtiſchen Phantafie, sumiter! Bienn 


- Ä 


\ 





2887 

manche Metaphyſiker alles Deukbare, bie Well, 

ſelbſt rein wegräumen, und finden ein nage⸗ 

8 Nichts ale das reinfte Obirkt ihrer Wernunft 

fehr denkbar, finden es ganz natärlich, daß ſich aus 

Hefem Nichte mit aller Vernunft kein Etwas weder 
Seit. noch die Welt hervorbemonftriren laſſe ¶ 

Theano. Ich bitte, endigen Sie, Yhllolans, 

mit dem gräßlichen Nichts. 

Philolaus. Oder wenn gar das Dafenn, 
das erfreuliche, nothwendige, innigfte Dafeun Ih⸗ 
nen gräßtich biiuft. — „Die reine Nothwendigkeit, 
fügen fie, fey ale der lehte Träger aller Dinge ein 
Abgrund für die Vernunft. Selbſt Hallers Ewig⸗ 
kelt mache Lange nicht den fchwinblichten Eindrud auf 
das Gemuͤth, als das nethwenbigfte Daſeyn Got⸗ 
tes: denn jene meſſe zwar, aber fie duͤrfe nicht tra⸗ 
sen. Wan könne den Gedanken nicht ertragen, daß 
in Wefen, wenn wir es uns auch als das hoͤchſte 
anter allen möglichen vorftellen, gleichfam zu ſich 
ſeibſt ſage: „Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit: 
außer mir iſt nichts, ohne das, was bloß duch mei⸗ 
zen Willen etwasit; aber woher bin ich denn? 
Her, fagen fie, hler ſinkt alles unter und und bie 
grögefte Volllommenheit wie bie Heinfte, ſchwebt 
cue Haltung. bloß vor der Tpekulativen Bernunft, 
her es nichts kofket, die eine fo wie die andere 
ohne das mindeſte Hinderniß verfhwinden su 
iaſſfen 5 | | 


ö— — N 
2) Kantd Kritik der reinen Vernunft. Zweite Ausgabe 
8. MM. pienn ihr fagt: Gott iſt nicht fo if 

weder Die Alimacht noch irgend ein anderes feiner Yräs 


' 
/ 


388: 

u aun o. weten ee... 
von :benihden Bar fisikrugmen: Die Mobile 
Ahh ihin ein Brib aub warhe mais, ſeit dam 
ladden Seſpraͤche angehoert; haba, weder Hlens 
Ewtgbeit nid vine maſſende noch — — Baal 
wendigleit als eine Tuhgerium.. noch. bes Huchſten 
aldıeinen Spreulanten: derken, der ruhmsehigsuuit 

ſich ſelbſt ſpricht, und fiantiäricher-fragke t augen: 
her er ſey #' Ich weiß aucch nicht, ——— 
ſorhen idergle chan Phantaccnen deutlichen Drgsiäies 
fegen; ober wagtaͤumen; nach ob es rin. X rhuniupkn bet: 

Bernunftien,. die grägtfte Woiiemmenkeit, derbie 
Heinite witcurlich „ohnerbainisheite Ginderuifnnge 
ſich vor ichwinden an — aber dae 70. us 
ic, .bafınachansinan Iderres Ita Iiherad.: Fellgeuet 
Darfews. igeben kam; :ald sbeflen, .Iuschibemnaliaht 
iſt, darch ben allesngenkeßet umb cher... Er Daun 
mern Da: Dapeyn jedad. Dinge: auf seinen) denen 
Nothwendig leit feiner selbfb, einrr durch ſichabrſten 
henden hoͤchſren Weridheit und GSite ruhrte nie 
muͤhfam tragen; ‚altes arägt: ch ſelbi, wie dier e⸗ 
gel auf ihrem Schtoerpunlt ruhet: "ben illrs Dane: 
feyn Aſt ja n ſeinom eigenen ewizen Dafemm: iu fele. 
ner Macht, Guͤte and: Meltheit gegründet. ‚Gin. 
haben. uns zwar wer Bildren gewarnt, Khtsahrenn 

aber Altkuchleit dem Yhantian entgegengeſte By 
iſts unertraͤglich zu: denken, daß die Wurzel Dat 

Baum trage? Sie wäre keine Wurzel; wen fie 


dikate gegeben; denn fie find alle zufamme dent END 
zektrea ufgeh o benz and sed yuigt fin de. dirſen 9" + 
dan ben nicht der mindeſto Widerforuch. Boca. 
Bu, . - " yon — — 


— 







ſelner @rfheimmg nicht ewig bauere.. Was zufam⸗ 


DUB - 


Dinslaken rt: Ebern «bh ſainan 
Alan, Bueisen, Blauͤthen und Fruͤchten nichkrgn:- 
tuasuchdtinunh:gnm tige. SarbieewigeMiuräeh 
voutsuuesunchlädhen makes Anhend, deu, durch 
Dedu Weltall· verbreitet / mit augkhlte-: in elnonder 
verſchlungenen Zueigen da iſt und; axanat. Er, ‚bie: 
uncudliche Quella alles Dafe pu dea arũ eſten ſe⸗ 











ſchenta, das aur ar mitkhellen komete, 


Sheaphren. Und welh ein Pfaud, meine 
Faruade, haben init Diefem Me ſcheuk zurzeeigan⸗ 


unſeres Lebend Defepeik-eimsungene: - 


theilbarer Begriff, Weſen. Es lau ıfo mania in 
ein Nieht⸗a werben, als. manig:es-ein 
Richts iſt; oder auch das hoͤchſte Dafeyn, die Gott⸗ 
beit koͤnnte fih felbft vernihten. Wir reden bier 
nit ven Erkbehmngen, von Sufammenfesiingen- 


irgond einer Seſtalt in Dem, was. wir Raun und - 


Zeit nennen. Ades, was erſcheint, muß verſchwin⸗ 
ben; jedes Gewaͤchs der Seit trägt ben Keim der 
Verwefung in ſich, der da macht, daß es in diefer 


mengeſetzt iſt, wird aufgeloͤſt: denn eben diefe Zu⸗ 
ſammenſetzung und Aufloͤſung heißt Weltord⸗ 
nung, und iſt das immer wirkende Leben des Welt⸗ 
geiſtes. Auch reben wir ſelbſt noch nicht von. der 
Nuſterblichteir einer Menſchenfeele, mm ums’ etwa 
Phantome der: ESablldungskraft vorzuzeichnen, wie 
ſte im Raum und in der Zeit, d. i. in der 
großen Weltordnung andere Organe annehmen 
med ihre Kraͤfte von neu Aben werde. Wovon 


wir reden, iſt ein einfacher Begriff, Wirtiiche 


kett, Dafeya, an. welgen das niedrioſte mit 


/ 


⸗ 


> 


m 


240 


dem oberften Weſen Theil hat. Nichts kann unter⸗ | 


‚gehen, nichts vernichtet werben „ oder Gott müßtz 
ſich felbft uernichten. Da nun im unendlichen Da⸗ 
ſeyn alles liegt, was feyn kaun und iſt; wie endlos 
wird die Welt! Eundlos nah Raum und Zeit, und 

in ſich felbft beſtaͤndig. Gott hat den Grund feiner 
Seligkeit Werfen mitgetheilt, bie anch, wie er, das 
Meinfte wie das größte, Daſeyn gentefen, und das: 


mut ich Ihr Gleichniß brauche, Theano, als Zweige 


von feiner Wurzel Lebeusfaft fchöpfen: Mich duͤnkt, 
wir zeichneten uns alfo, Philolaus, das erfte Natur⸗ 
geſet der heiligen Nothwendigkeit auf. 
Philolaus. Mit Vorbehalt meiner Fragen 
daruͤber: 


- 1 Das hoͤchſte Daſeyn Hat feinen Ges: 
fhöpfen Das Hoͤchſte gegeben, Birk: 
lichtkeit, Daſeyn. 


—Theophron. Aber, meine Freunde, Daſeyn 
und Daſeyn, fo einfach der Begriff iſt, find in ih⸗ 
sem Zuſtande fehr verfhieden, und was. meinen 
Sie, Philolaus, was bie Stufen und Unterſchiede 
deſſelben bezeichnet? 


Philolaus. Nichts anders als Kraͤfte. 


In Gott ſelbſt fanden wir keinen hoͤheren Begriff, 


wodurch ſich Wirklichkeit offenbaret, als Macht; 
alle ſeine Kraͤfte waren eins und daſſelbe. Die 
hoͤchſte Mucht konnte nicht anders als bie hoͤchſte 
Beil beit und Güte feyn, ewig lebend, eig 
wirkſam. 


Theophron. Das Hoͤchſte alſo ober viimee 








dee· Mlnkdern Bptt: iſt wicht ain Reſtes auf einer 
Atfenlaiter von Stinqagleichen) wie konnte es Ah 
mirend fanberen, als im All? —— 
Hier. In ihm konnte nichts ſchlammern, ud 
unsre, war Er ſelbſt, ein Untheilbares, 
“Mihe, Almacht. Die Welt Gottes Ak 
— mht weil er. ke. unter ſWlehhberer 
wihlke, ‚ ſoadera weil ohne ibn woher. Gntes N) 
Bu and er.nac Der innern Mott⸗ 
maihigteit Si ches: Drafennd: Schlechtes wirken 
Iomnte. lia⸗ i alfe.ba, was da fapn;fonate s;alle 
Aniftr in Ans druck fehner..Mraft, ud) Allwai⸗⸗ 
Yit, :Migkte., :Mihhönkeit, Im Eleinſten uud 
Göfehen, PL es5: in jehese Punkte Det Romus 








Moe ahnen aft, Moſßaͤbe aires. eingo 
— — — — mi ber ‚Dinge. — und neben 
— — Gott: we: 
d Dei noch Jet, at —* elnet ewi⸗ 
gen Verbindung. Er ie vor allem und 24 
befteht alles in ibm; die Melt elu Aus: 
drin, eine Daritellung der Wirklichkeit feiner ewig 
Ithenden, fhatigen Kräfte. 

Theano. Auf einer wie hohen Stufe flehen 
ale menſchllehe Wefen alte, in denen, To wichtige 
Eſchelnungen wir find, Dennoch ein lebender Aus— 
den ber drei hoͤchſten Sottesträfte, Macht, Ver— 
Kand und Hüte mit innerm Bewußtſeyn woh— 
ne, Mir fünten ung Feine andere, geſchweige 
höhere Elgenſchaften geventen: denn was wir in 
Men, Werken der Natur. Gottliches ſehen, ſuͤhret 

Verderd — Hhileſ. u. Seſch. R. 16 >» 


u 242 

fiih auf diefe drei zuruͤck, beten eine die andere er⸗ 
klaͤrt/ deren hoͤchſter Inbegriff und Urſprung uns 
als Gottheit erfcheinet. -Das weientiihe Geſetz 
Gottes wohnet alfo in uns, unſere obwohl be⸗ 
ſchraͤnkte Macht nach reinen Ideen der Wahrheit und 
Guͤte zu ordnen, wie ſolches ber Allmaͤchtige ſeiner 
voltoemmenſten Natur nach ſelbſt thut und allent⸗ 
halben ausdruͤkt, ausubet. Er hat uns darin et⸗ 
was: Weſentliches von ſich mitgetheilet, und uns zu 
Ebenbilbern ſelner Volllommenheit gemacht, Indem 
Res in der Natur einer göttlichen Kraft liegt, wicht 
blind, ſondern mit Euſicht, nicht eingeſchraͤnkt und 

aft, ſondern mit einer «les Nichts ausſchtie⸗ 
Penden Güte zu wirten. Geber willtuͤrliche, ‚vers 
munft = und gütelofe Gebrauch.’ unferer Ktäfte; 
der und von dieſer Regel entfernt, macht nafnneinig 
mit uus ſelbſt, verwirrt, ſchwach, ohumächtis. — 


Theophron.Mich dintt, Philolaus, wir 
koͤnnen alfo den zweiten Sa einer göttlihen Noth⸗ 
wendigkeit jenen: . 


‚ I Die Bottheit, in ber nur Eine wer 
fentlide Kraft if, die wir Macht, 
..» Weisheit und Guͤte nennen, konnte 
.,.nidhte hervorbringen, als was ein 
lebendiger Abbruck derſelben, mit- 
bin Selb Kraft, Weisheit and 
Guͤte fey, die eben fo untrennbar 
: das Wefen jedes in der Welt er 
u Iheinenden Dafevns bilden. 


pyklokaus. Iqh wuͤnſchte, daß Sie für 


\ 





243 

Theano und mich ben Satz in Beiſplelen zeigten. 
Die Grade der Vollkommenheit in der Welt ſind 
fo zahllos mannichfaltig, daß bie & miebrigften derfel⸗ 
ben ung Unvollkonmenheiten ſcheinen 

Theophron. Konnte dieß andere feyn, Phi⸗ 
dans? Wenn 'alles Mögliche ba iſt und nach dem 
Prncipium einer unendlichen göttlichen Kraft ba 
fen nf: fo muß in Mefem AU die geringfte, wie 
die höchfte Vollkonnmenheit da feya ; aber alle find 
son der weifeften Güte verbinden, und auch in der 


gzeringſten iſt kein Nichts, d. i. nichts weſentlich 
Bioͤſes. Werzeihen Sie, Theano, daß ich abermals 


das graͤßliche Unding nennen muß, ob es gleich ein 
Unding gr * ſich felbſt aufhebt. Sie wiſſen, 
Vhtlelans, was Leiluitz von feinen einfachen Sub⸗ 


kauen für große Dinge raͤhmte: ‚fie ſeyen rat 


des Weltalls mit Borkelängsträften begabt, das 


——— jebe nach ihrem Standpunkt, darzaſtel⸗ 
len und ab 


Der Unendliche ſehe im 


| Pa das Ain.f.” © erhaben dieſe Idee war, 


bie wir ang nur In reinen Zahl⸗Verhaͤltniffen an⸗ 
nibernd begreiftich machen, und fo nothwendig fie 
iſt, ſobald man die Welt als eine in allen Theilen 
infemmenbangentie Wirkung ber böchften Vollkonemen⸗ 


 heit.deutet: fo’ fatfch ward fie von manchen verſtan⸗ 


ben, und infonberheit wurden bie unendlich - Fieinen: 
eaſachen Gpiegel bes Weltalls unwuͤrdig gedentet. 
rg laſſen das Blid weg, und fagen: „jede Kraft 

ſt ihrem Weſen nach ein Ausdruck der hoͤchſten 
—— Weisheit und Guͤte, wie ſolche ſich an die⸗ 


ſer Stelle des Univerfums, d. i. in Verbindung mit 


len uͤbrigen Kraͤften barfiellen und offenbaren 





28a . 
‚Sommer. : Kt" IRB "dinzufenn ‚7 bedecken: wir,Me 
ehe viefer Ktaͤfte imderraßeit ihre. Nicht. maß, 
Myutisolaus, ſie wiete ars anti 
Philolaus. Mir iſt koier eruft velaunt,: bie 
nither Abroern, de ſ. adne Oryaneıfid -erweie; ob 
rmir aneohl eben 5 nahe," mie dieſe Ruhe 
nandibiele Ocaane ſich zſmangefuuchen halen. 
Kihe ow h v ꝛ. Motl durch ihre Keitueufeitige 
odtntur, Pailotausꝭ Im: geweint 
erden en ten Mut und Beeren 
le vahd ebs. Denn deep 


Ir Dieter Bad Heiner ü@ittehn: Pa \i 27. 51) 
Zahd srtuwet fie vometsehlahenikeile. · Oodua Sum 
Re de ehren cardite,· urſerer MR 
nentuvommen, Aftie: Sn DRELch anberen eier; Dem 
wuafähst es icie. Dus verwellte nen, vern ver⸗ 
warf Naget⸗ eittajatzterr eine andero eye Sos 
Zuſrinmeakanges Ser Weit, ku welchem cr cherras 
"als andere alo feinen tußsen! Nutmfielleneg * 
wirttr oder: Teibet. Sehen Sttdie⸗ 
Be und die Phoſiologie das meaſchligen era⸗ 
‚gend eines 'tiierifgen Korveru rrzitert: Sie ſrhen 
Nnichrsals ein Rebd, ledeeob igerraſte/ de⸗ 
ſrent jede, an igte Stelle ogeſetzt, Befnniscuheiilg, 
Geſtalt, Leben des Gunzen durch Mirknngen bier- 
vorbringt, deren jede wid der Natur ihees unde des 
Agegess folgt, benr fie angehbrot. So bilbrke; To 
orhan ſIqh der Coͤrper; fe löfen'er ſich nnatich, foub- 


» AB . 

fort fie vachlich grinaf... Was wor Draterie nen 
nen, ir abſo nrhe oden oniuder ſabit hetrin;; es ikn 
ehe: Relcy wittrvcen Krier, die mian nur ameferee: 
Sancnein dern Grſheinuug ſondern Tuben: Rate: 
bi Berbintang.num: el: Ganges bilde. 
Eine Rtaktı herrſher: (fouſt wäre ra kein: ing,; 
kein Ganzes) mehrere auf den verich'ebenften Etu⸗ 
ſen dieuen. Altvihiere Verſchlebruariten aber, de 
nun jede auf v voldamnmenſte veſtiinnet it, haben 
watigeenelaſcha itika; Thärigres in tnander TU 
des; ſonſt Eünmten fin’ fen: Eine. feld Gunzes bite! 
dem: Dani Nerdeir.ber: vollkomnenſten Macht 
ub Melahrit alles auf's serifdite yufanımenbiime, 
De km nichte ſich andere nis: nach inwannenden 
Milwrudigen Befeßon: der: Dinge sufamımendägen,, 
helfen ande tiber: kann? fe.fepen wir auch allenthule 
bein ian der Natar: unzänittge Organiſatibe 
nen, deren jede Inikhren Art nicht, warx werſe, qut 
und fchbnz ſondern einWollkommnes:, d. i. ein Abe 
untl Welchrit; Guter und Sthoͤrhzrit ſetti iſte 
ohne, In digſvenſſutadimenhare ·ſrchttur mane 
ne Nrgend an der Wott afe inie inem Blatt 
Ale Baumron, in EoinemBundfern, inkoinem Fr: 
Men nfreo Koͤrrora hrrricht WB Ude; aller iii men 
Kechften, die in jehren Year Schöofeng nach hrii 
enWolahrit vade uͤte wirken. beikinunf;: 

RT gerne. Ben Sie,sir &r., Die Goſtula ve⸗ 
geburten, Der Wetwansiofangen und tale; 

durch; da vurch fremee Urachen di Gofr either 
nwfgaubſcaen Matur in aeduinig:gofehtı 

Menu fchekwenz Die. Gercne dor allgemeinen: Neuur 
Van hie in ROTOR Nee: Kraft: auinfte äyestı 


! 


246 

Natur getreu, ſelbſt da eine‘ andere ſte ſroͤrte: denn 
auch dieſe Störung ſelbſt komte nichts anders be⸗ 
wirken, als daß bie geſtoͤrte organiſche Kraft auf 
anderem Wege ſich zu kompenſiren ſuchte. Mau hat 
über diefe Kompenfationen in einem Syſtem geſtoͤr⸗ 
ter Kräfte eine Neihe Bemerkungen gemacht, von 
denen wie ung zu einer aubern Zeit unterhalten koͤn⸗ 
nen; allenthalben aber, auch im fcheiabar verworre- 
wen Chaos waltet die beſtaͤndige Natur, nah 
unwanbelbaren Regeln einer in jeder Kraft wirken: 
den Nothwendigkeit, Guͤte, Weiſsheit. 

Philolaus. Mit Freude, Theophron, ſehe 
tch den dunkeln Begriff der Materie fih mie aufhel⸗ 
{en und ordnen: denn ob ich gleich dem Syſtem bes 
Leibnitz gern beitrat, daß fie nichts ale eine Erſchei⸗ 
nung unfrer Siune, ein Aggregat fubftanzieller Ein⸗ 
beiten, fen: fo biteb mir Doch in biefem Syſtem bie 
fogenannte „idealiſche Verbindung biefer Sabſtau⸗ 
‚zen zu folder und keiner andern Erſchelnung eines 


| 


Ganzen‘ ein Räthfel. Leibnitz verglich die Materie 
mit einer Wolle, die aus Regentrapfen befteht, und 


ums Wolle fcheinet, mit einem Garten voll Pflau⸗ 


zen und Bäume, mit einem Teich voll Fiſche m. dgl.; 


dadurch aber konnte ich mir das Beſtehen biefer Er⸗ 
ſcheinung, den Zuſammenhang biefer Kräfte in ihr 
nicht erklären. Die Regentropfen in ber Welke, 
die Pflanzen im Garten, die Fiſche im Waſſer ha⸗ 
ben ein Medium, ber Verbindung: und welches 
tönnte bei diefen bie Materie ausmachenden Kraͤf⸗ 
ten ein folhed Medium ſeyn, als bie Kraͤfte ber 
fogenannten Subſtanzen ſelbſt, mit. been fie auf 


einander wirken? Dadurch alfo bilden Ach Orgene: 


247 


denn auch das Organ iſt ein Syſtem von. Kräften, 
bie in inniger Verbindung Einer herrſchenden die⸗ 
nen. est wird mir die Materie nicht bloß eine 
Erfheinung in meiner Idee, d. i. ein durch 
Ideen vorfiellender Geſchoͤpfe allein verbundenes 
Ganzes; fie iſt's durch ihre Natur und Wahrheit 
duch den Innigen Zuſammenhang wirkender Kräfte. 
Nichts ftehet in der Natur allein: nichts iſt ohne 


Urfache, nichts ohne Wirkung; und da alles in Ver- . 


bindung und alles Mögliche ba iſt, fo iſt auch nichts In 
der Natur. ohne Organiſation. Jede Kraft ftehtin Ver: 
bindung mit andern ihr dienenden oder über fie herr: 


ſchenden Kräften Wenn meine Seele alfo eine 


fubfkanzielle Kraft ift, und ihr febiges Reich der 
Wirkung zerftört wirb: fo kann es ihr In einer Schö- 
pfung, In welcher Feine Lüde, kein Sprung, feine 
Inſel ftatt findet, an einem neuen Organ nie feh- 
len. Reue dienende Kräfte werben ihr beiftehen, und in 
Ihrem neuen Zuſammenhang mit einer Welt, in welcher 
alles zuſammenhaͤngt, ihren Wirkungstreis bilden. 
Theophron. Um fo mehr, Philolaus, iſt's 
anfere Pflicht, zu fchaffen, daß fie In ihrem Innern, 
im Spitem ihrer Kräfte ſelbſt, wohlgeordnet von 
dannen gehe; denn nur wie fie ift, Tann fie wirken; 
nur nach der Geftalt ihrer Innern Kräfte kann Ihre 
äußere Geſtalt erfcheinen. Unſer Körper tft nicht 
etwa nur ein Werkzeug, er iſt ein Spiegel der Seele; 
jede Organifation ein Außerer Abdruck inniger Be⸗ 
ſrebungen, die ihrer Erſcheinung Beſtand geben. 


Philolaus. Ich erinnere mich hiebei man⸗ 


ber ſchoͤnen Bemerkungen des Spinoza, bie er 
über die Werbinbung bes Leibes und ber Seele ger 


e 


. 248 | 
wre hat. Dras vb er belde Bild; denp@unum 
ſchen Syſtem zufolge, mabhaͤngtg von china 
wie den Gedanken und die Ausdbeynung betracheru 
mußte: fo konnte es body nicht fehlen, duß etu 
. fharffimiger Geiſt, wie Er, über das 
Syſtem aud hier hinausdachte. Indem er deu we 
gtiff vom Leibe zur werentlihen Form Ser 
menſchlichen Seele macht, ſchlleßt er trans 
auf die Beſchaffenheit, auf die Veraͤndermagen, bi 
Volkommenhett und IMmvolllommenheit dieſes Bi 
griffs vortreffllch. Es lleße ſich aus Feine Gland⸗ 
fäßen eine Phyſtognomit entwerſen, Die Bus gee 
— Chaos unſoerer phyſtognomiſchen Dedume 
fehr ordnete, und auf eine beſtimmte Wahrtheit je 
rhefüntte. Inſonderheit war es mir ameuehe 
daß er auf die Lebenweiſe, d. i. auf die Ber⸗ 
änderungen in der Beſchaffenheit des Körpers Ta 
viel Hält und die Gedankenweife, d. i. dio Form 
des Begriffs der Seele mit ihr ganz hotnogen "Des 
trachtet. Aus Dein Umrtiß eines Beinms ches Rule 
Hens leitet er nicht die wandelbarſten, ſelnſten Trieb⸗ 
federn der Seele, threr Faͤhlgkeiten näb ihres ale 
ratters her, ob es wohl nlemaud laͤugnen wird, DUB 
an jeder kleine Uniriß des Koͤrpers zur UNSERE 
des Ganzen gehoͤre. — Cie ſchweigen, Themer 
Theams. Ihr Geſpraͤch iſt mir fehr lieb metne 
Fteunde; weit Sie mich doch aber einmal dagn Bir 
ſtellet haben, Ste, wonn Sie ſich verirren, wileder 
an den Seg zu erinnernt ſo wollte Id, Sie lleßen 
die — en en allgewei⸗ 
nen Betrachtung zurkc. ble ich kumner ie 
mit ——— zufrleden / bin / ifrs genugdaß 











949 


jebe Vmaniſatkion Bier Sry elantug eines Soſtems · m⸗ 
aertr, lebeadlger Rräfte ſey, die mach Gefetzen der 
Bene ni Guͤre eine Art Heiner: Welt, ein Gau⸗ 
ws Wien: Ich wüufehte, dafı: ich den Getfk'ber 
Sofe zu melner Arbeit zaubern loͤmte, daß er mie 
ſatßtte, wie er ihre ſchoͤne Geſtait gebildet Habe, oder 
de und: fe nur eine Dochter des Roſenbuſches Ik, 
duß anir die Dryabe deſſeiben es erklaͤrte, wie fie 
yon ber Wurzel ans bis‘ zum kleinſton Zweige ter 
Blumen -betebe;: Als Kiud ſchon bin ich oft vor 
einem Baum, ehrer Blume fillle geſtanden, und 
See dien ſonderbare Harmonie angeſtaunt, Die fi 
in ebenn lebendigen Geſchoͤpf von unten zu bid oben 
naus zetget: lh werglich · mrhrere derſelben und habe 
mit Vettlehrhung ab Mufterumg ber Blätter, bee 


ver Bluthen, ber Staͤmme, bed ganzen 


Beige, 
Vurhſes ber Bäume und Pflanzen manche muͤßige 
Stunbe verträune; Die Begierde, ſolche eigens 
thanliche ſchdͤne Geſtalten lebendig wwihjtyehumein, 
ſcharfte melnae Aufmerk ſamteit, uud oft kam ich in 
ein ſo dertrauliches Geſpraͤch mir dor Winner, dem 
Baum, ber Pflanze, daß ich iglaubte, thr ergriffe⸗ 
nes Weſen mußte in meine kleine Schipfaug wan⸗ 
Yen: Aber vergebens; dieſe blieb ein todtes "Na 
DUB, und jenes ſechone vergaͤngliche Gefaudf ſtand 
da mit aner FJuͤlle Killer Selbſetgenugfambeit und: ei⸗ 
We eu in and fire ſtch ſelbſt vollen 
deten Dafeyns. Weber diefe Materte reden Sie 
Mehr; und helfen meiner ſtammelnben Naturſprache. 
KTheophron. Liebe Theano, die wird num 
Weg liianer eine Stummde rinn bleiben. Ju's in⸗ 


nere Weſen der Dinge Nireinpafamann, Hain wir 


4 


>» 


250° 


keine Sinne; wir ftehben von außen und bemerken. 
Mit ie fcharffinnigerem, ſtillerem Blick wir dieß 
thun: defto mehr offenbaret fih uns die Lebendige 
Harmonie ber Natur, in der jede Organifation das 
volllommenfte Eins und doch jedes mit jedem in - 
ihr fo vielfach und mannichfaltig verwebt iſt. Die 
Kunſt fchleicht diefer Beobachtung ber Natur nad; 
die neuere aufmerffamere Naturlehre Ift ihre Schwe: 
ſter. Sie beobachtet in jedem Dinge, was es fey? 
wie es fich geftalte? wie es leide und wirke? unb 
hat über Pflanzen, Bäume, Mineralien, Thiere u. f., 
über ihre Entftehung, ihr Wachsthum, ihre Ber: 
wandlung, über Krankheiten, Tod und Leben ber- 
felben Schäbe von Crfahrungen gefammelt, die une 
bei jedem einzelnen Gegenſtande eine Welt von 
felbft=beftehender Harmonie, Güte und Weisheit 
zeigen. Hievon iſt aber jest nicht zu reben: man 
wird dieß alles in fhönen Frühlings und Sommer: 
Morgen lieber fehen. wollen, als jetzt im dunkeln 
Abendgeſpraͤch davon hören. Worauf ih Sie auf: 
merkfam machen möchte, find die einfahen Ge: 
fehe, nach weldhenalle lebendigen Kräfte 
ber Natur ihre taufenbfältigen Orge: 
alfationen bewirken: denn alles, was bie 
Höchfte Weisheit thut, muß hoͤchſt einfach feyn. Die 
Geſetze nämlich fcheinen mir in, Drei Worten zu Lies 


gen, bie im Grunde alle wieder nur Ein. lebendiger 
Begriff find. 


1. Beharrung, b. i. Innerer Beſtapd iedlichen 
Weſens. 

2. Vereinigung mit Oleichartigem und vom 
Entg egengeſetzten Scheidung. 








251 


iz, Beraͤhnlichung mic fig und Abbrus ſei⸗ 
ned Weſens in einem andern. 

Wollen Sie mid daruber (damit Ic ihren Ausdeus 
brauche, Theano) anch ftammeln hören: fo ſteht 
Ihnen meine Rede zu Dienſt. Wir wenigſtens, 
Philolans, ſetzen unſern Geſpraͤchen uͤber Spinoza 
damit den Krauz auf: denn Sie willen, daß er 
ſelbſt, obwohl in feiner eigenthuͤmlichen Sprache, 
die Moral auf ähnliche Begriffe bauet. 

Zuerſt alſo. Jedes Weſen if, was es 
if, amb hat vom Nichte weder einen Begriff, noch 
zu ihm Sehnſucht. Alle Volkommenheit eines 
Dinges iſt feine Wirklichkeit; das Gefuͤhl dieſer 
Birkischkeit I einwahnende Lohn feines Da- 
feyns, feine innige Freude. In der fogenannten 
moralifchen Welt, die au eine Naturwelt: ift, bat 
Spinoza ale Leidenfchaften und Beſtrebungen der 
Menſchen auf dieſe innere Liebe zum Dafeyn und 
zur Beharrung in demfelben zurädzuführen gefucht ; 
in ber. phyfifchen Melt Hat man ben Erſcheinungen, 
die aus diefem Naturgeſetz folgen, mancherlet zum 
Theil amwürdige Namen gegeben. Bald heißt es 


die Kraft der Traͤgheit; ba jedes Ding bleibt, 


was es iſt, und ohne Urfache fich nicht - verändert: 
bald heißt es, wiewohl in einem andern Betracht, 
De Kraft der Schwere, nah welchem jedes 

Bing ſeinen Schwerpunkt hat, worauf es. ruhet. 
— und Schwere ſind eben ſowohl als 
ihre Gegnerinn, die Bewegung, nur Erfchehnumgen, 
da Maum und Koͤrner ſelbſt nur Erſcheinungen find: 
dae Wahre, Weſentliche in ihnen iſt Beinen 
Gertfeguns feines Dafeynd, aus weigem 


:282 

es ſichiſribſt ct öde Ennen, achimdg.: Wafcie: 
des Ding nun nad inenBnfiunde: eis WW einierung 
ſtrehe, selget: ſelbſt ſotne Boah um vnnd) Sie teen 
. ben, Iiebe Theano, Astetne Naturzescnerinnſtaria 
Dan Ferm Den Dinge itmnthedierieärkin Finnen, aonk 
Ste barauf werlen. Bir wollen das lelchdeſde Wel⸗ 
ſpiel aus dem Syſtem der- Dinge neohnlen, dienanid 
der grüße en Gheleh arizeis die Teint cite Weweglba⸗ 
Feit verknüpfen, und fich alfo alolchſam oiare Geſtals 
waͤhlen konnen / Mlr nenne a dieß flaſfſinger Bin 
ge. Woghllan!“ ae Aiſtgen Dinge bedeno ghelie 
gletchartigzu viuander ohno Hindehnipuotekey:mehs 

de Geſtalt nehmen ſie an? 15 . BE 
Phafol aus. DIE Greftait rines ſcropftad.· 
Theophron. Warum eines Tropfeas? ul 
ben wit etwa ‚on: Tropfen biſdendes Meinzielunin 
der Natur annehmen, DaB die ſe Geſt ait wiecltaruh 
Hebet und dieſNegel feſſfetren: alles In bey nie 
tun ballet ſich durch etae votborgne OB 
Prilstuns: Wi Meter: Dorn Trepfo ii 
ONE Kuzriz in einer Kugel rreten um onnen Mutri⸗ 
punkt alle Theile gleichattig in Harmoncie "nb OER 
nung. DIE Kugel ruhen anfifich Ted? ihr Schwote 
ante Hft: in: der Mitre; ihre Geſtatt in alſp der 
elafachſte Beherruugszuftand stehtardiget Zieht 
die: und. VDkeſen Mitelpuntt ia Verbiadnug areten⸗ 
nud cuit gle ichn Rräften hmmm nd Grgeneraci 
letſten. Nath nothuendigen Oefetzeuder Harnnls 
wand Ordumg wied alſoneras Weit im Dre: 
Tderphyron. Mitchiu⸗ | lan Pou nu: ha⸗ 
ben Ste in Dein Geſttz. darnatiſfichader Devie IS 
der, euglebqh die Negeh nuch welcher Ray ir 





MB 


ale Gene suhmiianthneuesiäfgfkemeihiibeten.: Den . 
auch unfere Erder Bing.einitsals Tropfe hervor, oder 
Memmelte ſich um Minpfen. "So bie Gonne und 
jenes ganze Spitem, In dem: fle mit aupehender 
Mewnals hereſchat. Altes ſeatt ſich in Radien herab, 
auch wirh aur derech andere Kraͤfte im Auslauf echal⸗ 
ung qᷣer hicde ten —— 
Sonnen MDid: Gonnenbahnar Goßeme war Sonnen, 
iichſtusßen, Nebeiſtarne. Allecammt lichte Tro⸗ 
5*— Deuter dar Andlteı. De 22 


den eragetence ſeden bes Harmanie und 
——*—* nd im iuem Amel the en Bahar⸗ 
tung sgufkauidigucdten sawb : faaden. Micht an⸗ 
reihen Seal, iseihten Bahn, dau Pro- 


| uiltsentgeschfiunlendee Miräfte, ECſey Miete: ueis⸗ 


s Yarblik abe aa en ua 
u er. Fanhensımade 


‚ner äiufe 
da fiiden; nicht 
rt en ren 
Augelgeftalt wie in der Ellipſe, in ber Sphaͤrel⸗ 
Yeubresegungıwhi) innbertasabslioffenharen. : Die 
Heine Thraͤne, Theano, bie Sie »es Mangend im 
Me finden, migt Ihnen das Geſetz, 
ce welchen iſith Eube ,» Somnen uni alle Blonnem, 
utnlieı Meith ſtome Kiiiten und deſehend erhalten. 
Denn wenn wir unfersetipautälle den uıgabeınen 
Flug verſtatten, ſich das Wettull sun denlen: "Te wird 
Sein Mieſe braune, er fa ſtrechet und» frkubet, 
ſondern mit allen: Grecylloiden en eneioſten⸗e 
eine oCuoi⸗ idte auf fach etbſrienhet. 
: Shuann.“ Eine munmıchliceWasdicht | ‚Sets 
ante zu unfſerer Erbe oben wenigſtens zu unferm 
Wonmenfpibern gweiit tıich ermatte im Gluge. Gie 


254 


ſprachen von einem zweiten Naturgeſer, daß ſich 
alles Gleichaärtige vereine, und das 
Entgegengefeste ſcheide; wollen Sie nicht 
davon Beiſpiele geben? 

+ Theophron. Iqh daͤchte, wir biieben bei uns 
ſerm fluͤſſtgen Tropfen. Sie kennen, Theauo, ven 
Stein des Haſſes und ber Liebe In ber Naturwelt? 

Theano. Den Magnet, meinen Sie. 
—Theophron. Ihn ſelbſt; und ſeine zwei 
Pole und deren freuadliche ober feindliche Wickung. 
:  Theans.. Auch daß es einen Punkt des grö- 
Heften Lebe nud ehren Punkt der völligen Gleichguͤt⸗ 
tigkeit anf feiner Are gebe, iſt mie bekanut. 
Theophron. Sehen Gie alfo ten Stein 
as einen. Tropfen an, In bew: ſich die wagnetiſche 

Art fo: gleichartig and’ regetmaͤßig nertheitt hat, 
Daß: ihre entgegenſtehenden Gube ıben Mocb- uhr 
anpoh medien. - Einer tamn apa den andern wicht 

em — — 

° - The — Und wenn man fie verindent,. ver⸗ 


CTheopheron. Sie haben ifo am agent 
ein Bild von dem, was Haß unb Liebe in der Scho⸗— 
Birtfamlekten 


.-pfung fen; bei jebem Syten von 


smuß ſich das Naͤmliche finden.  ‘: : 
Philolaus. Und dließ Naͤmliche ik? — 
Theophron. Daß, wmo ein Spitem von vit- 
ustigen Krafton eine se gewinnt, fie fi um die: 
felbe und um ihren Mitteipuntt fo lagern, daß je⸗ 
des Gleichartige zum, gleichartigen Pal flieht, und 
ſich von demſelben buch alle Grade der Sunahme 
bis zur Krlmination, ſodann durch den Punit_der 


⸗ 


> 255 

Bihtgäitigteit bie zum entgegengefepten Pol nah 
feften Gefeßen orbne. Jede Kugel wärbe anf diefe 
Welle eine Zuſammenfetzung zweier Hälften mit 
eutgegengefeßten Polen; To jede Eilipfe mit ihren 
Breunpunkten, u. f. f.: die Gefebe dieſer Kon⸗ 
Rraftion laͤgen nach feften Regeln in ben Wirkungs- 
träften des Soſtems feibft, das ſich alfo bildete. 
So wenig es bei einer Kugel einen Nordpol ohne 
einen Sudpol geben Tann: fo. wenig kann es bei ‚ie 
dem Syſtem von Aräften, das fich. regelmaͤßig bil- 

bet, eine Geſtalt geben, in der fich nicht eben ſowohl 
das Freundſchaftliche und Feindſchaftliche trennet, 
mithin eben durch Das Gegengewicht, das beide ein- 
ander nach ab⸗ ımb zunehmenden Graben bes Zu⸗ 
ſammenhanges leiten, ein Ganzes bildet. Wahr- 
ſcheinlich gůͤde es fer Syſtem elektriſcher Kräfte, 
wenn es nicht zwuei. einander entgegengefehte Elel⸗ 
trieitäten guͤbe; ein. Otetcheg iſt's mit der Wärme 


ben, und jeden: Syſtem von Exfeheinungen, bie nur 
durch das Mannichfaltige Einheit, und: durch das 
Entgegengefente Sufammenbang erhalten koͤnnen. 
Die bemerlende Naturlehre, die nicht eben alt ML, 
nird in dieſem allem gewiß. einmal fo weit reichen, 
daß durch eine reihe vos Analogieen jebe blinde Wil⸗ 
Dir aus ber: phyßfchen Welt verbannt ſeyn wich, 
bei weicher Winkuͤr alles aus einander fiele und im 
Grunde alle Gefetze ber Natur anfhoͤrten. Demn, 
meine Steunde ‚ wirkt der Magnet, bie elektriſche 
af das Licht, die Wärme und Kälte, bie Anzie- 

Yung, die Schwere n. f. willkuͤrlich; Ift das Dreied 
viataruua ein Dreieck, der Cirkel with ein Cir⸗ 


856 


Eet: Feumbaen: role: mir alle Bevdttungen in age 
und: Mathematik fuͤr Unſian erkiaͤren, aub auf Df- 
ſenbarungen dieſer getroffenen Millkaͤr warten: Sys 
«ber gewiß, daß wir ſchon bei ſe vleien Kudfteniniime 
hematiſch· genaue Naturgeſetze gefunden ‚haben: 
en wollte bie: Greuge ſetzen, we: fie nicht mehr gr 
ſinden ſeven, wo ein blinder Wille authäke? In der 
GSehdpfung iſt alles Zafautrenhang, alles Orbnung; 
Andet alſo ib genb wo nur Cik; Mataräsfan.. ie 
Nass. Tor muſſen · al leat hal ben Madurgefee 
watten wer idie Echopfung wied roleSChaos ab 
Muvbt aus einaader. 

VDhoamnvo.Sie eutlernen ſich nur Befak. de⸗ 
Yaffesi wa: ber Aebe, Dheeghton, wie wach Aheen 
Syſſem elns vhne das andere niit ſeynn baun. 

herr Meil alle sin. Wit 
I, 008 da. Fey nnd. Lund Kuikbkenu ie 
Nom agehoͤvet et 0: muß nuche ab Belts eiandr 
No ð te Damſenu, mud Ein Grfet Ber be 
hett muß che und: Sleſfem Aubgegengeſahten, aus 
dem Nord a. mb. Bäbyo! ullenhalben dad: Soyſten 
Bilden. :Yunieben: Qretſe ber Mate iſt aia Ball 
der zweiiuub breißte Winbde, In jeden Sonnenſtrichl 
der ganze Farlenamtreid es bet mus Marauß mm, 
ee Wind jehyo unbe re, eu 
He .oduu dan letfcheine. Bobuit auch bone Bekiligen 
das VFeſto hervortritt, kryſtalllſrt und bitded eca Fch 
wach ‚den anern Gefſeden, die: Im eßem Eike 
veganiſirender Kräfte lagen. Ales Arhet an uaber 
Rat zuruͤck oder bleibt gleichzuͤltig gegen einander; 
Me. Are dieſer wirkenden Thaͤtigkeiten geht zufauı 
meunhaugend durch Me DOrude. Der Chemllarives⸗ 

anſtaltet 


* 257 


wichte als Verbinbungen und Trennungen; 
die Netur zeigt allenthaiben Merwandtfgaften, 
Sreundichaften, Feindſchaften auf die reichfte, in⸗ 
nisfte Welle. In ihr fucht uud findet fi, was ſich 
einander liebet, daher die Naturlehre ſelbſt nicht 
umbin gekonnt hat, eine Wahlanzichnng bei 
den Verbindungen der Körper anzunehmen; was 
einander entgegengefebt iſt, entfernt fidh von einan⸗ 


der, und kommt nur durch deu Punkt der Gleichguͤl⸗ 


tigleit zufammen. Oft wechſeln die Kräfte raſch: 


ganze Spfteme verhalten fih wie die einzelnen Kräfte . 


des Soſtems zu einander: Haß kann Liebe, Liebe 
kenn Haß werden; alles aus einen und demfelben 
Grunde, da jedes Spfiem naͤmllich in ſich ſel bſt 
Beharrung ſucht, und darnach ſeine 


Kraͤfte ordnet. Die Kräfte dieſer Syſteme koͤn⸗ 


nen ſehr verſchieden von einander ſeyn, und doch 
nach einerlei Geſetzen wirken, weit in der Natur 
zuletzt alles zuſammenhaͤnzt, und nur Ein Haupt: 
geſes ſeyn Fan, nach weichem fich auch das Ver: 
ſchie denſte ordnet. 

Theano. Nach unſerer Vorſtelluugeart kommt, 
duͤnkt mich, das Geſeß der Beharrung, des 
Haſſes und der Liebe dieſem Hauptgeſetz 
nahe: denn ungeachtet aler zahlloſen Verſchleden⸗ 
beiten und entgegengeſetzten Erſcheinungen in der 
Natur erſcheint es allenthalben. Ich moͤchte einige 
Augenblicke ein böherer Geiſt ſeyn, um dieſe große 
Werkſtaͤtte in ihrem Innern zu betrachten. ⸗ 

Theophron. Warum ein hoͤherer Geiſt, 
Tbeano? Hat es der Zuſchauer von außen nicht an: 
gruehmer, als ein Zufcauer von innen, ber doch 

- Herderö-Auerte . Puiloſ. u. Secch. IX, ‚9 


— 


258: 
auch unter das Singer Abuerehen Tinte # iAghihug 
Zufchauer vor · dem · Schaupiad nicht. bequemor ye aldeı 
der in ben Soutkffe laufcher? Na ubcheliifgger: 
Shen, reltzt; een haben macht vieaetan fact 

und" träge; - der nachzugehen/ ihre Hakan 
Geſetze —*8 zu —— ——* ſich Sant 
uͤber zu vergemffleme , jetzt fie taufendfathbeftatic 
zu fuben und: nen anzuwenden; allentkeben ein: 
lich diefelbe were: Rogel, diefelbe heibige 
Nothwendaägkoit wahrzunehmen, lieb gu gem: 


—— * gehe anzustlbden; das macht/ deu· 


eines: Menſcherlebens. Dem: Them: 
ob wrong Zuſchauer? find wir ·nicht ſelbſt Spas: 
ſpieler, Miwirker der Natur und ihre Nachahmeve 
Herrſchen im⸗ Reiche der ˖ Menſchen nicht andy Habe: 
und Aebe und find beibe zu Bildmiz des Gauzen ⸗ 
nicht gleich nothwenbig? Wer nicht: Hafen Tanya 
kann auch nicht lieben; une er- muß recht haffen und⸗ 
recht lieben lernen. Es gibt auch: einen Punkt der⸗ 
Gleichguͤltigkeit unter ben Menſchen; dieß IR ˖ Gottu⸗ 
lob aber in der ganzen magnetifchen re nur Cie: 
un 


Philolaus. * muß ih Ste eriunemy: 
Thevphron, daß. Ste uns noch Ihr drittes ‚Stier 
bes großen Natwrgefehes ſchuldig find, naͤmllch 
wie fih bie Wefen einander verdhntk: 
hen, und in Abdräden- ihrer Art einer 
fortwährende Reihe bilden. 

Theophron. Das heitigfte und’ gewiß zöet⸗ 
lihe Geſetz. Alles, was fih-Hebt, veraͤhnlichet ſich 
einander. Wie zwo Farben sufammenfirabien, da 
eine mittiere driete werde, - fo werden anf eine‘ wu. 


| 
| 


259° 


deioace · Weder) ſahdr datch vas chettneratente Bel⸗n 


ſa ene eynmenſchriche SGemilther / fa ſohar· Ger⸗ 
berben ẽ und Geſichtẽuͤge, die feinſter uebergͤnge· 
ber Sentarkerunb Handiungewrkſe einanbet · ahnttiter 


Scthwieermeeei Wahr ſterr Furcht/ alle Afftrten⸗ 


find’ auſtexende Nebel; nicht bitch das, was tn th⸗ 
nen Uebel’ über ehr Nithts At, find ſie ſo maͤchttg; 
ſondern · durch die Stuͤtke ihrer wirkenden Kruͤfte; 
wie‘ Dante fotkte ſich nicht die? Wirkung regelmaßiger⸗ 
Kae" d. i. Ordnung, Harmvnfe⸗ Schonhoit mit viek 
weſrutlicheter Macht auf andere erſtrecken/ und ſichn 
ihnen vntttheilen7 Nut dadurch ſahen wie Organiſue⸗ 
tionen werben, daß ſtaͤrkere Krufte die ſchwaͤcheren ir 
ihrReich giehen / amd nad / eingrpflanyeen Regein; 
einer Tin Sich" · nothwendigen "Site und Wahrhtit fie 
zu einer Ger atıt bilden. Alles Gute theilt fly’ 
mir es hat die Rarir Sottes/eder ſich wid arders 
als mittheilen konnte7 es hat auch Feine unfehlbare 
Wirkung.Die Megetu der Sthoͤnheit· z. B. draͤuen 


gen fich unsauf, fie ſtrahlen md an? umdrrmerkt 
geden ſte in und Abers- eben dieß kſt das Gchehnmg” 


det uͤberalk zuſammenhangenbe wirkenden, in fi” 


ſelbſt beſtehenden Schöpfung: Dis Feed feat 
Beilfammenſeyn menſchlicher Gemuͤther veraͤhnlichet 
ſie einander ohne Gewalt, ohne Worte. Jener idea⸗ 


liſche Einfluß, den Leibnitz bei ſeinen Monaden 
annahm / iſt das eben ſo muͤchtige als geheime Band” 
der Schoͤpfung, das wir bei allen em - 
denkenden, handelnden Beten -unwidertreibtich und 
unzerſtoͤrbar beinerten. Merzweirle ntekntndan-ber 
Wirkung ſeines Daſeyns 4: je mehr Ordnung in: dem⸗ 
ſelben iſt, ie gleichfoͤrmiget kn den GSefetzen der Na⸗ 


260 


tur er baubelt: defto unfehlbarer if feine Wirkung. 
Er wirft wie Bott, in Bott; er kann nicht anders 
als ein Chaos um ſich her ordnen, Finſterniß ver- 
treiben, damit Licht werbe; feiner fchönen Geſtalt 
verähnlichet er alles, was mit ihm iſt, ſelbſt mehr 
ober minder, was ſtreitend ihm entgegenfährt, fo: 
bald er durch Güte und Wahrheit überwindet”). 
Theano. Erquickende Wahrheit, Theophron! 
Schon dadurch zeiget fie Ihe himmliſches Siegel, daß 
fie unſerm Herzen zufpricht, und taufend Erfahruns 
gen meines Lebens in mir aufruft. Es liegt eine 
unnennbare Kraft im Daſeyn eines Menfchen, Ich 
meine, wie fein banbeindes Beiſpiel wirket. Das 
innigſte, ſtillſte Gute in mir ift anf dieſe Weiſe 
mein worden; ohne Geraͤuſch der Worte ging es 
in mich über. Auch deßwegen iſt mir Ihre Gedan⸗ 
kenweiſe lieb, Theophron, da fie mir allenthalben 
dieß Dafeyn, diefe Wirklichkeit, und in ihr bem 
All-Wirkſamen gegenwärtig macht, der durch 
das Dafepn feiner Gefchöpfe felbit In wefentlichen 
Negeln der Harmonie und Schönheit fortgehend, 
fin und tief auf ung wirket. Jetzt fehe ich's, wie 


alles Sott ähnlich werben foll, ja, wenn ich fo ſa⸗ 


gen barf, Ihm ähnlich werden muß, was in feinem 
Reich lebet. Seine Geſetze, feine Gedanken und 
Wirkungen drängen fich uns auch ‚wider unfern Wil: 
len in taufend und abermal taufend Erweifen fel- 


*, S. Über diefe allgemeinen Naturgeſetze, Infonderbeit 
über die Arfinität und Verähnlichung der Weien vor⸗ 
treffliche Anmerkungen in den Berradtungen über 
das Univerfum, Erfurt 1777. 


L 


| 


261 = 

wer Ordnung, Guͤte und Schönhelt «ld unwandel- 
dare Regeln auf; wer nicht folgen will, muß fol: - 
gen: denn alles ziehet ihn, er kann der allgewalti: " 
gen Kette nicht entweihen. Wohl dem, der willig 
folgt: er bat den füßen, täufchenden Lohn in fich, 
daß er fi) ſelbſt bildete, obwohl ihn Bott unablaͤſſig 

t. Indem er mit Vernunft gehorcht und mit 
Aebe dient: fo präget fich ihm aus allen Gefchöpfen 
und Begebenheiten das Gepräge der Gottheit auf: 
et wird vernänftig, gätig, geordnet, glädlih; er 
wird Gott aͤhnlich — Aber laffen Sie uns zur 
Haushaltung ber Natur zurucktehren. Iſt nicht ein 
Zwang darin, daß Eine Kraft die andere überwäl- 
tigt, fie am fich zieht, zu ſich zwingt und mit ſich ei⸗ 
nigt? Wenn ich bemerfe, daß alles Leben der Ge⸗ 
ſchoͤpfe auf der Serftörung anderer Gattungen ruht, 
daß der Mensch von Thieren, Thiere von einander, 
oder auch nur von Pflanzen und Früchten leben: fo 
fehe ich freilich Organifationen, die ſich bilden, aber 
die zugleich andere zerftören, d. i. Mord und Tod 
in der Schöpfung. Iſt nicht ein Gräschen, eine 
Blume, eine Frucht des Banıns, enblich ein hier, 
da6 dem andern zur Speiſe wird, eine fo fchöne 
Orgauiſation, als bie Organifation deffen iſt, der 
es zerftörend in fich verwandelt? Verjagen Sie 
dieſe Wolke, Theophron; fie ziehet ſich mir wie ein 
Gäteter vor’s Angefiht der Sonne, die mir aus 
iedem Geſchoͤpf ſtrahlte. 

Theophron. Sie wird fliehen, Theano, wenn 
Sie bemerken, daß ohne dieſen ſcheinbaren Tod in 
der Schoͤpfung alles wahrer Tod, d. i. eine 
träge Ruhe, ein odes Schattenreich wäre, In wel: 


— 


nn 


as alles. ichs. Da „Aha 
‚Inrahen Sie nie —— — des Platon 
Sle in Ihrxem. Lehrer nicht senden. daß An hem 
Meraͤnderlichen alles Veränderung, daß. auf Acın 
Fluͤgel der Zeit alles Fortgang, Cile, Mande⸗ 
‚ang fey?. Kamnun Sie Ein Rad in der Ecpung⸗ 
nnd alle Raͤder ftehen file ; Laflen Sie Einen, Vunkt 
deſſen, was wie, Materie nennen, traͤge und tadt 
ſeyn, ſo iſt Tod allenthalben. 

Philolaus. Ich erinnere mich hiebel fa.man- 
Aches unphilsſophiſchen Wahnes, daß es 3.8, Ato⸗ 
men, abſolut⸗harte Koͤrper und dergleichen in. ber 
Natur gebe. Gibt es ſolche, ſo wird an ihnen, afle 
Bewegung azu Schanden;. ein unendlich Heiner Atem 

hemmte bie. Raͤder ber. ganzen Schöpfung. 

‚Theophron. Wohlan alfo, menn eg Keine 

. abfolute Ruhe, keine völlige ‚Unburchhränglichkeit, 
Haͤrte, Träne geben kann, bie ein. alegentfräftendes 
Nichts, mithin ein Widerſpruch wäre;...fo:.mpflen 
wir uns fon, meine Freunde, -mit. unfern Gedan⸗ 
ten aufden Strom des Plato wagen, wo⸗alles Ver⸗ 
‚änderliche eine Welle,. wo alles Beitkihe ein Traum 
if. Erſchreckken Sie nicht, Theano; fürchten Sie 
niht: es. ift die Welle eines Stroms, ber. felbfl 
ganz Dafepn iſt, der. Zraum einer ſelbſſtſtaͤndi⸗ 
gen ‚welentihen Wahrheit. ‚Der. Swige,, ber 
Erſcheinungen ber Zeit, der Untheilbare, der in 

— en des Raums fihtbag merdbeımollte, Jonute 
‚nicht anders, ale jeder Seſtalt dad kuͤrzeſte und zu: 
Aleich das Längfie Dafeyu geben, das nach bem Bil⸗ 
‚be des Raums und der Zeit ihre Erfchelnung for⸗ 
Dart. . Alles, weh erſcheint muß. verſchminden 3. ee 


/ 


& 


n 


1863 


‘ 


den Koiluder Zerſtoͤruug sehen mit ſich: 
ken ihalskasems-idgeitt:eilt es zur größten. Höhe 
Ainaufdamit es biamuter..eile und. unferm’ Sinn 
warſchminde. Becverlen Sie die Linie, die ich Hier 


ne; 
CKTheano. - Trausige- Bemerkung. . 
KTheophrou. Sehen Sie die Blume an, w 


„fie zu ihrer Bluͤthe eilet. Sie ziehet ben. Saft, die 


‚Buft; das Licht, alle: Samente an ſich und arbeitet 
ce aus, damit ſie wachſe, Labensſaft bereite und 
eine Bluͤthe zeige; die Bluͤthe iſt da und fe ver⸗ 
iſchwindet. «Sie hat lle ihre Kraft, ihre Liebe und 


ihe Leben daran gewandt, damit ſio Mutter werde, 
damit ſie Wilder ihrer ſelbſt zuruͤglaſſe, and ihr 


„Behftiges. Daſeyn ˖ veemehrend fortyflanze. Nun iſt 
: uch ihre Erſcheinung bin: fie hat ſolche im raſtlo⸗ 
ſen: Dienſte der Natur verzehret, nad man kann ſa⸗ 
‚er, daß ſie vom Anfange Ihres Lebens an auf Ihre 
Herſtoͤrung gearbeitet habe. Was aber iſt in ihr 
:gerfkört, als eine Sricheinung, die fich nicht länger 
AHalten kenute? die, ba fie den hoͤchſten Punkt unfes 
zer Binie erreicht: hatte, In: welchem das Maximum 
Abrer ˖ Beſtimmung, bie Geſtalt und das Maß ihrer 


— 


Sqh nheit lag, wieder hinabwaͤrts eilte. Dieß that 


Aer nicht etwa, (meiden ein trauriges Bild wäre,) 
vjuͤngorn tebendigen Erſcheinungen als eine jetzt todte 
Way. me anachen als eine lebendige vielmehr brachte 
Mermit· gllerrcende des: Daſeyns das: Daſeyn der⸗ 





- 


+ 


264 


felben hervor, und überlieh es in dauernden Kel⸗ 
men dem fortbluͤhenden Garten der Seit, tn weis 
dem auch fie biähete. Denn fie ſeibſt iſt mit dieſer 
Erſcheinung nicht geftorben, fo lange Die Kraft ihrer 
Wurzel fortdauert; aus ihrem Winterfalaf wird 
fie wieder erwachen und aufſtehn in neuer Frühlings 
und Ingendfhöne, die Töchter Ihres Daſeyns, jet 
ihre Freundinnen und Schweſtern, au ihrer jungs - 
fraͤulichen Seite. Es iſt alfo fein Tob in der Sub 
pfung; er ift ein Hinwegetlen beffen, was 
nicht bleiben kann, die Wirkung einer 
ewig:jungen, reftlofen, bauernden Kraft, 
die ihrer Natur nach keinen Augenblick mäßig feve, 
ftlle ſtehn, unthätig bleiben Zonnte. Immer und 
immer arbeitet fie auf die reichſte, ſchoͤnſte Weiſe 
zu ihrem und zu fo viel anderer Dafeyn, a’s fie 
Daſevn bervorzubringen, mitzuthellen vermochte, 
In einer Welt, wo fich alles verwandelt, ift jede 
Kraft in ewiger Wirkung, mithin in fortgefester 
Verwandlung Ihrer Organe; diefe Verwandlung 
ſelbſt if eben ber Ausdruck ihrer unzerſtoͤrbaren 
Wirkſamkeit vol Weisheit, Gute und Schoͤnheit. 
So lange die Blume lebte, arbeitete fie zu ihrem 
eigenen Flor, wie zur Vervielfältigung Ihres Des 
ſeyns; fie ward (das Höcfte, was ein Gefchäpf 
werden kann) eine Echöpfertun durch eigene orgaul⸗ 
ſche Kräfte. Als fie ſtarb, entzog ſich der Weit eine 
verlebte Erſcheinung; die innere lebendige Kraft, 
die fie hervorbrachte, ziehet fich In fi ſelbſt zuruͤck, 
um fich abermals in junger Schönheit der Welt zu 
zeigen. Können Sie fi ein ſchoͤneres Geſes wer 
ſentlicher Weisheit und Gute in dem, was Ber 


Anderung heißt, gebenten, Theauo, als daß ſich 
ales zum neuen Leben, zu neuer Jugendkraft 
und Schönheit im rafneften Laufe dräagt, und das 
her jeden Augenblick verwande: ? 

Theano. Ich ſehe einen ſchoͤnen Schimmer, 
Therphron; aber die Morgenroͤthe ſehe ip noch nicht. 

Theophron. Gedentken Ste ſich nun alle Ras 
turträfte in dieſer raftiofen Arbeit, in Eile zur 
Verwandlung auf dem Flügel der Zelt. Was-fheint 
uns geriuger, als ein Blait? Und kein Theilchen 
eines Blattes darf einen Augenblick maßig ſeyn: des 
ziehet an, es flößt hinweg; (dazu bat es feine zwei 
fo verfhieden gebildeten Seiten ;) immer und Immer 
wechſeln die Theile feines organiihen Kieldes, bie 
es fällt und ich auflöfer. Leben iſt alfo Bewegung, 
Dirkung; Wirkung’ einer Innigen Kraft 
mit dem Genuß und Beſtreben einer Be⸗ 
Darrung verbunden. Und da im Meine der 

nderung nid:ts unverändert bleiben kann, und 
doch Alles fein Dafeyn erbalten wil und muß: fo 
{R alles in einer ewigen Palingenefie, damlt es im⸗ 
mer daure und immer jung ericheine. 

Theano. Ob diefe Verwandlung aber auch 
Ferträdung wäre?. | 

Theophrom. Gefest, fie wäre bieß nicht: 
fle wäre aber .das einzige Mittel, dem Tode und 
einem ewisen Tode zu entgeben, d. i. fie entbleite 
unfere lebendige Kraft Im fortbanernden Wirken, in 
Inniggefäpitem Daten: fo wäre tie ſchon eine fo 
Wänfhenswertbe Woblthat, als ein ewiges Leben 
war einem ewigen Tode wünfdhenswerth if. Nun 
aber, Ryeano, können Sie ſich wohl ein fortgeſe tztes 


3866 on 
tehen, eine merhin:fenaiclendai Araftı: aiue gart⸗· 
nmirtung, d. i.oinen Fortsag ohue Fortgan banlien ? 

Thaam⸗. Es fheintcie · Widerſoxuch. 
Theophron. And, iſt einer. ZBuarußiebe 
Axraft, die im Mann, und ain der Zeit Eefcheiaungen 





amlmumt, die Sqwanken behalten, die hraum 


And Beit,geben ; mit jedem: Wirken aber aracht fie 
ihr folgendes Wirlen leichter, und da fie die ß nicht 
anders als nach eingepflanzten Innern. Sngehl vder 
Hermonie, Weisheit und Gaͤte thun Kun, bie fi 
njebem Geſchoͤpf Aebreich aufdriugt, € dom 
bei jeder feiner Wirkungen:beifteht :: fo ſehen Sie al⸗ 
eushalbenein Kortrüdenend ben Chanu zur 
Ordnuns, d. Li eine innige Bermehrung 
and Verſchoͤnerung ber Anifte im mennerwei- 
terten Schranken nach immer mehr beobachteten Me⸗ 
: geln- der Harmonie und Ordnung. Jedber blinden 
Araft dringet ſich Licht, jeder regelloſen Macht Ver⸗ 
nunft und-ühkte anf; keine ihrer Uebnngen, Seine 
Wirkung in der Schoͤpſung war vergehen. Es un ß 
wife Fortgang ſeyn im Neihe Gottes, 
da in ihm kein Stillſtand, noch weniger 
in Rüdgang feyn Fann. | 
Theano. Aber die Geſtalt des Kobes! 
Theophron. Iſt kein Tod in der-Schöpfung, 
"fo gibt es auch Feine: Todesgeſtalt. Heiße dieſe, 
wie fie wolle; ſie iſt Uebergang zur nenen Orgaul 
ſatien, das Finſpinnen der abgelebten Raupe, da⸗ 
„mis fie als ein neues Geſchoͤpf erſcheine. Chad: Eile 
/1 befriedigt, Theano? 
XTheano. Ich bin?s und verlafſe mch auß die 
. wwelfe Muͤte, die mich hieher brachte, mir. vhne ein 


e . 3867. 
ANa die uſt aa viale Rräftengepiß niht.umgenft, gab, 
rand mich mit tauſend Kraften voll Liabe.. md Guͤte 
umringt, meinen Verſtand, mein Gerz meine Hand⸗ 
‚Jungen nach einer ewigen Regel nothwendiger, in 
Ach ſelbſt gegruͤndeter Weisheit und Guͤte. zu ord⸗ 
‚nen. Sie ſchweigen, Philolaus? 
Phllolaus. Ich will nachholen und ſogleich 
„eins Reihe Folgen binzufesen, ble aus Theophrons 
‚Spfkem.einer in ſich ſelbſt nothwendlgen Mahrheit 
und Güte zu folgen fcheinen. Beim zweiten Saß 
Alieben wir; alfo: | | | 
JE ,Alle Kräfte: ben Natur wirken or- 
he: Jede -Drgankfation iſt ein 
1 @ufem lebendiger Kräfte, bie nad 
ewigen Regeln ber, Weisheit, Güte. 
ud Schänheit einer Hauptkraft 
. bienen. . Rn 
+ IV» Die Geſetze, nach denen biefe herufät, jene 
dienen, find: innerer Beftand eines 
jeglihen Wefend, Vereinigung mit 
Gleauͤchartigem und vom Entgegen- 
‚sedchten Scheidung, endlih Veraͤhn⸗ 
lichung mit ſich felbft und. Abdrud 
feines Weſens in einem -audern. 
Ste find. Wirkungen, dadurch ſich die Gottheit 
ſelbſt offenbart hat; und keine ‚andere, Feine 
RHaoͤhere find denkbar. | 
.V..gein Tod iſt in der Schöpfung, fon- 
bern: Verwandlung; Verwandlung nad 
dem Geſetz der Nothwendigkeit, nad. welchem 
ijede Kraft im Reiche der Veränderungen ſich 
.. ‚kuamer nen, Immer wirlend exhaiten will, und 


= — 


268 


alſo durch Anziehen und Abſtoßen, durch 

Freundſchaft und Feindſchaft ihr organiſches 

Gewand unarfhoͤrlich aͤndert. 

VI Keine Nude If in der Schöpfung: 

- denn eine mäßige Ruhe wäre Tod. Jede le: 
bendige Kraft wirket und wirket fort! mit je⸗ 
der Fortwirfung alfo fchreiter fie weiter und 
arbeiter fi aus, nach Innern ewigen Regeln 
ber Weisheit und Güte, bie auf fie dringen, 
die In ihr liegen. 

VII Ze mehr fie fih ausarbeitet, be 
ſto mehr wirket fie auch auf andere; 
indem fie ihre eigene Schranken erweitert, or⸗ 
ganifirt ſie und prägt auf andere das Bild der 
Süre und Schönheit, das in ihr wohnet. Im 
Der ganzen Natur alfo herrfcht Ein nothwendi⸗ 
ges Sefeß, daß aus dem Chaos Orb 
nung, ans fhlafenden Fähigkeiten 
thaͤtige Kräfte werden. Die Wirkung 
dieſes Geſetzes iſt unaufhaltbar. 

VIII. Im Reiche Sottes exiſtirt alſo 
nichts Boͤſes, das Wirklichkeit wäre 
Alles Boͤſe iſt ein Nichts; wir nennen aber 
Uebel, was Schranke, oder Gegenſatz, 
oter Uebergang iſt, und keins von dreien 
verdient dieſen Namen. " 

IX. Eo wie aber Schtanfen sum Maß jeder Eri- 
ftenz im Raum und in der Zelt gehören, und 
im Reiche Gottes, wo alles da tft, auch Das 
Entgegengefebte: dba ſeyn muß: fo gehört ed 
mit zur hoͤchſten Guͤte diefes Reichs, daß 
das Entgegengefente ſelbſt ſich ein 


269 
ander helfe und foͤrdre: denn nur durch 
die Bereinigung beider wirb eine Welt in jes 
der Subftanz, d. I. ein befichendes Ganzes, 
vollftändig an Güte fo wie an Schoͤnheit. 

X. Auch die Fehler ber Menſchen find 
einem verftändigen Geifte gut: denn 
fie muͤſſen fi ihm, je verftändiger er iſt, defto 
eher als Fehler zeigen, und helfen ihm alfo, 

-.. wie Kontrafte, zu mehrerem Licht, zu reinerer 

Güte und Wahrheit. Und auch dieß alles nicht 

als Willkuͤr, fondern nad Geſetzen der Vers 
nunft, Ordnung und Güte, 

Sind Sie mit meinen Solgerungen zufrieden, 

Theophron? 

— Theophron. Sehr. Ihr ſcharfſinniger Geiſt 

eilet voran, Philolaus; wie ein edles Roß, dem 

man nur die Rennbahn oͤffnen darf, und es fliegt 
zum Ziele. Ich danke dem Schatten des Spinoza, 
daß er uns fo angenehme Stunden des Geſpraͤchs 
mit einander verfhafft Hat: mir fommt bie Gele⸗ 
genheit, über Materien diefer Art zu reden, felten. 

Und doch erheben fie ben Geiſt fo einzig und bilden 

ihn zur hellen, fharfen, nothwendigen Wahrheit. 


Noch gewähren mir diefe Gefpräce mit Ihnen ein - 


zweites Vergnügen, daß fie mir nämlich Ideen der 
Jugend zurädbringen, mit denen ih an Leibnitz, 
Shaftesbury und Platon’s Seite mande 
füge Stunde gewiß mehr als verträumte. 
Theano. Um fo lieber wäre es mir, Theo: 
phron, wenn Sie etwas Zufammenhängendes hier: 
über aufzeichneten. Ein Geſpraͤch verfliegt, und 
einem geſchtiebenen Geſpraͤch uͤber Materien dieſer 


14 


| " 


20° 


arrt ·ſchelut immer etwas zu fehten: * Pre werd Fort- 
gezogen und iſt um Ende), che mins dachte; man 
fuͤtit abet einen Trieb, zuruͤtt ycteyrerr · 
Thesbphron. So kehre man zutack) Theuno, 
biß dar Gefptaͤch uns gleichfam ſelbſt ans der Seri⸗ 
flirßr ¶ Bei manchen ſeiner Naqtheille Hat es doch 
das BGute, daß es uns vor dem Auswendiglernen 
bewahrt; und wahre Philofophle muß nie nuewendig 


"gelernt werden. 


Theans:: Die Regek mbchte ty meinem 
Brüder wänfhen" Er iſt ſeit einiger Zeit mit ei⸗ 
nem Wortkram befangen, ber ihm den Kopfever⸗ 
wirret; ſobald er davon⸗ redrt. Er ſpricht ute mit 
feinen eignen, natuͤrlichen, ſondern mit fremde 
Worten; als vb er in fremden Zungen, vder als ob 
ein Dino aus hmeſpruͤche. Er hat ſich⸗ wie er’ 


ſagt, in el Soſtem hineluſtubiret. Sa, wunſchtry 


Theophron, daß Ste den Spinozu, Des⸗Cartes,“e 
Letbnitz und mer es fonftfey;mwepitehen, und bloffe 
Ihre Gebanken auffchrieber.“ 

Theophron. Ich Halte mich gern un Fit 
tapfen, die vor mir ſind, Theand; es fehlet mir “· 
auch noch viel, ein Wert entwerfen zu koͤnnen, aufe 
welches die notäwendtge,; ewige Wuhrheit ſekbſt ihr 
Siegeldruͤckte. 


* 


a 
Philolaus. Darf tich fest mit meknen Vors 
a erſcheinen/ Throphron ? Ihr erſter Srundfatz 
eß! u 
„Das hoͤchſte Daſeyn' Hat feinen Hervorbrängumgen daß: 
Hoͤchſte gegeden, - Wirklichkeit‘, Dafepn.” 


“ — 


288% 


res ⸗ Vhlleforhou/ nachrniterg ob t Tichi kein Dapeyınp 
es iſt nur Eine Subſtanz; wir ‚find bloß Meteo 


Thuenyhoenr NR Tre 
- Dafeyns im böhften Verfiandes Die eine « 
Partel zuͤrnt/ daß Opinspe uns zuniel,: bie-andere, 
daß er une zu wenig einekumers beide koͤnnen ſich 
vielletch in teinem :fchkueiksen: Ausdrach· als: be _ 
ſetiagen vereinen⸗ Welten der Erikeug fiber 
wie: Sisto namen In dfofdaalitaren. Ye: 
deetabandift em ig e ne Write, d. i. eine el 
| = Wiſſen She einen beſſeve Ausbruck 
Phololans. Man glaubt gerade das GSegen⸗ 
theili „Spinoza babe uns unſere Indibldunittaͤt 
genomumrenz ans die ſem Staubpunkrrlaſſe ſich ſein 
ſtew aufreten / und zerſtoͤren⸗ꝰ⸗ 
Theophron. Wie man»denn auch; glaubth⸗ 
er Habe: dem ·hoͤchſten Daſeyn ˖ fein Dafeynm; ſein 
Sefbſtbewußtſeyn geraubtr „Cobt iſt Ofiris 
feine zertheilten Glleder ſlattern Me und dott ald-“ 
Modiftkatienen umher. Modiſſttationen ohne Wer 
fen, Radien ohne Mittelpunkt; wiederum der wirk⸗ 
famfte Metelpunkt ohne Radien, das: wirklichſte 
Weſen ohne Darſtellungen feiner Wirklichkelb“ 
denken Sie den ſich ſelbſt widerſprechenden tnıfhm. 
Theano ſoll ımd: zurechthelfen; was iſt bel Ihnen 
ſeüubſtſtaͤndig, mwirtfam » bleibend: und. 
bletbend » wirkfam, was ſind Sie Felbih 
Thrano? | 
Theano. Mein: Geftatt gchäwt min ung: 
aber ich biu nicht Meine · Geſtalt· Das ſagt mie ind | 


272 . 
Semaͤhlde meiner Kindheit, das ſaat mir in Leib 
und Freunde, in Gefundpelt und Krankheit mein 
Spiegel. 

Theovbron. Und doch waren und find Sle 
tn dieſem Wechſel von Zaftänden immer Diefelbe, 
daſſelbe Individuum. 

Theano. Mit melser Phautaſie aicht; 
die aͤnderte ſich mit den Jahren. Mit dem, wes 
wir Seſchmack, Liebhaberei, Affektlonen 
nennen, nicht; auch fie find Kleider, die wir uns 
vermerkt dudern, Daß endlich nnfer Gedaͤchtniß 
-ermatte, unfere Eriuserung weile — laſſen 
Sie mid; an diefe träbe Jahreszeit des menfchlichen 
Lebens nit gedenken. Was allen komme fie ſpaͤt! 

CTbeophron. Wenn alfo im Meihe ber 
Sinntihke:t, der Phantafle, des Geſchmacks, ber 
Beyterden,-der Mittelpunkt der Seibfibeitandpeit 
aicht liegt, wo liegt er? 

Theano In meinem Selbſt; weber als 
Beariff noch als Empfindung läßt fin, wie mid 
duͤnkt, das Wort welter Jeraliedern. Ich war Kind 
und erwucht, war krank und warb geſund, ſchlief 
and wachte; bei allen Neränderungen, die mit mir 
‚vorgingen, von innen und außen nannte man mid 
nicht nur, fondern ih empfand und nannte mid 
Diefeibe. 

Theophron. Dieb Principium ber Seibfigelt 
hing a fo nicht von Jonen ab, als ob es, aus Mai⸗ 
fonnement entſtanden, burh Meflerion uns 
te rhalten werden mülfe, als ob ed auf dieſer berube, 
und ohne fie verſchwaͤnde. 

Theano Wie kunte dieß ſeya? Daß trot 

aller 


.ıx 


275 
elle Brrindreungen mein -Rörper und Geiſt zwar 
nie ı Diefelbe, aber Ich Dieſelbe, ein Selbk 
blrekbe, Hänge: von meinen Raiſonnement nicht ab. 
Wachend zaltoniatse ich nicht zu *3 * gar 
abkıt , andrin Ben Zaubegegenden —— at 
ich ofläene-mäbeye. Mſleltite Fri ‚uncherb : üfer 
mich Feld; ſo Tibei ich rin kUeineẽ Selbſt gethei⸗ 
letz in thou⸗ vo ſelbn Tauſftbich. 
Aqhed pyrom. Aiſfo Hagt bie Ueberzengung 
venn amſerm⸗Selliſt, Das. Princepinm unſerer Iubi⸗ 
vidnuation tiefer, als * unfer Wetktanb, unfere 


—— — SAbkwicktuntsit; fie machen unfere 
Wirklichkeit, unfer Dafeyn; awf:igmen rühet bie _ 
Leiten aller unſerer ausgebildeten und unaus geblide⸗ 
ten Vermoͤgen, Tebebe und Thaͤttgkelten, bie von 
der Erhdengen Himmel reichrt. — Haube Sir nun 
wohl, Thaand daß dieß Principlum der Yur 
divtonation (wir moͤgen es Selbſtgefuͤhl, Selbſt⸗ 
bewaſßtſeyn oberunnbexs nenne) bei allem, was 
—* {a sirihem areas wirkſam ab thaͤtig 
* 


- Shane. Gewißnicht. Eine lebendige und 
bisfe:geftlifte Roſe, ber fRöfenbufih und die Nach⸗ 
tigail, die anf im finget, ber Schmetterling, ber _ 
an der RNuſe hängt, können: weher biefeibe Art noch 
denfelben Grad des Selbſtgrfuͤhls, des Selbſtbe⸗ 
—— mithin des Daſe vas haben; und wir 
Menfaen? - 

Theophrom. Alſo ſind fie und wir verſchie⸗ 

Herbers Werke ,. Philoſ. u. Geſch. IX. 18 


276 
fuͤr / eine ⸗Weiſe zu deuten, naͤmlich für das Merz 
ſtehen ſelbſt: denn, ich. bitte, wer kann willen, 
daß ei eine Sache verftehe, ohne daß er fie ver 
ſtehe? d. 1. wer kann willen, daß er einer Sache 
gewiß ſey, ohne daß er Ihrer gewit fep? Sobann, 
gibt es etwas Fläreres und gewiſſeres zus Richtſchuur 
der Wahrheit, als eine wahre Idee? Gewiß, 
wie das Licht ſich ſelbſt und die Sinfteraffie offen» 
baret, ſo iſt die Wahrheit. Rihifhuur ihrer 
ſelbſt und Unterſcheidung vom Fal— 


fſchen ). — Ich maße mir nicht an, die beſte 


Philoſophie erfunden, zu haben; aber daß ich bie 
wahre Philoſophie einaſehe, das weiß ih. Tag. 
dur wie ich das: wie? fo antworte Ich: wie daß 
) die drei Mintel eines Trlangels zweien echten Win⸗ 
keln gleich find. Daß dieß hinreihe, wirb kein 
gefundes Hirn laͤugnen: denn was wahr Eft, 
zergt ſich und zugleich das Falſche.“9 
Ein Philoſoph ſolcher Art hat mit Dialektitern nichts 
gemein, denen bie Wahrheit zu: fehen-und wegzu⸗ 
räumen gleichgältig ift, weil fie ihnen, nur ein 

" Bort- Tofker. 


AUm nichts geb ſich abſo Spinoza ſo viel Mäpe, 

als Einſicht und Einbildung, Begreifen und Dichten 
ſtreuge zu ſondern. Wis hart ex mit den Filtionen 
der Einbildungsekraft umgeht, zeigt ſein the ol o⸗ 
giſch⸗politiſcher Traktatz mehrere Schellen 
feiner Ethik, mehrere feiner: Briefe zeigen, wie 
geuan er Wahlen vom Träumen und auch. iu jenem 


*”) Ethie. P. II. Prop. q3. Schol. p. Bo. 
- ”y Episti 76. p. 613. 


—2 


‘277 


He verfchledenen Stufen des Willens, Erkennens 


und Einſehens unterſcheſde ). Am klarſten zeigt 
es ſein Traktat von Verbeſſerung des Ver—⸗ 
‚ftandes **), für deſſen Vollendung man Manches 
geben würde. Ein Philoſoph der Art Fonnte mit. 


Diendwerfen'nichts gu thun haben, die auch In der 
Spekulation als Schemate umhergaufeln follen, den 


begreifenden, faffenden, verftehenden Verſtand 


aus fich felbft in Irren umberzuführen. „Ba willen, - 
daß ich wiſſe, muß ich nothwendig zuerſt wiſſen; 


die Weiſe, wie wir das formelle Weſen empfin— 
den, iſt die Gewißheit ſelbſt. Zur Gewißheit des 
Wahren bedarf es keines andern Zeichens, als daß 


man eine wahre Idee habe; und was die hoͤchtte 


Gewißheit ſey, Tann nur der willen, der die voll- 
ftändige Idee einer Sache hat: Gewißheit und das 
objektive Wefen eines Dinges find Eins. Es if 
alſo nicht die wahre Methode, ein Zeichen der Wahr- 
beit zu fuchen, nachdem man. Ideen erlangt hat; bie 
wahre Methode ift vielmehr der Weg, die Wahrheit 
ſelbſt, d. 1. die objektiven Weſen der Dinge oder die 


‘been (alle drei Namen bedeuten Eins und daſſelbe) 


in gehoͤriger Ordnung zu erlangen. Nothwendig 
muß alſo die Methode vom Vernunftſchließen oder 


vom Verſtaͤndniß (intellectione) reden; nicht, 


daß fie ſelbſt das Vernunſtſchließen zum Verſiaͤndniß 


der Urſachen der Dinge ſey, vielweniger iſt ſie das 


Verſtehen dieſer Urſachen ſelbſt; ſie iſt dad Verſte⸗ 
| hen, was eine wahre Idee ſey, Indem ſie biefe 





8d 


RW Scholqu Prop. Je I u 
”*) P, 366 — 92. - 


⁊ 


278 


von andern Vorfiellungen umterfcheibet und ihre 
Natur erforfcht, fo, daB wir daher unfere Macht 
su verfteben kennen lernen, und unfern Ver⸗ 
ftand fo Innehalten, daß er nah dbiefer Norm 
alles Verftehbare verſtehe; wozu fie ihm 
als Hülfsmittel gewille Regeln gibt, und macht, 
dag er fich nicht mit nußlofer Arbeit ermübe. Me: 
thode iſt alfo nichts, als ein reflerives Erkenntniß, 
d. t. Die Idee der Idee; und weil es Keine 
Idee der Idee geben Tann, es fey denn vorher 
eine Idee dba, fo kann es auch Feine Methode geben, 
menn nicht vorher bie Idee ba if. Eine gute Me- 
thobe wird alfo die feyn, bie zeigt, wie nach ber 
Norm einer gegebenen wahren Idee der 
Verftand zu leiten ſey. Und da das Verhaͤltniß 
zoifchen zwei Ideen mit dem Verhaͤltniß zwifchen 
den formellen Werfen diefer Ideen -einerlei ift, fo 
folgt, daß die refterive Erfenntniß der Idee des 
vollfommenfen Weſens vor ber refleriven 
Erkenntniß aller übrigen Ideen vorgäglicher ſeyn 
muß; mithin wird die volfommenfte Methobe bie 
fepn, die nah Norm ber gegebenen Idee 
des vollfommenflen Weſens zeigt, wieder 
Verſtand zu leiten. Hieraus erhellet auch, wie, 
je mehr der Verſtand verftehet, er dadurch zu⸗ 
gleih Werkzeuge gewinne, leichter und mehr zu ver⸗ 
ftehen: denn (wie aus dem Geſagten Elar iſt) vor 
allem andern muß in und eine wahre Idee, 
als ein angebornes Werkzeng, exiſtiren, 
durch deren Verſtaͤndniß zugleich ber Unterſchied be⸗ 
griffen wird, der ſich zwiſchen einer ſolchen und je⸗ 
der andern Vorſtellung findet. Und da es durch fich 


279 


Bar ift, Def bei Merfkanb auch ich ſelbt unr fo beſ⸗ 

fer verſtehe, ie mehrere Dinge ber Natur er ver- 

fee, fo fieht man, daß biefer Theil ber Methode 
fo votommener ſeyn werde, ie mehrere Dinge 

ver Berkenb hard und daß bie Methode dann 


kennet, deſto befier verfichet er feine eigenen Kräfte 
und ber Natur Orbnung; je beſſer er feine Kraͤfte 
verſteht, befto leichter kann er fich felbft ordnen und 
ſich Regeln vorihretben; je beſſer er die Ordnung 
der Natur verſteht, deſto leichter kann er ſich vom 
Unuhgen zuruͤckhalten; worin, wie wir geſagt ha⸗ 
ben, bie ganze Methode beſtehet. Daß unfer 
Berftand ein reines Abbild der Natur 
fey, muß er alle feine Ideen aus der 
Idee hervorbringen, die den Urfprung 
und Urquell der ganzen Natur darftellt, - 
Damit fie auch Quell ‚aller andern 
Ideen werde”) 

So dachte Spinoza, unb alle Beifter, die wah⸗ 
rer Ideen, d. 1. des Verſtehens fühlg und in 
dem Maße, ats fie beflen fähig waren, dachten wie 
* Sie entſagten der dichtenden Imagination, 

und ſqieben (ch von Blendwerken nud Wortlarven. 
Verftandene Begriffe find ben Spinoza das 
Weſenhafte, Lebendige, Wahre; Bilbworte gel- 
ten ihm nichts; er gebraucht fie als algebraifche 


— 





*) De «mund. intellect. p. 267. 368. N 


: 280 " 


. Zönd: bad: Manßexe ſelen Methede aulaugt; fo 
weiß jeder, der die ſtreuge ſonthetiſche Methode ver⸗ 
fat hat, ihre Scwierigkeiten. Oſft haben eingeine 
GSleder ihrer Kette eine beſoudere An⸗ivfe und Be: 
dultion noͤthig, die man, wenn und ein 

Glied als aus. dem Voerhergehenden nicht = folgend 
auffaͤllt, geduldig auftelen, nicht aber, weil man 
ſie nicht angefbellen vermag, Ungnen ober verwerfen 
muß. Aus Einem, dem reichſtienundvollſtaͤndig⸗ 
Ken Begriff, leitet Spineza alles her; in ihnr hat 
und genießt er alles. 


ſten 
die Enfalt und Wahrheit liebten, d. kdrnen bie 


CEhriſten, Griechen mb Indier, Spekulanten nit - 
Kopf und Herz, Scholaſtiker und Myſtiler nahmen 
daran Theil: denn Sßino za's Philoſophie war lange 
vor ihm und wird, lange nach Mn Bleiben... Oft wa- 
ren. bie, die am ſchaͤrfſten gegen ihn, d. 6 gegen 
feine mipoetitanbenmm.cher kbelgesählteı: Ausbruu⸗ 
ſtritten, wein. fie ſich ſolbſt erktaͤren wouten vder 
‚mußten, In feinen ober ihren eigenrn, jektibeffer-, 
jeßt ſchlechtergewuͤtlten Anstrhmtn fe EZ JE ST 
bens, des Innern Staubens mänıich m eln⸗ 
sige, lebendig empfundene, allem zum be 
gende dee des Wahren, Suten und 
. Schönen, ohne weihe all unfer: Suogen nnd 


— 





‘261 


MAqeriben; Danbe bisiher. Soatte dieſer zabtncikden 
iemgaifie,: bie einem audern Drt aufgeſpart 
werben, ſtehe eine poſchume bee Lerffinge 
„bier, ¶ die wenigſtens zeigen mag, daß ihn Spinoza's 
Guben kein Scherz war,) und, von Bhaftes: 
bara euflidet, ein Ratuchymuus, 


— : 


Teffing 
über die Wirklichleit der Dinge außer Gott. 


Ich mag mie bie. Beintictelt der Dinge aufer 
GSott ertlaͤron, sute Ich will, ſo muß ich beßennen, 
unten nis keinen Begriffe davon machen Fran. 

Man nennme fie das Kowmplewment ber 
Mmoguichteit; fo age ich: ie von dlefem Kom⸗ 
poereate der Moͤglichkeit in Bott chi Wege, ober 
telner? Wer wird das Lehtere behaupten: wolleu? 

aber ein Begruiff· davon in- fan; fo ſtad alle 

ie ihm ſolbſt wirkiich 

Aber, wird man ſatgen, der Begtiff, werden 
Gott von der Wirkichleit eines Dinges Hat, hebt 
ur Wirlkllchkeit dieſes Dlages außer ihm ˖nliht auf. 
Mat? So muß die Wirklichkett außer ihm etwas 
ben, was: fle von: ber Wieklichkeit In ſeinom Be⸗ 
sure witerſcheldet. Das tik: In der Wicktigeit 
außer {fm muß etwas ſeyn, wovon GEott keinen Be⸗ 
seiffyat. Ehe Angereimtheit! Iſt aber nichts der⸗ 
Ale, in dem Begrtffe, ben Gott von der 
EIKE eines Dinges hat, alles zu finden, was 











4 


282 en 
An beffen Wirkiigtelt außer ihm angutreffen: fo ſiub 
beide Wirklichkeiten Eins, und alles, was außer 


Sott exiſtiren fol, exiſtirt in Gott. 


—X 


Oder man ſage: die Wirklichkeit eines 
Dinges ſey der Inbegriff alter möstt- 


hen Beſtimmungen, die ibm szufommen 


koͤnnen. Muß nicht biefer Inbegriff auch in der 
Idee Gottes fen? Weide Beltimmungen hat das 
Wirkliche außer ihm, wovon nicht auch das Urbild 
tn Gott zu finden waͤre? Folglich iſt dieſes Urbild 
das Ding ſelbſt, und ſagen, daß das Ding auch 
außer dieſem Urbilde exiſtire, beißt, deſſen Urbild 
auf eine eben ſo unnoͤthige als ungereimte Weiſe 


verdoppeln. 


34 glaube zwar, bie Philoſophen ſagen, von 


einem Dinge die Wirklicpfeit außer Gott —* 


heiße weiter nichts, als dieſes Ding bloß von Bott 
unterſcheiden, und deſſen Wirklichkeit yon einer au⸗ 
dern Art zu ſeyn erklaͤren, als die nothwendige 
Wirklichkeit Gottes iſt. 

Wenn fie aber bloß dieſes wollen, warum ſollen 
nicht die Begriffe, die Gott von ben wirklichen Din: 


sen bat, diefe wirklichen: Dinge ſelbſt ſeyn? Sie 


find von Gott auch genugſam unterfhieden, und 
ihre Wirklichkeit wird barım nach nichts weniger 


als nothwenbig, weil fie in ihm wirklich And. Denn 
muͤßte nicht der Zufaͤlligkeit, die fie außer ihm haben 


follten, auch im felner Idee ein Bilbd entfprechen? 
Und biefes Bild iſt nur ihre Zufaͤlligkeit ſelbſt. Was 


außer Gott zufaͤllig iſt, wird auch in Gott zufällig 


ſeyn, ober Gott von dem Iufälligen außer 
ähm keinen Begeif haben — Ich brauche dieſe⸗ 


283 . 
anfer ihm, fo wie man es gemeiniglich zu brau⸗ 
hen pflegt, um aus ber Anwendung zu zeigen, Daß 
man es nicht brauchen follte. 

Aber, wird man fchreien, Sufäffigtekten in dem 
unveränberlichen Wefen Gottes annehmen! — Nun 
bin ih es allen, der dieſes thut? Ihr felbfk, bie _ 
ihr Bott Begriffe von zufälligen Dingen beilegen 
müßt, iſt ench nie beigefallen, daß Begriffe von zu: 
fähigen Dingen zufällige Begriffe find? 

Leffings Leben und Nachlaß. 
ch. 2. ©. 164. 





— Naturhymnmus 
von 
Ehaftesbnry”. \ 


Eerfter Sefang. 


Empfangt mid, Fluren! Heifige Wälder, nehmt 

Dem Stadtgeräufh entronnen den Wandrer auf, 
Der Hier in euren Schatten Rufe 2 
Sucht und Erquickung. Gewährt fie hold ihm 


Heil euch, ihr grünen frohen Gefilde! Hell, 
Des ſtillen Segens Wohnungen, euch! Und euch 
Ihr Reiz⸗ und Schmud : befränzten Fernen, 
Heil euch und allem, was in bir Tebet, 


N 


| *) Moralists, P. III. Sect. I. 


- 


384 / 
Dur Aufenthalt giädtteriger Menſchen/, die 
Outjerns dem Weide, ſerne der Thorheit, bier 
Unſchuldig, ſtill und froh und munter 
Lehen, und, große Natur, ch auſchaun. 


Natur! der Schönen Schänfte, dir "Gütige! 
Allliebend, westh von allen gefiebt zu fen, 
Ganz söttfih, welshoitooll, voll Anmakh, 
Alles Grgabmen hohsſr Inchalt, 


Der Gottheit Freundinn, weiſe Statthafterinn 

Dee Vorſicht, oder — Sqhoͤpferinn, Schoͤpfer ſelbſt? — 
O Schöpfer, ſich, Ih kinie und bete, 

Bete dich an in der heiligen Halle 


Des hohen Tempels. Dein, o Erhabner, iſt 
Died Schweigen; dein iſt dieſe Begeiſterung, 
Die mich, obwohl in unharmoniſch⸗ 
Lautenden Tönen zu fingen antreibt. 


Der Weſen Einklang, Ordnung und Harmonie 
Des Weltalis, die fih, o Unerfonfchfider, 
Du alles Schönen Quell und Ausguß, 
Meer des Vollkommnen, in dich fih auflöft, 


. Sn deffen Fülle alle Gedanken ruhn, 
In dem die Schwingen jeglicher Phantafle 
Ermatten, fonder End’ und Ufer, 
Ueberall Mittelpunkt, nirgend Umbreis. 


So oft ih aufflog, ehrt’ ich zuräcd in mid 

-Bon meinem Nichts, von deiner Unendlichkeit 

Durhdrungen ; und ich mag’ ed dennoch 
Dich zu ergründen, Gedanken s Abgrund ? 


Did) zu ertennen, ewige Schönheit, dich 
Beherzt zu lichen, fehnend zu nahen dir, 
Dazu erſchufſt du mich und gabſt mir 
Regung und Willen; o gib mir Kräfte‘ 
) R 


285 


Sey du mein Beiftand! Wenn ich im Babpeintg 
| Der Schöpfung forfhe, Teite den Forſcher din ı 
i Der mich mit Geift und Lich’ erfüute, 
Führe den Liebenden zu bir ferbft Hin. 





Zweiter Gefang, 


Anvelebender Geift, o du Begeifterer, 
Kraft der Kräfte, du Duell jeder Veredlung, 
Quell auch meiner Gedanken, 

Inhalt meiner Gedankenkraft, 


Unermübdet und ſtets unwiderſtehbar regſt 

Du zum neuen Senuß alles im Reich der Michts 
Unter heirgen: 'Gefiken 
| Wechſeln Leben und Lebern neu. ' 


Froh gerufen zum Licht, fohauen fie und gergehn 
Fröhlich ſchauend, damit anderes auch ben Strahl 
Dieſer Sonne-gmieße, v 
Und am Leben ſich alles freu". 


Unerfhöpfliher Quell, altem mittheilend ſich, 
Unverſiegbar; es ſtort nichts die geſchaͤft'ge Hand, 
Die kein Pünktchen verabfäumt, 
Nichts verläffet mit aͤhree Hufe. 


| Der Vermeiungen felbfk graufe Naturgeſtalt 
(Schaudernd zittern von ihr Bid und Gedanken 
Sf die Pforte. zum Leben, . 
Neuer Jugend Erfhaferinn, - 


Schauplatz ewiger Kunft! Altes ift ed und Ziel, 
3ZWweck und Mütel. Es gehn Welten in Weiten auf 
Sinfern Sinnen; Unendlich: 
Kleines wird und unendlich groß! 


⸗ 


286 —— 


— 


— Welt ber Wunder! In ihr ſtrebet ein Weſen fort, 
(Iſt's ein Weſen?) das, ſich immer mittheilend, nie 
Stirbt; es ſtrebet in tiefſter 
Ruh; wir nennen Bewegung es. 


Dort ein ander GSeſpenſt, unſerm Begriff zu Hein 
Und zu groß; es entfchlüpft jetzt wie ein Augendfid; 
Schwillt jest, unſerer Schranken 
Spottend, auf bis zur Ewigkeit. 


Wir begreifen es nicht: aber wir nennen's Zeit, 
Und was endlos⸗ umher alles umfaſſet, Raum. 
Und — 0 tiefes Geheimniß, 
unfer Denten, Empfinden Du! 


Und das eigenfte Selbſt, und das Gewiſſeſte 
Alter Weſen; (es fey altes ein Schattentraum, 
Mein Empfinden ift Wahrheit; 
Mein Gedanke, DBernunft befteht.) 


In ihm fühl ih das Gepn höherer, ewiger- - 
Welen; in ihm das Seyn Deiner, o Urbild du 
Deiner Werke, du wohneſt 
Höchftwanraftig in mir, in mir! 





.* 


Dritter Gefang. 


Du Sternenhimmel, funtelnder Sonnen Raum! 
Ber zäplt die Sonnen? wer, die noch niemand ſatz? 
Und mißt von Welten dokt zu Welten, 
Miffet von alten den Raum zu ung dann? 


O Unermeßner: Jede der Sonnen regt 
Ein Heer von Erten. Jede der Sonnen wallt 
In Straßen, deren Eleiner Schimmer 
Uns ein Gewolt ift, in fih ein Weltau. 


um. 
⸗ 








287 


Dort unfre Sonne: Heiliger Tageshrunn, 


Lichtqueli und Duell des wärmenden Lebens: Sanft⸗ 
Und ſtark⸗ wirkſame Zlamm’, ergoffen 
Ringsum, und in ſich gedrängt, ein Lichtball. 


Yumädtig Weſen, Bid des Allmaͤchtigen, - 
Des Weltenhalterd, Grund der belebten Welt! 
An Anmuth unvergänglich, ewig: 
Ewig ein Yüngling, und fhön und lieblich. 


Kaum. vift du ſterblich, Hohes Geſchoͤpf. Mer träntt, 
Die immer ausgießt, labende Ströme ſtets 
Bergeudend, die ftet6 unerſchöpfbar 
Seguet von oben, wer träntt und flärkt dich? 


Erfreut zu werben ſchweben in Iebender 


— — 


Bewegung viele Erden um fie. Zu ihr 
Sezogen ald zu ihrer Mutter 
Drängen fie fih, und ein andrer Zwang hätt: 


Sie fit umkreiſend. Mäctiger Hausherr, weld; 
Ein Seiſt belebt fiei Goſſeſt du Seel in fie? 
Wie? oder fügteft du dem Aether 
Mädtig fie ein und dem Haud der Winde? 


Der Winde, deiner Diener. Wer Hält den Bau 
Jedweder Welt zufammen? und dreht ben Ba 
Der Erd’ um ihren Punkt, indef ihr, 
Ihr und der Sonne getreu, der Mond folgt? 


Was Hit du, Erde, zu den Gemwaltigen dort? 
Sur Gonne? Was zum Heere der Sonnen ? was 
Zum linermeßlihen? Und dennoch 
Biſt du fo groß zu dem Nichts, dem Menfhenr 


Dem Menſchen, ber von himmliſchem Geift belebt, 
' Bon dir fih aufwärts, auf zu dem Bater ſchwingt, 
zum Mittelpunft der Seelen, fiher 
Wie fich der Körper zu feinem Punkt draͤngt. 


288 


0 drängten alle Geiler zu ihrem Zw: 
Sich fo Keffänkig!: Doc ber das Chaos ſchied 
Und fang die Weit in Harmonieen, 
Wird auch bie Geier in Orbnung:fingem, 


iin 
Bierter Gefang. 


Ungrüdfeliged Volk, Menihen! Warum entflögt 
Ihr der lieblichen Flur Ishnenden Müge? Stat — 
Dder Hieß euch ein Dämon, 
Ruf’ verachten und. elend ſeyn? 


Da kam Uebel und Noth über die Sterblihen:  ' 
Kranker, matter Bogier ecdkalte, was die Erd 
Heimiſch reichte; fie ftreiften 
Plündernd Über das Meer hinaus. 


Bon den Schäsen der Welt Über der Erbe Schoos 
Ungefättiget, arub wägend die Thorenzunft. 
Grub hinein in der Mutter 
@ingfweide nach Meichthum Hin.: 


Da auch göttlihe Kunft, herrſcheteſt bildend du, - 
In Verwandlungen Gier, dort im: utenußeeen 
Ewig : feſten Geftulden, . 
Undurchdringlich iden Forſthenden3 


Aber giftiger Dampf, der die Geheimniſſe 
Deiner Werke, Natur, birget, umthuͤllte ſchneu 
Sn der grauſigen: Werkſtatt 
Die Berwegnen mit Todetdampf. 


vo: 
* * 8ð 


Reine, liebliche: euft: freundliches Tagelkht ! 

Did zu ſchauen, auf did, Erbe, zu treten frot 
Deine Schäge betrachtend — 

Welche reinere, füße Luft! 


⸗ 


Von 


| 289 
Bon tar Sonne wärst, van kim beiehensen 
Haud der Winde gekühlt, wenn e Die Pfikmjetsi ker 
Sanft eraniden, und Ihutere 
Dort der dampfenden Erde Dunft. 


Reayen Weinen IHiab ‚Reue $ : 
Denn mit Kräften belebt, @dpe,Hu’Mäpeerkin 
Deiner Kinder, vie Lurth - - |. 
Friſch, als bildete Gott dich heut. 


9 er | FR * ” — 


Und du ſchwerere !räfı Waſſer, o ſchon biſt bu: 
Het durchfcheinend ailid klar; aber alıly harten Ginns, 
„zbrannen dich preſſen; 
—— Fu — * folaſt· du gern! 


Rinnſt, ein ſpiegeinder Strom, loſeſt die lockere 
Erd’ auf, ſchwemineſt der Fiur ſtärkende Nahrung zu, 
Die: in · aiſanger · Poierro ." 
Bluthem zeugen und, Zuucht· gebiert. 
“y, 


Und zufammengepwingt tiefrin ben Dean, 
Wanderft, leichtes Gefhöpf, wieder gen Himmel dn,_ 
Aufgezogen von Büftens - - . 
Schwebſt in Wolkengeſtalt umher, 
Fa u + * LE 


Und Sommft wieder herab , wieder zur fechjenden 
Erd’ erguitend Uns: Smeuch WrH Ströme Hibu. 
Kingdum keit genen u 
Alles vebenerwor burto dich.. 
rd Nut, “ 
2 


P\ - 
» * 


. For i 
Und ihr Quellen des Lichts, Meero der leuchtenden 
Seuerflammen, wer iorfcht und wer umufert; euch? 
Ausgegoffen in’s weite - _ “ 
Weltall, tief in der Erde Schoos 


Berders Werte . Philoſ. u. Geſch. IX. 49 


290 


Eingeſchlohen. Die sufi dienet euch willig, trägt 
Euch auf Zittigen. Trabi feider die Some —F nF 
Trinkt nicht alle das Sternheer:. "+ » * F 
Eure Strahlen und glaͤnzt ‚von euch? _ 


Lichtquell, heiliger Brunn! Nenn’ ich dich Aetber? dich, 
Den durdhdringenden, der alles senigt und wärme, Ä 
Unfern frofligen Erdbau u . r 

Liebend wärmet bis in, fein Hera. 


Durd dich bildeten fich alle Geftalten; du 
Gibſt der Pflanze Gedeihn, fachſt in der athmenden 
Bruft, die himmfifhe Zlayım’, auf. . PR 
Die empfindet und geben beißt; : 


N4 


Bauſt, ernaͤhreſt und Parſt iegrihes Werkzeug dir, 
Haͤltſt in glücklicher Ruh, glücklich in Harmonie 
Aue Weſen; ſie freu'n ſich 
Deiner wärmenden Muttergurb. . 
Aber brichſt du hervor wůthero in Weinen, pri 
Uederwältigend du isde Seſtalt unt Farm 
O fo löſet fih alles 
Auf und Leßret zuruͤck — in. 
a. ag ae ee. 2 1. Fi ee 


ya! 


Sänfter Gefeng 
vor hntutol 7 
Wie matt, und feige Bidet die Ganne beib.un.. ‘0 
Rad) jener fhiefen Ferne des Erdenbaiäitturpnik‘ 
Lang iſt die Winternact, ‚die dortaliegt. uß 
Wenig erfreuend ber holde Morgen. 


- 


BR 





De rafen Stürme, nimmer ermattend; da 
Liegt in kryſtallnen Wällen das brauſende - 
Unzihmdar s flolje Meer gefangen; : * 
THäfer und Höpen bedeckt Mean “ | 


. 
'} ) vo. 


OF VEn] Sara E55 7 Su u 


- ‚ 
. i . 








291 


Des eifgen Schnees. Unter ihm Tiegt der Stream 

Erſtarrt, erftarret Baum und Gefträuh und Sand; ° | 
Kineingedrängt in finftre Höhfen 

Zittern die Menſchen von Froſt, umheulet 


Bon hungernd: wilden Beſtien. Doch (jo groß 

Iſt Menigenmuth?) fle zittern und zagen nicht 
Sor ihnen ; Kunſt und Klugheit hebt fie 

Ueber Gefahren und Nacht und Mangels. 


Denn endlih kommt die mädtige Sonne, fchmelzk. 
Hinweg den Schnee und -TÖft die Sefangenen, 
Die dann auf einen künft'gen Kerfer 
Wieder ſich rüften und froh verforgen. 


O Kunft. und Klugheit! göttliche Gabe! reich 
Geſchenk des Himmels: Waffe für jede Noth! — 
Eisvberge jhimmery dort; die Sonne 
Aiß von einander die mächt'gen Berge, 


Und zwiſchen ihnen drängen fh Ungeteur , 
Der Tiefe; feht! fe ſchwimmen wie Infeln, groß: 
Und ftark, und unbezwinglid allem! 
Söttfiche Menfgenvernunft, nur dir nicht. 
4 ° * 
Hinweg, vo Winter! Wende, mein Auge, dich 
Zu jenen holdern Gegenden, die bie Sonn’ — 
Inbrünflig anblidt; wie verändert 
Wirket fie dort! einen ew’gen Sommer. 


Das Aug’ erträgt nicht diefen ergfühnden Straft; 
Die Luft erkühlt nicht diefe gehobne Bruft, 
Die nach der Rute lechzt im Schatten 
Kühler erjrifchender Adendwinde. 


— 





82 
Der Schöpfe er wöiger!! Metiſchen und, Eee alte 
Die lang’ N efeufite färkende Rup. Ein Daͤch 
Bon. Wolken fteigt einpor ; erä (det 
Athmen die Pflanzen, ſie athmen Dank Auf. 


x 
u; 


Du Lad! ber Mte: etitgefline: Eand, 
Bon Wuͤrzen düftend! —Aber wer ſchreffet· dort 
Am ſchoͤtneit Fiuß? Ein Berg briebet, | 
Reich an Empfindung und Muth und Weisheit, 
| 


Dem Menihen dienend, ſelber in Schlachten ibm 
Mehr Bundegensg als Shave; der EClephant! 
O Pradtgekhöpft — Und Pracht⸗Juſebten, 
Schöne Bewohner der ſchoͤnſten Pflanzen, 


Vom kleinen: MEHR bis zum erhabnen Patm! 
Und dort vor ren Yerred: Inſekt,das ſich 
Begräbt und ſpimnt den Menſchen hre 
Seidnetr Gewunde, den Schuck dest St. — 


Mein Blick zieht weiter. Siehe, wie Balfam dort 
Bon Bäuzien fließet. Dort das gedurdige 
Kämer; es hebt den Hals und ſenket 
Nieder den Rüden, ein’ Schiff der Wüfte. 


Schau bort den Nilftrom. Bild ber belebenden 

Bielbrüftrgen Mutter, ftreet er die Arm’ umher, 
Damit von feinen fegensfhwangern. 
Frachtenden Mieten. fit‘ afles labe. 


Aus dürrer Wuͤſte 'iffen die Three" herdei, 
Den Durft zu löſchen, fröhlch zu "parken ſich; 
Die Inbruuſt wirret die Geſchlechter, 
Neue Geſtalten erzeugt die Sonne. 


Tyrann des Stromes, ſchreckendes Ungeheu'r 
Der Ufer, lauſchend hinter dem Schilfe, dann 
Schlafenden erhaſchend; (ialſche 
* ränen entrinnen dem frommen Morder) 





ee tie ‘ ” 


— 


293 


Verhaßtes Bild der trügenden Heuchelei, 
Des Aberglaubens, weinender Krokodilt 
Der Peſt, die Menſchen gegen Menſchen 
Reizte, mit Wuth ſich um Gottes willen 


Zu würgen. Unhold, bleib' in der Müfte dort, 
Die dic, geboren ! Halte den Gifthauch fern, 
Der, den Himmel zu bevölkern, 
£änder verheert und entmenfcht die Menſchheit. 


E44 
& er 


Hinauf ju jenen Höhen, wo Berge bort 
Den Himmel tragen! Feld über Fels gethürmt 
Erklimmen wir; die Ströme drunten 
Toſen und brüllen in jähen Abgrund. 


Berwittert hangt der drogende Fels auf uns! 

Geborſten fteht die Trümmer der ew'gen Hop 
Des Erdbau's. Prächtige Bermwüftung ! 

Alter und Jugend der Welt enthüllſt bu. 


Uranfang ſuchen unfre Gedanken hier 
Und ſuchen in der Tiefe. des Abgründe dann 
Der Weſen Ende. Nicht am Gipfel, 
Laß uns in Mitte des Berges weilen. “ 


dier unter immergrünenden Fichten , hier - 
Im Gevernfhatten. Selber des Mittags Strahl 
Wird Dämmrung bier; die tiefe Stifte 
Schweigend, fie fpriht und enthüllt Gedanken. — 


- 


nn 


Sedanken von wie mächtiger neuer Rraft! — 

Seheimnißreihe Stimmen ertünen! — Hier, . 
Hier ift der Gottheit Temper! Heilig: 

Heil'ges Weſen, mit Naht umfcleiert! 





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Anhang. 


I. 
Liebe und Selbſtheit. 


1782. 


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Qi tueeleufchineSatecder deren Bktung; 2 
—*8* Dei Wei: ans: dom: Chaos: gezögen,-ukb: 
ati mit Bauben · des Verlaugens und der 
Sehnſucht wechſelfeitig an euandor getnkpftheber 
————— feines In: 
erſatte unde dem Etnen Leite) den ei: 
alleso Lihresi ole wer: Liebe, inter wle manchet⸗ 
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warn, ſo iſt in Br; fit: 4 

era R' Ba Rbäbe- Die een gere 
„wie era In Zebe:und: Beteihle:: 
‚gell atugor: PigekBefiokie allor Gruuß der 
—* —B —* Verlaack 


hie H ——32 
— —— Hnlblonbicht PEPPER 
Läysig 1782. Ch. 1. &. 71. (inter dei fe: Verfafferd 
" Sandrriteeen fund fi) Band eine vollttänbige; Reber · 
— von Henſterauis Brief über den Menſchen und 
—S—— ntn, die. aber. nie in Druck gekymmen. 
gie biegen BueeOnn ſehr doch ), 


derer ir 


- . — — ———— — nn — 


298 


aber ſeyen gleichſam die Brautfuͤhrerinnen der Liebe, 
die ſtarken und doch zarten Arme, die allen Genuß 
herbeiziehn, vorbereiten, ja ſelbſt das groͤßeſte 
Vergnuͤgen vorahnend gewaͤhren.“ 

Indeſſen ward auch bald die andere Seite des 
Spfteme ſichtbar, daß dieſe Liebe Grgmgen habe, 
und eine völlige Ieselnjaung der Werfen In unferm 
Weltall fetten oder gat nicht flattfinde, daß alfo 
auch bie Bande end Verlangen Pr 
Sehnſucht eben In, ber groͤßten Anſtrengung nach- 
Taf n, ünd [Piper oft, — Genüſſes, 

ueberdruß und Saͤttigung gewähren. Man bemerkte 
en auch in Diefosm- Soſed Weiaheit Kane, 
weil der Schöpfer, hierdurch eben ſe ſehr für dm“ _ 
fetten Befland einzelner Werfen geſergt 
hat, ale; gr durch Klon and rbatucht fuͤr die 
Denaiutgung und dasemebl de: Behlamae - 
Tey.umabgeser Geſchoͤpfe forugen: Mam ſahe, daß 
dieſe beiden Kraͤfte, Dias der eiſtigen ESelt 
das⸗ ſind was tim bau. locnerichen: Aum iren 
baws:mal Zuriditnf was ea wichten. 
zur Erhaltung und Befbmlkıng :heP Meltalſs gehe: 
ren; und ich glaube, 28 mer,ihon@npehokled, : 
der. Haß und Liebe au Beichu zuen des Umriſſes 
aller hörte machte 5 DR Feste: Kar, 
werben die Dinge getrennt, und jedes Ginzelne. 
blaibt was eh dunch Hehe werdena ſie nenbunden 
— 24 rl. . 3 TQR.LE PN IR 

Mn are en Fr WÄREN uRETe 

GE ER ins ra 

— Er ETHEE 2 AALLEE Hte 

Ex 10 bi: nu 066°’ m, 77 ve je zur Via 











299 

md geſeller fig‘ zu einander,” — fo fern ſie:ſich 
nämlich ‚ihrer Natur nach geſellen koͤnnen; dem’ 
freilich auch uͤvber die ziehe, 'fdgten die riechen,’ 
bereich! dad Schtdfalz und Notkwendtgiett,“ 
die e Ältefte der Gottheiten,’ iſt mädtiger; "ald die 

Nee Platons Ibeen warb biefe von der 
en und dem Ueberfluß in den 
Gaͤrten Jupiters geboren: fie hat alſo die Na⸗ 
tur beider, und iſt immer ubhängie von ihren 
Eltern. 

glaube, es ieh nicht unangenehm Fern,” 
biefen doppelten: Spaziergang zu verfolgen/ zumal 
ung. Hett Hemſter huis mehr auf die Eine Seite 
angenehm geführt hat. Er hat ſich die andere für 
eine andere Abhandlung aufgefpart *), bie er noch 
* geſchrieben hat, oder ich noch nicht gefeben, 
6 A — d 

Daß Liebe die Wefen vereinis e, und daß one 

Schnfuht, alles Verlangen nur nach diefer 
Veretntgung,' als nach dert 'einjigmöglichen , 
Sehuß abpettennter Beten, frebe, dieß 
hat amfer Autor Wit ſo · ausgeſuchten Bei ſpleken er⸗ 
wleſen, daß eine ju relche Nachleſe ber nur 
unnuͤtzer Ueberfluß waͤre. Jede Begierde —* ſinn⸗ 
4 md geiftigem Genuß, alled Verlangen der 
Freudſchaft und Liebe duͤrſtet nach Vereinigung mit 
dein: —— weil es in ihm einen nenen ABER“ 

Eher ekgenen Wirklichkeit vorem ſindet 

Die Bote hat C weiſe und gut gemacht ‚di 


‚ra 


, 





* c ns 


9 Hemkeräuis bermitchte poſloſepbiſch⸗ Sariften 
29. 1. 6. 108. 


X 
vwen uverr Haſ vn nicht in uns, ſondern nur durch 
Ranttionratsichie in eluem Gegenſtande aufer 
und: fühlen Felle. nach dem, wir alte, ftreben, für 
den wir leben/ an dem wir doppelt und vieifach 
Din Mengfeanziehender Gegenftände,. bie: bie. 
Nabıraunzung leate, find: alfo, von ihr⸗ in ſo man 
cherlei Entfernungen gefeht, und mit ſo ver⸗ 
ſcaiſderes Hraden-und Arten der Unpiehunggs. 
kreft pegehet, daß eben hlerdurch ein reiches, and, 
— Saitenſpiel der Empfindungen von — 
Zonen ap Modls in ung mögihhwarde md nfer 
Mind Leben gleichkam. cine. -D.a re ukka Dre 
Volesgenc, dag, Runfgebiiäe, einer, Immer, 2 cha. 
nen. unerfärklien, ewigen. Sehafuäks 
Der. grobe ſuanliche Genuß ver mandeht da, 
fi und zerſtoͤrt den Gegenſtand, nach bemi wir: 
begehifen.: Er.if;alig ig hhastz denn her figet 
vouigt· Vereinigung Aast;;- alleiuneg. Ik au ıgrpbe 
URAONEÄÄR xge hae a da Ergibt Menfhen dien 
den Benuß, anr auf der Zunge ‚haben, (daher aud 
im ger RReben, dad: Wort Geniehen, ‚inefz 
freu ia-dlofem Sinn gebraucht wird;) der Genuß, 
Mrhler. Vereinigung, d. I. Auföfung-ber.felus, 
flag, Säfte,,, er iſt aber auch eben, Damit geendete 
denn aug aſt der Gegenſtand werfclungen „jerfköxet,, 
vaßan, if alſo auch hler der feinfte, Genuß 
VON» DRAHT; der Appellt nach einer 
Tat iſt —— als die Frucht ſelbſt; dag, 
Auge macht die Zunge am lieblichſten Lüftern, oder » 
wie Lukrez von einem andern Sinne fagt: 
— voluptateni praesagit multa copigg — — 


' "301 Zr 
YO mit dem Genuß der Witte, ia TERBTE Wer 
KEne.Wir ziehen fie’in uns, wir'tiihten: den 
"Strom ihrer Wolluſt mit langen Fügen: "unbe 

dan Tagen wir, dab wir Mufit genke ßen, wein 
fie unſer Herz zerſchmelzt, wenn flemit dem innern 
" Saltenfplel unſerer Enpfindungen Eins wird. Der 
Etthm des Wohllauts, fo fein’ er'fep wird indeß 
“and verfhlungen; er dauerketida nur! Inden 
Harmoniſchen Wirkungen, In den angenehmen VBi⸗ 
bratlonen fort, ble er anf uns machte. — 
geiſtiger der Genuß if, deſto dauernder 
ieh. er, deſto mehr iſt auch ſein Gegenſland außer 
uns dauerad. Laſſet uns aber auch immer da⸗ 
„hen, deſtorſchwaͤcher iſt er: denn ein Ge⸗ 
genſtand ſt und bleibt außer uns, und Tann. Ps 
»genslich nur im: Bilde d. i. wenig · oder.gar nicht, 
mit und Eins werden. Das Auge wird zu ſe⸗ 
‚en aimmer fatt: denn. wie wenig erhält das Herz 
nim Sehen! wie wenig Tann.und zum innigſten Ge⸗ 
miß ber bloße Lichtſtrahl geben! Was ber lateiniſche 
Dichter vom: unvolllommenen Benuß ber Liebenden 
:fagt „ gilt: auch hier: - 
EB Are praeker imufatra Aderiäum I 
. WE BIbere Id Wi WIE Cu guaafit ei’ Frarkdr 
Apn datue  ardoreiaiw nrenibrie qui Sörniguere possit, 
: Sed-latitam simulacra potit frustraque laborat, 
:  Ia ansdioque sitit torzenli Aumine potans. 
nnd ih’ Der. chkt ſcheinen bieres atich die Vittnoſen 
dftſes Organs, "die das Geſicht bie zur Wolluſt des 
PVenüſex austzebitdet haven, zu fühlen. "te fus 
den ſte das Bild vor ihnen zu beleben! Einem je 


. 802 


den Druck des Lichts und des Schattens, ber Farbe, 
der. Bildung, ber Geberde tappen fie nad, daß, 
wenn fie Künftier find, fie den Geiſt des Urhebers, 
und wenn fie in den Gegenftänden felbjt leben, diefe, 
. ob es gleich nur Erfcheinungen find, etwa hervor- 
. fühlen, beraustappen möchten; wo abermals alfo 
‚der Genuß nur duch einen Wahn von Vereinigung 
- Statt hat. Schwacher, aber gädliher Wahn! Das 
Auge zerftört das Weſen bes geliebten Gegenftandes 
nicht, eben weil es denfelben nicht In fih hinüber 
zu ziehen, vermag. Dünft biefer nun dem Ge⸗ 
täufhten ein Quell unerfhöpfliher Reize: wohl 
ihm, dem Gluͤcklichbetrogenen, der fein yenteßet! 
Er schöpft immer, und fhöpft nie aus, weil er nie 
ganz und innig fchöpfen konnte: bie gelichten Bilder 
fliehen vor ihm und bleiben Ihm doch gegenwärtig: 
er lebt vom füßen Traum des fichtbaren geiftigen 
Wahnes. 

Unvermerkt kommen wir auf die dem Scheine 
nach danerndſte, aber auch fuͤr unſere Sterblichkeit 
am wenigſten befriedigende Art des Genuſſes, den 
Ideen-Genuß koͤrperlicher Schönheit, oder, wie 
es die Schwaͤrmer nennen, ben Genuß platoni- 
ſcher Liebe. Platd gibt zu Ihr feinen ‚Namen 
unrecht hers denn er redet von gelfligen Ideen, die 
mit dem Gelfte genoflen werden müfen, ımd je 
auch nicht anders genoſſen werben koͤnnen; nicht 
aber von einer wahnfiunigen Vergeiſtungs der 
‚Körper, aus ber oft eine nur zu grobe Verkoͤrperung 

. wird. Daß biefer Genuß nicht geiftig fey, ſehen 
. wie daraus, weil er den Körper zerftört, und dem 
Geiſt nicht befriedigt: er fündigt am Nervenfaft, 











., 803 


wie die zu grobe Liebe an Fleiſch und Blut ſuͤndiat; 
und zeigfalfo eben Jamit, daß er dein wahrer Ge⸗ 
“anf; feine 'gfütlihe Beſchauung der Art ſey, wo 
der geflebte Gegenftand mit uns Eine wird. Wie 
kann, was Körper iſt, mit dem reinen Geiſt Eins 
werden? zwei Dinge , bis eigentlich nichts mit efn= 
ander gemein haben, und nur burd eine Art frei- 
vwilliger Trunkenheit, wie die Griechen dichteten, 
unprünglich vermifht werben‘ konnten. Geiftige 
Eigenſchaften und Gegenftände Tann der. Geift ges 
„legen; Ihre Vereinigung mit ihm iſt rein und fo- 
niblg, als jener alte Hymnus Gott fprechen läßt: 
Altes iſt mein, denn Ih habe es in mir! 
ehr Befisthum und efn Genuß, deffen die Seele 
‚nur bei den reinften Gegenftänden fähig iſt. De 
 flegt und Yofiet fie als ein fchöner Schmetterling, 
der def feinem Genuß der Blume nicht ſchadet: wo 
‚Se als Raupe genieht, zerfrißt fle leider Blätter 
yes nnnt 
Wir fangen alſo yon den wahreren Gattungen 
des geiftigen Verlangens, der Fre undſchaft 
md Liebe zu reden an, und ich hole, mac dem, 
was Hemſterhuis ron Ihnen gefagt hat, nur 
wenige Zuge 17 
Ddas Wh ber Alten von der Freundſchaft, 
indie,beiden in. einander gefhlungenen 
Bänder fhelnen mir. das befte Siunbild Ihrer 
‘"Wereiuläung, Ihres Zweckes und Genuffes zu ſeyn; 
„beheptender, ais die zwei „gleihgeftimmten 
Gaftenfplele.” Dieſe drüden nichts aus als 
at die lange noch nicht Freund⸗ 
{haft ift. En geſelliger Menſch iſt leicht⸗ und 


214 


804 
Wöhlgeftinrint, "er ſtimmt in ſelbſt feld: in jeder 
"Sefenfhaft, und fo ftimimt. ſich auch bleſs Iefht zu 
ihm. Er drüct niemand mit ſelnem Dafenn, er 
verengt leinen; und fo iſt jedermaun gern um ihn: 
"man! If auch auf einen gewiſſen Brad mit ihm ver⸗ 
ttalit, pril man fuͤhlt, der Manſch "habe nichts 
Arges. Chataktere der Art find zum foͤgllchen 
gang gut: Aber Freundfhaft — welch ein Agde⸗ 
tes, heillges Band iſt dieſe! Herzen und Haͤnde 
"Intoft ſſe zu Einem. gemeinfhaftlihen 
Boede zufaiiten, und wo dieſer Zweck aulgen- 
terug, wo er fortwährend, anitren 
‚gend, Teldf unter oder Hinter Gefahren 
vorllegt: da iſt das Band der Freundfchaft oft fo 
genau, feſt und Herzlich, daß nichts ald der Tod es 
"zu ‚trennen, vermachte. . Der Phalanı griechiſcher 
Freunde iin Kriege, die alle wie Bene: fiesten ober 
ftatben‘; ‘jene Helen Bwillingsgeitirne, der 
Freundſchaft, bie unter ale tionen, Hebraͤern 
und Sriehen, Schthen und Wilden aus der Nacht 
der Seiten hetvotglaͤnzen und dem menſchlichen Her⸗ 
zen ſo woͤhlthun, wodurch waren fie Freunde? Ein 
gemeinſchaftlicher Zweck verband fie: Gekahr zog 
‚den Knoten zuſammen: erprobte Iren, Toflgchen: 
der wachfeader Eifer," glörgeihe Mübe,, demefn: 
ſcheftlicher LRenuß der Muͤhe, Noth und Tod enbllch 
machten dem Knoten unaufloͤglich. Wie wahr ie, 
was "jener Fremd von ſeinem Freunde, nger: 
‚beine Liebe war mir mehr ald frauen 
liebe! Die Schöpfung Fennt nichts Eblered, ale 
wei freiwillig: und unauffsstic zufammengefchlune 
gene Hände, zwei freiwillig Einsgeworbene Herzen 
2 und 


7 
_ 603 


und Leben. Gleichviel ob diefe beiden Hände maͤnn⸗ 
U ober, weiblih oder beiderlei Geſchlechts find: 
es iſt ein ftolges, aber ungereimtes Vorurtheil ber 
Männer, daß nut fie zur Freunbfchaft taugen. Oft 
ift ein Weib zu ihr zarten, treuer, fefter und gold⸗ 
teiner, als eine Reihe ſchwacher, fuͤhlloſer, unrei⸗ 
ner Männerfeelen; und wo Untreue, Eitelkeit, Ri⸗ 
valltät, Leichtſinn ſtatt findet, da iſt Freundfchaft 
für. beide Geſchlechter unmöglih. Auch Ehe fol 
Freundſchaft ſeyn: und wehe, wo ſie's nicht iſt, wo 
fie nur Liebe und Appetit feyn wollte! Es iſt einem 
edeln Weibe ſuͤß, auch um ihres Mannes willen zu 
leiden, gefchweige ſich mit Ihm zu freuen, und er 
ſich in ihr, fie fih In ihm wirkſam, fröhlich, 
donett, geſchaͤtzt und glüdlich zu fühlen. Die ge- 
meinfhaftliche Erziehung der Kinder iſt der fchöne 
leitende Zweck ihrer Freundſchaft, der noch im 
staunen Alter beide ſuͤß belohnet. Als zwei ver- 
ſchlungene Bäume ftehen fie da, und. werden da⸗ 
ſtehn, umringt vom Kranze jugendlich-grünender 
Bäume und Zweige. — Ueberhaupt iſt ein ge- R 
meinfhaftlihes Leben bad Mark ber wah- 
ten Freundſchaft: Aufſchluß und Theilung 
der Herzen, innige Freude an einander, gemein⸗ 
ſchaftliches Leid miteinander, Rath, Troft, Bes 
muͤhung, Hälfe für einander find ihre Kenn: 
sehen, ihre Süßigkeiten und Innere Belohnung. 
Was für zarte Geheimniffe gibt's in der Freund: 
ſchaft! Delitateffen, als ob die Seele fid in des 
Andern Seele unmittelbar fühle, und vorahnend 
feine Gedanken fo richtig erkenne, als ob's Ihre 
eigenen Gebanfen wären. Und gewiß, die Seele 
Ferderd Merke 3. Phileſ. u. Eeſch. IX. 28 


806 


hat zumellen Macht, fie fo zu zeichnen, fo tn bes“ 


andren Herz unmittelbar und iunig zu. wohnen.‘ 
Es gibt Augenblicke der Sympathie auch in Gedau⸗ 


ten‘, ohne die mindeſte äußere Veranlaſſung, die 


zwar die Pfychologle nicht erkllaͤtt, aber die Erfahs 


zung lehrt und’ bekräftigt. Cs. gibt‘ Erbmerungen⸗ 


. 


auch ferne Erinnerungen. abwefender Freumde am 


einander, die oft von der wunderbarſten, mähtlg- 


ſten Art find. Wem überhaupt die Seele je die 


geheime Kraft hätte, ohne Organ unmittelbar in 
eine andere Seele zu wirken: wo koͤnnte es natut⸗ 

licher ſeyn, als bei der Freundſchaft? Diefe iſt reis 

ner und alſo gewiß auch maͤchtiger als bie Lieber’. 
denn wenn die Liebe ſich zur Stärke und’ Dauer einer 
Ewigkeit erheben win; muß. fie erft, von ber groben 
Sinnlichtelt geläutert, achte und wahre Frenndſchaft 
werben. Wie felten gelangt fie dahin! Sie zer 
ſtoͤrt ſich ſelbſt, oder zerſtoͤrt Ihren Gegenftund mit 
ducchbringenden frefenden Flammen, und beide, 
das Liebende und das Gellebte, Iiegen ſodann wie. " 


ein Haͤufchen Aſche da. Aber die Gtutt) der Freunde 


{haft iſt reine erquickende Menſchenwaͤrne. Die 


beiden Flammen auf einem. Altar ſpielen in einan⸗ 


der, heben und fragen frohlockend einander, und oft 


noch in der Stunde‘ der traurigen Schelbung ſchwe⸗ 
ben ſie froͤhllch und einig Ins Land der reinſten Ver⸗ 
eintgung, ber treueſten, untrennbaren Freundſchaft 


ſiegend empor. 


Der Leſer verzelhe die Ausfuͤhrlichkelt, womit 
ih dieſen Punkt behandle. Da ich Ihm für die 


wahre, einzige und ſchoͤnſte Seelenverettigung, alſo 
auch für den edeiften und füßeften Genuß "Halte, 


N f 


507 s 
deiien bie Menſchheit fähig iſt, dem auch feibft die 
Aebe dienet: da es fo verfchledene Grade der Freund- 
ſchaft gibt vom ber. leichten Geſelligkeit bis zur er⸗ 
babeniten, -ftillften, dauernditen Aufopferung,. die 
freilich nur fehr auserlefenen Seelen unter ſehr felt- 
nen Umſtaͤnden und Verbindungen, aber auch fol- 
chen als das höchfte Privilenium,. als der aͤchte Vor⸗ 
ſchmack einer kuͤnftlgen hoͤhern Exiſtenz zu. Theil. 
warb; kurz, da in ber Freundſchaft eine Vereini⸗ 
sung, faſt ohne Organe, rein, ganz, thaͤtig und 
immerwachſend ſtatt bat: fo iſt ſie, duͤnkt mic, 
auch der hoͤchſte Punkt alles Verlangens, und ge⸗ 
tade in ber groͤßeſten Auſtrengung und Bedruͤckung 
wird fie das reinjte Gluͤck der Erde. Hier wirkt" 
der wahre Magnetismus menfhlicher Seelen, und 
wir wiſſen, der Magnet zieht am meiſten, wenn er 
geuͤbt wird. Ungeuͤbt liegt er todt da; ohne Zu⸗ 
verſicht uund ſchwer erprobte Treue iſt Feine Freund⸗ 
ſchaft, keine Verwechſelung der Herzen möglich.- 


Aber die Natir ſah, daß dieſe reine himmti⸗ 
ide‘ Flamme für und auf Erden meiſtens zu fein 
waͤre: ſie kleidete alſo In irdiſche, ſinaliche Reize, 
und; arm erſchlen Venus Urania als — Aphrodite. 
Liebe ſoll uns zur Freundſchaft laden, Liebe ſoll 
ſelbſt die innigſte Freundſchaft werden. 


Den hoͤchſten Grad ihrer Entzuͤckung ſuche ich 
nicht da, wo, wie ‚Here Hemſterhnis fagt, uns die 
Natur. mit einem Augenblick irdiſcher Vereinigung 
taͤuſcht (ein Augenblick, der fih ringsum In Lauter 
Beduͤrfniß verlieret), fondern in dem erſten glüdli- 
chen Finden, in dem uͤber alle Beſchreibung ſuͤßen 


508 


Augenblick, da beide Gellebte gewahr werden, daß 
fie fi lieben, und es nun, wie unvolllommen und 
unwillkuͤrlich es fey, fo gewiß, füß und übereinftim- 
mend einander fagen. Warum muß ich das Wort 
gebrauchen: Tagen? Das arme Wort! Was 
Tann in biefem Augenblick die todte Zunge, bie lech⸗ 
zende Sprache fagen, wo felbft der feelenvolle feu- 
ige Blick feine Flügel nieberfchlägt und feinen 


EGlanz verhüfet. Wenn es einen Augenblick himm⸗ 


Aiſcher Wolluſt und reiner Vereinigung verkörperter 
Weſen bier auf Erben gibt, fo iſt's biefer; «alles 
‚ganz andrer Net, ald was und ber barbende Genuß 


erlaubet. Ich weiß nicht, welche Mythologie ir⸗ 
‚gend eines aflattfhen Volks Ihre Zeiträume bes 


hoͤchſten Alterthums fo eintheilt, daß die Menſchen 
‚(damals noch paradieſiſche Geiſter) ſich Jahrtauſende 
zuerſt durch Blicke, nachher durch einen Kuß, durch 
eine bloße Beruͤhrung geliebt haͤtten, bls ſie in 
langen Zeitraͤnmen endlich zu den niedrigen Arten 
des Genuſſes allmaͤlig hinabgeſunken waͤren. Der 
Augenblick jenes geiſtigen Erkennens, jenes Ver⸗ 
raths der Seele durch einen Blick ſetzt ung gleichſam 
in dieſe Zeit zuruͤck, und mit ihr in die Freuden des 
Paradieſes. In ihm genießen wir zuruͤcke m⸗ 
pfindend, was wie fo lange fuchten, und une 
felbft nicht zu ſagen wagten: in ihm genießen wir 
sprempfindend alle Freuden der Zukunft, nicht 
‚ahnend, fondern habend, ia wenn man fo fagen darf, 
‚mehr ald habend. Die Zukunft Tann Immer nur 
‚entwideln, ſelten binzuthun; und oft thut fie ab, 
fie vermindert den Wahn bes Genuffes bei jedem 
Genuſſe. Jener Augenblick iſt der, da Pſyche den 





509 
Gott der Liebe erblickt, den fle fo lang verſchlelert 
liebte: ach warum, Ungluͤckliche, ließeſt du deu Fun⸗ 
fen fallen? und endeteft damit auf fo lange, lange: 
Zeit alle beine Freuden! — . 


Es ift gewiß, daß die Seelen, bie zur treue= 
fien, reinften, edelſten Liebe geſchaffen find, ſich 
vor dieſem Augenblick des Verraths, als vor ihrem 
aͤrgſten Feinde fuͤrchten, und mit ihm aufs Bloͤdeſte 
zoͤgern. Das weibliche Geſchlecht, das die Liebe 
überhaupt zarter, als das unfere, behanbdelt, fühlt, 
wie viel die Flamme berfelben mit iedem Genuß 
verliere, wie fie, ber Natur aller andern Flammen: 
zuwider, erftidt, wenn fie ausbricht, und durch jede 
Aeußerung ihre Innere Kraft und Seligkeit ſchwaͤcht. 
Keuſch und heilig ſucht's alfo das Geheimniß felbft 
im Herzen des Liebenden zu bewahren, fobald es 
befieiben gewiß tft; und nichts macht ſich gewiſſer 
als dieſes. Das Geheimniß wird gleichfam ent- 
weiht, wenn es nur bie Lippen berührt : es erftirbt: 
anf gewiffe Weiſe ſchon im erften Kuffe, im erften: 
Seufzer. Aber da wir einmal Körper find, fo ver: 
tert Pſyche freilich, wie bie alte Fabel lautet, Ihre 
bimmlifchen Fittige, fobald fie zur Materie herab= 
fintt. Iſt es Wunder, daß fie fih fo lange, und 
mit fo vieler Mühe noch täufhen will, daß fie nicht 
den Körper, ſondern nur das, was ihrer Natur ft, 
die Seele des Seltebten liebe? gleich als ob fie ſich 
Ihrer Ernledrigung ſchaͤmte, und bie kurze Dauer 
des Genufles, den fie fucht, prophezeihte. Wie 
verhuͤllet fie fih alfo dieſen! fie fuchet auch im Kuß 
nur Wereinigung ber Seele, wie es das unten au= 


⸗ 


‚910 


e Gedicht *) gleichſam ganz Uebeathmend 
get. Große Stellen im vierten Buch. Lukrez 
, ſchuͤdern dieß Streben, dieß eitle, immer unbefrie⸗ 

digte Streben nach Vereinigung der Weſen ſo ſtark, 
ſo philoſophiſch und kraͤftig, als ob Lukrez fuͤr das 
Spyſtem ınaferd- Autors, oder dieſer ſein Syſtem des 
Genuſſes und der Lebe aus ihm gefchrieben haͤtte. 
— luͤcklich, daß die Natur biefen kurzen truͤgen⸗ 
den Wahneder innigſten Vereinigung von Seiten des 
Geiſtes mit Sreundichaft-paerte, und von: Sei⸗ 
ten bes: Körpers mit: dem elektriſchen Funlen ihrer 
Mluimacht begluͤckkte, darch den aus einer und wmebe- 
groiflichen Verbindung zweier. Weſen ein Drittes 
wird, gleichſam ein Geſchoͤpf der Liebe, des Ver⸗ 


*) Dum semihulco suario 
Meum puellam ‚suarior, 
Dulcomque florem spinitus 
Duco ex aperlo tramite; 


Animula aegra et saucia 
Cucurrit ad labias .mihi, 
Orisque rictum perrium 
Et labra pueri meollia, 

. Rimata. itineri transitus, 
. Ve transiliret, nititur. 


Tum si. morae quid piusoulae 
Fuisset in coetu osculi, 
Amoris igni percita 
Transisset et me linqueret, 
Et mira prorsum res foret, 
: Dt 'ad me fierem mortuus, 
"Ad. puerum at. intus viverem. 

Aul. Gell. I, XIX. Gap. IX. 


‚3all — 


langens und ber unvollendeten Sehnſucht. Die 
feuntige Kette ſchlingt ſich alſo weiter: zwiſchen ber 
Dürftigkeit und dem Ueberfluß wird an ihr ein neues 
Slleb aefnäpft, in dem ber Funke des Verlangens 
‚welter jünde, Ueberhaupt bemerke ich allgemein, 
daß der Schöpfer feinen Grad yon Vereinigung ber 
Weſen in feiner Natur ohne Frucht lleß. Der erfte 
‚Brad von finnlihem Genuß, nach dem auch ſchon 
das Kind fauget, gibt ung Lebendfaft: er be 
teitet ung ein Ebleres aus einer fhlechtern Ma⸗ 
terie. Se feiner dad Organ wird, befto gef- 
ftiger find die Kinder feines Empfängniffess 
"Düfte fiärken und erquiden die Seele: Mufit 
tröftet und labt das Herz mit himmliſchem Tranke. 
‚De Biber, 
— — Simulacra, pabula amoris 
führen dem Geiſt särtere Gedanken. zu, als 
Ihe Materielles ſelbſt iſt; und endlih Freund⸗ 
ſchaft und Liebe, jene die Ehe der Geiſter, dieſe 
der Körper, bringen uns einen Becher des Genuſſes 
mit den ſchoͤnſten Früchten bekraͤnzt. Freund⸗ 
Ichaft erweckt edle Empfindungen, Veſtrebungen, 
Thaten! Liebe, wie. die goͤttliche Fruͤhlingsſonne, 
belebt den zarten, muͤtterlichen Weinftod mit Laub 
amd Früchten. Die Schöpfungstraft des ers 
ſten Urhebers iſt in ſie geleget. 
Auch ſcheint's, daß die Natur Sorge getragen 
habe, den kutzen flächtigen Genuß ber Liebe mit ei⸗ 
er Gabe zu erſetzen und. zu belohnen, bie. fie un⸗ 
wittelbar aus Ihrem Schoofe nahm, ja in der auch 
das geringfte lebendige Sefchöpf eines Funkens der 
Gottheit gewürbigt. werben. follte: es if bie El⸗ 


312 
ternzärtiichkeit, bie väterlihe und mät- 
terliche Liebe. Ste. ift göttlich, denn fie ik 
unelgennäßig und febhr oft ohne Dank. Sie iſt 
himmliſch, denn fie kann fi auch in viele zer⸗ 
theilen, und bleibt immer ganz, Immer ungetheilt 
und neidlos. Endlich iſt fie auch ewig und un: 
endlich, denn fie überwindet Liebe und Tod. Mb: 
ſcheulich tft die Mutter, die ihrem Kinde de Lieb: 
haber vorzieht: ſelbſt Thiere beichämen fie, die 
freudig für Ihre Zungen ſtarben. Unter allen 
Schmerzen bes Todes fchmeichelten und liebkoſeten 
fie denen, die man graufam aus Ihrem Leibe riß; 
und ‚für jede thieriſche Mutter gibt's Fein füßeres 
Geſchaͤft, als ihre Jungen zu ſaͤngen. Mütterlice 
Zärtlichkeit war das Pfand ber Liebe, womit die 
Natur, gleihfam ans ihrem Herzen, die Schmerzen 
ber Mutter belohnte. Nichte geht über die Augſt, 
womit bie Mutter ein verlornes Kind fucht, und 
nichts über die Freude, womit fie's nad langem 
Suchen, nach vieljähriger Entfernung, wieder fin- 
det, und wie neugeboren umarmet., Das Verlan⸗ 
gen der Mutter nach Kindern fft_ bie fchönfte Sehn- 
fucht, die im Gürtel der Liebe Iag, ja aus der, bet 
allen reinen Weibesherzen, er eigentlich ganz ge- 
webt fcheinet. Sie find die Priefterinnen am hei⸗ 
ligen Keuer der Veſta; und wehe dem verackteten 
Geſchoͤpf, das ſtatt diefer Flamme von einer andern 
glühet! Nur die Spike feines Pfelld hat Amor 
mit Verlangen gefalbet; *) unglädlih, wenn der 
ganze Pfeil davon glüher. 





*) Koıcas EIPUHTOYy 0150Y LUEOQ. Euripid. 











15 


Su wen Tann ich von ber zärtlichen, göttlichen, 
ewigen Elternzaͤrtlichkeit binaufftelgen, als zu bir, 
große allgemeine Mutter, zärtlicher höchfter Water! 

„Meine Sprache hat Fein Wort, die Empfindung zu 

nennen, mit ber du dich in jedes Geſchoͤpf, in je⸗ 
den Nerv und Winfel eines fchlagenden Herzens 
feßteft, und jedem berfelben feinen für andere un⸗ 
überfehbaren, unerklaͤrlichen, unfühlbaren Genuß 
gabeſt. Deine ganze Schöpfung iſt ein Gewebe, 
das die Macht aus dem Nichts hervorzog, die 
Weisheit einfhlug, und dem bie Liebe ihre 
tanfendgeftaltigen finn- und liebreichen Figuren ein⸗ 
webte. Wer follte dich alfo nicht lieben, da jedes 
Geſchoͤpf nur zu bir ziehet, zu bie welfet? und 
wer kann's, wie er follte,. dba er im Meer beiner 
Gedanken und vorgefühlten Empfindungen unter= 
seht, und auch nur über ſich felbft in die tieffte 
Tiefe finfet? Du Haft das Schickſal aller Eltern, 
daß fie mehr Iieben als gellebt werden; aber du 
baft vor allen das voraus, daß du die Sehnfucht 
nach dir in mir felbft erfchaffen Haft, und mich an 
Banden des Erfenntniffes und der Liebe dir immer 
näher zuführen Fannfl. Mein ganzes Herz fagt 
mir's, du werdeſt und müffeft es thun: denn das 
kleinſte Fünfchen Erkenntniß und Liebe in mir iſt ia 
nur ein Abglanz der unendlichen Flamme deines 
Herzens. Du mußt mich alfo tanfendfach Inniger 
erfennen, nennen, fuchen und lieben, als ich dich 
nennen und fuchen kann; und biefer ewige Bug dei⸗ 
nes Herzens zu dem meinen fft mir ein eingepflanz- 
ter Bürge meiner unfterblihen Neigung zu bir, 
und des immer wachlenden Genuffes deiner. 


‚314 
‚Aber wie wird bee Ewige genoffen? durch An: 


ſchauung? oder durch Empfindung? Unſer Autor hat 
eine. harte Bemerkung uͤber die Schwärmer ‚ges 


macht, *) die, recht geprüft, Leider nur zu wahr 
ſeyn möchte. Es iſt die allgemeine Erfahrung, af 
in alle Schwärmerelen Weiber yerwidelt gewefen; 


oft wurden die Männer nur angeſteckt durch Weiber, 


‚ die fie, wie es hieß, nen gebaren. Deus Min 


‚nern waren fie alfo gleichſam Mittlerinnen ber Gott: 
heit; und wie fie fi bie Gottheit, Infonderheit 
den menſchlichen Sott dachten, und ihn empfanben, 
davon liegen ja fo viele Schriften und. Briefe 
‚ber Welt vor. Augen. Die Ohnmacht, die bie 
Heilige Therefla vor dem Altar fühlte, als der 
bimmlifhe Amor Ihe Herz berührte, Konnte, 
wenn fie in dieſem Augenblick nur Törperlich be: 
trachtet würde, ſchwerlich von einer anderen Art 
ſeyn, als bie jede Ohnmacht von Liebe hat: denn 
in den Säften bes Körpers Ift Liebe und Liche.an 
‚Wirkungen .gleih, wer auch ber Gegenſtand feyn 
möge. . Bel allen Gefühlen biefer Gattung iſt alfo 
auch dem unſchuldigſten Herzen die größefte Behut⸗ 
famteit nöthig; ſelbſt Im Steom der göttlichen Xfebe 
bleibt's immer nur ein menfhlihes Her. Alle 
‚Mittlerinnen, .und wenn es bie - Mutter Gottes 
felbft wäre, ‚find. gefährlich: fo wie dem weiblichen 
Herzen alle irbifhen, und (zu finnlich empfunben) 
ſelbſt dee himmliſche Meittler es feyn Tann. Bon 
ganzer Seele, von allen ihren Kräften will Gott 
geliebet feyn, nicht aber vom gährenden Nervenfaft 
in einem Eranfen eplleptifchen Körper. 


”) Semfterhuis philoſ. Schriften, Th. 1: & B8. 


315 


Wir kommen von, felbft auf die Grenzen, bie 
unferer Liebe und Sehnſucht ‚hienteden bei jedem 
Genuß gefekt Mind; und es find nicht Bloß, mie 
Herr Hemſterhuls zu meinen fcheint, unfere Or⸗ 

‚gane, Tondern, wie er zuletzt ſelbſt findet, unfer 
ifolirtes einzelnes Dafeyn. Er vergleicht 
bie Eigenfchaft der Seele, bie. fih dem Zuſammen⸗ 
ftrömen mit anderen MWefen widerfeßt, der Kraft 
ber Traͤgheit Inder Materie; und allerdings 
muß diefe Kraft der Trägheit viel was anderes und 
mehr fepn, als ber große Trupp mechanifcher Phi⸗ 
fofophen von ihr weiß oder ausſagt. . Schon .bie 
beiden Worte, Kraft und Traͤghelt paſſen fo 
zufammen, wie Bewegung und liegender Grund 
In dem Wort „Bewegungsgrände.” Auch 
Leibnis und alle befferen Denker haben über ben 
inneren. Suftand der Materie Vermuthungen ge= 
wagt, denen ich in ben verfprochenen. Anmerfungen 
des Hen. Hemfterhuis gern einen angenehmen Zu⸗ 
wachs wünfhe. Vor jeßt laſſen wir. dieſe Aehnlich⸗ 
keit auf ſich beruhen, und ſehen die Grenzen, die 


dem Verlangen unſerer Seele geſetzt ſind, durch 


ihre Natur ſelbſt. 

Wir ſind einzelne Weſen, und muͤſſen es 
ſeyn, wenn wir nicht den Grund alles Genuſſes, 
unſer eigenes Bewußtſeyn, uͤber dem Gemuß 
aufgeben, und uns ſelbſt verlieren wollen, um 
uns in einem anderen Weſen, das doch nie wir 
ſelbſt ſind und werden kann, wieder zu finden. 
Selbſt wen ich mich, wie es der Myſticismus will, 
in Gott verloͤre, und ich verloͤre mich in ihm, ohne 
weiteres Gefuͤhl und Bewußtſeyn meiner: ſo ge⸗ 


8 


— 


316 


nöffe Ich nicht mehr; die Gottheit Hätte mich ver- 
ſchlungen, und genöffe ftatt meiner. Wie gut Bat 
es alfo die Vorfehung gemacht, daß fie das Saiten: 
fpiel unferer Empfindungen nur nah und nach, in 
ſehr verfhledenen Klängen und. Arten weder, daß 
fie unfere Sehnſucht jetzt auffordert, jetzt einfehräutt, 
unfer Verlangen hier thätig, dort leidend übet, 
überall aber, auch nach dem füßeften Genuß, uns 
auf unfer armes Ich zurädwirft, fagend gleichſam: 
Du bift doch ein eingefchränftes, einzelnes Geſchoͤpf! 
Du dürfteft nach Vollkommenheit, aber du haft fie 
nicht! Verſchmachte nicht am Brunnen diefes ein- 
zelnen Genuſſes, fondern raffe dich auf und ftrebe 
weiter.’ Laffet ung dieſes in einigen auffallenden 
Proben und Belfpielen fehen.- 

Aller räuberifhe Senuß, der den Gegenftand 
verwäftet, iſt uns bloß als Beduͤrfniß von der 
Hand der Nothwendigkeit gegeben: er reibet 
fich felbft auf und erſtirbt in fih. Der Menſch ift 
ein Tyrann des Weltalld; aber wie bald ft auch 
diefer Eleine Tyrann, wenn er in den Grenzen der 
Natur bleiben will, vom Raube gefättigt! Jeder 
finnlihe Genuß iſt eigentlich nur ein mildgemad- 
tes Beduͤrfniß; wo die Zerfiörung bed Gegen: 
feitigen aufhört, fängt erft ein freierer, fchönerer 
Genuß, ein fröhiihes Nebeneinandberfeyn 
vieler Sefhöpfe an, die fih wech ſelſe itig einan⸗ 
der fuchen und lieben. Ein Tyrann, der alles allein 
feyn, der alles verfchlingen will, wie Saturn felne 
Kinder, ft weder zur Sreundfehaft, noch zur Liebe, 
felbft nicht einmal zur Vaterzaͤrtlichkeit faͤhig. Er 
druͤckt und unterbrädt neben ihm kann nichte wach- 


317 


ſen, geſchweige, daß es mit ihm zuſammen wach 
zu Einer gemeinſchaftlichen Krone. 

Sobald mehrere Geſchoͤpfe milde neben einandı 
find, und fi einander wechfelfeitig genteßen wollen 
fo folgt, daß keins auf den alleinigen, alfo au 
nicht auf den hoͤchſten Genuß qusgehen muͤſſe 
oder es zerftärt um fih ber. Es muß geben un 
nehmen, leiden und thun, an ſich ziehen und fan’ 
ans ſich mitthellen. Dieß macht zwar allen Gen 
unvollſtaͤndig, es iſt aber der wahre Takt und Pulı 
ſchlag des Lebens, die Modulation und Hanı 
haltung bes Verlangend, der Liebe und alı 
Süßigkeiten der Sehnfucht. Hier gebe ich die fchön 
Weisheit der Natur zu bemerken, die alles in diefe 
Pulsſchlag Teidender und thätiger, gebender un 
empfangender Weſen, auch nad Gefchlechtern, Ar 
genbliden, Zeitumſtaͤnden, Lebensaltern, Situattı 
nen u. f. theilte, und gleihfam einwiegte. W 
dort zwei Lichter am Himmel, ſo hat Gott auf di 
Erbe zwei Geſchlechter gefchaffen, die im Schwung 
der Empfindungen fih einander das Gegengewic 
leiſten follen. Eins erfeßi dem andern, was de: 
an Zartheit, dieſem an Stärke abgeht, und i 
Meich der Liebe ift Zartheit mächtiger als Stärf 
Die Shwachhelt des Weibes erftattete und umhuͤ 
fete Gott mit Reigen. Wo er des Bebürfaiff: 
wegen von den Regeln der Wohlgeftalt abgeh: 
mußte: da fchlang er den Gürtel der Liebe um fi 
begabt mit dem Verlangen, das, wie jene Gi 
tinn faget, alle Stärfe überwindet. - Auch in d 
Freundfchaft ift Ein Theil Immer der thätige, 1 
andere mehr beinelfend und leidend: jener maͤr 


318 
lich, diefer weiblich; oft umgekehrt nach Geſchlech⸗ 
tern. Einklang tft in dieſer Che der. Seelen weder 
angenehm, noch nüplich, noch. möglich... Konfone: 
Töne muͤſſen es ſeyn, die die Melodie des Lebens. 
und-des Genufles geben, nicht un iſone; ſonſt ver⸗ 
liert ſich die Freundſchaft bald in bloße Geſellſchaft. 
Auch das wird hieraus offenbar, daß die Anzie- 
hungskraft eines einzelnen menſchlichen Seele 
fih ind Unendliche weber ausbreiten könne, noch 
ausbreiten. dürfe. Die Natur bat ſchmale Grenzen 
um jedes Einzelne gezogen; und es iſt der ger. 
faͤhrlichſte Traum, fi unumfchränft. zu denken, 
wenn. man eingeſchraͤnkt iſt, ſich Deſpot des Weltalls 
zu glauben, wenn man von nichts als einzelnen Al⸗ 
moſen lebet. Die. ganze Schöpfung: mit Liebe zu 
umfaſſen, klingt ſchoͤnz ‚aber. vom Einzelnen, dem 
aͤchſten, fängt man an: und wer dieß nicht tief, 
innig, ganz liebet: wie ſollte er, was entfernt iſt, 
was aus einem fremden Geſtirn nur ſchwache Strahe 
len. auf ihn herabwirft, Lieben Sinnen? — fo, daß 
es .auch nur. den Namen. der. 2iebe verdiente. Die. 
allgemeiuften Kosmopoliten find meiftens bie duͤrf⸗ 
tigſten Bettler: ſie, die das ganze Weltall mit. Liebe 
er lieben meiftend nichts als ihr enges 
Ich komme auf. den Umftandy da: Hr. H. bie. 
‚grlechifchen ‚Staaten mit den unfern vergleicht. *) 
und der- chriftlichen Religion den. Vorwurf zu ma⸗ 
hen ſcheint, daß fie durch gar zu viele Sorge fürs 
ewige Wohl-des Indlvidnums feine Anhaͤnglichkeit 





*) S. %. 97, _ 


319° 

and flͤchtlge Mohl einen zeitlichen Staates minbere: 
Det Vorwurf ſchlene nur dann gegründet, wenn 
die Sorge für die Ewigkeit der Sorge für bie Zeit 
entgegengefeht wäre, and ein gluͤckllcher Staat 
anders als aus. lauter glädlihen Inbdtvi- 
duen beftehen fünnte, Das erfte wird nur eine " 
ſehr übel verftandbene Pfaffenreligkon behaupten; : 
im zweiten Fall fann ja das Indiotbnum für nichts 
ala feine Wohlfahrt forgen, und uͤberlaͤßt's dem, 
ber die Mafchine (wie Hr. Hemſterhuis ſelbſt einen 
Staat nentt) eingerichtet hat, oder aufztedt, wie 
Gr fürs Ganze derfelben zu forgem Luft und Kraft‘ 
babe. Daß bie Gefengeber die chriſtliche Religion 
faft von jeher gemißbraudt, und mif ihren barba=' 
riſchen Feudal= und Nitterverfaffungen über gemiſcht 
haben, iſt in ber ganzen chriſtlichen Geſchichte 
ihreiend; daran dürfte aber nicht bie Religion 
Schuld Haben, fondern die groben Hände; die fie In 
biefen heterogenen politifhen Teig Ineten wollten. 
Rellglon tft, wie Hemſterhuis recht gefagt hat *), 
die freie Bezlehung jedes Tudivibuumg “ 
aufs hoͤchſte Werfen; die ihre mit dem Namen 
einer politiſchen Maſchine Ehre erzeigen wollten, 
haben ſie am melften entftellt und erntedrigt. 

Doch wieder zu unferem Segenftande! (denn 
auch dei Heren Hemfterhuls war diefes nur Paren⸗ 
thefe.) Die Natur fängt.immer vom Einzelnen 
an; und nur, wenn fie die Neigungen des Indivi⸗ 
duums In feinem Fleinen Kreife geordnet und befrte- 
bigt hat, Fettet fie mehrere an einander, und ord⸗ 


”) ©. .112. e 





J 


320 


net ihre Empfindungen zur gemeinſchaftlichen Gluͤk⸗ 
ſeligkeit. Aus glüdlihen Familien beſteht das 
Wohl des Staates; oder feine Gluͤckſeligkeit iſt 
eine Scheingröße. Nachdem in einem Menſchen 
finnlihe und gefftige Freuden, SFreundfchaft und 
Liebe, DBaterzärtlichlelt und eigene Tugend wohl- 
geordnet und wohlgepaart find, nachdem iſt er fir 
fih und andere gluͤcklich. Unmoͤglich kaͤnn er alfo 
wie Meeresfhleim mit allem zufammenfiießen, 
unmöglich alles in gleichem Grade lieben, Io- 
ben und gutheißen, oder jeden Staub in einen Son⸗ 
nenſtrahl verwandeln wollen, damit er doch and 
das Staubforn als einen Sonmnenftrahl liebe. Er 
fhadet damit dem Guten fo fehr als dem DBöfen, 
und verliert zuletzt ganz fein Urtheil und feinen 


Standpunkt. Wer nicht zurüdfioßen kann, Kann 


t 


auch nicht anziehen: beide Kräfte find nur Ein 
Pulsſchlag der Seele. 

So ſind wir in dieſem Weltall; und wie 
geht's auf unſerer ewigen Reiſe weiter hinauf? 
Schwerlich anders. Nur auf unſerem eigenen 
Daſeyn und Bewußtfeyn ruht die Eriften 
anderer, fo fern fie durch Liebe und Sehnfucht mit 
ung verknüpft find; verlören wir jene, fo hätten 
wir auch von dieſen einen Genuß mehr. Nothwen⸗ 
dig wird unfere Exiſtenz von Stufe zu Stufe immer 
freier und wirkender werben: unfer Genuß wird 
weniger verberben und zerftören: wir werben Immer 
mehr Freuden fchmeden lernen, indem wir geben 
und thun, als Indem wir nehmen und leiden. Indeſ⸗ 
fen fcheint das gegenfeitige Verhaͤltniß nie ganz auf: 
hoͤren zu können, das die Summe dieſes ganzen Gluͤcke 

macht 


521 
macht. Um zu geben, müflen immer Gegenſtaͤnde 
fepn, die da nehmen; um zu thun, andere, für die 
man thue; Freundſchaft und Liebe find nie möglich, 
als zwifhen gegenfeitigen freien, Fonfonen, aber - 
nicht unffonen, geſchweige identificirten Geſchoͤpfen. 
Und was endlich den Genuß Des hoͤchſten Weſens 
anbetrifft; o da bleibt's Immer „Hyperbel mit 
Ihrer Afymptote,” wie unfer Autor fagt *), 
und muß es bieiben. Die. Hpperbel nähert fich der 
Aſymptote, «ber. fie erreicht fie nie: zu unferer 
GSeligkeit koͤnnen wir nie den Begriff unferes Da⸗ 
ſeyns verlieren, und ben unendlichen Be⸗ 
griff, daß wir Gott find, erlangen. Wir Blei 
ben immer Geſchoͤpfe, wenn wir auch die Schöpfer 
großer Welten würden. Wir nahen uns der Voll: 


kommenheit, unendlich volllommen aber werben wie 


vie, Das höchfte Gut, was Bott allen Geſchoͤpfen 
sehen Eonnte, war und bleibt eigenes Daſeyn, in 
welchem eben Er ihnen iſt und von Stufe zu Stufe 
mehr feyn wird Alles in Allem. \ 


— — 
8 ics. 


Gerberd Werte, Philoſ. u. Geſch. R. 21 


m: 





unbanng 
II. 


Thomas Campanella. 


Stimme e imes gefeſſelten Promethens aus feiner 
Kaufafushöhle. 





Aus der Adraſtea. 








De ee — 





— 


rometheus aus ſeiner Rankafuchähle,. 





bh, entſproſſen von euch Berſtande und: ewige: 
| weder; 
bh, ein liebender Forſchher des Wahren, -@uten ‚under 
| Schönen, 
fe die aberwitige Wert, die im Kampfe mit fd ift, 
je fie freundlich zurück zur“ mir der Mutter⸗Die 
eo. nahrte — 
ru mich ifrem Gemahl. Sie goß mich, ſchneu wie ſie 
| ſelbſt iſt, 
min alle Geſtaäͤlten, ihr Ueberſchauer und Künſtler. 
N dad Garde’ bie’ Unfere Wohnung; o Freunde, foflichet, 
leht die zweiten Shurw*)! Gin Punkt, eine Linie, 
ein Halm 
hert zum U nerrdrechen en. — Wenn Women. 
Dinge vorangehn, 
kit UÜberireffeud ſie; ach, jo zerſchmetze die ſtolzen 
zwiſſenheit, die uns fo viele Leiden gebracht Hat, 
he jerſchmel an“ dem Feher; das ich dem Himmel 
entwandte. 


Quelle ber Uebel. 
Die Tapferkeit entartete zu Stolz, 
IHeuhetei die Andacht. Artigkeit 


Mrd’ zur Cerrmonie; Berſtand, Subbilgeit;- 
ktiede, Ciferfuht; die Schönheit, Bier. 
m — | 


) Die Schuſen der Wortweiſen. 


7 


826 


Durch wen? Durch Euch, ihr Dichter, die ihr Helden, 
Erlogne Heften, Trug, uneble Gluthh 
Und Geckereien fingt; nicht Zugend, nidt 
Geheimniffe, wie einft die Vorwelt that. 


O größer find die Werte der Natur, 
Ars eure Dichtung; füßer zum Gefange! 


Daher nun der Betrug, und daß die Wahrheit 
unwirkfam fich vergäftet. Ueberdeckt 
Mit Lügen ach, vermag fie nichts. Nur Klarheit 
Küftet die Menfchen gegen gafter, Wahrheit. 





Die Welt und die Menſchen. 


Die Welt, ein großes, ein volſtommnes Ganjze. 
Belebt, ein Denkbild der allmaͤcht' gen Gottheit, 
Ein Bild, das ſie verherrlicht und ihr gleicht. — 


Wir Menſchen kriechen auf der kleinen Erde 
Im Körper dieſer Mutter als Gewürm, 
Wenn wir untheilhaft ihrer Liebe, des 
Verſtands unmwiffend find, der fie belebt. 


Dann find wir, wie der Wurm, der mid uu 
Eennen , 
Sich nicht anmaßet, aber fih mir anhängt, 
Und naget mid. — ‘ 


Ihr Stolzen, hebt die Augen, 
Und meffet mit mir, was das Ganze fen, 
Und was ihr ſeyd, und was dann eu ch gebühre. 





Die Menfhenfeele 


In einer Handvoll Hirn ſteh' ich, verfchlingenb 
In mid, daß, was für Vuͤcher auch bie Welt 





2 327 
Beligen mag, fie meinen tiefen Durft 
Nie flillen mögen. So viel ich genoß, 
Ze mehr ſterb' ih im Faſten. Metrodor 
Und Ariſtarch — aus einer großen we 
Beköfteten fie. mich; und immer doch 
Berlangend, hungernd, unbefriedigt, wend' 
Ich mid ringsum ; unwiffend deſto mehr, 
Je mehr ih weiß. , ’ 


So bin ih dann ein Bi 
Des Unermeßnen, der bie Weſen alle, 
Wie jener Fifhe Schaar das Meer, umfließt, 
Den liebend der Berftand in altem ſucht, 
Den Sater. , 


Ach, der Syllogism iſt nur 
Ein Pfeil zum fernen Biel. Anſehen?) if | 
Die Hand des Fremden, die den Pfeil nur losdrückt; 
Der ift gewiß , der, ſelbſt der Gottheit Bild, 
Innig fie Eennend, fih mir ihr erfüllt. 





Die Welt und bie Biden. 


Die Welt, ein Buch, darin der ewige 
Berftand ſelbſt-eigene Gedanken ſchrieb, 
Iſt ein lebendiger Tempel, worin ee . 
Seflnnungen und Handlung, droben, drunten, 
Borin fein Borbild er uns feloft gemahlt. 


BeP und betrachte jeder dieſe Kunft 
Lebendig, goͤttlich, daß er fagen dürfe: 
„Ich bin's, der fie vollendet und volliuͤhrt.“ 


# ı 


2 Autoritãt in Echulen. 





# 


328 
Ach aber unſre Seelen id an Butr 
Geheftet und an todte Tempei. Dieſe 
Kopien des Ledendigen, mit vlel 
Irrthuͤmern atgenommen; fle,  _ 
Sie ziehn wir Gottes hohem Sehrftugr vor. 


Deßhalb die Strafen, die von jentr Irrunge 
Uns unvermerft ereilen. Zäntereien, 
Unwiſſenheit und Schmerz. O kehrt zurüd, 

Zu eurem Wedird, Menſchen, und zum Glüͤck. 


———— 


Drei Uebel und drei Heilmittel 


Drei Uehel zu bekämpfen, (fie, die ‚größten 
Der Welt) ward ich geboren, Tprannei, 
Sophismen, Heugelei. Mir wintet Shemie 
- Mit dreifah:Hoher, Holder Harmonie 
Sie zu befiegen. 


Macht, Verftand und Liebe, 
Die Pfeiler alter Weisheit, fie find einzig 
Heilmittel jenes dretfachen Betrugs, 
Worüber jetzt die Erde knirſcht und weint. 


Tpeurungen, Kriege, Pkt, Neid und Betrug 
Und Ueppigteit, und Ungerechtigkeft, 
Zrägheit, Unwürde — alle wurzeln fie 
In fhnöder Cigentiche. Dieſe wärzeft' h 
Tief in Unwiffenpelt. Unwiffengeit, 
Die Mutter alter, fie entwurjle — Zeit.”) 


”) Der kühne Promethens fast: „Ichr⸗ Obige dren GR 
die Grundfeſten ſeines Suftems, 





325 “ | 
Das Hohe und Tiefe. 
Ihr Watolwohner, heder cute Blicke 
Zum erſten, höchſten Sinn. Dann wird euch Kar, 
wie tief, o tief am Boden Tyrannei, 
(Obwohl bekleidet Mit dem fchönen Namen 


Des Adels und ber Tapferkeit) euch ferhänt, 
Und niederdruͤckt: 


Denn fhaut die Heudelei; 
(Einft war fie Gottesdienft!) Erſchrocken (haut 
Die Heiligkeit, jetzt bübifhe Verfolgung. 
Die Weisheit, jebt ſophiſtiſcher Betrug. 


- Sophiften trat einft Sokrates entgegen; 
Tyrannen Kato; Chriſtus fett beſchaͤrate 
Mit feinem Himmelslicht der Heuchler Zunft: 
Und alte opferten ihre: Leben Hin: 


Jedoch was Hilft’s, enthälten | den Betrug, 
Gottloſigkeit und Unrecht, auch dabei 
Sein Leben wagen? wenn nicht ihr, ihr Menſchen, 
Ihr Nationen, euren Sinn aufſchwingt, 
Zum hch ſten⸗ Sinn, zum Sinn für Rocht und 
Ba bedeit. 


4 





Folgen der Eigenliebe. 


Le aͤubig lehrt zuerſt die Eigenliebe 
Den Menſchen glauben, daß die Elemente, 
(Die Maͤchtigen) daß ie Sterne, 

Ganz fim: und Heise fich für ihhn nur reifen. 


Dann fie ihm, daß Völker, außer un, 
Unwiffende Barbaren find, die Gott 
Nicht —*8 


— 


Fi 


rn 


350 - 
Dann zieht fie uns näfer in 
Die eigne Selle, uns allein zu lichen, 
Und um uns nicht zu mühn, auch nichts zu wiffen. 


Dann, weil fie ihren Wünfden alles, altes 


-WBerfchieden flieht; dann läugnet fie Borfehung, 


"Sa daß ein Gott nur lebe. 


> Fortan achtet 
Sie alle Liften hoch, macht fie zu Goͤttern, 
Zulest ſich ſelboſt zu Gott, des Weltalls Schöpfer. 





— 


Eigenliebe und allgemeine Lt£be, 


‘Die Cigenliebe macht den Menfchen träge; 
Und wit der Träge leben, zwinget er 
Sich weife, mädtig, gut zu fheinen. Er 
‚Bernichtet, was er ift, und wandelt _fic 


In einen Sphynx, reich überdeckt mit Ehren, 
„ Und Gold und Schmeichelei. 


Dod bald erwacht 
In ihm die Eiferſucht. Wahrhafte Tugend, 
Die er in andern ſieht, fie mahlt ihm feine - 
Erfogene; und fporgt damit ihn an 


Bu Haß und Neid, zu Unrecht und Berfolgung. 


Wer ſich zur Liebe des Allvaters ſchwingt, 
Sieht alle Menſchen an als ſeine Brüder, 
Und nimmt, wie Gott, an ihrem Wohlſeyn Theil. 


Drum waren, heiliger Jranciscus dir, 
Die Ef, und Vögel, die du Brüder mannteft, 
Heil ihm, der dieß verfteht!) fie waren dir 
BGehorfam, nicht fheu und rebelliſch. Wir — 
Machen den Menfchen ſelbſt zum fcheuen Thier. - 


—i mu 








331 _ 
Shein und Sepu. 


Wer Zarb’ und Pinſel Hat, und damit Karten 
Und Wände mahlt, ift darum nicht ein. Mahler; 
Den Künftter macht die Kunft, ob ihm gleich Reisbret, 
“.Mapier und Sriffel fehlte. 


Nicht die Kutte, 
- Richt das gefhorne Haupt macht Heilige Brüder; 
So aub den König nicht ein Königreich. 


Wen Weisheit, Lieb’ und Macht befeelet, der, 
Sey er gleich Skiave, ſey er Baſtard, der 
gt König. 


Mit der Krone auf dem Haupt 
Kommt unter Menfchen niemand auf die Welt; 
Nur Thiere Haben (wie die Zabel fagt) 
‚3um- Anerfennen folch ein Kleinod noͤthig 
Sin Menfchenkönig, wie ein Dienfchenftaat, 
Tritt vor der Sonne Licht, nicht als ein Traumbird.. 
An Zebern nicht, am Senn wird er erkannt. 





Ein großes Luſtſpiel. 


Bon Gott geleitet führe die Natur 
Im Weltenraum ein großes Luftfpiel auf, 
Sn dem jedwedes feine Role fpielt. 
‚Am Ende wird (dieß Hoffen ſicher wir) 
Der obre Richter gleih und recht enticheiben, 
Wer hier am beften feine Rolle fpielte.. 


Die Kunſt der Menfhen ahmte die Natur 
In diefem ihrem großen Luftfpiel nad. i 
Auch fie maht Könige, Herven, Prieſter, 
Und Sklaven, bie fie ftandesmäßig alle 
Dem Wahn des Volks maskiret, aber wie? 


2 - £ 


Ä . 332 
Sottlofe werden dort Tanonifirt, 
Hier Heitige ermordet. Nie dre Sklaven 
Eins Fürſten dort, gemahtte Fürſten, die 
Sich gegen wahre wiffeen: — 





Wahre und falfhe Fuͤrſten. 


Merw wir Klnkg, eins der Zufall" wollte; 
Dem Schein nach. Gofrgtes ward'durg' Mater; 
Sn Wahrheit. Scipto zum Their, niht gay 


"Der Falſche, der unädte Zuͤrſt verfolgt. 
“ Den Samen berer, die wahrhaft zu herrſchen 
‚ Geboren wurden. So Herodes: fe 

Des Titus böfer- Bruder; Kaiphas, 
Und-jedaniedre Macht verfolget fo. 


. Wer fih zum Knecht geboren fühlt, verfolget 
Den, den er würdig feldft- gu herefchen Hält. 
Der Tod des Märtyrers If ein Signal 
Bon königlicheeSröhe. 
. , ni: dem Tode 
Erſtrecket hahrer Sroßen gerrſchaft ſich“ 
Stets weit und. welter; der Tyrati eriifiht- 


Schuld und Schmerz. 


Jedwede Schuld macht Schmerz ſle ſtrafet m 
In Seer und Körper wie im guten Nänien. 
Wenn nicht ſogleich, fo mindert nach und naͤch 
Sie But und Brut; die Freunde fehn es traurig. 


| 
Bin. r. 
L 





358 


Betrũbt der Schmerz den innern Willen nicht, 
So iſt er nicht Verſchuldung. Liebet dieſer 
Sogar. die Qual, um ſich gorechtzu ſeyn, 
So iſt er Tugend. 


Gut Gewiſſen, reines 
Bewußtſeyn wahrer Güte iſt genug 
gur Menſchenſeligkeit. Ungluͤcklich niacht 
Erlogne Güte; ſie macht ſtolz und — dumm. 


——_ 


Das falfhe Maß des Suten. 


Riomand. wird: fagen: „ich ‚Kin ein Tyrann!” 
Niemand: „Ich Hin der Antichtiſt?“ Ye-feiner 
Der Bbſewicht, fo feömmer ſtellt en Ai, 

Dir zu verkaufen deinen eignen Schaden. 


Dex Beutelfchneider und die Mete, die 
So finnreich des Betrugs fih. nicht erfreun, 
Sie wähnen fi die fchlimmeren ; und doch 
jedes Böfe minder Höf und ſchädlich, 
Das nicht beträgt. Du bannſt für ihm dich hüten; 


Fuͤr jenem kaum. Der Phariſaͤer iſt 


Dem Himmel: ferner als. der. Samaeiter. 


In Worten nit, ſelbſt nit in Wundern fteht 


Die Güte; fontern einig nur in That 


So ſpricht die Schrift. Und jenes faifhe Mat 
Des-Buten, (deöhaftsfuomme Seuchelei,) 
O welche falfhe Götter gab's der Erbe! 





534 


Maqht des Menſchen. 


Ehre der hooͤchſten Macht und Lie und> 
Klarheit! 
O meine Kunſt, du Tochter ew'ger Wahrheit, 
Entwirf ihr Abbild, das wir alle kennen 
und — Menſchheit nennen; 


Und Menſchheit nennen, was fo ſchwach geboren, 
Verſtandlos, nacket, wie im All verloren, 
Nicht Kind der großen Mutter, Baftard ſcheinet, 
Den fie verneinet; . 


Den fie verneint, indem fie Tieren Kräfte 
Und Kieidung gab ; zum lebenden Geſchaͤfte 
Dem Lebenden Verſtand verlieh und Waffen 
Sich Recht zu haften. — 


— Sicch Recht zu ſchaffen kann das Kind nur weinen: 
Sin Klageton verkündet fern Erfheinen; , . 
And doch ift er, der Menſch, fo vol Beichwerde, 
Ein Gott der Erde 


Gin Gott der Erd’! Er flieget auf gen Himmel 
Aud ohne Schwingen, ordnet das Getümmel 
Der Welten droben, mißt die weite Ferne 

Zahlloſer Sterne; 


Zahlloſer Sterne! findet auf Planeten, 
Bexfolgt die Bahn der ſtreifenden Kometen, 
Beuget den Sturm und ſchifft durch Welleuheere 
Im offnen Meere; 


Im offnen Meer gibt er dem Winde Flügel; 
Nicht Eine Welt hält gnügend ihm den Zügel; 
Gr ſuchet andre, kommt und ſieht — Gr fliege, 
Siehet und ſieget. 








335 


Siehet und legt! Lautdonnernd in den Lüften... 
Tiefgrabend in der Erde fhmwülen Grüften, 
@rjaget er auf aller Erben Weite 
Sich reihe Beute; “ 


Sich reihe Baur. er dringet weit und weiter; 
Ihn trägt das ſtolze Roß, den ſtolzen Reiter; 
Der Elephant wird, prangend ihn zu tragen, 
Sein Giegeswagen. 


Gein Siegeswagen. — Ihm, der Welten zwinget;. . 
Wird Ehrenfranz die That, die ihm gelinget, 
Cr ſchaffet Gärten, Städte ih und Ströme, 
Und Gtaateipfteme; 


Und Gtaatsfpfteme, die er mit Geſetzen 
Rah Zeiten ordnet; Sprache zu erfeen 
Erfand ee Schrift; ein Stahl dejeihnet Stunden 
Cin Stahl Sekunden ; x 


@in Stapı Sekunden bie zum Welten : Ende, 
Dazu genügten nicht des Menſchen Hände. 
Gein Seiſt nur konnt’, unendlich im DBeftreben, ” 
So hoch fid heben. 


So hoch fi heben, daß er Berg’ und Tudier 
Umſchuf in feiner Denkkraft Ehrenmaͤhler; 
Mir Feu'r und Stahl wußt' er in allen Zonen: 
Als Herr zu wohnen. 


Als Herr zu wohnen, der ber Erde Zrüdte . 
Aus Welt in Welt trug, der fih Lufgerichte, 
Der Blumen fi erzog, und unterm Laube 
Die edle Traube. 


» Die edle Traube, die das Herz begeiftert: _ 
Die fit der Traurigkeit und Zurcht bemeiftert ;. 
O Böttertrant, entnebr ihm Teine Sinne, 

Daß er beginne. 


‚986 
Ra. er heginn' und end und, f hlienieden 
Sich ein Elpſuum, woblibatigen, rjehen. 
Berftand, o Menfh, und Wille find die Waffen, 
Dein Süd zu ſchaffen. 





Misbrauch des Goͤttlichen. 


Bit Wett und Leben und: ergält,ad WEB; 
au” unfen Mothlſeyn hängt es ab. von ihm; 
Wie? daß die Menſchen dann - night -Biabe in.kkes- 
&ntzündet? und fie mehr die Nymgbe anſchaun, 
Als die Gebieterinn ? 

‚Bawiffenpeit, 

So keck als arm, mißbraucht bad Wöttliche, 
Verkauft für Trefflichkeit, was es naht. 


Da firebt die Siebe dann ‚sad. Unpekannten 
Nicht auf. Sie beugt die Flaͤgel nieberwärte. 
Gefangen Hält den Seit Un wiſſenheit. 


Batroͤgtxinn! Sie gibt — mern, 

Den fie dem mapren fchlau entzog:ſie 

Zn niadern Dingen Stugälen jener nsett 
"Die alle Ding’ umftraßlet. 

[ Ach Betrug 

Und Schade! Wir umarmen Schatten ſtatt 

Der Weſen; geben auf bie hohe Hoffnung 

Des wahren Guts, verlieren auch den Sinn 

Für dich, o Schönheit, did, Jdeen:Geberinn. 





4 An 


h 


J 337 


An etnen Deutſchen. 


Verſtand und Liebe gaben dir die Schwingen 
O Bänau, dich in deiner Jahre Frühling, . 


Begleitet von Adami, deinem Züprer, 
Umherzuwagen auf dem Erderund. 


Alſo gelangt man zu dem höſchſten Ziel 
Der ganzen Tugend, die euch Ruhm gewaͤhrt, 
Ihr Deutihen! die das Uebel in euch tödtet, 


- Das euer Deutfchland Tange Zeit beftürmt, 


Das Deutfhfand, das an feinen eignen 
Kindern 
Berzweifert. 


Meine Seele Tieft im Himmel, 
Und ſieht in bejner Seer , o edler ZYüngling, 
Söttlihe Grazien. Erwecke fie; 
Dem irr'nden Pöbel laß Geſchwätz und THorheit. 


Mit Hohem, ftogem, frommem Geift und Muth 
Verkünde Krieg du jenen falfhen Schulen — 
Als Sieger ſeh' ich dich. Ich ſeh's in Gott. 





An einen Idyllendichter. 


‚Nicht Licidas, nicht Driope, Likoris, 
Und andre, die du fingeft, werden dich \ 
Verewigen, wenn fie nicht jener Schoͤnheit, 
Der Unermeſſenen, Nachbilder find. 
In jeder Eleinen Blume ſtrahlet fle. 
Im Blümchen, das verwertet. 





a 


) 6. die Rachſchrift. | 
derier’d Werte, Phil. u. Gef. IX. 22 j 


35% - 
Und, o Zreund, 
Die Schönheit; die in andern du bewuttderfk, 
Und Tiedft und fingeft, Freund, fie wohnt in dir, 
In deinem Geiſt, in ihm; dem -OGötktiihen, 
Dur den mein Geht: erwerkt Tick aufwärts. ſchuiugt 
Und weit die Flüge: breitet; zu umfaſſen 
Jedweden Abdruck ew'ger Samen: 


Sie 
Die in dir glänzt. mit jeder reinen Liebe; - 
Sie finge, Zreunt, und nimm von Menſchen nicht/ 
Vom Ewigen erwarte Dank und Ruhm: 


Mit Menſchen buchzuhalten ward ich laͤngſt, 
Längft überdrüßig; meine Seele ruft _ 
Zur höchſten Schule dich, (o gih ihr. Statt) 
In fie zu gehn mit unbefhriebnem Blatt. 


Pi 
“ 
* 


Der Abel 


Hoher Geburt ift menfhlider ‚Adel; von würdiget: . 
Eltern 

Ward er erzeugt, vom Berfland’ und der tapfern, 
fittigen Tugend; 

‘ s entſproſſen, bewäßri er. mit schönen Früchten der 


That fid. 
Tapferkeit und. boher Berftand ſind Probs des 
- Adels; 
Reichthum nicht; eine falſche Prob’. ift ererbter. 
Reichtgum 
Boltends der Ahnen Stamm — o arge, dunkle Be . 
trüger | 


— 
Ei 


Deine Ehren, Europa, nach welchem Maße de 
Werthes 








839 J 


Theilſt du fie aus? Nach dem, was der Zufall füge? 
Wie ſchaͤdlich 

Dir felbſuvheneſt du: fo! Dean Feind weiß beſſer zu 
reden: 

Schaͤtzet Bimme: man denn nad Wurzeln, Zweigen un: 

Blüte - 

Dder nach reifen Früchten? Und du, der: klügetnde 
Welttheil, 

Hängft an ein Nichts dein. Beſtes! vertrauſt es gdß:.- 
nend den — Ahnen! 





Amor, ber Blinde 


Dreitauſend: Jahce Ihon: verehrt die Wels 
Den blinden Amor, ihn mit Pfeil und Flügeln; 
Seitdem iſt er auch taub und fÜHTTOS worden, 
Daß er night Hören, nicht empfinden mag. 


Nicht mehr ein nadted,.ein unfhuld’ges Kink, 
Gin alter, karger, fchlauer Greis ift er; 
Auf Gold erpicht, in ſchwarz gakeidet, ſchießt er 
Nicht güldne Pfeile, ſondern Dampf und Schwefel; 
Mit, Hoͤllenpcagen peinigt er den Körper, 
Gierige Seelen macht er träg' und taub. 


Doch hallt ein Ton aus mei iner Glo de wieder: "> 
Der Blind und Taufe, fonder Kraft zu wählen, 


Weicht endlich doch der. Lieb unfhuldger Seelen. 





*) Zürten und andere Wörter, bei denen Berdien ſte ste 
Stellen der Verdienſte adeln. 


20) ©. die Nachſchrift. 


XXIIX 


\ \ 


340 
S t aͤ r k e. = - 


Den wahrhaft: Liebenden macht viebe ftark; 
Das Bildniß der Geliebten, ihre Schönheit 
Berdoppelt feine Seele; muthig wird er 
Zu jeder Unternehmung ; jede Mühe 
Verſchwindet. 


Gibt der Frauen Liebe fo _ 
Biel Kraft und Muth; o weiche Gtorie, 
Und Freud und Hoheit füllete Die Seele, 
Die, eingefhloffen zwar in dieſe Rinde, 
Doch liebend fih der ewigen Schönheit ent. / 
Unendtih ſchuͤfe fie fi ihre Sphaͤre, 
Zmlieden und zu wilfen und zu thun 
Das Schwere, has Unmöglihe — mit Bott 


Wir find wie Wölf und Ziegen auf einander, 
gern von der reinen Liebe hohem LEiht 
Kennen wir Kraft der Liede nit. 


Reichthum der Wiſſenſchaft. 
Ein Hohes Glück iſt Wiſſen. Mehr als Haben 


Iſt es Beſitthum. 


Auch im Unglüd find 
Die Wahrharftwiffenden nie niedrer Ark 
Und Abkunft; Land und Volk und Saterfand 
Berühmt zu machen wurden file geboren. 
Das Ungtüd felbft verbreitet ihren Namen, 
Erhoͤhet ihren Ruhm; und trifft fie — Tod, 
So werden fie zu Heiligen und Göttern. 


Die Rotten ihrer Feinde waren ihnen 
Ergorung: Glückes Spiel wird ihre Luft, 
Wie Liebenden der Lirbe Zune auch füß If. 


“a 











\ 341 


Nicht fo dem trip ‚Unniffenden. Ihm wird 
Dad Silück zur Dual; der Adel macht ihn naͤrriſch, 
Mit ſchwerem, immer ſchwererm Thierestritt. j 
Naht er der Stunde, da fein Lebensfunte 
Dem Unglüdjeligen! in Nacht erliſcht. 7 


Der deutſche Lutheraner. ) 


Ein Wandrer zwiſchen Rom und Oſtia 
Fiel unter Räuber ; fie beraubten ihn, 
Zerſchlugen ihn, und Tießen wund ihn liegen.‘ 


Borüber ging ein Mönch und betete 
Sort fein Brevier. Ein Bifhof kam und gab 
Ihm feinen Segen; dann ein Cardinal, 

Teer rief in heil'gem Zorn: „verfolgen laßt ung 
Das Raubgeſind' und unfer ift die Beute!“ 


Ein Deutfder Eam anitzt, ein Lutheraner, 
Der's mit dem Glauben hält, nicht mit den Werfen, 
Der trat zu ihm, verband ihn, Iud ihn auf. 
Sein Thier und führer’ ihn zur Herberg' hin, - 
Wo er jein pflegte, dis gefund er war. 


Wer aller diefer war. der Menfchlichfte, 
Der Suͤtigſie der Beſte? 


Gutem Willen 
Vei weitem ſtehet ihm das Wiſſen nach, 
Der GSlaube Werken, wie der Mund der Hand. 
Slaubteſt du auch was Srriges foger, 
Das Gute, das du thuft, ift gut und wahr. 


f 





m 


v) S die Nachſckrift. 


m 


1542 ‚ 
peoyibeng - 
"wie Einrichtung der Bart in ihnen Theilen - 
Und Theilchen, alle ſein⸗ und wohlgaordnet 
Zu ihren Zwecken; alle zeigen dir 
Gin wunderſames Wert des Weiſen, Guten, 
Unendlichen. u 
Der Mißbrauch dieſer Theile 
In Thler und Menſchen, unſre vöſe Kuͤnſte, 
Des Laſters Frohſeyn und der Guten Qual, 
Daß alles ſich verirrt non feinem Ziel -. 
Dieb ſcheint dem Prüfenden- zu fagen:- „ach! 
„Der Meifter diefes (hönen Werkes ift 
„Nicht feim Regierer.” 
Pu Arfo. -Maht, Verftand, 
Und Liebe, die Unendlichen, ſie gaben 
Das Steuer einem andern? Und fie run? 
Sie altern müßig ? 
Nein: Ein Sott’Ift,-ber 
Den. Zwift ent wirret und enthällt, warum _ 
So viele, viele irren, und fo langer 


— · 





Der Gefangene 


In Banden frei; nicht einfam und doch einſam; 
Sitz ih Hier, ſtumm, doch meine Glocke Elingt:- 
Der niedern Wet Ani Thor, :und dad dem. Auge 
Soͤttlichen Sinns ein Weiler. : Himmelwaͤrts 
Schweb' ich empor mit Schwingen, die die Erbe 
Danieder drückt; von außen ‚tiefbehrängt, 
Zraurig gefangen; in mir frei und froh. — 


Ein zweifelhafter Krieg bewährt, den. Mut, 
Im CEwigen fchwindet alle Zeit; 
Die ſchwerſte Laft erträgt am veichtften fh, — 


- 








343 
rg’ Hirten iſt meiner Siebe Wild 


MSepraͤgetz ſicher fuͤhret mich Die: Zeit 


Tahin, wo ohne Wortewman — verſteht. 
r — —— 
Machſichrift. 
BETT Sampanelte-ift ‚ber Prometheus 


boefer Kankaſushoͤhle. Sehnen: Namen deutet er 
Aſters an, menn er z. B * „ans meiner 


oe ein Tou⸗ nber „Ich: rufe; meine 
iMraͤder zus Mc ihrer Matter n. f. Man weiß, 


udaß wor ſeinen Mſcr. z. Be dem Athaismus trium- 
:pbatus und ſeinen gedruckten Schriften, z. B. de 
sensu rerum et magia gewoͤhnlich ſein Namens⸗ 


fehl, die Glocke, ſtehet. Wenn andere Phi⸗ 


doſophen vnelſtimmig fingen amb fagen: Jo sono la 
 Qampana ;: fo-fagbe:ber ‚bühne Mann in ſeiner Kau⸗ 


daamshohle beſchelden: io sono. la campazella. 


Imehrere auch der ungedruckten, zumal: vorherſagen⸗ 
ben Gedichte beziehen ſich auf dieſe Namen-An⸗ 
fplelung. 

‚Die bier bekannt gemachten Bedichte ſind ſo gut 
"als aus einem Mſcr. gegeben; einem xeiſenden 
Deutfchen ſind wir fie ſchuldig. Tobias Ad a⸗ 


* 
a 


mi, ber mit einem Rudolph von Buͤnau reis 


ſete, und (nach. Joͤcher) F. ſaͤchſiſcher Hofrath zu 
Moelmar und Eiſenach war, Fam auf feiner Ruͤckreiſe 
«aus Griechenl and, Syrien und Palaͤſtina, über 
»Maltha nach Itallen, hielt ſich acht Monate im 
Neapel auf, und machte mit Thomas Campa⸗ 


j 4 


" 544 


nella, is defien hartem Geſaͤngniß Belanntfchaft, 
gewann deſſen Zutrauen uub Achtung, wie ein eig⸗ 
nes Sonnet an Ihn zeiget: 
ö a Tobia Adami, Filosofo.*) 

Portando in man la Cinica lucerna 

Scorri Tobia l’Europa, Asia ‚ed Egitto 4, f. 


Ein in der Litteratur der. mathematifchen Bil: 
fenfhaften wie In ihrer tlefften Theorie gleichbe- 
wanderter treffiicher Mann führet ed. als eine Sel⸗ 
tenheit und als einen Erweis an, „wie viel Lebhafs 
tigkeit Campanella in feiner Gefaugenfchaft behalten 
habe;“*) Er kannte alfo die Summlung Gampa- - 
nellifger Gedichte nit, die .Tobtas Adamt, 
(Herausgeber: mehrerer Schriften. biefes von ihm 
verehrten Weltweifen***),) unter einem verbedten 
Namen der Welt Ichenfte. 

. Seelta d’alcune Poesie Filosöfiche de Set- 
timontano Squilla. Cavate da’ suo’ libri, 
detti la Cantica: con l’esposizione. Stam- 
pato nell’ anno. M. DC. XXI. hetft die Samm⸗ 
lung, 1) bie: Adamt dreien Freunden, . befannten. 

*) N. 70. p. 73. unjerer Scelta. 
**) Käſtner; Gefchichte der Mathematik. Band 4. Zwei⸗ 
ter Zeitraum. S. 215. 
*) 3. B. Campanellae philosoph. realis: prodromus philo- 
sophiae: de Magia libri 4. u, f. -- 
7) Adamo tradiderat Campanella libros canlicoram Sep- 
: tem, carmine Italico seriptos. — Quaedam weleeta can- 
' tica nostri autoris Adami edidit sub nomine Squillae 
, Septimontani, fagt Cyprian-in feinem Eurien Leben 
‚. eampanstta’s. Vita Campanellae Amt, 3722. 2.61.62. 


! 








* 


345 


edeln Männern, Wilhelm. be Is Benfe, 
—A Beſold, Johann Valentin An— 
dreaͤ in einer kurzen italleniſchen Zuſchrift dedi⸗ 
cite. Stehe fie hier ganz, die Zuſchrift! 


An meine Herren und Freunde. 
Paris 1621. 


„Meine Zreunde, ih mache Euch hier ein Ge. 
ſchenk, nicht vom Meinigen, ſondern von einem 
Euch bekannten Freunde. Von außen ſcheint es 
klein; ſeinem Gehalt nach aber iſt's von großem 
Werth. Eures ſchoͤnen Geiſtes (de' Vostri belli 
Spiriti) babe ich's würdig geachtet, und weiß, 
daß Ihr es nach Verdienſt fchägen werbet. Der 
‘gerade philoſophiſche Ausdrack, der mebr Fala: 
breſiſch, natürlich und fein, ale toskaniſch, 
geſchmuͤckt iſt, wird Euch nicht flören, die hohen 
Gedanken, die er ausbrüädt, angenehm und ſchoͤr 
zu finden.” 

„Gewiß bin ih, daß weder dad uuooſnæiov dei 
Darius, noch das Oungodnzıov Alexanders treffli 
here Dinge In fih ſchloſſen. Der hoͤchſte Ber: 
ftand (il Primo Senno), der fo hellglänzend« 
Strahlen ausgoß, wolle, was die oberfte Macht dl: 
Prima possanza) von Einer Art fchuf, durch fein 
heilige Liebe vereinen. Euer — Adami.“ 

Auf diefe Sufchrift folgen 87 gewählt: 
Stüde, theils Sonnette, theils. Pſalmodieen uni 
Kanzonen, von denen Joh. Valent. Ardre 
felbft einige deutfch zu geben fuchte.*) Ein paa 


9 Geif liche Kuriweil, Gtraßb. 1619. © 9. u. f. 


- nu 

"346 " NS | 1 

Proben duͤrfen gnug ſeyn, zu zehgen "wie kurz und 

naiv der ſchwaͤblſche Dichter den Kakabreſen ſpre⸗ 

chen ließ. 

Sp uͤberſetzte Audreaͤ zum Bekſplel das Sonnet, 

das wir drei Uebel und drei, Heilmittel 
genannt haben: *) 


.3o m a q u i. 


Mich hat geſandt die höchſte Weisheit 
Durch Recht, Verſtand und Lieb bereit 
Zu beſtreiten meiner‘ Feinde drei, 
“Gewalt, SGefhwäs and Gleisnerei. 





Hie werden drei mit drei bezwungen, 
„Damit iſt's der Vernunft gelungen, 
Und wird die Welt dep Marter quitt, 
: So Zwang, Lug, Schein flets bringen mit. 


Hunger, Krieg, Pet, Neid und Betrug, 
Unrecht, GSeilheit, Trägheit, Unfug 
Bringt Eigenliebe, der Thorheit Kind, 
Duum greife ich an die Mutter geſchwind. 


“ 


So das Somet, Auelle ber Uodel. *e) 
AIn superbia.- | 


Mannhzeit viel Enent, Fromkeit fih ſtellt, 
-Höftigkeit prangt, die Weisheit ſchwankt, | 
: Die List: nit vaut, Ahbnheis. färbt KHaut. 





*) Adraften B. 3. St. 1. S. 146. En 
Adraſten ebendaſelbſt &."148. | 


- ‚847 — 
De werdt, ihrDichter, viel gezigen beeriehen) 
WMie ihr bringt: große  Btreich". und Luͤgen, 
Mit Thor⸗und Geilheit, Euch Bergnägen ; 
ad ·laßt Gott's Wort und: Wander liegen, 
MWelch's doch die Alten hoch getrieben. 


»Doch mag: Eu’r tolles Phantaftren 
» Der Natur Abgrund nit verühren; 
Auch feyn Sure Gaiten viel zu grob 
Zu erklingen ‚des. Höchſten Lob. 
Sollt Ihr erfteigen Falſch's und- Wuhr, 
So thut und. andre pedes dar. 


»Wollt Ihr dichten, fo bringt gut Lehr, 
Daß Jedermann warde beſſer. 
Die Wahrheit leuchte feſter, 
Der Laſter waapniglich ſich wehr! 





ale: die Gefhicte Eampanella's bekannt iſt, 
wie ihn von Jugend anf der Neid verfolgte, und 
da diefer Literarifch nicht obfiegen Eonnte, er den 
freldenkenden Mann politifch ergriff, und als einen 
Staatsverbreher in's Gefängniß brachte, in 
welhemer 25 Fahr mıter unfäglichen Qualen ſchmach⸗ 
ten mußte, ber. begreift leicht, warum feine Glocke 
An diefer RKankaſushoͤhle ſo hoch und voll toͤnte. 
Er fühtte. ſich aaſchudig, uͤberſtand alle Qualen mit 
ftoifcher Feſtigkeit, feufzete in Sonnetten und Ge⸗ 
»+füngen:auf, bie endlich ſeine Stimme, die Stimme 
eines ſchuldlos Gequaͤlten, durchdrang. Im Jahr 
1399, als er nun eben in ſeinem Vaterlande ruhig 
. gu leben dachte, war. er. gefänglich eingezogen; im 
Jahr 1608: bemuͤhete ſich ber. Pabſt ſelbſi um feine” 
Beſteinng, md ¶chiate deßwegen den bekannten 


X 


548 


Gclopvins nad Neapel; vergebene. Die Fug⸗ 


gers bemüheten fih am fpanifhen Hofe fuͤr ihn; ver 
gebend. Endlich gelang es dem vielgepriefenen Liebha⸗ 





‚ berder Wiffenfhatten, Yabft Urbandem Achten, dur 


den Bifhof zu Catanea feine Freilaſſung zu bewirken. 


Sampanella Fam nach. Nom, "zuerft unter die Hat 
der Inqulſition, dann völlig in Freiheit; als er 
aber auch in Rom vor den Spantern nicht ſicher war, 
rettete ihn ber franzoͤſiſche Geſandte Franz von 


Noallles verkleidet nad Frankreich, wo ihn Pel- 


rest, und alle, die feinen Werth Fannten, Koͤnig 
Ludwig der Dretzebnte felbft, gütlz aufnab- 
men, und Richelieun ihn mit einer anſehnlichen 
Penſion unterſtuͤtzte. Laſſet uns hören, mas et 
ſelbſt, in feiner bekannten Schrift de libris pro- 
- priis et recta ratione studendi, von feiner Schrift: 


ftellerei im Gefaͤngniß an Naudé (Naudaeus) | 


ſchreibet: ) 


maͤnnlichen Alter, in einem befhwertk 
| hen Gefaͤngniß. 


„Nach Vollendung deß allen geſchah mir, was 


Eu Salony fat: wenn ber Merſch vollbragt 


Campanella von feinen Schriften im 


bat, fängt er an; wenn er ruben will, 


I. 


muß er wirken. Die Verfolgung, die fo lange 
‚ über fo viele ergangen war, kam je&t über mid; 


-?) Artic, II. p. 177. Ga Thom, Crenii Eaminlung de | 


Philotogia, stadiis liberalis doctriyge, informatiene et 


sducations literaria gemerosorum adolescentum, WE _ 


©, 167. eine Menge Elogiten auf ibn gefammels And. 


849 


als. Majeſtaͤtsverbrecher ward ic nach Neapek ges 


führt, und weil mir Bücher verfagt wurden, fchrieb 
ich latein und italieniſch viele Gedichte: von der 
Erften Weisheit, Macht und Liebe, vom - 
böhften Guten und Schönen um. f. Helm: 
lich ward alles gefchrieben, wenn fi bie Gelegen- 
heit dazu gab. So entftanden fieben Bücher 
Sefänge, aus denen KTobias Adami eine Anzahl 


nach feinem Gutduͤnken eriefener (selecta juxta in- 
_ genium suum) unter bem Namen des Squilla Sep- 
_ timontanus”) mit Anmerkungen herausgab. Auch 


Elegieen fang ich von meinen und meiner Freun⸗ 
de Leiden, auch weiſſagende Reime und vier 
Yfalmodieen über Sort und feine Werke; durch 


dieſe Gedichte ftärkre Ich meine Freunde, daß fie in 


ihren Qualen den Muth nicht finfen ließen. Außer⸗ 
dem ſchrieb ich volltiſche Aphorismen, die Sonnen 
fladt, (eine mehr als vlaronifhe Mepublif) u. f. 
(Hier folgt ein langes Verzsichniß feiner Schriften.) 
Nah ſechs Jahren famen Tobtas Adami und 
Rudolph von Buͤnan, ein Deutfcher von Adel, 
auf iprer Müdreife von Jeruſalem nad Neapel; ich 


gab ihnen die Schriften, die ich vorher dem Schop⸗ 


yins gegeben hatte, außerdem noch meine Meta 
ponflt, die Realphiloſopeie, Medicin, Aſtrologle 
und Werke in Briefen. Ste find fleißlger geweſen ale 
jener, da ſie die Nealphiloſophle, die Bücher de sensu 
‚rerum, bie Sefänge und den Prodromus herausge⸗ 


*) Der Name heilt: dab Gldckchen auf (ieben 
Reraen; squilla if campana piceola, alſo mit dem 
Wanıcn Campanella daſſelbe. 


350. 
geben, welchen letzten fie von mir nick. 


belemmen.. 
haben.’ Auch⸗ Campanella's Schrift für-Saliläk; 


ſtellte in Deutſchland Adami ans Licht.) Die; 
Apologie, fagt: Kaͤſtner, muß bei ben erſten An⸗ 
griffen. auf den Galilaͤus aufgeſetzt ſeyn. —— 
nella war zwar von dem Orden, der damals wider 
Galilaͤi predigte; man. ſiehet aber aus dem Unger. 
fuͤhrten, daß feine Philoſophie nicht: Die. Philoforhie 
des Ordens geweſen.“**) 

Die war ſie von Jugend auf-nict., welches dann 


eben dem Campanella ſo viel Verdruß zuzog. Seln.: 


Randemann. Teleſius, der. den. Spuren Parmeniæ 
des nachgegangen war, und Porta ‚hatten. foimen-- 





chf sewedt; er frebte opmgefüge dahin, mein. 


mit: aröperem Gluͤc Franz. Baeco ſtrebte, bie: 
Philoſophie naͤmlich som Arifkotellfchen Wortkram 
zu befreien, fie auf. Beobachtungen, auf Sinune und. 
Erfahrung au gruͤnden, Afkconomie und Phpfit, Ge⸗ 
ſchichte und: Politik auch in ihr Gebiet zu bringen, 
und allenthalben das große ewige Drei herrſchend guc 
man, Macht, Weisheit, Liebe; .odex> 
Wahrheit, Schönheit und..Gäte; die In-feb-. 
nem Weltſpſtem nur. Eins: find. - Su-biefem. haben. 
und hoͤchſten Ziel ſtrebte erl 

Leibnitz ruͤhnb Campauella als elnender U. 
habenſten Geiſter, din es ie gegehem - „Bin 


fpißigfeluer, ſagt er, und ein großer Verſtand | 


find ‚fo verpehleben, wie eine Bleitugei, gehhlenäeske- 


*) Campanellae Apologia pro.Galileo, Mathematieo_Flo- 
rentino. Frf. 1622 


»y Käftners Gerd). der Mathematix. Band Im, An 





31 


oder geſchoſſen, bie zwar ſchnell fliegt, nur aber bag 
weiche durchbringt, gegen die Kraft eines Felfen, 
ben der Katapulf, langfamer zwar, aber mit einer 
act fortwirft, die alles durchreißt. Auch bei 
Shriftitellern iſt diefe Verſchledenhelt kenntllch. 
Was iſt ſcarfſinniger gedacht, als Descartes 
Phpſil, als Hobbes Moral? Verglelcht man je— 
nen ludeß mit. Baco, biefen mit Campanella, 
ſo ſſeht man jene friehen am Boden, biefe durch 
Größe ber Gebanfen, ber Nathfchläge und Entwürfe 
ſich zu ben Wolfen erheben und Teiften, was irgend 
die Menfchheit. leiſten mag.“) MReibnik befak 
ein. Miet. von Campanella's Relch bes Meſ— 
 Tlaß, das er J. A. Fabriz heraudzugeben anrleth. *") 
Zu unferer Zeit wird ed nlemand herausgeben: denn 
ntemand (left mehr. Campanella's Schriften. ***) 
Mad dem, was gefagt ift, werben einige hart— 
ſcheinende Stellen ſelbſt zu Sampanella’s Ruhme ge= 
reihen. In feinem Vaterlande galt der Name des 
Deutfhen (un Tedesco) für einen groben, dum⸗ 
men Barbar; feinem Orden war ‚ein Lutheraner‘ 
der verhaßtefte Ketzername. Und er wagte es, den 
Tedesco Luterano ale den barmherzigen Samariter 
darzuftellen, der den Mönch, Biſchof und Cardinal 
beſchaͤmte! 7) Wahrſcheinlich gab ein Vorfall dazu 





®) Felleri Otinm Hannover. p. 162. 
€*) Opp. Leibnit. 3. 410. 
sex) Ueber dad, was von ihnen herausgekommen und nicht 
herausgekommen ift, f, Ernest. Sal. Cyprian. Vita Cam- 
panellae. Amst. 1722. 


+) ©, vorfiebende Geite 358, 


a 


852 - 

Gelegenheit; aber auch außer folhem war nicht ber 
Vorfall zwiſchen Adami und Campanella 
felbft die Parabel des Samariters? Zwei gutherzige 
Deutfhe mußten von Jeruſalem fommen, um bem 
aus einem in's andere Gefaͤngniß gefchafften Einfa- 
men Luft zu Schaffen, und feine Campanella tönen 
- gu machen für alle Voͤlker und Zeiten. Seine 
Kanzonen und Poefleen find auf fo ſchlechtem Pa⸗ 
pier fo eng und elend gedruckt, daß fle nicht anders 
als Im barmherzigen Samartterlande 
alfo erſcheinen mochten. 

Nah dem, was gefagt iſt, werden ſich aud 
Munde andere Städe lefen laffen, die in einem 
Sönftigen Blatt der Adraftea erichelnen werben; 
vor alem erhubene philoſophiſche Kanzonen, und 
‚Au Bild In Campanella's große Abſicht. 





Inhalt des neunten Theile, 
\ - 


- 





a Eeite 
2. Vom Erkennen und Empfinden ber menfch- 


lichen Seele. 1778 . . . . 1-9 
I. Gott. Einige Geſpraͤche über Spinoza's 
Syitem; nebft Shaftesbury's Naturhym⸗ 
nus. Nach der zweiten Ausgabe. 1800. 95 


Erſtes Geſpräch. Einsam. . . 148 
Blinde urtHeile über Spinssn. . . 13-104 + 
Bayle's Urtheil Über ihn. Bayie’s ers \ 

tienft, Eharafter und Wirkung. . . 104-106. 
- Urfache der vielen Gegner Spinorzas. 106 — 110. 
Sich ſelbſt witerfprechende Beſchuldi⸗ 
sung des Atheismus und Panttzeismus. 40— 192 
Spineza's Leben. - 2.2.2 0. IR—UT 
- Eingang feine Tractatd von ber Beſſe⸗ 
una des Verftanded und Yon dem We⸗ 
se, auf welchem man am beften zur 
wahren Kenntniß der Dinge gelanget. 117124: 
Hülfsregeln au Lefung feiner Schriften. 124126 
Vanini's Ode auf Gott. Do! . . . 17—131 
aweited Geſpräch. Spinoza ein Archi⸗ 
theiſt vor allen Theiſten. ... 
Terders Werte z. Philoſ. u. Geſch. IX, 23 ' 


3 


11 —134- 


W 354°. 
Wie fein Ausdruck: ed ift nur Eine Sub⸗ Seite 
ſtanz, zu verſtehen d. 1234- 136 
Leere Ungereimtheiten, die man dieſem 
Ausdruck beimaß. .. 136137 
Rettung des Autdruckd, daß Gott die 
bleibende, nicht die vorübergehende Ur⸗ 
ſache des Weſens aller Dinge ſey. 137 - 139 
Sind Weltund Gott gleich ewig? . 43139 1460 
Urſprimg des Ausdrucks, daß Ausbeb: 
nung ein Attribut Gottes fe. . . 10 MM 
Wegraͤumung dieſes Ausdrucks aus Spi⸗ 


noza ſelbſt... 4414 
Nichtigere Beftimmungen Denen ‚ was 
Moterie ſey.. . 144 — 145 
Beſtimmung jenes Auedrucks. ... 145 — 146 
Folgen. . 146— 150 


unterſchied des unenduͤchen und Enrloſen. 150 — 151 
unterſcheidung der naturirenden und na⸗ 

turirten Natur bei Spinssn. . „ 1541—153 
Eeibnitzens präftabilirte Harmonie aller ' 

Subſtanzen.  .:. .153 15 
Db ſolche in Epinnsa’s Soñem Siege? . -B5—157 
Ob die mathematiſche Methode willkür⸗ 

lich angenommenen Begriffen oder har⸗ 

‚ten Ausdrücken obhele?_ . . . 457 — 159 
Vanini's Charakter. .  . i . 159 — 160 
Bott. Eimige Husfprüde der Morgzen⸗ 

länder. .. 1219880162 


Drittes Gefſprch. Eingang. Verfo: 


nifikation der Nemeſts.. . . 163 | 
Yuflöfung der bifdlichen Vorſtellung in 
wiſſenſchaftliche Formeln.. 164 — 166 


Welche Folgen der Begriff von innerer 
Vollkommenheit, Güte und Schönheit 
in der Exiſten; und Fortdauer eines | 
Dinge gewähre! > 2 2 002 002 166—167 





Bar 17 
Ecke, 
Wahrheit und Schönheit des Begriffs von 

"inneter Nothwendigkeit. .. 167— 168 
Ob Spinoza Gott zu einem gedanfenlofen 
Weſen dichte? Dee... 18169 
Vielmehr legt er ihm die Vollkommenheit 
eines unendlichen Denkens als Attribut 
feiner hoöchſten Wirklichkeit und Grund⸗ 
macht bei.. ..10172 
Ob Spinozas unendiich⸗ denkender Wefen 
ein geſammelter Name einzelner Denk⸗ 
kräfte fen? een en . 195-173 
Das adfointe Denken it nach ihm auch 
das abſolute wollen, mithin bie hoͤchſt 
Macht nothwendig auch die weiſeſte 
Macht, eine nach innern Geſetzen gesrd⸗ 
nete unenbſtche Güte. .. 173— 175 
woher er gegen Die (ogenannten Endte6> 
ſichten Hart rede? 2 2 220. 3% 
preten ſoicher Anthropopathieen und 
Willkürlichkeitteeee. 1776-179 
Leibnitzens moraliſche Notwendigkeit. 180 
Wie weit fie reicher ee. 386-183 
Wieſern die Welt sufällis-im. - + + 13-185 
Auflöſung ded Begriffs der Forisentionch 
Ien in bie weſentliche Nothwendigkeit. 185—187 
Wunſch su Zorichung ihrer Geſeze. 187 — 188 
Ponfito: Thevlosien. - 2 ten. 188 
Leffing, ein Spinsili? . . 4069- 190 
Vierted Geſprüch. Leſſtugs Melerum 
. sen über Spindra. —X 0 0 4— 0 0 -192 
Bon Gott‘ald einer perſonlicken urſache 
der Welt. U} 4 ¶ “ 4 34— “ « 193 
Was ver Amdruck Perſon, Perſonlichkeit 
bedente? 0 « 0) . . 0 0 _ 193 — 194 


*22 


Rode} und Leibnigens Erklänungen der 


X 


356 
Seite 

Ansdrücke Perſon, Verſtand u. 4194 17 
Leifing$ Scherr / daß Fein freier Wille ſey. 197198 
Ob die Kraft de Denkens in einer böhe — 

ven Kraft gegründet ſey.66m-20 
In einen höheren, d. i im böchſten reellen 

Begriff gewiß; und wer if Biefr? - 20 
Ob diefer außer allem Begriff liege? . . 200— 201 
Leibnitz und Erin. > 0 0 0. 2 
Zeibnitzens große Art au denfen  . . 202-203 
Ob er feine Philoſophie den herrſchenden 

Lehrmeinungen aller Partien anzupaf 

fen getucht babe? » 0 0. - 203—204 
Ende und Refultat dieſer Leſſingſchen 

Aeußerungen. 24- 205 
Vom perfönlihen Supra und Extra⸗Gott.. 205 
Ob Spinoza bie Gotteit dem Fatum un⸗ 

terworfen? . 0 . .- . 0 206 — 207 
Wodurch ſich fein Eurem fo viele Miß⸗ 

verſtändniſſe zugezogen - - 207 - 209 
Eyinesa’s Anrede am die Mißverſtehher. 210 
Schätzbares in Jakobi's Buch Über die 

Lehre Erin: > ee.  M0— 2. 
Kleiſts HHumuußs. 6682172-243 
Der Begriff einer ſelbſtſtaͤndigen Wahr⸗ 

heit if die Demonſtrat ion von Gottes 

Daſeyn ſelbſt. 214- 215 
39 diefe ſelbſtſtändige Wahrheit zu finden? 215 — 219 
Von der Demonfiration auf dad Verhält⸗ 

niß zwiſchen urtache und Wirkung ge 

bauet. 0 \® . .. 0 219 — 220 
Ob die Schöpfung Emanatlon ſey? ı. 221 
Ob Spinsza fein Syſtem aud.der Kabbala 
 sefhöpftünbet : 0 0.  21—224 








” D6 der Ausbruck „Welt ceele/ der Sort 

heit geitene?. - 2°. « 24-223 

Sott, in Sura aut Gileims Sanadat. 228 — 230 
‚Sünftes Geſprach. Eingang. Aus—⸗ 


drückende Symbole der Wirklichktkeit 
d. i. dee Macht, Weisheit, Güte find " 


Ainder Schöpfung.230-231 
wWie Daſeyn unferm Ertenntnit geseben 
Wr? ee . 232 
Der Begriff ber Netäiwendigfeit iſt wit N 


drückend, fondern erfreulich. + + 23 
Wirklichkeit iR ber Grund aller Begriffe . 

und Wahrheit; das Nichts iſt michts.. 234 — 239 
Wirklichkeit iſt ein unzertheilbarer Bes 

griff/ der Grund aller Kräfte. . > 239 — 240 
Erfter Grundſatz: Daſeyn Tann fich nicht 

anders ald daſeyend offenbaren. Das 

höchſte Daſeyn bat feinen Geſchöpfen 

dad Höchſte gegeben, Wirklichteit, Da⸗ nn 

feyn. . 0 0 240 — 242 
Das wathhreſte Datenn "ann ſich mät an · 

Ders als innigwahr offenbaren; mithin 

iR jede feiner Darkellungen ein Aus 

deuch weſentlicher Macht, Güte und - \ 

Weibheit. Zwreiter Srundfap - + 242 —243 
Aulle Drsanifationen find Ausdrücke die 

ſer Eigenſchaften alt lebendiger Kräfte, 243— 246 

Begriff won der Daterie. - -. 246 247 
Gpinoza's Begriff vom Leibe aid einer 

weſentuchen Sorm der Serie. - . - 2497245 

„ Harmonie, die na in FOR Drganitasien. 


offenbaret. - - « .. 249 ° 


Einfache Veſer⸗ der Drgamifationen; 
.. Beharrung, Bereinigung oder Schris 


37 


Eeite 
dung,Verahmichuig mit Fa " - 
or Abdruck. ‘ % s 250 
ESettetz des Veharrung d einteinander. 
ſetzung des Entgegengeſetzten, durch Pole, 280 — 257 
Verähnlichung der Weſen durch gegenſei⸗ 
tige Mitthe ilung...288- 260 
Stille Wirkung des Daſeyns nach Stufen, 
“und des emineniten Daſeynſs. 
Verähntichung mit ſich bringt Weinbare — 
—Zerſtörung in die Schöpfung; "fie iſt 
nothwendiges Geſetz: eine 
2 fortwirkendes Lebend.2660 - 265 
Ob dieß forrvirkende auch Bin ſorerittken· 
des Leben ſeye teten 5266 
Daher zezogene Lehrſätze. = = 267-269 
Vortheile eined philoſopherenden Seſprächd. 270 
Ob Spinoza mit feiner einzigen Subflams - 
einzelne Weiſen des Dafenns, d. i. Zus 
dividuationen vernichtet babe? . + « 274 
Was Individugtion und Selbſt fa? . 271— 273 
Grade des Selbſtgefühls oder Sell... 24-275 
Nachſchrift. Zwiefache Gattung der Pi \ 
loſophie aus Ueberzengung und Meberrebung. 275 
Gewißheit einer wahren Idee Tach Svinsra. 276 —277 
Norm einer wahren und ber prägnante ” 
ſten reinften des als "Wetbebeiu allen 


wahren Ideen. .. . 270281 
Lefftng über die itkatei der Dinge. 
same Sc et BU 


Shaftesbury's Naturkyminis.: 
Erſter Befang. Landleben Natur. Gott. 28 — 234 
zweiter @efang Allbelebung. NRaft⸗ 

„loſe Verjungung der Schöpfung. Be 

wegungte Raum. Zelt. wm 
Gedanke, Bott, . 2835 — 286 


| 











859 
Dritter Gefang. Der Sternenhimmel. 
Die Sonne. Die Planeten. Die Erde. 
Der Menſch. Gott. 


Vierter Geſang. eich der untericht 
then Schöpfung, der Erbe, ber Luft, 


des Waſſers7 des Kichtö, des Aether, 


Fünfter Sefang. Polargegenden unfes 
rer Erde Gtürme, Froſt, Schnee, 
wilde Thiere, See⸗Ungeheuer, Men; 
ſchen. Macht der Menſchenvernunft. 

Mittagsgegenden der Erde. Sonnendige. 
Kühlung. 

Indien. Der Elephant, Inſekten. Der 
Seidenwurm. Arabien. Das Kamel. 
Aegypten. Der Krokodil. 


Das LAtlasgebirge. Der beitige Pain. Die 


Gottheit. 


/ 


Geite 


286 —287 


23 _ 


Anhang. I Lieben, Selbſt heit 1782% 295 — 321 


IL Thomas Campanella. Stim- 
meen eines gefeffelten Prome- 
theus aus. feiner Kautaſue⸗ 

böhle.*) . . 0.0 22 


Y 


*) Zerfir. Blätter, 1. Thl. 
**) Adraſtea, TIL Band. 





» ! 
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„Zohan Gottfried von Herers 
ſaͤmmtliche Werke, 


| Zur Philoſophie und Geſchichte. 


Zehnter Theil. 





| Stuttgart und Tübingen, x 
ds ver % © Got ta'ſchen Buchbandlung. 
1828. 


“r 








_ Sohann Gottfried von Herder, 
Sophron. 





Geſammelte | Schulreden. 


Herausgegeben 
durch 


,Johann Georg Müller. 


Li 





Stuttgart und Tübingen, 
in ver J. G. Eostta’fhen Buhhandlung. 
1828 











\ 
Borrede des Herausgebers. 
Ich Hoffe die Freunde der Herderiſchen Muſe 


mit der Herausgabe nachfolgender Smulreden, die 
der verewigte Verfaſſer als Ephorus des. landes- 


fuͤrſtlichen Gymnaſiums zu Weimar bei den jaͤhr⸗ 


lichen oͤffentlichen Proͤfungen hielt, angenehm zu 
uͤherraſchen. Außer der Gedaͤchtnißrede auf den 


ſeligen Maſaͤus iſt noch Feine derſelben im Druck 


erſchienen. 
Ueber Pädagogik und paͤdagogiſche Syſteme un⸗ 


| ferer Zeit hat Herder fi in den nod) von ihm 


jelbſt herausgegebenen Schriften nie, oder nur bei⸗ 
laͤufig, erflärt. Aber In der Schule, wo Amts⸗ 


pflicht ihn Dazu. aufforderte, da ſprach er mir Frei- 
1. muͤthigkeit, mit Undefangenheit und mit Liebe über 
. ‚die wichtigften Materien, welde den Unterricht be= 


fonderd in den hoͤhern Willenfhaften betreffen: 


. -deun dleſe Pflanzftätte des aufblünenden Geſchlech⸗ 


tes war ihm ein. Heillgtbum, der liebſte Wirkungee 
freis feines Amts, ihr Gedeihen und Fortſchritt 
feine heiligfte innigfte Angelegenheit, und ter Um⸗ 


. gang mit hoffaungsvollen Juͤnglingen verjüngte fein 
.* Xeben. Freimuͤthig fprad er, da Amis: Gewifen- 


baftigfeit und die Einſicht mancher Fehler und ver- 


r kehrten Methoden fn-ienem Unterricht ihn dringend 


— 


— 


— 6 pp — -.. De 1 
r 


dazu aufforderten; unbefangen, weil er bier nicht 


zu einem unfihtbaren Publikum fprah, wo (wie 
ihm felbft faft gewöhnlich widerfuhr!) auch bie 
wohllautendite Stimme fo bald verhallt, wenn fie, 
deutfhen Ohren, nicht aus zehn Journalen in kur⸗ 
zem wiberhallt: ſondern an Ort muß Stelle, zu 
Juͤnglingen, die ihn lichten; zu Lehrern, bie gleich 
mit ihm dachten und die er, als feine Mitarbeiter, 
aufrkehtig ehrte und llebte, unh Deine Si, gleich⸗ 
fa Vortrauen / Peiner luatſrfero Beh er⸗ 
Se. nase nn 
BR Rene runs TEL 
a Barton’ @föfen Mebentwinei nalß bitkigen hehe deffen 
us pineh ER ſeinennRieben MDR RAirche 


ug ich ·in ſpalern⸗Jaͤhren i broſ Enteirfe, 


obwohl genau und ausfuͤhrlich, auf; diefe Schuire⸗ 
udewhingegen gauz, Wort ſaee Wort ind ſelbſt 
in der Stellung der Workte ſorgfattig ausgebefferi, 
r⸗Als· ihaãtte er feibfe ſie zumꝰ Oben Und, 
po ſo wle Fe dadſind, ſolſte ihnen auch dkeiletzte 
Felle mangeln — welche Fuͤlle der Gedanken in ih⸗ 
et welche Schonhekt und welheriFluß der Rede! 
vweſche Aliwend barkelt In fFeknen Rathſchlazen! weis 
BE Hummitar ud reiche Sa file dasge⸗ 
reine Wohl! — "Das von-!ihtn ſo herztiich ge⸗ 
ebte, forrreun beſorzte fuͤrſtliche Gommffum zu 
Welmar nehme fen das Vermuͤchtukß des großen 
Mannes a n 
DEE wiqhtigſtern Ge geriſtaͤndende d vfferclichen Un⸗ 
vtemichts werden hier adaehaudelte nd Hiekders 
Amtgeuds wie hler ſo ſtark and numwunden auns ge⸗ 
n Wrochene) Aiheilon Ader⸗ den SGefſt! du wiſſefchaft⸗ 


⸗ — 
— 








* 


7 


AUqen Diagen, uͤber Barsige unh Rerdarbniſſe deſ⸗ 
Feiben, Aber die Mitzelt dieſe zu heben, aund jene 
zag vermehren, was· fuͤr dig Neftunsatien-det Wiſſen⸗ 
AAaaften in efner Zeit, wo viele ihren gänzlichen 
Verfall befurchten, wo audete (ſelbſt ſolche, die 
für Reformatoren der Paͤdagogik gehalten ſeyn wol⸗ 
sten} aus ualenntniß hren: Werth für das gemeine 
Mohl tief: herabſehen, mo alles eine Umſchaffung 
. aller monſchlich en Einrichtungen und: Ideen zube⸗ 
‚weitet, zu thun ſey? — ſind mit ſolcher Klathelt 
„und heſtimmtheit / mit ſo viel Weistzeit und Sach⸗ 
Nenniniß, mit fo; piel Geiſt, Witz und Lebendigkeit, 
ah zugleich mit einer ſo ungeluͤnſtelten Beredfam- 
deit des Herzens geſagt: daß ich voraus des Bei⸗ 
‚Ans ber: Beſten unſerer Nation: zu der. Heraus⸗ 
„gabe diefes Reden verſichert bin... Ich habe darum 
auch den Herrn Verleger erſucht, Diele NReden noch 
. Hefanders herauszugeben, damit die, melde fie vor⸗ 
. güglich angehen ,- Lehrer In Opmnaflen und Buͤrger⸗ 
Nhulen, {deren Beroldung gewdhnlich kanm zur Anz 
-Achaffung des Beodes, geſchweige gu der fo koſtba⸗ 
„ger. Dächer, wie diefe Sammlung ber Herder ſchen 
‚Werte fit, hinreicht:) und wer fonft: als Ephorus 
ober. Pifitator Amtes megen Einfluß auf das Schul⸗ 
weſen hat, ſie kaufen koͤnnen; denn fuͤr alle ſolche 
ſollten ſie ein immer zur Seite liegendes Handbuch 
mörben. Dach, fie beduͤrfen meiner weitern An: 
preifung nicht! - 

Es find noch einige aus Riga und einige latei⸗ 
niſche aus Weimar vorhanden, aber unvollſtaͤndig; 
unter den erſtern eine vorzüglich intereſſante, von 
der Srazie in den Schulen; unter ben letz⸗ 


tern, : eine folge de muneris scholasti- 
ci dignitate, utilitate et sanctitate 
(1786.J aber es fehlt an beiden zw viel, als daß 
fie abgedrudt werben Tönnten. Ueberhaupt habe 
ich nur folhe aufgenommen, welche ein allgemeines 
Intereſſe haben. 

Da Herder In biefen Neben Matth. GSeßners 
mehreremale mit verbientem Lob gedenkt, fo habe 
ich feine ausführliche Recenſion der Geßner'ſchen 
Iſagoge aus ber alten Lemgoer= Bibliothek im An: 
hang beigefügt. Der Grundriß des Unter 
richtes eines jungen Herrn von Stande 
iſt rei und fchön, aber er bedarf eines Herders 
Geiſt und Gelehrſamkeit ihn auszuführen, wentg- 
ſtens (da alle Theile deſſelben da oder dort im ih⸗ 
nen bearbeitet find). eines fleffigen Studiums der 

Herder'ihen Schriften. - . 
Das Ideal einer Schule, wie Herder fie 
in feinem geliebten Riga auszuführen gedachte, iſt 
Fragment aus einer merkwürdigen Haudſchrift, 
welche er 1769 auf feiner Seereife ſchrieb, worin 
. er feinen Fünttigen Lebensplan mit ſich ſelbſt über: 
legt, und fi bie Siele feines Wirkens ausſteckt. 
In der Biographie werbe ich mehr bavon fagen. 
Scaffhaufen ben 28. Nov. 1809. 


Joh. Georg Müller, 
Profeſſor. 





, _ - 
—— — wi u, 
— — — — * 


I. 


Von der Nothwendigkeit der Schulzucht zum 
Flor einer Schule. 1770, 


N 





Ich fprach im voriährigen Eramen *) uber den. 
Schaden, den ein zu frühes Elleu von 
der Schule auf die Akademie mit fi 
führte; und Fonnte davon Latein ſprechen, weil. 
die, welche es anging, den Inhalt ber Nede.allen- 
falls In diefer Sprache ‚verftehen Fonnten; Ich ſpreche 
heute über eine Materie, der ich gern ein allge: 
meines Ohr wünfchte, und ſpreche alſo Deutich.. 
Ich will nämlich von der Nothwendigfeir 
der Schulzuht zum. Flor einer Schule 
reden. R 

Da unlängft in diefem Saale eine latelnifhe 
Rede gegen den Mißbrauch diefes Worts gehalten _ 
worden iſt, fo fern viele unter Schulzucht nur Nathe 
und Bakel verltehen wollen; fo lege ic gleich den 
damals gegebenen richtigern Begriff zum: Grunde, 


”) Diefe Rede iſt mur unwenftändig vorhanden. 


% 


* 


10 


den auch ber berühmte Erneſti in feiner Abhand⸗ 
Iung von ber chriftlihen Disckplin wohl aus⸗ 
einander gefeht hat, daß nämlich zu bem, was 
wir Disciplin, Zucht, usden nennen, inſonder⸗ 
heit gute Sefiunungen, Anſtalten, und 
Vebungen gehören zu dem Zweck, dazu man 
ung ziehen uud erziehen will. Zur Schulsucht ges 
hören alfo auch richtige Geſinnungen, An 
flalten und Uebungen zu dem Zweck, wozu 
„sie in ber Schule follen gezogen werben. - Und da 
dieß Fein anderer, als die Slüdfesigtett und 
manderiet Nutzbarkeit des Menſchen, 
des Chriften, des Bürgers Ift In den man- 
berlei Ständen und Zuftänden, wozu ihn die Vor⸗ 
Nehung beſtimmt Hat, fo wich man bet kllem, was 
Schuldisciplin heißt," auf dieſen Zweck bes 
"Lebens Hinansfchauen und der goldenen Regel: non 
scholae sed vitae discendum’ überall’ eingebenk 
ſeyn muͤſſen, woher fih denn die Nochwenditg- 
keit md Nutzbarkeit einer guten Schul 
zucht in allen ihrem Thetlen von felbft ergibt. 


- 


Was fol nämlich aller Kram der Biffen | 


. "Schaften und bes Gedaͤhtniß-lernens, wenn 
unfere Seele dadurch nicht zu guten Gefinnun⸗ 
gen gebildet, wenn unfer Herz und Leben nicht 

durch gute Vebungen genährt wird? Ich will mich 
nicht auf ben alten, ‘aber ſehr wahren Ausſpruch bes 
rufen: qui proficit in. literis 'ete.! die Chat und 
das Beiſplel mancher mißrathenen Juͤnglinge mag 
es zeigen. "Was half's Ihnen, daß fie viel wußten, 
viel Fertigkeit und Fähigkeit, daß fie viel, wie fie 
fagen, melernt Hatten) wenn ihnen; das vheßerLernen 








Z4AL 
wefagtee ) talleeriheSelerutes wat wirwienben ‚ober 
sche BR vrdu⸗en mdſendildoa zu möllen. ie 
tea DER Aurich fie rentzogen 
a ſich gar detn Schuloͤ⸗ mu zu vwr guſſew nderralles 
si auftdier ſchlochtoſt eꝰ Art ⸗zu brauch en · Die eh 
FR RETTET zchror Ligenen Wehlfahrt 
reis zul vernen waro nl HR Berk dazu war 
witre Seeler nit: vbbildet ſio nuͤberlaſſen ſich -alfo 
Super Riyten ; dern Freſheitder Ausſchwelfung. "Da 
angisper een det verbotrte · Banm⸗da liegt · feine 
Re ſchone abereleider vrraveltte Wlathe ti Eitern, 
itFteimde⸗AQrugehbrige weinen/allenFreunde guter 
angFaͤhtzreli · and Auiage, Yale Slebhabet der Menſch⸗ 
anhhell welnen: Merk HORB aum At dahin —.Sei⸗ 
— — 
Aaund ommtanicht lader in anigneit — 
trat eſeine ·blachenden Seelenkraͤfte und: alle Hoff⸗ 
Ahungen, dies man von lihmfaßte: fuͤr diefe und 
Alelleicht · auch far jeno Welt iſt er verloren,” Blute 
2 armes He der altern; bluke7 und wer ihn ver⸗ 
führer vernachlaͤfigt hat/ſuͤhle Flammen der 

Jnclenein ſeluem Buſen und vergelkende Rache tkeffe 
tn und Be ·Seinen.· — . 
hhabe den Fau gefetzt daß worh BL FFE N 
ughaften Ahne Sitten Teimen, "und bie 'gnte 
uit neichteAulage; manches: Yernortteiben:'kiime,: das 
wir in jungern Jahren gerne dis Hoffnung anſehen 
Andelleben iwie fetten iſt's aber); daß ſeidſt Eins 
ingpueibas Andere aufgehe vder kelme! Die veruach⸗ 
2paſtgte Schnlyacht / woelkche Hondevuiffs macht ſie ſelbſt 
PR DER Wiffenſchaften Anm bim Lernen 7Ein Lehter, 

aber ein n Feen til entre hat, habe er 


. 2 - 
alle Wiffenſchaften der neun — Mufen, fie werben 
ihm wenig helfen; Tamm ſo viel heifen, als viel- 
leicht die weit mählseve Willenichaft bei einem an- 


dern Lehrer, ber von feſter Natur und einem guten 


‚ ange ift, der wag er Gutes treibt, es bis zur 





- Bildung einex Geſinmug/ einer Gewohnheit treibt, 


der Wiſſenſchaften nit bloß: ausſtreut, fondern 


- einprägt, fie auch beuen elnprägt, bie dazu nicht 


große Luft hasten, kurz ber ber Lypkurgus und 


- Solon feinen Klaſſe wird, und an ihr auch an 


Seflunungen. und Sitten ein kleine tuͤchtige Republik 


bildet. Dem audern Lehrer, der Gaben der Wil 


fenfhaft, aber nicht. ber Zucht, bez Yebung nnd 
Disciplin hatte, Aufmerkſamkeit zu befeftigen und 
zu erhalten, Gehorfam zu weden und gu erhalten; 
ihm entichluͤpſt das Meiſte. Nur der Willige lernt, 


dazu nur In feinen willigen Stunden; ber Rabld: 
. fige, der Träge bleibt nach, und iſt er eine Seite 
lang nachgeblieben, wird ex ohne Zucht und Auf 


weckung gewiß nicht. nachlommen, und bie ihm fo 


‚weit voran find, einhofen-wollen. Er faläft lieber 
oder Left Romane. Dev Harte und Widerſpen- 


ftige fogar, ber getrieben feyn will, deſſen Seele 
. ein Kiefelfteln ift, aus dem nie freimilige Fanken 
fliegen, was wird er ohne. Schulzucht ſeyn? Was 
wird erwerben? Wenn noch fo viel gute Lehren um 
: Ah fliegen, er wird bleiben was er war, er wird 
taͤglich was ärgers, als was er war, - werden. 

Wenn keine Zucht zum. Guten da it; Die Zucht zum 
: Böfen geht fort, und zum Unglüd it ſie faplicher und 
. ber Yüngling zu ihr geneigter. Was Eltern, was 
Loehrer, was Vorgeſetzte nicht thun, wird. bie Faul⸗ 


N 


15 


beit ,. bad Rafter, werden böfe Buben thun unb the 
Bert vollfähren. Das arme Baͤumchen wird wach⸗ 
fen (denn wachſen muß es), aber ſchief und krumm: 
der Acker, wenn er nicht geadert und befäet wird, 
wit ſich felbſt beſaͤen, aber mit Unkraut. Das 

e Dute, was der Juͤngling im Schlendrian 
der Gewohnheit doch lernen muß, was ſich gleich- 
fam von -felbft In fein Ohr ſtiehlt, wird unter dem 
Unkraut erſticken, und fo iſt, als ob er gar nichts 
lernte. Herz und Seele war nicht babei da er 
{ernte, ex bat alfo nichts gefaßt, er kann's und 
will's nicht anwenden, nicht brauchen. 

- Ohne Sucht, ohne anhaltenden Fleiß und Uebung, 
wie wenig iſt's, was wir lernen? und das Wenige 
von wie wenigem Belange! Die Götter verkaufen 
und nichts ohne Mähe, ihre ebelften Gaben geben . 
fie nicht umfonft; alle grändtiche Wiſſenſchaft, zumal 
{m Unfange und in der Jugend, muß mit Schweiß, 
mit Hebung gewürzt werben. Was und nur fo an: 
fliegt, verfilegt auch: die Spren, den duͤnnen Haber 
nimmt der erfte wehende Wind fort. Daher wird 
von allen Verftändigen der Lebendige Unterricht, 
das gemeinſchaftliche Lernen, Schule und Gymna⸗ 
fium fo gefchäget und dem Selbftiernen und Selbft: 
lefen weit vorgezogen, eben weil Zucht, Uebung bei 
ihm vorausgefent wird: Gymnaſium nämlich 
Heißt Drt und Aunftalt der Webung: in allem was. 
gut ift, Wiſſenſchaft und Sitten follen feine Lehre : 
Ulinge nicht unterrichtet, ſondern geuͤbt werben. 
Schule fol nie ohne Zucht fepn, fonit iſt's keine 
Schule, denn eine Menge kann nie zuſammen 
beſtehen, (nie zuſammen unterrichtet oder gebt 


- 


151 


welehe Arbaaıasr — — 
tunssmndBinßelb:.. Nun was wir Adam miles 
mis; wir- Können nanıfo (nich As in seht hans; 
ben: dieß; allt sin: Seaachen- Wifenspaiienn Mille ; 
ten, amd ſchoͤnen Keſten, Eine Schule alles Man 
viek. Hucht. viel, und: ſtreuge Uebuns Im ken and 


alleriei / Gaten; hat, dazu Die —ãA 


fohndasıik eine gute Schuls. GSrunaßn 
das ſowohl in. Tunenben als in Faͤhigleiten eig: Alten 
ler Sauiplak edlen imngem Becken: wird, die im· 


Biehp and Medelferung einsenunb,fic.ühen; un | 


Das iſt ein wahres: und; gutes Gomraſium., 

diefe Quchs/ diefe: gute Wiſſenſchait⸗· mmd: Gitten- 

übuug:uiht if, ba iſt rin todtes Meer und wenn alle 
Maſen darin und. darum wohntond 

Ich ſage,t o dt o q Meier, und wähle mis Fleiß 
dieſen Audit, denn⸗giue / Schula ohne Qucht· ad 
Vehnug: tk nicht: nur aſt il l ſt e hen d und milk 
ſondern auch “Ubeold uͤ nſten⸗ und iug ift ige Ita: 

gend muß geblidet werden, oder fie: mißbiidet Apr 

jeibſt: dazu eine Menge Jugend: ‚Eins- verfährh 
"das: Andere. Kans ein raͤudig, Schaf eine ganze 
Heerde anuſtecken, wie denn nicht ein ruchloſen Schr. 
ler eine ganze Klaſſe und Schule. Er befommsi: 


ſehr bald Mitgehaͤtfen und WBruͤder, die laut oder 


im Stillen fortwirken his endlich eine sanın Schulo 


verpeftet werben. kann amd. notam infamiae daygn 


traͤgt. Weh ihr, wenn fie diefe einmaichatl wenn 
einmet: böfe Sitten in ihr Wurzel geſchlagen! Eine 


Schube ſtirbt nie ans, bis fie ganz erfiicht:: eine: 


Klaſſe geht und lommt und. Heibt und pflauzt fd 
Immer ſert mit allen. Methode ‚und-Befinzungen, 


155: 

die un 9 Dee fie, be Sivn und Nelgungen⸗ 
did —— « Ofb ſpuͤrt der Lehrer von eineme 
boͤſen Schüler: den Nachteruch noch lange nachher, 
nachdrin ct ſich entfernt hat, und yon Tropfen ſchlleßt 
man aufs Meer, von Einem Schuͤler aufalle: So ⸗ 
wie ſich in guten Auſtalten der Geiſt and die Seele 
ihros Siffters oft Jahrhunderte forklebt und man 

er Belſplele hat/ daß felbft Kante und -Möfe, :- 
wem: fiein ſolche Auftalten traten, vom Geiſt bes: 
Urheber und Inſtituts angeſteckt wurden und ihre 
alte: Natur -ablegten: fo gehf'6 leider auch/ wenk‘« 
Eintint: ein boͤſer Be An guten Anſtalten herrfchk. 
Er tft ſchwer oder gar nicht‘ zu vertreiben, unb kommt 
oft mit ſeben, bie aͤrger als er find, wieber. So⸗ 
dann · wehe dir/ Jugend! wehe dir / einzelner guter 
Arbeiter, der vergebens gegen den Strom ſchwimmt 
und in der See wilder Meereswogen ackert und 
pfluͤget⸗ Du verzehreſt deine Kräfte: einzelne Gute 
(denn das Gute iſt nie ohne Wirkung) (werben dir's 
danken: der große: Troß aber geht feinen gewohn⸗ 
ten Irrgang: faͤhrt feinen Geſellen nach und ſieht 
das Licht nimmermehr. 

Wie noͤthig kit alſo auch In dieſer Abſicht prin⸗ 
cipits obsta! Boͤfe Sitten in einer Schule ſind ein 
frefſendes Geſchwuͤr, das unter der Haut zehrt, 
Krebs: an jedem hinzukommenden neuen noch geſun⸗ 
den und lebendigen Gliede. Was tt leichter zu 
verführen, als die Jugend? was pflanst ſich Teich 
tee fort, als das Böfe? Man zieht's gleichfam mit 
dem Auge, man: ſaugt's mit dem Athem ein: die 
wächferne: Jugend nimmt Geſtalt an, ehe fie es 
weiß und faft will. Und ach, Geſtalt auf bie ganze 


% 


wi 


16 


Zeit bes Lebens! Yugendbiahre laſſen fig nit zu⸗ 
ruͤckrufen, fie laſſen ſich aber auch felten ober fodt 
zuruͤckbilden: quo semel est imbuta etc. faat das 
Sprüchwert und wie mancher Breis hat In feinem 
Alter keflagt, was er In ber Tugend verfäumt! 
wie mancher Miſſethaͤter auf feinem Richtplag bes 
: rent, was er In der Schule von Böfewichtern ges 
lernt und als Böfewicht geuͤbt Hat. Es iſt eine ge: 
meine Erfahrung, daß (Töchter find, wie ihre 
” Mütter und) Juͤnglinge, zumal den Wiſſenſchaften 

‚gewidmet, wie ihre Lehrer. Die Sitten ber Schule 
leben und auf Akademien, zu Haufe, in Aemtern 
and Ständen oft durch's ganze Leben bin an, und 
die Wunden, die und ba und dann gefchlagen wer⸗ 
- den, eltern noch oft im Alter, Wie nöthig, zumal 
in unfern Selten nöthig, iſt alfo Schulzucht,. gute 
Yebungen und Sitten ber Schuliugend! Wenn jetzt 
der Anabe in der Schule nichts Gutes lernt, wo fol 
er's lernen? wenn er In ber Schule Boͤſes treibt, 

wo wird er's nicht treiben? In unferer buͤrgerl 

Belt nimmt bie Ehrbarkeit guter und firenger Sit: 
ten fo fehr ab: die Erziehung in ben Käufern wird 
von Fahr zu Jahr fo üppiger und weicher: Alles 
verſteckt ſich unter äußern Glanz ber Artigleit, Höf- 
lichkeit und Weltfitte. Hat man fie, fo kann mau 
frech, wild, ein Bube ſeyn: ift man's mit gutem - 
Anftande, es gefällt, man wird von weichen, wel 
bifchen Sinnen geliebt und gelobet. Ein Kranz von 
Blumen wird dem Juͤngling um Haupt und Herz 
geworfen und drinn find Schlangen und Skorpione: 
ein Becher des Vergnuͤgens ihm an bie Lippe ge: 
drüdt, der von füßem berauſchenden Gift vol iſt. 
\ . So 








See for Ciesehichaiten, und, Alapeypin : dauon 


Wem... Wenn au der Kirche verwilberte Zweige gibſt 
wer » Wer kann bie alten barten Weite beugen? 
wenn du den Ghänden und ber Afademie, ben 
Sarzaiu:unn Richterſtuüͤhlen Gaͤnſe gibſt, was wirb 
WR imen anders als Gänfegefchrei bören? 
Wide (om is dir Grunbſie⸗ der Irreliglon, Frei 


„das fein Weh hie und ba im: In⸗ 
ners fuͤhlet, aber ihm nicht abzuhelfen weiß 
ſteht/ unh flehet dir, Schule! Es forbert von bir, 
Dei Wr anvertenute, feine jungen Sproffen und 


dir. gelingt, ſie dem hertſcheudon Strom zu ent- 

zeigen und.fe ihm⸗ fie ihnen ſelbſt zu teften. Biel 

leicht daß es dir ge ihnen beſſere Geſinnungen 

rinzupflenen, als die ſie zu Hauſe, die ſie in Ge⸗ 

ſchaften und taͤnden meiſtens handeln ſehen! ihn? n 
berders Werle Phileſ u. Geſch. X, 2 


18 


buch firenge Uebung bes fähen Fleißes und der 
füßen Tugenb Nerven gegen bie Ueppigkeit und eine 
ſtaͤhlerne Bruft gegen herrſchende Schande umb Baker 
su geben! Der Himmel fegue bih, wenn du fie 
gibſt, wenn du unter zerfalenden Trämmern, wo 
unter altem fanlenden Staube oft elend Sewuͤru 
kriecht, einen fhönen Tempel ber Nachwelt nube- 
merkt, unbelohnt, ungepriefen,, aber vor Gott und 
im Stinen baueſt. Verzage nicht, guter Arbeiter, 
wenn das Werk langfam flelgt: alles Ente sebeiber 
langſam, aber es währet ewig wie Sottift! — 

deine Pflanzen, deine Siylinge werben, wenn 8 
Aſche biſt, dic In deinem Grabe feguen. 

Und du alfo, die mein Wort gift, Jugend bieſes 
Goymnaſil! ich wänfce es und alle Guten wänfhen’s- 
mit mir, dich eine blähende Jugend nennen zu koͤn⸗ 
nen: eine Jugend, auferzogen in Zucht und guter 


Drbnung; die täglig bedenkt: wozu fie bier fe, 


nämlich geübte Siunen zu bekommen , zum linter- 
ſchiede des Guken und bes Böfen, und ſich alfo, wie 
in Sprachen und Willenfchaften, fo auch In Fleiß, 
Sittſamkeit, Mühe, Eifer, Strenge und allen gu⸗ 
ten Tugenden zu aben, ohne die Ihr nichts ſeyd und 
nichts werdet. Elin guter Kopf bei einem ſchlechten 
Herzen iſt wie ein Tempel bei einer Mörbergrube, 
und gute Wiffenfchaften ohne Sitten, ohne Er: 
ziehung iſt wie eine Perle im Koth. Zucht und 
Ordnung, Sittſamkeit und Beſcheldenhelt zieren 
jeden Menſchen, vornehmlich einen Juͤngling: fie 
find das Kleid der Ehre, das ihm wohl 
und in dem ihn jedermann Hecht. Ordnung mub 

Fleiß In den Kiaffen, Achtſamkeit gegen feinen Leh⸗ 





-_ 19 . 

ser und ſtiller Gehorſam find Ruder uud Steuer bed 
Schiffs: ohne fie tk Schule und Schiff verloren. 
Eine Klaffe, die ihren Lehrer nicht hoch hält, die 
ſich niet fagen läßt, In der Unorbnung im Kommen 
und Gehen, Im Hören und Arheiten, In der Schlaͤf⸗ 
rigkeit and Nichtsthuerei herrſchen, iſt ein Grab 
vol Todtenbeine und Unflath: im ihr kann nichts 
Gutes gedeihen. Der beite Lehrer arkeitet fruchtlos 
und die ſchoͤnſte Gelegenheit zu lernen wird nicht 
geachtet: der Schüler geht unwiſſend, miß= oder 
ungebildet aus der Schule und fo wird er Lebendlang. 
bleiten. Der Staat hat au Ihm fein Gutes verlo: 
ten, und fpät genug wird er ſelbſt über fi weinen 
und fi In Jahre und Gelegenheiten zuruͤckwuͤnſchen, 
die ihm nie wiederkommen werben. ber wohl. - 
bie, wohlersogener, auch in Schulen wohlerzogener 
Yüngling! freue dich der Schule und deiner Jugend, 
freue dich deines fräberrungenen Kranzes und deiner 
fhönften und ſchwerſten Hebung. Die ſchwerfte iſt 
allemal die fchönfte Hebung, und bie firengfte Zucht 
bat immer die fönfte Beute. Nulla dies vine 
linea, fey dein Wahlſpruch In Lehre und Uebung, 
fo werden ſich alle guten Menichen dein freuen umd 
Bott, "der Vater aller Zucht und guten Ordnung, 
wird dich mit Ehre und Kiebe fegnen. u 


m 


TU — 


2 


IL 


Bon den Wo⸗enrheilen ambı-Madhtpeiiee: don 
| u. Studir⸗ —— 4788. 





Unter — gobfprihen,: Ke'nnfere Belegen 
Bet, Ift auch der von der in ihr verbeflerten Lehrme⸗ 
thobe der Wiſſenſchaften nicht der geringfte: Erhat; 
wie alle Pobforäge, bie einem fo vielfaffehden Diäpe 
als ein Seitalter — in einer fo vielfaſſenden Sache, 
ald Lehrmethode aller Wiſſenſchaften iſt, gegeben 
werden, wie mic duͤnkt, ſetn Wahres und Fulſches, 
fein Gutes und Böfes. Der Strom aller Verbeſ⸗ 
ferungen auf Erben Länft mit aus = und. ‚einfpringen- 
ben Minfelm: bier reißt er ab, ‘dort ſetzt er zu. 

Es iſt wohl nicht zu laͤugnen, daß, wo In’ ek 
nem Seitalter die Wilfenfigaften ſelbſt "einen 
höhern Grab von Vollkommenhelt gewinnen, eben 
damit auch bie Lehrart verbeffert werde, in ber 
fie andern beigebracht werden.” Su der Belt, ba dit 
Naturlehre nichts als ein Namenregifter von Ab⸗ 
ftraftionen und verborgenen Qualitäten war; Tonnte 
Ste auch nicht anders, als ein ſolches, gelehrt 
und gelernt werden: fie ward alfo fchlecht gelernet. 
Man ralfonnirte über viele Dinge, die es in ber 
Natur gar nicht gab; firktt über fie nach angenom- 
menen Formeln und Diftinktionen!: Erfahrungen, 
Verſuche waren verbannt; fo war bie Lehrmethode, 
was die Wiſſenſchaft felbft war, Spinnweb. Es 








21 

t ins Auge, daß, nachdem über zwei Jahrhun⸗ 

te her, dieſe Wiſſenſchaft und die Muthematit, 
ihre. Schweſter, beſſer gebauet und aus den Kerkern 
der. Scholaſtik in's Licht der. Erfahrungen gezogen 
‚worden, man In Ihr mit ungleich geringerer Muͤhe 
ſichere, reichere, gewiſſe Wahrheiten lernen Fann, 
als man. es einft konnte. Die Verſuche llegen ver 
aller Welt da: die Lehrfäße, bie darauf gebauet 
werben, ‚find entweder unmittelbare Arlome, oder 
wo ſie fih In Folgerungen verlaufen ,, tfl’ö. diefer 
edeln Wiffenfchaft Art, ſogleich den Grad von. Ge: 
‚wighelt anzugeben, In dem man fie anzunehmen 
babe; in, ihr alfo und der Mathematif darf man 
alfo Gottlob! Leine Lügen lernen: mau kann eine 
RMeihe heller Wahrheiten auf bie Fürzgefte, leichteſte 
Axt ſaſſen, und bie Merbeflerung faget. gewiß viel. 
- Der Naturlehre und Mathematik feße Ich bie 
Natursg eſchichte, die Geſchichte und Geographie zur 
. Seite. fie gründen ſich zum Theil auf iene und find 
mit Ihnen gewachſen. Seit man die Erde phyſiſch, 
diſtoriſch, mathematiſch, geographiſch mehr Kennen 
gelernt, find aus den genannten Wiſſenſchaften eine 
Menge Fabeln entwihen, die vorher zum angeneh⸗ 
men Popanz der Kinder darin fanden. Man kennet 
weht MWeittheile, mehr Geſchoͤpfe und Naturarten, 
d lennet fie beffer: durch's Band ber Schifffahrt 

d ung eutferute Länder naher geworden, und weil 

% pfel Reiſende, weil ganze und mehrere Nationen 
ſie Iennen Lernen, darf man von Ihnen nicht mehr 
‚fo. ungeheuer lügen. . Aus den dunfeln Jahrhunder⸗ 
‚sen ber Geſchichte ſind eine Menge Fabeln, unge⸗ 
wille und. abertrlebene Dinge aurmeder ausgetrieben 


— 


22 


vder gebrandmahlt, und es wird wenigſtens wicht auf 
ſie, als auf den Hauptzweck und das Hauptvergnuͤ⸗ 
gen ber Geſchichte gerechnet. Der Knabe bekommt 
alſo eine beffere Geſchichte, Geographie und Ratur- 
geſchichte zu lernen, als man vor ein paar Jahrhun⸗ 
derten lernen konnte. 

Die philologiſchen Wiſſenſchaften find denen, die 
Ich bisher genannt, nicht mit gar ungleihem Schritt 
‚gefolget. Unter einer Menge philologiſcher 
Meinungen, Lefe: und Erflärungsarten bat man 
mit der Zeit die Auswahl bes Beten gemacht und 
theild eine Sammlung guter Ausgaben der alten 
Schriftſteller, theils einen Votrath auserwaͤhlter 
guter Huͤlfsmittel zu Stande*gebracht, bie man 
Saprhunderte vorher nicht hatte und haben Fonnte. 
Viele und vieler Augen feben mehr «ls die Augen 
Eines; felbft bei Einem Menſchen lehrt Ein Tag 
ben andern, und am meiſten iſt aus den Streitig: 
keiten ber Kritiker, wo jeder feine Meinung aufs 
ſchaͤrffte vertheidigte, wie fie vertbeibigt werben 
Eonnte, eine Gewißheit und ein Licht erwachfen, wie 
fie bei Sachen folder Art nur feyn können. Der 
Schüler wird einer Menge unnuͤtzer Schalen uͤberho⸗ 
ben, an denen andere Zeiten noch Tuuen mußten 
vnd genießt den Kern: fait unnuͤtzer Streitigkeiten 
ſucht man bie alten, die größten SchriftfieHer ber 
Melt, mit Geſchmack und was noch mehr tft, wit 
Verſtand zu lefen, fie anzuwenden, fie zu verbauen. 
Selbft in der Theologie, als philologiſche Willen: 
Schaft betrachtet, iſt man über mancherlei unmätße 
Streitigkeiten binmeg, der Schüler darf mit eimer 
Reihe nußlofer Diſtinktionen verfpont werben, be: 


1 





23 


ven Veranlaffnug und Gebrauch in andern, dunk⸗ 
fein Selten war. Die Huͤlfemittel der fogenannten 
Heiligen Sprachen find, auch, aus ben weltlichen 
. Schriftftellern, erweitert: man liefet und erklaͤrt 
die Bibel, wie man ein anderes Buch erkläret und 
Durch einen neidloſen, mildern Anbiid, durch einen 
allgemeinern und, wenn ich fo fagen darf, menſch⸗ 
dern Gefichtepuntt, durch Entfernung der MYRit 
und ber: Polemik, wo beide nicht hingehoͤren, wirb 
auch bier in dieſen ſteilen, vielgetheillten Pfaden, 
Avtele Ferwege und Abweichungen nicht vertheibist) 
mit der Zeit ein ebnerer Weg bereitet. Das alles 
NAießt in die Methode ein, erleichtert, befeftigt, er⸗ 
Säutert, bewährt fie: ie mehr in einer Wiſſenſchaft 
das Helle vom Dunkeln, das Wahre vom Falſchen, 
Das Nuͤtzliche vom Entbehrlichen gefondert iſt, deſto 
beſſer iſt die Wiſſenſchaft zu lehren, defto leichter, 
angenehmer und möglicher ift fie zu lernen: denn wo 
Acht if, Tann man fehen, und wo Ordnung iſt, 
kann man überfhauen und finden. 

Ich wänfchte, daß ich in die ſem Ton fortfahren 
Loͤnnte, und nicht zugleich von mancherlei Verbeſſe⸗ 
zungen ber Lehrmethode im Unterricht der Wiſſen⸗ 
Achaften reben müßte, bie mir Feine Verbeſſerung 
deinen. 1. Hat man das Licht und bie Nrönung, 
deren fich unfere Zeit mit Net In den meiſten Wiſ⸗ 
fenfchaften freuen koun, fo weit ausgebreitet, daß 
alles gleich Licht und noch mehr gleich leicht und. 
faßlich, ie für_alle gleich Leicht und faßlich 
ſeyn fell — umb dieſe lite, leichte Methode in 
_usum delphinorum aevi nogtri iſt, duͤnkt mic, 
ſomohl der Natur der Wiſſen haſten an ſich, als 


24 
‚Ver: Natur unſerer Soele "und "ber: Tr umuichantet 
menſchlichen Seelentraͤſte, eadlich and widiiite dem 
Zweck und Nutzen entgegen; ben man von Erlerunag 
ber Wiſſenſchaft Haven Toll. So wie: alles tun Ber 
Welt in gleich licht iſt; ſo kaun auch nicht alles 
in der Wiſſenſcheft ſeyn, und wer Licht hineinlagt, 
wo kein's iſt, wer Foßlichkett hlainaͤgt, wo :fie 
wit. iſt; iſt GSaukler, nicht Lehyer. — Jede Wiſ⸗ 
ſenſchaft Hat ihre eigene Methode, uud wer eine 
in die andere hinkberträgt, macht's oft nicht: Eiger, 
ale wer in ber Luft ſchwimmen, Au Waſſer [dem und 
ackern will. Strenge: Wahrheiten der Metcphat, 
Phyfik, Diatdernatik in Geſpruͤche ober in die Dich⸗ 
tung eines Romans Tieiden,, iſt meiſtens richtizle⸗ 
mender und anſtaͤndiger, als in den ſcholaſtiſchen 
-Beiten eine romanhafte Mathematik, Phyſfit und 
Metaphyſik ſelbſt war. Es iſt gar nt gleich viel, 
eine leichte Seſchichte dieſer Wiſſenſchaften und ihrer 
Lehrſaͤtze, etwa Anekdoten von ihrer Erfindang und 
Anwendung im Kopf haben oder die Wiſſenſchaft 
felbft, Ihre Leheſaͤze und Anwendung gelernt haben; 
denn’oft fieht man, daß, wer fih an. dieſen über: 
zuderten Wiſſenſchaſten, oder vielmehr antſelchen 
falſchen Zutker, womit feine Wiffenſchaftt uͤberzegen 
war, ſatt genaſcht hat, nachher nie "die "Anfangs 
bittere, ‘aber nachher gefunbe und ſtuͤrkende Wurgel 
zu Innen mehr Luſt Hat. Was hat's für ine: Nu⸗ 
g den gebracht, daß man alle pheilo ſophiſchen Zäkffen- 
f@aften plögtiih in mathe matiſche Sem sont SR Oſt 
ein einziger mangelhafter, unſtaͤter, d 
griff dadurch volllommen, feſt web reset 
mau die Namen, Axtoma, Dem vn ſtea vie 





Fl 


‘225 


1er eteriind for meh’ 6 tein Fuaſhen· mehr 
s6Matzen bringen, : wenn man die -Leibnisiihe mb 
.Stewtonkiche Philofophie pour les-dames er: pyar 
. ‚desvenfants einzichtet. Die: Philoſornthie in folbcher 
Cracht wird feldft. Dame, wirb ſelbſt Kind; fie 
verlkert aber damit Embzwed,. Würde, Beil 
mung. Ein gleiches iſt's mit Sprachen, die man, 
als ob’3 Keine: Sorachen wären,: aubrelngebornen. 
Begruͤfen, ohne Gedaͤchtuiß, Mihe und-Brammatil 
Jernen fol. Das Lernen iſt auch darnach und: If in 
wmeniger Zeit: ein fenftcd:Mergeflen geworben. Ju's 
fſonchte Waſſer, tu. leichten Sand iſt alles leicht ge⸗ 
ichrteben, and. wird auch wie auf feuchten Waſſer, 
wie in leichtent Sande gluͤcklich verwehet. Die Seele 
: hat: keine Naͤgel, "woran: fie, mas fie lernte, aufs 
ı gehaugen und init ihnen in fich eingeheftet hat, die 
gegelä der Srammatik ind Naͤgel, Mühe. des ge⸗ 
nauen Lernens und Wiederholens iſt die-Eingeftung 
derfelben; dafür: aber fteden ſie auch feſt and laſſen, 
feibft: wenn fie mit Gewalt herausgeriſſen wuͤrden, 
Spuren nach ſich. Eine Grammatik muß der 
Menſch iernen, denn Grammatil AK Philoſophie der 
WEeprauthe, und die Sprache iſt ja der Umfang aller 
me nſchlichen Begriffe; am je einer volkommenenn, 
ausgebildetern Sprache man alſo Grammatik, b. i. 
eine Nogit und Philoſoohble der menſchlichen Ver⸗ 
»aunft lernt; deſto beiſer lernt men fie, mad brhaͤlt 
an ihr ein Modell für Orbnung, Gommmigteit und 
‚arbeit der Begriffe tm: Kopfe fuͤr mlle andern Wiſ⸗ 
wmftenfchaften,“ Sprachen md Kuͤnſte. Ein Menſch, 
er ‚im ſeinem Lake beitte Geammatik ‚gelernt hei, 
Dlerut ſein Leben ·darch nicht ganan ; eigen ah 


IN 


26 


cher ſprechen und fhreiben: er irret in Ungewlßtzeit 
umher, und hat Fein Leitſeil im großen Labyrinth 
der Sprachen und Worte. Erufins, ber große 
Philoloa, nannte bie Theologie felbft eine gramma- 
"ticam divinam, uud Geßner wendet auf fie an, 
was Luther von der Theologie ſagte; fie raͤcht füch 
An ihren Veraͤchtern. Sie raͤcht fih wahrlich auch 
an dem, ber mit ihr tändelt, und fo.rächen fich ale 
Wiſſenſchaften und Kuͤnſte au bem, ber fie auf zu 
Leicht ſpielende Art zu faflen Luſt hat. In der Ne: 
tur und Im Lernen wachſen die ofen unter Dornen: 
nur auf bieten pfluͤkt man ſie. Durch's Lernen, 
durh'6 fhwere Lernen, durchs mählame, 
‚ganze Erfaffen, üben wir uns, wir bekommen Stärke 
und Luft mehreres zu fallen, fchwereres zu lernen; 
da hingegen ein Menſch, der ſich nie zum captu der 
Wiſſenſchaft erhebt, fondern ben bie Wiſſenſchaft 
immer ad captum gemadt, b. i. wie Honig und 
Brei um den Mund bes Eranfen Säuglinge ge: 
ſchmiert werben fol, auch nie gefund, nie.ftart 
werben wird in Begriffen und Geelenträften. Cr 
wird nachher In feiner Haupt: und Brodwiſſenſchaft, 
in feinem Geſchaͤft, In feinen Lebensverrichtungen 
ſo biöde und ſchwachherzig thun, wie er in feinem 
erſten Schullernen geübt wurde. Was ſich nicht er 
Hafen, wicht ertändeln laͤßt, das iſt fr ihn wicht 
da: der Kern bleibt unberuͤhrt, wo nur ein paar 
Zwiebelſchalen umher find. 

D wie manderlel Lodfpeifen und Lodpfiffe kom: 
men in unferer Zeit zuſammen, ben Juͤngling vom 
‚ männlichen Wege des Gtublums abzuienten, usb 
do die Gaten ber Enkypfo der dee Bunde an 


27 
im Lernen der Wiſſenſchaften zum verfenten! In nu⸗ 
fern Zeiten iſt das goldene Jahrhundert Saturns 
zurädgefehtt, wo alles von felbft erwächft, wo, wie 
damals die Ernte, anjeht der Deutterwis ohne ' 
Pflanzen und Saͤen ans ber Erde bricht, und in ſehr 
angenehme, wohlgefällige Bluͤthen hervorſchießt. 
Milch und Honig tinnen In Strömen, d. i. Genies 
und fchöne Geiſter fprofien wie eine Saat bunter 
Mohnblumen, auch wo fie eben nicht wachfen ſoll⸗ 
ten, empor; fo lang fie blühen, gewähren fie dem 
Auge einen gar luftisen Anblid, nachher wenn der 
Zahte Mohnkopf da fteht, klappert's inwenbig etwas, 
und. fein Inhalt gewähret andern einen fanften 
Schlaf. Was ſchadet's, daß der Knabe nichts lernt, 
daß Hauszuht der Eltern fo felten fih mir ber 
Schulzucht verbindet; ei! ei! der Knabe hat einen 
guten Kopf, und wird zu feiner Zeit alles aus ſich 
feibft lernen. Er hat auch fchon vieles gelernt unb 
. gelefen, Romane nämlich, zephorleichte und in 
 füßer Ohnmacht des Seiftes hervorgeliſpelte Lieber: 
vielleicht macht er gar felbit dergleihen, und wenn 
er num noch eine nene Mobefprache binzufügt, wenn - 
er tanzen und dramatifiren, gar auch agiren lernt 
— Himmel, bilf, was fehlt dem Knaben? Ver⸗ 
fiehe er mm fein Wort eines alten Autors, wille er 
nicht, wer eher gelebt habe, ob Daniel ober Johan⸗ 
mes der Täufer, Karl V. ober Alexander ber Gtoße, 
— that alles nichts! Er bat fi, wie jener Tagte, 
auf die galantiora gelegt, und wird fich wei- 
ter darauf legen. Er wird In Jena dem elegante: 
ften Haarbeutel tragen, und anf ein Haar willen, 
in weicher Tiefe er auf dem Nüden fhweben muß, 


1) 
um.chn fanfthenahfliehendes-Gem.zu zeigen he 
„sBecniein werben. ihm zu vechter * entllghen „ pie 
Khan: von: Roſen und werden auch freilich wie Thau 
„auf Roſen verfrodnen,. ober mer und Ungeazle⸗ 
fen hegden, das gemeiniglik von fo Tüßer Speiſe 
dab! — Das alles gehärtigur leichten ſchoͤnen Stu⸗ 


O wie anders war's da, wenige Jahrhunderte 


ruͤckwaͤrts. Theedor Agrippa d'Aubigne, -Mitter 
nad Stallmeiſter Koͤnig Heinrich IV. ein Mann, 
»der gar nicht eigentlich zu den Wiſſenſchaſten erzogen 
ward, und ſeinem Stande nach micht ſchreibon uud 
ſudiren, ſondern fechten und reiten ſollte, Rerzaͤhlt 
von ſich in ſelnen ſeht offen und nicht. zum Druck ge⸗ 
ſchriebenen Memoires . an feine Kinder; ‚Saum 


hatte ich das vierte Jahr meines Nitere zuuͤckge⸗ 


legt, fo gab mir mein Vater: einen: —— 
: Zen Eottin, einen liebloſen, trotzigen Mann, der 
mich aber im Frauzoͤſiſchen, Lateiniſchen, Griechi⸗ 


ſchen und Hebraͤiſchon zugleich und ſo gut unterrich⸗ 


tete, daß ich In meinem fechsten Jahre dieſe vier 


„Sprachen glemlich gut. leſen konnte. Darich ſſeben 


amd ein halb Jahr alt war, überfebte ich ben Crito 
des Pinto, weil mir mein Water verſprach, biefe 


Fred drucken zu laſſen, mit meinem jugend⸗ 


lichen Bildniß vor dem Buche. Als Ich. breisahn 
Ju⸗ alt war, ſchickte mich mein Vornundnach 
Senf. Damals Ins ich die Nabbiuen. geläufig ohne 
Yantte, ich las fie, ſo wie auch das: Grlechiſche nab 
: Rateinkjche: in framoſiſcher Meherfegung vorn obue 
ben ‚est vorher :worgulefens: and doch murde ich zu 
Mens wieder in's :Gallegiamı gethan, wel ih einise 


® 








Deere des Paharus am/ vat erfiätschente: ug 5 
erzähle dꝛAud ig ney und daß dergleichen :Exempal' 
von: fruͤhem Fleiß: unb außerordentlichen Fortkommen 
in: der Phlloͤlogle damals im ſechszehnten und fie: 
benzehnten Jahrhundert nichts anßerordentliches, 
nicht s wunderbares geweſen, weiß jeder, der die 
Geſthichte dieſer Zeit, Ihres: großen Fleißes in Spra⸗ 
ae des Mufs dieſer Studien noch auf Akabemien, 
des Verths und der Hochachtung, In ber damals 
‚bie Scuſen und: Schuiſtudien fanden, eu enbiih die 
Berker zum Weil die frühen Werke eimer Reihe 
Gelehrten kennet, die, wenn file in unſerer Seit 
lebten, anch kaum ſeyn würden, was ſie damals 
waren and wurden. Vielleicht auch hingeriſſen von 
fruͤher⸗ Ueppigkeit, Wolluſt, Sy, uͤbler Gefell⸗ 
ſchaft, ‚oder von Modeſtudien, Mobeergesikhfelten: 
. wir Mobdemethoden/ wären: fie auch geworben, was 
ſo mamheigute Röpfe-jent: find‘, die fruͤhe Kläßten 
und Bald verdorrten, Quellen geworben ‚die nicht 
«mehr ſtroͤmen konnten, weil ihr Waſſer In herrlichen 
Kaskaden aufgefangen wird, in die Luft ſteigt, und 
in fein eigenes Becken traurig zurüdfällt. | 
O Juͤnglinge, daß keiner von Euch In biefer Zahl 
wäre! O daß Euch früh die Göttinn der Weisheit 
erfhiene, und Euch Ihren rauhen Pfad mit dem 
herrlichen Schloß der Ehre an dem Ende des Weges 
zeigte, und ihr fie Lich gewönnet vor aller füßduften- 
den, leichtbekiciveren, aber zum Verderben bfüh: 
renden Woluft und Thorheit. Auch bier heißt's: 
gehet ein durch die enge Pforte! denn die: Pforte 
zur Pranchbarkeit⸗ zur Würde, zur Unſt 
iſt enge amd der Wes- tft ſchmal, auch wenige find 


— 


| 30 oo 
e6, die ihn finden. ber die Pforte ber Wolluſt, 
Veppigtelt, der Modeſtudien und leichten Methode 
ift weit, und der find viele, die darauf wandeln; 
aber er führt in den Abgrund. Wer im Frühling 
nicht ſaͤet, kann im Herbft nicht eraten: wer in der 
Ingend ſich wicht mühet und über, mit Wiſſenſchaf⸗ 
ten, Graben, Schwierigkeiten, Hinderniſſen 


ft und über alle fieget, der wirb in den Jahren 


der Ehre nicht gekrönt, und In deu Jahren der Ruhe 
wird er verachtet. Auf, alfo! zeigt auch jetzt durch 
eure Antworten, burch bie gute, freubige Rechen⸗ 
ſchaft, die ihr gebet, daß uufer Symnaflum, & yn: 
nafium, db. 8. ein Vebungsplas fey, wo woEl- 
begabte, edle, täctige Zünglinge in Fleiß wettel- 
fern, und von Thorheit und Ueppigkeit fern ach 
jegt nach Kraͤnzen des Lobes und ber Liebe ihrer 
Lehrer und Borgefegten ringen. Gott fegne das 
Oymnaflum und alle guten Bluͤthen beffeiben: ex 
fegue auch biefe Prüfung zu feiner und unferer 
Sreude. EN 





IN, 
Bon Schuluͤbungen. 
2781. 


nebung iſt die Mutter aller Vollkommenheit. 


Sie muß alſo and bie Sehülfim, die trene Ge⸗ 


faͤhrtiun jedes Lernens fepn, oder es iſt zu beforgen, 





| — 31 | 

das Lernen felbft werde einem großen Theile nach 
unnuͤtz. Das jugendliche Alter ift zu allerlei Hebung 
des Geiftes und des Körpers gefhaffen: die Glieh- 
maßen beider Theile, Leibes und Geiſtes, Aieb- 
ned) zart, noch elaſtiſch und bildſam. Die Jugend 
hat einen Ueberfluß von guten Willen und Muth, 
ſich zw üben, in allerlei zu üben; und die allgemeine 
Erxfahrung zeigt's, daß man in biefem Lebensalter 
durch Tage weiter kommt, als fonft durch Jahre, 
daß, mas man jest lernt, auch üben, auch treiben 
lernt, man nie vergefle, ja wenn ich fo Tagen darf, 
an jeber guten Uebung eine Form erhalte, in die 
man zeitlebens andere fchlage, Gebanfen, Kräfte, 
Uebungen, Thätigleiten immer nur nach ber Art 
moble, wie man in ber Jugend wirken geſehen 
und felbft gewirkt hat. Wenn dieß alles ik (und 
es ift unwiberfprechlih), fo find Uebungen bei der 
Jugend mit Argus - Augen zu bewachen, und mit. 
Vaterblicken zu überfehben und zu lenken: Statt im. 
ber fchönften Begebenheit die Seele erfchlaffen zu 
laffen, wird man fie üben, täglich anf jugendliche 
Weife, d. i. mumter und frei üben, man wird den 
Acer nicht nur beſaͤen, fondern and) bearbeiten, daß 
er gewiſſe und Schöne Frucht zeuge. — 

Es ergibt fh, H. und H. V., daß ich vom. 
Schuluͤbungen reden will: ein ſehr unbeſtimmter 
Name. Viele deuten fih an ihm nur auswendig 
gelernte Reden, oratorifhe Chrien, ſpyntaktiſche 
Exercitia, oder gar logiſch⸗ metaphyſiſche Diſputa⸗ 
tionen, und richten darnach ihr Urtheil ein. Andere 
kennen unter Jugenduͤbung nichts, als reiten, fech⸗ 
ten, fpringen, tanzen, Schrittſchuhlaufen, oder 


n 








haite,. wir. alſe ber. ganze Jnhalt meiner: Nehes 

ſeyn. | 

I. Die erſte and nothwendigſte Schuläbung. Aftı. 
art nich, die, dapıAnfmmerkfamkbeit:in hen 
AMlaſſe erhalten wird; und alle: Wifttel;. bie, dehrenda 
ab. Lernende anwenden, ſich in ie zu erhalten: 

. ſtud Br der wahren, der, wöthteften: ich In: 
aan Weimtchten wird ein munteror Wertrag 
eine Gotgenwart ſeines Geiſtes gleichfam in Mitte 
feines: Klaffe auf alle und Aber alle ſeyn, die ihn 
hoͤren to denn ‚Flamme ſteckt Flamme: an, Gegen⸗ 
wert bes: Geiſtes erwedt Gegenwart des Geiſtes. 
Eine ſchlaͤfrige Klafſe hört nicht, oder hoͤrt nur Kalk: 
dernt ulcht, oder: lernt nur Stͤcwerk; am wenig⸗ 
ſten kann man ihr Lernen Uebnag nennen, viele 
moehr erſchlafft bie Seele über ſolchem Hoͤren und 

Halblernen, der Junge wird in der Schule du man; 
wie man fo oft ſagt. Lediglich kaun dieſer atupox 
scholasticus, ber: ſich zwifchen: der Schulmaͤnden 
erzengen fol, daher fommen, daß die Seelenträfte 
der Juͤnglinge nicht geweckt, nicht geübt werben; wer 
nigſtens, daß nicht.alle mmb zwar. fortgehend mil, 
immer reger Gegenwart des Seiſtes gebt werke; 

fon 


35 
Tondern oft bad leere, trodene Wortgedaͤchtniß ber 
hinkende Bote ſeyn muß, der die Stelle aller leben⸗ 
"digen, wirffamen Seelenträfte, der Einbitdungg- 
Traft, des Urtheild, der Neigungen und eigener 
Beftrebfamteit vertreten fol. Ein armer Stelver: 
treter! Was fo laͤſſig, kalt, untheilnehmend ge⸗ 
hört wird, wird im Grabe bes Gedächtniffes begra⸗ 


ben, und fteht felten wieder auf; da im Gegentheil, 


ſoͤbald der Lehrer das Gluͤck bat, feine Klaffe in rege 
Yufmerkfamfeit, ja In einen Wettſtreit von Aufs 
merffamfeit, von eigenen, fi übenden Geelen- 
kraͤften feiner Schüler zu feßen, und darin zu ers 
Halten, alles fidy gleich von felbft macht und fördert. 
Er fragt, er fragt hie und da, natuͤruch am meiſten 


wo am meiften zu fragen noch iſt, unvermutbet, 


wo eine unvermuthete Frage und Antwort für den 
Antwortenden und für die ganze Klaffe gut thut; 
aus eigener Erfahrung bin id überzeugt, manches 
Shläfrige kann auf dieſe Weife gewedt werden, 
auch dem Gedankeniofeffen gibt oder veranlaflet mar 
‚ auf folde Wefe Gedanken. Das Gleichniß bes 
Plato, dag fih Seelen einander anfeuern, ziehen 
und begeiftern, wie der Magnet dag Eiſen an fid 
ziehr, kit wahr, und follte Infonderheit in Schulen, 
In dieſer beillaen Berfammlung, junger, munterer, 
leicht entzuͤndbarer Gemüther nie bezweifelt wer⸗ 
den — nur freilich muͤſſen In die ſem ‚certämine 
ingeniorum Juͤnglinge ihren Lehrer nicht allein 
arbeiten laſſen; fie muͤſſen arbeiten, fie möffen 
werteifern, und ihre Geeleuträfte üben Wie 
dieß? Zuerſt nicht anders als durch Aufmerkſamkeit, 
aber durch jene gelenkige, rege, vieigeftaltige Auf⸗ 
Gerders Werte. Phiioſ. u. Geſch. X, 3 


r 


54 


merkfamtelt, die fih jedem Wort, ieder nenen 
Lektion mb Materie, neu und ihr eigen aufchliggt 
amd nicht ablaͤßt, bis fie fe ganz, ſcoͤn, mnnter, 
genau barftellen kann, ſobald der Lehrer fraget. 


Ia, wenn er auch nicht fragte, das Bild ber Aur- 


wort, die Ider ift in der Seele ba: dieſe Hat ſich 
an Ihr unpermerkt, und Ton waͤhrend dem ‚Hören, 
amd reinen Erfaffen geübt und felbft gebildet. O 
wenn Juͤnglinge wäßten, wie ſchoͤn, wie reizend es 
fey, wenn fie fich in dieſer liebenswuͤrdigen Geſtalt 
zeigen! wenn auf eine Frage, ja nur auf den lelch⸗ 
ten Wink einer Frage, die Antwort, leicht, jugend⸗ 
lich, tar, wohlgebildet in Gedanken und Worten, 
als ein ſchoͤner Abdruck ihrer Seele ohne Mühe her⸗ 
vorteitt, und wie eine befcheldene Minerva daſteht! 
wuͤßten fie, was für ein gutes‘ Vorurtheil man 
hieraus für ihre Seele, für Ihre Neigung amd 
Brauchbarkeit, für ihr Herz und fhre Hnffanngen 
faßt, mie würden fie wettelfern, wie würden fe 
ſich in der Stille beſtreben, zwanglos, ſchoͤn, rein 


und klar zu antworten, mit einer ſchͤnen Stimme 


auch eine ſchoͤne Seele toͤnen zu laſſen und auch 
heut ein frohes, ein des Ruhms gewiſſes und den⸗ 
noch ſtilles, beſcheldenes Angefiht zu zeigen! Das 


Nachſchreiben ans dem Munde bes Lehrers _ 


traͤgt zu biefer Gebanfenäbung, zu diefer Bildung 
fhöner und fertiger Antworten viel bei. Man Ternt 
dabei, was man fchreiben und nicht fchreiben dürfe, 
lernt, einen fließenden Vortrag auf feine Haupt: 
ſaͤtze zuruͤckbringen, und in bie kuͤrzeſte, ſchoͤnſte 
Bemerkung bilden. Man lernt ſchreibend am beſten, 
.. 206 Die Abficht des Lehrers bei biefem, jenem Vor⸗ 


_ 





—— — — 2 re ee ne se ee en FE _) 


85 


twage ‚ey? ob er habe erläntern, ober: erweitern? 
‚ du’ verbeſſern dder · ausbtlden · wollen? Durch's Wach: 
ſchreiben: des Erwaͤhlteſſen, des Beſten, was nad 


der Lehrer ſagt, bekommt man Lehrer und Arbeit 


gewiß lieber; ja ſetbſt das Bad) lieber, über: wel⸗ 
ches man gehört hat. Mun-tiebt das tebte, mit 


den jugendlichen Schultmnkrerkingen, die man dazu 
an beften, beſonders, nachfchrieb, nöd bis in fein 


Atter. Der große Leibnitz führte noch in felgen 


nrännlihen - Jahren feine erfien Kombendien der 
Biffentnaften mh auf Meifen bei: fh, er, der 
Doch manche derſeiben fo anfehnitd; verandert und 
vermehrt beste, ja er ſtarb von einigen Buͤchern 
folcher-Art angeben. - Wie angenehm wird’ ed fen, 
wenn am lebten. Dage des Eramens auch tinfdc 
Nachſchriften dieſer Outtang, mit Fleiß and Urtheil 
erzeichnet,  Infonderbeit von Schuͤlern der erſten 
Klaſſe und dimittendis werden vorgelegt werden 
koͤnnen. Ich bin Überzeugt, viele. Anmerkungen 
der Zebrer waren deſſen ſehr werth. 

11. Ein großer Theil der Schulatbeiten betrift 
Sprachen and klaſſiſche Autoren; eine der ſchoͤnſten 
Schuluͤbengen wird hiebei offönbar ‚ mitm 
ueberfetzung derfelben, aber Ueberſetzung, die 
mit den Schriftſtellern in der Urſprache wetteiſert, 
die ihrem Geiſt, ihre Form von Gedanken und 
Schreibart fo edel, fo rein und ſchoͤn auszudruͤtken 
ſtrebt, als es die Mutterſprache nur erlaubet. 
Nach dem Urtheil aller Verſtaͤndigen ſtehen dieſe 
Uebungen ſehr hoch and find ſehr nuͤtzlich; fie find 
aber. auch: fehr ſchwer Jür jeden, der's verfucht hat, 
wenn ihm der. Himmel: nur einiges Gefuͤhl der Boll: 


u. 


86 
kommenheit einprägte. Ueber das Erſte mag der 
größte Held und Regent unferer Seiten, der Könfg - 
von Preußen, Zeuge fepn, dem wohl niemand in 
Europa einen Haren, weitfehenden Blick abfprechen 
wird: gute leberfeßungen aus den Alten hält er 
für das erfte Hälfsmittel zu Blidung einer Nation 
und Sprache. Wie näglih fie Zünglingen fen 
können, iſt kaum zu fagen. Sie lernen hohe, wahre, 
edle Gedanken in den fchönften, wohlklingendſten 
Worten: fie lernen beides in eine fremde, von der 
griechiſchen und römifchen fo verfchledenen Sprade 
übertragen: fie lernen wahre Natur und Stärfe des 
Ausdruds, wahre Form und periodum der Rebe. 
Dem wilden Maulefel werden, wie Huart fagt, 
Seile angelegt, bag .er im Gleiſe geben lerne und 
nicht ausfchlage; oder edler zu fagen, bie große 
Form von Gedanken und Sprahe der Sriehen und 
Römer geht, wenn der dentſche Süngling derfelben 
nur einigermaßen empfängig ift, durch dieſe Uebun- 
gen unvermerft in ihn über. Nur muͤſſen diefe 
Vebungen liberal feyn, d. 1. mit allem Fleiß und 
Trieb der Seele, mit Luft und Liebe, mit vorberge- 
henden Kenntniffen beider Sprachen und Völker und 
mit nachfolgenden tüchtigen Verbeſſerungen geſche⸗ 
ben, damit fie nicht bloß, wie leider ber Vorwurf 
oft gemacht wird, gezwungenes Erercitien- Schul: 
und Knabenwerk bleiben. And o wie ladet hiezu 
die Materie ein, die überfeht und in unferer Spra⸗ 
che nachgebildet werben fol! Die fhönen Sachen, 
bie fhöne Seftalt, die großen Seifter, die fie auf: 
ſchreiben und ‚geben, ihre Nachruhm, ihr ewiggeprie- 
fener Name, wie freundlich und edel laden ſie jeben 


87 


ein, beffen Seele aus befferm Stoff gebilbet iſt, 

und derihre Schönheit zu verftehen, nur einigerma= ' 
ben nachzubilden werth iſt; gluͤckliche Ingendzeiten, 
die daran gewandt werden! gluͤcklicher Juͤngling! 
der ſeine Jugendzeit auf ſolche Uebungen anwandte! 
Im vergangenen Jahre find z. E. Ciceronis ofſieia, 
einige ſeiner beſten Reden, ein ſchoͤnes Stuͤck aus 
Ariſtoteles Rhetorik, Lucians Lob des Demoſthenes, 
Theile aus den beſten unſterblichen Dichtern der 
Welt, Horaz und Virgil gemacht worden: welch ein 
uͤberraſchender ſchoͤner Anblick, welch untruͤgliches 
ehrenwerthes Zeugniß des Fleißes und der Uebung 
waͤre es, wenn am letzten Tage des Examens einige 
ſchoͤne, richtig reingeſchriebene, und mit Luſt aus⸗ 


gearbeitete Ueberſetzungen dieſer Stuͤcke dargelegt 


wuͤrden! Viele dieſer Stuͤcke ſind im Deutſchen noch 
gar nicht, andere nicht gut uͤberſetzt: der Juͤngling, 
der ſich daran gemacht; der ſich darin auch mit ſtil⸗ 
lem Privatfleiße bemüht hatte, fühlte, daß er eine 
fhöne Vorarbeit gethan, und wenn Fein-Xob Ihn be- 
lohnte, fühlte er dag befte Lob, den Nuken, den er 
während bee Arbeit daraus gefhöpft hat, In feiner 

Bruſt. Noch in männlichen Fahren würde er dieſe 
Sugendübungen lieb haben und mit Freuden aufzei⸗ 


- gen: bad erfte Exemplar diefer Autoren noch mit 


Tropfen feines jugendlichen, willigen Schulfchweißes 
bedeckt, würde ihm fo lieb feyn, ald dem großen 
Alexander das Cremplar felned Homers, woraus ‘er 
unter Ariftoteles gelernt hatte. Und wie? wenn 
ein fleipiger Lehrling feinen Lehrer und ung mit Ue⸗ 
berfeßungen und Webungen überrafehte, die er für 
fih gemacht, bie ihm. nicht aufgegeben worden, dazu 


n 38. 

ihn Luſt und Liebe allein drang. Diefe:wärben Ihm. 
und vielleicht; uns allen die lehſten ſeyn: man wuͤrde 
an ihnen wahrnehmen, wohin ſein Geiſt, fein Herz, 
felge Urt, ſein eigener Cifer Areber ſchoͤne Bluͤthen 
zukuͤnftiger Fruͤchte, um fo ſchoͤner, weil ſie uner⸗ 
wartet wären, welt fie, wie im. goldnen Alter der 
Welt, der reiche Schoos der willigen Erde: won felbfk 
und mit aller Mutterfreude hervorgebracht hätte, — 
Traurig wäre. jede Schule, wo alles bie Liegt !. wo. 
nichts von felbft, nichts durch edle Nachetferung, 
nichts durch eigene Luſt und. Mühe hervorkaͤme; mo 
der. reichſte Boden fo.viel.träge, als der aͤrmſte. — 
Diefe Tage. werben’s zeigen, was von ſo nothwen⸗ 
digen und: nüßlichen Hebungen auch diefe Schule, 
dieſes Bomnaſium, ein Drt, der Uebung ‚beißt, 
zum. Lobe und. zur Freude unfer aller hervorgebracht. 
babe. . " 

III. I. kann's mir kaum deuten, daß nicht aus 
diefen Schulübungen, der täglich wachfamen Auf- 
merkſamkeit, auf. ben Unterzicht des Lehrers und 
das fleißige Treiben ber Alten nimt noch mehrere 
und eben fo freiwillig folgen folten. Dichter z. E. 
erzeugen neue Dichter, Redner. neue Redner, Phi⸗ 
Iofophen uene Phllofophen, wenn .bazu die Gaben: 
in.der Natur des Tünglings legen. Nur Liegen fie 
bei einem tiefer verſteckt als bei'm.anbern und muͤſs 
fen alfo ſorgſamer hervorge ſucht werden. Die Babe 
der Dichtkunſt meidet ſich am raſcheſten an; und ich 
kann mir's kaum gedenken, daß nicht ein Juͤngling, 
von einem Lobgeſange, einer Ode, einer ſchoͤnen Be⸗ 
ſchreibung, Handlung, oder wovon es ſey ergriffen, 
ſich ſelbſt, wenn es auch zitternd und ſehr geheim 


39 
wäre, an etwas aͤhnliches der Art wagen follfe. 
Die Erfahrung aller. ausgezeichneten Menfchen im 
Zeiten und Ländern zeuget bier für mich! ſchon frühe 
verfuchten fie, was fie nachher ald Werk trieben, 
und immer war biefer erfte Verſuch, der freiwillige , 
Wink ihrer Muſe, ihnen ein Führer und Megwelfer 
anf Lebenszeiten. Schon in der Fürftenfchule über- 
fegte Schlegel feine Iphigenfs- auf Tauris, und 
arbeitete an feinen erſten theatralifhen Werfen; 
ſchon In eben der Schulpforte mahte Klopftod 
den Ehtwurf zu feinem großen Meſſias. Der Exem⸗ 
pel mögen zwei ſeyn flatt taufend und zehntaufend, 
deren geringften Theil man Fennet, und deren größ- 
ter Theil immer ungefchäht bleibt. Sehr ausge: 
zeichnete Menfchen bilden fih ohne Lehrer; es if 
aber übel, wenn infonderheit zu unferer Zeit fich al- 
les ohne Lehrer bilden und oft nur durch feine Un⸗ 
foͤrmlichkeit ausgezeichnet feyn wid. In unferer 
Zeit wird viel gelefen, und Ich weiß, daß auch in 
diefein Gymnaſium viel und vielleicht dag meifte ge: 


leſen wird, außer. der Schule. Ob ſchlimm oder 


gut gelefen wird? ob Schlimmes oder Gutes? dag 
iſt die Frage; und: wie kann man,dieß wiſſen, wenn 
nichts bavnn zum Vorfchein kommt, wenn der Lehr- 
ling nicht das Herz hat, feinem Lehrer, was er auch 
außer den Stunden liest, woran er Geſchmack findet, 
was er vielleicht nachahmt und ih zum Muſter vor⸗ 
ſtelt, herzlich heraus zu ſagen. Wie angenehm 
wäre es der fuͤrſtlichen Schuldeputation, wenn wir 
avi. lebten Tage bed Eraminid unerwartet Fleine 
Aufſaͤtze auf dem Tiſche finden: „das habe ih für 
mich dieß Jahr über gelefen ; jenes oder dieß getrie⸗ 


/ 


40 


ben; dieß nachgeahmt u. f.“ — oder falls einige 
jurge, zarte und ſcheue Gemuͤther auch das Licht ei⸗ 
ner Deputation ſcheueten, nur zu mir, dem Auffe-- 
ber des Gymnaſii dad Zutrauen faßten, mir, 
neben dem exploratorio, einen folhen Auffaß be= 
ſonders anzuvertrauen, mit der redlihen Anzeige, 
wage man dabei gewonnen zu haben glaube. Ein 
folher freiwilliger Auffaß wäre dag befte explora- 
torıum von ber Welt: nichts follte Daraus verun: 
treuet und viel Gutes würde vielleiht durch wenige 
SZurechtweifung bei ſolchem Nertrauen und guter 
Meinung gefhafft werden: denn ih bin überzeugt, 
in unferer Zeit kann nichts fo fehr bilden oder ver= 
derben als gut oder ſchlecht gewählte Lectüre, und 
ighr oft wird diefe fhlecht gewählt, weil man keine 
beffere hatte oder wußte. Die Lectuͤre beftimmt am 
-melften den Weg eigener Gedanken, eigener Sin- 
nes- und Screibart, an den Infonderheit fa frü- 
bern Jahren ungemein viel liegt... Ein Bud hat oft 
auf eine ganze Lebenszeit einen Menſchen gebildet 
oder verdorben. 
Die Alten liebten die Kollektaneen, ent— 
weder vollſtaͤndige Auszuͤge aus Buͤchern oder Aus— 
wahl einzelner Gedanken und Nachrichten. Sie 


koͤnnen zu manchetlel Zwecken, auf mancarlel Art, 


“ angeftelle werden; angeflelli aber werden muͤſſen 
fie, ganz vernachläfftgt werben koͤnnen fie in jünger 
Jahren Faum ohne Schaden. Wie ſchoͤn ifi’d, weni 
man fid aus einem guten Buch vielleicht nur wenige, 
aber gute Sachen und Gedanken, die ung vorzügtidz 
gefielen, aufſchreibt, fie unter. Klaffen bringt, fie 
bet Gelegenheit zu finden weiß, und fodann In ihnen 


r 


41 
oft die Geſchichte unſerer eigenen Gedanken und 
derſelben Entwickelung findet! Ein gutes wohlgeord⸗ 
netes Buch wird und in einem Auszuge daraus noch. 
Ikeber: und wenn ber Auszug verloren würde und. 
wir ihn lebenslang nit wiederfähen, fo iſt ein Nu⸗ 
Ben davon unverloren, nämlich dag wird durch den: 
Auszug vielmehr Fennen gelernt und gleichfam in 
unfer Mark und Saft verwandelt haben. Ich weiß 
wohl, daß man zu unfern Zeiten auch in den Wif: 
ſenſchaften überall Quaͤcker ſeyn will: der Geiſt fol 
ung ergreifen, die Salbung fol ung alles lehren 
und auch bei der Lectüre heißt's, müfe man nur. 
dem Gelft eines Autors nahhafhen und fih um. 
feine Worte, um feine Sachen, um bie Ordnung. 
derfelben u. f. nicht mühfam befümmern. Ich 
fürte, man geht dabei Irre: ber Geiſt eines Au 
tors oder eines Buchs laͤßt ſich nicht, wie ein Schmet⸗ 
terling oder wie Spiritus in eine Boutellle, zumal: 
in eine windige Hirnboutellle fpünden. Der Buch— 
ftad feflelt ihn an; Auszug, Schreiben, treue oder: 
freie Nachahmung macht ihn ung eigen. Plutarch 
und Erasmus (ich nenne nur zwei Schriftfteller. 
von unfäglich vieken) gewiß zwei große Männer, bie - 
felbft dachten und fehr weit auf Welt und Nachwelt 
wirkten — ben Schriften beider merkt man die Kol-- 
leftaneen fehr an. Plutarchs moralifhe und philo⸗ 
ſophiſche Schriften find faft nichts ald themata, die 
noch jest in Schulen gebraucht werden könnten zu 
eigenen Elaborationen: fie find Gemein-Titel, un— 
ter die ex eine Menge fchöner Gedanken und Bel: 
fplele, die er hie und da gelefen hatte, zufammen- 
ſtellte, ſo daß die Bindung oft fehr Teicht fheint,. 


u 


42 
@rasınus meiſte, infonderheit frühere Schtiften,. 
find Heberfeßungen oder Kollektanern von Apoph⸗ 
thegmen, von Mäthfeln, von Gleichniſſen aus Plu⸗ 
tarch, ja fogar von Wendimgeg und. Ausbrüden ber 
Sprache: ein Buch, das er ausdruͤclich⸗/fuͤr Schu⸗ 
len ſchrieb. Den ſchoͤnen Ton, der in feinen Ge⸗ 
fprädhen, feinen encomio moriae und uͤberall in 
feinen Schriften herrfihet, hat er aus feinem fleißig 
. überfeßten Luckan, wie er ſelbſt befennet. Kurz, 
was wollten wir ung über bie größten Geiſter hin⸗ 
ausfeden und nicht In Nahahmung, Sammlung, 
Aufſaͤtzen mancherlet Art üben? Hier hört, bier 
Itefet man 3. E. Geſchichte: ein ſchoͤnes Factum, 
einen merkwürdigen Charakter; fagt ung nicht Gerz 
und Seele, daß wir, wenn. wir lefen, das Buch zu⸗ 
thun oder wenn wir gehört haben, dad: Factum, ben 
Charakter, die Geſchichte nach unferer Art fammeln 
und zu einem Ganzen bilden follen? Hier Hat 
Plutarch, Cicero, Theophfaft, la Bruve—⸗ 
- ze, und wie fie weiter heißen, ein ſolches Thema, 
folhen Charakter, diefe Geſchichte, jenes Gleichniß 
fo ausgeführt; Ich will den Schriftfteler vergeſſen, 
die Sache nad, meiner Art ausführen und fodann 
vergleihen. Sept will ich's verfuchen, in einem 


Briefe, jebt In einer Abhandlung, in einem Ge 


ſpraͤch, jetzt in Verſen; nicht ein und diefelbe Sache; 
denn das gäbe ein ſchlechtes Machwerk, und jede 
Sache kann nur auf Eine Art am beften vorgetragen 
werden: aber es gibt ja vielerlei Sachen, wie es 
verfchlebene Arten des Vortrages gibt, und ber 
Lehrer wird, nachdem er feine Meinung gefagt und 
Materie hergegeben hat, billig einem jeden bie Frel⸗ 


43 


heit aafen/ wie- ers aufv befte efmputteiten ‚schen. 
ket. Sefest, der Lehrling brachte auch fremde 
Gedanken; er braucht ſie doch, wird mit ihnen alfo 
bekannt, macht ſie ſich auf gewiſſe Art zu eigen, und 
endlich der gute, ber wachſende, der ſelbſtdenkende 
Lehrling wird Immer wentger - fremde Gedanken 
zu brauchen ſuchen, wird fie wenigſtens neu einklei⸗ 
den und alſo auch bei jedem Diebſtahl etwas lernen. 
Kurz, Laſt und Liob' zum Ding macht: and hier 
Maͤh und Arbeit gering; ohne Luſt und Liebe aber 
iſt allos, was ich geſagt habe, vergebens. Cine: 
Schule guter Art tft eine-Gefellfhaft Bienen, bie 
anffitegen und Honig fammeln, eine Schule laͤſſtger 
Art waͤre eine Geſellſchaft der laſtbaren Thiere, die 
hingehen, wohin ſie getrieben werben, und auch von 
dem, was man Ihnen anflegt, zeitlebens’ nichts er- 
benten. Ich ſchaͤtze zu ſehr bie Lehr= und Ehrbe⸗ 
gierbe vieler Schuͤler auch dieſer Schule, als daß 
nicht auch dieſes Examen durch Vorzeigung eigener 
speeiminum..dauoht gute Proben zeigen werde. 

IV. Sept ſollte ich noch von der letzten Uebung 
des: Gpmnaſii, dem Verſuch im Disputiren 
reden. Ich welß, was man dagegen ſagt, und es 
ift ohne Zweifel in aͤltern Zeiten übertrieben wor⸗ 
den, da man zu vlel disputirt hat, und-Aber lauter 
Spllogismen in harhara und celarent die Sache 
ſelbſt vorgaß; einige mäßige Uebung darin aber, 
duͤnkt mich, ſollte wenigſtens zum Sprechen: im La⸗ 
tein, und zum Wetteilfer helfen, ſich einander im 
Schnelligkeit der Gedanken und Scharfſinn des Aus⸗ 
drucks zu übertreffen. Wenigſtens fange hierin der 
Privatfleiß einiger Juͤrglinge an. Statt, def ' 


48 


man fih zum Tabakrauchen unb zum Kartenſpiel 
verfammelt, komme man zufammen, gemeinfchaft- 
lih zu lefen, einander eigene Auffäße vorzulefen, 
fih darüber Anmerkungen zu machen, m. dgl. Das 
Disputiren wird eo ipso damit werden. — Man 
fage nicht, dieß gehöre. auf. Akademien: denn Ala- 
demien find Schulen, nur höhere Schulen, und eine 
wohl eingerichtete Schule, zumal ein Gymnaſium, iſt 
eine niedrigere Akademie. Dort hört man; bier 
Hört man: dert und bier fol man lernen, dort und- 
bier kann man durch Uebung allein lernen: nir- 
gend fällt-ber Meifter vom Himmel. Ja es iſt 
ſehr bewiefen, daß wer auf Schulen nicht gelernt 
hat, auf Akademien nicht einmal recht lernen könne; 
wer fi) dort nicht geuͤbt, koͤnne ſich bier nicht üben, 
weil dazu weit weniger Anftalt vorhanden, und auf’ 
Akademien alles in's Allgemeine geht. Auf Schu- 
len iſt viel mehr Privatunterricht, Privatfleiß, Pri⸗ 
vatbildung, ja billig fol alles auf Ihnen ein foldhes 
feyn; wer von Ihnen ungeäbt, unerfahren, unge- 
lehrt kommt, kann duch alle Collegia laufen, und 
sehn Hefte der fogenannten böhern Wilfenichaf- 
ten nachfchmieren, ohne daß dadurch feine Seele 
in den verfäumten Grund- und Schulwiſſenſchaften 
"gebildet würde; fein Specimen, wenn er von ber 
Alademie kommt, feine erften Predigten u. dal. zei⸗ 
‚gen noch. ganz feine nadte, barbende Seele. Auf 
alfo ihr Juͤnglinge, lernt! braucht die gute Gele⸗ 
genhelt auch dieſes Gymnaſii, uͤbet euch, weil 
ihr euch noch uͤben koͤnnet, ehe die ſchoͤnen Jugend⸗ 
—* ah find, und ihr ipren Verfuft zu fpät be= 
auert — — 





— 


45 


— | IV. 
Vom Begriff der ſchoͤnen MWiffenfchaften ine 
fonderheit für die Jugend. 1782. - 


Die Jugend iſt dad ſchoͤne Alter des menſchli⸗ 
hen Lebens: fie liehet und übt alſo auch nichts fo 
gern, als was ihr Thon duͤnkt. Schöne Wiſſenſchaf⸗ 
ten, fchöne Künfte find die fügen Lockſpeiſen, die fie - 
anziehn, bie Früchte hefperiäifcher Särten, die fie 
bezaubern. Das Nüslichfte darf nur fchwer ſeyn, 
oder eine ernfte traurige Geſtalt' haben, fo flieht 
ſie's, wie das Geſpraͤch trodner Greiſe; das Nur: 
Iofefte darf nur durch feine leichte gefällige Miene 
einladen, fo wird ed gefucht, geliebt, geachtet. 

. Wie nun? tft diefer Trieb der Natur, diefer 

Hang und Zug zu allem, was wohlgefällig und ſchoͤn 
iſt, zu verachten? DBeging bie Natur eine Sünde, 
da fie und diefe Neigung in das Herz gab, und in⸗ 
fonderheit die Jahre des erſten Aufwachens in's. 
menſchliche Leben damit fhmüdte? Beging fie eine 
Sünde, ba fie fo viele Sejtalten um ung mit An⸗ 
muth betleidete, und. die erften Jahre des Lebens 
auch zum Frühlinge menfhliher Empfindungen 
machte? Iſt's verboten, das Schönfte ftatt des 
Haͤßlichen zu wählen? iſt's auch In den Wiſſenſchaf⸗ 
ten verboten? In ihnen, die die Zierde der menſch⸗ 
lichen Natur find, warum follte man in Ihnen nicht 
auch die Zierde der Zlerde ‚ den Reiz des Reizes 
ſuchen? 


46 | 
- Die Natur, 9. V., irrte nie; noch weniger 
wollte fie duch das, was fie freundliches an ung 
that, durch das, was fie Holbfeliges auf den Weg - 
unſeres Lobensi:legte, eine Verfuͤhrerinn werdet. 
As eine weife und guͤtige Mutter-handelte fie, daß 
fie das Wahre und Sute in ihren Werken auch mit 
‚Schönheit umgab, daß fie Infonderheit bie erften 
Jahre des: menſchlichen Lebens: zu einem Garten ge: 
faͤllger Empfindungen machte. Schon bie Pen: 
heit, wemit ans hie erften Eegenſtaͤnde unferd 
Wiſſens, EQeennens, Handelns, Strebens anzichen, 
geht: die Leichtaͤgkeit, mit der In die fen Jah⸗ 
von unfer Blut ſtleßt, unſer Herz ſchlaͤgt, unfore 
Seele denkt und verlauget, ſoll uns auch aufdie 
beſchwerlichere Hoͤſe des menſchlichen Lebens ſauft 
hinaniocken, und mir Liebreiz an: die Baude des Le⸗ 
bens fſeſſeln. Wir ſollen mit Luft, oft gkeichfam 
unwiſſend unb Tpdelend Termen, was wir einſt auch 
in ernſtern ZJahren, in beſchwerlicheren Verhaͤltniſ⸗ 
fen zu üben haben: ein einladender Fruͤhling fall 
und zum Sommer, zum Herbſt, zum Winter unſe⸗ 
. rer Tage leiben. Nicht nur, was wahrhaft 
if, :fagt der. Apoſtel, was ehtbar, was ge⸗ 
veht und sittfam, ſondern auch was 
kteblin if, was wohhlautet, If etws 
einer&ugend, tft etwa ein Lob, dem bem 
- Ket nach. Die ſchoͤnen Wiſſenſchaften gehoͤres 
alſo in s ſthoͤne Alter des menſchlichen Lebens: dazu 
hat der Schöpfer fie, dazu bat er die Jugend ver⸗ 
ordnet, und beide nit gegenfettiger Liebe aneinan⸗ 
ber gefnäpfet, 
Nun, was find ſchoͤne Wiffenfhaften? 





47 
Wie muß man fie ‚lieben und treiben, 
daß man, was ſchoͤn iſt, auch ſchoͤn treiber? 
— ‚Beide. Fragen duͤnken mich Ihrer Nuͤtzlichkeit, ia, 
nach der Geſtalt unfers _Zeitalters, ſelbſt ihrer 
Nothwendigkeit wegen die befte Einleftung zu einem 
Öffentlichen Verhör zu feyn, das, ‚wie wir wuͤnſchen 
und hoffen, auch ein edler Wettſtreit ſchoͤner Wiſſen⸗ 
ſchaften und ihrer Liebhaber ſeyn wird. 

1. Gemeiniglich wird das Wort fchön mit 
Leicht verwechſelt, denn bie leichte, ort Leichtfinnige 


. Augend, flieht nichts fo fehr als Mühe und Arbeit. 


Was fih auf den erſten Anblit empfiehlt, was mit 
dem erſten Anblick zu fallen iſt, wird gewählt; was 


‚ Nachdenken, Eifer, Uchung erfordert, menn ed au 


das Nuͤtzlichſte wäre, laͤßt man als, abſchreckend und 

haͤßlich llegen. In der lieben Mutterfprache. liest 
man noch allenfalls, zumal, wenn das, was man 
liest, auch leicht .gefchrieben, und. und wie Zuder- 


. breit in. den Mund gethan wird. Etwa das Fran- 


z0flfche verbindet man noch mit bem Deutichen, 
theils weil die. erften Gründe biefer Sprache leicht 
zu fallen find, theils weil man. in ihre fo manches 
angenehme Lockbrod bat. Da. gibt ed Marzipan 
fchöner Romane, ſchoͤner Gedichte. und Geſchichten: 
Komödien und ſchoͤne Spielwerke manderlei Art: 
der Schnitt ber Sprache Ift galant, die Manier ih: 
zer Reize leicht und für's Auge: hoͤchſtens alfo lernt 
man auch fie. Die wahren Quellen, die ewigen 
Dentmale der. Wilfenichaft des Schönen, Griechen 
und Roͤmer, werden vom Süuglinge oft nicht dafür 
erkannt, weil die Bekanntfchaft mit Ihnen Mühe 
koſtet, weil der Eingang In dieſe Heiligthuͤmer Durch 


- /[y 


48 

den Vorhof einer zu eriernenden Sprache gehet. 
Man frage manden, ob auch Virgil, Horaz, Stcere, 
Homer, Theofrit u. f. zu den ſchoͤnen Wiſſenſchaf⸗ 
tengehören? In einer leicht zu lefenden Ueberſetzung 
oder in Ramlers Batteur wird er fagen: Ja! Im 
Griechiſchen und Latein find’s Elaffifche Autoren, und 
bei vielen ftehen Floffifche Autoren und fchöne Wiſ⸗ 
fenfchaften weit auseinander. Gerade alſo bie 
Form, die fo viel zu ihrer Schönheit beiträgt, iſt 
Das, was fchlaffen Lehriingen fie zu bäßlichen, d. i. 
zu muͤhſamen Schriftftellern macht, Ihre beneidens⸗ 
werthe Sprache. Das Aeffchen moͤchte gern ben. 
ſuͤßen Nußkern haben, aber die Schale will es nicht 
rnacken: es zerbiſſe ſich ſonſt feine artigen Zähne. 

Iſt die griechiſche Sprache nicht eine ſchoͤne 
Sprache? verdienen's ihre ˖ Schriftſteller nicht, daß 
man ſie bloß der Wiſſenſchaft, d. i. der beſten Re⸗ 
geln und Beiſpiele des Schoͤnen wegen lerne? das 
gegenwärtige Examen wird ihre Antwort ſeyn. 
Vielleicht werden wir ſo viel Liebhaber der ſchoͤnſten 
unter allen ſchoͤnen Sprachen, des Griechiſchen, fin⸗ 
den, als ehedem Muſen waren: Neun! vielleicht 
auch nicht einmal ſo viele. 

D einer traͤgen und uͤppigen Zeit, wo ſchoͤn heißt, 
was ung leicht iſt, wo angenehm iſt, was ung fi 
den Mund fliegt. Ich ging, ſagt Salomo, vorüber 
vor dem Acker des Faulen, und vor dem Metuberge 
des Narren, und ſiehe, da waren eitel Neſſeln 
drauf, und er fund voll Difteln, und die Mauer 
‚war eingefallen. Da id das fah, nahm ich's zu 
Herzen und fchauete und lernte daran. Du willt 
ein wenig fchlafen und ein wenig ſchlummern und 

- . ’ ein 





49 


‚za werig bie Sinte zuſammeathun daß du ruheſt. 
Ja ſchlaf' noch ein wenig und ſchlammere ein wenig 


und ſchlage bie Hände in einander: fo wird dich bie 
Armuth übereilen wie ein Fußgänger, und der Man- 


‚gel wie, ein gewapneter Mann! Deine fhönen Wif- 


‚Tenfcbaften werben ‚bir weder Ehre noch Brod brin- 


‚gen: nichts rechts haſt du gelernt, dein: Gemuͤth 
daſt bu erſchlafft, deine befte Zeit, die erfte Jugenb⸗ 


kraft deiner Seele verloren. Durch das ewige Taͤn⸗ 


‚bein haſt du bich von allem Ernſt entwoͤhnt: duxch 


das zu Lelchte und Geſpielte iſt dir jede Feine Mühe, 


ahme.die,, doch Fein Geſchaͤft gethan, kein Ruhm, 


kein Gewinn bes Lebende erlangt werden kann, ver- 
drießllch, ia gar unmöglih. Dein ewiges Zuder: 


re bir bie Zähne und die Eingemweide, ben 


agen und den Geſchmack verborben. In kurzer 
Zeit ift bir das Schöne nicht mehr ſchoͤn: es iſt bir 
selbft, well du es mit Uebermaß genoſſeſt, langwel- 
(ig und efel: du ſchmachteſt wie ein Kranker an ben 
Duellen der Gefunbbeit, des Liebreizes der Schoͤn⸗ 
beit. DS böre jeder, wer zu bören efu Ohr bat! 
denn was ic fage, iſt fuͤrchterliche Wahrheit, ſchoͤne 
Biffenfhaften, fo getrieben, werben bie haͤßlichſten 
Wiſſeuſchaften in ber Folge: fie find Sprenen, ble 
ben Juͤngling locen und verführen, ihm aber zuletzt 
einen nadten Fiſchſchwanz zeigen: fie find das Zan- 
bergeräth jener Eirce, bie ibn felten in einen fingen- 
den Schwan, beito öfter aber in eine sgadelnde 
Band, In einen ftolzirenden Pfau, im eine geſchwaͤ— 
tzige Krähe, oder gar in den Nachbar Kudud ver- 
wandeln. Als Kudud reimt er elende Berfe, als 
Kraͤhe wird er ein Recenfent, als Pfau und Gans 

Becher’s Werke z. Phil. u. Geh. X. 4. 


50 


wird er ein hoqtrabender oder ſehr angenehm ga⸗ 


celnder Kanzeltedner. 

Jede Kunſt, jede Wiſſenſchaft, fie werde ſchoͤn 
oder haͤßlich genannt, erfordert Fleiß, Mühe, Ne 
bung ;-auch Dichter und Nebner, wenn man, wie 


gemeiniglich, Ihre Werke für die einzigen ſchoͤnen 


Wilfenfhaften hält, wurden nie ohne Fleiß, ohne 
mühe groß. Der Wiederherſteller unferer Dicht: 
kunſt, Dpis, ſchrieb ſchoͤn Latein, kannte die Alten, 





und machte, wo nicht beffere, fo gewiß eben fo gute 


Inteinifhe als deutſche Verfe; ber neuere Wieder: 
herfteller derfelben, Haller, war gewiß ein fo 
großer Selehrter, Weltweifer, Arzt, Naturlehrer, 
Botaniker, als Dichter. Der ditere Schlegel, 
das erfte tragiſche Genie der Deutſchen, überfeste 
den Sophokles ſchon auf der Schule, und findirte 


feine Kunft in den Alten. In welchem Sach der 


Gelehrſamkeit Hatfichnicht Leffing gezeigt? Dicht: 
kunſt und Schönfchreiberet war vielleicht das Ge⸗ 
ringfte, das man an ihm Toben konnte. inter den 
Engländern war Milton ein eben fo großer Welt: 
weiſe und Staatsmann als Dichter: und wer hat 
nicht Ehrfurcht für die großen Namen Groting, 
Erasmus! Grotiud war Theolog, Iuriſt, 
Staatsmann, Geſchichtſchreiber, Alterthums keuner 
md Weltweiſer gewiß In einem fo großen Grade, 
als er Dichter, auch vaterlaͤndiſcher Dichter war. 
Gedermann von ung iſt der Spruch Leſſings be: 
kannt: 
Es freuet mid, mein Herr, daß Ihr ein Dichter ſeyd; 
Doch ſeyd Ihr ſonſt nichts mehr? mein Herr, das iſt 
mir feld. 





AT TT 


15 
Gede Wilfenfchart und Kunft hat In fi etwas 


‚Schönes, nur wird dieß Schöne überall nur durch 


überwundene Mühe genießbar. Alle Subjelte, die 
von Natur eine ftark ausgezeichnete Gabe zu Einer 
derfeiben, welche ed auch fey, hatten, zeigen bieß; 
fie Fannten zuleht außer derfelben beinahe Leine 
fchöne Kunft und Uebung. Was für ein Studium 
fcheint dem Unwiſſenden trodener ald die Mathema= 
tie; und welcher große Mathematiker fand. nicht an 
ihr die füßeften Reize? Galtlaͤi tröftete fih mit 
feinen Entdetungen als mit der erhabenften Schön- 
heitstehre In feinen Banden, und Kepler wollte 
mit Einer feiner Erfindungen das Geſchenk eines 
Herzogthumes, wenn's Ihm der Kaiſer fchentte, 


nicht vertaufhen. Wir fehen, mit welcher Liebe 


ein Nechtsgelehrter, ein Geſchaͤftsmann des Staa- 
tes, ein Arzt, ein Naturlehrer, ein Geſchichtfor⸗ 
ſche?,. in Mechaniker, ja gar ein Diplomatiker, ein 


Heraldiker in ihrer Wiſſenſchaft leben, ſobald ſie 


von der Natur dazu beſtimmt waren, ſie gruͤndlich 
erlernten, und ſie gluͤcklich auszuuͤben im Stande 
ſind. Jede uͤberwundene Muͤhe iſt ihnen ſuͤß, jede 
neue Dunkelheit und Schwierigkeit ſpornt ihren 
Muth, jede gluͤckliche Entdeckung, die nie ohne 
Muͤhe geſucht und gefunden wird, iſt ihr ſchoͤnſter 
Lohn; wahrlich alle dieſe Leute thun etwas anders 
als eitle bald. verwelkende Blumen brechen, oder 


- fremden Suder nafhen, und ungefunde Suͤßigkeit 


fangen. uch die Biene fucht nicht ohne Mühe Ho=. 
nig; aber Hummeln find’s, die den von anderen zu⸗ 
fammengetragenen fremden Honig nafchen und fteh: — 
len.) ” 


.52 


2. Nicht alſo faule, üppige Leichtigkeit macht 
dab, was man In Wiſſenſchaften und Kuͤnſten 
Schoaͤnheit nennt; und mas macht's denn? Die 
Alten nannten die ſchoͤnen Wiſſenſchaften artes quae 
ad bumanitatem pertinent, ad humanitatem 
informant, alfo Willenfchaften, die ung meufd- 
lich machen, die uns zum, Menihen bilden: 
man. Böunte fie alfo auch vielleicht am beiten bil⸗ 
dende Willenfchaften nennen. Was unfere See: 
lenlraͤfte bildet, iſt ſchoͤn, was und nicht dazu bilder, 
verdient ben Namen der ſchoͤnen chaften 
nicht, wenn es auch über und über mit Goldſchaum 
.beile@t wäre. Ich weiß, man bat. dieſen Begtiff 
in den neueren Zeiten fehr verloren. Man ſetzt die 
ſchoͤnen Wiſſenſchaften ben ernfthaften, Höheren, | 
gruͤndlichen entgegen, als ob jene, wenn fie. ihren 
‚Namen verdienen follen,.fpafhaft, niedrig, ſchael, 
platt, feicht, ungründlih und unmaͤnnlich ſeyn koͤnn⸗ 
ten. Erlauben Sie mir alſo, H. V., | einige 
Minuten, das Falſche und Schaͤdliche dieſer Unter⸗ 
ſcheldung zu zeigen, und auch unſern Zuͤnglingen 
den wahren Begriff des. Schönen, d. i. bes Bllden⸗ 
. den In ben Wilfenfhaften, in allen. Wiſſenſchaften 

‚zu empfehlen. un 
... Sch fage alſo: ſchoͤne und gruͤndliche Wiſſen⸗ 
ſchaften Eönnen ‚einander. nicht ‚entgegengefegt wer: 
ben: denn auch das, wozu Schönheit angewandt 
‚wird, muß. geändlic fepn, ‚aber es tft. eine falſche, 
verlodende Schönheit. Schöne und ernſte Wißen- 
ſchaften Eünnen einander nicht enfgegengefeßt. wer: 
den, beun die ſchoͤnen Wilfenfchaften find Leine Hof: 
ſpaßmacher: auch fie haben ernfthafte Zwecke und 





53 


beförbern fie durch etnſthafte Mittel and Regeln. 
Endlich ſchoͤne und hoͤhere Wiſſenſchaſten ſtehen ein 
ander nicht fo gegenüber, als ob jene platt ind 
ntedrig wären: fie haben auch ein Höchftes Ihrer 
Art, fie fordern auch, wenn fle rechter Art feyn wol⸗ 
len, eine hohe und reich begabte Seele. Alle diefe 
Unterfheidungen und Gegenfähe rühren von Miß— 
verftändniffen und Mißbraͤuchen, inſonderheit vom 
Zuſchnitt jener barbarifchen fcholaftifchen Zeiten her, 
deren Nefte mir In fo manchem noch an und fragen. 
Da hieß es zuerft von den fogenannten ſieben freien 
Kuͤnſten. 

Gram loquitur, Dia verba docct, Ahe verha ministrat, 

Müs canit, Ar numerat, Ge pondcrat, Ast colit astra; 
und auch hier fieht man noch die ernftäafteften Wiſ⸗ 
fenfhaften, Grammatik, Dialektif, gar Mathema⸗ 
tie und Aftronomte In der Zahl der freien Kuͤnſte. 
Mit der Zeit fonderte man ab, gab der Grammatik, 


‚ber Philoſophie und Mathematik ihre eigene Sphäre ; 


was überblieb follte das Antheil der ſchoͤnen Wiſ⸗ 
ſenſchaften werden, alfo biieb ihnen zuletzt nirhte 
ädrig, als bie edle Verskunſt und ein bischen Rhe⸗ 
torit, d. i. die fchöne Kunft, Perioden zu drechſeln. 
Das wahre Schöne, was nämlich die Seele bfl- 


det, was Gedanken zuführt, was Geſchmack und 


Urtheil gibt, Fürz Saft und Ktaft des einzukleiden⸗ 
den Körpers hatte man Ihnen genommen, und nun 
Tonnte man fie freitich von nuͤtzlichen, von grünbft- 


pn 


hen, von ernten, hoben, ja meinethalb auch von 


den ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſelbſt unterſcheiden: denn 
wie ſie da lagen, waren ſie haͤßlich gnug. Sage 
man doch in der Welt; wie Fann jemand eine ſchoͤne 


54 


Zorm geben,- wo er keine Materie? wie kann er 
ſchoͤn reden, wo er Feine Gedanken hat? wo. ihm 
ein wahrer erniter gruͤndlicher Zweck, wo ihm Lei⸗ 
denſchaft und Trieb der Seele fehlt, biefen Zwec 
zu erreihen? Selbſt die Spinne macht ja ihr Ge— 
webe nicht zwedlog: fie win Fliegen damit fangen; 
in den meiſten unſerer fogenannten ſchoͤnen Wort⸗ 
geſpinnſte fängt ſich auch Feine Fliege. 

Was find alfd ſchoͤne Willenfchaften? und war- 
‚um nennt man fie alfo? — Entweder fol das Wort 
heißen: man lernt in ihnen, was fchön ſey und 
warum es fo fey? Dieb Iernt ſich aber nie dur 
Regeln allein, nie oßne Materialien und Beifpiele; 
ober alfo es find die Wilfenfchaften, die und Mate- 
rialien bed Schönen in und zu einer fchönen Form 
zuführen, und ba iſt der Begriff des Bildenden 
und Schönen völlig Eins. Keine Wiſſenſchaft nen- 
net man fchön, wenn fie nur unfer Gedaͤchtniß mar- 
. tert, wenn fie und Worte ohne Gedanfen, Säge 
. uud Behauptungen ohne Licht, ohne Beweis, ohne 
praktiſches Urtheil darlegt, Furz, wenn fie feine von 


. - unferen Seelenfräften bildet. Sobald fie dieß 


thut, wird fie angenehm; und je mehr fie's thut, 
je mehr fie unfere Seelenträfte, unfere Phantafie 
und Erfindungskraft, unfern Wis und Geihmad, 
unſer Urteil, infonderheit unfer praftifhes menſch⸗ 
liches Urtheil beichäftiget, je mehr Seelenträfte fie 
auf. Einmal befchäftiget, deſto — bildender fft 
fie, und jedermann fühlt's und ſagt's: auch deſto 
fhöner. Man nehme 5. €. die Philoſophie, bie 
man von den fchönen Willenfchaften meiſtens aus⸗ 
ſchließt. Allem Schönen liegt Wahrheit zum 


Ds 





55 


Grunde: alles Schöne muß nur zum Wahren, zum 
©uten leiten. Stelle ich alfo Wahrheit hin, wie 


‚ fern fie menſchlich tft, d..1. zum Wahren und Guten 


leitet: fo wird fie ſchoͤn: denn Schönheit iſt nur 
bie aͤußere Geftalt der Wahrheit. Eine trodene 
Dntologie, Kosmologie, Pſychologie, Theologie, 
Logik, Ethil, Politik, Naturlehre u. f. gefällt kei- 
nem; made man aber die Wahrheiten aller diefer 
Wiſſenſchaften lebendig, man feße fie in das klare 
Licht ihres Urſprungs, ihres Zuſammenhangs, ihres 
Nutzens, ihrer Anwendung: man bringe fie der 
Seele fo nahe, daß diefe mit dem Erfinder erfindet, 
mit dem Bemerker bemerkt, mit dem Weiſen ur- 
theilt,.mit dem Guten das Wahre anwendet und 
ausübt: welche fhönere, d. f. bildendere. 
Wiſſenſchaften kann es, als diefe find, geben! Es 
tft ein großer Nels, den Zufammenhang ber Wahr- 
beiten zu ſehen. Es iſt ein hohes Vergnuͤgen, die 
Landcharte des menſchlichen Willens in irgend einer 
Drovinz, mir Licht und Schatten, zu überfchauen, - 
und bei jedem Schritt durch bie Wahrheit, die einer 
erfand, durch den Irrthum, ben jener beging, fel- 
nen Wis, feine Erfindungstraft, fein Urtheil zu 
ſchaͤrfen. Gibt's ein größeres Gemählde In ber Welt, 
16 die Welt felbit kit, wie fie ung die Kosmologie, 
die allgemeine Naturlehre, bie phyſiſche Aſtronomie 
darſtellt? und gibt's ein feineres Gemaͤhlde, ein in⸗ 
tereffanteres Schauſpiel für Menfchen als bie 
menſchliche Seele in Ihrer engen und weiten Wir- 
kungskreiſe, nach ihren Kr äften und Anlagen, Pflich⸗ 
ten unb Beziehungen, Leidenſchaften und Trieben 
ſelbſt iſt? Wer bier nicht durch treme, ganze Datz 


En 1 


56 


ſtellang dieſer Sachen lebhaſt far den Bl, 
wirkſam an's Herz reden koͤnnte, wo Lörhfe ers 
Der ganze neuerfundene' bardarifche Name Ar ſt he⸗ 
tik iſt ja nichts als ein Theil der Logik: was wir 
Geſchmack nennen, iſt nichts als ein Ichhaftes 
ſchnelles Urt heil, was Wahrheit und 

keit nicht ausſchließt, Tondern vorausſetzt und we: 
ſentlich fordert.‘ Alle Lehrgedichte find nichts 
ats eine ſinnlichgemachte Philoſophie: die Fa 
bel, Darftelung einer allgemeinen Lehre mb 
Wahrheit In Gegenwart, in Handlung. Woher 
nahm Cicero die fchönften treffendſten Gruͤnde Tel: 
ner Beredſamleit her, als aus der Phikoſophle, auf 
ber Zergliederung der Sache felbft, des menſchlichen 
Herzens, des menſchlichen Verftandes ? Philoſophie 
alſo, bildend, d. i. menſchlich vorgetragen und an⸗ 
gewandt, iſt nicht nur ſchoͤne Wiſſenſchaft eng 
ſondern die Mutter des Schoͤnen. Rhetorik und 
Poefte, was fie Bildendes, Nuͤtzliches, wahrhaft 
Anpenehmes haben, find fie ihr ſchuldig. eben 
ihr iſt's die Geſchichte, fo fern diefe naͤmllch 
Keuntniß der Laͤuder, det Menſchen, Ihrer Regie— 
rungen und Staaten, Ihrer Sitten and Religionen, 
ihrer. Chaten, Tugenden und Lafter in ſich begreift; 
Werden dieſe Sachen getrieben, wie man fie mand= 
mat mit Schreden und Verwunderung getrieben 
hört, freiiich fo find fle eiender Schutt haͤßllcher 
Wiſſenſchaft; treibt man fie aber wie fie fi far 
dieß Alter ſchicken, d. 1. wie fie viele und iſchone 


- merkwürbige und Hare Kenntuffle gewahren, wife 


ben Juͤngling Intereffiven, ihn Hug machen und bife: 
ben — famı es eine ſchoͤnere Wiſſenſchaft als Dee 


% 


\ 





57 —. 
und: Geſchichte geben? Wer lieſet; wer 


haͤrt aicht gern Geſchichte? weicher gebildete Mann 


ſagt nicht, daß er durch Geſchichte und Erfahrung, 
bie eigentlich Sefchichte des Lebens iſt, am melften 
gebildet worden? Iſt die Epopee, das Drama et: 
was anders, als Geſchichte ober Mährchen, in allen 
Metz der Sprache, der Daritellung und Einbildungs⸗ 


kraft eingekleidet ? und iſt nicht manche Geſchichte, 


trem dargeſtellt, fcyön gefchrleben, angenehmer und 
blideader als eihe überfpannte Epopee oder das luͤ⸗ 
genhaffe Mährkhen eines Nomans? — Alles alfo. 
Tormmt bier auf Auswahl, auf Methode und 
Bortrag an, daß, was erzählt wird, der Xehrer 


Ansereffent mache, barftele, dein Verſtande und 


Herzen zuführe, die Seelenträfte des Zuhörer da⸗ 
mit befchäftige:” fo wird feine Gefchichte die ange- 
nehmſte, die bildendſte Rhetorik und Dichtkunft. 
In der Geſchiqtte der Alten find Gefchichte und Re⸗ 
detunſt verbunden: die ſchoͤnſten Meben ſtehen in der 
Geſchichte und koͤnnen nicht ohne fie verftanden; er⸗ 

kannnt, geſchaͤzt werden. Der gute Erzähler hat 
eben die Regeln, die der Dichter hut, und wenn 
hör Wehner, der Dichter nicht bloß beluſtigen, fon: 
dern beſſern, die Seele theilnehmend befchäftigen, 
fie bifden well, fo hat ex einerlei Zweck mit dem 


Goſchichtſchreiber, wie mit dem Philoſophen. Kurz 


Wuhrheit, Schönheit nd Tugend find die 
dref Grazlen des menfchlichen Wiſſens, drei unzer⸗ 
trennliche Schweſteru! Wer Schönheit ohne Wahr⸗ 
Belt: will, hafcht lad; wer Wahrheit und Schoͤne 


oghne Tugend, d. 1. ohne Nutzen der Anwendung 
ſtudirt, jagt nach dem Schatten. Schoͤne Seſtalt | 


— ‘ 


— 


— 


58. 


and Form wird nur In fchöner Materie anfchaubar 
und lebendig: bie wahrften, reichſten, mißlichiten, 
kurz bie bildendften Wilfenfchaften find auch immer 
die fchönften. | 

Mir fehlt die Zeit, mich auf den ſpeciellen Theil 
. meiner Abhandlung einzulaffen und zu zeigen, bag 
. alle Regeln der Schönheit nichts find, fo fern fie 
nicht ber Wahrheit und. Güte dienen, daß alle Blu⸗ 
men der Beredſamkeit nichts find, fo fern fie nicht 
Wahrheit und Güte befördern, daß allen Wiſſen⸗ 
ſchaften das Befte fehlt, wenn man ihnen das. 
Schöne, d. 1. das zur Menfchlichkeit Bildende rau- 
bet, daß es aber jede auf ihre Art haben koͤnne und 
‚haben folle, daß Feine Wiſſenſchaft barbarifch und 
inhuman ſeyn dürfe, daß felbft die abſtrakteſten 
Kenntniſſe ihren Reiz, ihre Schoͤnheit haben, fo 
fern fie bildend und nuͤtzlich werden u. f. — genug 
für heute! — der heutige und die folgenden Tage 
..mögen, was ih auslaffen muß, thätlich beweiſen, 
daß jede Wiſſenſchaft, bie hier im Gymnaſium 
getrieben wird, eine ſchoͤne Wiſſenſchaft fen, weit 
fie nämlich angenehm und Intereffant gemacht, weil 
ſie mit Luft und Liebe gelernt, weil fie menfchlich 
and bildend gelehrt werde. — — _ 

Ihr aber, werthe Juͤnglinge, ziehet noch befon- 
ders den Nutzen aus meiner Rede, daß wenn auch 
einige von euch im Begriff der ſchoͤnen Wiſſenſchaf⸗ 
ten gefehlt haben, ſie dieſen bei Seit verbeſſern. 
Werfet, da ihr Juͤnglinge ſeyd und Maͤnner werdet, 
die Puppen des Schoͤnen, bie leeren Gras- und 
Blumenkraͤnze weg, die fo bald verwelfen und nach⸗ 
Der einen übeln Geruch geben; liebet, was liebens⸗ 


® 








59. \ 
werth iſt, in aller Geftalt, immer aber in Bezie⸗ 
bung auf Wahrheit, Güte, Anwendung. Liebt und 
uͤbt die alten Sprachen: fie find die Quellen und 
Mufter alles Edeln, Guten und Schönen; liebt 
Philoſophie, Theologie und Geſchichte: fie nähren 
das Herz mit Empfindungen und erfüllen den Geiſt 
mit Gedanken, fie geben Materialien zu alle dem, 
was einer fhönen Einkleidung fähig und werth ift. 
Flieht nicht die Mühe des Fleißes; ſobald Ihre 
Muth fapt, wird die Mühe euch fliehen und ſich, 
eben indem fie euch bildet, in Kohn, Schönheit und 

Suͤßigkeit verwandeln. — E | 
Du aber, erfter Urheber, und felbft der unend⸗ 
liche Inbegriff aller Wahrheit, Güte und Schönheit, - 
laff and) diefe Schule, Laff’ auch die Uebung diefer 
Tage zur wahren Anmuth, Schönheit, db. i. zur 
Bildung menfhliher Seelen geweiht und gefegnet 
{eyn. Amen. 





V. 
Vom Nutzen der Schulen. 1783. 


Das Wort Schule iſt in unſerer Zeit einem 
großen Theil ſich klugduͤnkender Menſchen fo gehaͤſſig 
oder veraͤchtlich woerden, daß fie es gern aus der 
Sprache, wohl auch aus dem Staat verbannen, und. 
dagegen anderen neuerfundenen Anftalten und Ein- 
richtungen einen Werth geben, oder gar, wie fie 
meinen, dem Mutterwige, dem Genle, ber Natur, 
dem Umgange, dem eigenen Fleiß u. f. die Pflicht 


a 


60 | 


- auftragen möchten, bie abgeſchäfften pedantiſchen 
Schulen zu etfegen, und uns volllommenere Men: 
- fchen zu bilden, als nach Ihrer Angabe jene bilden 
fonnten. Man bat alfo nicht nur ftatt bes veralte⸗ 
ten Wortd Schule und Schullehrer-dee Mode zur gut 
neue anftändigere Namen belebt, Akademie 4: B., 
Graichunge-Sufitut, pädagogliche Anftalt, Philan⸗ 
thropin u. f., fondern man hat auch, wie fehr bekannt 
tft, in neueren Zeiten fo viel von Genfe, von Ori⸗ 
ginalgente, das fich ſelbſt Hilft und kelnes Lehrers 
bedarf, von Selbfterfindung, von wunderbarer Aus- 
bildung durch eigene Kraft und durch unmittelbare - 
Begeifterung geredet und geruͤhmet, daß zu Hoffen 
oder zu befürchten fteht, bie Genies oder vielmehr 
bie Menfchen felbft werden in kurzer Zeit wie Blu⸗ 
men und Bäume aus der Erde hervorwachfen, und 
fih bloß durch den Anbli der Sonne, durch Genug 
eines bimmlifhen Thaues begeiſternder Muſen zu 
Wundergefchöpfen der Natur bilden, bie uns jene 
glädliche Fabelzeit wiedberbringen Finnen, in welcher 
alles von felbit erwuchs, und die lebensſchwangere 
Erde alles, was wir fehen, ohne Samen erzengte. 
te fchäblich folche Leere Lobpreifungen eingebildeter 
Naturkräfte der Jugend werben Fönnen, ie. zum 
Theil wirklich geworben find, bedarfkeiner weit⸗ 
laͤuftigen Eroͤrterung; die traurige Erfahrung, die 
jährlich aufſchwellenden Verzeichniſſe der Meßbuͤcher, 
in welchen größtenthetls eine junge federloſe Brut 
ſich zu den Wolken und zur Sonne ſchwingt, die ab⸗ 
ſcheuliche Leere und Verwirrung, die in den metflenw 
Büchern nach dem neueften Geſchmack herrſchet, 
ſammt hundert Thädlichen Folgen, die daher ſtießen, 





61 


ſind leider zu deutliche Zeugen ber Serrättung, bie 
.bas Geniewefen auf Kojten der Wiſſenſchaft und Er⸗ 
‚ fahrung, die fogenannte Natur auf Koften einer re= 


gelmäßigen, ftrengen, bedaͤchtllchen Kunft, und bie 
gerähmte Selbſtbildung und Selbfterfchaffung auf 


Koſten eines fihern und näßlichen Unterrichts, den 
‚wir bem Fleiß erfahrner Lehrer verbanten müßten, 


hervorgebracht hat, ja wahrſcheinlich ſo lange her- 


. vorbeingen wird, bis ſich nach Geſetzen der Natur 


ber hefigte Trank, wenn er niht-träber werden Tann, 
wieber aufflärt: Meine Abſicht iſt nicht zu tadeln, 


. ober Fehler zu rügen, zu deren Vortrage felbft bie 
‚mix gegebene Zeit in diefer Stande nicht hinreichte; 


beffer iſt's, die Wahrheit in ihrer Würde and Schön- 


. beit felbft binzuftelen, und da ich im Sreife ver⸗ 


ftändiger Männer und lehrbegieriger ar 


‚tebe; fb wird bei jenen bie Erfahrung, bie fie fel 


erlangt, bei diefen der Zweck, den fle ſich vorgefebt 
haben, .gleihfam mein Mitrebner ſeyn, und die 


„Anwendung, die ich, der Eurzen Zeit halben, übers 


sehen muß, Ihnen vollftändiger fagen. 

1. Als Chriſtus zum Beften des menſchlichen 
Geſchlechts fein hohes Amt antrat und dazu vom 
Himmel ans felbft beſtaͤtigt wurde, war fein erftes 


Werk, ſich Schüler zu erwählen, und alfo eine 


Schäle zu bilden. Zwölf Männer begleiteten ihn 
fortan, denen er Unterricht gab, die er in ben Leh⸗ 
zen, die. ihm fein Vater offenbarte, nach dem Maße, 
wie fie die Lehre faflen konnten, unterrichtete, bie 
er zuletzt, da er felbft ber Erde eutzogen ward, an 
feine Stelle feste, und an die es fein letztes Wort 
war; gehet bin und lehret. Zu wohl wußte er, 


54 


62 


daß jeder Unterricht nur buch Menſchen fortge- 
pflanzt, nur durch Schulen aufbewahrt und nuͤtzlich 
gemacht werden könnte; Daher ftiftete er dieſe 
Schule, und die Apoftel folgten feinem Vorbilde. 
Wäre er, der hocherhabene Helland der Welt, ohne 
Schüler geblieben, fo hätte er feine Exfldrungen, 
die er aus dem Schoos des Waters mitbrachte, auch 
in den Schoos bes Waters bei feiner Himmelfahrt 
zurädgenommen: im Munde des Volle wären feine 
Morte gar bald zu Näthfeln und Mährchen worden, 


‚oder hätten ſich In wenigen Gefchlechtern verkoren. 


Nun aber, da er mit Unterricht anfing, da er den. 
Unterricht zur Grundlage bes ChHriftenthums machte, 
und auf ihn eigentlich feine Kirche baute, fo konnte 
fi diefe erhalten, fo Eonnte fie zum Nutzen der 
Melt fortdauern, ja was das Chriftenthum unter 
allen Nationen Gutes yeftiftet hat, hat es nur durch 
Unterricht, durch Unterweifung der Lehrer, durch 
Öffentliche und befondere Lehre an die Jugend und 
an das Volk, Eur; als Inſtitut ber Wahrheit und 
guter Sitten, ald Schule geſtiftet. So fahen es 
die Apoftel und die älteften Kirchenvaͤter an; wollte 
Gott, daß man es dem Sinne feines glorwuͤrdigen 
Stifters nach Immer fo angefehen hätte! alsdenn 


wäre es gewiß, was es feyn follte, auch in jedem 


Sahrhunderte und zu jeder Zeit geworden. Tank 
alfo Sott felbft, da er zu den Menfchen herabkam, 
fein anderes Mittel zur Erleuchtung uud zur Beſſe⸗ 
zung bee Menfchen, zur Wiederherftellung und Auf- 
bewahrung der Wahrheit, als Unterricht, metbobi- 
fhen Unterricht in einem Kreiſe geprüfter Lehrlinge, ' 
Fury Schule; fo mögen wir doch nicht kluͤger ſeyn 


— 











63° | 
wollen, als es die göttliche Weisheit, nicht Lebrei- 
Her, als es bie göttliche Liebe ſelbſt geweren iſt, 
und wollen dem Gange der menſchlichen Natur, der 
Verkettung des menfchlichen Geſchlechts, gehorſam 
folgen. 
Bon Kindheit auf naͤmlich empfangen wir den. 


beften Theil unferes Weſens von andern, durch 


Wäterricht, durch Eiziehung, ünd gleichſam durch. 
mitgetheilte Erfahrung. So lernen wir Sprache 
und Lebensart, fo bilden wir unfere Vernunft, und 
gewöhnen und zu Sitten und Künften: das Haus 
unferer Eltern, ja ich möchte fagen, der Schoos und 
bie Bruft der Mutter iſt unfere erfte Schule. Aus 
heiler Haut koͤnnen und zwar Geſchwuͤre, Kröpfe 


‚and Beulen wachfen, aber nicht Wiflenfchaften und 


Künfte. Was wir wiffen, willen wir durch andere; 
was wir gebrauchen und zu brauchen felbft lernen 
muͤſſen, haben andere erfunden; das ganze menſch⸗ 
liche Geſchlecht iſt gewiſſermaßen eine durch alle 
Jahrhunderte fortgeſetzte Schule, und ein neugebor⸗ 


‚nes Kind, das ploͤtzlich die ſer Schule entnommen, 
das dieſer Kette des Unterrichts eutriſſen, anf eine 


wuͤſte Inſel geſetzt wuͤrde, wäre mit allem feinem 
angebornen Genie ein armes Thier, ia In zehnfa⸗ 
chem Betracht elender als die Thiere. Da ung 
nun bie Gottheit felbft in unfern ſchoͤnſten Vorzuͤgen 
an diefe Ordnung gebunden, und unferm Geſchlechte 
nad) in eine Schule des Unterrichts gefeht hat, au⸗ 
Ber welcher wir weder Menfchen werben noch Men: 
ſchen bleiben, in ihr aber und durch fie alles Gute 
genießen, was unfere Vorfahren vor Jahrhunderten 
und Jahrtauſenden gebacht, gelehrt, erfunden, und 


64 

ihren Nachlommen überliefert; haben : ‚fa wollen. we 
uns nicht von einer Kette reifen, bie der Schoͤnſer 
unferm Geſchlecht wefentlich gemacht, und an welche 
er für und taufend anerkannte und zum Theil ſchen 
empfangene Wohlthaten gefnäpft hat. Laſſet ans 
lernen, was wir lernen koͤnnen: denn es iſt ſchon 
da; audere haben es für uns erfunden. Laſſet ups 
hinzuthun, mas wir hinzuthun koͤnnen, damit mie 
in der großen. Schule. ber Menfchheit auch mnfegn 
Platz würdig beſitzen, und mehr zurädiefien als 
mir empfangen. haben. Dieß iſt Geſet ber Natur, 
dieß iſt bie von Gott ſelbſt erwählte, hellſame Men⸗ 
ſchenoronung. .. 

2. Zur Fortpflanzung und Feſthab 
tung alles Guten in der Menſchheit, allen Aiſen⸗ 
ſchaft, Kunſt und Uebung gehoͤrt alſo, Im weikide 
tieſten Verſtande bes: Worts, Schule; ma. irgend 
eine Arfindung, wo. eine nuͤtzliche Kunnſt und Uehnne 
nicht zum Unterricht. und, zur Feſthaltung in einet 
Schule ‚gebracht werden Eonnte, ‚leider! da ſchen 
wir fie meiſtentheils mit ihrem eblen Urheber iker- 
ben. O, baf mir es bie Zeit vergoͤnnte ‚hierher 
die. Buͤcher der Geſchichte zu eröffnen ,.aub bau 
hundert Beifpiele. den geoßen Verluſt zu zeigen, Dem 
die Menfchheit dadurch gelitten, daß fo niele 
ebeiften Gedanken und Erfindungen nicht zur. 
gemacht, oder ald Schule fortgepflangt werben Foum= 
ten! Wie viele ſchoͤne Wlüthen einzelner beufen- 
den Köpfe gingen verloren, weil fie keine Frucht 
beingen Tonnten: ber Urheber dieſer „Wahrbeften 
und Erfindungen ftarb zu früh, oder er fand auf 
einer unrechten Stelle; er hatte keine Lu, * 





65 


würbige Schäfer? oberer konnte nicht ſchreiben, nind 
fein lebendiger‘ Unterricht erlag unter druͤckenden 
Hinderniſſen und Mängeln. Freilich wäre dieß ein 
ſehr trauriges, oft. beweinenswärdiged Gemaͤhlde: 
fein Inhalt ift indeß hiſteriſche Wahrheit. Was 
fich aus ber. alten mud aͤlteſten Zeit Gutes erhalten 
Hat, Hat ſich Durch Schulen erhalten: was fih aus 
Einer unter mehrere Nationen Vortreffliches fort- 


gepflanzt hat, hat fih duch Säulen fortgepflanst, 


| 
| 
| 


"anb mit jeder zerſtoͤrten Schute ging ein Kein für 


Sie ganze Nachtommernſchaft verloren. Was wwiffen 
wir von ben Geheimniffen der Chaldaͤer, Aegvpter 
, f., wenn fie auch noch fü viel Gutes gehabt haͤt⸗ 


ten? Nichts; mir ipren Schulen iſt and) ihre for _ 


genuunte Wetöhelt zerſtöͤret. Was wuͤßten wir von 
deiner meuifchenfreundiihen Weisheit, edler Sokra⸗ 
to, wenn du feine: Schüler gehabt, wenn beine 
ESauler dich nicht überlebt, und. deine Gedanken in 
Aue hohe füße Sprache gekleidet hätten? Mit 
‚deinem GSiftbecher wäre and) das Verdienſt deines 


Lebens hinuntergetrunken geweſen: chne deinem 


ſanften Xenophon, ohne deinen kunſtreichen Plato, 
ws alle die nudiher weiter ginggen, wuͤßten mir fo 


rgout als wichtu von Ar: Die Lehre Potbauoras lebte 


urn ſeine Schuͤler ſort; und wir bedauern es, 


daßem feise goldne, Hüfte:fa Tehr hinter den Tep⸗ 


‚str weihorgeurbabe, denn, wenn diefi nicht geſche⸗ 
hen wäre: waͤßten wir wahrſcheinlich mehzr von ihm. 
DR Lese Zends ging nur durch feine edlen Schüler 


in Wirkung; und daß die griechiihe Philoſophie 


Abethaupt zu einem fo großen Echdade unter meb⸗ 
een Wollern, mehrere Iabrtaufende hindurch ge⸗ 


BB. 
dichen fit, kommt une Bakery: Auf Perieen Me | 
Gen, feften Grund des Wehiules durch Schulen 
gelegt hat. Hinter Gcheimnife werfienit,, oder in 
reiaſamen, dunklen Hellen verbergen, wire (fie: eir 
Wergrabener Schatz geblieben, vder 88 Halb: zewie- 

Nur kur Menſchen, bar Unterricht eben⸗ 
Year Meufchen in. Schrift, Mebe und Hehäng. pflauſt 
Ach das Gute fort; uud Änfonbergeit Hub. Schulte 
de danerhaften Hälfen, “unter denen die "Mpeg, 
wie wir im Pflamzenreiche gewahr werden, Ihre zar⸗ 


ten Fruchtkoͤrner vor der Verginglichteit ſchret ui 


gu kruͤnftigem neuem Wachehaur arfbe wahret. Wir 
Wäre die Meformmtion fe weit gebiehen, wenn fie 
fich vicht durch Schulen, —— gelche⸗ 
wer, feuriger, wahrheitllebeuder Mnbr Ta Schetf⸗ 
ten und Im — ———— Vertrngeife: weit ſortge flangt 
haͤtte. Die Ethule Luthers mb Meltanchthons nat 
als ein reicher Baͤum für mehr als cin Zahrhundert 
ı@tites In die Weit geſtreuet ober’ geyfinuger: mb 
jeher Fremd der Wiffſenſchaften be ed Ätpt, 
Daß die Schule des leztgenannten verbientenr Man⸗ 
nes bald nach ſeinem Tobe fo gedruͤckt vmmd were- 
Agliinpft warb. Ueber ein Fahrhunbert Hin folgte 
auf dieſe Befehdung eine werte Barbarel unferer 
Kirche. Gleichergeſtalt haͤtte Eraͤgnens, Haͤte Her 


klaſſiſch⸗ gelehrte ing at mancher anderen 
Schulen ſtiften koͤnnen, wie fie“ esverbieuten "em 
‚wie weiter waͤren wir febtgerietz sunb. duͤrſten ijret 
alcht anfangen, wo wir feit brittetab hundert 3%: 
ren gewefen waren. - 


Ruhm and Dank fey are aarer Ah, “eo: 


len BSerlen der Were, bie tht in ranalichen Bla 


I | BR rd SU EFEE Tr Bu vr 








— SE SH 3 Tr TU TU TU TU | WEEE TEE” TUE EEE 


— _— TE NE Geile Bien — TUE GE TEE — 


on und far reanliche Miſſenſchaften, Säulen-Atf- 
setzt, ud bleſs oude Auſtaiten ·des unte rtichis mag 

Gr. Auch · haben wir's zu dankon, daß uns die Bar⸗ 
gar bedect, und: ber Mahnſian unwiſſen⸗ 

der Semdemer--aufts noue ſortgetiſſen hat. gIhr 


welt, ein ſicherer Stamm, an welchem Jahrhunderie. 

‚Ha graͤuende Kweige ſproſſen, and nuͤtzlich⸗ Fruͤchte 

Ph erzesgen. | ” 

+ :Ble alſo Schalen zur Yufbewahtung nud 

Fertpflanzung · ber Wiſſenſchaft, ſammt allem On: 
m, was «biefe-ung-Beingt, dlenen: ſo dienen / ſie 


IR 


⸗ 


— 


2 


68 


Ferner zur Klarheit und Kiätigteit ı Ber 
Biffenfbaft, zu ihrer Ausbildung und all 
mäligen Bervolllommuung Es iſt naͤm⸗ 
Uch bekannt, daß ein Unwlſſender und Schwaͤrmer 
eigentlich nichts Rechtes lehren kann, daß wer leh⸗ 
ren will, ſelbſt muͤſſe gelernt, d. i. ſich klare und 
richtige Begriffe, nebſt einer hellen, leichten, faßlb⸗ 
Aen Methobe muͤſſe erworben haben. Daher find 
alle Halbgelehrten ſo gern gegen den wahren Unter⸗ 
nat, alle dunkeln Schwärmer fo gern gegen ben hel⸗ 

len, richtigen und faßlihen Vortrag. &le fühlen 
naͤmlich, daß fie felbft mit ihrer Weisheit ſchlecht 
Dabei beſtehen, und daß ihre bampfige Kohlengluth 
gegen den Glanz und das Zemer der Sonne ein 
FIchlechtes Licht ſeyn werde: darum fliehen fie den 
Zellen Tag, und fuchen dunkle Winkel. Der Schuͤ⸗ 
ler ſoll ſich felbit lehren, wie fie felbft von Bott ge⸗ 
Jehrt find: die Maſe fol Ihn begeiftern, weit [ke 
ihn weder .erleuchten können, noch mögen. Ich 
glaube, wir find alle darüber einig, m. H., daß 
dieß faule Fiſche ſind. Wer etwas weiß, muß es 
‚gelernt haben, und muß es fo lange lernen, bis ers 
weiß. er etwas können will, muß es ‚geübt be= 
ben, und muß ſich fu lange uͤben, bis er's Tann. 
Je älter man wird, wenigſtens je mehr Me Ver⸗ 
nunft ‚bei-und zur Reife koͤmmt, deſto mehr fieht 
man ein, daß es mit alfe diefem Genleiwefen, mit 
diefer Begeifterung, mit diefer Beredſamkeit über 
Sachen, von denen man nichts weiß, mit dleſer 
FThaͤtigkelt in Gefchäften, von denen man nichts ver: 
flebt, ganz uud gar feine Art hat; und, ih für mei: 
nen geringen Theil’ habe einen Graͤuel daran, wenn 











69 


ich Geiles biefer Art vrebigen, fprechen, handeln 
ſehe, leſe oder höre. Lerne was, fo kannſl du was: 
lerne es recht, fo kannſt du es recht, und weißt, 
warum du es koͤnneſt; gegentheils bleitft du mis 
allen deinen Senfeaningen ein Stümper. Du vers 
derbft dein Werk, wie du bich felbft verderbt haft, 
und man fann dir hinter allen deinen Meifterftäden 
nichts anders fagen, ale: Knabe, gehe in die 
Schule. 

Schule tft nämlih, wo wir eine Bilfenfiaft; 
oder eine, Sprahe, Kunst oder ein Geſchaͤft gruͤnd⸗ 
lich und nach Negeln lerıren, mo wir und nad dies: 
fen Regeln üben, fie ung zur Gewohnheit machen, 
wo unfere Fehler und aus Gründen gezeigt, und 
auf die leichteſte Art verbeffert werden. In bie= 
ſem Verftande find Eulen für jede Wiſſenſchaft, 
Kunſt und Uebung die unentbehrlichften, nuͤtziichſten 
Hnftalten : dem es fällt nirgend ein Meifter vom 
Kimmel, und alles, was man recht wiſſen und thun 
will, muß man lernen. Eine Wilfenfhaft ohne 
Gründe, ohne Deutlichkelt, Klarheit und gute Ocd⸗ 
nung iſt feine Wiſſenſchaft; eine Hebung, die man 
auf's Gerathewohl thut, iſt Feine Vernunfthand⸗ 
Yung, vielweniger ein Kunftwerf. Nun verftehrt 
ſich aber von feibft, daß ein Lehrer die Sache wiſſen 
muß, die er lehret; folglich) Tann ich fie auch von 
Ihm, und zwar beffer als von mir felbft, der ich 


nichts davon weiß, lernen. Gr fichet, wenn er ſei⸗ 


nes Namens werth ſeyn will, von feinen Kenntniſ⸗ 
fen die Fruͤnde ein, folglich befigt er ein Richtmaß, 
Das eram meine Uebunnen legt, und tiefe dadurch 
verbeſſert: befitt ee Methode, fo kommt dadurch 


70: 


DOsbunug In meinen Kopfy und bie ide Witßen⸗ 
ſchaft iſt Drum. Er spricht. barüber; folglich: 
lerne ich-auch ſprechen und den Mund üffuem Se 
fprint, dab er verſtanden ſeyn will, und wirb- bieß- 


ſummte Begriffe, die wir bleiden, und bie t&: 
nachher anwenden kann, mo irgend ſich bie Getes- 
genheit darbeut, Dieß, m. H., Ift eine ganz aubere 
Sade, als bie und: da aus Bägenn etwas zufam- 
mealefen, was. weber zum Kohl noch zum Salat: 
taugt, ober fi gar- Wiltenfchaften, Regeln ab: 
Kuͤnſte feibfr erfinden wollen, wie fie uns der Geiſt, 
oder vielmehr der Wind zufuͤhret. Wiſſenſchaften 
Laffen ſich nicht erfinden: fie dürfen and nicht erfun⸗ 
den werden, denn fie find einem großen Theilenach 
ſchon das ſeit Jahrtauſenden hat ker menſchliche 
Geiſt ihrer mehr erfunden, als wirdernen werden; 
drum ſollen wir ſie auf dem kuͤrzeſten, richtigſten, 
gewiſſeſten Wege lernen. Sprachen laffen ſich nicht, 
erfinden: bie Menſchen wollen Feine neuerfundenen 
ESprachen; wir ſollen nur Die ihrigen richtig ſchrei⸗ 
ben und ſprechen lernen. Dieß alles geſchieht num 
in einem guten Unierricht der Schule, und ich moͤchte 
fagen, in itzm geſchiehet es allein. Der ſelbſt⸗ 
gelehrte Stuͤmper bleibt meiſtens zeitlebens ein 
Stuͤmper: eine gewiſſe Unſicherheit verfolgt ihn: er 
bat bei dem groͤßeſten Fleiße mit feinen zwei Augen 
nie alles bemerket. Er lernte; es fehlte ihm aber 
bald an Uebung und Verbeſſerung, bald au Gruͤn⸗ 
ben.feiner Lehre, mithin an Sicherheit und. Gewiß⸗ 
beit, bald am Vortrage fuͤr andere, alſo an KMar⸗ 








777 
Gew: Dratitchren mb Didrumg. ar Voertrage bes: ' 
Gümie fintset fi. dirß alles von ſeibſt; ich lexne, 
wem; ich fo ſchreibe, wenn ichs auch nicht durch 
den Datel lernez ich: hoͤre, und muß antworten, 
Folglich lerne it ſelbſt erflären. Der Lehren 
Ssrut;, indem er ichret; ber Schäler lernt. lehren, . 
iadener vernet: ſo bekvmmt die Wiſſenſchaft auf uns 
fere ganye :Schhenszeit in unſerm Kopf und in. unſe⸗ 
rer Haub Klartzeit, Leichtigleit, Wohlgeſtalt ud 


Dehnung 


Ycrwinfchte: abermals Maum zu haben, Ben 


Selen Metiskeit, Klarheit, Deutlichkeit, Ord⸗ 


ung in fe gekommen, ober in ihnen erhalten wor⸗ 
De finb; Ka gegentheils bie Selbſtgelehrten und 
Seudeſchadaͤrmer, wenn fie auch treffliche Köpfe was 
zen, fh: ſeiten dieſer Borzüge rübmen Sonnten. 
Bald. ſchrbte Dunkelheit. aͤber ihnen. und ihren 
Brele, fo.wieihre Schreibart jenem Chaos vor der 
Meisfchöpfung aͤhnlich war. Bald konnten ſie den⸗ 
Sen und ſchreiben: aber nicht ſprechen; bald erfan⸗ 
den ſee ſich auch im Styl eine neue Sprache. Ihre 
ſchoͤnſten Gedanken gingen alſe verloren, weil fie 
foliche nicht autzudruͤcken mußten, und fie. beilagten 
es oft zeitlebens, daß: ihnen Schule, Sprache, lex 
Hung und Methode fehle. Wenn gegentheils in 
Wiſſenſchaften und Kuͤnſten fi fefte Grundſaͤtze era 
Yalten, und durch fortgefepten Fleiß su immer meh⸗ 


rerer Volommenheit ausgebildet haben, wodurch 


geſchahe dieſes als durch Schulen? Daß 3. B. die 
ariechiſche Kunſt ſich zu den volllommenen und ſchoͤ⸗ 


- 


72, 


/ 


relchte Bewunderung der Welt eſind, Kant Baer, 
daß Ge für jedes Behtide. die zewiſſe Proportise 
und. Form des Charafters gefunden hatte, und Der 
gefundenen Regel allentpalben treu. biieb. Dee 
Kuͤnſtler hätte ſich laͤcerlich oder verächtlih Bemächt, 
der aus alberner Willkuͤr davon hätte, abweichen, 
und als ein Kunfigenie fi eigene Bahnen .erwählen 
wollen; man blieb alfo bet dem Richtigen uud Mah- 
ten, das man nur, wie man Eonnte, relch und ſchoͤn 
anwandte. Woher iſt die Mathematif: auf einer 
ebenen Etraße fo weit aid beinahe Leine andere Wif- 
fenfchaft gekommen? Eden weil fie auf diefer ebe⸗ 
nen Straße ber deutlinen Lehre, ded Haren Untere 
richts, der ordentlichen. Beweife biteb; . und kein 
Schuͤler es fi In den Einn fommen lich, ſich einen 
andern und neuen Eullides zu erfinden. . Der reine, 
aͤchte lateinifhe Styl, bie wahre Haffifche Gelehr— 
ſamkeit hat fich jederzeit in und durch Schulen etz 
haften: man lernte an erwaͤhlten, alten Schriftſtel⸗ 
lern eine reine Sprade, Harmenie und. Ordnung t 
man lernte dieß von geprüften Meiftern, nad deren 
Lehren und Muftern man fih und andere biidete, 
und fo flifteten Muretus, Geßner, Crnett 
ihre fortdauernden, terühmten . Schulen; Feiner 
ihrer würdigen Schüler nahm ſich's in ben Sinn, 
eine neue Latinitaͤt, d. 8. eine neue Varbarei zu er= 
finden ; vielmehr befliſſen fie fih im .alten zelnen 


Stvyvl ihre Gedanken auszudruͤcken, ‚und jenen unr 


fterblihen Muftern der Vorwelt in Elnfalt und 
Würde, In Runde und Schoͤnheit za folgen. Schu⸗ 
ten dieſer Art find ‚gleichfam Ueberbleibſel bed alten, 








7B 

san Getdenaid, Bolloerte gegegtie Aufatte jeher: 
Merderbniffe des Stus, die in jedem weuen. Jahr: 
zehend. nnteneineringuen, Fahne, in, neuer Uniform 
etuherziehen, und nicht: auders ale mit einer Ver⸗ 
wirnung Babels endigen können. : Kurz, was ſich 
in ben Wiſſenfchaften und Künften dauerhaft⸗gruͤnd⸗ 
Lüches erhalten, und nach. klarer Einficht durch: erſte 
Megeln zu einem Grad der Volllommenbeit ausge: 
blidet at, hat ſich darch Schuten: gebilber und er⸗ 
halten, wenn zute Lehrer: ned Muſter ihre Vorſte- / 
ber, wenn fleißlge und Schalet ihre Zoͤg⸗ - 
Ibege waren. ' 

Sy konnte noch vlel von ‚ber größeren Lebhaſtig⸗ 
get, von der angenehmern Leichtizkeit, von dem 
edein Wetteifer reden, der den lebendigen Unter⸗ 
richt mehrerer Schuͤler in wohlgeordneten Schulen 
begleitet; ich würde damit aber die Zeit einem an⸗ 
deri nothmendigeren Geſchaͤft, der Prüfung unferer 
Schuͤter ſelhſſt rauben. Einen Vorwurf muß ich 
nur. noch abelehnen ſuchen, den man, wie mid 
duͤnkt, febr ungerechter Weiſe den Schulen zu ma⸗ 
chen: pßegt⸗ naͤmlich, daß fie durch Ihre Regeln, 
Durch ihre Meihode und Ordnung das Genie unter: 
drüden, und in «ine zu enge Bahn einſchraͤnken. 
Sehr felten, „pflegt man zu fagen, übertraf ber 
Schauͤler den Meidier; voll fklavifher Bewunderung 
ging er feinen Fußſtapfen nach, jtatt daß er über 
ihn haͤtte ſteigen, und Die Wiſſenſcaft hätte weiser 
bringen fotten. In dieſem Vorwurf ift etwas wah⸗ 
res, der größte Theil davon aber iſt falſch und ſinn⸗ 
las. Mit dem Steigen auf andere, mit den Bockſß 
ſpruͤngen über andere, zumal über feinen Lehrer, 


pie eine eigene Ben Angie Baer A frade 
lich vft, uber bie’ Koͤpfe der "Witen wegtſprinen⸗ 
juͤngere Thoren, wie ſie ſelbſteſiude, koͤnnencfie uch 
hlerin bewundern und lobenz nicht Immmen oben 
geräty.her Sprung, und ſehr vſt wirb / der Spolu⸗ 
ger in der Jugend oder. im Alter ber Welt zum Ges 
Laͤchter. Statt: den umbähdigen Kachnhelten ſolcher 
Capriociosi, bie eben vom Klettern: und 
dee Ziegen ben: Namen haben, tobe ich miritife ber 
4 Dankbarkeit juuger Veute, die wie vergoßſ⸗ 
-fen, ' fie:ihren Lehrern zu bauten haben, um; 
die, wenn mit dem Fortgange der Jahre: nub kadı 
Sietges ſie ſolche auch einnint. worin. uͤbertvaͤfen, 
dennoch die Rumen: derſelbem wit Schonung, Llede 
und Ehrerbletung nennen, ia es ſich * ma⸗ 
hen, ihre Schuͤler zu heißen. Nichts kleidet einem 
wirklich großen Mann ſchoͤner, als dieß Gewand der 
Beſcheidenheit, wenn man. fieher, daß feige, keine 
ſtolze Demuth ober vielmehr ein demuͤthiger Stolz, 
fondern das. aͤchte Gefuͤhl der Orfenutlihleit :umir 
Wahrheit if. Diele Lehrer Haben dleß brweidende. 
werthe Gluͤck gehabt, und ich möchte es ſelbſb zn den 
Vorzuͤgen guter. Schulen rechnen, daß fie biefew. 
Schönen Semringeift ber Liebe und Hochachtung ges 
gen Ihre Xehrer bei. nrürdigen: Schitern erwarten and 
verbreiten. : Einentheilt dem andern: feien ma 
Itchen Onthufiadmus. mit, unb wenn dieſer auch zu⸗ 
weiten etwas über die Gromen ſein Lob und feine. 
Verehrung reiben foßte, ſo iſt dieß immer bei: 
ein ſchoͤurrer Fehler, als menu dic ſchnmarze Kraͤhe, 
die ſich mit entſallenen Pfanenfebernufhmhet und 
in fie eidet, nun üben den armen Pfau her Ike, 





\ 78 
Kan: 21 - vrendhten meh zur laͤſtern. Man fehesitete 
fheusd :umt die der Schule: entlaufenen Series ‚ala 
bie gegen ihre .chemenligen:Zchren fe: Molg thun, und 
aan wird Ihre: verdchtliche Bettelarumih deuntlich 
geung ·wahrnehcnon. Dark haſt 5a Menfh, fagh 
Maulus, das du nicht empfangen haft! und was 
vuͤheneſt; du dich bean, ale ob du es nicht eumpfangen, 
fonbern; wenn:uns ber Zuſach erlaube tft; wie Breite 
Tepße Baͤr, alles ans bir ſeibſt gezogen und ge fogen 
Haͤtteſt? — -Das. aber iſt durchass nicht wahr, daB 
wahre: Grund ſaͤtze und Regein einer Wiſenſchaft, 
ein: deutlichen Vortrag und eine: ſichere Methede 
Derfelben je ihren Fortgang hindern; nur ein Un⸗ 
wiſſender kann fo etwas fasen. Vielmehr iſt's ges 
wiß, daß eben diefe Principien und Regeln, biefe 
Destlichtelt und Oroͤnung zum Fortsange In der 
utffewichaft den Weg: bahnen. Man hat: kennen 
seilerut, was ba iſt, und wind leichter gewahn, 
woran es fehlet: man fichty wie bie erften Erfinder 
der Wiſſenſchaft auf Ihre Eutdedungen famen, und 
hat an den Regeln derselben: einem ſichern Kompaß, 
ber uns weiter leite; ba ohne Gramdſaͤtze und Re⸗ 
gelm hingegen niemand. etwas weder erfinden, noch 
verbeffers kann, er ſchwebt wie ein Unſinniger auf 
dem weiten Meere. Der Baum, ‚ber tiefe Wur— 
zeln gefchlagen hat, kann hoch und höher ald andere 
empor. wachſen; wer aber ohne Wurzeln und Erbe 
von Himmel hexabwachſen will, der verwellet bald 
uns wird ein trauriges Spiel des Windes. Freuet 
und ruͤhmet euch alſo eurer Schule, Ihr Schuͤler die⸗ 
ſes Symnaſit, und dantet Gott, daß ihr von au⸗ 
bern, dam ven gelegten, wuͤrdigen, bewährten und 


— 


- 6 4 | 
einligen Lehtern das lernen koͤnnet; was ihhr ſelbtt 
nicht erfinden duͤrft, and gewiß, zumal in eureu 
Quyren, wicht würdet erfinden können... Aubere be 
ven ht euch fundiert, fie haben die'fieget ber 
Sprache, die Grundſaͤtze der Wiſſenſchaften, bie 
Ordnung einer guten INetbode fih, zum Theil bar 
viele Uebung, eigen gemacht, und tragen euch alles 
vor, damit ihr's aus ihrer Hand mit Ueberlegung, 
Steig und Dank annehmer. Ihr därfet und folt 
einſt nicht ſtehen bleiben bei dem, was ihr. in der 
Schule lerntet: bazu find Akademien, dazu iſt euer 
ganzes kuͤnftiges Leben; aber. in der Schule lernen 
muͤſſet ihr’, und. euch die Grundſaͤze und Degeln 
eigen machen, die niemand ungeftraft betetdigt. 
Nichts raͤchet fih fo fehr, als ein verfäumter Schul⸗ 
unterricht: nichts raͤchet fi fo fehr, als eine ver: 
nadlaͤſſigte Grammatik, als hintangefeßte Princk⸗ 
pien, auf denen alle unſere Kenntniſſe und Uebun⸗ 
‚gen berufen. Moͤget ihr auf der hoͤhern Schule 
fo fleißig feyn, wie ibr wollet, und ihr ſeyd ber 
niedrigen Eule haibfertig entlaufen: fo wirb man 
euch immer anfehen, daß fur, um eine wahre Ges 
ſtalt zu befommen, noch einmal in den Dfen getban 
werden müßtet, weil der Teig immer nechher naͤſſet, 
oder das Geblide kruͤppelhaft und elend if. Laſſet 
such alfo-nicht von dem Wahn unferer Zeit anſtecken, 
Ategen zu wollen, ehe euch die Federn gewachſen 
find, und wie Prometheus das Feuer vom Himmel 
holen zu wollen, wenn ihr's In der naͤchſten Kuͤche 
haben könnt. Die Genleiuht iſt eine verderbliche 
IE ruhe; das wahre Genie liebt und übt Grundfäge, 
Kenntniffe und deutiich verſtandene Regeln, kurz eß 








” 


— 


— 
v 


77 . 
Sat und lerut etwas. Auch bei bisfer Prüfung 

Sünfchen wir, daß ihr dem Wert Schule Ehre mar 
hen, und durch euer Beiſpiel zeigen moͤget, was 


für nuͤtzliche und nothwendige Dinge man in Schu⸗ 


| 


len lernet, und wie rühmlich man beftebe, wenn 


wan fie recht gelernt habe. ihr werdet fobann der 
‚ befte Beweis der Wahrheit meiner Rede ſeyn, und 


die kuͤnftige Frucht, bie wir uns von euch verſpre⸗ 


‚ hen, in einer ſchoͤnen Bluthe zeigen. 


i 
1 


/ 
! 





VI. 
Von der Annehmlichkeit, Nuͤtzlichkeit und 
Nothwendigkeit der Geographie. 1784. 


1 





Es wäre unnüß, durch eine lange Rebe arient 
dem beffern Sefchäft des heutigen Tages, junge 


Rente im Wettkampf ihres Fleibes und Ruhms zu 


4 
i 


jetgen, feine armfelige Zeit zu nehmen; und nod 


nnnuͤtzet wär's, diefe Zelt mit einer Lateiniſchen Rede 
zu verlieren, die gerade dem Theil unferer Ver: 


fammlung halb oder gang unverſtaͤndlich wäre, dem 
ich am meiften verftändiih zu werden wuͤaſchte. Ich 
abe mir nämlich vorgenommen, von der Annenm= 
lichkeit, Nuͤtzlichkeit und Nothmendigkeit einer Schul: 
wiſſenſchaft zu reden, von der ich vor zwei Jahren 
eben in dieſem fuͤrſtlichen Gymnaſio den ſonderbaren 
Ausſpruch gehoͤrt habe: daß ſie ein fuͤr die Jugend 
trockenes Studium ſey, und in der Ih bei manchen 
Bxraminibus, die ich zu halten gehabt habe, mande 


— u 
v8 

Buustinge fremder goſanden iube,,... mis :ıah :fie 

winihte: Es iſt wink“ bie: EB lH Bier 

waere ais hie Ben srapbie: ein @nıbium , be 

wach: meinen Begriffen eben ſo trocen iſtas· wenn 


ſo 
Jahren der Jugenb fosamgemeflen tft, "Daß ebch· wi 
wundere, wie irgend ein edler wohlerzogener Juͤnc⸗ 
ling in den ſchoͤnſten Jahren feines Lebens fie nicht 
vor andern lieben ſollte, ſobald ſie ihm in der ee 


. ftalt esfcheint, in der fies ihm erfcheinen muß, ndme 


Ih ale die Grundfläche und —— — aller 
der Studten, die gerude in mſerm 
am meiften gellebt und geſchaͤtzt werben. '' Erlauben 
Sie alſo H. V., daß ich ein kleines Gemaͤhlde der 
Bieterie, und Der Deipobe amreeele in · dm ich fie 
—* den beſten Jahren m den 
ken Vergnügen, selexut' —* wie eben ſo⸗ vle⸗ 
pri m ergnägen Fe gelehrt habe. Ich rede audi 
Stfahrung., und- bie Cape wird für ſich ſeibſt sehen. 
Freilich wenn- man unter —8 nichts an⸗ 
ders verſteht, als ein trockenes Namenverzeichnit 
son Laͤndern, Fluͤſſen, Grengen und Staͤdten, ſo iſt 
fie allerdings eine trodene, aber auch zugleich ein? 
fo unmürbig. behandelte nad mißverftaudene, Mort⸗ 
kenntniß, ‚als mean man-an ber Hiftorie nichts “> 
ein Verzeichniß von Namen. unwärbiger Koͤnige mb 
Jahrzahlen Tennet. Ein folhes Studium iſt nicht 
nur nicht bildend, ſondern im hohen Grade abſchre⸗ 


Aend, ſaſt⸗ und Lraſtlas: Muh «in areßer Kheli 


— 


“ 


039 


| Je nein ne Vi yälltinde 


orlehat The die Imend nicht Otelje, ja, were 
mnan die Wahrheit: fagen fol, nicht einmal Werſtnd⸗ 
aAMiehteit gentza, da vom den :nreiften: Krlecs⸗ mad 
AMtaass ationen, die: in der Welt geſplelt worden, 


detr Juͤngling ſo wenig. richtige Begtiffe hat, daß 
vdieſe meiſtens auch moch manchen Cewatſeuen feh- 


sten. :Abernift dieß wahre Geographie? wahre Ge⸗ 
shit? Iſt elende Momehätatur wine Burach6? 
Iit ein Vorabelbuch aucwendig geterut, denn das 
Mas ein guter Echriſtſteller Hit und würde man 
‚sicht een: Menſchen für ſinnlos halten, ider um 
Eateiniſch nd Ouiechtſch/ zu: lernen, nichts als das 


Merxikon ſtudirte? Und gerade vas Hi: Seographie 


Menſe ſreuee · in bem reineniedendige Serie woh⸗ 


* 


’ 


" "so 
sen Schauslatz, auf den und die⸗ ſchaffende Bike 
‚md Weisheit zu ſehen für gut gefunden? Dike 
‚Erde alfo, eine Kugel, als einen Planeten Tonnen 
zu lernen, fi bie. allgemeinen Geſede bekannt zu 


machen, nac denen fie fih um fih feibft und uie 


Sonne bewegt, und wie daburch Tage nad Jahre, 
Klimate und Regionen. anf: ihr werden, dieß alles 


mit der Gaflichteit uud Wurde vorgetragen, Die 


der große Gegenſtand fordert; wen bad niht bau 


Geiſt erhebt uud erweckt, was ſollte ihn erheben Lu. 


erweden? Es gibt einem edlen Ihusling einen 
het jener erhabenen Freube, die wir fäblen, wenn 
wir Scipto's Traum beim Cicero Lefen oder eine ex⸗ 


habene Muflt hören: benn dieſe Keuntniſſe find 


- eine ‚wahre Mufik des Geiſtes. Aus. der groͤßten 
@inbeit von Naturprinciyten wird Ainte uugemeffene 
Nrihe ven genaranhliden Jolgen ſichtbar, Die wir 
taͤglich empfiaden und genießen,’ und von denen dach 
‚jeder Verſtaͤndige Auffchluß wuͤnſchet. Srusie. Ih 

son einem Juͤngling: einen ſchiechten Begriff hätte, 
der z. DB. Fontenellens Geſpraͤch von. mehr ats Einer 
Weit ohne Veugnügen.läfe: ſo müßte es eine meg: 


ſchenaͤhnliche Wildfäule ſeyn, die bei den großen 


GSeſetzen, die. allgeweln auf unserm Grbküben Herr: 
(hen, und wohnrch.er bad, mau er iſt aharb, un⸗ 
» gerährt bliebe... Zrbendiang werden. mir die Zeiten 
aus bee Mergeneöthe meines Leheusrpuch Im Ans 
denken ein angauehmer raum bleiben, da:meine 
Seele biefe Kenugnifi zuerſt erupfing, und. ich über bie 
@renzen meines Geburtslandes hinaus, in die weite 
Welt Gottes, in weicher unfer erodaden a ſcwinimt, 
entzädt warde ⸗ 


I In 


J Der 


J 


. Se 
Wer Meset, ‚ben. Gewehnen, thellt ſich in 


de und Meffıri. jene Acht nie ein vers herver 


m deſſen beiden Selten, tale auf einen plano in- 
vlinato, Stroͤne cimmen: dieß iſt has große Behdit- 

miß son Waſſer, aus deſſen Dünften , durch Die Luft 

seilittert, und durch bie Hoͤhen bir Berge angepe= 


gen .ıble-Käneklen aller: Pruchtbartelt and Nehraäg 
wer Arde werben. Welche Fälle von ſchoͤnen mund 


wählten Kenntulſſen, bie in biefer Betrachtuug 
deubent“ Beun bes Juͤngling in Oedanken kime. ho⸗ 
hen Erhruͤden befteigt, und Ihre ſonderbaren Pdaa- 
here fernen leint, wein er fo: dem aıft. deu @iäf- 
gen Hund in bie Thaͤlor wanbert, enbii au die 
anfer des Meres lammt, und bereit aubete We: 
gdpfe, an Miuetallen Pflenzen, Wöieren und 


vend nach. den. Geſetzen das Kitas Veſiaiten, Jatben, 
EOebenearten, Bitten und ANeltztpren wechſein ach 
ch veraͤndern, und ungeachtet aller Verſchledeuhrit 
Das Menfengefihlecht boch allenthabben cola Bru⸗ 
dergeſthlecht dk won. Cinem Schoͤpfer erſchaffea, von 


Elnem MWater euntſproſfen, nach Einem Ale der Städt 


Feliateit auf fo verſchiebenen Wegen ringend und 
ſtrebend — n wie wird fich fein Mick erheben, wile 
wird "fi feine Seele erweitern! Judem er bie 
mancheriei Probulte der Erde, bie mancherlei Sat: 
Eugen der Schoͤpfung In dieſem oder jenem Klima, 
die manchertei Denfarisn, Oebraͤuche, Lebensweisen 
ſeiner Mitbruͤder, der Menſchen, aer lernt, die 
alte. it ihn das Lit Einer Sonne geniehen * 
Berders Werke z. Phlloſ. u. Geſch. X. 6 





" " «82 N ‘ “ 
Einerlel Gefenen. des Schickſals gehorhen: wahrlich 
fe muß tyıh Die Geographie das reizendſte Bemählbe 

voll Kunft, Anlagen, Abwechſelung, ja voll Lehren 


ber Klugheit, Menfchtichkeit und Religion werden, 


Gr wird, ohne daß er fein Vaterland verläst., ein 
Ulvſſes, der die Erde durchreiſet, viele Woͤlker, 
KELander und Sitten, voll Klugheit und Thorheit ken⸗ 


nen lernt, und wenn ihm jedes won dieſem anfchau 


‚Hd gemacht wird, fo muͤßte es eine flupide Mißse⸗ 
burt feyn,. die dadurch nicht Ideaa In den Kopf und 
große oder geläuterte Empfindung in's Merz. er- 
Belte. O Hätten manche kutzüchtige, ftols>, inte: 
lexante Barbaren, die fich einbilden, daß außer if- 
rem Erdwiunkel kein Hell ey, und ba die Sonne 
der Vernnnft nur in ihrer Höhle fcheine, in Ihrer 
Hugend. ur Geogrephie und Geſchichte beffer geter- 


net: unmöglih wuͤrden fle die enge. Binde ihres 


Haupts sum Gehirnmeſſer der ganzen. Belt und die 
‚Sitten Ihres eingeſchraͤnkten Winkel6 zur Regel unb 
Richtſchnur aller Zelten, aller Klimata und Mölker 
gemacht haben! — Au meinem geringer The 
wenigſtens muß ich befennen, daß Geogrophbe ud 
GSe ſchichte (beide im wahren und würdigen Hmfang 
ihrer Begriffe betrachtet) zuerſt dazu beigetragen 
Haben, eine Reihe träger Vorurtheile abzufüttch«, 


SGitten md Menschen zu vergleichen, und dad Wahre, 
Schöne, Nuͤtzliche zu fuchen, In weicher Geſtalt und 


Hille es ſich von außen auch zeige. Auf biege 
Weiſe dienen, Seographie und Geſchichte der nuͤn⸗ 
Uchſten Phlloſophie auf der Erde, nänfih der Phi⸗ 
Tofophie der Sitten, Wiſſenſchaften und Kuͤnſte: fie 


ſcqirfen den zensum humanitatis In allen Geſtalten 








> 


83 


‘ md Formen: fi te lehren ung mit erlenchteten Augen 


unſere Vortheile ſehen und ſchaͤtzen, ohne daß wir 
dabei irgend eine Nation der Erde verachten ober 
verfiuchen wollten. „In ihm leben,’ weben und 


- find wir,“ fagt Paulus vorm Altar des unbekannten 


"Sottes der Athenlenſer. „Gott Hat gemacht, daß 


„von Einem Blut aller Menfhen Gefclechter auf 


„dem ganzen Erbboden wohnen, und hat Ziel ge= 


"fest und zuvor verfehen, wie lange und weit fie 
wohnen follen. Sie ‘alle find Kinder feines Ge⸗ 


„ſchlechts.“ 
Es ergibt ſich aus dem, was ich geſagt habe, 


daß Geographie auf eine wirkliche Art mannichfach, 


reich, anſchaulich gemacht, von der Naturge⸗ 


u fe ichte und Hiftorie der Völker unabtrenn=" 


fey, und zu beiden bie wahren Grundlinien ge= 


BA — Naturgeſchichte iſt das, was Zünglinge 
- und Kinder am melften reizt, was auch Ihren Kopf 


mit den reichften, reinften, wahrften, brauchbar⸗ 


ſten Bildern und Ideen füllet, bie ihnen weder die 
aphthonianiſche Chrie noch Logik und Metaphyſik ge⸗ 


ben; und die wahrfte, angemehmfte, nuͤtzlichſte 


"Rindergeographte ift Naturgefchichte. — Der Ele⸗ 


phant und Tiger, das Krofodill und der Wallfiſch 


Antereffkren einen Knaben weit mehr ale die att 


Kurfuͤrſten des heiligen römifhen Reichs In ihren 
Hermelinmänteln und Pelzen: die großen Revolu⸗ 
tionen der Erde und bes Meeres, die Vulkane, bie 
Ebbe und Flut, die periodifhen Winde u. f. find 
feinen Jahren und Kräfsen viel mehr angemeſſen, 
ale die Pedanterei zu Regensburg und Weplar. 


Durch die Naturgeſchichte zeichnet ſich jedes Land, 


⸗ 


88 = 
ſedes Meer, jede Infel, ‚iebes Sims , iches Men⸗ 
jchengeſchlect, jeder Welttheil bei. ihm mit unver⸗ 
loͤſchbarem Charakter aus, um. fo. mehr,: ba: dieſe 
Charaktere beſtaͤndig ſind, und nicht mit dem Namen 
eines ſterblichen Regenten wechſeln. Das, ——— 
Roß, das axabiſche Kamel, ee indifche 
der, ‚afrktanifche Loͤwe, der amerlkanifche Kaiman 
u. f. ſind dentwuͤrdigere Symbole und —— 
„einzelner Länder, ‚ale bie: wandelbaren Grenzen, 
"die irgend ein teäglicher, Friede zog, und vielleicht 
der erfie neue Krieg verändert. Und da alle Meiche 
der Natur efnander fo nahe grenzen, ba bie Kette 
„aller Erdweſen fo verſchlungen. in einander. ‚hängt: 
„fo wird. Eines die Erinnerugg ‚des andern. Ser 
‚Berg erinnert an Metalle und Mineralien, au Quel⸗ 
Ten und Ströme, .an hie ——— der —ãAã 
fo wie an Thiere und: —— e ihn oder falnen 
Abhang bewohnen. Alles füget ſich an einauder 
‚md entwirft dem Geiſt des zu bildenden Ruaͤnglings 
‚ein unvergeßliches Gemaͤhlde voll lehrreiſher Züge, 
we in alle Wiſſenſchaften übergehen, und allent⸗ 
“halben: von vfelfeitigem nüglichen —— ſind. 


Inſonderhelt weiß.jebermann, dei bie Seogra⸗ 
„pble gundahft der Geſchlchte und zwar jeher Ges | 


ſwichte, ber politiihen und gelegsten, der Kirchen⸗ 
"und Staatsgeſchichte hiene, ja ih darf fagen, Auf 


die Geſchichte ohne Geographie fo wie ohne Zeitrech⸗ 


N 


nung größtentbeild ein wahres& Luftgebäude 
‚werde. Was hilft's dem Juͤngling, wenn er.waiß, 
was geſchehen iſt, ohne daß er weiß, mo 28 -ge- 
ſchehen ſey? — und werum iſt fo ‚oft die alte Ge⸗ 
ſchlote cber ‚ein unkdter Traum. As Aae· hre Bes 





— 








85 X: 


afäfte: zit nehmen? Nicht auch uner · andern befmwes.ir 
gen; als weil“ffe zu vft von der alten Geographie... " 
getrennt wird, undtalfe von lauter Schattenagrſtalten 
redet, die in der Luft ſchweben? Durch die Geo⸗ 
graphie wird die: Geſchichte gleichſam zu einer illu⸗ 
minirten Karte für die Einbildungstraft, ja fuͤr 
die Beurtheitungsekruft feibſt: denn nur durch ihre - 
Hütfe wird es deutlich, warum biefe-und keine an⸗ 
dere Bälfer; ſolche and Feine andere Rolle anf dem . 
Schunptatze unſeter Erde -[pfelten? warum . diefe ' 
Megenten hier, jene dort herrſchen konnten? dieß 
Reich lang, jenes kurz dauerr mußte? warum die 
Mouarchken und Reiche fo tind nicht anders auf eiue 
ander folgen, fo und nicht anders zuſammen gren— 
zen, ſich befedden oder vereinigen konnten? woher 
die Wiſſenſchaften und die Kultur, die Erfindungen: 
und Kuͤnſte dlefe und Feine andere Laufbahn nehmen, 
und iwie von ber Höhe Alters durch Aſſorer, Perfer, 
Aegvptier, Griechen, Romer, Araber, Guropderi. 
endit ber Ball der Weltbegebcubeiten und Welt. 
ftretttffetten jent bier, jetzt dorthin geſchoben ſey? 
— Ich wuͤrde ſtundenlang reden muͤſſen, wenn ich; 
dieß alles auch nur in den nothdürftigften Erempeln. 
zeigen wollte. Kurz die Gevgraphie ift die Bafig der 
Geſchichte und die Geſchichte iſt nichts ale eine In 
Bewegung gefehte Geographie der Zeiten und Voͤl⸗ 
tr; — Wer eine ohne die andere tretht, verhehk, 
feine, und wer beide nerachtet, follte wie ber 
Maulwurf nicht auf, fondern unter der Erde woͤh⸗ 
nen. Alle Wiſſenſchaften, die unfer Sabrbundert 
licht, ſchaͤzt, befördert und belohnt, gründen: ſich 
vorzüglich. auf. Phileſophle und Geſchichne; Handel 


14 


j 


® 


86 = 
und Politit, Oekonomie und. Rechte, Arzneikunſt 
und alle praktiſche Menſchenkeuntniß und Menſchen⸗ 
vearbeitung gründen. ſich auf Geographie und Ge: 
ſchichte. Sie find ber Schauplatz und das Buch ber 
Haushaltung Gottes auf unferer Welt: bie Ge 
fchichte das Buch, bie Geographie der Schauplag. 
Sn jeder Wilfenfhaft der Alademie muß ein Stu⸗ 
dirender zuruͤckbleiben, wenn er dieſe Grundwiſ⸗ 
fenf&aften, beinahe die Materialien zuallem, Geo⸗ 
graphie, Geſchichte und Naturgeſchichte, nicht von 
Schulen mitbringt. Gluͤcklich wer ſie auf denſelben 
in einer ſchoͤnen, reizenden Geſtalt ſah! gluͤcklich, 
wem ihre Unterhaltung nicht das Gedaͤchtniß fuͤllte, 
ſondern die Seele bildete und den Geiſt aufſchloß! 
Tretet auf, edle Juͤnglinge, und zeigt, was ich im 
allgemeinen Gemaͤhlde nur unvollkommen und von 
ferne anzeigen konnte, durch einzelne Proben in 


Chat und Ausübung. leberrafhet uns durch Pro- 


ben eures Fleißes, eurer Munterfeit, eurer edlen 
Ruhmbeglerde fu diefer und In allen andern Wiſſen- 
ſchaften eurer Laufbahn, und ber Genius eureg Le; 
bers wird -euer fruͤhbegonnenes ruͤhmliches Werk 
kroͤnen. _ . 





VII. 


Nach Einfuͤhrung einer Schulverbeſſerung. 


1786. 


Warum ſollte ich, hochgeehrteſte Verſammlung, 


einen großen Theil der kurzen Zeit, der zu einen 








87 


vlel ebtern Zweck als einer Rebe befkimmt iſt, mit 
vergehlinen Warten verderben. Meine Rede kann 
nichts als Sachen vortragen, die den helle. vog 
Ihnen, der über Erziehung der Jugend und die 
Berfaflung der Schulen nachgedacht haben, laͤngſt 
betaunt ſiad; und der ediere Zweck, zu dem dieſe 
Etunden verordaet find, iſt die Prüfung der Ju⸗ 
gend ſelbſt: eine ſettene Gelegenheit, da Lehrer ihre. 
Methode, Schüler ihren Fleiß zeigen und beide 
darthun fönnen, wie fie die Huffaung erfüllt haben, 
die das Publikum von ihnen faßte, oder wenig⸗ 
ſtens fallen ſolte. Ich fage, fallen follte: denn 
In wie weniger Achtung und Aufmerkſamkeit find 
Säulen dem Yublifum unferer Zeit? Hier find: 
keine Seremonien anzugaffen, feine Komödien und 
Buſtbarkeiten zu ſpielen; wir fplelen für ung ſelbit, 
wie jener Virtuofe fagte; oder mie Plato fagte, da 
er ſtatt eines vollen Lehrfaals einen einzigen Schüler, 
erbiidte: „du biſt mir ftatt aller, werther Antima⸗ 
chus“ — — u Gle-Went,e find ung flatt aller, 
und wir felbft ung ſtaͤtt aller, Lehrer und Schüler. 
Dietes füritlichen Gymnaſiaums, wollen wir zu ung 
ſeibſt fagen. Der Seiltaͤnzer bedürfen wir nicht, 
am eine unwiffende Menge berbeizusiehen, was 
wir treiben, betrifft Die Sache Gottes und der ewi- 
gen-Wahrheit; die Sache der Menſchheit und der. 
edelſten menſchlichen Bildung, die Sache der Wiſ⸗ 
ſenſchaften und was zum Nutzen des Staats fuͤr 
Juͤnglinge In idr lieget. Traurig, wenn wir dazu 
des Zullatfdens der wuͤſten Menge, ſtatt des bes 
fuledigenden Zeugniffes unserer feitft bedürften, 
Aber ind kann Ich auch in diefem feinen greiſe 


[4 
88 


en verfügen; hoch⸗ und ae 
Qußter —E ben auftichtigen 
Dan ich Ihnen felbft ſchuldig biu, und den meinte 
ganze Seele Ihnen ſo ve and willig · abtrac; 
es iſt der Dauk fuͤr Ize Wem bie: Sie 
meinem guten Willen in ſo reichem Mode *28 
haben. Mit welchem Vergnügen habe ich“s erfae 
ren, daß in denen Veränderungen, die Se. herzegl. 
Durchl. bei einigen Lektionen. biefed Symnaſans 
gewollt und in eigener. hoͤchſter Perſon geneigt: 
haben, Ihre Wuͤnſche ben meinigen nicht nur ents 
gegen geflogen, fordern guvorgelommen find, wurd: 
" Ste: den Entwurf einer Verbeſſerung beindde- eher 
andpefünrt haben, als ih Ihnen denſelben Int Meb⸗ 
nen vorzeichnen konnte. Mit einer Feeube uwb: 
Willen nahmen Ste denſelben anf, die felbſt· meine 
Hoffnung überttal; und Sie erpreßten mie, 16 
baͤrfes fagen, mit dieſer nıterwarteten Beteitwkutg⸗ 
kelt, nit dieſer edeht erfinderiſchen Freude eine 
Empfindung des Danks und der Verbindlichkeit, 
die ich Ahnen laut und oͤffentlich To frei vertkage,: 
als 068 meine eigene ade wire. Muͤndlich un 
ſchriftlich Habe ich Aeußernngen in Ihnen bemerkt, 
bie mir auch einft, wem ich vom dieſem Gym 
fium entfernt ſeyn werde, eine immerwaͤhrende 
| —— und Liebe zu Ihnen einfihßen, die mi: 
es ſagen werben, bier waren Winner, die wie -Kh- 
dachten, die wie ich wuͤnſchten und wollten! Auch 
in dem, was Ihnen ſchwer zu feyn er: 
nicht delobut warb, kam Ihre Beſtrebſamfelte ne? 
nen Gedanten zuvor, Ihre Erfahrungen kelteten 
WO and Ihr guter Wille ward der ſchduſte Lohn 








pen wi x . LI na on — —— — 


| 
} 
l 
| 
| 


89: 
muiätetene, moluer Beitrebunze Ihacu ſvcc c 
uud den: Ihrigen wirb der Aumel ed bohnen/ was 
ke: hier far die Jugend des Gyennaftums Gutes 
wollten uni thaten. Der ue Fleiß der Juͤnglinge/ 
ihre volle, jedt noch ſchlammernde Empfindung des 
Danks und der Freude, noch mehr aber, Ihr eige⸗ 
nes Geffuchl deſſen, mas gut und lobenswerth tft, 
via einſt die Bluͤthe, die Ste in ben Juͤnglingen 


« Felbft wahrnehmen werben, wird Ste Int Stillen bes 


lohnen, Wenn wir nichts thaten mitwmforer Mer- 
Helferung, fo machen wir dem Jungling bie Arbeiten: 
ber Schult angenehm, abwechſelnd, nunbar -und' 
werther. Wir raͤumen einen Haufen alter Saal⸗ 
badereten weg, die, ob wir gleich nahe au der 
Saale leben, doch gluͤcklicherwehſe nicht mehr unſere 
Suulbadereien ſeyn duͤrſen, weil wir was befferes 
zu treiben wiſſen, und zu treiben lange gewuͤnſcht 


haben. Was ſoll der Unrath deſſen, was man zw 
ewlger Vergeſſenheit lernet? was ſoll er in dem 


Stauden eines oͤffentlichen· Hauſes, wo eine Ver⸗ 
ſammlung der Knoſpen und Bluͤthen des Staats 
vlel end beſſeres lernen koͤmmte? Haben wir nicht‘ 
ekerhaft Iange Welle und Ueberbruß der Dunnihelt 
genug In unfern andermeitigen Gefchäften? warum 
fetten wie die Tugend damit tödten? Warum ihr 


nicht ileber Das jchonſte jeder Wiſſenſchaft vhne Uns“. 


ſchweif auf die, bie ſolche wit dem Unrath ihrer 
Zeit beſchwerten, geben wollen ?' Id; trage Fein: 
Bedenken, die: Dhedlogie biekin als. das ‚erfte Tick 
ſpiel zu nemten und jebem frek zu kaffen- daß er ſich⸗ 
in der Pollbſopie und Gefchichte, in Erklaͤtung der 
atten Sprachen und Igrer Muſter, fernere Boplelt 


hr, 


‘ 


90 

ubenke. Die Schule -follte von jeher Miſſen⸗ 
ſchaft, die für den Anaben dient, das Nothwen⸗ 
diaſte, Wabreſte, Willenswertpyefte im ſchoͤnſten 
und ſtrengſten Umriß geben, und ich weiß nicht, 
warum fie es nicht ungeſcheut, ohne Muͤckſicht 
anf Zelten und Menſchon geben diirfte? Je 
einer eine Wiſſenſchaft gelehrt wird, deſto ſchul⸗ 
mäßiger wird fie; und je ſchulmaͤßiger, defto reiner 
ſoll fie werden. 

Ein gleiches iſt's mit ber Auswahl der Wiſſes⸗ 
Saft für die Ausend; obgleich eben. diefer Punkt 
für den ſchwerſten angegeteu zu werben pfleget. 
Man fagt: was für diefen taugt, taugt nicht fir 
jenen; und es iſt wahr, fobatd man fih anf die 
tünftige Beſtimmung jedes einzelnen Jünglinge ein⸗ 
läßt. Allein wenn man darauf fehen wollte, ſoll⸗ 
ten ſtatt Einer, fieben Schulen und ſtatt ſechs oder 
fieben armer Lehrer, dreißig da ſeyn, wenn man fe 
vornehm and efel Schulen für Inriften und Kuchen⸗ 
beder, fir Kameralifien und Leinweber haben wollte. 
Die oͤffentlihe Scule ift ein Inſtitut des. Graapd, 
alfo eine Pflauzſchnle für junge Leute, nicht nur 
als Fänftige Bürger des Staats, fondern aud) und 
vorzuͤglich als Menſchen. Menſchen find wir. eher, 

als wir Profeſſtoniſten werden, und wehe ung, wenn 
wir nicht auch in unſerm kuͤnſtigen Beruf Menſchen 
bleiben! Von dem, was wir als Menſchen wiſſen, 
und als Juͤnglinge gelernt haben, kommt unſere 
ſchoͤnfte Bildung und Brauchbarkeit für uns ſelbſt 
ber, noch. ohne zu aͤngſtlicher Ruͤckſicht was ber 
Staat and und machen wolle? Iſt das Meer eins 
wal gewetzt, ſe kann man allesieh damit fnmelden, 


= 


pe N 





— — — — — — — — 


F 


—— 91 u 
und nicht jede Haushaltung Hält ſich eben ein ander - 
Gedeck, das Brod, ein anders das Fleifh aus ein⸗ 
‚ander zu legen. Co iſt's auch mit der Schärfe und , 
Politur des Verftandes.. Schärfe und polire ihm, , 
woran und wozu du willt, guug, daß er gefchärft 
und polirt werde, und gebraude ihn nachher nach 
Herzens a und nad deines Standes Beduͤrfniß. 
Ob du an Griechen oder an Römern, ob an ber 
scheolögie oder der Mathematik. denken gelernt, d. i. 
deinen Verſtand und bein Urtheil, dein Gedaͤchtniß 
und deinen Vortrag ausgebildet habeſt; alles gleich 
viel, wenn fie nur ausgebildet find und du mit fo. 
‚hellen, ſcharfen, yollıten Waffen in's Feld der 
Öffenflihen und der befondern Geſchaͤfte eintrittft. 
Du magft deinen Wepfteln zuruͤcklegen, oder bei 
Dir behalten, die erfien Gegenftände und Uebungen 
des Erfennend mögen dir unwerth oder werth blei⸗ 
ben, guug, wenn fie, was fle bei.dir ausrichten - 
fellten, ausgerichtet haben, und du nidt a8 ein. 
Erdklos, fondern als ein Menſch, aicht als ein roher 
Stemm, fondern als eine ausgearbeitete, wenig⸗ 
ſtens als eine behobelte Bildfänle die Schule ver⸗ 
laͤſſeſt. Das uͤbrige und naͤhere der Kunſt werden 
dir kuͤnftig der Melſter und die liebe Meiſterinn Er- 
fahrung fchon ſelbſt fagen._ Ich halte es alfo für 
ſehr thoͤricht, wenn man be jedem Schulbuch, bei 
einem yeropus und Phadrus, beim Cornelius und, 
Anatreon,. aber gar .bei einzelnen Theilen einer, 
xbeit, bei einem Quadrat und Eirkel,. bei einem, 
periodo. der Gerichte oder einer Aufgabe des 
Steh bie Eenge auftelte: cui bono? Zu feinem, 
andem bano., als baf der Kunde reden und [reis 


[5 


en, 


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N 


* 


eigentlich gar ni 


ng | 
beit, feinen Verſtand, fefte Zange, Fee: 


⸗ 


krauchen lerne; oder dap- ſein Bang after; 


ſein Urtheil geſchaͤtft wirb:'er gewahr t 
ſeiner Bruſt ein Herz ſchlage. Nachder mag et 
Lehrſatz und Fabel, Geſchichte und Gedicht Vergef: 
fen; wenn und wo er will, guug, er hat am uud‘ 
mit ihnen, was er ſote, gelemett 

Laſſen Sie ſich alſo, m, H., wenn Ihnen kuͤnf 
tig, und ehemal dergleichen umgeſchlachte Urthetie 


vorkommen ſollten, von ihrer edeltt und rahmlichen 


Bahn nicht ablvtken; der Juͤngllug ferne nie zu viet 

wenn ers nicht für andere Ferm; fo lernt ers fig 

fih, zu ſeinem Nutzen⸗ zu ſeiner Lehre und te: 

lung, Wenn nicht fuͤr ſein Vaterland, fo fihr an- 
r . 


nicht ans;) und’ je tuͤchtiger ein Menſch iſt, derto 


mehr iſt er für mehrere Länder brauchbar. Far’g 

lebe Studiren ii der Meufch am wenigſten mb 
e lernen; fonderh für's Reg en, 

d. k. für den Gehrauch und die Anwendur in alten: 


nicht genießbar; man Mipt ihn ſich ſetzen md trintt 
alſsdann, ob-eg gleich fehrt aus iſt, daß mauche er 
tränfe Ihiumen, Sp iſt's auch gut, - wenn dir. Ju⸗ 
gend viel und vielerlei unduzwar Das Piele mis 
Eifer, mit Liebe and Enthuſtasmus ernet, ſtudt· 
Zen Fölf fe deſwegen nicht:- denm.elgeustid fülkte Sein. 
Menſch ſtudiren damit er findise obeb: (ubizg 





‚93 


habe. Je freier. fie iu die Malt hlneln fehen, je 
act id fie für die Wege der Brauchbarleit zb 
es Gluͤcks erhalten werben, defto wenigere werden 
ken fie werben. fleißig und. arbeitfam fenn, 
um aute tuͤchtige Menſchen zu werden. Die Zeit 
iſt vorbei, da man. einen Theologen feiner ſchoͤnen 
Seſilkulation, oder einen. Suriften feiner ‚feinen 
Aniffe wegen, zu felner kuͤnftigen Lebensart bes 
ſtimmte; der Zuri und ber Theolog, der Poſe⸗ 
. anentierer und Tifchler.follen, obwohl in ihren ver⸗ 
.Schlebenen Graben, gefcheute Menſchen feyn, ‚und 
ſo mögen fie werben was. fie wollen. Sie werden, 
was fle.werben, gut ſeyn, mad Damit anug. 
nch Ihr alſo, muntere, liebe Jünglinge, 
fen wunter..auf ber Bahn eures Fleißes ‚und: Ler⸗ 
‚end; ihr lernt und wißt nicht wozu? glaubt aber, 
: 26 wih.eud, nie gerenen; denn ihr ſchaͤrft damlt 
euern Verſtand, iihr naͤhret eure Wlßbeglerde, ihr 
erwerbt euch einen Reichthum von Sachen, von 
Kenntniſſen der Natur, der Wiſſenſchaft, des ge⸗ 
meinen Lebens, ihr gewoͤhnt euch zu richtigen Be⸗ 
griffen, zu einem geſetzten ordentlichen Vortrage, 
zu einer Regel und Richtſchnur des Denkens und 
Handelns anf euer ganzes Leben. Erkennt bie 
Wohlthat, die euch erzeigt wird, daß Arbeiten ab=. 
gewechfelt, daß fie enrer Faſſungskraft, eurer Luft, 
euerm Kreife näher gebracht werben; daß man das 
Unnöthige biniveggethan, damit euch das Nothwen⸗ 
dige, Schöne, Nuͤtzliche defto mehr reize. Ich er⸗ 
mahne euch und bin gewif, daß melne Ermahnung 
eure Beſtimmung, euer Mitgefühl habe. Faſt nie 
habe ih bei den neueingerihteten Arbeiten 


u 


94 
eine Klaffe verlaffen, wo ich nicht mit Sreube auf 
n oder jenen gefehen, diefed oder deſſen Fleiß 
md Munterkeit bemerkt, oder ein gutes Zeugniß 
von biefem oder dem andern gehört Hatte. Fleißige 
Schüler ermuntern ben Lehrer, Ihre Luft zu Lernen, 
{ft fein füßefter Lohn. Wohlan alfo, ed zeige auch 
jest jeder Edle unter euch, was er gelernt, was er 
gefaßt hat. Das Eramen iſt eine Rennbahn dei 
Ruhms, ein Schauplah des Flethes. Der Träge 
bleibt zuräd, der Unfletßige verſtummt. Der mu 
tere, feiner Sache gewiffe, wohlbereitete Schuͤler 
erhält Ruhm und genießt Freude. 

Und du, o Gott, Geber des Guten, Duelle alfeı 
Wahrheit, du Urheber aller guten Lehre und Unter: 
weiſung, ſegne die Bemuͤhungen auch dieſes heutl: 
gen und ber folgenden Tage, und laſſ dieſe Fuͤrſten⸗ 
ſchule einen Tempel deines Geiſtes, aller guten 

Wiſſenſchaft und edeln Sitten ſeyn und bleiben. 





* nl 


Andenken 
, | Anden 
Sroffeſſor Joh. Karl Auguft Mufänd, - 
- gehalten ' . 
Im Hörfaal des Gymnasium? 
am StiftungssTag 
Herzog Wilhelm Ernf 


_ ju Weimar den 50. Oktober 1787. 


Nachdem wir jet das Andenken eines alten 
gottfeligen Färften, des Erbauers, Stifters, Ver⸗ 
forgers und Freundes dieſes Opmnallumg dankbar 
und pflihtmäßtg begangen haben: fo laſſet ung jebt 
eine andere Pflicht der Dankbarkeit und Freundſchaſt 
erfüllen, und ein neueres trauriges Andenken wenig- 
ſtens mit einigen herzlichen Worten feiern. 

Er ift tobt, unier verdienser guter Profeflor 
Muſaͤus! Ex, dem icher Mann und jabes Kind 
denr Namen des Guten gibt und geben wird, wenn 
er an ihn godeufer. Er ift tobt, euer Lehrer, ihr 
Schier, der mir eu als ein Bruder mit Brüdern 
umging, ber such liebte, fich feiner Klaſſen väter» 
sich annahm, und ſich vielleicht dadurch ſelbſt man⸗ 
ches Uebel feines Körpers, manche Krankheit ver: 
mebtte, daß er aus breamendem Eifer für feine - 


° 


_ 


— 


96 
Sicht feiner Pflege abbrach, und oftmals zu früh 


gu each eilte. Er war. hart gegen fi, und befto 


nachgebender, gütiger gegen andere: er meinte es 
redlich mit Gott und ber Welt, mit feinen Mit⸗ 
lehrern, Schülern, mit feinen Freunden und allen 


Meunuſchen. Nie habe ich ein Wort von feinen Lips 


om gehbrt zum Nachthell eines andern; . viclaceſt 
fegte er die Fehler anderer zum beften aus, umb 
{achte gu entichuldigen, was er entfchulkigen konute. 
Er war gefaͤllig unb geſelig, ohne daß. er je feiner 
Pflicht abbrach; visimehr trug er die ſchwere Buͤrde 
feines muͤrſamen Lebens mit fit, G 

muth, Froͤhlichkeit, Scherz und guter Lame. 

feufzte nicht, ex mutrte wicht; zufrkeden mit ber 
Begenwart, ‚wenn fie ihm auch hart und brüdenb 
war, hoffte er eine leichtere Zukunft, und arbel⸗ 
tete ihr froh entgegen, ob er ſſe gleich hierauf Er⸗ 
den nicht erreicht dat. Eln unvermutheter Tobi 
ihn von und! nahm ihn feinen Schuͤlern, nahm Em 
feinen Freunden. Cr wird nicht mehr wiederkon⸗ 
men tu diefen Saal, er wird dieß Haus und fehke 
Klaffe nicht mehr betreten: wir werben ſeine Ger 
ftalt auf ben Stellen, wo er ſtand und faß, wo et 
feine Klaſſe umterchbtete, und mit feinem eigenen 
trenen Gutmeinen beim Eramen vwerführte, wicht 
mehr fehen. Ybe feine Schuͤler werdet feine gute 
treumoinende Stimme, feine Eriahnungen und 


Kehren, feine Scherze und Eiafäle, mit denen os 


auch feine Schularbeitegbelebte, wide mehr hoͤren. 

Wie iſt jebenm von eich jene gu Muthe, bee ihn 

auch nur einmal in-feinem Leben. beistbigt, 

unb: ib eine ſaure Wertelſtunde sehe Sal 
| ISSUE 





97 


Wuaͤrde er nicht, Da ſein guter Lehrer, ſein vaͤter⸗ 
licher Freund jest todt da liegt, viel darum geben, 
es nie gethan zu haben? Liebe Schüler, was bies 
ſem Lehrer begegnet ift, wird früher oder fpäter 
uns allen begegnen. Liebet alfo und fchonet eure 
Lehrer, To lange ihre fie habt; die fpdte Reue, 
wenn ihr fie nicht mehr habt, iſt eine unangenehme 
traurige, vergeblihe Neue. Ehret das Andenken 
eures verftorbenen Lehrers dadurch, daB ihr auch 
nach feinem Abſchiede von uns, euch feiner Güte 
und Liebe dankbar, feiner Erinnerungen und Lehren 
gehorſam, feines Unterrichts fleißig erinnert: denn 
wiflet, daß ihr ihn durch euer gutes Betragen auch 
uch nah feinem Tode und in der Afche ehret. 
Hätte es ihm die Vorfehung gegönnt, er würde 
noch jeßt gerne unter ung feyn feine Laufbahn hie⸗ 
nieden aber follte verkärzt werden, und war unver⸗ 
merkt zu Ende. Auf eine fonderbare Weiſe trug er 
ſeit efaigen Wochen fchon die Borempfindung feines. 
Todes mit ſich, und ob fie ihm jeder gleich aus dem 
Sinne zu reden Tuchte, und von außen alle Kenn 
zeichen feiner Krankheit gegen fie waren, fo wußte 
er doch, was er fühlte, nahın das Abendmahl, und 
ſagte, daß er es zum lebtenmal nehme, ordnete 
felnen legten Willen und ftarb, ohne daß er's Inne 
ward, ohne daß er’s felbft bemerkte. Die Gottheit 
gönnte ihm noch den Troſt in feiner letzten Stunde, 
daß er das Bittere und Unangenehme der Trennung 
In derfelben nicht fühlte, ‚und fo verließ er bie 
Welt, wie er gelebt Hatte, fanft uad rubig. Ems 
pfinde und genieße den Lohn In einer andern Welt,- 
guter Mann, den du in diefer weder empfingeft, 
Herders Werte 3. Philoſ. u. Geſch. X. 7 


98 


noch Augftlich ſuchteſt! Du haft bie Würde bei 
Amts und Lebens bis zu dem Grabe redlih 
frönlich getragen, und jebt für einen anbern nich: 
gelegt,. ber fie, wie du, fo heiter und bieberbenk 
tragen möge. Verſtummt find deine Scherze al 
Heine Freuden; aber auch deine kranken Füße ruhe 
and dürfen dic nicht mehr tragen, und dein fi: 
gerftab ift deinen Händen entfunten; ruhe fanft 
einer fühlen Erde, wohin wir dich, wohin di 
beine dankbaren Schüler heut Abend zum lebte 
mal begleiten werden. Dich drädt Fein Fluch, IH 
»  Geufzer in ber Erde: aber manches dankbare, gu 
Andenken deiner Freunde, deiner Mitichrer, bein 
Schüler, aller die dich gekannt haben, folgt N 
nad. Du hatteft keinen Feind in deinem Lebt 
weit du ihm nicht verbienteft, du wirſt ihn am 
nicht nach deinem Tode haben; vielmehr wird W 
Froͤhlichkeit deines Geiſtes auch in vielen 
Schriften zu Ehre deines Namens. fortleben. 
gleitet ihm alfo, die Ihr dazu verordnet werbet, hei 
ſtill und dankbar; und uns, meine Herren, fol ii 
Andenken unfers verfiorbenen Mitbruders auch # 
feinem Abfchtede von ung lieb und werth feyn. 
feinem Begräbniß=- Tage wollen wir uns die Erf 
zung und Lehre erneuern: daß kein Nacheuhm || 
rein und angenehm fep, als ber Nachruhm ber Lat 
feligleit, ungefärbter Redlichkeit und Hergeudgätt; 
daß Feine Blume auf unferm Grabe lieblicher duſte 
als das Andenken der Humanität einer reinen, fiat 
lich⸗guten, gefaͤlligen, feiedfertigen und fröplihe 
Seele. Wir alle müllen früher oder ſpaͤter de 
Gang gehen,/den unfer Freund und Mitbruder ge 

















99 

sangen ift, und heut gehen wird: laſſet uns fire: 
ben, daß man und fo theilnehmend und herzlich be= - 
Daure, wie wir biefen Mann bedauern, ber an Ein- 
falt des Charafterd. und an Güte des Herzens 
ein Kind, an unverdroffenem Fleiß, as ſtiller Thaͤ⸗ 
tigkeit und Liebe zum gemeinen Beften ein Mann, 
ein reblicher biederherziger Mann war. Sauſt ruhe 
feine Aſche, und Segen blühe in jedem Guten, 
Das er auch in diefem Haufe in den Gelft und in die 
Herzen unferer Jugend fireute ! Selig find bie 
wohlverdienten Todten! fie ruhen von ihrer Arbeit 
and die Frucht ihrer Werke folgt Ihnen nad. 





IX. 


Dom ächten Begriff der ſchoͤnen Wiffenfchaf: 
ten umd von ihren Umfang unter den 
Schulftudien. 


Bet der Einführung eines neuen Leh— 
tere. 1788. *) 


N 


Dem neuen Lehrer kit infonderbeit ein Theil 
der Wiffenfhaften angewieſen, bie nad bem Mode: 





. Der Anfang der Rede wird weggelaſſen, well er 
bloß perſonell it, und für das Publikum kein Intereſſe 
Hat, Eben fo der Schluß. 


100 “ 


Ausdruck unferer Zeit bald die fhönen, bald die 
reellen Wiffenfhaften genannt werben. — 
Da es nun fowohl In Beſtimmung ale In Anwen: 
dung dieſes Begriffs aufden Kreisder Schul 
wiffenfhaften mancerlei Mißverftändniffe und 
Irrungen gibt, durch welche bie Jugend felbft fe 
weit verführt wird, daß fle oft als ſchoͤne Wiſſen⸗ 
fhaften liebt, was fie fliehen, und dagegen vera: 
tet, was fie fchäßen follte: fo hoffe ih dem Swed 
der heutigen Verſammlung nicht zuwider zu har 
dein, wenn ich vom Achten Begriff ber fogenaunten 
fhönen Wilfenfchaften und vom Umfang berfelbe 
unter den Schulftudlen rede. Ich rede inſonderhei 
für die Ingend, und maße mir nicht an, Erwach 
fenen über biefe Materie etwas zu Tagen, was fi 
nicht ſchon wüßten, oder felbft vieleicht beffer al 
ich überdacht haben; um fo vielmehr aber wird ihre 
Nachſicht mir ein geneigtes Ohr gönnen, je mek 
fie felbft die Folgen überlegt und wahrgenommen 
haben, die aus einem irrigen und verfehrten Be 
griff diefer Sache nad) dem Gefhwäs unferer Seit 
bei Jungen und Alten nothwendig entfichen märffen, 
wenn ſolche nicht durch eine richtige Idee verbeflert, 
und gleichfam mit der Wurzel audgerottet werben. 

Den Alten, Griedien und Römern, war be 
Ausdruck„ſchoͤne Wiſſenſchaften,“ ſo fern fie den 
gründlichen oder gas den nüßlichen -Wiflenfchaften 
entgegengefeßt werden, nicht bekannt; unb Doch find 
fie es, bie das Schöne in jeder Wilfenfchaft un 
Kunſt des menfchlichen Verſtandes am fcharffinnigftei 
erforfcht, und am glädlichften geübt haben. Di 
Griechen nannten das, was wis Ihöne Wiffenfchaf: 








101 


en heißen, Künfte der Mufen, und verbanden ba- 
mit dem Begriff, den bie. Römer nachher durch das 
Wort literae humaniores oder studia humanitatis, 
wie mich duͤnkt, ſehr gluͤcklich ausdruͤkten. Sie - 
verftanden dadurd alles, was den Meufhen zum 
Menſchen macht, was die Gabe der Sprache, der 
Vernunſft, der Gefelligkeit, der Theilnehmung an 
andern, der Wirkung auf andere zum Nußen der 
gefammten Menſchheit, kurz alled, was uns über 
das schier erhebt, und die feyn lehrt, die wir ſeyn 
follen, ausbildet und befördert. Ohne Zweifel 
werben wir mit biefem Begriff auf den würbigften 
und nüßlichiten Zweck geleitet, ber unferer Natur 
vorgeftedt iſt, und ber fogleih alle die Mißver- 
ftändniffe, alle die Heinen und ſchlechten Nebenbe⸗ 
griffe ausfchließt, die In dem Wort fchöne Wiſſen⸗ 
fchaften nach dem heutigen Modegebrauch Liegen. 
Denn bei diefen iſt man fehr geneigt, fich entweder 
bloß eine mäßige Befchäfttgung mit dem, was 
ſchoͤn iſt, vieleicht ohne Anwendung und Ausübung 
zu denfen, oder gar alles Nuͤtzliche, Schwere und 
Sründlihe auszufchließen, und mit einem bloßen 
Wortgepraͤnge, mit einem Flitterſtaat In Bildern, 
in gezierten Ausdräden, In Spibenmaßen, und 
romanhaften Eintleldungen davon zu laufen; dahin⸗ 
gegen der Begriff der Alten, nah welchem nur 
das ſchoͤne Wiſſenſchaft if, was bie 
Menfhhett in ung bilden, zieren und ver: 
edeln, was unb für die Geſellſchaft brauchbar, tuͤch⸗ 
tig, und derfelben angenehm machen kann, damit 
uns alfo.auch die edelfte Freude, den fehönften Ge⸗ 
nuß unfer ſelbſt gewähret, und auf ganz andere 


. 


102 


Wege leitet. Laſſen Sie und fehen, 5. V., wie bie 
Alten biefen würdigen Begriff anwandten, imd was 
von iefer Anwendung in den Kreis ber Schulftudien 
gehöre. . 

Sprache iſt's, die ben Menfhen vom ſtummen 
Thier unterfcheldet; ohne fie fände der Gebrauch 
der Bernunft nicht ftatt, und dieß herrliche Geſchenk 
des Himmels bilebe eine todte, nutzloſe Babe, 
wenn fie nicht duch Worte gleihfam lebendig, 
brauchbar und nuͤtzlich wuͤrde. Alles alfo, was von 
Kindheit auf unfere Sprache ausbildet, was uns 
vernänftig, genau und beſtimmt, mad und ange⸗ 
nehm, Leicht überzeugend oder herzbewegend fpre: 
deu lehrt, bildet in uns den Sinn der Menſchheit 
und das edelfte Werkzeug aus, mit andern Mens 
fhen zufammen zu leben und für fie zu wirfen. 
Hierin haben es nun die Griechen und Nömer viel 
leicht allen andern Nationen der Welt zuvor gethen, 
und ich fürdte, daß fie in der Geſchichte Immer 
die Einzigen ihrer Art bleiben werden. Ele hat: 
ten ihre Sprade, und mit berfelben ihren Ge⸗ 
ſchmack, ihre Vernunft, Ihre Beredſamkeit, unb 
. wag fie den Sinn der Menfchheit nannten, fo aus⸗ 
gebildet, wie wenige oder vielleicht keine neuere 
. Sprache hat ausgebildet werden können, weil jene 
Anlaͤſſe dffentlich zu reden, und durch den Vortrag 
auf eine große Menge, ja auf die wichtigften Glie⸗ 
ber bed Staats zu wirken, bei den neueren Bölfern 
felten oder gar nicht ftatt gefunden Haben; viele 
andere Urfachen zu geichweigen. Unter folhen Ver: 
anlaffungen nun, da In Poefie und Profe der öffent: 
liche Vortrag alles galt, bildeten fi die Sprachen 


— 


| 





103 ’ 
der Griechen und Römer zu einer beftimmten Ge⸗ 
nauigkeit, zu einer Macht, Harmonie und Schön- 
heit, die auf dem Markt ober auf ber Schaubühne, 
vor den Wichterfiühlen oder in einem erwählten 
Kreife von Zuhörern und Kennern jene Wunder 
wirkten, von denen bie alfe Gefchichte ung erzählet. 
Man fprah von menfhlichen Dingen zu Menfchen, 
zu gegenwärtigen Menſchen, die man unterrichten, 
überzeugen, rühren, ermweichen, lenken oder bilden 
‚wollte: Nothwendig alfo fehte man zu diefem Zweck 
‚alles in Bewegung und vernachläffigte eben fo weniz 
das Ohr ald das Herz der Zuhörer, das man er- 
fhüttern, die Phantafle, die man erregen, ben 
Verſtand, den man uͤberzeugen wollte. Man uͤbte 
ſich, dieſen Zweck zu erreichen, von Jugend an, 
brachte es in der Fertigkeit, beſtimmt, ſchoͤn, 
maͤchtig, reich, flleßend, oder mit Nachdruck zu 
reden, ‚zu einer Höhe, vor welcher ung jetzt ſchwin⸗ 
"delt. Beinahe aus dem Stegreife hielt Cicero feine 
\ Rede für den Nofelus: in wenigen Tagen hielt er 
‚ Teine catilinariſchen und philippiſchen Reden ſchnell anf 
einander: in weniger als zwei Monaten fchrieb er 
feine drei Bücher von der Natur der Götter, zwei 
‚ von der Divination, feinen Laͤllus und Cato: in 
‚ weniger ale drei Fahren alle feine philoſophiſchen, 
und die meiften rhetoriſchen Werke, nicht nur bie 
wir haben, fondern auch viele, die untergegangen; 
und das alles nicht in einer trägen Muße, fondern, 
mitten im Strom einer firudelvollen Republik, ums 

ter einer Menge bee wichtigften, ſelbſt gefahrvoller 

Geſchaͤſte. Wer das thun will, muß gewiß feine 
"Seele befigen, und ſowohl feine Sprache als einen 


104 
reihen Vorrath von Sachen, Kenntuiffen und Er⸗ 


faprungen bereit haben. Eben fo erftaunen wir, 
wenn der griedifche Sophofles einige achtzig Trauer: 


ſpiele, viele in kurzer Zeit, ſchreiben Fonnte, Deren 
Reſte wir noch bewundern: wir erfiaunen über bie 
Menge Schriften, die von Ariftoteled, Plutarch, 
Polybius, u. a. angeführt werden, und die alle 
doch das Siegel ber Vollkommenheit auf fich tre- 
gen; welches nebft vielen andern Urſachen aud 
daher rührt, daß die Sprachen, In welden fie Dad) 
ten, redeten und ſchrieben, genau und fchönge- 
bildete Sprachen waren, und fie im Gebrauch ber: 
felben durch unermuͤdete Hebung eine Faͤhigkeit er- 
langt hatten, welche wir nur zu oft verſaͤumen. 
Mer von Schreibern und Striblern getraute fid, 
Bücher zu machen, die in Anfehung der Schreibart, 
noch mehr aber in Anfehung ber Denfart an bie 
Einfalt und Pracht, an die Kürze und Fülle, an 
die Reinigkeit und Beftimmtheit jener alten Mei⸗ 
fterwerfe reichten? Wer getrauete fih, es in fo 
kurzer Seit zu thun, wie jene es gethan haben? 
Alfo fteden diefe Altvaͤter der menfchlichen Geiſtes⸗ 
bildung, als ewige Mufter des richtigen, guten 
nnd geübten Geſchmacks und der fchönften Fertigkeit 
im Gebrauch der Sprache vor und; an Ihnen müflen 
wir unfere Denk: und Schreibazt formen, nach ih⸗ 
nen müffen wir, Menfchen nüßlich zu werden, un⸗ 
ſere Vernunft und Sprache bilden. So wie ber 

Künftler, wenn er fih gleich den Apollo und Anti⸗ 
nous, die Töchter der Niobe, und den Laokoon 
ſchwerlich zu erreichen getrauet, dennoch mit unver⸗ 
ruͤcktem Fleiß diefe Meifterwerke ber alten Kunft 
u 





| 





* 


105 


nachzeichnet, nachformet und ſtudiret, weil er an | 


ihnen die höchften Negeln der Kunft wahrnimmt: fo 
follen auch wir die Mufter der alten Denfart, und 
an ihnen ihre Einfalt und Würde, ihre beftimmte 
Genauigkeit und Wahrheit, Ihren Wohlklang, ihre 
ſchoͤne Ründe und Harmonie, ihre Kürze mit ihrem 
Reichthum zum Morbilde unferer Gedankenweiſe 
und unſeres Vortrages, Infondergeit in frühen Tah- 
ren, unabläffig ſtudiren. Dieß thun wir nicht nur, 

um Latein fpreiben zu Finnen, wiewohl auch dieſes 
ein rühmliher, müslicher und beneldenswerther 
Zweck iſt, fondern nah Art der Alten denfen und 
ſchreiben zu lernen, gefekt, daß wir auch in ber 
Sprache der Hottentotten fohreiben müßten. Denn 
auch In der Hottentottenfprache wuͤrde man gar bald 
den erkennen, der aus dem Eafialifhen Quell der 
griechiſchen Mufen getrunfen, oder fetnen Ausdrud . 
zur Beftimmtheit und Würbe der römifhen Schrift- 
fteller gebildet hat. Er möge nachher Briefe oder 
Alten, Predigten oder Qufttungen zu fchreiben ha⸗ 
ben; nie wird ex ſich undeutſch, und unvernünfttg, 
binfend, Lahm, umnverftänblich, ohne Zuſammen⸗ 
hang, oder fchlelend ausdruͤcken, nie feine Schreib: 
art mit unnuͤtzen Tavtologieen burchweben, und 
wenn er es einer finnlofen Mode wegen thun muß, 
genießet er wenigſtens des Innern Gluͤcks, daß er 
die Thorheit einfiehet und fie verachte. - Der 
Stun der Humanität, d. 1. ber dchten Menfchen- 
vernunft, des wahren Menfchenverflandes, der 
reinen menſchlichen Empfindung tft ihm aufgeſchloſ⸗ 
fen, und fo lernt er Nichtigkeit und Wahrheit, Ge⸗ 
nanigfeit und innere Güte üben alles ſchaͤtzen und 


⸗ 
106 


Heben: er ſucht nach dieſen Grazien ber menſchlichen 
Denkart und Lebensweiſe allenthalben, und freuet 
ſich uͤber ſie, wo er ſie finde: er wird ſie in ſeinen 
Umgang, in ſeine Geſchaͤfte, von welcher Art dieſe 
auch ſeyn moͤgen, einzufuͤhren ſuchen, und ihre Tu⸗ 
genden auch in ſeinen Sitten ausdruͤcken lernen: 
kurz, er wird ein gebildeter Menſch ſeyn, 
und ſich als einen ſolchen im Kleinſten und Groͤßeſten 
zeigen. So die humaniora in alten und neuen 
Schriftftelern ſtudiren, iſt etwas andere, als wie 
jener es nannte, die galantiora nach neueſter Art 
und Krnſt tteiben; bei welchen galantioribus man⸗ 
cher ſo weit kommt, daß er ſogar ſeine Sprache ver⸗ 
gißt, und weder grammatiſch noch ſelbſt orthogra⸗ 
phiſch zu ſchrelben weiß, geſchweige, daß in ſeinen 
Vortraͤgen und Aufſaͤtzen an einen gebildeten Men⸗ 
ſchenverſtand oder an eine richtige Menſchenvernunft 
zu gedenken waͤre. 


Sind meine Grundſaͤtze bisher richtig geweſen, 
m. Fr., ſo ergibt ſich, daß, was in den Schriften der 
Alten und Neuen zu Bildung der Humanitaͤt eines 
Menſcher, inſonderheit eines Juͤnglings dienet, auch 
zu den humanioribus gehoͤre; es möge ſolches Bes 
redſamkeit oder Poeſie, Philoſophie oder Gefchichte 
beißen, Es iſt fchon gefagt, daß bie Alten jene 
Unterſcheidung zwiſchen ſchoͤnen und gründlichen Wiſ⸗ 
ſenſchaften nicht kennen wollten; ihr Schoͤnes mußte 
gruͤndlich und ihre Gruͤndliches ſchoͤn, d. i. uͤberzeu⸗ 
gend, erweckend, ruͤhrend geſagt werden, oder es 
fehlte beiden Stuͤcken ihre zweite Hälfte. Die Re⸗ 
ben des Demofihened, Eicero und anderer großen 





4 
. 107 


f ‘ 
Griechen und Roͤmer waren Keine eiteln Uebungen, 
ihre Verfaffer als fhöne Geiſter und witzige Köpfe 
zu zeigen, ſondern gerichtliche oder Staatsreden; 
die fchöne Schrift des Cicero über die Pflichten war 
eine Anweiſung für feinen Sohn, und alfo gleichfam 
das moralifhe Teſtament eines Waters, wie meh: 
tere feiner philofophifchen Schriften nichts als ern- 
ſte Darftelungen feiner eigenen Grundſaͤtze find, 
durch weiche er ſich ſelbſt aufklärte und in guten Ge- 
finnungen flärtte. Eben fo ernfter Art find die be= 
ften philofophifchen Schriften der Sriechen aus der 
Sotratifhen, Pythagoraͤiſchen und Stoiſchen Schule. 
Weber Eenophons noch Platons Schriften, weder 
Pothagoras, noch Epiftets und Mark: Aurels 
Grundſaͤtze find zum Zeitvertreib verfaſſet worden, 
um etwa mit fchönen Worten und Bildern zu fpie- 
len: fie unterrichten den Verſtand, fie beffern das 
Herz, fie find und gewähren wirklih Studia huma- 
nitatis. Geber, der einen Sinu für dad Wahre 
und Gute dat, muß ed im Innern fühlen, daß es 
ihren Verfaſſern damit ein Ernſt gewefen, und daß 
fie die Früchte der Weisheit, Die fie für Ihre See⸗ 
len gefammelt hatten, dadurch auch andern zur Auf⸗ 
Flärung und zur Uebung, zum Troſt und zum Nus 
gen mittheilen wollten. So iſt auch die Gefchichte 
ber Alten durchaus pragmatifch geſchrieben, ob fie 
gleich dieſen Namen nicht brauchte: fie beſchrieb Ge⸗ 
Schäfte und Thaten; fie wollte aber auch Tünglinge 
und Männer zu Befchäften bilden, daher fie denn Re⸗ 
den, Grundfäge, Charaktere in ihre Erzählung 
floht und überhaupt die ganze Geftalt annahm, 


durch welche die alte Gerichte ſich von der Hiſtorle 


4 


\ 108 


der Neuern fo ſehr unterfheibet. In alle biefem 
ſuchte man das Schöne nicht als einen Filtterftaat, 
fondern als den wefentlihen Theil eines Haren, 
richtigen, verftänbigen, bildenden Vortrags. Man 
forgte für die Wohlgeſtalt und für die Geſundheit 
des Körpers und verlieh fich darauf, daß ein wohl⸗ 
gebaueter, feiner, Eräftiger, gefunder Körper ſchon 
durch fich ſelbſt fhön fey. Um die Wahrheit hievon 
einzufehen, barf man nur bie Schriften der Grie⸗ 
hen und Nömer fowohl in der Beredſamkeit als 
Dichtkunſt, In der Philoſophie und Geſchichte mit 
den Schriften ber mittlern, ja zum Theil der neuern 
Zelten vergleihen. An Schminfe und Putz fehlte 
ed den Mönchen mancher mittleren Sahrhunderte 
nicht, mit welchen fie ihre Predigten und Ge⸗ 
dichte, ihre philofophifchen Abhandlungen und Chro⸗ 
niken balfamirten: und dennoch find ihre Werke Miß⸗ 
geftalten, entweder todte Gerippe, oder Leichname, 
die einen uͤbeln Klofter- und Mönchsgeruch von ſich 
sehen. Warum? Es fehlt ihnen am sensu huma- 
nitatis, an Geſundheit des Verftandes und Voertra⸗ 
ges, an Ebenmaß, Nichtigkeit und Wahrheit. Das 
Kleine und Große ift ihnen gleich wichtig: Die 
Wahrheit und Lüge gleich angenehm, unb wenn 
diefe zum Vortheil der Kirche und ihres Standes 
gereichte, war fie ihnen meiſtens weit angenehmer, 
als die verhaßte reine Wahrheit. Ste fahen alles 
mit Moͤnchsaugen an; bie ganze Menfchheit erfchten 
Ihnen nur im Gefichtefreig ihres Klofters, daher fie 
auch durch ihre Schriften nicht Menfhen, Bürger, 
Staatsmänner, fondern hoͤchſtens Kloſtergeiſtliche 
stehen Fonnten, die wie fie felbft, prebigten, bete⸗ 





— — — — —— — en — — — — — — — 


109 
ten, gereimte lateiniſche Verſe und trockne ober er⸗ 
kuͤnſtelte Chroniken ſchrieben. Was würden Grie⸗ 


hen und Römer ſagen, wenn fie aufſtuͤnden und 


viele unferer gepriefenen fchönen Werke Idfen! ja 
was würden wir felbft dazu fagen, wenn fie, in's 
Latein oder in's Griechiſche überfeht, als alte Hanb- 
ſchriften uns in bie Hände fielen! Schon bie Ueber⸗ 
feßung in biefe alten Sprachen tft ein gefährlicher 
Probierftein, ber das falfche Gold unbeftimmter Ge⸗ 
banken, ansfchweifender Bilder, ungefügter Perio⸗ 
Den, leerer Wiederholungen in feinem ganzen Bes 
truge zeiget. Man, vergleiche doch bie alten Geſetze, 
die Befehle der Kalfer, bie Anmahnungen und Re⸗ 


- ben der Feldherren und Phllofophen, die Erzaͤhlun⸗ 


gen der Geſchichte mit unjern Geſetzen und Edikten, 
mit unfern Abhandlungen, Predigten und Alten; 
es müßte ein Blöbfinniger ſeyn, ber richt den Un⸗ 
terſchied fühlte. Womit wir Seiten füllen, das 
faßten fie in wenige Worte; worüber wir oft Bücher 
fchreiben, das glaubten fie am beften dadurch zum 
ehren, baß fie Feine Splbe davon erwähnten. Wie⸗ 
berum bemerken fie ſowohl in der Gefchichte als im 
der Sittenlehre und Poelie, Züge des Charakters 
ber Menihen, bie uns bei veränderten Sitten mei⸗ 
ſtens verborgen bleiben, und lehren uns die menfchlis 
he Seele, den Gang der Leidenfchaften, die Srunbs . 
ſaͤtze des Betragens Ihrer handelnden Perfonen nd= - 
her und fruchtbarer Kennen, als der größefte Haufe: 
neuerer Autoren. In biefem allen erweden und 
bilden fie den Sinn der Menfchheit von vielen Sei⸗ 
ten, fie Ichren dad honestum und decens fn öffent: 
lihen und Privatgefchäften Eennen, und pflanzen 


110 
die Lebe zu bemfelben In bas Herz bes aufmerkſa⸗ 
men Lefers, fie unterweifen in ber Philoſophie bes 
Lebens auf eine Flare, gefehte, angenehme Weiſe 
and enthalten alfo wirklich humaniora, d. f. Kenuts 
niffe und Uebungen zu Ausbildung bes ebelften 


Theile der Menfchheit, des Verflandes, des Ge 


ſchmacks, des Vortrages und fittlicden Lebens. Auch 
in den neueren Schriftftelern, wenn Ihre Werte den 
Namen ſchoͤner Willenfchaften verbienen follen, koͤn⸗ 
nen wir doc wahrlich nichts Anderes, wenigſtens 
nichts Edleres und Belleres ale diefes lernen: denn 
Bloß zum Vergnügen, zur lekren Waterhaltung ber 
Phantaſie oder zum Vorrath eines Geſchwaͤtzes von 
fhönen Geiſtern, Dichtern, Künftlern, Nomanfchreie 
bern u. f. Schöne Wilfenfchaiten treiben, tft eine 
geiſt- und zeitverderbende Unternehmung. Sur 
Menfhheit und für die Menfhhelt ge 
bildet fol unfer Gelft und Herz werden, und was 
und dazu bildet, iſt studium humanitatis. Außer 
den genannten Wilfenfchaften möchte Ich alfo au 
nicht gern die Mathematit von blefem Kreife bilden: 
der Kenntniffe ausfchließen, da fie es eben fft, bie 
durch finnfihe Figuren nebft dem, was an ihnen 
bemerkt und erwiefen wird, unfere Aufmerkfamteit 
mehr als irgend ein anderes Stublum auf abftrakte 


Wahrheiten richtet, an ihnen mittelft der vorgegeichs 


neten Figur feſthaͤlt, auch fowohl die Hand als Das 
Auge, noch mehr aber die betrachtende Seele zur 
richtigen Senaufgfeit gewöhnet. Da nun der Menſch 
für ale Gefchäfte bes Lebens nichts Beſſeres lernen 
Tann, als Aufmerkſamkeit, zu ſehen was ba iſt, 
woraus ed entfpringt und was aus ihm folget: fo muß 


ıll - 
billig, wie. Pythagoras an feinen Lehrfaal ſchrieb: 
„Niemand komme ohne Geometrie herein!’ an bie 
Thür ber obern Klaffen eines Gymnaſiums gefchries 
ben werden: Niemand gehe ohne Geometrie her- 
aus; und fo wären denn, wenn wir alles zufammen 
nehmen, Sprachen, Schreibart und Vortrag, Ge⸗ 
ſchichte, Philofopkle und Mathematik, die fchönen 
Wiſſenſchaften, die bie Jugend bilden, alfo im edeln 
Sinn ber Alten die humaniora. ‚ Ste geben unferm 
Verſtande Nichtigkeit und Gewißheit, unfern Sit: 
- tem Srundfäge, unferm Gedaͤchtniß einen nuͤtzlichen 
Vorrath von Kenntniffen und Erfahrungen; unferer 
Einbildungskraft verfchaffen fie einen edlen Flug 
über den tragen Gang bes gemeinen Lebens, und 
geben zugleich unferer Sprache Sicherheit und An⸗ 
ftand, eine gefällige Harmonie und Geſchicklichkeit, 


über jeden Gegenftand, über jedes Geſchaͤft des Le⸗ 


bens zu fagen und zu fchreiben, was für Ihn gehöret. 
Daß zu ihnen auch Drthographle und Kalligraphie 
nöthig fey, berfteht fih von ſelbſt: denn wer ung 
den Thönften Auffag In Schriftzügen barreichte, wie 
fie etwa ein wühlender Ruͤſſel in der Erde hervor⸗ 


bringen würde: der rühme ſich ja Feiner fchönen 


. Künfte. Die nothwendiaften, unentbehrlichſten 
Schulwiſſenſchaften find Lefen, Schreiben, Rechnen; 
wer fie am verftändigften, fertigften, fchönften treibt 
und auf alle Welfe In feiner Gewalt hat, der hat 


Damit den Grund zu tanfend nuͤtzlichen Uebungen 


. gelegt, die alle auf fie gebauet werben. 


Meine Rede If Iänger geworden als ich dachte; 
die Nothwendigkelt ihres Inhalts für unfere Schul- 


N 


112 


ingend mag ihre Länge entfhuldigen. — Und fo 
wende ich mich zu Ihnen u. f. f. *) 





X. 
Weber den Vorzug der dffentlichen oder Privat: 
Schulen. 1790. 


Einer der befannten Gemeinpläße, auf weichem 
fih auch noch zu unferer Zeit die große Anzahl der 
neuern Padagogen umherzutummeln pflegt, tft der 
Streit über deu Vorzug der öffentlichen oder Pri⸗ 
vatſchulen; und esift Diefer Frage ergangen, wie es 

- allen allgemeinen Fragen geht, man bat fie fo ober 
anders entfchleden, nachdem man für dieſe oder jene 
Seite eine Vorliebe hatte, und alſo wilfürtih en 
mehreres Gewicht in die eine ober die andere Wag⸗ 
fhale legte. 

Wären oͤffentliche Schulen das, was fie ſeyn 
follten, fo wäre, wie mich bünfr, bie Frage durch 
ſich felbft entſchieden: denn cin öffentlides Gut if 
befler als ein befondereg, und ein Strom, aus wel: 

chem Hunderte trinken können, iſt befler als ein 
kleines ſtehendes Waller, welches mit green Koften 

zehn oder zwölf in Bells nehmen. Nur gehört zur 
guten Einrichtung öffentlicher Schulen fehr viel, mehr 
als in unfern Staaten gewöhnliher Welfe geletjtet 
wird, und, fo lange gewiffe Vorurtheile der Bars 
barei herrſchend bleiben, geleiftet werden kann. 





*) Solgte noch die Anrede an den neuen Lehrer. 


- 


- — — — - 


“118 
Sol nämlich eine äffentiihe Landesfchule werden, 
was fie feyn foll, fo muß fie auch ald Kandes- 
ſchule betrachtet werden. Der Staat muß ihr bie 
Aufmerkſamkeit ſchenken, die ihr ale der wichtigſten 
Angelegenheit des Staate, durch welche feine kuͤnfti⸗ 
gen Bürger und Diener in allen Ständen geblibet . 
werben follen, gebührt. Die Lehrer derfelben nıäf: 
fen zu leben baben, und nicht wie der Lafttragende 
Eſel nah einer Reihe ermattender Stunden von 
Dornen und Difteln fih nähren dürfen. Ste müffen 
auch in ihrem Stande geehrt werden, und nicht Im 


Anſehung ihrer Perfon Hinter einen Schreiber ftes 
hen, der nichts mehr als Buchſtaben zu mahlen weiß. 


Die Schule muß kein ftaubiger Kerker fepn, in wel- 
chen wie in eine dunkle Höhle iunges Vieh zuſam⸗ 
mengetrieben werde, damit es frohlodenh hinten 
ausfhlage, wenn es bem Kerker entlommt. Die 
Arbeiten muͤſſen alfo vertheilt und die Lehrſtellen 
alfo befent feyn, daß der Lehrling nicht in der einen “ 
Klaſſe vergeffen dürfe, was er in der andern ge: 
Lernt hat, fondern wie an eineni Faden der Etkennt⸗ 


niß und Weisheit ununterbrochen fortgeführt werde. 


Der Vortrag muß alfo befhaffen feyn, dag er die 
ganze auch zahlreiche Klaſſe befchäftige, und nicht der 
eine Flügel im Todesſchlaf liege, indeß der andere 
exercirt. Nebſt der Lehre muß auf die Bildung gu: 
ter Sitten gefehen werden, damit der Knabe nicht, 
ie höher er kommt und je gelehrter er wird, auch ein 
defto größerer Flegel werde, und nicht fehon In den 
oberen Klaffen alle die Bläthen abgeworfen habe, bie 
in den.untern an ihm lockten. Es mäffen Feine boͤ⸗ 


fen Sefellfhaften, keine Klubbs der Verführung, 


Herdere Wertes. Philoſ. u. Feſch. X. 8 


Ai 


. 


114 


Feine ftummen Lafter, Leine groben Sitten und Se: 
wohnheiten in einer Klaſſe ftatt finden: denn alles 
dieß ftecit wie eine Veit an, und macht eine Schuie, 
bie eine Werkftätte des reinen Geiſtes ſeyn ſollte, 
zu einem Stall ber Chiere unb zu einer Höhle dei 
Satans. unge Leute, bie blühend und umverber 
den hineinkamen, fiehet man in Eurzer Seit mit wel⸗ 
kendem Geſicht, mit erlofchenen Augen, mit leicht⸗ 
finuigen ober tölpifchen Geberden wie gefallene Er 
gel umbergehen; fo daß Ihnen ſpaͤterhin nichts uͤbri⸗ 
bleibt, als die Zeit, die fie in ber Öffentlichen Schul 
zubrachten, als einen ertöbtenden, bürren Herbf 
anzufehen, den fie mitten in Ihrem Frühling erleb⸗ 
ten. Finden alle diefe Fehler und Vorwürfe be 
einer öffentlichen Schule nicht ftatt, iſt fie in jede 
Klaſſe und jeder Arbeit berfelben, unter jedem Le} 
rer, fowohl in Anfehung der Willenfchaften, in de 
nen er zu unterrichten, als der Sitten, bie er p 
bilden bat, das, was fie feyn fol; und geniefe 
dann der Lehrer die Aufmerkfamfelt, Belchumy 
und Achtung, die er und fein Wert verdienet: fi 
wird wohl Fein Verfiänbiger einen wohlgegrümbetn 
oͤffentligen Tempel ber Willenfchaft und guten Er 
ziehung für jene Meinen Dianentempeldhen Hinge 
den, mit denen man unter grünen Baͤumen burd 
manche Modekuͤnſte unferer Seit Ahgdtterek treibet. 
Manche diefer Spielwerke haben ſich ſchon in ihre 
Nichtigkeit gezeigt- und bei andern fürchte ich, beb 
manche Megenten, bie eine öffentliche Schule wer: 
achten, bloß weil fie eine alte, nicht von ihnen 3 

gruͤndete Anftalt iſt, die Gefchichte des Hundes hı 
. deu dfopifhen Zabel fpielen, ber das Fleiſch falle 


"115 


tleß, bad cr im Munde teug, ünd nach dem Schat⸗ 
ten bes Fleiſches im glänzenden Strom ſchnappte. 
Jeder öffentlihen Anftalt iſt alfo daran gelegen, 
die Vorwürfe in fi zu heben, die man allen öffent: 
lichen Anftalten macht, und da ich bier Leider nicht 
von den Bliedern des Staats, fondern nur von ben 
Gliedern der Schuie felbft zu reden habe: fo will 
ih nur drei diefer Vorwuͤrfe ausheben, und nad 
- meinem Beduͤnken bie Mittel zeigen, wie Ihnen zu 
entkommen waͤre. 
Der erſte Vorwurf iſt, daß bei ſo zahlreichen 
Klaſſen, als meiſtentheils in oͤffentlichen Schulen ſind, 
urnmoͤglich alle Lehrlinge derſelben zu jeder Zeit ge⸗ 
nunpgſam beſchaͤftigt werden mögen. Der Vorwurf 
hat viel Wahres, und unſer Gymnaſium fühlt die 
Buͤrde deſſelben grugſam. Allerdings find die mei⸗ 
ſten Klaſſen zu ſtark beſetzt und ber Lehrer ſind zu 
wenige. Wie indeſſen der Schiffer, der auf dem 
hohen Meer gegen den Wind fährt, nicht feine 
..Hände finten läßt, ober feine Steuer und feine Se: 
gel dem Winde und den Wellen Preis gibt, fondern 
: mit defto größerer Kunft die Segel richtet und feine 
Steuer lenkt: fo hat auch der Lehrer auf feinem gro⸗ 
sen Strom einer zu zahlreichen Klaffe defto mebr 
Aufmerkſamkeit und Anſtrengung, defio mehr Wahl 
und Behutfamfeit nöthig. Er ließe völlig felne Se: 
gel und feine Steuer finten, fobald er die Bequem: 
tchleit wählte, einen Theil bex Klaſſe muͤßig zu laſ⸗ 
. fen, indem er fich ruhig mir dem andern befchaftiger. 
Auf einmal iſt biebei der Gemeingeift ber Klaffe, 
ber public spirit feiner öffentlichen Schule verloren. 
Run träumt der eine Theil feines gelehrten Vatall⸗ 


116 


lens, indeß ber andere arbeitet: et hängt feinen 
Gedanken nah, pder treibt böfe Dinge, bloß weil 
er fih fagen kann, „du bift vor jetzt nichts «ls 
ein Auſcultant, d. i. zu beutfch, ein Maulaffe. Und 
weiß er, daß er dieß unwuͤrdige Amt ganze Stun: 
ben ober gar halbe Jahre lang beileiden Darf: fo 
wehe bdiefen ſtummen Pythagoraͤern! In einem 
halben oder Vierteljahr ermattet gewiß ihr su 
weit bie Hoffaung des Fanlen fie beguͤnſtiget: 

iſt noch Zeit, in einem halben Sabre wirft du per 
wohl reden lernen.” 

Ich weiß wohl, was zu dieſer unſtreitig fehler: 
haften Einrichtung Vorſchub gegeben; die Schwaͤche 
ber Ankoͤmmlinge naͤmlich, bie aus niedern Klaſſen 
in höhere hinaufgehen und als unbefiederte Wögel 
im Neft ſitzen muͤſſen, indeß die vor ihnen find, nn: 
berfiiegen. Sie koͤnnen kaum zirpen, indeß fie mit 
den Dbern der Klaffe fingen follen, und find alfo er: 
baͤrmliche Säfte, eine Laſt ihrer Meitfchäler und eine 
noch größere Laft des Lehrers. Gegen dieß Ber 
derb alfo, den Riegel alles guten Fortganges in ber 
gefammten Klaffe, fol jeder Lehrer, der von gefeb- 
ter männlicher billiger Denkart if, mit allen Kräften 
kaͤmpfen. Er weiß ia, wie weit bie Schüler ſeyn 


muͤſſen, bie in eine andere Klaffe übergehen, und auf 


dieß Stel des Fleißes hat er mit allem Ernſt und mit 
einer edlen Ehrliebe zu halten. Es koͤmmt "gan 
und gar nicht darauf an, welcher Schiller felbft uw 
einer in die andere Klaffe fpazieren will, als ob et 
eine Promenade machte; fonbern ob er hinüber ge: 
fest zu werden verbient.. Und bie ganz gefeßwibrtge 
Gewohnheit, daß öffentiic ein Ausgebot der folgen: 








117 
den Klaſſe gehalten, und die Schüler gefragt wer- 


den, wer ſich zur Translocation melde? follte, wo 


ſich noch Nee derfelben fanden, mit Stumpf und. 
Stiel ausgerottet werben. Gott fragt Feinen, ob er 
in's folgende Leben translocirt werben will: fondern 
er translocirt nach ſeinem Gefallen, und der Lehrer, 
der Billigkeit, Ehre und Pflicht fuͤhlet, wird bei dem 
Eramen über nichts beforgter feyn, ale wen er dag 


| Zeugniß der Translocation gebe. Er wird denken: 


was du nicht willt, das die gefchebe, das thue an= 
bern and nicht; und je mehr Er gefühlt bat, wie 
fehr unreife Früchte die Geſundheit verderben und 


unreife Ankoͤmmlinge den ganzen Lauf ber Studien 


In einer Klaffe jioren: was jeder derfelben vor ein 
Muͤhlſtein ift, den er feinem Nachbar anhängt und 
was für eine Stodung im ganzen Körper einer 
Schule jahrjaͤhrlich dadurch entftehe;. deſto mehr 
wird er nach der Ehre fireben, nie einen Unmwärdigen 
translocirt zu haben: denn der Unwuͤrdige iſt ein 
Vorwurf für ihn, und ein Slede In der höhern- 
Klaffe auf feinen Namen. Die Uebel fängt von 
unten an, und muß von unten hinauf geheilt wer⸗ 
Den. Iſt's aber einmal gehelit, und der Zuftrom 
aus Klaſſe in Klaffe in der geſetzmaͤßigen Wahrheit, 
Sicherheit und Ordnung: dann wird jeder Lehrer 
feine Ankoͤmmlinge mit Freude annehmen. Sie. 
ſtoͤren ſodann feine Klaffe nicht: fondern bringen 
meuen Fleiß in diefelbe. Eben mit diefen Ankoͤmm⸗ 
lingen wird er fich_alfo Im erften Wierteliahre am 
meiften beichäftigen, daß fle feiner Methode nach 
mit marfchiren lernen und den gefeßmäßigen Schritt 
halten. Wo er einem oder dem andern, ditern 


118 


- oder jüngern nachhelfen muß, wird er’s in Privat: 
ftunden thun; immer aber es zum Hauptgeſetz fel- 
ner Methode mahen, daß nie jemand und ber 
Schwaͤchere am wentgften müßig bleibe. Denn 
nohmals gefayt, fobald eine Klaffe nicht ganz bes 
ſchaͤftigt iſt; ſo Hatfieihren Allgemeingeift ver: 
. Toren, und biefer tft der Spiritus rector, der das 
Ganze zufammenhält, und ohne welchen der größte 
Theil einzelner Glieder verwefet. 

Der zweite Bormurf, ben man ben Öffentlichen 
Schulen macht und den ich jeßo beräbren kann, iſt: 
dag In den zahlreichen Klaffen auch alle einzelnen Lek⸗ 
tionen nach einem Schnitt getrieben werden, daß ba 
fie alle auf's latelnifche fo eingerichtet find, als ob 
wie alle naͤchſtens römifhe Bürger zu werden be⸗ 
fürchteten, fie auch die Schuͤler alle nah dem Latein 
ordnen und jede andere, für und nöthigere Kenntnif 
unr als ein Nebenwerk behandeln. Ich werde die Ant⸗ 
wort dieſer Frage hier nicht erfchöpfen, und den pu⸗ 
ren puten lateiniſchen Schulen Feine Vertheidigungs⸗ 
rede halten; indeſſen iſt, duͤnkt mich, der Fehler, 
wo er wahrgenommen würde, ohne alle Mühe, ja 
mit Vortheil zu andern. Ed kommt nur auf eine 
richtigere Einthellung der Arbeiten an: denn es 
bleibt den Kinde und dem Sünglinge bei unfern 
zahlreichen Schulftunden, die bei einem Privatun: 
terricht fi ſchwerlich ohne große Koften in der An: 
zahl veranftalten laffen, Zelt genug, neben dem 
Nuͤtzlichen auch das Entbehrlihe, und neben dem 
Entbehrlihen auch dag Nothwendige zu lernen. Ya 
felbft, daß in einer Klaffe mehrere Arbeiten getrie- 
-ben werden, mact ia die Lehrlinge derfelben eben 


119 


nicht zu Bäumen, bie in die Erde gewurzelt find 
und fi nicht von ihrer Stelle bewegen mögen. Man 
Hat mehrere Schulen, wo bei jeder neuen Arbeit 
auch die Schüler felbft der Ordnung nach wechfeln. 
Ber ineiner Lektion in Prima fißt, Fann in einer an⸗ 

dern in Secunda ober Tertiä ſitzen, wenn er darin fel- 
nes Platzes in prima nicht werth iſt; und ich ſaͤhe 
nicht, warum, wenn einmal ein allgemeiner Geiſt 
der Ordnung und des unpartelifchen Fleißes eine 
Schule befeelte, dieß nicht in jeder öffentlichen Schule 
feyn Eönnte? Keiner hat In feiner Klafie einen Plag 
gepadtet, wie man in den proteftantifhen Kirchen 
Kirchenſtuͤhle, und In ben Fatholifchen Kirchen Stühle 
im Himmelreich löfet; vielmeht erfordert es jede 
gute und billige Adbminiftration ber Schule, daß je: 
dem der Platz zukommt, auf welchen er geböret. 
Um alfo auch in unferm Gymnaſio hiefelbft lang⸗ 
fam zu geben, wird, nach geendigten Ferien dieſes 
Examinis der Anfang hierin damit gemacht werden, 
Daß in jeder Klaſſe bei jeder neuen Arbeit die Schuͤ⸗ 
Ler den Rang einnehmen, den fie bei diefer Arbeit 
verdienen. Die Inteinifche Lektion bleibt die vor- 
nehmfte, und gleihfem die ſtehende Arbeit, die 
dem Schüler feinen vorzüglichen, perpetuirlihen - 
Rang gibt: denn ein Gymnaſium iſt eine lareinifche 


Schule, und die lateinifche Sprache ift Das Werkzeug - | 


der Wiflfenfchaften und Künfte, Auch bei der Theo⸗ 
logie bleibt es in bdiefer Ondnung; weil Religion ei⸗ 
gentlich nie der Zankapfel eines gelehrten Wetteifers 
werden muß. Bet allen andern Wiflenfchaften aber, 
3 B. ber Mathematit, Geographie, Geſchichte, 
griechifchen und ebräifchen Sprache, bei der Natar- 


120 


gefhichte und Naturkunde, in den untern Slaffen 
bei der Arithmetik, dem Schreiben, eignen Auffägen 
u. ſ. f. werden fortan die. Schiler auch in ihren 
Plaͤtzen wechfeln, und ihrem Fleiß und Fortfchritten 
nach in Ordnungen vertheilt werden. Es iſt bier: 
bei nicht auf eine eitle Ehrbegierde angefehen, die 
ich In Vergleichung mit ber innern Liebe zu den Wiſ⸗ 
fenfchaften ſelbſt für eine Kleinere, ja fogar oft ge: 
faͤhrliche Triebfeder halte; "fondern auf die Megel 
der Billigkelt und Ordnung felbf. Denn warum 
follte, wie e8 oft zu gefchehen pflegt, ein fleißiger 
und tüchtiger Knabe yon einer untern Bank aufge: 
rufen werden müflen, weil die, die vor ihm fisen, 
Naciaffige find? Und warum follte Er nicht den 
Plan, der Ihm von Gott und Rechts wegen vor dieſen 

tachläffigen gebirhrt, Inne Haben? Es kommt bloß 
darauf an, daß die Lehrer bei'm Anfange ihrer Ar- 
„beiten eine Prüfung vornehmen, und einen pflicht⸗ 
mäßigen Ueberſchlag machen, welchen Plaß jeder ih: 
rer Lehrlinge bei jeder Ihrer Arbeiten einzunehmen 
verdiene; und dag diefe Ordnung mit Öffentlicher 
Autorltät eingeführt werde. Ste wird hierdurch 
eingeführt, und bei jeder der genannten Lektionen 
wechfeln Fünftig die Kehrlinge In allen Klaſſen. Ich 
werde bei der erſten Einrichtung feyn, und auch das 
Zünftige Eramen wird nicht anders als alfo vorge- 
nommen werden. Bei jeder neuen Arbeit werben 
die Schüler Ihre Plage verändern; vor der Hand 
nur in einer und berfelben Klaffe. Sch hoffe aber, 
es wird eine Zeit kommen, da wir fie auch in Alaf: 
fen verändern koͤnnen; da, wer in prima zu einer 
rektion untüchtig iſt, auch In secunda fihen Fann, 


„ 
121 


und wer In secunda zu einer Zeftion in prima tuͤch⸗ 
tig ift, auch primam befuchen darf, ohne daß im 
mindeſten die Orbnung der Klaffen geftört werde. 
Dieß wird Feuer und Nacelferung in die Schüler 
Bringen, weil fie ſehen, daß man allenthalben auf 
ihren Fleiß, aufthre Fortſchritte, auf Serechtigkeit 
und Billigfelt achtet. Jede neu angehende Lektion 
wird Ihnen eine nee Klaffe werden, und jeder. wird 
ſich beftreben, den Ort In einer Arbeit nicht zu ver- 
tieren, den er fin in einer anbern erworben hat und 
ben ihm ſein eigener Fleiß, die Billigkeit und dad 
Recht zutheilte. | 
Der dritte Vorwurf betrifft die Sitten öffentlf- 
Her Säulen, und bier muß ih mich an euch wen- 
den, ihr Schüler: Ihr wiffet dag Spruͤchwort, daß 
ein verpeftetes Schaf die ganze Heerde anſteckt, und 
manche von euch werden es verführend oder verführt 
an ihren eigenen Erempela wiffen, was eine öffent- 
lihe Schule fey. Alles Gute und Boͤſe theilt ſich 
mit, Fleiß, Eifer, Aufmerkſamkeit, Artigfeit, gute - 
Eitten; aber auch Faulheit, Nachlaͤſſigkelt, nichts: 
würdiges, liederliches Gewaͤſch, Grobheiten und 
boͤſe Geſellſchaft. Ihr ſeyd alſo in dem Fall, auch 
ohne daß ihr's wiſſet, au bauen oder zu zerſtoͤren, 
zu verderben und verberbt zu werden, oder andere 
aufzumuntern und Sterne zu feyn, die auch für an- 
dere glänzen. Welches von beiden mwollet Ihr wer- 
den? Unſer Gymnaſium iſt In einer Nefidenz:, und 
zwar, welches noch Arger iſt, in einer Heinen Reſi⸗ 
denzſtadt, wo fih jede Verführung, die auch außer 
dem Kreiſe des Gymnaſiums Legt, ſehr leicht auf 
bafielbe aushreitet. Jeden Hinter Fommen Komoͤ⸗ 


122 


dianten her, und zwar großenthells elende Komoͤ⸗ 
dianten, die fchwerlich verdienen, von einem Men⸗ 
fhen, ber Geſchmack hat, Jahraus Jahrein gefehen 
zu werden. Für euch iſt dieſe Außerft mittelmaͤßige 
Bande gar nicht; glaubt mir dieß auf mein ehrll⸗ 
ches Wort. Ich halle das Theater nicht; ader ein 
ſchlechtes Theater iſt das idmmerlichfte Ding, nicht 
nur unter der Sonne, fondern auch bei Abenblich- 
tern. Und ach mit biefer Bande einzulaffen, mit 
Komddlanten Umgang zu haben, Komoͤdiantenwei⸗ 
ber zu befuhen, Komöbdlanten Ihre Rollen abzu- 
fchreiben, und dergleichen, tft einem Gymnafiaften 
durchaus unanſtaͤndig. Mer fih hiebet dad Ge: 
tingfte zu Schulden kommen läßt, wird, wenn er eine 
fuͤrſtliche Wohlthat genießt, ſogleich derfelben ver- 
luſtig, und, wenn er fein Verhalten nicht aͤndert, 
aus dem Gymnaſio felbft ausgeſchloſſen werden, 
Ihr Habt an zwei oder drei eurer Mitfchüler eine 
Probe, wohln-der Umgang mit Komöblanten fie ge- 
bracht hat, und dieſem Uebel Toll fernerhin nicht 
nachgefehen werden. Ein gutes Theaterſtuͤck zu 
ſehen, iſt Feine Sünde; nach fchlechten aber zu lau⸗ 
fen, tft nicht nur Sünde, fondern ungereimt,. ab: 
geſchmackt und Eindifh. Auch für euch wird bie 
Zeit kommen, daß ihr Theaterſtuͤcke fehen könnt und 
beſſere, als hier groͤßtentheils geſpielt werden. 
Jetzt aber iſt die Zeit fuͤr euch noch nicht da. Ihr 
habt andere Geſchaͤfte, und euer Geſchmack iſt noch 
nicht gebildet, um ein gutes und ſchlechtes Stuͤck 
unterſcheiden, oder das erftere gehörig nutzen zu 
Tonnen. Die Heinen Verdienſte uͤberdem, ſich 


durch Abſchreiben ber Mollen einen Freiplap auf dem 


⸗ 


123 
Varterre und dergleihen, zu erwerben, find für 
einen Gymnaſiaſten niederträchtig und abſcheulich. 
Komoͤdianten will unfer Gymnaſium nicht ziehen, 
und wer bas zu werden Luft bat, reife Lieber heute 
als morgen. on 

Alle Tabaks-, Bier- und Spielgefellfchaften 
find für ein fürftiiches Gymnaſium die größte Schan⸗ 
De, und doch muß ich's bedauernd fagen, daß fie 
nicht ausgetilgt find. Die künftigen Herren Dorfz 
ſchulmeiſter üben fih zum Theil im Tabaksrauchen 

ſehr, und andere junge Herren laffen es daran auch 
nicht ermangeln. Einer hindert den andern durch 
feine unzeltigen Befuhe, damit er ja nicht allein 
ein fauler Bauch bleibe; und fo breitet ſich das 
Uebel dermapen aus, daß man bei manchen jungen 
Leuten, die hieher Eommen, in Eurzer Zeit einen 
DBerfallder Sitten, eine Rohheit und Schlendrigfeit 
wahrnimmt, über die man erfchridt, Indem man 
fie bedauert. Mit aller Macht fol diefem Uebel‘ 
gefteuert werben, und ich bitte alle Lehrer und 
Freunde der Echule aufs Uagelegentlichfte, ihm 
fteuern zu helfen. Alle Tabaks-, Bier: und Spiel: 
gefchafter machen fich des Gymnaſii verluftig, und 
das mit der aͤußerſten Unehre, in nach Befinden der 
Umftände mit öffentlicher Schande. 

Endlih muß ich vor einem Lafter warnen, das 
ich mich felbft zu nennen ſcheue. Der Schuldige 
wird's wilfen, ohne daß ih es nenne, und den Un: 
ſchuldigen werde ich nicht ärgern. Wer rechtſchaf⸗ 
fen ift, und es von feinem Mitfchüler weiß, der 
zeige es an; fein Name fol verfchwiegen bleiben.- 
Der Ungkädfelige, der es treibt, und dazu einen 


124 


feiner Mitſchuͤler verfährte, ihr habt eine Suͤnde 
auf Euch, die ihr in eurem ganzen Leben nicht gut 
machen Eönnt, ihr habt eure Jugend vergiftet, ben 
Keim eurer Gefundheit zerftört, und Brandmahle 
in euer Gewiffen gefest, die euch zeitig genug qua: 
len werden. Für eure verfuͤhrten Mitfchäler aber, 
wollte Gott, Ihe waͤret nie geboren. 

Gib deine Furcht einem jeden in’ Herz, allge: 
genwärtiger heiliger Gott, daß er vor jeder Sünde 
ſich wie vor der vergiftenden Schlange fchene. 
Pflanze Liebe zur Wiſſenſchaft in jedes Juͤnglinges 
Gewuͤth, fo wird er den Muͤßiggang und die ver: 
führende Luft, jeden Irrgang böfer "Gefellfchaften, 
ſchlechter Sefprähe, grober Sitten und niedertraͤch⸗ 
tiger Laſter, wie eine Peſt der Hölle fliehen. Er 
wird die Wahrheit Heben, weil fle ſchoͤn iſt, Artig⸗ 
feit und Tugend, weil fie wohlgefällig macht bei 
Die und bef den Menſchen, den Fleiß, weil er bie 
Seele bt und ein neues Leben ſchafft, die Ord⸗ 
nung, weil fie unentbehrlich und nuͤtzlich iſt zu allen 
Gefhäften. 

Jetzt wollen mir unfere Arbeiten anfangen, 
meine fämmtlihen Freunde, Lehrer nnd Schüler; 
ich hoffe und bin es gewiß, daß wir und mit einan- 
der erfreuen, und dieß Eramen für alle Klaffen ein 
Feft des Fleißes und Ruhmes feyn werde. 

Noch habe ich den meiften Lehrern öffentlich zu 
danken, für den Fleiß und Eifer, den fie Im vergan- 
getten Sahre auf die Ausarbeitung ber ihnen aufge 
‚ tragenen Lektionen gewandt haben. Es hat ihnen 
Mühe gekoftet, allein diefe Mühe tft, wie ich ans 
dem Beiſpiel einiger Klaffen weiß, von fehr gufen 


f 


125 > 


Folgen gewefen, und wird fih auch in ber Folge 
innen reichlich belohnen. Noch wenige Schritte, fo 
ift der Berg überftiegen und wir können und unferer 
Arbeit freuen. Der Lehrer einer Schule -fdet gewiß 
nicht in's Meer; er fireuet feinen Samen auf ein 
Land, wo er hie und da gewiß feine gute Stätte 
findet. 





XI. 
Rede 
vor ber Beerdigung bes Direktors 
bes fürftt. Gymnaſiums zu Weimar, 
Serrn 


Johann Mich ael Heinze, 


gehalten 
im Hoͤrſaal bes Symnaflumg, 
den 9. Oftoder 1790. 


Hochgeſchatzte Tranerverfammlung, 
und Hebe Schüler. 


Br wir ſind in dieſer naͤchtlichen Stunde hier ver⸗ 
fammelt, um. bie entſeelten Gebeine eines Mannes 
se feiner Gruft zu ‚bringen, ber die Ehre unferer 
‚Stadt und Schule, einer der nüplichften Mitbürger 
unferes Landes und une allen würdig der Hochach⸗ 


r 


126 


tung ımd Liebe war. Und ich babe deßwegen Sie, 
meine Herren, ale feine Freunde, Kollegen und Let 
chenbegleiter an dieſen Ort bemähet, um nach ih 
Ihrer theilnehmenden Gegenwart mit freundfchaft: 
liher Hand in wenigen Worten einen Ehrenkra; 
anf den Sarg zu legen, dem wir jetzt zu feiner fie 
heftätte begleiten. | 
Er iſt dahin, euer Lehrer, ihr Schuͤler, die ihr 
anjent ald Berwalfete nicht nur von außen im Trauer: 
gewande, fondern auch, wie ihr ed thatlih um 
wahr bewiefen habt, allefammt mit Innerer dankbe 
rer Rührung um mich und vor mir fichet. Crit 
dahin, euer geehrter und geliebter Xehrer, und a 
wenigen Minuten werdet ihr die ehrwuͤrdige Leiche 
den Weg bin tragen und begleiten, auf dem fie 
nimmermehr zu biefee Schule, nimmer zu ihrem 
Haufe miederfehret. Wenige Wochen ſind's, du 
wir noch in dieſem Saale den guten Greis nadı fel 
ner Krankheit wie verjüngt und munter fahen, als 


Elnige von euch zur Geburtstagsfeier unferes La 


desfürften Reden vortrugen, an welhe Er feine 
letzte Hand gelegt hatte. . Wir dachten bamald 
nicht, daß wir ihn zum Ießtenmal in biefem Saale 
fähen: wir dachten beim lekten Examine, an wel: 
Kemer noch alle feine Kräfte zufammennahm,, und 
den Entwurf feiner Arbeiten aufs folgende Jahr 
mit neuem Muthe vorlegte, nicht, daß feine Lauf 
bahn fo bald unterbrochen werden würde. - : Ste fl 
jet geendet, feine fhöne, ſtille Laufbahn, auf wel: 
her ihm Gott das feltene und große Gluͤck eines 
guten Alters verliehen hat, daß er, bis auf die letz⸗ 
ten Lebenstage feinen Geſchaͤften treu und In ihnen 





127 


smermübdet, den Tob als feinen nicht erficheten, 
- aber auch nicht gefürchteten, willlommenen Freund 
aufnahm. Er iſt zur Ruhe gerufen, ber In feinem 
Werk redliche und treue Knecht Gottes: fein Tage: 
werk auf Erden tft vollendet: 

Spargite humum foliis, inducite fontibus umbras 

Et tumulum facite et tumulo superaddite carmen 

O juvenes, mandat fieri sibi talia Noster, 


Zwanzig Jahre war unfer Lehrer das Haupt 
diefer Schule und ich bin fünfzehn Jahre mit ihm 
geweſen. In ftilem Gange ift diefe Zeit dahinge⸗ 
firichen: die Jahre find wie ein Traum vorüber. 
Die Jahre find vorüber; aber das tn Ihnen gelelftete 
Gute bleibt: es iſt dauernd In menſchlichen Seelen 
und jetzt ein unverwelklicher Kranz auf des Derftor- 
benen Grabe. ie manche hunderte von Schälern 
haben während dieſer Zeit feine Lehre genoffen, und 
die Frucht feines Geiſtes, feiner Mühe als einen 
guten Samen in ihrer Bruſt verwahret. Einige 
von ihnen find fhon berühmte Männer und glänzen 
als Lehrer auf ſremden Akademien, oder haben in 
Schriften fi ale Lehrer der Nation gezeigt; andere 
find es noch nicht, aber fie werden es werden. Und 
da hat es fich Immer gefunden, daß ie mehr jemand 
ans der Schule unfers Lehrers davon gebracht, und 
feinen Unterricht fih recht eigen zu machen gewußt 
hatte, deſto mehr auch derfelbe feinen alten Lehrer 
ſchaͤtzte und ehrte. Nur diejenigen waren gleich: 
gültig gegen ihn, bie ald leere Köpfe in feine Klaffe 
- Samen, und als leere Köpfe diefelbe verließen. 
Diefe hielten fih an die dufere Schale, weil fie 


[88 





128 


den Kern nicht zu nuͤtzen wußten; verſtaͤndige und 
treue Gemuͤther nutzten an Ihrem beſcheidenen, guͤ⸗ 
tigen Lehrer feine Kenntniſſe und Gelehrſamkeit, 
die Frucht vieler Arbeit und Muͤhe, ſeinen richtigen 
und feinen Geſchmack, mit welchem er Sprachen und 
Wiſſenſchaften vortrug: bie Form feiner Denkart, 
nach den fhönften Muftern ber Alten gebildet, ging 
auch In ihre Seele über. Noch eine größere Anzahl 
feiner Schüler, die nicht berühmt wurden (denn nicht 
jeden führt ſeine Laufbahn zum gelehrten Ruhme) 
find in allerlei Aemtern und Ständen braudyhare 
Männer geworden, und auch unter denen, die jegt 
feine Leiche begleiten, find einige feiner wärbigen, 


dankbaren Echüler. Gie, meine Herren, vertreten 
alfo den ganzen Chor aller der Abwefenden, die in 
unferm Lande oder in andern Ländern von unſerm 


fel. Lehrer zum Dienft der Willenfchaft oder ber 
Gefchäfte gebildet und von Ihm auf Akademten oder 
in die Welt gefandt find. In deren aller Namen 
thun Sie jest den lebten Gang mit ihn, und win 
fchen feinen verfiorbenen Gebeinen eine fanfte Ruhe 
im Grabe, -felnem Geiſt aber Freude und Erqul⸗ 
dung im Reiche Gottes, wo alles Gute belohnt 
wird, Im Lande der ewigen Güte und Wahrheit. 


% 
Unfer verftorbener Lehrer hatte zuerſt fa Wit: 


tenberg und Leipzig vom Sahr 1756 Bid 41 den völ: 


ligen theologifchen Curſus gemacht, und auf denfel- 
ben ſowohl ald auf bie mit der Theologie verwand⸗ 
ten Wiffenfchaften 6 Jahre (eine längere Zeit, als 
manche Theologen von Profeflion auf fie zu wenden 
pflegen) verwendet. Ach erinnere rulch noch eines 
j Gollegii, 





129 


Collegii, das er felbft über bie ebrälfhe Sprache 
sachgefchrieben, und mir bei einer Veranlaſſung zur 
Anſicht mittheilte: fo wie wir und auch oft Stun- 
denlang über die fchwerften theologifhen Materien 
amterbielten. Und dennoch maßte ex fih den Na: 
men eines Theologen nicht an, und verbat beftän- 
dig den Unterricht In ber ebräifhen Sprache, weil 
er dieſe, wie er befheiden meinte, nicht in dem 
Grad verftände, wie ein Lehrer fie verftehen müßte. 
Eine feltene Beſcheidenheit, die eben den Meifter 
verraͤth: einen Meifter, der, was er nur halb 
wußte, gar nicht lehren mochte, und der im brei an⸗ 
dern, der griehifhen, Iateinifhen und deutſchen 
Sprache, die er als Meifter verftand, ed genugfam 
geprüft hatte, was dazu gehöre, eine Sprache recht: 
fchaffen zu lehren. Das Oriechifche des neuen Te= - 
ſtaments erklärte er befto feiner und fchöner: er 
kannte den Genius biefer Schriften: feine Anmer: 


- Iungen über den Zufammenhang ihres Sinnes wa- 


ren kurz und treffend, fo daß er mit einem Baͤndchen 


Obſervationen darüber fih einen neuen Ruhm hätte 


. erwerben können. Bis In die letzten Jahre feines 
Lebens unterließ er nicht, auch das Neue zu lefen, 


das zu Erläuterung derfelben erfchlen; und aus bem 
sorlegten Beſuch, den er mir gönnte, erinnere ich 
mich noch fehr wahrer und feharffinniger Urtheile, 
die er über eine nenerfchlenene Weberfeßung des 
neuen Teftaments. fällte. Die Wahrheit der chrift- 
lichen Religion und ihrer Gefchichte lag dem redli⸗ 
hen Greiſe ſehr am Herzen; außer unferm eigent- 
lichen Berufsgeſpraͤche vom Unterricht und Bildung 
ber Tugend habe ich Ihn faſt über keine gelehrte 
Berder's Werte 5. Phil. u. Geſch. X. 9 


180 


Beier fo fo pehnehment u forgfäise medien 
ven ei über diefe. Es war ihm bange und — 


ber Licenz aller dergleichen verderdlichen Schriften, 
die auch in die Haͤnde der Tugend kaͤmen, in iyee 
Gemuͤthern hervorbringen müßte. Mehrmals ba 
er ſich's aus, über bes Grotkus ſchoͤnes Buch von 
der Wahrheit ber chrifilichen. Roligion eine obgen 
Stunde halten zu koͤnnen, unb faſt bi6 an ben ie 
feiner tenten Krankheit dußerte unb wiederholte a 
ſehnliche Wuͤnſche nad einem recht guten theolag: 
fen Lehrbuch. Sein Unterricht in der Mekigien 
ging dahin, feinen Schülern eigentliche und wohl 
verftandene bibfifche Wahrheit zu lehren, unb fx 
mitt alle dem zu verfchonen, was fie boch mit der 
Zeit wegwerfen müßten. Da er weiter als andert 
fahe, fo Fonnte ihm nothwendig nicht jede Behand⸗ 
lung ber Theologte gleich angenehm und wife: 
men feyn: fein ſehnlicher Wunſch giug alfo dahin 
doch einmal ben Inbegriff der heiligſten und nett 
wenbigften Wahrheiten von fcholaftifchen Spitzfindig 
gelten, die weder dem Verſtande Stich halten, med 
das Herz beſſern koͤnnen, gereinigt, und in dem Lid 
dargeſtellt zu fehen, In welchem fie das Gemuth der 
gend und des gemeinen Mannes gleichfam wos 
ſelbſt gewönnen und an fi zögen. Er felbft trauett 
es fi, bei der ihm eigenen Befcheibenheft, nicht mu 
etwas dergleichen zu unternehmen; er wuͤnſchte 
aber, daß es von andern gefhähe, und hat mich m 
meinem Theil darum mehrmals erſuchet. Die et: 
tung vom Schriften, die hierin einſchlagen, Hebte er 


434 
fee m und.noch.im letzten Actys haben wir hei Gele⸗ 
genheit bes. Andenkens an den fel. Jeruſalem eine 
Mede von ihm über deſſen Vertheidigung ber. Reli: 
gion mit großer Empfehlung und Theilnahme ger 
birt. Spaidings ſchoͤne Schrift über die Beſtim⸗ 
mung des Menſchen hat er. in.fhönes Latein über- 
tragen, und er wuͤnſchte ſich, wie er mehrmals ſagte, 
jünger zu ſeyn, um auch meine. Schrift über den 
Geiſt ber. biblifchen Poeſie, durch eine Ueberſetzung 
in's Latein. auch andern als Deutfchen befaunt ma: 
hen zu können. Ale feine moraliſchen Neben und 
Ausarbeitungen, 3. B. über den Werth der Seit, 
den Nutzen der Schule, bte- dreifache Unſterblichkeit 
des Namens, Ruhms und der Seele, athmen ben 
Geiſt eingr-gepräften Meligion, und ſein Leben ſprach 
daruͤher noch mehr als feine Schriften. Immer 

habe ich ihn mit ber. größten Hochachtung, bie mir 
ER ot gegen ihn einflößte, von Gott und 
Thriſtus fprechen hören, uud er vermunderte ſich 
über die neuen: Splafndigfeiten, bie man. in bie 
Beweife vom Daſeyn Gottes bringen wollte. In⸗ 
ſonderheit war er mis Dankbarlelt gegen.Golt über 
alles in ſeinem gehen. genoſſene Gute durchdrungen, 
ſprach gern vum den Proben ber väterlichen Vorſe⸗ 
hung, die ex in ſeinem Leben erfahren, war aͤußerſt 
zufrieden mit. feinem Schidſal, aͤnßerſt zutrauend 
gegen Gott uͤber die Zulunft in und nach dieſem Le⸗ 
Deu, Er freuete ſich mehr des Gluͤckes der Seinen 
als ſeines eigenen Gluͤckes: der Ruhm und bie Be⸗ 
Rederung ſeines Sohnes z. B. war ihm jederzeit 
en Andenlen voll zarter inniger Vaterfreude. Mit 
gxoßer Heiterleit ſprach er vom Tode und ging ihm 


152 


mit einer Zufriedenheit, die eines Achten griechifchen 
Weiſen würdig war, entgegen. Er hatte geprüft 
was Sriehen und Römer an Troftgränden gegen 
denfelben ausgebacht hatten, und theilte ſolches in 
Ueberſetzungen und Neden mit; er felbft aber hielt 
fi an die Troftgrände der hriftlichen Religion, und 
fang (dei deu Proceffionen an den Wilhelmd- Tagen) 
das Lied darüber mit Glauben und Andacht. Sept 
iſt er über die Dämmerung diefes Erdenlebens hin 
weg, and genießt fchanend die Morgenröthe himmll⸗ 
cher Erkenntniß und Einſicht. 


- = Candidus insuetum miratur limen Olympi 
Sub pedibusque videt nubes et sidera — 


In Göttingen zog des Phllologen Geßners Be- 
Ranntſchaft und Umgang Ihn von der Theologie zur 
Philologie über, deren Studium und Anwendung 
nachher die vornehmſte Berchäftigung feines Lebens 
wurden. Wie ganz er, fowohl im Ausdruck der la- 
-teinffhen Sprache, ald in den Grundſaͤtzen über dag, 
was Bildung des Geiſtes, der Sitten, bed Vortra⸗ 
ges u. f. heißt, ein treuer Schüler der Denkart Geß⸗ 
ers gewefen, zeigen feine fchönen Abhandlungen, 

pe Fleiß in der Inteinifhen Sprade und Schreib- 
aart, vom Gebrauch des Iatelnifhen Wörterbuch; 
daß Grammatik, Rhetorik, Poeſie In den Schulen 
zu lehren fey; feine Gedanken über alte und neue 
Uebungen der Schreibart, von der grammati— 
hen Auslegung dbeutfher Dichter, vom 
Werth der allgemeinen Lefebegierde, von ben Merl: 
malen guter Naturen junger Leute nach der Regel 
Mes Sokrates, von ber Lebe zu den Wiſſenſchaften, 


133 


als dem einzigen, beften Grunde, bas Stubirem 
zu erwaͤhlen, vom Zweck und Nutzen bes hiſtoriſchen 
Unterrichts in den Schulen: daß die neueſte Ge⸗ 
fchichte mehr Vergnügen gebe, als die alte, aber 
Dagegen ſehr ungewiß fey; ſeine fchönen Abhandlun⸗ 
gen; Honorificum esse optimis seriptoribus trac- 
tari in scholis; de genere dicendi naturali, de 
arte facile discendi; In sententiam Aristotelis: 
Adolescentes spe vivere; In dietum Catunisz 
adolescentem, in quo senile est aliquid, et se- 
nem, in quo est aliquid adolescentis, probo;, 
Consideratio dicti Horatiani: sapere aude; de: 
nmotione autoris classici; de felicitate discen- 
tium in scholis, und noch neulich feine Verglei— 
hung des Cicero und Ambrofius in ihren beiden 
Schriften de officiis, nubd jeder andere Auffag vom 
ihm zeigt, bei jener gründlichen Richtung der Ge— 
Danfen und des Ausdruds, die Ihm Immer das 
erfte, heilige Gefeß der Schreibart war, auch dem. 
liberalen, milden, philofophifhen Geiſt, der nur 
durch's Lefen der Alten genährt und angefacht wer— 
den Fonnte, und unter den beften Philologen auch 
Geßners Schriften vortrefflich auszeichnet. 
Es iſt diefer Gelft jene wahre Humanftät und 
Urbanitdt der Alten, fowohl In Wahl der Materie, 
als in Gedanken und im Ausdrud: ein Geſchmack 
bes Nihtigen und Wahren, des Einfachen, Gutes 
und Schönen, ber ſich nicht befchreiben läßt, aber 
defto mehr empfunden wird, wenn man dergleichen. 
- Schriften und andere alt= oder neumodiſche barba= 
riſche Auffäge mit einander vergleihet. Wer dieſen 
Achten Styl der Alten fi In jungen Jahren vicht a 


- 


154 


eigen gemacht bat, erlangt khu ſchwertich In Tätern 
Jahten, er möge an feiner Schreibart fünften, wie 
lange er wolle; und was bad fonderdarfte iſt, es 
lernt ſich ein folder Stol, es bilder fi ein folcher 
Geſchmack nicht Leicht ohne den Unterticht eines le⸗ 
Bendigen Meifters. Hingegen wer ihn fh einmal 
zu eigen gemacht Hat, ſey er Theolog, Juriſt, oder 
wäg er wolle, dein bleibt er immer und einig; ee 
nimmt tn feine Kunſt oder Wiſſenſchaft bas Gefuͤhl 
der Humanitaͤt und Urbanitaͤt, des Guten, Richti⸗ 
gen und Schönen, Im Sinne der Alten mit hinuͤder. 
Freuet euch Alfo und ſeyd ſtolz barauf, Ihr Schuler, 
daß ihr noch in die Zeit gekommen feyd, ba ein 
wahrer Römer euch Latein lehrte. Jebe Aniner⸗ 
fung, jede Lehre deffeiben, die ihr In enern Papie⸗ 
ren habt, aus dem nun erblichenen Munde biefes 
Lehrers, fen euch werth; feine lateiniſchen nud 
deutſchen gefammelten Schriften, ſeine Ueberſetzun⸗ 
gen aus den Alten, ſeyen In euern Händen, denn 
je mebr ihr bie Alten Itebgewinnen werdet, befto 
mehr werbet ihr auch die Anwelfungen biefer Art 
Ifeben fernen. Was von der Iatelnifhen Sprache 
gilt, gilt auch von ber deutfchen. Alles, was der 
fellge Mann über die Grammatrlt und Proſodie 
derfefben gefchrieben und nachher feinen Heinen 
Schriften größtenthells eingerädt, bat den Beifall 
ber größeften Kenner der beutfchen Sptade erhal: 
ten, und Leffing 3. DB. fprach von ihm als vom 
richtigften und feinften Srammatifer unferer Spraihe. 
Einen ſolchen Mann habt Ihr zu euerm Lehrer ge- 
habt. Wohl dem, der den Unterricht deffelben ver: 
ſtaͤndig und rechtfchaffen gebraucht und zu ſich feibft 


185 


jagen kaun, er ſey Im Geiſt und au Fleiß, nicht 
dio dem Namen und ber Klaſſe nah, deſſelben 
Squͤler geweſen. War er dieß, ſo wird er dieſen 
Seſchmack tren und rein ſich erhalten, ihn weiter 
diſden, die Alten, Griechen und Römer, zeitle⸗ 
dens üeben, und nie durch Barbarei, durch ein 
Iagenium horridum et inficerum den Namen und 
die Aſche feines Lehrers ſchmaͤhen. 


Wie nichtig und vorübergehend find auch bie 
edelften Bemühungen, Gaben und Erwerbe in die⸗ 
fem fterblihen Leben! Unſer Seit, dieß Himmels⸗ 
Fuͤnkchen, der Hauch aus dem Munde Gottes, iſt 
an einen hinfäligen, zerbrechlichen Körper gebune 
den, ber mit den Jahren altert, und zuleht hinſinkt. 
Hin iſt alsdann fuͤr die Mitlebenden jede ſchoͤne 
Gabe, die ſich dieſer unſichtbare Bewohner einer 
irdenen Hätte durch Fleiß und lange Uebung zu 
eigen gemacht hatte; bie Hütte zerfänt, und ber 
Satin aufbewahrte geiſtige Schatz gehet für ung ver- 
ioren. Er läßt fich nicht vererben, nicht durch Ge⸗ 
Schenfe ober Teftamente vermachen; von jedem, ber 


ihn befiden wid, muß er aufs:neue, durch eigne 


2 


Mühe erworben und errungen werben; fonft gehet 


er, wie bei fo viel Känften ber Fall gewefen, mit 
wenigen Menihen, auf lange Zeit: ganz und gar zu 
Grabe. ft wollen die Worfehung bitten, daß fie 
den Geiſt Achter alter Gelehrſamkeit bei und nicht 
antergehen laſſe, daß In einem Gymnaſium, fin 
welchem unter viel andern ruhmwuͤrdigen Männern 
Tellarius, Gefner, Heinze gelehrt haben, nie die 
Barbarei, oder ein Trödeltram ftatt alter, Achter 


136 - - 


Waare anflomme, unb daß der Geiſt vorgenannter 
Maͤnner gleichfam unfterblich in ihm lebe. 

Und nun, meine Herren, wollen wie an unfer 
traurigfreundfchaftliches Sefchäft gehen, und das, 
was an unferm Freunde Erde war, ber Erde geben. 
Mit Hochachteng und ſtiller Ehrerbietung, ihr 
Schüler, naht euch der Leiche eurers Lehrers, 
und traget den übergebliebenen Reſt feines irbifchen 
Daſeyns fanft in feine Schlaflammıer , zu feiner 
Nubeftätte. Nie werde von euch fein Name anbers 
genannt, als mit Dankbarkeit, Ehrerbietung und 
Liebe: denn es iſt edel und ſuͤß, einen Vater und 
Lehrer auch in feinem Grabe zu ehren. Er war 
ein milder Mann, von geblldeter Seele, von ſanf⸗ 
tem, zartem Herzen, auch im Gefühl der Freund⸗ 
ſchaft; er tft zu felnen alten Freunden, an bie er 
jederzeit mit Zärtlichkeit und Achter, alter Treue 
dachte, zu feinem Schmidt, dem er bald nachzufol⸗ 
gen glaubte, und auch bald nachgefolgt ft, jet bin 
über. Er ruhe fanft! und babe für feine ftillen 
Derdienfte feinen Lohn in der Welt des Lohnes. 
Uns allen aber gebe Gott, wenn ed und frommt und 
gut iſt, ein fo gleichmuͤthiges, frohes und bei taͤg⸗ 
lichen Sefchäften ruhiges Alter, und wenn imfere 
Zelt kommt, ohne Krankheit, Sram, Sorge, Bes 
fümmerniß und Peln, ein heiteres fanftes Entfchla- 
fen! Have, bone senex, änima culta, pia, 
candida, have! 


137 


Zufaßg zu diefer Rede: 


Ans einer nah feiner Zuruͤkkunft aus 
Stalten 1789 gebaltenen Rebe ge- 
bört folgende Stelle hieher. 


„Ich habe bei meiner Rüdkunft ein Buch ge⸗ 
funden, das auf manche Fahre dem, der es liefet, 
eine Reihe Schulreden erfeßen kann, und das ich 
nicht nur als ein Ort: und Zeitandenken, fondern 
als einen Freund und Wegweifer in bie Hände 
fammtliher Schüler der erften Klaflen dieſes Gym⸗ 
naſtums wünfhe; es find unferd Herren Direktors 
gefammelte Schriften in lateinifcher und 
deutfcher Sprache. Nicht nur iſt der Inhalt derfel- 
ben dem größten Theil nachaus den naͤchſten Be⸗ 
duͤrfniſſen unferer Zeit in Abficht auf Schulunterricht 
und Erziehung bergenommen, fondern fie fallen 
auch eine folhe Menge bewährter unb feiner Re⸗ 
geln zur Bildung der Denk- und Schreibart in bei⸗ 
den Sprachen, fo manche auf Erfahrung gegründete 
fruchtbare und fchöne Bemerkung über Wiſſenſchaf⸗ 
ten und Studien In fih, und find außerdem in der 
reinen, feften, Elaren und bündigen Sprache ver 
faßt, die allenthalben den Meifter zeiget; daß fie 
mir (ich darf es ohne Schmeichelet fagen) wie Er⸗ 
fheinungen aus einer alten beflern Beit vorgekom⸗ 
men find, und mich In dieſen erfien Tagen ſeit 
meiner Ruͤckkunft fonderbar unterrichtet und erfreut 
baten. Sie zu nennen und jedem fleißigen Schüler. 
zu empfehlen, fey dießmal allein der Inhalt dieſer 


{ 


* 


E88 


Einleitungsrede. Wenn jeder berfelben fi die auf 
Regeln gegründete, fihere, helle und fchöne Deut: 
art in den Jahren des Unterrichts hieſelbſt mit 
Liebe und Luft zueigen machte, fo würde fich unfer 
Gomnaſium unter andern Schulen fo trefflich aus: 
geichnen, wie fi unter einem Schwall von. Mode⸗ 
Schulfchriften dieſes Buch auszeichnet.’ 


— 


2.3 
Schulen, eine Lffentliche Landeöfache zum | 
gemeinen Beten. 


\ dei der Ginfüßrung des Herrn Ditektors Böttigee 
und Hrn. Sub: Kimrektöors Stiebri;) 1791. 





— 


Da ſich nicht vermuthen laͤßt, daß alle Glieder 
dieſer hochgeneigten und ſchaͤtzbaren Verſammlung 
dem lateiniſchen Vorttag der bisher geführten Hanb- 
kung in allem anf eine leichte und unbeſchwerliche 
Weife haben folgen koͤnnen, fo erlauben Ste mir in 
meiner Mutterfprache, die ohnebem tiefer ans Herz 
dringt, noch einige wenige Worte. 

Nah allen Stätwänfhungen und Frenbigem, 
was bei einer Eheeinſegnung gefagt warb, wird 
and an das Kreuz erinnert, fo Gott auf biefen 
Stand gelegt hat, und vieleicht gehört es auch zu 
meiner Yllht, bei der Einführung ber neuen Leh⸗ 
zer und Ihrer Verlobung mit diefer Schule, deſſel⸗ 





139 


gen zu erwähnen. Um aber thft Klaglkedern diefen 


zz Su zen F lR es 


frohen Tag nicht zu fören, will ich bloß einige 
Sorte darüber ſagen, daß, fo wie Schulen Aber- 
Haupt eine Öffentiihe Sache zum gemek 
men Beiten, fo auch bieß fuͤrſti. Gymnaſſum Feine 
Privat⸗, ſondern eine Landes - Anftalt:fey, und was 
Daraus furße. 2 
In der Zeit, da Schulen nach unſern heutigen 
sBegriffen angelegt imd von den Klöftern getrennt 
sourden, fing man fogleih an, fie als ein dffent- 
Atches Gut anzuſehen, und bleß war die Utfache, 
warum bet der Reformation die Fürften melfteh- 
theild den Stadtmagiſtraten "das Patronat der 
Stadtſchule anvertrauten, eben In der Ueberzen⸗ 
gung, daß, da Die Söhne fhrer Bürger, bie Ju⸗ 
gend ihrer Gemeine, darinnen zur Brauchbarkeit 
im gemeinen Wefen, zu nuͤtzuͤchen Kenntniffen and 
guten Sitten gebildet würden, jede Stadt ſolche 
als Klelnode ihrer Verfaſſung, als Gärten und 
Pflanzftätten ihrer Nackommenſchaft nicht andere 
ale anfehen Könnten. So lange diefer Biriger- unb 
Ge meingeiſt Herrfchte, in Sräbten und Verfaſſun⸗ 
gen, In denen er noch herrſchet, ſehen wir, nicht 
nur im Jahrhundert der Neformatien, fondern auch 
noch jeßt, diefe bürgertiche allgemeine Theilnahme. 
Die Vaͤter der Stadt find auch Näter der Schule; 
die Bürger der Stadt, bie ihre Zöglinge waren, 
biteben auch lebenslang Ihre warmen Freunde, Die 
Ankunft, die Einführung eines neuen Reftors und 
Lehrers, 10 wie ihres neuen Pfarrers und Seelſor⸗ 
gers, (denn Kirchen und Schulen wurden and pa⸗ 
t riotiſchem Keformationggeift Innig verbunden) wa⸗ 


140 


en ihnen ein Feſt ber Freude, des Gluͤckwunſches, 

der Bezeugung Ihrer Liebe und Achtung: Die öffent: 
lichen Examina und Actus wurden von den Vätern 
der Stadt, von den Bätern ber Schüler, von ber 
Ltebhabern der Willenfchaften, von den Landeskol⸗ 
legien befucht, man nahm au den Fortfchritten bet: 
felben und an allen guten Anftalten Theil: man be | 
ſtrebte fi fo viel man konnte, biefelbe zu befür- 

dern. Wer der Geſchichte kundig iſt, ber weiß, 
dag in diefe Zeiten und Verfaſſungen die Bluͤthe 
der Schulen in Deutfchland gehört, in Denen bie 
gelehrteften und größeften Maͤnner, die nuͤtzlichſten 
Rectores und Schullebrer lebten, deren Namen 
wir noch jest mit Hochachtung nennen, deren Ge 
lehrten: Namen von ben Ihrigen mit Dank und mit 
einer Art Bewunderung genannt wurden. Je mehr | 
feit dem dreißigiährigen. Kriege und der daraus er 
folgten gänzlihen Meränderung ber Zeiten, mit 

dem Verfall mancher Städte in Deutfchlaud, auch 

der gemeinfame Bürger: und Stadtgeift fan, befte 
mehr fanfen bie Schulen, und wenn nicht entweder 
aus Liebe zu den Willenfchaften, ober von Roth 
gejwungen, oder von den Bitten einfehender Maͤn⸗ 
ner ermüdet, die Negenten des Landes ſelbſt ih 
biefer Werkftätten öffentlicher Erziehung, ale Lan⸗ 
dDesanftalten angenommen hätten: fo wäre in 
vielen Gegenden Deutfchlande eine neue Barbare 
entftanden, die zum fortgehenden Geiſt der Zeiten, 
zum verfelnerten Gange der Gefchäfte, der Sitten, 
des gemeinen Lebens und Wefens. am allerwenig- 
ftemgehörte. Das Verhältniß aller Stände gegen- 
einander, ber Preis ber Wagren und Lebensmittel, 








ıdı 


bie Lebensart ſelbſt hatte fich geändert; und es wäre 
eine traurige Anſicht gewefen,, wenn allein bie 
Schulen, bie doh dem Staat Menſchen zuberei- 
ten und zubilden folten, wenn alle die Lehrer ber: 
ſelben, als alte Stadtruinen, als Denkmäler einer 
verfhwundenen Verfaſſung hätten zurüdbleiben 
follen. 

Unferer Schule nahm fich der ewig preiswuͤrdige 
Wilhelm Eraft an, der dieß Gymnaſium er- 
Haute, die Stadtichule zur Landesſchule machte, 


ober vielmehr beide verband, und damit auf bie -- 


ebeifte Wette für die Nachkommenſchaft forgte. 
Hätte der glorwürbige Fürft einen Schritt welter 
thun Tonnen, auch etwa nur foweit als In benach⸗ 
harten Kindern andere Fürften mit Ihren Schulane 
ftalten früher gemacht hatten, wir würden ung bef- 
fen fehr freuen, und es noch jeht dankbar zu ge: 
nießen haben. Indeſſen war boch einmal bie gläd- 
liche Bahn gebrochen, und die folgenden Landesfuͤr⸗ 
sten, infonderheit die Herzoginn Vormuͤnderinn und 
der jentregierende Herzog, haben der in manchem 
noch fehr bedrängten und eingeſchraͤukten Auftalt 
ihre Borfiht, Hälfe und Beiſtand nicht verfaget. 
Bir Tönnen auch fiher darauf rechnen, daß, ba der 
Geiſt und das Bebärfutß unferer Seiten, nothwen- 
dig gute Schulanftalten will, die alte Barbarei und 
Trägheit nie mehr wieberlommen koͤnne und werde. 
Wir müffen mit der Zeit fortsehen, oder die 
Zeit fchleppt und fort, an's Surädgehen iſt nicht 
mehr zu denken; gluͤcklich iſt der, ber willig gebet, 
der nicht nur feinem Nachbar mit Schritten zuvor⸗ 
kommt, ſondern ſelbſt der Zeit, bie bisweilen lange 


142 


Game fihleicht uud dem Vedurſaiß, das 
fyät, aber ſodaun deſto graufemer und haͤrter mek 
bet, Feundig und einſichtsvoll vorellet. Wer er 
von Hunger und Theuerung angemahnt feyn mellte, 
daß er ſich Syeife ſchaffe und fein Brod erwerbe, 
der ſtuͤnde in feinem Rauge ſelbſt unter den meiſte 
unvernuͤnftigen Thleren. Der Gedanke, ber mi 
am wirffamften daran erinnert, iſt der, daß Schu⸗ 
len keine Privatanſtalten, ſondern dffeutiige 
Werke, Anſtalten für Belt und Nach welt 
find! In dieſen Worten liegen Pflichten unb Auf 
munterungen für alle, die am Schulen auf irges 
eine Weiſe teilnehmen, (und bas-fieb ale Burger 
im Staat, ja alle. vernünftigen, chriftlichen und wohl⸗ 
denlenden Menſchen) nothwendig aber. noch weht 
fuͤr die, denen eis Geſchaͤft hiexaͤber anvertrant iñ 
die mit Schulen und Erzlehurgtanſtalten eigentlia 
zu thun haben. 

Jeder Lehrer an einer oͤffentlichen Schale be 
bente, deß er ein oͤffentlicher Maun, ein. Die 
des Staats, be fein Geſchaͤft eis oͤſentliches, leir 
Privatgeſchaͤft fey. Die Form und Bildung der 
Rachkommenſchaft ift ihm übergeben, die thener⸗ 
ſten Schaͤtze der Eltern, ia der. Menſchheit ſelbe 
find in feinen Haͤnden. Wie das junge Wachs ge⸗ 
beit und gebildet wird, fo. wird es, ſo manche 
Haͤnde nachher auch. an ihm rüden und models, an 
in: feiner ſtarren Form wird es yon ben erften Eis 
unten I Immer nad. Spuren zeigen: ber. erſte Ge: 
ruch, ben ein neues Gefäß. bekommt, wird es lang 
oder immer begleiten. Ich freue mich alſo, daß 
nicht nur jeder Zeit, ſondern auch in ben fünfzehn 


143 


Syalyeon, feit ich hier bin, und an dieſer Auſtalt theil⸗ 
genommen habe, mehrere Maͤnner aus ihr hervor⸗ 
gegangen find, bie auch in andern Ländern uns Ehre 
machen, und zum. Shell in aufehnliden Stehen Ge⸗ 
Legenheit nuͤtzlich zu wirken und Ihr Gluͤck fanden, 
Andere Pflanzen bdiefer Art find im Sprofien oder 
mech im Keltuen; wenn eine gute Witterung fie be: 
gänftigt, wird auch ihnen die Zeit ihrer Bluͤthe 
kommen — mo nicht in unferm engen Kreiſe, wo 
manche aafanie vtelleicht verbicht, weil es ihr an 
‚Beben und. Nahrung fehlet, fo außerhalb bemfel- 
ben: denn die Willenfchaft, Brauchbarkeit, Ein⸗ 
ht, Tuͤchtigkeit in Geſchaͤften find ein gemeines 
Sat ber Menſchheit. Erheben Sie ſich alfo, hoch⸗ 
geiſchatzte Lehrer dieſes Gymnaſiums, Aber jede 
Wolte, bie Ihren Geſfichtskreis trüben. oder veren⸗ 
gen möchte; Ste arbeiten wicht für die Gegenwart 
allein, ſondern auch und am meiften fiir bie Zu⸗ 
Zunft; nicht für die Welt allein; wie fie ik, ſon⸗ 
bern auch wie fie ſeyn wird; nicht für unfere Stadt, 
umfer Land allein, fondern für das Wohl der ihnen 
anvertrauten Iugend In allen Ländern. Wenn Sie 
alt und ſchwach ſeyn werben, wird She Abenden, 
wenn es in die Herzen ber Jugend mit Liebe ge⸗ 
pflanzt ward, vielleicht. bier, vielleicht in andern 
Landern, noch jugendlich biüäen, wenn Sie Aſche 

find, wird Ihr Name in menſchlichen Gemuͤthern, 
in dem Guten, das Sie geſtiftet haben, unſterb⸗ 
lich ſeyn, und durch die, die fie bilbeten munter 
fortwirken. Troͤſten, ſtaͤrken, ermuntern Sie fih 
alſo mit dem Gedanken, daß Ihe muͤhſames Ge⸗ 
ſchaͤft kein Privat⸗, ſondern ein allgemeines, oͤffent⸗ 


144 
Aiches, ewiges Werk ſey, ein Werk, bas bie Stabt, 
Das Land, bie Nachkommenſchaft umfaflet, beffen 
Saame ‚mit der keimenden Mernunft fortketmet, 
mit der zunehmenden Wilfenfhaft und Humauitaͤt 
fortwaͤchſet, ia in jedem neuen Boben neue Kraft 
-gewinnt, und neue Blüthen und Fruͤchte träget. 


Entfernen Sie alfo auch bei Ihrer Arbeit alle Yık | 


vatabfikten, und, wenn ich fo fagen barf, ale 
Privataͤngſtlichkeliten. Ste gehen vorüber, aber 
die Schule bleibt, und was Ste In Ihe Redliches, 
Rechtſchaffenes, Gutes gefchafft und bewirkt haben, 
Das, 1028 vielleicht von Ihuen unter Menfchen übrig 
bleibt, iſt Ihe unfterbliher Name. Es gibt Leine 
‚größere Diffonanz im bürgerlichen Leben, als wenn 
-man in einem Öffentlichen Mann zu ſehr den Privat: 
mann fiehet, oder jener fi in biefen endlich ger 
verliert. Da wirb der Schullehrer ein Lohnarbei: 
ter, der ruhm⸗, geift= und herzlos auf feinem duͤr⸗ 
ren Boden vertrodnet. Quam misera et con- 
temta res est homo, nisi se supra humana 
.erexerit! 

Ihr Schuͤler, bedenkt, daß es eine öffentliche 
Anſtalt fey, die ihr zu befuchen und zu genießen 
‘Habt. Gymnaſium heißt ein Uebungsplatz, in wel- 
‚chem ihr alfo zu einer guten Fähigkeit, Brauch⸗ 
"barkeit und Tuͤchtigkelt im Staat, auf Lehrſtuͤhlen 
in Schulen und in ber Kirdie geübt und gebildet 
«werben follet. Je mehr ihr dieß einfehet, befte 
‚angenehmer werben auch bie Stunden des Unter⸗ 
richte, den ihr genießet, deſto erfreulicher bie 
Uebungen werben, bie eure. Lehrer mit euch trei: 
ben, benn es find Uebungen ber Tuͤchtigkeit für 

euer 


(ad wem Landesherrn gegebene Geſetze, und der 
Schallehrer iſt darauf verpflichtet. Jufonderheit 
ige im den ebern Klaſſen, bei denen ich Thon 
suchr Heberiegung und einen reifern Verſtand vor⸗ 
anstehen darf, werbet das Gymnaſtum wicht als sin 
Zuchthaus, weiches es jetzt wicht wehr iſt und ſeyn 
. Damm, ſondem «is. einen Vorplatz der Wade 
mte ober jeder andern oͤffentlichen Be: 
ſtimmung anfchen, zu ber euch eure Mehjung 

ader das Shlitfal ruft, mithin in em ſelbſt den 
Ä ee diefer öffentlichen Beſtimmung frühe eutbeden 
ad entwideln. Ihr werdet wicht auf's Geruthe⸗ 
wohl bush alle Klaſſen fehlenden, fondern biete: . 
bensart, dam ihr beſtimmt ſeyd, dem Lehrer zei- 
eig entdeden und eure Stublen darnach orbnen. So 
viel es das oͤffentliche Ganze zulaͤßt, ſoll euch in al⸗ 
lem dabei und dazu geholfen werben, daß ihr dem 
Staat brauchbare, für euch felbft gefchidte und 
glädlihe Menfchen werdet: denn fämmtliche Lehrer, 
infonderheit die Lehrer der drei obern Klaffen, die _ 
das eigentlihe Gymnaſium ausmachen, ftehen als 
ein gefihioffener Phalanı ba, und bieten einander 
die Hände; der neue Direktor des Gymnaſiums iſt 
des ganzen Öffentlihen Werks Meifter. 

ent follte ich noch von der allgemeinen Achtung 
und Theilnehmung reden, auf die von allen Stän- 
den, denen infonderheit, bie ihm nahe. angehen, 
Das Gymnaſtum, als eine öffentliche. Landesfhnle; 

Berders Werke, Philoſ. u. Geſch. X. 10 


146 


Anſpruch zu machen hätte; da ſich aber allgemein 
Eiuſicht, und ein warmer, wirkſamer, theilnehme: 
der, gütiger Wügemeingeift nicht, am wenigfia 
aber vom Schulfatheber, einfprechen läßt, fo wein 
wvir über diefen Punkt die Fahne der Hoffaung mi: 
fhwingen, und wiefern an den Bemühungen br 
Lehrer des Gymnaſiums, auch unter dem nem 
Directorio, einiger Anthell genommen werde, pr 
trauend erwarten. Eins darf ih nur noch fagen: 
der Hentige Tag, an welchem ich zwei wuͤrdige ke 
‚ ser andern würdigen Lehrern zugeführt Habe, If fk 
mich ein Tag der Freude und Hoffnung. Mir 
er's für viele, möge er's für alle ſo ſeyn, und dei, 
was wir wuͤnſchen, und bie fegenreiche Vorficht 
waͤhren. Ich bewillkommne Ste alſo, hechgefi 
nene Lehrer, auch in deutſcher Sprache im dieſer 
Hoͤrſaal, und jeder Liebhaber der Wiſſenſchaften 
jeder Mater und Freund eines Kindes und Junz 
lings, jeder tedliche Bürger, und wen fonft de 
Wohl der Menfhheit und Rahlommenfchaft am 
Herzen liegt, fegne nnd Gluͤck zu. 


— 
| | xU. = 
Dom Genius einer Schule. 1793. *) 




















Victurus Genium debet habere liber, fat 
‚Martial; und unfer Hagedorn hat diefen Int: 


*) 41792 hielt der Verfaſſer wegen einer Krankheit sine 
Schulreden. 


) 147 

gang feines Epigramme dem. Sinne nad) ganz ges 
troffen: „Ein Buch, das leben fol, muß einen 
Schupgeift haben.‘ 

Das Gleiche kann man auch von jeber Anitalt, 
yon jedem Inſtitut fagen. ., Hat es Keinen Genius, 
der es belebet, der es in's Neich der Wefen auf: . 
nimmt, fo bleibt es eine todte Geburt. Verlaͤßt 
fein Gentus ed, entziehet der ihm feine Obhut und: 
Borforge, fo gehet es bald In das Reich der Schat- 
ten über. 

Belanntermaßen weiheten bie Alten, Griechen 
und Römer, jedes lebendige Wefen, ia fogar jeden 
merkwürdigen Drt, einem Genius, dem fie oft 
Altäre aufrichteten, den fie mit Opfern und Lihatio- 
nen, am meiſten aber_mit einem Andenfen ehrten, 
das viel Mührendes und Schönes mit fih führer. 
Jeder Menſch hatte einen Genius, der ihm von 
feiner Geburt an als Anffeher, Zührer und Be- 
gleiter, als ein warnender Freund, als ein unbe- 
ftechlicher Zeuge und Michter, mithin als der Bote 
feines Gluͤcks und Unglüds zugegeben war. Est 
singularis praefectus, fagt Apulejus, domesticus. 
speculator, individuus arbiter, inseparabilis: 
testis, malorum improbator, bonorum proba-- 
tor. Doch warum führe ich einen fo fpäten Schrift: 
ſteller zuerft an, und nicht ältere Zeugen? Jedwe— 
dem, fagt Menander: - 

Jedwedem fteht ein Genius 

Sobald er nur geboren wird, zur Geite, 

Ein guter Genius zu weifer Lebensführung. 

Denn daß ein böfer Geift und zugegeben fey, 

‚ Ein gutes Leben ung zu fchmätern, dieß 

Iſt nicht erlaubt zu glauben. — 


Y 


148 


Ya unter ben. Berfen des Heſtodus finbet Ü 
ſchon diefe uralte. Beſtimmung der guten Dämont! 
Haß fie nach Rathſchluͤſſen des hoͤhſten Gottes mat 
fterblihen Menſchen auf der Erde das Waͤchte! 
amt führen. Jedermann weiß, was Edbkrat 
von ſeinem Daͤmon geſagt und geglaubt Hat, daß 
ihn nie treibe, wohl aber warne, und daß | 
Stimme deſſelben ihm He Stimme der Gotthe 
duͤnke. Es iſt hier weder Ort noch Zeit, die Bew! 
logie dieſer Vorſtellungsart von Ihrem Yrforum 
an, zu verfolgen; eins merle ich nur an, daß‘ 
Stoifer den Begriff von einem Genius oder Dim 
des Menſchen wohl auf ben reinften Altar feste 
nen. war nämlich der. vas, das. Gemuͤth im Die 
ſchen, das heiligite,. unbeſtechlichſte Urtheil fein 
Seele — denn fo ſagt Marc: Aurel: „das Gemuͤ— 
iſt's, was wir ben Dämon oder den Gott In m 
nennen, den Vorſteher umd Führer des Reben 
Himmliſcher Natur Ift er und hebt zur: Verwand 
fhaft mit dem Himmliſchen und von der Erde 
por. Nichts iſt elender, als ein Menſch, der 
feinem Gedanken alles auf. und unter. ber Eu 
durchſchweift, der, was In fremden Seelen worgsl 
muthmaßend zu erforfchen ſtrebet und nicht fuͤh 
daß er ihm ſelbſt genug iſt, wann. er nit ſatnem ei 
. nen Dämon vertraut lebet, und dieſen recht were 
ret. Die rechte Verehrung deifeiken defbehet ab 
darin, fein Gemuͤth von Keideufchaft, von Leere 
Wahn und von jeder Unzufriedenheit uber Din 
-der Welt frei zu erhalten.“ Und der -vorstreffilc 
Schüler Epiktets, Arılan, Fast alfo: „deine Di 
ftelungsfvaft iſt freilich nicht ſo groß wie Iupkter 


149° 

ber- er hat eltein jeben einen Auffeher zugegeben, 
er nie ſchlumimert, der nicht jur hintergehen iſt, 
nfern Damon. Haͤtte er uns wohl einem beſ⸗ 
sm und wachfamern Führer übergeben können? 
Benn ihr eure Thuͤre verfchloffen and eure Kammer 
erdunkelt habt: fo fatte euch nie ein, 31 fagen:- 
um find wir allein: denn Ihr ſeyd nicht altein, ſon⸗ 
ern Gott iſt darin und ener Dämon. Diele 
ebikefen des Lichtes nicht, um zu bemerken, was 
be thut. Diefem Gott, eurem Gentus, 
ollet ihr Treue zuſchwoͤren, wie bie Soldaten dem: 
‚dfar. Bloß um des Solbes willen ſchwoͤren dieſe, 
ab Ihnen auf der Welt nichts wichtiger feyn folle, 
16 Ehfars Stud und Leben; ihr hingegen, bie ihr 
on diefem Gott: fo vieler und großer Dinge gewür- 
igt feyd, ihr wollet ihm nicht fchmören? und went 
je gefchmworen habt, den Eid nicht halten? Und 
‚a6 werdet Ihe ſchwoͤren? Daß ihr ihm nfe unge: 
orfem feyn wollt, daß ihr auch in Anfehung deſſen, 
as er euch beſchert, nie Klage erheben, nie wider 
n murren, daß ihr nichts, was feyn muß, mit 
willen thun oder leiden wollet. Iſt wohl jene 
zulbigung biefer zu vergleichen? Jene ſchwoͤren, 
aß fie niemand In ber Welt dem Caͤſar vorziehen 
ollen; Ihe, daß ihr die groͤßeſte Achtung und Trene 
egen euch felbft haben werdet.” — Wie heilig iſt 
jefe Lehre! mie gemaͤß dem Worte Genie, db. i. 
Ingeborne Natur, eigene Art bes Dien- 
hen! Sind wir ſelbſt, iſt unfer Gewiſſen, ift 
38 Helliafte im uns micht heillg, wo follen wir 
sun bad Heflige finden ? 

Sacer intra nos spiritus sedet, malorum, 


150 


"bonorumque 'nostrorum ohservator et eustos. 
Hic prout a nobis tractatas est, ita nos ipse 
'tractat. — 

So dachten bie Alten vom Genius bes Men 
Shen, wobei ih mich auf die weichliche Meinung 
von einem guten unb böfen Damon, die etwa nut 
dem angenehm ſeyn Tann, ber gern verführt ſeyn 

‚mag, um nachher auf ben fchwarzen Genius bie 
Schuld zu werfen, gar nicht einlaffen werde. Guug, 
Genius war die Perfonifilation der ganzen 
reinen und edlen Natur des Menſchen. 
Wozu er geboren fen? was In feinen Kräften ftebe? 

was er erreichen Eönne und fole? was er, um fol 
ches zu erreihen, nothwendig vermeiden muͤſſe! 
wie er, feiner Natur gemäß, aufs befte zu diefem 

Zweck gelange? was ihm noch fehle? was ihm, fel- 
ner frähern Verſaͤumniſſe oder Mißhandlungen we: 
gen, vielleicht auf Immer fehlen werbe? das alles 
fagt uns die Stimme des mit und und in und ge 
borenen geiftigen Bruders, bes reinften Bil⸗ 
des und Abbildes .unferer ſelbſt, unferes 
Ideals, fo fern es fich in uns fplegelt und im 
Innern unfers Bewußtſeyns wieberglänget, Eur 

anferes göttlihen himmliſchen Daͤmons. 

Frage o Füngling ihn, was bisher aus die warb? 
and was bu jebt ſeyn Fönnteft? cr wird dir antwor- 
ten. Höre feine Stimme, fein leiſes Wort: 
„warum bu es nicht bift? was du verfäumet haft, 
und vielleicht nle mehr nachholen Faunfl? was ba 
forthin unterlaffen, was bu regfam thun mußt, um 
daB Verfäumte und Derwahrlofete nachzuholen? 
er wird dir feinen Rath nicht verfagen! Schaue fn 





. 151 j 
eu Spiegel; bu wirft bie Spuren auf beinem des 


cht fehen, die Leichtfinn, Unart oder vielleicht ger 
Gederlichleit daranf gezeichnet haben. Schaue in 


en Spiegel deines Gemuͤths, und bu wirft alles - 


oc deutlicher ald von außen wahrnehmen. 


* 

Victurus genium debet habere puer; jeder 
Füngling, der ſich ſelbſt ſchaͤtzet, der zu leben, und 
rar Leben fortwährend gluͤcklich zu ſeyn, Luft hat; 
x muß feinen Genins verehren und lieben: benn 
nit ihen reiten, ihn betruͤben, ſogar Ihn betrügen 
u wollen, wäre bie größefte schorheit. Könnte 
soHl au eine größete Thorheit gedacht werben, 
Is daß ein Menſch fi ſelbſt hintergehen wollte? 
gebe Kraft feiner Seele, bie Sefundheit feines 
zörpers, die fröhliche Zeit der Jugend fey ihm alfo 
‚eilig, alles nupe er mir Weisheit, Anftand und 
Sprerbietung gegen ſich felbfl. Dem Ge: 
‚ins wurde kein Blut, kein Leben geopfert; un⸗ 
chuldige Blumen, froͤhlicher Wein, wohlriechende 
Salben, heiliger Weihrauch, waren die Gaben, die 
nan ihm darbrachte; lauter Symbole, fo wie ber 
Tugend, fo auc des dlteften, reineften und frohe⸗ 
ten Gottesdienftes ber Erde, der Innigen Herzens⸗ 
yerehrung. 

Aber nicht nur einzelne Perfonen weiheten die 
Alten einem fchüßenden Geiſt; fie hatten aud Ge: 
sten bes Orts, Genten der Gefellfchaft. 
Fine Reihe Auffchriften tft bekannt, da Altäre, . 
„der andere Denktmal:, dem Genio loci gewidmet ' 
waren; .und das oft wiederholte Symbol, bie 
Svlauge, die fi um den Altar winder, iſt uns an 


— 


'152 " 


unfeem, Det Defsunt. grung. Weher ber Beulud-der. 
Drsb unser dieſem Biide? Er war das Symbol der 
Gelundheit des Orts; und: Gefunbheit, Seiftes 
und des Körpers, ber Luft unb aller Elemente ik 
bie größefte, ia ich: möchte fagen, die einzige, allet 
umfaflende Wohlthat, die der Genius ber Natur 
und zu geben vermag. Ein folder Alter fagte ale: 
bier iſt feine mal’ aria, keine ungefunde, as: 
ſteckende Luft; bier kann man froh. unb erquickend 
athmen. Wo dergleichen boͤſe Kuft:vertrieben war, 
konnte man bes Genius des Orts dankbar einen 
ſolchen Altar aufrichten; ja wo man mit jeden 
Athemzuge Erquickung genoß, da mar auch obme 
Altar und Juſchrift der. Ort, am dem man 
‘ Leben. froh unb genialifch empfand, dem Beutns 
heilig. So hatten Quellen, Berge, Häufer, 
Städte, Wege ihren Genius; am ausgezelchnetſten 
aber hatten es die Sefellfchaften ber alten Belt von 
einzelnen Familien an bis. zum- mächtigen ewigen 
römischen Wolle. Die Genien ber Haͤuſer hleßen 
Karen, ob biefee Begriff. gleich nicht fo rein war, 
als ber Begriff bes Benins einer FGamikie, 
dem biefe ihr Wohlfenn, ihre Erhalteiug ober ſicht⸗ 
bare Bewahrung zu banken hatte: deun feht oft 
wurde bie Idee eines guten Genius oder Daͤmons 
mit der dankbaren Erinnerung eines ausgezeich⸗ | 
net guten Gluͤckes verbunden. Der Hausge⸗ 
noß ſchwur bei dem Genins feines Seren, bee 
fpätere Römer bei dert Genius ſeines Fuͤrſten, ber 
er eben dadurch ale den Schubgott uud Erhalter des 
KReichs verehrte. Centurien, Collegia, Kolouten, 
Munickpalſtaͤdte welheten ihrem Genius, zumal 





168. 


als Neuangekemmene ober Sluͤckliche und Wohlge⸗ 
diehene in entferuten. Orten Zuſchriften, Opfer, 
@rläbde. Der hobe Genies des römifhen Wels 
enduch iſt auf mehreren Müngen ſichtbar. Wels 
tens fteht ex als ein fchöner Juͤngling da, vor eis 
nem. biumenbefräugten Altare, die Opferſchale umb 
etwa ein Horu des Ueberfluſſes in feinen Händen. 
Wie ſchoͤn eine dergleichen Perſonifikation fey, 
begreift: ein jeder., der die Idee eines Staats, ei⸗ 
nee Geſeuichafe, eines gemeinſchaftlich handeinden 
Dolls, eines Inſtitus von wirkſamer Eiurichtung 
zu-.faffen faͤbig iſt: Denn alle dieſe Namen, wenn 
fie leben und gedeihend fortleben ſollen, muͤſſen 
ihren beſchuͤgzen den, leltenden, warnen⸗ 
Den, gluͤklichen Genins haben. Sobald die⸗ 
fer ein Bolt, eine Stadt, einen Staat, eine Elurich⸗ 
tung, ein gemeines Weſen verläßt, oder feine 
Stimme nicht mehr gehört wird, fo iſt auch mit 
Lleichten Fiägeln das Gluͤck binweggeflogen, und- der. 
böfe Genlus tritt, wie er dem Brutus oder Dior 
erſchien, in fuͤrchte rlichſcheußlicher Geſtalt heran. 
„Ich bin dein böfer Genius, Brutus; zu Philippen 
jtenfe du mich wieder.“ Und diefem ſchrecklichen 
Wiederſehen entachet: ſodaun fchwerlih jemand, 
Wer aber ben Schutzgeiſt in fich, in feinem Beruf 
und Stande, in der Geſellſchaft, zu der er gehört, 
in der Einrictung, zu der er mitwirkt, verehteti 
dem bleibt auch Er hold und treu; erswirbeudaunen, 
ein Gluͤcklicher bis ans Ende feines gehend. 


Victurä et Genium debet habere scholä. 
Ein Färft, ein Gönner und Befchäger kann ſolches 


Pe 


allein nit feyn, ob es gleich ſehr gut und wän- 
ſchenswerth, ia in vielem Betracht unentbehrlich 
notpwenbig fit, daß Schulen, Gymnaſien, Zur 
‚alle dauernden öffentlichen Juſtitute auch ſolche Ge⸗ 
nien haben. Der wahre Genius indeß muß im In⸗ 
ſtitut felbft leben; er muß mit ihm geboren ſeyn, 
ale feine Kräfte weden, alle feine Glieder beleben. 
Diefer SGentus iſt ed fodann auch, ber dad Ganze 
‘in Geſundheit und Kraft erhält, der es vor Gefah⸗ 
ren warnet, ibm in Unglüdsfällen emporhlift, es 
dei Veränderung ber Zelten mit Ihnen neu verjuͤn⸗ 
get unb: m Niter mit jugendlichem Muth belebet. 
Denn der Genins eines Volls, einer menfchlichen 
Geſellſchaft, einer guten. Einrichtung, der Genius 
einer wohleingerichteten und wohlverwalteten Schule 
{ft gewiß unſterblich. 
Was will der Genius au biefem heiligen Ort? 
wofür warnt er? was gebent er? 
Hier ſol die Menſchheit in den lebhafteſten 
frübeften Jahren zum Wohlſeyn auf bie ganze Le⸗ 
benszeit, zum Vortheil aller Stände und Berufs: 
‚arten, zum wachſenden Glüd ber ganzen buͤrger⸗ 
lichen Gefellfchaft gebildet werden. In jugendlicher 
Geftalt fteht alfo der Ihöne Genius der Schule da; 
Blumen umfränzen fein Haupt; er opfert dem Al⸗ 
tare des Vaterlandes die reinften Opfer, und das 
Fuͤllhorn des Segens, des guten Gedeihens in al- 
len Zöglingen und Pflanzen der Schule tft In fel- 
ner glüdlihen Hand. Er fpricht zum Lehrer, er 
ſpricht zum Schüler „verehrte mich! ehre dic ſelbſt, 
dein Amt, bein Geſchaͤft, deine Beftimmung; ber 
Ort iſt Heilig.” 





155 


Zum Lehrer ſpricht er: „ehre dich ſelbſt“ du 
treibſt ein göttliches Damonifches Werk; bis berei- 


teft das Süd, du bilbeft die Seelen der Jugend ;. - 


ja bu wirft felbft ihr Genius und Führer auf den 
Weg des Lebens. Oft wird deine warnende Stim⸗ 
me in ihrem Herzen wiederklingen, auch wenn fie 
Dich nicht mehr ſehen; oft wird bein heiteres, vaͤter⸗ 
liches, genialiſches Geſicht ihnen auch in ber Ent- 
feruung und Abwefenheit gerade alddann wieder 
eriheinen, wenn deine Lehre, dein mwohlthätiger 
int, dein Unterricht, am meiften aber bein Bel- 
fpiel und Vorbild ihnen, wie ein Genius viae et 


witae erſcheint auf Eritifchen Scheidewegen ihtes 


. Lebens. Ehre und liebe alſo den Geiſt ihrer Ju⸗ 
gend; entweihe ihn nicht mit Scheltworten und Er⸗ 
hitterungen zu unrechter Zeit; fchone Ihn aber auch 
nicht, wo er fich ſelbſt zu viel nachfieht, und Gefahr 
Läuft, fih ganz zu verlieren. Der Schwur bei dem 
Haupt des Sünglinges war bei den Alten ein hoher, 
heiliger Schwur ; die Pflicht, dem Genius einer zu 
erziehenden Jugend vor dem Altar der Menſchheit 
und bes Vaterlandes gelobt, ihr ein uuseywyos 


>> 


78 fıs ayados, ein assiduus observator, prae- - 


stes et tutclator zu fepn iſt gewiß eine heilige 
Pflicht. Quisquis hanc aram laeserit, habeat 
‚genium iratum gerieris humani et numina 
Diyum. 

Noch inniger aber ſpricht zu euch, ihr Juͤng⸗ 
linge⸗ der Genins dieſes Orts: denn er iſt euer 
Ideal, eine Perſonifikation Eurer, euer ſidissimus 
germanus. Wie ſoll er euch erſcheinen? wie wol⸗ 


— — 


let ihr euch den Genius dieſes Orts, dieſes Gym⸗ 





136 


naflums am lbebſten denken? Etwn wiejened: We- 
ſpenſt dem Dion erfchlen, magna mulier, habite _ 
valtuque nihil a tragica Furia distans, domum 
scopis verrens, ober auf deutſch, als ein Schrei 
liher Orbit mit Bakel und Peitſche in feinen Haͤu⸗ 
den? Oder ſoll ed der Genins ber Jugend, - der 
guten Lehre umd Unterweifung ſeyn, wie ihn fick 
bie Alten dachten? Lieber the, tote Ich nicht: zwei⸗ 
- feier bie lebte Vorſtelungſart, fo merkt euch 
1. In Platons @erfpräcken nennet Sokrates die 
jungen Leute, mit denen er ſpricht, gern uıtt dem 
fhmeicheinden Namen daınonse; md: wie biefer 
ſchoͤne Name: alles in ſich faffen kann, womit der 
gute Geringe Juͤnglinge beſchenkt hatte, Schoͤn⸗ 
heit, Artigkeit, Talente, Wohlerzogenheit, kurz 
eine gluͤckllche Natur und Phyſſognomie in Ge⸗ 
muͤths⸗ und Leibesgaben, fo haben die Griechen 
auch vorzäglih eine empfedtende Lichenswirbige 
Eigenfchaft dabei nicht vergeffen, Me Beſcheid en⸗ 
beit, die holde Scham. Was man In ber 
Kunſt Genius nennt, iſt Fein wilder, auffah⸗ 
render, ſondern ein ſittſamer beſcheidener GSotter⸗ 
Juͤngling. Sanft ſenkt ſich fein Haupt; unſchuldig 
blickt ſein Auge; auf ſeine Wunge, auf ſeine Lippe 
iſt Gragte gegoſſen und er ſelbſt keunet fie nicht; er 
blickt daher, wie aus Elpſium, wie in einem Hold: 

fellgen Zraume. Dies daruorıov, dieß fanfte 

Siuckliche, unterſchelbet die Gerten von andern 

Geſtalten, feibft von einem ſchoͤnen runden Bacchas, 

dem es recht wohl iſt, bem aber biefer Sentens 

DIER, dieſe Füße Nänternpeit fehlet. 


- 1 


157 \ 


Wiß wurben in ſolchen Genien bie ſchoͤnſten Knaben 


und Juͤnglinge nachgebildet, in deren Augen, wie 
die Griechen ſagen, die Scham wohnte. — Der 
Genlus dieſes Orts, ihr Juͤnglinge, liebt, vor 
allen. andern, dieſe himmliſche Gabe, Beſcheiden⸗ 
heit und Zucht. Bei jedem Schamloſen, unan⸗ 
Ständigen Wort und Betragen ruft er entruͤſtet: 


ringe duos angues! sacer est’locus! extra 


mejite. — 


2 Das göttlihe (Is:0v, daruorvıov, in einem 
Menſchen iſt zwar eine Gottesgabe; es muß aber 
durch göttliche Menfchen erweckt werden, wie Plato 
in mehreren Geſpraͤchen zeigt. Euch erfcheint bier ber 
Genius des Alterthums; die Stimmen und Thaten 
der größten und fhönften Seelen der Vorzeit werden 
‚euch bier vor Ohr und Auge gebracht; ihr Geiſt 
foricht zu. euch, laßt euern Geiſt ihm antworten. 
Ihr ſeyd, meine Kleben, alle fo.verfhledener Art; 
die Gottheit gab euch verſchledene Saben und Neil: 
gungen, wie ihr denn auch zu verfchledenen Lebens⸗ 


arten, Gefchäften und Ständen beftimmt feyd, und | 


ein verſchiedenes Gluͤck euch erwartet. 


" Gemmas, marmor, ebür, Tysrhenn sigilla, tabillas, 
Argentam ‚.vestes, Waetalo murice tinctas, ; 
Sunt quià non habeant, est qui non curat habere. 

Cur alter fratrum cessare et Indere et ungi 
Praeferat Herodis palmetis pinguibus, alter 
Dives et importunus ad umbram lucis ab ortu 

Silvestrem flammis et ferro mitiget agrum; 

Seit Genius, natale comes qui temperat astram, 
Naturae Deus humanae, mortalis in anum 
Quodque caput, yultu mutabilis, albus et ater, 


x 
158 


So verfchleben indeß eure Neigungen feyn mi- 
gen, fo wuͤnſchet ihr doch alle euch einen guten 
. glüdtihen Damon (eya9ay Aaıuove) zum Führer 
and Schutzgeiſt eures Lebens. Diefer tft nicht 
ſchwarz, fondern weiß, ein Bruder der Rechtfchaf: 
fenheit, der Gottesfurcht, des Fleißes, der Be: 
ſcheidenheit, Schamhaftigfeit, Ordnung und Tugend. 
Alle fittlichen Grazien lieben ihn; er ift mit ihnen 
erzogen; er wird vom Himmel gefandt, gute, recht⸗ 
fhaffene Fünglinge, die Freunde feiner Gefpielen 
find, euch als Freund zu begleiten, als Wohlthaͤter 
and Richter zu belohnen. . = 

3. Das Öffentlihe Examen iſt das Feſt bes 
Genius diefer Schule; an ihm fol und wii 
er fih in feiner fchänften Geftalt zeigen. Nicht 
mäßig und träge, nicht furchtſam und ſinnlos: denn 
fo zeigen Genien fih nicht; fondern munter, thd- 
tig, der Sache gewiß, beſcheiden, fittfam. Hin⸗ 
weg alle Furcht und Schen; ſie gehört nicht zu bie: 
fem Tage; wer wollte fich nicht zeigen, wie er iſt, 
wenn er fich würdig zeigen kann? Wir find alle bier, 
den Genius der Schule, euern Genius, ihr Schi: 
Ier, in feiner beften Geftalt zu erbliden, und ihn 
mit dem verdienten. Nuhme zu kraͤnzen. Suͤß wirb 
euch in den Ferien die Erholung nach biefer Arbeit 
ſeyn, wenn ihr fie mir Ehre genteßet, und ihr wer- 
det dem guten Genius biefed Crameus Blumen un- 
fhuldiger Freude und ben. Weihrauch eines reinen 
Dankes um. fo ſchoͤner opfern, je minder ihr dabei 
den guten Genius euerd Lebens vergellet, der euer 
Gluͤck und eure Wohlfahrt ſeyn muß. 











159 


Wohlan dann! es beginne der Ehrentag der 
Schule und der Schäler: der Genius derſelhen er⸗ 
fcheine und empfange von une bie ihm gebuͤhrende 
Verehrung. 

Ipse suos Genius adsit visurus honores 
Cui decorent sanctas mollia serta comas. 


Vorher aber wenden wir uns neh zu bir, du 
großer Schußgelft der Natur, bu Stifter und Er: 
halter aller Löblichen Orbuung,, du inſonderheit der 
Juͤnglinge Vater und leitender Führer. Ohne dei- 
nen Segen iſt jede menfchlihe Bemühung nichtig; 
ohne deine wachſame Morforge, was bälfe «alle 
menfchliche Auffiht! Nimm alfo auch diefes Inſti⸗ 
tut, diefe Schule, diefe Jünglinge und Ihre Lehrer 
nnter deine Obhut, und gib ihnen beinen guten 
Geiſt, der fie beihüße, leite, und zu Ihrem Werk 
beiebe. Auch zu diefen Tagen gib deinen Segen, 
daß alles zu deiner Ehre und zum Wohl ber Menſch⸗ 
heit gereiche. 


— — 
| XIV. | 
Bom Gemeingeift einer Schule. ’ 


> (Bor dem Examen gehalten.) 1794. 


- Jedermann fpriht zu unferer Zeit Yom Ges 
meinwefen; es ift aber nicht gut, daß man bies 
fen Begriff nur als Form, wohl gar als Regierungs⸗ 


nn | 4 


160 
‚form, nicht aber, wie ed der Name felbit fagt, als 


Sache beiramtet. In jeder menſchlichen Ynfalt 


und Berbladung, welche Form fie auch habe, gibt 


es ein Semeinwefen, res publica.. Es iſt 
die nämlich die Sache ſel biſt, wozu bie Verbin 
dung da ift, das Objekt, das fie betreibet, der 
Zweck, zu dem eine Verbindung der Menfhen 


eine Anftalt, abzielet, wovon alfo auch ihr Inneres 
und Außeres Intereffe abhängt. An dieſem 
tereſſe müffen alle Glieder jedes lebendigen u 
tuts mitwirkend theilnchmen, jeder fein Sch, ſo 
feen e8 das Gange fordert, dem Ganzen aufopfern, 
damit er von feiner Seite den Nußen ziehe, und 
den Nutzen leifte, den in der geſammten Zahl auch 
ibm das Gemeinweſen des Yuftituts gewähret, und 
den es von ihm fordert. Die gemeine Sade 
-tft die Seele bes Inſtituts; alle Anogduungen uud 
Einrichtungen deſſelben fiad nur die Drgankfasign 
feines. Körpere. 
Doriie Geſundheit und Blüthe eines ſolchen Inſti⸗ 
tuts fuͤr die Menſchheit zu bewirken, iſt vor allem 
ein Gemuͤthscharakter nötbig, den man Integri— 
‚tät, zu deutſch Rechtſchaffenheit nenner; wir 
wollen ung aber am lateiniihen Worte halten. In 
tegrität bezeichnet etwas Ganzes, Unver 
legtes, das ulle feine Theile in gefunden, voͤlll⸗ 
gem Zuftande betrifft, und von feinem Fleden, von 
Feiner Krankheit verunedelt iſt. In dieſem Zuftande 
genießt und gebraucht das Ganze alle feine Kräfte, 
So ift ein Baum, eine Blume ganz, wenn the 
fein Theil fehlt, und in feinerem Verftande, wenn 
er auch. pn fremden Binden; von einem re 
eu 


- 


161 


Athem nicht befchmunt oder verunreiniget if. Un⸗ 
fere Natur, unſere Ingend blüher in Integritaͤt, 
wenn.Körper und Seele dad Ihrige thun, und am 
ägr Leine Bruͤche fidy dußern, die Ihr. Wermögen, ih⸗ 
ren Genuß, die ganze Zuſammenwirkung ihrer 
Zelle: Rören. Chem Mann, feinem Wort 
und Glauben, ſemem Charakter, feiner Fu 
ma gebührt Integrität, wenn jedes von ihnen tft, 
was es ſeyn foll, fo daß man fih darauf verlaffen 
.and fagen kann: „man babe dad Ganze.’ Jede 
Werſtuͤmmelung und Serthellung, jeder Wurmfraß 
geheimer Luͤge und Falſchheit, jede ſchlechte und 
fremde Verwendung der Kraͤfte, endlich, was die Fa⸗ 
ma betrifft, jede ſchleichende boͤſe Nachrede ſtehet 
der Integritaͤt entgegen; und wo die wirkenden, die 
mitwirkenden Kräfte verunedelt und aufgeloͤſet ſind, 
da iſt feine res publica, keia geſundes bluͤhendes 
Gemeinweſen. 

Daß ein Inſtitut ſich im Ruhm der Geſundheit 
erhalte, dazu muͤſſen feine Stieder, jedes an feinem 
Theil, mitwirken, daß fie fetbft integri, jedes an 
Stelle und Ort fey, Was nie zerſtuͤckt ſeyn muß, 
+ ein menſchlicher Charakter. Naget an ihm ber 
Wurmfraß, wie follten ſich andere auf den verlaffen 
koͤnnen, der fich felbft verlor, der feinem eigenen 
Gemeinweſen nicht mit unverletzter Seele, nicht . 
mit ungefhminkter Redlichkeit, nicht mit unangeta⸗ 
ſtet-gutem Namen, fondern als eine morfche bruͤ⸗ 
chige Säule dienet, in der Würmer und Mäufe 
wohnen. 

Unfer Gymnaſium ſey nicht von dieſer Art; In⸗ 
tegritaͤt ſey ſein Charakter, ſeine Blume, ſeine 

Gerders Werke z. Phlloſ. u. Geſch. X. 41 


u 





. 2 
_ Yurbe. Integritat bezeichue auch Se Crane; 
feine Klaſſe wolle beffer ſcheinen, als Fertk; Fe 
geige aber auch, was Petit. nit ganzer Bogenwer 
Dub Geiſres, mit gauzer Meblihkelt Bed Eharaktrte 
dep wir ie uuferm: Gpineftunk. ein. Gern eine 
‚ sem amerfeunen nnd: ehren, daß Wit gegen da— 
fülbe umſer @efed, daß Uebergengung, biefe Pi 
geleiſtet zu haben, unfere: ſaßeſte Belchuumg fer. 
Adeste animis integris, viriintegri,.integri ade 
lescentes. Der Schluße des Eramens, der der 
zweiten Theil meiner Rebe enthalten ſoll, zuge 
aus allen fo aufmunternd, :f6 erfrenlich Feen, <ie 
Wis mitgmger Seelerheffe.unbimänihe.. 
r \ ” — —— N e . 
XV. 
Von der Beſcheidenheit, verecundia et. pudor. 
(Nach dem Examen gehalten.) 1794. 








Der Sutegrität, von der id zu Eröffnung. bei 

mm vollendeten Eramens geredet, babe ich zum 
‚Schluß deffeiden eine jedem Gemeinwefen wuent 
behrliche edle Schwerter zusuführen, Be holde 
Sham (verecundia et pudor). 

Sie iſt nicht etwa bloß das Mißfallen, das. ein 
Rechtſchaffener mit ſich ſelbſt hat, weun er ſich nicht 
in allen Stuͤcken integre, rein, lauter, ganz, m 
entweiht findet; Tonft wäre fie Immer eine traurige 
BSöuoͤttinn; fie ift mehr und oft etwas anderes als bier 

tes. Jene ſittſame Beſcheidenheit nd 


— 


— 


165 


Wr bie daa Maß ihrer eaͤfte, ihrer Verbienac 
ammt der Groͤße ihrer Pfiſchten kennt, mad: nicht 
aehr vor fich- hält, als ſie iſt; daee char zu: befchet: 
en, als zu ſtolz anh amaßend von ſich drukt, Die 
ch icht zur Schan ſRellet, ſendorn lieber das fittfe: 
we Geawand der Varhuͤllung waͤhlet. Sie iſt jene 
zuͤchternheit des Eimer (swpprswn), bie auch im 
wen Waͤnſchen, in:iheen Farherungen unde Anfe- 
ungen gesen; andere Maß. bäst-,.die nicht aur- ek: 
me, ſondern auch: ftembe: Kraͤfte wie Die at 
aber, daß Mem in Einem Fahr. gebant werdor 

och wrniger vengibt, daße es ſchen und durrh ie 
ibft: gebauet .fey; Ah die/ inte sunkiifchamend: war zu 
räftent.,. lichen vorwaͤrts zur Häheihinenffcht, and 

is plus ultre, nicht hocheruthis · hinaufruft, ſondern 
14 tiefſtem; Herzen vlelmehr ann. hinaufſerchzot. 


Dach ichfagen; va. 1. meld Gehkht e“UM 


id allein das unertraͤglichſte iſt, ob es gleich auch 
der Welt: Gottes exiſtirt? Das nuverſchaͤmte Ge⸗ 
KK, Das: ener Homer, ihr. Schaͤler, bie Huwire- 
rn nannet. Solche freche Menſchen haben alles 
emeinweſen zeufidet. Das quibus licet iſt Ihnen 
nz; foombe; petere lioet, zogare licet, arrogare 


‚ot iſt Iihnen anf der Stirn. geſchrieben. Sie for: _ 


en:alled, fie verlangen alles; und Haben ſchamlos 
s im Auge, wozu Dem beſchaͤnten Blick, eben bed 
hen Frageunden wegen, die Antwort fehlet. Wenn 
mir von Gettije. einen Heinen Winkel des Him⸗ 
18 erbeten darf, fo iſt's der wo kein Unverſchaͤm⸗ 
‚ Tein Schamloſer, keine Humdsſtirn neben mir 


hnet. 
O sale eihre und liebe Ich dich, du zarte und be⸗ 


& 


164 
ſthelbene Scham, bie nicht verianget, ſondern furcht⸗ 
ſam erwartet, die fich ſelbſt weniger, andern deſto 
mehr einräumt, und auch bei'm ſtreugſten Willen, 
bein fefteften Vorſatz ben Schleier der Beſcheiden⸗ 
heit, ben Saum der Geduld nicht verfennt. Nom 
ward wahrlich nicht In. Einen Tage gebaut, nud Daf 
ſo viele Wuͤnſche der Menfchen mißrathen, was ik 
‚ Schuld daran als ihre Schamloſigkeit, Ihre unbe: 
feidene Anverſchaͤmtheit, unglüdlihe ſchamloſe 
Meſen für fih und andere; eins derſelben bringt 
ein ganzes Gemeinweſen in Swietraht; es erreicht 
nichte, ale daß es ſchafft und hat unruhige Tage. 
und o wie llebe ich Dich, dm. zarte, beſchelbene 
Scham, vorzuͤglich am Yüngling! Das erubescit, 
. 'salva res est, tft ein heiliger Spruch; gewiß nicht 
in dem Sinne, ale ob der Juͤngling über ſich erek 
ahe. Er kann ja auch über ‚andere erroͤthen; 
‚er kann verfiumnien, weil man ihn Albernheitern 
‚fragt, und erröthen, daß man ihn über fen 
-MBerftummen beftafet. Ihm iſt bag lederne Gefict 
noch fremde, das feine Empfindung, vielmeniger 
eine Schamröthe zulaͤßt; noch If Morgen in feinem 
Bid, und der Schleier Aurorens, auch wohl be 
thaut mit Thraͤnen, iſt ihm noch kein Gelächter. 
Scham und Integrität weiche nie von unſern 
Gymnaſium — und was kann ich euch Juͤnglinge 
auch jet auf eure Ferien für einen beffern Beglei⸗ 
ter wänfchen, als Integrität und Scham! Geht zwi⸗ 
ſchen diefen beiden Schweſtern, ſi ie werden end 
-fchön und ſicher geleiteen. 
j Shnen, meine Herren, Direltor und Lehrer ıc. 
Tann ich nichts als einen armen Dant abftaften, für 








f W Pi 


N 


165 | 


fe Freude, bie Ste mir in dieſen ſchwuͤlen Tagen 
‚egeben haben. Sie iſt mir eine wahre Erguidung - 


‚ewefen; denn ich darf fagen, ımb habe es in ein- 
einen Klaffen und Arbeiten deutlich begenget, wie 
ehr das Gymnaſium auch In diefem Jahr nicht ruͤck⸗ 


oärts gegangen, fondern wirklich zugenommen hat. 


dürfte ih hierüber Ihnen den Schatz meines Her: 
ens eröffnen! Aber Ihnen wie mir hängt die 


Dede der Befcheldenheit vorm Antlitz; ic will nicht 


oben, ich habe mäßig getadelt; ich darf-alles hoffen, 
es was ſich erwarten läßt, erwarten. ch, meine 
Herren, wir haben einen mächtigen Mitarbeiter, die 


zeit; er ift zwar ein unbeſoldeter Collaborator; er⸗ 


xbeitet aber duch alle Klaſſen, in allen Lektionen. 
Fe regt auf; ich wollte fagen: er regt das Kind im 
er Wiege auf! - Laffen Sie und feine Aufregung 
ur Frucht und zum Nutzen gebrauchen, 
Inſonderheit wänfhe ich zur fittlihen Bildung. 
zs iſt nur eine Albernbeit, daß man denkt, ein 
zymnaſium laſſe fich zwar in der Lehre, den Kinften 
nd Wiffenfhaften (in denen. unfer Gymnaſtum in 
telem eines der erften nach innerm Gehalt tft) zu 
inem ausgezeichneten Gemeinweſen, fchmwerlich aber 
ı Sitten machen. Auch in Sitten iſt's möglich; 
nd ich fehe davon, troß unferer fürftl. Heinen Reſi⸗ 
enzftadt, und aller ihrer agrämens, wenn ich mich 
n das Jahr 1777 erinnere, da ich das erfie Eramien 


fer hielt, uuverlennbare Spuren. ‚Nein Juͤnglinge, 


uch in Sitten regtere euch Gemeingelft, ein fittil- 
‚es, ein mufterhaftes Gymnaſium zu werden. Ei: 
er für alle, alle für Einen! Kein Ausſaͤtziger, kein 
nverſchaͤmter, lein Schanbbube! - Haſſet ihn alle, 


J P , x 


— 


X 


166° 
wie wir ihn haſſen⸗ Hicht ij; ve fey euch einlinb 


‚sgehefener, vis ihun Ute bargerlice Gewmit auvſtoſt 
‚Kein Fleck fen: auf dem Giwanbe; das ven Beinein 


geiſt eucer Heiligen: Gemelaſwaft bocteidet. Iutren⸗· 


At, Bam und Shre ſey wirtemb, fo IR Men 





XVI. 
Bern Zweck dffentlicher Pruͤfimgen. 17795. 


am meine Pfttcht zu erfüllen, uwb zugleich die 
dem Pramini enge genng geſetzte Beit Ihe Nie za 
eutziehen, will ich aut mit einigen Worten ben 
JZwerk Öffehttiger Esaminum ſelbſt augeigen. 
Der Zweck bed Examinis iſt nie. Die: ganye 
aufbdahn ber Stadben eints-ganzen Jahrrs zu Surd- 
laufen; wie waͤre dieß In fü kurzer *. moͤglicht 
ie einmal alte Lektivnen dürfen md Liamen 
vorkommen, wenn man fe nicht iu Minnben ubfey 
tige und damit den ganzen Zweck biefer Mertiiches 
Handling werfehlen mil. Noch weniger baun urub 
mug die Abſicht der Lehrer ſeyn, unterhaltende, 
glaͤnzeude Lektienen vorzicfaͤhren, mud durch btefeite 
ſelbſt glaͤnzen zu wellen. Will beeſes der Exami- 
hans, er ſey uma Ephorus vder Docent, To wird dus 
Ganze gewiß einzelnen ſchumernden Theilen anf 
geopfert, unbber ſteißige, gabenreiche Schuͤlet muß 
umter dem Glanz ober dem Staube, ben fein Fragen 
erregt, ſelbſt leiden. Er beldmmt sicht Beit, ſich 
ſelbſt gu zeigen (welches doch Zwock ‚bei ‚Tkumanieis 


* 


wen, labem ſich der Examinans zeigen will und {ben 
leituſam Dad "Sicht, worin.:er geſehen werben fell, 
vogimint. Ich Halte daher michts darauf, daß 
er Kehrer het ſeinen Frasen lauge ‚ud viel ſpricht, 
siert ab letzret. Daß Cr dieß thun koͤnne, 
raut man ihm au; ja man ſieht voraus, daß ers 
ſethan habe. Die Methode, die man an ihm zu . 
chen: wuͤnſcht, iſt die, daß er: die Fraten geſchickt 


‚imgubeiten und die Antworen and der. Seele des 


Sqhalers hervorzuholen wille; daß er dem Fehlern 
Jod: natwortenden umprtomme, nad ſie vohne Me: 
hung deſſen leicht und geſchiet werheftere, Sry, 
yaß er. ah jenem beruͤhmten Gleichniß des Sottra⸗ 
es wir die Hebamme, ‚der: Diener freurber Ges 
sanften undiRemtuiffe-fey, und die Kenntniſſe feiner 
Zögtinge: glätchfam-su Tage foͤrdere. Mit nichten 
enmt es Hier darauf an, daß bei einer Wiſſenſchaft 
eb Lehre. alles geſagt weibe, was Beim Worttage 
yagiber gejagt werd; -biefer falſche Schein von 
Bränbtichkeit aber Boliſkandigkeit, Die jede Materie 
Helchfam ‚erfhöpfen /will, verengt die Beit und bie 
Zemather, fowehl:berer, die da hoͤren, als die ba 
atworten. Er benimmt dem Pramini ‚Bad Leben, 
ud den Examinatoribus die Anſicht des Ganzen, 
vorauf es hier um :meiften ankdmmt. In ſeiner 
lafſe ſey der Lehrer bis auf's kleinſte genau und 
zrundlich; jetzt zeige et und mar, daß er genau und 
randilch geweſen. Die Wurdzel bleibe in der Erbe; 
reine und ihr Gewaͤchs, deſſen Blumen und 
te. 


Fri Ä 
Anthkam es nicht Die Ubficht der Examinato- 
an: ſepa, jeden Schuͤler In ſeinen profoetihus bis 


168 | 
anf ein Haar kennen Ternen zu wollen: denn bieje 

Abſicht wäre nah Ort und Zeit ganz unerreichbar. 
Nicht jeder Schäler har Gegenwart des Geiſtes ge: 
nug, um in jedern Augenblid auf jede Frage: gleik 
. gut zu antworten. Oft verfagt ihm das Gebächtaif 
feinen Dienft, wo er bie Sache felbfi ſehr gut. weiß, 
oft die Sprade. Der etwas bedaͤchtigere Kopf if 
deßhalb nicht der ungefchiditere, und ber. dreifte, 
tede Knabe, der vorfchreiende Staar, der ſchwa⸗ 
bende Papagei, wenn fie fich gleih im Eixamine 
durch Zufaͤlle aur beften auszeichnen, find. befheib 
nicht die wuͤnſchens wuͤrbigſten Subjekte. Hier alſo 
verläßt ſich die Ephorle auf die tabulas. censorias, 
bei denen fie vorausfent, daß fie ohne Haß mb 
Liebe, mit aller Unparteilichkeit eines. Richters umd 
gätigen Vaters abgefaßt find, und bei'm axamine 
felbft bleibt der Wahlſpruch gut und nöthig: «Eile 
mit Welle! Uebereile dich nicht mit Fragen, uͤber⸗ 
eite niemanden in feiner Antwort. Lieber weniger 
Lektionen ruhig und fanft Durchgeführt, ald eine nad 
der andern. wie Wettermolfen vorbeiftreihen laſſen, 
in Deren Mitte man wie in einen Luftwagen fortge- 
fährt wird, und hintennach, wenn man wieder zu 
Erde gelangt, fih nur betdubt fuͤhlet. Nur dann 
wird ein.Eramen für die Antwortenden und Sören: 
- den angenehm, wenn jede Lektion fo lange feſtgehal⸗ 
ten wird, ‚bie die Profectus ber Klaffe in derfeiben wie 
ein Gemaͤhlde mit. Licht und Schatten erfcheinen, und 
man dadnrch zum neuen Gemaͤhlde der folgenden Lek⸗ 
tion vorbereitet, geftärft und gleichfam orientirk wird. 
Elin Lehrer, der feine Klaffe kennet und lieht, ‚wird 

alſo auch die Fragen fp einrichten, baß fie beantwor⸗ 


\ 
N 


— 





- 


19 F 


:t werben koͤnnen, und wird fie an ſolche richten, 


je fie. ihm etwa am beften beantworten mögen: 


jerdurch wird Nacheiferung in bie Kaffe gebracht, 


nd Nacheiferung iſt befler als Beſchaͤmung. Die | 


stummen, die fodann. zueärtbleiben, find fi felbft 
te größte Schande, und ˖es müßte jedem unfleißigen 
shäter die empfindlichſte Beſchaͤmung feyn, daß 
van Ihn am Öffentlihen Examen der Frage nicht 


erth gehalten. Mit nichten aber müßten blöde 


jemäther mit Unfleißigen vermifcht werben: oft 
nd fie die fählaften, zarteften, gruͤndlichſten Köpfe. 
3on dem ex abrupto antworten, halte ich nicht fo 


tel, ald man gemeiniglich davon hält; ja ich glaube, - 


8 fey wahre Spiegelfechterel, aus ſaͤmmtlichen Lel⸗ 
innen eined ganzen Sahres, anf alle Tragen unvor⸗ 
ereitet, antworten zu follen, daß kein Quentchen 
m Gehalt fehle. Wer von uns Eönnte das, wenn 
e fo ex quolibet quaelibet gefragt wärbert Ein 
Spiel zur Zeitkuͤrzuug mag das wohl feyn, aber 
ein ernſthaftes, vernünftiges Examen. Ich fage 
8 hiermit üffenitich, daß Ich ſeit mehren Jahren 
in pdar Tage vorher den Lehrern eine Note zufoms 
nen laffen, welche Lektionen ich vorzunehmen ger 
Achte, uud ich. bin dem feligen Direktor Heinze 
tiefen, wie mehrere gute Gedanken ſchuldig. Nun 
ann der Lehrer felbft die Leftipn anfehen, bie er 
uxchfragen foll, Damit er fie nicht ex abrupto, das 
T verwirrt .umd.praepostere, fpndern vernünftig 
nd gelaſſen fragen: könne. Gr kann den Schülern 
nen Wink geben, worauf ungefähr fie fich noch in 
en. festen Sjunden bereiten mögen, damit fie nicht 
ine umernünftige Furcht betäube, oder fie gar ie 


’ 


- 


170 
Der Iieden img PrÄber nee —— Tops die 
lem rien wolen, ab wein’ zum reifen Timemit 
gar wagerhtet'baftehn. Eine Wihtjarabe Imiden 
Getkonen fe das Examen * ſeya, ſouberu cm 
vernanſeige, vaͤterllche Urbung 
fo tritt nach dem gngefllörten, was dad Ern⸗ 


men nicht ſeyn fol, gar bald an's Licht, wegi’ed 


denn angeftent werde; und der Zweck, duͤnkt mich 


dreifach. 


1. Daß der Lehrer zeige, wus und wie er in 
Ganzen fein Jahr Öffentlich verbracht habe. _ 

2. Daß · die Squͤler zeigen, wie fie ben Unter 
richt genäht. haben,, und eine ‚Gelegenheit bekom⸗ 
men, ihsen Stel amd Gaben.äffentiih darzulegen, 

5. Daß arſchetne, wie die Kluſſen gegen einem: 
der ſtehen, welche Harmonie, oder Diäheenınide ia 
beiten, Methoden, profsstibus x. ſ. f. herrfche. 
Bon jeden will und kann Ih ut. wuinige Worte ſa⸗ 
gm. Die Staat, der Stunt und der Laudecherr, 


der dem Otaxte verficht, haben Macht ib Pluich 


auf ſich, den Suftand einer Pflauzſchalr zu erfor⸗ 
ſchen und zu verbeſſern, die der Stabt Bürger, dem 
Staat dramtete Diener und dem Laudedherrn Werk⸗ 


Feuze bilden ſoll, durch welche er Sefchaͤſte ſeines 


Sandes verwaltet. Dazu ſtud Examinatoren boſtellt; 


—— | 


des offenttichen Rcaminis. - EHER FeiniOüphel, keine 
herabgeerbte nuhloſe Gewohnheit, federn: was bet 
Truppen die Revuͤe, In andern Departenents "Des 
viflon ader Viſitatien genannt wird. Es foß-bifents 
I umterfucht. werben, Meſern die Acmrgeſchriebenen 








m 


Befene, fewohl bie Lektionen, aie Bucht ad Orb» 
mg betreffetb, im Ganze ſind, oberut. Mikes 
zei ſollen verbefietb, Fehler und lnsrbkungen abze⸗ 
teüt, Alagen gehoͤrt, Ungehvrſame zurecht gewirſen, 
ver Fleiß gesicht, der Unſtoiß getadelt und rüber vioß 
tes uupartellfcher Bericht erſtattet werben. Der 
Esherws::niit denen ihn zugeerbaeten Vifitatoren 
anbelt atſo ‚gegen feine Pflicht, wenn er von biefem 
aAlem nicht bie gehinige Notiz nimmt, mub: mit eis 
vom ſchloͤfrien Auge über Werberbutffe und Vorur⸗ 
tete, als ob fie doch nicht zu anbern Teyen, Anweg⸗ 
zieitet. vehrer handeln gegen ihre Pfluͤht, wenufie 
he ihrer Klaſſe verfchwetgen; oder hart⸗ 
* als site Sewohnheltennuterflüben, unb uͤber⸗ 
must irgend erwas an's Licht zu bringen wmitertafien, 
vas zur gefeguäßigen Verwritung des huen auver⸗ 
die vereinigt? 


tepen, Iannibaflelbe an Gange erhalten, vom DRofl, 
yerfig mit! Jahren und Jahrhuaberten in feine Fe 
son anfent, wihnäftg gereinigt und wo möglich in 
Stan; und bie: thaͤttgſte Wirtumg geſetzt werben. 
Dime Eramen nnb Wilitarienenentiihläft jede oͤſſent⸗ 
ie Auftalt und afhmet zuletzt, wie nuch ber Res 
zeude der h. Johames then fett, fanft nad unwirk: 
om im Brabe. 

Ungeachtet ber kurpen geit zeigt ſich Drei: einen 
fentiiäyen Cramen ber Lehrer viellehiht mehr, als 


26 feibfi meoimet: Micht mut feine Lehrart mind 


ffenbar, ſondern auch der Geift uud day Gemüth, 
nit weichem er feine Klaſſe betrachtet wab behau⸗ 
nik Ober die Sprache mad Miſſenſcheit, bie er 


Fe 


⸗ 


— — 


m? 


lehrt, felbft inne habe? wie er fie vorzuträgen 
wiſſe? mit welchem Gluͤck er arbeite? ob er mit 
Werſtand und vaͤterlichem Gemuͤth die ihm Auver⸗ 
trauten anſehe und uͤbe? ob er von ihnen geehrt und 


+ 


geliebt, ober bloß gefürchtet und betrogen werdet 


vb ihm die Klaſſe, mithin auch er ber. Klafle zur 
Laſt fen? das alles wird in einigen examınıbws 
fehr offenbar. Weiß ex nichts, als über Die Schäler 
zn jammern unb zu Flagen, fo ift das ſchon ein bi: 
fes Zeichen: benn wenn ber Schiffer auf dem Meer 
über Wind und Wetter bloß klagen und jammern, 
nicht aber fein Schiff regieren, es über Klippen und 
Strudel, unter Wetter und Winden weiſe führen 
will oder kann, fo tft er ein bifer Schiffer; und der 


‚ tk ein böfer Schulmann, der über feine Jugend 


nichts ale zu lagen weiß. Dagegen zeigt fi, wie 


ein erfahrner Feldherr, wie ein unverdroffener Schlf- 


fer, ber verftändige, unablaͤſſig bemühte, gerechte, 
billige, gütige Lehrer feiner Klaſſe mit Freude und 
Ehre. . Er begt Rechnung ab von dem, was er 


- Sollte und wollte, wie weit er fam und warum nit 


weiter? Was Ihm ober feiner Klafle, und warum 
es ihnen fehlte? Er wird jeden Wink, der ihm 
gefhieht, jeden Rath, der ihm gegeben, jede Bor: 
ſchrift, die aufs nene eingeſchaͤrft wird, willig und 
freudig aufnehmen: denn beffer, fpät gelernt, als 
niemald;: lieber unvolllommen gebefiert, als ger 


uicht, ehrlicher und ebier geftrebt, als gefchlafen. 


Fuͤr einen getreuen und rechtfchaffenen Lehrer find 


die Tage bes Examinis feftliche und: Triumphtage, 


"feine Jahresrechnung wird ihm abgenommen, und 
‚fein em e erleletert ſich, wenn er ſiehet, daß jer 


€ 


— — — — 


178 
mand an ber Buͤrde, bie ihn das Fahr hindurch als 
lein drüdte, redlich und Erdftig Theil nimnıt. 
SGlelchexrgeſtalt ik auch für die Schüler das Exa⸗ 
men eine Zeit des Feſtes. Nicht etwa nur, weil 
die Ferien darauf folgen, und mancher in eine au⸗ 
bere Klaffe oder auf die Akademie gefchidt witd; 
fonbern weit jeber mehr oder weniger Gelegenheit 
bekommt‘, ſich öffentlich zu zeigen, von-feinem Mifs 
fen Rede und Antwort zu geben, und ſich durch bie 


Art feiner Antworten, buch feine Ausarbeitungen 
und Proben, durch das Lob, das ihm gegeben wird, . 


öffentlin zu empfehlen. Mißraͤth ihm auch eine 
Antwort, kaͤmen gleich anch nicht viele Fragen an 


hu, haste er auch das lingläd, von feinem Lehrer. 


aunſchuldiger Welfe nicht genng geſchaͤtzt zu werden; 
e mäß ſich- dadutch nicht. abſchrecken, nit .niedere 
lagen, fonbern vielmehr erheben und aufmuntern 
affen. Guter Muth, Fleiß und Tugend uͤberwin⸗ 


ven alles; dee kommt weiter, bem nicht alles fo - 
rar Teicht gemacht, der aber-dafür In feinem Innere - 


ten gewedt wird: ber fucht deito mehr Lob zu ver> 
tenen, dem das Lob ſauer gemacht, der nicht zum 
ruͤhzeitig und übermäßig gelobt wird. Wapnet euch 
ifo mit Anufmerffamfeit, mit Geduld und Gutmuͤ⸗ 


bistelt, Uebe Schüler; ſehet den heutigen und mor= 


enden Tag für euren Chrentag an. Gebt acht 
uf Arbeiten und Fragen; antwortet ohne Furcht, 
» gut ihr's wiſſet, mit Befonnenbeit,. Sreimüthig- 
eit und der jugendlichen Luft und Liebe, bie euer 
llter fo ſchoͤn kleidet. Muntert eure Kehrer, mun⸗ 
ert uns alle auf, erfreut und alle; fo habt ihr deſto 
ngenehmere Ferien, wenn ihre das Lob des Fleißes 


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Don.der Ausbildung dev Rede und Sprache 
in. Kindern und: Juͤnglingen. 1798. 


Be Nebe weh Spkache den Menſcher 
vom Dhler unterſcheidet, ſo gibt es eine Kuut 
der Sprache und Rede, die unser den Moer⸗ 
fen: ſelbſt vielleicht einen fo großen Urwderſchied 
macht als die Rede zwiſchen Thieren unb Menſchen. 
a: ber. wenigen: Seit, die mir bier vewöͤnnt I, 





werbe ich geigen; das dieſe Kuuſt ber Rede und 


SHeuptgefiäft ber Schulen ſeyn muͤffe 


* 


Wenn wir auf doͤe Melt treten, koͤnnen wir zur 
ſchreien und weinen, aber nicht ſprechen und reden; 
wir aͤußern nur thieriſche Laute. Manche Votter 
und Menſchen verſolgen dieſe thieriſchen Laute 
derch's ganze Leben. — Man ſtelle ſich in eine eine 
Getfernung, in ber man ben So der: Stimme 


8 - “ ” - 
4 . - % \ 


25 


au Meile niqht veruisumt,. ſo hoͤrt un zwar _ 
ER ee Seesen den Truthahn, die Gens, die 


hate, bei manchen Nebnern best: Pfau, die Rohr⸗ 
ommel, uud bei: affeltirenden Schoͤnlingen. den⸗na⸗ 
aͤrlichen Kanerirrvogel; nur vicht eben — menſch⸗ 
iche Schame. Unſer Tharingen hat viel mind, 
ber keinen augeueiuuen Laut ber. — welches 
nan dann am moliſten inne wird, wenn man, wie 


ft der Fall iſt, zuar Toͤne, in einander gezogene 


bout hoͤret, aber den Siun der Mede nicht — 
et. — Süuglinge, die dieſen un 

ekt bloßer Thierlaute an ſich haben, fie mögen — 
Städten oder. = m Lande ber ſeyn, muͤſſen ſich alle 


Bymneflum eine mienfchlihe, na= “ 


— 

charakter⸗ and ſeelenvolle Sprache. ju be— 
ommen, und von ihrer bauerifchen oder ſchrelenden 
Beffenmundart ſich zu entwoͤhnen. Sie muͤſſen das 
Zellen und Belfern, das Gackeln und Kräczen, das 


Lerſchluken und in einander Schleppen ber Worte 


ind Stlben abhdanken, und ſtatt ber Thler- bie 

Menſchenſprache reden. Gluͤdlich iſt das Kind, der 
tüngling, bem von feinen erften Jahren an. ver 
tändlihe, menſchliche, liebliche Töne in's Ohr ka⸗ 
nen, und ſeine Zunge, den Ton ſeiner Sprache un⸗ 
vermerkt: bildeten] Gluͤcklich iſt das Klad, Dem 
eine Waͤrterinn, feine Mutter, ſeine aͤltern Ge⸗ 
ſchwiſter, feine Inverwandten und Freunde, endlich 
eine fruͤheſten Lehrer auch im Gehalt und Ton: ber 
Rede gleichhſam Vernunft, Anſtand, Grazie zuſpra⸗ 
ben; ber Juͤngling, ber Wann wird fie nicht ver⸗ 
dugnen, fo lange er lebet. Denn nur burch Hören 
‚esuen win ſprechen, md wie wir frühe hörten, mie 


Mi 


176 


unfer Mund, unſere Zunge ſich in der Kindheit mb 
jugend formten, meiſtens ſprechen wir fo zeitle⸗ 
bene. Die suavitas oris ac sermonis, .bfe suavi- 
tas quae exit ex ore iſt ein fhöner Eiupfehtingk 
Belek anf den ganzen Weg: unferes Lebens; Juͤm⸗ 
linge, von denen man fagen Fauil, was Eicero von 

den Grackhen und ihrer Matter Eornelte Tagte: 
filios non'tam in gremio edacates, quam m 
sermone matris, haben an diefem muͤtterlichen Ge⸗ 
fen? einer angenehmen, deutlihen, ſanftuͤberte⸗ 
denden Sprache eine fhöme Anlage in Bernandft 
amd Kultur geerbet. 
| Wem dieſes Gluͤck wicht ward, der maß in fei⸗ 

ben Zeiten, bel noch blegfamen Organen feine Spra⸗ 

che beſſern; er lerne fprechen wie die Menſchen, 
deren Sprache ihm am reinften, bentllichſten, cha⸗ 
raktervollſten, Heblichften tönf; Ten eigener Ver⸗ 
ftand, fein Ohr fey hierin Richter. Dieſe Menſchen 
hoͤre er oft und mit Liebe; ihre Stimme umſchalle 
ihn and) in der Einſamkeit, wie dort den Agame— 
non, da er vom Traum erwachte, Neſtors Stimme 
umuiſchallte: 


Eygero Vit Ünvs, dein 7 kur aupeyur’ —* 


Er ahme ihnen aber nicht, wie jener amerikanl⸗ 
ſche Vogel, der die Stimme anderer Vögel nad: 
ahmt, unverfiändig und Inehtifh nad. Junge 
Leute, die ſich zu einer fchönen Rede bilden wollen, 
fallen ungemein bald in's Affektirte, und ich kenne 
mehrere, bie. jeßt noch das Gymnaſium befschem, 
andere, bie es vorbem befucht haben, bie fidy einen 
erzwingen feinen Ton der Stimme, den die Italie⸗ 

y -ner 


177 


er voce finta nennen, eigen gemacht haben, eb 
ex en gleich nicht eigen und feinem Menfchen na= 
th ift. Die Rede iſt Ausdrud der Seele, ein 
darftellendes Bild aller unferer Gedanfen und Em⸗ 
pfindimgen; fie muß alfo Charakter haben, nnd 
nicht den Tönen gleich fepn, die man hinter dem 
Stege hervorgeiget: Wie unfer Körper nicht bloß 
Nerven und feine Fibern, oder zierliche Blut⸗ und 
Saftgefaͤße, fondern auch Muskeln, Sehnen, Haut, 
Knochen hat, und ſolche in gehoͤriger Staͤrke haben 
muß, wenn er geſund feyn ſoll, ſo iſt's nicht die 
weiche, zierliche, entnervte, buhlerlſche Sprache, 
die einen Mann und Juͤngling empfiehlet. Wir 
wollen an ihm Feine dulce loquentem Lalagen hd: 
ten, dulce rilentem, fondern einen jungen Mann, 
der gefunden Verftand, beftimmte Begriffe, Treue, 
Wahrheit, herzliche Rechtfchaffenheit, fo wie in Ge⸗ 
fiht, Handlung und. Geberden, fo aud in ſeinen 
Worten, im Ton. feiner Stimme ausbrädt. Es 
gibt einen Ton des Herzens, ber unmittelbar zum 
Herzen dringt, einen Ton ber Ueberzengung und 
Der gefunden Vernunft, der die ganze Seele ergreift, 
amd als Steger einnimmt; bahingegen ber falfche 
Ton, wenn man Geflunung und Affekte ausdruͤcken 
will, die man weder hat noch kennt, dem Gemäth 
anderer Menfhen viel wibriger und unausftehlicher 
if, ale ein falfcher Ton im Gefange, wenn er auch 
noch fo arg heulte. Wahrheit, Wahrheit Hilde un- 
fern Ausdrud auch Im Ton ber Stimme; ex abun- 
: dantia cordis; weſſen das Herz voll ift, beffen ge⸗ 
Het ber Mund über. Wie die Muſik eine Tomleiter 
hat, auf der. fi bie Stimme auf= und abfteigend 
. Berverd Merde » Philoſ. m Be X. - 42 


. 178 oo. 
‚üben muß, fo bat die. Rebe ein weites Reich m 
Segenftänden, Geſinnungen, Leidenſchaften, Em 
pfindungen, Zuftänden der Seele u. f. f., ber 
Ausdruck fie zu fchaffen, und auf die mächtigfte, ax 
genehmfte Weite darzuftelles hat. Daß fie dieſet 
zu thun vermöge, dazu gehört Nebung: denn aus 
in ber Kunſt feine Sprache zu brauchen, fällt de 
Meiſter fo wenig yom Himmel ald In der Tonkunf. 
In diefer muͤſſen die Finger, in jener. die Organ 
geübt werden, zufammt ben Seelenkräften, aufdk 
ſich die Rede beziehet, deren Wirkung fle dußert.- 
Leſen heißt diefe Hebung; aber ein LZefen mi 
- Berftande und Herz, ein Lefen Im Bortrage je 
der Art, und neben. ihm eigene Compoſitioer 
und ein lauter lekendiger Vortrag derfelben. Die 
ift die Schule, In welcher die Rede der Menſche 
gebildet und geübt wird; ihrer haben ſich im Grie 
henland und Nom bie gröfeften, die gefchäftrele 
. ten und wichtigften Männer hoch hinauf bis in ii 
Alter nicht geſchaͤmet. Sie haben fie angepriefe: 
diefe Schule menfhliher Sprahe und NRedbeäbun; 
Anweiſungen und Regeln in ihr gegeben; fie Haba 
ſich wetteifernd um bie Vervolllommnung der Sp 
he, der Stimme, der Nede befleißigt. Auf di 
Weiſe wurden fie kultivirte Nationen, und-fchriebe 
" ihre Kultur der Ausbildung der Sprahe uud Net 
zu. Wer dleß nicht nethez hatte, hieß cu Darbatı 
und wir werben uns nicht befremden laſſen, daß mer 
uns, fobald wir. nicht unfere Sprache und Rede ihnen 
gleich ausbilden, dafür, was felbft dem Ton um 
Buchſtaben nad) Das Wort: Barbar fagt, halte. 
Das. Lefen, ein lautes Leſen bes beiten Schriß 


























1 


179 


ten in jeder Art des Vortrags, Erzählung, Fabeln, 
Beſchichte, Goſpraͤche, Selbftgefprähe, Lehre und 
dehrgedichte, Epopden, Oden, Hymnen, Luft: und 
Trauerſpiele in Gegenwart anderer, oder mit an⸗ 
yern, ohne Zwang, in der natürlichften Art, gibt der 
Rede fowohl als ber Seele felbit eine große Vielfoͤ⸗ 
nigfelt und Gewandheit. Von der Zabel, vom 
Maͤhrchen an, durch alle Gattungen des Vortrags 
ollte das befte, das wir In unferer Sprache ſowohl 
n eigenen Produkten ald Ueberfehungen haben, in 
eder wohleingerichteten Schule durch alle Klaſſen 
aut gelefen und gelehrt werden. Kein klaſſiſcher 
Dichter und Proſaiſt folte feyn, an deffen beften 
Stellen ſich nicht dag Ohr, die Zunge, das Gedaͤcht⸗ 
id, die Einbildungskraft, der Verftand und Wis 
ehrbegieriger Schuͤler geübt hätte: denn nur auf 
iefem Wege find Griechen, Nömer, Stallener,- 
franzoſen und Britten ihrem edelften Theil nad zu 
ebildeten Nationen worden. Alcibiades gab jenem 
Schulmelfter zu Athen eine Maulfchelle, der den 
rften Haffifhen Dichter feiner Sprache, ben Ho⸗ 
ner, nicht in der Schule hatte; und wie fleißig 
te Sriehem.ipre beften Schriftfteller, wie fleißig 
fe edelften Römer die beften griechiſchen Schriften 
sfen, wie oft fie ſolche abfchrieben, duswendig 
ernten, nahahmten und fih zu eigen machten, 
lingt für unfere neue barbarifche Zeit beinahe wie 
In altes Mährchen. In Stallen weiß der gebilde- 
re Theil der Nation ihre Haffifhen Dichter faft - . 
uswendig; in englifchen neuen Schriften werden 
e zu Zeit und Unzeit angeführt, und mit britti- 
hem Stolz gepriefen; wie fehr die franzöfifche Na⸗ 


Mi 


a 7 


‚180 


Aon auf ihre. Sprache und Schreibart, auf die Pe 
‚ Kter derfelten in jeher Art ftolz Ik, weiß jedermen, 
and nur Dadurch, durch bie Delenfigtelt und Ric: 
tigkeit ihrer Schreibart, durch ihre Immer ber Lage 
der. Sache angemellene Gegenwart des Geiſtes, bard 
$hren immer lebendigen Witz und Verſtand finb fe 
de Freunden und Feinden, was fie find, worbe. 
Sie ehrten die Mufen, fie ſchaͤtzten 1 Umgau 
Komedil als kı Schriften vorzäglihe Talente; bapım 
ſtanden ihnen aud Die. Mufen bei, und haben genf 
ga der unglaublichen Uebermacht, die jetzt ga; 
Deutſchland In Schreden feßt, mitgeholfen. - 
Wir Deutſche hingegen ſind hierinne ſehr nachte 
Alieben; unſer Schul- und Kanzelſtyl und unfe 
Kanzeleiſtyl, ber Regensburger zumal, ſind au 
wahren deutſchen Eichen und Buchen, oft nicht eu 
nal geformte hoͤlzerne Style, mit denen wir wobhl 
Leine Nation an uns loden, aber aud feinen Zen 
todtſchlagen werben. Unſere edle deutfche Sprad 
4 noch bei weitem nicht geworden, was fie fen. 
koͤnnte; unfere beften Schriftfteller find in Haͤuſen 
ft auch in Schulen unbekannt, und an Höfen vr 
Achtet, da fie doc, von Jugend auf die Denkart dr 
Nation bilden, Ihre Iebende Sprache regeln, ihre 
Amgang verfügen und erheitern folten. Kein et 
led Bid, Teine große Geſinnung, Aufmunterm 
und Warnung, wenn es mufterhaft gedacht und ge 
Fagt ift, ſollte bloß in unfern deutſchen Buͤchern un 
Bibeln ftehen, ‚oder makulaturweiſe in unſern But: 
Saden legen, Tondern in den Schulen follte, wi 
auf der Tenne dad Kor von der Spreu geflchte 
Ecdes Ebeifte und Beſte laut gelefen,. auswendi 





- 187“ u. 


zelernt, von Fünglingen fih zur Negel gemadr; 
nd in Herz und Seele befeitiar werben. Wer mn 
er euch, Ibr Tünglinge, Fennt Uß und Haller, Kleiſt 
nd Klopfiod, Leſſſng und Mindelmann, wie bie 
ztaflener Ihrem Arkoft und Taſſo, die Bıltten ihrem 
Milton und Shafefpeare, bie Frangofen fo viele 
hrer Schriftjtellee keanen und ehren? — Diek ' 
aute Leſen, audwendige Vortragen, bildet nit. ' 
me bie Schreibart, fondern es praͤgt Tormen der 
Hebdanfen ein, und weckt elgene Gedanfen; es aldf 
em Gemüth Freude, "der Phantafie Nahrung, dem 
Herzen ehren Vorſchmack großer Gefühle, und erweitt, 
vern:dieß: bet und möglich iſt, einen Nationalcha⸗ 
alter. Mit welchem Entzaͤcken erinnere ich mich 
neiner Jugend; da ich zuerft dieſe nnd bie alten 
zchruftſteller und "die erſten Schriftſteler fremder 
dationen lad! Kaum reicht in meinen ſpaͤtern Jah⸗ 
en etwas an dieſe Freude, an dieß ſauͤße Erſtuumen. 
n der Jugend iſt die Serle der Biene gleich, die 
dem erſten ſchoͤnen Fruͤhllagskag am jedem Kelch 
er jungen Blumen daͤngt, und ihren: ambroſiſchen 
onig ſaugt; zim Herbſte des Lebensgeht man über 
:mähte Wieſen, oder gar über gebraachte und 
toppelfelder. 

Zum guten Lefen: und Auswendiglernen gehoͤrt 
thwenbig eigene Kompoſitien, fo eingeſchraͤnkt 
eſe auch ſeyn moͤge. Man muß ſich im Schreibne: 
en, wenn max richtig ſprechen, wenn man getam: - 
en nnd hören wi. Alſo kleine Aufgipe-von allen - 
"Art; Angszuͤge and Buͤchern theils ſtallenweiſe, 
8 nach dem ganzen Plan-ded Buchs und feiner: " 
ordnung, dieß find die Zellen, die fih der Zei 


182 

Her Biene banet, die Körbe, in benen fie ihren He⸗ 
“ nig bereitet. Nulla dies sine linea, Fein Tag muß 
voräbergehen, wo nicht ein junger Menſch für fig 
felbft etwas fchreibet; er hole nur nach, was er ver- 
geſſen möchte, oder feße fich feine Zweifel auf, ober 
derichtige diefelben, ober exrcerpire ober Eomponire, 
in welcher Hebung es auch fey. Der Stiffel, d. i. 
dei uns die Schreibfeder fchärft den Verftand, fie 
- berichtigt die Sprache, fe entwidelt Ideen, fie 
macht die Seele auf eine wunderbar angenehme 
Weile thaͤtig. Nulla dies sine linea. 


Am innigften aber wirb Sprache und Rebe burd 
Umgang gebildet; und leider wir Deutfche nutzen 
den Umgang zur Bildung unferer Sprache und Rede 
faft gar nicht: darum heißen wir bei andern Ratio: 
nen fo oft ſtumme, oder ungeſchickt Sprechende, 
grobe Barbaren. — Sprache iſt durch Umgang, 
nicht in der Einſamkeit entſtanden; durch Umgang 
wird jeder Ausdruck in ihr gewetzt und polirt. Auch 
im Umgange ſollte man fish nie einen Barbarismus 
erlauben; alle gebildeten Stände in andern Natio⸗ 
nen fprechen im Umgange ihre Sprache korrekt; nur 
ber einzige Deutfche nicht, ber fpriht und erzählt, 
etwa wie die Hebamme in Shalefpeare. unge 
Leute follten fi unter einander aufgeben zu bemer⸗ 
ten, wo jemand von ihnen einen Sprachfehler ge- 
macht babe; dieß iſt keine Pedanterie, fondern ſetzt 
und für's ganze Leben in den ſichern Beſitz eines re- 
gelmäßigen guten Ansdruds. — Noch mehr follte 
man fi Wieiäigen, jedesmal auf's befte und an- 
Ntändigfte zu reden. Wenn man gefragt wird, aufs 


- 


185 


jepkammtefte und gefälligfte gu entworten: ment , 
man erzählen fol und win, auf's anmuthigſte zu er- \ 
‚äblen; oder wenn man eine. Bitte, einen Antrag 
m thun hat, fle aufs beſcheidenſte und wärbigfte 
zu thun; felbft unangenehme Dinge, Verweiſe und 
dergl., ohne Zorn und Grobheit auf die anſtaͤndigſte, 
aachdruͤcklichſte und zweckmaͤßigſte Art zu fagen. Das 
ft der wahre Atticismus, Politeſfe, Urbanität, 
oder wie man fonft den guten Ausdrud in bee ge⸗ 
meinen Sprache des Lebens nennen möge. Durch 
ihn haben fi alle wohlgefitteten, bürgerlichen Natio⸗ 
nen unterfchleden. Antwortet man dagegen einem - 
Fragenden, wenn ed auch ein Unbekannter wäre, _ 
wie ein Bauer, halb, fchief, quer, und weiß nicht, 
ob man den Mand öffnen fell — erzählt man wie 
ein Trunkener, das Vorderſte zu Hinterft, das Hin⸗ 
terfte voran, In ellenlangen Einfchlebfeln und Yarens 
thefen, fo daß man nie zum Zweck kommt, und ur J 
zend den Ausgang findet; uͤberlaͤßt man ſich im 
Scherz groben Zoten, beleidigenden Ausdruͤcken, 
und dem unſinnigen Aberwitz von Wortſplel und Laͤ⸗ 
herlichkeiten, über die niemand lacht, fo Läuft man 
Hefahr, ewig ein deutfcher Bauer zu bleiben, wel- 
ben Rod man auch trage. — Eure Rede fey alle: 
zeit lieblih und mit Salz gemwärzet, fagt YVanulus;z 
and Chriftus fagt: habet Salz bei euch; wenn das 
Salz, wie eure Epäffe abgefhmadt und dumm wer: 
ven, fo [hättet fie auf bie Gaſſe n.f.w. Es gibt 
setn befchwerlicheres Geſchoͤpf der menſchlichen Ge⸗ 
ſellſchaft als ein Menfh von dummen Reden; und 
tein erbaͤrmlicheres Glied unter den menſchlichen 
Sliedern als eine vorlaufende, flolpernde, ftotz 


1 — 1 


tetnde grobe der ungel ad ſpitzlg nd“ felicetat | 
ne, dumme Zunge. | 
um zu dieſer Huͤchternhelt Im Reben des tim | 
sanged und zu einem guten Styl der Geſellſchaft 
überhaupt zu kommen, hat man einige Regeln ber 
Vorſicht nöthig! 1) Mar falle niemanden in die 
Nede; ein Menfh, der dem andern in die Rede 
fat, ift ein Wahnfinniger, wie die Indianer jagen, 
oder wie andere fagen, ein feines Verſtandes nicht 
maͤchtiger, dem niemand viel zutcauet. Im Bud 
Hiod war Elihu fo vol von Weisheit, daß ihm ber 
Bauch Ferften wollte; gr wartete aber doch, bis die 
Alten’ ausgeredet hatten, au's Ende. 2) Man huͤte 
ſich vor gewohnten Eigenheiten und Liebliugsaus— 
druͤcken, dadurch man entweder lächerlich oder ein⸗ 
toͤnig wird, weil man fie gemeiniglich zur Unzeit 
wiederholet. Saft niemand kann Ihnen ganz entge⸗ 
hen; inſonderheit haben fie Leute, die’ viel reden 
möüffen, und ohne Vorbereltung reden; doch aber 
huͤke man fich vor ihnen und ſchraͤnke fie To viel mög- 
lich ein. Man beſielle fih Wächter, die und ſolche 
ſagen muͤſſen, oder fey fich feibft Waͤchter. Jeden 
von uns iſt bekannt, an welche Albernhekt man ſich 
gewoͤhnen kann, wein man nicht auf ſich merket. 
3) Man huͤte ſich vor allem Deſpotismus im Um⸗ 
gang und in ſeinen Geſpraͤchen. Deſpoten im Umgang 
find die unettraͤglichſten Geſchoͤpfe; fie brechen die 
muntere lieblihe Unterrichtung ab, halten “fie auf, 
le fen Be Teitwärts, und prägen Ihre Meinung mit 
> Stoly als Siegel der Wahrheit auf, Sie kommen 
nicht zur Wahrheit und wollen andere nicht dazu 
laſen. Jeder junge Menſch pruͤfe ſich des Abende, 


— 


b) 








u 

ob er Heute eine Unge hnenheit begingrn, "eine wit ' 
gebahrilche Rede gedußert,' einen Discurs verderbt, 
eine Antwort gegeben; oder font ein Beträgen ge⸗ 
zeigt hat, mit dem’ andere, mit dem er nicht zuftie⸗ 
ben ſeyn Fönnte, Zur Unfreundlichkeit iſt uns die 
Rede nicht gegeben. Bel allem kommt es vorzug⸗ 
lich darauf an; daß unfere Rede ganz ſey 
und was Ganzes beftimmt fage. DerDeutfche 
halbirt außerorbentiich gerne, und hält ſich nieder: 
trächtiger Weife an die Halbwahrhelt. ntweber 
antworten wir wie ber Unterofficher mit dem Anlt: 
. tet „Ham! ham!” 'ohne zu fragen, ob ber andere 
daraus Aug werde;’oder wir ſprechen wie Diehit- 
boten, Lakeilen — komplimentenvoll, herumgehend 
um'die Wahrheit. — - Dafür halten uns dann auch 
die fremden Nationen. Ste fagen, man kenne einen 
Deutfhen an feinen Komplimenten, an feiner Anrede 
oder: Antwort, am Toa feiner Unterredung. — Ent= 
weder ſey er ein Groblan, oder kin ſchlelcheader Hofl- 
zer, ‚oft beides zugleich. Dat, was man ſagen will; 
zehn; ganz beftimmt und doch artig, höfld zu fagen, 
ad ein Ende in feiner Rede finden zu Fönnen; das 
iſt der ſchoͤne Ausdrud der Gefellfchaft und des Um⸗ 
ganges. Er ift wie ein ſchoͤner Edelgeftein, ein Kind 
der Natur, aber durch Kunſt gefaßt, vol Sinnes, voll 
Anmuth, vol inneren Werthes, klein und koftbar. — 

- Damit auch meine Rede ein Ende gewinne, 
tretet hervor, ihr Juͤnglinge/ mit freier Stirk uud 
mit erfreuerd lieblicher Rede. Niemand fage 
was er weiß, halb; niemand fage. es furdtfane 
and kuechtiſch. Eure Lehrer werden euch ganz und 
mit väterliher Gewiffenhaftigkeit die Fragen vorles 


- 


ai 4 


186 
gen; mit willigem Ohr find wir hier, eure genug- 
thnenden, euch Ruhm erwerbenden Antworten zu 
hören. — Niemand fiode, niemand zage. Mir 
find hier auf den Auen der Mufen, der Geberinnen 
füßer Rede. Die Stimme der Juͤnglinge zu hören, 
{ft angenehm; die Engel felbft erfreuen fi, fagt 
Swedenborg, wenn Kinder anmuthig reden, 
wenn. fie. mit Holder Stimme lefen, unübereilt, 
and verftandreih antworten, wenn fie mit einer 
tindlichen Gewißhelt, was fie willen und gelernt 
haben, fagen. Gerne fey bier ein Feind, ein Aufs 
Horcher diefer heiligen genlalifhen Nerfammlung. 
An einander freuen wollen wir und, und ia Ruhe 
uns Zeit nehmen, einen Sarten der Wiffenfchaften 
zu durchwandeln, in dem "auch wir einft als Juͤng⸗ 
. Minge Roſen fanden. Jeder ftebe wie Ulpffes Da, 
wie Homer Ihn befchreibt, mit ruhigem Auge und 
gefenftem Scepter, ald ob er was zu fprechen while; 
aber wenn er zu reden anfängt, dann mögen bie 
Worte, wieleichte Schneefioden, einanber folgen; er 
defriedige mit jedem Worte, und man vergeffe alles 
andere über feiner angenehmen wohlkiingenden Rede. 


* 





xvm. 
Von der Achtung, die Lehrer ihren Schuͤlern, 
Eltern ihren Kindern ſchuldig find, 1797. 


⸗ 


Maxima debetur puero reverentia if JIwuwe⸗ 
nals bekannter Aus ſpruch, der Im Zuſammenhange, 


Lu 
. 


187 


wie ber Zuſat zeigt, si quid turpe paras, war. 


eigentlich nur fo viel fagen will: haft du was Un⸗ 


ehrbares vor, fo trage wenigſtens vor Kindern und 
Knaben Schen, und Ärgere fie nicht mit deinem 


Beiſpiel; die Urfache aber, weßwegen der römifche 
Dichter diefe Warnung gibt, laͤßt ſich anf mehrere 
‚Dinge, als auf die bloße Vorfiht, Knaben nichts 
Unehrbares zu zeigen, anwenden; und ſo will ich, 
‚m. H. H., der heutigen Pflicht meines Amts ge⸗ 


‚mäß, etwas allgemeiner von der Schen und Achtung 
"reden, bie Lehrer ihren Schuͤlern, Eltern ihren Kin= 


‚dern ſchuldig find, und einige Worte von der gegen 


m 


‚feltigen Ehrerbietung, bie Kinder ihren Eltern, 
Schuͤler ihren Lehrern zu erweiſen haben, beifuͤgen, 


‚in beidem aber muß ich Ruͤckſicht auf den Platz neh⸗ 
‚men, anf welhem, auf den Zweck, zu welchem ich 


ſprege und auf die kurze Zeit, in der ich zu reden habe. 


Maxima debetur puero reverentia, und ſo 


find wir zuerft wohl alle darüber einig, m. H., daß 


unanftändige Worte und Scheltreden Eitern und 


Lehrern mit feinem Grunde der Wahrheit je zum - 


Vorwurf follen gemacht werden koͤnnen. Wit -wifz 


fen alle, daß der Knabe von jedem ihm öffentlich 
dargeſtellten täglichen Vorbilde gewiß, auch ohne 
daß er's will, ein böfes oder ein gutes Beiſpiel 
nehme; denn in jungen Jahren nehmen wir unaus- 


bleiblich die Sitten, die Reden und Geberben an, ’' 


I 


die wir täglich vor ung fehen, die fih und Im lauten - 
Schall eindrüden, ja gar durch dad Anfehen eines 


Daters oder Lehrers empfehlen; fondern nur das 
will ich anführen, daß ein ehrliebender und ehrbe⸗ 


Am - 
- 


gieriger Knabe durch Beleidigungen diefer Art, 





188°" 

wenn ffe ihm vor feinen Mifſchuͤlern geſchehen, am 

empfindlichſten gekraͤnkt und ſcheu gemacht, ober, 
wenn er wilderen Gemuͤths iſt, erzuͤrnt und erbit 
tert werde. Was bleibt aber einem Lehrer, wenn 
er ungluͤclich genug wäre, die Achtung und Liebe ſei⸗ 
- ner-Schüler verloren zu haben? wenn bie, die mit 
dem gräßeften Zutrauen, mit der innigſten Neigung 

zu ihm kamen, gleihfem mit Mühe Ihr “Herz von 
ihm wenden, weil fie natuͤrlicher Welfe das Unrecht, 
dad ihren Mitſchuͤlern geſchieht, und ihnen auch bes 
gegnen kann, mit innerlich. gefränftem Stolz als 
das Ihrige annehmen, und Ihrem Lehrer. unver: 
merkt die. Liebe und Gunft entzlehen, welche bie 
Hardhabe zu allem Guten find, das in der Schule 
geflältet werden kann. Urbeite nun ferner iu fau- 
rem Schweiß, du armer Zehrer, mit denen bie ihr 
Herz von dir gewandt haben Did wird 3. B. 
niemand zufrauensvoll fragen, wenn er erlebt Hat, 
daß andere auf ihre gutgemeinten Fragen muͤrriſche 
Antworten erhielten: du wirft Kloͤtze finden, wenn 
dur Kloͤtze zu finden glaubt, und deine Schüler dazu 
gemacht haft. Man wird dir genau nur fo, viel 
Liebe erzeigen, als du andern von deiner Seite er⸗ 
zeiget haft, und wenn du im Augenblick des Un⸗ 
muihs einzelne Schuler oder ganze Ordnungen. mit 
Namen belegte , durch die fie gewiß wider deinen 
Willen Ihren Mitfchätern zum Seipött werden, fo 
wundere dich nicht, wenn du ihr Gefühl bes Wohl⸗ 
flandes und der Ehre zuerft-gegen Dich felbft empört 
findeft.- Die Zeiten-find vorbei, da Schimpfworte 
w'rken konnten, was fie. vielleicht auch nie gewirkt 
baden, wahre Scheu und Ehrfurcht: mancherlet 


« - 





-189 ‘ ; 
Urſachen fommen jufammen, warum biefe Methode 
nicht mehr Früchte bringen mag. Bielmehr läuft eine 
. Schule oder Klaſſe Gefahr Ihren guten Ruf zu ver: 
lieren, wenn die Feinde bed öffentlihen Unterrichts 
mit einigem Recht ihr üble Sitten vorwerfen bür- 
fen, fo wie auch ber Stanb bed Schullehrere, ber 
erachtet genug ift, fi nie heben wird, fobald man 
auch nur mit einigem Scheine ben Vorwurf ihm ma= 
chen kann, daß er auf blefe Welſe bag Gefühl ber 
Ehre bei feinen Schülern erfchlaffe oder heleidige.- 
Das Auge der Verdchter Öffentliher Schulen wen⸗ 
‚det fi von ihnen, wie yon einem Kerker für Ungluͤc⸗ 
ſelige zurüd; man verachtet ober beklagt den Lehrer, 
man beklagt und bedauert die Schüler. 
Maxima debetur puero reverentia — das Ge⸗ 
fühl von Recht und Unrecht Liegt tief in der menſch⸗ 
chen Seele, und dußert fih in ingendlichen Ge⸗ 
muͤthern ſtark und lebhaft. Thue einem Knaben 
Unrecht; er fühlt es Inniger, als. es ein Mann 
fühlen wird, ber mit deinem falfchen Urtheil zu- 
gleich den Grund oder Ungrund beffelben fiehet und 
- Aberfichet. Jener kann und darf fich vielleicht nicht 
verantworten, fühlt er aber, daß ihm wehgeſchieht, 
und daß er bloß durch feine Jahre und feinen Schul- 
ftand verdammet fey, hier deinen Eigenſinn, dort 
deine muͤrriſche Laune zu tragen, jetzt eine böfe 
Nachrede die dir zugefiogen iſt, unfchuldigerweife 
zu entgelten, jetzt unter deine ihm unbegreifliche 
Eonderbarkeit fih zu ſchmiegen — was kann in fel- 
nem Herzen auffeimen ald Unmuth und die Be- 
gierde, fobald es. möglich tft, von die ſen Launen 
‚ befrelet zu werden. Vielleicht, wenn er böfes Ge⸗ 


“ 


190 


muͤths iſt, macht er mit aubern einen gottlofer 
Chor, dich insgeheim zu verfpotten; und noch lang 
nachher, wenn cr ben Schulbaͤuken entkommen If, 
wird er mit Schmerz oder mit Spott deine Chorkel: 
ten erzählen. So pflanzen fih oft Klaffen= ml 
Schulgefhichten lange, und felbft nach dem Tode 
ber Lehrer fort, wahrlich weber zum Außen, ut 
zur Ehre bes gemeinen Weſens, in welchem fie ih 
Geſchaͤft trieben. 
Maxima debetur puero reverentia et cura: 
denn die aufwachſende Jugend iſt ber groͤßeſte She 
des Staats. Aus ihr kann alles Sute und ale 
Schlechte werden: denn In ihr weiches Gemüt 
drückt fich alles Gute und Schlechte ein. Schon Is 
den Schuljahren koͤnnen Jünglinge an Körper un 
Seele verderben, und aufihre ganze Lebenszeit ver 
luͤmmeln, ober fie Fönnen zur Frende ihrer Eltern 
zum Nutzen bes Staats, zur Ehre der Welt und 
der Wiffenfchaften wie blühende Biume heranwach 
fen, und auf ihr ganzes Leben wie ed auch fey: 
follte, den Grund zur Urbeitfamkeit, zur Ordnung 
zum guten Gefhmad, zur Tuͤchtigkeit in allen Ge 
Ichäften, Eurz zur Tugend und Glädfeligfeit Legen. 
Yun aber haben Eltern nichts Weriheres als Ihr 
Kinder, der Menſch Hat nichts Schoͤneres, al 
feine Jugend. Iſt diefe verloren, fo bar er feh 
Beſtes verloren: iſt zu biefer Seit feine Seele ge: 
kraͤnkt oder vernahläfligt, gefrimmt, ermattet un 





u fhlaff geworden, fo ermuntert und erholt er fid 


kaum wieder. Brich du diefem jungen Gewäds 
fein Herzblatt. ab, zerknicke feinen jungen auffire: 
benden Wuchs; du wirt es bald verwelft, ober, fo 


TE In u — — mn — - 


— — m m mE WE = SI TE ou na m 


191 - 
lange es da fft, wirft du vieleicht eine armfelige 


- Pflanze. an Ihm bedauern. Ich will und mag den 


Gedanken eines öffentlichen Inſtituts nicht ausden- 
Ten, In welches junge Gemüther in den fchönften 
Sahren ihres Lebens kommen, daß fie auf Lebens- 
zeit vielleicht verwildern, oder verwelfen. 

Icch habe In meiner Anwendung der Lehre Ju⸗ 
venals bei jungen Leuten ein Iebhaftes Gefühl vor: 
audgefeßt, von dem, was vor oder mit Ihnen ge= 
fchleht; und ich laſſe mir diefe Ueberzeugung, daß 


fie Gefühl und zwar oft ein fehr feines und richtige® 


Sefühl haben, nicht rauben. Das Auge eines 
Juͤnglings bemerkt wahrer und fchärfer, als das 
Auge manches Mannes und Grelfes: fein Urtheil 


iſt oft unpartelffcher als eine Meinung, die fih 


bloß aus der Gewohnheit erzeugte und auf dem traͤ⸗ 
gen Schlendrian ruhte. Wir werden alle darüber 
eins feyn, daß der Merftand junger Leute am mel- 
ften, ja einzig, dadurd gebildet werde, wenn man 
verftändig mit ihnen umgeht, zutrauend mit Ihnen 
ſpricht, und das wilfenfchaftliche verftändig treiber; 
Daß ihr Herz am meiften, je einzig, dadurch ge— 
wonnen und gelenft werde, wenn man Ihnen ein 


vaͤterliches, freundfchaftliches, wohlmeinendes, un⸗ 
. verdroffenredlicheg, gutes Herz zeiget. Der müßte 


ein Teufel aus der Hölle feyn, der In weniger Zeit 


acht dadurch gewonnen ober gelenft würde, und 
wuͤrde er's nicht, fo bat der Lehrer feine Pflicht ge: 


than und träget bei feinem wohlmeinenden, billigen, 
menfchenfreundlichen Herzen den Lohn in fih. Hinz 
‚gegen verllert man felbft In weniger Zeit alles edle 


„Gefühl und die fhönfte Freude des Lebens, ſobald 


— 


1.49% 

-. m. ſich in ne et febt, | Menfen 
‚wie unemp e zu behandeln, und dem auges 
—* Gebrauch ber. Vernunft und. Billigkelt gut 
beguemer Gewohnheit. zu entfagen. Der alte Te 
zenz..hat. in feinem Luftfpiel „bie Brüder“ Härte 
und Güte neben einander geſetzt, und ber letzten 
‚ob er fie gleich mit.vieler Schwachhelt mifchte, dew 
noch den Preis gegeben. Inter ben, Philologen u 
feres Tahrhunberts darf man nur, am ‚Ende de 
Geßnex'ſchen Iſagoge, die auch In dieſem Spmuafı 
eingefuͤhrt iſt, den Artikel de educatione. leſen, 
Am Grundſaͤtze der Sanftmuth und Billigkeit zu fu 
‚den, bie, wie mich duͤnkt, der Natur und Erfah 
„zung volllommen gemäß find, und jedem ben Wunſch 
ablocken, auch. fo erzogen zu ſeyn, wie man bier 
die Erziehung in ‚Regeln bemertt findet. Ded 
warum Tollte ich fie ſeibſt nicht anführen , . da fe 
‚meinen Satz auf die lehrreichſte fchönfte Weiſe be 
kraͤftigen: Cogitare jubet philosopbia, fagt en 
patres et qui vicariam illorum curae provin- 
—cgiam imponi sibi patiuntur, nihil esse sollicita 
‚cura dignius unoquoque puero, qui possit, 
‚prout tractatur, magnum bonum fieri suorum 
et reipublicae velmagnum malum. Posset induc- 
tione ostendi, pleraque vilia, quorum nomine 
‚accusatur naturae nostrae corrupt.o, a pravi- 
tate et stultitia educantium oriri. Quantun 
ergo fieri potest, max ab initio curandum est, 
ut.ament eos, a quibus formari docerique 
debent, blanditia quae grayitati nihil dero- 

. get, indulgendis voluptatibus innoxiis, ignos- 
cendo erroribus; efficiendo praesertim ,. ut in 


. bene- 





\. 
193 
benefieio ponant doceri, poenam autem maxi- 
mam putent, si hoc illis negetur. Maxima de- 
betur puero reverentia, ut conservetur aucto- 
ritas, ne noceatur illi exemplo. Adducantur 


parvi, ut statim quidem parcant jussi, deinde _ 


vero rationem requirant et discant, cur facien- 
dum unumquodque fuerit. In primo vel men- 
dacio vel damno dolose dato, quam vehementer 
fert humanitas castigandi et vix denuo poena 
opus erit. — Non postulandum est ut per 
omnia sapiant, ut graves sint pueri, h.e. ut non 
eint pueri. Unus et constans.tenor disciplinae 
‚bservandus, qui consuetudinem inducat; pro- 
aut erescit intelligentia, usu ratio est confirman- 
Ja. Inprimis omnibus virtutum laudibus atque 
exemplis aures illorum personent, exercenda- 
zumgque illis oecasiones subministrentur. Tur- 
pitudinem omnem despaere et abominari in 
aliis, maxime in se consuescant. — — Cum 


 puniendum est, misericordiam potius quam 
; iram prae nobis feramus, laetemur rebus illo- 
rum bene gestis tanquam -felicitatis auguriis, 


Amor denique et cura ipsorum salutis undique 


_ eluceat etc. 


Kurz, m. H., das Licht leuchtet durch ſich ſelbſt; 


| Feuer wird nicht durch Eis, fondern durch Feuer er⸗ 


zuͤndet. Das Gefühl der Naceiferung und Ehre 
wird nur durch edle Vorbilder erwedt ; Anftand, 
Thaͤtigkeit, —— eine ſchoͤne und leichte Weite 
zu hanbein, fernt fh -. ra * 
gforzgeſetzter ſſlüer Bee und fafl einzig aus 
venliebe nur durch Liebe, . o wird aub Ge⸗ 


gegenſeitige 
Horb Werte). 9 —*— N nyrerbietung 


( 


294 


nur Durch zuvorkemende Billigkeit vaterliche Sreue 
unb ſorgſame Achtung erweckt; wiealle, fo theilen 
ſich auch dieſe Gefinnnugen unvermerlt mit; mul 
wehl der Kaſſe, wohl der Schule, in der ſie gleide 
fin: gzum taͤſllchen Siemenb werdene ein ſchoͤnes 
Band, das Lehrer und Schuͤler täglich: feſter laupfet 
Mun waͤrbe Geßnern mad mich übel: nenftehen, 
wen glaubte, daß iche ſratt ſtoeuger Baht: mh 
Hinktiihen Grhorſacus uud 


Ordnung, fehtt: einds 
einer feſten Mugehnäptgteit im Arbeiten, Sewehe 
heiten und Sitten, jene 


ber uhlreichen Berſammlung von Menſchen nf 
Ordtn ung herrſchen, wem. nicht alles zuui ar 
‚werden —— ‚aber kanm une ſtatt finden, 
on auf fie: wit eruͤſter "Strenge. gehalten wirh 
and faſt dad Weite; was bie Jugend ain 5* 
Schulen lernen fol; iſt Ord aung. Süubsebinatten 
med puͤnetilcher Geherſam muß ſo wie Tab Keleg⸗ 
heer und auf per Schiff, Tor bei jedem oͤffeutliches 
Sefchuft ſeyn, an welchem mehrers zu arbeiten ha 
ben; alſo gewiß auch in der Schule. Eigenſin 
und zuͤgelloſe Frechheit, Ungehorſam vnd grebe 
Haloſtarrigkeit muſſen durchaus nicht gebwäber wet: 
sen. Hievon bin ich ſo uͤberzengt, daß ich Bas 
Schulge ſchaͤft wie ein⸗ IHoͤllen eual e ophee ww 
der Danalden auſehe, fo fange: ber Lehrer miqht 
if in ſeiner Klaſſe Here, ſ feiner Schuͤler maͤchen 
eines jedeh Winkes, den er oibt, gewiß M. 
Dieſe —*— Ordnung Tann. har auf niches ai 
auf Vernunft und Billigkeit gebauet ſeyn, der 


405 


———— Das Geſetz Naß hereſchen und 
Lehrer darauf halten, mit Lindigkeit ober 
een „allemal; aber Jeibenfhafties, mit Liche 
nud Suͤte. Von innen heraus, vom Gelft muß es 
auch hior anfangen» fe daß der Schiller in weniger 
Seit aa thattteh begroifen lerne,, warmu ihm fo und 
nicht - andere zu: handeln erbaubt werde. Das vor⸗ 
nohmfie: Mittelalfo zu dieſer allgemoiaen Ordnung 
m: Beaſchaͤftignag, lebhafte Beiäftigung. bez 
Saele des Knaben, ſo daß diefer gleichſam nicht 
Zeit habe, ausguſchweiſen oder muͤßig zu ſeyn. Aus 
Der Soele Deo Lehrers theilt ſich dieſes Feuer mit, 
nnd verbreitet ſich wie eine elektrifche Kette auf die 
Edeln und Fleißigon zuerſt, von ‚biefen eudlich and 
auf Ma Rmdgen. mad Daumen. Gobald jeder ſie⸗ 
het, daß er micht undemerit bleibt, fobald ex ges 
wahr wird, daß zuyar nie amd Unrechtes von Ihm 
geqordert, ihm mir etwas, was seit wiſſen 
oder chun konnte, -unbillig zugemuthet werde, daß 
man ahm aber auch nichts nachſieht, und daß fein 
Unveeht zu reychter Zeit zwar mit. ſchononder Haud, 
| aber dennoch au's klare Licht Lammt, fo wird er ſich 
emdlich · mohl huͤten lernen und umter „Die Ordnung 
ſehmiegen. Gelingt es dem Lohrer nun gadaß er 
neben. der ſtileg Liebe zur Wiſſenſchaft auch 
oͤffentliche Ehre und Nache iferung In feine 
Klaffe gu bringen: weiß, fo fehlen ſich Sucht und 
Orduung ˖ von ſelbſt dar. Sn Mort, ein Blick, 
ein leiſer Wink von ihm wird mehr ausrichten, 
als hundert Scheltworte und aufahrende Sitten 
peodisten, uͤber die man ſich aus Gewohnheit hin⸗ 
andiekt, oder die muͤßig um's Ohr ſauſen. 


| | 
196 
Gluͤcklich tft ber Lehrer, ber bad Herz fen 
Schuͤler in feiner Hanb hat und ed lenken kann, we 
Hin er will! Sluͤcklich Hit der, dem fie folgen, ſelbkt 
wenn fie auch noch nicht wiffen, warum er- fie diefet 
‚Weges führe. Gluͤcklich, wen fie an feittem Ge⸗ 
burtstage wirklich mit Bändern der Liebe binden 
Freilich Liegt bei diefer fchönen Gabe, Zutrauen u 
Llebe zu erwecken, oft eine gluͤckliche Natur zum 
Grunde, vieles aber und das meifte rührt doch de 
von ber, nicht wie man ift, fondern wie man fi 
beträgt, wie man benft und handelt. Wer feine 
‚Stande ober Gefhäfts müde Ift, wer fein Aust, wi 
der Jugend umzugehen, als eine befchwerliche Lat 
"träger, dem iſt der fchönfte Segen entnommen, bes 
uns die Vorſehung zutheilen Tann, nämlich, m 
anferer tägiihen Arbeit Freude gm * 
den, und an ihr Immer ſelbſt als Juͤnglinge zı 
lernen. Dieß iſt der gute Geiſt, den jener Köntg 
im Pſalm ſich erbittet, der freudige gewiſſe 
Geiſt des Lebens. Er ſtaͤrket ſich In feinem 
Geſchaͤft durch Gewohnhelt, nimmt mit den Jahren 
eher zu, als ab; arbeitet nicht vm Lohn oder Ehre, 
and empfängt beide um fo ſicherer und reiner, weil 
er nicht für fie arbeitete, weil er nicht an fie Dachte. 
Vorzuͤglich iſt er Ein Geſchenk wärbiger Schulleben 
geweſen, wie: die gelehrte Geſchichte beren ein 
große Reihe zu nennen weiß. "Dem Neide und be 
glänzenden Welt verborgen, lebten fie befto giädtt: 
cher im Krelfe junger Menfchen, an deren Bluͤthe 
fie fh freuten, und bie ihnen auch Im grauen — 
noch etwas von ihrer Munterkeit, ihrem empor: 
ſchießenden Leben mitzutheiien fchienen. Non die: 


N 
L 


— 


. 197 
en geliebt und verehrt waren fie auch In ihrer Ar⸗ 


suth gluͤcklich, in ihrer täglichen Geſchaͤftigkeit ver 


nuͤgt, und Durch eine ſtille Gewohnheit Gutes zu: 
an zund zu lehren, allenthalben das honestum. 
hren Schülern beliebt zu machen, und fi an je; 
em Zortfchritt derfeiben zu erfreuen, gefundb und 
eiter. ‚Beid warb es denn ein ſchoͤner Lohn für: 
ie, ‚die. als Erwachſene in Ehrendmtern zu fehen,. 
san. fie ald Tünglingen fchon Liebe und Achtung. 
zeigten, und eben durch biefe Achtung, oft nur 
urch ein ftilles Mort, das dieſe Achtung mit Freude 
md Hoffnung ausdrüdte, andern Mitfchilern un⸗ 
emerkt, einen unauslöfhlichen Funken in fie ge= 
vorfen hatten, der fpäterhin in die edelften Flam⸗ 
nen ausſchlug. Mit inniger Frende erinnert ſich 
ver Tüngling oder junge Dann des guten Worte, 
as ſein Lehrer Ihın:fagte, ‚bed Lobes, das er ihm: . 
us einem Knaben gab, der Hoffnung, bie er fih 
son ihm zu machen fehlen, und bes Gluͤckes, das er 
hm gleichfam väterlich weiſſagte. Einzelne Worte 
ieſer Art find oft die fruchtbarften Samenkärner 
uͤr's ganze Leben bes jungen Menfchen; fie mun⸗ 
ern Ihn zum Schwerften und Würbigften anf, und 
treiben unvergeßlich In feiner Seele. — — :- 

Ih wende mich num zu euch, ihr Schüler, und 
ehre den Satz Juvenals In jene Lehre Quintilians 
ind ſo vieler andern, ſelbſt heiliger Schrlftſteller um: 
naxima debetur parentibus et qui parentum 
unt loco, reverentia, unter welden die Lehrer 
ewiß die erfte Stelle einnehmen. Gehorchet euern 
ehrern unh folget ihnen, denn fie wachen für eure 
Seelen, So ermahnet die Schrift; und dieſe Er⸗ 





"208 
mahnung beytehef ſich (init allein ut 
: ——; D CVc5 — 


a n Seelen, ihre Sem anonatſo⸗ 
geruif niert dad GIhE des pugen grenfait dee 
Jeder meh bene, whk | 


Hebten, noch mehr aber durch fere Kepler md 
gehungen madt: denn fchon eirertet ge 
Demerkung oftmmd täglich gu vlederholen / vie ſeſte 
einen fat ade Jahre wieder au teeibenn, und at 
ften aber diepelben Fehler and BBergehingeni het“ 
Awieberfommen zu Sehen, fhon bieß iſr/ eiue up! 
abmattender niederdrüctende Mühe und Beſchwen 
Wird diefe Veſchwerde mn: gat ein nagenber 9 
an der Serie des Lehrers daßor feine grbeh* 
verloren achtet, umd ftatt des Dauks ame ke 
Kraͤntungen von feinen Schotern erlebe®3 wehrt 








die In der Schule nichts taugten. - Der He 
und mußte ein Soldat, der anbere ein komdbler 
der dritte noch etwas ärgere , ein ſele cer Sun 
ſteller, ein erbaͤrmkicher ueberſehet, ein # i 
Ticher abmöbfenfehrefber m; f. f+ Werden fie tiu 
ten die Hoffnung der Vorlaen; bexfändigten f 
an Wohlthaͤtern, ‚Eltern und Lehtern, und wart“ 
und biteben anf’Ihre Lehentzelt Unkraut. erm® 
‚net euch alſo, m. L., und — Liu 


. vys - 
ven der Bernunft, des Fleißes, und ber Ehre von 
Qugend auf. Jede Alaffe, jede Ordnung in der 
taffe, jede Koborte, bie zufammen in die Klaffe 
Jam, oder die fonft ein gemeinfchaftliches Geſchaͤſt 
treibt, made ein Ganzes aus, wo in Beobachtung 
der Pflichten einer für alle, ale für einen ftchen, 
wid Keinen Verführer ber Unſchuld, keinen Spötter- 
feines Lehrers oder feiner Mitfgäler, Beinen Laͤrm⸗ 
wahrer, Cabakraucher, Sartenfpieler, keinen un⸗ 
zuͤchtigen, oder gar abſcheulichen Menſchen unter 
Hi dufde. Sobald In einer Klaſſe dlefer gemein⸗ 


ſchaftliche Geiſt, ein gemeines Gefühl ber Nacheife⸗ 
rung und Ehre merfbar wird, iſt der Weg zu allem 
Guten gebahnet. Run darf der Lehrer feinen Ruͤ⸗ 


— 


cken wenden, und man wird nie mehr ſogleich ein 
Freudengeſchrei junger Affen hinter der kaum ge⸗ 
ſchloſſenen Thuͤr hoͤren: denn in einer Klaſſe, die 


ein Gefühl für Pflicht und Ehre hat, ſitzen keine 


Affen, fondern Menfhen. Wie ber Soldat bie 
Sahne feines Regiments hoch halt, fo wird jeder 
Wohlerzogene für den guten Namen feiner Klaſſe 
forgen, und Ehuerbietung für dan Lehrer haben, der 
diefen guten Ramen bewahret. Sobald nur einige 
mwohlerzogene, gutgeartete Schüler in einer Klaſſe 
die Oberhand haben, muͤſſen nothwendig die andern 
fchweigen, und ſich vor ihnen ſchaͤmen. Mit ausge- 
zeichneten Mäßtggängern und Lotterbaben wird Fein 
ehrllebender Jüngling umgehen; vielmehr werben fich 
die Guten nicht nur in mufchuldigen Vergnügen zu⸗ 
ſammenthun, fondern auch um fich in Sprachen mit 
einander zu üben, bie Lektionen mit einander zu _ 


wiederholen, ober. ein ruͤtzlihes Buch am lefent 


- 


200 


Sreunbdfchaften der Art, wenn fie auf Aehnlichkel 
des Gemuͤths und auf reiner Sittlichkeit ruhen, 
dauern oft durch's ganze Leben, und find noch im 
Alter erfreulich; dagegen ein Babe und Werführer 
gewiß fepn kann, daß er von feinem Verfuͤhrten, 
fobald diefer zur gefunden Vernunft zuruͤckkehrt, 
lebenslang gehaßt und verabfeheuet werde. Kurz 
ihre Zünglinge, Söhne braver Eltern, die Hoffnung 
zutünftiger Jahre, habt Achtung für euch ſelbſt, 
babt Achtung für den guten Namen eurer Klaffe, und 
Drduung, Gehorſam, Liebe und Hochachtung gegen 
eure Kebrer, die ihr fir eure beften Freunde, nit 
für Gegner und Feinde anzuſehen habt, habt Hoch⸗ 
achtung für biefer euch prüfenden Verſammlung. 
und erfreuet und alle durch die muntere Nechenfchaft, 
bie ihr von euerm Fleiß, von euern Fähigkeiten und 
Tüchtigleiten ablegen werdet. . 
Der Himmel fegne unfer Inftitut! 





XIX. 
Bon Schulen als Werfftätten des Geiftes 
“ Gottes, oder des heiligen Geiftes. 1797. 


Unfere Vorfahren nannten die Schulen Werl: 
. ftätten des Geiftes Gottes; eine altväterifhe Be⸗ 
nennung, von der man fi vielleicht wundern wird, 
daß ich fie in unfern Zeiten mwiederhole, und nicht 
lieber vom Tempel bes Apollo, der Mufen und 
Grazien rede. Die Benennung, recht verftauden, 
druͤgt aber eine ſo edle Sache, und zwar viel ıyahı 


201 


xer und inniger aus, ale ale jene Idolenausdrüde 
vom Tempel des Apollo, ber Muſen und Gragien 
mnur bezeichnen mögen. / 

Geiſt Gottes hieß befanntermafen von den 
Altefien Zeiten ber bewegenbe mädtige Na— 
turkraft, jene lebendige Regung, die den 
Seſchoͤpfen Leben mitthellt, die durch Wirkſamkeit 
ihr Leben erhält, ihre Kräfte ſtaͤrkt und fördert. 
& etft Sottes hieß Ihnen In menfhlihen Seelen 
jede edeifte Kraft, wenn fie fih In vollem Ge⸗ 
auf ihres Daſeyns auf bie vorzüglichfte Welfe 
äußert. Geiſt Gottes ‘hieß ihnen endlich jene 
fortwährende Tendenz des Menſchen, immer, 
vollfommener zu werden, heller im Verftande, rei⸗ 
ner im Herzen, Eräftiger im Willen, von innerm 
Vorwurf frei, der Gottheit nahe, ihr verwandt, 
nach ihr gebildet. Die fchönften Sprüche und Auf . 
munterungen bierüber ſtehen in einem vom Geiſt 
Sottes gefchriebenen Buch, der Bibel, die uns 

viel angenehmer und lockender wären, wenn wir fie 
ohne Efel und Vorurtheil, in dem Geift, in dem 
fie gefchrieben find, hell und aufrichtig läfen. Es 
fey mir vergönnt, eine kurze Anwendung hievon auf 
bie Schulen zu mahen, und den alten Ausdrud 
„Schulen feyen Werkjiätten des Geiſtes Gottes, ei⸗ 
nes heiligen Geiſtes,“ nicht nur zu rechtfertigen, 
fondern chriſtlichen Schulen als ben eigenften und 
angemeflenften zu vindiciren. 

I. Was vom Fleifh geboren wird, das iſt 
Fleiſch; das heißt, nicht nur es tft ſchwach und un⸗ 
kraͤftig, fondern auch es gehet dem finnlihen Ge— 
nuß, dem Zeitvertreib und Zeitverberb, angenoms 





292 


menen Gewohnheiten, Inſtinkten uud Wegterbm 
nach; Gelſt muß ihm angebitwet, mm in ihm 
wie durch eine neue Geburt erweckt werben, daß er 
einen edleren Genuß als den Genuß der Stun, 
einen edlern Zweit des Lebens ald Settvertreib uw 
Beitverderb kennen lerne, daß Hebung Hierin ihn 
zur Gewohnheit werde, und er fi in biefem 
hoͤhern fchömern Juſtinkt gteichfam als ein neues Hi 
heres Geſchoͤpf, froh, frei, wirkſam und gihetie 
fuͤhle. Wir wiſſen alle, die Seit der Kindheit und 
Jugend iſt die ſchoͤnſte Zeit biefer moraliſchen BE 
"Ing und Umblibdung, daß aus dem kkeinen Die 
fhenthier ein Menſch, daß ans dem Skluven ber 
Sinne ein überiegendes, freithätiges Wefen werde. 
Ale Erziehung gehet dahin, oder foll dahin gehen, 
dem Menfchen diefe innere Macht, diefe einmwoh- 
nende Weilsheit, dieß reine Auge, diefen heilen 
Berftand, heiligen Geiſt zu geben, ohne welche 
alle ertverbenen Kenntniffe und Geſchicklichkeiten md: 
ßiges Iubehör oder Werkzeuge zum Verderben wer 
den. Wie ſchoͤn kleider das Kind, ben Juͤngling 
jede Spur einer moralifchen Bildung, bie man au 
ihm wahrnimmt! Gibt es eine holdere Stirn, ein 
fchönered Auge, als in welchem Zucht und Scham, 
Aufrichtigkeit, Zutrauen, Beſcheidenheit und Liebe 
— Geiſt Gottes wohnen! Gibt es einen ſchoͤnern 
Metz der Geberden und Glieder, als wenn fie mit | 
reiner Unfchulb, mit fanfter Gefaͤlligkeit, gleichſam 
sie mit dem Dei ber Freuden zur Ihönften Thaͤtig⸗ 
Seit gefalbt find, und täglich gefalbt werben. Der 
Auedruck jenes ebrätfhen Juͤnglinge, in dem von 
Kindheit auf der Geiſt Gottes wohnte, und ihn zu 


- 308 

Panic: Aufuiunterung · rine pedhetchei Zutunſt ſelnes 
Aebeus zehtn:. Wie follt eh etwas Unwuͤrdtoes⸗ 
Da wider Bett, das Weifige, bas in mie 
if, finbigend hat fo etwas Sthoͤnts und Mide 

+98; daß es allein im Stande It ,; einen Juagling. 
Bar vich hellige in ſich, der ſich ais den Tempel el: 
or görftigen Geiſtes erlennot, tot allem Unwuͤr⸗ 
digen , Riebrigen, Gtweinen zu bewahren, Wie 
fol’ ifch - ekwad unwuͤrdiges thun mb wider bus 
eifede Wefagt 4 meiner Brut ſandinen⸗ Ye aus: 
serökäneten Menſchen hatten dioß edleve Gefuͤhl in 
Ki, das ebon fie on gemeinen: Meuſchen auszolch⸗ 
Fete, das ſie vor allbm Gemeinen,Medrigen und 
Riehertraͤchtigen · bewahrte. Es warthr Styutz und 
Schiem, ihr NRathgebor und Waͤchter, he warner; 
Der Fround, ihr gebletender Damon, der Ihnen, 
Teatt der beiten Heerſtraße uͤppigot Phantafie und 
gürfteruhelten,, den ſchmalen Weg, die enge Pfotte 
Dr6 abns und: Woblgefalleus bei Dott und Mon⸗ 
ſchen zelgte; fie innen nicht har geigte, fonbern die⸗ 
fen. Weg zu geben, die Pforte zu durchbringen fie 
antrieb — ein mächtiger, belebeuder, ruhiger 
Seife, der Geiſe einer fortwährenden Seihfiteflr: 
«ung; der Getſt der weht. „Er et‘, fagt 
jenes alte, fadne Buch, „nicht m eine bos hafte 
„Seele; er wohnet nicht in einem von Laſtorn enf- 
„weiheten Körper. Der heilige Gehft,, der recht zu 
„denken bebrete/ weicht von den Nuchloſen, und 
‚übertäßt fie ber ‚Strafe, bie fie über fi ſelbſt 
„verhaͤngen, da fie denn nie ungeſtraft bieiben ? 
„dern Gott Ift:Zenge Aber alle Gedanken und erkeu⸗ 
met: alle Herzen, md hoͤret alle Worte; 





205 
\ 
» "Düntt es ihnen nicht, m. H., dänkt es euch 
nicht, liebe Juͤnzlinge, daß es in biefeass Sinn fuͤr 
die Schule ein edler Name ſey, Werkſtaͤtten des 
heiligen Geiſtes zu heißſen? und was ſie heißen, 
zu ſehn oder zu. werben? Was helfen alle-MWiffen: 
ſchaften · ohne Eitten? Was heifen alle erworbenen 
Kenntniſſe ohne Gemuͤth? — Wir willen alle, 
daß. unſern Zeiten: mit Recht der Worwurf gemacht 
wird, daß nicht, wie in ben alten und älteften Zei- 
ten, unfere Weisheit im Leben ausgedrädt wird, 
und von Sitten ausgehend, auf Sttten zuruͤck⸗ 
fehret. : Sie wohnet hei ung, mehr im Kopf ale im 
Herzen, und bat meiſtens mehr anfer Gedaͤchtniß 
bereichert, alk unfere Dentgri uud Sinnes⸗ 
art gebildet. Die unermeßliche Luxurie in ben 
Wiſſenſchaften, ihre faſt unüberfehbare Vermehrung 
bat ung zu Sklaven. des Willens gemacht, oft ohne 
alle Selbitbildung; wie manche Jugend: Seele 
ging tm trugeriſchen Doean der Vielwiffenheit, ber 
Allgeleht ſamkeit, an.einer Scylla, bei einer Cha⸗ 
subde ober auf glatter Woge unter! — O Lehre 
Geiſt Gottes zuruͤck! Geiſt Gottes ber alten und aͤl⸗ 
teſten Zeiten! als die Weisheit noch Uebung, als 
das Lernen noch Weisheit war. Kehre inſonderheit 
in die Schulen zuruͤck! In unſern Zeiten, da hinter 
den Schulen auf Akademien oft das wuͤſteſte, wil⸗ 
deſte Gewirr der Ihe Nicht-Ich — ih 4 wit 
Ich, und ein Sehruͤll niedriger, grober Zaͤnkereien 
fie erwartet... Kann man auch Trauben lefen von 
ben Dornen? Jeder. gute Baum bringt gute 
Srüßte ; an .den Früchten erfennt man den Baum; 
au Eitten und Thaten lerat man eine Weilsheit er: 


Pr 


- 


| 





' "405 
Tannen, wei Beiftes fie ſey? Ob jene Weisheit von 
oben her tft, die, mie Jakobus ſagt: keuſch, fried⸗ 
fam, gelinde, laͤßt ihr ſagen, iſt voll guter Fruchte, 
unparteliſch, und ohne Heuchelei. Oder jene ans 
dere pſvchiſche, daͤmoniſche Weisheit, die Neib 
und Zanf, Unordnuung und eitel boͤſes Ding bezeich: 
wen? Seiſt Gottes Tehre zuräd in bie Schulen, um 
dba einen guten Srund in ben Gemüthern der Juͤng⸗ 
Iinge zu legen, und ihnen ben feften reinen Charak⸗ 
ter anzubliden, der ſich durch die ansgelaflene Un⸗ 
fittlichfelt, die grobe Frechheit, die naſeweiſe Zu⸗ 
bringlichkeit, bie jeßt in fo vielen. Schriften herrſcht, 
nicht verführen laffe! fonbern ber auf einem reinen 
Selbft unwandelbar feftfteht und nicht want. Er 
kehre zur und wohne in ben Schulen unfers Orts, 
ba an ihm, wie niemand es laͤugnen kann, fo viele 


- Gelegenheit zus Zeitvertreib und Seitverberb und zu 
jener Keckhelt iſt, bie ſich von Auſtand und Sittlich⸗ 


keit gerade losſagt. Bon Jugend auf, von Innen 
wehe Geiſt Gottes uns an; denn von außen leben 
wir zu unſerer Zeit in einer boͤſen Zugluft, in der 
garſtigen Daͤmonen⸗ Welt. 

Ih Jede gute Gabe hieß bei den: Ebraͤern 
eine Babe des GSeiſtes; Geiſt hieß ihnen, was die 
Sabe beledte, Iänsterte, brauchbar machte, 
und zum Zweck des Ganzen anwandte. Sollten wit 
nicht wünfhen, daß in biefem Vetraht. Schulen 
Werkitätten des Geiſtes würden? Wie viele und 
mancherlei Gaben keimen In diefen Fünglingen, alles 
fammt gute, von Gott gegebene Gaben? Was Fin: 
nen wir benn Schöneres wänfchen, als daß Geiſt fie 
erwecke und belebe, dag ein guter Geiſt im 


206 
Verſcen Mefe Buben: hanncu stenke;; ſerzu cheen 
Geſchaͤft abſondere und Irie ? - Dem. Gelſt Gottes 
ſind alle Daben der Menſchen gleich werth, dem 
die menſchliche Gefeſthaft forbort verſchiedene Ge 
ben. Er arbeltete jraon Kueſtlern mus Mau dei 
SHelligthums nadaweiffagte In ᷣen Meyheten.· E 
ſprach in hen ans Wolk vichtede iu den ĩ Mchtern 
gab Muth: deu Vefre iaun bed Volls, den Helden 
Auf Davibs Harfe ſaug er Pfalnen; uud den dei 
Weifen war er Lehre und Welsheit; kr: Sefchafu⸗ 
mann teeb er fein Gefchaͤft. Als Ind Chain 
team. eutſtend, war es fein untesfhelbendien Char 
tee, daß ohne Ruͤckſicht des Alters unb Standes 
ein newer Griſt auf alte ansgegsoffen werk 
und jebe gute, ksde nuͤhtiche Babe anid Mich: tretea 

‚denn; ſizt Pauls’, alle mancherlel Gaber 
hat emdy. Bett : ‚gogeben:;, einı@eift Toll fle:beichen 
Mibmih anders ermarb ſich bad Chrftentizam · di 
Hetzen bes Meuſchen, als daß es Die: Vorueth eile 
bie: eine Weihe won: Menſchen mubrunhbae cuaqhte 
wieberriß, sad in allen alle und alleriei Gaben # 
gemeinfchaftlihem Nußen wecte? Hier IE kein Zube 
noch Grieche, lein Sklave noch Sreigehorner; fein 
Mann noch Welb, alte find ins: im Grifkiihem Ger 


laritaͤt; Brauchbarkeiton traten au's Acht, die fonf 
ewig in her Dunkelhrit gelogen: hätten, und es / ward 
jene graße weite Baſis der Aultur gelegt/ die allt 
Staͤnde, alle Völter umfaßt, und von der die alte 
Welt nicht wußte. Daß dieß mit den erſten Ber 


- 


207 . 


Suchen ‚wicht anders als. unvollkommon gef 


sehen 
Tonmte, daß fih hieran mit. jedom Schritt der Zeit - 
mene Mißbraͤuche hefteten, daß die Popularitaͤt des 
Chriſtenthums oft zu plebejem Geſchmack ausartete, 
dieß alles und hundert Dinge mehr, die davon. zu 
fagen waͤren, kann die Wahrheit und Reinheit des 
guoßen Geſettes nicht aͤndern, das da wil, daß 
atlen Menfhen geholfen werbe, Inder fie 
zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, 
daß jeder Menſch in dem. Fache gebraudt werde, 
worin er der brauchbarſte iſt, und. von ber ſchoͤnſten 
Saat, die Sott goſtreuet bat, durch mannichfaltige 
Gaben im Menſchen, die Frucht, der vielfeitige 
Mutzen gezogen werde, bie wie ia auf Aeckern und 
ieſen, von jedem Halm und Strauch, von jedem 
Schrsanım und Baumzu sichen ſuchen. Göttliche 


edle Ralente im Menſchon unbenntzt liegen, ver⸗ 


often. und ſich felbit amfreiben: gu laſſen, Hi ulcht 
nur Hochrerrath gegen bie Menfchheit, ſondern ber 
größefte Schade/ den ein Staat Hch ſelbſt. zufügen 
gan: bean wit jedem diefer vergrabenen todten 
Sapitale geht nicht nur, wie man glaubt, Kapital - 
and Zins: verloren, ſondern da diefe lebendigen 
Kräfte Gh. wicht eben. immer mie todte Kapitale be= 
graben laſſen, ſo garathen fie au⸗ und durcheinauder 
unb machen dem Gemeinweſen viel Vorwirrung, 


viel Störung. Ein nicht angewandter Menſch rubt 


nicht, ſondern weil er leben muß, zumal wenn er 
erbittert warb, kaun er fehte Gaben auch ſehr oͤbel 


 amwenden; bis zuletzt alle dieſe lebendigen Raͤder 


in- und durcheinander gerathen und die ganze Ma⸗ 
fehle ein trauriges Schaufplel gibt. Das aͤlte ſte 


208 


Shriftenthum hielt alſo ſehr viel auf Gaben, Se 
Brauch der Gaben, Auwenbung aller Gaben 
vorzägtih auf die Babe Talente zu kennen mi 
hervorzuſuchen, Gelfter zu prüfen und uw 
terſcheiden; alle großen und billigen Menfchen, it 
andern vorftanden, fuchten biefem beichenim 
Geiſte nachzuahmen, Talente zu weden und ms 
zubilden, fie hervorzuzichen, an Ort und Stehe 
zu ſetzen, zu gemeinſchaftlichem Nutzen. 
Werde alſo dieſe Schule auch eine Werkſtaͤn 
des pruͤfenden Geiſtes darin, daß unter wohlbegeb 
ten Junglingen nit «alle einerlel begehrten und fd 
führen Iaffen, wohin fie der Beitgeift, der Ham 
der Mode treibt! Alles drängt zu umferer Zeit #4 
hinauf; zu viele wollen finbiren; zu viele welt 
Buchftabenmänner werden. O! werdet Sefchäftt 
männer, liebe Zünglinge, Männer in vieler 
Eeſchaͤften! die Buchftabenmänner find bie ungli 
lichſten von allen, und muͤſſen es nach Lage unfelt! 
Zeit von Jahr zu Fahr immer mehr werden. Er 
Handwerker, ein Känftler, ein Seſchaͤſtemann H 
gewiß ber brauchbarere Menfch vor fo vielen auık 
gen halbgelehrten Buchſtabenmahlern! Wie jept I 
Seiten laufen, wird und muß feine Achtung zunek 
men, dagegen bei der fchrediihen Konkurrenz me 
stoßen Menge der Unwuͤrdigen die Achtung Di 
Buchftabenmänner abnehmen muß, und es kam 
vieleicht eine Zeit kommen, ba fie verhungern 
Die Welt hat der Wiffenfchaften, zumal des War 
tes Gottes fatt; fie will amuͤſirt ſeyn. Mas 
muß ſich ihr, durch was es auch fey, unent 
vehrlich zu- machen. willen; im Studiren, ni 





289 

bas Für ein Geſchaͤft man fonft ergreife, muß man's 
on Jugend an hierauf anlegen; brauch bar, vor 
uͤglich, unentbehrlich zu werden In einem unent- 
ehrlichen Geſchaͤft. O Eönntet ihr die Klagen ber 
Iegfätikhen hören, die dort und hie und da nah 
zrod ſchrelen, auch bei guten Gaben, wie man 
e oft perſoͤnlich, oft in Briefen wimmern hört; 
ve wuͤrdet ſchaudern! — Wenn ihr einen diden 
neßtataisg in die Hand nehmt, fo denkt, ben 
dhten Theil diefer Bücher hat der Hunger ge- 
beleben, die. Noth hat ihn dirtirt. Wenn ihre die 
Inferein, die Revskutiond- Schriften, die Ver⸗ 
aglimpfungen ganzer Stände und Aemter Iefet; fo 
AR, eine großen Theil derſelben kehrte ber Hun⸗ 
r Bellen, der Ehrgeiz, die Habfucht, der Neid, 
e Neth belfern. Ste würden Ihren Vater mb 
eunb ermorden, wenn fie den auffreffen Könnten; 
nn fe Haben das unglädfeltge Handwerk erwähtt, 
fyreiben, fih von Unte und Druckerſchwaͤrze 
naͤhren. O weckt andere Gaben in euch auf, ihr 
:ben, und wendet fie zu beſſerem Zweck an, brauch⸗ 
e 30 feyn für Aemter, unentbehrliche tüchtige 
aͤnner zu Gefchäften, gute Werkleute, Handels- 
te, Künftler! Thut, was ihr thun Könnt und 
t, das zu wirken, wozu euch Gott, wozu die 
itur ench beſtimmt hat; und mwählet nicht nad 
Berem Rang nd Anfhein! Achtung wird 
h bie Zeit geben; nur im Gebrauch ferner eigen- 
rausſchließendeigenen Gaben iſt man vor⸗ 
lich, eminent, gluͤcklich. 

III. ®etft Heißt Kraft, Leben. Im todten 
haam tft kein Geiſt; In einem kranken ſchwachen 
erders Werke 3 Phil. u. Geſch. X. 14 


219 


Organ iſt der Geiſt gefingen und duldet. Wola 
wie nicht wänfchen, daß unfere Schule eine Weil: 


flätte des Geiftes in gefunden, tuͤchtigen 


fröglihen Organen ſey und werde? 


Man fpiet mit dem Wort Sente, inte | 


man jede leichte, fluͤchtige Anlage, jede leicht er 
regte Luft und Nelgung zu einer leichten, Inder 
den verguügenden Wiſſenſchaft Geute nennt, de 
ber in unfern Zeiten fich die Genies vorzuͤglich burd 
Anabenftreihe anszeichnen, und den Namen dert 
ſelbſt sum Ekelnamen gemacht haben. Vor Zeit 
war dieß nicht alfo: Genie heißt Genius, Seit; 
eine beftimmte Anlage zu einem Gefchäft heißt Tr 
lent, Gabe. Geiſt aber aͤußert fih nur 
Kraft, durch Kraft zu denfen, eine Idee ausp 
‚ arbeiten, lange fefthalten zu Können und fie In altı 
Schlupfwinkein zu verfolgen ; mithin äußert 10 
alfo Geiſt auch in Kraft zu arbeiten, fich einen ie 
ften Puntt vorzufegen und nach ihm zu ftreben; P 
Kraft der Hebung, ſich durch Hinderniffe nicht d* 
ſchrecken zu Iaffen, fondern durch fie wie nenn" 
ſtaͤrkt zw erfcheinen. Geiſt äußert ſich durch @* 
ſchicktichkeit, fih ein Geſchaͤft, wie ein Orce 
eigen zu machen und es durchaus zu beleben 
vieles in einem, eines in vielem zu bemerken, N 
ichwere Regel der Nollkommenhelt eingufehen und 
fie unabgewendet zu wirken. Wo bieß alles nich 
iſt, da nenne man den leichten Schwaͤtzer, den dr 
pigen Schwädhling nicht Genie, und glaube 
daß wo Geiſt fehlet, er ie erfeht werbe. Be! 
durch einen lügenhaften Anſtand, noch ſelbſt dur 
eifernen Fleiß, fo ſchaͤtzbar diefer iſt, Tann er erſeb 





Der 


=--. —— nn netten ng Tu 


\ 


- 211 


werden. Quaͤle fih niemand Geiſt zu haben oder 
zu ſimuliren, wenn er ihn nicht hat; vieles laͤßt 
fih erzwingen, nur nicht Geiſt; ber todte Buch⸗ 
ftabe kann niemand Gelft geben. Alſo auch Ihe 
Juͤnglinge, hört eine warnende Stimme: Strebt 
nicht nach dem, was euch die Natur verfagt bat, 
haſchet nicht nach Stand und Amt, als ob Ihr damit 
and den Geift des Standes und Amtes erhieltet.- 
In manden Stüden find der geiftiofen Maſchinen 
fo viel, daß man fich vor Ihnen nicht zu laſſen weiß; 
ganzen Ständen iſt die. Ehre dur fie geraubt. 


Das Wohl des Ganzen bedarf Geiſt, thätigen Geiſt, 


nicht feeleniofe Leichname. Aber ein guter Geiſt 
muß es feyn, ber uns belebt, fonft ind wir Daͤ⸗ 


mone, die eine Hölle in ſich tragen und außer ſich 


amber vertreiben. — Bewahre der Himmel eine“ 
jede Schule und Akademie, daß fie ein ſolches Pan- 
daͤmonium nicht werde! 

Auch das Geſchaͤft diefer Tage regiere Gottes 
Geiſt! die Schule zeige ſich ale eine edle Werkſtaͤtte. 
In allen Klaffen mögen glüdlihe Drgane biefes 


Geiſtes auftreten, gute Jünglinge in Kenntniffen,- 


Gemäth, Sitten und Geberbe! Angefihte mögen 
vor uns daftehen mit freier Stirn, mit heiterm 

Auge, und jede Lippe fpreche den Ton ber wohlge⸗ 
faßten, überlegten , verftändigen Wahrheit. — 

Jede Klaſſe, jede Arbeit zeige, daß fie mit Geiſt 
getrieben fey, und zwar mit einem guten Gelft, mit: 
Merftand und Abfiht, zur Bildung der Juͤnglinge 
für ihr Fünftiges Leben, zum Wohl der Menfchheit, 

zum gemeinen Beften. Jeder Klaffe möge das 
Zengniß gegeben werben, daß fie auch dieſes Jahr, 


* 


- 2:2 
fo ste an oͤffentllchem und Privatftelß, fo: auch un 
guten Sitten, an einem guten Geiſt zugenomuten 
habe, daß wenn wir dieß Examen beſließen, sie 
"alle mit freudigen Herzen aus dleſem Hatte und ws 
den andern Schuler gehen mögen, mit der fröhifiken 
ueberzengung, daß In Ihnen nicht der Geift des 
Muͤßlggangs und der Shienderet, der Unorbunkg 
und Sururte, des Duͤnkels und der fatfhberäntnten 
Kunft, fordern Geiſt Gottes wohne! 


FREE 
XX. 

Dom Fortſchreiten einer Schule mit "Dem 

s Zeitalter. 1798. Ä 





Wir leben tn der Zeit; fotglich mäfen wer and 
mit int nnd für fie leben md leben lernen. Da 
fich ‘die Seit ſtets verändert und aus Ihrem Schuss 
‚immer Neues, Gutes und Boͤſes, au's Licht konnnt, 
deſſen Zufaͤllen wir unterworfen find, an dem wir 
wider Willen mit Beifall oder Abnelgkiig, mit gelb 
oder Freude Theil nehmen mäffen, fo folgt mathe. 
wendig daraus, daß wir ung um das, was bie Zeit 
hervorbringt, befümmern, dag Gute, das fie mus 
Darbeut, nuͤtzen, dem Boͤſen, das fie und droßt, 
zuvorkommen, das Uebel, womit fie uns belaͤſtigt, 
mindern, und zwar durch eben bie Kraft mindern 
muͤffen, die allezeit neben dkeſem Boͤſen zu ſeiner 
eberwindung wohnet. Denn einmal iſt bau’ die 








ante: Ginrihluns: unſerxer Gsbauiuckt, deß fie Aueh 
Pole hat, und nur durch beide beſtehen kann, daß 
adem Gift ein Gegengift von deu Händen.der Mut⸗ 
er Natur ſelbſt/ zugeordnet iſt, daß jedes Streben, 
obald es uͤber ſeine Schranken tritt, eine gegenſei⸗ 
ige Beſtrehung erweckt, bie es einhaͤlt und: zum 
Beſten des Ganzen -arbuet. Wir muͤſſen alſo der 
Zeit dienen, damit wir ie nicht verliesen oder von 
be unterdruͤctt und. vom Vater Saturn aufgefreſſen 
werden; vielmehr ˖ ſie auf eine geſchikte Art taͤuſchen 
aud über. fie hexrſchen lernen. Zu beidem iſt uns 
Ye. Vornunft gegeben, ber. Zeit zu dieren, doch 
ifo, daß uicht fie uns, ſondern daß wir ihr ge⸗ 


mn. x 

Wonn dieß In allen Geſchaͤften des Lebens, 
zei allen : Einrichtungen fuͤr Menſchen gilt, ſofarn 
je: Kinder der Zeit find amd unter ihren Einfluͤſſen 
ishen, ſo gilt es auch von. ben Einrichtungen zur. 
Bildung. ber Menſchen, von oͤffentlichen und Privat 
aulen. Keine muß ſich außerhalb der Grenzen 
es Ranms und der Zeit befinden, ſonſt fteht fie 
in unrechtem oder gar feinem Ort. Keine muß 
zeraltet ſeyn oder voralten; ſonſt geht fie. unter. 
Sollen dbeſe Einrichtungen Menschen für bie Zeit, 
vie jetzige und kuͤnftige bikden, Tollen fie dieſe jun⸗ 
sen Menſchen den Gebrauch und bie Anwenduag 
etziger and kouͤnftiger Zeit. lehren, und. fie dazu ge⸗ 
vohnen: ſo wuͤſſen ‚fie. in ihrer Zeit, für. die Zu⸗ 
naftige ſeyn und mit der Zeit fortlehen. Was zu 
ınferer Zeit; ‚am Ausgang unſeres fo merkwuͤrdi⸗ 
von Jahrhunderts gaſchehen müffe, davon will ich 
inige Worte ſagen. Hufere Zeit iſt ein großer 


‚ * 1° 


214 


Meder! Die grobe elferne Wanduhr raffelt und ruft 
mit gewaltigen Schlägen. 

1. Seine Mutterfpracde verfiehen, rech 
und andringend reden, gefhelt und vernünftig 
fchrefben lernen, muß jebt ein jeder. Es fit ein 
redendes und fchreibendes Jahrhundert; das fel- 
gende wird es nach allen gegebenen Anlagen nicht 
minder werben. Wie ungeheuer viel Gutes und 
Boͤſes iſt in den legten sehn Jahren duch Sprechen 
und Schreiben ausgerichtet worden! mict Das 
Schwert, fondern die Zunge hat alles in Gang ge: 
ſetzt, fo daß diefem neuen Zuge auch Schwerter 
nicht zu widerftreben vermochten. Die Waffen ſanken 
vor her in Gang gebrachten Sunge nieder. Ned 
mehr beförderte und wirkte. das gefchriebene, das 
gebruckte Wort; wie Schleßpulver flog es in einzel- 
nen Blättern umher und zuͤndete allenthafben. 
Ale Seitungsblätter find jest voll ſprechender, ein⸗ 
ander wiberfprechender, erörternder, rathgebender, 
befchließender Verſammlungen; zu alle diefem ges 
Lört Sprache und Aufſatz, fertige prompte Rede und 
eine Geſchicklichkeit zu Entwürfen, d. 1. Begriffe 
aus dem Nebel zu ziehen und in's Licht zu ftellen, 
‚Klugheit und Muth, Maͤßigung und Feuer ber 
Mede, Vortrag. Dieß ift Geift ber Seit; wir kön 
nen ihm nicht widerftreben,, noch weniger dürfen wir 
{hm entfagen und im Schlummer mis einer gebun- 
denen Zunge und einem ſchlaftrunkenen Auge zuräd: 
bleiben. “ Das große Hephata iſt geſprochen; auch 
wir mäffen, ſtatt pedantiſch su flanmeln und gu 
flottern, vernünftig ſprechen und ſchreiben lernen. 
Der Deutſche Ift von kurzen Worten; bie Zunge Ifl 





215 

hm fhwer; er greift Lieber zur That; dieß hat ihm 
ſenuht und gefhadet. m einer Seit, wo ber 
Schade daven überwiegend an ben Tag fommt, muß 
ede Schule, jede Erziehungsanſtalt fi aufmachen, 
en Berftand und das Urtheil, ben patrlotifhen 
Berftand und das rechtfchaffene Urtheil jedes faͤhi⸗ 
en Juͤnglings zu fchärfen, daß er einft in feinem 
treffe von Gefchäften richtig denken, fertig ipredhen, - 
nd auch In Schriften und Aufſaͤtzen geſchickt fich 
uszudruͤcken vermoͤge. Wie weit zuruͤck wır In die⸗ 
en Fertigkeiten find, davon liegen die Erweiſe mit 

hren traurigen Folgen am Tage: man behandelt 
ne ale eine fchwerköpfige Nation, die noch nicht 
yeiter gefommen ift, ale langfam zu buchftabtren, 
nb der man als einer Sklavinn das Haupt zu fchee= 
en im Werk tft, damit im gefchorenen Kopf der 
ebensgeift etwas freier cirkulire. — Wie wenig der 
yentfhe deutſch kann, liegt am Tage; nicht der 
zauer, nicht der Handwerker allein reden größten: 
heild, zumal wenn fie fih gut ausdruͤcken wollen, 
In verworrenes, abſcheuliches, verruchtee Deutſch; 
mdern je höher hinauf, da geht's oft defto ſchlech⸗ 
7, bis man auf der Spitze des Berge fih bes 
yentfhen, das man nur mit Dienftboten und Kam⸗ 
teriungfern ſpricht, gar ſchaͤmet. Ein fchmatler 

streif an dieſem deutfhen Heliton und Pindus iſt 
Hein aufgenommen, auf welchem man bie Mutter- 
rache rein zu fprehen und rein zu fchreiben werth 
ilt; ein fhmaler Streif! Lernt deutſch, ihr Juͤng⸗ 
nge, denn ihr feyb Deutſche; Ternt ed reden, 
breiden, in jeder Art fchreiben! Lernt erzäh« 
na, berichten, fragen und antworten; zuſammen⸗ 


\ 


| AP: 
haͤngend, aubriugenb, ‚Klar, natuͤrlich ſchuciben, 
vernuͤnſtige Auszoͤge, Tabellen, Erpofitionen um 
Deduktionen der Begriffe sahen; lernt, was ile 
deuft und wolt, fagen. Die Zeit gebietet's, die 
Zeit fordert's; wir mollen nicht känger dAudos um 
noyılaloı *) feyn.und bleiben, 

2. Die Welt verwandelt ih. Nicht nur bad 
ſuͤdliche Europa, Frankreich, Italien, die Nieder 
lande, Holland, die. Schmelz haben eine ayben | 
großentheils vor ber .Hand. traurige Geſtalt ange 
nommen, ber wir wänfhen, daß fie ſich In „eim 
freudige Geſtalt verwandeln möge, ſondern, die 
Metamorphoſe ſchreitet fort, uͤber einen Heft ugs 
Deutſchland uud wer weiß, wohin weiter? Sehen 
vorher nahm Nordamerika eine audere Geſtalt au; 
ein anderer Theil von Indien, oͤſt⸗ oder weſtliqh 
wird fie wahrfipeinlih auch annehmen. Die Wels 
harten verwandeln fih in Grenzen, Staatsvarfaſz 
fungen, Religionen, in politiſchen Grundjägen, 
Sitten und Gebraͤuchen; fie .merden nen IUuminizt, 
— Offenbar muß der Schulunterricht nicht nur hie⸗ 
von Kunde nehmen, ſondarn auch in Die Urſachen 
biefer Weltveränderungen eingehen; Geſchlchte ma) 
Geographie bekommen. eine andere Geſtalt: Dews 
die Grundfäge, auf die man das Etudium der Ge 
Ihichte und Geographie ſonſt bauete, haben ſich ver 
ändert. In der Seſchichte z. B. llegen nad. Die 
Namen der Koͤnige und Ihrer geführten Staats⸗ aber 
Samittenfriege, nicht mehe mit dam Jutereſſe am, 
wie ehemals, da mas bloß rohe Kriegsihaten-aber 


*) Stumm und KRammueint. 





- 





.47 

gperlägige Gtantsnyeratianun bewunherte vnd eive 
‚ngmellige falſche Bewunderung derſel ben don Iuua⸗ 
ngew aukang. Der Schleler iſt wenuefallönr 
ser. vielmehe wit gewaltſamer Hand. wengeriffen; 
ie. Augen find. uns geöffnet, um in.ber Gengraphie 
ud. Befchichte etwas Nuͤtzlicheres au lernen. Den 
zau der Erde, ihre Reichthuͤmer der Natur und 
nf, wer zu biefen ‚etwas Großes und Gutes 
un Erfindungen, durch nüpliche Beſtreben und 
iurichtungen balgefzngen, wer Ale Erde und das 
ubsge-waltende Menſchengeſchlecht verfhöners oder 
neßelt habe, hie Engel oder Daͤmonen ber Mens 
pen ſollen fe Inder Geſchichte wit reifem Urthell 
Raen lernen. Mit resfem Urthell: denn we⸗ 
uſen wir fon die Geſchichte? wozu laͤſe ſie 
fe Jugend? um einen falſchen Glarz anzuſtaunen? 
m. Miflethaten, die — wer es auch ſey — Grie⸗ 
RE, Deutſche, Ftzanken, Kalmucken, 
Finnen und. Tartaren als Wenſchaumuaget mb 
Zeltwersunger ‚begangen , gedaulenlos oder mit 
nentiiger Chafurcht chronologiſch herzuerzaͤhlen? 
e Zeiten And voruͤber. Urthail, wenianden 
Ixtheil ſoll durch die Geſchichte gehildet uud -86= 
airft werben: ſonſt bleibt fie ein verwarrenes oder - 
bird ein ſchaͤdliches Buch. Auch Griechen und Roͤ⸗ 


218 


lelgeſichtige Ungeheuer in der Geſchichte. Die Se: 
ſchichte iſt ein Spiegel der Menſchen und Menſchen 
alter; ein Licht der Zeiten, eine Fackel der 
heit. Eben in Ihe und durch fie muͤſſen wir bewm- 
dern lernen, was zu bewundern, lieben lernen, wei 
zu lieben iſt; «ber auch haſſen, verachten, vera: 
fheuen lernen, was abfcheulich, haͤßlich, veraͤchtlich 
tft, fonft werden wit veruntrenendbe Mörder ber 
Menſchengeſchichte. — Die Grunbfäne ber Bil: 
ee der Eiftenveränderungen, ber Rell⸗ 
en, Wiffenfhaften, Handlungsweiſen, Kuͤnſte, 
bie in der Gefchichte erfcheinen, follen zu unſerm 
Geiſt und Herzen fprehen und unfern Verſtand 
fchärfen. Allein auf diefem Wege Ift auch das Lefen 
der Alten erfprießlih, vom Phadrus und Nepos an 
bis zum Terenz, Birgil und Horaz, Cicero, Sue: 
ton und Tacitus. Gute und böfe Thaten fprechen 
in ihnen, falfche Grundſaͤtze und gerechte, haͤßliche 
Larven und Gefichtergefichte. Unſere Zeit ruft de 
in neueren Belfptelen auf, jteit fhredlihe und trö- 
ftende Aehnlichkeiten auf; burh Unternehmungen, 
Helfen, durch Thaten und Unthaten belebt fie die 
sefammte Geographie und Geſchichte. Wir wollen 
ihre Erwedungsworte hören; auch In unſern Schu: 
len lebe Geographie und Geſchichte; Geſchichte im 
diefer ratfonnirenden, d. I. vernünftigen Darftellung; 
das Lefen der Alten nach den Grundſaͤtzen der Alten, 
verglichen ınit ben Grundſaͤtzen unferer Zelt. 

- 5. Unfere Zeit bringt auf die fogenannten fe 
fien, nägtihen Wiſſenſchaften und Känfte, auf Me 
themattt, die Arithmerit, Geometrie in allen ihren 
Anwendungen, auf Nasuriehre und Naturgeſchichte, 





219 


rmals in allen ihren Auwenbungen und Zerglie⸗ -— 
amgen der Natur; die bloßen Wortſtudien bat 
zielleicht mit zu großer Spröbigkelt ſeitwaͤrts ger 
ben, und anfer ber allein ſeligmachenden Kanti⸗ 
mn Philoſophie, die ſich dieß Privilegium aus- 
ießlich erworben, verachtet fie Wortgrübeleien 
fogenannten Unfinn der Schulen. — In eber- 
bungen dürfen wir der Zeit nicht, In bem wo fie 
r und nuͤtzlich hinweiſet, muͤſſen wir ihrem gebie- 
en Finger gehorchen. Die Zeit tauber Wort: 
He tft vorüber; auch dem blendenden Wortihall 
franzöfifhen Sprache wollen wir nicht, jedem 
ak aber auf das, was die Zeit gebietet, dem An= , _ 
dbaren, Nuͤtzlichen, Dentlihen, Wahren, Er: 
erlichen, Nothwendigen muͤſſen wir folgen. - 
huen muß ein Knabe lernen, damit er fein Leben 
:chne: denn die gefammte Vernunft, zumal in 
zung menſchlicher Dinge, heißt Rechnen. Geo⸗ 
rie muß ein Kuabe lernen, daß er ein Augen 
3, Richtſchnur, Sefchielichkeit in ber Hand, In⸗ 
ton des Beweiſes und endlich die Neigung be= 
me, in weldher praftifhen Wiffenfchaft und. Ue⸗ 
g es auch fey, nicht oberflächlich, fonbern gründ- 
zu verfahren, und dem Vaterland nüslich zu 
den. Naturwiſſenſchaft und Naturlehre muß 
Knabe lernen, damit er ſich ſeines Lebens er⸗ 
se, bie Wohlthaten ber Natur erkenne und recht 
rauhe, und endlich einmal fo mander Aber⸗ 
sbe und Irrthum verfchwinde, der das menſch⸗ 
: Geſchlecht nie glüädlih gemacht hat, und in 
re Zeit gar nicht gehört. Vorzuͤglich muͤſſen 
, die, ‚die einft die Lehrer Anderer werben follen, 


— 


ı 210 


Organ iſt der Geiſt gefangen und duldet. Wollen 
wir nicht wänfhen, daß unfere Schule eine Werk 
frätte des Geiftes in gefunden, tuͤchtigen, 
froͤhlichen Organen ſey und werbe? - | 
Man ſpiekt mit dem Wort Sente, indem 
man jede leichte, flächtige Anlage, jede leicht er: 
regte Luft und Neigung zu einer leichten, locken⸗ 
den verguägenden Wiſſenſchaft Sente nennt, be 
her in unfern Zeiten ſich die Genies vorzuͤglich durch 
Knabenftreihe auszeichnen, und den Namen Genie 
felbft zum Ekelnamen gemacht haben. Vor Zeiten 
war dieß nicht alfo: Gente heißt Genius, Geiſt; 
eine beftimmte Anlage zu einem Gefchäft heißt Ta 
lent, Gabe. Geiſt aber dußert fih nur durch 
Kraft, durch Kraft zu denfen, eine Idee auszu— 
arbeiten, lange feſthalten zu koͤnnen und fie in allen 
Schlupfwinkeln zu verfolgen; mithin dußert fio 
alfo Geiſt auch in Kraft zu arbeiten, fich einen e 
ften Punkt vorzuſetzen und nach ihm zu ſtreben; in 
Kraft der Uebung, ſich durch Hinderniſſe nicht ab- 
fhreden zu laffen, fondern durch fie wie neuge⸗ 
ſtaͤrkt zu erfcheinen. Geift äußert fih duch Se 
ſchicklichkeit, fih ein Gefhäft, wie ein Organ 
eigen zu machen und e6 durchaus zu beleben; 
vieles In einem, eines In vielem zu bemerfen, die 
ichwere Regel der Nollkommenheit einzufchen und auf 
fie unabgewendet zu wirken. Wo dieß alles nicht 
tft, da nenne man den leichten Schwäher, den ap 
yigen Schwächling nicht Sente, und glaube nie, 
dab wo Geiſt fehlet, er je erfeht werde. Weder 


durch einen Tügenhaften Anstand, noch felbft durch 


eifernen Fleiß, fo ſchaͤtzbar diefer ift, Tann er erfent 





211 


werden. Quaͤle ſich niemand Geiſt zu haben oder 
zu ſimuliren, wenn er ihn nicht hat; vieles laͤßt 
ſich erzwiugen, nur nicht Geiſt; ber todte Buch⸗ 
ſtabe kann niemand Geiſt geben. Alſo auch ihr 
Juͤnglinge, hoͤrt eine warnende Stimme: Strebt 
nicht nah dem, was euch die Natur verſagt bat, 
haſchet nicht nach Stand und Amt, als ob ihr damit. 
auch den Geift des Standes und Amtes erbieltet.. 
In manchen Stuͤcken find der geiftlofen Mafchinen 

fo viel, daß man fich vor Ihnen nicht zu laffen weiß ;- 
ganzen Ständen iſt die. Ehre durch fie geraubt. 
Das Wohl des Ganzen bedarf Geiſt, thätigen Geiſt, 
nicht feelenlofe Leihname. Aber ein guter Gelft 
muß es feyn, ber uns beliebt, fonft rind wir Dä- 
mone, die eine Hölle in fih tragen und außer fih- - 
umber vertreiben. — Bewahre der Himmel eine- 
jede Schule und Akademie, daß fie ein ſolches Pan⸗ 
daͤmonium nicht werde! 

Auch das Geſchaͤft dieſer Tage reglere Gotte 
Geiſt! die Schule zeige ſich als eine edle Werkſtaͤtte. 
In allen Klaſſen moͤgen gluͤckliche Organe dieſes 
Geiſtes auftreten, gute Juͤnglinge in Kenntniſſen, 
Gemuͤth, Sitten und Geberde! Angeſichte moͤgen 
vor uns daſtehen mit freier Stirn, mit heiterm 
Auge, und jede Lippe ſpreche den Ton der wohlge⸗ 
faßten, uͤberlegten, verſtaͤndigen Wahrheit. — 
Jede Klaſſe, jede Arbeit zeige, daß ſie mit Geiſt 
getrieben ſey, und zwar mit einem guten Geiſt, mit: 
Verſtand und Abfiht, zur Bildung ber Zünglinge 
für ihr Fünftiges Leben, zum Wohl der Menfchpeit, 
zum ‚gemeinen Beten. Jeder Klafle möge das 
Zeugniß gegeben werben, daß fie auch diefes Jahr, 


{1 


x 
5 4 
u 


> 2:2 


fo wie an oͤffentlichem und Privatffetß, ſo auch un 
guten Sitten, at einem guten Geiſt zugenomuien 
habe, daß wenn wir dieß Examen beſagließen, wir 
alle mir freudigen Herzen aus dieſem Haus und aus 
den andern Schulen gehen mögen, mit der froͤhllehen 
teherzengung, daß In ihnen nicht der Geift Bes 
Müptgyangs und der Sthienderet, der Unorbuinäg 
und Lururfe, ‘des Duͤnkels und der fatfchberuͤhtnten 
Kunſt, ſondern Seife Gottes wohne! 


FREE 
EX. 

Dom Sortfchreiten einer Schule mit bem 

s Zeitalter. 1798. 


Wir Leben in der Zeit; folglich maͤſſen wir and 
mit int und für fie leben und leben lernen. Da 
fü ‘die Seit ſtets verändert und aus Ihrem Schuss 
immer Nenes, Gutes und Boͤſes, ar's Licht kommt, 
deſſen Zufaͤllen wir unterworfen find, an dem wir 
wider Willen mit Belfall oder Abneigiag, mit Leid 
oder Freude Theil nehmen mäffen, fo folgt 'noth: 
wendig daraus, dad wir ung um das, was bie Seit 
hervorbringt, befümmern, dag Gute, das fie ums 
darbeut, nuͤtzen, dem Böfeh, das fle ung broßt, 
zuvorkommen, das Uebel, womit fie uns belaͤſtkgt, 
mindern, und zwar durch eben die Kraft mindern 
muͤſſen, bie allezeit neben biefern Boͤſen zu feiner 
eberwindung wohnet. Denn einmal iſt das die 








215 


ante: iaticnms unſexer Crdarwelt, deß ſie AMuti 
Pole hat, und nur durch beide beſtehen dena, def 
jedem Gift: ein -.Gegengift.von deu Händen.der Wut: 
ter Natur ſelbſt zugeoxrdnet iſt, daß jedes Streben, 
fobald. es uͤber ſeine Schranken tritt, eine gegenſei⸗ 
tige. Beſtrehuag exmedt, bie es einhaͤlt und: zum 
Beſten des. Ganzen -arbuet. Wir muͤſſen alfo der 
Seit: dienen, damit wir fie nicht verlieren. oder von 
{pe unterdrückt unb vom Vater Saturn aufgefrchen 
weeden; vielmehr ˖ ſie auf eine geſchikte Urt täufhen " 
und über fie hexrſchen lernen. Zu beidem iſt uus 
die. Vornunft gegeben, ber. Zeit zu dieren, das. 

u! daß nicht ſte uns, ſondern daß wir ihr 9 

m. . 

Ron dieß in allen Geſchaͤften des Bebens, 
bei allen : Einrichtungen für Menſchen gilt, ſofarn 
fie. Kinder der Zeit find -und unter Iyren Einfluͤſſen 
fisben, ſo gilt- es auch von den Einnichtungen zur. 
Bildung.der Meunſchen, von öffentlihen. und Privat: 
ſchulen. Seine muß Sich außerhalb ber Grenzen. 
bes Raums und der Zeit befinden, ſonſt ſteht fie 
an unrechtem oder gar feinem Ort. - Keine muß 
veraltet ſeyn oder woraiten; ſonſt geht fie. ımter. 
Sollen. dieſe Einrichtungen Menicken für bie Zeit, 
bie jetzige und kuͤnftige bilden, follen fie Diefe jun⸗ 
gen Menſchen den Gebrauch and bie Anwenduag 
kehiger und koͤnftiger Zeit lehren, und fie dazu ge⸗ 
woͤhnen: ſo muͤſſen ſie in ihrer Seit, fuͤr die Zu: 
künſtige ſeyn und mit der Zeit foxtleben. Was zu 
unſexer Zeit, am Ausgang unſeres fo merlwuͤrdi⸗ 
gen Jahrhunderts gaſchetzen muͤſſe, davon will ich 
einige Worte ſagen. Unſere Zeit iſt ein großer 


* 4 


214 


Wecker! Die grobe eiſerne Banduhr raſſelt und ruft 
mit gewaltigen Schlägen. 

1. Seine Mutterſprache verfichen,” recht 
und andringend reden, geſchelt und vernünftig 
fchreiben lernen, muß jetzt ein jeder. Es iſt ein 
redendes und fchreibendes Jahrhundert; das fol 
‚gende wird es nach allen gegebenen Anlagen nicht 
minder werben. Wie ungeheuer viel Gutes und 
Boͤſes Ift In den Iehten zehn Jahren dnch Sprechen 
und Schreiben ausgerichtet worden! wicht das 
Schwert, fondern die Zunge hat alles in Gang ge⸗ 
fest, fo daß diefem neuen Zuge auch Schwerter 
nicht zu widerftreben verniochten. Die Waffen fanten 
vor her in Bang gebrachten Sunge nieder. Noch 
mehr beförbderte und wirkte. das gefchriebene, das 
gebruckte Wort; wie Schiefpulver flog es in einzel⸗ 
nen Blättern number und zündete allenthalben. 
Alle Seitungsblätter find jetzt voll_fprechender, ein⸗ 
ander wiberfprehender, erörternder, rathgebender, 
Hefchlteßender Verfammlungen; gu alle diefem ge= 
Lört Sprache und Aufſatz, fertige prompte Rebe und 
eine Geſchicklichkeit zu Entwärfen, d. i. Begriffe 
aus dem Nebel zu ziehen und in's Licht zu ſtellen, 
Klugheit und Muth, Maͤßigung und Feuer der 
Mede, Vortrag. Dieß iſt Geiſt der Zeit; wir koͤn⸗ 
nen ihm nicht widerſtreben, noch weniger duͤrfen wie 
ihm entfagen und Im Schlummer mit einer gebun- 
denen Zunge und einem ſchlaftrunkenen Ange zuruͤck⸗ 
bleiben. Das große Hephata iſt geſprochen; auch 
wir muͤſſen, ftatt pedantifch zu flanmeln und zu 
fottern, vernünftig fprechen und fehreiben lernen. 
Der Deutſche ift von kurzen Worten; bie Zunge iſt 


215 
ihm ſchwer; er greift lieber zur That; dieß bat ihm 
zenutzt und gefhadet. In einer Beit, wo ber 
Schade davon überwiegend an den Tag fommt, muß 
iede Schule, jede Erziehungsanftalt fi aufmachen, 
den Verſtand und das Urtbeil, den patrlotifchen 
Verſtand und das rechtfchaffene Urtheil jedes faͤhi⸗ 
gen Juͤnglings zu fchärfen, daß er einft in feinem 


Kreife von Sefchäften richtig denken, fertig fprechen, - 


und auch in Schriften und Aufſaͤtzen geſchickt ſich 
auszudruͤcken vermoͤge. - Wie weit zuruͤck wir in bie- 
Ten Fertigfeiten find, davon legen die Ermeife mit 
ihren traurigen Folgen am Tage: man behandelt 
und als eine fchwerköpfige Nation, die noch nicht 
weiter gefommen ift, als langfam zu buchftabiren, 
und der man als einer Sklavinn das Haupt zu fchee= 
ren im Merk ift, damit im gefchorenen Kopf der 
Lebensgeiſt etwas freier cirkulire. — Wie wenig der 
Deutſche beutich kann, legt am Tage; nicht ber 
Bauer, nicht der Handwerker allein reden größten: 
theild, zumal wenn fie fih gut ausdruͤcken wollen, 
ein verworrenes, abfcheulihes, verruchtes Deutſch; 
fondern je höher hinauf, da geht's oft defto fchlech- 
ter, bis man auf der Spibe des Bergs fi des 
Deutichen, das man nur mit Dienftboten und Kam: 


meriungfern fpriht, gar ſchaͤmet. Ein fchmaler 


Streif an diefem deutihen Heliton und Pindus ift 
allein ausgenommen, auf welchem man die Mutter: 
fprache rein zu ſprechen und rein zu fchreiben werth 
hält; ein ſchmaler Streif! Lernt deutſch, ihr Juͤng⸗ 
linge, denn ihr feyd Deutſche; Ternt es reden, 


fchreiben, in jeder Art fchreiben! Lernt erzaͤh⸗ 


len, berichten, fragen und antworten; zuſammen⸗ 


- 


\ 


216 
hangend, andringend, „Mas, natuͤrlich ſchreiben, 
vernünftige Auszäge, Tabellen, Erpofitionen unh 
Debultionen der Begriffe machen; Terut, mad ik 
denkt und wollt, ſagen. Die Zelt gebieter's, die 
Zeit fordert's; wir mollen nicht künger aladas um 
noyılakoı *) fepn. und bleiben. 

2. Die Welt verwandelt fh. Nicht nur bad 
ſuͤdliche Europa, Frankreich, Italien, die Nieder 
ande, Holland, bie. Schmelz haben eine ande 
großentheils vor ber. Hand, traurige. Seftalt ange 
wommen, der wie wänfhen, Daß fie ſich in ‚ein ein 
freudige Geſtalt verwandeln mäge, ſondern be 
Metamorphoſe ſchreitet fort, uͤber einen Theil was 
Deutſchland und wer weiß, wohin ‚weiter? Sm 
vorher nahm Nordamerika eine aubere Geſtalt an; 
‚ ein anderer Theil von Indien, oͤſt⸗ oder waſtlich, 
wird fie wahrſcheinlich auch annehmen. Die Melk 
charten versvandeln fi) In Grenzen, Staatsvparfaſ 
fungen, Religionen, In politiſchen Grundfägen, 
Sitten und Gebraͤuchen; fie werben neu Ilfunsinist, 
— Dffenbar muß der Schufuntesricht nicht nur bie 
von Kunde nehmen, fondeen auch In Die Urſaqhen 
biefer Weltveränderungen eingehen; Geſchichte nal 
Geographie bekommen. eine andere Geſtalt: Dem 
bie Grundſaͤtze, auf die man das Studium der Ge 
ſchichte und Geographie ſonſt bauete, haben ſich ver 
ändert. In der Seſchichte 3. B. liegen uns die 
Namen der Könige und ihrer geführten Staats⸗ oder 
Familienkriege nicht mehr mit dam Suternffe m, 
wie ehemals, da man bloß rohe. Kriegsthaten oder 





*) Stumm und Rammeind. 


⸗ 


247 

pinhexlißige „Stegtsoperationen bewunherte mad ring. 
Igagmeilige falſche Bemunderung.dexfeiben ben Juͤng⸗ 
Ungsu autzwang. Der Schleler iſt ‚weggefallen, 
ober. vielmehr mit gewaltfamer, Hand weggeriffen; 
die Augen find uus geöffnet, um in.ber Gengrappie 
umb. Geſchichte etwas Nüsliheres zu lernen. Den 
Bau ber Erde, Ihre Reichthümer der Natur und: 
Kunſt, wer. zu biefen ‚etwas Großes und Gutes - 
bush Erfindangen, durch nüßlihe Beſtreben ‚und 
Gigrichtungen beigetragen, wer die Erde und dae 

ige waltende Menfchengefhlecht ver ſchoͤnert ober 
entſtellt habe, bie Engel oder Daͤmonen der Mens 
ſchen ſollen wir Inder Geſchichte mit zeifem Urtheil 
lennen lernen. Mit raaͤfem Urtheil: deu wo⸗ 
zu laͤſen wir ſonſt die Geſchichte? wozu laͤſe fie 
die Jugend? um einen falſchen Glauz anzuſtaunen? 
wm. Miſſethaten, die — wer es auch ſey — Grie⸗ 
chen, Roͤmer, Derittſche, Franken, Kaliucken, 
Kpunen und Kartaren als Menſcheumager ab 
Weitverwuͤſfer begangen, gebaufenlos ‚aber mit 
knehtiſchet Chefurcht chronologisch - hexzuerzaͤhlen? 
Die Zeiten find voruͤher. Urthail, ‚ment 
Urtheil ſoll durch die Geſchichte gebildet ge⸗ 
fadrft werben: ſouſt bleiht ſie ein verwarrenes oder 
wird ein ſchaͤdliches Buch. Auch Griachen und Roͤ⸗ 
mer ſollen wir mit dieſom Urtheil leſen. Alexauder 
der. Welteroberer, der Truakenbold, der Grau⸗ 
ſame, der Eitle, und Alexander der Peſchuͤtzer der 
Künfte, ber Förderer der Willenfhaften, der Er⸗ 
baner der Staͤdte, der Laͤndervexeiniger, find in der⸗ 
ſelben Perſon nicht. eine. Perſon, nicht zwei Perſoaen 
von einem Werth. So mehrere. vleudvoo· oder 


9218 
= „gbelgeffätige tingeheuer in der GSeſchichte. Die Se 


fhtate iſt ein Spiegel der Menſchen und Menſchen 
alter; ein Licht der Beiten, eine FZadel der Wahr⸗ 


heit. Eben in ihr und durch fie mäflen wir bewm- 


dern lernen, was zu beivundern, lieben lernen, wei 
zu lieben iſt; «ber auch haffen, verachten, verab⸗ 


fheuen lernen, was abſcheulich, haͤßlich, verdtiih 


ift, fonft werden wir veruntrenende Mörber ber 
Menſchengeſchichte. — Die Grundſaͤtze ber Bl: 
ferregierungen, der Sittenveränderungen, ber Reil⸗ 
gionen, Wiſſenſchaften, Handlungsweiſen, Kuͤnſte, 
die in der Geſcheichte erſcheinen, follen zu unferm 
Geiſt und Herzen fprehen und unfern Merftand 
fhärfen. Allein auf diefem Wege iſt auch das Lefen 
der Alten erfpriehlih, vom Phadrus und Nepos an 
bis zum Terenz, Birgit und Horaz, Cicero, Sue: 
ton und Tacktus. Gute und böfe Thaten fprechen 
in ihnen, falſche Grundſaͤtze und gerechte, haͤßliche 
Larven und Geſichtergeſichte. Unſere Zeit ruft fe 
In neueren Beiſpielen auf, ſtelt ſchreckliche und troͤ⸗ 
ftende Aehnlichkeiten auf; durch Unternehmungen, 
Reiſen, durch Thaten und Unthaten belebt ſie die 
geſammte Geographie und Geſchichte. Wir wollen 
ihre Erweckungsworte hören; auch in unſern Schu⸗ 
len lebe Geographie und Geſchichte; Geſchichte in 
diefer ralfonnirenden, d. i. vernünftigen Darſtellung; 


das Lefen der Alten nach den Grundſaͤtzen der Alten, 


verglichen mit ben Srundfägen unferer Zelt. 

3. Unfere Zeit dringt auf die fogenannten fe 
ften, nuͤzlichen Wiſſenſchaften und Känfte, auf Mar 
themattf, die Arithmerit, Geometrie in allen ihren 
Anwendungen,. auf Nasuriehre und Naturgeſchichte, 


— — — — — — 


219 


vnermals in allen ihren Anwendungen und Serslles 
derungen der Natur; bie bloßen Bortfindien bat 
fie vielleicht mit zu großer Sproͤdigkeit ſeitwaͤrts ger 
ſchoben, und außer ber allein ſeligmachenden Kanti⸗ 
ſchen Philoſophie, bie ſich dieß Privilegium aus⸗ 
ſchlüeßlich erworben, verachtet ſie Wortgruͤbeleien 
als fogenaunten Unſinn dee Schulen. — In Ueber⸗ 
treibungen duͤrfen wir der Zeit nicht, in dem wo fie 
wahr und nuͤtzlich hinweiſet, muͤſſen wir ihrem gebie= 
kennden Singer gehorhen. Die Zeit tauber Wort⸗ 
ſchaͤlle iſt vorüber; auch dem blendenden Wortichall 
Der franzöflfhen Sprache wollen wir nicht, jedem 
Wink aber auf das, was bie. Zeit gebietet, dem An- , . 
wenbbaren, Nuͤtzlichen, Denutlihen, Wahren, Er: 
forberliben, Nothwendigen muͤſſen wir folgen. - 
rechnen muß ein Kuabe lernen, damit er fein Leben 
berechne: denn die gefammte Vernunft, zumal in 
Führung menſchlicher Dinge, heißt Rechnen. Geo⸗ 
metrie muß ein Kuabe lernen, daß er ein Augen» 
maß, Richtſchnur, Geſchicklichkeit in der Hand, In⸗ 
tuition des Beweiſes und endlich die Neigung be⸗ 
komme, in welcher praktiſchen Wiſſenſchaft und Ue⸗ 
bung es auch ſey, nicht oberflaͤchlich, ſondern gruͤnd⸗ 
lich zu verfahren, und dem Vaterland nuͤtzlich zu 
werben. Naturwiſſenſchaft und Naturlehre muß 
ein Knabe lernen, damit er fich feines Lebens er- 
freue, die Wohlthaten der Natur erkenne und recht 
gebrauhe, und endlich einmal fo mander Aber 
lasıbe und Irrthum verfchwinde, der das menſch⸗ 
liche Geſchlecht nie glüdlih gemacht hat, und in 
unſere Zeit gar nicht gehört. Vorzüglich muͤſſen 
and die, die einft die Schrer Anderer werden follen, 


— 


jene Miſſ raten; us Raltn des Mer en 
reiaer United Anwendung ber Dinge-felbk, Ink 
tialxen. Nicht Mertgelehtte, fonbern ; gebkägt, 
naͤtzliche, geihidse Menſchen will unfere Zeit: ie 
Bebärfulife derſelben, ein ſteigender Mangel, eig 
auöhere Aonfurrenz, wielleiet auch- bald die bradn 
be. Roth felbft, wollen. biefe Bildung zu ulelfeitigen, 
praktifchen gemeinen Nuten. In ruhlgen Zeige 
darf man viellekht träumen; unfere.Deit, ein un 
biger Argus mit Hundert Augen, ein Briareus mi 
hundert Haͤnden bewaffnet, ruͤttelt vom Schlaf aul 
7 Ja, die Tünglinge ſelbſt, nen biegen Zaltum 
ſtaͤnden gewedt, wollen nit träumen; -follen fr 
alfo zu fallen Anwendangen hrer Kräfte sieht ner 
führt werden, (wozu unfer Beitaiter fo viele Bde 
genheit Dachister) jo muͤſſen fie. geführt. ah zu zes 
ter Anwendung derfelben geleitet werden. Mepadi 
tiet ſie, ruft nus der Aeon zu, beihdftigt: fe :feah, 
ſfartgehend, gewaͤhlt, nuͤtzlich; es kommt eine Zeit 
in. der fie. geäbt ſeyn muͤſſen; Ihrer Gepepictiaiet 
werden fie bedürfen, : 
: :e Religion — darf mensihrer zu unfere 
Zeit noch enwähnen? Mir Net: Denn Metigien 
wahrhafte Rellsion wird unaus getilgt bleiben; die 
viorten der Hölle werden fie nicht aͤberwaͤltigen zu) 
der Antichriſt ſetbſt muß fie fördern. Da wir za 
urſerer Zeit aber ſo viel und mauche dußere Sonn 
untergehen ſehen, mag ſpricht dieſer Untergang zu 
und? als: „pruͤfe! prüfe, was dem Geiſt mad Her 
ara des Menſchen wahrhaft Religlion ſey! Diefe 
rette aus Den Schiffbruch; fie.bewähre!“ — um 
was die Zeit zvedem aufpricht, zuft fie beſonders des 





"991 


Ben zu: Bef ‚ grimbet, was went 
Nelligzion iſt In-jungen Bemithern: denn es iſt eine 
zeit der Gefahr, der Prüfung! Was aber befe⸗ 
rigt und begruͤndet iſt, werde nicht bloß Theothe, 
ondern Shmesart, Handliungsweiſe, Yrarts. 

Da ausführt hieruͤber zu reben bie Zeit mir 
zerbent, fo ſey mir erlaubt bloß einige Goͤtzen zu 
»*emerken, die aller Berzendreigten zerſtordabe 
Feinde ſind. Sie find: 

1. Der Egoismus. Egeldmus iſt in der 
weit Immer da geweſen, und beinahe ift der Natue 
meer (d. i. Maͤnſt, Maͤnnlein) md Egetft ekus; 
aſt zweiſte ich aber, ob er ie fo laut gerebet, Fo 
frech gedacht, fo mnbenminden gehandelt bat, mie 
est; er herrſcht in Zeitlaͤuften, Zeitſchriften, Seit- 
yegebenheiten, in der ganzen Zeit lekſe. Viellekcht 
yerrfcht er ftatt mancher anderer Abweichumzen in 
ven Schuten jetzt: denn eine an ſich fehr INGE 
sörbegterbe wird leicht Egoismus. Und doch hat 
‚te menſchliche Geſellſchaft beinahe keinen gefährli⸗ 
heren Erbfeind ats dieſen Herrn, den Egolsmus. 
Sr Hat eine aufblaͤhende Kraft, und treibt boͤſe 
ande von ſich, bald aber wird Im Innern alles hohl 
nd leer, Form ohne Materie, Schein ohne Seyn, 
ınd, wie die alte deutſche Sprache es nannfe, ein 
Schemen: benn er verftopft ungemein, dep nichts 
iußeres Gutes in uns, und im lieben Ego gar bald 
Ule Seelenfräfte ſtill ſtehen; bewahre der Himmel 
eden Chriſtenjuͤngling vor diefem aufblaͤhenden, ver⸗ 
topfenden boͤſen ismus! Ein Juͤngling muß beſchel⸗ 
ven ſeyn in feinem Wiffen und in der Aeußerung 
‚effeiben, nitht anfgeblafen, nicht ruhmeedig und 


L | 


IN 


_ ‚222 

verachtend. Der arme Mäuft, wie viel iſt, wı 
er noch nicht weiß! Ein Egoiſt wird es nie lernen 
Siehe die wachfende, blühende, buftenbe Plan; 
an; fie gibt und nimmt, mit allen Elententen jı 
fammenhängend nimmt fie von allen Elementen, wı 
Licht, Luft, Waſſer, Erde, verarbeitet es in fi 
ſelbſt, und gibt es würghaft der Welt wieder. 9 
her Finſterniß jelbft neigt fie fich nach dei Lidti 
mit ihren Wurzeln fucht fie die Feuchtigkeit im de 
Erde; mit Ihren Blättern trinkt fie die Luft m 
gibt fie verarbeitet wieder. Sie ift, was fie ii 
und kuͤndigt ſich Durch Ihe Daſeyn, durch ihre Kraͤf 
und Aeußerungen ſtill an, nicht ruhmredig; der X: 
turcharakter iſt in fie ſtill gepraͤget. Ahmet die 
Kinder der Natur auch durch ſittſame Beſcheldenhe! 
nach, Ihr Juͤnglinge; nichts verunziert einen Jay 
Ing mehr als Dünfel; er macht flarrfinnig, wide 
fprechend, ſtolz, Kberläftig, grob und aumerträgiid 
2. Ein zweites Hebel, das alle praftifche wahr! 
Religion aufhebt, tft bie in unferer Seit überhai 
nehmende Schlenderet, jene Lodgebundenk 
von feſten Grundfägen, von richtiger Orbuung, wi 
firenger Mühe und Arbeit. — Unter dem Ber 
wande, daß man fich die Arbeit und dad Leben leid! 
mache, daß man fi fo genau nicht an Regel, Heli 
Ordnung halten dürfe; daß der Geiſt, das Genie 
und treibe, entwöhnt man fi alter Anftrengung ft: 
ner Kräfte, mithin auch Ihres beiten Gebrauchs, I}: 
rer hoͤchſten Wirkung: dem nur durch einen fit 
fern Fleiß, durch eine fchwerere Hebung, durch du 
nicht gemeine Anfpannung der Kraft wird das we 
tere Ziel, das höhere Vortrefflihe errungen; den 





223 
Shiummerndben, Schlendernden bleibt es ungeſehn 
oder unerreicht; er liest am Boden, oder taumelt 
fort auf dem alten ausgetretenen Wege. Und doch, 
wie fehr ruft und die Zeit eben zu diefer größeren: 
und längeren Anftrengung, zu biefer unablaͤſſigen 
Munterleit und Gewandtheit durch alles, was um 
uns vorgeht, auf! Von allen Seiten ruft fie uns 
au: die Stunden bes Schlafs und der fchlaftrunt- 
nen Schlenderei find voräber! — Hinweg alfe 
auch aus den Heften ber Jünglinge jene ſchlendernde, 
nachlaͤſſig ohnmächtige Handfchrift im Nachſchreiben 
und in eigener Ausarbeitung, der man fogleich an= 
fieht, daß es dem Schreibenden Fein Ernſt war, und 
Daß er davon wollte. Hinweg jene alte Schlenderet 
ſich In Sefängen von Wein und Liebe, von Liebe 
und Wein, von füßem Empfinden, von Blumen und 
Blüthen, Blüthen und Blumen zu üben! Einem 
wadern Juͤngling bietet die Zeit wohl andere The⸗ 
mata zu feiner Uebung dar; mit Verſtand wird er 
fie wählen, mit Feuer und angefttengtem Muth 
ausführen; denn wodurch haben fich die großen Gei⸗ 
fter, die feiten Seelen aller Seiten ausgezeichnet? 
Weſentlich waren fie nicht anders gebaut, wie an- 
dere Seelen; aber fie hatten ihre Innere Drganifa= 
tion geregelt, geftärkt; fie Fonnten einen Gedanken 
Länger fefthalten und von allen Seiten verfolgen, 
eine und diefelbe Arbeit länger, Träftiger treiben; 
fie hatten fih mehr geüber. - Diefe ftärfere und 
längere Intenſitaͤt der Seelenkräfte machte jenen 
Roger und Franz Bakon, Keppler und Newton, Leib⸗ 
nis, Haller, Euler, Linne, Büffon, und in politis 
ſchen Geſchaͤften alle vor andern tüchtige, erfahrene, 


N 
< 


224 


vh⸗rcheerate. Schwterigtelten, Gefahren, Sales 
une, kyr Seſchaͤft ſelbſt beſtegten fie; ſo wirrden® 
Ueberwiader. Der Schlenderude, der ſich am 
lekcht und karz macht, gelangt zu nichts; uud we 
von JIngend auf ſchlendert, nichts als ſchlenbert, ſes 
wenn. wit das Ungluͤck auftattelt, die ſes iu: 

ben fort bis am ſein unruͤhmliches ſellges Ende. 
3. Das arzſte Zeitlaſter enbiih, vor dem Thh:eis 
—— zu huͤten bat, iſtbdie Schamloſtateit, 
der Eros, die Vermeſſenheit unferer Seit. — 
Mast daß man in früheren Seiten wit etwa größe 
gerebet Yitte; man wer zumellen- ſehr grob unb 
legte die Worte nicht auf die Wage; aber daß ww 
fo ſcheu⸗ und ſchamlos alfen angenommenen Erik: 
ſaͤden ber Anſtaͤndigkelt und Ehrbatkeit, ves allze⸗ 
meluen und beſondern Rechts det Volker ud 
Menſchen, offenbaren gegenſeitigen Pflichten wih 
Brjiehtmgen entſagt, ſie verlacht und verhoͤhnt hatte 
davon iſt in ber Geſchichte ſchwerlich eine gu 
Probe. Wenigſtens ſuchte man zu bemaͤutelu, gu 
umwinden, jetzt ſpricht man alles frei Werd, 
ſchteidt alles frei heraus, handelt vor den Augen 
der Welt, als ob keine dergleichen Grumdſaͤhe da 
waͤren, and damit Ich mich des Pythagoraͤiſchen A: 
drucks bebiene, ‚‚man thut ber Sonne gerade tat 
Antlitz.“ Hüte ſich jeder edle Juͤngling vor bleſer 
abſcheulichen Zeitfrechh⸗it! hute er ſich vor aller 
wilden Leferet, die zu ihr fuͤhret! „Ein Juͤugling, 
der ſeine Scham verloren bat, bat alles verteren; 
wer fih zu lefen getraut, woräber gief&fam' das 
Blatt errötdet, wer ftolz, frech, unbeſchelden fi zu 
ſchreiben ‚getraut, was er in einer ehrbaten Ver⸗ 
ſamm⸗ 


Ä 225 
ammlung, ober einem Manne, dem er Hochachtung 
chuldig ift, nicht fagen dürfte, hat feine edle Bil⸗ 
ung verlängnet, er ift oder wird in⸗ und auswen⸗ 
yig ein Iingehener, ein Schenfal. Schuͤtze fein Ge⸗ 
ins jeden jungen Mann vor diefem Gift der Zeiten ! 

Und. nun, wohlauf! erwahe Eramen! mit 
Munterkeit und Freunde! zur Frenpe! zur Ehre! 





xx. 
Bon Schulen ald Symnafien. 


(Bor dem Examen.) 1799. 


Gymnaſinum heißt ein Uebungsort. Koͤrperli⸗ 
hen Uebungen waren bie Gebaͤnde oder Stätten, bie 
nan GSymnaflum hieß, zuerſt gewidmet: mit der 
zeit wurden fie Verfammlungspläge zur Unterre⸗ 
zung mit den Tünglingen über Gegenſtaͤnde allerlet 
Art, und fo kam, wie bekannt ift, der Name zu hoͤ⸗ 
heren Uebungen hinauf, zu Uebungen in Willen: 
rchaften und feinern Künften, bis fie zuletzt bie 
ſchoͤne Bezeichnung der Anftalten wurden, bie Vor⸗ 
zfademien feyn folten, und die, wenn fie ihren 
Zweck erreichen, dem Staat vielleicht nuͤtzlicher, deu 
Juͤnglingen angenehmer, bildender, ficherer find, 
als Akademien felbit. Mir laffen den Urfprung 
bes Namens, und gehen auf deffen lehrreiche Be⸗ 


beutung. -Vebungsanftalten find Oymnas - 


Serderd Werkes. Phil. u. Geſch. X. 45 


226 


fien, Anfalten zur been, zur nüplige 
fen Uebung. 

Mit Anlagen Lommen wir auf die. Welt; aus 
gebildet werden diefe Anlagen nur durch Uebung 
Unfer ganzes Leben iſt für und Gymnaſium; mes 
aus ung werden foll, muß in uns durch Hebum 
werden. Je eblere Kräfte wie in und erweden, je 

zu einem beſſern Zweck, in je beſſerer Ordnung, nk 
ie mehrerer Leichtigkeit, Sicherheit und Kunft wi 

fie zu dieſem Zweck üben und ausbilden, deſto beffere 
” Menfchen find wir. Dem unentwidelten Keim, 
dem rohen Edelſtein gleicht die unausgebildete See 
le; ein ungeuͤbter Menſch it, worin es auch fe, 
ein baͤueriſcher grober und roher Menſch, ein 
brutum. 

Von Kindheit auf ſtrebt die menſchliche Natur, 
daß fie geuͤbt werde. Warum gab der Schöpfer der 
Jugend, der menfchligen Tugend zumal, jene Dun 
terteit, jene thätige Unruhe, jene Bertebfemiekt 
und ihre Schweiter die unerfättlihe Neugierde? Z 
feinem andern Zweck, als daß der Menfch geuͤbt, 
in allen Kräften geübt werde, Dazu jene Beweg 
lichkeit der Augen, der Füße, ber Haͤnde, ber Zunge, 
der Lippen, der Gefichtszüge In unferer reichen vor 
trefflihen Drganifation; dazu der Gebrauch unfe 
zer Finger, die die Schöpferinnen faft jeder Kunß, 
und fo vieler Beguemlichkeiten des Xebens fine. 
Unfer Körper iſt zuͤr Uebung gebauet; zur Uebung 
find unfere Seelenträfte mit folgen und keinen au 
- bern Eindiihen und jugendlichen Neigungen begle: 

tet. Einem gefunden SKinde und Knaben, einem 
glücklich gebildeten feohen Juͤnglinge tft nichts vor 


“ 











227 


‚after, alo tige: Ku; ein Abungsintee Leben iſt 
bau: Tod; muntre, auch beſchwerliche Uebung tft 
web bringt ihm Freunde, Geſundheit, 

WVom erſten Moment des Lebens an haben wir 
us alles, was wir koͤnnen und willen, vieles, ohne 
yaß mir es gewahr wurden, durch Uebung erworben. 
Wie unfer Faß gehen, fo bat unfer Auge. ſehen, 
zuufer Ohr hoͤren, unfere Snuge fpreden gelernt, 
yurch Uebung geleent; alle unfere Kemntuifle, Ge⸗ 
wohnheiden und Fertigkeiten find Mefuitate unſerer 
Hebung: Wer. fich für Arbeit und Hebung fürchtet, 
iſt ein umbeholfener, ſchwacher, kranker Menſch, 
Zalbzebildet, unbiidſam; wer fi für leiner Uebuag 
r&gendt, wen eben die ſchoͤnſte, ſhwerſte Uebung am: 
rneiſten weckt, wer darin ſich am beſten ausnimmt, 
wer fie aufs ſtreugſte aushaͤlt, der Juͤngling iſt 
o»tibſam, er wird ein noluroonos, ein vielgewand⸗ 
er, vielgebildeter Mann werden. Ohne mich auf 
as ungeheure Feid einzulaſſen, wie jede Wiſſen⸗ 
haft und Kunſt, was fie iſt, nur durch Uebung, 
acc Uebung vorzuͤglicher, wohlorganiſirter Men⸗ 
chen geworden, halte ich mich in den Schranken ei⸗ 
zer Schalrebe und bemerke, daß jede Schule, jede 
iafle der Schule, von ben unterfien an, fein Platz 
‚ae Muße und Traͤgheit, zum nuthaͤtigen Lernen 
sub Vernehmen (schola), fonbern ein Uebungsplatz 
vuvpvaoıov, TasdEVT7Q409, meleıntr,oov ſeyn müffe, 
and zwar, wenn fie es in ben eberften Klaffen ſeyn 
ſoll, in den unterften zuerft. 

Betrachte man doc die junge Brut der unterm 
gelaſſen, wie fie mit Luft und Freude zu jeder Im: 
zendübung daher zeucht. Nennen und Laufen iſt 


228 


ihre Luft; unerträgliger ift ihr fa nichts als dei 
Eitzen; daher fie fih auch die Schule vorzägie 
durch das umerträglihe Sitzen bezeichnen. In be 
Schulen beißt es bekommen fie Sitzfleiſch. Um ik 
‚nen bie Schule nicht gang wibrig zu machen, wa 
:{ft in unfern engen Gymnaſien⸗Mauern das einzig 
Huͤlfsmittel? Das innge Wolf, bie Schaar von Bi 
:geln, denen nur bie Flügel fehlen, werde, fr 
viel es die Klaſſe zuläßt, in mancherlei Hebnns 


erhalten, ihre Geelenträfte werben befchäftigt, ge: | 


Abt. Das wollen auch fchon bie erſten Rudbimsente, 
die fie lernen. Buchſtabiren, lefen, rechnen, ſchret 
den, enthalten bie vielfachften Uebungen unferer See: 
ienträfte; ein Philoſoph hat ausgerechnet, daß u 
ſere Seele, mich büntt, einige vierzig Nebuungen ver: 
nimmt, indem fie bie große Kunft lernt, su bug 
Hadiren. Hat nun ein Lehrer Verſtand, Ge 
ſchicklichkeit und Blegſamkeit genug, beim Bud: 
flabiren, Lefen, Rechnen, Schreiben, wozu ih 
noch das Sprechen, Erzählen und Zeichnen der Ft 
guren hinzufügen muß, alle die Uebungen anzumen- 
den, bie diefe ſieben ſchoͤnen Künfte, Buchftabiren, 
Leſen, Schreiben, Rechnen, Sprehen, Erzählen, 
"geihnen ber Figuren in fich fchließen, und ihrer 
Natur nach norhwenbig fordern; hat er fie zu üben, 
-ceihwelfe In ber ganzen Klaffe zu üben, unabläffige 
Luſt und Neigung — gewiß wird Ihm ber fröhliche 
übungsluſtige Sinn feiner Kleinen dazu bel: 
fen. Ihm, wie ihnen, wird bie Arbeit ein Spiel, 
eine Luft: Uebung werben, da im Gegentheil eine 
Klafle armer Pogmaͤen, bie nur das Eitzfleiſch 
üben, jedem Fremden ein trauriger, trauriger, 


229 
trauriger Aublick iſe! Unſere öffentlichen Schulen ind” 
bekanntermaßen im Kampf mit Privatſchulen, und 
fo viele Vortheile jene haben mögen, ze sit dennoch 
voraus zu fehen, fie werden von Jahr zu Jahr im 
dieſem Kampf verlieren. - Wodurch verlieren fie? 
wodurch gewinnen jene? Dieb fagen und alle Er— 
ztehungs = Iuftitnte in Ihren Verkuͤndigungen: durch 
webung. — Hierin, darin follen bie Kinder ge⸗ 
abt werben, rufen fle alle laut; duch Hebung: 
follen fie lernen. Worin num ihre Uebung beftche? 
worte, mit welcher Ordnung und Abwechfelung fie 
getrieben werbe, tft bier nicht bie Frage. Das Wort 
webung iſt's, was die Eltern freut, die Kinder 
bezaubert. Jeder Mühe bequemen. fie fich gern, 
wenn fie nur geuͤbt werben. 

Die körperlichen Uebungen find ben oͤffentlichen 
Schulen entnommen; find aber die Arbeiten, die 
fie zu treiben Haben, nicht -auch Uebungen? Richtig 
und angenehm ſprechen, geſchickt und richtig 
ſchreiben, erzählen, ſich ausdräden, rechnen, 
zeichnen zu lernen; felbft hören und beantworten zu 
koͤnnen, was ber andere fagt und nicht fagt; bei'm 
Himmel! das erfordert Uebung, feine, viele, laug⸗ 
fortgefeßte Uebung, bie. gleichfam der Geiſt des 
Lernens, die Seele bes Unterrichts iſt, und fi 
durch nicht anders erfehen laͤßt. Der Wort: iin 
terricht, die todte Lehre, Lektion, Lernen, Nach⸗ 
fchreibeng. f. f. find, fo lange nicht Hebung bes Geiſtes, 
des Willens, beruft und Liebe unhjeber ingendlichen. 
Fähigkeit dazu kommt, todte Wörter, und werben. 
den Kindern bald ekelhafte Namen. Luft und Liebe 
macht alles leicht; Hebung befeelt jedes Werk, tn: 


I} 


250 


dem fie die Anlage in un? sur Terbibenufkn 
Traft, Fähigkeit, Ferecgleit erhöhet. Durch Ne 
bpung erri⸗in⸗ man den Preis in alen Kamapffplein; 
suse Uetung lerate Milo: den: Oqſen tragen, mi 
Herkales feine Arbeiten beſtehen; derch willig, 
frohe, unablaͤffig fortgeſetzte Uebung alle in wird mw 
‚feiner Kun Meiſter. 

Das Hauptwort ber. Schulen und Gymnmaſien di 
‚alfo uerera; übe dich! nur dadurch erlangt ma 
die. Krone; dieſer kategoriſche Imperativ geht: durt 
‚alle Klaſſen und Lektkonen. Und wie Fommt. ma 
dazu, worinne bejteht: dieſe Uebung? Mich dunl 
tn drei Stüden, die und: die-Natur ber Schulat: 
‚beiten felbft vorzeichnet. 

a) Sinnlihe Aufmertfamfeit des Kiabden 
des Knaben und. Juͤnglings werde erweckt; fein 
‚Seele werde aus dem Echlafe gerüttelt, ‚ober ın 
‚ „fremden Gedankon gereinigt. Souſt traͤumt er fort, 

‚fein. Geiſt, ſoin Wille, feine Seelenfräfte werben 

nicht geübet. Au Zeichen, bie dieſe Aufmerkſam 
ıteit erwecken, fehlt es den Wiffenfchnften nick; 
eBrtft. aber nicht ber baculas - in. mensa oder ir 
.sergo, der dieß Wundeswerk:thut; ſondern es Hi 
:der Körper jeder Wiſfenſchaft ſelbſt, die fin 
lihe Form, ohne welche ihr Gelft nicht fen 
kann. Wie man ohne Buchſtaben wicht leſen, ohnt 
Zahlen nicht. rechnen, ohne Stimme und Geberden 
nicht ſarechen uud erzählen kann: fo-Iann Ma— 
thematit 3. B. aicht ohne ſinnliche Darſtellung 
‚Geographie nicht ohne Landcharten, Naturge— 
Fine nicht ohne Abblidung, Phofir nicht op 
Berfuche mad; Proben, Gefch ich te amt ohne et 


[ 





231 


nen Leitfaden, der das Ganze verwebt und an- 
ſchaulich macht, vorgetragen werden. Jede biefer 
Darftellungen fordert und wedt Hebung. Wie 
Die Natur alle unfere Begriffe mittelft der Sinne, 
mittelft ihrer Eindrüde und Hebung aufwedt: fo kann 
es der Diener und Schuͤler der Natur, der Lehrer 
- einer Wiffenfchaft nicht anders; ie tebhafter, ie 
deutlicher, je angenehmer und finnlicher er feinen Schuͤ⸗ 
lerndiefentypus vorhäft, je bemerflicher er ihnen 
macht, mas in ihm gefehen und nicht gefehen 
werden kann, was mit der Seele gefaßt werben 
muß, je mehr er diefen Typus felbft gleihfam zu 
ſchaffen, ans feinen Gliedern zu Eonftitnfren, 
auf feine Glieder zuruͤkzufuͤhren, und bei ſeinen 
Schuͤlern in eine Art Selbſtſchoͤpfung, d. i. 
in Nachbildung zu verwandeln weiß; deſto mehr 
uͤbt er, d. i. er hat ſelbſt und gewährt Hebung. 
Die Geſchichte z. B. (um nur ein Exempel anzu⸗ 
fuͤhren) wird nie Uebung des Geiſtes, wenn ſie 
dieſen Typus entbehret. Bloße facta, arena sine 
calee, intereſſiren nicht; treten fie aber in eine 
Reihe, in Glieder, wird allenthalben wie an 
einer Kette gezeigt, wie dieß aus jenem ent- 
fprang, wohin dieß oder jenes wirkte; greifen die 
Glieder biefer Kette fo fcharf in einander, daß 
man bei jedem Fortgang flieht und fehen muß: aus 
diefem entftand jenes, anders Eonnte es nicht 
werden; fo war, fo tft das menfchlihe Sefchlecht 
nach Landftrihen, Seltaltern, Nationen, Religio⸗ 
nen, Spraben; fo artete, fo entartete es; bie 
wir jest da find, wo wir find, fchlingt fich biefe 
lebende Kette, man nenne fie Tabellen oder Typus, 


— 


232 


| 
durch die ganze Geſchichte, und fchlägt in jeden 
merkwürdigen Moment elektriſch an; ein ig 
navum pecus mäßte der feyn, beffen Aufınerk: 
ſamkeit nicht durch einen folhen Vortrag der Ge 
ſchichte geweckt, deſſen Seelenktaͤfte nicht auf be 
reichſte Art abw echſelnd und fortgehen 
fo geaͤbt wuͤrden, als ob er jede Begebenheit ax 
fähe, und fie felbft erfände. 

b) Abwechfelnd und fortgehend fey biefe 
Uebung. Hierin liegt das innerſte Geheimniß u= 
ferer Theilnahme mit Luft und Freude, folglie 
auch unferer Bildung. Leibnis hat bemerkt, daß 
der menfchlihe Geiſt nie fcharffinnfger, oder, wit 
wir fagen, aufgelegter fey, ald wenn er fpielet; 
woher die? manche Spiele find fo fchwer, fe 
ermüdend; andere find fo firengen Regeln unter: 
worfen; ſie erfordern eine fo wachſame Genauig⸗ 
keit u. ſ. f. Eben daß fie dieß fordern, macht das 
Spiel für den Liebhaber intereſſant; es wid 
nur dadurch angenehm, daß es Seelen- oder Le: 
beöftäfte fortgehend und wechfelnd, wed: 
felnd und fortgehend befhäftigt. In 
Sortgang der Befchäfttgung Ilegt ein unnennbares 
Vergnügen; wir füglen den gluͤcklichen Fortgang, 
duch den unfere Kräfte wachfend geſtaͤrkt werden; 
ie abwechfelnder dieß gefchieht, deſto reicher füh- 
ten wir und an Kräften; bald biefe, bald jene thut 
ſich hervor; und geht zur Ruhe, ohne Ueberbruf 
und Eridhiaffung, von cfner andern nab der Re: 
gel des Spiels abgelöfet. Leibnitz ſchlug zu Ue⸗ 
bung verfihiedener Seelenträfte mehrere folder 
Spiele vor z. B. das Spiel ber Urſache und 








% 


’ 233 
Wirkung: wenn bad gefchieht, was wirb wer: 
den? das Spiel ber Hälfsmittel: wenn dieß 
ſich zutraͤgt, was muß gefchehen? wie kaan man 
fih helfen? dus Spiel ber Zufälle: wenn man 
dieß thut, was kann fich zutragen? das Spiel ber 
Mittel: wodurch Kann dieß, bad mehr noch be= 
wirkt werden? u. f. Für fih genommen, ermübden 
biefe Spiele bald; Im Fortgange einer Arbeit aber 
Tann und muß fie der Lehrer unvermerkt faſt wi- 
der feinen Willen anwenden. Eben dadurch wirh 
niht nur die Aufmerkſamkeit feſt gehalten, ſon⸗ 
dern auch die edle, die uns fo unentbehrliche Kraft, 
das Vermögen praftifher Erfindung ge⸗ 
ftärkt. Es gibt Spiele des Witzes und Scharf: 
finnes, Aehnlichkeit und Unaͤhnlichkeit zwiſchen 
Dingen zu finden; wie oft kann der Lehrer, wenn 
er nicht bloß dociren, d. i. ſteif und hoͤlzern vor⸗ 
tragen, ſondern die Seelen der Schuͤler mit ſich 
arbeiten laſſen will, wie oft kann und muß fie 
. Der Lehrer hervorholend, fragend, veranlaflend ge⸗ 
brauchen. Man bat Spruͤchwoͤrter-Spiele; 
auch diefe kann und muß bie Schule oft gebrau⸗ 
chen. In den Sprühmörtern jeder Sprache be⸗ 
ruht ihre wahre Kraft und dhte Volksweis⸗ 
beit. Weber manche Sprühmörter läßt fih eine 
Abhandlung, ein Buch, ein Drama fehrei- 
ben, is viele find daraus gefchrieben. Die ge⸗ 
fheiteften, weiſeſten und wigigften Männer aller 
Zeiten und Völker haben fih mit Spruͤchwoͤrtern be⸗ 
ſchaͤftigt und erluftigt, vom weiſen König Salome 
an bis auf Erasmus, Bako — und wie viel 
- andere mehr! Des großen Erasmus Wis und leichte 


\ ST 


Schrelbart Hi aus Spruͤchwoͤrtern und gangbaren 


Rebarten gefhöpft,; Cervantes, Swift, Ster 
ne, Montaigne, Rabelats, unter und 2= 
tber, Leffting, Mofer wohnen glefhfam in 


ihnen; zu rechter Seit angebracht oder entwidet 


üben fie mehr als eine Seelenfraft, wenn fie fig 
bier in eine Geſchichte oder Fabel, dort In einen 
Beweis, in ein Sefpräch, eine vernänftige Debut 
tion verwandeln. Anlaͤſſe zu ſolchen Uebungen bie: 
ten faft alle in den Schulen getriebenen Schriften bar. 

c) Ein drittes Mittel zu Uebung mancherlei 
Seelenfräfte in Schulen gibt jene edle Nadel 
ferung, jener löblihe Wettfampf an die 
Hand, den der alte Heſtod die gute Eris 
nennet; in Schulen foll und darf diefe gute, wohl 
thätige Erls wohnen. Da In einem Haufen fäpls 
ger Juͤnglinge mancherlei Faͤhigkeiten gleichfam ver: 
theilt find, Indem diefer die Gabe bed Gedaͤchtniſ⸗ 


fes, jener des Wißes, ein britter des Scharfſinnes 


ein vierter der Einbildungskraft und fchaffenden Dich: 
«ang, ein fünfter den Vorzug des einfehend - bei: 
ien, ja des erfindenden praftifhen Verftan: 
des, ein fester der beftimmenden und ſcheiden⸗ 
den Vernunft, ein fiebenter endlih das Talent 
des Calculs und Mechanismus bat — mie 
ſollte wicht eine lebendige liebung des ganzen Schul: 
koͤrpers entfliehen, wenn diefer Antagonismus 
tebender Kräfte gehörig gewedt, aufgefordert und 
in Thaͤtigkeit geſetzt wird? Ein bekannter fpantfcher 
Art Jnan Huarte bat eine eben fo befannte 


Prüfung der Köpfe zu den Willenfhaften” ge 


Wörleben, die Leſſing uͤberſetzt hat; er theilt darin 


spe Genies für die Wiſſenſchaft aus, und kau⸗ 
sgiet fie nach den Fächern bed. Schirnd und bef- 
‚Ten Hlppokratiſcher Beſchaffenheit von Feuchtigkeit 
sand Drockenheit, von Hitze und Kite, Wie bie 
mancherlei Gonies ſich im mſorm Gehirn haben 
und ˖ fitzen, mag Huarte wiſſen; wie ſie in ben 
gachetn und lumbis ber Klaffe ſthen, das kann 
‚mid: muß einem aufmerkfamen Lehrer wohl bekaunt 
werden. Er muß es balb ime geworden fon, 
"wo Fein Geboaͤchtniß⸗ und ſeine Werftandes- 
Maͤnner, wo feine Phantafie - Jünglinge, item, 
Wo die Wutz⸗Gruͤtz⸗ mb eritiſche Spiktb- 

Beer ſctzen, und ſie ſich beb dieſer und jener Wiſſen⸗ 
:fhaft; bei jener und-biefet Aufgabe Halten and geber⸗ 
Yen? Sie vo hne Haß und Zank In Lebendige Uebung zu 
ſetzen, jedem Talent ſeinen Werth zu laſſen, ohne daß 
es ſich aͤber ein anders erheben duͤrfe, ja, daß es vlel⸗ 
mehr die Nothwendigkeit und Nutzbarkeit deſſelben 
. auch erkemen lerne, dieß iſt, dieß ſey das fortgehende 
Acdernug ber Säulen. — In dleſem Betracht, 
wie hoͤch ſtehen Gymnaflen Aber Univerſitaͤten! Im 
GSymnaſium wird jeder Schuͤler von ſeinem Lehrer 
gẽkannt, geſchaͤtzt, geuͤbt, geuͤbt auf bie ihm zu⸗ 
Jommende eigenſte Weiſe; mit guten Lehrern nad 
Schaͤllern befehte Opmnaften ſind ganz und gar eine 
:febendige Debung. Auf Univerſitaͤten Tenat der 
Xgr feine Zuhoͤrer kaum; er Iiefet, wie es 
heißt, und fie hoͤren; er iſt Profeſſor, d. . Aus⸗ 
. zebner. ber Wiſſenſchaft, ſie ſind Akuſtiker, die von 
einem zum andern, von Kephas zu Apollo wandern 
nund hören, mas er profeſſorirt. Wiſſenſchaften, 
die chungen erſordetu, z. BSprachen, Mathe⸗ 


256 


matik, Geſchichte, Schreibart ıc., laſſen fich daher 
in öffentlichen Kollegien auf der Akademie faſt gar 
nicht lernen. Wer fie von Schulen nicht mitbrachte, 
muß fi eigene Privatlehrer halten, ober er lernt 
fie nie. Der hoͤchſte Unverſtand eines Juͤngliuge 
iſt's alſo, wenn er, ehe feine Uebungen Fertigkel⸗ 
ten worden find, vom Uebungsplatz, b. I. vom Gym: 
naftum dahin eilt, wo einzeln nichts geübt wird, 
wo Im Allgemeinen nur hörende Ohren und fchrei- 
bende Finger in Bewegung gefeßt werden, und es 
jedem Süngling uͤberlaſſen bleibt, aus dem Kohl, 
den er ſich täglich von fünf Wieſen fammelte, ſich 
felbft ein Gericht zu bereiten. che, wenn er ein 
ungeäbter Kopf iſt! In feinem Haupt, wenn bad 
Zufammengetragene ia dahin gelangt, mird ein bi: 
fes Gekoͤchs werben. 

Aber warum reden wir, wenn wir bom Gym: 
naſium fprehen, von Wilfenfhaften, von Kemmt: 
niſſen allein; gibt es nicht andere Faͤhigkeiten im 
Süngling, die ebenfalls nur buch Uebung zu 
Fertigkeiten werben können? Sol feine Seele 
nicht auch lichen und baffen, anziehen und 
zurüdftoßen lernen? Soll er niht auch in Tu: 
genden, in jeder Gemuͤthsſtaͤrke, in Entha It 
ſamkeit, Anſtreugung, Maͤßigkeit, King 
heit, Wohlanſtaͤndigkeit u. f. geuͤbt werden? 
Ohne Uebung erlangt man dieſe Vortrefflichkeiten 
nicht; und doch find fie Die ſchoͤnſten Vortrefflichkeiten, 
und am leichteften erlangt man fie in ber Jugend. 
Wäre alfo jedes Gymnaſium ein Pothagereum, deſ⸗ 
fen Genoſſen mit einander eben fo in praftifcher 
Vollkommenheit wettelferten, wie in Willens 


— — — — 


— — — — — — — 


— 


237 


fchaften und Künften! Wer 5. B. gegen feine Leh⸗ 
zer, gegen Eltern und Vorgeſetzte, gegen verbienft- 


. volle Männer im Leben oder in der Geſellſchaft die 


wuͤrdigſte, reinſte Hochacht ung zeige? das Un⸗ 
recht, das ihm gefchieht, oder geſchehen koͤnnte, 
aufs kluͤgſte abwende, aufs edelſte raͤche, aufs 
großmuͤthigſte ertrage? wer ſeinen Freund aufs 
lauteſte und innigſte, ohne Schmeichelei und Un⸗ 
wahrheit, ohne Eigennutz, Stolz und Anmaßung 
liebe? wer feine Begierden aufs maͤchtigſte zu 


belämpfen wille, auch erlaubte, nur Aber ihr | 


Maß firebende Begierden? wer feine Zelt am 
beften eintheile? wer fih dem Körper nad 
am beften trage? unvorbereitet am beften fpreche, 
wer bie edelfte Einfalt, bie zwanglofefte Har⸗ 
monte in feinen Handlungen zeige? wer bei 
Worfaͤllen, die erzählt werden, am mächtigften, am 


verſtaͤndigſten denke; bei unvorgeſehenen Zufäl 


len am kluͤgſten ſich benehme? wer bei allem den 
edelſten Zweck des Lebens mit Vorbeigehung alles 
Gemeinen und Niedrigen ſich auserwaͤhlt habe? 
und wie er dieſen Zweck bei allem ohne Geraͤuſch 
aufs ſtillſte befolge — hiernach meine Freunde, 
Zuhoͤrer, Lehrer und Schuͤler, wollen wir alle ſtre⸗ 
ben. Das Leben ſey uns Gymnaſium und da alle 
menſchliche Wortreffiichkeit und Tugerndnur In Ue⸗ 
bung beftehet, fo fey es unfere angenblicklich tägliche 
Frage?! in quo exerceor? quid ago? 


Und ihr Juͤnglinge, wohlauf, ein Jahre eurer. 


Uebungen iſt verfloffen; zeigt biefer Uebungen 
Fruͤchte! Die Saranten find geöffnet; der Kranz 
iſt am Bieter 





— 


Li 


⸗ 


258" 


Rede nach dem: Ermtieit. 1799: 





Abermals iſt alſo ein Jahr zuruͤckoe begt, vie 
Schuljahr. Mit wie mancher Mühe! mit wie man 
* von Jungen und Alten augewandten Schweiß! 

faft nicht zu fogen Ju's Unendliche Taufe: Die. 
Rechnung jugendlicher und auf die Jugend verwand⸗ 
ter Mühe, auch vergeblider Mühe, Sorgen und. 
Gedanken. 

Ganz vergeblich ward fie dennoch pie angewandt 
biefe Mühe; ganz in Luft: und Meer werben fie 
doch nicht hingeſtreut, dieſe Gedanlen. Der Lehe- 
ling muß viel,Zinfon umfenf und auf's Gerathewohl 
ziehen, che er die rechte Linie trifft; -deg- Lehrer und 
Saͤemann begraben ihren Saunen in die Erde. Et 
ſcheint zu verweſen, und ˖geht wenn kuft und Seunte 
und Zelt und bie. maͤchtige Kraft der Natur ihn 
weden, reich.an Früchten hervor. 

Jeder Umgang. mit. Menfchen, jede menſchliche 
Rede und Handlung wuͤrzt ſich allein durch MWers 
ſt an d. Nur einen verſtaͤndigen Menfchen hört mau 
gern; eine Handlung; in der Verſtand liegt, ſieht | 
man mit inuerem Genus und Freude. Will men 
ein Examen, das iſt eine Probe jugendlicher Uebun⸗ 
gen und Lektlonen loben, fo finde ich fein anderes, 
kein groͤßeres Lob für fie, als: es waren verfiändige 
Uebungen, und die ſich in ihnen geuͤbt hatten sel 
ten fih verſtaͤndig. 


239 


Ich getraue michs zu fagen, daß wenn au.ber 
aͤrgſte Feind unſeres Gymnaſiums bei diefem Ver⸗ 
hör gegenwärtig geweſen wäre und er den Zuſtand, 
in dem vor 10 — 20 Jahren diefe Anftalt war, ers 
lebt hätte, er ſagen müßte: bei allen Mängeln, bie 
unfere beſchraͤnkte Anfkalt drüdten, zeigten fich Leh⸗ 
zer und Schäler in allen Klaffen verfländiger, 
d. 1. Ihrem Zweck angemeflener, weiſer. Mi ern⸗ 
fter, filter Freude habe ih dieſe Zunahme, diefe 
Fortſchritte des praktiſchen Verſtandes wahrgenom⸗ 
men und muß ihn oͤffentlich ruͤhmen. Nicht verge⸗ 
bens fing die ftille Minerva, die jungfraͤuliche, mil. 
Lauter nuͤtzlichen Symbolen fi auszeichnende Pallas, 
unfere Schulhandlung an; ihr wohlthätiger Einfluß 
Hat ſich bewähret, ihr unſcheinbarer Olivenzweig 
gruͤnet und gruͤne lange, uͤber dieſem ihrem heiligen 
Tempel, dem der Lorbeer des Apollo und fein zu 
heller Götterglang vieleicht nicht ziemet.) Der: 
ftändig wollen wir werden, wir alle, Lehrer und 
Schüler, Zuhörer und ich, der Redner felbft,. nad). 
der alten Sentenz des weifen Dichters: 5 

Iſt aufs Nuͤtzliche nicht mein Fleiß gerichtet, 
Sp arbeitet ih, ah, zu Teerem Ruhme. 

Und da meine Einleftumgsrede vom Gymnafium 
als einem Uebungsplatz aller nuͤtzlichen Fähigkeiten 
der menfchlichen Seele handeite, fo erlaube man 
mir zum Abfchiede (einer Schulrede muß dieß nach 


*) Die Anweigungsrede unfered Gymnaſiums im Jahr 
4716. handelte de sanae mentis indicio circa Gymnasia 
et scholas, reipublicae literariae seminaria. Diefe sana 
mens fey unſere Pallas. Mens bona etc. 


€ 


240 


altem Herlommen erlaubt ſeyn) einen kleinen w 
landiſchen Wortwis. Unfer Gymnaſium, bad ik, 
anfere Uebn gsſtaͤtte, heißt Ernestinum, dei 
Ernſtiſche Gymnaſium. Ernſt, Ernft, mei 
Freunde und Zuhörer, tft das, was allem Uebnngen 
dieſes Hauſes vorſtehen umd fie begleiten muf, 
wenn fie das ſeyn folen, wozu der Stifter diefei 
Haufes diefen heiligen Jugendtempel (ich nen 
ihm nochmals alfe) erbaute. Ernſt nimmt alle m 
fere Seelenträfte zufammen; ein redlicher frommer 
Eruft macht alle Uebungen leicht und nuͤtzlich; et 
unterfheidet fie von finnlofem Spiel, von zerfiten: 
tem Unfinn; er macht uns verftändig. Ernſte lie: 
bung allein bringt weit und führt zum Ziele. — — — 
— — Mir begraben mit dem heutigen dir: 
men bes Jahrs 1799 den alten Adam, das alte fk 
kulariſche Schuljahr, und wollen Zleit anwenden 
daß wir in den Monaten Sept., DE., Nov., Der 
noch manche feiner alten Sünden, die ung ankleben 
md träge machen, begraben, damit, wo möge 
mit dem Jahr 1800 auch in diefem alten hundert⸗ 


— — — — — —- 


jährigen Haufe eine nene Wiedergeburt werde 


Hieruͤber wollen wir_ung bie Hände geben: denn 
vielen alten Unrath abzuthun, legt freilich und Te: 
Diglich an und. Mor zweihundert Jahren begrad 
man in Schulen mit felerlichem Geſange: 

„Run treiben wir den Papft hinaus’ 
und In noch ditern Zeiten: ® 

„Nun treiben wir den Tod hinaug,” 

Tod, Teufel, Papft und Hölle; 
das waren prächtige Schulaufzuͤge! Jetzt ziemt ed 

und 


7 
f 


Ä 241 Ä 
und, den alten Adam mit Werk und Weſen zu be⸗ 
graben: denn ein neues Jahrhundert geht an! DH 
fey es, wenn ed mir vergoͤnnt iſt, hier: wieder zu 
erſcheinen, ein lichtbringenbes, für unfer Gymna⸗ 
fium erquidendes, für Lehrer und Schiler freundii- . 
ches Jahrhundert! In diefen einladenden Wün- 
fhen wollen wir alle das Lied anftimmen: 


Gott gebe nur ein fröhlich Herz 
Erfrifhe Geiſt und Sinn, u. f. 
Er laſſe feine Lieb und Gür 

Um, dei und mit ung gehn, u f. 


- - Die Ferien gehen an! Sie werben jedem Schuͤ⸗ 
ler eine erquickende, erfriſchende Luftzeit, wo er je- 
den Tag mit einer guten Wiederholung, einer nuͤtz⸗ 
Karen eigenen Nebting, einem neuen frohen Ent- 
ſchcußᷣ anzrichnet. Auch er begrabe den.alten Adam, 
ſetuos vdrigen Lebens, und ſchicke fi zu, daß bag 
Day Jahrhundert ihm⸗ auch aufgehen koͤnne als 


etne dellbringende Aurora! 


‚Den 2ten September gehen die Schularbeiten 
wleder an, jeder junge Krieger fteht an biefem Tage 
bei feinem Feldzeichen unter dem Helm und Schilde 
der Minerva, Und fo lebt wohl, liebe Sünglinge, 
der Anwuchs und die Hoffnung unferes Vaterlan⸗ 
des! Lebt wohl! | | u 
Mit den orten eines unferer gellebteften Dich⸗ 
ter fey mir ein etwag höherer Schluß erlaubt, zu 
biefer.meiner ſaͤlulariſchen Begraͤbn. ßrede. 

Bon fabelhaften Namen reißt 

_Bu Dir, vollkommner hödjiter Geift, 

Berders Werte. Philoſ. u. Geſch. X. 16 


N 242 
Sid mein Gelang empor! 
Nur Du gibt Weisheit, Pallas nicht: 
Aus Deines Lichte quillt iger Licht . 
Zu Sterblichen hervor. 
Gie Leite mich im Labyrinth 
Des Lebens, wo, durch Irrthum blind, 
Sich mein Berftand verliert, 
Wenn fie die Nebel nicht zerſtreut, 
Und mid durch alle Dunkelheit, 
Zum Glück und Guten führt. 
08 flieht vor ihrem Helen Blick, 
Der Thorheit flüchtig Schattenglück, 
Manch farbiht Luftgeſicht. 
Sie fieht, tro& feiner Mummerel, 
Daß alles, alles eitel fey, 
Allein die Tugend nicht. ”) 


Im verfloffenen Jahrhundert wie viele junge 
Menſchen gingen aus biefem Gymuaflum binaw! 
Ste blühten in, fie blühten außer ihrem Vaterlaud 
und brachten Früchte. . Wie mancher Procuethen 
faß bier, bildete Menfchen, ungeſehen ſtand hinter 
ihm die fleipige Minerva; und In feinem Haufe 
nagte der Geier an ihm, Hunger, Sorge, vielleicht 
Haß und Verachtung. Sol diefer efle ſcheußllche 
Kontraft noch ein Jahrhundert währen? Nein, hide 
fie, oberfte Weisheit, das trau'n wir bir, als be 
Freundinn unfers Geſchlechts zu, gewiß Hiücht, ge: 
wiß nicht. Foͤrdre alfo, wenn es ſeyn kann, bein 
Berl; warum wollte du es nicht firbern? Sprich: 
„es werbe ct und es wird, wo es noch dunkel 
iſt, Licht werben! Und du, Heiliger, menſchenfreund⸗ 


* Andie Weis heit; von un . 














Te 
ler Mann, ber fiharffchend, wo es umnferm @e-- 


ſchlecht fehle, das Wort ausſprach: wer ein Kind- - 


aufnimmt in meinem Namen, ber nimmt mich auf; 
wer biefer Beringften eines ärgert, dem wäre bafs 


fer, daß ein Muͤhlſtein an feinen Hals gehängt und 


er in's Meer verfenkt wärbe; fchaffe, erwede unter 


und auch im kommenden Jahrhundert: in heineme 


Sinn Shriften ! 





XXIII. 


Non scholae, sed. vitae discendum. 1800-- 





Nur drei Worte feyen mir vergönnt, über eine 
bekannte Regel: nicht der Schule muß man 
fernen, fondern bem Leben. ’ 
Was heißt Lernen? Man hat davon falſche 
Begriffe, wenn man glaubt, es heiße: fremde 
orte ſich einpraͤgen. Worte find Schälle; ohne 
Gedanken druͤcken fie fihmzuwellen, zumal in der 
Jugend, mit großer Kraft ein; ohne Gedanken aber 
hat man fie nur ald Papagei gelernet: denn befann= 
termaßen lernt auch der Nabe, der Papagei Wort⸗ 
ſchaͤlle und ſagt fie zu rechter und zu unrechter Seit 
Worte ohne Gedanken lernen, iſt dee menſchli⸗ 
hen Seele ein ſchaͤdliches Opium, das zwar zuerfk 
einen füßen Traum, einen Tanz von Spihen und 
Bildern gewährt, vor dem man ſich ale vor einer 


4 


Pan 


ganze Bände fogenannt philofophifche. und poetiſche 
Schriften; man liefet; / wie Hamlet fagt, Worte, 
Morte, Wortfchälle, Schälle, bei denen ungläd 
liherweife die Autoren zkauubten, daß fie daͤchten 
indem fie doch nur fprachen und nachſprachen; dunlle 
dba: lichte Scheinen Ber Iıhägkiäftnt; RE man jeht 
Dden und andere Gedichter jetzt Abhandlungen 
nennt ¶Wontſcaue a ve ie 
| ib der träge Meuſch HE zur ihnen To geiieig! 
Woite wird Ihm teimter zu — Pen 
u denken. Cr findet in Ahken Herkipe, oft ſchore 
ebänfenformen; ſte palleır In bie Rebr; dem 
gleich trägen ſtad fie willfommeit, mie fie es Ti 
waten; er Farin wie mit Redhenpferinigen mit thaca 
ben Cours des gemeinen Reblſplelß Halten; Wärsm 
be er ſich, watum atdere nitt Gebanken ters we 
hör oder befchweren? O wir viel leere Worte fa 
Kinb, der Juͤngling aufs; ıld’vfel leere Nik 
Atihen, Die off am Inuteften tönen, deren wem 
um gemaͤchlichſten, am oftiten und liebften bebieken, 
EuBe wir ale in unſerem Köpfe Main mache Die 
Ytobt Darüber, bet irgend einem gemeinen Sefprach 
Cie man bei Kirche ober in Geſetlſchaft Hörer eb 
frage ſich, wie jeher Kaͤmmerer aus RMohrenlaud 





\ 


= — 


ahergeheſt da an, was. du hoͤreg ?“ © quantum 


ost, in verbis, in. literis, in voaibus imane, 
2 1 1 1 Te 
“Bon biefer Wortſehlenderei muß ſich ein bauten: 


Rer. Süngking frühe entwöhnen, bey mit innen hat 


er nicht denken gelernt, ſondern das Denken verler⸗ 
net. Es hat fich in ihm sine Wortwelſe zuſammen⸗ 
gazogen und Figuren -gebildet, die fih in ihm mie: 
im Agat. verhaͤrteg und doch amt Verurtheile, d. j. 
fremde Urtheile einer. fremden Gedenlenweiſe ſigh 
op dendie innere Kraft ſelner Seele wenig ober feinen 
all nit, Er wird ein Sllave fremder Gedanken; 
und Meinungen, ohne daß er die Ketten auch um: 
fühle, ohne daß ex frei und ſelbſtthaͤtig au werden 
auch nur ſtrebe. Lebenslang iſt und bleibt er ein 
Nachſprecher, ein Wortfizeiter, Worshändler. Ach 
ſagte ber Affe jener Zabel: „ſchoͤne Larve, ſchade 
daß es ihr am Hirn fehlt! Ach, koͤnnen wir zu man⸗ 


chem Redner und Schriktfieler ſagen, ſchoͤne, habe: 


klingende Wortmaſchine, ſchade, daß fie. fo wenig 
is 20a Klavier oder als — — Szyrachmaſchine 
Den 23 . . | j j 
Was than mir, wenn wir gaben, ſprechen, 
zeichnen, tanzen bernen? Nicht wahr? wir uͤhen 
und vollfuͤhren ein Werk; wir machen's nach, bis 
vix s koͤnnen. Bis es gelingt, mit unfern Kraͤf⸗ 
on, mit unſern Gliedern. Sp bei ſichthar ie 
ie. Yugen fallenden Künften; bei unſichtbaren und 
‚ei dem unfihtharften von allen, beim Denken, finr. 
vet das Lernen auf Feine andere Weise. ſtatt. 
eine Gedanken Tann mis der Lehrer acht ein- 


‚eben, eintrichtern; meine Gedanken Tann, wii, 


7 


1 


246 

md muß er durch Worte weden; alſe daß fr 
meine, nicht feine Gedanken find. orte find 
Hloß das Inſtrument, dieß muß ich mit eigenen 
Kräften, auf meine WBelfe brauchen lernen, code 
th babe nicht gelermet: Der befte Pruͤfſtein alfı, 
«9b jemand etwas gefaßt Hat, iſt, daß er's nık 
machen, daß er's feibft vortragen kann, nach fe 
‚ser eigenen Art, mit feinen eigenen Worten. Mertt 
æeuch biefed, Ihr Katecheten! Das ewige Wenden 
‚and Dreben vom Subjekt aufs Praͤdikat, vom Ai 
ditat aufs Subjekt: „wer hat dich erſchaffen? wen 
hat er erſchaffen ?“ iſt noch fein katechiſtren, fen 
dern ein leibhaftes Wortjaͤhnen, da man den mi 
gzur Rechten und Linken, auf: und abwärts zieht, un 
"immer doch nichts ale dem jaͤhnenden Fuhrmann: 
laut: abi! oho! faget. In eigenen Worten muf 
man katechiſtren; eigene Worte muß man dem Ar 
techiſirten herauslocken, feine eigenften Worte, 
:diefe , dieſe allein bezeichnen feine eigenen Gedan⸗ 
ten. Ihnen muß man folgen, an fie feine eigenen 
-Gebanten knuͤpfen; fo lernt man lehrend, fo lehrt 
:man lernend. Wie in allen Kuͤnſten bie. eigen 
Mebung alles, alles und ohne fie Feine Kunſt ik, fr 
iſt in Wiſſenſchaften nichts ohne eigene Auffäge, fx 
feiner eigenften Sebanfenmanier, in der mau fld 
fein einziges unverfiandenes Wort erlaubet. Die 
Gedankenweiſe bed Lehrers iſt dem Lernenden nut 
Vorbild, wie im Zeichnen der Schaͤler die Bor 
Theft oder das Gebilde des Meiſters nachformt, 
nachzeichnet. 

So rehn und einfach dieß Geſetz der Kunſt und 
der Natur, ſo viel Tagt’6 für Lernende und Lehrende. 


a 


— — — — — — 


— — nm oT Tb En VE ui SU U GE — — — 


247 


Sie gebietet bem Lehrer, daß feine Gedankenform, 

feine Art des Vortrags In ber Seele des Lernenden 
ein Vorbild und Mufter werben Eönne: denn nicht 
nur dad, was er fast, fondern wie er's fast, b. 1. 
wie er's wohl oder übel verftanden denkt, iſt Lehre, 
d. 1. ed wet Sebanfen, und geht in bie Seele bes 
Lernenden über. Die große Ordnung ber lebenden 
Natur verinäpft alle Weſen durch einen ſtillen Ueber⸗ 
gang lebendiger Nachbildung. ie wir bei einem 
Wahnfinnigen wahnfinnig werben, bei einem Stam⸗ 
melnden, ohne daß wir's willen, mitftammeln ler: 
sen, wie liebliche Worte, liebliche Geberden und 
Sedanken, von denen, mit denen wie leben, in 
uns übergehen, fo auch die GSedankenweiſe des Leh⸗ 


rers bei'm Bortrag der Willenfchaft, gleihfam die _ 


SMelodte feiner Seele. Wehe dem, der fchlechte 
Geſaͤnge oder gute Geſaͤnge ſchlecht finget; er ver- 
dirbt damit das Organ und die Sedanfenform feines 
Lehrlings, dem es oft beffer wäre, er hätte nichts, 
als Mefes alfo gelernet. Wer ſich begmügen wollte, 
es find ja doch Schälle, Töne, oder im Felde der 


Wiſſenſchaft, es find ia doc Wiſſenſchaften, die er 


lernte; ber erinnere ſich, daß auch die Chiere 
Schälle bervorbringen, manche aber fehr unange⸗ 
nehme Schälle und Töne, und daß jede Wiſſenſchaft 
und jede Kunft nur Ein Marimum der guten Dar- 
fiellung ‚babe, das zu ihr gehoͤret, bas Feiner an- 
bern Wiſſenſchaft oder Kunſt, als hoͤchſt ungeſchickt, 
anzupaſſen iſt, in ihr ſelbſt aber ein unerlaͤßliches 
Geſetz iſt.« Allenthalben iſt bie Wahrheit nur Eine, 
und dieſe Wahrheit hat allenthalben nur Eine Form, 


die ihr an dieſem Ort die einzige, die beſte iſt; wie 


248 

es zu zwei Punkten nur eine gerade Linie gibt un) 
jede Kreislinle, fie ſey groß oder Tlein, vier rechte 
intel einfarlieft. Recht lernen md recht Ieheen 
beſtimmen alfo einander wie entgegengefehte Win 

kel; durch fremden Fleiß kann jemand zwar gelehrt, 
Jlettr&, aber nicht gebtidet, cultive, noch weniger 
savant werben, im dchten Sinne des Worte. El⸗ 
gene Bildung erlangt man unter der Hand und 
Leitung eines rechtfchaffenen Lehrers nur durch eige 
nen Fleiß, durch eigene Bildung. 


Hiernach erklärt Rh num auch, was es Heißt, 
. nicht ber Schule, fondern dem Leben lernen. Der | 
Schulte lernt man auf eine gute Welle, wenn mm 
ihe Ehre macht, wenn man dad Bepräge mir fh | 
wimmt, man fen in einer guten Schule gemefen; 
ein Gepräge, das fich nie verwifcht, das immer 
kenntlich und lobensiwerth bleibt, Zutrauen erwed 
und auf der Bahn des Lebens viel MWortheile ge 
währt. Gewiß iſt's Lob und Empfehlung filz eimen 
Menfhen, wenn man fagt: er bat Schule: bw 
gegen einem Rips - Raps, der von feiner Schube 
weiß, Feſtigkeit, Beſtimmtheit in feinen Arbeiten 
fehlet. Dem Wort Schule iſt die Welt in at 
len Künften und Wiſſenſchaften viel fchuldig; Uebunz 
unter einem guten Lehrer ‚gibt ein ſicheres Hand⸗ 
und Augenmaß, eine vernänftige Tendenz, eine 
fefte Regel. Auch wenn ber Lehrling fi vouskek: 
rer entfernt, bliebe er auch nicht ein Zweig auf Tel: 
nem Stamm, auf feiner Wurzel, ſo nlnmt. er be 
feine Art mit fich umd fproßt weiter. - Sofera 10% 
-alfo gut der Schule lernen, ' d. 1. alles das 'Ietutn, 


Sn 


449 
* man in ihr lernen kang; mb e6 ſchulm 
t. fefk, befttmmt, tet ernen. ie u äh 

Auch noch in einem andern Verſtande iſt's er: 
Laubt der Schule zu Ternen, wenn man hämlic, 
feibit ein Lehret werben, d. 1. bie Willenfhaftep ' 
fortpflangen will, fo daß aus dem Lehrling ein Ger 
ſell, ein Altgeſell, ein Meifter werde u. f. DR 
aber ſolcher Zunftlehrlinge doch In einer Schule im⸗ 
mer die wentgften find, fo bleibt's für die. meiſten 
ein heiliger Spruch: nicht ber Schule Lernen, ONE 
dern'dem Leben, 

Was Heißt dem Leben lernen? Offenbar, 
was nühlich im Leben iſt, was angewandt werden 
kann, wodurch wir beffer leben lernen. Da aber 
Das Leben fo viel und mancherlei bedarf, ba ber 
"Anwendungen und Nußbarfeiten fo viele, und ge- 
wiß nicht alle unmittelbar find, Indem eine Kennt: 
nik auf die andere hauen, der andern forthelfen 
muß: fo wäre es fehr thöricht, bei allem, was ich 
ferne, zu fragen: wozu kann ich's anwenden? ad 
wird mir's bringen ober helfen? Chor, üherfiebit 
du dein Leben und weißt alle Umſtaͤnde vorber, In 
die du fommen Fannft? MWelft du, was In jedem 
Geſchaͤft, in jeder Minute brauchbar ober eutbebr- 
Lich fey? Wenn du Geld fammelft, fragſt du, oder 
weißt du beftimmt voraus, wozu du ed auwenden, 
wenn du eine Sprace lernft, weißt du, mit wen 
du bie Sprache ſprechen mwerbeft?, Alfo führt ber 
Ausdrug „dem Zeben lernen“ darauf zuruͤch, daß 
man ſich ſelbſt in allen feinen Anlagen. und Fählg- 
gelten, in Seeleri= und Zeibesträften zu dem bilbe, 
was Leben heißt; an fich, fo weit es die Gelegen- 


- 


352% 


gen der g Ru. — De der Weit ft 
— e tüchtige *3 
Die Zeiten, dab man Scha t 


* —E Lieder aͤbeiſett, ober fonft mi 
bet Sprache und Poeſie tändelt, ſeyen auch hei dat 
Jugend yoräber: dann Das Leben, wazu 64 
Unge zu bereiten haben, fordert andere. Geſchi 


teilt als Mnafceontifche oder Schöferlieder. Mk 


dem Jahre 1800 Ift in manchen Dingen eine anbere 
Zeit angebrochen, bie mit 1801 u. f forkfchre 
neuen Fleiß, neue Emfigleit were dieſer neue —* 
s auf in Ernſt uud Ueberlegung! Ihr Juͤno 
nge geht einem neuen Jahrhundert entgegen, ie 
44 wir als Alte, halbahgebebt uereaen lernt 
dem neuen Jahrhundert, in Ihm zu Leben. 

Endlich da das Lehen nicht neue Kenntniſſe vnd 
Gedanken, fondern auch Willen, Triebe, Thet 
braucht, und in dieſem vor allem das Zehen Beficht, 
fa mendet fi der Spruch, nicht der Schule, fandere, 
dem Leben zu lernen, vorzuͤglich auf Biking des Hen⸗ 
zens und des — Was haͤlfe es tauſend gſamn⸗ 

en Willen, Leingen Geſchmack, Leine: Luſt 

ud Trieb zu Ieben, honett und cechtichaffen zu Ichen, 
haban? Im Willen leben mir; das Herz muß.uue: 
verdammen oder troͤſtaen, fldelen aber niederfrhler 


gen, lohnen oder firafen,; nicht anf Kenutniſſe sl. 


lein, fondern auf Charakter und Weiche, nufı bie- 
meunſchliche Bruſt ik die Wirkfamkeit und der Mark, 
das Gluͤck oder Ungiuͤck muferes Lebens sebanek. 
Leben lernen heißt alſo ſeinen ——— 
Richtung, geben, nee Grundſaͤtze reinigen, be 


— — 





=. 258 
fligen, ſtaͤrken, feine Vorfäge Iäutern und tapfer 


begründen, nicht mit dem Kopf allein, fondern auch 
mit dem Herzen exiſtiren gegen Eltern, Freunde, 


zehber, Mirfhäret, Bekahnte, Fremde, fi Sit 


ten erwerben, anfländige, frohe Sitten, Liebend- 


werth machend vor Bott und den Menſchen. Leben 


lernen heißt, die Stunden des Tages wobl ein 
thellen, ſſch Ordnung im Geichäft geben und fie mit 
ſtrenger Munterkeit erhalten, den Etgetzllchkelten, 
bem Schlaf, det Traͤghelt nicht mehr‘ Zeit einräu- 
men als ihnen gebührer; fih Vorſchriften machen, 
wodurch man feine Schwäche überwindet, feine el= 
genthünlige Schwäche, die niemand beſſer als wir 


ſelbſt kennen, dfe zu überwinden wind am ſchwerſten 


wird, und die die Elgenllebe fo gerit fn Schuß nimmt; 
beftehe biefe worin fie wolle; ſey ed Hang zu Stolz, 
zu thörichter Elnblldung von ſich feibft, an ber ſo 
viel junge Leute unferes Zeitalters krank Ifegem, 
che zu Geringſchatzung und Werachtung anderer; 


det Neigung zu Haß, zu Zorn, zu Menfcenfeind- 


— 


ſchaft, oder zu Verzatheit, zu Kieinmuth, am 


meiſten zu Uepplgkeit, zu Wolluſt, Traͤgheit, zu 
Taͤndelet mit dem andern Geſchlecht. Durch alle 
dieſe Neigungen, wenn fie überhand nehmen, ver— 
liert, vertändelt, entnervt, vergaͤllet ber. Juͤngling 
ſein Leben und fchafft fich Feine andere Ausficht, ale 
ſich und ändern zur Laft zu werden, das Leben einft 
feibft als eine Bürde zu tragen, oder zu vergeuben 
und zu verlieren. Von allen diefen Feindinnen des 
Xebens hinweg, ihr Juͤnglinge! — temmt teben, 
STE ; wuͤrdig und. gluͤclich leben !-- 


258 


XXIV. 
Vom wahren Fortſchritt in der Schule. 


(Rede nah dem Examen.) 1800. 





Menn wir in der Zeit leben, fo muͤſſen wir 
auch mit der Seit fortfchreiten; ich freue mich ber 
Vebergeugung, daß unfer Gymnafium und Die von 
und beſuchten Schulen diefer Stabt im vergangenen 
Jahr nicht ſtehen geblieben, noch weniger zuruͤckge⸗ 
sangen find, fondern wirkliche Fortſchritte gemacht 
haben. Es fey mir erlaubt, unparteliſch bieräber 
meine Gedanken fowohl als den Dank zu dußern, 
ber denen, die zu dieſen Fortſchritten beigetragen, 
gebuͤhret. 

. 1. Der ſchoͤnſte und lobenswuͤrdigſte Fortſchritt, 
ber bei Schulen genannt werben Fan, tft nad dem 
alten Spruͤchwort: qui proficit in literis etc. 
die Zunahme an Sittlichleit, an Zucht und Orb 


2. Nächft dieſem iſt ein zweiter fchöner Fort: 


—* in Schulen, wachſender Verſtand, zuneh⸗ 


mende Einſicht und praftifhes Verſtaͤndniß deſſen, 

was gelehrt wird; es. unterfcheidet fih, wie Licht 
ſterniß, vom bloßen Wortherbeten. nein 

Hfenttisgen Eramen ſpringt biefer Unterfchteb in 


*) Die detaillirte Beurteilung der eraminirten Schule 
nach diefen Srundfäpen wird hier wesgelaffen. 


— 
N 


255 


Auge und Ohr. Man Hört 6 nicht eben nur am 
Lehrer , fondern man hoͤret's und fichet’6 an den 
Lehrlingen, ob fie die Sache gefaßt, oder bloß das 
Bild ergriffen, oder endlih gar nur das Wort ges 
lernt haben; und diefer Unterſchied zwiſchen Sache, 
Bild, Wort tft, ich möchte beinahe fagen, inkom⸗ 
menfurabel. Wer die Sache faßt, bat den Ber: 
ftand der Sache; fein Verftand iſt aufgefchloffen; 
er ſpricht mit feinen eigenen Worten, was er er⸗ 
Tennt, aus; Luft und Freude iſt In ihm; er darf 
nicht gezogen werben; der Innere Verftand der 
ache ziehet ihn; er muß hernorgeben, was er einſah, 
was er mit Wohlgefallen nicht etwa nur, ſondern 
* innerer Jubrunſt erkannte. Dieſe Funlen des 
Erkennens find himmliſche Funken, semina aeter- 
| nitatis. Mer bloß das Bild der Sache hat, Tann 
auch und zwar fehr angenehm diskuriren; Bild aber 
ift einmal nicht Sache, vom Bilde diskuriren und 
genoflene Wahrheit anfchanen, iſt nicht baffelbe, 
Worte endlich herſagen, gut und beftimmt berfa= 
gen, iſt gut oder mag gut ſeyn, gerade aber nur 
für die, die an ber Sache felbft oft am wenigften 
Thell nehmen; fie werben alfo getrieben, und müfs 
fen getrieben werben, weil der Gefft fie nicht wedt, 
weit feine Innere Zuſprache ſich zwiſchen dem zu Era 
fennenden und unferer Ertenntels burftigen Seele 
fie zum Genuß zwingt und einladet, — Es wäre. 
kuͤhn von mir, bier Grenzfheildungen machen zu 
wollen; zumal In einem Gymnaflum ales gelehrt. 
werden muß, Gaben, Bilder, Worte und Zei⸗ 
hen; ſovlel iſt indeß gewiß, daß ich mehrere Lek⸗ 
‚tionen, ba Worte im klare Anſicht ber Sachen vers 


Ä 256 
andere wurden, und den Juͤnglingen ſich einge- 
geist haben, nicht nur aus dem Alterthum, fon 
erh auch aus den MWilfenfchaften, 3. B. Phyſil, 
Geometrie, Botanif m. f. f., mit innigem Wer: 
gnuͤgen gehört. babe. Ich wunderte mich nicht, baf 
dle Lehrlinge fo munter ſprachen: denn fie hakten 
begriffen, drum: ſprachen fie munter; wo fie nicht 
Segrelfen, ſondern herbeten follen, da hört bad 
muntere Sprechen von ſelbſt auf. — — 
. Ah, m. H., Freunde, Brüder, Lehrer, Lehr: 
Unge und Schüler — was hilft alles bemdnteln! 
aan muß eine Sache wiffen, die man lehren wii; 
man muß ſie Bang wlſſen, dann lehrt und faßt fie 
ſtch von ſelbſt. Lichte iſt Licht. Wem Licht anfse⸗ 
gangen iſt, erleuchtet, auch ohne daß er's weiß 
and will. Wert es fehlt, truͤge er auch zehn 
Feine Hornlateruchen, damit Fein Ungluͤck gefchehe, 
mir fich umher, was Können feine Lehrlinge thun? 
Ste zeigen auch das Feine Hornlaternchen ohne ein 
Stümphen Wachs = und Talglichted. Ich kenne 
keln Iuftigeres Thema als gegen die Aufklärung zu 
reden und zu ſchreiben: denn in einem ſtockdunkeln 
Saal tanzt ſich's anmuthig. Nichts iſt fuͤrchter⸗ 
Ucher als in den Abyſſus hineinzuſehen, wo 200, 
2000, und meinetwegen 20,000 Jahr her wieder⸗ 
gekaute Worte im ekelſten Dunſt, unverftaͤndlich 
hinaufſteigen! Und Kinder, Juͤnglinge, lehrbegie⸗ 
tige Juͤnglinge mit dieſem Dunſt füllen wollen, daß 
ſie ihn einſchlucken muͤſſen, um ihn ung wieder zu 
an, und — o wehe, — mid ſchaudert! mid 
€ —1 2 . + Pe “en . 
Hinweg Herfommen! alte, leere, träge Be⸗ 
wohn: 


a 


— — — — — — — — — — — — — — 


272° ‘ 

+ Das Helugſte in einen Meuſchen, alſo auch 
in xæinem Juͤngling iſt ſein Geiſt; er heiliget den 
Koͤrper. Zweien Juͤnglingen, die. die Schrift aus⸗— 
zeichnet, Joſeph und Daniel, weiß. fie kein edleres 
Loh zu: geben, ala: „In ihnen war ber Elohim, 
deg heiligen Götter Geiſt; und. ern den ˖ ſie als die 
reuinſte Bluͤthe der Menschheit darſtellt, war In heie- 
lig e mGeiſt gebildet end mit ſeinem Freudenoͤl. vor · 
alleg Sterhlicden geſalbet. Genius nennen wir. 
Im einam Menfchen das Goͤttliche, das.in Ihm Icht, 
Das ihn eigen. charakterifist, „treibt: und befeelt;: 
wohl! wenn dieſer überigbifche Engel in ihm ein 
reiner, heiliger Genius ift, der fich das Edelſte 
nur zu feiner Laufbahn erkiefet. Gemeines, Schlech⸗ 
tes wird er nicht fehen,. oder verſchmaͤhen; nur mit 
Dem Reinſten In reinen Geiſtern lebt er; dieß iſt 
fein Element, fein Athem, feine Wirkungsſphaͤre. 
Wie manchen gepriefenen. Schriftfteler wirft er fort, 


wie jener eine unanftändige &eftalt aus dem Tem 


pel warf, mit dem Ausruf: „Fort von binnen! 

Nichts Heiligen iſt In dir!“ | 
Dieß reine Goͤttliche ſoll jeder Juͤngling im 

ſich bewahren und ausbilden; es iſt der feinſte 


AUmriß ſeines innigſten Weſens. Dieß reine 


Goͤttliche fol jeder Lehrer in feinem - Shüler 


Zi 


ale feinem jungen Freunde anerkennen oder ken⸗ 
men lernen! es Heben, ehren und ausbilden! 
— In ihm wohnt des Menfchen einzelne Kraft, 
felne. reinſte Gluͤckſeligkeit, feine innigfte Weis: 
heit. " 
Aber ah! Nichts wird fo leicht entweihet, als 


_ 


dieß Heiligthum! dieß himmliſche Gemählde wird 


Herders Werke z. Phlloſ. u. Eeſch. X. 18 


- iſt's? Wie Haft du ed bewahret? wie ausgebil⸗ 


. STE _ 
fo leicht beihmmust! diefe Perie geht fo leicht ver- 
loren! — Wenn fie zertreten ift, wer Tann fie | 
fammeln? wer kann Ihr Ihre vorige Geftelt, ihren 
heilen reinen Slanz geben? Frage fi alfo jeder 
Juͤngling: If in die etwas Heiliges? und was 


bet? Jeder lernende Juͤngling frage ſich:“ im 
Wiſſenſchaften und Uebungen, was iſt die heillg? 
welche Wiſſenſchaft treibſt du als eine heilige Wiſſen⸗ 
ſchaft, der du auf den Grund kommen wollteſt? 
Kamſt du dahin? Ziebt fie dich noch au, mit 
himmliſchem unwiderſtehlichem Zuge? 

Welche Schriftſteller, welche Grundſaͤtze ſind 
die heilig? Was lleſeſt du am liebſten? wobei 
gebt dir bein Inneres auf? was excerpireſt du 
am forgfältigfien, am treuften? Lebeſt du Ife- 
ber mit großen oder mit Fleinen Geiftern, mit 
Engeln oder mit Gergefenern ? 

Llebeft du die Regel? bean Heiliger iſt nichts 
als Ordnung und Regel. Liebſt du fie allenthal- 
ben in Wiſſenſchaften, Meinungen, Sitten, in 
Uebungen, in Kleidern und Geberden? oder iſt 
dir allenthalben das Oberflaͤchliche, Fluͤchtige, Fre⸗ 
che, Unverſtaͤndige und Unanſtaͤndige, poͤbelhaft⸗ge⸗ 
meines Geſchwaͤtz lleb und werth! — 

Fragt euch Jaͤnglinge hieruͤber vor den Altaͤ⸗ 
ren der helligſten Maͤnner aller Zeiten, bie mir 
verehren. Leget Dabei die Hand auf euer Herz 
und ſeyd redlich. 

Wir fangen jetzt ein Examen an. Keine Wil: 
ſenſchaft, Fein Autor werde von ung mit unrel> 





275 


nen Händen angegriffen, und in jedem hinter ber 
Schale der reine Kern gefoftet. 


Geifter der Willenfhaft , ihe reinen ewigen Seelen! 
Geifter der Eitten und Zucht, werdet, o wertet 
und nah! — 
Poſſen bannet hinweg, unfeufchen Gefhmad und den 
Düntel 
Der Kaͤſtaliens Quell ſchmaͤhlich entweihet und 
trübt! 


Aanhang. 





2) Regeln fir. den Schulunterricht. 





Sragmente aus verfchiedenen Handfchriften, 
meiftend vom Jahr 1788. 





l. 
Ueber das Lefen und Sprehen. 


Herder gab 1786 ein Buchſtaben- und 2e 
ſebuch für die Weimar’fhen Schulen heraus, mit einer 
lehrreichen Vorrede über den Gebrauch deſſelben. Da 
fie aber ohne das Büchlein ſelbſt nicht ganz verſtändlich 
ift, fo bleibt fie Hier weg. Gr trachtete dadurch diefe 
Arbeit für die ganze Klaffe zugleich angenehm und 
nützlich zu machen und fie dem Lehrer und Schüler zu 
erleichtert. „Das Taute Vorbuchſtabiren ded Lehrers 
fersft, das Vorſchreiben an der Tafel, das abwechfelnde 
taute Buchflabiren mehrerer zufammen, und infonderheit 
dag Wiederholen und die Unterfheidung Ähnliher Wör: 
ter follte dabei zu Hülfe genommen werden, damit bie 
dentliche Ausfpradhe durch das Ohr in die Seele kom⸗ 
me, und nad) folder fih allmälig das Auge und im 
Schreiben die Hand gewöhne.“ — 


— 


47 
"Das Schreiben kann mit dem Leſen nicht jeitig 


genug verbunden werden: denn eing Hirte, dem andern, 
und das Kind, wird nicht nur durch die Abwechstung, 


ſondern nod mehr durch die Uebung, indent es fiehet, 
daß es auch etwas thun kann, angenehm aufge: 
munter. — 3u Schreibübungen gibt dad Buchſtabir⸗ 


buh einen großen Vorrath. Die Kinder Fünnen es 


mehrmal 'abfchreiden, und bie’ Sehrer ihnen ähnliche 
"Worte, fhwere Sylben, auch ahnliche Nomina und 


Verba, die fie nad diefen Vorbildern durchhin frei: 
den mäffen, vorgeben: fo lernen fle richtig fchreisen, jr 


dekliniren und conjugiren, ohne daß. ſie wiſſen, was 
singularis und pluralis, dekliniren und coniugiren 


Heißt. Auch kann er fie nicht zeitig genug Üben, Woͤr—⸗ 


| ter und mit der Zeit einen Spruch, einen einen Brief, 


eine: Kleine Gefhichte aus dem Kopfe zu fhreiben; je 
Veichter diefe Uebungen gemacht werden, deſto befier ge: 
deinen fie; denn nur durch Uebung Fommt Luft und 
Liebe zur Arbeit in’ junge Leute, und wo eine Klaſſe 
bloß leſen und Hören muß, fihläft fie gewiß ein. 





— 2. 
Vom Leſen des Caſar, Curtius und Ho: 
raz, in dem Gymnaſi um. 


1. Julius Cäſar iſt eigentlich nicht für Schü⸗ 
ler (der zweitoberſten Klaſſe), ſo leicht und ſchön Latein 
er auch ſchreibt: denn die Sachen ſelbſt, die er erzählt, 
find für einen Knaben'oft unverſtändlich und ſelten in: 
terefjant Bor der Hand wähle alfo der Pehrer nur 
die verftändlichften Kapitel von den Sitten der Völker 
u. f., beffer aber, man führe flatt des Cäſars den Ju: 
ftinug oder Curtius ein. Denn ob ber letzte gleich 
in der Latinität an Cäſar nicht reicht, und in manchen 


278 
Gröden ein Romandichter If, fo hat er doch ein An: 


ziehendes und Unterhaltendes, das wenige lateiniſche | 


Schriftſteller Haben. 

2. Bei Horaz follten niht nur wie auch bisher 
gefchehen ift, die üppigen oder gar garftigen Oden un 
Epoden ausgelaſſen werden, fondern ber Lehrer fid 
überhaupt nicht an die Ordaung der Stücke binden 
Die Aufmerkfamleit wird dadurch mehr erhalten, dit 
Luft ſelbſt zu Selen wird geichärft, und der Lehrer hät 
fih den Weg offen, den Schüler vom Leitern zum 


Schwerern in der angenehmften Abwedslung fortzufüh 


ren. Hinter jeder Ode wird ſodann das Kunſtwerk des 


Dichters Eur; entwidelt, wie z. B. er bei diefem und | 


jenem Gegenftande den Gefihtspunft nahm, den Plan 
‚anlegte, die Wendung machte, wie er Lehrfprüdhe oder 
große GSefinnungen einwebte, jeht mit einer neuen Mu: 
nier lobt, jeßt beftraft, Iehret, u. fe Ich Haube naͤmlich 
bemerkt, daß unter allen Sattungen der Poefie die H8 
‚here Ipriiche Gattung gerade die fey, bei der die ani- 





mae vulgares den Zweck und das Ganze des Kunſt⸗ 
werks, worauf ed angelegt ift, am wenigen für ſich 


ſelbſt finden, welches bei einem Lehrgediht, einer Gle 
gie, einer Erzählung, einem Liede u. f. viel eher in’ 
Auge fällt. Horaz infonderheit hat dieſe Entwicklung 
ſehr noͤthiig, weil ohne fie die Schüler oft nicht wiſſen 
mögen, was man an einer Ode, die fo wenig Realıa, 
wie man fagt, zum Gehalt hat, liebe und Iobe. 


3. 
Relig onsunterricht. 


1. Bei der Religion mit der Jugend viel moralif: 
ren, ift nicht gut;-aber die Lehren und die Beweije gut 
erklären, die Regeln der Sittenlehre mit Gründen und 
Beiſpieſen aus dem gemeinen Leben, der bibfifcyen und 


379 


antern. Seſchichte “unterflügen, das gibt einen lebendi⸗ 
gern dinrud. — — 
2. Daß die Schüler in die theoloaiſche Kritik ge: 
führt, und den Lehrſätzen fortgehende Widerlegungen beis 
geſtellt werden, iſt fee zu vermeiden. Denn dadurch 
wird thelld alles prodlematiſch, da der erfte Eindruck 
von Wahrheiten jeder Willenfhaft poſitiv und ge 
wiß fen muß; theils würde der Eigendünkel junger 
Menſchen, die ih immer Äber den, der widerlegt wird. 
erhaber dünken, fehr unzeitig damit genähret. Das 
Unwahre, Schlechte, Seichte in Meinungen ber Theolo⸗ 
“ gie wird weggelaffen, als 08 es nicht in der Weit wäre, 
und dagegen ausgeſuchte, geprüfte Wahrheit gelehret. 
3. Da aud in der oderften Kaffe eines Gymna⸗ 
flums eigentrih kein cursus theologiae academicus 
getrieben werden darf: ſo hat und behält der Lehrer 
Freiheit für feine Schüler, die nicht alte eigentliche Theo⸗ 
fogen werden follen, in feinen Griäuterungen und Zu⸗ 
fägen (zu dem vorgefchriebenen Lehrbuch) nur das vorjus 
tragen, was für fie alle bimet. Und dieſes iſt nach 
meiner Meinung, a) ein beftimmter Begriff je 
der Lehre, ohne weiträufige fchofaftifhe Terininofogie, 
die nur für eigentliche Theologen gehört und von ihnen 
auf der Akademie gelernt werben muß; b) wenige, 
aber tühtige Beweisftellen der Schrift mit 
der exregetifhen Analyfe des Beweiſes. Die 
Untüchtigen werden übergangen , als ob fie nicht da wä⸗ 
ven. c) Eine kurze Geſchichte jedes Dogma, in 
weicher die vornehmſten Streitigkeiten und Witerforüce 
kurz angeführt werden, und. infonderheit gezeigt wird, 
wie bdiefe oder jene atroamatifche Beftimmung der Lehre 
aus ihnen entftanden fey. „ Diefe drei Stüde find für 
ben künftigen Zuriften, Mebdiciner u. f. eben fo drauch⸗ 
bar als für den fünftigen Thenfogen. Je weniger davon 
im Lehrbuch fteht, defto mehr lernt der Schüler durch 
mündlichen Unterricht faffen und fi ſchriftlich anmerken. 


— 


80 


| 
" Unigensbgmt N Ib, Mad DiteiiEien Br 


und Urtheil, nicht bloß Gedächtniß Anga wnben, und 
leint in und mit wer Theolagle, -in: weicher auf ſolche 
Weiſe Philoſophie, Geſchichte und: Exegeſe sufammentref: 
fen, sie aurch eine prakttiſche Sagifrfeltipenten. 

Bei Tinem dreijährigen. Kurs in ber. Klaffe ann wit 
der Theologie Grotiuside veritate relig. -chräst. 
wechſeln; und rine Ginteidung in die Bäder 
der Schrift, verbunden mit der-Lektion biblißchet 
-Aitertgämer In deeſer: Sernt der Yüsgling- wiege 
ſchichte des jüdiſchen Volks und feine Einkichtungen tm: 
nen, fo fern dieſe ſich auf die Geſchichte und den Inhalt 
der bibliſchen Bücher weichen. : Bel den bibliſchen Wü: 
ern ſelbſt müffen., theils allgemein der Inhalt, theils 
befonders die merkwürdigſten Stellen bemerkt werden, 
die fich durch die Würde und Wichtigkeit deſſen, was fie 
fügen, oder duch das Schickſal MlBgeDeaNet zu werden, 
auszeichnen u. f. 

Bei dem Eurforifhen Lefen des arifttigen N. Teſta⸗ 
mentes ift es nicht etwa nöthig, bei der Ordnung der 
Bücher zu bleiben. Gin Evangeliſt und einige Srieſe 
verſchiedener Apoſtel können wechſeln. Allenthaiben werde 

‚ber Ebra'smus bemerkt und auf vrbentliches Griechiſch 
und verſtändliches Latein oder Deutſch zurückgeführet, 
durch welche Art bes Leſens ber Verſtand des Jünglingse 
gewöhnt wird, die Bibel als ein an ſich ſelbſt verſtänd— 
liches Kup zu — und zu gebrauchen. 


F De 5: Es er 
PR, Seſchihte und Besfteyfte 
-.: a) Inder unterften ‚Kaffe: saß" die Gengränsie 


vloß naturhiſtoriſch gefehrt werden. Die Hauphſtadte, 
die Namen der Konige u. dar. bleiben dem Knaben noch 
vollig verborgen. Dafür lernt er! bloß pthyſiſthe Seotzta⸗ 


— — — — — 


— — — 


— —— — — — — 


2881 . 


later 0.18 Aliiyer raserge rue AMoeere ſvndertare 


rigen. Ad Thiere kennen; vorausgefetzt die anze 
u Weftart amd HER der Erde. Er vernt, wn'Bherine 
nwyhiere "und" Eepharcten, vb: Affen und Kumele ’RRD, 
go wen Die Diamanten· ſucht, woraffee und’ Thee 
riwächſt; weſche Mationen ſte holen, wie die Leute aus⸗ 
‚‚ehen, die dort und hier wehren u. dal. ; die vornehm⸗ 
oRen diefer Sachen müffen: in Kupferngezeigt werden. 
z Die politiſche Goographie aber wird fuͤr einmal lebe 
Aetrteben. J en 

"Die polltiſche Geſchich te eben fo wenig, fondern 
nur die menſchtiche Geſchichte. Es werten die Haupts 
ſtücke der Geſchichte erzänrt, und wo die Völker gewohnt 


haben, von denen die Rede iſt, auf der Charte gewie⸗ 


“fen; ſonſt aber nur menfchliche Geſchithten als‘ Mähr: 
qhen erzahlt, von Cyrus, Atexander, Rom, Mahomed, 
“dem Papſt, Luther u. f., doch muß der Lehrer ſich da⸗ 
bei huͤten; daß er nichts erzähle, als was Kinder faſ⸗ 
‚sen Eörnen, aber auch, was ihnen maͤtzlich iſt. Die 
Auswahl dieſes Untetrichtes iſt die ſchwerſte unter ‚alten 
ar idee Maffe, und: zeigt die Beurthenungokraft des 
ngeßrers. on 
5 Be’ Die angenehme, faßliche, und’ für Kinder ſehr 
lehereiche Sektion in der phyſiſchen Geographie wird 
‚in ‘ver folgenden Klaſſefoprtgeſetzt. und allgemach mit 
Ber politifhen Geographie verbunden; doch fo,:dvaß alles 
unverſtändliche und für den gemeinen Mann unbrauch⸗ 
‘bare ‚Üübergangen „wird. Außer den Merkwürdigkeiten 
der Natur in den verſchiedenen Ländern; und. Weltthei⸗ 
„Menrtwerden den: Schüfern von: der verſchiedenen Ledens⸗ 
„art und dem Sitten der Böfker,, vom ihren Refigionen 
and: MRegierungsarten die Kenntniſſe beigebracht, die ih⸗ 
nen, eine Zeitung: zu verſtehen, ber: einem ‚Sefpräcde 
von dem, was: in der Welt geſchieht, .nichh ohne Schande 
„beizwwohHnen ,. nöthig: find. J 
Zugleich wird Über die Geſchichte ein kleiner 


N ⸗) 


99% - 


Aronologiſcher Abriß des Ganıen mad den Hauptrei⸗ 
Hm und Bölksen gegeben, die in der Seſchichte vor 


2ommen, famımt den Ländern, Gegenden, Hanptfiädten ' 


and Hauptperfonen , Die oft genennt werben. Mit der 


| 





Lifte von Königen aber, vder mit einem Detail ven 
Kriegen werden die Schüler, fo viel es ſeyn kann, ven 


ſchont. Statt deifen wird- bei jedem Volk angeführt, 
was es nuͤtzliches erfunden habe, und den Knaben alſo 
ein Begriff von den vornehmften Künften und willen 


fchaften gegeben, wie fotdhe In der Gedichte bed menſch⸗ 
Kihen Geifted vorkommen; z. B. -von der Schifffauet, 


dem Handel, der Aftronomie, dem Gebraud des Mag: 
nets, des Eiſens, bed Slaſes, des Pulver, ber Bud: 
. deuderei u. f. Diefe Saden find die merkwürbigften 
und nüglichften in der Gefchichte, file können auch durch 
Kupfer erläutert werden, und ber Knabe defommt mit 
innen ein Verftändniß von Dingen, die er fonft das 
ganze Leben durd ohne Verſtand ausſpricht. 


e. In einem folgenden Kurs wird phyſiſche, poll: 
tifhe und Handels : Gevugraphie verbunden. Der 
Schülern einen Begriff von den größeften, allgemeinſten 
Berhältniffen der Länder und Mächte gegen einander 
aus ihrer natürlihen und politiſchen Beſchaffenheit zu 
geben — ift der große und angenehme Iwed dabei. 

Ein gleiches its mit dem Hiftorifhen Alnter: 
wiht. Die erfte Sorge muß Hier feyn, ihnen einen anı 
ſchaulichen Begriff vom Ganzen der Geſchichte in 
ähren verfhiedenen Perioden zu geben, und 
ſodann aus jeder nur dad Merkwürdigſte herauszugeben. 
— Den Mängem des Lehrbuchs kommt man mit Ta: 
dellen zu Hülfe, dazu der Lehrer den Schülern theils 
ſelbſt Anleitung gibt, theils folche von ihnen aus dem 
Lehrbuch Über die Periode ausziehen läßt. Es ift dieß 
eine fehr angenehme Uebung, bie auch ben Kopf der 
Schüler für andere Wilfenfhaften aufräumt, weil fie 
We gewdgnt, Begriffe in Ordnung zu fegen, und fie in 











285 


"folder zu denken. Ginige vom Schuͤler ſelbſt ausgzar: 
‚ beitete Tabellen aus der Geſchichte prägen dieſe mehr 
in’s Serähtniß, als lange Dictate je thun werden. 
d.’) ueberhaupt. Ueber die älteſte Geſchichte 
eile man als halbe Mythologie hinüber, erzähle ſie et⸗ 
wa, wo man ſie erzählen muß, wie man Mährchen 
erzähft, und entwickle aus ihr lediglich, was geblie— 
ven iſt, nämlich den rohen Anfang der Societät, 
Fünfte, Geſetzgebung u. dgl. — Bon Griehentand 
fängt dis klärere und zugleich. angenehmere Gefchichte 
an; aber auch in ihe werde nur entwidelt, was den 
Knaben anfhaufich gemacht werden Kann, ihre Bil: 
dung zu Eleinen Völkern und Staaten, zu 
Künften und Wiffenfhaften, und zur Tu 
gend des Bürgers, der Liebe des Baterlam: 
des. Alle Begebenpeiten, Perfonen, facta, müffen in 
dieß Licht freien, weil es das Nützlichſte, Wahre und 
Ginzige ift, was ber Knabe begreift. Bei den Römern 
ebenfalis. Bei der Barbarei mittlerer Zeiten, und was _ 
ihr für Anfangsverfuche abgeholfen, deßgleichen. Jeder 
Schritt zu Abfchaffung der Mißbräuche, jede große Er: 
findung, Unternefmung und That kommt da auf ihre 
Gtelle — und der Verfolg der Gefchichte wird für den 
iungen Lehrling Anblick der CHarte der Menſch—⸗ 
Heit, und des durch alle Lafter, Fehler und Tugenden 
zum Beften ringenden menſchlichen Geiftes. Der 2te 
Band von Zfelind Geichihte der Menfchheit Hat ben 
Plaa. Wenn ign ber Sehrer für fih ſtudirte, und fo: 
dann mit dem Fit und Reichthum der Gefhichte, fo 
fern fie für Knaben gehört, ausfüllete: fo 
müßte nichts ſchoͤneres und lehrreicheres als die Ge: 
ſchichte exiſtiren. 
e. Die Mytänlogie muß nit als Geſchichte 
traktirt werden, da fih im Kopf eines Knaben vieles, 


®) Um 1778 gefdhrleben. 


Pr 


284 


wonberbar miſchet: ſonbern ats Wilder "Mär den, 
aAltegorien (ohne ſich doch“ bei der moraliſch⸗ phyfi⸗ 
ſchen Deutung lang aufjimhalten: jeder Poet und jeber 
GSebrauch "wacht ſich Teldft Deutung), kurz als eine alte 
Bilderſprache, die mankennen muß, wenn man fie 
ſltehet. Das iſt genug. Sie nimmt alſo nur in den 
Flickſtunden der Erholung Platz, zumal bei Kindern, 
die vrelleicht nie Poeten! tefen werden. 

f. @ine kurze und zweckmäßige Geeſchichte der 
Philoſophie Hatte ich Für‘ Schüler der oberſten 


KAlaſſe eines Symnaſil fehr nüglih. "Ohne fie ſind ige 


nen nicht nur Eicero's philoſophiſche Schriften, fondern 
uch viele andere Dinge in Büchern, die fie. Tefen ,- in 
wifenfchaften ;- die fie treiben ; ja ein großer Theit der 
Philofophie feruft unverſtändlich, fo wie die Dogmatit 
ohne SGeſchichte der Dogmen immer: halb unverſtaͤndlich 
bleibet. Wird fie und die Geſchichte der (hören Wiſ⸗ 
ſenſchaften, fo wie auch ‘der alten Sprachen befonders 
‚getrieben, fo .entfabet ſich die Univerfafgefchichte, die 
wegen der Menge ihrer Ösgenftände dem Yüngling fonft 
unüberſehlich iſt, einer großen Bärde;. da biefe Gefchichte, 
allein genommen, ihm sine ſehr angenehme Ausficht 


Aber Zeiten ımd Völker gewaͤhret. 





5. _ 
Schöne Wiffenfihäften. 


Batteur muß in den Schulen abgeſchafft wer: 
den, indem er für Schäfer gar nicht ift, und nur Schwär 
Ger bildet... Meit beffer für Schulen iſt Efhenburg, 
aus deſſen zeihem und orbentfihem Lehrkuh die We: 
thode diefer Lektion fih von feldft ergibt; ed wird in 
i hm nur wenig, aber beftimmt theorifir® Die Ges 
fhichte jeder Art des Vortrages und Proben der beiten 





—— — — — — — — — — — — 


2889 
Muſter müfen hier. das heſte bewinken — —— 
Der Zweck hiebei iſt immer der, daß. die Schäfer eine. 
rechten Begriff von dem, was ſchöne Wiſſenſchaften 


. feven, und was. in ihnen ſchön fen, ‚bekommen, damit: 


fie vor der verperblichen Seuche einen; böſen Lectüra ber. 
wahret werden. Indem, der, Lehrer für die: vornehmſten 
Gattungen der. Schkeibart bie, beſten Werke. des- Wißag- 
unter den: Alten und Neuern in: Poefle und Profe ken⸗ 
nen ehrt, und durch ausgeſuchte Proben zeigt, warum; 
dieſe bei, den. verftändigfien: Menfchen allen-Zeiten- für, 
Muſter gegolten Haben, gelten und gelten werden, ſo 
wird des. Gefhmad der. Yünglinge. nur. auf. dad Befker 
jeder. Art gerichtet. Sie werden für die- Akten eine; 
Liebe aus Ueberzeugung gewinnen, und die Meder; 
lectüre unferer Zeit, ſchlechte Romane und elende Verſe, 
verachten. 





6. 
Arithmetik und Geometrie. 
a. Mit der A. und ©. läßt ſich ſchon früh ein 


Anfang machen. Die Arithmetik ift ein Spiel mit, 


Zapfen, und die Geometrie mit Linien; weiter find 
fie für Kinder noch nichts. In der Arithmetit muß, 


ein Knabe viel rechnen, fo lernt er rechnen; in der 


Geometrie viel zeichnen und naczeichnen , fo- befomms- _ 
er Berhältniffe in’3 Auge, Feftigkeit in die Hand, Pro: 
portion in ‚die Seele, wenn er aud die Schärfe der 
Demonftration noch nicht oder nicht immer begriffe. 
Sie muß ihm anfhaurih und in Körpern handgreiflich 
gemacht werden. Se mehr die Knaben hübfche Seid: 
nungen gemacht haben u. f., defto mehr wird fich ihre 
Luft vermehren, defto mehr befommen fie auch Augen:- 
maß, Gefhidlichfeit in der Hand, und praktifhe An: 
wendung zu alferfei Dingen des Lebens. Der Eleinfte 


286 


Knabe kann diefed machen und begreifen; ja oft mehr 
als ein aeoßer. 

b.‘) Die Geometrie dringet auf die Grfen: 
nung der Beweistraft in Berbindung und Fol: 
gerung folder und nicht anderer Site Mar muß 
fi alfo (in den höhern Klaffen eines Gymnafli) Hüten, 
daß, da Knaben gern alles Tieber mit dem Gedädytnif - 
und der Eindbildungskraft treiden, auch dieſe Wiffenfchaft 
niht bloß Gebdächtnißwerk werde, d. i. daß fie 
eine ſolche und ſolche Reihe ihnen oft vergefagter Säge, 
die fie etwa auch mit den Augen beftätiget finden, fer: 
nen, die Adentität des fcheindar Verichiedenen aber mit 
vem Berftande nicht anerfennen. Die Geometrie würde 
ihnen dann um fo weniger nuß, weil nachher die Se: 
genftände, worauf fie angewandt werden, oder der geo: 
metriihe Geift, d. i. die Richtigkeit und Gemwißheit im 
Berbinden und Folgern, der angewandt werden foll, fo 
ſehr verfchieden von Cirkel und Linien find. Wenn alfo 
ie, fo ift hier die foßratifhe Lehrart nötig, da er 
durch Tragen und Winfe den Knaben die Geometrie er: 
finden Tief, die Sätze felbft aus feiner Seele ent: 
widelte und eben damit tief auf der Ginerleiheit und 
Beweiskraft verharrte, ohne welche die BKiftoriich:gelern: 
ten geometriichhen Sätze weniger Nuben jchaffen, und 
wohl gar den Blick auf die wahre Geometrie für die 
Zukunft erſchweren. 





®*) Um 1778 gefchrieben, 





287- 


Zufag zu einer Vorſchrift an einen Hauslehrer. 
(lin 1786 gefchrieben.) 


Einige Rathſchlaͤge re die Methode. 





1i. Die Ordnung der Irbeiten muß ſo feſt ſeyn, 
daß iedes Kind wiſſe, was es auf den folgenden Tag. 
Haben wird. Sie werden damit zur Orbnung gewöhnt, 
freuen fih .auf die Arbeiten, die fie lieden, ſchicken fich 
zu dem Böſen mit Geduld, und befommen -dadurd eir 
nen Geſchäftskalender in ihre Gebeine, der⸗ ihnen ſehr 
gut thut. 

2. Keine Arbeit muß zu lange dauern, und auch 
der angenehmſten Arbeit wegen die andere nicht Zeiten 
fang aufgeopfert werden. Auf eine Viertelſtunde kommt's 
nit an, wenn fie eben im Zeuer der Luft um Auf⸗ 
merkſamkeit find, oder die Materie ſich ‚nicht trennen 
Yäßt; aber Wochen und Tage ift dad Treiben einer und , 
derfelben Arbeit mit Zurüdfeuung der - andern nicht 
zathfam. Selten Haben mehrere Kinder zu einer und 
derſelben Sache gleiche Luſt oder Eeſchicklichkeit, und ſo 
ſchleppen fie läſſiz und müßig einher, und verlieren all⸗ 
mälig aud) den Trieb zu andern Arbeiten , Eurz fie 
kommen in den Geſchmack des Widerwillens und der 
Zrägheit. Und dann nützt fih auch Lei Erwacfenen 
die Spibe der Aufinerffanfeit ab, wenn wir Gine und 
Diefelde Sache, ſelbſt im Feuer der Leidenfhaft dafür, 
lang und unabläſſtg treiden. Bei. Kindern ift Diele 
Leidenſchaft theils nicht zu vermutgen. theils, wenn fie 
auh im Keim da wäre, nidt einmaf zu reißen. Es 
werden Baratiers daraus, oder Thhrme bie aufeine 
Seite hangen. 

Die Cintheilung und Difpofttion der Arbeiten muß 
wie ein Geſetz Goites in der Natur feyn, und Wenn 


28% 


fie von etwas noch mehr Hören wollen, müſſen fie es 
fit durch mehrern Fleiß in anderm erfaufen. 
5. Year. Tag mügen: fie stmad;; aber nun weni. 
ges, auswendig zu, lernen und zu. fhreiben oder auszu 
arbeiten haben. Die Wahl Hierin muß theils aufs 
Angenehme, Wichtige und Abwechfelnde, thells Darauf 
(eben, daß es mit der Zeit unvermerft etwas Ganzes 
werde, woran fie fi freuen Finnen. Dieß fest bie 
Schuͤler im die Nothwendigkeit, nichts vorbeitäilen zu 
mweien,: die: Bücher reinich zu halten, u. f. Wei dieſen 
Auffäben iſt ſowohl auf Materie als Form ſelbſt Kat 
Yigraphie, Orthographie, Geradeſchreiben ze. zu ſethen: 
denn ed macht nur wenig mehrere Mühr, ohne Flecken 
und: Sudelelen, genau, richtig und ſchoͤm zu fchreisen. 
4. Am Sonnabend wird gefragt: ob jemand für 
fi was Eigenes gelefen oder abgeſchrieben, ober aus: 
gearbeitet: Habe? (doc ohne daß Kierüher Gefeg. oder: 
Zwang walte) Wer es hat, zeigt es auf, und der 
kommt darüber Lob oder Zurechtweifung. Auch iſt bie 
Unterſuchung deſſen, was jeder am liebſten treibe, was 
ihm: in der Woche am: beſten gefallen, am- meiften ge 
gluͤckt ſey, ein Mittel, die Aufmerkfamkeit der Schüfer- 
auf fi ſelbſt und auf die Arbeiten zu richten, und fie 
durch Freude an ſich ſelbſt und eine wohlvollbrachte 
Woche zu belohnen. Sonnabend ift endlich der dies 
censorius über das Verhalten der ganjen Woche, dad 
ſich der. Lehrer in der Stille einzeln bemerkt Hat. 





bB) Grundriß des Unterrichts für einen jun- 
gen Xdelichen, 
> +(Büdeburg. 1773.) 


1. Offensarung Gottes in der Natur. 
1. Begriffe von.Weite, Größe der Welt. 
Erde 





f 


289 


Erde — Pflanzenfoflem — Geftirne — Himmel: 
das Unermeßlihe, Mannigfaltige in allen dieſen 
Ausfihten, Entdeckungen, Bermuthungen! — — 
Auf der andern Geite vom Unergründlich : Kleinen 
in der Natur, Menge, unbegreifliche Kleinheit der 
Theile, der Geſchöpfe, dir Welten; Atgrund von 
‚allen Seiten. 

3. Kräfte inder Natur Bewegung Schwere, 
Anziehung in Tbeltgebäuben, Erdkörpern, einzelnen 
Materien: magnetifche Kraft: Elektricität — das 
Wunderbare, Unergründliche, Sufammengeortnete 
deſſelben. 


Organiſation: Lebenskraft, Bau, Nahrung, 


Fortpflanzung der Pflanzen — — Biele dieſer 


Kräfte wirkend in die todte Natur hinab, und 
tHieriihe Natur hinauf — — vergeblihe Ver: 
fuche etwas davon zu erklären 

Thierleden, Sinne: Ban derfeiden, Bau ber 
Belt für fie: unendlich manniefaltig; Unerkläeli⸗ 
des des Sefühls durch fie bei einem Weſen, Gi: 
ner Klaſſe, verfhiedenen, allen Klaſſen der Welt — 

Kräfte der THiere: in Bewegung: Mus: 
kein, Bau bed. Körpers. 

Gefühl, Gedanke, Wille: in Neigungen und 
Trieben; Inſtinkte der Thiere: Giner Art, man: 
cherlei Arten u. ſ. w. 

Bernunft: Ihr Daſeyn: Vorzug und Wirkung 
auf Menfcheniehen, Menichengefhleht, gunze Na: 
tur — — 

5. Zufammenordnung dieſer Kräfte: 

1) nad Regeln der Weisheit. Gefebe der 
Natur, 1. im todten Univerjum: Himmels: 
£örpern, Erde, Geftalt, Größe, Bewegung berfel: 
ben — in igren Körpern, Elementen — Willen: 
fhaften, bie daher entipringen, und die Geſetze 
erforfhen, anwenden, beredinen. 2. In der OQeke⸗ 


Berdecs Werte 3. Philoſ. u. Seſch. X, 19 


N 


26 

damen Lhterén, Men, 

_ —S id Unter⸗ und Sedeneincander 

Ordtung. Geſete der Fortpſtanſunig. Bauer 

Nahrung, Ledensart, Tobes u. f. w. Orduung in: 

fonderheit Im meiiſchlichen Geſchlecht, nach Alter 

Klima, Stufen der Kultur, Maß der Kräfte un 

des Verderbniſſes. 

2) Nach Regeln der Schöntheit, d. i. eine 
gefuͤhlten Suten für ſtunliche Gefhöpfe; im Uni: 
verſum, Himmel, Erde, Pflanzen, Thiere, Men: 
ſchen: an Geſtalten, Zarbenmiſchungen, Bewegung | 
Ordnung, Thätigkeit, Handlung. 

5) Bur GBlügfeligkeit alles Lebenden. 
Ausbreitung bed Lebens in der Natur. Verſchie 
dene Stufen, Zwecke, Gefühle, Neigungen deſſel 
den. Welten, Lebensalter, Lebensabwechfelungen, 
Stufen für ieded. Große Kette der Natur. Blick 
in’d ganıe Reich Gottes — 

4. Begriffe und Empfindungen Hieraus. 

Yuf ein wrächtiges, weiſes, gütiges Weſen, das Ur 
heber und Erhalter iſt. 

Ob anf ein oder mehrere Weſen? Ob von Engeln, 
Dämonen, Untergöttern, Begriffe in der Natur 
find? Urſprung der Vielgoͤtterei, Abgdtterei, aus 
Schrecken, Furcht, Erftaunen, Dankbarkeit, Be 
munderung, ihre Gefchichte, Arten, Stufen, "Bir: 
tung. 

DH auf alle Eigenſchaften in Gott, Allmacht, Höchfte 





Guͤte, Gerechtigkeit, Zorn u. ſ. w. — — — Dei; 
ſten: ihre Arten — — das Gute und Fehlende 
ihres Syſtems — — ob man von und auf Gott 


fhließen könne? warum nit? Ob auch nicht in 
den Regeln der Weisheit und Güte? 06 der Be 
griff was helfe, daß Gott ein verborgenes Gt: 
was fey? 

Ob es ein gutes und ein böfed Princi— 


294 


pkum geben könne? Urſerung biafed Irrthums 
und ſeine Seſchichte im. Orient. Ob die Geſetze 
der Natur von zwei Urweſen jtugen? wie das 
Behterhifte und anfcheinende Boſe in, deu Natur 
anzuſehen, zu erffären oder ju ertragen fu — — 
Bon Sroeiflern gegen Bott, Gottes-Bſtorern. 


Ob die Natur Gott ſey? Akheiſten, Pantheiſten. 


Ob man von einem Zuſtande vor Den Weit ohne 
Welt Begriffe Habe? Etwas vom Urſprunge der 
Wert erklären könne, wach Naum — Beit und 
Kraft? Ob die merſcchliche Bemmemft. von ſelbſt 
auf Unterfadungen der Wei: Vomme — Wille 


VF. Seſchichte des menſchlichhen Geſchlecht s 


oder der Kräfte der Menſchheäüt; wo es 
Hauptzweck würde, die Beraͤndorung, Bortgang oder 
Abnahme menſchlicher Sedanken, Migungen, Sit: 
tem u. det. durch Volker und Zeiten zu Vewfulgen — 
Der Kern aller Geſchichte. 


‚ Urfprung des menſchlichen Geſchlechts. Daß es 


einen Anfang haben müſſe, nach Geographie, Se: 
ſchichte der Länder, der Voͤlker, der Künſte — 


nach Aehnlichkeit und Wahrfcheinlichkeit der Natur 


— und ganzen Haushaltung des Geſchlechts. Ob 
in einem und in jedem Laude national? ob von 
zween? ob aus einem urfprüngtüh thioriſchen Zu: 
ftande ? in weicher Gegend? "von welcher Bildung ? 
SBufammentreffung alter Seſchichte der Wölker, 
Sprahen, Sitten, Neligtenen, Kümfte, Willen: 
{haften auf Alien. Auf wilde Gegend? wie viel 
oder nicht wir davon: wiffen und willen dürien ? 
Schönheit der OÖffenserung im urſpruage des 
menfſchlichen Geſchlechts. 


. Göttliche Erziehung von dieſem urſprunge 


an. Schöpfung des Mannes zuerſt, allein. An⸗ 
‚fang des Unterrichts, der Kenntniſſe, Sprache; 
erſtes morafifched Gebot. Schöpfung des Weibes. 


292 


Grhtärung ber Begebenhheit, bie Umſturz machte. 
Ob fie Urfprung des Uebels erfläre? oder Leber: 
gang aus dem Kräuter : in's Aderbau:feben ? oder 
die Entwickelung neuer Begierden? Ob's Seſchichte 
Dichtung, Zabel fen? Ob das menfchliche Ge: 
ſchlecht zu dieſem Zortgange beſtimmt geweſen? 
Seſchichte des erſten Brudermords, als 
zweier Menſchengeſchlechte, Hütten: und Zeiter: 


Wirkungen vom langen Leben biefer Jugend der 
Wett, um jede Religion, Tradition, Erfindung” und 

" Gewohnheit rings um den Stammvater zu ver : 
ewigen. Wahrſcheinlich erfte Religion aus der ' 
Suöpfung der Welt. Erklärung ded unverftand: 
nen- erften Stüds der Offenbarung, als ein Ge 
maͤhlde ded Morgens, als erſtes Inſtitut des Sak: 
baths und der Werktage, ald erfte Hieroglyphe bes 
Katenderd, der Aftronomie, der Phyſik, des Ber 
ſuchs in Buchſtaben, als erfter Schritt zur Kur: 
tur. Trümmern davon in der Gefhichte der Ye: 
aypter, Phönicier, Syrer, Perfer. 

5. Wunderbare Veränderung ber Bert. 
Ob die Sündfluth allgemein geweien? Zweideu⸗ 
tigkeit in diefen und andern Zweifeln. Wenn nad 
alter Naturlehre die ganze Erde aus Wafler ent: - 
ftanden,, allgemach von ihren Höhen abgetrocknet, 
und mit Pflanzen, Tieren und Menſchen erft 
bevölkert worden? Ob durch die Sündfluth ſich bie 

Bahn der Erde verändert? Veränderung des Wohn: 
platzes der Menfchen, der Lebenszeit. Folgen aus 

— dem alfo verkürzten Leben, auf Spraden, Git: 
sen, Gewohnheiten, Trennung in Böfterfchaften 
bei Babel. Erklaͤrung dieſer Geſchichte — und 
Anfang der Vöoͤlkerhiſtorie. 

bh. Böltergefhihte Bei welcher als Gefchichte 





I \ 


293 


des menſchlichen Seiſtes betrachtet, folgende fon: 
derbare Erfahrungen, algemein zu merken. 

ı) Nur ein Eleiner Strich der Erde Hat rach 
unferm Begriffe, Kultur, d. i. eine künſtliche 
Berfaffung von Gitten, Wiſſenſchaften, Religion 
und Einrichtung. Der groͤßte Theil ter Völker 
find fogenannte Wilde, d. 1. Hirten: oder Jagd⸗ 
und Fifchnationen,, ober. in einem kleinen Kreife 
erſte Anfänger, der Künfte und bürgerlicien Le⸗ 
bensart. 

. 2) In diefem Eleinen hellen Streife iſt das 
Meifte, auch was man nicht dent, Tradition 
gewefen, die das Volk ſelbſt erfinden können 

“und nachher mehr als das, dazu erfunden; wirk: 
th aber doch nicht erfonnen, fondern bekom⸗ 
men bat. So ſchlingt fih eine Kette der Ueber: 
gabe von Aften über Griechenland und Rom nad 
Guropa Hinüber — und das Webrige außer diefer 
Kette bleibt in Dämmerung. 

3) Selbſt bei jedem diefer Volker Hat das Licht nur 
eine Zeit gedauert — Wahsthum, Blüthe 
und Abfall find auf einander gefolgt; ſodann ift 
ber Genius der Kultur weggeflohen, und hat fi 
ein nahgelegeneds Land voll frifcher Kräfte auser⸗ 
fegen, dieſelbe Scene durdzufpielen. Auch ift Fein 
Beiſpiel in der Geſchichte, daß durch menſchliche 
Mittel er je gezwungen wäre, in erfter Jugend 
wieder zurückzukehren. Aſien, Aegypten, Rom find 
Trümmern. 

4) Selbſt jeder Thaͤtigkeit, Erfindung und Anwen: 
dung fheint ihre Zeit des Schickſals be 
fiimmt zu ſeyn: da viele® Tängft da war, und 
nicht gebrauht — vieles täglich gefehen und über: 
fegen warb ; jett aus der Eleinften Sache die größs 
ten Wirkungen wurden, und eine Eleine Anwen: 
dung Welten veränderte. Häufige Beweiſe aus der 


298 


Sefchichte. Und ſelbſt hie Thätigfeiten der gröf: 
ten und beften Leute haben in wibrigen Zeiten 
unterliegen nber gerade das Gegentheil befördern 
müßen, bis des Punkt ber Reife. Fam. 

5) Es ſcheiat ein gewiller Gerigang durchh die Ge: 
ſchichte der Bötker gu laufen, wit aber , daß die 
Menfchheit an Kräften over an Glüdkieligkeit ge: - 
wachen , foubern mar immer auf andern un 
nensm Briten von Fähigkeiten, Reigungen und | 
Beftrebungen gebildet, d. i. entwidelt, geprüft, 
verändert worden. Meiſt aber find dieſe Eigenfaat 
den ausichließend gegeneinander gewefen. und ni 
bat alfo die Menſchheit auf einem Fleck, zu eine 
Seit, von einer Situation gebildet, ein Gefäß der 
Vollkommenheit ſeyn Eönuen oder folen. Indeß 
ſcheinen bei Anreifung der Bölfer Spuren eine 
Weisheit zu ſeyn, die entzüdend ſeyn müßte, 
wenn wir fie ganz überfähen: 3. €. 

») im Orient entfiansen die erften GSeſellſchaften 
und Reiche. Vorthelle des Klima's dazu, bie erſte 
Nothdurft den Menſchen zu erleichtern. Ideal 
des ruhigen Hirtenlebens gu Ausbildung 
ser fimpelften und ftärfften menſchlichen Neigun: 

«gen, des väterlihen, pacriarchaliſchen 
und einfachften häuslichen Lebens. 
Charakter ber Morgehländer hiezu. Ihre -Druhe, 
Weichheit, Einbildung — — — Game ber Re 
ligian in alle dieſem. VWortheile, daß bie erften 
Geſetze, Gewohnheiten, Cinrihtungen ‚alle vrien: 
tal, religiös und nicht philoſophiſch geweſen. Sa: 
me. um Defpotiemus in biefen Neigungen. Ge 
burt deſſelben buch ben erften Eroberer, Gutes 
und Böſes für die erſtere Kinbäelt : Zeiten durch 
ion befördert. Der Hang zum Goͤttlichen, Wil: 
ſenſchaften, Uebernatürlichen in ber frühen Gin: 
ig ver Menfchen. :Mrisutatifike Roeſte und 


F 

















29% 


Seſchichte. Orußer Umfang der Reiche, Ewige 
‚Dauer ber Bewohnheiten. Morgenländife Erzle⸗ 
ung und Glückſeligkeit. 

2) In Aegypten ward ber erfe Staat des 
Ackerbaus gegründet. Konnte im Orient nicht 
gebildet werden: warb’s in Aegypten durch ‘Be: 
Fuͤrfniſſe und Erleichterungen der Natur. Beihürfe 

. and Belohnung des Nils: Mangel der Hirten: 
Weiden, des Holzes, große Flaͤchen. Alſo Zufams 
mendrang der Menſchen, Ausmeſſung des Landes, 
— mung des Eigenthums: mithin er 

Ke Möglichkeit einer Polizei: Nothwendigkeit der 
Sarite, Dörfer,. Städte, Fortſchritte des menfchs 
Then Gefchlehts Hierdurch zur Sicherheit, Indus 
In Ordnung. Erſte Abtheilung ser Stände, 

weckte Künfte: ägyptiſche Baus und Bildner⸗ 
£unft, mit Erklärung des Unförmrichen derfelben: 
Aapptiſche Geſetze und Sitten, Charakter der 
* und Religion in alle dem. Urſprung der 
ythologie und Beſchaffenheit berfelben Erklaͤ⸗ 
rung der todten Fabeln: Geheimniſſe, Religions: 
kriege: Haſſes gegen die Fremden und das Meer: 
Verewigung der Borfihren durch Mumien u. ſ. w. 
Große Werke des erſten bürgerlichen Deſpotismus 
— Pyramiden, Obelisken, Tempel, Grabmaͤhler, 
Säulen, Dämme u. ſ. w. Charakter des Aegypti⸗ 

ſchen in dem allen. 

B) In Phönicien. Anfänge der Schifffahrt, Han⸗ 
delſchaft, des Beſuchs fremder Länder. Ausge⸗ 
ſparte Lage zu diefen” Verſuchen zwifchen Aſien, 
Aegypten, auf einem Sunde vol Inſeln. Wirkung 
Seſſen auf den menſchlichen Geift: Bruch der Na: 
tional⸗ Bande, Kolpnien, Gaftfreiheit, erſter 

Schotte vom Völkerrecht. Zeinere Künfte, die da; 
durch entſtehen. Begriffe des Reichthums, Luxus. 
Verfall dadurch vyn der reintrn Menſchlichtgit des: 


/ 





- 


196 
Drient3 und dem ftrengern Fleiße Aegyptens: aber 
Erweiterung des menfhliden Hanges auf andern 
Seiten. Vorſpiele einer ariftofratiihen Regie 


rungeforın : SKofsnien längs dem mitttänbifchen 


Meer hinab in Sriechenland, Afsifa, Spanien. 


Zwifchen diefen drei Gegenden wählte id Sott 
‚einen Zweig des reinften und alten Stammes in 


Alten, erzog in in Aegypten, bildete ihn in Ara: 
bien, und pflanzte ihn in Judͤa. Das jüdi 
fhe Volk. Ob feine Gebräuhe ägyptiſch gemes 
fen? Seine Tpeofratie. Ob's je ein berügmtes 
Volk vorftelfen ſollen? Ob feine Regiments: Ber 
fafung, Start, Sitten, Epoche in Afien ge 
madıt ? 


4) In Sriehentand. Lag als Säugling zwiſchen 


Aegypten und Phönicien, und nahm von beiden 
ihre Politur, Gefebgebung, Künfte, Einrichtung, 
Religion, Willenfhaft an, die ed aber alles nad 
ſich nationaliſirte. Schöne Yriedhifhe Lage dazu, 
Kıima, Bildung, Leichtigkeit, griechiſcher Geiſt, 
Jünglingsalter des menfchlichen Verſtandes; Liebe 
zur Freiheit, Schönpeit, Teichter Wirffamfeit, Lieb: 
haberei in allem. Echöne Sprade. Urfprung der 
fhönen Künſte. Was die Bildrierei und Baukunſt 


‚zum ſchönen griechiſchen Geſchmack veredelt? Ur: ı 


fprung ber Dichtkunſt in alten morgenfändifchen 
Traditionen, National: Berfammlungen, Geift der 
Heinen Staaten, Zeitakter der Eitten, Leidenſchaf⸗ 
ten, Sprache. Urſprung einer griechiſchen Repus 
blik, die ein Morgenländer kaum für möglich erfannt 
Hätte. Wirfnug der Beredfamkeit in ihnen. Speak 
eines griehifhen Bürgers. Urſprung der Philofo: 
phie in ihnen: bürgerfiche Geftaft derſelben. Go: 
rated, Plato, Ariſtoteles, die mancherlei Schulen. 
Griechiſches Theater. Zwei, Wirkungen, Inhalt, 
Einrichtung deſſelben. Olympiſche und andere 


| 














297 
Spiele. Lacedämon: feine fonderbare Berfaffung: 
"Btäthe, Abfall. Urfachen des Verfalls von ganz Gries 
chenland. Berfuft der Freiheit, des griechifchen Geiftes 
— Epoche Aleranderd und feiner Nachfolger in Aflen 
und Aegypten: Verfall diefer Reiche Warum in Ae⸗ 
gypten zum zweitenmal Beine@poche entftehen Können ? 


5) Rom. Gonberbare, unvermuthete und dunkle 
Entſtehung. Urſachen feines ftillen Wachsthums. 
EGituation beffelben zwifchen Stafien, Griehenland 
und Karkhago. Seite des menfdlichen Geiftes, die 
fie ausgebildet. Römiſche Berfaflung ; Abwechs⸗ 
fung derſelben. Genius der römiſchen Tugend, 
Stärke und Tapferkeit; Eroberung der Welt. Ein⸗ 
fügrung. der römifhen Gefehe und Sitten in bie 
Provinzen. Gutes und Böfes Hieraus. Großer 
Schritt zur erweiterten Menſchlichkeit und Völker⸗ 
recht — aber auch Zerreißung aller National : Leis 
denfchaften und Bunde einzeiner Völker: in fpäter 
rer Zeit militäriſcher Deſpotismus, römiſche Schwels 
gerei und Ueppigkeit. 

Geftärt der Welt unter dem Orbis Romanus. 

Entſtehung der chriſtlichen Refigion. Ob 
aus der morgenländiſchen Philoſophie? Art und 
Urſachen der Ausbreitung. Ob fie das römſche 
Reich mit geſtürzt? die Barbaren menſchlicher ge⸗ 
macht? Kampf mit dem Heidenthum unter Ju⸗ 
lian. Wie ſie in die Länder Europens eingeführt 
worden? 

6) Zuftand der nordiſchen Bölkerſchaften: 
Border Gemeinihaft mitden Römern. 
Berfaffung, Tugenden und Mängee Wie fie mit 
den Römern zu thun befamen? in bie römifchen 
Laͤnder gelodt wurden? Ihre Züge, Berwü— 
tungen, Site, was Qutes und Böfes bamit 
geftiftet wurde? Zerftärung des Reſts der füblichen, 
Kultur, Künfte, Geſetze, Wiſſenſchaften. Kag— 


908 


cher Quſtand watrend dielar Abae. Seife Kräfte, 
Beuöskerung, rauhe Tugenden und Seſetze, die in 


dieſe ſeineran Länder gebragt wurden und füch mit ' 


den vorigen miſchen. Mene Reiche ‚ber Gothen, 
Longohazden, Franken, Wenden, Angeln und Nor: 
inner Ihre Geſetze Lehens⸗Verfaſſung, 
bie über Europa ejngefüprt wurde. Urfacen ber 
gelten , große Folgen auf fo viel Jahrhunderte. 
Das Gute ynp Mangelnafte in ifr. Naprung in 





— 


ige für die püpſtliche Hierarchie. Großes 


Webäude derſelben Über ganz Europa. 

Gntftepung des Mohamedismus in fen. 
Weftatt, Urſachen, ſchnelle Ausbreitung deſſelben. 
PFinmwirkung der Araber auf den Zuſtand der Wiſſen 
Ahaften und des Geſchmacks in Europa. 


Seiſt der mittlern Zeiten. Gothiſcher 


Geſchmack in Baufunft, Literatur, Produktionen 
ded Genies und der Sitten, Urfahen, das Große 
und Kleine in demſelben. Vergleichung mit dem 
morgenländifhen und griechiſchen Geſchmack. Rit: 
ter⸗Geiſt, aus welchen Neigungen er be: und 
entftanden. Adenteyerlich Gefühl der Ehre, Liebe, 
. „Broßmuth und ‚Religion. Etoff deſſelben in ben 
. ‚bamgligen. Zeiten. Abenteuer, Romane und No: 
vellen. Urfprung ber Dusle. Ordalijen und Got: 
tesgerichte, Kreuzzüge: Wirkung derſelben auf 
den Zuftand @uropens. Geift der "Möngerei, der 
Orden und des Kloſterlebens. Verfall der Geift: 
lichkeit, 


Berfuche ſich aus biefem Zuftanb empor zu be: 


ben, Demüthigung. der Vaſallen. Gtrebung ber 


Sürften nad Landeshnheit. Korfchläge zur Kir: 
den: Beibefferung, Errichtung ber . Univerfitäten. 

Sandelnde Republiken, Einzelne Märtyrer der Wahr: 
beit ‚und Berbeiferung ‚ber Bitten. 


MI Near Bufand Auropens. Eroberung 


399 


Konftantinopels Entdeckung zweier Welten. 
Ganz veränderter Zuftand ber Regierungs : Arten, 
Handels, der Wiffenfhaften und Fünfte, Einfüh— 
rung der griehifihen Sprache in Italien. Wieder: 
auffebung des Schönen in Baukunft , Bild und 
Mahlerei, Sprache, Sitten. Goldene Zeit unter 
den Medicid. Merkwoͤrdige und. große Leute das 
mals in alten Ländern Buropend. evolution ih 
‚ Allem. Landeshoneit In Spanien, Frankreich, Eng: 
"and wid den nordiſchen Neichen. In Deutſchland 
Kreife, Kammergericht und Landfrieden. Große 
VBeränderungen Dunch die Landeshöheit. Blüthe 
der Hauptſtädte, Llnfte : Verfeinerung ,. Buchdru⸗ 
drei, -Anndherungen „ber Reformation in allen 
Ländern. Luther Urfachen feines Auftrifts in 
feinen Lebens-Umſtänden, Zeitläuften. — — Das 
Göttliche und Menſchliche dabei, und bei Beför—⸗ 
derung feiter Seher. KBwede und Mißbräuche der 
Reformation. NKalvin, "Davingli. Reformation in 
England. Streben zur Sreitelt in England. and. 
den Niedberlanden, auf woe verſchiedene Waiſe. Me; 


Aligionskriege m Deutſchland und Kerfall Des: gedro⸗ 


heten Univerfal: Deſpotismus. Fortgaͤnge der Hand⸗ 
- ung und ihres Einftuſſes. Akadenien. Erwackung 
der Naturiehre und: Philoſophie: die.enft durch Sek⸗ 


ten ging, und damit immer mehr das Sakten⸗ 


mäßige abſträubte. Freidenkerei, bie ſich daher er⸗ 
hob, und verfchiedane Geſtalt berfelken in verſchie⸗ 
denen Rändern. Geift der Oekonomie, auf wel 
chen ſich alles wendet. Reſte der Barbarei, und 
neue ſchaͤdliche Vorurthaile. Auslichten und Hoff: 
nungen der. Zukunft. 


1 


‚800 


c) Recenfion 
von 


J. M. Gesneri primae lineae isagoges in erudi- 
tionem universalem, nominatim philolo- 
giam, historiam et philosophiam, in usum 
praelectionum ductaee Accedunt nunc 
praelectiones ipsae per Jo. Nicol. Niclas. 
Lipsiae 1775. bet Fritſch, 2 Bände, 
jebere von 2 Alphabeten In groß 8. 





Das Buch ſelbſt, Über welches Borlefungen er: 
feinen, ift Tängft als ein vortreffliches Schulbuch bes 
kannt; dur die Vorleſungen des Verfaſſers darüber 
wird fein Werth und feine Brauchbarkeit merklich erhö⸗ 
het. Das Berbienft das Gegnern bei feinem Leben 
auszeichnete, nämlich Menſchlichkeit (menn wir das ent: 
weigte Wort Humamnität fo eigentlich Herftellen dür⸗ 
fen) feine Menfhrihkeit in Iateinifher Schreibart, 
in den Schulwiſſenſchaften und bee Philoſo— 
phie macht auch das Gepräge diefed Buche. 

Sein Latein ift Fein gewölbter Ciceroniasmus vol 
hohler Worte und Perioden, fondern eine reine, flie 
Bende didaktiſche Schreibart, die fih auch für dem Eon: 
cretum einer neuen Sade und Sprade nicht fo knaben⸗ 
mäßig ſcheuet, wenn's genannt werden muß. Man 
Hört fein Latein immer, und liest ed nicht, ein gu 


tes Zeihen! Keine Sprache folte anders gefchrieben 





®) Stand in der Lemgoer Bibliothek, IX. Bd. 








u 01 


werden. — In dem Betracht ift dieß Buch alfo fehr 
angenehm und fehr nützlich. “ 

Gesners Menſchlichkeit in den Schulwiſſen⸗ 
ſchaften beſtand bekanntermaßen darin, daß er über die 
Sklavenmethode der Grammatik, des Deklinirens nr 
VBokabellernens hinweg war, und gern in feiner Schul: 
anmweifung diefe edle Sprache lebendig machen wollte. 
Es ift. bekannt, daß er damit in den Schulen nicht 
durchdrang. Die Mühe aber, die er fi bei Unter: 
ſtützung dieſes Lieblingsgedantens gegeben, Hat ihn auf 
manche andere fehr nuͤtzliche pädagogifche Bemerkungen 
gebracht, die einen anſehnlichen Theil diefed Buchs aus: 
machen: Die praecepta discendi generalia, ber 
große Artitet de linguis, ingleihem Ars oratoria, 
Logica, Methodus, Ethica zeugen davon, und er 
wird in diefer fo wahren, als nethwendigen und nüß: 
Yihen Reformation , mit ber ber trefffihe Philolog 
ſchwanger ging, an unferer Zeit eine billigere Beurthei⸗ 
Lerinn finden. > 


Endlich lebte Gesner in Zeiten, da ed mit ber 
Philoſophie recht eigentlich wie mit dem Hut in Gel: 
Yerts Fabel ging: die Philoſophie Rüdigers, THo: 
maſius, Wolfs verbrängten einander. Einem Schul⸗ 
weifen. von geprüften Sinne der Alten mußte dieſes 
Schattenſpiel vorüberraufhender Kartenhäuschen Gele: 
genheit zu guten Gedanken geben: deren Reſultat eben: 
falls diefes Buch enthält, und Gesnern jetzt als einen 
wahren Propheten zeiget. — Alle drei Geſichtspunkte 
machen uns alſo auf das Buch begierig. Und fürwahr, 


ein Yüngling und ein Schullehrer von feinen Sinnen 


kann mehr daraus lernen, als aus zehn neumodiſchen 
Büchern. 

em die Isagoge ſelbſt, ohne Kommentar, fon 
ein liebes Buch gewefen: wer Gesners Chreftoma: 
thien, feinen Horaz, Claudian und Orpheus 


riebgewonnen; ter endlich ihm His in feine opuscula 





1 


3062 
und memorias nachgefölgt N, und un hier die 
Quelle ſehen will, woraus die Baäͤche und Bäcyrein Mei: 
fin: ver feie dieſen Kommrentar. Gr Hat: ein treue 
Bild des Autors mik Licht⸗ und Schatteizügen. Bier 
Jugend unſeres Vlertheillahrhunderts, die Die Tatefnkttie 


Eyrache fo fehr hintanſetzt, kann dieſes Buch ein wat 


ches Coltigiam werden. 


Zreiiich geht's au hier ohne Mängel nicht ab, un 


wir können diefe deſto freier fügen, da. ber unfierhlicde 
Gebuer unferes Lobes nicht bedarf, und wir Hier nur 
um ber Lebendigen und nicht um der Tobten willen 
fgreiten. Nämlich. die Schranien eins Schulmanm⸗ 
werden hier redt offendar. Wo die Wortwiſſenſchaft 
"bie Kenntniß der Titel, oder endlich ine gerwiſſe Schlicht 
heit und Rundigkeit des Begriffs genug war, If Sek 
ner vortrefflih. Sn den eigentlichen Schulwiſſen ſchaften 
gibt ex Anmweliung ald ein Meifter und feine Beohad 
tung als Künftter; zeigt auch mit Fritifher Renntuif 
und Sorafalt gute Quellen und Bücher weitern Unter: 


richts an: hier ift er ein Kleinod. So z. B. die Ati 


tel von den —— von der Redekunſt, das vor 
treffliche, große Stüf son ber philoſophiſchen Geſchichte, 
infonderheit bei den Alten, u. dgl. Die Stücke, wo 
ein fchrihter Brick und gefunder Menftjenverftand Kits 
reicht, z. E. von der Anweifüng zum Lernen Übersanpt, 
von pfochofogifhen Spftemen und von ben primis na- 
"turae in der Moral, find einiges Weiſen in Griechen⸗ 
land werth. — In andern Städen, fieht man, mar 
der PHilolog fremde. Der Eingang ;. @. vom Anwuchs 
der Realwiſſenſchaft in unfern Zeiten ift dürte, aus 
Titeln oder vom Hörenfagen. Die Abfchnitte von der 
Doefie, nod mehr yon der Muſik, am meiften end: 
ih von dee Mahlerei bleiben zuruͤck, und der letzte 
ift des Buchs und des Verfaffers ganz unwerth. Ur 
kann's ausfiehen, die Mythologie gepriefen zu Te, 
weit fie Feuerwerk und Backwerk infcribirt? oder 














368 


wu SUR durch Denen, Huttrrſſe End Stteutz⸗ 
fdyameın errläitert: a ſehen? Seb grab hie, nrakrr 
Beigiänte vom Neifemunb Kirchoöngefchechte 
find auch Abkhnitte der Art: fe find die Aydier Var 
ruhe, die aber zu beſſern Hösen führen. — Auch bie: 
Him and wieder vorkommende, ja fo gar Aivels bis breis 
mal wieberhelten Burſchen⸗ uns Prsfeſſo rau 
ſch ichten over Kollegieufhwänte find im Druck 
keine Bierde. Der Herausgeber Hätte fie fiher wege 
gun Türmen, und kein Sahn ‚Hätte darnach gekraͤhet 


Wir wollen uns aber, da wir ein Schulbuch der 
Jugend empfehlen, an dieſen Mängeln nicht weiden. 
Das Auge des Juͤnglings findet fie ſolbſt, und bleibt 
zu gern daran hangen, um auch die guten Sachen 
Teichter zu faſſen. Schon ber Umlauf von Jahren, feit 
dieß Collegium aufgefegt ift, Hat vieles an unferes 
tieven Frauen Literatur verändern müſſen; da 
Yächelt man denn über den guten alten Vater Gesner 
zuweilen, der nun auch zu niden beliebt, meiftend aber 
find dieſe Fehler unterrihtend. Sie zeigen immer, wie 
fiher ein Gefhmad, aus und nad den Alten gebildet, 
über Modefahen hinwegblickt, wenn er gleich in anderm 
Betracht etwas dürftig und arm bleiben muͤſſen. — 
Soliten mande berüßmte Magistri nosfri zu unferee 
Zeit ihre Vorleſungen herausgeben oder fie ihnen ent- 
wandt werden; welch duͤrftiges Knabengewäſch bekaͤmen 
wir oft zu leſen! 


Saſſet uns alſo lieber zum: Borfſchmack des Buchs 
einige Stüce herauszichen, und etwa ergänzen, Ba 
zu tadem. Wahrlich, wenn aus Gesners Isa 
ans Sulzers kleinem Abriß der Wiſſenſchaften, 
etwa aus Formeys Conseil pour se forwéer ans 
Bibliotheque peu cehoisie et tres nombreuse: 
ober Aus Stockhauſen (fo mangelhaft **8 beide 
Buüucher find) mit Wahl und Verſtanbe ein Buch ges 


k 
; 
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& 
{ 
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} 


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dag: 
if, 
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— 79— 


fielen kann ſogteich Genie gezeigt und Senie 
werden: ja der erfie Blick auf die Sache 
Genie immer das Meile. Hier müßte der Sehrer Ba 
eon und Sulzer zu Hülfe nehmen: in jeder Wiſſen⸗ 
(daft, wenn’s gleich der Schüler nur noh glauben 
muß, Grenzen, Lüden, Reize, Methode kurz und Präf: 
tig zeigen: reichlich wirb. ihm feine Mühe und Ge 
nauigteit vırgolten werben. — In Sesner And ned 
guten Lehren einige Titel- und Büdernachrichten, die 
wenigſtens zeigen, daß er auf einer berühmten Univer: 
fität, bei einer vortrefflichen Bibliothek lebte, und daf 
er — nicht verachtete, was er nicht verftand. Die 
Nachrichten von den Encyklopädiſten vor ihm find in 
diefem Abfchnitt das Befte $. 22 — 50. 


Aber gülden find die Regeln vom Lernen über: 
Haupt: von Luft und Liebe zur Gabe, von der 
Aufmerkſamkeit, dem Nachdenken, der Wie: 
derholung Wie die Seelenträfte zugleid 
zu Üben Bon Selibſtgelehrten, Bielge 
Vehrten, Allgelehrten Vom Lefen, Ercer 
piren, Nachſchreiben. Snfonderbeit find die Be: 
merfungen von der-Orbnung im Lernen (der vorge 
gebenen und wahren Ordnung) und daß man die erfien 
Srundſätze der Wilfenfhaften allemal glauben 
müſſe, eines Weiſen in Griechenland wert. Hier if 
Gesner Philoſoph, d. i. Menfchentenner und Men: 
ſchenfreund, bes Zünglings Bater. ($. 47 — 78.) 

Die Finteitung ($. 79. u. f.) von dee Sprade 
Überdayps, ‚Sat wahre und zum Theil tiefe und new 

Züge: 


: 
g 








— — —— — — — — 


305 
Büse: überhaupt gefingtrs Gesnern, menn ed an bie 
Seelenlehre und etwas an's Wunderbare ſtreift; 


die neuere PHilofophie aber, was Sprache übers 


Haupt ſey, if, wie leicht zu erachten, bier noch nik 
genutzt. Der Lefer muß diefe Lüde ausfüllen: denn je 
genauer man das Werkjeug der Vernunft und Wiſſen⸗ 
Schaft kennet, deſto beſſer kann man's brauden. Hier 
wohnt recht die Inſtrumentalphiloſophie, wie man die 
tyricht⸗ ſpllogiſtifche Kunſt einft nannte. 


Iy Abficht auf die Mutterſprache ($. 86 u.f.) 
iſt Gesner Hilfiger als die Latiniften zu feyn pflegen; 
eg: ift aber nicht. eigentlich getroffen, warum? wie? 
und in welchem Maß fie gegen andere Sprachen zu 
trsihen? noch weniger ift ihr Charakter fo unterſchei— 

beſtimmt, als ihn ein Kenner alter Spraden 

ke, beſtimmen können. Hies muß der Leſer vieles 
dazu thun, aus neuen und alten Büdern, bie Gesner 
nit kannte. Vortrefflich iſt's bemerkt, was Reli— 
“int und Bibel zur Erhaltung, Prägung und Bil: 
einer Sprache thue, und auch bei der deutſchen 


Die, Abfchyitte von. der Tateinifhen und grie 
chi ſchen Sprache, auch mit den angezeigten Büchern, 
ſind aifiih. Ein einziges ug in feiner Art, wenn 
age ſo wäre. 


Bon den morgenländifhen Sprachen, infonderheit 
den neugefundenen Alphabeten find gute Hiftorifche 
Nachrichten; der Artikel von den europäiſchen 
Sp'rachen taugt nicht-vie. Der Yüngling ſollte eis 
nen Eurzen Begriff von der Natur, Abftammung, 
dam Charakter, d. 1. dem unterfohledenen geiftis 
gen Gepräge der neuern gelehrten Sprachen bekom⸗ 
mien: alsdann ſollt's beſtimmt werben, wiefern und 
zu’ welcher Ktaffe von Gelehrſamkeit jede nützlich 
oder unentbehrlich fen: fobann, damit ber Yüngling 


Berders Werke 3. Philoſ. u. Geſch. X. 20 


806 


Luſt fhöpfe, die vornehmſten Büher und Meiſter— 
ſtücke derfelben — — von alle dem wenig! 


Die Poeſie ift als Modus der Sprache in einem 
guten Geſichtspunkt geftellt, mitunter auh gute Be 
merkungen,, was z. E. die wahren Dichter immer auds 
gerichtet u f.; aber der Autor Elebt zu fehr an den 
lieben Spibenmaßen, bat vom poetifhen Gehör 
fanderbure Begriffe, und ift Hier nur ein Schulpoet. — 
Das harte Urtheil über Klopftocd Hat etwas Wah—⸗ 
reg, od es gleih ſchwatzhaft und unedel gefagt if. 
Noch mehr Wuhres Hat das Urtheil Über Meiers 
Aeſthetie, der Gesner fehr fend ie. Baumgarten 
würde es nicht beffer ergehen, wenn er nicht aus Geb: 
ners Thesaurus Exempel hergeholet hätte: da ift nun 
eine Liebe ter andern werth. Ueberhaupt wärs eine 
Frage der Unterjudhung werth: woher die alte und 
neue Aeſthetik, Poefie, Nedetunft und Phr 
lofophie fih meiſtens alfp feind find? und 
an wen die Schuld Tiege? Ohne Zweifel an 
beiden Teilen! 

Bei den Abihnitten „Mythologie un 
Mahlerei“ ift zu verwundern, wie der Autor fo 
viel ſchöne Bücher feiner Univerfitätsbitfiothet fo menig 
habe nutzen? oder vielmehr, wie wenig Gefhmad 

ihm dieſe Haben geben Fönnen, ſelbſt, wenn er fe 
Kannte! Man fieht an Gesner, was man an fo viel 
andern fiehet, daß der Geſchmack diefer Art eine Gabe 
reäherer Jahre:ift, die im Alter ſchwerlich mehr 
ertangt werde. Welch anderer Mann if Hier. Heyne! 
u Die Redekfunft ift ebenfalts (ehr fhulmäßig ber 
handelt. 

Die Ginteitung von ber Geſchichte überKaups 


($. 586) und vom Hiftorifhen Glauben ($. 405) 


iſt trefflich, wie meiſtens alle allgemeinen Einleitungen 
der Art. Es find Grumdfäße eined Mannes von rich⸗ 
tigen Sinnen , durch's Lefen der Alten, nicht dur 








807 


kritifſche Sophiſten, Geſchmäckler, Zweifler, mathematis 


ſche Metaphyſiker, u. dgl. gebildet. Es ift alfo eben 
fo eine Narrheit, in der Geſchichte mathematiihe Bes 
weife oder Gewißneit zu fordern, als — in der Mas- 
thematit Hiftorifches Zeugniß. Und dom ift diefe Narr: 
heit heut zu Tage beliebter Geſchmack. Giner der treffs: 
lihften Philologen, Freret, hat in den Kommenta⸗ 
ren feiner Akademie darüber eine Abhandlung geliefert, 
die ich, fo wie die meiften von ihm, aus diefem Wuft. 
herausgezgogen und befonders befannt gemacht oder übers 
fest wünfdhte. Gr fieht da wie ein König unter den: 
Kegeln. . 


Die Anweifung Gesners zur Geographie 
will nicht viel fagen: die Anwelfung zur Chronolo: 
gie nennt wenigftend gute Bücher, fo wie auch der 
Abſchnitt ven der alten Sefhichte Als ein Ders 
zeihniß und Beurtheilung der zum Theil koſtbaren 
Hauptbücer. muß. man diefe Stüce brauchen: ba Hat’s 
dem Autor genubt, daß er neben der Bibliothek lebte. 
Der Abſchnitt von den neuern Reihen If nicht 
viel werth. Da find weder die beften Bücher genannt, 
noch die nöthigſien Begriffe gegeben., 

Genealogie, Heraldik und bass Reifen 
folgen Wer foll alſo reifen, wie hier geichrieben ſteht? 
Ad considerandos nummos bracteatos, ad dig- 
noscenda diplomata, tabularia, musea — eim 
philologiſcher Handwerksburſch: und geleit’s ihn Gott! 
— Daran tft nieht gedacht, daß ein anderer Menid,. 
ein freier, genievoller , edler Jüngling reife! 

Die Kirchengeſchichte iſt auch für Untheolo— 
gen unvolffommen und verzogen. Soll jeder Gelehrte 
even das in diefem Felde willen und davon denfen? 
Die Gelehrten: Gefhichte ift mit Büchertiteln 
und Fächern zu überhäuft; daher ift für den Geſchmack, 
den Verſtand und das Genie hier wenig. An diefe 
Sottesgabe wird für Fauter Gelehrſamkeit nicht gedacht: 


E17 sap: . 
dems: dee Autor .excerpirte den mie auifhen Katalog 
una. wollte zu viel fagen.. 
Aber nun kommt ein Eaffifder Abſchnitt, die phi: 


toſophiſche Geſchichte, fie in aud; das größte im 


Bub. Infondergeit in der älteiten griehifhen Phi⸗ 


tofephie ift Gegner vortrefflih: man fieht, Orv heus 
und Pythagoras liegen ihm am Herzen. Gr ver: 
theidigt dieſe mürbigen Altväter des menſchlichen Se 


ſchlechts, doch ohne Uebertreibung: rechtfertigt infon: 


derheit das alte Gleichniß zwifhen Gott und der Seele 
der Wert, und fo ſchlicht und treffend geht er in feinen. 
Urtheifen hinunter, bis auf unfere in der Philoſophie 


(Spa!) höchſte, Fehte und güldene Zeiten In dieſen 
erfenuet er, vom Geiſt ter alten, infonderheit der 
Orpheiſch⸗ Heraktitifchen Philofophie turhdrungen, nicht 
alles für Gap, was manchem fo fdiemet. Er ift aud 
überhaupt der billigen, gefunden Meinung, daß man, 
un vom Sekten: und .Kebergeif in: der Pällofopfie be 
wagrt zu werden, lieber von Mr Alten "und der Ge 
ſchichte der Philofophie, atd von Beibnik und Wolf 
anfungen müfe, Ueberhaupt ftehen die lebten zween 
in ſehr abflehendem. Licht — kurz dieſe Geſchich te 
dar Phifoſophie wird aud consummalissimum 
virum, durchlaufen zu haben, nicht gereuen. 

Su der Pſpchologie find vortreffiihe Saden. 
Dis Leibnitziſchen Dichtungen von den Monaden, 
der. Harmonie und: der Freihett wollen ihm nicht 
zu. Kopf. _Hier indes man viel. gefunden Verftand, und 
zwifchen inne fehr naive Urtheile. Gesner befennet, 
er :babe., ſech Tange. zu, dieſer Philoſophie gezwungen, 
ſchaͤmet fih aber nit, Palinodie zu fingen, zeigt auch, 
wie wenig neu dieſe Hynotheſen zum Theil fepen: z. GO: 
des Laibumib Harmonie zeigt er im beiannten Starte: 
ſtaner Geulinx, den Leibnitz gerriß gelefen — alles 
mit. vieler Wärme, als Menfch geſchrieben und nit 
ale Monate, — 


u 





369. u 
DOmtofogie ſeagt. Wer mach Ermeſti und‘ den 


Arten: Diefen Theil tmrbeften: Latein leſen will, leſe. 


Oft wird auch gezeigt, "wie wenig’ neu’ diefer und‘ fener 


Grundſatz ſey, der’ Auser "Hat aber noch viel cholaſti⸗ 


ſches Spinnweb beizubehalten gewũrdigt. Tie theolo- 


gta naturalis iſt mit der Schlichtheit und gefunden 


Berwänft geſchrieben, wie die Pſychologie und!pie 
phileſophifche Geſchichte. !Der Verf.“ legt einen 


ſehr richtigen Begriff der theologiae naturalis zum 


GSrunde, und zeigt, daß nicht alles aus der Sernunft 


geſchöpft ſey, was wir jetzt mit: einem Spielwerk ber 


Vernunft beweiſen. Auch im Abſicht der Freiheit 


des höchſten Weſens iſt Sesner kein Leibnigiener;er 


neigt fich auch in ſeinem Begriff von Allgegenwart, 
Raum, Schöpfuug zur finntihen, geiühlvollen 
PHilofophie der Alten, bie ihm überhaupf fo 
tieb war. 

Der Logik, als einer Denkt: und Bermunft: 
sungft iſt der Philolog, der die Grammatik Teldft! fo 
einfchräntte, nicht gewogen: er führt mehr als einmal 
das gute Wort Guſtav Adolphs an, der Logik wand 


-Metaphyfif die praeputia der Wiſſenſchaften 


nannte, und fie beinahe verbot. Logica per ana- 


gramma caligo :. wer seine mafürliche Logie' — 
fie duch Kunſt nicht lernen, — indeſſen bringt "ber 


Verf. nachher nöd, ziemlich den ſyllogiſtiſchen Kram Her: 
"dei, daß man wenigſtens das Geräth kenne. — Won 
ver Methode, dem Bücherleſen, ueberſetzen 
and Beurtheiten kommen weniger Bemerkungen 
vor, :als man von der Weisheit dieſes Lehrers erwaär⸗ 
tete. Er Hat Hier überhaupt geeilet. Die Difyu: 
tatiomern ſchließen dieß Sunpiäd. ($. 1204.) 

Es folgt die praftifihe Phitofonnte, won: 
fondergeit der Artikel de primis naturae 'ein TAG: 
bares Stüd if. Dan Fieht den’ Verf. ars Güter, 'der 
Kinder gekannt md gelirbet: ans ihrer Seele nimmt 


— 510 


er die meiften Erfahrungen, wmeiftens mit einem fehr | 
(Hiisten Blicke Her; zeigt fobann, wie diefe Srand⸗ | 
triede der Natur alle weder gut noch böfe find, 
und eine Feder haben müllen, die fie rüdgaite und 
teeibe. Dieſe wird die Bernaunft, das Seſetz der 
Billigkeit und Liede. Das utile und decorum 
bringt er auf Eins jurüd: wovon auch in der Vorrede 
eine Abhandlung utilitas, honesti mater , non ju- 
‚dex ftehet._ In den lebten Apfchnitten von Hinder: 
niffen der Tugend, von Anreizung zu befondern 
Zugenden, vom Eheftande, dee Erziehung u.|.m. 
find vortreffliche, meiftens aus den Alten genommene 
Bemerkungen und Lehren, obgleich der Autor, wie es 
‚am Gnde ber Borlefungen gewöhnlich if, ſehr eilet. 
Aus altem erhellet, daß diefer Kommentar Eein 
vollendetes, aber ein fehr nütfiches und angenehmes 
Buch fen für die Jugend. Die Lehrer auf Univerfitä: 
ten mögen ihre Geſtalt fehen, was oft erfhiene, wenn 
ihre weifen Katheder: Reden ſämmtlich gedruckt würden. 
Die Kleinkreiſigkeitt und Eigenllebe, das ewige Ich und 
Bezlehen auf ſich ſelbſt, die beim Gesner nur Eleine 
Zlecken find, weil man fiehet, daß er bubei nichts ar⸗ 
ges hat, würden an andern häßliche Kröpfe und Giten 
deulen werden, bafür der Welt efelte. Und doch muß 
es ber Jugend, diefem Publikum, dafür man am mei: 
ften Ehrfurdt Haben follte, nicht efein! Ya ed wird 
äbnen (weil ale lebendige Sitte fih am tiefften eins 
frißt) erfie Farbe der Gelehrfamkeit und Weisheit. 
Inde tot lacrimae! — £affet fie diefe Vorleſungen 
fehen und denten: „Geſchieht das am grünen 
Holz!” — Das Hat nun ein Freund ausgefeilt und 
gegeben, „was will am bürren werden?‘ wie, 
wenn ein Feind bei Lebzeiten dich Sudler! dich Trüdels 
weid! dich Schimpfer! gedrudt darfiellie — Man: 
hen follte man’s beinahe wünfchen. 


Rupe alſo wohl, Lieber Paͤdagog: Du, der fo 











311 — 


viel memorias für Männer, Weider und Hermaphro—⸗ 
diten fchreiden müffen, und gar deine eigene memoriam 
(de rebus ad Gesnerum pertinentibus) ſchreiben 
mwoüteft: deine memoria grüne} ohne neu dir nadıge: 
ſchriebene Schufübungen und Hefte. 


— — 


d) Ideal einer Schule. 
1769. 





Die erfte Cinrihtung meiner Schule jey, fo viel 
möglich, im Stilen und mit Genehmigung meiner Mit: 
lehrer: auf ſolche Art ift die Befeſtigung meiner Abſichten 
natürlich, und ich fidere mich der Liebe meiner Kollegen. 
Iſt's möglich, einzuführen, daß jeder feine arbeiten wählt, 
die für ihn find, Stunden wählt, die für ihn find, feinen 
Unterfchied an Klaffen und Ordnungen findet und finden 
will: wie viel wäre damit ausgerihtet! Su hat jeder 
“ feine Liedlingeftunden und Arbeiten: fo fält der Rung- 
freit weg, und das, was da bleibt, ift nur Orduung: fü 
wird die Achtung der Schüler unter tie Lehrer vertneifet: 
fo wird der Einförmigkeit und dem verbrüßfichen Cinertei, 
immer einen Sehrer und eine Methode zu haben, abae: 
holfen: fo wird Veränderung in dad Gunze der Schule 
gebracht, und alle Klaffen nehmen daran Theil: fo wird 
Feine ganz und gar verwildert, da doch alle Subjekte bei 
Einer Schule nicht alle gleich gut fenn können: fo wird 
ein größeres Bund unter Lehrern und Schülern: fo bes 
fommt jeder die ganze Schule auf gewiſſe Art zu überje: 
hen, zu unterrichten, und wird ein Wohlthäter des Gun; 
zen: fo bekommt der Auffeher das Ganze der Ed:ule 
mehr zu Eennen, und überhaupt fo ift die Vertheilung 
die ratürfid.fie. Nun wird nicht alles der lateiniſchen 
Eprame aufgeopfert, und ihr gleichfam zu Liebe rangirer: 


, 


812 


nun kann jeder Schüler, nadı jeder SAH and 
niebrig und gerade an ſeinem Ort ſeyn: nun hat Ye 
um einer Nebenfade wilien, in allem verſäumt werben: 
das Papiſtiſch⸗Gothiſche, das die Tatelnifche Spraqhe jur 

Herrfherinn macht, wird weggenommen, und alles a 
ein regelmäßiges, natürlich eingetheilted Ganze. Jeden 
Lehrer bleibt fein Name, fein Rang, feine lateiniſche e& 
gene Klaſſe; nur jede andere Wiſſenſchaft, Theologie, 
Popfit, Oriechiſch, Ebraͤlſch, franzöflfhe Sprache, Geo: 
grappie, Hiftorie, Realien, poefi⸗ u. t. w. wird vertheilt. 


Cine Realklaſſe fähgt an. Die erften Kenntniſſe 
mehr der Naturgefhichte, als der Naturlehre, mehr von 
fi, als von Entferntem, Fremdem, von Körper, Seele, 
merkwürdigen Saden, die man täglich draucht, und fies 
het und nicht kennet, Kaffee und Thee, Zuder und Se 
würze, Brod und Bier und Wein u. f. w. Die game 
Außere Geftatt der Welt, in deren Mitte der Texnetbe 
Knabe ftept, wird erklärt; Er auf den Unterftied ud 
Aehnlichkeiten und Beſchaffenheiten der Tiere gerüstet, 
die er fo liebt: die gemeinften Bebürfniffe des Lebens, 
“Erfindungen und Künfte ihm gejeigt, damit er fi fersft 
kennen, in feinem Umkreiſe fühlen, und alles brauchen 
ferne. Das wird ihn zu Teinem Fremdlinge in der Wen 
machen, wo er ift: ihm Feine unverftändenen Ihren Tafs 
fen, die er fonft mit Sprahe uw Gewohnheit Teent, 
ihn aufweden, felöft zu betradten, und uͤberhaupt dem 
großen Zwecke nacheifern, ihm das zu erklären, oder hm 
die Erklaͤrung von alle dem finden zu lehren, was Thm 
die Sprade als Vorurtheil einprägte. Hier drauchtes 
eines Genies für Lehrer und Schüler; nur Treue, 
Fleiß und Aufmerkfamkeit. Hier kommen lebendige Gas 
den und Kupfer zu Hülfe: er kennet feine wert: hier 
wird alles Tedendig: es findet fih, daß das eben 'Dafferde 
tft, was er wußte und nicht weiß, zu trennen —— 
und nicht trennet, ſpricht und nicht benfet, Welche Re⸗ 

volution in ber Seele ber Knaben! welche Errrgung von 


- 518 


unten auf! Gifer, nicht bloß akademiſch todter Erflärun⸗ 


gen , fondern Tebendiger, Tebenbiger denntniſſe; das er- 
weckt die Seele, das gibt Luft zu lernen und zu Veben: 
das hebt aus der Einſchläferung der Sprache; das !äßt 
Ach Den Eltern zum Rupın der Kinder vorpredigen ; das 
läßt ſich anwenden: das bildet auf zeitlebens... Büffons 
Naturpiftorie ift hier für den Lehrer mit Auswahl ein 
gutes Buch: die Artikel von der Menfaheit, von vielen 
einzelnen Thieren, ohne Spftem, find bioß für die Zur . 
gend und fonit kaum gut. 


Man fichet, daß ſich mit diefer Ktaffe von ſeidſt 
manches zufammenfchlinge, inſonderheit aus der Geſchichte 
der Künfte, der Handwerke, der, Erfindungen; nur · daß 
dieſes alles bloß untergeordnet bleibvt, und Bein Haupt: 


jweed wird. ‚Gin Scüter, der von Künften und Yard: 


werken ohne Iebendige Anſchauung aligemeinhin ſchwutzt, 
iſt noch Ärger, als der von allem nichts weiß: der aber, 


denmn jede Kunſt dienet, um anderes von lebendigen Kennt⸗ 


niffen, die er als Knabe fhen haben muß, zu ertkären, 
der bleibt noch: Immer Anabe, indem er auch davon hört, 
und wird nicht ein Maulaffe von einem unwiſſenden nah: 
planbernden Lehhrijungen. 

- Man fleget, daß wathematiſche Begriffe eben: fo Yut 
dazu gehören, aber nicht, wie fie in umfern Bädern fie: 
Gen, fondern wie ſie der Hanptbegriff einer gamyen Wiſ⸗ 
fenfhaft find, Töne, Farben, after, Yuft, Figuren 
Erfheinungen, Maſchinen u. -[. m. Tommen fd Epiel 
merke hieher, und ‚werben die Bafls zu einem ſehe gro⸗ 
Gen Gebäube. 

Erzaͤhlungen von -diefer und jener Vegebecheit Sa⸗ 
che, Sridjsinung, Erfiudung, Denkwürdigkelten weben 
fi) aͤberall ein, ptündern Hiſtorie und Geographie, ohne 
von beiden einen pedantiſchen Schatten zu kekhen, "Wille: 
zen und beleben ˖alles, geben Lawter Data und Dewtweites 
digkeiten, ob fie gleich nur immer, ed war einmal! ers 
zaͤhlen; von der heifigen Hiftorie knuͤpft füch hier nichts 


% 


». 





514 


ein, als was wirklich menfhlid iſt: Adam, die Schr 
fung. das Paradies, die Sündfluth: Kirhenceremonien. 
die von Ehrifto herfonimen, Tanie und. Abendmahl, mi 
chen deffen Gefhichte unentbehrliih und rührend; alle 
bloß Jüdiſche wird vermieden: es wird Hauptzwed 
dem Knaben von alle dem Iebendige Begriffe zu geben. 
was er fieht, fpricht, genießt, um ihn in feine Wet 
zu feen, und ihm den Genuß derſelben auf feine ganze 
Levengzeit einzuprägen. ° Mit einem folhen Anfang 
wird er nie der Wilfenfchaften und noch weniger des 
Lebens überdrüffig werden ; nie feine Schulzeit beklagen: 
fi nie in einer andern Welt geboren zu ſeyn wün 
fen, weit ihm durch Feine andere der Kopf verräd 
iſt, und die feinige fein erfter Horizont wurde. Schöne 
Klaſſe, die erfie und befte, den menichlihen Geift zu 
bilden: dte angenehmfte, die Entwicklung einer ſchönen 
jugendlihen Seele zu behorchen, und file auf ihre ganz 
Lebenszeit weife, gründlich, von Vorurtheilen frei und 
glücklich zu maden. Sie verfchließt auf immer dm 
‚faulen, moraftigen Weg, auf Wörter, Bücher und Ur: 
theile anderer ſtolz Hinzutreten und ewig ein fchmwaken: 
der linwiffender zu bleiben. O wäre ein ſolches Bud 
gefhrieben! oder vielmehr Hätte ich einmal einen for: 
den Curſus durdgelehrt!: und noch mehr ihn feldſt 
burcdhgefernt! und zuerft burchgelernt! und wäre fo ge: 
Hude! Nun bleibt mir nichts, als -eine zweite Grjie 
Hung übrig: ich will mich in Frankreich bemühen, die 
Buͤffons und Nollets recht fhäten zu fernen, überall 
Kunſt und Natur und Auftritte der Menſchen aufjufu 
hen, und in mid zu prägen, unb recht zu genießen: 
und _die rehten Quellen von Büchern kennen lernen, 
um mid nad) ihnen. wenn ich fie habe, zu bilden — 
Genius meiner Natur! wirft du mic an mein Ber 
ſprechen, das ich dir und ınir'tgue, erinnern! 


- Zür das Herz gehörf eben eine ſolche Kraffe. Der 
Katechismus Luthers muß reiht Innig auswendig ge: 


! 








j 315. 

Yernt” werden, und ewig bleiben. Grftärungen über ihn 
find ein Schau von Pflihten und Menfhenfenntniffen. 
Was auch Baſedow Über das Jüdiſche der jehn Ge: 
Bote fage, mit rechten Erklärungen und leichten Ginlei: 
zungen find fie eine fhöne Moral für Kinder. Das 
Artikelbekenntniß ift, dem erſten Stüd nad, vortreiffich 
und mit jedem Wort der Erklärung groß: das zweite 
führt auf die Lebensgeſchichte Jeſu, für Kinder fo rüh: 
rend und erbaufih: das dritte ift mehr nad den MWor: 
ten des Artikels ſelbſt, als jedem Buchftaben der Er: 
ktärung fehr nützlich und gleihram die Bafls zum Be: 
Eenntniß deffen, was chriſtliche Repubtie if. Luther ift 
nicht in feinen Sinn eingedrungen, der mit jedem Wort 
eine potitifhe Einleitung ift, Ihön und unterrichtend. 
Pas Gebet Chriſti iſt Schwer zu erklären, und Luther zu 
weitläufig: es ift im Sinn und mit Worten der Zeit 
Jeſu: zum Theil auch nach den Verurtheilen der Jün⸗ 
ger, die auf Gin beffered mit ihren eigenen Ausdruͤcken 
gelenkt werden: es hat alfo eine jüdiich:helleniftifche Far: 
de, und muß, da es einmal tägfid) in unferm Munde ' 
ift. in ſoiche Worte, eben fo Eurz und verftändlic über: 
fett werden, als es ein Chriftus jetzt für Kinder beten 
würde. Das Saframent der Taufe ift vortreffiih, um 
zu bilden, um daran zu erinnern, was man verfprocden, 
um dıriftiihe Bürger zu machen. Cine Taufe ofne Un: 
terciht nach derfelden ift Nichts; mit diefem, in den er: 
ften früheften Jahren, die nutzbarſte Sache von der Welt. 
Tas Abendmanf ift das, worauf fie zubereitet werben 
folen, und nicht zeitig und innig genug zubereitet werden 
£fünnen. Tas joll einer meiner größten Zwecke ſeyn, 
die Saframent würdig zu machen, es zu erheben! bie 
Konfirmatiın in alle Zeier ihres Urſprungs zu feßen, und 
die erfien Gindrüde fo ewig zu machen, als ich ann. 
Dazu will ich ChHarfreitag und alles Rüprende zu Hülfe 
netmen, um es wenigftens von außen fo ehrwürbig zu 
machen, als ich kann: die erſten Eindrücke in ihrem gan: 


516 


on Ginfluffe aufs Leben zu zeigen, den Pöbel zu emp. 
“ren, die ſchönen Geifter zu Überzeugen, die Jugend 4 
erbauen. 

Der Katechismus dee Menſchheit, wie ich ihn se 
entworfen, fängt bier an, und wie fehließt er ih = 
Luthers Katechismus zuſammen! Züge, Portruite, ‘& 
fhichte, Leben aus aller Hiſtorie kommt bazu, um nei 
lich zu bilden ; aus der Bisel'wenig — Kain, "die he 
fluth mit gehörigen Einſchraͤnkungen, die Gefchihte Je 
fephs, Et, einiges non David, die Geſchichte Zefa 
einigen Handlungen u. f. w. Die Seſchechte wubete 

Bölter-und Zeiten, in großen Beifpielen und Boreiien 
drängt ſich haufenweife heran: lebendig Verde fie erjäl 
wieder erzähle, nie ;geiernt, wie pedantiſch derrcharſcer 
und durchgeknetet: fo bildet fi Seele, Gepdaytnti, AR 
rakter; Zunge, Sortrag, und nachdem wird Ahr tank. 
terer Zeit auch Styl, auch Denkart bilsen. "Mit pe 
fother Seſchichten wird die: Seele des Knaben in ein 
‚guten Ton gewisgt: der Ton trägt fich fittt font, "wird 
ſich einprägen, und auf ewig die Seele ſtimmen. 

Die: Ztweite Renefruffe iſt (Hon "ein Eompfäterer dar 
(a8, ver ſich vem Wiſſenſchafttichen mehr nähert. DER: 
gurhiftorie wird ſchon mehr Nerrurtehre, allgemeiner, Hr 

Yammenhartiewber, mit yhftrumenten und’ 
Da vekommt der Jüntziing Wonderdinge zu ſehen, m 
noch mehr zu Arbeiten: wie Bin th aber hierin der 
Amt? Weiß Ih Inſtrumente zu wählen, zu 
zu verbeſſern? Bier muß mir meine Reife zu Bi 
fkonnnen vder alles iſt vergebens. Die ‘erfte veſte N 
ſtrunntenſammlang, wo ich fie finde: wo ich Walt ri 
nem Manne bekannt wWerde: infenbergeit in "Werft 
and "Holland, wo Ih der Sprache mächtig Yin — u 
iu fe ſehen und kentien lernen, und jeden Mahn’ 
tzen, mit dem fh wihgeße, und mich zu fetdyen’Sndliegen 
mit denen ich wnuehen kann, nd keinen Wintel kr 
"Toren. ine Reiſebeſchreibumg jebes Landis oki 








317° 


ie Merfmärbigkeiten in Naturſachen, Inftrumenten und 
Rupfern fagen, die da zu fehen find: und da jeder 
Mann gern feine Sachen erklären, mag, fo hoffe ich. 
kErtlärer zu finden. Und wenn ich zurückkomme, o ſo 
vili ich alles erregen, um die Nutzdarkeit und Unent⸗ 
yehrtichteit folcher Sachen des Anfhauens zu zeigen, id) 
vilt das Elende dev Worterzählungen beweifen, und . 
Nicht rufen, bis ich ber Schule einen Schatz uch In⸗ 
deuimenten und Naturalien verfhaffe und nachlaſſe. 
Vielleicht werben fich, wie Büſching das Glück gehabt, 
olche zu finden, auch für mich und meine Adfihten Ber 
örderer finden. | 


Die Naturgefshichte wird. in das Entferntere fort⸗ 
gefeßt; durch Kupfer und Naturſachen. Buffon, Swam— 
merbagn, Reaumyr, Röfeler u. ſ. w. follen hier. ſpie⸗ 
leyde Bücher ſeyn, deren Bilder, wit. Erzählungen ber, 
greite} werden. ie vieles habe ich hier. ſelbſt zu Kerr... 
mep, was. ein, Philoſoph, wie. Reimaxus wufte, 


Eben biemit wir). ein Weg zu. Bülhings Worker. 
reitung zur Geographie: ein Buch, das. ich. wuͤnſchta⸗ 
Nig,.ein Collegium in feinem. Umfangs, durchzuwiſſen. 
Die, Naturbhiſtorie verſchiedener Reiche führt. auf die 
‚Gepgraphie, die. in, ihrem Anfange. am ſchwerſten iſt. 
Wia id. von ‚meiner ſichtlichen Sityation ausgehe? Wie. 
Naturanſicht einer Intel, Halbinſel, feſtes Land. u. f. m 
‚auf. eine Kante: ipmmaz wis..ich diefe in ber Hakan, 
finde? wia,eing Karte, der Welt werde? Wie fih Meer. 
und, feſtas Sand, im, Ganzen. verhalte? Wie Flüſſe und 
‚Ospigge, werden, u, ſ. w.? Wie die Erbe. rund fepn. 
tönne? mie fie fit) umſchiffen faffe? Wie fie. in dee. 
Puft ſchwebe? Wie Tag und Nacht werde? — fiehe 
ba! fo wird ber Anfang ber Geographie natürlich pho: 
fifhe Geographie. Hier verfammelt fih Naturlehre, 
Naturbiftorie, etwas Mathematik und viel Data, viel 
Grfcheinungen, viel Geſchichten. Es ift nicht zu fagen, 
wie ſchwer manches den Kindern zu erklären fen, to: 


‘ 


518 


von fie immer fhwaten; aber eben auch iſtes nicht zu 
fügen, wie nußbar ein folder Curſus ſeyn müffe Hier 
wird die vorige Naturgeichichte ausgebreitet: ich finde, | 
daß jedes Land feine Menfhen und Gelhöpfe Habe: ih 
lerne ſie überall kennen, jedes an feine Stelle feren, 
und den ganzen Umfang einfehen, in den Alles gebött, 


den ganzen Körper der Erde. Man läßt fi alſo in] 


jedes Landes einzelnes und am wenigften yolitifches De 


tail noch nicht ein: von allem die Hauptbegriffe und ' 
wie alles infonderheit zum Ganzen gehört. Natur 


bleibt alſo Natur und die erfie: WMenfchengattungen, 
potitifche und wilde und halbwilde Welt, in ihrer Ge 
ſtalt, Kleidung, Lebensart; affo nur Hauptftädte, aber 
viel Data von Sitten, HSaupteinrihtungen und Zuftän 
ben: was fle haben und liefern, find und nicht find: 


wie fern altes ein Ganzes ift oder nicht if. Dei ak Ä 





lem Eommt Erzählung und Bild zu Hülfe: die gang 


Geographie wird eine Bilderſammlung. Wenig um 
feine erzwungene Reflexion, Feine Charafteriftit, noch 
feine einfeitigen Ybeen ; aber Data, Erzählungen Da 
lernt der Süngling aus feinem Winkel Hinausfehen, er 
lernt Sumanität, nichts blind verachten und verfpotten, 
altes fehr Eennen, und feinen Zuftand genießen, oder 
fid einen beſſern ſuchen. Großes Studium! mer wird 
dabei ermüden? — Aus den beften Reifebefchreibungen, 
aber im Gelhmade eines Reifenden, wie Rouifeau (©. 
Eril-s. TH. Über die Reifen) muß ein lebendiger Aus: 
zug’ alles belieben! Welche Welt Hier für den Jüngling! 
zushdren! zu vehalten! wieder zu emählen! aufzufchrei: 
ben, Styl Denkart, Vernunft zu biſden: abzuwechſeln 
— welche Wet! 


Mathematik wird noch nicht anders getrieben, als 
mit Phyſik verbunden: wie viel aber kann und muß 
da ſchon getrieben werden, um jene nicht zu verlaſſen! 
Zur Geographie fchlicht fih Aſtronomie, Chronologqie. 
Gnomonik: zur Kenntniß des Lichts, der Luft, des 





319 


SBaffers, der Körper, Optik, Aerometrie, Hpdroftatik,, 
Mechanik: zur Kenntnif der Kürten, Geometrie und 
perfpektiv — von allem alfo lebendige, nette,. vollſtän⸗ 
sige Begriffe; ift der Raum Elein oder groß? 


Aber es kommt noch ein größerer, die Sftorie, 
dieſe muß jeto ſchon eine Hiftorie der Völker werden, 
und wie das? daß fie dem andern freu bleibe, nur die 
Haupiveränderungen und Revolutionen jedes Volks ers 
zähle, um einen jekigen Zuſtand Zu erklären, wie ber 
Geift der Kultur, der Bekanntheit, der Religion, der 
Wiſfſenſchaften, der Sitten, der Künfte, der Erfindun⸗ 
gen von Welt in Welt ging: wie vieles dahin ſank 
und ſich vertor; anderes neues herauf Fam und ſich 
fortpflanzte: wie biefer mit. jenem Geſchniack abwech⸗ 
fette, und meiter furtging, und der Strom der Zeiten 
ſich immer fortfenkte, bis er unfere Zeit gab, den 
Punkt, auf dem wir fliehen. Man fliegt, viele Hiſtorie 
ift mihts, als eine Reihe von Bildern, in vielen Gats 
tungen ; nar mrüß in Eeiner Fein eimiger todter Begriff 
gegeben werden, ferit ift alles verforen. Don Eeinem 
Geſchmack. ‚Erfindung, Kunit feine Geſchichte gegeben 
werden, wo nicht der Begriff fhon in der erften Klaſſe 
liegt, von keinen Revolutionen z. E. in der Politik, 
feinen Kriegslehre u. ſ. w. erzählt iwerden,. wo nicht 
der Serdtavuntt fyon vorgefiedt if. Man, fleht, daß 
Hier nichts von unferer Geſchichte dieibt, Keine Reihe: 
von Königen, Schlachten, Kriegen, Geſetzen, vder elenz 
ven Charakteren‘; alles nur aufs Ganze der Menfch— 
heit, und ihrer Zuſtände, der Völkerwanderungen und 
Einrichtungen, Religzionen und Geſetze und Denkarten, 
Sprachen und Künſte — lauter Hauptbegriffe. Keine 
Geſchichte einer einzelnen Kuuſt wird hier vollftändig 
gegeben, fo wenig „ als eine einzige volftändige Theo— 
rie zum Grunde lag. aber der Same zu allen Theos , 
rien und allen Geſchichten einzelner Künfte, Willen: 
fdaften, Geſetze u, f. w., fofern er im Strom der Zei: 


820 
ten letendig berbeigefhtwommen, daſteht. Bir. haben 
genug Geſchichten des Hevolutions von Zranjofen um 
Ongiindern; alte find fehr zu brauden und. Beine fol 
vergebens da fenn ; nur keine muß, wie fle iſt, gebraudt 
merden, und Rollin am wenisfien. Seſchichte ber 
Guben. von Prideaur, der Aegppter von Me 


tieni, Mallet mit Shaw, und mit Pacod ws 
buaden, der Chinefer von Dühalde,. der Jay | 


nas von Sämpfer, der Tariaren von be Buig 
nas, des Indianer und Perfer von Tayernier 
den, Araber von. Murigni, ber Griechen wor 
Bindelmaun, Mably u. f mw. von Rom. vos 


den. neuern Böltsrn — welche große Anzahl Sam 


lungen, im der ih nicht eher ruhen will, bis. ich. eime 
Eine Fompiete Sammlung. der beften in jeber Gattung 
hate, und mis daraus eine Gedichte des naenfd 
hen Gefhlehts made Abbt ünternathhm fie 
und führte fie nicht aus; Boſſuet Hat einige wor 
tafidee Bilder, Boltaire.noh nubbarers Betrach 
tungen: die Boyſens und Häherlins fammeln 
om. de Mehegans u. a, behandeln auf ihre Art: 
dia Gatterers fixeiten Über hilloriſche Zunft; ich wid 


nichts als eins bildende materielle Seſchichte 
des. menfhlihen Geſchlechts fuhen, vol Pur, 


nemene und Data... Montesquieud Gaeiſt der Ge 


fege, und der Römer, Hume über England, Bat: - 
taire, Mably, Goguet, Windelmannu.f.w. 


find: hiezu große Männer ı doc ich gerathe zu weit — 
In diefem großen Zortfluß der Gefhichte iſt Grie 


chenland ein kleiner Pla, und in diefem Meinen Pat 
die Mpthofogie eine einzelne Merkwürbigteit —- immer 


merfwürdiger, als Hundert andere Mythologien, ba fe 
fi Über drei große Völker und fo viel Seiten und 
Dichter und Beltweifen und Künftier erſtreckt, die bie 
Lehrer der Welt find. Sn der Runft und Dichtkunſt 


iſt biefe Mythologie am fihtbarften, am ſchönſten, am 


an: 
! 





321 


anfchaufichften: in jener wird fie wie eine lebendige Dat: 
tyliothet für Kunft und Dentart und Poefle und Na 
tionafgeift ftudiret: und allerdings ift fie ein großer 
Beitrag zur Gefchichte des griehifhen Seiſtes. Statt 
der bioßen zerſtückten Erklärungen Eönnte man für die 
Zugend fhöne Stellen der Dichter, ganze Beſchreibun⸗ 
gen und-ganze Gedichte auffuchen, und die todte Kunſt 


durch bie Tebendige Poefie beleben. Weberhaupt Tann 


man nicht zu vier tun, um das bloß Zabelgafte in . 
der Mythologie zu zerfiören; unter folbem Schein, als 
Aberglaube, Lüge, Vorurtheil Hergebetet, ift fie uner⸗ 
trägfih. Aber als Poefie, als Kunft, als Nationaldenk⸗ 
art, als Phänomenon des menſchlichen Geiftes, in ih: 
ren Gründen und Zolgen ftndirt: da ift fie aroß, gött: 
lich, lehrend! 


Der Uebergang von Mythologie ber Griechen auf 
Se ſchichte unferer Religion ift rafch, und Hier nichts als 
Zu fat: diefe ift Hier, wie eine Gefchichte der bibliſchen 
Bächer aus Zeit, Bolt, Nation, Denkark zu ſtudiren. 
Es iſt nicht zu ſagen, was ein ſolches pragmatiſches 
Studium der Religion für Nutzen brachte: noch iſt Fein 
Compendium, Fein Setem in der Seele der Jugend 
präetablirt, noch ift nichts als chriſtliche Oekonomik der 
Kirche nah Luthers Katechismus getrieben; jetzt wird 
Geſchichte, die es aus Zeit und Volk erklärt, wie Theop: 
nevftie, und die Schriften der Theopnevftiie müffen ver: 
fanden werden. Das wird angenehm, wie Geſchichte, 
wie lebendige Gxegetit, wie ein Hinwandeln in andere 
Zeiten und Länder. Das wird bildend und pragmati: 
ſche Einleitung zur Quelle der Theologie. Das gibt auf 
lebenslang Hochachtung und DVerftand der Religion: das 
ift das befte Mitter, ein neues chriftfihes Publifum zu 
fhaffen. Mit dem Katechismus der Menfchheit wird 
dabei fortgefahren, und er ift das Buch zur Bildung. 
Ordnung des Heild wird nicht anders getrieben, als fo: 
fern fie jedesmal aus der Bibel im Zuſammenhange der 

Servers Werte . Philoſ. u. Beh. X. © 21 


\ 


Zeit, Gefcidue erh Sinnes feigt: Das einzien Miei clan: 
mahre Dogmmit,zu befomumen ; Die. weder cine Einnumiung: 
dbibliſcher Spräche, noch ein ſcholaſtiſches Gpftem fen. 
In dieſem Zeitraum muß die Einbilsungskraft tes 
von; wie im erſten Sedaͤchtnig, Nengterde, Sinn und 
Empfindang befriedigt wurben. Hirr jſt alles Birh, Ber 
mahlbe, dir erſte Schritt von bee Erfahrang zum Male 
fonnement, was jetzt foigt. — 
und das wird die dritte Klaſſe. Hier wird die, 
Phyſik ſchon In ihren abſtrahirten Grundſätzen, im I 
fammenhang einer Wiſſenſchaft gezeigt. So auch bie 
Mathematik und Hier wird's atfo ſchon Geſſchtsphntt 
eine Schlußrelhe zu Überfehen, mie fie die Ntewtone ge 
dacht und wufgedadt haben. Gbenfalls näfert fich bie 
Naturgeſchichte einer Kette; bloß der Orbnung und bes 
Usberfehend wegen; bloß alſe aus. Schwäche und: nicht 
aus Nothwendigkeit. In allem. Diefem voflenbnek : fie 
jetzt Philoſophie der Natur; allgemeine große Ausſich 
ten, um fo viel als möglich die Kette der Weſer au 
zurühren, bie in dee Natur herrſcht. Wen Remton 
dis Maupertuis, von Enter bis Käftner sieh 
Hier Lehrer des menfchlichen Geſchlechts, Prophaten Dee 
Natur, Ausleger der Gottheit... Auf forhe Axt wire 
das Spftem. nid: zu frühe Geift der Erziehung; es 
kommt aber auch nicht zu fpät: es ſchichtet die Serie, 
gibt der Jugend den letzten Drud, und Ausfihten auf 
die ganze Zeit des Lebens. Hier betiene man ſich das 
Sußerrihen Geiftes, der . Encyklopaͤdie, um bei allem 
Stufe der Vollkommenheit, Mängel und wahre Beichak 
fenheit zu zeigen: man werbe Überall, wie Bacon, um 
- auf Lebenszeit zu entzünden und den Yüngling auf: bie 
Akademie zu Taffen, nicht als einen, ber feime Studien 
vollendet Hat, fondern fie jetzt erft anfängt, und dazu 
auf die Akademie und aufs ganze Lehen eingeweihet 
wird. Gitern, Obrigkeiten Eöunt ihr's genug belohnen, 
daß man dadurch Faulheit und Ausfhmeifung bei eurer 


/ 


® 














388 

Keterawtfchen : Jugend auf: Mademien faſt unmöglich, 
moratifch wenigſtens unmöglich macht? 

U Geographie wird hier eden ſo vonendet. Ein. 
lebendiger Abriß ver Statiſtik jedes Landes, umb- des 
Zeafam merhanges allbe Länder durch Sprache, Kommerz, 
Politie u. ſ. w. HYler wird, wer: Geiſt dazu: at, eins 
gerseinet, um em Ernte der Nationen: zu werdet; 
ihr Interefſe gegen eimander wird gewagen: er we: 


gleiche, denke, waͤhbe verdeſſere ordne. Wie viel Unter⸗ 


wiſſenſchaftfen oͤſſnen Mt: hierr Oekonsmie bes Landes, 
Seſetzgednung, Handel, in alten ihren Z2weigen! zu allem 
die Sartentötner, zu aim die: Morgenröine zu einem 
glũcktichen Tageı — — gier ſchueßt fih-die Geſchichte 
an. Sie Faß fih ſchn auf jedes Reh im Detail ein, 
und fa werden Könige, Reihen, Gefchlechter, Namen, 
Kriege „u. f. w. unvermeidlih. Alles aber wird nie 
eine Seſchichte der Könige, der Geſchlechter, ber Kriege: 
fondern des Reichs, bed Landes und alles deffen, was 
zu deſſen Gtüdteligksit oder Abfall beigetragen Hat oder 
nicht. Es verſteht ſich, daß es hieher ‚gehört, wie fi 
alle Meiche zufammenfhlingen, au bIoß in yolltiihen 
Vertraͤgen betrachtet: dieß ift der letzte und veränders 
lichfte Theil der Geſchichte: nad) welchen Ausſichten üter 
alle: Zeiten und Bölker nah dem Genie des Mohtes: 
quieu, dem Bemerkungsgeift eines Mably, der Potirie 
eined Hume u. f. w. Erziehung, die für unfer Zeitalter, 
mo der kriegeriſche und Religionegeift aufgehört Hat, 


wo nichts ats der Kommerz :, Finanzen: und Blidunge: 


geift herrſcht, fehr nötig. und nützlich if. 

So wie jede Lehre auf biefer Klaſſe ſchon übers 
Haupt näher dem wiſſenſchaftlichen wird, fo auch bie 
Künfte und Handwerke. Hier müſſen einige 5. E. Zeich⸗ 
nung, Mahlerei, in befendern Stunten vorausgefekt, 
und mit Hüffe diefer von andern durch Nachzeichnungen 
u. ſ. w. Nachricht gegeben werden. Alte Inſtrumen⸗ 
talkuͤnſte find in dieſem Fette die ſchwerſten: was ſoll 


525 


“nan von ihnen zeigen? Sinfteumente? Die wirken nur, 
indem fle wirken, und diefe Momente find in iguen 
nit fihtbar. Wortbefchreibungen?! Wie elend, wie 
ſchwach, wie leicht werden fie die Sprade eines Hal: 


le!a) Man befuhe atfo die Buben einiger Künfter 
z. E. Uhrmacher u. f. w. und pflanze nur dem jungen | 


Menihen Luft ein, die andern jelbft zu beſuchen. Man 
zeige ihm, wie viel Geiſt, Fleiß, Erfindung, Verdeße⸗ 
tung, Vollkommenheitsgabe in alien ruhe, und daß die 
dee Theil der Menfchen der naͤchſte ſey an der unnad 
ahmlichen Kunft der Thiere, die gewiſſermaßen Kunf 


der Natur ſelbſt if. Hier fiehet er den größten Shan 
platz des menſchlichen Geiftes, ben der Züngling fe 


Seiht und gern verkennen lernt, und darum blind bleibt. 


Auf diefer Klaſſe iſt's erft Ort zur völlig abſtrakten 
Philoſophie und Metaphyſik, mit der man fonft m 
Ffrühzeitig anfängt: die aber Hier unentbehrlich ift, und 
auch eine ganz andere Geftalt anntınmt. Sie ift Hier 
‚208 Refultat aller Erfahrungswiſſenſchaften, ohne bie 
fie freitich nichts als eitle Spekulation wäre, hinter de 
nen fie aber auch der bifdendfte THeit if. Die Piyde 
logie, was ift fle anders als eine reihe Phyſik der 
Seele? die Kosmologie anders ald die Krone der New: 
tonfhen Phyſik? die Theologie anders ald eine Krone ii 
- der Kosmologie, und die Ontologie endlich die bildendfe 
wiffenfhaft unter allen... Ich geftehe ed gern, dag wir 
noch Feine Philoſophie in diefer Methode Haben, die | 
‚recht SJünglinge bilden könnte, und die Ontologie infon: 
derheit, die vortrefflihe SLehrerinn großer Augfichten, 
was ift fie, ald Terminologie geworden! O was wär 
hier eine Metaphyſik in dieſem Geifte durdgängig, feine 


Ausfihten von einem Begriffe auf einen hoͤhern ausju 


“breiten, im Geift eines Laco, was wäre das für ein 





A) Verfaffer einer „Werkſtaͤtte der heutigen Künfte, 


4 


4 


— — — — — un 


335 


Bert! Und ein Iebendiger Unterricht darüber im Geiſt 
eines Kant, was für himmliſche Stunden! 

Die Logik wird nichts ald eine Experimental⸗See⸗ 
lenlehre der obern Kräfte, und fa wird fie ein ganz 


. ander Ding, als fie iſt. Welch ein Abgrund von Grr 


fahrungen, mie die Seele ideen fammelt, urtheilet, 
fehtießet, Tiegt hier verborgen, und was ift die Eleine, 
elende A. B. C. Tafel, die unfere Logik enthält! Man 
muß immer verbergen, daß man Iehren will, und nur 
Ideen aufweden, bie in uns ſchlafen; unfere Logik thut 
das Gegentheil, nichts als Tehren thut fie, und fiehe! 
ſie lehrt troden und erbärmlich. — Eben hieraus leuch⸗ 


‚tet ed hervor, was für ein Eleiner Their in ihr ent: 


deckt fey: weld sin weit größerer iſt die Aefthetit, als 
eine PHifofophie der Sinne, der Einbildungskraft, der 
Didtung! — Welch ein: größerer, die Philofophie des 
eigentlichen Bonſens, worunter das Wahrſcheinliche, das 
Phänomenon u. ſ. w. nur kleine Funken find, und die: 
die wahre Lehrmeifterinn beö Lebens wäre. 


Ehen fo die Morar mit der Seelenlehre, die Ethik 
mit der menfchlihen Natur, die Politit mit allen Phaͤ⸗ 
nomenen der bürgerlihen Haushaltung verbunden! wie 
ſchließt fidy alles an, was für ein Baco gehört dazu, 
um dieß alles nur zu zeigen, wie es in den Plan ber 
Erziehung und Aufweckung einer menfchlihen Seele ge: 
hört! der ed ausführe und feldft dahin vilde! 


Die Theologie tritt Hier heran,. wird ein Syſtem, 
aber vol Phirofophie eines NReimarus, fo wie fie in 
der vorigen Kiaffe vol Philologie eines Michaelis und 
Ernefli war. Alsdann wird fie weder ermüden, noch 
verekeln: fie wird denkende Chriften und phitofophifce 
Bürger machen — und wohl dem, der mit ihr, als 
Theologe auf die Akademie geht. 

Auf die Akademie gent, und fiehe da! eine 
Krone aller Philofophie. den Jüngling zu erheben, daß 
er fih ſelbſt veſtimme, feine Studien recht einzurichten: 


% 
— 


585 


vohfie, gut Yefe, Höre, betrachte, genieße, fehe, fügte, 
lebe, daß er wife fein eigner Herr zu feya. Wiek win 
ppthagoraͤiſch Collequum: Wie ‚ein Beipeich weit fich 
ſelbſt bei'm Schluß des Tages! Geßners Encykiopaͤnie, 
mit mehr Reulität durchwürzt, wäre darüber das Safe 
Lehrbuch und Sutzer ihm zur Geite. euer, um bis 
menf&liche, diefer, um die geiehrte Seite des Jünglings 
zu deden: jener mit dem Geift eines Rouffenu „ dieſer 
eines Baco erklärt: das muß- anfeuern, bilden ad auf 
die ganze Lebenszeit anfoßen! - 


Ich Habe mih über Spraden nicht aufgelaffen und 
alſo nur drei Klaffen geſetzt: denn es ift befier, daß 
man fange auf einer Klaſſe beide, als zu gefchmwinde 
fpringe. Sit der Lehrer derſelbe, fo ift eine ſolche zu 
Öftere Beränderung nur ein Name; iſt er ein anderer, 
int feine Methode anders, fo ift der zu öftere Sprung 
ſchädlich. Ueberdem giht's Hier wirffi drei Stufen in 
der Natur dee Sache: das Kind Lernt nihte, ars fi 
aues erktären, was um ihn iſt, und er fonft nur ſchwa⸗ 
ben würde, und Tegt durch Neugierde, Sinntichfeit und 
Cmpfindung den Grund zu allem: der Knabe dehnt Ai 
in Ausfigten und Kenntniffen Ber Einbiſdungskraft fo 
. weit aus, als -er Einn, und überfliegt das Reich der 
Wiffenfhaften in hellen Bildern: der Züngfing fleigt 
auf alles herunter, und .erforfht mit Berftand urd 
Bernunft, was jener nur Überfah. Sinn und Gerühl 
‚ if alfo das Inſtrument des erften; Phankafle des an: 
dern, und gleihfum Geficht der Serie; Bernunft bes 
dritten und gleichſam Betaftung das Geifled! Der Mu 
terie nad) theitte ſich jete Stufe wieber In drei Behäftı 
niffe, Raturlehre, menfchlihe Seſchichte und eigentkiche 
abftrafte Philoſophie. Go z. E. in der erfien Klaffe: 
Naturlehre, Geſchichte, chriſtlicher Katechismus. In der 
zweiten, Naturlehre mit Naturhiſtorie und Mathema— 
tif: Seographie und Geſchichte: Sinleitung in die Ges 
(dichte der Religion und Katehismus ber Menſchheit. 


- \ _ 


r 


* 











In der bäkten Malhematik und Phpſik und Künfte: 
Bergraphie, Gedichte und Politik, Metaphyſik, Philo⸗ 
ſophie, Theologie, Encyklopädie. Die Eintheilung iſt 
ũ verall natũrlich. Der Phyſiker kann nicht ohne Ma: 
thomatit und umgekehrt: tr Hiſtoriker nicht ohne Geo⸗ 
graphie und umgefehrt:: der Philoſoph nicht. ohne Rell: 
gion feyn und v. v. Das: erfte ift für den Sinn, das. 
andere fürs Gefiht des Geiftes und Einbildung, das 
dritte für Berſtand und Vernunft: jo werden bie See - 
- Ienträfte in einem Kinde von Jugend auf gleichmäßig 
ausgebeflert, und mit Proportion erweitert. Das iſt 
das Kunſtſtück aller Erziehung und ber Glückſeligkeit 
des Menſcchen auf fein ganzes Leben! 


Hiezu Habe ih alſo drei Lehrer, oder neun Lehrer, 
oder im höchſten Nothfall nur einen nöthig. Das erfte 
ift das beſte, und jeder der dreien lehrt auf drei Stu: 
fen feiner Klaſſe: dieß ift von außen gut, um ihm 
durchgängiges Anfehn zu verſchaffen; “und von innen, 
um ihm mehr Raum zu geben, son unten auf feine 
Wiſſenſchaft zu exkoliren, die mancherlei Stufen berfel: 
ben in Evidenz, Notäwendigfeit und Bildung zu zeigen, 
- Methode des menſchlichen Geiftes in drei Kraffen zu 
lernen, und ihm endlich, wenn er fi feinem Felde gibt, 
Aue von außen und von andern Arbeiten unb Der: 
wirrungen: zu verfchaffen. Der Schüler wiederum wird 
an eine fortgehende Methode gewöhnt, flieht, daß er 
immer ber Lehrer ift, der vorher mit ihm Kind war, 
jetzt Knabe, jebt Züngling wird, und getwinnt ihn defto 
Yieber, indem er ihn immer beffer verftehen, nußen, ans 
winden lernt. So wirb das Gebäude ohne Verwirrung 
und ohne Unordnung, und da ber Vormittag vier Stun: 
den gibt, fo bleibt jeder eine übrig, und die vierte zu 

‚ einer Sprade. Die ganze Realſchule wird alfo ein ſimpler 
Plan von drei Klaffen, drei Lehrern; neun Abſchnitten 
und neun Hauptarbeiten, die aber viel unter ſich begreifen. 


— 


"528 








Kraffe ı. Kraffe 2. Kaffe 5. 


























Natur. Geſchichte. Abſtraktion. 
Ord. 1. lebendige Nat. Hit. lebendige Geſchich te aus al⸗ Katehism. Sprüde: 
einzeln. | ter Zeit, einzeln. deutſche Poeſie und Sprache. 
Ordne 2. Naturlehre. Geſchichte m. Geograph. Einleitung in die Geſchichte 
künſti. Mathem. | ünftt. Bilder alter Völker. \ ‚ der Religion und Katechis⸗ 
Phyſit. II aller Zeit T mus der Menſchheit. 
” unfrer Seit 














DOrdn. 5. Naturwiffen ISefhihte u. Geograph.Philoſophie und Metaphyſik. 


ſchaft. politiſcher Grund aller Zeiten| Logik. Aeſthetik. Bonſens. 
ſcientif. Mathem. - — Vöoͤlker Moral. Politik. Ethik. 

Phyſik — — unſrer Beit, Theologie. Encyklopaͤdie. 

Naturlehre nn 


r 


' Künfte | 





\ 


— 


Po - ... 


* 


—R nn on — 
x 


829 . 

Es iſt natürlich, daß Ih dazu faͤhige, willige, ju⸗ 
gendliche Subjekte von Lehrern noͤthig habe: Obere, die 
wich äußerlich unterſtützen, mit Raum, Zeit, Inſtru—⸗ 
menten, Bildern: und dann Lehrbücher. Es wäre nicht 
unnüg, wein ber Auffeher einer Schule ſelbſt Schemata 
zu den Iehten gäbe, wo wir fie noch nit gebrudt ha⸗ 
ben : gedrudt aber find fie in gewifem Maße nah ums. 
ferer Weld befier, und nad der Pythagoräiſchen hlimmer. 
Jetzt Sprachen! — Sprachen? Es wird immer 
einen ewigen Streit geben, zwiſchen lateiniſchen und 
Realſchulen: dieſe werden für einen Erneſti zu wenig 
Latein, jene für die ganze Welt zu wenig Sachen ler⸗ 


nen. Man muß alſo ſtückweiſe fragen: iſt die lateini⸗ 


ſche Sprache Hauptwerk der Schule? Nein, bie wenig: 
ften haben fie nöthig: bie melften Iernen fie, um fie zu 
vergeilen. Die menigiten wilfen fie auch auf ſolchem 
Herben Wege in der Schule felbft: mit ihr gehen die 
beiten Jahre Hin, auf eine elende Weife verborben: fie 
Henimmt Muth, Genie und Ausfiht auf alles. Das ift 
alfo gewiß, daß a) Feine Schule iſt, wo man nice, 
als Latein Iernet; ih babe ihm zu entweihen geſucht, 
da ich drei völlig unabhängige Realklaſſen errichtet, wo 
man für die Menfchgeit und fürs ganze Leben Iernet. 
b) Daß keine Schule gut ift, wo man nicht dem Latein 
entweichen kann: in der meinigen ift’d. Wer gar nicht 
nöthig Hätte, Latein zu lernen, hätte Stunden genug, 
in dem, was gezeigt iſt, und gezeigt werden fol. c) 
Daß keine gut ift, wo file niht wie eine lebendige Spra⸗ 
che gelernt wird. Dieß fol entwicdelt werden. 

Man Iobt das Kunftftüd, eine Grammatie, als 
Grammatik, ats Logik und Charakteriftie des menſchli⸗ 
hen Geiftes zu lernen: fchön! Sie iſt's, und die latei⸗ 
niſche, fo fehe ausgebildete Grammatik ift dazu die beffe. 
‚Aber für Kinder? Die Frage wird ſtupid. Welcher 
Auintaner kann ein Kunſtſtück von Caſibus, Deklinas 
tionen, Konjugationen und Syntaxis philoſophiſch Über: 


n 


| 
ent WE ſcht its, als Rs. töbte Bellinbe, dei 
Yan Dadi mut, Uwe 'mnberielen Mulper (zu -Kaben, 
some eine Sprache zu ſernen. "Go. uiit vr ip Hin 
und hat: 


‚ die we Hier von der wOltofopgäfer 

Yerm einer Gpeadye Seksinmt, Weiden in ihen, umb wen 
zettig genug wiamak entwicketn. Sicht wahr: 
amt "Anlage: zur Philsſephie der Sprache, aber 
ſich aus meinem Donat je in mie entwickell? 

Weg alfo das Latein, um an ihm Geaumnatft a 
Lernen; hiezu iſt Keine ‘andere in der Welt ats unfere 
Mutterfprache. Wir Iernen diefe dumm und unwiffend: 
durch fie werden wir klug tim Spreden und Tchräfrie 
Im Denken: wir reden fremder Leute Worte. umb &kt: 
woͤhnen und eigener Gedanken. Was für Geſchaͤfte hat 
wier die Unterweiſung, und welches wäre feier ats 
dies? Die ganze erfte Kiaffe von Naturhiſtorie iſt 
«in lebendig phftofophifches Wörterbuch der Begriffe m 
und, fie zu erffären, zu verſtehen, anjumenden: oe 
Pedanterei der Logik, ohne Regeln der Srammatit. Di 
ganze erfte Klaſſe der Seſchichte Fit Uebang in ber leid: 
teften, Yebendigften Syntaxis, in der Erzählung des $i 
ſtoriſchen Styls. Die ganze erfte Klaffe für die Em 
pfindungen ift Rhetorik, erite Rhetorik der Sprachener 
gie: alles lebendige Urbung. Nur ſpät, und weni | 
aufftchreiben; aber was aufgeichrieden wird, fey das le 
dendigſte, befte, und was am meiften der Ewigkeit dei‘ 
Sedaͤchtnkfſes würdig if. So fernt man Grammatik 
aus der Sprade; nicht Sprache aus der Srammatil. 
Go fernt man Styl aus dem Sprechen, nie ſprechen 
aus dem Yänftlihen -Seyl. So Iernt man bie GSpraik 
bee Leidenſchaft ans ber Ratur, nit diefe aus Ber 
Kauf. So wird's Gang, erft ſprechen, 9. i. denken, 
Merken, d. i. erzählen, fpredhen, db. i. bewegen 
4@ Eeruen; und wo iſt hior Hit dee Grund getegt: 
Die eufte Maſſe der Sprache ſad :umo Muktenfpranue, He 





— 


85: 


ig written: werigen: zufenumenfdfiuge, und immer Cine: 


Arbeit auf Eine Serie fortieke. Mer Lehrer Ichre den⸗ 
Gen, ergählen, bewegen: der Schüler lerne dieſe drei: fe 
(ernt ex ſprechen: diefe Maße iſt .alio miht von der 


‚ vorigen, ber erften Dronung durch alle drei Klaſſen ums 


terfchieden. Die. wöidbergolung. und Meigobe des behrers 
iſt ſchon Epramäbung. 


Aus dieſer erſten Ordnung bed Sprechens folgt 


in der zweiten das Schreiben; und alſo der Styl. 
‚ Laß den Schüler die Erfahrungen und Verſuche, bie er 


flept, in aller Wahrheit aufſchreiben: die Bilder der Hi: 


ſtoörie und Geographie in altem ihrem Lichte auffchrets 
ben: die Einleitung in die Geſchichte der Religion und 


Menichheit in alter Stärke aufſchreiben, und er hat alfe 
Lebungen der Schreibart, weil er alle der Denkart hat. 
Gr Ternt freitih damit nicht fachenfofe, ekle Briefe, 
Chrien, Perioden, Reden und Turdatrerfe machen, bie 
bei alter Ordnung noc Turbatverfe, bei allen Materia⸗ 
lien Schulchrien, bei allee Kunft der Wendung Tinte 
Perioden, bei allem Geſchrei kalte Reben bleiben; aber 
er lernt was beffers: Neihthum und Genauigkeit im 
Vortrage der Wahrheit: Lebhaftigfeit und Evidenz in 
Biiderr, Befhihten und Gemälden: Stärfe und uns 
aufgedunftete Empfindung in Situationen der Menfchr 
heit. Jene erfie Methode verdirbt in Briefen, Neben, 
Perioden, Chrien und Verſen auf ewig: fie verdirbt 
Denk: und Schreibart: gibt nichts und nimmt vieles, 
Wahrheit, Levhaftigkeit, Stärke, kurz Natur: ſetzt in 
keine gute, fondern in Hundert üble Lagen, auf Lebens: 
zeit, macht ſachenſoſe Pedanten, gefräufelte Periodiften, 
elende Schulrhetoren, afberne Briefſteller, von denen 
Deutſchland vol ift, if Gift auf Lebenszeit. Die 
meinige lehrt altes, indem fie nicht zu Lehren 
fheint: fie ift die bildendſte Klaſſe des Styls, indem 
fie nichts als ein Regifter amderer Klaſſen it, fo 
wie auch wirktich die Worte nur Regiſter der Gedanken 


332 


find. Sie gewwögnt alſo dazu, nie eins vom andern m 
tuennen, noch wentger fi auf eins ohne das ander: 
was einzubliden, und am wenigften, dad eine gegen das 
andere zu verahten. Mit ige erfyart man unendlig 
viel Seit, unnäge und unmöglihe Mühe, bie auf je 
dem andern Wege ſeyn muß, thut mit Cinem, wad 
nicht durch fieben gethan werden kann, bildet fachenreiche 


Köpfe, indem fie Worte lehret, oder vielmehr umgekehrt, | 
lehrt Worte, indem fie Sachen Iehrt, bildet den Ppilofes 


phen, indem fie den Naturiehrer unterrichtet, und hebt 
alſo zwifhen beiden den ewigen Gtreit auf: bildet den 
Schriftfteller der ECinbildungskraft., indem fle aus der Ge 
ſchichte und Weltcharte unterrichtet, und hebt alfo zwi: 
fchen beiden den ewigen Streit auf: bildet den Redner, in; 
- dem fie den Philoſophen der Menfchheit bildet, und hebt alfo 
zwifchen beiden den ewigen Streit auf. Der Logiker umd 
der Naturerklärer wird Eins: was er urfprüngtih auch 
ift, und in den Tſchirnhauſens, Pascals, Wolfen, Käfts 
ners und Lamberts war. Der Sefhidt: und Schön: 
fchreiber wird Cine, was er urfprünglih auch war, da 
die Herodots, Zenophons, Livius, Nepos, Boccaze, Ma 
chiavells, Thuane und Bofluets, Hume und Windel 
manns galten. Der Redner in’d Her; und der Rebner 
über Situationen der Menfchheit wird Eins, was exe 
auch war, ba bie Platone und Demoftgene, die Catonen 
und Liceronen, die Boſſuets und Bourdaloue und Rouſ⸗ 
feaus u. f. w. noch ſprachen. Da war im erften Fache noch 
feine Baumeifterfche LogiE, im zweiten Feine Gattererifche 
Hiſtorienkunſt, im dritten Feine Ariftoterifche oder Lindner’: 
fhe Rhetorit vorhanden. Da lernte man befchreiben, er⸗ 
zählen, rühren, dadurd daß man fahe, hörte, fühlte! — 


Die dritte Ktaffe wird hier eine philoſophiſche Klaſſe 

des Styria, wie es fchon ihre Arbeiten mit fi bringen, 
die nichts als Philofophie find. Nichts in der Wert ift 

fhwerer, als Kunft und ‚Handwerk zu befchreiben: -wie 

gut muß man gefehen haben! wie gut ſich auszudrücken 


{ 
1 





333 


weißen! wie oft feinen Syl wenden, Worte fuchen, 
sand recht fürs Auge reden, damit man begreiflich wer⸗ 
De! Und dazu führt die erfte Ordnung — zu einer 
Sattung von Styl, die ganz vernachlaͤſſigt wird, zu ei⸗ 
arer Gattung, in der die Halle's ſo elend ſind, zu 
einer Gattung, die für alle am nöthigſten iſt, für 
Rrufmann und Handwerker , für den Mann von Ge: 
Kchäften und Erfahrungen, für alle. Hier ift Gellert 
elend, wie ed Mai durch fein Beifpiel zeigt: und hier 
äaſt doch die wahre Nutzbarkeit und Würde der Schreibs 
art, in unferer Sachen: und politifhen und Kommerzs 
und Öfonomifhen Welt, vom Staatsminifter bis zum 
Sproieftmader, vom Müplenfchreiber bis zum praßtis 
ſchen Philoſophen, vom Handwerker zum Kaufmann. 
Hier zeigt fi die rechte Würde, in welder z. €. ein 
Baumeifter, ein edler Mechanicus, ein Kaufmann, 
wie 9. und ein Staatsmann reben , ber nicht wie in 
Regensburg fhreibt. Hier find wir Deutihe mit uns 
fern Kreis: und Stantsgefhäften, mit unfern Oekono⸗ 
mie: und Handelsbüchern, mit unfern Pütters und 
Eſtorrs, noch ſehr Hinten: bier muß der ZJüngling ans 
-fangen unb vollfommen werden. 


Daſſelbe bezieht fih auf die zweite unb deitte 
Klaffe_diefer Materie; wo er in allen Arten -der Rea⸗ 
lität — von Politik His zur Philoſophie Unterricht er: 
Härt, und hier eben wird die Rhetorik in ihrer großen 
Allgemeinheit erft offendar. Beſchreibungen von Kün: 
ffen und factis: Befchreidungen von den Gründen eis 
ner Situation, d. i. Politik und dann NRaifonnement 
His zu allen Gattungen der Abftraftion; o wie viel 
Arten des Styls mehr, als unfere Redefünfte geben ! 
Bortrag in, Metaphyſik, Logik, Aeſthetik, Bonfeng, 
Morar, Ethik, Politik, Thedlogie; allemal in ihrem 
Umfange! — Gott! weicher Reihtyum, Berfchiedenheit, 
Menge an Materien und Formen! und endlih von al: 
Tem aus philoſophiſche Blicke auf Sprache und alles! — 


! 


im Dad in: Styl VerrWutteeh me une for® nigiste 
der Wett 

Ieder Lehrer tigt in ſeiner · Mae: ten en m 
dert: Dratertarien dazu; bie Auffitt und Adrtekfur ver 
feinen: gendrt dem Inſpector. So kernt ert jeden Sri 
der ganzen Schule, jebes Berdienſt jedes Leheers, jedes 
Talent jedes Schükters, und’ jeden Fortgang jebes Ti: 
kents derſelben in vollen Maße, und nicht durch Be⸗ 
horchen der Lektivnen, nicht durch Berichte der Lebter, 
nicht durch fatſthe, vage Erpforatorten und Crekimk, 
ſondern durdy Prosen und Effekte’termen: Tier Lehrer 
Hätte nichts zu thun, als die Schhfer- dazu auyanateel, 
und der Inſpector dem Lehrer am oder Lehrduch zu 
geben: alles thut fi von ſeidſt, ohne Birterfeit, Wr 
flerungsbegterve und Herrſchfucht. Die erfte Klaſſe: de 
nicht ſchreibt, fondern fich nur übt, zeigt‘ Heike - tete: 
gen kindlich anf und erzählt deſto mehr: das iſt Der 
als Paränetifhe und Befunde: das tft das: jugert⸗ 
liche Wettſpiel feuriger Kinder. Cine allgemeine Ber: 
fammtungsftunde der Lehrer und Shüter, wo die-wäh 
digſten hervorgezogen, bie unwürdigſten geffchter, umd 
eben dadurch auch den Lehrern Aufinunterungen gegeben 
‚werden. Eins freundſchaftliche Stunde mongatlich unter 
Lehreun, wo man. nidt beiet, ſondern ſich deſpricht, 
ſich freuet, aufmuntert, ergeht, als Mitardeiter in 
einer Ernte! — Eigentliche Rhetorik und Poetit- als 
Kunft ift noch nicht: Hier, fe wie ſpaͤter „hinten. Fam 
men:t- 

Man flehet, daB ber Lehrer in: jeder. Sturite Bias 
verialien gibt; der Schülern fie: zu Haufe, odec in Wer 
letzten Dieeteftünde :ausarbeitet: und der: Inſpector Bat 
wögeritlich neun oder wenigftens ſechs Stuuden nötig: um 
altes zu Hören, -zu Tefen, zu beutthelten. Man begostft, 
baß eben darkit ein ganızur großes Quantum ven. feidit 
wegfalle. Daraus wird werhfslimwelie: eine Geſchnhte 
der Atdeiten gemacht, wie die Geſchichte, die. Memoiren 








. 32% . . | 
ber. Akademien: die bleibt bei: der Geha: Die Anal 
bes. Korrekturen wird: jebem Schüler. gezeigt, und des 
Rector wählt nur die: Meiferftüde, um zum: Denkmal 
and. zur Verewigung ber: Guten im Muchiv: ber Schule 
anfbehaften. zu werden, Es verſteht ſich, daß Die:-gen 
rüsten Zoulen chen fo. aut: im Arſhiv der. Schule, weis 


auf der Rolle bed Cenſors mit. einer Note aufbehalten 


— — — — — — 


= nn 


— — — — 


werden;. nun. daß; dieß jedesmal nur: das drittemal gas 
ſchieht. Am: Examen, das jährlih: einmal öffentlich 
ifk, wird dieſe Gefchichte, der. Akademie Tank: und ne 
feierlishften Stunde. vorgelefen. Der Lehren hat eine in 
feinge Klaſſe, wenn er will; die von der Schule bleibt 
bei dem Rector, aud: äußerliche Ungezogenheiten der 
Schälerrage: zu verhüten. Der Rector iſt felkft. de _ 
Sekretaͤr davon , ber; ed: monatlichh aus den llehungen 
herauszieht, und in dem. Verſammlungean vorlleſet. 
Nach der Mutterſprache folgt die franzoſtſcho: denn 
fie ift die allgemeinſte und unentbehrlichſte in ECuropa 
ſie iſt nach unferer Denkart bie :geblivetfte: der ſchoͤne 
Styl und der Ausdruck des Geſchmacks ift am. meiften 
in ige geformt; und von Ihr in andere Übertragen: fie 
iR die. Veichtefte und einförmigfte,, um. an: ihr einen 
Praegustus der philoſophiſchen Grammatik zu neh: 
mm: fie if bie ordentlichſte zu Sachen der Erzählung, 
der Bernunft und des Raiſonnements. She muß alſo 
nah unferer Welt unmittelbar auf die Mutterfprahe 
folgen, und bor jeder andern, felbft vor der lateink 
fhen vorausgehen. Ich will, daß felbft der Gelehrte 
beſſer Franzöſiſch als Latein Einne.. . 
Drei Klaſſen gibt's In ihr: die erſte Hat zur 
Hauptaufſchrift Beben ; die. andere Gefhmart; Die 
dritte Bernunft — In altem der entgegengeſetzteſte 
Weg von unferer Bildung, die tobt anfängt, ypebaus 
tiſch fortgeht,. und mürrifh endigt. Es muß ein franı 
zöfiher Lehren da fen, der fprehe, Seihmad 
und Bernunft habe; ſonſt ſey er von: allem: entnom⸗ 





536 


men. Das arte Wort hieß Leben, und das erfie Se 
ſetz alſo: die Sprache fol nit aus Grammatik, ſon 
dern Ichendig gelernt werden: nicht für's Auge um 
durchs Auge ftudirt, fondern fürs Ohr und durchs Ohr 
gefproden, ein Seſetz, das nicht zu übertreten if. Ich 
weiß, was ich mir für verwünfdte Schwierigkeiten in 
den Weg gelegt, aus Büdern, mit dem Auge, ohne 
Schau und Feſtigkeit fie zu verftehen und zu verftegen 
glauben: ba bin ih mehr als ein Unwiſſender. Die 
erfte Sprache ift atfo eine Plapperſtunde. Der Lehrer 
fpriht mit dem Schüler über bie befannteften Sachen 
des gemeinen Lebens , wovon überdem die erfte Orb: 
nung Handelt: der Schüler Fann fragen, ber Lehrer 
muß ihm antworten, und fih nad ihm richten. Gin 
Schüler Hat nad bem andern Freißeit (aber nur im 
zweiten Theil des Eurfus) Materien vorzuſchieben; nur 
alte weitere Methode, Lehre, Zrage, Ausbrur bleibt 
dem Lehrer. Go wird der Schüler ein lebendig Ge 
fpräh, und wie fchön if, wenn er bas wird und ft: 
dann iſt er auf ewig auf dem beflen Wege. Nichts 
als eine kleine Geſchichte wird bei dieſer Klaſſe gehal: 
ten, nah der fih alsdann der Inſpector richtet, deſſen 
Stunde bier, wie dort, .eine Stunde Eindifcher Ba— 
billards ift, aber für ihn eine Stunde feyn muß, ber 
er gnug thun kann: fonft iſt alles aufgehoben. 


Die zweite franzöflihe Kraffe fpriht und Tiefet; 
mit Geſchmack für die Schönheiten und Tours de 
Sprade: Hier find Boffuet und Fenelon, Voltaire 
und Zontenele, Rouſſenu und Sevigne, Erebillon 
und Düclos, -Leute für den Geſchmack der Sprade, 
der Wiifenfchaften,, des Lebens, ber Schreitart. Hier 
- wird gelefen, das Buch geichloffen und gefchrieben;, al: 
ſo gewetteifert. Hier werden alsdann die Schönheiten 
der Sprache recht erffärt und gehäuft, um einen ori 
ginalen franzöſiſchen Styl zu bilden. Uebung und Ge 
wohnheit ift überan Hauptmeifterinn,, und fo wie das 

” Sehrbuch 


. 








"337 
Lehrbuch der Klaſſe ein Auszug aus Buͤffons, Nollets 
und allen Geſchichten, und ein Kakechismus der 
Menäneit aus Rouſſeau u. ſ. w. iſt; fo iſt das Ge: 
ſchichtbuch der Kiaffe nichts minder als ein Wetteifer 
. mit diefen großen Leuten. 


. Drittens, und end kommt die philoſophiſche 
Grammatik der Sprache. Bei der Mutterfprade hat: . 


"ten wir wenig Bücher; uber wir Eonnten file, eben - 


weil es Mutterſprache war; lebendig ſelbſt ableiben und 
bitden. Hier Haben’ wir net Stoß gute Bücher, Re⸗ 
ſtauts, d'arnaudbs, Düdlos, :Dismärals, 
‚fordern fie: franzöfifche ' Grammarträ auch die leich⸗ 
tefte unter allen Sprachen. Die Sprache iſt einformig, 
philtoſophiſch an Th, fon, vernunftig: ungleich leichter 
ars die deulſche und 'rdteinifche, alſo ſchon fehr bearbeil⸗ 
‚ter — zudem Hard mich “den Vorzug, wenn man’ an 
ihr phitsſophiſthe Granimätie' reiht at Mist daß ‚hr 
Genie zrölfihen der Tatkinifchen und’ unferer ſteht: von 
dieſer wird Alfohusgejängen ; und zu jener jubeteitet. 
Dies Studlum tft Hier alfo am 'reiäten Örte, "angenehm 
und 'Hlldend: es fagt die Mäntel der Sprache, wie 
igre Schönheiten: e3 verbiiibek Perlingen und Uebungen 
über bie Werke der großen Autoren ſeibſt. Es über 
fh im mechaniſchen, phyſiſchen, vragmatifhen Styl, 
indem uns bie Franſoſen in allem, in ihren politiſchen, 
yorfifchen , mechaniſchen Wirken fo fehr Überlegen find: 
über fich in der Wefchichte, wo die franzöfiſche Sprache 
die meiften feinen Urterfchiede in Zeiten, Fluß in Bils 
dern, Reihe von Gedanken u. ſ. w. hat: über fih in 
der Philoſophie, in der die framöſiſche Sprache den mei: 
ften Schwung gemonnen — und thut zu allem die Ur: 
theife der Mritiker, ver Frerons umd Voltaire und Ele: 
ments hinju, um auch bie Eprade der franzöflfhen 
Kritik lebendig zu Ternen. Aus allem kommen Proben 
an den Director, ber biefe Sprache alſo nah Aller Jein: 
Heit verfiehen muß; oder ber Zweck ift verloren. Dieß 


berders Werde 1. Dälief.u. Eeſch. xX. 22 





838 


it eind von den Mitteln, wodurch bie Schule brillis 
ren muß, und ohne ihr Wefen zu verlieren und falid 
zu brilliren. — Gebt follte bie italienifhe Sprade 
folgen, das Mittel zwifchen der franzöflfhen uns Yateis 
nifhen, infonderheit für den Adel, die Kenner von 
Geſchmack, und die, die ſonſt nicht Latein Lernen, uns 
entbeortih 3 die Ausſicht iſt aber zu weit — ich komme 
aufs Latein. 


Barum foll man bei dem eine Ausnahme machen. 
um es nur todt und verekelt lernen zu wollen? Es iſt 
eine todte Sprache! gut, hiſtoriſch-, politiſch⸗ natio⸗ 
naltodt; aber literariſch lebt ſie; in der Schule kann 
ſie leben. Aber ſo wird ſie nicht rein und klaſſiſch ge⸗ 
ſprochen? Warum nicht? Wenn es der Lehrer ſpricht, 
wenn er nur Sachen wählt, über die es lohnt, Latein 
ju ſprechen, warum nicht? Und dann, gibt Natur und 
Fluß und Genie und Kern der Konftruktion, und leben⸗ 
dige Berftändlichkeit der Iateinifhen Sprache nicht mehr, 
als das Schattenwerk weniger reinen Worte und Phras 
fe8? und werden nicht mehr Iwede in ber gelehrien Res 
publik erreicht, wenn ih Latein kann, um zu fprechen, 
zu leſen, zu verftehen, zu fühlen: als zu wortfihten, 
zu feilen, zu mäften. Und iſt's nicht endlich Zeit, von ' 
diefee Sucht binwegzulenken, und das Studium der 
lateiniſchen Sprache würdiger zu machen? Die Wieder; 
herftelung der Willenfhaften fing fih in Stulien an: 
dieß Land fpricht beinahe Satein, indem es italieniſch 
ſpricht. Ohr und Zunge find Latein: das Eonnte die 
Sprade adoptiren. Die Tateinifhe Sprache batte in 
den Kiöftern die Willenihaften und Religion erhalten : 
fie fchien ‘von beiden und infondereit der Testen alfo 
untrennbar. Stalten Eonute alfo feine Reifen von Bis 
da’3 und Sannazars haben, in denen wenigftensd die 
leichte, Holde italienifche Nätur, die holde Muſik der. 
Sprade u. f. w. zu fehen flub: indeffen hat body ſchon, 
wie jeder weiß, und der Autor Über die italieniſche Liz 


. 339 _ . 
teratur gezeigt Hat, diefe Sprache viele Jahrhunderte” 
durch fehr dadurch verloren, fie Hat Anagranımatilten 
und Keititer gehabt, und den großen Geift aufgehal: 


ten, der in Stalien fhläft. Was geht dieß alles uns 
entfernte Deutſche an? wohlan alſo! mit unferer eige⸗ 


nen nnredifhen Originalſprache ſey — 
Die erſte lateiniſche Klaſſe ſpaͤt, weit nad: der 


Mutterſprache, hinter der franzöfifhen und ſelbſt ita⸗ 


lieniſchen, wenn es ſeyn kann. Sie fange zwar nicht 
mit Sprechen (denn das Genie iſt zu verſchieden!) aber 
mit lebendigen Lefen ar, in Büſchings Bud, wenn 
ed nur originallateinifche ‚Perioden hat,. oder in den- 
Historiis selectis oder im Cornelius Nepos, oder wo 


.ed fey. Nur lebendig, um den erften Tateinifhen Ein⸗ 


drud ftard zu machen , den Schwung und das Genie 

einer neuen, der erften antiten Spradhe recht einzus: 
pflanzen, und alſo wahre Lateiner zu bilden. Hier 

wird nichts geplaudert, von Seiten der Schüler; und 
der Lehrer fpriht nur immer als. Lektion, lebendige 
Lektion, rein und vorfihtig. Aber viel wird gelefen, . 
immer Eindrüde, lebendige Bemerkungen, eingepflanzt: 
bier ift alſo die erfte Kraffe was bei der franzöflichen. 


die zweite war: aber wie viel Vorſchritte hat nicht auch 
der Schüler ſchon! 


Die zweite Klaſſe fährt ſchon aelehrter fort, übt 
ſich in allen Arten des Styls, und fchreibt alfo.-” Da. 
find Livius, und Eiseronen und Salluftiud 
"und ECurtiusu. f.w. — mas für eine neue Welt von 
Reden, Charakteren, Geſchichtſchreiberei, Ausdruck, Höf⸗ 
lichkeit, Staatswelt! wenig wird überſetzt, denn dieß 
iſt wenigſtens nicht Hauptzweck: aber alles lebendig ge⸗ 


fühlt, erklärt, Rom geſehen, die verſchiedenen Zeital⸗ 


ter Roms geſehen, das Antike einer Sprache gekoſtet, 
antikes Ohr, Geſchmack, Zunge, Geiſt, Herz gegeben: 


- und allem nachgeeifert! welch Gymnaſium! welche ſchöne 


Morgenroͤthe in einer antiken Welt! welch ein romt⸗ 
| ' | 


340 


ſcher Jüngling wird das werden! hier -alfo kommt an 
tite Niftoriographie, Epiſtolographie, Rhetorik, Sram: 
matif! Man flieht, wie übel, daß man die Rhetorit 
für's einzige nimmt! bie -antife Rhetorik mit der me: 
dernen verwechſelt! die antike Hiftoriographie nicht er; 
Märt, die Eyiftofcgie zum Mufter nimmt, und üser: 
Haupt Grammatif einer antifen Sprache nicht von der 
Modemen unterfeidet. Hier wird lied unterfihieden, 
Kebendig gekoſtet, nachgecifert: in diefer Kaffe muf 
:49 der vateiniſche Styl Hitden! 

Die dritte folgt: und Hier die Poeten: Lucrez -um 
Birzit, Horaz und Ovid, Martial und Juvenal um 
Perflus, Catull und Tibull. Hier ift dad größte Zei, 
antite Schönheit, Sprache, Geift, Sitten, Ohr, Re 
giment, Serfaffung, Wiſſenſchaften zu fühlen zu geben. 
Hier Eeine Naeiferungen; es ſey denn, wen die gol: 
dene Peter Apolls ſelbſt wet; aber viel Gefühl. Ge 
ſchmack, Erklärung. Auf diefer Klaſſe find die Blumen 
und die Krone der Tateinifhen Sprade: die Birgile 
und Aoraze, tie Cicerone mit ihrer Philofophie und 
Höchften Rede, die Pfiniuffe und Tacitud: die größten 
Muſter alfo antiker Poetik und Poefle, antiker Rhe⸗ 
torie und Rebe, antiker Politif und Naturhiſtorie — 
welche Welt, wahre Gelehrte, Weife aus der alten 
Weit. Römiſche Sachgelehrte zu bilden, die die Römer 
fennen! Wie vier Habe ich ferdft noch auf ſolche Art 
zu ftubiren! — . 

Griechlſch endlich, iſt das unter den Antiten, was 
fzanjöftf unter Modernen war. Aud der bloße Theo⸗ 
foge fängt nidt mit dem Tateinifchen Teftament und 
ver Halliſchen Grammatik, fondern mit einer reellen 
Grammatif, deren wir viele haben, und jogleich mit 
£efen des Serodots, Kenophons, Lucland und Homers 
an. Wohlverftanden, in einem Circus ven Zeit, Zorts 
ſchritten und Wiffenjhaften! Hier ift die wahre Blume 
des Alterthums in Dichtkunſt, Sefhichte, Kunft, Weis⸗ 





— — — — — — — — — — — 


* x 341 
heit! Weicher gangling wird hier nicht, der die lateit 
niſche Sprache durchſchmeckt hoher athmen und fi. in, 
Eiyfium dünken. Drei Kraffen gibts bier: id sin, 
aber noch zuwenig mit mir ſelbſt Über. Methode einig,. 
um fie genau zu beftimmen. Am fiherften, daß fie ſich 
uach dem Latein richten: in der erſten viel geleſen in 
Herodot und Zenophon und Eucian, oder im 
erften allein. In der zweiten viel gefhmeckt und 
demertt, in alten profaifhen Gattungen... Yu der 
dritten der ganze’ griehifhe Geift gekoftet , in Poeſie 
und was dem anhängt. Es ſchadet nichts, daB diefe 
in der Gefhichte vorausgegangen ift: denn in ber Ge: 
fhichte der Geiſter nach unferer Zeit, Welt, Sitten, 
Sprache, geht fie niht voraus: zuerft genommen , ver: 


dirbt fie ſogar: da gegentheild, hintennach erfcheinend, 


alles auf fie bereitet und einladet, wie blühende Kinder 
auf ihre brühendere Mutter! O wer bier ein Kenner 
der Griechen wäre! 


Sn der-hebräifhen Sprache möchte ih mit Mi: 


chaelis einigfeyn; fie ſollte gar nicht, oder wenigſtens müßte 


fie mit der Bleinften Auswahl getrieben iverden , gleich: 


ſam der innigfte Kreis eined Pythagoras. Sie fommt 


alſo fehr fpät, und wirb blos ais orientafifhe, beta: 
nifche, poetifhe Sprache, eined Buchs vder einer Samm⸗ 
Yung wegen getrieben, die vortrefflih if. Dieß ganıe 
Studium ift Phifofophie: die Sprache geht zu fehr ab, 
ats fie ſprechen, in ihr fchreiben- zu Eünnen. Aber als 
orientalifhe Naturs und Nationafdenkart betrachtet — 
wei eine Welt! Moſes fangt an, und wir lernen 
feine Lieder felbft wie Kinder — von Abraham bie 
Moſes wird Tebendig zu Tefen gefuht: Jacobs Lodge: 
fang und Miriams wird ftubirt: Mofed Leben und Re 
gubtie ſtudirt, erklärt, und fo weit muß man gefom: 
men ſeyn, um auf bie Akademie zu wandern. Wer weiter 
will, geht Joſua und die Richter dur, fängt Samuel 
an, und geht jetzt an die Pſalmen, Jeſajas und ei⸗ 


N } 


342 


nige Propheten: faͤhrt in den Koͤnigen fort, und geht 
mit einer Auswahl ber Propheten und Pſalmen weiter, 
u. ſ. w. — — Hier ift eine Tabelle der Klaffen der 
Sprachſchule: deutihe Sprache hat Worfprung, franzd: 
fſiſche folgt, itatienifhe bei manchen — bei andern u 
einiſch, Griechiſch, Edraiſch alſo — 





105 





1. Deut. Klaffe. Franzöſ. Kraffe. kat. Kraffe. Griechiſche. 
Erſte Ordnung. Erſte Ordnung Erſte Orbn. Erſte Ordn. 
| Zweite deutſche. 2te franz. 2te latein. 
ste deutfche. |3te franz. 
Erfte ital.. 





Hebräifde. 
Zweite griech. Orbn. 
Dritte latein. 
weite italien. 
Repetit. des Franz- 
Repet. des Deutſch. 


| 4244 

Man ſiehet; mit Fleiß nur zwei italieniſche und 
zwei griechiſche Klaſſen; denn beide find ſich an Sub: 
jetten entgegen. ur eine hebräiſche, denn fie ift die 
legte, eingefchränttefte Sprade; und ihr Anfang ift 
leicht ; fo wie ihr fchwerfter Fortgang zum Slück bloß 
akademiſch nicht ſcholaſtiſch iſt. Franzöſiſch Hat vier 
Klaſſen, denn ed muß immer fortgeſetzt werben: Latei⸗ 
nifh nur drei: deutſch fünf, denn es dauert fo lang. 
ald Unterriht in, den. Wilfenfhaften dauert, und ift 
nad unferer Methode unabtrennbar von ben Gedanken. 
Die erfte deutfche Klaſſe Foincidirt mit der erften Ord⸗ 
nung der drei erfen Kiaffen, und fordert Feine Befons 
derheit, als dig Korrektur ded Lehrers. Die zweite 
Schichte, wo die franzöfifhe anfängt, wil’d, und das 
Bis zur griehifhen Schichte: das find täglich drei Stun: 
den, wovon bie ging zwei, die andere drei, bie dritte 
vier Abfonderungen hat... Die hebräifhe Schichte fät 
auf zwei Stunden, die Wode, etwa Mittwodh und Sonus 
abend mit fünf Abteilungen, Und fo find mit allen 
- biefen Spradarbeiten täglih drei; und Mittwoch und 
- Gonnabend eine Stunde beſetzt, mit den vorigen drei 
zufammen addirt, find täglich ſechs, Mittwoch und Sonn: 


Daß die Säule fo viel. möglih National : als 
KHrovinzialfarbe bekomme, versteht fih, und das in Ne: 
ligion, Geſchichte, Gergraphie, Naturhiſtorie, Poritik, 
SBaterlanddgegenden n. ſ. w. Daß dieß aber nit 
mehr als. Farbe ſeyn müſſe, verfteht fi eben fo fehr: 
denn ber Schüler, fol für. allg. Welt erzogen werben. 

Aber ausführen? und ‚warum Eönnte ich eine folde 
Etiftung nicht Ausführen? Ward den Lykurgen, Solo 
nen möglih, "eine Republik zu fchaffen, warum nicht 
mir eine Republit für die Jugend? Ihr Zwinglis, 
Ealvins, Oekolampadius, wer begeifterte euch ? und wer 
fou mich Begeiftern? Eifer für daB; menfchliche Beſte, 








845 


Größte einer Yugendfeele, Vaterlandsliebe, Begierde 
auf die würdigfte Art unfterbiih zu fern, Schwung 
son Worten zu Realien, zu Etabliſſements, Yebendige 
Belt, Umgang mit Großen, Weberredung des Generals 
Gouverneurs, lebendiger Vortrag an bie Kampenhaufen 
— Gnade der Kalferinn, Neid und Liebe der Stadt! 
— — O 3weck, großer Zweck, nimm alle meine Kraft; 
Eifer, Begierden! Ich gehe durch die Welt, was Hab’ 
ih in ihr, wenn ih mid nicht unfterbiih mache! 


Er 


- 


Inhalt des zehnten Theile. _” 





ESeite 
1.. Von der Nothwendigkeit der Schulzucht zum 
Silor einer Schule, 1778.. . 09: 
2. Ron den Bortheilen und Nachtyeiten dev heuti⸗ 
sen Studienmethode. 1700.. 20 
3. WVon Schulühungen. 1781. . . . 3 
4 Bom Begriff ber fchönen Wigenſchaften/ infon. 
derheit für die Jugend. 7 . 46 
5. Vom Nutzen ber Schulen. 783. . 59 
6. Bon der Annehmlichkeit, Nislichfeit und Nor 
wendigkeit der Geographie. 1784. . 77 
7. Nadı Einführung einer Schulverbefferung. 1786, 86 
8. Andenken an den fl. Profeſſor Murfänt. 1787. ) 95 
9. Vom ächten Begriff der fchönen Wiſſenſchaften 
und von ihrem Umfang unter ben Schulſtu⸗ 


dien. 1788. - . ” 95 
10. Ueber den Vorzug der voffentichen oder privat⸗· 
ſchulen. 1790. 212 
11. Re i der Beerdigung dei fa. Diretion 

He ze. 1790. + . ..- 126 


13. Schulen, eine Öffentliche Lander ſache zum ge⸗ 
meinen Beſten. 17935.. 412138 
13. Vom Genius einer Schule. 1793. . 16 
14. Rom Grmeinneift einer Schule, 17954... 4 169 
16. Von der Beſcheidenheit. 174 0 nee: 168 








") Dieſe einzige Rede iſt gedruckt erſchienen in Muſäus 
ägſenen Schriften, von A. Kotzebue herausgege⸗ 
179 


v 


548 
‚ _ Seite 
‚26. Kom Zweck öffentlicher Prüfungen. 17%. . . 166 
17. Bon ber Ausbildung der Rede und Sprache in 
Kindern und Zünglingen. 1766. 17% 
18. Won der Arbtung, die Lehrer ihren Schülern, 
Eltern ihren Kindern ſchuldig find. 1797. . 186 
29. Bon Schulen ald Werffätten des Geiſtes Got: 
tes oder des Heiligen Geiſtes. 1797... - wo 
ↄoꝛ Vom Gortichreiien einer Sorie mit dem Zeit⸗ 


alter. 1758; . 222 
21. 22, Bon Saum “ Gomade, (me Ken. ) 
1799: 225, 238 


5, Nicht für die Schufen, für vas Seen mi mar. 

‚ fernen. ıBvo.  . 
24. Bon wahren Fortſchritte einer es: 1800, . 2% 
35. Von der Neugier. ıBoı,  . aß 
a9. Von der Heiligkeit der Schutei. — . 26 


Anhang. on 
a. Kegeim für:. ben, Gehuluntercicht, . Fraomeute 
aAus verſchied ruen Gumbfdediften.. . . . 76. 
») Grunhwißuhed,iätwtercuckts fir einen dungen. 
Adeligen 1774. . . 88 
©). Necenfion von J. ‚Matth. Gefnerh, Iogog.; 
in rwditjonege uniyswealsmn Nach mieias Mer ,. 
gabe, 1775. (Zuerſt gedruckt in deu Zeige... 
. Bhblietheß⸗ 0 Zu dae 
4) Ideal einer Schule. . . 312 


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