Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.
-JOHANN VON WIGLIF
UND DIE
VORGESCHICHTE DER REFORMATION.
VON
GOTTHARD LECHLER,
DER THEOLOGIE DOCTOB UND OKDEXTLICHEM PHOFE8SOK,
SUPERINTENDENTEN IN LEIl'ZIG.
ZWEITER BAND.
LEIPZIG.
VERLAG VON FRIEDRICH FLEISCHER.
1873.
LONDON. WILLIAMS 6c NOR GATE.
Das Ucbersetzuiigsreeht behalten sieh Verfasser und Verleger cur.
I n Ii a 1 1.
Drittes Buch.
Die Nachwirkungen Wiclifs s. 3 -546
Erstes Kapitel.
Von WfcliTd Tode bis zur Thronbesteigung des Hauses Latteaster
(1385 — 1399) S. 3-5S
I Die Lollarden als Partei S. 3—20
Wiclifs Anhänger, als Partei , durch seinen Tod nicht geschwächt; der
Lollardenname. S. 3. Die Partei bestand aus einem e n g e re n Kreis (nam-
hafte Mitglieder) desselben S. 6. und aus einem weiteren Kreis; Statistik
der Lollarden, S. 11.
Inneres Leben der Lollarden, Predigten und Conventikel S. 15.
II. Das Vorgehen der Lollarden und ihre Grundsätze . . . S. 20—42
Die Partei drang vor und verfuhr aggressiv S. 20, ihre Bittschrift an das
Parlament 1395 S. 22. Ihre Grundsätze laut gegnerischer Urkunden S. 28.
und laut der Aufzeichnungen des Wicliflten Walter Brüte S. 30.
Die Gedanken und Stimmungen der Lollarden laut »des Ackermanns
Erzählung« S. 35.
III Maassregeln der Hierarchie gegen die Lollarden. . . . S. 43 — 58
Anfangs vereinzelte Maassregeln der Bischöfe gegen die Partei S. 43. Seit
1395 erstrebten sie etwas Durchgreifenderes S. 45. Erzbischof Arundel, seit
1390, lässt vorerst Wiclifs Lehren von einer Provinzialsynode 1397 verur-
theilen, S. 40, und zur Begründung dieses Urtheils die Streitschrift Wood-
ford's ausarbeiten S. 48. Diese Schrift selbst, ihr Inhalt und Charakter
S. 49.
Zu durchgreifenden Maassregeln gegen die Lollarden kam es unter der Re-
gierung Richard s HL nicht, S. 55. Richard IL wird gestürzt, und das Haus
Lancaster auf den Thron erhoben, S. 56.
Zweites Kapitel.
Von der Thronbesteigung des Hauses Lancaster bis zur Hinrichtung
des Lord Cobham (1399—1417) S. 59—109
I Blutige Verfolgung der Lollarden S. 59— GS
Politische Motive führen Heinrich IV. zur Verfolgung der Widititen, S. 59.
Strafgesetz gejien Ketzer S. 61. Vollziehung: Pur\ey widerruft. SautreVivd
IV
Inhalt.
verbrannt S. 62. Fortgang der Verfolgung, Schicksal Badby s „und Wilhelm
Thorpes S. G4.
EL Einschreiten gegen die Universität Oxford so wie gegen Reisepredigten
und Schriften der Lollarden S. 68—78
Maassregeln gegen die Universität Oxford, nachdem dieselbe durch ein ehren-
volles Zeugniss für Wiclif Aufsehen erregt hatte, S. 65. Frage von der Aeoht-
heit des Zeugnisses S. 71. Regelmässige Inquisition innerhalb der Colleges
1408 angeordnet S. 74. Oxford vom Wicliflsmus gereinigt, für das römische
System gewonnen S. 76.
Erlasse, um den wiclifiti sehen Reisepredigten und Schriften einen Damm
entgegenzustellen S. 77.
III. Der Angriff auf die Grossen, welche das Lollardenthum forderten.
S. 78-94
Sir John Oldcastle, Lord Cobham , Persönlichkeit S. 80 ; die Hierarchie
tastet ihn allmählich an S. 82. Zwei Verhöre desselben vor dem geistlichen
Gericht S. 84. Lord Cobham entkommt aus dem Tower S. 89. Die angebliche
hochverrätherische Verschwörung S. 89. Lord Cobham abermals gefangen,
verhört, hingerichtet S. 93.
IV. Fortgang der Maassregeln. Litteratur und Ansichten der Lollarden.
S. 95-109
Process und Hinrichtung des Londoner Bürgers Claydon S. 95. Polemik
wider die Lollarden S. 97. Eifer wider ihre Literatur S. 9S. Ansichten der
Lollarden in diesem Zeitraum, nach der »Leuchte« und anderen wiclifitisehen
Aussprachen, S. 100; des »Ackermanns Gebet« S. 105.
Rückblick auf den bisherigen Verlauf der wiclifitisehen Bewegung, von
1385—1417, S. 107.
Drittes Kapitel.
Johann Hus und die hussitische Bewegung S. 110—301
I. Die Quellen der hussitischen Bewegung S. 110 — 133
Der sociale und geistige Verkehr zwischen England und Böhmen seit der
Vermählung Richard's II. mit Anna von Luxemburg vermittelt die Einwirkung
Wiclifschen Geistes auf Böhmen S. 110. Dazu einheimische Kräfte: amtliche
Reformbemühungen des Prager Erzbisehofs Ernst von Pardubitz S. 113; freie
Reformbestrebungen sittlich - religiöser Art S. 115. Kon rad von Wald-
hansen S. 116. Militsch von Kremsier S. 118. Matthias von
Janow S. 122. Vergleichung zwischen Militsch und Janow S. 130. Einige
andere Freunde kirchlicher Reform in Böhmen , am Ende des XIV. Jahrhun-
derts S. 131.
II. Hus'ens Anfänge, bis 1408. S. 133—154
Johann Hus, Jugendgeschichte und innere Entwicklung S. 133. Stiftung
der Bethlehemskapelle in Prag S. 137. Hus als Prediger an dieser Kapelle
S. 139. Sein theologisches und praktisches Wirken S. 140. Erstes Sta-
dium, im Bunde mit seinen kirchlichen Oberen, 1402 — 1410. Hus als Synodal-
prediger S. 142; »das heilige Blut von Wilsnack« S. 143. Spannung zwischen
dem Erzbischof und Hub S. 146. Die Nationenfrage an der Universität Prag
S. 149. Entscheidung derselben durch Machtspruch der Regierung, S. 151.
Trennung der Deutschen von der Universität S. 153.
III. Wachsende Spannung, 1408—1411 S. 154—173
Rückwirkung der Katastrophe an der Universität auf diese selbst, auf Stadt
und Land S. 154. Maassregeln des Erzbischofs gegen Uns S. 155. Dessen
Verfahren in Betreff Wiclif scher Schriften S. 157. Bann über Uns und <;♦'-
yos<cn S. 1 00.
Inhalt.
V
Aufregung darüber, gesteigerte Opposition S. 160. Verwendung des Hofs
und Adels bei der Kurie für Hus, während Erzbischof und Klerus gegen ihn
arbeiteten, 8. 163. Beim Scheitern des Banns und Interdikts fügt sich Erz-
bischof Sbynjek einem Ausgleichsversuch S. 106, tritt zurück, stirbt S. 168.
Rückblick: Wiclifismus, Mittelpunkt der bisherigen Bewegung S. 168.
Des Karthäusers Stephan Streitschrift wider den Wiclifismus in Böhmen, S. 169.
IV. Die Opposition gegen päpstlichen Ablass, und Hus ens Exil S. 173—186
Der Ablass zu Gunsten eines Kreuzzugs gegen König Ladislaus von Neapel
S. 173. Erregung darüber in Prag S. 174. Disputation und Schrift dawider
von Hus S. 175. Volksdemonstration S. 179. Todesstrafe an Gegnern der
Ablassbulle vollzogen S. 179. Theologische Facultät, Pfarrgeistlichkeit, Stadt-
rath wider Hus S. 180. Das Interdikt über Prag S. 181. Hus freiwillig im
Exil 1412 S. 182. Vergebliche Ausgleichsversuche von König Wenzel ver-
anstaltet S. 182.
V. Vorbereitende Ereignisse in Constanz S. 186 — 208
Berufung des Constanzer Concils S. 186. Die hussitische Sache auf dessen
Tagesordnung gesetzt' S. 187. Hus verspricht, sich vor dem Concil zu stellen
S. 188. Reise nach Constanz S. 189. Hus in Haft genommen S. 195. Vor-
untersuchung wider ihn S. 198. Der Laienkelch S. 199. Nach Johann s XXIII.
Entweichen, Hus in das Schloss Gottlieben versetzt S. 201. Bemühungen des
böhmischen Adels für Hus S. 203. Beschlüsse des ConciFs über Wiclif S. 205.
Hus nach Constanz zurückversetzt S. 207.
VI. Die Entscheidung in Constanz S. 208—233
Oeffentliche Vernehmung Hus'ens vor dem Concil, erstes Verhör am 5. Juni
1415 S. 208, zweites am 7. Juni S. 210, drittes am 8. Juni 1415 S. 212.
Rückblick auf die drei Verhöre S. 215.
Aussichten nach Schluss der Verhöre S. 216; Hus'ens letzte Briefe S. 21S.
Plenarsitzung am 6. Juli 1415, Fällung des Lrtheils, Vollziehung S. 222.
Die Rechtsfrage 1. über die an Hus vollzogene Todesstrafe wegen
Ketzerei S. 227 ; 2. über das freie Geleite S. 228.
Hieronymus von Prag und sein Schicksal S. 231.
VII. Husens reformatorische Lehrgedanken -S. 233—270
Seine Prinzipien: «Christi Gesetz« und die wahre Kirche S. 233.
1. Gottes Wort maassgebend S. 236. 2. die wahre Kirche, Gesammtheit der
Erwählten S. 238. Christus das alleinige Haupt der Kirche S. 241. Kirche
und Papst S. 242. Rückblick auf Wiclif S. 245. Heilsordnung, Hus'ens Lehre
von der Rechtfertigung, resp. vom Verdienst S. 246.
Lehre von den Sakramenten; Hus bestreitet nicht die Wirksamkeit eines
von einem sittlich unwürdigen Priester gespendeten Sakraments S. 248. Hus
und der Kelch S. 250. Hus und die Lehre von der Wandlung S. 252.
Verhältniss zwischen Hus, als Theologe und Mann der Reform, und Wiclif
S. 264. Hus von Wiclif abhängig S. 265. Vergleichende Charakteristik bei-
der S. 269.
VIII. Beginn der hussitischen Bewegung nach Hus'ens Tode. S. 271 — 301
Die Stimmung in Böhmen und Mähren nach Hus'ens Verhaftung S. 271.
Eindruck seines Flammentodes 272. Beschlüsse des Landtags vom September
1415, S. 274. Der hussitische Herrenbund S. 276. Römisch -conservativer
Gegenbund S. 278. Maassregeln des erzbischöflichen Ordinariats in Prag, des
Concils und des Papstes Martin V. S. 278. Einschreiten König Wenzel's, durch
König Sigismund und das Concil angeregt S. 282. In Folge dessen Unruhen
und Reibungen in Prag S. 283. König Wenzel's Tod 1419.
Innerer Charakter der hussitischen Bewegung S. 285. Fromme Verehrung
gegen Hus und Hieronymus von Prag S. 285. Verschiedenheiten inmitten der
Hussiten S. 288. Erstes Auftauchen einer verschiedenen Fassung des Schrift-
prinzips S. 288. Consequenzen des abweichenden Schriftprinzips für die
VI
Inhalt.
Glaubenslehre S. 291* die Sittenlehre S. 292, den Kultus S. 293, die Kir-
chenordnung Si 297.
Die Sprecher und Führer der beiden Schattirungen S. 299 ; örtliche und
sociale Mittelpunkte derselben S. 300.
Viertes Kapitel.
Die englischen Lollarden. von der Hinrichtung Lord Cobhains bis zum
Ende der blutigen Verfolgung (1417 — 1431) . . . S. 302— 347
I. Bestand und inneres Leben der Lollarden S. 302— 314
Rückblick auf Wiclif und auf die beiden Zeiträume seit seinem Tode S. 302.
Allmähliche Ausscheidung des wissenschaftlich-theologischen und des politisch-
nationalen Elementes aus dem Leben der wicjüUischeo Partei S. 303. Erfolge
der bisherigen Maassregeln der Kirche und des Staats, in Betreff der Universität
Oxford S. 305, der Reisepredigt, ebendas. Dagegen blühte das wiclifitische
Conventikelwesen und Schriftthum, S. 307. Ordentliche Pfarrer als Wicliiiten
S. 30S. Entschlossenere Bethätigung wiclifltischer Gesinnung S. 309. Selbst-
bewusstsein der Lollarden in diesen Jahren S. 313.
II. Lehre der Lollarden in dieser Zeit S. 314—319
laut einzelner Sätze, welche von der Kirche gerügt wurden S. 314, laut des
Glaubensbekenntnisses von Thomas Bagley S. 315, laut des Aufsatzes von
Tailor über das Gebet S. 316. Zusammenfassung S. 31S.
III. Maassregeln der Hierarchie gegen die Lollarden . . . S. 319 — 327
Untersuchungen und Strafen über Lollarden verhängt S. 319. Wilhelm Tailor
schliesslich verbrannt S. 322. Nach Hjähriger Pause beginnt das Verfahren
gegen die Lollarden aufs neue, durch Martin V. angeregt, im Zusammenhang
mit Bekriegung der Hussiten : Wiclifs Gebeine ausgegraben und verbrannt
S. 323. Ketzerprozesse beginnen wieder, mehrere Lollarden hingerichtet
S. 320.
IV. Die Streitschrift des Thomas Netter von Waiden gegen die Lollarden
S. 327-347
Persönlichkeit und Lebensgeschichte des Thomas von Waiden S. 327;
das Werk und dessen Geschichte S. 32S. Gesinnung und Absicht des Verfassers
S. .330. Thomas über die Prinzipien , namentlich über das Schriftprinzip
S. 332. Seine Kritik der Wiclif'schen Lehre von Kirche. Priesterthum und
geistlichem Amt S. 330, von den Sakramenten und Sakramentalien S. 3U.
Charakteristik Thomas Netter's als Polemikers und Apologeten S. 313. Yer-
gleichung desselben mit Wilhelm Woodfofd S. 310.
Fünftes Kapitel.
Vom Ende der blutigen Verfolgung bis zum Anfang der englischen
Reformation '1431 — 16&>) S. 343—462
I. Fortdauer einer wiclifitischen Strömung in England; Reginald Pecock.
S. 34^— 368
Seit 1431 tritt in England eine verhältnissmässige Stille ein S. 34S. Den-
noch erhielt sich der Wiclilismus fort S. 349. Line sprechende Thatsache hie-
für ist Pecock' s Auftreten gegen die Lollarden 8. 3T>2. Reginald l'erorks
Leben S. 3*>3. Seine Predigt und Thesen über das bischöfliche Amt S. ;{">(> ;
Standpunkt, den er darin einnahm S. 'Ml.
II. Pecock'» Repressor und die »Bibelruänncr« S. 368 :tü!>
I m die Lollarden mit Vernunltfrründcri zu widerlegen, schrieb Perork sein
Werk: Repressor S. :'.<;s. Inhalt und Grundgedanken s. mm. Seine Kritik des
Inhalt.
VII
w ili tischen Schriftprinzips: Schritt und Vernunft S. .i 7 1 . Verteidigung der
Bilder und Wallfahrten S. 389. Ueber Kirchengüter und Kenten S. 393.
Hierarchie, Papst und Episkopat S. 390. Münchthuni S. 307.
III. Pecock'a Annäherung an die Bibehnänner, sein Schicksal ; Würdigung
des Mannes S. 399— 42(1
Pecock's Donat S. 399, sein »Buch vom Glauben« d. h. vom Verhältniss
zwischen Schrift und Kirche S. 400. Der Verfasser scheint den »Bibelmännern«
sich mehr genähert zu haben S. 408.
Verdächtigungen wider ihn S. 410. Einleitung eines Processes 81 412.
Pecock aus dem Hause der Lords ausgestossen S. 413. Sein Widerruf S. 414.
Absetzung, klösterliche Haft S. 415. Charakteristik des- Mannes S. 416. Ver-
gleichung Pecock's mit den Polemikern gegen Wiclif und die Lollarden vor ihm,
Woodford und Thomas Netter von Waiden S. 418.
Ergebnisse aus Pecock in Betreff der wiclifltischen Partei S. 422.
IV. Die wiclifitische Bewegung von 1460 bis 1530 . . . . S. 426—462
Fortdauer wiclifitischer Gesinnung bis zum Ende des XV. Jahrhunderts
S. 426. Spuren von Wiclifismus in Oxford 1476 S. 427. Die Lollarden von
Coventry 1485 S. 427. Die Lollarden von Kyle in Schottland 1494 S. 431.
Wiclinten in London 1494—1500 S. 432,
Vom Jahr 1506 an häutigeres Auftreten von Wiclifiteri Maassregeln der
Bischöfe gegen dieselben S. 435. Das Schicksal Richard Hun s in London
S. 439. Leben und Wesen der Lollarden im Anfang des XVI. Jahrhunderts
S. 442. Vorgehen des Bischofs Longland von Lincoln 1521 folg. gegen die
»Häretiker« S. 447. Anschuldigungen gegen dieselben, Lebensstellung der
Leute S. 448.
'Einwirkung der deutschen Reformation auf England, seit 1521, S. 451. Ele-
mente der Reformation von unten: 1. sociale und politische Verstimmung gegen
den Klerus S. 452: 2. Humanismus und Streben nach Reform der Theologie
S. 453; 3. religiöses Element, nicht blos von Luther stammend, sondern
auch von Wiclif her überkommen S. 454. Einwirkungen vom Continent her
S. 457. Alt-wiciifltische Bibelkenntniss und Gesinnung verschmelzt sich mit
neuen, durch die deutsche Reformation geweckten Bestrebungen S. 459.
Sechstes Kapitel.
Die Kirche auf dem Continent während der letzten hundert Jahre vor
der Keformation. 1419 — 1517 s. 463— 516
I. Der Hussitismus, Schicksale und Wirkungen desselben S. 463—1^9
Ausbruch der Erregung, nach König Wenzel's Tod S. 463. Stimmungen und
Ansichten der radikal gesinnten Hussiten S. 464. Gesinnung der gemässigten
Partei, der »Prager« (die vier Prager Artikel) S. 466. Die Taboriten und ihre
Grundsätze S. 471. Gegenseitiges Verhältniss zwischen den beiden letzteren
Fraktionen der Hussiten S. 474.
Die Hussitenkriege von 142'» defensiv, seit 1427 offensiv von Seiten der
Hussiten S. 475. Verhandlungen des Basler Concils mit den Hussiten S. 478-
Die Compaktaten' 1433 geschlossen S. 481; in Iglau U36 bestätigt S. 484;
allmähliche Auflösung der Taboritenpartei S. 484.
Einfluss der hussitischen Bewegung auf Deutschland S. 485.
II. Die Reformconcilien und ihre Rückwirkungen ; der Humanismus.
S. 489—503
Die Concilien zu Pisa, Constanz, Basel S. 489. Eindruck ihres schliesslichen
Scheiterns S. 492. Ihre Grundgedanken unverloren S. -192. Nachdenken ge-
weckt über Mittel und Wege der Kirchenreform; Jakob von Jüterbogk
S. 494. Stimmung der Bevölkerungen S. 499.
Der Humanismus in Italien S. 500, in Deutschland und den Nieder-
landen S. 501.
VIII
Inhalt.
III. Die aus dem Hussitismus entsprungene Brüdminität . S. 503—515
Aus der äussern Lage der Utraquisten seit 1450 entwickelt sich ein Neues
S. 503. Peter von Cheltschitz S. 504. Die »Brüder« in Kunwald S. 506,
bilden 1467 eine separirte Kirchengemeinschaft S. 506. Schicksale derselben
S. 507 ; ihre Eigenthümlichkeit S. 500. Sehnsucht nach Gemeinschaft mit
Gleichgesinnten und nach tieferer Erkenntniss S. 511.
Verkehr mit Luther S. 512. Stellung zur deutschen Reformation S. 513.
Die böhmischen L'traquisten und die evangelisch-lutherische Kirche S. 514.
IV. Johann von Goch, Johann von Wesel und Johann Wessel.
S. 515—537
Johann von Goch, sein Schriftprinzip S. 516; seine Lehre von Natur und
Gnade S. 518; seine Polemik gegen die Gelübde und das Mönchthum S. 519;
Lehre von der Kirche S. 521.
Johann von Wesel, Lebensgang S. 523. Streitschrift gegen den Ablass
S. 523. Grundsätze betreffend die Kirche Und das Hirtenamt S. 525. Schick-
sale S. 526.
Johann Wessel , Persönlichkeit S. 527, Lebensgeschichte S. 528, Eigen-
thümlichkeit als christlicher Denker S. 530. Seine Lehre von Christo und dem
Heilswege S. 531. Kirchenbegriff S. 533. Lehre vom Abendmahl, Buss-
sakrament u. s. w. S. 534. Das Reformatorische in "Wessel S. 536.
V. Savonarola S. 537 — 546
Savonarola's Leben, Wirken und Ende S. 537. Reformatorische Züge an ihm :
Liebe zur Schrift, alleiniges Vertrauen auf Gottes unverdiente Gnade S. 541.
Ueberzeugung von der Notwendigkeit einer Reform der in judaisirendes Wesen
versunkenen Kirche S. 542. Irrthum anlangend Mittel und Wege der Reform
S. 543. Dessen ungeachtet ist Savonarola ein Prophet der Reformation und
Märtyrer seiner Prophetie S. 544.
Anhang A.
I. Ursprung und Herkunft der Schrift: The last Age of the Church.
S. 547—553
II. Wiclifs Schriften S. 553—573
Im Allgemeinen S. 553 ; im Einzelnen S. 558.
A. Werke wissenschaftlichen Inhalts : I. Philosophische . . S. 559
II. Theologische S. 550
B. Predigten und praktische Schriftauslegungen . . . . S. 502
C. Praktisch-lehrhafte Erklärungen von Katechismusstücken S. 564
D. Gutachten, persönliche Erklärungen an^Behörden u. dergl. S. 566
E. Streit- und Flugschriften * S. 567
F. Briefe S. 572
Anhang B.
Materialien aus Handschriften.
I. Aeusserung Wiclifs in Betreff der Canterbury-Halle, De Eeclesia c. 16.
S. 574 f.
II. Denkschrift über den Eid eines päpstlichen Einnehmers S. 575—570
Wortlaut der Beeidigung S. 575
Wiclifs Beleuchtung und Gutachten . . . . S. 576—570
III. Predigt über das Gleichniss vom Säemann. |. . . . 8. 5SO— 500
IV. »Epistola missa ad siinplices sacerdotes« S. 500 f.
V. De .sex ja (/is S. 501—605
VI. Wiclifs Antwort auf persönliche Verdächtigungen in De Verität« s.
scripturae cap. 14 , . . . . S. 605 — 621
VII. Eine wiclifitische Dichtung S. 621—632
VIII. Wiclifs angebliches Schreiben an Papst Urban VI. S. 633 f.
Kegister 635
Drittes Buch.
Die Nachwirkungen Wielif s.
Lrchlek . Wiclif. II.
I
Erstes Kapitel.
Von Wiclif s Tode bis zur Thronbesteigung des Hauses
Lancaster (1385-1399).
I.
In den letzten Lebensjahren Wiclif s haben die Gegner
offenbar der Hoffnung gelebt, dass, nachdem die namhaftesten
Anhänger des Mannes gebeugt und eingeschüchtert worden
waren . nur noch der Tod des durch Alter und Krankheit be-
reits geschwächten Führers eintreten dürfe, um seine ganze
Partei völlig vergehen zu sehen. Allein schon die ersten Jahre
nach seinem Tode mussten der Gegenpartei vollkommen klar
machen, wie bitter sie sich getäuscht hatte. Es Hess sich bald
genug erkennen, dass durch Wiclif s Abtreten vom irdischen
Schauplatz in dem Stande der Sache selbst sich nichts verändert
habe. Die Partei blieb auf dem Plan; und es wurde klar, dass
dieselbe durchaus nicht in dem Maasse, wie man gewähnt
hatte, von der Persönlichkeit Wiclif's selbst abhängig gewe-
sen sei.
Es ist ein in mehrfacher Beziehung gewichtiges Zeichen der
Zeit, dass in den ersten Jahren nach Wiclif's Tode der Name
Lollar den als Gesaniintnanie für die Partei Wiclif's rasch
in Gang kam und bald sogar offizielle Verwendung fand. Der
Name war zwar noch bei Wiclif's Lebzeiten aufgetaucht,
allein die Freunde desselben hatten sich ihn damals nicht ge-
fallen lassen: und in Folge dessen wurde derjenige Mann.
i *
4
Buch III. Kap. 1. I.
welcher den Namen zuerst in polemischen Vorlesungen gebraucht
hatte, um der Partei eine Mackel anzuhängen, zur Verantwor-
tung gezogen l).
Der Name war jedoch nicht zuerst in England erfunden,
sondern vom Festlande her eingeführt. Er war schon im Anfang
des XIV. Jahrhunderts in den Niederlanden aufgekommen. Das
Volk nannte die Genossenschaft der Alexiusbrüder oder fratres
Cettitae so. welche sich zu Liebeswerken an Kranken und Todten
vereinigt hatten. Man wollte sie mit dem Namen Lollarden oder
Hegharden als Betbrüder und Mucker, als Angehörige eines Con-
ventikels brandmarken und ihnen die Mackel der Ketzerei an-
hängen 2 . Wenn man nun diesen Namen in England einbürgerte
1 Vgl. oben II , Kap. 8 , V. Es war der aus Irland gebürtige
mönchische Eiferer aus dem Cistercienserorden , ein Doctor der Theolo-
gie. Heinrich Crompe, der im Jahr 1382 sich in Oxford befand und
Vorlesungen hielt, heftige Ausfälle auf die Partei Wiclif's machte, und
dieselben insbesondere »ketzerische Lollarden« schalt; Fasciculi zizaniorum
ed. Shirley, 311 folg. quia vocavit haereticos Lollardos. Das wurde empfind-
lich aufgenommen ; es hiess , so eine Verketzerung sei eine Friedensstö-
rung. und der damalige Kanzler der Universität, Robert Kigge, der selbst
zu Wiclif 's Ansichten hinneigte, verhängte in öffentlicher Weise die Sus-
pension von allen scholastischen Functionen über den Cistercienser.
2 Was die sprachliche Herkunft des Namens anlangt, so sind zwei
Ableitungen bestimmt abzulehnen : einerseits die von einem angeblichen
Sektenstifter. Walter Lolhard, was eine ebenso unhistorische Person ist
als jener Zadok, von welchem die Sadducäer abstammen sollen ; anderer-
seits die von dem lateinischen lollium Lolch , Schwindelhafer, angeblich weil
die Lollarden nichts anderes als Unkraut seien unter dem guten Weisen
der Gläubigen nach Matth. 13, 25 ff. . Der Chronist Knighton sagt von
dem Wiclifitischen Reiseprediger Aston, mit offenbarer Anspielung auf den
Namen Lollarden: ubique praedicans lollium cum triticu seminavit, Col.
2659. Auch der Dichter Chaucer f 1400 kennt den Lollardennamen und
bezieht sich zugleich auf die genannte Ableitung , wenn er in den Canter-
imry tules, Eingang zu Squire'.s tale p. 22. der Ausgabe 1002 fol. sagt:
This L oller hei e woll preche us sometchat,
he tcolde sofoin sow sonn- difßculte,
<>r spring in Isprinkle) some cockle in oure clene com.
Es ist jedoch wahrscheinlich, dass der Name Lollarden ähnlich wie
Begharden, Beginen von beggan. biggan von lollen, lullen, = leise sin-
gen herkommt, was englich in lull a-sleep, deutsch im sinnverwandten lal-
len sich erhalten hat. Diese Bedeutung des Namens ist in dem ältesten
Der Name »Lollarden«.
5
und auf die W i e 1 i f i t e n anwandte . so war die Absicht darauf ge-
richtet, dieselben als eine unkirchliche, ketzerische Sekte zu be-
zeichnen. Immerhin aber lag das Merkmal einer selbständigen
und geschlossenen Partei in diesem Namen. Und sofern gerade
dieser Titel einer Genossenschaft den persönlichen Namen W i -
clifs ersetzt und einigerin aussen in den Hintergrund gedrängt
hat . deutet er mittelbar eine verhältnissmässige Unabhängigkeit
der Partei von der Person ihres verewigten Führers selbst an. Es
stand nur ein paar Jahre an . so wurde der Name auch schon von
kirchlichen Oberen amtlich gebraucht : der anfänglich nur im
Volksmund übliche Name wurde von der Hierarchie adoptirt 1 .
Nun ist es an und für sich schon nicht ohne Gewicht . wenn eine
Zeugnisse , wo dieser Ketzername vorkommt , mit angedeutet , nämlich in
den Worten des Lütticher Domherrn Johann Hocsemius um 1348 . Genta
pontißcum Leodiensium I, c. 31 : Eodem anno (1309) quidam hypocritae
gyrovayi, qni Lollardi sive De um laudantes vocabantur . per Hanno-
niam Hennegau et Brabantiam quasdam midieres nobiles decepert/nt. Genta
pontißcum Tuugrensium — et Leodiensium. Leodii 1 H 1 2 . 4°. Vol. II. 350.
Wenn wir auf Walsingham uns verlassen dürften, so würde der Name
Lollarden schon 7 Jahre vor Wiclif's Tod aufgekommen sein, denn er
sagt beim Jahr 1-^77 von den Reisepredigern: hi vocabantur a vulgo L<>-
lardi, ed. Francof. 1603. p. 192. Allein ich habe schon 1853 Zeitschrift f.
hist. Theoi. S. 493. Anm. aus einer späteren Stelle, wo der Name in einer
Weise erscheint, als wäre er noch nicht genannt, den Schluss gezogen, dass
dieser Sektenname noch nicht so frühe wirklich gebraucht worden sei. In-
zwischen ist durch die kritische Ausgabe Walsingham 's von Riley in
der That constatirt worden, dass die obigen Worte zum Jahre 1377 in den
Handschriften gar nicht stehen , sondern nur eine Glosse der gedruckten
Ausgaben sind. Hist. anylicana, 1863. I, 325. Der Chronist Knighton sagt
ohne irgend eine Zeitangabe: sicque a tfulgo Wyclyf discijn/li et Wyclyviani
sive Lollardi vocati sunt.
1 Den ersten Fall von amtlichem Gebrauch des Namens finde ich in
einem Mandat des Bischofs von Worcester Wigornia im Jahr 13S7. Es
sind darin fünf Führer und Reiseprediger der Partei genannt und al> no-
mine seu ritu Lollar dorum conföderati bezeichnet , was auf einen geschlos-
senen Verein hindeutet. Wilkixs Concilia Magnae Brit. III, 202. Im Jahr
1389 erscheinen in den Akten eines durch den Bischof von Lincoln einge-
leiteten Ketzerprocesses Lollardi vulgariter nuncupati. Von da an kehrt der
Name Lollardi , lollardia sive haeretica pravitas , techings that men clopith
[call) Lollards doctrin. regelmässig wieder Wilkins a. a. O. III, 208 sq.
225. 205 .
6
Buch III. Kap. 1. I.
Richtung oder Partei, welche bis dahin entweder anonym existirt
hatte oder nur mit einem Personennamen bezeichnet worden war.
zu einem eigenen Namen gelangt. Es gibt sich darin eine Bewe-
gung der Geister kund und das Hervortreten einer Erscheinung in
so bedeutendem Maasse, dass dieselbe beobachtet und besprochen
werden muss. Der Lollardenname verräth somit, dass die An-
hänger und Verehrer Wiclif's auch nach seinem Tode als eine
geschlossene Partei so entschieden auftreten . dass sie die öffent-
liche Meinung unwillkührlich . wennn auch in getheilter Weise,
theils für. theils wider, beschäftigen.
Die Partei der Lollarden bestand in den nächsten Jahren
nach Wiclif's Tod aus einem engeren und einem weiteren
Kreise. Den engeren Kreis bildete eine massige Anzahl von
begeisterten und thatkräftigen Männern . welche in erster Linie
durch Reisepredigt , aber auch durch Abfassung von Denkschrif-
ten. Volksschriften und dergleichen die evangelischen Grundsätze
zu vertreten und zu verbreiten bemüht waren. Es scheint als
hätten diese nach dem Tode des verehrten und geistesmächtigen
Führers das Bedürfniss gefühlt, sich noch enger als bisher an
einander anzuschliessen \ und sich über ein gemeinsames einheit-
liches Vorgehen gegenseitig zu verständigen 1 .
Um diesen kleineren Kreis gruppirte sich ein weitaus um-
fasse n derer, sehr zahlreicher Kreis von Männern und Frauen
aus verschiedenen Ständen, welche als mächtige Gönner und Be-
schützer, als eifrige Theilnehmer an den Zusammenkünften der
Einverstandenen , als begierige und begeisterte Zuhörer der Pre-
digten , als fleissige Leser und Hörer bei Vorlesung biblischer
Bücher und Wiclifiti scher Schriften, den durch Wie Ii f zu
Tage geförderten reformatorischen Lehren und der Partei selbst
anhingen.
Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass der Unterschied
zwischen jenem engeren und diesem weiteren Kreise jederzeit ein
1) Es ist schwerlich blos inquisitorischer Argwohn, sondern eher that-
sächlich begründet , dass der Bischof Heinrich von Worcester in dem be-
reits erwähnten Mandat vom 10. August 1387 von Hereford, Aston,
Purvey, Parker und Swinderby sagt, sie seien consjrirati in collri/in
illmto — ritu I.oHanhrum conßhhrati, WlLKINs, Conc. III, 202.
Engerer und weiterer Kreis der Lollarden.
7
Messender gewesen sein muss , sofern Personen . welehe erst nur
Zuhörer und Lernende gewesen waren , sobald sie selbständigere
Einsieht erlangt und festere Ueberzeugung gewonnen hatten, selbst
auch als Zeugen und Verkündiger der Wahrheiten, für die sie be-
geistert waren . auftraten und Andere für dieselben zu gewinnen
suchten. Die letztere Thatsache bezeugt ein gegnerisch gesinnter
Chronist ausdrücklich. Er sagt: selbst neu Bekehrte hatten
sofort erstaunlicher Weise einerlei Art der Aussprache und ein-
hellige Lehrform : Männer und Frauen waren plötzlich umgewan-
delt und wurden Lehrer der evangelischen Lehre in der Mutter-
sprache *) . Nur durch diesen Umstand erklärt sich auch der nach
dem Zeugniss von Gegnern ausserordentliche Zuwachs der Partei.
Denn was die numerische Stärke derselben betrifft, so stimmen
mehrere Zeugnisse dahin überein, dass in jener Zeit, nämlich
in den letzten 1b' Jahren des XIV. Jahrhunderts, mindestens die
Hälfte der Bevölkerung auf Seite der Lollarden gestanden habe2).
Als Männer jenes engeren Kreises, der den Kern der
Partei bildete . erscheinen laut urkundlicher Quellen und Privat-
angaben. Nicolaus von Hereford, Johann Aston, Johann
Purvey, Johann Parker, Wilhelm Swinderby, Wilhelm
Smith. Richard Waytstach. Hingegen Philipp Reppington,
welcher im Bunde mit Wiclif selbst so wie mit Dr. Hereford
und Aston als Verfechter evangelischer Wahrheiten sich geraume
Zeit hervorgethan hatte, stand seit seinem Widerruf (23. Okto-
ber 1382) nicht mehr auf Seiten der Lollarden, sondern ihrer
Gegner 3) .
J Knighton, De eventibus Angliue , Lib. V, Col. 2664: Et licet de
novo conversi — — unum modum statim loquelue et formam concordem
suae doctrinae mirabiliter hubuerunt , et Doctores ev an gelte ae doctri-
ncie tarn viri quam mulier es materno idiomate subito mutati effecti
sunt.
2 Knighton, V. Col. 2644: Medium pur tem populi uut majo-
rem partem sectue suue adquisiverunt. Col. 2666: Sectu illu in muximo ho-
uore Ulis diebus hubebutur , et in tantum multiph'cutu fuit, quod rix duo&
videres in viu, quin alter eorum discipulus Wyclyffe fuerit.
Hiemit stimmen mehrere Bemerkungen des Annalisten von St. Albans,
Walsingham, Bist, anglicana II. ISS ed. Riley zum Jahr 1389: Lol-
lurdi — in errorem suum plurimos sednxerunt etc.
3 S. oben II, Kap. S. V.
8
Buch III. Kap. 1. I.
Nicolaus von Hereford. Dr. der Theologie, und der Haupt-
mitarbeiter Wiclifs sowohl an der Bibelübersetzung- als bei Ab-
fassung von selbständigen Schriften, hatte, wie wir oben als
wahrscheinlich erkannten, von dem Urtheil des Erzbischofs an
den Papst appellirt und war , um seine Sache persönlich zu ver-
treten, nach Rom gereist. Er ist schwerlich vor dem Jahr 1386
oder 1387 zurückgekehrt1. Aber von 1387 an wird er in der
That mehrfach erwähnt. Unter dem 10. August dieses Jahres
erliess der Bischof von Worcester sein Mandat gegen die Lollar-
den, worin er vor allen anderen Nicolaus Hereford nennt2 .
Und der Chronist Walsinghain erzählt zu demselben Jahre von
einer Scene am Sterbebett eines Priesters , der Lollarde gewesen
sei aber zuletzt dies schmerzlich bereut habe : hiebei sei Nico-
laus Hereford zugegen gewesen. Und bei dieser Gelegenheit
bezeichnet er ihn als denjenigen, welcher nach Wiclifs Tod der
Mittelpunkt der Sekte geworden sei 3 . Hereford war jedenfalls
derjenige , welcher durch theologische Gelehrsamkeit und durch
rührige Arbeit, im Leben und in Schriften . sich am meisten her-
vorthat.
Nächst ihm stand Johann von Aston Ashton. Aiston). Erz-
bigehof Courtnay hatte ihn zwar im Jahr 1382 schliesslich so
weit gebracht, dass er nach langem Widerstreben Widerruf lei-
stete : in Folge dessen war er vom Bann absolvirt und in seine
»scholastischen« Rechte wieder eingesetzt worden 4 . Allein Aston
scheint es bald bereut zu haben, dass er so weit nachgegeben
hatte. Vielleicht wollte er durch verdoppelten Eifer wieder gut
machen, was er in Schwäche gefehlt hatte. Er hatte in dem bi-
schöflichen Sprengel von Worcester eine Pfarrstelle, war zugleich
Mitglied der Universität Oxford, und wurde seiner ausgezeichne-
ten Frömmigkeit und seines unbescholtenen Wandels wegen hoch
1 S. oben II. Kap. 8. V.
2 VVii.kins. Concilia M Brit. III, lui.
3) Hut. anylicana ed. Kiley, II, 150: Nicholaus Hercfmd . Doctorij
Thool(K)iue (jradum huhens, sed se d ti cto r i s SßquetU officium, q nippe cui, pust
htierexiarcham Johannem Wiclef, omves hu Jus sectne FtV» maxi ine u<l-
h a w ebant.
4 S. oben II. Kap. 8. V.
Die Führer der Lollarden.
9
verehrt. Als Reiseprediger hat sicher kein anderer ihn an Auf-
opferung- und unermüdlichem Eifer Ubertroffen. Seine Thätigkeit
als solcher scheint sich über .das ganze Land erstreckt zu haben.
Diese Thatsache ist uns sowohl durch Freunde als durch Gegner
hinlänglich bezeugt. Wilhelm Thorpe in der Denkschrift, die er
im Kerker verfasst hat. gibt ihm mit Freuden das Zeugniss. dass er
höchst emsig die Lehre Wiclif s verbreitet habe . wo und wann
und vor wem er nur wollte . und in seinem eigenen Leben sich
darnach gerichtet habe bis an sein Ende 1 . Der Bischof von
Worcester stellt ihn unmittelbar nach H e r e f o r d . als Reise-
prediger der Lollarden zunächst in seiner eigenen Diöcese 2 . Am
ausführlichsten aber schildert ihn in seiner rastlosen Thätigkeit
K ii ig Ii ton. wie er Erholung hintansetzend, zu Fusse. mit dem
Stab in der Hand, allenthalben im Reich die Kirchen unermüdlich
besucht und sich keine Ruhe noch Rast gegönnt habe 3 .
Ferner ist in diesem Zeitraum als einer der Treuesten und
Eifrigsten, der Thäfigsten und Ausgezeichnetsten in der Partei zu
nennen Johann P u r v e y Perney. Purney . Bei W i c 1 i f ' s Leb-
zeiten war er Jahre lang sein Gehülfe im Pfarramt zu Lutter-
worth, und sein Mitarbeiter sowohl am Werk der Bibelübersetzung
als in manchen schriftstellerischen Werken gewesen. In den
ersten Jahren nach dem Tode seines Meisters beschäftigte er sich
mit dem noch von Wiclif selbst unternommenen Werk der Re-
vision und Ueberarbeitung der englischen Bibelübersetzung . mit
der er. wie es scheint, bis 13SS glücklich zu Ende kam4 . Aber
wir dürfen uns darum nicht vorstellen . dass er während dieses
Zeitraumes alle seine Zeit und Kraft ausschliesslich auf diese Ar-
beit verwendet habe und für die sonstigen Aufgaben der Gegen-
wart gleichsam abgestorben gewesen sei. Im Gegentheil , er
widmete sich mit Anstrengung aller seiner Kraft der Reisepredigt
und anderen Arbeiten. Davon zeugt schon der Umstand, dass
der Erlass des Bischofs von Worcester namentlich gegen Purvey
1 Bei John Foxe. Acts and Monuments, cd. Townsend, III. 258.
2; WlLKINS III. 202.
3 De eventibiis Angliae. V, Col. 265** sq.
4 S. oben II. Kap. 6. III.
10
Buch III. Kap. 1. I.
mit gerichtet ist1). Und Knighton zählt ihn nächst Wiclif
selbst, nächst Hereford und Aston als den vierten »Erzketzer« :
er bezeugt seine ungemein rührige Thätigkeit, zumal in uner-
müdlichem Wandern als Reiseprediger) , um die Bevölkerung für
seine Sekte zu gewinnen2'. Zugleich schildert er ihn uns als
einen Mann , der überaus schlicht . in der Kleidung und seinem
ganzen Auftreten einfach und volksmässig , in Mienen und Ge-
behrden voll sittlicher Strenge und Reife gewesen.
Die genannten drei Männer. Hereford, Aston und
Purvey waren unstreitig die gelehrtesten, überhaupt geistig
hervorragendsten, zugleich aber auch thätigsten und einfluss-
reichsten Führer und Vertreter der Lollarden. Neben ihnen wer-
den aber auch noch vier andere mit Auszeichnung genannt :
P a r k e r und Smith, Swinderby und W a y t s t a c h . Johann
Parker ist uns blos dem Namen nach bekannt; er wird aber in
dem Mandat für die Diöcese Worcester. vom 10. August 13S7.
nächst den drei ersteren ausdrücklich mit aufgeführt. Genauer
wird uns Wilhelm Smith geschildert. Während die übrigen alle
sftulirte Theologen waren und meist auch geistliche Aemter be-
kleideten, scheint Smith ein Laie gewesen zu sein. Wenigstens
erscheint er in der Urkunde über einen Inquisitionsprocess von
Seiten des Bischofs zu Lincoln gegen etliche Gemeindeglieder in
der Stadt Leieester. vom Oktober und November 1389. inmitten
derselben ! . Der Chronist von Leieester, Knighton. kannte
ihn begreiflieh, und er gibt uns eine ziemlich eingehende Be-
schreibung seiner Persönlichkeit, erzählt uns auch einiges aus
meinem Leben. Er war von Person unansehnlich, sogar hässlich.
Nachdem seine Werbung um eine Jungfrau, mit der er sieh zu
verloben wünschte, mißglückt war, widmete er sich von da an
der strengsten asketischen Lebensart, und entsagte den einfach-
sten Bedürfnissen, enthielt sich aller Fleischspeisen und Fische,
ebenso des Weins und Biers: Jahre lang ging er baarfuss : aber
er lernte auch, schon in reiferen Jahren stehend, das Lesen und
1 Wilkins, Coric. III, 2(»2.
2 Knighton, Col. 2660.
3 Wll.KINs, Conc. III, 20^ ff.
Der engere Kreis der Lollarden.
Schreiben, hielt sich zu den Lollarden. und wurde einer ihrer
Keiseprediger ; ein Beispiel von dem Uebergang aus dem weite-
ren Kreise der Zuhörer und Anhänger in den engeren Kreis der
Führer und Vertreter der Partei.
Ferner Wilhelm Swinderby Skynderbye . ein Priester,
den man seiner Lebensart wegen nur den Einsiedler oder Wil-
helm den Eremiten hiess. war früh noch von Wie Ii f selbst als
Ueiseprediger ausgesandt worden, und namentlich in der Stadt
Leicester z. B. am Palmsonntag 1382 aufgetreten1 . Jetzt aber
trat er in verschiedenen Gegenden des Landes als Wiclifi ti-
scher Reiseprediger auf, wie wir aus amtlichen Erlassen vom
Jahr 1391 wissen2'.
Von dem letzteren ist zu unterscheiden Robert Swinderly,
welchen der Erlass von Worcester als häretischen Reiseprediger
nennt s . Und bei der Untersuchung wider die Lollarden in der
Stadt Leicester kommt mitten unter den Bürgern und Gemeinde-
gl ledern auch Herr Richard Wayt stach, ein Kaplan, vor; die-
sen erwähnt der Chronist aus dem Augustiner Chorherrnstift in
Leicester. Heinrieh Knighton. gleichfalls. Wir erfahren durch
ihn den besonderen Umstand , dass der Kaplan Richard und der
bereits genannte Wilhelm Smith eine Zeit lang in einer dem
Täufer Johannes geweihten kleinen Kapelle , die bei dem Kran-
kenhause ausserhalb der Mauern von Leicester stand, sich häus-
lich eingerichtet hatten, und dass diese Kapelle den Lollarden
häufig zum Versammlungsort für ihre Erbauung und Berathung
gedient hat . bis die Sache ruchbar wurde und man sie aus der
Kapelle vertrieb4).
Nächst diesen Männern bilden den weiteren Kreis die
sämmtlichen Anhänger und Mitglieder der Genossenschaft. Unter
diesen wird uns eine Anzahl Männer genannt, welche an Rang
1 WALSINGHAM , Bist, angiieana, II. 53: Inger quos Emissäre Wi-
clif" S erat quidam ruitnm et /labitum praeferens heremitae - — Hie
rntis.sus per dictum Johannern. publice praedieavit Lei/cestriae , Dominica in
Ramis Palmarum zum Jahr 13 82 .
2 Wilkins, Com. III, 215.
3 Wilkins. Com. \\\, hvl.
4 Knighton, Cot. 2662.
12
Buch III. Kap. 1. 1.
und Stellung- in der bürgerliehen Gesellschaft, an Keichthuni und
Grundbesitz, so wie an Einfluss im Staat hervorragten. Zum Bei-
spiel der Graf von Salisbury, Johann von Montacute. Sir
Thomas Latimer von Braybrook in der Grafschaft Northamp-
ton, Sir John Trussel, in Staffordshire angesessen , Sir Lewis
Clifford, aus der Grafschaft Durham gebürtig, ein Mann, der
im Jahr 1385 zum Ritter des Hosenbandordens ernannt wurde:
er war derselbe, der schon 1378 von der Mutter Richard'» IL, der
Prinzessin Johanna, an die Synode zu Lambeth abgeordnet wor-
den war mit der Weisung . dass das Verfahren gegen W i c 1 i f
eingestellt werden solle. Ferner Sir Richard Stur ry , Sir Re-
ginald von Hilton, in der Grafschaft Durham begütert, Sir Wil-
liam Nevil. dritter Sohn des Lord Nevil 1 .
Das soll keineswegs eine vollständige Aufzählung sein. Um
so mehr ergibt sich daraus, dass die Partei zahlreiche Männer
von hohem Rang, zum Theil dem Adel selbst, meist aber der
gentry angehörig, in sich schloss, welche ihren Reichthum und
Einfluss zu Gunsten der Lollarden . wie früher zu Gunsten W i -
clif's selbst, in die Wagschaale legten. Auf ihren Gütern blieben
die Anhänger der Partei unangefochten : ihre Hauskaplane waren
meist selbst Lollarden: waren Kosten zu decken, so verfügten
sie über ihre Mittel zu Parteizwecken : auch bürgerlichen Schutz
verliehen sie den Gesinnungsgenossen. Aus dem Stande der Bür-
ger, Kaufleute und Gewerbtreibenden in Städten, so wie aus der
ländlichen Bevölkerung und dem Bauernstande muss damals eine
beträchtliche Masse der Partei zugethan gewesen sein. Indessen
liegt es in der Natur der Sache, dass wenige Familien sich mir
1 Walsingham, Hißt, anglicana, II, 159 zutn Jahr 1389 Erant autem
milites Ritter , <[>n hanc sectam coluerunt quam maxime et sustentaverunt
Wühehuits Nevile etc. Und beim Jahr 1394 bezeugt derselbe Annalist. I!
216 einen nimius fuvor quorundam procerum et militum Anf/licornm gegen
die Lollarden; er fährt fort: Inter quos campidactores fuerunt Ricardo*
Stury, Lodewicns de Clifford etc. Vgl. 244. — Theilweise dieselben Namen
nennt Kmohton , Col. 2661: Erant ctiam milites, dominus Thomas Late-
iner — cum dneibus et eomitibus. Isti erant praeeipue eis adhaerentes H in
omnibns eis faveiites. Isti erant hujus stctue promotores strenttisstmi et pr*>-
puyvatores f'ortissimi etc.
Statistik der Lollarden.
13
Kamen nennen lassen. Es sind nur die Urkunden von Inquisi-
tionsprocessen , welche uns einzelne Lollarden namhaft machen,
2. B. jene Bürger von Leicester, Roger Dexter und seine Ehe-
frau Alice, Nicolaus Tailor. Michael Scri vener. Johann
Harry. Wilhelm Parchmener und Roger Goldsmith1).
Auch eine Art Nonne kam zu gleicher Zeit ies war im Jahr 13S9)
in Untersuchung, als eine von der verderblichen Lehre der Lol-
larden angesteckte Person; sie hiess Mathilde, und lebte als Ein-
siedlerin in einem Gelass auf dem Kirchhofe der St. Peterspfarr-
kirche zu Leicester 2 .
Es würde von Belang sein, wenn es thunlich wäre, von der
Verbreitung Wiclif 'scher Grundsätze in England eine Art Stati-
stik zu entwerfen. Allein bei der Lückenhaftigkeit urkundlicher
Nachrichten kann dasjenige, wras wir in dieser Richtung zu geben
versuchen, nicht anders als dürftig ausfallen. Indessen ist so viel
gewiss, dass der im Mittelalter so ausgedehnte und volkreiche
Sprengel des Bischofs von Lincoln diejenige Landschaft war, in
welcher während der letzten 15 Jahre des XIV. Jahrhunderts die
Partei der Lollarden am stärksten vertreten gewesen ist. Das
lässt sich schon im voraus erwarten. Denn in der Diöcese Lin-
coln lag sowTohl Oxford erst 1539 wurde ein eigenes Bisthum
Oxford abgezweigt) , d. h. der wissenschaftliche Quellpunkt des
Wiclifisnius , als die Parochie Luttenvorth , dem Archidiaconat
Leicester zugetheilt, politisch der Grafschaft Leicester angehörig,
wo Wiclif selbst die letzten Jahre seines Lebens zurückgezogen
und doch unermüdet thätig, zugebracht hat. Was wTir nach der
Lage der Dinge voraussetzen durften, das wird durch positive
Urkunden wirklich bestätigt. Im Jahr 1389 wurden in der Stadt
Leicester, von welcher Lutterworth nur 21 2 deutsche Meilen ent-
fernt liegt, acht Personen, deren Namen w ir bereits oben erwähnten,
als Lollarden hrs Verhör genommen ; dabei wird jedoch ausdrück-
lich bemerkt , dass zahlreiche Andere , deren Namen man nicht
nennen könne, von gleicher Denkungsart seien 3 . Und wrenn der
1 WlLKIXS, Conc. III, 20s ff. ; Alice Dexter s. 211
2 A. a. O. III,, 209.
:\ A. a. O. III, 20S f.
14
Buch III. Kap. 1. 1
Chronist K ni g h t o n . welcher in dem Augustiner Chorherrnstifr
zu Leicester lebte, behauptet, man könne auf der Landstrasse
nicht zwei Leuten begegnen . ohne dass einer von den beiden ein
Wiclifite sei . so hat er die Verhältnisse seines Wohnorts und der
Nachbarschaft desselben zu Grunde gelegt. Aber von der weit-
laufigen Diöcese Lincoln aus finden wir nach verschiedenen Him-
melsgegenden hin die Partei der Lollarden verbreitet. Oestrich
lag die Nachbardiöcese Nor wich: von dieser erfahren wir we-
nigstens so viel, dass Bischof Spencer in seinem Sprengel die
Sekte nicht habe um sich greifen lassen 1 . Südöstlich grenzte an
den bischöflichen Sprengel von Lincoln der von London. Und dass
die Bürger der Hauptstadt . wie sie einst Wiclif selbst begün-
stigt hatten 2 . so auch jetzt noch seinen Grundsätzen zugethan
waren und es mit den Lollarden hielten, erwähnt der Chronist
Walsinghain mehr als einmal3 . Auch in Landparochien der
Londoner Diöcese gab es Lollarden ; im Jahr 1400 ertheilt der
Erzbischof von Canterburv einein gewissen Johann B ecket in
der Gemeinde Padeswick Absolution, nachdem derselbe Irrlehren
der Lollarden. von denen er angesteckt gewesen sei. und worin
er selbst auch Andere unterwiesen . nunmehr widerrufen hatte 4 .
Südlich stiess die Diöcese Sali sbury (ehemals Sarum an die
von Lincoln, und der Bischof von Salisbury entdeckte einmal,
dass Priester, welche Lollarden waren, sich erlaubten Ordination
zu ertheilen5 . Südwestlich war der bischöfliche Sprengel von
Worcester dem von Lincoln benachbart. Es war der Bischof
von Worcester Wigornia )J Heinrich von Wakefiel d . der im
Jahr 1387 das mehrfach erwähnte Mandat erliess. worin er die
Reisepredigten Hereford's . Aston's. Purveys und Ande-
rer innerhall) seiner Diöcese streng verbot 6)'. Auch im Fürsten-
tlium Wales, wenigstens in den bischöflichen Sprengein von
1 WalsINGHAM, Bist, an gl. II, ]s!>.
2 S. oben II, Kap. 4. Iii.
Hist. anglteana, II, 1">~ f. zum Jahr l.'is". p. 208 zum Jahr 1392
Lollardorum siistcntatores, von den Londoner Bürgern.
1 WlLKINs. ('One. III, 247 sq.
5j Walsingiiam, Hist. angl. II, Iss, zum Jahr i:iv>.
8 Wilkins. Conc. III, 202 f.
Leben und Wesen der Lollarden.
15
Südwales, St. David s und Llandaft'. waren um das Jahr 1390 t
Lollarden als Reiseprediger tÜatig1 . Das sind nur zerstreute Be-
lege . die glücklicher Weise auf uns gekommen sind. Man wird
kaum fehl gehen, wenn man aus denselben weiter gehende
Schlüsse zieht und annimmt, dass auch in anderen Diöcesen. und
weithin im Lande Lollarden verbreitet gewesen sein mögen.
Fragen wir aber nach dem Leben und Wesen der Lol-
larden in dieser Zeit, so können wir den kirchlichen Urkunden
nur wenig entnehmen. Etwas mehr Ausbeute gewähren die Chro-
niken. Aber fassen wir alle Quellen zusammen, so können wir
uns des Eindrucks nicht erwehren . dass in diesem Zeitraum ein
ausserordentlich kräftiges und rühriges Leben in der Partei ge-
waltet hat. eine aufrichtige Gottesfurcht . verbunden mit ernstem
Streben nach der Heiligung . ein glühender Eifer für Verbreitung
der von ihnen angeeigneten biblischen Erkenntniss. und ein an-
haltendes Bestreben für eine als nothwendig erkannte Reform der
Christenheit und für Abstellung mancher herkömmlichen Irrthü-
mer und Misbräuche. Diesen Eindruck macht alles dasjenige,
was über die unermüdlichen, bewunderungswürdigen Arbeiten
der Reiseprediger. über den Eifer der hochgestellten Freunde und
Gönner der Partei , über die Anhänglichkeit anderer Mitglieder,
über den Zudrang der Massen zu den Predigten der Lollarden.
über die ungemein angewachsene Mitgliederzahl der Genossen-
schaft überliefert ist. Insbesondere legt für das rege kräftige
Leben in der Partei ein sprechendes Zeugniss die Thatsache ab.
dass einfache Handwerker oder Landleute . sobald sie selbst von
der Wahrheit der ihnen vorgetragenen Lehren sich überzeugt
hatten, dieselben ihrerseits wieder Anderen mittheilten, unter
ihren Nachbarn und Bekannten für jene Wahrheiten warben, und
selber Zeugen und Glaubensboten wurden. Was wir oben von
einem Chronisten, der es wissen konnte, als allgemeine Bemer-
kung ausgesprochen fanden 2 . davon geben amtliche Urkunden
individuelle Belege 3 .
1 A. a. O. Conc. III, 215.
2 Knighton, Col. 2664, s. oben S. 7.
3 In den Processakten gegen Lollarden in der Stadt Leicester, welche
mit alleiniger Ausnahme des Kaplans Wart st ach, sämmtlich schlichte
16
Buch III. Kap. 1. I.
Mehrere Aeusserungen lassen erkennen . dass gewisse
Schriften, meistens wohl in der Form kurzer Volksschriften,
theils noch von W i c 1 i f selbst verfasst . theils von Nicolaus H e -
reford und Anderen veröffentlicht, ein Hauptwerkzeug zur Be-
festigung in den angeeigneten Ueberzeugungen und Gesinnungen,
wie auch zur weiteren Verbreitung derselben gewesen sind1 .
Hiebei dürfen wir nicht unbeachtet lassen die Verbreitung und
den Gebrauch der WicliT sehen Bibelübersetzung, mindestens
in Abschriften einzelner biblischer Bücher. Unter den zahlreichen
Bibelhandschriften, welche heute noch vorhanden sind und die
ältere oder die revidirte Uebersetzung Wiclifs enthalten, be-
finden sich laut des Urtheils der Kenner wenigstens 12. welche
noch vor dem Jahr 1 400 geschrieben worden sind2 . Und darunter
befinden sich einige . welche sich sowohl durch das Material als
durch die Art der Ausführung auszeichnen. Handschriften, welche
jedenfalls auf Kosten von solchen begüterten und vornehmen Gön-
nern und Anhängern Wiclif's gefertigt worden sind, deren wir
mehrere oben namentlich aufgeführt haben.
Bürger und Gewerbtreibende gewesen zu sein scheinen, wird von allen An-
geschuldigten bemerkt , sie hätten in der Stadt und in Nachbarorten ihre
Irrthümer öffentlich gelehrt und behauptet publice et notorie docae-
runt etc.] WlLKINS, III, 208 sq. Und der Erzbischof, Wilhelm Courtnay,
bemerkt unverholen , dass in seiner Kirchenprovinz sehr viele Gemeinde-
glieder quamplures auhditi, durch die Predigten der "Wie Ii fiten angesteckt
worden seien, und einige irrige Ansichten unter sich gehegt, auch wieder
Anderen beigebracht haben falsas opiniones — mutuo inter se habuerunt, —
ac de eisdem — alios pemicioge informavernnt a. a. O. ZU.
1 Der Erzbischof spricht in obigem Schreiben von doctrinae in eorum
libris scripturae commendatae, WlLKINS, III, 211. Ferner erwähnt
eine königliche Verordnung vom Jahr 1388, welche die Auslieferung Wi-
clifitischer Schriften befahl, dass mag ister Nicol. HEREFOliD et mag. Jo.
Wycliff , dum vixit , quosdam libros , l ihellos , schedulas fliegende
Blätter et qua te mos Hefte , diversas haereses et errores — continentes,
per se et fautores sttos frequentius scribi. compilari , communicari et publicari
fecerunt. "Wilki.vs 2o4. Und im Jahr 1396 versprechen mehrere gewesene
Lollarden in einem eidlichen Widerruf, »ihre Bücher oder ähnliche Bücher
oder die Personen selbst nicht anzunehmen«. Nie I shall her [their" books ne
swgch such books, ne hem = themsclves — reseegve reeeive etc. A. Wil-
ki.vs 225.
2 TJie Wyclifßte Versions of the holy Bible. Ed. bxj the Ret Josiah
Forshall and Sir Frederic Madden. Oxf. 1850. I.
Das Predigtwesen der Lollarden.
17
Indessen liegt es in der Natur der Sache, und lässt sich
vollends in einem Jahrhundert, wo das Lesen noch eine seltene
Kunst und in der Regel ein Monopol der Gelehrten war . nicht
anders denken . als dass der bedeutendste Hebel der Einwirkung
in der m Und Ii eben und persönlichen Mittheilung lag. sei's
durch Gespräche zwischen Einzelnen in kleineren Kreisen, theils
durch Vorträge vor zahlreichen Hörern. Vorzüglich wirksam wa-
ren die öffentlichen Predigten eines Her eford . Aston. Pur-
vey und Anderer, die zu Fuss, mit dem Stab in der Hand
amhenvanderten. und bald da bald dort Halt machten, um in
Kirchen und auf Kirchhöfen, häufig auch auf grossen Plätzen
und Strassen . je und je in Häusern und Gärten auftraten und
Vorträge hielten. Wie es dabei zugegangen, das besehreibt uns
der Chronist von Leicester anschaulich genug. »Wenn irgendwo
ein Pseudo-Prediger sich zu der Besitzung eines jener Ritter wen-
dete, um daselbst zu predigen, so bemühte sich dieser sofort mit
aller Bereitwilligkeit, das Volk in der Nachbarschaft zusammen-
zuberufen und in einem bestimmten Ort oder in einer Kirche zu
versammeln . um die Worte des Predigers zu hören : wenn auch
die Leute ungerne gingen , so wagten sie es doch nicht sich zu
widersetzen oder zu widersprechen. Denn sie pflegen mit Schwert
und Schild gerüstet in eigener Person beizuwohnen, zur Verthei-
dignng der verkehrten Prediger . damit niemand es wage . gegen
deren Person oder Lehre etwas zu versuchen oder Widerspruch
zu erheben 1 .«
Auch von dem Inhalt und Charakter dieser Lollarden - Pre-
digten , deren er selbst mehrere mit angehört hat . gibt uns
Knighton eine Schilderung: «Ihre Lehre erschien in etlichen
Reden anfangs voller Süssigkeit und Andacht, am Ende aber
artete sie aus . und wurde voll versteckten Neides und Verleum-
dung. Und niemand, sagten sie, sei gerecht und Gott gefällig
[ Deo digmm , der nicht das Gesetz Gottes halte, welches sie
1 Knighton. Col. 2661 sq. Etwas vorhersagt er: Qui militari cingulo
ambiebant, ne a rede credentibus aliquid opprobrii aut damni — sortirentur,
— nam zelnm Dei habueru nt , sed non secundum scientiam , et eis 'den
Predigern similes in voluntatibus suis factique sunt cives et domestici eomm.
Lechler, Wiclif. II. 2
18
Buch III. Kap. 1. I.
predigen : denn einen solchen Ausdruck hatten sie , indem sie in
allen ihren Aeusserungen immer zur Schau trugen Gottes Gesetz«
Goddis lawe) x) . Namentlich von Johann Purvey erzählt der
Berichterstatter; dass er unaufhörlich seine Anhänger rühme,
während er gegen Andere, insbesondere gegen die Bettelniönche
sich Ausfälle erlaube: so machen es auch Andere von jener
Sekte , indem sie in ihren Predigten häufig ausrufen : »rechte
Prediger, falsche Prediger!« [Trewe prechoures , Falsa prechou-
res) 2). Hiemit stimmt vortrefflich . was der Bischof Wakefield
von Worcester in seinem Mandat aus dem Jahre 1387 von den
Reisepredigten der in seinem Sprengel aufgetretenen Lollarden.
als Hereford. Aston und Anderen sagt. Er spricht von dem
»unter dem Schleier grosser Heiligkeit und honigsüssen Worten
versteckten Gift« und von der verführerischen, die Gemüther der
Gläubigen den ordentlichen Kirchendienern entfremdenden Wir-
kung jener Predigten3;. — Wenn ein römisch gesinnter Ge-
schichtschreiber wie Lingard4) die Predigten der Wiclifiten
als ausschliesslich polemisch und die Leidenschaften der Menge
gegen das kirchlich Bestehende und die Geistlichkeit aufregend
darstellt , so thut er das im Widerspruch mit dem Zeugniss des
Chronisten: denn dieser, so wenig er den Lollarden geneigt ist.
fand doch auch etwas wirklich Erbauliches in den fraglichen Vor-
trägen, wenigstens in dem Anfang oder dem ersten Theil dersel-
ben. Sogar die Bischöfe erkennen wenigstens etwas gutes
darin, wiewohl sie von ihrem Standpunkt aus dasselbe als eine
Sache der Form, ja als eine Lockspeise, um die Seelen desto
sicherer zu verführen, betrachten.
1) A. a. O. Col. mt's
2) Col. 2660.
3) WlLKINs, Conc. III, 202 f.: Sub mar/nae sanctitatis velamine venenam
sub labiis ore mellißuo habentes — devotiones ßdelium , ecclesiae Christi et
ejus ministris solitas conferri , ab iisdem subtrahere et ipsis appropriare ni-
tunt/tr, — — et haereticas projmsitiones — iam in ecclesiis et earutn cöme-
tcriis quam in plateis et plurimis Incis profanis — nnn verentur (isser^re —
et publice pruedicure, et secrete in aulis, cameris, Jwrtis et yardinis gar-
denß) Christi ßdeli'S ntriusque sexus auriculuri, et ipsos — sua |WMW
doctrina inßcientes etc.
4 Lingard, History of England, L633. IV. 2s<i.
Die Predigten der wiclifitischen Reiseprediger.
19
Bei diesen Predigten in Kirchen oder auf Kirchhöfen, auf
Strassen und 'öffentlichen Plätzen war die Zuhörerschaft natür-
lich eine sehr gemischte. Die Aufgabe des Redners war vorzüglich.
Seelen zu gewinnen und anzuziehen. Zu diesem Zwecke diente vor
allein der Umstand, dass diese Predigten ächte Volksreden waren
und durchaus in englischer Sprache gehalten wurden. Je seltener
es in jener Zeit war, dass das religiöse Bedürfniss des Volks in sei-
ner Muttersprache befriedigt wurde, desto gewinnenderen Eindruck
machten die Ansprachen dieser Reiseprediger. Dazu kam , dass
diese Männer selbst im einfachen Gewand, als »arme Priester«, als
Volksmänner auftraten. Und wenn ihnen nun ein heiliger Ernst
und rechtschaffene Gottesfurcht anzufühlen war , wenn sie die
dem christlichen Volk so fremd gewordenen biblischen Lehren, die
schlichten Grundwahrheiten des Evangeliums in den geliebten
Klängen der Muttersprache einfach und fasslich, beredt und begei-
stert vortrugen, die herrschenden Sünden und Schäden, Ueppigkeit
und dergleichen, aber auch die Misbräuche und Unsitten der
Geistlichkeit beim rechten Namen nannten, offen und kräftig
straften . so ist es , zumal die Reiseprediger nichts für sich selbst
suchten, kein Wunder, dass sie weit und breit im Lande Anklang
fanden . und ihnen die Gemüther in immer höherem Maasse sich
zuwandten.
Aber ausser diesen gemischten und mitunter zahlreichen
Versammlungen , diesen öffentlichen Vorträgen und Reisepredig-
ten mochten häufig Zusammenkünfte von Einverstandenen statt
finden, bald in den Burgen grösserer Grundbesitzer , bald in den
Stuben geringer Leute, in Kapellen, in Gärten. Dann kam je
ein kleines Häuflein zusammen , um sich über göttliche Dinge zu
besprechen , sich gemeinsam zu erbauen und weitere Unterwei-
sung zu suchen 1 . In solchen Conventikeln geschah es auch
wohl, dass biblische Bücher in Wiclifs Uebersetzung vorgele-
sen, dass aus Volksschriften von Wiclif und Hereford Geeig-
netes mitgerheilt wurde. Vielleicht mochten diejenigen, welche
es wünschten , in solchen Zusammenkünften auch Unterricht im
1) mutuo inter se habuerunt et tenuerunt opmiones. Wilkixs III. 211 ;
et secrete in aulis, cameris etc. a. a. O. 202.
2*
20
Buch III. Kap. 1. IL
Lesen erhalten. Von Wilhelm Smith, dem Bürger von Leice-
ster f wird ausdrücklich bezeugt . dass er im reifen Mannesalter
noch das Lesen gelernt hat 1 . Das wird aber wohl bei manchen
anderen, Männern und Frauen . der Fall gewesen sein. Wenig-
stens erwähnt Knighton. wo er von Wiclifs Bibelüber-
setzung spricht . allerdings im Ton der Klage . dass in Folge der
englischen Bibelübersetzung das Wort Gottes »Laien und Frauen,
welche lesen können, bekannter und vertrauter geworden sei. als
manchen hochgelehrten und einsichtsvollen Geistlichen« 2 .
II.
Die Partei der Lollarden stand während der letzten 15
Jahre des XIV. Jahrhunderts geschlossen und einig, muthvoll
und kräftig auf dem Plan, mit Nachdruck vorwärts dringend, an
Grund und Boden gewinnend, zukunftsvoll. Ihre Kühnheit im
offensiven Vorgehen war unverkennbar, und erschreckte die Con-
servativen und päpstlich Gesinnten. Mehrere Thatsachen bezeu-
gen diess laut. Die Lollarden verfochten nicht blos in der Theorie
den Grundsatz, jeder Priester habe eben so ausgedehnte Voll-
macht, zu binden und zu lösen so wie alle übrigen kirchlichen
Handlungen zu vollziehen . als der Papst selbst zu verleihen im
Stande sei : sondern sie handelten auch wirklich nach diesem
Grundsatz . ihre Priester ertheilten die Priesterweihe . als wären
sie selbst Bischöfe ; solche Fälle sind namentlich in der Diöcese
Salisbury vorgekommen : ein Geistlicher . welcher selbst durch
einen Priester der Lollardenpartei ordinirt worden war. hat Gte-
wissensbisse darüber empfunden, und von freien Stücken dem
Bischof Johann Walthain ein Bekenntniss darüber abgelegt ,
1 media tempore abcedarium didicit. KNIGHTON V. Col. 2661.
2 A. a. O. Col. 2644: Evangelium — per ipsum ßt vulgare et magis
aper tum luicis et mulieribus legere sei ent ihus , quam solet esse cle-
ricis admodum literatis et hene intelligentibus.
Walsingiiam, Hist. anglicana, II, 1S8: Lo/lardi tantam pruc-
sumpserunt audaeiant, ut eorum preshyteri more pontißcum novos er cur ent
presbyteros — — — practieaverunt autem istum perßdium in Diüctsi Sa-
rum. — Prodifu est haec nequitia per quendam ab eis ordinatum. qui sti-
Offensives Auftreten der Lollarden.
21
Eine fernere Thatsache . welche das offensive Vorgehen der
Lollarden beweist, ist ein Auftritt, welcher im Jahr 13S7 in Lon-
don selbst sich ereignete. Ein Augustiner-Eremite. Peter P a t e s -
hnll. war ans dem Kloster ausgetreten und hatte sich den Lol-
larden angeschlossen, die ihn darin bestärkten, dass er wohl
daran gethan habe dem Klosterleben entsagt zu haben, denn das
bürgerliche Leben sei sittlich vollkommener und heiliger. Ein
Oarmelitermönch . Walter D i s s e . Beichtiger des Herzogs von
Lancaster. ernannte ihn kraft einer von Urban VI. verliehenen
Vollmacht, zum päpstlichen Kaplan. Dieser Peter Pateshull
hielt, von andern Lollarden dazu angefeuert, in der St. Chri-
stophskirche zu London eine Predigt, worin er sich gegen seinen
ehemaligen Orden öffentliche Ausfälle erlaubte . und seinen bis-
herigen Ordensbrüdern schlimme Dinge nachsagte. Das machte
ungeheures Aufsehen . und auf augenblickliche Mittheilung dar-
über begaben sich 1 2 Augustiner aus ihrem Kloster sofort in die
Christophs-Kirche . wo sie die empörendsten Dinge mit anhören
mussten. Da ergriff der kühnste unter den Mönchen plötzlich das
Wort und erhob Einsprache gegen die Aussagen des Predigers.
Jetzt brachen die Lollarden los. deren ungefähr hundert als Zu-
hörer anwesend waren, stürzten sich auf den kühnen Augustiner
und mishandelten ihn persönlich . drängten die übrigen Mönche
zur Kirche hinaus uml verfolgten sie unter wüthendem Geschrei
bis zu ihrem Kloster, das sie anzuzünden drohten. • Nur das Ein-
schreiten eines der Vicegrafen von London vermochte den wilden
Auflauf zu stillen. Weil aber die Predigt unterbrochen und ge-
stört worden war. sprachen die Lollarden dem Peter Pateshull
zu. dasjenige schriftlich aufzusetzen, was er mündlich ausge-
sprochen habe und was ihm sonst in der Sache bekannt sei.
Dieser folgte und verfasste ein fliegendes Blatt . worin er unter
anderem mehrere seiner gewesenen Ordensbrüder des Mordes
mnlatus conscientiu Episcopo Sarum confessus est errorem — — . Dass obi-
ges creare nicht blos Berufung zu einem geistlichen Amt, sondern wirkliche
Ertheüung der Priesterweihe bezeichnen soll , ergibt der Zusammenhang
unzweideutig, namentlich das ordinatus ab eis. Der Bericht zum Jahr
13^9 in der Chronik hat auch nichts Unwahrscheinliches an sich.
22
Buch III. Kap. 1. II.
anklagt . mit Nennung der Namen and der Orte . wo die Un-
glücklichen ums Leben gebracht oder beerdigt worden seien :
ausserdem beschuldigte er sie der Sodomiterei. des Hochverraths
und dergleichen. Im Eingang sagte der Verfasser, er sei aus
einem Teufelsnest entkommen, und aus der Gemeinschaft schlim-
mer und unsittlicher Menschen in die vollkommenste Lebensart
übergegangen ; aus diesem Grunde und weil er die Wahrheit
thue . würde ihm von den Bettelmönchen viel Feindseligkeit wi-
derfahren . wenn sie seiner Person habhaft werden würden.
Allein er danke es dem Papst Urban, dass er es ihm möglich ge-
macht habe , mit Hülfe seiner Freunde den Händen der Gegner
zu entkommen. Diese Denkschrift schlug Pateshull an der
Paulskirche in London an. wo dieselbe von vielen Leuten gelesen
und abgeschrieben wurde, namentlich von Rittern und Herren,
die zu den Lollarden hielten 1 .
Ferner hören wir. dass sie im Jahr 1391 öffentlich gegen
Pilgerfahrten zu Heiligenbildern gepredigt haben 2 .
Der kühnste Schritt aber, überraschend und gewichtig,
wurde im Jahr 1395 unternommen. Die Lollarden entwarfen
eine Denkschrift, welche sie dem Parlament einreichten .
das Mitte Januar zusammentrat. König Richard II. befand sich
seit dem Herbst des vergangenen Jahres in Irland, um die
dortigen Unruhen beizulegen, und sein Oheim. Edmund Her-
zog von York .. war inzwischen Reichsverweser 3 . Man hat ver-
muthet. die Petition sei von Lord Cobham aufgesetzt worden 4h
allein auf gleichzeitige Urkunden kann man sich hiebei nicht
stützen . Die Männer , welche die Eingabe dem Parlament über-
reichten, waren Sir Thomas Latime*r und Sir Richard Stury.
Die Lollarden legten darin ihre Grundsätze mit vollkommener
Aufrichtigkeit dar und stellten dieselben in das volle Licht der
Oeffentlichkeit , ja sie nahmen die Mitwirkung des Parlaments
1 Walsixgham , Hist. mgKctma, Q, 157 ff. Nach Walsixgham er-
zahlt die Sache auch John Foxe. Acts und Monuments. III, 201.
1 Walsixgham, D, lss
Walmxgham, II, 214. Vgl. Pauli, Gesch. von England, IV, BM ri
1 John Balk, Brefe Chronicle f. 7. und f. 50. ed. 1 544 . laut Anm. von
TownsknI), zu John FoXE, Acts und Mon. III, %\% zu p. M.
Bittschrift der Lollarden an das Parlament.
23
für die von ihnen als nothwendig erkannten Reformen in An-
spruch. Dieser Schritt für sieh allein beweist schon, das* die
Partei dazumal sehr zahlreich und mächtig gewesen sein nmss
denn es wäre ja sonst eine Unbesonnenheit ohne gleichen gewe-
sen . ein offensives und aggressives Verfahren zu wagen, in dem
Versuch . mit Hülfe der Reichsvertretung ihre Gedanken geltend
zu machen , und ihre Plane im Ganzen und Grossen durchzufüh-
ren. Möglich, dass ein Vorgang im Jahr 1390 sie dazu ermuthigt
hat. Es war damals von römischer Seite eine Bill im Parlament
eingebracht worden . dahin gehend, dass alle englischen Bibel-
übersetzungen, welche in den Händen von Gemeindegliedern sich
befänden, confiscirt werden sollten. Allein dieser Antrag wurde
sowohl vom Adel als von den Gemeinen so nachdrücklich be-
kämpft . dass er durchfiel ; namentlich war auch der Herzog-
Johann von Lancaster stark dagegen aufgetreten ; »Wir wollen
nicht die Hefe unter allen Menschen sein . da ja andere Nationen
das Wort Gottes ebenfalls in ihren Sprachen besitzen.« Und
Andere fügten . angesichts der Besorgniss. die Uebersetzung des
Evangeliums in's Englische werde Ketzereien erzeugen, hinzu, es
gebe ja unter den Lateinern selbst mehr Häretiker als unter
anderen Nationalitäten, die Dekrete selbst zählten ja allein 66
lateinische Ketzer auf1'. Dieses Ereigniss mochte in den Lollar-
den die Hoffnung erwecken, dass eine günstige Stimmung des
Parlaments ihrer Sache entgegenkommen werde ; vielleicht sei
sogar kräftige Unterstützung zu erwarten. Allein wenn dem so
war . so haben sie sich sehr getäuscht. Die Petition scheint im
Parlament nicht einmal zur Verhandlung gekommen zu sein.
Uebrigens sorgten die Führer der Partei für möglichst ausgebrei-
tete Veröffentlichung ihrer Denkschrift , denn sie Hessen dieselbe
an den Thüren der Paulskirche in London und des Westmünsters
anschlagen 2 . Die Bischöfe , aufgeschreckt durch den kühnen
1) ÜSHER , Hist. doymatica controversiae de scripturis et sacris verna-
cnlis, 1690. 40. p. 162.
2 Walsingham , II, 216. Pauli, Gesch. von England, IV, 597 un-
terscheidet «aufreizende Drohschriften , die an den Kirchthüren angeheftet
Avurden«, von der »scharfen Eingabe an das Parlament«. Indessen sind im
24
Buch III. Kap. 1 . II.
Schritt der Lollarden . schickten eilig eine Deputation an den
König nach Irland. Der Bischof von York . Thomas . ans dem
Hanse der Grafen von Arnndel. und der Bischof von London.
Robert Braybrook. standen an der Spitze der Abgesandten.
Richard II. kehrte in der That ungesäumt nach England zurück,
und ertheilte den vornehmen Gönnern der Lollarden . namentlich
Sir Richard Stury. einen so strengen Verweis, mit furchtbaren
Bedrohungen verbunden . dass die Partei immerhin eingeschüch-
tert wurde 1 .
Die Eingabe ist also erfolglos gewesen, im Gegentheil. sie
hat einen Rückschlag herbeigeführt. Dessen ungeachtet ist diese
Denkschrift als eine aus der wielif irischen Partei als solcher
hervorgegangene authentische Urkunde von hohem geschicht-
lichen Werth. Das Schriftstück, so wie es uns vorliegt, ist un-
zweifelhaft acht und unverfälscht2 : nur seine Vollständigkeit ist
Sinne des Chronisten selbst die uhomiuahiles cleri uccusationes identisch mit
den inauditae conclusiones. Wie denn schon Foxe, Acts und Mon. III, 203
ed. Tovnsend die Darstellung "Walsingham" s so verstanden hat.
1 Walsingham. II. 2 Hi folg.
2 Zwei Handschriften enthalten diese Eingabe : die eine befindet sich
im British Museum zu London Cotton, Cleopatra E. 2 ; die andere,
welche die Quelle der ersteren zu sein scheint, in der Bodl. Bibliothek zu
Oxford. Abgedruckt wurde die Urkunde zuerst von John Foxe , in der
2. lat. Ausgabe seines Werks : Rerinn in ecclesiu gestarum — commentarii,
Basel 1559. f. 7 (i folg. Sodann hat Lewis. History — of John JJ'iclif Ausg.
1S20. p, m ff. , nach ihm Wilkixs , Concilin M. Brit. III. 221 ff. den
Text gegeben, neuerdings Shirley in Ftuiciculi zizaniorum . 360 ff. Die
wichtigsten Sätze geben wir hier im Auszug, und zwar an zweifelhaften
Stellen nach den kritisch besten Lesarten, vorzüglich Shirley folgend.
Conclusi on es Loi lardorum in quodam libello porrectae pleno pur-
/iamento reyis Angliae,
I. Quod, quando ecclesiu Anyliue incepit delirare in temporalitate,
secundum n o v t r c a >n suam magnam eccl es in m r o m u n u m . et eeelesiae
fuerunt unctorizatae per approjtriutioneiti diversis Joris: Jides. spes. eim-
ritas ineeperunt fuyere de eeelesin nostra ; quin sn perl) i tt cum MM dolo-
rosa yenealoyiu mortalinm peccatnrum rindicahat hoc titulo reritatis. — —
II. Quod nostrum usuale s u r e r d o t i u m , quod incejn'r in Rmna, Jietu
potestafe anyelis aftiori . HOn Sst ilhtd sucerdotiu m . quod Christus
ordivavit suis apo s1 \o I % s.
III. Quod It'T c ontin en t i a e injuncUk sacerdotio. quue in praejudirium
Inhalt der Petition an das Parlament.
25
zweifelhaft, da es olme irgend einen Eingang sogleich medium m
rem geht Wahrscheinlich ist die Einleitung weggefallen. Das
mülientm prius fuit ordinata , inducit sodomiam in totam sanetam eccle-
s/aui. — —
IV. Quod fictum miraculum sacrament i panis inducit omnes ho-
mines, nisi sint pauci, in idolatriam — — . Sed vellet Deus, quod ipsi vel-
lent credere, quod Doctor evanyelicus dicit in suo Trialoyo , quod panis
altaris est hubituadter corpus Christi. —
V. Quod exorcismi et benedictiones factae super vinum . panem.
aquam et oleum, sal , ceram et incensum , lapidem altaris et ecclesiae muros.
super vestimentum, mitram, crucem et baculos pereyrinorum, sunt Vera prac-
tica necromantiae potius quam verae theoloyiae. —
VI. Quod rex et episcopus in una persona, praelatus et judex in
temporalihus causis . curatus et fffieialis in mundiali officio facit quodlihet
reynum extra hon um reyimen. Der Beweis hiefür wird durch Christi A\ ort
geführt: »Niemand kann zweien Herren dienen.«
VII. Quod .speciales orationes pro animabus mo r tu or um factae
in ecclesia nostra — est falsum fundamentum eteemosynae.
VIII. Quod pereyrinationes, orationes et oblationes factae caecis cru-
eibus sire rodys. et surdis imagininibus de liyno et lapide , sunt prope
consanyuineae ad idolatriam, et lonffe ab eleemosyna. —
IX. Quod auricular is confessio. quae dicitur tarn necessaria ad
sa'vationem hominis . exaltat stiperbiam sacerdotum , et dat Ulis Opportunitä-
ten! seeretarum sermocinationum. — Et in tempore confessionis est opportu-
num tempus jrrocationum, id est of wowyny, et aliarum seeretarum conven-
tionum ad mortui ia peccata. Dicunt, quod huhent claves coli et inferni,
et possunt exeommunicare et benedicere, ligare et solrere ad voluntatem eorum :
in funtum , quod pro bussello vel 12 denariis volunt vendere benedictionem
cö'i per cartam, et cluusum de warruntia sigillatam sigillo communi.
X. Quod homicidium per bellum rel praetensam legem justitiae pro
temporali causa sine spirituali revelutione , est expresse contrarius Novo
T est umento , quod quidem estJex gratiue et pleno misericordiarum. Beweis:
Christus lehrt die Feinde lieben. Corollarium: Es ist eine Plünderung des
armen Volks, wenn grosse Herren Ablas* für diejenigen auswirken, welche
ihre Kriegsheere unterstützen.
XI. Quod votnm conti n entiae factum in nostru ecclesiu per mutie-
re s, quae sunt fragiles et imperfectue in natura, est causa induetionis muxi-
morum horribilium peccutorum z.B. Kindsmord. Abtreibung der Leibes-
frucht, und unnatürlicher Unzucht .
XII. Quod multitudo urtium non necessuriurum usituturum in nostro
regno ?mtrit muHum peccutum in Wüste, curiositate , et inter disguysyny.
— Videtur nobis , quod aurifabri et urmatores et omnimodae artes non ne-
cessariae homini secundum Apostolum destruerentur pro incremento virtuti.s.
Haec est nostra ambassiata [amhussude, Botschaft, Bittschrift . quam
26
Buch III. Kap. 1. II.
Ganze besteht aus 12 Thesen [Conclusiones , Schlusssätze . nebst
einem kurzen Nachwort. Letzterem folgen noch 6 Verse, Hexa-
meter. Möglich , class diese in der offiziellen Eingabe sich nicht
befanden, und nur den für anderweitige Veröffentlichung be-
stimmten Abschriften beigefügt wurden. Jedem der zwölf Haupt-
satze sind in scholastischer Weise einige Bemerkungen zur Erläu-
terung und Begründung beigegeben. Ausserdem folgt alsdann
allen Thesen, mit einziger Ausnahme der I und VIII ten. ein Co-
rollarium. Streng systematisch geordnet ist die Aufeinanderfolge
keineswegs ; denn logisch müssten III und XI Priester-Cölibat und
Keuschheitsgelübde der Nonnen) , V und VIII Weihen über leblose
Gegenstände und Bilderverehrung) , X und XII Krieg und Kunst-
gewerbe, die dem Luxus dienen, beide Sätze aus dem kirchlichen
Gebiete in das sociale übergreifend) zusammengestellt sein.
Dessen ungeachtet ist nicht zu verkennen ein klarer, in
sich geschlossener Zusammenhang der Ueberzeugungen , welche
hier ausgesprochen sind; die sämmtlichen Sätze fliessen aus
einer Gesinnung , welche auf das Innerliche des religiösen Le-
bens allein Werth legt , und alles Aeusserliche nur nach sei-
nem fördernden oder hemmenden Einfluss auf das Innere be-
urtheilt. Als Kern des Christenthums wird (I) Glaube, Liebe,
Hoffnung hervorgehoben , und alles mit dem sittlichen Maasstabe
gemessen (HL IX — Xü) ; Hochmuth ist die Quelle aller übrigen
Sünden : daher ist alles , was den Hochmuth befördert , an sich
schon verwerflich ( I und IX ) . Eifer für die Ehre Gottes , ernste
Sorge um die Seligkeit, und Abscheu vor der Sünde , kurz auf-
richtige Gottesfurcht spricht aus jedem Wort, und erfüllt den un-
befangenen Leser unwillkührlich mit Achtung vor der Gesinnung
der ungenannten Verfasser ; und wir müssen es den Gegnern
überlassen, wenn sie mit Lingard urtheilen wollen, das Ganze
Christus pruecepit nobis prosequi isto tempore, muxime acceptabili pro muitis
cuusis. Et quumvis istue muteriue sint hic breviter notatue, sunt turnen lar-
giter declurutue in u/io libro, et multae uliue pittres totuliter in nostro
proprio lungugio , quas vellemus ut essent communes toti populo chri-
stUunt. Jiogamus ergo Deum de muximu suu bonitute , quotl re formet
ii o st r um ecclesium totuliter extru J-uncturum ud per fectio nein sut
jjritni initii.
Charakter der Petition.
27
sei weiter nichts »als eine seltsame Mischung von Fanatismus und
Thorheit«. demnach ohne ein Körnchen von Wahrheit 1 . Es ist
ohne weiteres zuzugeben, dass die Verfasser eine starke Sprache
führen, sieh nicht scheuen die Sachen derb anzufassen, und mit-
unter scharfe Schnitte zu thun. Wenn sie die römische Kirche
als die grosse Stiefmutter der englischen bezeichnen (I), wenn
sie Aberglauben kurzweg »Götzendienst« nennen IV und VII .
VOö buhlerischen Verführungskünsten sprechen, welche im Beicht-
stuhl verübt werden IX . und behaupten, dass in Folge des Prie-
stercölibats Sodomiterei in der Christenheit um sich greife III)
und dass das Keuschheitsgelübde in Nonnenklöstern zu Kinder-
mord und unnatürlicher Unzucht führe (XI) : so ist das alles frei-
lich sehr stark, aber in vielen Stücken leider der Wahrheit
entsprechend, wie durch manche Synodalbeschlüsse und ober-
hirtliche Erlasse aus dem XIV. Jahrhundert nachgewiesen wer-
den kann. Ist auch polemische Schärfe und Erregung nicht zu
verkennen . so verdient doch andererseits die Aufrichtigkeit und
Freimüthigkeit alle Achtung, womit die Verfasser z. B. auf Wi-
clif. den »evangelischen Doetor«. als eine von ihnen hochgeach-
tete Autorität sich berufen.
Ferner ist die Denkschrift insofern taktvoll gefasst. als
sie die Dinge keineswegs ausschliessend kirchlich, sondern
überwiegend patriotisch und social anfasst: war doch die
Eingabe an das Parlament gerichtet . sie musste deshalb
einen Ton anschlagen . der in jedem Herzen . das für die
Wohlfahrt des Volkes und die Interessen des Vaterlandes er-
wärmt war . Anklang finden konnte. Dem entspricht auch der
Ausdruck. Zwar die Form von Thesen, Beweisen und Neben-
sätzen sieht scholastisch aus. Aber die Sprache selbst ist nicht
eine gelehrte, sondern eine möglichst populäre, was auch aus der
Einmischung von englischen Worten V. VIII. X. XII sich er-
gibt. In der Schlusserklärung ist bemerkenswerth das Be-
wusstsein . zu dem unternommenen Schritt verpflichtet und durch
Christum angewiesen zu sein : ferner die Bemerkung . dass der
gegenwärtige Augenblick zu diesem Behuf besonders günstig sei :
1 Lingard, Hist. of England, IV. Ml 9.
28
Buch III. Kap. 1. II.
endlich das klar hVs Auge gefasste Ziel einer Reform der Kirche,
im Sinn einer Wiederherstellung des vollkommenen Standes der
Urkirche. Je höher sie sich ihr Ziel stecken, um so mehr Leuchtet
uns das Bekenntniss der Bittsteller ein . dass nur von Gott, nicht
von Menschen, dasjenige verwirklicht werden könne, was sie als
noth wendig erkennen.
Vergleichen wir diese Bittschrift mit den Gesinnungen und
Grundsätzen Wicli f s selbst, so ergibt sich, dass die vorlie-
gende Urkunde allerdings das Gepräge von Wiclif's Geist an
sich trägt. Mehrere wesentliche Züge hat die Petition mit W i -
c 1 i f gemein ; einmal das Zurückgehen auf die heilige Schrift
als die unbedingt maassgebende Auktorität in Sachen des Glau-
bens, des christlichen Lebens, ja selbst in bürgerlichen Dingen ;
sodann den Eifer für die Ehre Gottes : die Bittsteller sind sich
bewusst, vor dem Parlamente Gottes Sache zu vertreten, sie
nennen sich (im Corollarhim zur VI. These) procuratores Dei. An-
wälte der Sache Gottes, was uns lebhaft an die Art erinnert, wie
Wie Ii f sich selbst und seine Gesinnungsgenossen als Vertreter
der causa Dei zu bezeichnen pflegte. Damit hängt zusammen die
lebhafte Rüge wider jede Anbetung eines Geschöpfs , wider allen
»Götzendienst« (IV und VIII). Ferner die Betonung des Sitt-
lichen in der Religion, die grundsätzliche Bekämpfung aller
Vermischung des Weltlichen mit dein Geistlichen . bürgerlicher
und staatlicher Vollmacht mit kirchlichem Dienst, die Feindschaft
wider hierarchisches Wesen. Auch der patriotische Hauch, wei-
cher das Schriftstück durchweht, zeugt von Wiclif's Geist.
Hingegen vermissen wir die maassvolle Besonnenheit Wiclif's
darin, dass Kunstgewerbe wie Goldschmiede. Schwertfegerund
alle Gewerbe . welche nicht die unentbehrlichsten Bedürfnisse
beschaffen sondern irgendwie dem Luxus dienen , verworfen
werden und angeblich aus biblischen Gründen, zur Beförderung
der Tugend beseitigt werden sollen (XII) .
Mit den hier zu Tage tretenden Ansichten der Lollanlen
barmoniren die von Seiten der Gegner aufgesetzten Urkunden
in den Hauptpunkten vollkommen, Der Erzbischof von Canter-
bury charakterisirt die Grundsätze des Wilhelm Swinderby,
und der Bischof von Worcester die Irrlehren dei- Lollanlen ins-
Die Lollarden nach bischöflichen Urkunden.
20
gemein als solche, die den Gesammtbestand der Kirche und die
Kulie des Reichs zu untergraben geeignet seien 1 . Ziehen wir.
wie hillig . die zum Behuf der Abschreckung vorgenommene
[Jebertreibung ab, so bleibt immerhin so viel übrig, dass wir die
Reformbestrebungen der Lollarden als radikale und vielseitige
erkennen ; was mit obigem authentischem Bekenntnis« der Partei
allerdings übereinstimmt. In anderen Fällen hat uns die Hierar-
chie einzelne detaillirte Ansichten von Lollarden . die ihr unter
die Hände gekommen sind, aufbewahrt, z. B. von denen zu Lei-
eester, zu Nottingham, von Johann Beck et zu Padeswick. Von
den ersteren wird behauptet, dass sie über das Abendmahl
anders lehren als die römische Kirche , nämlich so . wie wenn
nach der Einsegnung Christi Leib zugleich mit dem natürlichen
Bröd vorhanden wäre 2 . eine Erklärung . welche ganz mit W i -
clifs Abendmahlslehre sich deckt, und der lutherischen Lehre
sich nähert. Ferner erfahren wir . dass die Lollarden. ganz wie
einst Wiclif selbst, gegen die Verehrung von Bildern und Kreu-
zen . so wie gegen Wallfahrten . mit Wort und That einmüthig
protestirten 1 . Uebereinstimmend sprachen sie sich auch gegen
die unevangelischen Vorrechte des Priester stand es in Be-
ziehung auf Schlüsselgewalt. Verständniss und Verkündigung des
Wortes Gottes aus . behaupteten vielmehr ein Priesterthum aller
wahrhaft guten Christen, sprachen dagegen unsittlichen, in Tod-
sünden befangenen Klerikern die geistlichen Amtsrechte geradezu
ab 4 . Folgerichtig konnte auch das Ertheilen der Priesterweihe
J Wilkix.s. Conc. III, 215: in Subversion em status univ ersalis eccle-
siae, ac simplicium animarwn periculum manifestum. 202: quae statum
tot %us ecclesiae Dei , nostraeque diöcesis et tranquillitatem regni sub-
vertere, et quantum in eis est, enervare nituntur.
2 Quod in sacramento altaris post verba consecrationis remanet simul
corpus Christi cum pane materiali. WlLKINS, III, 20%.
'S A. a. 0. und 225: / Shall neuer more dispise pylgremage , in dem
Widerruf eines Lollarden.
4 Den Lollarden von Leicester wird unter anderem die Ansicht bei-
gelegt: quod papa et praelati ecclesiae non possunt aliquem exeommunica-
tionis sententia ligare. nisi priits sciant eum exeommunicatum a Deo. Item
quod nuilus ecclesiae praelatus potest induig e ntias impertiri. — Quod
qnilibet laictis potest saneta ecang elia ubique praedicare et do-
cere; item quod quilibet bonus homo, licet literaturam nesciat, est sa-
30
Buchlll. Kap. 1. IL
nicht als ein ausschliessliches Vorrecht der Bischöfe anerkannt
werden : die Lollarden betrachteten dasselbe als ein Recht, wel-
ches jedem Priester zustehe. Demnach hat der Bericht, dass
Priester der Lollarden in dem bischöflichen Sprengel von Salis-
bury die Priesterweihe ertheilt hätten, nichts an sich Unwahr-
scheinliches *) .
Es liegt in der Natur der Sache , dass solche aus Inquisi-
tionsakten und bischöflichen Urkunden entnommene Mittheilun-
gen grösstenteils verneinender Art sind und das Bestehende
bekämpfen. Und diese Dinge für sich allein wären natürlich
nicht im Stande gewesen , einer zahlreichen Partei den gediege-
nen inneren Halt und die nachhaltige Begeisterung zu verleihen,
die wir doch laut unzweifelhafter Thatsachen bei ihr voraussetzen
müssen. Um so werthvoller ist alles, was von der Partei selbst
ausgegangen ist und was einen Blick in den positiven Gehalt
ihrer Ueberzeugungen gestattet. Dieser Art ist die vorhin- erör-
terte Bittschrift an das Parlament. Eine fernere Urkunde , und
die reichhaltigste unter allen, besteht aus den Aufzeichnungen
des Lollarden Walter Brüte (Britte) .
Dieser Mann, aus dem Fürstenthum Wales gebürtig und
väterlicher wie mütterlicher Seite der kymrischen Nationalität
angehörig, hatte in Oxford studirt und proniovirt, aber wie es
scheint, niemals eine geistliche Weihe erhalten, er wird stets als
»Laie« bezeichnet. Er schloss sich an Wilhelm Swinderby an.
theilte dessen Arbeiten als Reiseprediger in seiner Heimath Wales
und in der benachbarten Diöcese des Bischofs von Hereford. Als
Swinderby in Untersuchung kam und der Irrlehre beschuldigt
wurde . vertheidigte er dessen Grundsätze so entschieden . dass
man auch auf ihn aufmerksam wurde. Bei dem Bischof von He-
reford gingen von mehreren Seiten zugleich Anzeigen und An-
klagen gegen Walter Brüte ein. In Folge dessen wurde er ver-
c er dos. — AVeiter oben: Quod curatus vel alius presbytcr aliquo crimiiw
irretitus non potest comecrare vel confessiones audire nec aliqua sacramenta
c.cclesiastica ministrare. Eine praktische Consequenz des letzteren Grund-
satzes ist endlich , quod decimae non debent solvi rectoribus vel vicariis,
quamdiu sunt in mortali peccato.
1, s. oben Band II, S. 14, nach Walsingham, II, 188,
Aufzeichnungen von Walter Brüte.
haftet und im Jahr 1391 von dem Bischof Johann Gilbert,
einem gewesenen Dominikaner, mehrfach vernommen. Er reichte
dem Bischof mehrere Erklärungen, Bekenntnisse, Verantwortun-
gen ein. die er eigenhändig niedergeschrieben hatte. Diese hat
Johann Foxe in dem bischöflichen Archive zu Hereford ge-
funden und in seinem grossen Werke vollständig veröffentlicht 1 .
Diese Aufzeichnungen sind zum Theil sehr ausführlich ge-
halten . und zeichnen sich durch Klarheit und reiche Bibelkennt-
niss aus. Viele Gedanken sind ächt wiclifitisch . vor allem das
Hochhalten der heiligen Schrift als der maassgebenden Auktori-
tät 2 : ferner, dass Christus allein als das Haupt der Kirche an-
erkannt wird . der Papst aber nicht 3, . In der Lehre vom Abend-
mahl tritt Brüte in Wiclif's Fusstapfen: er will dem Begriff
von der Wandlung nicht von vorn herein und schlechthin entgegen-
treten, ist vielmehr der Meinung, dass Christus, wenn er wollte,
allerdings machen könnte , dass das Brod , während es Brod
bliebe, zugleich in Wahrheit sein Leib wäre: indessen meint er.
die Schrift führe uns nicht weiter, als dass das Brod »sacranient-
lich. d. h. figürlich, erinnerungsweise« Christi Leib sei4). Es
ergibt sich indessen deutlich, dass Brüte in der Frage von der
Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl entschieden auf die
Seite einer blos symbolischen Gegenwart tritt, welche bei Wi-
1 FOXE, Acts and Monuments ed. Townsend, III, 131 — lsS. In den
ersten lateinischen Ausgaben seines Buches stand die Geschichte von
Walter Brüte noch nicht; erst in den englischen Ausgaben seit 1570 fin-
det sich dieselbe, in der Weise, dass die Erklärungen Brüte' s auszugs-
weise und in englischer Uebersetzung gegeben sind.
2 Sowohl im Eingang als am Schluss seiner Verantwortung Foxe.
III, 13H. 186 erklärt sich der Verf. bereit, jeder Widerlegung sich zu unter-
werfen, falls dieselbe aus der h. Schrift entnommen oder mittels einleuch-
tender Gründe aus der Schrift abgeleitet sei [by the authority of the sacred
Scripture, or by probable reason grounded on the sacred Scrijrture) .
3) A. a. O. 165: The he ad of the body of the church is one, which is
Christ.
4) A. a. 0. 174 f. »Wie Christus sagte : ich bin das wahrhaftige Brod, ohne
dass er sein Wesen in die Substanz des Brodes verwandelte, sondern der-
selbe Christus blieb, der er zuvor war, aber doch Brod war kraft bildlicher
Sprache: so konnte, wenn er sagte: dies ist mein Leib, das Brod bleiben
was es zuvor war, und sacramenia7Iy or memorialty sein Leib sein.«
32
Buch III. Kap. L II.
c Ii f ebenfalls vertreten war, während der Satz: »zugleich wirk-
liches Brod und wirklicher Leib« von Brüte fallen gelassen wird.
Bemerkenswerth ist indessen in der Abendniahlslehre Walter
Brute's, dass er sich auch gegen den Begriff des Messopfers
wendet . und diesen, als schriftwidrig, klar und entschieden zu-
rückweist ^) ; ein Gedanke, welchen Wie lif, meines Wissens,
niemals ausgesprochen hat ; er concentrirte alle seine Kraft der
Kritik auf den Begriff von der Wandlung. — Wenn Walter Brüte
das Institut der Seelenmessen für Geld, aber auch alle magischen
Vorstellungen vom Segnen und Weihen lebhaft bekämpft2 :? wenn
er die römisch-katholische Lehre vom Busssakrament biblisch be-
richtigt, und namentlich betont , dass Beichte vor einem Priester
unter Umständen nützlich sein könne . aber keineswegs zum Heil
schlechthin nothwendig sei 3: : wenn er ohne Rückhalt behauptet,
der Bann von Seiten des Papstes oder irgend eines Priesters, der
unter ihm steht, könne dem davon Betroffenen wenig schaden,
falls dieser nicht zuvor von Gott gebannt sei. der Sünde halber 4 ;
wenn er die Predigt des Worts für die nöthigste und unmittelbar
von Gott gebotene Arbeit des geistlichen Amtes erklärt 5 : so
sehen wir in dem allem den treuen Schüler Wie lif s. Indessen
fehlt es ihm durchaus nicht an Selbständigkeit des Geistes.
Eine Spur davon haben wir bereits entdeckt. Wer die Aufzeich-
nungen im Zusammenhang aufmerksam prüft, wird finden, dass
fleissige Schriftforschung und einheitliches Nachdenken den Ver-
fasser auf einen eigentümlichen Standpunkt geführt hat. Dieser
charakterisirt sich einerseits durch die helle Einsicht in das We-
sen des Evangeliums, gegenüber dem Gesetz, sodann in einer
1) A. a. 0. 1 TS f.; / do not find in the Scriptures of God, — that the
body of Christ owjht to be niade a sacrifice for sin. — — Hit apostJes
did Ute the sinne — for a sacranient , and not for a sacrifice etc. —
That which was ordained for a memorial of the one and onhj sacri-
fice, icas altered — — into the reality of the sacrifice itself.
2) A. a. O. ISO ff.
8] A. a. O. 107. 109 f.
4) A. a. 0. 1S4.
5) A. a. O. IM : Therefore, as it sleneth, priests ought not , at the com-
mandment of man, to leuce the preachinf/ of the tcord of Gfod, to trhich thexj
are bound both by divine and apostoli<fal preeepts.
Die Ansichten Walter Brute's.
:>>:;
gewissen apokalyptischen Richtung. Was das Erste anlangt, so
spricht zwar auch Walter ß rn te . wie jeder Theolop: in seiner
Zeit, wie auch Wielif , von dem »Gesetz Christi ; allein das
hindert ihn nicht, zwischen Gesetz Mosis und Evangelium scharf
und streng zu unterscheiden. »Christus hat sein Gesetz in die
Herzen der .Seinigen geschrieben, denn Christus hat dasjenige
durch Gnade erfüllt, was das Gesetz durch Gerechtigkeit zu
erfüllen nicht vermochte; nicht durch Gesetzeswerke, sondern
durch Gnade rechtfertigt er seine Gläubigen l) .« Demgemass be-
zeugt er, auf Grund der paulinisehen Aussprüche, die Recht-
fertigung durch den Glauben in einer Weise, wie Wiclif
selbst dies niemals gethan hat , während wir die freudige Er-
kenntniss evangelischer Freiheit, wie sie der Schüler besitzt,
doch auch bei dem Meister gefunden haben. Sodann prägt sich
die apokalyptische Richtung des Mannes darin aus , dass
er den Satz : »der Papst ist der Widerchrist«, in einer Weise aus-
führt und begründet, welche ganz auf der Apokalypse des Johan-
nes , in Verbindung mit Visionen eines Daniel und anderer Pro-
pheten des A. T. beruht. Zwar den Gedanken, dass der Papst
ein Widerchrist sei. hat Wiclif selbst, allerdings erst in den
letzten 4 Jahren seines Lebens gefasst; das ist bei Brüte kei-
neswegs etwas Neues, mm Eigentümliches. Auch apokalyp-
tische Farben hat schon Wiclif vielfach in Anwendung ge-
bracht. Dessen ungeachtet ist Walter Brüte in diesem Stücke
eigentümlich. In dem ersten kürzeren Schriftstück, zu wel-
chem das nachfolgende eine begründende und vertheidigende
Darlegung darstellt, stellt Brüte den Grundsatz, der Papst sei
der Widerchrist, nicht kategorisch auf, sondern nur hypothetisch :
Wenn der römische Bischof viele Gesetze gibt und handhabt,
welche dem Evangelium Christi zuwiderlaufen, dann ist er einer
1) A. a. O. 147 : The law of Christ ist charity. — 149: The law is
yiven by Moses, and the fruth by Christ. 150: Christ did not, by the
works of the lau-, justify the be tecers in htm, but by yrjxce justi-
fied them from tJwir suis. And so did Christ fulfil that by yrace, which
the law cou d not by justice. 173: By thefaith which we haue in Christ,
beliecing htm to be the true son of f'od who came down from heaven to
redeem us from sin, we are justified from sin.
Lechler, Wiclif. II. 3
34
Buch III. Kap. 1. II.
von denen . welche in Christi Namen gekommen sind und gesagt
haben : ich bin Christus ; dann ist er der Greuel der Verwüstung im
Tempel Gottes. Wenn die Stadt Rom seine Traditionen anerkennt,
aber Christi Lehre und Gebote nicht gelten lässt, dann ist sie »die
grosse Babylon«, deren Zerstörung geweissagt ist und bevor-
steht l) . Hingegen in der ausführlichen Denkschrift geht der
Verfasser kühner zu Werke, und spricht geradezu aus. die Päpste
sprechen , sie seien Christi beste Freunde ; sie stellen aber Ge-
setze auf, welche dem Evangelium Christi zuwider sind; dann
sind sie die vornehmsten Widerchristen. Denn Christi Gesetz ist
Liebe. Aber der Bischof zu Rom billigt und erlaubt Kriege und
Menschenmetzelei in Kriegen , sowohl gegen unsere Feinde . die
Ungläubigen, als auch gegen Christen, um zeitlicher Güter willen.
Diese Dinge sind der Lehre Christi, der Liebe und dem Frieden,
vollständig zuwider 2) . Christus hat uns durch Erbarmung von
Sünden gereinigt, wovon wir durch die Gerechtigkeit des Ge-
setzes nicht rein werden konnten: und die er durch Erbarmen
gereinigt hat, sind verpflichtet gleichfalls barmherzig zu sein.
Allein der Bischof von Rom gibt, im Widerspruch zu dieser Lehre
vom Erbarmen, Gesetze, welche die Uebertreter bis zum Tode
strafen. Man beruft sich dafür auf das alte Testament. Ich muss
mich höchlich darüber wundern, dass so weise Männer, ab
Gesetzgeber, zur Begründung immer nach dem Schatten des
Gesetzes blicken und nicht nach dem Licht des Evangeliums
Christi3;. Hier geht Walter Brüte zu einer für jene Zeit höchst
merkwürdigen Erörterung, die Todesstrafe anbelangend, über.
Er zieht aus der Parabel vom Weizen und Unkraut die Folge-
rung, Christus wolle, dass man den Sündern Erbarmen erweise
bis zu der Welt Ende: wenn einer ein noch so grosser Sünder
sei, so wissen wir doch nicht, ob er nicht am Ende Erbarmen
bei Gott finden werde. »Und wenn Gott einen Menschen aus
Gnade rechtfertigt , sei's auch erst au seinem Ende, wie kannst
du dir herausnehmen ihn zu richten und zu verdammen 1 ? Bei
1) Johann Foxe, III, 138 ff., vgl. 147.
2) a. a. O. 168.
3) a. a. (). 1S9 ff.
4) a. a. 0. 162.
Der Gedankenkreis der Lollarden.
35
Besprechung der Schlüsselgewalt des Papstes kommt er auf den
Punkt von der Lieblosigkeit und Erbarmungslosigkeit desselben
zurück. »Stünde er in der Liebe und hätte solche Gewalt wie er
sie sich anmasst, so würde er Niemand der Sünden wegen im
Fegefeuer liegen lassen J) .« Dass aber der Papst der Widerchrist
und Rom das Thier der Apokalypse sei, malt der Mann mit
lauter Zügen aus den Propheten des A. Bundes und mit Farben
aus der Apokalypse des N. Bundes aus. Es geht ein düsterer
Zug schwermüthiger Stimmung durch das Ganze hindurch. Viel*
leicht hängt das mit der Nationalität des Verfassers zusammen.
Fühlt er sich doch als ein ganzer Kymre. Er hebt mit einem
gewissen Stolz hervor , dass die alten Britten sowohl an Körper-
kraft als an Glaubensstärke die mächtigsten unter allen Heiden
gewesen seien. Er legt einen grossen Werth darauf, dass das
Evangelium direkt von Osten aus nach Britannien gekommen sei.
nicht über Rom und Italien , und dass die Britten kraft einer be-
sonderen Gnadenwahl Gottes bekehrt worden seien -u. s. w.2).
Zur Erkenntniss der Gedanken und Stimmungen, welche in-
mitten der Lollarden walteten, dient auch eine Dichtung, welche
ganz das Gepräge der Lollarden an sich trägt. Dieselbe ist
sicher um diese Zeit verfasst, und führt in den Drucken aus dem
XVI. Jahrhundert den Titel : »Des Ackermanns Erzählung«
( The FlowmarCs Tale) . Das Gedicht wurde nämlich geraume Zeit
als ein Werk Gottfried Chaucer's betrachtet und als integriren-
der Theil der Canterhury Tales mit seinen Dichtungen abgedruckt.
Ausgemacht ist jedoch, dass die »Erzählung des Ackermanns« in
keinem Fall Chaucer angehört. Denn dieser Zeitgenosse Wi-
clif ' s, und nächst ihm hochverdient um die Ausbildung und Berei-
cherung der englischen Sprache (geb. um 1330, f 1400), hat zwar
den französischen Roman de laRose'^ übersetzt, und in seinen eige-
nen Canterhury tales, welche dem Decamero?ie Boccaccio 's nachge-
1) a. a. 0. 171.
2 a. a. O. 136 beschreibt er im Eingang seines Bekenntnisses sich
selbst als a Christian of the Britons, having my Offspring of the Brilons,
both by my father's and mother's siele, vgl. 144. 142. ff.
3) Vgl. oben I. Band. Buch I. Kap. 1. VII.
3*
36
Buch III. Kap. t. II.
bildet sind, auch die kirchlichen Schäden gegeisselt. Allein daraus
lässt sich noch keineswegs folgern , dass er ein Geistesverwandter
und Anhänger Wiclif's gewesen sei, wie dies Lewis angenom-
men hat1). Denn es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen der
weltlichen Bildung, dem lustigen Humor, dem leichtfertigen, oft fri-
volen und frechen Ton des Dichters, und dem zarten Gefühl, dem
sittlichen Ernst und der christlichen Frömmigkeit Wiclif s und
seiner Geistesgenossen. Dagegen ist »des Ackermanns Erzählung«
ohne Zweifel eine Nachbildung der ungefähr 40 Jahre älteren Dich-
tung »Gesichte Peters des Ackermanns«2]. Die »Gesichte
des Ackermanns« waren in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhun-
derts so beliebt, dass von Zeit zu Zeit populäre Dichtungen, welche
auf Hebung der Schäden des kirchlichen Wesens und auf Reform
hinarbeiteten, unter ähnlichem Titel erschienen. So Piene tke
Plowman's Creed, »des Ackermanns Glaube« 3) ; der Vorwurf ist.
dass ein Wahrheit suchender Mann bei den vier Bettelorden der
Reihe nach berumkommt, aber sich durch die eigene Anschauung
der Ueppigkeit in ihren Klöstern und der Sittenlosigkcit ihres
Wandels für immer abgestossen fühlt : endlich trifft er mit einem
Ackersmann plovman zusammen , der ihn in die evangelische
Wahrheit einführt. Zu diesen Nachahmungen der »Gesichte des
1) s. Band I. Buch I. Kap. 2. VI. Die »Erzählung des Ackermanns«
erregte im XVI. Jahrhundert viel Interesse und wurde in den ältesten Aus-
gaben von Chaucer's Dichtungen stets mit abgedruckt. Diese Ausgaben
sind, in Ermanglung von Handschriften, die einzigen, freilich in sprachlicher
Beziehung ungenügenden Quellen für den Text. Thomas Wrigiit hat in
seinen Political Poems and sot/f/s , relaHny to EntjUsh llistorij, W>U, 1, ;>0l
bis 346 die Dichtung wieder gegeben.
2) Erstmals London 1533 gedruckt; von Th mas Wright, Lond. Is-">(i
herausgegeben, Bemerkenswerth ist, dass wir Vs. 305 eine Anspielung auf
Walter Brüte und die gegen ihn ergriffenen Maassregeln antreffen :
Byhoidt uvqn Walte? Brut,
whom bisitiche the pwitteaen,
for he seid //c/)i the sollte.
Da die bischöfliche Inquisition nicht früher als 1391 mit Brüte zu thun
hatte, so dient diese Stelle als ein Anhalt zur Bestimmung der Ab assungs-
zeit; diese kann nicht truher als 1392 oder 1393 angesetzt werden; Wohl
aber einige Jahre später.
3 Lund. 1 ~>.">;t gedruckt. Proben daraus bei Lewis, llisl. >>/ Wie //',
S. 344 f. Beste Ausgabe von Pickering, Lv.nd. Iböti.
„Des Ackermanns Erzählung."
g7
Ackermanns« gehört nun auch The Pfowman's Tale von einem
unbekannten Verfasser 1 .
Die »Erzählung* des Ackermanns« oder (wie Wright will) »des
Ackermanns Klage« zerfällt in drei Tbeile und stellt den Gegensatz
zwischen den Kömisch-Gesinnten und den Lollarden in Form einer
Thierlabel dar: der Verfasser sagt selbst in der Schlussstrophe:
»doch als eine Fabel mögt ihr's nehmen« 2) . Denn das Ganze ist ein-
gekleidet in ein Gespräch zwischen einem Pelikan und einem Greif,
(bis der Erzähler in einem Gehölze zu hören Gelegenheit gehabt
hat. Der Eingang spricht ohne Allegorie einfach aus. es sei ein
Streit im (Tange, einerseits zwischen Päpsten. Cardinälen. Prä-
laten. Pfarrern und Mönchen, besitzenden und Bettelmönchen,
welche Petri Nachfolger sind und Thürhüter des Himmels und der
Hölle, und andererseits gewissen armen blassen geringgeschätzten
Leuten, die man nur »Loller und landlos« nenne 3 . Um zu er-
fahren, welcher Theil »der falschere« sei, habe er der Ackers-
mann viele Länder durchreis t, aber umsonst: endlich sei er in
einen Wald gekommen . wo er zwei Vögel gesehen und ihrem
Gespräch zugehört habe: der eine war ein mächtiger Greif, der
andere ein demüthiger Pelikan : jener führte die Sache des Papstes.
1 Der Verfasser legt dem Ackersmann die Worte in den Mund :
Of f r eres 1 have told before
in a rriüking of a crede.
Dies bezieht sich unstreitig auf die so eben erwähnte satirische Dichtung,
denn diese hat nicht blos den Titel »Glaube, Glaubensbekenntnisse [Credo,
engl. Creed, sondern handelt auch in der Hauptsache nur von den Bettel-
mönchen. Somit liegt darin ein Selbstzeugniss über die Identität des Ver-
fassers beider Dichtungen. Und da der »Glaube« bereits geschrieben und
im Umlaut war. so bestimmt sich hiemit auch die Abfassungszeit der PIow-
man's Tale: sie kann nicht vor dem Jahr 1394 erschienen sein. Anderer-
seits steht fest, dass die Dichtung nicht später als 1399 entstanden sein
kann , weil sonst die blutigen Hinrichtungen von Lollarden des übrigen
Inhalts und Zusammenhangs wegen unmöglich mit Stillschweigen übergan-
gen sein könnten. Thomas "Wright hat dem Ganzen eine sachlich bezeich-
nendere Titel-Ueberschrift geben wollen, in dem Titel: The Complaint of
the P oughman.
2 But as a fable take it ye moice, p. 346, in Wright' s Pol. Poems
and Songs, Vol. I.
3) a. a. O. p. 305 lollers and londlese (Lollards — Landless).
38
Buch III. Kap. 1. II.
dieser sprach für die Lollarden. Die Figur des Pelikans ist ge-
wählt (das erfahren wir am Schlüsse) , weil er seine Jungen mit
dem eigenen Blute nährt, wie Christus für die Seinen am Kreuze
starb, während der Greif ein stolzer mächtiger Räuber, ein Feind
unter der Miene eines Freundes ist l) . Der Pelikan »predigt« von
Barmherzigkeit und Demuth. Wie Christus der Demüthigste ge-
wesen und die Demüthigen und Barmherzigen gesegnet hat, so
sollen auch Priester, die Nachfolger Petri, demüthig sein, nicht
irdische Ehren und Kronen, nicht stolze Mäntel noch grosse Geld-
kassen haben; sie aber sitzen hoch zu Ross im Prachtgewand,
glitzernd im Goldschmuck, trotz einem Ritter; sie wollen dem
Könige gleich stehen (als Pairs des Reichs, kingspeeres), sie wollen
höher als der Kaiser sein, sie drücken die Armen, füllen sich
selbst mit Wein und Bier , während sie das Volk abspeisen mit
einer ärmlichen Geschichte, oder von Zehnten und Opfern spre-
chen, anstatt das Evangelium recht zu predigen2). Sie verkaufen
1) Der Dichter verwendet das heidnische Fabelthier, den Pelekan oder
Pelikan, in einem Sinne , wie er mindestens seit dem VI. Jahrhundert in
der Kirche als Sinnbild des Opfertodes Christi gebräuchlich geworden ist ;
s. Merz, Sinnbilder, in Herzog's Thecl. Real-Encyklopädie, XIV, 417 +>.
In der mittelalterlichen Poesie finden wir den Pelikan als stehendes Sinn-
bild; z. B. in einem Abendmahlsliede, welches dem Thomas von Aquino
beigelegt wird, Adoro te devote, lautet die vorletzte Strophe :
Pie pellicane , Jesu domine,
me immundum mundo, tuo sanguine}
cujus una stilla salvum facere
totum mundum quit ab omni scelere.
s. Daniel, Thesaurus hynuioloyicus I, lSt>2, 248 f. Auch die mittelhoch-
deutsche Poesie bietet Beispiele genug dar, z. B.
Ein vogel heizet pellikanus,
der ziuhet sine jungen sus :
sin herzbluot er in git
ezzen unz er tot gelit.
Der selbe vogel gelichtet ist
üf den gnanligen Krist,
der ouch den bittern tot leit
durch siniu kint, die kristenheit.
Vridankes bescheidenheit, herausgegeben von W. Grimm, 14").
2; And telleth the people a Ivaud täte, Wright, .'i<>7 , vgl. 318:-
and preachen of tithes and offrend,
and untruly of the yospel ta/ke.
»Des Ackermanns Erzählung.«
39
Himmel und Hölle um Geld, und verfluchen den, welcher die
Wahrheit über sie sagt; darum sind sie offenbar Antichrisfs
Diener, obgleich man sie Christi Diener nennt *) . Der Dichter rügt
die Entartung des Klerus, die Verkehrtheiten der Geistlichen in
allen Abstufungen der Hierarchie, vom Papst an, welcher »ver-
ehrt sein will in Wort und That, dass Könige vor ihm knien und
ihm den Fuss küssen müssen«; ihn nennt man sanctissimus1 wäh-
rend sie Christum nur sanctus Deus nennen 2 . Die B i s c h ö f e
werden vom Papst »um irdischen Dankes willen, nicht Christi
wegen« ernannt; sie werden geschildert als Männer, welche fett
und stark sind, aber nicht einmal ihr Credo sagen und das Evan-
gelium lesen können: sie gehen nicht durch die Thüre in den
Schafstall ein: sie arbeiten nicht, um ihren Schafen zu helfen,
werfen wohl weite Netze aus, aber nicht um damit Seelen zu
fangen, sondern Silber und Gold3;. Sodann kommen die Welt -
geistlichen und die Mönche an die Reihe. Ueber jene wird ge-
klagt : » Sie plappern ihre Frühmessen her wie eine Elster, und
verstehen nichts davon ; sie gehen auf die Jagd mit Hunden und
unter Jagdgeschrei ; die Heiligenbilder in Kirchen müssen ihnen
zum Erwerbe dienen: sie machen ihre Taschen weit, aber das
heilige Evangelium verstecken sie4 .« Der Mönche (von den
tiesitzenden Orden) Leben ist nicht gottselig, wie St. Benedict es
gewollt, sie führen ein Leben wie die Herren, ihre Väter müssen
Hunger leiden, dürsten und frieren und hart arbeiten um's Brod:
sie selbst haben verlassen und verleugnet um Christi willen und
1) Christes ministres clepen [called) they beene, —
hut Antichrist they serven clene. Wright 309.
2) a. a. O. 310.
3} They laieth out her large nettes,
for to take süver and gold;
fillen coffers and sackes fettes,
there as they soules catch shold.
S. 317.
4; a. a. O. 325 ff. :
New been jmstes pockes so teide,
that men mmt enlarge the vestiment,
the holy gospell they doen hide. 332.
40
Buch III. Kap. 1. II.
des heil. Benedicts wegen . nun haben sie's bequem und flott 1 .
Und zu alle dem kommt die schlimmste Heuchelei :
Sie üben keine Simonie.
aber verkaufen Kirchen und Priorate, —
sie weihen in jeder Grafschaft,
aber die Priester bezahlen das Pergament ; —
sie üben keine Gehässigkeit,
aber verfluchen alle, die ihnen zuwider sind;
einige leben nicht in Wollust,
aber sie laufen Dirnen, AYitttven und Frauen nach!2
Allen diesen Rügen und satirischen Schilderungen liegt aber
eine sehr positive, auf Gottes Wort fussende Ueberzeugung und
bewusstes Streben nach einem klaren Ziele zu Grunde. Der Greif
erwiedert einmal : »Soll denn die heilige Kirche kein Haupt haben ?
Wer soll sie regieren, wer sie schützen? Und wenn der Papst ganz
arm wäre, bedürftig und ohne Hab und Gut, dann würde man ihn
treiben von Thür zu Thür, die Gottlosen würden sich vor ihm
nicht fürchten, eines solchen Hauptes würden die Menschen bald
satt sein, und in Sünden leben, wie sie's gelüstete«: da ruft der
Pelikan laut aus :
Ach! warum sagst du so?
Christus ist unser Haupt, der hoch thront,
andere Häupter sollten wir nicht haben, —
alle andern Meister sind schlimm und falsch!13)
Alles wird stets mit dem Maasse des Evangeliums, der Gebote
und Einsetzungen Christi gemessen; die geistlich Armen und die
Demüthigen preiset Christus selig: Arme hat Christus ausgesaudt
zu predigen, die königliehen Reichen nicht: jetzt darf kein Armer
die Leute lehren, denn der Widerchrist ist ihnen feind4 . Ferner
Jesus hat dem Petrus befohlen seine Schafe zu weiden; das
Schwert hat er ihm untersagt, denn das ist kein Werkzeug /.um
Weiden. Jetzt aber folgen sie dem Petrus in dem nach, was ihm
l a. a. (). 33fr.
2) a. a. (). 311 f.
.'{) Christ is nur heud, that sittctli oti lue [high),
Iwads nc oufflit tre httvc i/o mo —
all (tfher maslers htm irickcd and f als. 337,
4] a. a. O. 330.
Wiclif sehe Züge in »des Ackermanns Erzählung.«
II
verboten war und worin er gefehlt hat, sie greifen zum Schwert :
ja sie folgen der Regel des Judas, der den Beutel getragen und
gestohlen hat1).
Dass Gottes Wort dem Gebot des Papstes nachgesetzt, dass
das heilige Evangelium verheimlicht werde, ist die sich stets
wiederholende bitterste Klage :
Auf des Papstes Geheiss achten sie mehr,
als darauf, Christi Gebot zu halten. —
Gottes Gesetz verachten sie, —
und Gottes Wort drehen und verstecken sie - .
Nächst dieser acht Wiclif sehen Erhebung des Wortes
Gottes über alles Menschengebot, sei es auch päpstliches Geheiss,
nächst der Forderung apostolischer Armuth und Demuth (wir
erinnern an die ethische Grundidee Wiclif 's. die Demuth.
mecJaicss . fallen uns die unterscheidenden Züge wiclifitischer
Lehre in die Augen, namentlich in der Ansicht vom heil. Abend-
mahl3), und in dem Protest gegen Bilderverehrung und Wall-
fahrten, wogegen thätige erbarmende Liebe gegen arme Christen
empfohlen wird, anstatt der Opfer vor Bildern, die nur Stock und
Stein sind. Besondere Erwähnung verdient endlich ein Zug
patriotischer Gesinnung, welcher sich in dem Unmuth darüber
zeigt, dass in England die Hierarchie derzeit mehr vermöge, als
der König und alle seine Gesetze : das sei in früheren Tagen nicht
1) a. a. O. 321 f.
2) To pop es liest es such iaketh more hede (heed)
theuv to keep Ch r ist's eo m m a u n d e m ent (309) . —
These new points ben papall ,
and all GocVs lawe they dispise '314). —
The holy gospell they doen lüde (332 . —
They serce God in false habite,
and tournen mckenesse into pride, —
and Goddes Wördes tourne and lüde (340).
3) On our Lords body I doe not lie, —
his flesh and blood tkrough Iiis misterie [mystery
is thei%e in the forme ofbrede (bread).
Hoic it is there, it netidestih not strive,
ivhether it be subget or accident;
but as Christ was, when he was on live,
so is he there v er am ent (341). '
42
Buch III. Kap. 1. II.
so gewesen l) . Hieher gehört ferner die Klage, dass die Bischöfe
und Klöster grösseren Grundbesitz und mehr Herrschaften inne
haben, als die Lords des Reichs 2) . Daher der Aufruf an König,
Lords und Parlament, einzuschreiten und das Volk aus seiner
Knechtschaft zu erlösen, welche härter sei, als der König wisse 3) .
Eine Aufforderung, welche lebhaft an die Petition der Lollarden
vom Jahr 1395 erinnert.
Gegen den Schluss, da der Greif in grimmigem Zorn weg-
fliegt, weint der Pelikan, und sagt zu sich selbst: »Wollte Gott,
dass eines von Christi Schaf lein zugehört und auf jedes Wort ge-
achtet hätte, das hier gesprochen worden, und es niederschriebe
und wohl behielte !« Da antwortet der Ackersmann, er wolle das
thun ! Inzwischen kommt der Greif zurück, mit einem Flug Raben.
Krähen, Geier, Käuzchen und dergleichen Gevögel. Und nun
muss der Pelikan fliehen. Aber zuletzt kommt auch er wieder, in
Begleitung des starken Phönix, schlägt den Greifen und alle seine
Vögel in die Flucht, verfolgt sie und schmettert sie zu Boden ohne
Erbarmen 4) .
Indessen klingen die letzten Strophen des Dichters höchst
vorsichtig, ja ängstlich und bange : er bittet, falls etwas an seiner
Dichtung misfallen sollte, den Pelikan zu tadeln, und nicht ihn
selbst; schliesslich beugt er sich vor der »heiligen Kirche«5).
1) These han more might in England here,
than hath the kiny and all his lawe; —
it was not so by eider dawe (323).
2) p. 324.
3) Der zweite Theil der Dichtung schliesst mit dem Wunsche : the king
and /ordes now this aniende! Und kurz vorher ist gesagt, p. 324 :
Wbnder is, that the parliament
and all the lords of this lond
hereto taken so little entent,
to heljte the ])eople out of her hond.
For they hen hardes i)i their hond,
worse heat and bitter brend,
than to the kiny is understoud.
Ood htm helpe this to amend!
4) p. 343 ff.
5) p. 345 f. Ueber die Form der Dichtung hier nur so viel: es sind
;tchtzeilige Strophen; je die letzte Zeile bildet einen Kefrain, welcher je in
Bischöfliches Einschreiten gegen die Lollarden.
13
III.
Der Verfasser dieser merkwürdigen, von evangelischem Frei-
muth zeugenden Dichtung musste wohl wissen, warum er am
Ende den Schritt so zurückzog. Wir haben eben diese Lage noch
eigens in's Auge zu fassen, nämlich die Stellung, welche die
Hierarchie, die Staatsregierung und die öffentliche Meinung, den
Lollarden gegenüber, einnahm.
Der Chronist von St. Albans klagt einmal, dass die Bischöfe,
ungeachtet sie von den Umtrieben der »Ketzer« wissen (denn sie
sehen und hören dieselben), dennoch nichts thun, sondern hin-
gehen, der eine auf sein Landgut, der andere zu seiner Han-
tierung nach Matth. 22, 5) ; nur der Bischof von Norwich allein
Heinrich Spencer, der Führer des Kreuzzugs von 1383) habe
den Lollarden bei Lebensstrafe verboten, in seinem Sprengel zu
predigen l) . Indessen liegen doch verschiedene Belege bischöf-
lichen Einschreitens in einer Reihe amtlicher Urkunden vor. Der
Bischof von Worcester (Wigornia), Heinrich von Wakefield,
erliess 1389 ein Mandat, worin er sowohl den Klöstern als der
gesammten Pfarrgeistlichkeit seines Sprengeis nachdrücklich
untersagte, irgend einen Lollarden in der Kirche, auf dem Kirch-
hof, oder auch an einem ungeweihten Orte der Parochie predigen
zu lassen ; der Bischof berief sich hiebei auf das Verfahren des
Erzbischofs gegen Wiclif im Jahr 1 381 2) . Der Erzbischof selbst,
Wilhelm Courtnay , fuhr nach Wiclif 's Tode fort wie vor dem-
selben gegen die Anhänger Wiclif 's einzuschreiten. Bei seiner
oberhirtlichen Kirchenvisitation im Bisthum Lincoln, ebenfalls im
Jahre 1389, brachte er in Erfahrung, dass mehrere Einwohner
einem Theil sich meist gleich bleibt. Im übrigen ist die Bemerkung des
Herausgebers der Vision of Pierce Ploughman, 2. Ausg. 1S50, Picke ring,
Introduction , p. XXVI sq. , dass Plowman's Tale gereimt , und nicht mit
Stabreim versehen sei, nur halb wahr; gereimt ist die Dichtung durchweg,
aber auch der Stabreim ist derselben keineswegs fremd . nur ist derselbe
nicht regelmässig durchgeführt; am meisten findet er sich im I. Theil, die
Kraft dazu scheint dem Dichter allmählich erlahmt zu sein.
1) Walsingham, Hist. anglicana, ed. Kiley, II. 188 f. zum Jahr 1389.
2) Wilkins, Concilia 31. Brit. III, 202 f.
44
Buch III. Kap. i. III.
der Stadt Leicester Wiclifiten seien. Er Hess dieselben vorladen ;
als sie aber sieh zu verbergen wussten. that er sie feierliehst in
den Bann : ja er belegte die ganze Stadt auf so lange mit dem
Interdikt, bis die Anhänger der »Irrlehre ■ Busse gethan und Ab-
solution erhalten haben würden. In Folge dessen stellten sieh in
der That einige von diesen Leuten. Wilhelm Smith. Roger
Dexter und dessen Ehefrau Alice, vor dem Erzbischof. und
schworen die Irrlehre, deren sie sich schuldig bekannten, ab.
Hierauf wurde ihnen Vergebung und Wiederaufnahme zugesichert,
sobald sie in einer Kirche ihrer Vaterstadt nach der genau vorge-
zeichneten Form würden öffentlich Busse gethan haben 1 .
Welcher Werth übrigens auf solche erzwungene Absage zu
legen war. lässt sich aus dem Umstand abnehmen, dass. wie Erz-
bischof Courtnay ein paar Jahre später, in einer an die Geistlich-
keit der Sprengel St. David s und Llandaff in Wales gerichteten
Warnung vom Mai 1391 sagt 2 . — der » angebliche Priester« Wil-
helm S winde rby. vor dem eben gewarnt wird, ungeachtet er
vor dem Bischof von Lincoln seine Irrlehre widerrufen hatte, nach
der Hand doch wieder in dem gleichen Geist gepredigt hat. Es
scheint, der Mann hielt sich durch den ihm abgenöthigten Wider-
ruf in seinem Gewissen nicht für gebunden, und setzte seine
Thätigkeit. falls sie in einem Sprengel mit Gewalt verhindert
wurde, in einem anderen Bezirke fort. Aus Veranlassung des
zweiten Einschreitens gegen S winde rby zog Bischof Wake-
field von Hereford auch den Freund und Mitarbeiter desselben.
Walter Brüte, im Jahre 1391 in Untersuchung. Bei dieser Ge-
legenheit reichte der Angeschuldigte diejenigen Verantwortungs-
schriften und Bekenntnisse ein, über welche wir oben Bericht er-
stattet haben. Die Untersuchung dauerte Jahr und Tag. bis
Walter Brüte 1393 sich »dem Urtheil der heiligen Kirche«, den
Beschlüssen der allgemeinen Concilien. der Lehre der vier grossen
Kirchenväter, und der Zurechtweisung des Bischofs' unterwarf,
und die schriftliche Urkunde darüber vor einer ansehnlichen Ver-
sammlung auf dem Kirchhof der Kathedrale zu Hereford öffentlich
1 a. a. (). 2in f.
I a. a. O. 215.
Höhepunkt des Lollardenthums 1395.
15
vorlas. Hierauf scheint er allerdings begnadigt und auf freiem
Fusse entlassen worden zu sein 1 .
Alle diese Maassregeln wirkten offenbar nur als vereinzelte
Dämpfer. Im Ganzen und Grossen konnte durch dieselben die
immer noch steigende Fluth des Lollardenthums, sein massen-
haftes Anwachsen und kühnes Vorgehen nicht aufgehalten wer-
den. Das Jahr 1395 bildet in dieser Hinsicht den Höhepunkt. In
diesem Jahre wagten die Lollarden den kühnen Schritt, mit einem
offenen Bekenntniss hervorzutreten, und sich mit einem unver-
holenen Reformgesuch an das Parlament zu wenden. Ist es zu
verwundern, dass die Hierarchie dadurch aufgeschreckt wurde,
und sieh aufmachte, um die Gefahr zu beschwören? Bezeichnend
ist indess, dass die Geistlichkeit ihre Hoffnung von Anfang an auf
die Regierung setzte. Die Convocation, d. h. die zugleich mit
dem Parlament zusammentretende Synode der englischen Kirche,
aus Prälaten und Vertretern der niederen Geistlichkeit bestehend,
überreichte am 17. Februar 1395 den Erzbischöfen von Canterbury
und York eine Bittschrift, welche dahin ging: sie möchten zur
Aufrechthaltung der Rechtgläubigkeit und zur Ueberwindung der
Ketzerei, welche durch die treulose Lollardensekte in England
nur allzusehr verbreitet werde, dem König dringliche Vorstel-
lungen machen, dass er den Arm seiner königlichen Herrlichkeit
gegen die Treulosen kräftig ausstrecke , damit sie nicht durch
langes Zusehen erstarken und zu einer Menge anwachsen, der zu
widerstehen mit der Zeit immer schwerer werden dürfte2).
Das Jahr 1395 bildete sichtlich einen Wendepunkt. Von da
an hat die Partei der Römischgesinnten durchgreifende Maass-
regeln gegen die Reformpartei angestrebt. Allein die Erreichung
dieses Zwecks war durch zwrei Ereignisse bedingt : die Erhebung
eines energischen und schonungslosen Gegners der Lollarden auf
1) Johann Foxe, Acts and Monuments, III, 187 f.
2 WlLKINS, Co/tri ia M. Brit. III, 223. Der Herausgeber datirt zwar
diese Convocation in das Jahr 1394, aber auch die Petition der Lollarden
setzt er in dieses Jahr. Ist aber letztere Eingabe dem folgenden Jahr zuzu-
weisen, so ist das mit dem Antrag der Convocation der gleiche Fall, denn
letzterer war gewiss durch den von den Lollarden unternommenen Schritt
veranlasst.
46
Buch III. Kap. 1. III.
den erzbischöf liehen Stahl von Canterbury, und die Erhebung-
einer neuen Dynastie auf den Thron von England.
Der bisherige Erzbischöf, Wilhelm Cour tnay, hatte es zwar
während einer 1 5 jährigen Amtsführung als Primas nicht an Thä-
tigkeit gegen die Anhänger Wiclif's fehlen lassen. Als er am
31. Juli 1396 starb, hat der Bischof von Exeter, Edmund von
Stafford, in einem Mandat, worin er Seelenmessen für den ver-
ewigten Primas anordnete, unter anderem auch das als Verdienst
desselben gerühmt, dass er die von dem bösen Feind ausgesäeten
Irrlehren in seiner Kirchenprovinz so scharf nachspürend ausge-
jätet habe *) . Und er hatte von seinem Standpunkt aus nicht Un-
recht. Allein Courtnay's Nachfolger wurde noch im Laufe des
Jahres 1396 der bisherige Erzbischöf von York, Thomas, aus
dem Geschlechte der Grafen von Arundel. Und der war im
Punkte der Verfolgung wider die Lollarden doch noch ein ganz
anderer Mann. Seine erste Amtshandlung als Erzbischöf von
Canterbury war die Veranstaltung einer Provincialsynode, im
Februar 1397, welche nächst der Frage über das Aufsichtsrecht,
welches dem Erzbischöf gegenüber der Universität Oxford zustehe,
auch mit der Lehre Wiclif's zu thun bekam, und zwar zunächst
insofern, als diese auf der genannten Universität immer noch Ver-
treter fand. Es wurden von einigen gelehrten Mitgliedern der
Universität 1 8 Artikel aus W i c 1 i f ' s T r i a 1 o g u s und dem Supple-
ment dazu vorgelegt, welche theils als irrthümlich, theils als
häretisch bezeichnet waren , und worüber ein Urtheil der Synode
gewünscht wurde, weil thatsächlich einige Theologen und Magister
der freien Künste an der Universität diese Lehren vortragen und
vertheidigen 2; . In den vorhandenen Akten findet sich zwar nichts
über den Beschluss, welchen die Provincialsynode darüber gefassl
1) Wilkins III, 220. Der Bischof sagt in dem Erlass von seinem ver-
storbenen Primas, er habe Anderen ein Vorbild guter Werke gegeben, na-
mentlich error es et haereses in procincia Cantuariensi, iuimico (jeneris hnmani
2>rocurante, pullulantes saf/aciter exstirpando.
2) Wilkins, III, 227—230. Der Herausgeber nennt das Jahr 1390;
da aber das Provincialconcil am 19. Februar zusammengetreten, und
Courtnay erst am 31. Juli 1300 gestorben ist, so muss das Jahr 13!»T
angenommen werden.
Erzbischof Arundel lässt Sätze von Wiclif verurtheilen.
17
habe. Dessen ungeachtet ist nicht zu zweifeln, dass ein ver-
dammendes Urtheil über die fraglichen Sätze gefällt worden ist 1 .
Die Gesammtheit der Sätze unterscheidet sich einigermaassen von
früheren ähnlichen Aufstellungen, z. B. von den unter Erzbischof
Courtnay. ebenfalls in seinem ersten Amtsjahr als Primas, bei
der Provincialsynode 1381 verworfenen Sätzen Wiclif's. Die
hier vorliegenden Artikel haben eine gewisse Einheit darin, dass
die Lehre von den Sakramenten den Mittelpunkt des Ganzen bil-
det. Denn 1 — 3 handeln vom heil. Abendmahl. 4. von der Taufe,
namentlich der Kindertaufe, 5. von der Firmung, 6. von der
Priesterweihe (den Stufen der Hierarchie), 7 — 9. von der Ehe.
14. von der letzten Oelung. Somit werden, mit Ausnahme der
Busse, alle 7 Sakramente der römisch-katholischen Kirche berührt.
Die übrigen Sätze haben zu ihrem Gegenstande theils den geist-
lichen Stand und die Kirchenämter, insbesondere die Frage von
den Kirchengütern (10 — 13. 15.), theils das weltliche Regiment
und dessen Bedingtheit durch den sittlichen Charakter der Inhaber
(16. . theils Grundbegriffe der Glaubenslehre, von der unbedingt
maassgebenden Auktorität der Bibel (18.), und von der schlecht-
hinigen Notwendigkeit alles Geschehens (17). Logisch hätten
allerdings die zwei letzten Artikel an die Spitze der übrigen
gestellt 'werden sollen. Davon abgesehen aber enthalten die
einzelnen Artikel für sich betrachtet einen ziemlich getreuen,
zum Theil wörtlich entsprechenden, Abriss einiger Gedanken
Wiclif's2 .
Die Yerurtheilung dieser Sätze durch die Provincialsynode
sollte als theologisch-kirchenrechtliche Grundlage des Einschrei-
tens gegen die Lollarden dienen. •Uebrigens begnügte sich der
1) Das ergibt sich zweifellos aus der sofort zu erwähnenden Schrift
von Woodford.
2 Lewis hat im Anhang zu seiner Histonj of — John Wiclif , neue
Auflage 1S20. Nr. 39. S. 372— 3S1 eine Zusammenstellung der 18 Artikel
mit den entsprechenden Stellen im Trialogus auf parallelen Columnen gege-
ben, woraus man ersieht, wie treu und wie entfernt von verketzernder Ent-
stellung die Wiclif sehen Sätze hier aufgestellt sind. — Die Beantragen-
den erwähnen auch ausdrücklich opiniones — scrijrtas in quibusdam libris
sive libellis triologiis (sie) et supplemento eorumeXc. WlLKINS, III, 229.
48
Buch III. Kap. J. III.
neue Erzbischof nicht damit, durch die Wucht kirchlicher Ent-
scheidungen die Partei niederzuschmettern. Er nahm auch dar-
auf Bedacht, das gefällte Urtheil durch Mittel der Wissenschaft
und Gelehrsamkeit begründen und rechtfertigen zu lassen. Er be-
auftragte daher einen gelehrten Franziskaner Wilhelm Wood-
ford, das Urtheil, welches die Provincialsynode gesprochen,
ausführlich zu begründen. Die Frucht dieser Arbeit ist ein Buch ,
welches den Titel trägt: »Tractat gegen die Irrthümer Wi-
clif's im Trialogus«
Wilhelm von Woodford (auch Wodford, Widford,
Wydford. Wydfford geschrieben) war Minorite, und gehörte
dem Franziskanerkloster in Newgate (London) an 2) ; er wurde
Doctor der Theologie, und hat sich in Oxford durch Disputationen
gegen Wiclif selbst hervorgethan, noch ehe dieser die Abend-
mahlslehre zu beleuchten anfing. Ich finde in einem der unge-
druckten Werke W i c 1 i f 1 s , dass dieser sich gegen die Kritik
Wood f o r d ' s vertheidigt, wobei er jedoch mit bemerkens werther
1) Die Schrift Woodford's ist zuerst in dem Sammelwerk des Kölner
Jesuiten Orthuin us Gratius abgedruckt: Fasciculus reram expetendanun
et fugimdarum, 15:35. fol. XCV2 — CXXXIII1. Diese Sammlung- wurde am
Ende des XVI. Jahrhunderts von Eduard Brown im protestantischen In-
teresse neu aufgelegt und vermehrt herausgegeben, London 1690. fol. in
2 Bänden; in dieser Ausgabe steht die Schrift von Woodford Vol. I,
]!H>— 265. Das Urtheil des Jesuiten Gratius über diese Streitschrift ist
voll Ueberschätzung, und zeugt von dem Zeitinteresse, welches dieselbe im
Zeitalter der Reformation fand: Guil. Widefordi contra Johannem Wi-
de ]) h u m, sacrae ßdei pestefri et haeresiarcluun , doct iss im a e ac plane ca-
tholicae decertationes. qtdbus miserinn hwnc hominem ita confufat, prostcmit.
eviscerat, ac in omnibus vincit, ut*ex i/lis ipsis omnes ferme nostri
tempor is Jt aeret icos mutos effeceris. Im Index der Ausgabe von
f535. — Der Titel lautete ursprünglich, wie es scheint: Traetatus magistti
Wilhelmi WideforDI de online Minorum , contra errores Wie eß in
Trialogo; s. die genannte Ausgabe f. CXXXIII. Diesen Titel scheint auch
der etwas spätere Thomas Netter von Waiden vorauszusetzen, wenn er
citirt magister duilichnns in libro suo con tra trial ogum edito. Doctr/na/e
II, 157. — TURNER, welcher zwei Handschriften dieses Buches im Brit.
Museum benützt hat, bemerkt, dass der Verfasser sein Werk aus der Burg
Framlyngham Grafschaft Suffolk datirt; Hist. of Engl. V, 1!»T.
2) SlIIRLEY, Fasciculi zizaniorum, Note on the two John Wiclit s, 517.
Anm. 2.
Wilhelm von Woodford und Wiclif.
49
Hochachtung von ihm spricht und auf eine keineswegs dem Scherz
und der Satire gleichende Weise bekennt, schon viel von ihm ge-
lernt zu haben 1). Woodford hat ferner seit dem Jahr 1381 spä-
testens' auch literarisch gegen Wiclif und seine Anhänger ge-
kämpft. Als Wi clif die Lehre von der Wandlung angriff, schrieb
Woodford »12 Fragen über das Sakrament des Altars«2;. Eine
zweite weniger bekannte Abhandlung handelte von der Nach-
ahmung Christi und suchte, im Gegensatz zu Wiclif. nachzu-
weisen, dass wir in manchen Stücken nicht verpflichtet seien
Christum nachzuahmen . Nach dem Tode W i c 1 i f 5 s fuhr Wood-
ford in seiner Bekämpfung der Partei fort. So hat er z. B. in
einem Sendschreiben an den Bischof von Hereford ein Buch des
oben besprochenen Lollarden Walter Brüte vielleicht eben das
Bckenntniss desselben; beleuchtet4 . Der Erzbischof hat also
keine schlechte Wahl getroffen, wenn er gerade Woodford auf-
fordern Hess, den ( Oncilsbeschluss über die 18 Artikel Wiclif 's
zu vertheidigen.
Der streitbare Franziskaner Hess sich nicht lange bitten. Er
ging sofort an die x\rbeit und verfasste ein Buch, welches zwar
erst unter Heinrich IV., also frühestens 1399 erschienen ist5 .
aber doch unzweifelhaft in den gegenwärtigen Zeitraum gehört.
Das Ganze hat die Form eines Sendschreibens an den Erzbischof.
1) De civili dominio, III, c. IS. HS. 1340. f. 141. Col. 2: doctor meus
reverendus Magister WiUielmus Wadford etc.
2) Septuaginta duac quaestiones de sacramento altaris. wovon eine Hand-
schrift im Besitz der B o die v -Bibliothek in Oxford ist, s. Shirley a. a. O.
51S. I, Inirod. XV. 4: Woodford citirt diese Streitschrift in der Beleuch-
tung der IS Artikel, f. CH, 1: ut declaravi in lihro 72 quaestionum circa
sacramentum eucharistiae.
3) Tractatus contra errores Wiclefi bei Orth. Gratius ed. 1535, f. CXI V,
2: et consimiles errores alias deduxi valde multos in quadam quaestione de
conför initat e nostra od opera Christi, in qua declaratum est, quod in
mutiis non tenemur sequi Christum in moribus.
4) a. a. 0. CX, 2: ut diffuse alias declaravi in epistola missa do-
min o Er f ordensi (Ed. Brown: Herefordensi) contra 1 ihr um W al-
tert Britte. — CXI, 2: declaravi in historia directa domino episcop<>
JErf ordensi (Brown: Herefordensi contra Walt er um Britte.
5] a. a. O. CXXXII, 2: quod dominus Henricus est rex Angliae etc.
Lechlef. . Wiclif. II. 4
50
Buch III. Kap. 1. III.
in dessen Auftrag es verfasst worden ist. Im Uebrigen stellt die
Schrift einen rechtfertigenden Commentar zu dem ürtheil dar,
welches die Provincialsynode über die vorgelegten 18 Sätze
Wiclif's gefällt hat: demnach folgt sie der Ordnung, in welcher
die Sätze aufgeführt sind, und erörtert dieselben mit nicht geringer
Kenntniss des Trialogus nebst Supplementum , so wie anderer
Werke Wiclif's, namentlich der Bücher de civili dominio. Ihrem
Gehalte nach macht die Schrift einen sehr gemischten Eindruck.
Auf der einen Seite sind richtige Gedanken und gesundes Urtheil
nicht zu verkennen, namentlich da, wo der Verfasser Ansichten
Wiclif's, die in der That einseitig und unwahr sind, bekämpft ;
wenn er z. B. die in ihrer Allgemeinheit allerdings unhaltbare,
übrigens von Wiclif nur ganz gelegenheitlich geäusserte, und in
seinem Gedankenkreise vollständig untergeordnete Behauptung
widerlegt, dass eine von betagten Personen, ohne Aussicht auf
Nachkommenschaft , eingegangene eheliche Verbindung keine
wahre Ehe sei l) . Ferner hat der Franziskaner vielfach Recht bei
Beleuchtung des 16. Artikels, worin Wiclif die bürgerlichen
Herrscherrechte von der persönlichen Gerechtigkeit der Regieren-
den völlig abhängig macht. Woodford hält sich sehr angelegent-
lich hiebei auf: allerdings lässt er sich mitunter auf leerer Conse-
quenzenmacherei ertappen, allein er bestreitet jenen Standpunkt
doch auch wieder sehr glücklich mit Hülfe der heil. Schrift, aus
der er die erst nach dem Fall geordnete Herrschaft des Mannes über
das Weib, ferner eine Menge Beispiele von schlimmen Regenten,
denen die Erzväter und die Israeliten unterworfen waren, anführt,
und die apostolische Ermahnung an Sklaven, ihren Herren zu ge-
horchen, auch wenn sie wunderlich seien, geltend macht2). Ebenso
ist seine Widerlegung des 12. Artikels, der allen weltlichen Be-
sitz de| Geistlichen schlechthin verwirft, und. um die Yerwelt-
licbung des Klerus zu vermeiden, auf das entgegengesetzte Extrem
fuhrt, theilweise gar nicht übel, namentlich wenn er erinnert, dass
der Grund, Christas habe nicht gehabt, da er sein Haupt hinlege,
zu viel beweise . Ferner verräth es einen richtigen Blick, wenn
1) a. a. O. t. CVI.
2) a. a. (). 1 CXVI, L'-CXXV, J.
:t> a. a. O f CXfH, 1
Woodford gegen Wiclif. 51
Woodford in dem 18. Satz: nur dasjenige, sei Glaubens Wahr-
heit, was der Papst oder die Cardinäle aus der heil. Schrift ab-
leiten können, alles darüber hinausgehende sei Irrlehre, — das
Fundament der Lehre Wiclif s erkennt. Er sucht den Grund-
satz : »die Schrift allein ist maassgebende Richtschnur« zu wider-
legen, und äussert alsdann seine Ansicht, »dass dieser Artikel die
Hauptursache der Lehren der Lollarden sei, und dass es, falls sie
von dieser bösen Ansicht geheilt wären, nicht schwer fallen würde,
sie in allen Stücken zur katholischen Wahrheit zurückzuführen«1).
Der Verfasser fühlt richtig heraus, dass es sich an diesem Ort um
Prinzipien , und um grundverschiedene Prinzipien handelt , wo
allerdings von Vermittlung keine Rede sein kann, sondern nur
von dem Sieg des einen oder des anderen Prinzips. Freilich dass
in dem Schriftprinzip Wiclif und seine Schule auch ihre Stärke
haben, und dass sie in ihrem Rechte seien, das lässt er sich nicht
träumen; auch hat er sich die Möglichkeit, die Lollarden von
jenem »bösen Glauben« zu heilen, viel zu leicht gedacht. Wenig-
stens ist seine Erörterung dieser Frage keineswegs dazu angethan,
auf ein Herz, das von Ehrfurcht vor Gottes Wort als der alleini-
gen Regel des Glaubens und Lebens erfüllt ist, auch nur den ge-
ringsten Eindruck zu machen. Denn es war doch nichts ande-
res als ein Kreis im Beweise , oder eine Voraussetzung des zu
beweisenden Satzes, wenn Woodford sich auf das Urtheil der
Kirche und ihrer Lehrer eines Areopagiten, Johannes von Damas-
kus, Johannes Cassianus, Nicolaus von Lyra), auf die aposto-
lischen canones und dergleichen, gegen das ausschliessliche Lehr-
ansehen der Bibel berief, oder wenn er geltend machte, dass ja
aus jenem Schriftprinzip unterschiedliche Irrlehren, z. B. Ver-
werfung der Bilder u. s. w., folgen würden 2) . Mehr Schein hatten
Bemerkungen wie die folgenden: Wenn jener Grundsatz feststünde,
so würden bei Schriftstellen von zweifelhafter Auslegung die Er-
1: a. a* O. f. CXXXII, 2: Etaestimo, quod istius articuli credtUÜas est
magna causa et maxima docirinarum Lollardorum; et aestimo , si essent cu-
rati de ista mala credulitate, quod facti iter reduceretitur in omnibus ad
cathelicam veritatem.
'1 a. a. O. f. CXXIX; 1 sqq. CXXXII, 1.
4*
52
Buch III. Kap. 1. III.
klärungen der Kirchenväter nicht angenommen werden dürfen:
ferner, man würde dadurch auf eine ganz buchstäbliche und
äusserliche Auslegungsweise geführt werden : es lasse sich auch
selbst die Abfassung der Evangelien durch Apostel1 oder aposto-
lische Männer aus der Schrift selbst nicht erweisen : die Heiligung
des Sonntags, die christliche Festordnung und dergleichen könne
nicht durch die Bibel allein begründet werden. Endlich war der
Versuch, den Grundsatz von dem ausschliesslichen Lehransehen
der heil. Schrift durch die Schrift selbst zu widerlegen , mehr
kühn und überraschend, als überzeugend. Woodford geht hie-
bei von der Stelle aus Joh. 21. 25 : »Jesus hat noch viele Thaten
gethan, die in diesem Buche nicht geschrieben sind.« Hieraus
folgert er nun, dass also viele Ueberlieferungen anzunehmen seien,
ungeachtet Papst und Cardinäle sie »nicht klar aus der heil.
Schrift abzuleiten vermögen.«
Ihm selbst geht die Vollmacht der Kirche und die Auktorität
der Oberen über alles. Seine Kritik der Sätze Wiclif s ruht
mehr als einmal schliesslich auf dem Grunde: »sie seien mit
Recht verurtheilt, weil das Gegentheil derselben von der Kirche
gut geheissen worden ist1).« Einmal wagt er es nicht, ein Ur-
theil Wiclif s schlechthin zu verwerfen nämlich dass die Ehe-
hindernisse des kanonischen Rechts blos menschliche Satzungen
seien) ; er hält dies nur für das vergleichsweise rathsamere. weil
man sonst die Kirche des Irrthums zeihen müsste 2 . In der Regel
tritt er allerdings mit der Miene vollständiger Zuversicht mit.
Seine Methode lässt sich aus der Kritik über den ersten Arti-
kel, von der Wandlung im h. Abendmahl, ersehen : er zieht stets
in erster Linie mit Auktoritätsbeweisen zu Felde . und verfährt
von vorne herein so. als wären diese an und für sich schon ent-
scheidend. Nur bei dem löten Artikel beginnt er mit dem Schritt-
beweis3!. Er handhabt wohl auch Vernunftgründe. Avas die Scho-
lastiker rationes nannten, zum Unterschied von auetoritates ; allein
lj a. a. O. f. CI , 1. zu Satz 2: Hie est articwiis ratioualtiliter ton-
demnatus, quia ejua contradictorium est ah eeelesia approbatum ut oatholi-
cum; vgl. zu Satz 14. f. CXVI. 1.
2) Zu Art. s, f. CVII, 1
3) a a. Ö. CVI, % sq.
Charakteristik der Woodfordschen Streitschrift.
53
die Auktoritätsbewcise sind ihm die Hauptsache, er ist ein gan-
zer Mann der Auktorität. So führt er bei dem ersten Satz, für die
Verwerfung der Wiclif 'sehen Abendmahlslehre durch die eng-
lische Provincialsynode, als ersten Grund den Umstand an, dass
dieselbe schon bei Berengar von Tours im Jahr 1 050 durch die
Synode zu Vercelli unter Leo IX. verurtheilt worden sei. Und
so reiht sich ein Grund an den andern an. bestehend aus Ent-
scheidungen von Concilien , Aussprüchen von Kirchenvätern,
Päpsten, scholastischen Doctoren, — alles in bunter Unordnung ;
als der 21ste Grund folgt die Auktorität der Universität Paris,
und endlich schliesst die Reihe mit dem Consensus der Dekreti-
sten. als der 22sten causa. Aus alle dem folgert er sodann, dass
der fragliche Artikel, weil er durch eine stetige Reihe von kirch-
lichen Zeugnissen verworfen worden , mit Recht als ketzerisch
verdammt sei 1 . Uebrigens legt der Verfasser eine sehr bedeu-
tende Belesenheit, zumal in den Scholastikern, an den Tag; am
vertrautesten ist er natürlich mit den Schriftstellern aus dem
Franziskanerorden: offenbar stand ihm in dem eigenen Kloster
zu Xewgate eine reichhaltige Bibliothek zu Gebote , welche die
Werke der Doctoren aus dem Minoritenorden vollständig besass.
Zu der blinden Eingenommenheit für das überwältigende An-
sehen der kirchlichen Ueberlieferungen kommt ferner eine un-
erquickliche Dialektik ; eine Unkritik freilich mit dem Zeitalter
selbst zu entschuldigen) , vermöge welcher er die areopagitischen
und andere untergeschobene Schriften als unzweifelhafte Denkmale
der apostolischen Zeit anruft2) ; hie und da geschichtliche Un-
1 a. a; O. f. XC'VII, 2: Tatet ergo ex dietis, quod ille articulus — a
tempore, apostofomw usque ad tvmpora norfra reputatus est esse haerßticus,
per s ii c c <■ 8 s i <> n e s p a t r u tu et dort o r um, et sie m erito est articulus
condemnatus ut haereticus.
2 Zum oten Artikel, f. CI\\ 1. Gegenüber der Behauptung Wiclif's,
dass /ur Zeit der Apostel kein Unterschied zwischen Bischof und Presbyter
gewesen sei. beruft sich "Woodford ganz naiv auf den Areopagiten; er
pocht darauf, derselbe sei doch ein Zeitgenosse der Apostel gewesen , und
habe die Intention der Apostel besser wissen können, als spätere Doctoren.
Nun Dionysius unterscheide die hierarchische Weihe Bischofsweihe, von der
Priesterweihe: »also hat es zur Zeit der Apostel einen Unterschied zwi-
schen Bischof und Presbyter gegeben.«
54
Buch III. Kap. 1. III.
wissenheit, vermöge deren er den Damascener Johannes zu einem
Zeitgenossen Augustin's macht *) ; endlich eine Leichtgläubigkeit,
bei der es ihm nicht darauf ankommt, aus dem Mährchen von
den Siebenschläfern, das er für baare Münze nimmt, auf ähnliche
Wunder zu schliessen zu Gunsten der Wandlung im h. Abend-
mahl 2 . — Mit Recht verwundert sich Woodford über die
Kühnheit Wiclif's. die Kirchenlehre von der Wandlung für
häretisch zu erklären ; er meint . das sei eine Anmaassung ohne
Gleichen 3) .
Der Ton . in welchem er spricht, ist in der Regel ein ruhi-
ger, sachlicher, wissenschaftlich erörternder, auch wenn der
Verfasser, wie er das gerne thut, dem »Gegner« (sehr häufig
nennt er Wiclif nicht, sondern bezeichnet ihn nur als adversa-
rius nachweisen will, dass er sich selber widerspreche. Dies
ist auch der Fall, wenn er je und je zu verstehen gibt. Wiclif
sei nicht so sehr selbständig, er lehne sich an den dominus
Armachanus Erzbischof Richard Fitz - Ralph von Armagh an.
mache sich dessen Ansichten zu eigen . und setze seine Beweis-
führungen voraus4). Indessen bricht docli einmal auch die lange
verhaltene Erregung los. und er verfällt in den leidenschaft-
lichen, fanatischen Ton eines Ketzerrichters 5 . Nicht eben fein,
aber doch nicht leidenschaftlich klingt es. wenn Woodford be-
merkt, Wiclif habe in seinen Schriften zahllose Dummheiten
gemacht, von denen er indess nur eine erwähnen wolle: es ist
der öfters wiederkehrende Gedanke Wiclif's, dass die vier
Bettelorden Cain zum Stammvater haben, und dass die vifer
Buchstaben des Namens Caim die Carmeliter. Augustiner, Jaco-
1) Fi<iruit ivter Graecos. quando Augustinus inter Latinos. f. CI, 1 zu
Satz 2.
2 a. a. O. XCIX, 1.
:i a. a. O. XCVII . 1 Magna fuit temer itas Ioannis Wicleß . quod
— — praesumpsit dicere, quod nec Berengarius — nec aliquis alius haere-
ticus ausus ftrit dicere, scilicet quod haereticum est ponere Licet ah-
qui — dixerant, hoc esse falsum, nunquam aliquis prius jyraesumpsit dicere,
hoc esse haereticum.
4) Z. B. bei Artikel 5. f. CHI. 1 und folgende.
.">) f. CXXIII, 2: Et ideo patet . quod argumentum non concludit wa-
ledicti H'iclephi haeretici. adversarii sanetae veritati.
Die Regierung Richards II. und die Lollarden.
55
biten = Dominikaner und Minoriten bedeuten1). Die Anhänger
Wiclifs benennt er mit dem Namen Wiclifistae oder Lol-
lardi. und bezeichnet sie eben damit als eine geschlossene
Partei - .
Diese Streitschrift konnte allerdings auf Lollarden . falls
solche sie lasen, keinen Eindruck machen. Hingegen mochte sie
Leute, die ohnehin schon gegen die Partei eingenommen waren,
durch den Schein gelehrter Widerlegung in ihren Ueberzeugun-
gen bestärken. Jedenfalls ist sie als ein Versuch, die Wiclititen
mit Waffen der scholastischen Wissenschaft zu schlagen . einiger
Beachtung werth.
Der neue Erzbischof von Canterbury brachte indess, trotz
alles Eiters . im Anfang noch keine Thaten gegen die Lollarden
zu Stande. Die Sache war die : es fehlte bei der Regierung an
Bereitwilligkeit. Gewaltmaassregeln gegen die immerhin nicht zu
unterschätzende Partei zu ergreifen. König Richard IL. im
Jahr 1H77 als minderjährig zum Thron gelangt . liess die wicli-
ritische Partei gewähren, und entschloss sich nur. wenn die Hier-
archie oder gar das Parlament drängte und er nicht anders
konnte, zu Schritten gegen dieselbe1^ . Im Jahr 1387 forderte
das Parlament Maassregeln gegen die Lollarden ; da erging denn
1388 eine Verordnung an die Behörden der Stadt und Graf-
schaft Nottingham, worin der König seine Willensmeinung kund
gibt, der Vertheidiger der Rechtgläubigkeit zu sein4 . und Wi-
clifs Irrthümer in seinem Reich nicht aufkommen lassen zu
wollen : deragemäss wird den Behörden befohlen . dass sie wicli-
fitischen Schriften nachspüren . dieselben mit Beschlag belegen
und dem Geheimenrath ausliefern lassen sollen, während alle Per-
1) Gegen den Schluss des Ganzen, f. CXXXII , 2: ut de innumeris
f ataitat ibus . quas in scriptis reliquit, unam tangam etc.
2] a. a. O. CIL 2 und andere Stellen: CXXXII. 2.
3) Turner. Hist. of England during the middle ages, 1S30. V. 198
All the severity of persecution that the church could use short of death, was
employed . but never favoured by Richard II more than the power
of the clergy could compel.
4) WlLKINS, Conc. III, 204: nos ze/o fidei cathol icae . cujus sv.mu*
et esse volumus defensores, moti —
56
Buch III. Kap. t: III.
sonen zu verhaften seien, welche mit Kaufen und Verkaufen
solcher Schriften oder mit dem Vortrag von dergleichen Lehren
sich abgeben. Aber sei es, dass zur Vollziehung schon von An-
fang an der erforderliche Nachdruck mangelte, oder dass man
später, bei veränderten Verhältnissen, von oben herab nicht sehr
auf Vollziehung dringen wollte, — wir finden abgesehen von einem
späteren Falle, wo 1396 vier Männer aus Nottingham auf der
königlichen Kanzlei den Widerruf lollardischer Grundsätze lei-
steten r) , sonst keine Thatsachen von wirklicher Verfolgung der
Lollarden durch die Regier ung.
Am wenigsten war das Auftreten des jetzigen Erzbischofs
Thomas A r u n d e 1 geeignet den König für diesen Zweck günstig
zu stimmen. Der Primas Hess sich nämlich in Verbindungen mit
einer gegen Richard II. selbst feindseligen Partei ein. bei welcher
sein eigener Bruder, Richard Fitz-Allan, Graf Arundel, eine be-
deutende Rolle spielte ; letzterer wurde sogar wegen Hochver-
raths hingerichtet, und der Erzbischof selbst, als nicht ganz
unbetheiligt (1397), aus dem Königreiche verbannt2 . An seine
Stelle kam Roger von Waiden, bisher Dechant von York.
Allein schon nach zwei Jahren war Richard II. vom Thron
gestützt, und Arundel als Primas wieder eingesetzt. Es war in-
zwischen eine neue Verschwörung von Seiten einiger Grossen
des Reichs gegen den König angezettelt worden, der freilich
willkührlich genug und despotisch regierte. Und der al »gesetzte
Erzbisohof spielte hiebei eine der thätigsten Rollen. Er war es.
der sich von den Niederlanden aus nach Paris begab, dort mit
dem L398 gleichfalls des Landes verwiesenen Sohn des Herzogs
von Lancaster, Heinrich Grafen von Bolingbroke. unterhandelte
und ihn zu dem Wagniss einer Revolution zu bewegen wusste.
Er schiffte sich mit Heinrich in der Bretagne ein. landete mit
ihm, der angeblich nur sein Herzogthum zurückfordern wollte,
Anfangs .Juli 1399 an der Küste von Nordengland . und stachelte
1 Wilsum, III, 2ti.
2 a. a. (). 2.T2. König Richard II. schreibt an Papst Honifacius IX.
über den bereits abgesetzten Erzbischof pnnlitimiis UMl <'.r/>rrs noto-
nis inimidi destras exhibet sive cunfei'f.
Richard II. vom Thron gestürzt.
57
das Volk auf. Der Köni^ befand sich eben in Irland, als der
Aufstand ausbrach. Er kehrte von dort zurück, verweilte jedoch
vor der Hand in Wales, bis ihn die Empörer, mittelst einer von
dem Erzbischof angerathenen Hinterlist, am 19. August verrätlie-
rischer Weise in ihre Gewalt bekamen. Richard II. wurde im
Tower gefangen gesetzt und schliesslich genöthigt, durch eine
schriftliche Erklärung dem Thron zu entsagen. Hierauf sprach
das Parlament seine Absetzung aus . und erkannte dem Herzog
Heinrich von Lancaster die Krone zu 30. Sept. . Im Jahr darauf
wurde Richard, als eine Empörung zu seinen Gunsten ausgebro-
chen war. am 14. Februar 1400 in seinem Gefängniss Pomfret-
castle getödtet 1 .
Dies war in den Hauptzügen der Gang eines Thronwech-
sels . durch welchen die Dynastie Plantagenet gestürzt und
das Haus Lancaster die rothe Rose der Krone theilhaftig
wurde. König Eduard III. , welchem 1377 sein Enkel als Ri-
chard II. auf dem Thron folgte, hatte ausser dem Vater Richard'»,
dcni Prinzen von Wales Eduard, genannt der schwarze Prinz,
der i'MC) gestorben war, noch vier Söhne gehabt: Lionell, Her-
zog von Clarence; Johann von Gent. Herzog von Lancaster: Ed-
mund. Herzog von York, und Thomas, Herzog von Glocester 2 .
Da Richard II. ohne Leibeserben war, so hätte nach seiner Ent-
thronung, kraft Erbfolgerechts, der Enkel des Prinzen Lionell,
Edmund Mortimer, Graf von March, die nächsten Rechtsansprüche
auf die Krone gehabt. Allein diesen setzte man zurück, und
erhob einen Sohn des jüngst 3. Februar 1399 verstorbenen Her-
zogs von Lancaster. welcher erst der dritte Prinz Eduard's III.
gewesen war. willkührlich und rechtswidrig auf den Königsthron.
1 Lixoard, Hid. of England. IV. 352 ff. Turner, Hist. of Engl.
during the middle äff es, 3. ed. 1830, V. :>21 ff. Pauli, Gesch. von Eng-
land IV. 1855, 622 ff.
Eduard III. v 1377.
Eduard.
Prinz v. Wales
t 1376.
Liouell.
Herzog v. Clarence
f 1368.
Johann von Gent
Herz. v. Lancaster
t 1399.
Edmund,
Herz. v. York
1 1402.
Thomas,
Herzog
v. Glocester.
Richard II.
Philippa; Gemahl Eduard
Mortimer, Grat'
von March.
Heinrich, Graf
von Bolingbroke.
nachmals
Heinrich IV.
Edmund Mortimer.
58
Buch III. Kap. I. III.
Bei dem bewaffneten Aufstand des Adels, durch welchen
Richard II. gestürzt wurde, hat der höchste Würdenträger der
englischen Hierarchie wesentlich mitgewirkt. Der »Altar« erwies
sich keineswegs als eine Stütze des -Throns«: im Gegentheil.
der Kirehenfürst half die Krone vom Haupte des rechtmässigen
Königs reissen. Aber das war nur der Anfang des Unrechts. Die
Fortsetzung des Rechtsbruches war. dass der eigentliche Thron-
erbe willkührlich übergangen und ein anderer Prinz von Geblüt
auf den Thron gehoben wurde. Auch hiebei hatte die Hierarchie
die Hände mit im Spiel. Zwar der alte Herzog von Lancaster.
gemeiniglich nach seinem Geburtsort Johann von Gent genannt,
hatte sich der Hierarchie nicht sehr empfohlen. Er war lange auf
Seiten der antirömischen Partei gestanden . hatte die Partei der
Reform in kirchlichen Dingen öffentlich begünstigt, war nicht nur
ein gebildeter Mann und Freund der Kunst, ein Gönner des Dich-
ters Chaucer. sondern auch ein Beschützer Wiclif s gewesen
und gegen bischöfliche Anmaassung rücksichtslos aufgetreten.
Dessen ungeachtet war sein Sohn . Heinrich von Bolingbroke.
der Hierarchie genehm. Er hatte sich schon seit geraumer Zeit
der aristokratischen Opposition gegen Richard II. angeschlossen,
und war deshalb 139S von diesem des Landes verwiesen worden.
Nun bahnte er sich mit Hülfe der Hierarchie auf revolutionärem
Wege den Zugang zum Thron. Die Kirche hatte zur Usurpation
mitgeholfen, das musste die Krone mit Gewaltmaassregeln gegen
die kirchliche Oppositionspartei vergelten. Damit beginnt eine
Zeit blutiger Verfolgung gegen die Wiclititen.
Zweites Kapitel.
Von der Thronbesteigung des Hauses Lancaster bis zur
Hinrichtung des Lord Cobham (1399—1417).
Di»> Umstände, unter welchen Heinrich IV. den englischen
Thron bekriegen hatte . machten es ihm zum dringenden Bedürf-
nis», seine Stellung so viel wie möglich zu stärken und seinen
Thron zu »ehern dadurch, dass er im Lande selbst Unterstützung
Buchte. Nun konnte er die mächtige Bundesgenossenschaft der
Hierarchie nicht sicherer gewinnen als dadurch . dass er seiner-
seits ihren Bestrebungen gegen die Lollarden Vorschub leistete.
Es war einerseits der Dank für die hei seiner Erhebung auf den
Thron geleisteten Dienste, andererseits eine Politik für die Zukunft,
dasti Heinrich die Geistlichkeit begünstigte. Dies ging so weit.
dä8S der hohe Klerus unter ihm fast denselben Einfluss erlangte,
welchen bisher der hohe Adel genossen hatte. Namentlich aber
stelltt1 er, was bis dahin noch keine Regierung in England gethan
hatte, das weltliche Schwert der Kirche zur Verfügung zum Be-
huf der blutigen Verfolgung der Lollarden. so dass die »rothe
Kose des Hauses Lancaster ihre Farbe traurig rechtfertigte1 .
Der König schickte gleich an die erste Convocation . die
nach seinem Regierungsantritt gehalten wurde b. Oct. 1399 .
einige Mitglieder des hohen Adels als Abgeordnete, und Hess
1 Vergl. Turner . Hisi. of Engl, during the middle ages, II, 364 f.
469; V, 107. 200. Pauli, Gesch. von England. V, lSös. 50 ff. Short.
Bist, of the Church of Engl. 1S40. 66 f.
60
Buch III. Kap. 2. I.
durch sie der Versammlung eröffnen: er gedenke es nicht zu
machen wie seine Vorgänger in der Regierung, die von der
Geistlichkeit immer Geld begehrt hätten; er werde von ihnen
keine Steuern fordern, es sei denn class dies unumgänglich
nothwendig sei ; hingegen um ihre Fürbitte wolle er sie bitten ;
seinerseits aber ertheile er von freien Stücken die Zusicherung,
alle Freiheiten der Kirche aufrecht zu erhalten , und alle Irrleh-
ren und Ketzereien . so wie die Ketzer selbst , nach Kräften be-
kämpfen zu wollen. Natürlich blieben lebhafte Danksagungen
für ein so gnädiges Wohlwollen des Königs nicht aus ; sie wurden
von Thomas Ar unde 1, Erzbischof von Canterbury, im Xamen
der Geistlichkeit ausgesprochen 1 .
Die Geistlichkeit ihrerseits richtete nun vor allem an den
Erzbischof und die übrigen Bischöfe ein Gesuch, dahin gehend,
sie möchten, als Mitglieder des Parlaments, sich nachdrücklichst
widersetzen, falls aufs neue Anträge im Sinne der Lollarden. »der
Freiheit der anglikanischen Kirche zuwider« eingebracht werden
sollten 2 . Es wäre zu verwundern, wenn man sich mit dieser rein
defensiven Stellung begnügt hätte. Die Geistlichkeit nahm sofort
auch eine offensive Stellung ein : sie ersuchte den König in einer
Bittschrift um gesetzgeberische Akte gegen die Lollarden * . In
dieser Eingabe erkannte man die Thatsache ausdrücklich au. dass
einzelne Bischöfe sich vollkommen ausser Stande sehen, lediglieh
durch Mittel ihrer geistlichen Jurisdiktion und ohne Beihülfe der
königlichen Macht, mit den Ketzern fertig zu werden, und zw ar
aus dem doppelten Grunde, einmal weil die Häretiker sich aus
einem Sprengel in den anderen ziehen, und dann weil sie den
Oberen Trotz bieten, auf ergangene Vorladung sich vor den Bi-
schöfen nicht stellen, ja die Bisehöfe samint ihrer geistlichen Ge-
richtsbarkeit. Schlüsselgewalt und Kirchenzucht völlig für nichts
achten, und somit ihre Predigten und Vorträge kraft ihres auge-
maasstcu Predigtamtes von Tag zu Tage fortsetzen, wodurch am
Faule alles Kirchenregiment lahm gelegt und zerstört werde. Da-
1 Wilkins. Cum. M. Brit. III. 238 sq.
2 a. a. 0. III. 242. Nr. 2<».
:t a. a. (). III. 2$1 fg.
Anträge gegen die Lollarden.
61
durch wird das Gesuch an den Köllig niotivirt: er möge, im Hin-
blick auf die rühmlichen Fusstapfen seiner Ahnen und Vorgänger,
zur Erhaltung des rechten Glaubens, zur Aufrechthaltung des
Gottesdienstes wie auch zur Bewahrung der Rechte und Frei-
heiten der anglikanischen Kirche, in dem gegenwäl tig tagenden
Parlamente, unter Beirath der Grossen des Reichs und der übrigen
Mitglieder. Maassregeln und Straf bestimmungen festsetzen gegen
Jeden, der künftig sich herausnehme, ohne bischöfliche Ge-
nehmigungöffentlich oder insgeheim zu predigen, gegen Jeden,
der Bücher verfasse oder abschreibe, welche den Entscheidungen
der Kirche zuwiderlaufen, der auf Grund der Lehren dieser Sekte
geheime Zusammenkünfte halte oder Unterricht ertheile 1 . oder
auch irgend einen Mann dieser Art begünstige und seinen Unter-
halt bestreite. Im Falle des Zuwiderhandelns müsste. kraft dieses
GesetM», jeder Bischof in seinem Sprengel Vollmacht haben, die
Schuldigen oder Verdächtigen verhaften zu lassen, bis sie ent-
weder sich gereinigt oder die ketzerischen Meinungen abge-
schworen hätten, so dass binnen drei Monaten von der Verhaftung
an gerechnet der förmliche Process erledigt sein müsse. Die be-
harrlich Widerstrebenden oder Rückfälligen aber sollten von den
königlichen Grafschaftsbeamten übernommen werden, um ferner
zu thun was ihres Amtes ist der bekannte euphemistische Kunst-
ausdruck der Inquisition: ulterius agant quod eis incumbi/ in ltu<-
parte . Alles das sei nöthig, damit solch heillose ketzerische Lehre
oder deren Urheber und Gönner auf keinerlei Weise im Reich ge-
duldet werden. Ueberdiess müssten alle Besitzer ketzerischer
Schriften innerhalb einer gewissen Frist dieselben ihrem Bischof
ausliefern.
Die Bittschrift hatte den gewünschten Erfolg. Der König er-
hob, mit Zustimmung des Parlaments, sämmtliche von der Geist-
lichkeit beantragte Maassregeln zum Gesetz. Es wurde eine
4<>tägige Frist von Bekanntmachung dieses Statuts ab anberaumt
zur Auslieferung ketzerischer Schriften. Ferner erging der Be-
1) a. a. ü. eon v enticulas aliquas faciat — Scholas teneat vel cxev-
ceat quovis mddo. — — — De hujustnodi secta nefandisqtte doctrinis ac
opinionibus conventiculas et con föderation es illicitas faciunt.
62
Buch III. Kap. 2. I.
fehl, dass die Vicegrafen der Grafschaften und die Mayors und
Baillifs der Städte und Gemeinden der Urtheilsfällung in einem
bischöflichen Gericht beiwohnen, die Verurtheilten sofort an sich
nehmen, und sie zur Abschreckung für Andere, öffentlich an einem
hervorragenden Orte verbrennen lassen sollen 1 .
Die Akte de comburendo haereticos vom Jahr 1400 war das
erste Stück in der ganzen englischen Gesetzgebung, welches
Todesstrafe wegen Ketzerei verfügt2 . So reichten sich denn
Staatsgewalt und Kirchengewalt brüderlich die Hände zum Ver-
derben der Lollarden. Und das Statut ist nicht etwa auf dem
Papier geblieben. Noch in demselben Jahre wurde vor versammel-
ter Convocation zwei Lollarden der Process gemacht. Der eine
entging der Strafe durch Widerruf, der andere aber wurde wegen
Beharrens in seiner Ketzerei das erste Opfer der neuen Inquisi-
tionsmaassregeln, er wurde lebendig verbrannt. Beide standen in
geistlichen Aemtern : jener war der uns bereits bekannte Johann
Purvey, dieser hiess Wilhelm Sautre.
Johann Purvey (P u r n e y , Perne y; , der Kaplan aus dem
Sprengel von Lincoln, welchen wir als den Gehülfen Wie Ii Ts
im Pfarramt, im Werk der Bibelübersetzung und als Reiseprediger
kennen, wurde zur Verantwortung vor den Erzbisehof und die
Convocation vorgeladen. Inzwischen war aber die Verurtheilung
Sautre's erfolgt, und dieser war am 24. Februar 1400 3) auf dem
Scheiterhaufen öffentlich verbrannt worden. Dieses Auto da fe
scheint auf Purvey einen erschütternden Eindruck gemacht und
seine Entschlossenheit gebeugt zu haben. Am 5. März verstand
er sich vor den Beauftragten des Erzbischofs, den Bischöfen von
Bangor und Kochfester nebst mehreren Doctoren, zum Widerruf,
iuhI unterwarf eich vollkommendem Erzbisehof und seinem Coneil.
Den Tag darauf, Sonntag den 6. März, hat er beim St. Pauiskreuz
1) Wii.kins, III. 254: Personas Ufas — cöram poputo in eminent* Inen
comburi faciant, ut hujnsmodi punitio tnchim ineutiat mentifms UltquOTUnu
2] TüBNEB a. a. 0. II. 305.
A Wilkins. Cour. III, 254 fi*. gibt das Jahr 1400 an, es muss jedoch
das Jahr 1 40 1 gewesen sein. Das ergibt sich aus den in der Urkunde
mehrfach genannten Wochentagen, welche zu der Ziffer der Monatstage nur
im Jahr 1401 stimmen, nicht aber im Jahr 1400.
Wilhelm Sautre stirbt den Feuertod.
auf dem Kirchhof der Paulskirche zu London seinen schrift-
lich ausgestellten Widerruf, anlangend 7 angebliche Irrlehren, in
Gegenwart der Gemeinde öffentlich vorgelesen, in englischer
Sprache1). Uebrigens steht fest, dass Purvey, dessen Abfall
unter den Lollarden höchst schmerzliches Aufsehen erregte, spä-
ter wieder zu der evangelischen Partei übergegangen ist : denn im
Jahr 1421 wurde er unter Erzbischof Chichely aufs neue in
Untersuchung gezogen.
Aber Wilhelm Sautre (Jawtre, Chatrys) hat den Feuertod
erduldet. Derselbe war früher Kaplan an der St. Margarethen-
kirche der Seestadt Lynn in Norfolk gewesen, und wegen Ketzerei
seines Amtes entsetzt worden. Nachdem er aber vor dem Bischof
von Norwich, le Spencer, am 26. Mai 1399 einen Widerruf ge-
leistet 2j . war er kürzlich wieder als Kaplan an der Kirche
St. Swithin in der City von London angestellt worden. Da er
aber dieselben oder ähnliche Sätze wie früher wieder vortrug,
so wurde er am 12. Februar 1401 von der Provincialsynode zur
Verantwortung gezogen. Er bat sich Bedenkzeit aus, so wie eine
Abschrift der acht angeblichen Irrlehren , deren er angeschuldigt
war ; Beides wurde ihm gewährt. Nun gab er in einem zweiten
Verhör, am 18. Februar, eine schriftliche Verantwortung ab, worin
er jene Sätze möglichst vorsichtig auslegte, ohne eigentlich etwas
davon zurückzunehmen. Es schloss sich eine Vernehmung an, in
der er auf scholastisch-spitzfindige Fragen über das heil. Abend-
mahl und die Wandlung ausweichende Antworten gab; ebenso
auch am folgenden Tage, wo das Verhör von 8 — 11 Uhr fortgesetzt
wurde. Weil er sich also zu der Kirchenlehre durchaus nicht un-
bedingt bekennen wollte, sprach der Erzbischof im Namen der
Provincialsynode das Urtheil über ihn. dass er ein Ketzer sei. Und
nachdem inzwischen die Urkunde seines früheren Widerrufs bei-
gebracht, und am 23. Februar ihm öffentlich vorgehalten w7orden
war. wurde er. als rückfälliger und unverbesserlicher Ketzer,
zur Degradation verurtheilt. Schon am 24. Februar folgte die Voll-
ziehung dieses Spruchs : Sautre wurde in vollem priesterlichem
1) WlLKINS III, 261 f.
2 a. a. O. III, 255 f.
64
Buch III. Kap. 2. I.
Ornat bei versammelter Gemeinde vor dem Erzbischof in der Pauls-
kirche zu London vorgeführt: das gefällte Urtheil wurde vorgele-
sen; hierauf schritt man zur Degradation, unter allmählicher Ent-
kleidung von allen einzelnen geistlichen Gewändern und Sinnbil-
dern, Ehren und Rechten : schliesslich wurde er der Tonsur beraubt
und zum Laien herabgesetzt, und sofort dem Marschall des Königs
übergeben ]) . Nachdem inzwischen am 26. Februar der königliche
Befehl an Mayor und SheritYs von London, den Mann zu ver-
brennen, ergangen war2 . wurde er ungewiss an welchem Tage
Anfangs März auf dem freien Platze Smithfield vor einer Menge
von Zuschauern verbrannt. Sautre war der erste Märtyrer unter
den Lollarden. Ein Feuer ist immer leichter anzuzünden als zu
löschen. War einmal der erste Scheiterhaufen entzündet, so
loderte die Flamme des Fanatismus in den Gemüthern fort und
suchte nach immer neuen Opfern.
Vom Jahr 1401 an ging die Arbeit der Inquisition stetig vor-
wärts. In verschiedenen Gegenden des Landes kamen Lollarden
in Untersuchung: in London selbst und in dem benachbarten
Sprengel des Bischofs von Rochester 3 , in Oxford, Nottingham and
Wigston unweit Leicester, sämmtlich zur Diöcese Lincoln ge-
hörig4), in Norwich5). ferner aus dem Westen Englands in Bristol
und Umgegend, so wie in Worcester*' .
Wie man in der Grausamkeit der Todesstrafen Fortschritte
machte und immer sinnreichere Qualen erfand, das lässt sich an
der Geschichte der Hinrichtung des Johann Badby ersehen.
Dieser war ein Schneider aus Evesham in der Diöcese Worcester,
1) Wilkins. Oone. III, 299 f.
2 RYMER Fuder«. VIII, 178. Die kirchliche Urkunde hei Wilkins
schweigt wie das Grab über die Hinrichtung selbst. Walsingham, II. 247
kennt zwar den Namen des Mannes nicht, erwähnt jedoch offenbar diese
ThatSache beim Jahr I 101.
3) Wilkins III, 270 f. Nebst Richard Herbert und Johann Seygne
kam auch eine Frauensperson aus London. Emmote Wylly. in l 'ntcr-
suchung ; vgl. III, 329 f.
4] a. a. (). III. :*ls. :m. .T2<i; 338 ; 870.
5) a. a. (). 298.
6) a. a. (). 2i>:>: :r2:> f.
Johann IJadbys martervoller Tod.
65
und kaut im Jahr 1409 dort vor dem Bischof in Untersuchung,
wegen angeblicher Irrlehren über das heilige Abendmahl. Das
Jahr darauf wurde er in London von dem Erzbischof selbst und
mehreren seiner Suffraganbischöfe verhört. Er blieb aber mit voll-
kommener Ruhe und Festigkeit bei der Erklärung, dass im Sakra-
ment des Altars nach wie vor der Consecration wirkliches Brod
bleibe, das übrigens ein Zeichen des lebendigen Gottes sei. Als
man ihn aufforderte der geweihten Hostie seine Verehrung zu
bezeugen, antwortete er, wie Thomas von Waiden erzählt: »da
ist wahrlich eine Spinne würdiger, verehrt zu werden !« In diesem
Augenblick Hess sich eine ungeheure Spinne vom Kirchengewölbe
herab, direkt aufsein Gesicht zu, und lief um seinen Mund. So-
gleich stand der Erzbischof auf und eröffnete dem versammelten
Volke, was Gottes Hand an dem Lästerer gethan1 . Am 5. März
1410 w urde das Urtheil über ihn gelallt, dass er ein hartnäckiger
Ketzer sei ; der geistliche Gerichtshof übergab ihn dem weltlichen
Richter, nicht ohne eine gleissnerische Verwendung dafür eintreten
KU lassen, dass er nicht mit der Todesstrafe belegt werden möchte.
Aber noch an demselben Tage wurde er, da der königliche Hin-
richtungsbefehl rasch ausgefertigt war, nach dem Platz Smithfield
gebracht und dort folgendermaassen um's Leben gebracht : man
stellte ihn in eine leere Tonne, band ihn mit eisernen Ketten an
einen aufgerichteten Pfahl und häufte nun trockenes Holz rings
um ihn her. Es traf sich, dass- in diesem Augenblicke der Prinz
von Wales, der nachmalige König Heinrich V., dazu kam. Er
fühlte Mitleid mit dem Unglücklichen, und suchte ihn durch Vor-
stellungen und Ermahnungen zum Widerruf zu bewegen. Aber
umsonst. Inzwischen brachte der Prior des Bartholomäusstiftes
auf Smithfield in Procession das »hochwürdige Gut« unter dem
Vorantritt von 1 2 Fackelträgern, um es dem armen Mann am Pfahl
/Ai zeigen. Derselbe blieb jedoch dabei, das sei geweihtes Brod.
I Doetrinale, II, 108. Thoraas beruft sich darauf, dass er Augenzeuge
gewesen und diesen Vorfall in der Paulskirche zu London selbst mit an-
gesehen habe. Auch stimmt das amtliche Protokoll bei Wilkins, Conci.ia
III, 327 in der Hauptsache mit dieser Erzählung überein, nur dass die
angebliche Aeusserung Badby's nicht im Protokoll erwähnt wird.
LtCHLKR. Wiclif. II. 5
66
Buch III. Kap. 2. 1
aber nicht der Leib Gottes. Nim setzte man die Tonne über ihn
her, und zündete das Feuer an. Als die Flammen seinen Leih
erfassten, schrie er »Erbarmen ! « Seine Jammertöne erschütterten
den Prinzen : er befahl das Feuer zu löschen und die Tonne zu
entfernen: nun machte er einen zweiten aber ebenso vergeblichen
Bekehrungsversuch, unter grossen Versprechungen. Endlieh
wurde Badby wieder in die Tonne gethan, und starb, darin ein-
gesperrt, den grässlichsten Flammentod, mit unbezwungener
Festigkeit *)!
Es ist nicht zu verwundern, dass manche Personen durch die
Qualen der Tortur und durch die drohenden Schrecken des Feuer-
todes gebeugt, sich unterwarfen und zu dem geforderten Widerruf
_sich verstanden, während andere zu lebenslänglicher Haft ver-
urtheilt, im Kerker starben. Immerhin endeten mehrere auf dem
Scheiterhaufen als Märtyrer. Und das geschah nicht nur in Eng-
land, sondern auch in Schottland, wo z. B. John Kesby, ein
Wiclifite aus England, im Jahr 1407 verbrannt wurde2).
Unter der grossen Zahl von Bekennern und Märtyrern, welche
in den ersten Jahrzehenten des XV. Jahrhunderts Verhöre der
zudringlichsten Art, mitunter rücksichtslose Haft, grausame Fol-
tern, zum Theil wirklich den Feuertod erlitten haben, ist Einer,
dessen Geschichte vor der vieler Anderen hauptsächlich aus dem
Grunde hervorragt, weil sie uns durch seine eigenhändigen Aut-
zeichnungen genauer bekannt geworden ist. Es ist dies Wilhelm
T Ii o r p e , derselbe, aus dessen Schilderung von der Persönlichkeit
Wiclif 's wir schon oben einige Züge entlehnt haben ! . Er hatte
2o Jahre lang als Reiseprediger theils im Norden Englands, theils
in anderen Gauen gearbeitet. Im Jahr 1397 war er in London
verhaftet gewesen, aber, nach der Verbannung des Erzbischofs
A runde 1. auf Verwendung seiner Freunde, durch den Bischof
von London ohne weiteres auf freien Fuss gesetzt worden 1 . Nun
1) Wilkins, III, 326 f. Walsingham, II, 282. Johann Foxe. Aßtt
and Mon. III, 2.15 ff.
2) HKTHERINGTON, History of the Church of Ücotland Is42. 2. ed. 30,
8) Buch II. Kap. 5.
4) John Foxe, III, 2sl.
Wilhelm Thorpe und sein Verhör.
'war CT aufs neue verhaftet, und zuerst zu Shrewsburv im Westen
Kurland s, in s Uelangniss gelebt worden. Allein der Erzbischof.
Thomas Arundel. Hess ihn im Jahr 1407 auf seine Burg Salt-
wood in Kent. unweit der Südküste. bringen, um persönlich mit
ihm zu verhandeln, und ihn womöglich zu bekehren. Der Primas
hat ihn zu wiederholten Malen vernommen . und bald in wohl-
wollendem, zutraulichen! Ton, bald in inquisitorischer, feind-
seliger und herrischer Weise mit ihm gesprochen. Auf Ansuchen
seiner Freunde, die theils unterwegs, als er von Shrewsburv nach
der Grafschaft Kent transportirt w7urde. ihn sprachen, theils auf
Saltwood zu Zeiten ihn im Gelangniss besuchen durften, setzte er
im Kerker eine Art Denkschrift auf über die Verhöre und seine
Verantwortung vor dem Erzbischof. Diese Aufzeichnungen wur-
den durch Freunde des Mannes sorgfältig aufbewahrt und vielfach
abgeschrieben, im XVI. Jahrhundert von Wilhelm Tindal . dem
Uebersetzer der Bibel ins Englische ~ 1536). herausgegeben.
Die Schrift war im Reformationszeitalter eine beliebte Lektüre,
wurde doch das Lesen derselben mit anderen Büchern durch eine
königliche Proklamation 1530 ausdrücklieh verpönt1 : von Johann
Foxe wurde sie vollständig wieder abgedruckt - .
1) Unter dem Titel: The examination of William Thorpe, WlLKlNs
III. 739.
1 Die Aufzeichnungen waren in englischer Sprache gemacht; Tindal
soll die eigenhändige Niederschrift Thorpe' s zur Verfügung gehabt haben,
beim Abdruck glaubte er indes die Sprache etwas modernisiren zu sollen.
Uebrigens scheint es frühe auch eine lateinische Uebersetzung davon gege-
ben zu haben. Die böhmischen Hussiten interessirten sich für die Schrift,
und eine von den Handschriften der Wiener Hof- und Staatsbibliothek
Lat. MD XXVII nach Denis, aus dem XV. Jahrhundert enthält Colio-
quium Guilielmi Thorp, concionatoris — incarcerati . cum Thoma Arun-
del, archiepiscopo Cantuariensi — anno 1407 habitum. Auch in der erz-
bischöflichen Kapitels-Bibliothek zu Prag befindet sich laut einer Notiz von
Hoefler . Geschichtschreiber der hussit. Bewegung, II, 353. Anm., eine
Handschrift dieses Büchleins. — Johann Foxe hat schon in der ersten
lateinischen Ausgabe seines Werks Commentarii rerum in ecclesia gesUiriim.
15554, nicht nur die Geschichte Thorpe* s ausführlich erzählt, sondern auch
reichhaltige Auszüge aus der Schrift desselben Iis — 157 gegeben. In der
englischen Ausgabe vom Jahr 1684 ist die fragliche Denkschrift Vol. I, GS7
bis sn^ vollständig enthalten; auch die neue Ausgabe von To wn send
1S44 gibt die ganze Thorpe'sche Schrift Vol. III, 250— 2S2.
Buch III. Kap. 2. 1.
Diese Schrift ist in hohem Grade anziehend , ebensowohl
durch die schlichte naive Form des Berichts und der ganzen Dar-
stellung, als durch den lehrreichen Inhalt. Namentlich erregt die
Geistesgegenwart und Ruhe, die Klarheit, Wärme und Ent-
schlossenheit, mit welcher der Getangene sich verantwortet, zu-
mal bei den verschiedenen Tönen . welche der Kirchenfürst ihm
gegenüber anschlägt, wirkliche Seelenfreude und Bewunderung
für den Geist Christi, welcher in diesem Bekenner, wie in anderen
Zeugen der Wahrheit gelebt hat. Da aber Thorpe den Widerruf
und die unbedingte Unterwerfung unter die Auktorität der Kirche
beharrlich verweigerte, und nur nach Maassgabe des Wortes Gottes
sich eines Bessern belehren lassen w ollte, so wurde er zuletzt vom
Erzbischof aufgegeben, lieber seine letzten Lebensschicksale las-
sen uns die Urkunden völlig im Dunkeln. Frei ist er schwerlich
je wieder geworden. Auch ist kaum wahrscheinlich, dass er als
hartnäckiger Ketzer verbrannt wurde. Eher mag er im Kerker
durch Hunger oder Henkersqualen heimlich umgebracht worden
sein. Das letztere hat er offenbar selbst gefürchtet-. Denn in
seinem Testamente, das uns gleichfalls erhalten ist. erklärt er
seinen festen Entschluss, »zum Beweis der Wahrheit seiner Ueber-
zeugung, demüthig und freudig zu leiden, dass sein armer Leib
gefoltert werde, wo Gott will, und von wem. und wann, und wie
lange er will, und welche zeitliche Strafe und Tod er will, zur
Ehre seines Namens und zur Erbauung der Kirche.« Er bittet
schliesslich alle Gläubigen, welche sein Testament lesen oder
hören, um ihre andächtige Fürbitte, »dass ihm gegeben werde
Gnade, Weisheit und Klugheit von oben, damit er sein Leben be-
schliessen möge in der Wahrheit, die er bezeugt hat, und um seiner
Sache willen, in wahrem Glauben, beständiger Hoffnung, und
vollkommener Liebe 1 U
II.
Je grösser der Nachdruck war. mit welchem die Kirchen-
gewalt, unter eifriger Benützung einer geneigten Stimmung der
1) Das .Testament Wilhelm Thorpe s«, bei Joh. Foxk. III. 2S2— 285.
Die Führer der wiclifitischen Partei.
6<>
königlichen Regierung, auf Unterdrückung der Lollarden hin-
arbeitete, desto deutlicher stellte sich mit den Jahren heraus, dass
durch alle bisherigen Maassregeln gegen die Reiseprediger und
gegen einzelne Mitglieder der Partei docli kein nachhaltiger Er-
folg erreicht werde. Man sali immer klarer, dass man den hervor-
ragenden Führern und Hauptern der Partei zu Leibe gehen, und
sie entweder beugen oder brechen müsse, um alsdann über die
Masse desto leichter Meister zu werden.
Nun aber waren die tonangebenden Leiter in zwei verschie-
denen Kreisen und Ständen zu suchen: die geistig bedeutenden
und wissenschaftlich hervorragenden Führer vorzugsweise unter
den Glelehrten der Universität Oxford, die reichen und mächtigen
Gönner und Schutzherren der Partei unter dem grundbesitzenden
Adel und den Grossen des Reichs. Sei's nun, dass man einen
wohlüberdachten Kriegsplan befolgte, nach der Regel : dwide et
impera, oder dass die Umstände selbst diesen Gang herbeiführten:
Thatsache ist, dass man nicht beide Arten von Parteiführern der
Lollarden gleichzeitig aufs Korn genommen, sondern zuerst nur
die Universität, und erst nachher den Theil des Adels, welcher
sich an die Spitze der Bewegung gestellt hatte, angegriffen hat.
Die Universität Oxford war kürzlich in den brennendsten
Verdächt wiclifitischer Gesinnung durch eine Urkunde gekommen,
welche^ wie es sich auch mit derselben verhalten mag, auf jeden
Fall eine höchst merkwürdige Erscheinung ist. Wir meinen die
unter dem 5. October 1406 im Namen des Kanzlers und einer
Versammlung der Magister in aller Form ausgestellte und mit dem
Universitätssiegel versehene Erklärung, welche Wiclif gegen den
Verdacht der Irrlehre in Schutz nimmt, und ein nach jeder Rich-
tung hin ausnehmend günstiges Zeugniss über ihn ablegt1). Der
1 Die Urkunde ist abgedruckt in Wilkixs . ContiHa M. Brit. III,
'Mrl. Jo. HUS et HiBRONYMI Prag-. Historia et Monument«, Nürnberg, 155S.
Vol. II. f. 3663; Lewis. Hist. ed. l§20), Append: 343 sq. HOEFLER, Con-
ci/ia Präaensia, 1862. 53 sq. — Der Hauptinhalt des Zeugnisses selbst möge
!unter Weglassung von Eingang und Schluss meistens nach der Textge-
stalt, wie sie in WlLKINs' Concilieifsammlung sich findet, hier stehen:
— Cujus Wycliff morum honesta fam, sententutritm [scimtiartftrt, Hoef-
ler pro funditatem et redolentis famae suavitatem , ad eommunem ßdelium
70
Buch III. Kap. 2. II.
Eingang lautet: es sei nicht schicklich, die Verdienste wacke-
rer Männer mit Stillschweigen zu übergehen : wohl aber sei es
Pflicht, Anschuldigungen und Lästerungen wider solche Männer,
in Ermangelung mündlichen Zeugnisses, schriftlich zurückzu-
weisen ; aus diesem Beweggrund wollen sie Kanzler und Magister
der Universität; ihre Achtung für Johann Wiclif, ehemaligen
Sohn der Universität Oxford, mit Herz. Mund und Schrift be-
zeugen. Und nun wird einestheils sein sittlicher Charakter und
Wandel nebst seiner rechtschaffenen Frömmigkeit, anderntheils
seine ausgezeichnete gründliche Wissenschaftlichkeit bezeugt ; sein
Kampf gegen Bettelmönche habe lediglich der Ehrenrettung des
wahren Christenthums gegolten. Insbesondere wird constatirt,
dass Wiclif niemals in seinem Leben einer Irrlehre überwiesen
worden sei ; aber auch nach seinem Tode sei nicht etwa sein Leib
ausgegraben und die Ueberreste verbrannt worden l) .
Dieses höchst ehrenvolle Zeugniss hat seiner Zeit grosses
Aufsehen gemacht, bei Freunden Wiclif s und bei Gegnern,
innerhalb und ausserhalb Englands. Dasselbe ist in Böhmen be-
kannt geworden, Hus hat sich sogar auf der Kanzel darauf be-
rufen, das Zeugniss wörtlich verlesen und das Siegel öffentlich
notitiam eo ferventius cupimus pervenire, quo piae suae, Hoefler conver-
satiönis tnaturitas ac laborum librorum, Wilkixs assiduitas ad Det laudem,
proximorum salutem, ecclesiae profectum evidenttus tendere dignoseafur di-
nosruntur, Hoefler . Vobis igitur patefßcimus per praesentes, quod ejus con-
versatio ab annis teneris in tempus sui obitus continuata -sie hie, WlLK.
praeelara extitit et honesta, ut nunquam de ipso haeresis irretitio ipso irri-
tatin , Wiek, vel sUspicionis sinistrae ac infamiae nota respersa fuerit fue-
rat, HoEFEKK .• srd in rcspimdcndo , /('(/endo, praedicamdo . detenninando lau-
dabt Itter sc habuit , et vehit fidei fortis ath leta singulas mendicitatt
spontanen Christi rcl iijionem blosphemantes sacrae seripturae sententiis ea-
tliolice expugnavit. Nee fuerat praedictus Doetor pro hueretica praritatc con-
eictiis , auf per nostros praelatos post ejus humationem traditus üicendii.s.
Absit enim, quod nostri praeluti tantae probitati.s vir um pro haeretico con-
demnasfseut , qui in logicalibu.s , philos<tphicis et tlieologicis ac mora/ibus et
xpeculativis inter omnes nostrae Uiiicerxitatis , ut eredimas. svripserat sine
pari.
I Die verneinenden Sätze treten offenbar gewissen Gerüchten entge-
gen, welche um jene Zeit verbreitet worden sein müssen, um Wiclif 's
guten Ruf nachträglich zu verderben.
Das Oxforder Zeugniss für Wiclif.
71
vorgezeigt 4) . Andererseits haben gerade englische Mitglieder des
( Joncils zu Constanz das Zeugniss für gefälscht erklärt. Man hat
später sogar den Mann genannt, welcher angeblich völlig unbe-
rufen das Zeugniss verfasst und der Universität Oxford unter-
schoben, und die gefälschte Urkunde mit dem heimlich entwen-
deten Universitätssiegel gesiegelt haben soll: Peter Paine, einen
Anhänger Wiclif 's, der 1410 — 1415 die Würde eines Viceprincipals
der St. Edmunds-Halle in Oxford bekleidete, später von England
nach Böhmen ging und 1433, als einer von den Abgeordneten der
böhmischen Hussiten, zum Basler Concil reiste ; er ist 1455 in Prag
gestorben 2) .
Es fragt sich : ist der Verdacht einer Fälschung gegründet ?
Wir verneinen die Frage , und stützen uns dafür gerade auf eine
Aussage von gegnerischer Seite. Im Jahr 1411, also nur 5 Jahre
nach dem Datum der Urkunde, hat die Convocation der Provinz
Tanterbury unter anderem einen Beschluss gefasst, welcher sich
auf Oxford bezieht und augenscheinlich auf die fragliche Urkunde
1 In dem Verhör, welches die Synode von Constanz am S. Juni 1 4 1
mit H u s vornahm . wurde er von englischen Concilsmitgliedern über diese
Urkunde befragt. Er gestand zu , dass er zu Prag einmal in der Predigt
dieselbe zur Kenntniss der Gemeinde gebracht habe. s. Palacky, Docu-
menta Mag. Joannis Hus vitam doctrinam causam — ülustrantia, Prag 1809.
813, nach Peters von Mladenowitz Bericht.
2 Bemerkung des Herausgebers Townsend zu Foxe, Acts and Mon
III. sl4. — Andererseits beschuldigte man aber auch einen ungenannten
Böhmen , der von Prag nach Oxford gesandt worden sei, um an Ort und
Stelle zu erörtern, ob AViclif's Schriften wirklich von den englischen Bi-
schöfen verurtheilt worden seien , dass er sich eine absichtliche Täuschung
erlaubt habe. »Er wusste sich eine Ausfertigung der Oxforder Universität zu
verschaffen, schabte die Schrift, so weit es ihm dienlich war, künstlich
ab, und schrieb nun einen fingirten Beschluss des Oxforder Kanzlers und
sämmtlicher Magister zu Gunsten Wiclif 's darauf; das Aktenstück wurde
mit den dazu gehörigen Siegeln versehen« u. s. w. So Hoefler, Magister
Joh. Huss, 1M)4. S. 177, nach einem handschriftlich vorhandenen Briefe
eines Stanislaus von Welwar. AVie weit diese Darstellung buchstäblich aus
diesem Briefe entnommen ist, können wir nicht sehen. Jedenfalls ist die
Angabe des antihussitischen Briefstellers nicht der Art, dass sie auf unbe-
dingten Glauben Anspruch machen kann. Dessen ungeachtet nimmt Ber-
ber, Joh. Hus und König Sigmund. 1^71 . 47 f. die Erzählung für baare
Münze an.
72
Buch III. Kap. 2. II.
mit anspielt. Es wird Beschwerde darüber erhoben, dass auf der
Universität die Irrlehre im Schwange gehe und der rechte Glaube
bekämpft werde, dass Würdenträger der Universität das Joch des
Gehorsams abschütteln und Unschuldige unterdrücken. In diesem
Zusammenhang wird nun ein gewisses Zeugniss erwähnt, welches
zu Gunsten der Irrlehre ausgestellt und mit dem Universitätssiegel
heimlich versehen, sogar ins Ausland versendet worden sei 1 .
Diese Aeusserung nimmt unstreitig Bezug auf unser Dokument,
denn die Beschreibung deckt sich mit diesem in allen Hauptzü-
gen dermaassen. dass über die Identität kein Zweifel sein kann.
Welches ist aber das Urtheil. das die Convocation über die Ur-
kunde fällt? Sie bezeichnet letztere als literae fahitatis. Damit
kann der Verdacht der Unächtheit und einer Unterschiebung
ausgesprochen sein, aber er muss nicht nothwendig darin liegen
möglicherweise will nur die sachliche Unwahrheit des Inhalts
behauptet werden. Und letzteres dürfte um so mehr die Meinung
sein, als die ganze Urkunde vom Jahr 1411 ihrem Zusammenhang
nach eine Art Anklageakte gegen die Universität Oxford und deren
Würdenträger ist. Der »falsche Brief« bildet nur einen Punkt
unter anderen, welche der Universität zur Last gelegt werden.
Somit scheint die Convocation wirklich das Schreiben vom Jahr
1406 der Körperschaft selbst, wenigstens ihren Vertretern, zuzu-
schreiben. Die Behauptung, dass das Siegel heimlich auf-
gedrückt worden sei. ohne Einwilligung der Magister und Doc-
toren. spricht vielmehr für als gegen die Aechtheit des Doku-
ments. Die Meinung scheint eine ähnliche zu sein wie bei der
Verwahrung von Hus dagegen, dass in Prag 1412 ein Gutachten
von 8 Doctoren der Theologie für eine Entscheidung der theolo-
gischen Facultät ausgegeben wurde2 . Hätte man sagen wollen.
1 Wilkins . III. 336: Qnasdam ctiam Hieras fähitatis , testimo-
ntoniwu perhibentes w defen&ionem brifiarum = rixaram. Du Catvge harrc-
sium H erromm, rigittö eommuni universitatis, mctmsultis mat/istris et docto-
ribus , elam .v/V/ il laut . ad regna et loca ertranea transmittwit in tntit/s
> (■(/)>/ Anf//i<w et praecipne noetrae matris ecclesüu scandahtm et ffravamen.
2 Re.spon.sio ad .scripta tna</i.stri Sfattisfai de Znm/nia. in Jo. Iii s. Hut.
et Monamenta, Nürnberg l.V>V I. 265». Vgl. PALACKT Gesch. von Böh-
men, III. 1, 2M) f. Gesch. des Hussitenthnms . IMiv Uli t. Nkanuer.
KircheiiKesch. :i. Anti. 1856. II, §30 f.
Frage von der Aechtheit des Zeugnis<e>
der Verfasser habe sich zum Besten seines unberufenen Mach-
werks nur durch Entwendung in den Besitz des Siegels der Uni-
versität für einen Augenblick zu setzen gewarnt . so würde man
sicher noch ganz andere Worte gewählt haben: hat doch dieselbe
Convocation im Fortgang des gleichen Aktenstückes das gefälschte
Ordinationsdiplom eines angeblichen Bischofs ein imtrumentum
praetetisum genannt und die betreifende Handlung als ein crimen
f abricationis sigillorum et lullarum gebrandmarkt1 . Indessen
ist selbst der Vorwurf, dass die stimmberechtigten Mitglieder der
Universität nicht über die Sache berathen und Beschluss geüasst
hätten, mit Vorsicht aufzunehmen. Falls in einer zufällig wenig
zahlreichen und überwiegend von wiclifitisch gesinnten Doctoren
und Magistern besuchten Versammlung ein Beschluss durchgegan-
gen war. welcher nach der Hand den Gegnern misfiel, so konnte
sehr leicht der Vorwurf erhoben werden, man sei nicht loyal zu
Werke gegangen. Auch setzt die von Prälaten und Klerus in der
Convocation erhobene allgemeine Anklage wider Oxford, dass es
Irrlehren begünstige, offenbar dieThatsache voraus, dass bei einem
beträchtlichen und einflnssreichen Theile der Mitglieder eine Hin-
neigung zu Wielif's Seite statt gefunden habet Während die
Ansehuldigung gewalttätigen und terroristischen Gebahrens
leicht eine Beziehung haben mochte gerade auf die Art wie der
Besehluss über das Zeugniss zur Ehrenrettung Wiclif's zu Stande
gekommen war. Nach alle dem glauben wir die Aechtheit des
Dokumente> behaupten zu dürfen, ungeachtet dasselbe von den
Gegnern Hussens in Prag und auf dem Concil zu Constanz für
eine Fälschung ausgegeben worden ist2 . auch neuere ganz un-
1 Wilkins. Iii, ;vm\.
2 HoEFLER. Concilia Pragensia, p. 53 : literae unicersitatis Oxoniensis
apocnjphae. Palacky. Documenta .To. Hn.s ritam — Mustrantia, 1868, 1513:
dixerunt Main literam f/tisse fai sificatam et non debito emanas.se. Die
letzteren Worte deuten nur an. dass der Hergang nicht ganz legal gewesen,
keineswegs aber . dass das ganze Schriftstück ein Machwerk des Betrugs
und Schwindels sei. Uebrigens kann das Schreiben entgegengesetzten In-
halts, mit dem Siegel des Kanzlers von Oxford . welches die Engländer in
Constanz zur Verlesung brachten . in keinem Fall als Beweis der Unächt-
heit der fraglichen, jedenfalls älteren Urkunde gelten. Die ganze Bespre-
chung der Sache in der Convocation hat aber nur dann Sinn und Bedeu-
74
Buch III. Kap. 2 . II
parteiische Forscher theils von der Unächtheit überzeugt waren,
rheils mit sichtbarer Zurückhaltung sieb darüber geäussert
haben 1 .
Jedenfalls ist durch das gegnerische Zeugniss der Convocarion
constatirt. dass der Geist, welcher aus jener Urkunde spricht,
dazumal in Oxford weit verbreitet und von einflussreichen Persön-
lichkeiten an der Universität vertreten war. Da kann man sich in
der That nicht wundern, dass die Kirchenmänner sorglich wur-
den, und darauf bedacht waren, dem Ueberhandnehmen der
Ketzerei an der Universität zu steuern.
Seit dem Datum jener Urkunde waren Jahr und Tag ver-
gangen, als Erzbischof Arundel auf einem Provincialconcil. wel-
ches, in Folge eines Antrags von Seiten der Pfarrgeistlichkeit de-
Erzbisthums, im Januar 140s in Oxford selbst tagte, eine periodisch
zu Aviederholende Visitation aller Collegien der Universität durch
die Vorsteher der Häuser, in Hinsicht auf wiclifitisehe Gesinnungen
anordnete. Im Eingang klagt der Erzbischof: »diese Universität,
die sonst ein saftreicher Weinstock gewesen sei. und ihre Zweige
zur Ehre Gottes und zur Förderung seiner Kirche ausgebreitet
habe, trage jetzt Heerlinge ; und daher komme es. dass die neue
unfruchtbare Lehre der Lollarden im Lande so überhandnehme.«
rung , wenn die Urkunde von 140(> von Mitgliedern der Universität ausge-
gangen war. Mit andern Worten, die Anklage des Stanislaus von Welwar,
als sei jenes Zeugniss für Wielif das Machwerk eines hussitischen Bac-
calaureus gewesen , der nach England geschickt worden , verliert dadurch
allen Grund und Boden. — Noch machen wir aufmerksam auf das Schrei-
ben des Krzbischofs Arundel von Canterbury d. S. Mai 1411. worin erder
Universität Prag, zur Berichtigung falscher Gerüchte, die Versicherung gibt,
dass er nebst Bischöfen und Klerus Wiclif als Irrlehrer verurtheilt habe.
Der Brief ist abgedruckt bei Hokfler. Geschichtschreiber der hussit. Bewe-
gung II, 193.. Hier ist nur von .sjtiritu.s motdaeii. nicht aber von Fälschung
die Rede. Und doch scheint der Erzbischof gerade jenes Zeugniss von 14<M>
im Auge zu haben; wir glauben das um so mehr, als selbst die Adresse:
l'nnrrnis fidei rathol ira r zc.lat or ibus, nicht ohne einen Seitenblick auf
die Adresse des Zeugnisses . welches ja auch Briefform trägt . gewählt sein
dürfte: 1'nircrsis sanctav nuttris ecrlesiae filiis.
1 Xkaxdkr , Kirchengesch. 2. Aufl. II. soö hält das Dokument ent-
schieden für unächt . Tlrnkr. ///*/. of Engl. V. P9§ äussert sieh wenig-
stens mit grosser Zurückhaltung darüber.
Maassregeln gegen die Universität.
Deshalb wird angeordnet : »jeder Vorsteher eines Collegiums oder
einer »Halle« solle mindestens jeden Monat einmal gründlich nach-
forschen, ob irgend ein Angehöriger des Hauses, sei er ein Studi-
render oder ein Graduirter. einen mit der Kirchenlehre unverträg-
lichen Satz geäussert oder vertheidigt habe. Der Verdächtige sei
erstmals nachdrücklich zu verwarnen: bleibe dies erfolglos. ><>
sei der grosse Bann über ihn zu verhängen ; überdies soll, falls
er Studirender ist, seine Studienzeit ungültig sein : ist er Doctor
oder Baccalaureus, so wird ihm jeder Universitätsakt untersagt,
und er soll aus seinem Collegium ausgestossen, seine Stelle aber
einem rechtgläubigen Mann ertheilt werden. Sollte sich aber ein
Collegienvorstand in diesem Geschäfte lässig finden lassen, so
soll er in den Bann gethan, seiner Würde entsetzt, und ein an-
derer in dieselbe eingesetzt werden. Dasselbe Verfahren tritt ein.
wenn der Vorstand eines Collegiums oder einer Halle für seine
Person in den Verdacht der Irrlehre geräth , oder Leute dieses
Geistes vertheidigt und begünstigt1).
Die Sache war so weit gut angelegt. Allein die Vollziehung
scheint vielfach nicht ganz entsprochen zu haben. Wenigstens
beschwert sich der Erzbisehof in zwei späteren Erlassen über
Nichtbeobachtung obiger Verordnung, und fordert aufs nach-
drücklichste, dass dieselbe streng vollzogen werden solle2 . Aber
noch im Jahr 1411 klagte, wie wir oben gelegentlich hörten, die
Geistlichkeit auf der Convocation über die Universität- Oxford: sie
erzeuge entartete Söhne, welche die Kirchenzucht verachten, und
dem Volk mit Misachtung der Kirche vorangehen, auch die
Mönchsorden verspotten ; insbesondere wird darüber Beschwerde
geführt, dass Beamte der Universität ihre Stellung zur Be-
schwerung Andersgesinnter mannigfach misbrauchen. Mit dem
allein wird schliesslich das dringliche Ersuchen motivirt, dass der
1 YVilkixs. III. 318 f. Coiictmio. Die Thatsache der gegen die Uni-
versität gerichteten Denunciation so wie der Beschluss des Provincialcon-
cilfi spricht dafür, dass damals der AVic Iii" sehe Geist in Oxford stark ver-
ireten war. Dadurch -wird die Möglichkeit eines Beschlusses zu Gunsten
von Wiclif, wie ihn die Urkunde von 1406 voraussetzt, immerhin nahe
gelegt.
2 a. a. O. 323. N
76
Buch III. Kap. 2. II.
Erzbischof alsbald in eigener Person die Universität visitiren und
die geeigneten Maassregeln ergreifen möge 1 . Dieses Gesuch war
jedenfalls von Erfolg begleitet. Ohne Zweifel hat die beantragte
Visitation statt gefunden. Und wahrscheinlich wurden im Ver-
laufe derselben einzelne bedeutende Männer von freier Reform-
Gesinnung ausgegossen. Wenigstens waren schon im Jahr 141*2
die tonangebenden Manner an der Universität von einem päpstlich
gläubigen und conservativen Geist beseelt : die Körperschaft; der
Universität legt in einem Sehreiben an den Erzbisehof und sehn1
Suffraganen eine Reihe von 267 Sätzen aus Wie Ii f 's Schriften
vor. die sie für irrig und ketzeriseh erkenne, aber auch von den
Kirchenoberen ausdrücklich verurtheilt zu sehen wünsche. Sie
haben, in Gemässheit der Ermahnungen des Erzbisehofs. 12 aus-
erlesene Doetoren mit sorgfältiger Durchsicht der Schriften Wi-
ciif's und Verzeichnung irriger Sätze, die sich darin finden sollten,
beauftragt: und so befinden sich denn in den 267 Sätzen Auszüge1
aus 13 grösseren und kleineren Schriften des Mannes2 . Ks ist.
als wollten die Häupter der durch die Prälaten gesäuberten Körper-
schaft einen Beweis von ihrer vollkommenen Ergebenheit gegen
die römische Kirche geben. Und bei dieser Gesinnung hatte es
in Oxford fernerhin sein Verbleiben: denn im Jahr 1114 reichte
die Universität eine Denkschrift an den jüngst auf den Thron er-
hobenen Heinrich V. ein. worin sie aeben einzelnen guten Reform-
Vorschlägen- im Geiste des Constanzer öoncils, das eben damals
verhimmelt war, schliesslich auch den Antrag stellte: jeder Bi-
schof, der die Säuberung Beines Sprengeis von Ketzerei lässig
betreibe, solle abgesetzt, hingegen alle königlichen Beamten im
Lande mögen darauf beeidigt werden, den Bischöfen bei Ver-
haftung und Bestrafung der Lollarden kräftig an die Hand zu
gehen * . So bedeutend war der Umschwung gewesen, welchen
der in Oxford herrschende Geist erfahren hatte, dass jetzt die
Universität glaubt die Bischöfe anspornen zu müssen, damit sie
im Werk der Inquisition ihre Schuldigkeit thun. während vorher
1 WiLKOrs, III. :t:*ü.
2 a. a. O. III. XW — U9
3 a. a. O. III. 365.
Erlasse gegen das Umsichgreifen des Lollardenthums.
77
geraume Zeit vielmehr die Prälaten für nöthig gefunden hatten
auf die Universität zu wirken, um sie in das orthodoxe Geleise zu
bringen. Von da an scheint Oxford der wiclifitischen Partei für
immer abwendig gemacht, und für das päpstlich scholastische
System gewonnen zu sein. Es waren seit Wiclif's Tod 30 Jahre
vergangen. — So war demnach die eine der beiden Quellen, aus
welchen die wiclifitische Strömung im Lande gespeist worden
war, glücklich verstopft.
Inzwischen war die Arbeit auch schon in Angriff genommen,
diejenigen Grossen des Reichs zu beugen, welche dem Lollarden-
thum als Gönner und Schutzherren Vorschub leisteten. Bevor wir
jedoch zu diesen Maassregeln übergehen, ist es nöthig eine Reihe
von Erlassen zu berühren, welche den Zweck hatten, auf unmittel-
bar kirchlichem Gebiete dem Umsichgreifen des Lollardismus
Schranken zu setzen. Es sind dies die im Jahre 1408 vom Erz-
bischof in Verbindung mit der Convocation gegebenen »Con-
stitutionen« l) . Sie sollten hauptsächlich die Mittel zur Aus-
breitung der wiclifitischen Lehre abschneiden, dadurch dass so-
wohl mündliche Vorträge und Reisepredigten als das Lesen von
Sehliften unter eine strenge Aufsicht der Kirche gestellt wurden.
Die drei ersten dieser »Constitutionen« bezogen sich auf das Pre-
digen. Artikel 1 und 2 verfügte, es dürfe niemand, der nicht
ohnehin das Recht dazu besitze, ohne Genehmigung des Bischofs
vor dem Volke predigen ; und diese Genehmigung wurde möglichst
erschwert. Der dritte Artikel regelte die Art und Weise des
Predigens : jeder solle so predigen, wie es die Zusammensetzung
seiner Zuhörerschaft erfordere, also vor Geistlichen über Fehler
der Geistlichen, vor Laien über deren Sünden; hiemit sollten die
öffentlichen Rügen wider die Sünden der Geistlichen abgestellt
werden, welche die Lollarden in ihre Predigten einfliessen zu
lassen pflegten. Im 4. Artikel wurden auf das Aussprechen un-
kirchlicher Lehren über die Sakramente Strafen gesetzt. Da-
gegen sollte durch Artikel (5 und 7 die wiclifitische Literatur
unter Schloss und Riegel gelegt werden : Art. 6 : kein Buch oder
Traktat von Wiclif oder jemand sonst darf fortan in Schulen
1 Constitutiones Thomae Arunde!, Wilkins. Conc. III, 314 — 319.
Ts
Buch III. Kap. 2. III.
oder anderswo gelesen werden, es sei denn die fragliche Schritt
von den Universitäten geprüft, vom Erzbischof approbirt. und im
Namen der Universität den Buchhändlern übergeben worden, um
Abschriften davon machen zu lassen : Zuwiderhandelnde werde n
als Freunde der Ketzerei bestraft. Der 7. Artikel untersagte so-
gar Uebersetzung biblischer Texte und Bücher in's Englische und
das Lesen solcher Uebersetzungen. falls sie nicht kirchlich appro-
birt seien, bei Strafe des grossen Bannes 1 . Durch diese Verord-
nungen glaubte man der weiteren Ausbreitung der gefährlichen
Grundsätze Wiclif's mittels Wort und Schrift einen hinreichen-
den Damm entgegengestellt zu haben.
III.
Erzbischof Thomas Arn ndel hielt die Reinigung Englands
von den Lollarden für seine heilige Pflicht und machte sich die-
selbe zur Lebensaufgabe2). An Erfolgen dieses Strebens hat es
wahrlich nicht gefehlt. Dessen ungeachtet war es ihm vorbe-
halten, in hohen: Alter und im letzten is. Jahre seiner Amts-
führung als Primas noch die Entdeckung zu machen, dass es
ein Ding der Unmöglichkeit sei. die Glaubenseinheit in der
Landeskirche wieder herzustellen, wenn nicht gegen diejenigen
Grossen des Reichs mit vollem Ernst eingeschritten werde.
1) Const. VII: Statu intus — et ordinamus , ut nemo deinceps aliquem
t ex tum s. scripturae aucioritate situ in linyuam Anylicanam vel aliam
transferat per riant libri, libelli mit tractutus : nec leyatur aliquis Jiujus-
modi Uber, libellus aut tractutus jam novit er tempore dicti Joannis Wycliff.
sire ritra, compositum aut imposterum rontponendus , in parte vel in toto.
publice vel occulte, sub tnajoris excommunicationis pbna , quousque per loci
diöcesunum — ipsa translatio fuerit approbata. Qui contra fecerit, ut fautor
Iiaeresis et error is — puniatur.
2 Er bekannte dies offen im Verhör mit Wilhelm Thorpe, dem er
am Schluss sagte: Bee this thiny well knowne to thee , that (iod as I tcote
knoiv^ well, hath called nie ayaine aus der Verbannung s. III. Kap. 1.
S. .">(> and brouyht nie into this fand, for t<> dcsfmie thee and the falsa seef
that thou ort of; as by (iod, I s Ii all pursue you so narroicly, that
I s 1t all not teure a slip of you in this land. Rramination of W.
Thorpe, bei FoXK, III, Ä8fi
Die Gönner der Lollarden unter den Herren.
7«)
welche den Lollarden durch ihre Gunst und mächtigen Schutz
Vorschub leisteten 1 . Es waren ihrer /war nicht mehr so viele,
wie in früheren Jahren. Einige von den Männern, welche nach
Wiclif's Tod als Gönner uud Führer der Lollarden hervor-
ragten, waren inzwischen gestorben . z. B. der Gral von Salis-
bury; Sir John Pec che aus Warwickshire war schon 1386 ge-
storben, und andere waren seit dem Anfang des XV. Jahr-
hunderts, wo Kirche und Staat sich gegen die Lollarden die Hand
reichten, rückwärts gegangen, so Sir Lewis Clifford, der schon
bei Lebzeiten Wiclif's, und seit seinem Tode treu zu der Re-
formpartei gestanden hatte : bei ihm scheint bald nach der Thron-
besteigung Heinrich's IV. eine Wendung eingetreten zu sein,
wenigstens hat er schon 1402 eine Anzahl Grundsätze der Lollar-
den dem Erzbischof Arundel denuncirend mitgetheilt2 ; er starb
übrigens bereits 1404. Dennoch fehlte es selbst nach dem ersten
Jahrzehent des XV. Jahrhunderts noch nicht an Rittern und
Herren, welche man glaubte beugen zu müssen. Koch war der
Plan, die Universität Oxford für das römische Kirchensystem
zurückzuerobern, nicht vollständig durchgeführt, als man schon
anfing, auf einen der Grossen des Reichs, weil er ein Führer der
Lollarden sei. zu zielen: das war im Jahre 1410. Man kam aber
nicht so schnell zum Ziele, wie bei der Universität. Denn diese
war als Gesammtkörperschaft, wie in ihren einzelnen Gliederun-
gen, den Collegien. eine kirchliche Stiftung und der Landes-
kirche einverleibt, von den kirchlichen Oberen mehr oder weniger
abhängig. Aber bei einem grossen Herrn, der durch bedeutenden
Grundbesitz so w ie durch Verdienste um den Staat fest gewurzelt
und einflussreich war, konnte man erst nach harten Kämpfen und
bedeutenden Erschütterungen, und nur mit Anwendung der
1 Die Convocation vom Sommer beschloss neben anderem: quasi
pro impossibili , scissuram tunicae Domini inconsutilis reformare, nisi prius
certi mag nates regni, auetores, fautores , protectores , defensores et reeepto-
res hör um haereticorum, qui dicuntur Lollardi, essen t rigide reprehensi, ac, si
opus fuerit, per censuras ecclesiae, una cum in cocatione brachii secu-
laris, a suis deeiis revocati. Wilkins, III, 3>53.
2 Walsingham, Hist. anglicana, II, 2ö:;.
so
Buch III. Kap. 2. III.
aussersten Gewalt, nach einer Reihe von Jahren 1417 zum
Ziele gelangen.
Sir John 0 1 d e a s 1 1 e 0 1 d e a s te 1 1 war ein ganzer Ritter,
persönlich streitbar und tapfer, ein tüchtiger Feldhauptmann,
aber aueh ein ^yeiser Rathgeber und ein gewandter Hormann,
gütig gegen die Armen, aber von scharfer Zunge und unnach-
giebig gegenüber den Hochfahrenden : er war ein Anhänger
Wiclif's. dem er seine Erweckuug. und die Anleitung zur
Gottesfurcht und zum Trachten nach der Heiligung verdankte l) .
Seitdem war er auch ein Freund und Schutzherr der Lollarden.
Arme und fromme Leute nannten ihn nur den guten Lord
Cobham.« Der tapfer«' junge Ritter hatte sich nämlich vermählt
mit Lady Johanna . der letzten Erbin des altehrw ürdigen Ge-
schlechtes der Cobham ; kraft ihrer Rechte Würde er Besitzer von
Couling Castle in Kent und sass als Lord Cobham im Oberhause.
Uebrigens war er. ungeachtet seiner Sympathie für die Lollarden.
zu denen er selbst zählte. Heinrich IY. ergeben, und stand hoch
in dessen Gunst. Der König erzeigte ihm einen besonderen Be-
weis seines Vertrauens dadurch, dass er ihm ein Commando bei
den Hülfstruppen anwies, die er im Herbst 141 1 dem Herzog von
Burgund zusandte, um dem König Karl zu Hülfe zu kommen,
der in Paris von den Armagnaken bedrängt wurde 2 . Auch dem
Prinzen von AVales scheint er nahe gestanden zu haben: da-- et
aber jemals ein Genosse seiner Ausschweifungen gewesen sei. ist
nicht- anderes als eine böswillige Verleumdung :i . Ks ist viel-
mehr sicher, dass der Kitter. seitdem er erwachsen war. die
Gnade Gottes höher schätzte als die Gunst seines Königs oder
gar die Vertraulichkeit eines leichtsinnigen Prinzen, von dem ihn
schon der Unterschied des Alters trennte. Sir John Old Castle
war entschlossen, Christo nachzufolgen, und liebte die Predigt
I In einem Verhör vor dem Erzbischof bekannte er selbst einmal :
■Was den tugendhaften Mann Wiclif anlangt, dessen Urtheile Ihr so höch-
lich verwerfet, so spreche ich meinestheils vor Gott und Menschen aus, dass
ich selbst, ehe ich seine verachtete Lehre kennen lernte, niemals mich der
Sünde enthalten habe.« Foxk, Acts and Mon. III, S32. ed. Townsend .
2) Pauli, Gesch. von England, V, 47 f. Foxk, III. 3181
:t Pauli, V s| f.
Lord C'ohham.
8 I
ilcs Wortes Gottes, wie er denn in denjenigen Gegenden, wo
seine Besitzungen lagen, in den Sprengein der Bischöfe von Lon-
don und ivoehester, so wie im Bisthum Hereford. Rekeprediger
ohne bischöfliche Genehmigung aussandte. Den Predigten dieser
Männer pflegte er persönlich beizuwohnen, und trat dabei Den-
jenigen, welche Widerspruch zu erheben Lust hatten, nachdrück-
lich entgegen. Er selbst pflegte seine eigene Ueberzeugung offen
auszusprechen, mochte sie auch in wichtigen Punkten von der
katholischen Kirchenlehre abweichen, z. B. über Abendmahl.
Beichte und Schlüsselgewalt, über Bilderverehrung und Wall-
fahrten. Wurden Mitglieder der Partei von der Kirehengewalf
bedroht, so scheute er sich nicht sie mit seinem Ansehen und
Kinfluss nach Kräften zu schützen.
Deshalb war er begreiflich der Hierarchie ein Dorn im Auge.
Allein es fehlte längere Zeit an Muth oder an Gelegenheit und
Verwand, den mächtigen und in der Gunst seines Königs hoch
stehenden Mann persönlich und unmittelbar anzutasten. Anfangs
wagte man sich nur an seinen Kaplan, Namens Johann, welcher
jedenfalls unter dem Schutze, vielleicht sogar im Gefolge des
Kitters. an mehreren Orten im Sprengel von Kochester, nament-
lich in den Kirchen zu Hoo, Halsto und Cowling. als Reise-
prediger ohne bischöfliche Erlaubniss aufgetreten war. Diese
( b tschaften gehören sämmtlich zur Grafschaft Kent. und liegen
auf einer Halbinsel, welche nördlich von der Themsemündung,
südlich von dem Medway begrenzt ist; in Cowling. jetzt Cooling.
stand die Burg des Lord Cobham. während der Familiensitz des
Geschlecktes, Cobham selbst, nicht ganz 2 Meilen westlieh davon
lag. Der Er/bischof Hess im Jahr 1410 den genannten Kaplan
zur Verantwortung vorladen, und belegte die Kirchen, in welchen
derselbe zu predigen pflegte, mit dem Interdikt, übrigens ohne
auch nur ein Wort der Rüge wider den Lord selbst laut werden
zu lassen 1 .
1 Mandat des Krzbischofs . vom 3. April 1410, Wilkins . Cour. III,
329 sq. Das verfügte Interdikt über die Kirche zu Cowling wurde jedoch
schon 2 Tage darauf für 3 Tage suspendirt, damit in der genannten Kirche
die Trauung des Ritters Thomas Broke Brooke mit der Tochter und
Erbin von Lady Cobham vollzogen werden könne. Wilkins, III, 330 sq.
Lechler , Wiclif. II. R
S2
Buch III. Kap. 2. III.
Etwas näher ging- man ihm , nachdem Heinrieh IV. am
20. März 1413 gestorben war, in demselben Jahr zu Leibe, wie-
wohl auch jetzt nur in der Weise, dass man über ein Buch, das
in seinem Besitze gewesen war, Untersuchung anstellte , und
dessen Verbrennung verfügte. Es fand sich nämlich unter an-
deren als ketzerisch zur Anzeige gekommenen und verurtheilten
Büchern auch eine Handschrift vor, die dem Lord Cobham
angehörte. Man hatte sie noch ungebunden bei einem Bürger von
London angetroffen, der den Auftrag hatte , das Exemplar noch
mit Malereien ausschmücken zu lassen. Der Mann wohnte in
Paternoster rowe, einem Quartier, das also schon damals . wie
noch jetzt, ein vorzugsweise buchhändlerisches gewesen zu sein
scheint. Man fand für gut, bevor die Bücher kraft Urtheils des
geistlichen Gerichts verbrannt wurden, die anstössigsten Sätze, die
darin standen, in Gegenwart des Lords Cobham selbst, welcher
eigens dazu befohlen worden war, vor dem König, Heinrich V. ,
nebst mehreren Prälaten und grossen Herren im Geheimen Cabinet
zu Kensington vorzulesen *■) . Der König äusserte seinen Abscheu
vor diesen Sätzen, und der Lord versicherte , er habe bis jetzt
noch nicht weiter als zwei Seiten in dem Buche gelesen, erklärte
jedoch auf Befragen, dass er die Verurtlieilung der fraglichen
Schrift als gerecht anerkenne. Das waren lauter blos vorbe-
reitende Schritte. Indessen schien ein Doppeltes vorläufig er-
reicht zu sein. Man hatte durch Mittheilungen aus dem Buche,
dessen Titel nicht angegeben ist, den König einigermaassen
gegen den Lord gestimmt. Und die Erklärung, welche Lord
Cobham mündlich über jene Schrift abgegeben hatte. Hess
hoffen, dass derselbe bei weiterem Vorgehen gegen ihn sieh
gleichfalls nachgiebig beweisen "werde. Nun entschloß« man sich,
gegen seine Person selbst Schritte zu thun.
Auf der Convocation, welche am 26. und folgenden Juni
1413 tagte, wurde von Seiten der Geistlichkeit die Anschuldigung
gegen Sir John Olcastle erhoben, dass er Irrlehren hege, ja
öffentlich kund gebe, ferner dass er Reiseprediget solcher Irr-
lehren beherberge, unterhalte, beschütze und aussende; es erging
1 In interiori canura rrf/is apud Kcui/mjton , WlI.KlNs, III, 329. <VM).
Die ersten Schritte gegen Lord Cobham.
83
deshalb die förmliche Aufforderung an den Erzbisohof Thomas
Vrundel von Canterbury. dass er gegen den genannten Herrn eine
Untersuchung eröffnen möge, und veranstalten, dass er sich vor
dem Primas und den Prälaten persönlich verantworte. Das schien
jedoch dem Erzbischof nicht räthlich. wegen des vertrauten Ver-
hältnisses, welches bis jetzt zwischen dem König und Lord
Cobham statt gefunden hatte. Er hielt es für geboten, sich zu-
nächst an den König selbst zu wenden. Der Erzbischof begab
sich, in Begleitung sänimtlicher Bischöfe und im Gefolge einer
grossen Anzahl von Geistlichen, nach dem Landsitz Heinrich s V..
Kensington, trug dem König die vom Klerus angebrachten Klagen
wider den Lord vor, und erbat sich ehrerbietigst den Rath des
Königs. Dieser dankte der Geistlichkeit für den Schritt, den sie
gethan, und erbat sich, aus Rücksicht auf den Mann, der bis jetzt
sein Vertrauen genossen habe, so wie auf den Ritterstand, dem
derselbe angehöre, dass er selbst in eigener Person vorerst allein
mit ihm verhandeln dürfe. Er Avolle sich bemühen, den Ritter auf
gelinde und schonende Weise von dem Irrthum seines Weges
zurückzubringen: sollte jedoch dieser Versuch scheitern, so würde
er ihn der geistlichen Gewalt zur Bestrafung übergeben, und ihr
zu diesem Behufe den weltlichen Arm zur Verfügung stellen.
Die niedere Geistlichkeit, deren Vertreter von einem ziemlich
fanatischen Geiste beseelt waren , äusserte sich wenig zufrieden
mit der Wendung, welche die Sache zu nehmen schien. Allein
der Erzbischof sanimt den Prälaten willigte gerne ein. Er er-
kannte, dass auf jeden Fall etwas gewonnen sei : entweder ge-
linge es dem König, den Lord umzustimmen und zur Nachgiebig-
keit zu bewegen; dann sei ja der Zweck erreicht; bleiben aber
die Versuche des Königs ohne Erfolg, so werde derselbe der-
niaassen verstimmt werden, dass man desto schonungsloser und
mit desto stärkerer Beihülfe der Regierung zu kirchlichen Maass-
regeln schreiten könne l) .
Heinrich V. gab sich nun alle Mühe, den Lord auf andere
Gesinnungen zu bringen. Aber ohne allen Erfolg: derselbe be-
harrte fest auf seiner Ueberzeugung, die er durchaus nicht ver-
1 Wilkins. III. X>2, vgl. 353.
6*
84
ßuchlll. Kap. -1. III.
leugnete. Endlich zog der König andere Saiten auf. und ertheifre
ihm im August U13 im Schlosse zu Windsor einen höchst un-
gnädigen ja leidenschaftlichen Verweis wegen seines »Eigen-
sinns«. Die Folge war. dass der Lord sich eigenmächtig vom Hof-
lager entfernte. Er begab sich sofort auf seine Burg Cowling-
castle in Kent. und befestigte dieselbe.
Nun setzte der König den Erzbischof von der Erfolglosigkeit
seiner Bemühungen in Kenntniss. und forderte ihn, wie er even-
tuell versprochen hatte, auf. kraft der kirchlichen Rechte nun-
mehr schleunigst gegen den Lord einzuschreiten. Zugleich erging
aber auch eine königliche Proklamation vom 24. August J41o.
wodurch die Predigten der Lollarden und das Anwohnen bei den-
selben unbedingt verboten wurden . auch alle königlichen Be-
amten Befehl erhielten, solche Reiseprediger und deren Zuhörer
und Gönner zu verhaften 1 .
Der Erzbisehof schickte sofort einen Sendboten mit einer
schriftlichen Vorladung, in Begleitung eines königlichen Beamten.
Namens Johann Butler . nach Cowling. Allein der Lord nahm
die schriftliche Vorladung nicht an; die Ueberbringer derselben
durften nicht einmal seine Burg betreten. Der Besitzer erklärte
laut, dass er keinem geistlichen Richter die Befugniss zugestehe,
ihn vorzufordern. Jetzt wurde eine Vorladung, auf den 11. Sep-
tember, an dem Portal der Kathedrale zu Kochester, was nur
drei englische Meilen von Cowling entfernt ist. öffentlich ange-
schlagen. An diesem Termin erwartete ihn der Erzbischof in der
Schlosskapelle zu Leeds in Kent. wo er damals residirte : aber ver-
gebens. Nun sprach der Erzbischof wegen beharrlichen Unge-
horsams den Bann aus über Lord Cobham. Ueberdies lud er
ihn. wegen dringenden Verdachtes der Ketzerei, auf den 23. Sep-
tember v<»r seinen geistlichen Gerichtshof unter der Drohung,
dass man den weltlichen Arm gegen ihn anrufen würde.
Bald daraufkam dm- Edelmann in das Staatsgefängnis s. Ol)
er auf Befehl des Königs verhaftet wurde, oder, was nicht un-
wahrscheinlich ist. sich von freien Stücken dem König stellte, das
I Ky.MER. Fudcra — et rujuscunque (jvm-ris Acta pub/ini, cd. 1. T. IX.
1720. EbL 16 sq.
Vernehmuno: Lord Cobham's am 23. Sept. 1413.
wissen wir nicht. So viel aber ist gewiss, dass der Befehlshaber
des Towers. Sir Robert Morley. Sonnabend den 23. Septeni-
i »er. den Angeschuldigten dem Erzbischof im Kapitelsaale der
st. Paulskirche vorgefühlt hat. Dieser hielt ihm vor. was bisher
gegen ihn angebracht worden sei, und wie er sich der Verant-
wortung seither entzogen habe, erklärte sieh jedoch bereit den
lediglich wegen Widersetzlichkeit über ihn verhängten Bans unter
Umständen wieder aufzuheben. Allein der Lord verstand sich
durchaus nicht dazu, um Absolution zu bitten. Wohl aber bat fl-
uni die Erlaubniss, sein Glaubensbekenntniss vortragen zu dürfen
er hatte dasselbe in englischer Sprache aufgesetzt, und las es nun
öffentlich vor. Dieses Glaubensbekenntniss klingt einerseits so
versöhnlich, dass es sich der römischen Kirchenlehre möglichst
nähert, ist aber andererseits so freimüthig und würdig abgefasst.
dass es den Eindruck wahrer Gottesfurcht und eines edlen männ-
lichen Mürbes macht, und jedem Unbefangenen unwillktihrlich
Achtang abnöthigt. Er spricht sich darin nur über vier Stücke
ans, nämlich über das heil. Abendmahl und die Busse, über Bil-
der und Wallfahrten 1 . Der Erzbischof nahm Rücksprache darüber
mit seinen Beisitzern, den Bischöfen von London Und Winchester,
nebst mehreren Doctoren der Theologie und Rechtsgelehrten. In
Folge dessen eröffnete er dem Angeschuldigten, dass in seiner
schriftlichen Auseinandersetzung manches Gute und Hechtgläubige
sich vorfinde : er forderte jedoch eine genauere unumwundenere
Aussprache über einige Fragen, namentlich betreffend die Wand-
I FOXE III, :C24 f. gibt ein Glaubensbekenntniss, welches Lord C ob-
ham dem König hatte einreichen wollen, der es jedoch nicht annahm. Das
apostolische Glaubensbekenntniss geht voran. Dann folgt eine ausführliche
Darlegung von der Dreieinigkeit und von Jesu Christo, dem Gottmenschen,
nicht ohne einfließen zu lassen, dass Christus »das einige Haupt der Kirche«
ist; ferner die Lehre von der Kirche, den Sakramenten, insbesondere vom
h. Abendmahl und von Gottes Wort. — Von diesem umfassenderen Be-
kenntniss ist aber wohl zu unterscheiden dasjenige kürzere Bekenntniss,
welches der lütter vor dem geistlichen Gerichtshof verlesen und diesem
sofort eingereicht hat. Dasselbe ist in der Conciliensammlung von Wn.-
kins III, 354 f. in alt-englischer Sprache urkundlich abgedruckt, während
Foxe dasselbe III. :c>(> t*. in der Sprache des XVI. Jahrhunderts wiedergibt.
86
Buch III. Kap. 2. III.
lung im heil. Abendmahl und die Ohrenbeichte. Lord Cobham
verweigerte indess jede weitere Erklärung und beharrte bei dieser
Weigerung zu wiederholten Malen, ungeachtet dem Primas alles
daran lag ihn zu gewinnen, und er die freundlichsten Worte der
Ermahnung an ihn richtete , sich der schonendsten Formen be-
diente. Namentlich weigerte sich der Angeschuldigte, die vom
Papst und den Prälaten aufgestellten Entscheidungen über Lehr-
fragen als bindend anzunehmen, und deren Vollmacht zu Lehr-
bestimmungen anzuerkennen. Dessen ungeachtet wurde dem
Ritter Bedenkzeit bis Montag den 25. September gegeben1), und
ein Papier eingehändigt, auf welchem in englischer Sprache die
römische Kirchenlehre über die Wandlung im heil. Abendmahl
und die Ohrenbeichte, über den Papst als Stellvertreter Christi
und die Notwendigkeit der Wallfahrten verzeichnet und sodann
Fragen in Hinsicht der einzelnen Punkte vorgelegt waren.
Am 25. September fand ein nochmaliges Verhör vor dem
Erzbischof, den beiden vorhin genannten Bischöfen von London
und Winchester, so wie dem Bischof von Bangor statt, während
eine Anzahl Doctoren, worunter auch der Carmeliter-Priör Tho-
mas Netter von Waiden , als sachverständige Beiräthe zugegen
waren. Die Sitzung wurde dieses Mal im Dominikanerkloster zu
Ludgate in London gehalten. Der Angeschuldigte wurde aber-
mals durch den Befehlshaber des Towers, Sir Robert Morley.
vor den geistlichen Gerichtshof gestellt. Der Erzbischof forderte
ihn nochmals auf. um die Absolution der Kirche zu bitten. Allein
der Ritter erwiederte : »Nein, das werde ich wahrlich nicht thtra .
denn ich habe noch nie gegen Euch gesündigt, deswegen thue ich
es nicht!« Mit diesen Worten kniete er auf den Fussboden nieder,
hob seine Hände auf gen Bimmel und sprach: »Ich bekenne dir.
du lebendiger ewiger Gott, dass ich in meiner schwachen Jugend
dich schwer beleidigt habe, o Herr, mit Stolz, Zorn. Begierden
1) In den Akten bei WlLKINS III, .io.*) ist »»Montag der 20ste Septem-
ber genannt; was unter allen Umständen irrig ist, denn im Jahr 14KJ fiel
der 20te September nicht auf einen Montag sondern auf den Mittwoch;
ferner war das erste Verhör am Sonnabend nach Matthäustag, den 2.'isten
gewesen. In Fasriru/i zizaniorum 442, so wie bei WAL9INGHAM, 11,294 und
Foxe, III, .520 ist der 2öste September richtig genannt.
/weites Verhör Lord Qobham's.
s7
und Ueppigkeit. Molen Menschen habe ich Leides angethan in
meinen) Grimm, und viel andere schreckliche Sunden begangen;
guter Herr, ich bitte dich um Erbarmen!« Bei diesen Worten stand
er unter Thränen wieder auf. und rief den Umstehenden mit mäch-
tiger Stimme zu: » Seilet, zuteil Leute, seht, wegen Uebertretung
von Gottes Gesetz und seiner grossen Gebote haben sie mich
noch nie verflucht; aber um ihrer eigenen Gesetze und Ueberlie-
ferungen willen handeln sie höchst grausam mit mir und anderen
Leuten ! Deswegen werden beide , sie und ihre Gesetze , laut
Gottes Verheissung, vollkommen vernichtet werden Der Erz-
bischof schritt sodann zu dem Verhör, befragte den Angeschuldig-
ten über seinen Christenglauben und forderte eine Antwort auf die
ihm schriftlich vorgelegten Punkte. Im Laufe dieses Verhörs legte
Lord Co bh am ein freimüthiges, unumwundenes Bekenntniss ab
über die Lehre von der Wandlung im heil. Abendmahl, Uber
Ohrenbeichte. Kreuzeszeichen, Schlüsselgewalt des Papstes und
der Prälaten. Zum Beispiel scheute er sich nicht auszusprechen.
Pom sei das ächte Nest des Antichrist, und aus jenem Neste kämen
alle Schüler desselben : Prälaten. Priester und besitzende Mönche
seien der Leib, die Bettelmönche der Schwanz, der Papst aber das
Haupt des grossen Antichrist. In diesem Zusammenhang sagte er
seinen Richtern , mit Bezug auf Christi Wort an die Pharisäer.
Matth. 23. 13: »Ihr lasset der Wahrheit Gottes nicht den freien
Lauf, und lasset sie nicht lehren durch Gottes treue Diener,
aus Furcht, sie möchten euere Bosheit rügen : wohl aber duldet
ihr. dass durch Schmeichler, die euch in eurem Unrecht aufrecht
erhalten, das gemeine Volk jämmerlich verführt wird2;.« Einmal
breitete er die Arme aus. und rief den beim Verhör Anwesenden
laut zu : »Diejenigen, welche mich richten und mich verurtheilen
wollen, werden euch und sich selbst verführen und in die Hölle
bringen : hütet euch vor ihnen3) !« Hernach fiel er wieder auf seine
Knie, und betete für seine Feinde und Verfolger um Vergebung4 .
1 Foxe, III, 330.
2 Foxe, III, 333 f.
3 WiLKIXs, III, 35(3.
4 Foxe, III, 338.
Buch III. Kap. 2. III.
Da Lord Cobham durchweg* seiner Ueberzeugung- treu blieb, und
auf jeden Vorhalt seinem Richter und verschiedenen assistirenden
Doctoren mit Geistesgegenwart und rnerschrockenheit antwortete,
so wurde schliesslich das Urtheil gefällt, welches im Oktober 1413
von den Bischöfen und Pfarrern in allen Gemeinden verkündigt
werden musste. Dasselbe ging dahin, dass Sir John Oldcastle.
Lord Cobham für einen verderblichen Ketzer erklärt, nebst allen
seinen Gesinnungsgenossen und Helfern in den Rann gethan und
dem weltlichen Gericht übergeben wurde 1 .
Der Angeschuldigte wurde in den Tower zurückgeführt, und
blieb noch geraume Zeit daselbst gefangen. Der wiederholt er-
wähnte Befehlshaber des Towers. Sir Robert Morlev. wies ihm
das Zimmer des Grafen von Warwiek. Thomas von Beauchamp
an. das stattlichste und bequemste Gelass. welches in jener Zeit
für Gefangene zur Verfügung stand. Während nun Lord C o b h a in
jenes Gelass bewohnte, fing das Volk an. dasselbe Cobham
Tower zu nennen, ein Name. Weicher heute noch an jenein Zim-
mer haftet2 . — Merkwürdigerweise blieb die Kirche auf halbem
Wege stehen. Das ürtheil war gefällt: Lord Cobham sollte als
verderblicher Ketzer, über welchen endgültig der Bann verhängt
war. dem weltlichen Gericht überliefert werden. Es fehlte nur
noch an der Vollziehung. Aber die Strafe des Verbrennens wurde
an dem Lord vorerst nicht vollzogen. Vielleicht fürchtete man.
1 Das letzte Verhör bei Wilkins, Oonei III, 355 — 357, Faxcicnli ziza-
nierum ed. Shirley. L858. 112 ff. Noch ausführlicher, aber aus urkund-
lichen Quellen geschöpft ist die Denkschrift über die Verfolgung und den
Märtyrertod des Lords, welche im Reformationszeitalter der gelehrte Johann
Ii ALE unter dem Titel herausgab: Brefc CHrohycle concernymj the Exatni-
nation and Death of the Bles.sed Martyr of Christ Sir Johann Oldecattell
the Lorde Cnhham IÖ44. Aus dieser Schrift hat Foxe, Acte and Man. III.
— .'14s das Meiste wieder abdrucken lassen. — Der papistische Geschieht-
schreiber Linoarü , Ilist. of England, V. •"> meint, anlangend das letzte
Verhör, das benehmen Cobham's sei ebenso anmaassend und höhnisch ge-
wesen , als das seiner Richter mild und würdevoll. Hin Urtheil . welches
mit den officiellen Akten aus der Feder von Gegnern . wie wir dieselben
bei Wilkins lesen, wenig übereinstimmt.
2 William Hepworth Dixox, Her 3/a/estt/s Toicer. Tauchnüz- Aus-
gabe. Leipzig ls<i9. Ts.
Lord Cobham wieder auf freiem Fuss.
durch Hinrichtung eines Edelmannes auf dem Scheiterhaufen den
-anzen Adelstand zu beleidigen. Jedenfalls wirkte zum Aufschub
auch Rücksicht auf den König- mit. Ferner mochte der Erzbischof
hoffen, die Aussicht auf den Feuertod werde den Ritter schließ-
lich zu einem Widerruf treiben. Thatsache ist. dass dein Ge-
fangenen eine Bedenkzeit von 10 Tagen gewährt wurde 1 .
Gegen das Ende dieser Frist gelang es dem Ritter ans dem
Tower zu entkommen. Ein Londoner Lederhändler. Wilhelm
Fisher rückte mit einer Schaar entschlossener Bürger in einer
dunkeln ( >ktobernacht. vordem Feiertag Simonis und Judae. vom
27. zum 28. Oktober 1413 vor den Tower: sie erzwangen sich den
Zugang zu dem > Beauehamp-Thurm« . befreiten den beliebten
Helden und zogen sich zurück, ohne verfolgt zu werden, und ge-
leiteten ihn zu seiner städtischen Wohnung auf Smithneid. Gegen
drei Monate hielt sich Lord Cobham in der Stadt auf. ohne dass
ihm jemand etwas zu Leide that. Der König- selbst ergriff während
dieser Frist keine thatlichen Maassregeln gegen ihn2).
Allein dem Erzbischof war alles daran gelegen, den König-
gegen den Helden aufzubringen, und zum Handeln zu 8 tackeln.
Die Lollarden selbst boten ihm (Telegenheit dazu, und arbeiteten
ihrem eigenen Verderben entgegen. Es ist begreiflich, dass das
Entkommen des angesehenen Fahrers die ganze Partei ebenso
ermuthigte . wie sie durch die drohenden Maassregeln gegen ihn
t i sch reckt und erbittert worden war. Einigen Angaben zufolge
haben sie Geld und Waffen unter sich vertheilt und einen bestimm-
ten Tag zum Losschlagen verabredet: es soll der Plan ge-
wesen sein . den König und seinen Bruder zu Eltham . unweit
(ireenwich . einem beliebten Landsitz der englischen Könige in
den letzten Jahrhunderten des Mittelalters, wo der Hof die Weih-
nachtszeit verlebte, zu überfallen. Heinrich V. war davon benach-
richtigt, und begab sich ganz in der Stille in seinen Palast bei
Westminster. Nun sollen die Lollarden vom Lande sich verab-
redet haben, in der Nacht auf den 7. Januar 1414 sich auf dem
1 Walsingiiam . Hist. amß. II, 296, quadraginta dies, nach Kiley's
kritischer Erörterung, während die bisherigen Abdrücke quinquagitita haben
2 W. H. Dixon, a. a. O. so.
90
Buch III. Kap. 2. III.
Felde St. Giles, nordwestlich von London, zu sammeln, und durch
Zuzug aus der Stadt verstärkt loszubrechen gegen Krone und
Adel, Prälaten und Mönche. Sie seien der Meinung gewesen, der
Kitter Sir John Oldcastle werde sich an ihre Spitze stellen. Allein
der König besetzte nach Mitternacht das Feld, und Hess die Thore
von London schliessen, damit zu den von den Grafschaften her
sich sammelnden Haufen kein Zuzug aus der Stadt stossen könne.
Einige Zuzügler fielen im Dunkel den Vorposten der königlichen
Truppen in die Hände : auf die Frage, wohin sie wollten, ant-
worteten sie : »zum Lord Cobham« ; sie wurden fest genommen ;
und da die Kunde sich verbreitete, der König selbst sei mit Be-
Avaffheten in der Nähe, so flüchteten sich die zusammengelaufenen
Banden. Doch wurden »sehr viele« ergriffen und in die Gefäng-
nisse geworfen : ihrer 39 wurden in einem summarischen Process
schuldig befunden, und als Hochverräther am 24. Januar auf
St. Gilesfield theils gehangen theils verbrannt, sowohl Laien als
Priester; genannt werden uns nur vier, ein Ritter Sir Roger
Act on, Browne, ein Prediger Beverley, und ein reicher
Brauer aus Dunstaple, Wilhelm Murlee.
Was ist Thatsächliches an diesem angeblichen Aufstands-
versuch der Lollarden ? Der Bericht, welchen uns ausgesprochene
Feinde der Partei, wie der Mönch von Sanct Albans, Walsing; -
ham, geben, trägt den Stempel der Verdächtigung und Ueber-
treibung im Wege feindlicher Gerüchte an sich ; da ist immer von
dem die Rede, was man sich sagte , was man hörte, was Plan
gewesen sein soll u. s. w. Dazwischen stehen freilich auch Rede-
formen, welche die Sachen als faktisch, die Hingerichteten als
überwiesen hinstellen *) . Hochverrätherischc Pläne wurden natür-
lich auch von der Regierung als erwiesen angenommen und kate-
gorisch behauptet2). Geschichtschreiber von römischen Grund-
sätzen haben das alles für baare Münze angenommen 3 . Allein
I Walsingham, U. 297—300.
2) Der Köni^ sagte in einer Proklamation vom Li. Januar 1414 unter
anderem: mortem uostnun — falso et proriitoric inuujimnwnint. RTMER, Fo-
ri eru. IX, S!> f.
:» Li NO ARD. Hist. of England, V. <> f.
Die angebliche Verschwörung.
91
es ist wohl zu erwägen, dase die mit dem Spruch beauftragten
Geschworenen schon am dritten Tage, den 10. Januar 1414, mit
ihrem Urtheil über die Thatfrage fertig gewesen sind, eine Frist,
in welcher ein thatsächlich begründetes Urtheil über so viele Per-
sonen unmöglich gefällt werden konnte. Damit wollen wir jedoch
nicht sagen, dass alles nur bodenlose Erdichtung und Verleum-
dung gewesen sei. Thatsache ist jedenfalls, dass in der Nacht
vom 6. bis 7. Januar ein Zusammenlaufen auf St. Gilesfield
statt gefunden hat. Aber wer die Urheber und Anstifter der Sache
gewesen, liegt völlig im Dunkeln. Da mehrere Kleriker betheiligt
waren, so liegt der Gedanke nahe, dass die Hierarchie selbst nicht
unbetheiligt gewesen sei und im Stillen gehetzt haben möge 1 .
Die ganze angebliche Verschwörung wurde indessen auf Lord
C o b h a m ' s Rechnung gesetzt. Die königliche Proklamation vom
11. Januar 1414 war gegen ihn gerichtet, sie war nichts anderes
als ein Steckbrief wider ihn : 1000 Mark wurden als Preis für den-
jenigen ausgesetzt, der ihn gefangen einliefern würde. 500 Mark
für jeden, der sichere Kunde über ihn geben könnte u. s. w. 2 .
Fragen wir aber nach einem Beweise seiner Schuld, so bleibt
man uns die Antwort schuldig. Dass der Ritter in jener Nacht bei
dem Hergang zugegen gewesen sei oder auch nur in der Nähe sich
befunden habe , behaupten auch seine erbittertsten Gegner nicht.
Und dass er der intellektuelle Urheber gewesen sei. dafür gibt es.
ausser den angeblichen Aussagen verhafteter Theilnehmer an dem
Handel, gar keine Zeugnisse. Wann der Ritter seine städtische
Wohnung verlassen hat, ist völlig unbekannt. Sein Aufenthalt
blieb lange verborgen, während man ihm nachspürte und er
selbst, nebst einigen anderen, von der Amnestie, welche der bei
weitem grössten Anzahl der Verhafteten zu Theil wurde, ausdrück-
lich ausgenommen war :$ . Die wichtigste Folge der räthselhaften
1 Am gründlichsten und unparteiischsten haben Turner, II, 471 f.
und Pauli . Gesch. von England, V, S(> ff. die dunkle Sache erörtert.
2 RYMEE, Födcra, IX, $9 f.
3 Bei RYMER, IX, 119 f. und 129 f. stehen zwei sogenannte Amne-
stiedekrete, das erste, an die Vicegrafen sämmtlicher Bezirke gerichtet, vom
\S. Marz 1414, das zweite vom 20. Mai. Das erstere ertheilt der Form nach
92
Buch III. Kap. 2. III.
Empörnng-sversnche war. dtass bei dem König* nunmehr keinerlei
Rücksicht und Schonung mehr obwaltete. Von dieser veränderten
Lage der Dinge machte die Hierarchie sofort Gebrauch. Zwar
Thomas Arundel starb am 20. Februar 1414 in Folge eines
Schlaganfalls. Allein dem Mann . welchen seine Verehrer als
einen unüberwindlichen Kampfer, als den hochragenden Thurm
der anglikanischen Kirche rühmten1 . folgte auf dem erzbischüf-
lichen Stuhl der Bischof von St. Davids in Wales. Heinrich
Chichely, ein Kirchenmann, welcher an fanatischer Verfol-
guugssucht seinem Vorgänger nichts nachgab. Unter ihm erging
sofort ein königliches Statut, worin auf den Antrag der nun völlig
römisch-gesinnten Universität Oxford, und nach Dnrchberathnng
inmitten der Convocation und des Parlaments, angeordnet wurde.
I . dass von jetzt an jeder Staatsbeamte bei seinem Amtsantritt ins-
besondere auch dazu eidlich verpflichtet werden solle, Ketzereien
unterdrücken zu helfen . und den Bischöfen bei V erfolgung der
Lollarden an die Hand zu gehen: 2. dass die Güter. Schlösser
und Besitzungen aller Personen, welches Standes sie seien, die
einer Anzahl von Verhafteten Begnadigung . setzt aber mehrere Ausnah»
men ; und es ist leicht zu sehen, dass das Hauptaugenmerk auf diejenigen
gerichtet ist, welche von der Amnestie ausgeschlossen werden. Es sind da
mit Namen aufgeführt: John Oldcastel. Chivaler; Thomas Talbot,
Chiv; Kicardus Colfox ; Will. Parciimvxer ; Robertos Shexe, Cle-
ricus; Thom. DrayTOX, rerfor ccc/estac de Drai/ton; Joh. Ho PER ; Thom.
Sekxes; Thom. Cleyxe; Thomas EsTON, mercerm Kramer Londo-
niae et Keys. — Die andere Urkunde ist ein wirkliches Amnestiedekret
für 2!) Personen . welche namentlich aufgeführt sind ; nicht weniger als 7
von ihnen führen den Titel als capcUani oder o.lerici\ die übrigen waren,
wie es scheint, lauter Personen vom Bürgerstand, theils aus London, theils
aus den Grafschaften Leicester, Sussex, Bedford und York.
1 Walsixgiiam , llist. anglieanu, II, 5M)0: em tnentissima tttrris tccl«-
niae Anglicanae et pugil invtetus. Der Erzbischof starb an einem Zungen-
schlag, in Folge dessen er toi ausserordentlicher Geschwulst der Zunge
mehrere Tage vor seinem finde weder etwas schlingen noch ein Wort reden
konnte'; deshalb sagten die Leute. Gott habe seine Zunge gebunden, zur
Strafe dafür, dass er durch seine ^Constitutionen« vom Jahr Mos die Zun-
gen der Prediger gebunden habe. Nach Thomas Gascoignes Bericht, hu
IUctin,mrinm tlwoUujicum Mx. s. F()XE . .Irfs III. 4(1-1. LSWIH . Life»/
I!ri/ti>>'(f l'raonrh. |S'2o. p. |S.
Lord Cobhams Verhör vor dem Parlament.
83
von geistlichen Gerichtshöfen der Ketzerei schuldig erkannt wor-
den seien, vom König confiscirt werden sollen. Bemerkenswert!]
ist hiebet, dass unter den Gönnern und Förderern der Lollarden
namentlich auch die Abschreibe* ihrer Bücher ausdrücklich er
wähnt werden 1 .
Erst im Jahre 1417 gelang es. den lauge vergebens gesackten
Lord Cobbam in Wales zu entdecken. Im Herbste dieses Jahres
wurde er in der Herrschaft Powis von Sir Eduard Charlton und
dessen Leuten nach tapferer Gegenwehr, wobei ihm ein Weih, das
sich heim Kampfe betheiligte, mit einem Schemel ein Bein ent-
zweischlug, gefangen genommen. Er wurde sofort in einem Trag-
sessel nach London gebracht. Nun wurde ihm vor dem Parlament,
das seit dem 10. November versammelt war. derProcess gemacht.
Das Haus der Gemeinen erhob die Anklage. Am 14. December
wurde er von den Lords vernommen, insbesondere wurde ihm das
Protokoll vom Januar 1414 vorgelesen, wonach er wegen Be-
theiligung an der Zusammenrottung in St. Giles als Ketzer und
Höchverräther erkannt und geächtet worden war. Als ihm das
Wort ertheilt wurde, um sich zu verantworten, ging er auf die ihm
vorgehaltenen Anklagen gar nicht ein. sondern wies nur auf Gottes
Barmherzigkeit hin. dem allein die Vergeltung zustehe. Da fiel
ihm der Oberrichter in die Kede und gebot ihm sich auf dasjenige
zu beschränken, w as ihm vorgehalten worden sei. Nun antwortete
der Kitter nach kurzem Besinnen : »Mir ist es ein geringes, dass
ich von euch gerichtet werde, oder von einem menschlichen Tage«
1. Kor. 4. :\ . Schliesslich lautete das Urtheil dahin, dass er als
Hochverräther gehängt und als Ketzer verbrannt werden solle,
l ud dieses l rtheil wurde buchstäblich an ihm vollzogen : er wurde
auf eine Schleife gelegt, als wäre er der abscheulichste Verräther
an der Krone . und so vom Tower durch die Stadt hinaus nach
der Ebene St. Giles geschleppt. Hier angekommen, wurde er von
der Schleife herabgenommen, worauf er auf die Knie fiel und den
allmächtigen Gott anflehte, seilten Feinden zu vergeben. Sodann
erhob er sich, und ermahnte die versammelte Menge, dem Gesetze
Gottes, wie es in der Bibel geschrieben ist. zu folgen und sich in
l Wilkins, Com. III. :{5b — :i6u.
94
Buch III. Kap. 2. III.
alle Wege vor solchen Lehrern in Acht zu nehmen, von denen sie
sehen, dass sie im Leben und Wandel Christo zuwider seien.
Dann wurde er in der Mitte zwischen zwei Galgen an Ketten auf-
gehängt, und ein Scheiterhaufen unter ihm angezündet, so dass
er von unten auf langsam eingeäschert wurde. So lange Leben in
ihm war, pries er Gott und befahl seine Seele in Gottes Hände.
So starb der an Rang in der Gesellschaft, aber auch an sittlicher
Würde und christlichem Math hervorragendste Mann unter den
Wiclifiten, mit einer Statthaftigkeit ohne Furcht und Tadel, als
Märtyrer. Die Anklage des Hochverrates war nicht im mindesten
begründet und erwiesen, seine Hinrichtung war ein Justizmord 1 .
1 Walsingham , Hist. angl. II, 327 f. Foxe, III, 541— 544. vgl.
Pauli, Gesch. v. England V, 147. — Foxe erwähnt, dass Oldcastle ge-
sagt haben solle , er werde enden wie Elias ; und fügt bei , Elias sei in
einem feurigen Wagen zur Unsterblichkeit geführt worden ; so sei Lord
Cobham erst in Ketten am Galgen emporgehoben, dann rings von Flam-
men umgeben worden , gleichsam in einem feurigen Wagen zum Himmel
gegangen, a. a. O. 543. Das gehört wohl zu der Guirlande von Sagen, mit
denen das Lebensbild Cobham' s von Freund und Feind umschlungen
wurde. Von gegnerischer Seite kam jedenfalls das Gerücht, er habe den
bei der Execution anwesenden Sir Thomas Espington gebeten, seiner
Partei Hülfe zu gewähren und Frieden zu vermitteln, wenn er Lord Cob-
ham am dritten Tage auferstehe; oder er habe im Verhör vor den Lords
erklärt, keinen von ihnen als Richter anzuerkennen, da sein Lehensherr,
Richard IL, bei den Schotten noch lebe; Walsingiiam ed. Riley, II. 328.
Das letztere sollte als Beleg dienen für den Hochverrat h . das erstere für
die Irrlehre und Schwärmerei des Mannes. Die bemerkenswerthesten Dich-
tungen in Beziehung auf seinen Charakter sind jedoch die folgenden : I In
religiöser Hinsicht ist ihm ein Widerruf untergeschoben worden, welcher
sicher nie von ihm geleistet worden , noch als Zumuthung von Seiten der
Prälaten in seine Hände gekommen ist ; die Formel kann vielmehr nur den
/weck gehabt haben , die Bevölkerung irre zu führen und dem Einrluss
seines Vorgangs zu wehren; das Schriftstück findet sich in Waiden'«
Faseiculi zizaniorum, cd. Shirley, 114- 116, vgl. Fox f.. III. 339 f. 2 In
sittlicher Hinsicht wurde sein Charakterbild entstellt, indem das Gerücht
ihn zu einem Genossen des Leichtsinns und der Ausschweifungen Hein-
rich's V. als Prinzen von Wales machte. Dieses Zerrbild der geschicht-
lichen Persönlichkeit hat sogar Shakspeare anfänglich festgehalten; denn
in dem ersten Entwurf zu König Heinrich IV., dem zweiten Theil . wurde
die unter dem Namen Sir John Falsta ff bekannte Figur unter dem Namen
Sir John Oldcastle aufgeführt. Später erkannte der Dichter, dass er hie-
mit eine Unbill an einem ehrwürdigen Mann und seinem Gedächtniss be-
Fortgang der Inquisition gegen die Lollarden.
95
IV.
Von dieser erschütternden Katastrophe aus gehen wir noch
einmal zurück, um das Wesen und Leben der Lollarden seit dein
Jahr 1410. und die Schicksale der Partei selbst in's Auge zu fassen.
Seitdem Heinrich Chichely den erzbischöflichen Stuhl von
Canterbury bestiegen hatte 1414; , wurde die Inquisition wieder
lebhafter betrieben: die geistlichen Gerichtshöfe luden viele Perso-
nen wegen Verdachts wiclifitischer Denkart vor sich, die theils zum
Widerrufe genöthigt, theils. wo dieser nicht zu erzielen war, durch
Todesstrafe unschädlich gemacht wurden. Der neue Erzbischof
ordnete auf der Convocation von 1416 an, dass sämmtliche Bi-
schöfe und Archidiaconen in der ganzen Kirchenprovinz minde-
stens zweimal im Jahr in jedem Decanatsbezirke nach Personen,
welche der Ketzerei verdächtig seien, sorgfältige Nachforschung
anstellen, und in jeder Kirchfahrt, welche im Ruf stehe, dass
Ketzer darin wohnen, drei oder mehr Männer von unbescholtenem
Ruf eidlich dazu verpflichten sollen. Anhänger von Irrlehren, In-
haber verdächtiger Schriften u. s. w. schriftlich anzugeben, damit
gegen dergleichen Leute die Untersuchung eingeleitet werden
könne 1 .
Aber schon das Jahr zuvor war gegen einen Londoner Bür-
ger eine Untersuchung geführt worden, die mit dem Scheiter-
haufen endigte. Dieser Process ist um so merkwürdiger, als wir
aus dem umfangreichen Protokoll 2 den ganzen Lebenslauf des
Mannes einigermaassen kennen lernen. Sein Name war Johann
Cla y don. er war ein ungelehrter Mann, der nicht einmal lesen
gangen habe. Jetzt vertauschte er nicht nur den Namen Oldcastle mit
dem Namen Falstaff, sondern scheute sich nicht eine Art Widerruf und
Ehrenrettung zu Gunsten des geschichtlichen Sir John Oldcastle dem
Epilog des Stücks einzuverleiben, in den Worten:
0 Idcastle died a martyr, and this nämlich Falstaff is not the man.
Vgl. W. H. Dixon, Her Mujesty's Tower, Leipzig 1S69. 75 f. Der papisti-
sche Geschichtschreiber Englands, Lingard, hat jedoch daran festgehalten,
dass Sir John Oldcastle das historische Urbild des Falstaff sei, V, 3 ff.
1 Wilkins, Conc. III, 378.
2 a. a. 0. 371 -375.
91 i
Buch III. Kap. 2. IV.
konnte, übrigens wohlhabend, da er mehrere Dienstboten gleich-
zeitig im Haushalt hatte: er betrieb das Gewerbe eines Kürsch-
ners, und war in die Kirchengemeinde St. Anna bei Aldrychgate
in London eingepfarrt. Der Mann hielt zwanzig- Jahre lang treu
und eifrig- zu den Lollarden ; er war deswegen schon L395 unter
der Amtsführung des Bischofs Richard Braybrookc in London
verhaftet worden, und hatte 2 Jahre auf Conwaycastle in Nord-
Wales, sodann 3 Jahre im Fleet-Gelangniss zu London gesessen.
Schliesslich widerrief er alle Irrlehren vor dem Lord-Kanzler
Johann Searle, und wurde in Folge dessen unter Heinrich IV.
im Jahr 1400 wieder auf freien Fuss gesetzt. Allein im Jahre
1413 wurde er wegen einer angeblich ketzerischen Aeusserung
angebracht und vor ein geistliches Gericht vorgeladen : er sagte
diesmal vor dem Erzbischof von Canterbury , Thomas A r u n d e 1.
allen Ketzereien öffentlich und feierlich ab, und gab das Ver-
sprechen, mit allen der Ketzerei verdächtigen Leuten sich nie
mehr einlassen zu wollen. Nun aber entdeckte man bei ihm zwei
Jahre später Schriften in englischer Sprache : und schon dieser
Umstand war verdächtig genug, um seine abermalige Verhaftung
durch den Mayor von London zu begründen, der zugleich jene
Bücher mit Beschlag belegte. Am 17. August 1415 wurde er in
dem Kapitelsaal der St. Paulskirche vor den Erzbischof und meh-
rere Bischöfe vorgeführt, und in Gegenwart mehrerer Gelehrten
und vieler Zuhörer vernommen, theils über seine Vergangenheit,
theils über die Bücher, theils über seinen Umgang mit Personen,
die der Ketzerei verdächtig seien. Claydon bekannte ohne
Rückhalt, dass die vorgezeigten Bücher ihm gehörten, leugnete
auch keineswegs, dass er sich öfters aus denselben habe vorlesen
lassen, und dass er ihren Inhalt für wahr und gut und zu seinem
Seelenheil dienlich halte. Die Bücher wurden durch einen Aus
schuss von Gelehrten geprüft, nach dem Gutachten derselben
als ketzerisch erkannt und zum Verbrennen verurtheilt. Den
Mann selbst anlangend, wurde durch die Aussagen ehemaliger
Diener. Arbeiter und Lehrlinge sein Umgang mit ausgemachten
Lollarden festgestellt, lieber ihn selbst fällte der geistliche Ge-
richtshof schliesslich das Ürtheil, dass er ein rückfälliger Ketzer
sei: als solcher müsse er »dem weltlichen Arm überlassen«.
Polemik gegen die Lollarden.
97
d. h: er solle verbrannt werden. Dieses Urtheil wurde an ihm
auf Smithtield in London in der gewöhnlichen Weise vollzogen,
d. h. man band den Unglücklichen mit Ketten an einen Pfahl,
legte Reissbuschel im Kreise um ihn her und zündete diese an,
so dass er hei lebendigem Leibe verbrannt und eingeäschert
wurde.
Indessen mögen die Kirchenoberen doch gefühlt haben, dass
die Flammen der Scheiterhaufen und das ganze Verfahren mit
Hülfe der Staatsgewalt doch nicht hinreiche . um das Lollarden-
thum mit Erfolg niederzuhalten. Daher die wiederholten Bemü-
hungen, auf die Ueberzeugung zu wirken, und die öffentliche
Meinung zu Gunsten des römischen Kirchensystems umzustim-
men. Im Jahre 1401 schrieb ein Franziskaner, Namens Wilhelm
Hutler. im Namen seines Ordens gegen das Bibellesen in der
Volkssprache . in dein Sinne : »die Prälaten dürfen nicht zuge-
ben, dass jeder Einzelne nach Belieben die heilige Schrift in la-
teinischer Sprache lese; denn das ist schon für Viele die
Veranlassung geworden, dass sie in Irrthümer oder gar in Ketze-
reien verfielen : es ist also nicht rathsam , dass jeder , wo und
wann er nur will, sich dem eifrigen Studium der Schrift widme.«
Es scheint , dass der Mönch aus dem Verbote des beliebigen Le-
sens in der Vulgata einen Schluss zog, der die Uebersetzungen
der Bibel in die Volkssprache als noch weit gefährlicher hin-
stellte 1 . Um dieselbe Zeit hielt ein anderer Bettelmönch Na-
mens Scillius bei dem St. Paulskreuz, in Gegenwart des Bi-
schofs von London , eine Predigt gegen die Uebersetzungen der
Bibel in die Landessprache ; aber mit wrenig Erfolg , denn diese
Predigt erregte starken Widerspruch bei vielen Zuhörern, welche
von dem Prediger mit Anwendung von Apostelgesch. 13, 10)
sagten: »0 du voll aller List und Schalkheit, wTarum suchst du
den Bischof vom wahren Glauben abzuwenden 2 ?«
1 Usserii Bist, dogmatica vontrocersiae — de soripturis et sacris ver-
nactUis. — Auctario locuphtavit Henricus AVharton , Lond. 1690. 40.
p. 163. Eine Handschrift dieser unseres Wissens noch nie gedruckten
Abhandlung von Scillius befindet sich angeblich in der Bibliothek des
Mertoncollegiums in Oxford unter Nr. 143.
2^ a. a. O.
Lechler, Wiclif. II. 7
98
Buch III. Kap. 2. IV.
Ueberhaupt mögen sowohl die Controverspredigten als et-
waige Streitschriften gegen die wiclifitische Partei nicht viel
ausgerichtet haben , während bei dieser selbst das Interesse für
Schriften in der Muttersprache ein sehr j reges und lebendiges
war. Je strenger und beharrlicher die Kirchengewalt seit dem
Jahr 1400 den öffentlichen Vorträgen der Lollarden entgegen-
trat , was zuletzt Erfolg haben musste , desto werthvoller wurde
der Besitz von Büchern, die wenigstens einigen Ersatz gewähr-
ten. Vor allem hielt man sich an die englische Bibel. Und es
ist Thatsache , dass unter den in England heute noch vorhande-
nen Handschriften der Wiclif sehen Bibelübersetzung mindestens
25 aus dem gegenwärtigen Zeitraum stammen , sei's dass sie die
ganze Bibel , sei's dass sie nur einzelne Theile derselben umfas-
sen l) . In Folge der ergriffenen Maassregeln gingen die grösseren
öffentlichen Versammlungen der Lollarden und die Vorträge der
Reiseprediger nach und nach ein. Mit dem Ende dieses Zeit-
raums hörten die christlichen Volksversammlungen vor den
Reisepredigern, wie es scheint, ganz und gar auf. Das war ein
nicht unbedeutender Erfolg für die römische Kirche. Denn eben
damit nahm auch die raschere Ausbreitung evangelischer Gesin-
nung, zu welcher jene Versammlungen gemischter Massen ge-
dient hatten , ein Ende. Die Sache selbst war hiemit natürlich
noch keinesweges vernichtet, sie nahm nur eine andere Form
an : sie wurde mehr in die Stille zurückgedrängt , erhielt sich
nur unter den Einverstandenen , und konnte nur noch in kleinem
Maasstab und innerhalb häuslicher Kreise neue Bekenner ge-
winnen, während das Wachsen der Partei nach aussen namhaft
beschränkt war. Die Lollarden sahen sich genöthigt. nur noch in
engeren Familienkreisen und in eigentlichen Conventikeln sich
mit Gleichgesinnten zusammenzufinden , um sich biblisch zu er-
bauen. Und in demselben Maasse, in welchem die volkreichen
grossen »Versammlungen« ein Ende nahmen und die kleinen »Con-
ventikel« als einiger Ersatz an die Stelle jener traten - , stieg der
1) Wycltfßte Versions of the Bible, Vol. I. in der bibliographischen
Einleitung.
2) In der königlichen Proklamation vom 21. August 1413 sind beide
Eifer gegen die Schriften der Lollarden.
99
Werth der Schriften von wiclifitischem Geist für die Freunde
derselben. Wir sehen das z. B. an dem Eifer des oben erwähnten
Glaydon, sich in den Besitz eines Buches zu setzen , aus wel-
chem er, da er selbst des Lesens nicht kundig war, sich vorlesen
lassen konnte. Er Hess deshalb ein Buch, das er hoch schätzte,
und von dem wir nur so viel wissen, dass es unter anderem eine
bei Hosfaldowne (Hothfield in Kent ?) seiner Zeit gehaltene Pre-
digt enthielt , mit gewiss namhaften Kosten von einem Bücher-
schreiber Johann Grimm auf Kalbsleder schön abschreiben und
in Leder binden l) . Aus diesem Buche liess er sich, wie wir aus
den Zeugenaussagen erfahren , an Sonn - und Feiertagen regel-
mässig vorlesen. Einer seiner Diener , Johann Fülle r, machte
den Vorleser; somit konnte dieser Mann in dienendem Stande
lesen, während der Herr selbst, ein Bürger und Geschäftsmann
der Hauptstadt, nicht lesen konnte. Letzterer hielt das Buch so
hoch , dass er einmal äusserte , er wollte lieber dreimal so viel
bezahlen, als ihn das Buch gekostet habe, denn dasselbe ent-
behren 2) . Dieser Eifer der Lollarden für ihre Erbauungsschrif-
ten in englischer Sprache machte natürlich die Kirchenmänner
desto argwöhnischer in Betreff der wiclifiti sehen Literatur , und
desto begieriger, solcher Schriften habhaft zu werden. Die Uni-
versität Oxford hat, nachdem der bekannte Umschwung des
Geistes in ihr bewirkt worden war, im Jahr 1414 beantragt,
die Regierung möge sämmtliche moderne Bücher und Traktate,
welche seit Ausbruch der Papstspaltung in englischer Sprache
erschienen seien, hauptsächlich Ueber Setzungen ins Eng-
lische , einziehen lassen und ihren Besitzern so lange entziehen,
bis sie durch unverdächtige Männer approbirt sein würden 3) .
Arten von Versammlungen, sowohl die congregationes als die conventicula
neben einander erwähnt, Rymer, Födera, IX, 46 f.
1) WlLKINS, III, 372.
2) a. a. O 373.
3) Unter den 46 Reformanträgen handelt der 44ste de Anglicatione
librorum. Er lautet: Quia divers&rum librorum et tractatuum incompetens
et inepta translatio stmpliees idiotas doctrinis variis et peregrinis abducit,
placeat regiae majestati statuere, quod libri et tractatus novelli ab ortu schis-
tnatis Anglicati conßscari valeant et eorum possessoribus subtrahi, donee
7*
100
Buch III. Kap. 2. IV.
Ohne Zweifel hing mit diesem Antrage zusammen, dass der
Erzbischof von Canterbury, Heinrich Chichely, in einer »Con-
stitution« vom I. Juli 1416 befahl , es solle nicht blos Solchen
nachgespürt werden, welche heimliche Conventikel besuchen
und Anhänger von Irrlehren seien, sondern auch Leuten, welche
englische Bücher besitzen 1 . Das königliche Statut vom Jahr
1414 befahl den Beamten, namentlich den Richtern, nebst an-
deren Gönnern und Verfechtern der Lollarden auch communes
escrivers de tieux tels) livers zu verhaften 2 . Also von allen
Seiten wurde besondere Wachsamkeit in Betreff wielifitischer
Schriften und Uebersetzungen angerathen, beziehungsweise be-
fohlen.
Fragen wir, welche Gedanken in diesem Zeitraum die Par-
tei am lebhaftesten und tiefsten beschäftigten, so geben meh-
rere Urkunden die Antwort darauf : die Akten über das Verhör
mit Wilhelm Sautre und Johann Purvey, welche durch die
Hierarchie veröffentlicht wurden, die Aufzeichnungen über das
Verhör mit Wilhelm T h o r p e und später mit Sir John 0 1 d c a s 1 1 e,
welche in englischer Sprache von Seiten ihrer Glaubensgenossen
selbst verbreitet wurden. Ausserdem gibt das Büchlein : »Die
Leuchte«, welches in diesem Zeitraum von einem ungenannten
Lollarden verfasst worden ist. manchen Aufschluss. Die Schrift:
»The Lanthorn of Light« oder »Lanier ne of Light«, gehört diesem
Zeitraum an: denn sie kann nicht vor dem Jahr Uno verfasst
sein, da sie Anspielungen auf das Verbrennen von Lollarden
enthält: ja es scheint die Constitution des Erzbischofs Arundcl
vom Jahr 1408 darin berührt zu sein : ist dem so, dann könnte das
Buch erst nach 1408 geschrieben sein: andererseits ersehen wir
aus den Akten des Ketzerprozesses wider Clay den . dass das
per sciolos non suspectos ipsorum in linf/uatn maternam tränst atio approbetur.
Wilkins, III, 'M)h. Der Termin, vom Ausbruch des Schisma an PI378 . ist
nicht übel gewählt, denn von jener Epoche an haben die Aussprachen Wi-
clif's eine principiellere Wendung genommen und eine rücksichtslosere
Haltung gezeigt.
1) sire libros suspectos in lingita nilf/ari Anglicana ennscriptos habentes.
Wilkins, III, m,
2) a. a. O. III, »59.
Der wiclititische Traktat : »Die Leuchte«
101
Büchlein damals bereits bekannt und als Erbanungslmch beliebt
war 1 : folglich ist es vor dem Jahr 1 U5 verfasst. Der Titel ist
gewählt im Hinblick auf Psalm 1 \W. 105 ; Dein Wort ist meines
Kusses Leuchte, und ein Licht auf meinem AYege . so wie auf
Sprüche Salom. b\ 23: »Das Gebot ist eine Leuchte, und das
Gesetz ein Licht2 . Das Buch hat den Zweck, in der Verfol-
gungszeit die Gläubigen zur Beständigkeit in Geduld und Gottes-
furcht zu ermuntern. Durch das Ganze geht ein apokalyptischer
(reist, sofern der Gegensatz zwischen Christ und Antichrist, zwi-
schen der wahren und der falschen Kirche . der Blick auf das
letzte Gericht und auf die Ewigkeit allenthalben die Gedanken
beherrscht, auch die Offenbarung Johannis dem Verfasser stets
vorschwebt. Derselbe gründet sich allewege auf die Bibel, macht
aber auch von den Werken der Kirchenväter, z. B. des Hilarius,
Augustin und Hieronymus, des heil. Bernhard und anderer, fleis-
sigen und glücklichen Gebrauch. Thatsache ist. dass dieses Buch
in mehr als einem Charakterzug mit den Aeusserungen Walter
Brüte 's 8. oben Buch III. Kap. 1.. 8. 31 f. harmonirt: mög-
licher Weise könnte dieser der Verfasser sein3 .
Bei Vergleichung dieser mehrfachen Aufstellungen lallt uns.
ungeachtet grosser Mannigfaltigkeit im Einzelnen, eine merk-
würdige Einheit und Harmonie der Grundgedanken ins Auge.
1 Wilkins, III. 37:t. Einer von den Zeugen wird befragt, ob er kenne
qnendam libellum sire tractatuni — vulgariter nuncupatitm The lauter ne
of light.
2 Am Schluss des 1 . Kapitels d. h. des Prologs heisst es : There-
fore. in this ttme of hideous darkness, some seek the Lautem of Light,
of ichiche spähe the prophet PsaL 119: Lord, thy word is a läutern to my
feet.
:> Das Büch erhielt sich in Abschriften bis zur Zeit der Reformation,
und wurde von einem Buchdrucker Robert R edman n , der von 1523 bis
1540 das Geschäft trieb, ohne Jahreszahl, aber vielleicht noch vor dem Jahr
1530 herausgegeben. Xach dieser überaus selten gewordenen ersten Aus-
gabe wurde unter Benützung einiger Handschriften . auszugsweise und in
modernisirtem Englisch . ein neuer Abdruck von der Religious Traut So-
ciety gegeben in der Sammlung British Reformers , nämlich in demjenigen
Band, welcher den Titel führt: H'ritings and Examinations of Brate, Thorpe,
Cobhani — — irith the Lanier n of light, S. 139 — 1 ^S. Das Ganze zerfällt
in 13 Kapitel.
102
Buch III. Kap. 2. IV.
Möglich ist es allerdings, dass die Verschiedenheit zum Theil auf
Rechnung der Mittel, durch welche wir sehen, d. h. der klerika-
len Schriftführer bei den geistlichen Gerichtshöfen , beziehungs-
weise der Berichterstatter, zu schreiben ist. Dennoch haben wir
Grund , die Ursache der Abweichungen in der Eigenthümlich-
keit der Wortführer unter den Lollarden selbst zu suchen. Denn
für die Treue der papistischen Berichterstatter zeugt z. B. die
wesentliche Uebereinstimmung zwischen den beiden Prozessenr
in welchen Sautre 1399 vor dem Bischof von Norwich, und
1401 vor dem Erzbischof vernommen worden ist; denn die 10-
Sätze, welche dem Angeschuldigten das erste Mal, und die 8, die
ihm später vorgehalten worden sind , verhalten sich so zu ein-
ander, dass sie sich zwar nicht vollständig decken, aber doch
einen und denselben Grundcharakter tragen. Sie sind nämlich,
um von der zweiten Reihe auszugehen, 1 — 4 wider die Vereh-
rung des Kreuzes , 5 gegen die Verehrung der Engel , 6 gegen
Wallfahrten , 7 gegen das Horensingen , 8 wider die Lehre von
der Wandlung gestellt l) ; sämmtliche Sätze handeln also vom
Gottesdienst überhaupt und von verschiedenen Handlungen des
Kultus. Umfassender ist allerdings der Gesichtskreis , welchen
die im gleichen Jahr 1401 von Johann Purvey widerrufenen
Lehren umschreiben2^ ; denn diese befassen sich mit folgenden
Gegenständen: 1) Wandlung, 2) Ohrenbeichte, 3) Priesterthum
aller Erwählten3) , 4) dass die Schlüsselgewalt durch heiligen
Wandel bedingt sei , 5) Verpflichtung jedes Ordinirten zum Pre-
digen des Worts, 6) Gelübde der Ehelosigkeit, 7) dass Papst
Innocenz III. und das Concil zu Lyon soll heissen »Lateranconcil
1 WlLKINS. III. 255.
2 WlLKINS, III. 2110— 262.
3) a. a. O. 261. Art. III: Qitod omnis hörno sanctus et praedesti-
natus «<l vitam aetemam, etiamsi rit laicus, est verus presbyter et aaeer-
dos, ordinatus a Deo ad ministrandum omnia sacramenta necessaria homi-
nihus ad salutem, licet nullus alius episc opus unquam ei manus im-
ponat. — Omnis vcro sanctus prcsbyt er rcf sacerdos J)ci rcracitcr est
episcopus et praelatus atque curatus fidelium. Et qaicu/n/ue est magis
humilis et melius implet nfßcium sacerdotis , Uli eerits est papa sreun-
dttni ordinuti<mcm dirinam, licet, quis ilh sit, mundo jtenitus ignoretur.
Ansichten der Lollarden in diesem Zeitraum.
103
von 1215« sich durch Sanktionimng der Lehre von der Wand-
lung der Ketzerei schuldig gemacht haben. Diese Sätze sind sehr
mannigfaltigen Inhalts: sie bewegen sich theils um das Lehrstück
von den Sakramenten, theils um die Rechte und Pflichten des
geistlichen Amtes. Dessen ungeachtet tragen sie alle einen ge-
meinsamen Charakterzug : sie halten die evangelische Frei-
heit hoch1).
Wieder eine andere Physionomie haben die 15 Sätze, welche
durch einen Ausschuss von Theologen aus den bei dem Londoner
Bürger Clayd on vorgefundenen Schriften, namentlich aus der
Lau 'ferne of light ausgezogen, und in ihrem Gutachten als ketze-
risch beurtheilt worden sind2). Diese haben nämlich vorzugs-
weise mit dem Begriff der Kirche zu thun und mit Fragen der
Kirchenverfassung. Allerdings finden sich darunter auch Sätze
über das Sakrament des Altars , über Ablass , Bilder und Wall-
fahrten Nr. 11. 13. 15). Allein die meisten bewegen sich doch
um die geistlichen Aemter in ihren Abstufungen : Papst , Erzbi-
schöfe und Bischöfe , Priester und Bettelorden , und zwar immer
so, dass das Antichristliche daran gerügt wird ; der Verfasser be-
zeichnet dasselbe mit merkwürdiger Freimüthigkeit und schnei-
dender Schärfe , ganz im Geiste Wiclif's selbst. Andererseits
scheint jedoch eine Milderung einzutreten in den Grundsätzen
über das Priesterthum und die Pflicht zu- predigen: während
Purvey allen Erwählten priesterliche Würde und Beruf zuer-
kannte . schreibt der dritte Satz aus Lanterne* of light blos den
gläubigen Priestern, d. h. den Ordinirten das Recht zum Pre-
digen des Wortes Gottes zu , so zwar , dass dieses Recht durch
bischöfliche Willkühr weder von Hause aus bedingt sei noch durch
dieselbe nachträglich beschränkt werden dürfe. Indessen ist zu
beachten, dass Purvey, genau betrachtet, doch nur einen theo-
retischen Satz aufstellt, welchem nicht sofort praktische Folge
gegeben werden niuss : hiernach ist der Standpunkt Beider noch
nicht als ein wesentlich abweichender anzusehen. Bemerkens-
werth erscheint in Hinsicht auf die maassgebenden Grundbegriffe
I a. a. Ü. Art. II: evangelii libertßs.
2) Wilkin.s, III, 374. Foxe. III,. 532 f.
104
Buch III. Kap. 2. IV.
der fünfte Satz , welcher betont , dass die Kirche die Sammlung
der gläubigen Seelen ist, welche ihren Glauben beständig
halten in Wort und That: demgemäss wird vorangestellt, dass
kein Verworfener ein Glied der Kirche ist . sondern nur ein sol-
cher , der schliesslich selig werden wird *) . Und es liegt in der
Natur der Sache: je strenger die Merkmale und Bedingungen
der Zugehörigkeit zur Kirche Christi gefasst werden, desto mehr
Rechte müssen an die Mitgliedschaft geknüpft werden ; während
auf der anderen Seite gerade die Weite, mit welcher im römisch-
katholischen Lehrbegriff das Wesen der Kirche selbst gefasst
wird, dazu geführt hat , die eigentlichen Rechte geistlichen Prie-
sterthums den Laien abzusprechen, und dieselben als ausschliess-
liches Monopol dem Klerus zuzuweisen.
Wir finden demnach, ungeachtet individueller Mannigfaltig-
keit, eine unverkennbare Einheit des Geistes bei den Lollarden in
diesem Zeitraum. Der Grundzug ist eine gediegene Gottesfurcht,
welche durch religiöse Innerlichkeit und sittlichen Ernst sich aus-
zeichnet, zumal wenn wir die Neigung zur Aeusserlichkeit in An-
dachtsübungen und »Verdiensten« bei den Römisch-gesinnten in
Betracht ziehen. Der Begriff der Kirche, als der Gemeinschaft aller
Erwählten, welche in rechtschaffenem Glauben und in der Liebe
beharren bis ans Ende, ist der Exponent dieser Innerlichkeit und
Werthschätzung des sittlichen Kerns im Christen. Und diesen Be-
griff von der Kirche halten die Lollarden, wie wir gesehen haben,
einer wie der andere fest: ist er doch ein Grundgedanke Wiclif's
selbst gewesen. Die Betonung des Priesterthums aller Erwählreu
und Gläubigen, im Gegensatz zu dem vermeintlichen Monopol der
Hierarchie, ist nur eine Folge aus dem erwähnten Kirchenbegriff.
Wenn die Lollarden gegen die Heilsnothwendigkeit der Ohren-
beichte sich erklären. Wallfahrten zu Bildern und Verehrung der-
selben misbilligen, auf das Horensingen nicht viel halten, so
1) Art. V : Quod nullU8, jprae8Cttus nach Wiclif's Sprachgebrauch;
no reprobate, bei Foxe, III, 533 est metnbrum eccletiae . sed aolum
talis, qui ßnaHtvr est mlvaiidus, cum ecclena non eit oMud qua tu congre-
gatio fidelium animarum, quac Beroant et $erwbufU ßmuliter ßdem H
charitatem tmn opere quam sermone. AVilkinn III, 374.
»Des Ackermanns Gebet«.
105
stehen diese und ähnliche Ansichten in wesentlichem Zusammen-
hang mit den zuerst genannten Grundsätzen. Dagegen sind sie
alle darüber einverstanden, dass die Predigt von Gottes Wort das
noth wendigste und fruchtbarste Stück des christlichen Gottes-
dienstes sei, und dass Gottes Wort unseres Fusses Leuchte und
ein Licht auf unserem Wege sein solle! Schliesslich erwähnen
wir noch den Kampf gegen die Lehre von der Wandlung im heil.
Abendmahl, welchen wir bei allen denjenigen finden, die in jener
Zeit vor kirchliche Gerichtshöfe geladen und wegen Irrlehre in
Untersuchung gekommen sind. Das war stets der stärkste Vor-
wurf, welcher ihnen von den Prälaten gemacht wurde. Er ist
zugleich ein sichtbares Zeichen davon . dass ihre Denkart von
Wiclif herstammt.
Am wenigsten ausgeprägt ist die eigenthümlich Wiclif sehe
Lehrweise in einer Yolksschrift von altenglischer Mundart, welche
trotz alle dem dieser Zeit und der Wi clif sehen Schule angehört.
Es ist dies »Des Ackermanns Gebet«, auch wohl »Des Acker-
manns Klage« benannt ; der erstere Titel scheint der ursprüngliche
und ächte zu sein. Die Schrift trägt einen stark polemischen Zug
an sich, sie ist eine Art Strafpredigt für den römisch-katholischen
Klerus, vom Papst an bis zu den Priestern und Mönchen. Dass
diese interessante, lebendig und ausserordentlich volksmässig
abgefasste Schrift wirklich ein Gewächs an dem Wiclif 'sehen
'Stammbaum ist. ergibt sich, meines Erachtens, vor allem aus dem
Umstand, dass sie der Abeiidmahlslehre W i c 1 i f ' s huldigt. Zwar
bekämpft sie den Begriff der Wandlung nicht direkt und aus-
drücklich, und verwirft eher den Begriff des Mess Opfers . be-
kennt sieh jedoch positiv zu dem aus dem Lehrbegriff des »evan-
gelischen Doctors« uns wohl bekannten Satze : das Abendmahl ist
da- Sakrament des Leibes Christi in Gestalt von Brod und
W ein. zum Gedächtniss unseres Herrn Jesus Christ« J) . Ausser-
dem trägt des Ackermanns Gebet« in seiner Werthschätzung von
Gottes Wort, nebst der Leberzeugung. dass die Predigt des Worts
der Kern des geistlichen Amtes sei. so wie in einer Menge spe-
1 The saerament o f his bodie in forme of bread and icyne, in ntind
of Our /ord Jesu Christ. FOXE, II, 734.
106
Buch III. Kap. 2. IV.
cieller Züge positiver und negativer Art das Gepräge des W i -
c Ii fachen Geistes an sich. Das Verlangen nach Gotteserkennt-
niss für Alle ist herrlich ausgedrückt in einer der vielen Gebets-
stellen, in welche die Rede (dem Titel gemäss; immer wieder aus-
läuft. Es wird dort Klage darüber geführt, dass, wenn ein Laie
das Volk Gottes in der Wahrheit seines Wortes unterweisen wolle,
wozu er durch das Gebot der Liebe verpflichtet sei, die Priester
ihm dies untersagen und ihn dafür ins Getangniss werfen. Nun
fährt er fort: »Und so, o Herr, haben Diejenigen , welche den
Schlüssel der Erkenntniss besitzen, die Wahrheit deiner Lehre
mit vielen Riegeln verschlossen und vor deinen Kindern verbor-
gen. Aber, o Herr, sintemal deine Lehre vom Himmel herab ge-
kommen ist, so ist es unsere Hoffnung, dass sie durch deine Gnade
diese Riegel zerbrechen und sich deinem Volke zeigen wird, um
beide den Hunger und Durst der Seele zu stillen. Und dann wird
kein falscher Hirte noch Miethling dein Volk ferner betrügen. Denn
kraft deines Gesetzes schreibe ich . wie du einst verheissen hast,
dass sie alle vom letzten bis zum ersten deinen Willen kennen
sollen, und wissen, wie sie dir gewisslich immerwährend gefallen
mögen 1 .«
1 Foxe, II, 73H. Es ist eines der vielen Verdienste von Foxe, dass
er diese Schrift vollständig und zugleich treu genug in ihrer alterthümlichen.
Sprache hat abdrucken lassen, in der Ausgabe von Townsend 1843. Tl.
72S — 747. Die Ansicht freilich, dass das Büchlein schon c. 1300 geschrie-
ben sei, ist nach meiner Ueberzeugung irrig. Denn dasselbe ist sicher erst
nach dem Jahr 1 LOO verl'asst : rinden sich doch unverkennbare Anspielungen
auf die Verfolgungszeit, welche erst mit jenem Jahr begonnen hat. nament-
lich auf das Verbrennen einzelner angeblicher Ketzer. Einmal sagt der
Verfasser, S. 738 bei Foxe : »O Herr, wie können sie sich herausnehmen
jemand zum Tode zu verurtheilen weil er ihre Gesetze bricht? Denn für
die Uebertretung deines Gesetzes legen sie den Leuten Busse auf oder ver-
zeihen ihnen und nehmen sich ihrer an . so oft sie sich auch vergehen.
Aber, o Herr, wenn jemand ihre Gesetze einmal übertritt oder gegen die-
selben spricht, so kann er nur ein einzigesmal Busse thun , und nachher
wird er verbrannt.« Und an einer anderen Stelle heisst es: »»Wahrlich,
o Herr, ich glaube, wenn du jetzt in der Welt wärest und lehrtest, wie
du einst gethan , du würdest getödtet werden!« S. 735. Der Titel
scheint laut einer gewissen Stelle in der That »Des Ackermanns Gebet«,
nicht »Des Ackermanns Klage« gewesen zu sein; die Worte lauten S. T.5.;
Rückblick auf die Zeit von 1 H85 — 1417
107
Uebcrblicken wir den bisherigen Verlauf der wiclifitischen
Bewegung in England, so unterscheidet sich der erste Zeitraum
(1385—1399 von dem zuletzt behandelten 1400—1417 dadurch,
d;iss während des ersteren die Bewegung in jeder Beziehung im
Wachsen begriffen war. Die Lollarden wurden der Masse nach im-
mer ansehnlicher, und in Betracht der inneren Kräfte verfuhren sie
bereits aggressiv und offensiv, in der Hoffnung, eine durchgreifende
Reform des kirchlich - politischen Wesens[ durchsetzen zu können.
Die Petition an das Parlament vom Jahr 1395 stellt den Höhe-
punkt der Bewegung dar. Allein die Aussicht auf einen Erfolg
im Grossen und Ganzen verschwand, nach der Thronbesteigung
des Hauses Lancaster. in dem zweiten Zeitraum seit 1399 völlig.
Die Lollarden wurden in eine defensive Stellung zurückgedrängt
durch die vereinigte Kraft der Kirche und des Staates. Dieses
Zurückdrängen war mit dem tragischen Ausgang des »guten Lord
Cobham< vollendet und besiegelt, so dass die Partei auf den
Wunsch, ihre Grundsätze im Grossen und Ganzen verwirklicht zu
sehen, verzichten musste. Von da an waren die Lollarden nicht
mehr eine Partei in der Kirche von England, welche darnach
strebte, ihre Lehren und Prinzipien zur Anerkennung zu bringen.
Vielmehr waren sie jetzt in eine Sektenexistenz hinausgedrängt,
und mussten sich damit begnügen, wenn nur im Stillen und Ver-
borgenen einzelne Familien als Bibelfreunde fortbestanden, wenn
einzelne Seelen gewonnen und aus dem herrschenden Verderben
gerettet wurden.
Hiemit hing ein anderer Punkt zusammen. In der Persön-
0 Herr, es ist unsere Hoffnung, dass du eben so bald erhören wirst eines
Ackermanns Gebet [a ploicman prayer) , wenn er deine Gebote hält,
als du erhören wirst das Gebet eines Mannes aus dem Kloster, wenn auch
der Ackermann nicht so viel Silber für sein Gebet bekommen kann . als
Klosterleute.« Johann Bale hat im Reformationsjahrhundert die Vermu-
thung aufgestellt, dass Sir John Oldcastle das Büchlein verfasst oder
wenigstens verbreitet habe; es fehlt indes an jedem urkundlichen Anhalt
für diese Hypothese. Foxe selbst hat gut daran gethan zu sagen: »den
Namen des gottseligen Mannes, der das Buch verfasst hat, kenne ich nicht.«
II. 727. Der bekannte Uebersetzer der Bibel im XVI. Jahrhundert, Wil-
helm Tindal, hat auch dieses Büchlein, wie manches andere Zeugniss der
Wahrheit aus älterer Zeit, im Druck ausgehen lassen.
10S
Buch III. Kap. 2. IV
lichkeit Wiclif's hatten wir ein christlich - religiöses . ein wis-
senschaftlich-theologisches und ein politisch -nationales Element
unterschieden. Das bedeutungsvollste und nachhaltigste, das zu-
kunftvollste war ohne Zweifel das christlich - religiöse Element.
Allein dasselbe war mit den beiden anderen Elementen zu einem
einheitlichen Charakter verschmolzen. Im Laufe der Zeit und mit
dem Fortgang der von Wiclif ausgehenden Entwicklung musste
sich das christlich-religiöse Element von der Mischung mit den
übrigen Elementen lösen und sich nach und nach rein heraus-
arbeiten. Das geschah am ehesten in Bezug auf das wissenschaft-
lich-theologische Element. Dieses trat theils von selbst zurück,
in dem Maasse, wie das Leben mit seinen Bedürfnissen und
Kämpfen die Gemüther und die sittliche Kraft in Anspruch nahm ;
theils wurde es durch die Maassregeln der Hierarchie gegen die
Universität Oxford mit Gewalt zurückgedrängt. Schwerer hielt
es, das politisch nationale Element von dem christlich-religiösen
abzulösen. Namentlich weil die Anhänger Wiclif's aus höheren
Schichten der Gesellschaft wesentlich mit die Träger einer poli-
lisch-nationalen Stimmung und Reformgesinnung waren. Wäh-
rend der letzten 15 Jahre des XIV. Jahrhunderts wurden die
Lollarden allgemein als eine kirchlich-politische Partei be-
trachtet, und das nicht mit Unrecht, wie der Inhalt jener Petition
an das Parlament vom Jahr 1395 beweist. Und noch im zweiten
Jahrzehent des XV. Jahrhunderts dienen die Schicksale Sir John
Oldcastle's und die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wenig-
stens als Beleg dafür, dass die Lollarden in den Augen ihrer
Gegner noch als eine kirchlich-politische Opposition, ja als eine
politische Umsturzpartei dastanden. Allein von der Katastrophe
Lord Cobham's an betrachten selbst Gegner die Lollarden nicht
mehr als eine politische Partei, sondern nur noch als eine »ketze-
rische Sekte«, wie sie sich ausdrücken, mit andern Worten als
eine lediglich kirchlich-religiöse Partei. Somit ist von diesem
Zeitpunkt an die Lösung des christlich-religiösen Clements von
dem politisch -nationalen eine rollbrachte und anerkannte That-
sache.
Hiemit steht noch ein weiterer Umstand im Zusammenhang.
Anfangs waren die Lollarden in demselben Ma;is>e. in welchem sie
Rückblick.
109
als eine zugleich politische Partei erschienen, auch als eine ledig-
lich englische Erscheinung anfgefasst und behandelt worden, ohne
einen Hinblick auf das Ausland, auf die abendlandisch römische
Kirche im Ganzen. Demgemäss hatten auch ausländische Kir-
chenmänner, abgesehen von Rom selbst, wenig Notiz genom-
men von den englischen Lollarden. Das wurde jetzt auf einmal
anders.
Drittes Kapitel.
Johann Hus und die hussitische Bewegung.
I.
Es war das früheste Zeichen von einer europäischen Be-
deutung WicliTs, dass seine Lehre auf dem Continent eine von
den hauptsächlichsten Triebfedern einer grossartigen Bewegung
geworden ist. Wir meinen die hussitische Bewegung in Böhmen,
deren Wellenschlag man ein Menschenalter lang durch alle Län-
der der abendländischen Kirche hin empfunden hat.
Wie hing es zusammen, dass gerade in Böhmen und Mähren
der Wiclifsche Geist gezündet hat? Die früheste Veranlassung
zu einem Verkehr zwischen England und Böhmen gab die Ver-
mählung Richard s IL mit der böhmischen Prinzessin Anna im
Jahre 1382. Anna war die Tochter des Kaisers und zweiten
Luxemburgischen Königs von Böhmen, Karl's IV., und seiner vier-
ten Gemahlin , Elisabeth von Pommern ; sie war in Prag am
11. Mai 1366 geboren. Ihr Vater starb am 29. November 1378:
zwei Jahre später warb die Regentschaft in England für den noch
minderjährigen König Richard IL um ihre Hand. Als der eng-
lische Gesandte Sir Simon Burley in Prag ankam, war England
für Böhmen noch ein ziemlich unbekanntes Land. Die Mutter,
die verwittwete Kaiserin Elisabeth, schickte deshalb mehrere
Herren, insbesondere den Herzog Primislaus von Tesehen nach
England, um zu erforschen, was es für ein Land sei. und even-
tuell den Ehevertrag abzuschliessen. Die Vermählung selbst
wurde indes um einige Jahre verschoben, theils weil die Prin-
Anna von Luxemburg, Königin von England.
11 J
/A'ssin noch sehr jung war. theils weil im Frühjahr 1381 der eng-
lische Bauernaufstand ausbrach. Erst am Ende des genannten
Jahres kam die Prinzessin in England an, und Mitte Januars 1382
wurde die Vermählung im Westminsterpalast gefeiert. Und auf
Ihren dringenden Wunsch wurde zur Feier ihrer Krönung eine
allgemeine Amnestie erlassen, was ihr den Ehrennamen eintrug :
»die gute Königin Anna«1 . Wiclif selbst rühmt sie einmal um
deswillen, weil sie das Evangelium in drei Sprachen besitze:
böhmisch, deutsch und lateinisch2). Er beruft sich auf diese
Thatsache zur Rechtfertigung seiner Uebersetzung der Bibel in's
Englische. Hiernach scheint es, als habe die Vermählung
Kichard's II. mit der böhmischen Prinzessin zunächst eine Wir-
kung auf England ausgeübt. Allein bald trat eine Wendung
ein. und der angeknüpfte Verkehr zwischen England und Böhmen
übte eine breite und tiefe Wirkung auf Böhmen. Das war , wie
es scheint, zwar nicht mehr bei Wiclif 's Lebzeiten der Fall3 .
sicher aber schon in dem ersten Jahrzehent nach seinem Tode,
und wohl noch vor dem Ableben der »guten Königin Anna«,
welche schon im Sommer 1394 (am 7. Juni) gestorben ist.
Der geistige Verkehr zwischen beiden Ländern war dadurch
bedingt, dass Prag seit dem Jahre 1348 eine Universität besass.
So kam es, dass Studenten von Prag nach England gingen, um
an der nächst Paris berühmtesten Theologenuniversität, Oxford,
zu studiren. Dort wurden sie mit den am Schlüsse des XIV. Jahr-
hunderts daselbst im Schwange gehenden Wiclif sehen Gedanken
gesättigt, und brachten dieselben, nebst Abschriften einzelner
Bücher und Traktate des berühmten Meisters in ihre Heimath
zurück. Der erste, von welchem wir wissen, dass er diese Bahn
1) Agnes Strickland, Lifes of the Queens of England. Lond. 1845.
II, 3.61 ff. Const. Hoefler, Anna von Luxemburg, Wien 1871. 35 f.
2) De triplici uineulo amoris , am Schlüsse des 2. Kapitels, Ms. 1337,
der Wiener Hof- und Staatsbibliothek, f. 26. Col. 2 u. 3. Hus führt diese
Stelle in seiner Streitschrift gegen den Engländer Stokes vollständig an,
Joannis HüS Hist. et Monumenta, 1558. f. CVIII, 2.
3) Palacky, Gesch. v. Böhmen, III, 1, 1S9 f. behauptet zwar, dass
schon bei Wiclif s Lebzeiten einige seiner Werke nach Prag gebracht wor-
den seien, allein einen Beleg dafür hat er nicht beizubringen vermocht.
112
Buch III. Kap. :S. I.
eingeschlagen hat. ist der bekannte Hieronymus von Prag.
Er reiste, wahrscheinlich schon im Jahre 1396, nach England,
studirte einige Jahre in Oxford, und brachte Abschriften mehre-
rer theologischer Bücher von Wiclif, die er dort abgeschrieben
hatte, mit nach Prag zurück. Wir wissen dies aus seiner eigenen
Aussage vor dem Concil zu Constanz: am 27. April 141 ö hat er
im Laufe des Verhörs auf den Vorhalt, dass er in Böhmen und
anderswo Irrlehren und Bücher Wie lif's bekannt gemacht habe,
unter anderem geantwortet : »Das bekenne ich, dass ich in meinen
Jugendjahren aus Lernbegierde nach England ging, und weil ich
von Wiclif hörte, dass er ein Mann von gründlichem und aus-
gezeichnetem Geiste gewesen, seinen Dialog und Trialog. von
denen ich Handschriften erlangen konnte, abschrieb und mit nach
Prag brachte 1 .« — Uebrigens ist Hieronymus von Prag sicher
nicht der erste böhmische Student gewesen . welcher von Prag
nach Oxford ging. Denn es ist glaubhaft bezeugt, dass man in
Prag, noch ehe man theologische Schriften von Wiclif kennen
lernte, bereits philosophische Bücher von ihm hatte: und diese
sind aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso wie jene persönlich
mit gebracht, vermuthlich auch von Böhmen in Oxford abge-
schrieben worden, so wie Hieronymus einige theologische Werke
Wiclif s wahrend seines Aufenthaltes in Oxford selbst abgeschrie-
ben hat. Dazu kommt ein positives Zeugniss : Hu s selbst bekennt
in seiner Streitschrift gegen den Engländer Stokes. dass er und
andere Mitglieder der Prager Universität seit 20 und mehr Jahren
Bücher von Wiclif gehabt und gelesen haben2'. Dies fuhrt,
da die genannte Schrift im Jahr 1411 verfasst ist. bis auf das
Jahr 1391 zurück, ja auf ein Paar Jahre vorher. Somit dürften
schon seit dem Ende der achtziger Jahre des XIV. Jahrhunderts
junge Böhmen nach Oxford gewandert sein, um dort zu studiren.
was um so wahrscheinlicher ist, als damals Königin Anna noch
am Leben war. Diese Sitte erhielt sicli auch im XV. Jahrhundert
1 Von DKR Hardt, Corpus uetorum et decretorum Comtuntiensis Cou-
rt/ii. Iö99. Vol. IV, f. 63fr.
2) Joanm'n Hits II ist. et Monumenta (von hier an einfach als Jo.
Htis Opera citirt' I, Nte*.
Geistiger Verkehr zwischen Böhmen und England.
»13
noch geraume Zeit fori; das letzte Beispiel finde ieh im Jahre
1407. Denn zwei böhmische Studenten haben am 1 . Februar 1407
die Revision der Abschrift eines Werkes von Wielif in Oxford
selbst vollendet : sie hiessen Nicolaus F a u 1 f i s c h und Georg von
Knienitz. Es war das bedeutungsvolle B in • Ii Von der Wahr-
heit der heil. Schrift«, welches diese beiden Studenten abschrie-
ben, durchsahen und sodann nach Prag mitbrachten ») . So kamen
mit der Zeit immer neue Werke Wielif 9 nach Böhmen, wurden
stach im Lande selbat abgeschrieben, zum Theil sogai in?a Tsche-
chische übersetzt 2 . Es ist eine Thatsacke. dass die Verbreitung
der Schriften Wielif s in Böhmen während des letzten Jahr-
zehe nts vom XIV. und des ersten vom XV. Jahrhundert zu der
reformatorischen Bewegung, an deren Spitze Hus stand, wesent-
lich beigetragen hat/
Allerdings sind die Gedanken und Kräfte, welche von Wi-
elif ausgingen, nur ein Element neben anderen gewesen, welche
der hussirischen Bewegung zu Grunde lagen. Welches waren die
anderen bewegenden Kräfte? Sie sind theils kirchenamtlicher,
theils freier sittlich religiöser Art.
Eine k i r c bliche Gesinnung beseelte in aehtungswerthester
Weise den trefflichen Erzbischof von Prag. Ernst Arnest von
1 In der Handschrift 1294 Denis CCCCV) der Wiener Hofbibliothek,
De reritate s. <scripturäe, auf der letzten Seite, steht am Schluss des Buches
fol. 1 11*. Col. 2. folgende Bemerkung am Rande: Correctm gnaviter anno
Domini 14(»7 in vigilia parißcationis S. Maria* Oxonii per Sicolaum
Faulfiss et Georg ium de Kn y eh niez.
2) Hus selbst hat Wielif s Trialogus für den Markgrafen Jost Jodo-
cus von Mähren 137(5—1411) und andere Edelleute abgeschrieben . und
zum Besten anderer Laien und sogar Frauen ins Tschechische übersetzt.
Vgl. das Sendschreiben an die Hussiten von dem Karthäuserprior Stephan
in Mähren, bei Pez , Thesaurus aneedotorum , Vol. IV. Pars 2, f. 527. Eine
Handschrift, welche von Hus' eigener Hand geschrieben ist, und fünf philoso-
phische Traktate Wielif 's umfasst, befindet sich auf der königlichen Biblio-
thek zu Stockholm, seitdem sie nüt vielen anderen am Ende des 30jährigen
Krieges von den Schweden aus Böhmen weggeschleppt worden ist. Die
Handschrift wurde, wie die Schlussbemerkung beweist, im Jahre 1398 be-
endigt; es ist dasselbe Jahr, in welchem Hieronymus von Prag aus England
zurückgekehrt war. Vgl. Dudik . Forschungen in Schweden für Mähren s
Geschichte. Brünn, 1852. S. 19S ff.
Lechler , Wielif. II. $
114
Buch III. Kap. 3. L
Pardubitz. Er war der erste Erzbischof von Prag . Den ersten
Bischof hatte Böhmen im Jahr 973 bekommen . in Rethmar,
welcher zuvor Domherr zu Magdeburg- gewesen war, und jetzt
Bischof von Prag wurde, während das Land früher zum Sprengel
von Regensburg gehörte. Als aber Böhmen Könige aus dem
Hause Luxemburg bekam, wussten diese es durchzusetzen, dass
das Land von der Kirchenprovinz Mainz abgetrennt, und das Bis-
thum Prag, welches nebst Olmütz unter dem Erzbischof von Mainz
gestanden hatte, zum selbständigen Erzbisthum erhoben wurde.
Durchgeführt und verwirklicht wurde dies durch Karl I., als er
noch Markgraf war, nachdem sein Vater, König Johann, der
Luxemburger, die Emancipation Prags von der Metropolitangewa Ir
zu Mainz schon eine Zeit lang erstrebt hatte. Als das Ziel end-
lich erreicht war, bedeutete es zugleich Losreissung der böh-
mischen Kirche von der deutschen *| .
Der erste Erzbischof von Prag, der genannte Ernst von P a r-
dubitz, war ein Mann von apostolischer Gesinnung, ein ganzer
Kircheninann , ein gewissenhafter treuer Oberhirte. Er erkannte
es für seine Amtspflicht, sobald die Lostrennung von xMainz ver-
wirklicht war. seiner neu begründeten Kirchenprovinz einerseits
alle guten Vorschriften und Einrichtungen, welche im Laufe der
Jahrhunderte in der Mainzer Erzdiöcese begründet worden waren,
gleichsam zur Ausstattung zu geben, andererseits mit jenem Erbe
alles dasjenige zu verbinden, was frühere böhmische Synoden
Zweckmässiges beschlossen hatten. Zu diesem Behufe veranstal-
tete er vom Jahr 1349 an mehrere Synoden. Auf diesem wurden
Beschlüsse gefasst, welche zur äusseren Ordnung und inneren
Förderung des kirchlichen Lebens in der Kirchenprovinz dienen
und Mißständen steuern sollten '2 . Es galt nicht allein, der herren-
losen Willkühr des grundbesitzenden Adels, welcher die Würde
I Palacky. Gesch. von Böhmen, II, 2. 2f>4 ff. SeiiLEsixoEK, Gesch.
Böhmens, 18l>9. 249. Bergek, Joh. Hus und K.Sigmund, IsTl. 9 tf.
2) Concilia Pragensia , 1463—1413, von C. Höfler, in Abhandlun-
gen der kön. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften. Prag, ls»12. ]'>.
V. Folge, 12. Bd. 1— 8, vgl. XXIV ff. Vgl. Hefele , Conciliengesehichte,
VI. 1SÜ7. S. :>94 ff.
Reformbemühungen des Erzbischofs Ernst von Prag.
1 15
und Freiheit clor Kirche bedrohte, Schranken zu setzen, sondern
auch die Disciplin innerhalh des Klerus selbst mit Strenge zu
handhaben. Mehrere Anordnungen wurden getroffen, welche
darauf hinzielen, die überaus verweltlichte und entsittlichte Pfarr-
geistlichkeit im Lande zur Ehrbarkeit und würdigem Wandel
zurückzuführen. Zu diesem Behuf wurden die Archidiaconen
aufgefordert, die Kleriker anzuhalten, dass sie alle L'nehrbarkeit
meiden, keine Concubinen halten, keine Sehenken besuchen, das
Karten- und Würfelspiel unterlassen, keine Waffen tragen
sollen u. s. w. 1 . Was die Amtsführung betrifft, so mahnten die
Concilien zur Gewissenhaftigkeit in Erfüllung der pfarramtlichen
Pflichten Uberhaupt: insbesondere drangen sie darauf, dass die
Pfarrer ihre (xemeindeglieder das Vater Unser, den apostolischen
Klauben und die in grossen wie die 6 kleinen Gebote 2 in der
Volkssprache lehren sollten3 . Man kann der Meinung sein, die
Ansprüche in Betreff christlicher Erkenntnis* der Gemeinden
seien doch recht bescheiden gewesen, wenn man sich damit be-
gnügte . dass die Leute den Text der Gebote . des Glaubens und
Vater-Unsers in ihrer Muttersprache auswendig lernten : denn
von Predigten in tschechischer Sprache ist hiebei keine Rede.
Allein es ist doch kein geringes Zeichen von Ansprüchen an das
geistliehe Amt. dass wenigstens ^o viel Unterweisung der Ge-
meindeglieder in ihrer Muttersprache gefordert wurde. Diese Be-
mühungen blieben auch nicht fruchtlos : die böhmische Geistlich-
keit hob sich in sittlicher Hinsicht.
Alter wenn von oben herab durch den Erzbischof und durch
Provincial-Coneilien der sittlichen Verderbtheit des Klerus und
seiner Pflichtversanmniss von Amts wegen gesteuert wurde so
war hiedurch das Streben nach Reform des kirchlichen Lebens
überhaupt gerechtfertigt, mochte dasselbe auch von anderer Seite
ausgehen und noch höhere Ziele sich setzen.
1) a. a. O. 3 und ö.
2 Vielleicht sind die 6 Werke der Barmherzigkeit gemeint, vgl. Geff-
ken , Der Bildercatechismus des XV. Jahrhunderts und die catechetischen
Hauptstücke, Leipzig, ls5ö. -R 20 ff.
3} Hoefler . CoticiUa Pragensia. S. 3.
116
Buch III. Kap. 3. I.
Solche freie Reformbestrebungen sittlich-reli-
giöser Art gingen in den letzten Jahrzehenten vor dem öffent-
lichen Auftreten H u s ' e n s von einigen Mitgliedern der Geistlich-
keit aus, welche nicht von Amts wegen zum Eingreifen in weitere
Kreise berufen waren, sondern nur durch Ueberzeugung und Ge-
wissen sich dazu gedrungen fühlten. Es sind dies diejenigen
Männer, welche man »die Vorläufer von Hus« zu nennen pflegt :
Konrad von Waldhausen, Militsch von Kremsier, Matthias von
Janow.
K o n r a d , genannt nach dem Dorfe W a 1 d h a u s e n in Ober-
östreich, wo er geboren war1), trat in den Orden der regulirten
Augustiner-Chorherren, empfing 1349 die Priesterweihe, und
arbeitete geraume Zeit in seinem Heimathlande Oestreich, vor-
züglich zu Wien, theils mit Unterricht theils mit dem Predigt-
amte beschäftigt. Der ausgebreitete Ruf, welchen er sich dort
als Volksprediger erworben hatte, gab die Veranlassung, dass ihn
Kaiser Karl IV. durch Vermittlung einer einflussreichen Persön-
lichkeit vom böhmischen Adel, des Herrn von Rosenberg, nach
Böhmen berief, was entweder im Jahre 1360 oder 1362 geschah.
Konrad erhielt als Pfründe die Pfarrstelle zu Leitmeritz, hielt sich
jedoch während dieser Zeit meist in Prag auf, wo er in der Gallus-
kirche, oder weil das ihm zuströmende Volk in der Kirche , so
gross sie auch war, doch nicht Raum genug fand, auf dem freien
Platze vor der Kirche zu predigen pflegte. Im Jahre 1364 wurde
ihm das erste Pfarramt in Prag übertragen, das der Teynkirchc
am grossen Ring in der Altstadt. Als Konrad am S. December
1369 starb, befand er sich noch im Besitz dieser Stelle.
Konrad war aber kein Nationalböhme sondern ein Deutscher.
1) In seiner Verantwortung auf die Anklagepunkte, die gegen ihn vor-
gebracht wurden, bezeichnet er sich: Eyo Conradus in Walthausen, profcssus
ordinw S. Augustini canonicorum regularium, in Leithmeritz Pragensis diif-
cesis ph-banus 'Leutpriester) etc. Hoefler, Geschichtschreiber der hus. Be-
wegung, II, 22. Aus dieser Selbstbezeichnung ergibt sich, dass es will*
kührlich ist, den Mann »Waldhauser« zu nennen, als wäre dies sein Fa-
milienname gewesen, wenn auch Matthias von Janow ihn Conradus
Wolthausar nennt, s. Palacky, Gesch. von Böhmen, III. L. 1 *> 1 .
Anm. 19(1.
Konrad von Waldhausen.
1 17
Dessen unbeachtet übte er eine ausgebreitete und tiefgehende
Wirkung durch die öffentliche Predigt. Denn er war ein strenger
Bussprediger, beseelt von aufrichtiger Gottesfurcht und Gewissen-
haftigkeit. Es war ihm darum zu tliun seine eigene Seele zu
retten; eben deshalb wollte er es nicht so weit kommen lassen,
»dass das Blut der Seelen von ihm gefordert werden könnte«
Hesekiel 33. S . Demgemäss strafte er ohne Rückhalt die im
Schwange gellenden Sünden der Prager, zumal der wohlhaben-
den und vornehmen Stände, ihren Hochmuth, ihre Habsucht und
Ueppigkeit. Und merkwürdig, je strenger er die herrschenden
Sünden rügte, desto zahlreicher strömte das Volk seinen Predig-
ten zu. Seine Busspredigten bewirkten viel Gutes : Wucherer
erstatteten ungerecht erworbenes Geld den Beschädigten wieder :
leichtfertige junge Männer . vor deren Zudringlichkeiten die an-
ständigsten Bürgerstöchter nicht sicher gewesen waren, wurden
erweckt und änderten ihren Lebenswandel ; Frauen thaten den
übertriebenen Schmuck, ihre kostbaren Schleier, mit Gold und
Perlen besetzte Kleider ab und legten einfache Kleidung an.
Aber nicht blos den Gemeindegliedern, sondern auch den Bettel-
mönchen hielt er ihre Sünden, Habsucht Simonie und Erb-
schleicherei vor. Um den geordneten Weg einzuschlagen, machte
Konrad dein Erzbischo.f Ernst Anzeige von einigen Fällen dieser
Art mit der Aufforderung, dagegen einzuschreiten. Als aber die-
ser entgegnete, die Bettelorden hätten ihre eigenen Oberen und
seien exemt. so blieb ihm nichts anderes übrig, als gegen jene
Misbräuehe in der Predigt Zeugniss abzulegen. Das that er denn
seit dem Decemher 1363, und »spannte den Bogen des Wortes
Gottes stärker gegen sie an«. Das machte um so mehr böses
Blut, als bei den Bettelmönchen ohnehin schon um deswillen Neid
und Eifersucht sich regte, weil bei dem Zuströmen des Volks zu
den Predigten des Augustiner-Chorherrn ihre Klosterkirchen sich
leerten. Kein Wunder, dass sie böse wurden, und auf jede Weise
Konrad zu verdächtigen und zu verketzern suchten. In dieser
Hinsicht erwähnen wir nur das Eine, dass die von Seiten der
Augustiner-Eremiten von St. Thomas erhobenen Anschuldigungen
gegen Konrad sich gar nicht auf Lehre und Glaubensartikel, son-
dern lediglich auf Punkte der sittlichen Ordnung und Diseiplin
*
118
Buch III. Kap. 3. I.
bezogen. Daraus ergibt sieh mittelbar, dass er nicht die Lehre
sondern nur die Sitten zu reformireii strebte 1 .
Während Konrad der deutsehen Nation angehörte, war
Mi Ii t seh Milic aus Kreinsier in Mähren, ein Tscheche, der in
der That die ganze Gefühlserregung und sittliche Gluth der Na-
tion in sich trug. Als Konrad von Waldhausen durch seine Volks-
predigten Aufsehen machte, war Militsch bereits Archidiaconus
und Domherr an der erzbisehöflichen Kathedrale auf dem Hrad-
schin zu Prag, stand aber gleichzeitig bei dem Konig von Böhmen,
Kaiser Karl IV.. in hohen Ehren und Würden, als Geheimschreiber
und Unterkanzler. Aber weder Ehren und Würden noch Ein-
künfte vermochten ihn zu fesseln. Bei Visitationsreisen, welche
er als Archidiaconus zu machen hatte, verzichtete er auf die ge-
setzliehe Entschädigung von Seiten der Pfarrer, und bestritt die
Kosten aus eigenen Mitteln. Er gab sich einem asketischen Leben
hin. und trug ein rauhes härenes Hemd auf blossem Leibe. Alles
das genügte ihm indes nicht, sein Leben erschien ihm immer
noch zu weltlich. Im Herbst L>63 entsagte er allen seinen Ein-
künften. Würden und Aemtern. um in Annuth und Demuth, mit
Verkündigung des Evangeliums, Christo nachzufolgen. Unge-
achtet der fromme Erzbischof Ernst ihn bitter ungerne [verlor,
verliess er Prag und begab sich aufs Land, in ein Städtchen an
den Westmarken Böhmens. Bischof-Teinitz, um als Kaplan des
dortigen Pfarrers sich in der Seelsorge und im Predigen zu üben.
Ein halbes Jahr später kehrte er nach Prag zurück, und fing an.
ohne eine geistliche Pfründe inne zu haben, in böhmischer
Sprache zu predigen. Anfangs hatte er nur wenige Zuhörer.
Es war etwas neues, dass er in der Volkssprache predigte ; das
]j Unter den sämmtlich ungedruckten Werken Konrad s gibt die reich-
haltigste Ausbeute für die Biographie und Charakteristik des Mannes seine
Verteidigungsschrift gegen die Anschuldigungen von Seiten der Kettel-
mönche vom Jahr 1M4, betitelt Apologia, Eine Handschrift derselben be-
findet sich im Besitze des böhmischen Museums zu Prag. Vgl. Kranz Pa-
LACKY, Geschichte von Böhmen, III, l. Prag, lvl">. HiJ — M>4. Nkandkh,
Allgem. Gesch. der christl. Religion u. Kirche, X. Aufl. Gotha. ls."iü. H, 2.
Militsch von Kremsier.
119
schien des Evangeliums nicht würdig zu sein 1 . Aber Militsch
Hess sich nicht irre machen und seine Beharrlichkeit wurde mit
Erfolg gekrönt: nach und nach wuchs die Zahl seiner Zuhörer
derniaassen. dass er an Sonn- und Festtagen zweimal, zuweilen
drei- bis fünfmal, in verschiedenen Kirchen predigen musste.
Indessen begnügte er sich nicht mit der Predigt in tschechischer
Sprache: vor Gelehrten und studirenden predigte er lateinisch.;
und am auch der deutschen Bevölkerung dienen zu können, lernte
er noch in seinem Alter deutsch, und predigte nun auch in deut-
scher Sprache.
Seine Predigten voll frommer Innigkeit und sittlicher Energie
hatten wohl noch grösseren Erfolg, als die des Konrad von Wald-
hausen. Ks ging eine Erweckung von ihm aus. zumal unter den
Jungfrauen und Frauen, aber auch unter Männern. Der in die
Augen fallendste Beweis von der Wirkung seiner Predigten war,
da ss öffentliche Dirnen sich bekehrten und den Weg des Lasters
verliessen. Er brachte einzelne bei rechtschaffenen Hausfrauen
als Dienstboten unter, auch gelang es ihm andere zu verheirathen :
die übrigen sammelte er in Wohnungen die unter seiner Oher-
aufsicht standen. Nachdem die Häuser des Lasters leer geworden
waren, und ein verrufenes Quartier. Venedig genannt Benatky).
gesäubert war. schenkte Karl IV. dasselbe an Militsch. Dieser
Hess sämmtliche Hauser niederreissen. und baute auf diesem
Grund und Boden nebst einigen angrenzenden Baustellen, die er
ankaufte, einen beträchtlichen Häusercomplex. zu einer Magda-
lenenstiftung . die den Namen »Klein- Jerusa leim* statt »Klein-
Venedig« erhielt, und mehreren Hunderten gebesserter Frauen
zur Wohnung diente.
Uebrigens war Militsch keineswegs ein Mann der blossen
1 Der Biograph in Balbin's Miscel lauen . IV. Buch. 2. Theil, S. 45
sagt : propter incongntentiam vulgaris sermonis. Dies deutet Palacky a. a.
Q. L65. Anm. 197, und nach ihm Xeaxder a. a. O. 7(>b, auf die minder
reine Aussprache des Tschechischen , einen angeblich mährischen Accent.
Allein das dürfte in den Worten schwerlich liegen; ich glaube eher, dass
darin die Ansicht ausgedrückt ist. die ^gemeine Volkssprache«, d. h. das
Tschechische, sei an sich nicht angemessen zum Ausdruck so heiliger
Wahrheiten, also zur Predigt überhaupt.
120
Buch III. Kap. 3. I.
Praxis. Er forschte unermüdlich in der Schrift und suchte Licht
über die Gegenwart und ihre Gebrechen, über die Zukunft und
was dem Reiche Gottes bevorstehe, in Gottes Wort, zumal in den
Propheten des Alten Bundes, in den Reden des Erlösers von den
letzten Dingen und in der Offenbarung Johannis. Er überzeugte
sich, dass der Grundfehler der Zeit in den weissagenden Worten
Jesu gezeichnet sei: »Weil die Ungerechtigkeit wird überhand
nehmen, wird die Liebe in Vielen erkalten« Matth. 24. 12 . Er
sah die Ungerechtigkeit vorzugsweise in der herrschenden Si-
monie, in dem Kauf und Verkauf der Sakramente, in Misbrauch
des Reichthums und Versäumnis« der Mildthätigkeit gegen die
Armen. Der »Greuel der Verwüstung« stehe bereits an heiliger
Stätte Matth. 24. 15 . und der Antichrist sei nicht erst zukünftig,
sondern bereits gegenwartig. Es sei höchste Zeit, dass der Papst
selbst dies erkenne, und Hand anlege um das Unkraut Irrlehrer.
Heuchler und Schismatiker auszuraufen, die Kirche, mit Hülfe
eines allgemeinen Concils. auf den Weg des Heils zurückzuführen,
und den Antichrist zu überwinden durch das Blut des Lammes
und durch siegreiche Verbreitung des Wortes Gottes.
Offenbar lag dem Militsch die Besserung der Kirche innigst
am Herzen, aber die Reform sollte von oben, durch den Papst
und ein Concil in's Werk gesetzt werden : dabei waren seine
Reformgedanken getragen von einer apokalyptischen Anschauung
und mystischen Denkart.
Militsch wollte seine mystisch-apokalyptischen Gedanken
unmittelbar in s Leben führen. Im Jahre 1367 ging er nach Rom,
am seine Anschauung von der Gegenwart und Zukunft dem Papste
Belbßt mitzutheilen. Als Militsch dort auf die beverstehende
Ankunft Urban s V. von Avignon lange warten niusste. veröffent-
lichte er seine Ansicht, dass der Antichrist schon gekommen sei
durch einen Anschlag an dem Portal der Peterskirche. Dafür lies*
ihn der [nquisitor von Rom einkerkern; allein sobald Urban V.
ankam Oktober 1368 . wurde Militsch auf freien Fuss gesetzt,
von einem Cardinal sogar ausgezeichnet. Uebrigens wurde er von
da an zurückhaltender mit seinen Gedanken VOlü Antichrist.
Nach Prag zurückgekehrt , predigte er mit noch grösserem
Eifer als bisher, und arbeitete mit voller Kraft an der Besserung
Militsch von Kremsier
121
der Sitten ; zugleich diente er Tausenden als Beichtvater und Ge-
wissensrath, unterwies und bildete junge Kleriker, während er
seinen eigenen Haushalt immer dürftiger und enthaltsamer ein-
richtete. Bei all* dieser Strenge gegen sich seihst war Militsch
stets heiter und liebenswürdig. Sein Schüler Matthias von J a n o w
behauptet, es habe niemand mit ihm sieh unterhalten oder verhan-
deln können, ohne von seiner Liebenswürdigkeit hingenommen
ei sein und getröstet von ihm wegzugehen 1 .
Nach dem Tode Konrad's von Waldhausen 1369 wurde
dessen Pfarramt an der Teynkirche Militsch übertragen, der
nun in dieser Kirche täglich deutsch predigte und für Hebung der
Frömmigkeit und Sittlichkeit bis 1372 mit Erfolg wirkte. Es
regte sich zwar Neid und Eifersucht gegen ihn. zumal von Seiten
der Geistlichkeit 2 . Allein der Erzbischof 0 1 s c h k o von Wlaschim
und Kaiser Karl IV. schützten ihn. Nun wandten sich seine Geg-
ner direkt an den päpstlichen Hof nach Avignon. um ihn dort
auf Grund von 12 Punkten, die man herausgehoben hatte, un-
kirchlicher Gesinnung anzuklagen. In der That wTurde man in
Prag am lo. Januar 1374 durch mehrere Bullen Gregors XI.
überrascht, welche an den Kaiser, den Erzbischof von Prag so
wie an die Bischöfe von Olmtitz, Breslau und Krakau gerichtet
waren, und eine strenge Rüge über jene Artikel enthielten.
Militsch selbst blieb im Bewusstsein seiner Unschuld ganz ruhig.
Als jedoch der Prager Inquisitor auf Grund der Bullen eine Unter-
suchung gegen ihn einleitete, appellirte Militsch an die päpst-
liche Kurie, und reiste in der Fastenzeit 1374 nach Avignon. Dort
gelang es ihm. allen Verdacht gegen seine Gesinnung zu besei-
tigen. Es überfiel ihn aber eine Krankheit, an der er. noch ehe
1 Xullus erat. — qtti cum ipso habebat loqui vel ayere. qui amorem et
gratiam atque suavitatem Spiritus ab ipso tum hauriret . mdlusque non eou-
solatus ab eo recedebat. Aus Reyulae V. et N. Testament*, MS., PALACKY
a. a. O. III. 1. 169.
2 Konrad von Waldhausen war von den Bettelmönchen angefeindet
worden. Militsch. wie es scheint, hauptsächlich von der Pfarrgeistlich-
keit; wenigstens weiss Palacky. ungeachtet er behauptet, Militsch sei von
den Bettelorden noch schlimmer angefeindet worden, ah Konrad. a. a. ().
ITi). keinen urkundlichen Beleg dafür anzuführen.
J22
Buch III. Kap. :>. I.
ein förmliches Urtheil in seiner Sache gelallt worden war, am
29. Juni 1374. starb. Die 12 Artikel, welche gegen ihn als Be-
weis unkirchlicher Denkart geltend gemacht wurden, betreifen
sämmtlich nicht die Lehre, sondern nur das kirchliche Leben,
sittliche Grundsätze und Gegenstände der Kirchenverfassung1).
Denn selbst die Ansicht, dass der Antichrist bereits zur Welt ge-
kommen sei (Art. 1 . ist nicht ein Lehrsatz im eigentlichen Sinn.
Bemerkenswerth ist aber die Empfehlung des häufigen Genusses
der Communion Art. 4 und 5), sofern Militsch bereits die Auf-
merksamkeit auf das heil. Abendmahl gelenkt hat: ein Umstand,
welcher, wenn auch entfernt, mit dem späteren Kampfe der
Hussiten für den Laienkelch zusammenhängt.
Ein treuer und pietätsvoller Schüler des Militsch war
Matthias von Janow. Er scheint während seiner Studienzeit
zu Prag durch Militsch erweckt worden zu sein, und sich sofort
an ihn angeschlossen zu haben. Allein noch vor dessen Tode
begab er sich nach Paris, um dort seine Studien fortzusetzen : er
promovirte auch daselbst, weshalb man ihn in Böhmen später nur
den »Pariser Magister« nannte. Am 1. April 1381 erhielt er von
Urban VI. die Anwartschaft auf die nächste zur Erledigung
kommende Domherrnstelle in Prag: und kraft der betreffenden
Bulle wurde er am 12. Oktober desselben Jahrs als Domherr der
St. Veitskathedrale auf dem Hradschin aufgenommen. Erzbischof
Johann von Jenstein, der einst in Paris sein Studiengenosse
gewesen war, ertheilte ihm Vollmacht, an seiner Stelle Beichte zu
hören. Und diese Stellung als Domherr und Beichtvater an der
Kathedrale behielt er bis zu seinem Tode, der ihn noch in den
besten Mannesjahren, am 30. Nov. 1394 ereilte. Während kon-
r a d und Militsch als beliebte Prediger eine ausgebreitete Wirk-
samkeit im Grossen durch Wort und That übten, hat Matthias
vielmehr in stiller Weise und im Kleinen gewirkt, theils durch
Privat-SeelßOrge und Gewissensrath an denjenigen, welche seiner
sittlichen Leitung sich anvertrauten, rheils durch theologische
I Die Artikel hat am vollständigsten Jordan. Vorläufer des llusiten-
thums. S. M)— U; aus einer Handschrift der Präger Domkapitelsbibliothek,
unter J. Nr. 40, mitgetheilt.
Matthias von Janow.
Schriften, in denen er die Ergebnisse seines Forschen« in Gottes
Wort und seines Nachdenkens über das Reich Gottes und die
Fragen des Heils niederlegte. Er hat verschiedene Abhandinngen,
w elche in den Jahren 1388 bis 1392 allmählich entstanden wa-
ren, gesammelt lind zu einem Ganzen geordnet. Der Gresammt-
gegenstand dieser Traktate ist das wahre und falsche Chri-
st e n t h u m 1 .
Matthias von Janow ist bei seinem Nachdenken über die
Kirche Christi, ihren dermaligen Stand und ihr endliches Ziel,
augenscheinlich von der unlängst ausgebrochenen und bereits
chronisch gewordenen Papstspaltung ausgegangen. Er erkannte
darin ein Zeichen vorhandener Verderbnis* der Kirche . welche
nur durch Wiedergeburt und sittliche Erneurung gehoben werden
könne. Daher ging sein ganzes Streben auf eine Reform der
Kirche, wie dies bei vielen wackeren Männern seines Zeitalters
der Fall war. Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt war das Schisma
und w as damit zusammenhing, ihr Zielpunkt die Kirclienreform.
J Neben einer Homiliensammlung und einem Traktat über die Gebote
Christi ist die umfangreichste und bedeutendste Schrift des Magister Pa-
risiensis diejenige, welche den Titel führt: Regit' ae veietis et novi testa-
menti. Dieses Werk ist noch nie vollständig im Druck erschienen, wohl aber
sind Theile desselben mit Unrecht unter den Werken von Hus als Schriften
desselben gedruckt worden, namentlich der Traktat De abominatione in loco
saneto, welcher im III. Buch die letzte Stelle einnimmt. Derselbe steht in
der Sammlung der Werke von Johann Hus, Nürnberg IS5s. Vol. I. f. 376, 1
bis 471.2 unter dem Namen von Hus. mit dem Titel: De saeerdotum et
monachorum abhorrenda abominatione desolationis in ecelesia Christi. Auch
noch einige kleinere Stücke, welche auf diesen Traktat folgen, z. B. De
umtäte ecclesiae et sehümate, De mysteYio iniquitatis antichristi. gehören dem
Matthias von Janow an, vgl. Palacky. Gesch. v. Böhmen. III. 1. 175 f.
J. P. Jordan. Die Vorläufer des Husitenthums in Böhmen. Leipz. 1846.
S. :>>. Eine Schrift, welche wie Palacky, Die Gesch. des Hussitenthums
und Prof. C. Höfler, 1*>()S. S. 2. Anm. eröffnet hat. aus seiner eigenen Fe-
der geflossen und nur besonderer Umstände wegen, mit seiner Bewilligung,
von Jordan unter dessen Namen veröffentlicht ist. Das grosse Werk
Janow 's ist aber selbst in Handschriften nirgends mehr vollständig
anzutreffen , wiewohl es sich aus mehreren Handschriften zusammenstellen
Hesse. Es umfasst fünf Bücher, welche je in eine Anzahl Traktate zerfal-
len; die letzteren sind, wie es scheint, unabhängig von einander entstan-
den, sie sind wieder in Distinktionen. und diese in Kapitel getheilt.
124
Buch III. Kap. :?. L
Aehnlich wie noch Jahrzehente später bei den informatorischen
Concilien.
Vor allem musste sich "Matthias fragen, worin die Ursache
der gegenwärtigen Spaltung liege, und welches die Tragweite
dieses Uebels sei. Seine Antwort darauf lautet : Die Spaltung hat
ihren Grund nicht in der Liebe zu Christo Jesu und seiner Kirche,
sondern in der Selbstliebe und Weltliebe 1 . Indessen sind da-
durch nicht die Heiligen und Erwählten, welche die eine Kirche
und eine Einheit in Christo Jesu bilden, gespalten und von einan-
der getrennt worden : die Spaltung gereicht auch nicht zum Scha-
den der Kirche Christi, welche seines Geistes Fülle hat, sondern
dient vielmehr dazu, dass die Scheinchristen, welche mehr den
Glanz dieses Lebens als den gekreuzigten Jesus lieb haben, klarer
erkannt werden. Durch solche Spaltung ist der Leib des Anti-
christ, welcher bisher fest geschlossen war. getheilt und in Ver-
wirrung gebracht, nicht aber Christi Leib, d. h. die Gemeinde der
Heiligen.— In diesen wenigen Sätzen sind schon einige bedeutsame
Grundlinien gezogen : der Begriff der Kirche als der Sammlung
der Auserwählten, der Gegensatz zwischen wahrer und falscher
Kirche Leib Christi . und Leib des Antichrist . und die unter-
scheidenden Merkmale beider. Wo Christi Geist waltet, und man
»Jesum den Gekreuzigten« lieb hat. da ist die Gemeinde der Hei-
ligen, die wahre Kirche. Wo man sich selbst, die Welt und was
in der Welt ist. lieb hat, da ist die »Gemeinde der Roßhaftigea«
[eoclesia malig nantium, Ps. <>4. 3, nach der Vulgata . die falsche
Kirche, die Sammlung der Fleischlichgesinnten und Heuchler, der
Leib des Antichrist. Der stete Hinblick auf den Widerchrist ist
ein Erbtheil, welches Matthias von seinem geistlichen Vater
Militsch Uberkommen hat und beharrlich verwendet. Dieser
Grundgedanke hängt mit dem apokalyptischen Zug und der Rich-
tung auf die letzten Dinge zusammen, die Janow mit Militsch
gemein hat.
Besonderer Beachtung werth ist der Umstand, dass Matthias
1 Nun ex eo schisnxi hoc factum est. quod dt/exissettt Christum Jesum
et ipsius ecclesiani, sed ex eo, quin se i/>sos nmavernnt et hunc inun-
dum. Hei Jordan a. a. (). <>»;.
Grundgedanken des Matthias von Janow.
125
vdii Janinv Jeaum »den Gekreuzigten« zu nennen liebt. Er
thut das so häufig, dass wir nicht umhin können, eine bewusste
Absicht darin zu suchen. Indem er den gekreuzigten Heiland,
nicht den erhöheten König* und Herrn in den Vordergrund stellt,
betont er das Werk der Versöhnung, und deutet indirekt an.
das wahre Christenthum könne ohne aufrichtige Demuth nicht
bestehen.
Prägen wir aber nach den Mitteln und Wegen der Re-
form, welche der «Pariser Magister« ins Auge fasst. so bestehen
dieselben theils im »Ausreuten aller der Pflanzen, die der himm-
lische Vater nicht gepflanzt hat« Matth. 15. L3 . theils in Zu-
rtickführung der Kirche Christi zu ihren einfachen und gesunden
Anfängen 1 . Demnach hat die von Janow erstrebte Reform so-
wohl eine negative als eine positive Seite. Die Pflanzen, welche
ausgereutet werden sollen, sind die menschlichen Erfindungen
und Satzungen. Verpflichtungen und Gebote, welche je mehr und
mehr vervielfacht und verschärft worden sind, und welche die
Seelen vom Kern christlicher Frömmigkeit und Sittlichkeit abge-
lenkt, zerstreut und veräusserlicht haben. Durch diese Men-
schengebote, Lehren und Ceremonien wird die Christenheit be-
lastet und überbürdet : sie müssen von Grund aus zerstört und
beseitigt werden, und die Zeit ist nahe, wo dies erfolgen wird.
Eben damit werden die Seelen zu dem Herrn selbst umkehren,
und er allein wird wieder hoch stehen in ihrer Verehrung2 .
Wir sehen, wie in Janow' s Gedanken beides zusammen-
hängt, ein formales und ein materiales Prinzip, die Werthschätzung
der heil. Schrift gegenüber menschlichen Ueberlieferungen , und
1 Charakteristisch und bündig spricht sich Janow so aus: Quapropter
apud nie decretwn habeo , quod ad reformandam pacem et unionent in uni-
versitate christiana expedit omnem plantationem illam eradicare, et abbreviare
Herum verbum super terram et r educere Christi Jesu ecclesiam ad sua
primördia salubria et eompendiosa, quanto paucioribus et apostolicis
mandatis reservatis. MS. bei Jordan, 69.
1 Omnia praenotata opera hominum, cerimoniae et traditiones funditus
destruentur et cessabunt , et exaltabitur dominus solus et unicum cer-
bton ipsius manebit in aeternuni; et tempus Hlud jam instat, in quo illa eva-
ctiabuntur. a. a. O. 70.
126
Euch III. Kap. 3. f
die Erhebung Jesu als des einigen Mittlers und Horts unseres
Heils. So sei z. B. durch kirchliche Verordnungen und Synodal-
beschlüsse verfügt worden . man solle den Gemeinden die Vereh-
rung der Heiligenbilder und Reliquien in der Predigt empfehlen,
und die Leute ja nicht darüber tadeln, wenn sie zu solchen Noth-
helfern ihre Zuflucht nehmen. Dadurch werden aber die Leute
von der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit abge-
lenkt, zur Beeinträchtigung der Ehre Christi und zu abgöttischem
Wesen verleitet1 . Nun aber gehört alles der Art. die Empfeh-
lung gewisser Heiligenbilder, die Erhebung neuer Reliquien, die
glänzende Ausstattung der Kirchen und des Kultus . zumal der
Messen, in die Gattung dessen was widerchristlich ist. Glei-
chermaassen ist jeder Christ, sei er auch ein Priester oder Minich.
wenn er sich und das Seine sucht. Ehrenstellen und Einkommen
erstrebt, ein Glied des Antichrist. Je höher aber ein Solcher an
kirchlichen Würden steht, ein um so grösserer Widerchrist ist er
dann'2 . Lud gerade solche Leute. Scheinheilige und Heuchler,
verdächtigen und verfolgen jeden treuen Christen . wie einen
»Beghardem< oder Ketzer, wie einen Heuchler oder Narren : na-
türlich, denn »der Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte *
möchte nicht entlarvt sein, und feindet eben deshalb etwas ande-
res als einen Greuel an 3 .
Alle diese Pflanzen . die Gott nicht gepflanzet hat . müssen
und werden ausgebeutet werden. Christus, und nicht der Wider-
christ. muss obsiegen; er wird in seinen treuen Zeugen und
Nachfolgern allmählich hervortreten, seine auserwählten Prediger
mit seinen) ( i ei st erfüllen, damit sie in seinem Reich alle Aerger-
1 Vgl. die von Jordan, "s — So mitgetheilten Aeusserungen über die
Verehrung der Heiligenbilder, s. B. : Quae quam sint jternicinsa rudi po-
pulo christiano et camßli, quis non intelligit , 8% contemplettir . quod pn-
pu/us plebejus modernus domini Jesu spiritum notl habens ad spintualia
nequaquum ralet mente iemts e'erari . sed — — CorporaUä tantum appre-
cint etc.
2 Hei Jordan. 74 — Ts.
3 a. a. O. "4 : Ecce hodie ipsamet ubominatio desolatitmis proprio se-
drns in templo . ne tauten ipsa esse abvminatio reve/etur . ßnyit aham abo-
tninationem etc.
Die Prinzipien des Matthias von Janow
127
aisse beseitigen. Es scheint, als habe Matthias von Janow
die Ausrottung der widerchristlichen Gesinnungen . Lehren und
Satzungen hauptsächlich von der positiven Verbreitung ächter
christlicher Frömmigkeit erwartet. Und diese findet er in der
Verehrung und Liebe zu Jesu Christo, in der Nachfolge Jesu des
Gekreuzigten. Die Kirche ist ihm nichts anderes als »die Familie
Jesu . worin Christi Geist waltet und Liebe zu ihm die Seelen
erfüllt. Um deswillen ist auch die Bibel eines treuen Hirten
liebster Umgang, süssester Trost und sicherstes Licht. In dieser
Beziehung ist das Bekenntniss des Matthias bezeichnend, wenn
er seinen Grundsatz, hauptsächlich von der Bibel und nur massig
von den Aussprüchen der Kirchenlehrer Gebrauch zu machen,
unter anderem mit seinen persönlichen Erlebnissen begründet:
sie ist es. die ich von meiner Jugend an lieb gehabt, und meine
Freundin und Braut genannt habe. — Ich gestehe, sie ist von
meiner Jugend an bis an mein Alter nicht von mir gekommen,
weder auf dem Wege noch im Hause . weder bei der Arbeit noch
in der liuhe : und bei jeder Ungewissheit in irgend einer Frage
habe ich stets in der Bibel und durch sie einen befriedigenden
und hellen Aufschluss und Trost für meine Seele gefunden ; in
jeder Unruhe. Verfolgung und Traurigkeit nahm ich allenthalben
meine Zuflucht zur Bibel. — und sie begegnete mir stets wie eine
geehrte Mutter, ihre Tröstungen erfreuten meine Seele. — Des-
halb habe ich. während die meisten, wie ich bemerkte, immer
und allenthalben Reliquien und Gebeine verschiedener Heiligen
bei sich trugen . zu ihrem Schutz und besonderer Andacht hal-
ber, meinestheils vorgezogen, die Bibel als meine Erwählte, als
Keisegenossin immer mit mir zu führen . und allenthalben zur
Seite zu haben zu meiner Verteidigung und bleibendem Trost
auch in" Widerwärtigkeit 1 .« Allerdings bekennt Janow. dass er
anfänglich die Bibel nicht verstanden und deshalb auch nicht zu
sehätzen gewusst habe ; erst als es dem Herrn Jesu gefiel ihn zu
erwecken, und wie einen Brand aus dem Feuer zu retten, sei er
arm und zerknirscht geworden, habe sich zitternd zu Gottes Wort
gewendet und angefangen die Wahrheit der heil. Schrift, die in
1 Bei Jordan. SO — 62.
!2S
Buch III. Kap. 3, I.
allen Stücken in Erfüllung gehen müsse, zu bewundern Dann
habe Jesus der Gekreuzigte nach seiner Güte ihm das Ohr geöff-
net, so dass er die Schrift verstehen gelernt, wie sie auf die Ge-
genwart passe , und wie der geweissagte Greuel der Verwüstung
an heiliger Stätte weit und breit gar fest und hoch stehe. Nun
habe ein starkes und doch süsses Feuer sein Herz ergriffen, und
dieses brenne um so heller , je mehr er im Gebete zu Gott und
dem gekreuzigten Jesus sich erhebe und ihm diene *) .
Wahre Christen sind nach Janow nur diejenigen, welche
Jesu dem Gekreuzigten treu nachfolgen, und das Kreuz der
Schmach , der Niedrigkeit Armuth und Einfalt liebe» . hingegen
Reichthum , Ehren und Genüsse der Welt mannhaft verachten 2) .
Ihrer sind wenige, wie der Trauben bei der Nachlese. Wo sind
sie zu finden? Durchaus nicht zumeist unter den Priestern, Mon-
chen und Lehrern, sondern eher unter den Kleinen im Volk,
d. h. unter den Laien; denn ihres Hochmuths und ihrer Heu-
chelei wegen hat Gott die Weisen und Klugen dieser Welt ver-
worfen und sein Heil desto reichlicher den Kleinen geoffenbart
und verliehen. Dem gemäss sind Frauen insgemein empfäng-
licher für die Gaben Jesu Christi, als Männer. Denn diese sind
sich ihrer natürlichen Gaben und Kräfte bewusst. wissen sich
nicht zu demüthigen , und die Schmach Christi zu tragen ; errei-
chen sie je etwas in geistlichen; Dingen, so schreiben sie es selbst-
gefällig ihrem eigenen Bemühen zu, und erweisen sich somit
nicht gläubig an den Herrn Jesum Christum. Deshalb verlässt
Gott und der Herr Jesus solche Männer, und überträgt seine
Schätze meist den Frauen : denn »er hat erwählt was schwach ist,
um zu Schanden zu machen, was stark ist.« Demgemäss stehen
in dieser Zeit Frauen , Jungfrauen und Wittwen auf, thun recht-
schaffen Busse, eilen zu den göttlichen Sakramenten und reimen
das Himmelreich den Männern weg, welche mit der Eitelkeit
dieser Welt beschäftigt sind, während Frauen die Pracht und
Ergötzlichkeit der Welt verlassen, je mehr und mehr reich wer-
lj De sucerdotum et monachorum carnalium abominationv . c. Tl. in HüS
u. Hieronymus Werken, Nürnb. 155S. Vol. I, 'M>*, 2t.
2 a. a. O. c. TS. f. 461, 1.
Matthias von Janow für häutige Communion.
129
den an Liebe Jesu Christi, unaufhörlich an das denken, was des
Herrn ist. und Offenbarungen. Weissagungen und Heimsuchun-
gen von Christo zahlreich und dankbar empfangen. In diesen
und anderen Stücken werden gegenwärtig Frauen hundertmal
mehr bereichert, als irgend welche Männer oder auch Priester1 .
Aus dem allem ergibt sich deutlich, dass Janow weit ent-
fernt ist , in Betreff des inneren Lebens einen angeblichen Vor-
sprang des klerikalen Standes vor den Geraeindegliedern an-
zuerkennen; im Gegentheil behauptet er acht evangelisch und
reiorniatorisch das allgemeine Priesterthum der Gläubigen.
Für das wichtigste Gnadenmittel erkennt Janow das heilige
Abendmahl. Erlegt, nach dem Vorgang seines Lehrers Mi -
litseh. ganz besonderen Werth auf häufiges Communiciren (cre-
bra communio . ja er hält tägliche Theilnahme an der Communion
t'iir einen Beweis der grössten Andacht und tiefsten Frömmig-
keit- . Ks gibt kein Thema, auf das er mit mehr Vorliebe immer
wieder zurückkäme; es gibt aber auch kaum einen Grundsatz,
der ihm mehr verübelt worden wäre als dieser. Die Communion
ist ihm das fruchtbarste Mittel des Wachsthums im geistlichen
Leben, denn sie dient zur Aneignung Christi. Eben deshalb be-
dürfen die Anfänger im Christenthum , die Schwachen, diejeni-
gen, welche ihre Unwürdigkeit aufrichtig fühlen, des Sakramen-
tes am allermeisten. Wer hingegen sich für würdig hält, der ist
gerade recht unwürdig, denn er ist voll Hochmuths und Schein-
heiligkeit.
Uebrigens war Janow weit entfernt die Leute zur Theil-
nahme am heil. Abendmahl zu nöthigen. Er wünschte vielmehr
das freie selbsteigene Verlangen nach dieser Seelenspeise zu
wecken. Dann aber nahm er sich derjenigen Gemeindeglieder
nachdrücklich an. welche die tägliche Communion verlangten.
1) De regulis V. et Xovi Test. Lib. I., bei Jordan, ti2 folg. Matthias
erwähnt hier namentlich die »ruhmvolle Jungfrau Hildegard und die heilige
Brigitta«, spricht auch von anderen würdigen Frauen, die er in Paris und
Uom, in Nürnberg und noch mehr in Prag persönlich kennen gelernt habe.
2 In der zuletzt angeführten Stelle wird von gottseligen Frauen na-
mentlich hervorgehoben, continuis devotionibus sujnere gaudiose sacra-
mentum altaris singulis diebus.
Lechler, Wiclif. II. 9
130
Buch III. Kap. 3. I.
Er vertheidigte sowohl die Sitte an sich als diejenigen Personen,
welche jenes Verlangen kund gaben, gegen Bedenken , die da-
gegen erhoben wurden. In Gemässheit seiner Ueberzeugung von
dem allgemeinen Priesterthum aller wahrhaft Gläubigen erwähnt
er insbesondere , dass fromme Genieindeglieder an Empfänglich-
keit für die Gnadengabe des heil. Abendmahls hinter den Prie-
stern keinesweges zurückstehen. Dass Janow hiebei auf die
Vollständigkeit des Sakraments einen Werth gelegt . und für die
Laien auch den Kelch gefordert habe , lässt sich nicht durch ein
einziges Wort von ihm nachweisen 1 . Auch würde, da sein Drin-
gen auf die häufige Communion in einigen Provincialconcilien zur
Sprache gekommen und misbilligt worden ist 2) , sicher auch die
Forderung des Laienkelchs beanstandet worden sein, falls er sie
wirklich gestellt hätte. Nur so viel ist gewiss, dass Janow. nach
dem Vorgang von M i 1 i t s c h , die häufige . wo möglich tägliche
Communion der Gemeindeglieder empfohlen hat. Dieser Punkt
führte nur mittelbar auf die spätere hussitische Forderung des
Laienkelchs, erstlich insofern, als die Aufmerksamkeit auf die
Communion überhaupt hingelenkt wurde, zum anderen insofern,
als Janow insbesondere das allgemeine Priesterthum der Gläu-
bigen betonte ; und gerade dies war einer der Quellpunkte jenes
hussitischen Grundsatzes.
Es liegt am Tage, dass Matthias von Janow in die Fuss-
tapfen seines Lehrers M i 1 i t s c h getreten ist . sofern er die Ver-
derbniss der Kirche seiner Zeit unter den Gesichtspunkt des sich
offenbarenden Antichrist gestellt . und als das fruchtbarste Mittel
1) Die Worte, welche Neander, Kirchengesch. II, TOS. Anm 4. 3. Aufl.
als kategorischen Grundsatz auffasst . haben lediglich nur historische Trag-
weite.
2) Laut Mittheilung von Palacky, Gesch. v. Böhmen, III, J. 170 er-
wähnt Janow in der zweiten Kecension seines Werkes De reynlis V, ft
N. T.f I. Buch, selbst, dass die Prager Provincialsynode vom Oktober 1388
beschlossen habe, Laien seien nicht öfter als einmal im Monat zur Commu-
nion zuzulassen. Und auf dem Provincialconcil des Jahres 1389 wurde Janow
zu dem Anerkenntniss bewogen, dass Laien nicht zur täglichen Commu-
nion zu ermahnen seien; den Satz von der Heilsamkeit der häufigen
Communion zu misbilligen wurde ihm nicht zugemuthet. Vgl. HoEFLEB,
Conci/iu Prarjensia, in Abb. d. k. böhm. Ges. der Wiss. 1862. S. 37 foj£
Matthias von Janow und Militsch.
131
geistliches Wachsthums, sittlicher Stärkung- zum Kampfe die
häufige Communion der Gemeindeglieder empfohlen hat. Indes
hat Janow einige Schritte weiter gethan als Militsch, indem
er durch die. 4 Jahre nach des letzteren Tod ausgebrochene Papst-
Bpaltung zu desto ernsterem Nachdenken über die Ursachen des
Uebels und über die Mittel der Heilung geführt wurde. Während
Militsch immer noch an eine Reform von oben, durch den Papst
selbst dachte, ist Janow davon zurückgekommen. Das Schisma
selbst half ihm zur Lossagung von diesem Standpunkt. Er that
schon tiefere Blicke in das widerchristliche Wesen, welches weit
und breit im Schwange ging. Zugleich erkannte er klarer als
seine Vorgänger, dass der Anschluss an Christum den Gekreuzig-
ten, als den einigen Herrn (im Gegensatz zu der Heiligenvereh-
rung . dass die sittliche Gemeinschaft mit Christo und die Nach-
folge in seinem Wandel das wahre Heilmittel für alle Schäden
der Seele und der gesammten Kirche sei : damit hing bei ihm
der Grundsatz zusammen, dass menschliche Satzungen. Erfin-
dungen und Ceremonien zurückzustellen seien , dass die Kirche
zu den einfachen Anfängen der apostolischen Zeit zurückgeführt
werden müsse.
In allen diesen Gedanken liegen bedeutsame Grundlinien
für die Reform der Kirche , Keime , welche theils durch Johann
Hus, theils ein Jahrhundert später durch die deutsche Reforma-
tion zur Entwicklung gebracht worden sind. Ja man kann Ne-
ander mit gutem Grunde zustimmen, wenn er urtheilt, Hus sei
eher zurückgeblieben hinter Matthias von Janow, als dass er
über ihn hinausgegangen wäre 1 .
AI »er auch abgesehen von den bisher erwähnten drei Män-
nern , hat es in den letzten Jahrzehenten des XIV. Jahrhunderts
in Böhmen . zumal in Prag selbst , auch sonst nicht gefehlt an
Personen . welche . wenn auch nicht so tief und vielseitig wie
J a n o w . doch wenigstens in einzelnen Stücken gegen gewisse
1) Kirchengeschichte, II. 777 3. Aufl. . Xeaxder hat die eingehendste
Darstellung der Gedanken Janow's gegeben. Ihm, nebst Palacky und
Jordan, folgt Krümmel, Gesch. der böhm. Reformation im XV. Jahrhun-
dert. Gotha 1S6G. 72— lüu.
9*
132
Buch III. Kap. '6. I.
Lehren und Gebräuche der katholischen Kirche oppouirten und
einzelne Reformen befürworteten. Auf dem Prager Provincial-
concil 1389 mussten nebst Janow zwei sonst nicht bekannte
Kleriker , ein Priester Jakob und ein gewisser Andreas einzelne
Aeusserungen wider die Verehrung der Jungfrau Maria und ande-
rer Heiligen, auch gegen die Verehrung von Reliquien und Heili-
genbildern widerrufen *) . Ausserdem werden noch einige Theolo-
gen und Prediger genannt, z. B. Matthäus von Krokow in Pom-
mern, ein Doctor der Theologie in Prag, der 1410 als Bischof
von Worms starb , Johann von Bor, Doctor der Rechte , Wen-
zel Rohle, Pfarrer zu St. Martin in der Altstadt, Johann von
Stjekna, ein Cistercienser, 1373 — 1405. Den letzteren rühmt
Hus als trefflichen Prediger und betrachtet ihn offenbar als einen
Mann der Opposition , wie das auch ein Gegner von Hus thut,
Magister Andreas von Böhmischbrod , in einer Stelle, wo er den-
selben einem Militsch und Konrad von Waldhausen zur. Seite
stellt2). Magister Wenzel Rohle sprach sich im Frühling 1393,
während des Prager Jubeljahrs, gegen die Ablässe aus, welche
durch Geldopfer und Wallfahrten aus einer Kirche in die andere
erworben werden sollten , er nannte sie geradezu Betrügereien .
Der Dr. von Bor schrieb gegen die Bettelmönche. Und Matthias
von Krokow ist durch seine wenn auch erst später abgefasste
freimüthige Rüge wider die »Unsauberkeiten der römi-
1) Hoefler, Concilia Prayensia, Prag ]Mi2. 38 folg.
2) Hus nennt ihn in einer Predigt Joannes St ekna velut tuba resomms
praedicator eximius, Werke von Hus, Nürnb. 1558, II, 412 und Andreas
de Broda erwähnt gegen Hus 1414: ab emtiquis temporibus Milicius,
Cowradus, Sezekna et alü quam plwimi contra clericos praedieaverunt; eine
Stelle, aus deren Misverstand der Irrthum geflossen ist, dass man Conrad
und Stjekna fast drei Jahrhunderte lang für eine Person gehalten hat.
Vgl. Palacky, Gesch. von Böhmen, III, l. 182. Anm. Jordan, a. a. 0.
S5. 2.
.'i; Chromeon Universitatis Pragensis , in Hoefler, Geschichtschreiber
der hussitischen Bewegung, I. Wien 1 856. 14. Die Meinung, dass der Pre-
diger durch Drohungen des Königs von seinen Aeusserungen wider den
Ablass abgebracht worden sei (Krümmel, Gesch. der böhm. Reformation
I8<if>. I0:j; ist irrig; sie beruht auf einem Druckfehler bei Hoefler, a. a. O.:
minis statt mimus.
Johann Hus.
133
sehen Kurie« bekannt. Die Quelle dieser Schäden glaubte er
in dem päpstlichen Absolutismus entdeckt zu haben 1 .
Beweis genug, dass in jener bewegten Zeit kurz vor und
bald nach dem Ausbruche der Papstspaltung auch in Böhmen viel
geistige Bewegung und unerschrockene Rüge kirchlicher Mis-
stände Platz griff, sodass ein Janow keineswegs isolirt stand,
wenn auch kaum ein anderer von seinen Zeit- und Volksgenossen
so tiefe Blicke in die Wirklichkeit gethan hatte und die Sachen so
vielseitig zu prüfen vermochte als er selbst.
II.
Johann Hus hat die reformatorischen Kräfte und evangeli-
schen Gedanken, welche schon seit Jahrzehenten in Böhmen hei-
misch waren, in sich vereinigt, und zugleich die Wiclif 'sehen
Lehren . welche vom Ausland her nach Prag verpflanzt wurden,
sich angeeignet. Dazu kam . dass die Angelegenheit der Kir-
chenreforni durch ihn vollends eine Nationalsache der Tschechen
wurde.
Johann Hus. ursprünglich Johann von Husinetz genannt 2 .
ist in dem Marktflecken Husinetz am Fusse des Böhmerwaldes,
unweit der Moldauquelle und der bayerischen Grenze, am 6. Juli
1 De squaloribus romanae curiae, bei Walch , Monimenta medii aevi,
Vol. I. fasc. 1. Die Schrift ist sicherlich nicht eine schon 13S4 gehaltene
Synodalrede Palacky a. a. O. III, 1, 282. Anm.', denn sie erwähnt unter
den »modernen Häretikern« namentlich auch »Hussiten« (Hoefler, Con-
eilia Pragensia , Einleitung LVII ) , ist vielmehr mit Gieseler in die Re-
gierungszeit Papst Bonifacius IX. (1389 - 1403 zu setzen. Ueber Matthäus
und seine Schrift berichtet eingehend ÜLLMANN , Reformatoren vor der Re-
formation 1£66. I, 279 ff.
2) Laut des Liber decanorum Facultatis pltilosophicae Univ. Prag., in
Monument a Historien Universitatis Pragensis, I, 1, 1830 heisst Hus, ehe er
zum Magister promovirt war, immer nur Jo. Hussynecz, Husr.inecz,
Hussenicz u. s. w. 2s(i. 309. Es scheint, er hat erst seitdem er Magister
geworden 4396), angefangen, sich Joannes Hus zu schreiben, wiewohl er
auch nachher noch hie und da sich Jo. de Hussynecz schreibt, z. B. 1401,
S. 368. vgl. das Facsimile in Tafel 1. des genannten Bandes. Ja selbst
noch im XVI. Jahrhundert (1563) wird er a. a. O. Band I, 2. 376. mag.
Joannes Hus.y'necius genannt.
134
Buch III. Kap. 3. EL
1369. im Todesjahre KonracTs von Waldhausen . geboren1). Er
stammte aus dem eigentlichen Volke tschechischer Nationalität,
indessen waren seine Eltern verhältnissmässig wohlhabend. Seine
Studien machte Hus auf der Universität Prag, dort promovirte
er 1393 zum Baccalaureus der freien Künste, 1394 zum Bac-
calaureus der Theologie, und wurde 1396 Magister der freien
Künste : Doctor der Theologie ist er niemals geworden . so we-
nig als später Melanchthon. Zwei Jahre nachdem er Magi-
ster geworden, 1398, fing er an Vorlesungen an der Universität zu
halten. Welche Achtung er inmitten dieser gelehrten Körperschaft
sich zu erwerben wusste, davon legt die Thatsache Beweis ab,
dass er in raschem Laufe verschiedene Funktionen und Ehren-
ämter an der Universität erlangte: schon 139S wurde er zum
Examinator für die Bewerber um das Baccalaureat von Seiten der
böhmischen Nation erwählt, drei Jahre später, 15. October 1401,
zum Decan der philosophischen Facultät: und im October 1402
wurde er sogar Rector der Prager Universität, und bekleidete
diese höchste Würde derselben, nach damaliger Sitte ein Halbjahr
lang, bis Ende April 1403 2 .
Durch seine Stellung an der Universität hatte Johann Hus
etwas voraus vor denjenigen Männern . welche vor ihm für Re-
form der Kirche gearbeitet hatten: Konrad, Militsch und Mat-
thias von Janow waren sämmtlich in klerikalen Aemtern gestan-
den . und hatten keine amtliche Wirksamkeit an der Universität
gehabt. Dem Magister Hus war aber ebendeshalb nicht allein
ein bedeutsamer Wirkungskreis geöffnet . sondern auch vermöge
der Regel : docenclo disa'mus , ein fruchtbares Mittel der eigenen
Fortbildung gegeben. Wir zweifeln keinen Augenblick daran,
dass gerade die Vorlesungen. Disputationen, Prüfungen und an-
dere akademische Akte, zu denen Hus nun berufen war. für ihn
1 Das Jahr hat C. Hoefler in »Mittheilungen des Vereins f.
Gesch. der Deutschen in Böhmen«, 1STÜ. S. 90. Anm. angezweifelt. Indes
scheint die Bemerkung des Petrus Codicillus, worauf er sich stützt, nicht
den ersten Römerzug Karls IV., sondern seine zweite Romfahrt 1368 im
Auge zu haben. Und darnach würde die Geburt Husens in dieses Jahr
nicht 1B69] fallen.
2] Mouumentu historica Universitatis Pratensis, I, 1. S. :MÜ.
Johann Hus als Universitätslehrer.
I
135
Veranlassung wurden, sich in die 'philosophischen) Schriften
Wie Ii f "s, die ihm schon seit einigen Jahren bekannt waren,
immer mehr zu vertiefen. Ja wir glauben die ganz specielle Ver-
umthung wagen zu dürfen , dass er seine ersten Vorlesungen an
der Hand Wiclif scher Abhandlungen gehalten habe. Es ist That-
sache, dass Hus im Jahr 1398 angefangen hat, Vorlesungen zu
halten, welche jedenfalls philosophische Gegenstände betrafen.
Weiter erlaubten die Satzungen der Prager philosophischen Fa-
cultät jedem Baccalaureus nur nach Heften eines Magisters
von Prag, Paris oder Oxford zu lesen, während ein Magister
überdem das Recht hatte , selbständige Vorträge zu halten *) . Da
nun die jetzt in Stockholm befindliche Handschrift von fünf philo-
sophischen Abhandlungen Wiclif 's gerade auch im Jahr 1398
von Hus selbst geschrieben ist2), so liegt die Vermuthung nahe,
dass er diese Abschrift bei seinen ersten philosophischen Vorle-
sungen benützt haben dürfte. Dazu kommt, dass der gelehrte
Berichterstatter bezeugt, jener Codex zu Stockholm habe ganz die
Form der um jene Zeit üblichen akademischen Hefte.
So viel ist gewiss, dass Hus die philosophischen Schriften
Wiclif 's gekannt und mit Vorliebe studirt hat, ehe er dessen
theologische Schriften kennen lernte. Und es ist keinem Zweifel
unterworfen, dass er dem philosophischen Realismus Wiclif s
zugethan war, bevor er sich mit den Gedanken theologischer
Reform durchdrang, welche er aus Wiclif sich aneignete. Die
theologischen Schriften Wiclif s lernte er aller Wahrscheinlich-
keit nach nicht vor dem Jahr 1400, vielleicht erst 1402 kennen 3 .
Allein die tiefere Wirkung derselben auf Gemüth und Gewis-
sen des Johann Hus war noch durch andere Verhältnisse mit
bedingt.
Wir haben Grund anzunehmen, dass im Lauf der männlichen
Jahre eine Erweckung in ihm vorgegangen ist. Einerseits war er
1 Monum. hist. Univ. Pragensis, I, 1. S. 41. u. 50. Satzung vom 20.
April 1367.
2 Dtdik, Forschungen in Schweden für Mährens Geschichte, Brünn
1S52. 19S ff.
6 Vgl. Palacky, Die Geschichte des Hussitenthums , 2. Aufl. Prag
18^8. 115 folg.
136
Buch III. Kap. 3. EL
als Student von einer unbedingten Devotion beseelt gegen die
Gebräuche und Gnadenschätze der römischen Kirche; denn wir
hören, dass er zur Zeit des Prager Jubeljahrs 1393 in die Peters-
kirche auf dem Wyschehrad zur Beichte ging , die letzten 4 Gro-
schen , die er besass . dem Beichtiger gab , und die vorgeschrie-
benen Processionen mitmachte, um des Ablasses theilhaftig zu
werden. Ein Ausfluss überschwänglicher Andacht, den er später
bereut hat, wie er auf der Kanzel offen bekannte 1 . Andererseits
konnte mit dieser katholisch devoten Stimmung sich ganz wohl
vertragen eine gewisse Neigung zu leerem Zeitvertreib (z. B. mit
Schachspiel; und eine eitle Vorliebe für Luxus in der Kleidung,
wie Hus in einem Anfangs October 1414, vor der Abreise nach
Constanz an einen geliebten Schüler , Magister Martin, geschrie-
benen Briefe, offen bekennt2). Aus dieser Beichte man kann die
Aeusserung wohl so nennen ) lässt sich ersehen , wie streng er
jetzt über sich selbst urtheilte.
Uebrigens war Hus von jeher beseelt von einer redlichen
Wahrheitsliebe ; sagt er doch selbst in einem akademischen Akte,
es sei ihm nicht um hartnäckige Behauptung seiner einmal ge-
fassten Ansicht . sondern um die Wahrheit zuthun: er habe,
von der ersten Zeit seines Studiums an. sich das zur Kegel ge-
macht, so oft er in irgend einem Punkt eine richtigere Ansicht
vernehme, von seiner früheren Ansicht mit Freuden und demüthig
abzugehen 8) . Demgemäss hat er auch die unbedingte Verehrung
vor dem Papst, welche er früher gehegt hatte, aufgegeben, als
ihm ein helleres Licht aus der heil. Schrift und eine vollere fir-
kenntniss von dem Leben und Wandel des Erlösers aufging 4) .
1 Chronicon Universitatk Pragensis, bei HoEFLER , Geschichtschreiber
der hussit. BeAvegung. I, 15.
2) Documenta Mar/. Joannü Hus — ed. Palacky, Prag 1869. 74 folg
Der Brief ist nicht erst im Kerker in Constanz, sondern noch in Prag ge
schrieben, auch nicht an den Prediger der Bethlehemskapelle, Hawlik, ge-
richtet, wie Böhringer, Vorreformatoren, II, 108. und Krümmel. Gesch.
der böhm. Ref., 104. angeben; der letztere verbessert übrigens 145. Anm. f
unbewusst sich selbst.
3) Werke von Hus, 1558; I, 106,1.
4) In der böhmischen Postille, s. Nowotny, J. Uns Predigten. Gör-
litz 1855, 2. 01: »O die betrügen sich, die vor dem Papste niederfallen,
Stiftung der ßethlehemskapelle in Prag
l$7
Suchen wir dem Zeitpunkt und dem ursäehlichen Zusammen-
hang dieser Erweekung und Wandlung', die in Hus vorgegan-
gen ist. näher nachzuspüren, so werden wir auf den Moment ge-
führt . wo er das Predigtamt an der Bethlehemskapelle in Prag
übernahm . und zu diesem Behufe die Priesterweihe empfing.
Denn er selbst nennt in jener brieflichen Aeusserung gerade den
Empfang der Priesterwürde als den Zeitpunkt, vor welchem er
mehr Zeit, als recht war. dem Schachspiel gewidmet und dadurch
sich selbst und andere zum Zorn gereizt habe 1 . Wir kommen
hiemit auf das Jahr 1402. und finden, dass Hus gerade durch
das Predigtamt an jener Kapelle innerlich gefördert und persön-
lich erweckt worden ist. Wie hing das zusammen ?
Im Jahre 1391 bestimmte ein vermöglicher Prager Kaufmann
Namens Kreuz ein ihm gehöriges Grundstück innerhalb des
Pfarrsprengels der Kirche Philippi und Jacobi in der Altstadt
Prag zu einer Kapelle der unschuldigen Kindlein, welche den
Namen Bethlehem führen sollte. Sodann stiftete Johann von
M ü 1 h e i m . aus Pardubitz gebürtig . Kitter und königlicher Rath,
am 24. Mai 1391, die Fundation zu einem geistlichen Amt an der
Bethlehemskapelle wodurch er das Patronatrecht erwarb . und
zwar mit der Bestimmung, dass der Kaplan capellarius , auch
rector genannt . welcher ein Weltgeistlicher sein müsse . ledig-
lich nur das Predigtamt zu verwalten habe , aber in böhmischer
Sprache : das Messelesen solle ganz seinem gewissenhaften Er-
messen anheimgestellt bleiben. Erzbischöfliche und königliche
Bestätigung dieser Stiftung wurde . so weit nöthig. eingeholt und
ertheilt- . Später, im Jahr 1396. stiftete Kaufmann Kreuz einen
Altar der heil. Margaretha. Catharina u. s. w.. und eine Pfründe,
deren Inhaber an diesem Altar Messe lesen sollte : und so scheint
und alles für gut halten Avas er thut . wie ich es auch für gut hielt,
als ich die heil. Schrift und das Leben meines theuren Heilan-
des noch nicht kannte.
1 Documenta ed. Palacky, 74 : Proh dolor ante sacerdotium meuin
libenter et saepe schacos htsi etc.
2) Monumetüa Uhiversituhs Pragmsi*, TL, l. Codex diplomaticus , Nr.
24. 85. S. 297 — 3öS. Diese Sammlung enthält überhaupt nicht weniger aK
14 Urkunden, welche sich auf die Bethlehemskapelle beziehen.
138
Buch III. Kap. 3. II.
es in der That, als sei Kreuz ein unbedingter Anhänger des gan-
zen römisch-katholischen Kultus gewesen l) . Hingegen Mü lh e i in
stand, laut seiner Stiftungsurkunde, ganz anders. Nicht als hätte
er irgendwie einer bewussten Opposition gegen das in der Kirche
Bestehende gehuldigt. Wohl aber legte er ausdrücklich auf die
Predigt des göttlichen Worts einen ganz ausserordentlichen
Werth , und hielt sie für die den Seelen nützlichste Funktion in
der Kirche; ferner lag ihm daran, dass gerade dem Volk die
Erquickung durch die Predigt zu Theil werden möchte, und
dass ihm das Wort Gottes in seiner Muttersprache gepredigt
werde«. Darum vermisste er, ungeachtet die schon damals kir-
chenreiche Stadt Prag viele Gotteshäuser besass, doch eine vor-
zugsweise der Predigt dienende Stätte , indem die Kirchen zu
so vielen anderen heiligen Handlungen bestimmt seien. Ferner
beklagte Mülheim als unangemessen , dass die Prediger, zumal
wenn sie tschechisch predigen , auf Hausandachten und Conven-
tikel angewiesen seien. Um also die Predigt überhaupt zu för-
dern und dem »gemeinen Volk« zu dem erquickenden Brode der
Predigt des Worts zu helfen die Kapelle hiess Bethlehem, Haus
des Brodes , ein Name , auf welchen der Stifter selbst Nachdruck
legte), verpflichtete er den Kaplan, an allen Kirchentagen früh
und nach Tische, in der Advents- und Fastenzeit nur früh zu
predigen für das »gemeine Volk« in der Landessprache; doch
möge er die Leute nicht zu lange hinhalten , damit sie in ihren
Parochialkirchen noch zum Gottesdienst kommen können 2) . Nach
alle dem scheint Johann von Mülheim einer von denjenigen ge-
wesen zu sein, in welchen der Geist von Volkspredigern wie
K o n r a d und M i 1 i t s c h • nachwirkte , und die Liebe zu der
1] a. a. 0. Nr. 35. S. 329 — 334.
2 a. a. O. S. 301. 304. Interessant ist die Bemerkung Mülheim's
über die tschechischen Prediger : Praedicantes ipsi, specialiter vulgaris Boe-
mici eloquii, plerumque per domos et latebras cogunttir , quod non congruit,
divagar i , quemadmodum saepius notabiliter est compertum. Während man,
als Militsch tschechisch zu predigen anfing, von incongruentia vulgaris
st-rmonis sprach, s. üben S. 110. Anm., fand Mülheim nun schon etwas un-
angemessenes darin, dass Prediger in der Volkssprache sich genöthigt sahen,
in Conventikeln, statt in Kirchen, tschechisch zu predigen.
Wachsendes Nationalgefühl.
1:19
Predigt und Gottes Wort, die Matthias von Janow geweckt
und genährt hatte , zur That gereift ist. Dazu kommt der aus-
schliesslich nationale Charakter, den die Stiftung Mülheim 's
an sich trägt. Als Militsch anfing böhmisch zu predigen, war
dies eine Neuerung, welche noch vielfache Misbilligung fand,
.letzt erlangte die Stiftung einer Kapelle und Pfründe für böh-
mische Predigt selbst von Seiten des erzbischöflichen Ordinaria-
tes ohne den mindesten Anstand die erforderliche Genehmigung.
Militsch war weit davon entfernt gewesen, ausschliesslich
tschechich predigen zu wollen; das Predigtamt an der Bethle-
hem skapelle aber wurde ausnahmslos zu tschechischer Predigt
verpflichtet. Wir sehen, das Nationalgefühl hatte in den 25 Jah-
ren, seit Militsch erstmals als tschechischer Prediger aufgetre-
ten war, namhafte Fortschritte gemacht. War doch auch der
l instand ein Beweis nationalen Interesses , dass Mülheim drei
Mapstern des Carlscollegiums böhmischer Nation die Befug-
niss ertheilte, in Gemeinschaft mit dem Bürgermeister der Alt-
stadt, ihm als Collator des Predigtamts an der Bethlehemskapelle
einen Dreiervorschlag zu machen, aus dem er selbst dann den
Kaplan« ernennen wolle.
Im Jahr 1402 resignirte der Magister Stephan von Kolin
freiwillig auf das Pfarramt an der Bethlehemskapelle. Nun prä-
sentirte der Collator Johann von Mülheim den [Johann Hus zum
Reetor und Pfarrer« der Bethlehemskapelle, und der Erzbischof
bestätigte ihn *) . Diese Ernennung ist von der nachhaltigsten Be-
deutung geworden für Hus'ens innere Entwickelung, für die Stadt
Prag, und für ganz Böhmen. Denn durch den übernommenen Be-
ruf zur Predigt und Gottes Wort verpflichtet, durch seine Stel-
lung aller liturgischen Handlungen und pfarramtlichen Geschäfte
überhoben, als tschechischer Prediger so recht an das Volk selbst
gewiesen, hat sich Hus in das Wort Gottes immer mehr vertieft;
und während eine andächtige Gemeinde sich um ihn sammelte,
ist er selbst im Glaubensleben gewachsen und erstarkt. Auch
das Studium der theologischen Schriften Wiclif's, dem er sich
1 a. a. 0. Nr. 50. S. 397 folg. Urkunde vom 14. März 1402, ausgestellt
vom Prager Generalvicar.
140
Buch III. Kap. :i. II.
seit einigen Jahren widmete, hat erst mittels dieses Predigtamts
einen fruchtbaren Boden bei Hus gefunden.
Es war keineswegs ein einseitig gelehrtes und wissenschaft-
liches Interesse, sondern ein Drang des frommen Herzens und des
Gewissens, welches ihn zu Wiclif hinzog, ihm für dessen Ge-
danken den Sinn öffnete, und ihn für Wiclif 's Reformbestre-
bungen begeisterte 1 .
Wir gedenken nicht, die ganze Laufbahn von Johann Hus
Sehritt vor Schritt zu verfolgen ; es genügt , die Hauptumrisse
derselben anzudeuten, da für uns hier der Schwerpunkt darauf
liegt, wie sich der Lehrbegriff und die kirchliche Gesinnung von
Johann Hus zu dem Lehrbegriff und der kirchlichen Stellung
Wiclif s verhält.
Während Hus, seit seiner Erweckung, im Kern der theolo-
gischen Denkart und kirchlichen Gesinnung sich gleich blieb,
fand in der praktischen Verwerthung derselben mit der Zeit
eine Wandlung bei ihm statt, welche durch die äusseren Verhält-
nisse bedingt war. In dem ersten Stadium stand er nicht in
Opposition gegen das Kirchenregiment, vielmehr hoffte er eine
Reform mit Hülfe seiner Oberen und durch sie bewirken zu
können. Im zweiten Stadium musste er diese Hoffnung auf-
gaben, und arbeitete für eine Kirchenreform in Opposition gegen
das Kirchenregiment. Den Wendepunkt bildete das Jahr J HO.
Das erste Stadium erstreckte sich vom Jahr 1402 — 1410.
Da fehlte es zwar auch nicht an mannigfachen Kämpfen, theils
wissenschaftlicher Art, an der Universität, theils sittlicher Art.
im Predigtamt und im kirchlichen Leben. Dessen ungeachtet war
die Stellung von Hus in mehr als einer Hinsicht günstig genug.
M in Wirken verhältnissmässig harmlos, in keiner Weise opposi-
tionell. Selbst die Disputationen über Wiclif sehe Sätze waren
1, Ein taboritischer Chronist des XV. Jahrhunderts. Nicolaus von Pel-
hrimow, bezeugt, dass »die JJüehcr des evangelischen Doctors, Magister
Johann Wiclif, dem seligen Magister Johann Hub, wie mehrere glaub-
würdige Männer aus seinem eigenen Munde wissen , die Augen geöffnet
haben, während er sie las und wieder las nebst etlichen die ihm anhin-
gen« u. s. w. bei HOEFLEB, Geschichtschreiber d. hussit. Bewegung. 11,
Johann Hus in seinem Wirken.
14 1
anfänglich kaum dazu angethan, die Ruhe von Hus und seine
harmlose Arbeit zu beeinträchtigen. Wenigstens hat die erste
Erörterung der Art, welche am 28. Mai 1403 statt fand, nur die
Folge gehabt, dass der Vortrag gewisser Sätze, welche Wiclif
thcils wirklich angehörten, theils ihm nur beigelegt waren, an
der Universität untersagt wurde1). Ja als fünf Jahre später die-
selben 45 Sätze nochmals, inmitten der Magister, Baccalaureen
und Studenten von der »böhmischen Nation« zur Sprache kamen
20. Mai 1408 . wurde in Folge der Verwendung von Hus, das
frühere Verbot nur mit der Beschränkung gut geheissen, es solle
kein Mitglied der »böhmischen Nation« jene Artikel in einem
ketzerischen, irrigen oder anstössigen Sinne vortragen
oder vertheidigen. Allerdings wurde zugleich verfügt, dass
fortan kein Baecalaureus über Wiclif 's Dialogus , Trialogus
J Das amtlich beglaubigte Protokoll über jene Verhandlung in Pa-
lacky , Documenta Joannis Hus vitam — illustrantia , Prag 1869. 327 —
331. HoEFLERj Concilia Pragensia, 1862. 43—46. Es ergibt sich daraus,
dass zwei Mitglieder des Domkapitels zu Prag, der erzbischöfliche Officiaf.
Johann Kbel. und Wenzel , Archidiaconus von Bechin, im Namen des Ka-
pitels der erzbischöfliche Stuhl war damals unbesetzt1 dem Rector der Uni-
versität zwei Reihen von angeblich Wiclif 'sehen Artikeln eingereicht hatten,
über welche Beschluss zu fassen wäre. Die erste Reihe besteht aus den 24
Artikeln welche von dem Provincialconcil zu London im Mai 1382 theils als
ketzerisch, theils als irrig verworfen worden waren, s oben Buch II. Kap. 8.
IV. Die zweite Reihe umfasst 21 Artikel, welche ein Prager Magister,
Johann Hübner, ein Schlesier von Geburt, aus Wiclif s Schriften aus-
gezogen hatte. Der damalige Rector, Walther Harrasser, berief sämmt-
liche Magister der Universität auf d. 28. Mai 1403 in das Carlscdlegium. In
der Verhandlung beschränkte sich Hus selbst und Nicolaus von Leite-
rn i sc hl auf die Frage von der Aechtheit der Artikel, und beschuldigten
Hübner, dieselben unrichtig ausgezogen, dem Wiclif untergeschoben zu
haben, wobei Hus äusserte, solche Fälscher von Büchern verdienten mit
mehr Recht den Feuertod, als die zwei Männer, Berlin und Wlaska, welche
jüngst wegen Waarenfälschung in Safran zu Prag verbrannt wrorden waren.
Documenta, 178. Hingegen Stanislaus von Znaim ging auf den Inhalt
der Artikel selbst ein und vertheidigte sie so lebhaft, dass einige ältere
Doctoren Anstoss daran nahmen, und die Sitzung verliessen (Hus Werke,
1558. Responsio ad scripta Sfanislai de>Znoyma, I, 265, 2). Die Mehrheit
beschloss endlich, dass der Vortrag jener Artikel an der Universität verpönt
werden sollte Documenta 331).
142
Buch III. Kap. 3. II.
oder De Eueharistia Vorlesungen halten dürfe, und dass niemand
eine These, welche sich auf Wiclif's Lehre und Schriften be-
ziehe, zum Gegenstand einer Disputation machen solle1 . Die
Anregung zu diesem Akte war zwar von dem erzbischöflichen
Domkapitel ausgegangen ; aber die Entscheidung der Frage über
die Geltung gewisser Wiclif'schei\ Sätze war doch der Autono-
mie akademischer Körperschaften anheimgegeben ; und hin erhall)
der Universität schwebte die Sache nur zwischen den Parteien an
dieser selbst. Die Ergebnisse waren beide Male nicht der Art.
dass H u s durch dieselben in seiner Lehrfreiheit oder sonstigen
Wirksamkeit beengt worden wäre.
Von grösstem Belang war in Betracht des kirchlichen Lebens
der Umstand, dass Johann Hus das volle Vertrauen des Erz-
bisch ofs genoss . W o 1 fr a m von Sc h k w o r e t z , war am 2 . Ma i
1402 gestorben. Nach langer Erledigungszeit wurde der erz-
bischöfliche Stuhl Ende des Jahres 1403 mit Dr. Sbynko. oder
Sbynjek Sajitz von Hasenburg besetzt. Er stammte aus
einem adeligen Geschlechte Böhmens, und war zuvor Propst zu
Melnik gewesen. Bisher hatte er nicht gerade für das Reich
Gottes gelebt, besass auch sehr wenig theologische Erkcnntniss.
war aber frei von hierarchischen Vorurtheilen und Bestrebungen,
den kirchlichen Mißbrauchen abhold, ein Feind des Aberglaubens.
Seine Würde übernahm er mit dem Vorsatz, strenge Zucht zr,
üben und das kirchliche Wesen zu bessern. Er schenkte Hus
sein ganzes Vertrauen, ernannte ihn, nebst Stanislaus vonZnaim.
zum Synodalprediger, und forderte ihn auf. so oft er irgend einen
Mangel oder Misbrauch im kirchlichen Leben in Erfahrung bringe,
die Sache ihm. dem Erzbischof, persönlich oder, falls er abwesend
sein sollte, brieflich zur Kenntniss zu bringen - .
Da er sieh nun auf die Zustimmung seines Erzbischofs ver-
lassen konnte, so hat Hus in seinen Synodalpredigten um so
rückhaltloser und nachdrücklicher gesprochen. Er schärft den
I] Palacky, Gesch. von Böhmen. III. I. 221 folg.
2) In einem Schreiben an Erzbischof Sbynko. vom Juli 1408, erinnert
Hu 8 denselben an den Auftrag, welchen derselbe in prinripio restri regi-
minis ihm ertheilt habe, s. Palacky, Documenta, 1869. )5.
Johann Hus als Synodalprediger.
143
Amtsbrüdern jeden Kaiiges ihre Pflichten hinsichtlich der Amts-
treue und des sittlichen Wandels nachdrücklich ein. wobei er
nicht unterlässt, auch den Erzbischof selbst zu erinnern, dass er
schuldig- sei. der Geistlichkeit gegenüber die Zucht streng zu
handhaben, selbst mit Gefahr des eigenen Wohls l) . Aber er be-
schränkt sich keineswegs auf positive Vermahnungen, die noch
verhältnissmässig harmlos erscheinen mochten. Vielmehr rügt er
ausdrücklich und freimüthig mit der Schärfe eines Censors, der
um die Ehre Gottes eifert, und dem es um das Beste der Kirche
Christi zu thun ist, die Fehler, Sünden und Laster der Geistlichen
und Mönche bis zu den Prälaten hinauf, den geistlichen Hoch-
nmth. die hierarchische Herrschsucht, den schnöden Geldgeiz.
Habsucht, Erbschleicherei und Aussaugung des Volks, Schenken-
besuch und Trunksucht, Unkeuschheit und Hurerei. Es sind
scharfe Strafpredigten, die Johann Hus jedesmal bei Eröffnung
der böhmischen Provincialconcilien dem Klerus seines Landes
gehalten hat. Die Rüge bezieht sich durchweg auf Gesinnung.
Leben und Wandel der Geistlichen, nicht auf die Lehre2'. Aber
diese Synodalpredigten sind allerdings der Art. dass Kleriker,
welche sich getroffen fühlten, dem freimüthigen Redner begreif-
lich todfeind werden mochten.
Abgesehen von der Funktion eines Synodalpredigers, be-
nutzte Johann Hus den Einfluss, welchen er auf den Erzbischof
hatte . dazu, dem um sich greifenden Aberglauben entgegen-
zuwirken . In der Kirche zu W i 1 s n a c k . unweit der untern Elbe .
bei Wittenberge, befand sich eine angeblich wunderthätige Reli-
quie des Blutes Christi. Da man viel von wunderbaren Heilungen
durch das heilige Blut erzählte, so wallfahrtete das Volk nicht
nur aus benachbarten Landschaften, sondern auch aus weiter
Ferne, aus Polen. Ungarn und Siebenbürgen, nicht minder aus
dem skandinavischen Norden dorthin. Auch aus Böhmen fehlte
1) Hus'ens Werke 1558. II, 26, 2.
2) Einige der Synodalpredigten sind uns in den Werken von Hu*>
^Nürnberg 155S; II, 25 ff. erhalten; übrigens sind nicht alle die 9 Predig-
ten , welche dort als conciones synodicae zusammengedruckt sind , sondern
nur die 4 ersten, wirkliche Synodalpredigten.
144
Buch III. Kap. 3. II.
es nicht an zahlreichen Pilgern, die nach Wilsnack gingen. Nicht
geringe Bedenken wurden laut gegen die Sache, und Erzbischof
Sbynjek beauftragte eine Commission von drei Magistern, unter
denen Hus sich befand, mit Erörterungen über die Wunder,
welche sich in Wilsnack ereignet haben sollten 1 . Die Ver-
nehmung derjenigen Personen . an welchen angeblich Wunder
geschehen waren, ergab, dass es nichts als Lug und Trug war ;
einem Knaben sollte durch das Blut von Wilsnack der kranke
Fuss geheilt worden sein : der Fuss war vielmehr schlimmer ge-
worden. Zwei erblindete Frauen waren angeblich wieder sehend
geworden: sie gestanden, dass sie zwar böse Augen gehabt, aber
niemals erblindet gewesen seien, u. s. w. Auf Grund dieser Er-
hebungen und nach dem Rathe der Commission erliess der Erz-
bischof auf dem Provineialconcil des Sommers 1 405 ein Mandat,
woniach alle Prediger mindestens einmal des Monats ihren Ge-
meinden das Verbot der Wallfahrten »zum Blut von Wilsnack«
bekannt machen und einschärfen sollten '- ; bei Strafe des Banns
sollte niemand mehr sich unterstehen, nach Wilsmick zu pilgern.
Zur scholastisch-wissenschaftlichen Begründung und sitt-
lich religiösen Rechtfertigung dieser Verordnung schrieb Hus.
jedenfalls im Einverständniss mit dem Erzbischof, vielleicht sogar
auf dessen ausdrücklichen Wunsch, seine Abhandlung : »Dass alles
Blut Christi verklärt sei.« Die Spitze dieser Schrift ist gegen das
Vorgeben gerichtet, als könne das wahre Blut des Erlösers gegen-
wärtig irgendwo örtlich vorhanden sein, sichtbar erscheinen.
Wunder verrichten u. s. w. Hus stellt den Satz auf, wo man der-
gleichen heut zu Tage behaupte, beruhe es entweder auf liigen-
1 Wir wissen dies aus der eigenen Erklärung von Johann Hus in
einer Schrift, die er 1405 oder 1400 geschrieben haben muss, De omni san-
f/uine Christi glorißcato , Werke von Hus 1 ">5S , I, 151, 2 — 162,2. J'ltiam
fuimus tres Jlar/istri deputati per dominum Archiepiscopum ad examinandam
homittes, de qnibus praedicabant fuisse facta miracula. f. 161, 2.
2) Concilia Pragetisia, von C. Hoefler, 1862, 47. Erst seit Veröffent-
lichung dieser Concilienakten lässt sich der Zeitpunkt genau und sicher
bestimmen (15. Juni 1405;, wahrend der genaue und vollständige Inhalt
des Mandats nach wie vor aus der Schrift Hus'ens, De sunguin, Christi
etc. f. 102, 2. zu ersehen ist.
Maassregeln der Zucht und Reform.
145
haften und eigennützigen Vorspiegelungen, auf Priesterbetrug 1
oder gar auf teuflischen Kräften : nur im Sakrament des Altars
sei Christi Leib und Blut wahrhaftig und wirklich, aber un-
sichtbar, gegenwärtig. Nur ein Gedanke möge noch aus
dieser Schrift herausgehoben werden, weil er von Belang und von
reformatorischem Charakter ist , nämlich die Wahrheit, dass es
ein Beweis von Kleinglauben ist, wenn man noch der Wunder
bedarf, ein wahrer Christ habe nicht nöthig, Zeichen und Wunder
zu suchen, er solle sich nur beständig auf die Schrift stützen :
wenn die Priester fest stünden im Evangelium Christi, und dem
Volk Lieber die Worte Christi kund thäten, als fehlerhafte Wun-
der, dann würde der treue Erlöser die Priester selbst und das
Volk von dem bösen Weg der Sünde und Lüge abführen 2 .
Jenes Verbot wider die Wallfahrten zum heil. Blut nach
Wilsnack war übrigens nur eine Maassregel unter vielen, welche
Erzbischof Sbynjek zur Abstellung von Misbräuchen und zur
Besserung des kirchlichen Wesens durch die Provincialsynoden
fassen Hess. Das war ganz im Sinne vonHus. Es waren Maass-
nahmen sittlicher Zucht, es war eine Reform von oben, dass auf
den Prager Synoden im Jahr 1405 und den folgenden, die Ab-
wesenheit mancher Prälaten , Pfarrer und Seelsorger von ihren
Gemeinden untersagt, das Visitationswerk in geordneten Gang
1 Hus führt eine ziemliche Anzahl von Fällen an, wo dergleichen Vor-
spiegelungen, bei denen es auf Opfer und Gaben und Stiftungen der Gläu-
bigen abgesehen war, entdeckt, Priester, welche sich dabei betheiligt hatten,,
entlarvt und zur Strafe gezogen worden waren; und das nicht nur in Böh-
men selbst, sondern auch in der Diöcese Krakau, in Ungarn, in Bologna,
f. 160, 2. hil. I. — Noch im Jahre 1475 eiferte ein Doctor der Universität
Erfurt , Johann von Dorsten , gegen die häutigen Wallfahrten nach Wils-
nack: »solch' Laufen bedeute nichts Gutes; es sei ein Zeichen, dass das
Volk an einer schlimmen geistlichen Seuche kranke.« Hogel'sche Chronik,
bei Kampschulte, Die Universität Erfurt. 1858. i [7.
1 a. a. O. 15V '1 . Nullus vefus Christianus eichet signa in ßde Sita
quaerere , sed constanter quiescere in scriptura. — Indigentes mira-
eulis sunt modicae fidei. — KU. 2: Revera si saeerdotes starent in consilio
Christi evangelico, et nota facerenf cerba Christi populo potius quam mendosa
miracula, tunc pius salvator averteret /jjsos saeerdotes et populum a via mala
scilicet peccati et mendacii etc.
Lechleb. Wiclif. II. jfl
1 16
Buch III. Kap. 3; II.
gesetzt, dem Schenkenbesuch, dem leichtfertigen und unzüchtigen
Leben vieler Kleriker nachdrücklich gewehrt wurde.
Allein seit dem Jahre 1408 wendete sich das Blatt. Es trat
eine Abkühlung zwischen dem Erzbischof Sbynjek und Hus
ein; bald wurde das Verhältniss ein gespanntes, und im Jahr 1409
kam es zum Bruch zwischen beiden. Im Jahr 1408 reichte die
Geistlichkeit der Hauptstadt und der Erzdiöcese Prag eine Be-
schwerde wider Hus beim Erzbischof ein, und bat um dessen
Schutz, weil. Hus in öffentlichen Predigten in der Bethlehems-
kapelle sich Aeusserungen erlaube, welche die Geistlichkeit an-
schwärzen, sie der Verachtung und dem Hass des Volks preis
geben. Er habe z. B. am 16. Juli 1407 behauptet, ein Pfarrer,
der für Taufe, Beichte, Abendmahl, für Glockengeläute, Begräb-
niss u. s. w. Gebühren eintreibe, namentlich von den Armen, sei
ein Ketzer r. Hus hat angesichts dieser Beschwerde sich zwar
vertheidigt und zu rechtfertigen gesucht2) : aber dessen unge-
achtet hat ihn der Erzbischof der Funktion eines Synodalpre-
digers enthoben.
In dieselbe Zeit fällt vermuthlich das Schreiben, worin Hus
sich bei dem Erzbischof für einen Geistlichen verwendet, welcher
als Ketzer verhaftet und verbannt werde , während er sich nichts
habe zu Schulden kommen lassen, sondern nur der Predigt des
Evangeliums sich mit ganzer Kraft gewidmet habe. Das bezog
sich auf Nicolaus von Welenowitz, genannt Abraham, einen
Priester an der Heiligengeistkirche zu Prag. Das Schreiben geht
aus einem sehr ernsten Ton, und lautet fast wie die Ansprache
eines Seelsorgers . der einem seiner Beichtkinder das Gewissen
schärft; es steht genau auf der äussersten Linie dessen, was ein
Priester seinem Oberen gegenüber sich gestatten durfte. Denn
Hus rügt es offen, dass der Erzbischof die eifrigsten und frömffi-
1) Die Beschwerdeschrit't s. bei Hoeflkk, Geschichtschreiber der hussit.
Bewegung, II, Wien lSüö. 14.'{ ff. Palacky, Documenta, lstü». I5ß ff., mit
besserem Text.
2j Hoefler, a. a. ü. 145 — 153. Palacky, a. a. 0. 155 — 1 (>.'<. Ite-
spoitsio Muyistri Hus. Wahrscheinlich hat Hus aus dieser Veranlassung
auch die Abhandlung herausgegeben: Quaesti" <lc grgt/undo clero pro <-<»<-
cione, Werke von Hus, I55S. f. 149, 1 — 153, 2.
Verhandlungen über Neutralität zwischen beiden Päpsten. J 4 7
sten Priestor rarfolge, hingegen freches und ausschweifenden
Leuten volle Freiheit lasse 1 .
Am Ende des Jahres war es bereits so weit gekommen, das-
der Erzbischof in einem, sowohl in lateinischer als in tschechischer
.Sprache an den Kirchenthüren angeschlagenen Patent Hus als
einen ungehorsamen Sohn der Kirche öffentlich brandmarkte, und
ihm alle priesterlichen Handlungen in seinem Sprengel untersagte.
Hus remonstrirte hiegegen in bescheidenem aber festem Ton. in-
dem er sich zu rechtfertigen suchte und dem Erzbischof zu ver-
stehen gab. dass er sich übereilt und ihm Unrecht gethan habe2 .
Es handelte sich hiebei keineswegs um die Lehre, sondern um
eine lediglich kirchlich-politische Frage.
Alle Versuche . die ärgerliche Papstspaltung beizulegen,
waren mißglückt: eine persönliche Vereinbarung zwischen dem
Papste vim Avignon. Benedict XIII.. und dem Papste von Rom.
Gregor XII.. war im Jahre 1407 nicht zu Stande gekommen. Da
schien vollständige Neutralität zwischen beiden Päpsten der ein-
zige Weg zu sein, welcher übrig bliebe. Frankreich erklärte im
Mai 140V dass es beiden Päpsten den ferneren Gehorsam ver-
weigere, lud die übrigen Staaten zum Anschluss an die Neutralität
ein . und forderte die beiderseitigen Cardinalscollegien auf. je
ihren Papst zu verlassen und zur Herbeiführung der kirchlichen
Einigung gemeinsam zu handeln. In der That vereinigten sich
die ( Ordinale beider Obedienzen im Juni zu Livorno, und schrie-
ben im Juli 14()S. zum Behufe der Beilegung des Schisma, ein
allgemeines Concil nach Pisa aus. auf den März 1409.
König Wenzel von Böhmen entschloss sich nun, dem Wunsch
derCardinäle entgegenzukommen, dem römischen Papst Gre-
gor XII. die Obedienz zu entziehen, und mit seinen Ländern die
Neutralität zwischen beiden Päpsten zu beobachten. Demgemäss
forderte er den Erzbiseaol auf. über Annahme der Neutralität
1) Das Schreiben ist das erste in der Sammlung von Palacky . Docu-
menta, Prag 1S69. 'S folg.
2 a. a. (). ") tt'. Nr. 2. Hoefeer . Geschichtschreiber der hussit. Be-
wegung, H, 168 ff.) . Mehrere Punkte in diesem Schreiben werden durch
ein späteres Schreiben von Hus an das Cardinalscollegium (3, Sept. 1411)
erst vollends klar.
10*
14* Buch III. Kap. 3. II.
mit der Geistlichkeit zu berathen, verlangte auch von der Uni-
versität einen Beschluss in diesem Sinne. Allein Erzbischof
Sbynjek und der grösste Theil des Klerus behauptete, den ein-
mal angelobten Gehorsam gegen Gregor XII. nicht brechen zu
können. Bei der Universität kam ein einhelliger Beschluss nicht
zu Stande : von den 4 Nationen, in welche die Körperschaft sich
theilte, war nur die böhmische Nation für die Neutralität, die drei
übrigen Nationen widersprachen. Unter diesen Umständen wagte
es der Rector, Magister Henning von Boltenhagen nicht,
einen Beschluss zu formuliren, der dem Wunsch des Königs zu-
widerlief1) . Bei der Verhandlung im Schoosse der Universität hat
offenbar Hus einen maassgebenden Einfluss auf die Mitglieder
der böhmischen Nation geübt. Deshalb erliess der Erzbischof eine
öffentliche Rüge wider ihn und sämmtliche Magister, welche für
die Neutralität gestimmt hatten. Es scheint, dass lediglich nur
Hus mit Namen erwähnt war. Dies war, wie Hus 3 Jahre später
urtheilt, der Anfang aller der Anklagen und Beschwerden, welche
von Seiten der Hierarchie nach und nach gegen ihn erhoben wur-
den 2j . Und doch hat Erzbischof S b y n j e k , nachdem das Concii
zu Pisa am 5. Juni 1409 beide Päpste, Gregor XII. und Bene-
dict XIII., abgesetzt hatte, schliesslich Gregor XII. gleichfalls
verlassen und den neu gewählten Papst, Alexander V., anerkannt,
2. Sept. 1409), was ihm Hus mit Recht als eine Inconsequenz
vorgerückt hat.
Was die Lehre betrifft, so wurde Hus vordem Jahr 1409
von den kirchlichen Oberen niemals direkt und persönlich zur
Verantwortung gezogen. Einige andere Männer, wie der oben ge-
nannte Nicolaus von Wclen ow i tz, genannt Abraham, und Ma-
gister Matthias von Knin. genannt Pater, kamen wegen angeb-
licher Irrthümer in Untersuchung, der letztere am 14. Mai, der
erstere am 30. Juni 1 Ins 3 . Abraham wurde, wie gesagt, schliess-
1 Chronica» Unic. Pratensis, hei HoKl'LKR, Geschichtschreiber der
hussit. Bewegung, I, 1H. Palacky, Gesch. von Böhmen, III, I, 226 folg.
2 Schreiben von Hus an das Cardinalscollegium, vom Sept. 1111, bei
PALACKY, Documenta, 1SÜ9. 21.
:t In den Monumenta Univ. Praycn.sis. II, I, ist die Urkunde vom 14. Mai
Mos. Matthias von Knin betr.. abgedruckt, 420— 424, neuestens wieder in
Die Nationen frage an der Universität.
Lieh ausgewiesen, Matthias von Knin aber musste widerrufen.
Nach diesen Maassregeln, wodurch die Prager Kirchenprovinz
von häretischen Irrthtkmern gereinigt zu sein schien, glaubte Erz-
bischof Sbynjek auf dem nächsten Provincialconcil am Ib. Juli
I 108, nach dem Wunsche des Königs, öffentlich erklären zu kön-
nen, dass. nach sorgfältiger Untersuchung durch die cOmpetenten
Behörden, in seinem ganzen erzbischöflichen Sprengel kein Irr-
lehrer oder Ketzer gefunden worden sei 1 . An diesem öffentlichen
Zeugniss war dem König Wenzel darum so viel gelegen, weil
er fürchtete . der in der Christenheit sich verbreitende Ruf. dass
in Folge seiner Nachsicht oder gar Begünstigung die Wiclif sehe
Ketzerei in Böhmen einwurzle, könnte seiner Anerkennung als
Kaiser im Wege stehen. Es ist indes Thatsache. dass weder
Bus noch Hieronymus von Prag zu dieser Zeit wegen wicliti-
tischer Ansichten irgendwie in Untersuchung gezogen worden ist.
Und doch war sogar der König, so sehr er bis dahin Hus be-
günstigte, nicht frei von dem Gedanken, dass gerade er und seine
Geistesverwandten das Land in den Verdacht der Irrlehre ge-
bracht haben.
Aber erst eine Katastrophe, welche weit und breit Aufsehen
machte, warf ein grelles Licht auf Hus und seine Partei. Das
theologische und kirchliche Parteiwesen in Prag hatte sieh bald
genug mit der Nationalitätsfrage verwickelt. Deutsche und böh-
mische Magister an der Universität vertrugen sich nicht immer
gut mit einander. Die Deutschen bildeten die überwiegende
Mehrzahl in der Körperschaft, und überstimmten die Böhmen.
Das empfanden die letzteren, auf ihrem eigenen Grund und Bo-
den, in ihrer Hauptstadt, als eine Unbill, als einen Schimpf,
aber auch als einen ökonomischen Nachtheil. Schon im Jahre
1384 hatte der Umstand Irrungen und Auftritte an der Universität
Palacky , Documenta, 1869, :i:>b fi"., es ist jedoch mit keinem "Worte ge-
sagt, welches die Irrlehre sei, die derselbe abschwören muss. Nur aus
der Universitätschronik von Prag, Hoefler, Geschichtschreiber der hussit.
Bewegung, I, IS, ist ersichtlich, dass der «Pater« beschuldigt wurde der
Wiclif sehen, hehre zu huldigen, dass im Abendmahl nach der Consekration
das Brod Brod bleibe.
1 Palacky, Gesch. von Böhmen, III. 1, 223 iL, vgl. 220 folg.
I 50
Buch III. Kap. 3. II.
veranlasst, dass die Collegiatstellen im Karlscollegium und im
Wenzelscollegium thatsächlich zu einem Monopol der deutschen
Magister geworden waren. Die Streitigkeit wurde damals durch
den König und seine Räthe, unter Beirath des Erzbischofs dahin
geschlichtet, dass die Hälfte der Stellen den Böhmen zu Theil
werden sollte1^. Neuerdings war nun König WenzeFs Wunsch,
in Sachen der Papstspaltung die Neutralität Böhmens durch-
zusetzen, an dem Widerstand der bayrischen, polnischen und
sächsischen Nation der Universität gescheitert, während die böh-
mische Nation sich willfährig bezeigt hatte. Darnach konnte man
erwarten, dass die Krone geneigt sein würde, die Rechte inner-
halb des Universitätskörpers auf eine den Tschechen günstige
Weise zu ordnen. Allein vorderhand überwog bei Wenzel das
Gefühl des Unmuthes gegen den Wortführer der Tschechen.
Noch im Anfang des Jahrs 1 409 versprach er den Vertretern der
bayrischen , polnischen und sächsischen Nation . sie bei ihren
Rechten an der Universität zu schützen . während er H u s .
Hieronymus und einigen andern Magistern der böhmischen
Nation einen höchst ungnädigen Verweis dafür ertheilte. dass
sie ihm Verdruss bereitet und das Land in ein schiefes Licht ge-
bracht hätten2'. Dessen ungeachtet gewann im Gemüthe des
Königs bald eine andere Stimmung die Oberhand. Dazu half der
gelehrte, beim König wohl angeschriebene und mit Hus befreun-
dete Herr Nicolaus von Lobkowitz. Obernotar des böhmi-
schen Bergwesens, der in Kuttenberg, einer damals blühenden
I) rgstadt. wo sich der Hof eben aufhielt, von Amts wegen
wohnte. Eine französische Gesandtschaft, welche in Sachen der
Neutralität in Kuttenberg erschien, kam gerade zur rechten Zeit
Man stellte dem Könige vor. der Umstand, dass jede der :> aus-
wärtigen Nationen an der Universität eine Stimme, und Böhmen
I Ch/'onicoH Unir. Pratensis, bei Hoeflkr. Geschichtsehreiber, I. I.'l folg.
1 Laut Aussage des Doctor Johann Nas, der bei der Audienz in Kut-
tenberg östlich von Prag zugegen gewesen war, vor dem Concil zu Con-
stanz. Vox der Hardt, Acta Concilii Const. Vol. IV, :U2; noch genauer
bei Mladenowitz, Palackt, Documenta, 1869. 2s->.
3 Die Urkunde bei V.m.acky, Documenta. IMÜ». :M7 folg.
Die Nationen an der Universität Prag.
151
selbst auch nicht mehr als eine Stimme habe, beruhe nur auf
neuerer Anmaassung , nicht auf einer ursprünglichen Satzung.
Ferner, an der Pariser Universität, die doch nach KaiTs IV. Ab-
sicht in allen Stücken das Vorbild und Muster der Prager sein
sollte, habe die französische Nation die Stimmenmehrheit. Dem-
gemäss glaubte der König zu einer Verfügung berechtigt zu sein,
welche die billigen Ansprüche des Landes befriedigen und ihm
sofort die Zustimmung der Universität zu der Neutralität zwischen
den beiden Päpsten sichern würde. Am 18. Januar 1409 erliess
er ein Dekret 'an Rector und Universität mit dem gemessenen
Befehl . dass die böhmische Nation bei allen Wahlen und Hand-
lungen der Universität Prag nach dem Vorgang der Pariser und
italienischen Universitäten drei Stimmen also die 3 auswärtigen
Nationen zusammen nur eine Stimme haben sollten. Schon vier
Tage darauf folgte das königliche Mandat (22. Jan. 1409). wor-
nach niemand im Königreich, weder geistlichen noch weltlichen
Standes, von jetzt an Gregor XII. als Papst anerkennen und ihm
Gehorsam leisten dürfe 1 .
Weil diese Entscheidung in Sachen der Universität von tief-
greifenden Folgen gewesen ist. so wurde später und bis auf den
heutigen Tag vielfach die Berechtigung derselben erörtert.
Wie verhält es sich 1. mit der damaligen Behauptung der
Böhmen, dass die 3 auswärtigen Nationen nicht kraft ursprüng-
licher Stiftung, sondern nur vermöge neuerer Anmaassung je eine
Stimme hätten ? Dieselbe ist nur halb wahr. Thatsache ist blos
das eine, dass jene Vertheilung der Stimmen unter die Nationen
in den vorhandenen Stiftungsur künden allerdings nicht aus-
drücklich verfügt und ausgesprochen ist. Daraus folgt aber noch
keineswegs, dass jene Einrichtung erst späteren Datums gewesen,
oder gar dass sie erst in den letzten Jahrzehenten vor 1409 durch
Anmaassung der auswärtigen Nationen in Uebung gekommen sei.
Die Differenz vom Jahr 1 384 beweist deutlich , dass schon ge-
raume Zeit vorher das Stimmenverhältniss ganz das gleiche ge-
wesen sein muss . wie in den ersten Jahren des XV. Jahrhun-
derts. Auch die alten Satzungen über die Reetorwahl zeugen
I Palacky, Documenta', :>4^ folg
152
Buch III. Kap. 3. II.
deutlich genug- für die Ursprünglichkeit jenes Stimmenverhält-
nisses , sofern darin bestimmt ist, dass »jede von den 4 Nationen,
in welche die Universität getheilt ist, einen Wahlmann beauf-
tragen solle«, u. s. w. r) . Es scheint nach allem, als ob bald nach
Stiftung der Universität 1 348 ) , nämlich sofort bei der ersten
Eintheilung ihrer Mitglieder in jene 4 Nationen, das Stimmen-
verhältniss (vermuthlich durch einen Vertrag zwischen den Ma-
gistern und Doctoren der neuen Universität) so fixirt worden sei.
dass jede Nation der andern gleichberechtigt sein, jede als eine
Kurie gelten und jede eine Stimme führen solle.
2. Ist die Behauptung thatsächlich richtig, dass an der
Pariser Universität, welche gleichfalls in 4 Nationen getheilt war.
und deren Einrichtungen als Muster der Prager Universität dien-
ten, die französische Nation drei Stimmen hatte ? Auch dies ist
nur halb wahr. Denn die Pariser Universität, wenigstens die
Artisten-Facultät, war in die französische , normannische, picar-
dische und englische Nation getheilt; und jede von diesen war
den übrigen .gleichberechtigt, die »französische« Nation hatte auch
nur eime Stimme, wie die drei andern; ja sie fühlte sich dadurch
beeinträchtigt, dass sie , obwohl für sich allein so zahlreich als
die drei andern zusammengerechnet, doch nicht mehr als eine
Stimme zu führen hatte2). Nur dann konnte man behaupten, in
Paris habe die »gallische Nation« drei Stimmen . wenn man die
»normannische und die picardische Nation« mit der »französischen
zusammen unter dem Begriff »gallische Nation« vereinigte: und
das Hess sich ja eben so gut vertheidigen, als der in Prag neue
Sprachgebrauch, wornach man, im Gegensatz zu der »böhmischen
Nation«, von der »deutschen Nation« zu reden anfing und unter
dieser die »bayrische, polnische und sächsische zusammen be-
ll Statuta Umversttatis Pratensis, ed. Diu rieh <>t Spirk, Prtg 1848.
in Mo)i. Univ. Prag., Tom III. S, l, vgl. K».
2 Tiiurot, De sorganisation de Venseignement dans (universite de Pa-
ris au moyen-age, Paris 1S50. (9 fg. 31. — Mit Recht behaupten die .'f Natio-
nen in ihrer remonstrirenden Eingabe vom (I. Februar 140!», dass in Paris
nicht dasjenige bestehe, was im Mandat angegeben war. P ALACK Y, Docu-
menta, 351. •
Entscheidung in der Nationen trage.
gritf1 . Ks scheint in der That, als habe man jene Behauptung
vermöge eines willktihrlichen, von dem in Universitätssachen
hergebrachten Sprachgebrauch abweichenden Sinnes plausibel zu
Baches gewusst. Dies erklärt sich allerdings durch das erstar-
kende Nationalgefühl der Tschechen, ohne dass man nörhig hat.
dem Johann Hus und seiner Partei bewusste Lüge, Vorspiege^
lang u. dgl. vorzuwerfen - .
Die Bittschrift der auswärtigen Nationen an den König, vom
<>. Februar 1409 , worin sie gegen das ergangene Mandat Ein-
sprache erhoben und um Zurücknahme, wenigstens Modifikation
der Entscheidung baten, blieb ebenso erfolglos wie alle späteren
Versuche zur Güte und Aussöhnung. An der Universität kam
durch den Streit der Nationen alles in Stockung. Als nun der
König aus eigener Vollmacht einen Rector ernannte, und am
9, Mai Auslieferung der Akten, des Siegels und der Schlüssel der
Universität erzwang, begann, in Clemässheit einer im voraus ein-
gegangenen gegenseitigen Verpflichtung zwischen den Mitgliedern
der polnischen, bayrischen und sächsischen Nation, die Aus-
wanderung. Tausende von deutschen Doctoren. Magistern und
Studenten verliessen Prag3 . und die Mehrzahl derselben gründete
1 natio teutonica — natio Bohemica — natio Gallica, in dem könig-
lichen Mandat vom 18. Jan. 1409 , bei Palacky , Documenta, 1869. 347.
Mit Absicht vermeiden die 3 Nationen in ihrer Denkschrift den Ausdruck
deutsche Nationen«, welchen Palacky a. a. O. 350 und 352 in den Ueber-
schriften besser vermieden hätte. — Dadurch berichtigt sich der Irrthum
Krümmel s, Gesch. d. böhm. Kef. 1S60. 156. Anm.
2 Wie Hoefler thut, Mag. Johann Hus, 1S(>4. 221 ff.
3 Die Zahl der ausgewanderten Lehrer und Studirenden wird von böh-
mischen Chronisten bis auf 20,000 und noch höher angegeben. Aeneas
Sylvius erzählt, dass an einem Tage über 2000 Prag verlassen und dass
diesen nicht lange hernach bei 3000 .gefolgt seien, Hist. Boh. c. 35, wor-
nach die Gesammtzahl sich doch auf c. 5000 belaufen hätte. Das sind aber
entschieden fabelhafte Ziffern. Drobisch hat auf Grund der urkundlich
feststehenden Zahl jährlicher Promotionen zu Baccalaureen und Magistern,
mittels sinnreicher Combination als wahrscheinlich erwiesen, dass Prag in
seiner Glanzperiode etwa 4000 , um das Jahr 1409 aber wenig über 2500
Studirende gezählt , ferner dass die ausgewanderten Studirenden höchstens
der akademischen Bevölkerung betragen haben, wornach etwa 2000 aus-
gewandert und 500 geblieben sein mögen. Beiträge zur Statistik der Univ.
154
Buch III. Kap. 3. III.
mit Zustimmung des Papstes und der Landesherren die Fniversität
m Leipzig 2. Dec. 1409 1 .
III.
Die Auswanderung der deutschen Magister und Scholaren
aus Prag war ein folgenschweres Ereigniss. Das Deutschthum in
Böhmen erlitt dadurch einen furchtbaren Stoss. Prag wurde nun
thatsächlich eine particularistische. national-tschechische Univer-
sität, statt dass es bisher eine Universität von wenn nicht euro-
päischem so doch gesammtdeutschem Charakter gewesen war.
Erster Rector der tschechisirten Universität wurde im Oktober
1 409 i Johannes H u s : galt er doch als der Träger jener nationa-
len Ideen, welche einen bedeutenden Erfolg erlangt hatten. Nun
aber waren an der Universität gerade deutsche Magister die
Haupt-Gegner der tschechischen Reformpartei sammt ihren wi-
clifitischen Sympathieen gewesen. Mit dem Abzug der Deutschen
war also auch der Damm durchbrochen, welcher den Strom bis-
her aufgehalten hatte. Von da an überfluthete der vom National-
gefühl getragene und mit wiclifi tischen Gedanken gesättigte Zug
zur Kirchenreform Stadt und Land. Die hussitische Partei hatte
die Oberhand. Hus selbst befand sich auf dem Höhepunkt seines
nationalen Ruhms und Einflusses. Bei Hofe stand er in Gunst,
hatte er doch dem König Wenzel die Neutralität zwischen den
Päpsten durchsetzen helfen: und die Königin Sophie hörte ihn. als
Leipzig innerhalb der ersten 14() Jahre, Verhandlungen der Ges. d. Wiss.
zu Leipzig 1849. I, 69 ff. bes. 93 — 92 .
1 Die in Leipzig neu gegründete Universität betrachtete sich nicht etwa
als eine blose Kolonie , sondern vielmehr als die allein rechtmässige Fort-
setzung der Prager Universität. Sie nahm mit wenigen Aenderungen die
Prager Statuten an, und theilte sich in die \ Nationen der Meissner, Sach-
sen , Bayern und Polen, also mit Ausnahme der Böhmen, an deren Stelle
die Meissner, als Landeskinder, traten, dieselben Nationen, in welche
die Prager Universität getheilt gewesen war. Die Gleichberechtiguno der
l Nationen war in der landesherrlichen Stiftungsurkunde gewährleistet. Erst
im Jahr f83fl wurde das Nationenwesen an der Leipziger Universität, nach-
dem es im Laute voller 1 Jahrhunderte sich völlig überlebt hatte . aufge-
hoben. Vgl. OERSDORF, Beitrag zur Gesch. der Univ. Leipzig. 1869. 1 fl".
Anfeindungen wider Hus.
I 55
Prediger gar gerne. Bei dem Volk war er hoch geachtet und
überaus beliebt.
Um so dringender erschien der Hierarchie die Notwendig-
keit, gerade jetzt der freisinnigen Bewegung- ein Ziel zu setzen,
solle es nicht zu spät werden. Das war aber, angesichts der
öffentlichen Meinung in Prag und in Böhmen überhaupt, nicht
ganz unbedenklich. So lange der Erzbischof dem von der Synode
zu Pisa erwählten Alexander V. den Gehorsam versagte, also den
vom grössten Theil des Abendlandes anerkannten Papst noch
nicht für sich hatte, waren alle seine Maassregeln gegen Hus wie
ein Schlag in s Wasser. Er beauftragte nämlich seinen Inquisitor,
den Dr. der Theologie Moritz. Untersuchung anzustellen über ge-
wisse Anschuldigungen wider Hus. als trage er Irrlehren vor
und halte aufregende Predigten. Die einzelnen Punkte waren
zum Theil dieselben, welche schon 1408 von Geistlichen der Stadt
und Diöcese Prag eingereicht worden waren s. oben S. 146 :
doch waren mehrere neue Anschuldigungen beigefügt. Das erste
.Mal hatte es Bich fast nur um solche Reden von Hus gehandelt,
welche der I Geistlichkeit an Ort und Stelle zu nahe träten, sie der
Habsucht, der Simonie beschuldigten. Nur vorübergehend war
ein Ausdruck seiner Verehrung für Wiclif erwähnt worden,
.letzt ging man weiter und behauptete, Hus habe in Privat-
eres] »rächen die Ehre der römischen Kirche angetastet und sogar
ausgesprochen, dass in Rom der Antichrist Fuss gefasst habe.
Ferner brachte man vor. Hus errege durch seine Predigten Streit
zwischen Deutschen und Böhmen : zugleich stellte man eine Mehr-
zahl von Aeussernngen zusammen, worin Hus den Wiclif als
einen frommen und rechtgläubigen Lehrer gepriesen habe 1 .
Der Erzbischof beauftragte seinen Inquisitor, bei Gelegenheit
der Erörterung über diese Punkte, von Hus zugleich Rechenschaft
1 Palacky, Documenta, 164 — KJ9. Bemerkenswerth ist die Klage ge-
gen Hus . quod per suam praedicationem suscitat inter Teutonicos et Bohe-
mos contentionem, S. 1 <iS. Der Ausdruck ist der Art, dass er nach dem
Abzug der Deutschen von der Prager Universität sicher viel stärker und
prägnanter gefasst worden sein würde. Demgemäss möchten wir annehmen,
dass die Beschwerde wider Hus jedenfalls noch vor dem 9. Mai 1409 ein-
gereicht worden sei.
156
Buch III. Kap. & III.
zu fordern Uber die Berechtigung zum feierlichen Gottesdienst in
der Bethlehemskapelle und zur Predigt vor Zuhörern aus allen
Parochien der Stadt.
Von dem Erfolg der Untersuchung ist nicht das mindeste
bekannt. Auch die schriftliche Verantwortung von Hus, welche
den einzelnen Artikeln angehängt ist. wurde, wie sich aus sichern
Zeichen ergibt, erst 5 Jahre später verfasst. ehe er die Reise nach
Constanz zum Concil antrat1). Wohl aber haben fünf junge Män-
ner von Hus' Partei eine Appellation wider den Erzbisehof beim
päpstlichen Stuhl eingereicht: und diese blieb nicht ganz ohne
Erfolg, denn Erzbischof S b y n j e k wurde in Folge dessen vor die
römische Kurie geladen, um sich zu verantworten 2 .
Inzwischen veränderte sich die Lage durch Unterwerfuni: des
Erzbisehofs von Prag, im Einverständniss mit seinem ganzen Kle-
rus so wie mit dem Bischof von Olmütz, unter Alexander V.. ein
Ereigniss, das am 2. Sept. 1409 statt fand. Begreiflich hat der
mit einer umfangreichen Kirchenprovinz neu gewonnene Kirchen -
fürst von jetzt an bei dem Papst geneigtes Gehör gefunden. Der
Erzbischof wandte sich jetzt an Alexander V., um bei seinem Ein-
schreiten gegen Hus und dessen Partei sich mit der päpstlichen
Auktorität zu decken. Seine Abgeordneten, der Domherr ,1 i n o e Ii
und der Franziskaner Jaro sl aw , Bischof von Sarepta in partibm
und Inquisitor, stellten Alexander V. persönlich vor. dass in Prag
selbst, in ganz Böhmen und Mähren Irrlehren, welche von W iclif
I PALACKY a. a. (). KU. Anm.
1 a. a. 0. 7$3. (Worte einer böhmischen Chronik : citattis est lhnu
Archiepiscopus a Wiöleßstis romanam curiam sie . Die Thatsache ist nun aber
auch durch eine Urkunde vollkommen bestätigt, worin der Erzbischof seilet
bekennt, dass er in Folge jener Appellation vor die römische Kurie vorge-
laden worden sei ad Sedem apostolicam frivole a ppcllaates. Nos ad eandeut
sedem apostolicam citari procuraverant , in statuta synodalia vom 16. Juni
1410 (nicht 140!), wie HoEFLEB hat , in CoHcilia JPragenata, Hokfi.kk. Ab-
handlungen der böhm. Ges. der Wissenschaften, Prag 1862. S. (»4. Yer
muthlich war der Termin der Vorladung auf den S. December. nicht das
Datum derselben, wie die Worte lauten. Wenigstens möchte ich verum -
then, dass die Anklage, und wohl auch die Vorladung von Seiten der Kurie,
vor dem Beitritt des Krzbischofs zu der Obedienz Alexanders V. statt ge-
funden habe
Untersuchung wider Hus.
ir>7
stammen, sich verbreitet hätten. Es sei hohe Zeit, dem Uebel zu
steuern : und ein unentbehrliches Heilmittel würde das Verbot
aller Predigten ausserhalb der Dome. Stifts-. Pfärr- und Kloster-
kirchen sein 1 , . In Folge dieser Vorstellung erliess Papst Alexan-
der V. unter dem 20. Dec. 1409 eine, wie man sagte, mittels
Bestechung erschlichene- Bulle an den Erzbischof, worin er
gang im Vorbeigehen alle gegen denselben anhängig gemachten
Appellationen und Processe cassirte, und ihn wegen seiner bisheri-
gen Thätigkeit gegen Irrlehren belobte. Zugleich beauftragte und
bevollmächtigte er den Erzbischof, unter dem Beirath von 4 Doc-
torcn der Theologie und 2 Doctoren des kanonischen Rechts, kraft
apostolischer Auktorität gegen die Verbreitung von Irrlehren ein-
zuschreiten , Widerruf derselben und Ablieferung Wi c Ii f scher
Schriften zu erzwingen, auch das Predigen an anderen Orten, als
wo das Recht dazu herkömmlich sei, zu untersagen: selbst
Appellationen an den apostolischen Stuhl sollten in diesem Fall
nichtig sein :s .
Die Bulle kam angeblich erst Anfangs März 1409 nach Prag,
wenigstens wurde sie nicht früher als am Sonntag Judica, den
9. März, veröffentlicht4). Sie fand , aber lebhaften Widerspruch.
Hus selbst, überzeugt, dass Alexander V» falsch berichtet worden
sei. appellirte sofort an den besser zu unterrichtenden Papst5 .
Das ignorirte der Erzbischof einfach, weil durch die Bulle jede
etwaige Appellation im voraus für ungültig erklärt war. Er setzte
als Commissar des Papstes kraft der päpstlichen Bulle einen Aus-
schuss von 6 Doctoren nieder, um die Angelegenheit zu prüfen,
1 Das lässt sich aus der sofort erwähnten Bulle mit Sicherheit ent-
nehmen.
2 Hus hat dies in ölfentlicher Predigt behauptet, im II. Buch seiner
tschechischen Predigten ; die Stelle lautet in lateinischer Uebersetzung : Papa
Alexander V. pecunia aeeepta bullam edidit etc. Palacky, Documenta.
7 24. vgl. 716; IM*.
3 Palacky, Documenta, 374 ft'.
4 Chromeon Bohemicum Lipsiense, a. a. O. 733. Vgl. Palacky, Gesch.
von Böhmen, III, 1. S. 247 ff.
5 Hus selbst schreibt noch in Constanz , am ls. Juni 1415: appella-
reram ad ipsum Alexandrum pro meliert in forma tione. Palacky, Docu-
menta, 231.
158
Buch III. Kap. 3. III.
und befahl, bei Strafe des Kirchenbanns, alle Schriften Wi-
clif s , binnen einer bestimmten Frist, zum Behuf der Prüfung
an die erzbischöfliche Schatzkammer einzuliefern. Hus war rasch
entschlossen. Er überbrachte einige der Wiclif 'sehen Schriften,
die er besass. dem Erzbischof persönlich, und ersuchte denselben
zugleich, wenn er einen Irrthum darin entdecken sollte, ihm den-
selben zu bezeichnen ; dann wolle er sich öffentlich von solchem
lossagen 1 . Andere folgten seinem Vorgang, und so wurden im
Ganzen über 200 Bände eingeliefert. Der verordnete Ausschuss
von 4 Doctoren der Theologie und 2 Doctoren des kanonischen
Rechts gab sein Gutachten dahin ab. dass die vorgelegten Bücher
Wiclif 's offenbare Irrlehren und Ketzereien enthalten. Auf Grund
dieses Gutachtens fällte Erzbischof Sbynjek das Urtheil. wel-
ches er auf dem Prager Provincialconcil am 16. Juni 1410 ver-
öffentlichte: die eingelieferten Bücher sollen, weil sie offenbare
Irrthümer und Ketzereien enthalten, verbrannt werden: alle übri-
gen Bücher von Wiclif, die noch nicht eingereicht seien, sollen
gleichfalls »zum Behuf der Prüfung« ausgeliefert werden kraft der
Bulle Alexander's V.2). Auf demselben Concil erliess der Erz-
bischof ein Verbot bei Strafe des Kirchenbanns, gegen alles Pre-
digen in Kapellen oder sonstigen Orten ausser den Kathedral-
und Stiftskirchen . Pfarr- und Klosterkirchen; sogar päpstliche
Privilegien, welche etwa ergangen wären, sollten nicht davor
schützen '- .
Gegen dieses Verfahren erhob sich der lebhafteste Wider-
spruch. Noch am Vortag des Synodalbeschlusses, den 15. Juni,
hielt die Universität eine Versammlung, worin beschlossen wurde,
sich gegen die vom Erzbischof und seinem Kapitel angeordnete
Verbrennung Wiclif 'scher Bücher zu erklären: zumal in der
kurzen Frist zwischen Finliefernng der Bücher und Fällung des
Urtheils eine gehörige Prüfung derselben unmöglich habe vwge-
1 Diesen Vorgang erzählte Hus zu seiner Verteidigung in dem zwei-
ten öffentlichen Verhör zu Constanz am 7. Juni 1415, s. VON DER Hardt,
Com. Const. Vol. IV, 310, und Palacky, Docum. 2M).
2, Concilia Prayensia ed. HöKFLKR, L.862, 65 folg.
a. a. O. 67.
Verwendung für Hus
uoinnien werden können1 . Hiemit begnjigte sich jedoch Hus
selbst nicht. Er legte in Verbindung mit dem Magister Zdislaus
von Zwierzeticz und (> anderen Freunden, zugleich im Namen
vieler anderer Universitätsmitglieder und Männer vom Adel und
Bürgerstand, in der Bethlehemskapelle einen ausführlichen Pro-
rest und förmliche Appellation an Papst Johann XXIII. ein. so-
wohl gegen den Befehl, die Wi c Ii f sehen Bücher zu verbrennen,
als gegen das Verbot der Predigt in Kapellen. Der Protest gegen
das Bücherdekret stützte sich insbesondere darauf, es sei ein Un-
sinn . Schriften über Logik. Mathematik. Naturwissenschaft.
Philosophie u. dgl.. welche mit Glaubensartikeln nichts zu thun
hätten, zu verbrennen: habe doch der Apostel Paulus und die
Kirche jeder Zeit Schriften von Heiden und Irrlehrern studirt, um
sie zu benützen, zu widerlegen u. s. w. Zugleich machte der
Protest geltend, das Verfahren des Erzbischofs ermangle aller
Rechtskraft, weil es auf ein Mandat Alexanders V. gestützt sei.
welches durch den bereits vor Erlass des Dekrets erfolgten Tod
des Papstes erloschen sei - .
Die Universität hatte sich sofort nach Fassung ihres oben
erwähnten Beschlusses an König Wenzel gewandt. Und auf
dessen Verwendung verschob der Erzbischof die Vollziehung
seiner bereits gefällten und veröffentlichten Sentenz bis dahin,
dass Markgraf Jost von Mähren nach Prag kommen würde 3 .
Da indes die Ankunft des Markgrafen sich verzögerte,
schritt man zum Vollzuge. Das Ketzergericht wider die Bücher
Wie Iii" s wurde in Scene gesetzt: am 16. Juli Hess der Erz-
1 Jo. Hus. Opera, Nürnberg 155s. I. Uli'-. Palacky, Documenta.
393. Hier ist der 14. Juni als Tag der Universitätsversammlung genannt,
während in einer anderen Urkunde. Palacky a. a. O. 386, der 15. Juni
bezeichnet wird.
2 Hus. Opera, L558. I. 91, 1 und 2. Palacky, Documenta 31. Jo.
Uns. osT — 396. Ks beruht auf Verwechslung zwischen einem Akt der Uni-
versität am 14. Juni und dem Akt des Hus und seiner 6 Freunde, am
15. Juni, wenn Palacky, Gesch. von Böhmen, III, 1. S. 250. und ihm
folgend Boehrixger, Vorreformatoren, II, 180 obige Gedanken sämmtlich
von der Universität ausgesprochen werden lässt.
3 Chronicon Universitotis Pragensis bei Hoeflek , Geschichtschreiber
der hussit. Bewegung. I, 21 cf. II, tST.
Buch III. Kap. :i. III.
bischof in Gegenwart seine« Domkapitels und einer grossen Menge
von Priestern, in dem Hofe des erzbischöflichen Palastes auf dem
Hradschm die ausgelieferten Bücher von Wiclif es waren über
200 Bände, zum Theil kostbar eingebunden unter lautem Tedeum
und Glockengeläute verbrennen.
Zwei Tage später, am lb. Juli, sprach der Erzbischof feier-
lich den Bann aus über Hus und seine Freunde, welche sich der
Appellation vom 15. Juni angeschlossen hatten oder ferner sich
anschliessen würden. Die Excommunication musste in allen Kir-
chen des Sprengeis von Prag verkündigt werden 1 .
Der Erzbischof glaubte die ganze Opposition vollständig nie-
dergeschmettert und die öffentliche Meinung eingeschüchtert zu
haben : denn er hatte die äussersten Maassregeln ergriffen, diente
ihm doch die römische Kurie selbst zum Rückhalt. Allein wäh-
rend er am Ziel zu sein glaubte, stand er erst am Anfang. Denn
die Maassregeln, die er getroffen hatte, reizten nur, und empörten
diejenigen, welche auf Hus ens Seite standen. Die Parteien tra-
ten sich ungleich schroffer als bisher gegenüber. Und die Auf-
regung ergriff selbst die untersten Schichten der Bevölkerung.
Man bot dem Erzbischof Trotz und höhnte ihn ; Spottlieder wur-
den auf den Strassen gesungen. Studenten sagten von ihm: »Er
hat Wiclif s Bücher verbrannt. — aber nicht alle ! wir haben noch
sehr viele, und bringen immer noch mehr zusammen zum Ab-
schreiben. Er soll's uns nur noch einmal befehlen! dann wird er
sehen, ob wir ihm gehorchen. Ja er muss uns sogar die. welche
er uns verbrannt hat. ersetzen2 ' l ud auf den (bissen hörte man
öffentlich singen :
>Shj/njek. Bischof. ^LBC Schüler,
hat Bücher verbrannt.
Weiss nicht, teas darin stehf'A.'>>
I Chron. Cni/ tr*. Prutj. bei Hoeflkr , Geschichtschreiber. I, 21:
(ßntntH appellantes eaai udhaerentibus Sbynko archiepiscopus exeommunieavit
cum (»nnihus , qui lihros NM reposuerunt. Den Krlass vom IS. Juli I4ti
hat Palacky, Documenta M. Joannis Hm, :i97 ft'. vollständig mitgetheilt.
2) Stephan us, Karthäuserprior von Dölau. Anti-Husum c. o" . bei
Yy:/.. Thesaurus, T. IV, 2. f. tö*.
t a a. O. c. Id. t H7.
Verhöhnung de> Erzbisehofs, Thätlichkeiten.
101
oder auch so :
»Sbi/njek hat Bücher verbrannt,
Zdenjek hat sie angezündet,
zur Schande der Tschechen.
Wehe allen treulosen Pfaffen 1 /«
Allein man begnügte sich nicht mit Witz und Spott. Es kam
zu Thätlichkeiten: als der Erzbischof am 22. Juli, dem Feiertag-
Maria Magdalena das Hochamt hielt, sah er sich durch einen Auf-
lauf in der Kirche genöthigt, mit nahezu 40 Klerikern, die ihn
umgaben, sich vom Altar zurückzuziehen. Noch schlimmer ging
es an demselben Tage in der Stephanskirehe in der Neustadt zu ;
dort wurde der Prediger , als er »lästerte«, d. h. wohl den erz-
bischöflichen Bann wider Hus und Genossen von der Kanzel ver-
kündigte, von 6 Männern mit gezückten Schwertern überfallen
und beinahe umgebracht2 . Solche Vorfälle erschreckten die
Pfarrer dermaassen, dass sie fortan nicht mehr wagten, den
Bann wider Hus zu verkündigen. Natürlich liess es die bischöf-
liche Partei auch ihrerseits nicht an Thätlichkeiten fehlen.
Unter solchen Umständen musste die Regierung Maassregeln
ergreifen um der Aufregung zu steuern und den Landfrieden zu
wahren. König Wenzel verbot das Singen von Spottversen bei
Todesstrafe 3 . dem Erzbischof aber legte er auf. dass er die
Eigenthümer der verbrannten Bücher für ihren Verlust entschä-
dige : und als dies nicht geschah . verfügte er Sperrung der Ein-
künfte gegen ihn und die bei der Bücherverbrennung und dem
Bann wider die Appellanten betheiligten Kleriker 4 .
Es kam nun alles darauf an . welche Stellung Hus und die
ihm Gleichgesinnten einnehmen würden. Sie Hessen sich aber in
keiner Weise einschüchtern. In ihrer Protestation und Appella-
tion hatten sie den Grundsatz ausgesprochen : »dass man in Din-
1) Anonymi invectiva contra Husitas. bei Hoefler, Geschichtschreiber
der hussit. Bewegung. I. 622.
2 Chronik der Prager Univ., bei Hoefi.er. Geschichtschreiber, I, 21.
3 Antihussus von Stephanus aus Dolan . bei Pez Thesaur. IV,
2. c. IG. f. 417.
4) Universitätschronik bei Hoefler, I, 22 : Hex Wenceslaas arrestavit
censits clericorum.
Lechler, Wiclif. II. 1 1
162
Buch III. Kap. 3. III.
gen. welche zur Seligkeit nothwendig seien, Gott mehr gehorchen
müsse, als den Menschen1)«. Diesem gemäss handelten sie jetzt.
Ungeachtet des am 18. Juli ausgesprochenen Banns, trotz dem
Synodalverbot wider das. Predigen in Kapellen, ungeachtet der
Yerurtheilung von 1 8 Wiclif sehen Schriften , schritten Hus und
seine Freunde mannhaft und unerschrockenen Muthes vorwärts.
Hatten sie doch gegen das Urtheil des Erzbischofs Protest ein-
gelegt und an den Papst appellirt. Und sie hofften um so getro-
ster auf eine günstige Entscheidung, als die städtischen Obrig-
keiten von Prag , mehrere Barone des Landes , ja selbst König
Wenzel und Königin Sophie sich für ihre Sache verwendeten.
Zunächst trat Hus nebst einigen andern Gelehrten an der Uni-
versität zur Yertheidigung von Werken und Traktaten W i c 1 i f ' s
auf . welche in dem Synodalurtheil für ketzerisch erklärt worden
waren. Hus selbst vertheidigte am 27. Juli Wiclif 's Buch De
trinitate, Jacob von Mies am 28". Juli dessen »Decalog«. Simon
von Tissnow am 29. Wiclif 's Traktat De probationibus pro-
positionum, Prokop von Pilsen am 31. Juli den Traktat De ideis.
und Zdislaw von Wartenberg und Zwierzeticz am 6. August
den Traktat De Universalibus realibus2). Das waren aber keines-
wegs rein wissenschaftliche Erörterungen für einen engen aka-
demischen Kreis , sondern Reden an Gebildete überhaupt, worin
alle Fragen des Tages mit Nachdruck und Freimüthigkeit be-
sprochen wurden. Wenigstens zeigt dies der betreffende Vortrag
von Hus deutlich genug3). Und wir möchten deshalb Palacky
nicht beistimmen , wenn er meint, diese Vorträge hätten für den
ferneren Gang der Ereignisse keine Bedeutung gehabt4). Zu-
gleich hielt Hus, nach wie vor, in der Bethlehemskapelle, deren
Pfarrer er war, Predigten in böhmischer Sprache, vor einer un-
geheuren Menschenmenge. Der Ton, in dem er sprach, wurde
1) Deo est maejis oh ed im dum quam hominibus in Iiis quae sunt necessa-
ria ad salutem. PALACKY, Documenta , 395.
2) Die akademische Ankündigung dieser Disputationen resp. Vorträge
ist noch vorhanden, s. Palacky, Documenta, 399 folg.
3) Actus pra defensione lihri Joannis Wide f de Trinitate, s. in Jo. Hus,
Optra, 15öS. f. 105» — I OT*.
1 Gesch. von liöhmen, III, 1. 255.
Verwendung für Hus.
163
immer kühner und aufregender. Die versammelte Gemeinde ant-
wortete ihm je und je mit zustimmenden Worten: durch die An-
sprachen des Predigers und den Widerhall aus der Gemeinde
wuchs die beiderseitige Entschlossenheit und Zuversicht. Wenn
II us dem Schreiben des letztverstorbenen Papstes Alexander V.
an den Erzbisehof widersprach und behauptete , er kenne keinen
Böhmen, der ketzerisch sei. so antwortete ihm das ganze Volk
-Erlügt, erlügt!« (nämlich der Papst) . Und als Hu s erwähnte,
dass er gegen die Befehle des Erzbischofs an den jetzigen Papst
appellirt habe, und fragte : »Wollt ihr euch mir anschliessend so
antwortete die ganze Versammlung böhmisch: »Ja. wir schliessen
uns an1 !« Endlich ging der Prediger so weit auszurufen : »Es
thäte wahrlich Noth. dass wir . ganz wie im Alten Bunde Mose
befohlen hat. uns ein Schwert umgürteten und Gottes Gesetz
rertheidigten 2 .
Ks fehlte eine Zeit lang nicht an günstigen Zeichen. Als im
August 1410 ein Nuntius Johann's XXIII., Antonio von Monte
Cätino, in Prag anlangte, um die Erhebung desselben auf den
päpstlichen Stuhl der Regierung förmlich kund zu thun. verhan-
delte diese mit ihm über die streitige Angelegenheit. Und als
der Nuntius sich auf die Heimreise begab, nahm er eigenhändige
Schreiben des Königs und der Königin mit, sowohl an den Papst
als an das Cardinalscollegium, ferner Schreiben mehrerer Grossen
des Landes so wie von Seiten der Bürgermeister und des Raths
der Altstadt, welche sich sämmtlich für Hus und seine Sache
verwendeten. Der König führt mit lebhafter Entrüstung Klage
über das Verfahren des verstorbenen Papstes und über die Krän-
kung, welche seinem Reich durch die Anschuldigung der Ketzerei
zugefügt worden, und begehrt Cassation der gefällten Sentenz
gegen die Schriften W i c 1 i f ' s . und des Verbots der Predigt aus-
serhalb der Kloster- und Pfarrkirchen. Die Königin ihrerseits
1 Wir kennen diese Hergänge, zum Theil wortgenau, aus einer gegen
Hus gerichteten Eingabe an Papst Johann XXIII., welche Cardinal von
Colonna seinem Schreiben an Erzbischof Sbynjek als Inserat einverleibt
hat, bei Palacky, Monumenta, 404 folg.
2) a. a. O. 405.
11*
164
Buch III. Kap. 3. III.
bittet mit besonderer Wärme und Dringlichkeit ausdrücklich für
die Bethlehemskapelle, zu der sie persönlich sich zu halten
pflegte. Die Barone von Kr a war machen gegen das Verbot
der Predigt ausserhalb der Pfarr- und Klosterkirchen geltend,
was denn mit den Schlosskapellen des Adels werden solle . wo
oft gepredigt werde? oder, wie man denn im Felde Gottes Wort
hören könne, wo es am notwendigsten sei? Und der Magistrat
von Prag Altstadt beruft sich auf sein wohlerworbenes Collatur-
recht zu einer der Predigerstellen an der Bethlehemskapelle 1] .
Und es ist nicht zu übersehen, dass in allen diesen Schreiben auf
die Predigt des göttlichen Worts ein ganz besonderer Nach-
druck gelegt wird.
Allein das kam alles zu spät. Der Erzbischof hatte den
neuen Papst bereits für sich gewonnen. Kaum war die Protesta-
tion und Appellation von Hus und Genossen, vom 25. Juni, an
den Papst abgeschickt, so gingen Abgesandte des Erzbischofs
nach Bologna, um dem dort weilenden Johann XXIII. die Sache
in dem angemessenen Lichte darzustellen. Der Papst beauf-
tragte den Cardinal Otto von Colonna (nachmals Martin V.) , mit
Untersuchung und richterlicher Entscheidung des Processes. Und
dieser gab schon am 25. August 1410 die Entscheidung dahin,
dass die eingelegte Appellation zurückgewiesen, das bisherige
Verfahren des Erzbischofs von Prag, auf Grund des Mandats von
Alexander V., bestätigt, und der Erzbischof bei Strafe der Inter-
diction , Suspension und schliesslich Excommunication , angewie-
sen wurde, gegen Hus und Genossen, nötigenfalls unter An-
rufung des weltlichen Arms, weiter zu verfahren2 . Zugleich
scheint ein Befehl an Hus ergangen zu sein, sich persönlich zur
Verantwortung vor der päpstlichen Kurie einzufinden ;
Allein auch diese Schritte führten nicht zum Ziel. Die Auf-
regung stieg nur immer höher. Selbst die Regierung . weit ent-
1) Nicht weniger als S dieser Schreiben gibt Palacky in Doamiettf«,
S. 409 — 415.
2) Die Urkunde des Cardinais Colonna vollständig bei Palacky, Mo-
nwneiita, p. 401 — 4<>V
'S Die Vorladung Hus'ens zur päpstlichen Kurie steht nicht in diesem
Erlass. Sie erging wahrscheinlich durch den Erzbischof.
Verhandlungen an der Kurie.
165
fernt, ihren Arm der Hierarchie zu leihen, trat noch entschlosse-
ner und nachdrücklicher als bisher für Hus ein und der Kurie
entgegen. Mit unverholener Entrüstung schrieb König Wenzel
unter dem 30. September an den Papst und den Cardinal Co-
lonna, und forderte, dass der Process gegen Hus niederge-
schlagen und den streitenden Parteien Stillschweigen auferlegt
werden möge. Die Kapelle Bethlehem solle bei ihren Rechten
beladen, die Vorladung an H u s cassirt werden, man möge ihn
in Böhmen vernehmen u. s. w. x) . In demselben Sinn instruirte
der König seinen Bevollmächtigten am päpstlichen Hofe, den
Doetor der Rechte, Johann Naas2). Zu gleicher Zeit schickte
Hus seinen Freund, Mag. Jesenitz, als seinen Anwalt nach
Bologna.
Alles umsonst ! Das einzige , was der König erreichte , war,
dass der Papst statt Colonna's vier andere Cardinäle, an deren
Spitze Franz Z abare IIa und Ludwig Brancaccio standen,
zu Comniissaren in dem Process gegen Hus ernannte3). Die
Folge hievon war jedoch blos, dass die Sache auf die lange
Bank geschoben wurde , ohne den Urteilsspruch des Cardinais
Colonna vom 25. August 1410 zu cassiren oder zu bestätigen.
Somit wurde in Folge jener Sentenz am Sonntag Oculi, den
1."). März 1411 in allen Kirchen von Prag, mit Ausnahme von
zweien, deren Pfarrer sich dessen weigerten, der Bann gegen
Johann Hus feierlich verkündigt4) . Da ferner die Bürgermeister
und Stadträthe der Altstadt , Neustadt und Kleinseite von Prag
die auf Befehl des Königs mit Beschlag belegten Grundstücke
und Einkünfte des Erzbischofs, einiger Domherren und Kleriker,
ungeachtet der Eröffnungen Seiten des Erzbischofs, nicht frei
gaben, so verhängte letzterer im Mai auch über sie den Bann5).
1) Palacky a. a. O. 422 ff. Auch die Königin sprach sich in einem
Schreiben an den Papst und in einem zweiten an das Cardinalscollegium mit
auffallender Schärfe aus.
2) a. a. O. 425 folg.
3) Hefele, Conciliengeschichte, VII, 1. 44.
4) Chronica» Bohemie, bei Hoefler, Geschichtschreiber, I, 12.
5 Das Mandat des Erzbischofs Sbynjek, vom 2. Mai 1411, aus dem
Archiv des Prager Domkapitels, bei Palacky, Documenta, 429 ff.
166
Buch III. Kap. 3. III.
Und als selbst dies nicht half, belegte er schliesslich die Stadt
Prag mit dem Interdikt.
Er harte die äussersten Mittel angewandt, die ihm zur Ver-
fügung standen. Und doch sah er nicht den mindesten Erfolg.
Bann und Interdikt wurden ignorirt : H u s setzte die Predigten in
der Bethlehemskirche fort , als wäre nichts geschehen. In vielen
Kirchen der Stadt gingen Messen und andere Gottesdienste ihren
gewöhnlichen Gang. Die Kluft zwischen der Hierarchie und der
Bevölkerung wurde nur noch breiter und tiefer. Die Staatsre-
gierung trat dem Domkapitel offen entgegen : mehrere Pfarrer,
welche das Interdikt beobachteten . mussten Prag* verlassen . die
Kirchenschätze des Doms wurden in die Festung Karlstein ge-
schafft. Der Erzbisehof Sbynjek war aufs äusserste bloss-
gestellt.
Diese Erfahrung scheint ihn schliesslich gebeugt zu haben.
Er gab den Vorstellungen einer vermittelnden Partei Gehör und
verstand sich Anfangs Juli 1411 zu einem Ausgleich, der durch
dieselben Staatsmänner angebahnt wurde, welche um diese Zeit
ctie Aussöhnung zwischen den beiden rivalisirenden Brüdern Kö-
nig Wenzel und Sigismund von Ungarn zu Stande gebracht
hatten. Am 3. Juli hatten die Unterhandlungen den Erfolg,
dass die streitenden Parteien , einerseits der Erzbisehof mit dem
auf seiner Seite stehenden Klerus, andererseits Johann Hus mit
seinem Anhang, sich einem von König Wenzel zu ernennenden
Schiedsgericht im voraus unterwarfen 1 . Dieses Schiedsgericht
wurde sofort, unter dem Vorsitz des Kurfürsten Rudolph III. vmi
Sachsen-Wittenberg aus dem Hause Ascanien , des siebenburgi-
schen Grafen Stibor ( als Bevollmächtigten von Sigismund , und
des Obersthofmeisters Baron Latzek von Krawar aus Mähren,
aus 3 Prälaten und 1 weltlichen Grossen und Beamten gebildet.
Und schon in drei Tagen kam man mit den Unterredungen, an
denen auf Seite der Appellanten Hus selbst, Simon von Tiss-
now, damaliger Kector der Universität. Markus von Königgrätz
1 Die notarielle Doppelurkunde hierüber s. hei P.m.acky. Documenta
434—437.
Ausgleichs versuch .
107
und Stephau von Paletz Theil nahmen, so weit, dass bereits am
(>. Juli der Schiedsspruch gefällt werden konnte. Derselbe ging
dahin, dass theils zwischen dem König und dem Erzbischof, theils
zwischen dem Erzbischof und Hus nebst Anhang, mittels bei-
derseitiger Concessionen , eine Vereinbarung bewerkstelligt wer-
den sollte1). Der Schwerpunkt des Ausgleichs lag darin, dass
sämmtliche Differenzpunkte der Entscheidung der Kurie entzo-
gen, vielmehr innerhalb des Landes selbst durch gegenseitige
Zugeständnisse geschlichtet werden sollten. Insbesondere wurde
dem Erzbischof der Entwurf eines Schreibens an den Papst vor-
gelegt, worin er aussprechen sollte, er habe, im Laufe der Unter-
suchung, in Prag und in Böhmen nebst Mähren überhaupt keine
Ketzerei gefunden , sich auch mit Hus und der Universität durch
Vermittlung des Königs vollkommen verständigt; demgemäss
enthielt das vorgeschlagene Schreiben schliesslich die Verwen-
dung des Erzbischois bei Johann XXIII. für Zurücknahme aller
vom heil. Stuhl ergangenen Censuren, auch der persönlichen
Vorladung des Magister Hus vor die Kurie2).
Allein der Ausgleich ist doch nicht zu Stand und Wesen ge-
kommen. Zwar Hus ging alles ein, was ihm zugemuthet wurde;
und das konnte er um so mehr, als der ganze Vergleich ihm über-
aus günstig war. Am 1. September stellte er sich im Carolinum
vor Rector und Universitätsversammlung, und verlas eine von
ihm schriftlich aufgesetzte Erklärung, welche theils ein positives
(Tlaubensbekenntniss , theils die Ablehnung mehrerer gegen ihn
erhobener Anschuldigungen enthielt. Diese Erklärung wurde auf
sein Ansuchen notariell beglaubigt, und mit dem Universitätssie-
gel versehen 1 . Unter demselben Datum liess Hus ein mit dieser
Erklärung fast buchstäblich gleichlautendes Schreiben an Papst
1 Der Schiedsspruch, so weit er den Erzbischof einerseits und die
königliche Regierung andererseits betraf, a. a. O. 4:57 — 44<>. im tschechi
sehen Original, mit lat. Uebersetzung.
2 a. a. 0. 441 folg. Das Schreiben ist sicherlich nicht von Sbynjek
selbst aufgesetzt, wie Boehrixger, Vorreformatoren. II, 216, und Krüm-
mel, Gesch. der böhm. Ref. im XV. Jahrhundert, S. 229 annehmen, son-
dern ihm fertig vorgelegt, so dass er nur seine Unterschrift geben sollte.
3) bei Hoei-'LER. Geschichtschreiber der hussit. Bewegung, I, 1(54— 168.
163
Buch III. Kap. 3. III.
Johann XXIII. abgehen1 . Vermuthlich stammt aus derselben
Zeit auch ein Schreiben an das Collegium der Cardinäle . worin
Hus deren Verwendung dafür nachsucht, dass ihm erlassen
werde, sich persönlich vor der Kurie zu stellen2 . Allein der
Erzbischof trat fast um dieselbe Zeit von der Vereinbarung zu-
rück, und erklärte unter dem 5. September in einem Schreiben
an den König , er könne seiner Ehre und des Gewissens halber
das ihm zugemuthete Schreiben an den Papst nicht erlassen. Er
beschwert sich über vielfache Verletzungen des im Juli geschlos-
senen Abkommens von Seiten gewisser Priester , welche Irrleh-
ren und Lästerungen wider die Kirche vortrügen, von Seiten der
Prager Einwohnerschaft, welche mit Schmähschriften, selbst mit
Thätlichkeiten sich gegen ihn vergehe : ja er gibt deutlich genug
zu verstehen , der König selbst bezeige sich parteiisch für seine
Gegner und wider ihn selbst. Deswegen sehe er sich genöthigt.
sich an den König von Ungarn , Sigismund , • zu wenden 3 . Der
Erzbischof hatte inzwischen Prag verlassen und befand sich in
diesem Augenblick bereits auf der Reise nach Ungarn zu Leito-
mischl, unweit der mährischen Grenze. Unterwegs befiel ihn
aber eine schwere Krankheit, der er am 28. September zu Press-
burg in Ungarn erlag.
Der Tod des Erzbischofs Sbynjek, von welchem Hus an-
fangs begünstigt, später gemaassregelt worden war, bildet in dem
Verlauf der hussitischen Bewegung einen gewissen Ruhepunkt.
bei dem wir anhalten, um einen orientirenden Rückblick zu thun.
Es ist unverkennbar, dass von dem Zeitpunkt an, wo Johann
Hus vom Erzbischof, beziehungsweise von der päpstlichen Kurie,
der Begünstigung von Irrlehren beschuldigt wurde, Schriften
Wiclif's der Angelpunkt gewesen sind, um den sich alles drehte.
Von dem Standpunkt des Jahres 1411 aus angesehen, stellte sieh
alles Frühere nur als Vorspiel dar. Anfänglich hatte Hus in
vollem Einverstiiiidniss mit seinem Erzbischof, gewisserma&sseri
als dessen Sprecher, nämlich als wohlbestellter Synodalprediger,
1 Palacky, Documenta, IS — 20.
2 Palacky a. a. 0. 20 folg.
3] a. a. 0. 143 tf".
Der Wiclifismus als Angelpunkt der böhmischen Bewegung. 169
für straffe Zucht und Sittenreform inmitten der Geistlichkeit gear-
beitet. Als die ersten Beschwerden wider ihn beim Erzbischof Ge-
hör fanden im Jahr 14()b . galten dieselben der scharfen sittlichen
Kritik wider einzelne Geistliche, welche sich Hus in Predigten
erlaubt hatte. Die ersten Andeutungen von Irrlehre, welche die
Gegner von Hus sich erlaubten 1409). standen im Zusammen-
hang mit Ausdrücken der Verehrung- für Wiclif . welche ihm ver-
dacht wurden. Endlich kam die vom Erzbischof erwirkte papst-
liche Bulle Alexander s V. (März 1410), mit der Vollmacht, gegen
die Verbreitung von Irrlehren einzuschreiten und die Auslieferung
W i c 1 i f scher S c h r i f t e n zu erzwingen. Das Verbot der Predigt
in Kapellen ging nur nebenher. Jetzt handelte es sich um die
Vollziehung des den W i c 1 i f-Büchern gedrohten Ketzergerichts.
Dieses wird ungeachtet der dagegen eingewendeten Appellation,
des Protestes von Universitätsmitgliedern, trotz der Verwendung
von Seiten des Königs, wirklich vollzogen.
Nun folgten die Nachwirkungen dieses Aktes : Erregung des
Volks. Kegierungsmaassregeln zur Erhaltung des Landfriedens,
akademische Vorträge zur Vertheidigung der verurtheilten und
verbrannten Bücher von Wiclif, kühne aufregende Predigten,
nachdrückliche Vorstellungen des Hofes, des Adels, des Prager
Magistrats bei der päpstlichen Kurie, um Cassation der Sentenz
und Niederschlagung des Processes zu erlangen. Alles umsonst !
Die Appellation wird vom Papst zurückgewiesen, im Gegentheil
weiteres Verfahren anbefohlen. Der Bann wird über Hus, das
Interdikt über Prag verhängt ! Der vereinbarte Ausgleich, wor-
nach der Erzbischof amtlich erklären sollte, er wisse in Böhmen
und Mähren nichts von Irrlehren, ist zuletzt durch den Rücktritt
Sbynjek's von der Vereinbarung hinfällig geworden. Kurz,
der Mittelpunkt von alle dem ist der Wiclifismus ge-
wesen. Das ergibt sich aus den amtlichen Urkunden, die wir zu
Grunde gelegt, mit Evidenz.
Diese Thatsache wird auch von einer andern Seite her be-
stätigt.
Ein gelehrter Karthäuserprior zu Dolan bei Olmütz die
Karthause führte den Klosternamen »Maria im Thal Josaphat«
welcher am 7. Juni 1421 gestorben und einer von den eifrigsten
ITi»
Buch III. Kap. 3. III.
Gegnern der hnssitischen Partei gewesen ist. weshalb er der
-Hnssitenhammer« genannt wurde, gab im Jahr 1411 eine Streit-
schrift heraus, an der er seit dem Jahre 140S gearbeitet hatte.
Das Buch führt den Titel: »Weizenmark oder AntiWikleff« '),
und ist dem oben erwähnten Generalvicar des Erzbischofs Sbynjek
von Prag. Johann von Kbel um deswillen gewidmet, weil der-
selbe sowohl in Predigten als durch Maassregeln kirchlicher Dis-
ciplin die Irrlehrer bekämpfe. Die Veranlassung dieses Werkes
war. laut der Dedication. dass der Prior erfuhr, es hätten »gewisse
Magister von der Wiclifitenpartei . nachdem sie fremde Länder
durchstreift, nun auch in Böhmen und Mahren Fürstenhöfe, Hör-
säle und Lehrstühle, das Volk beiderlei Geschlechts, ja auch
Klöster und sogar die stillen abgelegenen Zellen der Karthäuser
mit den heulenden Tönen ihrer verderblichen Posaune erfüllt2) .«
Stephan bekennt, dass er anfänglich, als er erzählen hörte, dass
Einige in ihren Vorlesungen die Schriften Wie lif's benutzten,
Wiclif selbst als entschuldbar angesehen habe: seitdem er
aber zufällig dessen Trialogus in die Hand bekommen, sei
ihm erst klar geworden, dass der Mann einer teuflischen Ketzerei
huldige 3 . Und dass solch ein »Erzketzer mit seinen gegen Chri-
stum und die Kirche gerichteten Lehren« von eingeborenen B ö h -
in e n mit Hochschätzimg aufgenommen worden, dass man für ihn
öffentlich und im geheimen mit allen Kräften wirke, seine Trak-
tate verbreite u. s. w.. das schmerzt ihn ganz ausserordentlich,
um der Ehre Böhmens willeu. welches von alten Zeiten her bis
jetzt von Irrlehren rein gewesen sei, aber in der Gegenwart bei
1 Den Abdruck dieser Schrift verdanken wir dem gelehrten Bene-
diktiner aus Kloster Mölk, Bernhard Pez, f 1735, welchen man den »öst-
reichischen Mabillon« genannt hat. Er hat die Schrift des Karthäusers
Stephan im IV. Band seines 'Thesaurus Anecdotorum novissimus, Pars 2,
f. 150 — 359 veröffentlicht, nach einer Handschrift der Karthause von 01-
mütz. Das Buch zerfällt in 4 Bücher, deren erstes und viertes vom Sakra-
ment des Altars, namentlich von der Wandlung handelt, -während das
/.weite die Kirchenverfassung, insbesondere das Mönchthum und die Bet-
elorden, das dritte den römischen Primat und das Kirchengut gegen Wi-
clif vertheidigt.
1 bei Pkz, Thesaurus Anecdotorum, Vol. IV, 2, 15u tf".
3' a. a. O. Buch I. Kap. !>. f. 10*
Der Karthäuserprior Stephan gegen Wiclif.
IT]
den Deutschen und andern Nationen in den übelsten Ruf komme !) .
In der Umgebung des eifrigen Priors machten die Schriften Wi-
clif s lebhaftes Aufsehen. Erzählt er doch selbst von einem
Traumgesicht, welches einem Manne . dessen Namen und Stand
der Verfasser zwar kennt aber nicht ausdrücklich nennt, erschie-
nen sei: Die Lektüre des Trialogus von Wiclif. insbeson-
dere dessen Erörterungen Iber das Sakrament dtjs Altars, griffen
den Ungenannten dermaassen gemüthlieh an . dass ihm die Be-
trübniss über die der heiligen Kirche widerfahrene Unbill schlaf-
lose Nächte bereitete. Als er nun einmal gegen Morgen mit
zurückgeneigtem Haupte ruhte, war es ihm, als dringe Wiclif
in das Zimmer ein . knirschend vor Zorn, und stürze nicht blos
mit Worten des Vorwurfs, sondern auch mit fürchterlichen Strei-
chen auf ihn zu. während viele Personen rings umher sassen. Er
weicht zurück vor dem Erzürnten : bei einer Wendung rückwärts
erblickt er eine dreizackige Mistgabel auf dem Fussboden : diese
ergreift er. und versetzt damit dem Gegner einen so wuchtigen
Schlag auf den Kopf, dass derselbe niederstürzt. Nun schlägt er
ihm das Gehirn aus und bringt ihn um. Da preisen die Zuschauer
Gott : dem Sieger aber, der über seinen Todtschlag selbst er-
schrocken ist. wird zu seinem Trost gesagt : »Fürchte dich nicht !
die Ermordung dieses Menschen wird dir keine Schuld zuziehen 2 !
Ferner erwähnt Stephan, er habe bestimmte Kunde davon erlangt,
dass in Böhmen und Mähren viele Personen, sogar in Klöstern,
durch die Schriften Wiclif "8 zum Wanken gebracht und irre
geworden seien : andererseits spricht er mit grossem Wohlgefallen
davon, dass ein gutgesinnter Mann, ein Magister der freien
1 a. a. O. I. c. 7. f. 1 S4. vgl. II, c. 2. f. 213: nefaria dietamina.
quae in orbe terrurum liinc inde discurrunt scripta per chartuias . was
offenbar auf die weite Verbreitung Wiclif scher Flugschriften anspielt.
Aus ersterer Stelle ergibt sich, dass der Verfasser von einem wannen tsche-
chischen Patriotismus beseelt war, und dass er völlig ebenso wie Hus selbst
auf den bis dahin unverletzten Ruf vollständiger Rechtgläubigkeit der Böh-
men pochte.
2 a. a. O. f. 246 folg. P. II, c. 12. Stephan erwähnt, diese Vision, von
der er ein grosses Aufheben macht und die er allegorisch deutet . sei nur
3 Tage vor dieser Aufzeichnung dem Ungenannten geworden.
172
Buch III. Kap. III.
Künste, der aber jetzt dieser akademisches Würde entsagt habe
und in's Kloster gegangen sei. eine scharfe Streitschrift offenbar
wider W i e l i f verfasst habe 1 .
Es ist bemerkenswerth. dass der Verfasser in dieser Streit-
schrift niemals bestimmte Personen als Anhänger Wiclif s nam-
haft maeht. insbesondere den Johannes Hus nicht ein einziges
Mal erwähnt. Er hat nur mit Wiclif selbst zu thun . aber so
unmittelbar, dass seine Polemik in der Regel in eine persönliche
Apostrophe an den seit einem vollen Menschenalter Verstorbenen
übergeht. Einmal fühlt er denn doch, dass er sich dafür ent-
schuldigen müsse, wenn er zu häufig und mit allzu starker Er-
regung gegen W iclif und Genossen sich ausspreche : allein er
könne, als treuer Sohn der Kirche, zu den ungerechten Schmähun-
gen des Mannes wider die Kirche nicht stille schweigen2 . Stephan
kennt recht wohl den Scharfsinn und die dialektische Meister-
schaft Wiclif s. worin er unvergleichlich und unwiderstehlich
gewesen sei 3 ; auch blickt durch alle Polemik die Erinnerung an
dessen anerkannte Frömmigkeit durch, wenn er behauptet. Wi-
clif sei erst in späten Jahren satanisch gesinnt geworden, das
Sprichwort sei an ihm in Erfüllung gegangen :
»Jung war er engelgleich, wird Satan gleich in dem Alter«4 .
Der mönchische Polemiker entwirft ein abschreckendes Bild von
Wiclif. dem er sündlichen Hoehmurh und völlige Gottlosigkeit5
aber auch lieblose Gesinnung und mörderische Tücke Schuld
gibt6 . Er ruft seinen Lesern zu: »Wachet und betet, und wisset,
dass in diesem Menschen und seinen ruchlosen Schritten euer
Widersacher, der Teufel, umhergeht wie ein brüllender Löwe und
suchet, wen er verschlinge 7 !« Er meint. Wiclif sei in weit \ er-
1 a. a. 0. 220. P. II. c. 1.
2 a. a. 0. 200. ?. I. C. U>.
:*) a. a. 0. 218. P. II. c. 4.
4 Impletur in tr, qttod dieifw:
»AngeKcus Juvenis senibus sathanizat in annis*.
a. a. O. 252. P. II, c. 8.
5) a. a. O. 172. 17:t. P. I, c. :« : JuT. P. II. c. !.
6) a. a. O. 232. 24:<. P II. c. S. 11.
7 nach I Pt'tri :>. V a. a. (). 191. P. 1. c. 8.
Der Wiclifismus in Böhmen.
dammlioherer Weise, als Judas Iseharioth. ein Verräther Christi 1 ,
ja er werfe sich in seiner Anmaassung zu einem Widerchristen
auf 2 ; kein Wunder, dass er ihn als verflucht und der Verdamm-
niss anheimgefallen behandelt .
Das Dasein dieser Streitschrift und ihr ganzer Inhalt, zu-
sammengenommen mit dem leidenschaftlich erregten, je zuweilen
auch spöttischen Ton der Erörterung4 , beweist hinlänglich, dass
bei der Bewegung der Geister, welche in den Jahren 1408 — 1411
Böhmen und Mähren ergriffen hatte, der Wiclifismus zu Grunde
lag. Jedenfalls hatte Hus diese Schrift des Priors Stephan im
Auge, als er in dem zu seiner Rechtfertigung bestimmten Brief an
den Karthäuserconvent zu Dolan vom Jahr 1412 dem Prior na-
mentlich vorhielt, er fälle in seinem Buche ein verdammendes Ur-
theil älter Wiclif's Person, während derselbe doch längst vor
Gottes Richterstuhl stehe, anstatt dass er sich auf ein Urtheil über
Wie Ii f ' 8 A e u s s e r u n g e n beschränken sollte 5 .
•
IV.
Vor der Hand war eine erwartungsvolle Pause eingetreten.
Als aber, unter dem Nachfolger Sbynjek's, dem Erzbischof Albik
von Unitschow. welcher bisher königlicher Leibarzt gewesen war,
die Wellen wieder hoch gingen, schien es, als hätte die neue Be-
wegung keinen Zusammenhang mit der bisherigen, und gar keine
Beziehung zum Wiclifismus.
Papst Johann XXIII. rief im Herbst 1411 die Christenheit zu
einem Kreuzzug auf wider den König Ladislaw von Neapel, wel-
cher eine Hauptstütze des Gegenpapstes Gregor XII. war und zu-
1) a. a. O. 193. P. I, c. 9.
2 qui — Antiehristum te constituis, a. a. O. 269. P. III, c. 1.
3) a. a. O. 304. 329. P. III, c. 11; P. IV, c. 329.
4 Einmal spottet er sogar über die gichtischen Leiden des Mannes, in
einer Apostrophe, worin er Wiclif um deswillen verhöhnt, weil er bei sei-
nem von Gicht gelähmten Körper es mit den starken Helden, den heiligen
Vätern, aufgenommen habe, II, c. 3: quis te fascinavit, ut — podagrico
corpore tuo — fortitudinem ss. Patrum — nitaris dejicere? 214.
5) Palacky, Documenta, 1869. 31 folg.
174
Buch III. Kap. 3. IV.
gleich nach der Herrschaft über ganz Italien trachtete. Zu diesem
Behuf erliess er zwei Bullen, die eine vom 9. September an alle
Bischöfe und Prälaten, die andere vom 2. Dec. 1411 an seine
Hauptcommissare für Betreibung- des Kreuzzugs1 . Der Papst
befahl in allen Kirchen feierlich zu verkündigen . dass König
Ladislaw und alle seine Anhänger im Bann seien, und forderte
alle Fürsten. Prälaten und Gläubigen zum Kreuzzug wider die-
selben auf, mit dem Versprechen, dass allen, welche den Kreuz-
zug selbst mitmachen oder ihn nach Kräften unterstützen würden,
dieselbe Vergebung der Sünden gewährt werde, wie sie den
Kreuzfahrern in s heilige Land vom heiligen Stuhl geschenkt
worden sei.
Im Mai 1412 erschien in Prag einer der päpstlichen Haupt-
commissare, der Passauer Dechant Wenzel Tiem, mit den beiden
Bullen. Er erhielt vom König und Erzbischof unbedenklich die
Erlaubniss . die Bullen bekannt zu machen und Gelder zu dem
Kreuzzuge zu sammeln. Nun wurden mit grossem Pomp Kreuz*-
und Ablasspredigten gehalten, und im Dom, in der Teynkirche
und auf dem Wyschehrad Opferkästen aufgestellt, um die Spen-
den der Gläubigen aufzunehmen 2 .
Diese Dinge erregten aber die tiefste sittliche Entrüstung.
Zwar hatte der Erzbischof, um den Schein eines Geldgeschäfts zu
beseitigen, verboten im Beichtstuhl Taxen aufzuerlegen 3 . Auch
trat die theologische Facultät, unter Stephanus Paletz als Decan.
dafür ein, dass die Päpste Sündenvergebung und Ablass verleihen
könnten, wie sie denn seit hundert und mehr Jahren mancherlei
Ablässe ertheilt und Jubeljahre eingeführt hätten: auch könne
der Papst in Xothfällen die Gläubigen zum Schutz der römisches
Kirche aufrufen4). Allein Hus und seine Gesinnungsgenossen
erhoben dessen ungeachtet ihre Stimme öffentlich auf Kanzeln und
Kathedern gegen die Ablassprediger, die Vertheidiger des Kreuz -
1 Batd« Bullen abgedruckt in Hus, Opera, 1558. I, 171 ff.
% Hefelk, Conciliengeschichte, VII, l. 4S.
Natürlich unterliess Hus seinerseits nicht, sich auf diesen Erlass zu
berufen, bei Palacky, Documenta, p. 451 : »Quod populus in confessionüMt
non fa.rcfnr.«
1 a. a. (). 4"i(i. Urkunde A. am Schlüsse.
Hus gegen den Ablas* zu Gunsten eines Kreuzzugs
175
zugs und Ablasses, ja gegen den Papst selbst, weil er hiemit
widerehristlieh handle.
Insbesondere kündigte Hus durch mehrfache öffentliche An-
schläge eine Disputation an. welche am 7. Juni im grossen Saale
des Carolinum öffentlich gehalten werden solle über die Frage :
>ob es nach dem Worte Christi gestattet sei, und zur Ehre Gottes,
zum Heil des christlichen Volkes und zum Besten des Reichs diene,
die Bullen des Papstes über den Kreuzzug gegen König Ladislaw
von Apulien und dessen Anhänger, vor den Gläubigen zu befür-
worten 1 ?« Es war vorauszusehen, dass diese Disputation die Auf-
regung nur noch steigern würde. Deshalb wandte sich die theo-
logische Facultät an den Erzbisehof. und Hess ihn durch zwei
Doctoren der Theologie als ihre Abgeordneten auffordern, die
Disputation zu untersagen2 . Allein dieselbe kam dessen unge-
achtet zu Stande, und fand zahlreiche Betheiligung von Seiten der
Doctoren . Magister und Studenten. Indessen hatte die theo-
logische Facultät durch öffentliche Anschläge wenigstens allen
Baccalaureen der Theologie bei Strafe untersagt, gegen die Bullen
des Papstes zu disputiren3 . Hus selbst war zwar ebenfall*
Baccalaureus der Theologie (seit 1394). allein er Hess sich durch
das Verbot der theologischen Facultät nicht abschrecken : er beriet
sich, dieser Facultät gegenüber, darauf, dass ja der Erzbischof in
seinem Erlasse selbst gewisse Schranken gezogen habe in Hinsicht
der Bullen, durch die Weisung, erstens, nicht sowohl das Kreuz
zu predigen als das Evangelium, und zweitens, im Beichtstuhl
keine Taxen aufzuerlegen. Was bei dieser Disputation verhandelt
worden, lässt sich am sichersten ersehen aus der einige Zeit nach
dem Akt bearbeiteten und veröffentlichten Schrift von Hus4 . Es
1} Jo. Hus. Opera, I, 155s. f. 174 — 1S9.
2 Palacky. Documenta, 449.
■i a. a. O. 450. vgl. 451.
4 Opera. I, 155s. f. 174 ff. Die Abhandlung heisst im Titel: Quae-
stio M. Joannü Hus disputata de indulgentiis etc.; in der Ueber-
schrift der einzelnen Blätter: Disputatio adv. indulgentias papahs; und
am Schluss : Determ i nat i o qw.iestionis de indulgentiis. Die Form ist ganz
und gar scholastisch, allein der Inhalt ist an vielen Stellen überaus frisch,
ursprünglich und warm.
176
Buch III. Kap. 3. IV.
sind zwei Fragen, mit denen er sieh darin befasst : die Frage vom
Alibis* selbst und die von dem Kreuzzug. Was die letztere Frage
anbelangt, so zieht Hus die Berechtigung »des weltliehen Arms«,
d. h. des Staates. Kriege zu führen, keineswegs in Abrede: aber
mit grüsstem Nachdruck behauptet er. dass der Papst, oder
irgend ein Bischof, im Namen der Kirche nie und nimmermehr
das Schwert ergreifen und Krieg führen dürfe, am allerwenigsten
weltlicher Herrschaft oder irdischer Schlitze wegen. Hat doch
Christus seinen Jüngern, als sie für ihn selb st mit dem Schwert
dreinschlagen wollten, gesagt: »lasset sie doch so ferne machen U
Luc. "22. 49 f. Und als Petrus das Schwert zog. hat Christus
ihm zugerufen: stecke dein Sehwert in die Scheide!« Ferner,
als Jacobus und Johannes Lust hatten. Feuer vom Himmel fallen
zu lassen auf einen Marktflecken der Samariter . weil dieselben
sich geweigert hatten Jesum aufzunehmen, hat er sie gefragt:
wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid h Hätte doch
der Papst, sammt seinen Cardinälen. den Erlöser selbst gefragt:
Herr willst du . so regen wir alle Menschen auf zur Vernichtung
des Ladislaw und Gregors XII. sammt ihrem Anhang! Dann
würde er ihnen zur Antwort gegeben halten : Ihr wisset nicht,
welches Geistes Kinder ihr seid, dass ihr so viele Seelen ver-
derben wollt mit Bannen. Verdammen und Tödten ! Warum folget
ihr nicht meinem Vorgang, der ich meinen Jüngern verboten habe.
<<» grausam wider diejenigen zu eifern, welche mich verwarfen,
und für die. welche mich kreuzigten, gebetet habe : Vater vergib
ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.« Will der Papst seine
Feinde überwinden, so folge er Christo nach . dessen Statthalter
er sich nennt, bete für seine Feinde, spreche : »mein Reich ist nicht
vmi dieser Welt . segne die ihm fluchen; dann wir^der Herr ihm
eine Weisheit geben, der seine Widersacher nicht werden wider-
stehen können u. s. w. 1 .
Diejenige Frage indessen, auf welche Hus in dieser Abhand-
lung am meisten eingeht, ist die über den Ablass selbst. Er
fuhrt aus. dass jeder Priester die Schlüsselgewalt habe, insbeson-
dere die Vollmacht Sünden zu vergeben, aber lediglich nur unter
1 a. a. 0. f. I7«l — 47»
Hu« gegen den Abla^-s zu Gunsten eines Kreuzzugs. 177
der Bedingung wirklicher Reue und Busse, niemals unbedingt,
und in keinem Falle gegen Geld und Gut, denn das sei Simonie.
I insonst habt ihr's empfangen, umsonst gebet es auch!« habe der
Erlöser gesagt. Auch diejenige Sündenvergebung, welche der
Papst verkündigt, ist beschränkt und durch reumiithige Gesinnung
derer bedingt, welchen die Vergebung ertheilt wird. Kann doch
der Papst, wenn ihm nicht etwa eine göttliche Offenbarung darüber
/u Theil wird, von keinem Menschen wissen, ob er erwählt sei
zur Seligkeit: und wer das nicht ist. dem kann der Ablas« nicht
zur Seligkeit helfen in Widerspruch zu der ewigen Verordnung
Gottes1 . Teberhaupt ist alle und jede Vollmacht des Papstes
bedingt durch seinen demüthigen Gehorsam und seinen Wandel
nach dem Vorbilde Christi. Der Satz aber, dass der Papst nicht
irren könne, ist nicht nur falsch, sondern auch gotteslästerlich,
denn sonst wäre er sündlos wie Christus. Hat doch Petrus selbst
noch nach der Ausgiessung des heil. Geistes geirrt. Gal. 2'2!.
Auch möge man ja nicht geltend machen : »die Oberen. Prälaten,
Klerus. Mönche und Volk billigen die Kreuzzugsbullen des Pap-
stes: also ist es eine Thorheit. solch einer Menge zu widerspre-
chen!« Nicht immer hat die Mehrheit Hecht gehabt: sonst hätten
die 400 Baalspriester dem einen Elias gegenüber Becht haben
müssen. Viele sind berufen, wenige sind auserwählt. Wer weise
ist. fragt zuerst was die Schrift sagt, und hält sich festiglich
an dieses! Gott weiss, ob es jetzt mehr Kinder des Vaters der
Lüge gibt, als Kinder der Wahrheit 3 . Ein Jünger Christi muss
mit wachsamem Geiste die Bullen des Papstes prüfen : stimmen
sie mit Christi Gesetz, so darf er ihnen keineswegs entgegen-
treten ; findet er aber etwas dem Gesetze Christi Widersprechen-
des darin, so soll er standhaft auf Christi Seite stehen gegen
jene. Denn das Wort Hiob 9. 12: »wer will zu ihm sagen: was
machest du ?« betrifft nicht den Papst, sundern Den. der keinen
über sich hat. und der nicht irren kann : aber wer ist der, wenn
nicht Gott? welcher gepreiset ist in Ewigkeit. Amen4 .
1 a. a. O. 174. 1.
2 a. a. O. isT; 1.
3 a. <a. O. 1S.T. 1 u. 2.
-1 a. a. O. 189, 1.
Lechleb , Wiciif. II. • 12
178
Buch III. Kap. 3. IV.
Es lässt sich nicht verkennen , wie viel Aehnlichkeit die
Grundgedanken dieser Abhandlung' haben mit WicliTs Lehre.
Schon die maassgebende Bedeutung des göttlichen Worts, oder,
wie Hus mit Wiclif zu sagen pflegt, »des Gesetzes Christi« ist
beiden gemeinsam. Ferner die centrale Stellung, welche Hus.
nach Wiclif 's Vorgang, dem Vorbilde Christi gibt; ein Grund-
satz, welcher der ganzen Lehrauffassung ein überwiegend sitt-
liches Gepräge aufdrückt. Weiter der Kirchenbegriff, wornach
die Kirche nichts anderes ist als die Gesammtheit der Erwählten.
Wir brauchen nicht näher daraufhinzuweisen, dassHus, ange-
sichts des Kreuzzuges . zu dem Johann XXIII. aufforderte . ganz
dieselbe Stellung einnimmt und dieselben Gründe geltend macht,
wie Wiclif in den Jahren 1382 und 1383, als Bischof Spencer
von Nor wich jenen unseligen Kreuzzug gegen die Anhänger
Clemens VII. zu Gunsten Papst Urban's VI. vorbereitete und
ausführte 1 . Mit einem Wort, die neue Bewegung, welche durch
die Kreuzbullen Johann's XXIII. veranlasst war, schien aussei-
aller Beziehung zum Wiclifismus zu stehen : in der That und
Wahrheit war sie in Hus selbst wirklich nur eine Folge seines
Wiclifismus. Und seine Gegner von der theologischen Facultät
erkannten das. wie wir sehen werden, ganz richtig.
Die Disputation am 7. Juni 1412 war lebhaft genug. Den
Baccalaureen der Theologie hatte die Facultät jede thätige Theil-
nahme daran verboten. Wohl aber traten mehrere Doctoren der
Theologie gegen Hus auf. Die Ehre des Tages trug übrigens
nicht Hus selbst davon, der ebenso maassvoll als fest auftrat,
sondern sein Freund, Magister Hieronymus von Prag, der mit
Begeisterung und Feuer redete, und die Studenten dermaassen
hinriss, dass der den Vorsitz führende Reetor sie kaum zu be-
schwichtigen vermochte. Nach dem Schluss des Aktes begleite-
ten mehr Studenten den Hieronymus als den Hus bi* zu seiner
Wohnung - .
1) s. oben Buch II. Kap. 8.
2 Der Hergang laut des Berichts eines Augenzeugen in einer tschechi-
schen Chronik; s. den Auszug, in der Uebersetzung von Jungmann, bei
HOEVLSE, Geschichtschreiber der hussit. Bewegung, III, 231 folg.
Demonstrationen.
179
Das war eine Demonstration in akademischen Kreisen. Bald
folgte eine Kundgebung von derberer Art, unter Betheiligung des
Volks. Ein bei Hofe gern gesehener Edelmann, Herr Wokvon
Waldstein (Woksa veranstaltete einen grossen Aufzug, in
dessen Mitte öffentliche Dirnen auf einem Wagen sassen. welche
die päpstlichen Bullen um den Hals gebunden auf der Brust tru-
gen : voraus und dahinterher eine Menge Leute mit Schwertern
und Knütteln. Der Zug stellte sich vor den erzbischöflichen Palast
auf der Kleinseite, ging dann über die Moldaubrücke und durch
die ganze Altstadt, bis zu dem Marktplatz der Neustadt. Dort
wurde ein Scheiterhaufen errichtet, die Bullen darauf gelegt, und
öffentlich verbrannt. Das Ganze sollte offenbar die Antwort sein
auf das Verbrennen der W.iclif 'sehen Bücher vor 2 Jahren1).
König Wenzel war weit entfernt , den Herrn von Waldstein
dieses Vorgangs wiegen zur Strafe zu ziehen ; derselbe stand nach
wie vor fest in seiner Gunst. Nur für die Zukunft glaubte er ähn-
lichen Auftritten vorbeugen und den Landfrieden sichern zu
müssen. Deshalb befahl er den Magistraten der verschiedenen
Stadttheile von Prag, jede öffentliche Beleidigung des Papstes
und jeden Widerstand gegen die Bullen bei Todesstrafe zu ver-
bieten. In Folge dessen kam es am 11. Juli wirklich zu einer
öffentlichen Hinrichtung. Sonntag den 10. Juli hatten drei junge
Leute aus den niedern Ständen , Namens Johann , Martin und
Stasek, sich unterfangen, in verschiedenen Kirchen während des
Gottesdienstes den Predigern laut zu widersprechen, und zu be-
haupten, der Ablass sei Lug und Trug. Sie wurden verhaftet,
und als sie zu Widerruf und Reue sich nicht bewegen Hessen,
vom Rath der Altstadt Montag den 1 1 . Juli zum Tode verurtheilt.
Zwar zog man auf die Verwendung von Hus , und aus Besorgniss
vor der Aufregung des Volks, für einen Augenblick glimpfliche
Saiten auf: dessen ungeachtet wurde noch am gleichen Tage die
Enthauptung der drei jungen Männer in aller Eile vollzogen *] .
Es hatte sich doch eine beträchtliche Volksmenge dazu gesammelt.
1 Vgl. die 1416 dem Concil zu Constanz eingereichte Klageschrift wi-
der König "Wenzel, bei Palacky, Documenta, 640.
2 s. Notiz aus der Chronik des Franziskaners Benesch, a.a.O. 73<>.
J2*
180
Buch III. Kap. 3. IV.
Allein diese war weit entfernt, einen Versuch zu gewaltsamer Be-
freiung der Verhafteten zu machen. Die Stimmung war vielmehr
eine zu gleichem Leiden entschlossene. Nach der Hinrichtung
brachte eine Frau weisse Leintücher , um die Leichen darein zu
wickeln. Magister Johann von Jitschin nebst einer Schaar Stu-
denten ergriff die Leichen, und trug sie unter lautem Gesang des
Märtyrerliedes : »Isti sunt sanctk v\ in förmlicher Procession nach
der Bethlehemskapelle, wo sie unter Hus ens Mitwirkung mit
grosser Andacht beerdigt wurden2 . Sie galten als Märtyrer.
Die Gegner aber nannten jetzt Bethlehem spottweise nur «die
Kapelle zu den drei Heiligen«.
Inzwischen machte die theologische Facultät Umtriebe gegen
Hus. Nicht nur, dass sie aus Anlass des Ablasstreites die schon
1403 von der Universität verbotenen 45 Artikel von Wiclif aufs
neue verurtheilte , und 6 neue Artikel von Hus als irrthümlich
misbilligte :{j . Hiezu war die Facultät unstreitig formell befugt.
Allein sie ging weiter und suchte durch Vermittlung des Magistrats
den König zum Verbot des Vortrags jener Artikel so wie der
freien Predigt zu veranlassen. Das erstere Verbot bewilligte
König Wenzel, das letztere verweigerte er. Aber auch durch
das königliche Verbot, welches am 16. Juli auf dem Rathhause
der Altstadt bekannt gemacht wurde, Hess Hus sich nicht ab-
halten, die Wiclif'schen Sätze im theologischen Hörsaale des
Carolinum öffentlich zu vertheidigen.
Andererseits machte die Prager Diarrgeistlichkeit den Ver-
such, Johann XXIII. zum thatkräftigen Einschreiten gegen Uns
und seine Partei aufzustacheln. Sic thaten das mit Umgehung
des Erzbischofs, durch ihren Anwalt. Micha[el von Deutsch-
te od später Michael de Causis genannt), mittels einer Vor-
stellung, worin sie darlegten, dass Hus bereits {Uber zwei Jahre
1) Ks ist das die erste Antiphone der zweiten Vesper im Commune j>:u-
rium inarti/rum des röm. Breviers.
2) Nach einer tschechischen Chronik, s. tXOEFLEB . (ieschichtschreiher
der hussit. Bewegung, III, 233.
3 Diese 0 Artikel hei Palacky . Documenta, 4M. B. heziehen sich
sämmtlich auf die .Disputation vom 7. Juni und auf Hus ens [dahin gehö-
rige Sl reitschritt.
Johann XXIII. handelt gegen Hus.
181
im Kirchenbann*1 sei. die verurtheilten Sätze von Wiclif öffent-
lich lehre, und neuerdings den päpstlichen Ablass gegen König
Ladißlaw angreife : er habe seine verderblichen Schriften darüber
in Böhmen und Mähren. Ungarn und Polen verbreitet1).
Die letzten Ereignisse bewirkten eine Scheidung innerhalb
der grossen Hussitenpartei. Männer wie Stanislaus von Znaim,
Stephan von Paletz und andere, sämmtlich Tschechen und bisher
in dem Reformbestreben und in der Opposition mit Hus einig,
besannen sich, standen still, und gingen von da an rückwärts :
sie wurden bald die heftigsten Gegner Hus 'ens, der sie dafür
als »Krebse« can&risantes verhöhnte.
Papst Johann XXIII. handelte in Folge der bei ihm ange-
brachten Denunciation rasch, nahm den Process Hus'ens dem
Cardinal Ludwig Brancaccio ab und beauftragte den Cardi-
naldiacon Peter von Sant Angelo, sofort gegen Hus ohne alle
Schonung vorzugehen. Dieser befahl, in allen Kirchen Prags den
über Hus verhängten Kirchenbann zu verkündigen: falls er
2o Tage darnach noch in seinem Trotz beharre, so solle an Sonn-
und Festtagen in allen Kirchen mit Anzünden und Auslöschen
der Lichter Bann und Acht über ihn ausgesprochen werden : dann
dürfe ihm niemand mehr Speise. Trank, Herberge gewähren, ein
Wort gönnen u. s. w.: jeder Ort. wo er weile, solle unter dem
Interdikte stehen2 . Zugleich erging der Befehl an alle CHäu-
bigett, Hus persönlich gefangen zu nehmen und dem Erzbischof
oder dem Bischof Johann von Leitomischl auszuliefern, die
Bethlehemskapelle aber dem Erdboden gleich zu machen.
Die Umstände waren äusserst bedrohlich: König Wenzel
Hess die Sachen gehen, wie sie wollten : die Rathsmitglieder in
der Altstadt waren meist Deutsche und gegen Hus gestimmt.
Mit ihrem Vorwissen rückten am Prager Kirchweihfeste, den
2. October. eine Menge deutscher Bürger vor die Bethlehems-
kapelle, während Hus eben predigte, um den Gottesdienst zu
stören und sich Hus ens zu bemächtigen. Der Plan wurde jedocli
1 Supplicatio citri etc., bei Palacky, Documenta, 480 folg.
2) a. a. O. 481 — 484.
182
Buch III. Kap. 3. IV.
durch die Entschlossenheit der versammelten Gemeinde vereitelt.
Auch das Vorhaben, die Kapelle selbst zu zerstören, kam vorerst
nicht zur Ausführung , weil treue Böhmen sich demselben nach-
drücklich widersetzten *) . Um so ungehinderter gingen die mei-
sten Pfarrer in Prag vor mit Beobachtung des aus päpstlichem
Auftrag verhängten Interdikts : der Gottesdienst hörte auf, den
Lebenden wurden die Sakramente verweigert, den Todten das
kirchliche Begräbniss. In Folge dessen verbreitete sich in der
Bevölkerung eine Aufregung, welche den König bewog, Hus
auffordern zu lassen , dass er eine Zeit lang Prag verlasse : er
selbst wolle die Beilegung des Streits und seine Aussöhnung mit
der Geistlichkeit möglichst betreiben.
Hus fügte sich dem hohen Wunsch, und begab sich im De-
cember 1412 freiwillig in's Exil, nachdem er eine Denkschrift
veröffentlicht hatte , worin er von der ungerechten Verfolgung
und dem Bann Seitens der Kurie an Christum, als den gerechten
Richter appeüirte 2) .
Der König hielt Wort. Er bemühte sich unermüdlich den
böhmischen Kirchenstreit beizulegen, theils um das Exil von Hus
zu beendigen, theils um den guten Ruf des Landes in kirchlicher
Hinsieht zu retten. Zuerst berieth . vor Weihnachten 1412. die
höchste Landesbehörde nebst den Bischöfen von Olmütz und Lei-
tomischl, über die Mittel und Wege den Streit zu schlichten.
Man kam überein , zu diesem Zweck eine P r o v i n c ialsy nod e
zu halten. Diese kam am 6. Februar 1413 in Prag zu Stande.
Beide Parteien reichten bei der Synode ihre Gutachten ein über
die Herstellung des Friedens , in Form von Denkschriften : die
theologische Facultät in einer doppelten Urkunde, deren eine die
Gründe des bestehenden Gegensatzes erörtert . während die an-
dere Vorschläge macht über die Bedingungen . unter welchen
eine Versöhnung bewirkt werden könne 1 . Andererseits gab 11 as
1 s. Auszüge aus der tschechischen Postille Hus'ens. bei Palacky.
Documenta, 7 19 folg. , lat. Uebers. 727 folg. Nr. H>.
2 Appeü&Ho, bei Palacky, Documenta, Hi4 — 166.
:i Beide Denkschriften sind sowohl in lateinischer als in tschechischer
Sprache in Palacky's Urkundensammlung abgedruckt, die erstcre S. 17."> ff.
und IM) IT., die letztere S. 4M> ff. und 4ss ff.
Ausgleichsversuche ■
183
-eine Vorschläge kurz und bündig ein1, wahrend Magister
Jakob von Mies J a c o b e 11 u s sieh mit unumwundenster Frei-
mütlrigkeit aussprach2' . Nun aber folgten Repliken und Streit-
schriften von beiden Seiten3; . Das Gutachten der theologischen
Facultät lief darauf hinaus : hinsichtlich der 3 Hauptpunkte, um
die es sich handle, müsse sich jedermann in Böhmen den Grund-
sätzen der römischen Kirche unbedingt fügen : wer das schlecht-
hin verweigere, solle des Landes verwiesen werden. Hingegen
H u s schlägt eine wirkliche Verhandlung und Untersuchung vor
über die Anschuldigung der Irrlehre, die wider ihn erhoben
worden war ; falls der Beweis wider ihn nicht erbracht werden
könnte, so möge König und Erzbischof bei Strafe verbieten, dass
irgend jemand einen andern für einen Ketzer oder Irrlehrer er-
kläre u. 8. w. Und Jakob von Mies meint, man müsse sich vor
allem darüber klar werden, was für eine Art Frieden und Ein-
tracht man meine, oh den weltlichen Frieden oder den Frieden
in Christo Jesu, nämlich dass die Gläubigen ein Herz und eine
Seele seien in Beobachtung des Gesetzes Christi , in schrift-
niäs^iger Lehre und schriftmässigem Wandel. — Man war viel
zu weit aus einander, als dass eine Versöhnung hätte können
zu Stand und Wesen kommen. Die Synode blieb vollständig
fruchtlos.
Dessen ungeachtet machte König Wenzel unmittelbar nach
dem Schluss der Synode einen anderweiten Ausgleichsversuch.
Er ernannte eine Commission von vier Mitgliedern, denen er Voll-
macht ertheilte alle zur Herstellung der Eintracht dienenden Mit-
tel zu ergreifen. Die Mitglieder waren Erzbischof Albik und
der Decan Jakob vom Wyschehrad einerseits , der Propst an der
Allerheiligenkirche . Zdenjek von Labaun, und Hus'ens ver-
trauter Freund , Pfarrer zu St. Michael in der Altstadt, damals
1 a. a. O. 491 folg.
1 a. a. 0. 493 folg.
3 Replik einiger hussitischen Magister gegen die Denkschriften der
theol. Facultät a. a. 0 495 ff. Gutachten des Bischofs von Leitomischl über
die Vorschläge von Hus a. a. O. 501 ff. — Selbst die reformatorische
Hauptschrift von Hus: De ecelesia ist durch jene Prager Synode ver-
anlasst.
184
Buch III. Kap. :.. IV.
zugleich Rector der Universität. Christaini von Praehatitz anderer-
seits. Diese Commission brachte es durch Androhung hoher Geld-
strafen und der Verbannung aus Böhmen dahin, dass die Vertreter
beider Parteien sich ihrem Schiedsspruch im voraus unterwarfen.
Es waren dies Stephan von Paletz. Peter und Stanislaw
von Znaim. Johannes Eliae einerseits. Magister Jesenitz als
Sachwalter für Hus andererseits. Allein sobald die Verhandlung
den Dingen näher trat . stiess man auf Differenzen . welche sicli
durch unbestimmte Formeln nicht verhüllen Hessen. So zerschlu-
gen sich denn die Verhandlungen, indem die Doctoren Paletz
und Stanislaw nach dem zweiten Tage nicht mehr erschie-
nen1 . Das nahm König Wenzel sehr ungnädig auf. er ver-
bannte sie aus seinem Reich, und befahl der Universität, sie
auszustossen und zu ihren Präbenden und Collegiatwürden an-
dere Doctoren zu präsentiren 2 . Nun war die römisch-katho-
lische Partei an der Universität geschwächt und eingeschüch-
tert. Ein halbes Jahr später folgte eine Maassregel, wodurch
auch im städtischen Regiment das bisherige Uebergewicht der
römischen Partei gebrochen wurde: die Rathsherren der Altstadt
Prag waren bis jetzt grössten Theils Deutsche . und demnach
Gegner des Hussitismus gewesen. Das wurde seit dem 21. Oct.
1413 anders, indem König Wenzel die Parität zwischen Deut-
schen und Tschechen im Magistratscollegiuni einführte 3 . Durch
alle diese Maassregeln wurde wenigstens die Ruhe in der Haupt-
stadt gesichert. Die sittliche Kluft zwischen den Parteien konnte
durch solche Maassnahmen natürlich nicht ausgefüllt werden.
Hus selbst musste inzwischen in seinem halb freiwilligen
Exile bleiben. Aber seine Entfernung von Prag diente unerwar-
teter Weise nur dazu, seine Sache innerlich zu fördern und seine
Partei selbständiger zu mache». Er führte mit seinen Prager
Freunden einen sehr lebhaften Briefwechsel, und seine Briefe
sind so herzinnig und seelenvoll, so tröstlich und voll freudiger
1) Ein vertraulicher Bericht an die theologische Facultät über die Con-
ferenz, aus der Feder des ])r. Stephan von Palet/, ist bei Palackv,
Docum. 507 ff. abgedruckt.
2 Das Patent a. a. O. ölo folg.
Palackv. Geschichte von Böhmen. III. I. S. 2!>'< folg.
Hus im Exil.
185
Griaubenszuversieht , das» sie nicht rörfehien konnten tiefen und
nachhaltig stärkenden Eindruck zu machen 1 . Es ist eine rüh-
rende väterliche Liebe . eine wahrhaft apostolische Salbung und
Kraft in diesen Schreiben, sei es. dass Uns zur Treue gegen das
Evangelium ermuntert, insbesondere seine liebe Bethlehemska-
pelle dem Schutze der Gläubigen empfiehlt, sei's dass er zum
Ernst in der Heiligung malmt, angesichts der Wiederkunft
Christi und des jüngsten Gerichts, sei's dass er zur Geduld und
Standhaftigkeit unter Verfolgungen und Leiden vermahnt. Aber
nicht nur Briefe . sondern auch ausführliche Werke . z. B. seine
Hauptschrift De ecclesia, hat Hus gerade während der Müsse
geschrieben , die ihm seiu Exil darbot. Er hielt sich theils auf
der Burg Kozihradek. lOgeogr. Meilen südlich von Prag, theils
auf der Burg Krakowetz unweit Prag auf. predigte vor den Schaa-
ren , die zu ihm strömten . trat auch da und dort in Marktflecken
und Dürfern als Reiseprediger auf. Somit hatte das Exil nach
mehr als einer Seite hin bedeutende Folgen für Hus und seine
Sache: seine Lehre gewann eine grössere Verbreitung im Lande,
seine Partei erlangte einen von der Hauptstadt unabhängigen
Stützpunkt südlich von Prag, in der Gegend des spateren Ta-
bor: und in Prag selbst wurde die Partei, von der Vertretung und
Leitung durch Hus selbst unabhängig, selbständiger als bisher.
Inzwischen war die hussitische Sache bei der römischen
Kurie wiederum auf die Tagesordnung gesetzt und im Januar
1413 auf einem »Generaleoncil« zu Rom nach Maassgabe des Gut-
achtens einer Commission von Cardinälen . Bischöfen und Docto-
ren. gewisse Schriften von Wie Ii f. namentlich sein Dialog.
Trialogus u. s. w. . als Irrthümer enthaltend, endgültig verur-
theilt worden. Alle Bischöfe wurden angewiesen nach diesen
Büchern fahnden und sie verbrennen zu lassen. Wolle jemand
das Andenken von Wie Ii f in Schutz nehmen, so möge er sich
binnen 9 Monaten vor dem apostolischen Stuhle stellen 2 .
t). Palacky bringt in d|n Documenta 15 Briefe von Hus aus dem
Exil . theils an seinen Freund Christann von Prachatitz . theils an die ihm
zugethanen Einwohner von Prag im Ganzen, S. :J4— 66-.
2 Palacky, Docum. 4li" ff. Scharfe Glossen über diese Urkunde, an-
geblich von Hus. aber in keinem Falle von ihm selbst verfasst , s. a. a.
1S6
Buch in. Kap. 3. V.
Uebrigens hat dieses Dekret schlechthin keine Wirkung: ge-
habt. Um so tieler hat das Coneil zu Constanz eingegriffen.
V.
Die seit 137S. also bereits 35 Jahre lang bestehende Spal-
tung der abendländischen Christenheit zwischen zwei . ja seit
dem Concil zu Pisa zwischen drei Päpsten . ein ganz unerträg-
licher und empörender Nothstand . beschäftigte seit mehr denn
einer Generation die besten Männer allenthalben aufs angelegent-
lichste. Man erkannte, dass die Ursachen des Uebels in einer
allgemeinen Entartung- der Christenheit lagen, und dass, um die
Einheit bleibend wiederherzustellen, dem Uebel gründlich abzu-
helfen, eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern« nö-
thig sei. Und das stand fest, diese gründliche Reform könne nur
durch eine allgemeine Kirchenversammlung zu Stande gebracht
werden.
Sigismund. König von Ungarn und römischer König, war
es. der den Papst Johann XXIII. endlich so weit brachte, dass
im October 1413 die Berufung eines allgemeinen Concils nach
Constanz auf den 1. November 1414 zwischen Kirche und Reich
vereinbart werden konnte 1 .
Damals. Ende des Jahres 1413. dachte kaum jemand daran,
dass neben den grossen Zeitfragen. Reform an Haupt und Glie-
dern und Wiederherstellung der kirchlichen Einheit, auch der
(). 170 folg. Pai.ac kv. Gesch. v. Böhmen. III. 1. 303 meint, in dieser Bulle
seien die bekannten 45 Artikel von Wiclif aufs neue verdammt worden.
Dies ist nicht ganz richtig, denn die Urkunde handelt nicht mit einem
Wort von bestimmten Artikeln, sondern lediglich von Werken und Trak-
taten Wiclif's.
1 Unter dem 31. October 141:4 war nach mehrwöchentlichen Verhand-
lungen eine Vereinbarung über Zeit und Ort des zu berufenden Concils
/wischen König Sigismund einerseits und ^rei Commissaren des Papstes
andererseits zu Viglud im Bisthum C'omo zu Stande gekommen : die notarielle
Urkunde darüber ist erstmals gedruckt bei Palacky. Dorum. 515 tf., wäh-
rend die Vollmacht von Johann XXIII. für seine Bevollmächtigten, zwei
C ardinäle und Manuel Chn soloras. a. a. O. 513 folg. gegeben ist.
Die hussitische Sache und das Coucil.
IST
Huseitismus auf die Tagesordnung des Coneils gesetzt werden
könnte. Allein im August 1414 war man darüber an maassgeben-
der Stelle bereits im Reinen. Zu wissen, wie das gekommen ist
und wer dazu mitgewirkt hat . wäre von nicht geringem Belang.
Allein wir haben darüber keine positive Kunde. Indessen will
es mir scheinen, als dürfte der Umstand, dass ausserhalb Böh-
mens, selbst in ausserdeutschen Landen, die öffentliche Auf-
merksamkeit sich der hussitischen Frage mehr und mehr zu-
wandte, schwer in die Wagschaale gefallen sein und dazu geführt
haben, die Sache zur Entscheidung* vor das Concil zu bringen.
Tbatsache ist. dass man seit dem Jahr 1413 auf fremden Univer-
sitäten die Studenten von Prag als mit Irrlehren angesteckt an-
sah, vor ihnen warnte und Böhmen als ein'e Heimath der Ketzerei
in üblen Ruf brachte 1 . Jedenfalls aber war der Umstand von
noch grösserer Bedeutung-, dass die Pariser Universität sich ge-
mässigt fand, dem Erzbisehof von Prag das Gewissen zu schär-
ten und ihn aufzufordern . dass er den in seinem Sprengel um
sich greifenden Irrlehren beharrlicher und nachdrücklicher als
bisher, nötigenfalls unter Anrufung des weltlichen Arms, steuern
möge 2 . Dieses Schreiben beantwortete Erzbisehof Konrad von
Vechta einige Monate später unter dem 2. August mit einer auf-
fallend kurzen Erwiederung , des Inhalts, er werde auch in Zu-
kunft, wie schon bisher, allen Fleiss anwenden, um Irrthümer
auszurotten. Allein schon nach wenigen Wochen erwiederte Ger-
son, er wünsche nur. dass der Herr Christus den Erzbischof in
seinem Vorhaben bestärke ; zugleich übersandte er ihm einige
Sätze aus Hu s'ens Buch »Von der Kirche«, die er selbst ausgezogen
und mit kurzem Hinweis auf ihre Falschheit versehen hatte 1
1 Schon am 8. Juli 1413 richtete der Ilector der Prager Universität,
Dr. Malenitz, ein Schreiben an die Universität Wien, worin er sich dar-
über beschwerte, dass gewisse Doctoren daselbst, namentlich Johann Sy-
bart, Prager Studenten, welche nach AVien kamen, der Ketzerei ange-
schuldigt und gemaassregelt hätten; vgl. Pai.acky. Documenta. 512 folg.
2 Das Schreiben von Gerson, als Kanzler der Universität und als
Decan der theologischen Facultät zu Paris, datirt 27. Mai 1414, bei Pa-
i.acky, Dorum. ö23 ff., vgl. Schwab, Gerson 57 v
3 a. a. O. 526 ff., vgl. f85 ff.
188
Buch III. Kap. ;>. V.
In gleichem Sinne schrieb an den Erzbischof von Pfcag in densel -
ben Tagen auch der Cardinal Erzbischof von Rheims 1 .
Wenn so von allen Seiten auf die angeblichen Ketzereien
in Böhmen mit Fingern gewiesen wurde, so lässt sich begreifen,
dass König Sigismund, der überhaupt das Concil in's Leben
gerufen hat, die Ueberzeugung gewinnen musste , die kirch-
lichen Wirren in Böhmen seien von einer europäischen Bedeu-
tung, und würden am besten gleichfalls von dem Concil ge-
schlichtet werden.
Als er nun mit Hus direkt verhandeln und ihm den Wunsch
aussprechen Hess, dass er. zur Beilegung des Kirchenstreits und
zur Ehrenrettung Böhmens, sich vor dem Concil in Constanz stal-
len möge, ging Hus sofort darauf ein: war er doch jederzeit
bereit gewesen sich zu verantworten : ja er hatte stets nichts
sehnlicher gewünscht als sich öffentlich und vollständig verthei-
digen zu können. Schon vor dem Provincialconcil in Prag am
27. August wünschte er sieb zu rechtfertigen. Daher begab er
sich nach Prag und machte am Vortag . den 26. August, durch
Maueranschläge in lateinischer und tschechischer Sprache be-
kannt, er sei bereit vor dem Erzbischof und der böhmischen
Convocation Red' und Antwort zu stehen : wer ihn der Ketzerei
beschuldigen wolle , möge sich dazu melden und seine Anklage
beweisen . andern Falls aber die gegen ihn beantragte Strafe
selbst erleiden '2 . Zum Provincialconcil erhielt Hus am 27. Au-
gust natürlich keinen Zutritt. Er constatirte diese Thatsachr
gleichfalls durch öffentliche Anschläge mit dem Bemerken, dass
niemand als Kläger wider ihn aufgetreten sei ; er selbst werde
sich aber vor dem Concil in Constanz stellen: wer ihn einer
Ketzerei bezüchtigen wolle, möge es dort thun * . Indessen hat-
ten einige der böhmischen Barone in einer Versammlung der
Grossen des Reichs, am 30. August, dem Erzbischof die Präge
vorgelegt, ob er dessen gewiss sei. dass Hus irgend eines [fr-
1 a. a. 0. 528 ff.
2 Die Anschläge s. bei Palacky. Documenta, *>*> ff.
3 a. a. O. (*>s folg., vgl. die Urkunde seines Sachwaltors, Johann von
Jesenitz . welcher Einlas* für ihn begehrt hatte, 240 folg.
Hus ontschliesst sich tum Concil zu reisen.
189
Thums oder einer Ketzerei sieh schuldig gemacht habe? Der Erz
hisehof Conrad verneinte «lies und fügte bei, er seinerseits gebe
ihm keine Schuld, wohl aber der Papst: vor dem seile er sich
reinigen. Hierüber stellten die Barone, zwei Herren von Wasen-
berg und einer von Kunstat. ein urkundliches Xeugniss aus 1 .
König Sigismund Hess durch Vermittelnng zweier Hof-
leute dem Johann Hus freies Geleite anbieten, l ud dieser er-
klärte sieh schriftlich bereit, nach Constanz zu kommen, indem
er sieh nur den königliehen Schutz zur Reise und dazu ausbat,
dass er vor dem Concil selbst seinen Glauben in öffentlichem Ver-
hör bekennen und verteidigen dürfe. Er werde sich nicht
scheuen . den Herrn Christum zu bekennen und, wenn es sein
solle, für sein wahres Gesetz den Tod zu erleiden2 . So schickt
er sieh an. die Reise anzutreten und vor dem Concil. dieser Ver-
tretung der gesummten abendländischen Kirche, sein Bekenntniss
abzulegen. Die Katastrophe rückt heran.
Zwar verzögerte sich die Ausfertigung der Urkunde über das
freie Geleite, und Hus trat die Reise nach Constanz in der That
an. ehe er dieselbe in Händen hatte. Er hat den Geleitsbrief erst
am 5. November erhalten, nachdem er bereits in Constanz ange-
kommen war. Jedoch hatten drei Herren aus Böhmen von Sei-
ten König Sigismund s den Auftrag erhalten, für die Sicherheit
Husens auf der Reise und während des Concils Sorge zu tragen,
nämlich Johann von Chlum, genannt Kepka. Wenzel von Duba
auf Lestno. und Heinrich von Chlum auf Latzenbock, auch ein-
fach Latzenbock genannt. Hus bestellte sein Haus, in der
Ahnung, dass er in den Tod gehe, und machte sein Testament in
Form eines Briefs an einen lieben Schüler Namens Martin, wel-
chen er diesem versiegelt mit dem Ersuchen übergab, ihn nicht
eher zu öffnen, als bis er sichere Kunde von seinem Tode würde
erhalten haben. Die Warnungen und Ermahnungen, welche er
dann mit wahrhaft väterlicher Zärtlichkeit dem jungen Mann er-
theilt. aber auch die Beichte, welche er selbst vor ihm ablegt,
1 a. a. O. 531 folg., vgl. die Relation von Mladenowitz, ebendaselbst
239 folg.
2 Schreiben an König Sigismund, vom J. Sept. 1414. a. a. O. 69 ff.
100
Buch III. Kap. 3. V.
sind in hohem Grade rührend 1) . Und vollends der Abschiedsbrief
an alle ihm verbundenen Freunde in Böhmen, Männer und Frauen,
welchen er, bereits auf der Reise begriffen, in tschechischer
Sprache abgefasst hat, worin er sie vermahnt und tröstet, und
voll Todesahnung sie um ihre treue Fürbitte angeht, dass er fest
und beharrlich bleiben, sich wohl verantworten und den Tod ohne
arge Furcht erdulden möge , ist vom wärmsten Hauche reiner
Frömmigkeit und von acht apostolischer Salbung durchzogen2).
Auch seine Freunde konnten sich zum Theil banger Ahnungen
nicht erwehren. Ein polnischer Schuster, Andreas mit Namen,
nahm mit den Worten Abschied von ihm : »Gott sei mit Dir ! ich
meine. Du werdest nicht wieder kommen. Lieber, treuer und
standhafter Ritter Herr Johannes, möge der himmlische König,
nicht der ungarische, Dir des Himmels Lohn geben für Deine Treue
und Bemühung, die Du an mich wendest!« Worte, an welche
Hus noch in den letzten Wochen vor seinem Tode sich zu seinem
eigenen Trost erinnert hat 3; .
Am 11 . Oktober 1414 reiste Hus ab in Begleitung der Barone
Wenzel von D u b a und Johann von Ohlum: der dritte, unter
dessen Schutz er gehen sollte, Heinrich Lätzen bock, stiess erst
in Constanz zu ihnen. Von gelehrten Freunden befanden sich in
Hus 'ens Gesellschaft Magister Johann von R e i n s t e i n , Pfarrer
zu Janowitz, einem Städtchen im Patronate des Herrn von Ohlum 4 .
Peter von Mladenowitz, Sekretär in Diensten desselben Barons,
und mehrere Andere. Mla denowitz fing schon damals an ge-
naue Aufzeichnungen über alle Vorgänge zu machen, und die ein-
schlagenden Urkunden zu sammeln 5) .
t) a. a. O. 74 folg.
2, a. a. O. 71 ff.
:; a. a. ü. 111; wir haben hier die Worte in böhmischer Sprache.
1 Johann von Hein stein war früher vom König Wenzel zn Un-
terhandlungen mit der Kurie verwendet worden. Daher seine Bekannt-
schaft mit den Cardinälen , vermöge der er den Zunamen »der Cardinal«
erhalten zu haben scheint. Dieser Name wurde mit der Zeit so stehend,
als wäre er sein wirklicher Zuname , vgl. Palacky , Gesch. von Böhmen,
III, 1. 326 i Anm. 4:Jf>. Aehnlich wie der Name de Causis für Michael von
Deutschbrod üblich wurde, s. unten S. 193.
5) Diese Denkschrift hat, schriftstellerisch betrachtet, gar keinen, als
Hus auf dem Wege nach Constanz.
1<)I
Sie nahmen ihren Weg über Sulzibach. Hersbruck und Ntirn-
b©fg. Die Erfahrungen auf der Reise waren geeignet ein Vor*
artheil, welches sich seit Jahren bei Hus festgesetzt hatte, voll*
ständig zu entwurzeln und sein Nationalgeftihl zu berichtigen.'
Als er im Jahre 1410 von Papst Johann XXIII. zur Kurienach
Bologna vorgeladen wurde, fürchteten seine Freunde, dass er
unterwegs seinen Gegnern in die Hände fallen könnte ; und dabei
dachte man vorzugsweise an die Deutschen, welche seit der
Katastrophe an der Prager Universität von Hass und Rachgefühl
gegen ihn erfüllt seien. Und von da an stand es. wie aus mehre -
ren sehriftstellerischen und brieflichen Aeusserungen erhellt, bei
ihm fest . dass in deutschen Landen Misstimmung und bittere
Feindschaft gegen seine Person herrsche 1 . Um so grösser war
seine LFeberraschnng, als er bei der Reise durch die deutschen
Lande nirgends eine Unannehmlichkeit zu erfahren hatte und
nicht einen einzigen Menschen fand, der gegen ihn feindselig ge-
sinnt war - . Im Gegentheil wurde er allenthalben gut aufge-
nommen, an manchen Orten sogar mit besonderer Aufmerksam-
keit empfangen. Das hatte seinen Grund vielfach in der Neugier,
weil man wusste. dass Hus vor dem Concil erscheinen müsse, und
sein Name in Aller Munde war. Aber vielfach begegnete er auch
einem tieferen Interesse für die Sache und seine Lehre. Denn in
grösseren Städten Hess er Anschläge in deutscher und lateinischer
Sprache an den Kirchthüren machen, worin er kund that, dass er
nach Constanz reise, um von seinem Glauben Rechenschaft abzu-
legen, er sei gewillt, seinen Glauben bis zum Tode zu bekennen .
wer ihn eines Irrthums bezichtigen wTolle . möge dies vor dem
Concil thun , dort werde er ihm Rede stehen: und diese Anschläge
Materialiensammlung einen unschätzbaren Werth. So lange die böhmischen
Hussiten den Todestag von Johann Hus als kirchlichen Feiertag begingen,
pflegte man dabei einen Auszug aus Mladenowitz vorzulesen. Die Denk-
schrift selbst hat Palacky, Docum. 237 —324 veröffentlicht.
1) Vgl. De ecclesia c. 20 21 in Opp. Hussi 155S. I, 244, 2 folg.: est
mihi distantia longa (von Prag nach Rom , inimicis teutonicis un-
d ique circumsepta.
2 Von Nürnberg aus schreibt er am neunten Reisetag unter anderem :
scitote. quod nulluni adhuc sensi in im ic um.
192
Buch III. Kap. 3. V.
fanden Beifall ; er Hess sich in Unterredungen mit den Bürgern
ein, und diese, ja selbst Geistliche, erklärten sich befriedigt. Die
beiden adligen Begleiter aber machten es sich zur Aufgabe, Zeug-
hiss von seiner Schuldlosigkeit abzulegen, wo sie nur konnten 1 .
Zum Beispiel in der oberschwäbischen Reichsstadt Biberach be-
theiligte sich Johann von Ohlum an der Unterredung mit den
Priestern und Klerikern so lebhaft, dass es in der Stadt hiess, das
müsse ein Doctor der Theologie sein ; weshalb ihn H u s von da an
scherzweise nur den »Doctor von Biberach« nannte2 . Dagegen
machte Hus schon unterwegs, noch mehr aber in Constanz selbst,
die Erfahrung, dass die Feindschaft gegen ihn nirgends ärger sei,
als bei seinen eigenen Landsleuten 5 . Diese Thatsachen machten
einen tiefen Eindruck auf ihn. Sie hatten die Wirkung, dass die
nationalen Vorurtheile. von denen Hus bisher befangen gewesen
war, durch das Leben selbst widerlegt und abgethan wurden,
dass seine Gesinnung der partikularistischen Schranken entledigt
und er selbst auf die Höhe einer ökumenischen Denkart gehoben
wurde 4) .
In der That wandten die Gegner Hus ens unter dem böh-
mischen Klerus alle erdenkliche Mühe an, um die Anklage wider
Hus zu begründen und eine Verurtheilung von Seiten des Concils
vorzubereiten. Sie konnten sich hiebei darauf stützen, dass ja
Hus selbst öffentlich aufgefordert habe, Anschuldigungen auf
Irrlehre , falls man solche gegen ihn erheben wollte . auf dem
1) Mladenowitz , Relatio, bei Palacky, Docum. 245.
2) »Doctoralü de Pibrachu im 53. und 54. Brief, bei Palacky, S. 93 ff.,
vgl. die Bemerkung vor dem 53. Briefe, S. !>3.
3) Conßteor ergo, quod non est inimicitia ad me major, quam a regni-
colis Iiohemiae a. a. O. 70.
4 Palacky sagt, Gesch. von Böhmen, III, 1. 310 folg.: »Die grosse
Aufmerksamkeit, die das Volk ihm — erwies, überraschte ihn, dessen
schwache Seite eben die Sucht nach dem Beifall der Menge
war;« - »Hus rühmte sich, bei allen, mit denen er mündlich verhandelt,
Beifall geerntet zu haben.« Mir scheint die Sache, pragmatisch betrachtet,
anders zu liegen; die Nachrichten, welche Hus selbst in seinen Briefen
von diesen Reiseerlebnissen gibt , machen . im Zusammenhang gefasst, auf
mich einen ganz anderen Kindruek, niimlich den, welchem ich oben Worte
gegeben habe.
Die böhmischen Gegner Husens in Co n stanz.
Concil vorzubringen. Man ging mit allseitiger Ueberlegung und
juristischer Erfahrung zu Werke. Alle diejenigen, welche voraus-
sichtlich als Belastungszeugen auftreten konnten, wurden noch
in Böhmen vorgeladen, beeidigt und zu Protokoll vernommen, um
ihre Aussagen vordem Concil verwenden zu können. Hus selbst
erhielt durch einen vertrauten Freund Kunde hievon, noch ehe er
die Heise nach Constanz antrat; ja er bekam eine Abschrift des
notariellen Protokolls, und fügte demselben seine Gegenbemer-
kungen bei J) .
In Constanz selbst erwiesen sich am thätigsten gegen Hus
zwei seiner Landsleute, die wir bereits kennen, nämlich Michael
von Deutschbrod , und Stephan Paletz. Der erstere , früher
Pfarrer zu St. Adelbert in Prag, war schon 1412, im Auftrag der
Prager Pfarrgeistlichkeit, an den päpstlichen Hof gereist, um dort
gegen Hus zu arbeiten 2 . Er war inzwischen von Johann XXIII.
zum Sachwalter in Glaubenssachen [procurator de causis fidei)
ernannt worden : daher pflegte ihn Hus und seine Partei seither
nur Michael de Causis zu nennen3 . Bald kam D. Stephan von
P al e t z nach , und schloss sich zu gemeinsamem Handeln an
Michael an. Paletz war von Jugend auf ein Freund und Ge-
sinnungsgenosse von Hus gewesen : erst im Jahr 1412 nahm er
eine andere Wendung, trat schliesslich völlig zur päpstlichen
Partei Uber, und wurde der bitterste Feind und Verfolger von
Hus. Nun arbeiteten Michael und Stephan mit vereinten Kr.äften
dahin, die Grundlagen zur Anschuldigung wider Hus zu formu-
liren, und zugleich maassgebende Mitglieder des Concils gegen
ihn einzunehmen. Namentlich wandten sie sich an die einfluss-
reichsten Cardinäle und Prälaten, an Doctoren der Theologie,
Dominikaner und andere Mitglieder aus Mönchsorden, um sie
1] Es ist dies das Aktenstück, betitelt : Depositiones testium contra M.
J. Hus. abgedruckt bei Hoefler , Geschichtschreiber der hussit. Bewe-
gung, I, 192 — 203, und bei Palacky, Bocum. 174 — 185.
2; s. oben, c. 3. IV. S. ISO folg.
'<\ Es ist ein -wunderlicher Einfall von Berger, Johannes Hus und
König »Sigmund, Augsburg 1S71 , S. 117. Anm. 1, der Titel sei in dem
Munde von Hus als eine Art Spitzname gemeint, etwa »Processmichel« !
Lechleb. Wiclif. II. 13
194
Buch III. Kap. 3. V.
gegen Hus zu stimmen.1). Dabei bedienten sie sich verschie-
dener Zusammenstellungen angeblicher Irrlehren, welche zum
Theil auf Auszügen aus seinen Werken beruhten 2; .
Inzwischen musste Hus diesen Umtrieben seiner Gegner mit
gebundenen Händen zusehen. Er war am 3. November in Con-
stanz angekommen und unter grossem Zulauf des Volks in seine
Herberge gelangt, die er bei einer guten Frau Namens Fida
nahm. Johann von Chlum nennt sie eine »zweite Wittwe von
Sarepta«3). Sogleich am Tage nach der Ankunft, am 4. Novem-
ber, hatten die beiden Herren von Chlum, Johann, genannt
Kepka, und Heinrich, genannt Lätzen bock, eine Audienz
bei Johann XXIII.; sie meldeten ihm, dass der Magister Hus
angekommen sei, und verwendeten sich für ihn, dass er nicht be-
einträchtigt werden möge. Sie erhielten in der That die befrie-
digendsten Zusicherungen : Hus möge sich beruhigen, der Papst
wolle, angesichts des von König Sigismund ihm ertheilten sicheren
Geleites, den Process gegen ihn vor der Hand ruhen lassen. Der
Papst suspendirte das Interdikt und den über Hus verhängten
Bann, schickte aber am 9. November den Bischof von Constanz
mit dessen Official und einem päpstlichen Juristen zu Hus. mit
der Forderung, er möge, um Aufsehen und Aergerniss zu ver-
meiden, nicht zum Hochamt kommen, und bis zur Ankunft des
Königs keinen Schritt thun ; im übrigen könne er sich in Constanz
vollkommen frei bewegen4 . Hus ging diese Verabredung ein.
musste sich also vollkommen stille halten. Er blieb stets in
1) Hus selbst erzählt das von Michael im ersten Brief aus Constanz.
d. 4. Nov. 1414, bei Palacky , Docurn. 11 , Johann Cardinalis in dem
Briefe, welcher vom 10. Nov. aus Constanz datirt ist, a. a. O. 7!) folg., am
Schluss. Vgl. die Relation von Mladenowitz, a. a. 0. 246 folg.
2) Eine derartige Zusammenstellung von Michael s. bei Palacky, Do-
curn. 194 ff. Eine andere, von Palet/ bearbeitet, mit Erwiderungen von
Hus selbst, a. a. O. 204 ff.
3) In einem Briefe an Hus im Kerker, bei Palacky, Docum. 96. Das
Haus, Paulsgasse .'*2S, steht noch, und ist durch ein Brustbild Husens in
Stein ausgezeichnet.
4) Am vollständigsten wird dies von Johann Cardinalis berichtet
a. a. O. SO; vgl. den Brief von Hus S. 79 und den Bericht von Mlade-
nowitz S. 240.
Hus in Haft genommen.
195
seiner Wohnung, und benutzte die Zeit nur am sich auf seine
Verantwortung vot dem Concil vorzubereiten, während die Gteg-
ner ungehindert und unermttdet zu seinem Verderber arbeiteten.
Allein die Zeit, wo Hus sieh auf freiem Kusse befand, ging,
ehe er volle vier Wochen in Constanz war, zu Ende. Seine Geg-
ner konnten es nicht ruhig- mit ansehen, dass es ihm völlig unbe-
nommen blieb, seine Grundsätze auszusprechen und zu verbreiten.
Auf einmal verbreitete man das Gerücht, er habe einen Versuch
gemacht, heimlieh aus der Stadt zu entweichen: woran kein
wahres Wort war 1 . Dessen ungeachtet wurde dasselbe benützt.
CUn die Notwendigkeit seiner Verhaftung zu begründen. Und
am 2s. November wurde er. nicht nach einem Beschluss des Con-
eiU. sondern lediglich auf Befehl des Papstes und der Cardinäle.
verhaftet.
Mittwoch den 28. November erschienen um die Mittagsstunde
in seiner Herberge die Bischöfe von Augsburg und Trient in Be-
gleitung des Bürgermeisters von Constanz . angeblich um den
Magister vor den Papst und seine Cardinäle zur Audienz zu ge-
leiten. Da entgegnete Johann von Chi um in sehr erregtem Ton.
er selbst sei vom König für die persönliche Sicherheit von Hus
verantwortlich gemacht, und vor der Ankunft des Königs dürfe,
kraft seines ausdrücklichen Willens in Hus'ens Sache nichts
vorgenommen werden: man möge sich wohl hüten der Ehre des
Königs zu nahe zu treten! Indessen war Hus selbst vom Tisch
aufgestanden und erwiderte, er sei zwar nicht dazu gekommen,
1 Mladenowitz erwähnt das Gerücht umständlich und stellt jede Be-
gründung desselben glaubhaft in Abrede. Vgl. die eingehende Prüfung des
ausschliesslich nur von Ulrich Richental vertretenen Berichts, als wäre
der Versuch wirklich gemacht, bei W. Berger, Joh. Hus und König Sig-
mund, 1871. 119 folg. Anm. Ein Umstand, welcher gegen die Glaubwür-
digkeit der Richental'schen Erzählung spricht, ist doch von Berg er über-
sehen worden, ich meine die mit dem Charakter des Herrn von Latze n-
bock völlig unvereinbare Rolle, welche dieser in der Sache gespielt haben
soll. Diesen Umstand macht, wie ich nachträglich sehe, auch PäLACKY,
Die Gesch. des Hussitenthums. 2. Aufl. 1S6S. S. 105 geltend. Dass das
Gerücht von dem Fluchtversuch völlig grundlos und dass es von den Geg-
nern in Umlauf gesetzt war, erkennt selbst Hefele , Conciliengesch. VII.
h TO an.
13*
196
Buch III. Kap. 3. V.
um mit den Cardinälen zu verhandeln, sondern um sieh vor dem
ganzen Concil zu verantworten; dessen ungeachtet sei er auf
das Ersuchen der Cardinäle bereit augenblicklich zu kommen
und Red' und Antwort zu geben: aber eher wolle ersterben als
die erkannte Wahrheit verleugnen. Man nahm ihn beim Wort,
und er verliess das Haus, um nicht mehr dahin zurückzukehren ;
von der Wirthin, welche voll banger Ahnung und in Thranen
war. verabschiedete er sich, indem er sie segnete : er bestieg ein
Pferd und wurde nebst Herrn von Ohlum in das bischöfliche
Palais geleitet, wo der Papst seine Wohnung hatte.
Hier waren die Cardinäle versammelt, und es wurde ihm
eröffnet, man wolle ihn darüber vernehmen, wie es sich mit den
mancherlei Irrthümern verhalte, die er angeblich in Böhmen ver-
breitet habe. Hus erwiederte. er wolle liebersterben, als an
einem Irrthum festhalten : sobald man ihm einen Irrthum nach-
weise, so sei er in Demiith bereit ihn aufzugeben. Diese Er-
klärung wurde mit Wohlgefallen aufgenommen. Indessen ent-
fernten sich die Cardinäle und Hessen Hus mit Herrn von
Chi um unter militärischer Bedeckung allein.
Erst Nachmittags 4 Uhr versammelten sich die Cardinäle
wiederum in dem Palais des Papstes. Diesmal fanden sich die
böhmischen Feinde Husens ein. namentlich Pa 1 etz und Michael
de Causis: aber auch seine Freunde Johann von Reinstein und
Peter von Mladenowitz. Nach einigen Stunden waren die Car-
dinäle übereingekommen . was mit Hus geschehen sollte: der
Haushofmeister des Papstes meldete Herrn von Ohlum, er könne
nach Hause gehen. Magister Hus aber müsse dableiben. Da
ging Ohlum, in höchster Entrüstung, dass man unter dem Ver-
wand einer gütlichen Conferenz den Magister gefangen genom-
men hatte, stracks auf den Papst zu. und machte ihm. angesichts
der Cardinäle. den Vorwurf des Wortbruehs. wobei er ihm seine
Erklärung vom 5. November wörtlich vorhielt: er wolle seine
Stimme laut erheben wider alle, welche das freie Geleite des
Königs gebrochen hätten. Der Papst hatte nur Worte der Ent-
schuldigung , und eröffnete dem böhmischen Baron im Vertrauen,
dass die Cardinäle, mit denen er bereits auf gespanntem Fusse
stand, ihm den Gefangenen aufgedrungen hätten. Noch denselben
Bemühungen Hus wieder auf freien Fuss zu setzen.
197
Abend wurde H as in die Wohnung- eines Domherrn von Constanz
gebracht, liier wurde er 8 Tage lang von Bewaffneten bewacht.
Nachher versetzte man ihn 6. Dec. in das Dominikanerkloster,
das auf einer Insel im Bodensee . dicht bei der Stadt lag. und
wies ihm ein finsteres, unmittelbar an eine Kloake stossendes
Gelass als Gefängniss an. Das war ein ungesunder Aufenthalt:
kein Wunder, dass Hus darin erkrankte1).
Johann von Chi um hielt Wort. Er that, was er konnte, um
seinen Schützling wieder zu befreien. Er erhob sofort laute Klage
wider den Papst und die Cardinäle, dass sie den Magister Johann
Hus in Haft genommen hätten, ungeachtet des ihm bewilligten
freien Geleites: wies die königliche Urkunde Grafen und Herren.
Bischöfen des Concils und ansehnlichen Bürgern der Stadt vor.
Als das alles vergeblich war. erhob er am 24. December wider
diese Verletzung der Reichsgewalt, Protest durch Anschlag an
den Thüren der Domkirche zu Constanz 2 .
Es kam alles darauf an. ob König Sigismund seine und
des Reichs Ehre und Vollmacht zu retten gewillt und stark genug
war. Allein da war viel Geschrei und wenig Wolle. Als er durch
Herrn von Ohlum, noch auf der Reise nach Constanz, Nachricht
erhielt von der Verhaftung Husens, flammte er auf. gab Be-
fehl. Hus auf freien Fuss zu setzen und drohte, seinen Kerker
erbrechen zu lassen. Indess das waren Worte und nicht Thaten.
Und als er in der heiligen Nacht vom 24 — 25. Dec. in Constanz
angekommen war. Hess er zwar in mehreren Verhandlungen mit
den Cardinälen und Prälaten des Concils seinen ganzen Unniuth
fühlen über die ihm widerfahrene Kränkung, ja er verHess mehr
als einmal die Conferenz in vollem Zorn; einmal ging er sogar
aus der Stadt, als wollte er das Coneil sich selbst überlassen.
Aber das war mehr Affekt als Entschlossenheit des Willens - .
1) Der ausführliche Bericht über diese Vorgänge von Mladenowitz
bei Palacky, Docum. 247 — 252.
2; Den Wortlaut des Protestes gibt Mladenowitz a. a. O. 253 folg.
3; Laut der eigenen Mittheilung K. Sigismund s in einem tschechischen
Schreiben an die hussitischen Barone von Böhmen d. Paris 21. März 1416,
bei Palacky, Docum. 699 ff., lat. Uebers. 612.
19$
Buch III. Kap. 3. V.
Als man ihm entgegnete, das Recht der Kirche, einen Häretiker
nach Kirchengesetzen zu richten, könne durch das Recht des
Königs, einen Unterthanen zu schützen, nicht aufgehoben werden,
und seine Drohung Constanz zu verlassen, damit beantwortete,
dann werde das Concil auseinander gehen, wenn er dessen recht-
mässige Wirksamkeit hindern wolle : so war er mit seiner That-
kraft zu Ende. Denn es lag ihm alles an der Fortdauer des Con-
cils, das ja wesentlich sein Werk war. Somit verzichtete er auf
ferneren Widerstand, und liess seit dem 1. Januar 1415 dem
Process gegen Hu s seinen Lauf). Hus blieb gefangen, wenn
auch nur in Untersuchungshaft. Aber damit war sein Schicksal
im Grunde bereits entschieden.
Am 4. December 1414 hatte der Papst zur Voruntersuchung
über Hus einen Ausschuss von 3 Bischöfen bestellt, den Patriar-
chen Johannes von Constantinopel, und die Bischöfe Johann von
Lübeck und Bernhard von Citta di Castello im Kirchenstaat.
Diese luden sämmtliche Belastungszeugen vor sich und ver-
nahmen dieselben, nachdem sie zuvor zu Hus in das Gefängnis»
geführt worden waren, um in seiner Gegenwart beeidigt zu wer-
den. Das geschah, ungeachtet Hus eben damals sehr krank
war, mit nicht weniger als 15 Zeugen an einem Tage. Hus bat
um einen Anwalt zu seiner Vertheidigung und zur Verantwortung
angesichts der Zeugen, unter welchen mehrere seine persönlichen
Feinde waren, z. B. Stephan Paletz. Das wurde ihm anfänglich
zugesagt, nachträglich aber abgeschlagen, weil es rechtswidrig
sei : einem der Ketzerei Verdächtigen dürfe niemand beistehen 2) .
Sobald Hus sich etwas besser befand, legten ihm die ge-
nannten Commissare ein Schriftstück zur Verantwortung vor,
worin 42 Punkte zusammengestellt waren, die ihm zur Last ge-
legt wurden. Die Zusammenstellung war eine Arbeit von Stephan
Paletz. Die überwiegende Mehrzahl der Artikel 1 — 'M stutzt
sich auf Auszüge aus Hus'ens Streitschrift »über die Kirche«.
I) Von der Hardt, Acta ConciUi Comt. IV, :*2.
2 Mladeno witz bei Palacky , Docum. 252 folg. Vgl. die an sieh
völlig glaubwürdige Angabe von Hus selbst in einem Briefe an Herrn
von Chi um, bei P ALACK Y, Docum. 68.
Der Laienkelch.
199
Die letzten Artikel 3S — 42 nehmen Bezug auf einige andere
Streitschriften und auf Aeusserungen von ihm in Predigten, Brie-
ten und dergleichen 1 . Hus verfasste sofort eine Verantwortung,
worin er die ihm schuld gegebenen Punkte der Reihe nach buch-
stäblich aufführt, und jeden Punkt sofort beleuchtet. Zum Theil
beweist er, dass die angeblichen Irrlehren vielmehr Wahrheiten
seien, indem er sie aus der heil. Schrift, auch wohl aus Kirchen-
vätern wie Augustin, Gregor dem Grossen, oder aus späteren
hoch geachteten Lehrern wie Bernhard von Clairvaux, Grossetete
iLincolniensis) und Anderen begründet. Bei anderen Punk-
ten weist er nach, dass man seine eigenen Aussprüche ungenau
wiedergegeben, verstümmelt oder mit Zusätzen versehen, aus
dem Zusammenhang gerissen und entstellt habe 2) .
Während die von Paletz vorbereitete Grundlage der An-
klage wider Hus vorzüglich seine Ansichten von Kirche und
Hierarchie zum Gegenstand hat. kam von Böhmen her ein neuer
Punkt hinzu, welchen man begierig ergriff und gegen Hus ver-
werthete. Magister Jakob von Mies, um seiner kleinen Statur
willen gewöhnlich Magister Jakobell genannt, ein vertrauter
Freund von Hus und seit dessen Abreise der namhafteste unter
»einen Anhängern in Prag, fing am Ende des Jahrs 1414 an, die
Spendung des heil. Abendmahls unter beiderlei Gestalt, die
Gewährung auch des Kelchs an alle Communicanten, lehrhaft zu
vertheidigen in einer akademischen Disputation] , und schritt so-
fort, im Einverständniss mit einer grossen Anzahl von Freunden
H u s ens zur praktischen Verwerthung dieser Lehre , zur wirkli-
chen Spendung des Kelchs an die Laien communio sub utraque).
I Palacky, Gesch. von Böhmen, III, 1. 331, gibt an, die Schrift ent-
halte 44 Punkte. Dies heruht auf der Zählung von Mladenowitz, welche
aber eine ungenaue ist und von ihm selbst als eine nur beiläufige bezeich-
net wird: »articulos ferc 44«, bei Palacky, Docum. 254. Die Urkunde
selbst a. a. 0. 2<)4 ff. enthält nur 42 Punkte. Böhringer a. a. O. 417,
Krümmel a. a. 0. 472 zählen 41 Artikel.
2] Das in mehr als einer Hinsicht belangreiche Schriftstück ist voll-
ständig erhalten und aus dem Bericht von Mladenowitz, zu dessen Bei-
lagen es gehört , so wie nach einer Wiener Handschrift in Palacky' s Do-
cnncnta, 2U4 — 224 abgedruckt.
200
. Buch III. Kap. 3. V.
Bald wurde in mehreren Kirchen der Hauptstadt regelmässig
der Kelch mit gespendet. Fortan wurde der Kelch das spre-
chende Sinnbild der Partei. Das Einschreiten des erzbischöflichen
Ordinariats war fruchtlos: Jakob von Mies stellte sich, als er
vorgeladen wurde , war aber weit entfernt, irgend eine Weisung
anzunehmen ; selbst der Kirchenbann richtete nichts aus, man bot
ihm offen Trotz. Allein die Hussiten in Prag waren über die neue
Frage vom Kelch unter einander selbst nicht einig. Um so mehr
kam darauf an, wie Hus sich aussprechen würde 1 . Er that dies
in einem kurzen Aufsatz, den er zu Constanz schrieb, als er sich
noch auf freiem Fusse befand, und in mehreren Briefen 2 . Seine
Ansicht geht zwar nicht dahin, dass es geradezu Pflicht und
heilsnoth wendig sei, das heil. Abendmahl unter beiderlei Gestalt
zu spenden und zu gemessen, wohl aber dahin, dass es erlaubt
und heilsam sei. das Abendmahl auch unter der Gestalt des ge-
segneten Kelchs zu empfangen 3) . Nachdem er dies theologisch
begründet hatte, verwies er in Briefen wiederholt auf diese Ab-
handlung4 ). Zugleich forderte er vom Gefängniss aus seine
Freunde in Constanz auf, dahin zu wirken, dass durch eine Bulle
die Spendung des Kelchs denjenigen zugelassen werde, welche
ihn aus Andacht begehren5 . Einen anderen Ton schlug Hus an,
nachdem das Concil am 15. Juni 1415 die Communion unter
beiderlei Gestalt geradezu verboten hatte. Das erschien ihm als
ein grossartiger Wahnwitz : das heisse ja die Gewohnheit und das
Herkommen über Gottes Wort, über die Einsetzung Christi und
das Handeln der Apostel stellen. Nun bat er auch den Prediger
an der Prager Bethlehemskapelle, Hawli k. um Gottes willen,
dem Jak ob eil nicht ferner entgegenzutreten, damit nicht, zur
1) Johann von Chi um bat in einem an Hus im Gefängniss gerichte-
ten Brief um seine Entscheidung , quia fratrum adhuc aliquahs est seissio,
a. a. O. %.
2) Nr. 51. S. 91 ; Nr. TS. S. 126; Nr. SO. S. 12S bei Palacky , Doc.
3] De sanguine Christi sub specie Ptfftf a taicis sumemlo, Opp. I. Nürnb.
155S. 42a — 44a. Das Thema des Aufsatzes ist sprechend: Vtrum exp«~
diat laicis ßdeliltiis, surnere sanf/uittem Christi suh sjx'cic Ctttit
4) Nr. 51 u. Nr. TS bei Palacky. Doc. 91. 126.
5) a. a. ü. 91,
Die Katastrophe Johanna XX11I.
Freude des bösen Feindes, eine Spaltung unter den Gläubigen
einreisse 1 .
Die Forderung des Laienkelchs und die utraquistische Com-
nmnion war ein neuer Zielpunkt für die Angriffe auf Hu s und
seine Partei. Die Sache war aber nicht die. dass jetzt erst eine
Lehrfrage in Angriff genommen, die Reform auf den christlichen
Lehrbegriff ausgedehnt wurde 2 ; denn schon bisher war die
Lehre, insbesondere der Kirchenbegriff, streitig. Vielmehr griff
hiemit die Reform in das Gebiet des Kultus ein. wahrend sie
bisher, ausser der Lehre, nur die Verfassung und das kirchliche
Leben berührt hatte. Immerhin diente die neue Streitfrage dazu,
die Gegensätze zu verschärfen.
Inzwischen schien die Katastrophe mit Johann XXIII. eine
für das Schicksal von Hus günstige Wendung herbeizuführen.
Die Hauptaufgabe des Concils war. die Papstspaltung zu
heben und die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Die Reform
an Haupt und Gliedern bildete nur ein Mittel zu jenem Zweck.
Nun gelangte das Concil zu der Ueberzeugung . dass alle drei
Päpste, und in erster Linie Johann XXIII.. abdanken müssten.
Dieser erklärte sich hiezu geneigt, unter gewissen Bedingungen.
Bald aber suchte er wieder Ausflüchte, und schliesslich entwich
er am 20. März verkleidet aus Constanz. Alle seine Diener ver-
liessen ebenfalls die Stadt, somit überlieferten auch die bisherigen
Wächter über Hus die Schlüssel zu seinem Gefängniss am Palin-
tag 24. März dem König Sigismund. Nun konnte dieser sein
gegebenes Wort ohne Schwierigkeit einlösen und seine Ehre
retten ; er durfte nur den Befehl geben. Hus in Freiheit zu setzen.
Hus selbst gab sich zwar in diesem entscheidungsvollen Augen-
blicke keinen sanguinischen Hoffnungen hin . doch hielt er e>
wenigstens für möglich, dass ihn der König auf freien Fuss
setze 1 . Desto eifriger verwendeten sich ohne Zweifel die böh-
mischen Barone, welche sich in Constanz befanden, für seine Frei-
1 Brief Nr. 78. 8. 126; Nr. 80. S. 12v
2 Wie Palacky. Ge*ch. von Böhmen. III. 1. folg. da- Yerhäl:
niss auftasst.
3 59ster Brief, S. 100 bei Palacky. Docum
202
Buch III. Kap. 3, V.
lassung. Hatten doch schon einige Wochen zuvor die Stände von
Böhmen und Mahren, als sie in Meseritz versammelt waren, sich
mit einem sehr freimüthigen Schreiben in tschechischer Sprache
an Sigismund gewandt und ihn bei seiner königlichen Ehre auf-
gefordert, den Mann, welchem unter frecher Misachtung des von
ihm feierlich zugesagten Schutzes, schreiendes Unrecht geschehen
sei. aus seinem Kerker zu befreien l) . Andererseits befürchteten
die fanatischen Gegner sehr ernstlich, dass Hus bei dieser Ge-
legenheit ihren Händen entrissen werden könnte2).
Allein die anfängliche Entrüstung Sigismunds über die von
Seiten der Cardinäle ihm zugefügte Beleidigung war längst ver-
gessen. Andererseits war ihm das Concil desto werther geworden,
je kräftiger es die Sache der Einigung angriff. Um so weniger kam
es ihm bei, in den bereits eingeleiteten Process gegen Hus seiner
Seits einzugreifen. Im Gegentheil, er besprach sich gerade mit
den Vätern des Concils über die Frage, was mit Hus geschehen
sollte. Und in Gemässheit des ihm von dieser Seite ertheilten
Rathes übergab er den Gefangenen an demselben Tage, wo die
Schlüssel zu dessen Kerker in seine Hand gelegt worden waren,
dem Bischof von Constanz. Dieser Hess ihn schon die Nacht
darauf in sein Schloss Gottlieben am Rhein, 5 4 Stunden unter-
halb Constanz, im Canton Thurgau gelegen, bringen; Hus erhielt
das oberste Geschoss in dem westlichen Schlossthurm zu seinem
Gefängniss.
Hier blieb er vom 24. März bis zum 5. Juni. 73 Tage lang.
Er war im bischöflichen Schloss übler daran, als im Dominikaner-
kloster. Seine Wärter im Kloster hatten ihm mit der Zeit, unter
dem Einfluss seiner vornehmen Freunde aus Böhmen, immer mehr
zugelassen : er hatte Briefe schreiben . hie und da selbst Besuch
von Freunden anneinnen dürfen. Auf Gottlieben dagegen wurde
1 a. a. O. 524 ff.
2 Vgl. den Brief eines Ungenannten, aus Constanz, vom '2. April 141"».
a. a. O. 541.
.5 Nicht weniger als ltf Briefe aus seinem Gefängniss im Dominika-
nerkloster sind bis jetzt bekannt Nr. 14 — :>0 bei Palacky a. a. 0. —
Mio , aus den 10 Wochen der Gefangenschaft in Gottlieben nicht ein ein-
ziger.
Böhmische Herren gegen das Verfahren mit Hus. 203
§
er in einem isolirten Thurme im obersten Stockwerk eingesperrt ;
bei Tage musste er an den Füssen Fesseln tragen, bei Nacht
wurde er mit den Händen an die Wand, wo sein Bette stand,
angekettet, und von allem Verkehr mit seinen Freunden abge-
schnitten 1 .
In Folge der Entweichung Johanns XXIII. war nicht blos
die von ihm verfügte Gefangenschaft, sondern auch die von ihm
ertheilte Vollmacht an die drei Commissare zur Voruntersuchung
gegen 11 us hinfällig geworden. Nun beauftragte das Concil am
'>. April III") vier neue Commissare: die zwei Cardinäle Peter
d'Ailly , Erzbischof von Cambray, und Wilhelm von Cordiano,
Erzbißchof von Florenz, den Bischof von Dole und den Abt von
Citeaux. Von den Verhören, welche diese Prälaten mit Hus auf
der Burg Gottlieben anstellten, ist aber, weil sie ganz im Ge-
heimen statt fanden, und Hus selbst keine Briefe schreiben
durfte, lediglich nichts bekannt.
Aber eben diese Heimlichkeit des Verfahrens und die nun-
mehr strengere Haft gab den Freunden von Hus in Böhmen und
Mähren, ja selbst einigen Polen, neuen Grund zu lauten Be-
schwerden. Man konnte bereits deutlich genug sehen, wenn man
überhaupt sehen wollte . dass das Verfahren der Kirche und des
Reiches wider Hus in dessen Heimath von seinen Stammes- und
Gesinnungsgenossen weit und breit bitter empfunden wurde und
eine tiefe Erregung der Gemüther verursachte. Insbesondere
machte sich, wie schon seither, der tschechische Adel in Böhmen
und Mähren zum Sprecher dieser Gefühle. Am 8. Mai verfassten
zehn Barone der Starkgrafschaft Mähren , zu Brünn versammelt,
eine abermalige Vorstellung an König Sigismund. Sie klagten
nicht mehr blos über die, trotz des freien Geleites, widerrechtlich
erfolgte Verhaftung des Hus, sondern nunmehr auch über die
unbillige und erbarmungslose Härte , womit er in Gottlieben be-
handelt werde, so wie über die Heimlichkeit des Verfahrens mit
ihm: sie forderten, dass er aus dem Kerker entlassen und öf-
fentlich verhört werde2). Und Sonntag den 12. Mai unter-
1 Vgl. Mladenowitz a. a. O. 255.
2 Bei Palacky a. a. O. -347 ff.
204 Buch III. Kap. 3. V.
•
zeichneten und lintersiegelten nicht weniger als 250 Freiherren.
Ritter und Edellente aus Böhmen und Mähren in Prag eine ähn-
liche Denkschrift an König Sigismund, welche in nachdrück
licherem Tone nicht allein Freilassung des Magisters fordert,
sondern auch begehrt . dass derselbe nicht mehr unbefugter
Weise . zur Sehmach der böhmischen Nation angeklagt werde,
vielmehr auf freiem Fusse in die Heimath zurückkehren dürfe 1 .
Diese Eingabe war von einem Schreiben begleitet an die böhmi-
schen und mährischen Hofbeamten des Königs . worin diese um
ihre kräftige Verwendung für denselben Zweck angegangen wur-
den 2 . Die letzteren hatten übrigens nicht nöthig . erst von der
Heimath aus gemahnt zu werden. Nur einen Tag später, als die
eben erwähnten Schreiben in Böhmen unterzeichnet wurden, am
13. Mai, überreichten die in Constanz anwesenden Herren vom
böhmischen Adel. Wenzel von Duba. Johann von Ohlum,
Heinrich von Lätzen bock u. s. w.. in Gemeinschaft mit meh-
reren Baronen aus Polen . in einer Conferenz von Deputirten der
vier Nationen des Concils deutsche, englische, französische und
italienische . welche in dem Franziskanerkloster gehalten wurde,
eine Eingabe . worin sie über die trotz der königlichen Zusage
und ohne Verhör vorgenommene Verhaftung und bisherige Be-
handlung von Hus Klage führten und Abhülfe begehrten. Ueber-
dies besehwerten sich die Herren aus Böhmen für sich allein,
dass Gegner der böhmischen Nation verleumderische Gerüchte
beim Concil verbreifet hätten, z. B. dass iu Böhmen das Sakra-
ment des Blutes Christi in Flaschen umhergetragen werde, und
dass Schuster Beichte hören und das heil. Abendmahl spenden.
Man möge solchen Verleumdern keinen Glauben schenken . viel-
mehr sie namhaft machen, damit man sie Lügen strafen könne '
Es ist nicht dieses Orts . näher darauf einzugehen , wie der
Bischof Johann von Leitomischl den letzten Theil der Beschwerde
1 a. a. (). 550 ti.
2 a. a. 0. Ö54 folg.
•\ Die Eingabe s. bei von der Hardt. Contimit. Omuäium, Vol. IV.
188 folg.. richtiger in dem Bericht van Mla den o witz . der dieselbe ver-
tagst hatte, bei Palacky a. a. 0. 256 ff.
Beschlüsse über Wieiii'.
205
sofort auf sich bezog, und sich zur Beantwortung derselben eine
Trist ausbat. wie er sodann in der Deputationssirzmig am 16. Mai
die erwähnten Aussagen theils zu begründen suchte, theils sie je
gemacht zu haben bestritt 1 . Die Verhandlung über den Haupt-
Gegenstand der Beschwerde führte zu keinem Erfolg. Das Ende
dieser Reden und Gegenreden war. dass am 3 I.Mai der Patriarch
von Antiochien eröffnete, man werde von Seiten des Concils unter
keinen Umständen Hus auf freien Fuss setzen, sollten auch tau-
send Bürgen für ihn einstehen wollen : was übrigens das Gesuch
um öffentliches Verhör anbelange . so werde man demselben ent-
sprechen'- .
Noch ehe diese Verhandlungen statt fanden, hatte das Concii
die seit 1403 oft erwähnten 45 Artikel von Wiclif verdammt und
ihn selbst für einen bis an sein Ende unverbesserlich gebliebenen
Ketzer erklärt. Das geschah bereits am 4. Mai 1415 in der Sten
Plenarsitzung des Concils . nachdem schon in der 5ten Sitzung,
am (>. April, die Vorbereitung und Berichterstattung in Sachen Wi-
clif's und seiner Lehre denselben Commissaren aufgetragen wor-
den war. welche mit der Voruntersuchung Hus selbst anlangend
beauftragt wurde. Ein sprechender Beweis davon, dass das Con-
cii den Process wider Hus und die Frage über Wiclif für con-
nex und untrennbar ansah3). In der 6ten Sitzung am 17. April
1415 hatte man den Commissaren Beschleunigung des Berichts
an's Herz gelegt *) . Endlich kam es in der Sten Sitzung, Sonn-
abend den 4. Mai zur Verlesung und Annahme der Sentenz des
Concils über Wiclif. Das Urtheil lautete dahin, dass im gegen-
wärtigen Zeitalter Johann Wiclif der Hauptführer in dem Kampf
wider das Christenthum und die heilige Kirche gewesen sei5).
Demgemäss wird die Verurtheilung seiner Bücher, vorzüglich
des Dialogs und des Trialogs. welche von Seiten der Universitä-
lj s. Palacky, Docum. 25S ff., vgl. 264 folg.
2 Das Nähere in dem Bericht von Mladenowitz, bei Palacky a. a.
0. 260 ff. 266 — 270.
3) Von der Hardt, Concii. Conti. Vol. IV. f. 99 folg.
4 a. a. O. IV, 118.
5] a. a. O. IV, 153. Maxsi, XXVII, 632: Nosiris — temporibus vetus
ille — hostis ttova certamina suscitavit; quorum dnx et princeps extitit
quondam Johannes W icl e ff pseudo-christianvs etc.
:>i>6
Buch III. Kap. 3. V
teil Oxford und Prag*, der Erzbischöfe von Canterbury. York und
Prag, sowie des römischen Concils vom Jahre 1412 ausgespro-
chen war, bestätigt; insbesondere werden die 45 Artikel, auf
Grund erneuerter Prüfung durch eine Anzahl Mitglieder des ge-
gegenwärtigen Concils , wegen ihres theils irrthümlichen . theils
förmlich ketzerischen, theilweise anstössigen oder revolutionären
Inhalts [temerarios et seditiosos) misbilligt. verurtheilt und ver-
boten1); Wiclifs Bücher und Traktate sollen, wie das Concil
zu Rom entschieden habe , öffentlich verbrannt werden. Aber
man hatte nicht genug an dem Urtheil über Lehren und Schrif-
ten; das Concil glaubte auch das Andenken Wiclifs für immer
brandmarken zu sollen, indem man über ihn selbst, im Laufe des
dreissigsten Jahres nach seinem Tode , das Urtheil fällte , er sei
notorisch ein hartnäckiger Ketzer gewesen, und als solcher im
Kirchenbann gestorben. Daher schliesslich die Anordnung, dass
Leib und Gebeine des Mannes, falls sie von Leibern anderer
Gläubigen sich unterscheiden Hessen , ausgegraben und fern von
einer kirchlichen Begräbnisstätte weggeworfen werden sollen 2 .
1) Von der Hardt hat zwei Gutachten mit Kritiken über die 45 Ar-
tikel, ein kürzeres III, f. 168 — 211, und ein ausführlicheres f. 212 — 335,
veröffentlicht. Beide sind jedenfalls in Constanz ausgearbeitet worden. —
In den Concilsakten ist neben den 45 Artikeln wiederholt auch von 2t in
Artikeln die Rede, welche aus den Schriften Wiclifs ausgezogen, geprüft
und verworfen worden seien, a. a. 0. 152 — 156. Das Urtheil über diese
Sätze wurde, weil die französische Nation noch keine Kenntniss von den-
selben erhalten hatte a. a. O. 191), bis zur nächsten Sitzung vertagt und
in der Oten Sitzung am 13. Mai nachgeholt. Diese 260 Artikel haben sich
jedoch, wie von der Hardt IV, 156 bemerkt, in keiner von den ihm zu-
gänglichen Urkunden vorgefunden. Es waren das ohne Zweifel dieselben
Sätze, über welche im Jahr 1412 die Universität Oxford ein verwerfendes
Urtheil gefällt hat. Diese Vermuthung finde ich bestätigt durch das Zeug-
niss des Abgeordneten der Wiener Universität bei dem Concil, Petrus
von Pulka, Doctors der Theologie, dass diese Artikel von den Englän-
dern zur Sprache gebracht worden seien [et alios seil, aj-ticulos 260 altatoi
2>rr Angiicos) , im Archiv für Kunde östreichischer Geschichtsquellen, XV.
1856. S. 22, Abhandlung von Fr. Firnhaber, Petrus de Pulka, Abgesandter
der Wiener Universität am Concilium zu Constanz, S. 1 folg. Die Artikel fin-
den sich (aber nicht 260, sondern 267 an der Zahl abgedruckt bei WlLKINS,
Cone. Mdgnac lirit. III, 339 — 349 und bei Orth. Gratiüs, Fuscic. n-mm
BXpet. et fug. 15Ü5. f. 133 folg.
2 a." a. (). IV. 155 - 157.
Das Dekret des Concfls über Wiclif.
207
Das ist eine entsetzliche Höhe fanatischer Gesinnung! Dreis-
sig Jahre nach der Beerdigung die wenigen Reste . welche etwa
die Verwesung überdauert haben, ihrer Ruhestätte entreissen,
und weit von kirchlicher Begräbnissstätte entfernt hinwerfen
jactarf — das war ein Gedanke und Befehl, wie er bis da-
hin in der Concilien- und Ketzergeschichte selten vorgekommen
war1 . Ferner, die Behauptung, Wiclif sei als Häretiker im Kir-
chenbann gestorben, ist das gerade Gegentheil der geschicht-
lichen Wahrheit : niemals ist bei seinen Lebzeiten von einem
Bischof oder einem Concil die Excommunication über Wiclif
verhängt worden : er war bis an sein Lebensende im vollen Besitz
kirchlicher Ehre, und in ungestörter Uebung kirchlicher Rechte
und pfarramtlicher Pflichten geblieben. Somit ist jener Satz in
dem gefällten Urtheil eine notorische Unwahrheit! Trotz alle
dem fand die vorgeschlagene Sentenz bei der Abstimmung inner-
halb des Plenums der grossen Kirchenversammlung einhellige
Annahme, das heisst, der Präsident und die Vorsitzenden der
vier Nationen gaben zu dem Entwurf der Sentenz, mit allem
was darin gesagt war. ihr Pia c et 2 .
Je maassloser das Verdammungsurtheil lautete, welches über
Wiclif, seine Person und seine Lehren, gefällt worden war.
desto trauriger gestaltete sich die Aussicht für Hus selbst. Galt
er doch, und nicht mit Unrecht, für einen Anhänger Wiclif 's,
»des Hauptanführers der Häretiker in dem vorangegangenen Zeit-
alter«.
Am 31. Mai wurde festgesetzt, dass Johann Hus am 5. Juni
in einer öffentlichen Sitzung des Concils verhört werden solle. Zu
diesem Behuf wurde der Gefangene an diesem Tage aus der Burg
Gottlieben nach Constanz in das Franziskanerkloster gebracht,
wo er fortan die letzten Wochen verlebte. Zwei Tage vorher war
der abgesetzte Papst Johann XXIII. , nunmehr wieder Balthasar
1 Ich kenne nur einen ähnlichen Fall: Peter Johann von Olivi,
f 1297 , wurde auf Befehl Johannis XXII. 1316—1334 ausgegraben, und
die Ueberreste verbrannt — falls der Befehl vollzogen worden ist, s. Oudix
De scriptoribus eccl. III, 586.
2) a. a. O. 157: Responderunt omnes, et prima Ostiensis, deinde natio-
num Praesidentes, quod placeret, et approbaverunt omnia praedicta.
20S Buch III. Kap. 3. VI.
Gossa genannt, in demselben Schloss Gottlieben eingebracht wor-
den . so da ss einige Tage lang in demselben Gebäude beide als
Gefangene sieh befanden 1 , der fromme Prager Magister und der
gewesene »heilige Vater«, welchen die öffentliche Meinung jetzt
als einen »eingefleischten Teufel«2 verabscheute. Vor §tark 5
Monaten hatte der letztere als Papst den Befehl gegeben, Hus zu
verhaften : nun war er selbst gerichtet , des Pontificats entsetzt,
and in Haft. Der Unterschied war nur der, dass dem Johann
Hus seine Freunde mit innigster Anhänglichkeit, Verehrung und
Treue zugethan blieben . auch im Kerker und bis zum Scheiter-
haufen : während dem gestürzten Papste alle bisherigen Verehrer
und Freunde den Rücken wandten und nicht einmal auf sein An-
suchen eingingen, mit ihm einen Briefwechsel zu seinem Trost
anzuknüpfen ;; .
VI.
Hus wurde endlich , wie er ursprünglich begehrt und wie-
derholt gefordert hatte . vor dem versammelten Concil in öffent-
licher Sitzung verhört, und das nicht blos einmal, sondern an
3 Tagen. Mittwoch den 5. Juni fand das erste öffentliche Verhör
im Refectorium des Franziskanerklosters vor einer überaus voll-
zähligen Versammlung der in Constanz anwesenden Kirchentur-
sten und Mitglieder des Concils statt. Noch ehe Hus vorgeführt
wurde, kam die Anklageakte zur Verlesung, ferner die Aussagen
I Es ist irrig, wenn Palacky, Gesch. von Böhmen, III, 1. 346, und
ihm nach Boeiirixger, Kirche Christi, II, 4. 2. S. 43l> und Krümmel,
Gesch. der böhm. Kef. 50S, annehmen, Johann XXIII. sei erst am 5. Juni
nach Gottlieben gebracht worden , so dass er Hus'ens Stelle daselbst ein-
nahm. Aus den bei VON DER Hardt, IV, 29(i gegebenen Urkunden ergibt
sich mit Sicherheit, dass Johann XXIII. schon am 3. Juni daselbst ange-
kommen ist. Dies hat denn auch Hefele, Conciliengesch. VII, I. 141 rich-
tig erkannt. Nur nimmt er an, Hus sei aus Gottlieben nach Constanz zu-
rückgeführt worden . ehe Balthasar Cossa in dem Schlosse untergebracht
wurde, vgl. dagegen v. D. Hardt, IV, 806.
i Von der Hardt. IV, H>7.
'■> Von dkk Hardt. IV. .
Hus ens erstes öffentliches Verhör, •">. Juni 141">.
209
der Belastungszeugen und die aus seinen Schritten angeblich aus-
_e/.ogenen Sätze, die aber zum Theil nicht treu wiedergegeben
waren.
Sobald Hus in die Versammlung eingeführt worden war.
Legte man ihm sein Buch »Von der Kirche« und seine Streitschrif-
ten wider Paletz und Stanislaus von Znaim . von ihm eigen
bündig geschrieben1 . mit der Frage vor. ob er diese Schriften
als die seinigen anerkenne. Hus sah sich die Handschriften ge-
nau an. bekannte sich zu ihnen, erklärte sich jedoeli bereit, falls
man ihm beweise, dass etwas irriges oder verkehrtes darin
stehe, dasselbe zu verbessern. Hierauf verlas man die aus seinen
Schriften ausgesogenen Sätze und die Zeugenaussagen. Als aber
der Magister auf einzelne Punkte eingehen und sieh vertheidigen
wollte . schrien viele zugleich auf ihn hinein; suchte er nachzu-
weisen, dass man in den Auszügen gewisse Ausdrücke von ihm
misdeutet habe . so hiess es : »Lass deine Sophisterei , und ant-
worte ja oder nein !« Berief er sich auf Aussprüche von Kirchen-
vätern, so riefen viele: «Das gehört nicht hieher I« Sehwieger.
so >agten andere: »Nun schweigst du! das ist ein Zeichen, dass
du wirklich diese Irrthümer hegest 2 !« Er blieb bei all dieser
Leidenschaftlichkeit und Aufregung der Versammlung ruhig und
muthvoll . und scheute sich nicht, sobald er wieder zum Worte
kam . mit lauter Stimme zu bemerken : »Ich dachte, dass in die-
sem Concil mehr Anstand. Frömmigkeit und Zucht sein würde!«
Darauf erwiederte der Präsident, Johann von Brogni . Cardinal-
Bisehof von Ostia . gewöhnlich nach seinem ersten Bisthum Car-
dinal von Viviers genannt : »Was sagst du? im Schloss hast du
eine demüthigere Sprache geführt!« Hus gab ihm zur Antwort:
Weil dort niemand auf mich hineinschrie ; hier aber schreit ihr
1 Die Freunde von Hus, Johann von Chlum und Wenzel von Duba,
hatten, diese Handschriften, im Interesse seiner Vertheidigung , den Abge-
sandten des Königs, Pfalzgraf Ludwig von Heidelberg und Burggraf Fried-
rich von Nürnberg, eingehändigt, und diese hatten die Bücher dem Concil
zur Einsicht dargeliehen. So berichtet Mladenowitz bei Palacky . Do-
rn m. 275.
2 Mladenowitz bei Palacky, Docwn. 27ö folg.
Lkchlek, Wiclif. II. 14
210
Buch III. Kap. 3. VI.
alle1)!« Man fühlte, dass man sich eine Blosse gegeben habe,
und erkannte, dass die Verhandlung- so zu keinem Ziele führen
könne. Deshalb wurde die Sitzung geschlossen und auf Freitag
den 7. Juni vertagt.
Bei dem zweiten öffentlichen Verhör, am 7. Juni,
gleichfalls im Eefectorium des Franziskanerklosters, benahm sich
die Versammlung anständiger und maassvoller : wohnte doch Kö-
nig Sigismund selbst der Verhandlung bei. Es war sowohl in
seinem Namen als in dem des Vorsitzenden Cardinais bekannt
gemacht worden, dass jeder, der sich erlaube in Geschrei auszu-
brechen, aus dem Saale gewiesen werden solle 2 .
Die Grundlage der Vernehmung bildeten an diesem Tage
gewisse Artikel, welche angeblich von Zeugen bestätigt waren
und theils Hus'ens Buch »Von der Kirche«, theils Vorgänge
in Prag seit dem Jahre 1408 betrafen 3 . Man kam hiebei beson-
ders auf sein Verhältniss zu Wic lif zu reden. Dass er Wiclif's
Angriff gegen die Lehre von der Wandlung im heil. Abendmahl
sich angeeignet habe, bestritt Hus beharrlich. Hess sich auch
durch Cardinal Peter d Ailly und einige englische Doctoren
nicht werfen , welche aus seinem realistischen Standpunkt in der
Philosophie beweisen wollten . dass er folgerichtig die Wandlung
verneinen und das Bleiben des Brodes auch nach der Consekra-
tion behaupten müsste. Die Vertheidigung Hus'ens machte doch
solchen Eindruck , dass einer von den englischen Doctoren im
Concil selbst aussprach . diese philosophischen Fragen gehörten
nicht zur Sache, und Hus sei in Betreff des heil. Abendmahls
1 Hefele a. a. O. 155 verlegt diese Aeusserungen in das zweite Ver-
hör, wohin sie, bei dem ruhigeren Verlaute desselben, weniger passen, als in
das erste. Hus selbst berichtet in einem tschechisch geschriebenen Briet
an seine Freunde in Böhmen vom 27. Juni. a. a. O. 137 ff., dass er obigem
Tadel Worte gegeben, »als er zum erstenmal vor dem Concil gestanden',
aber schon in einem Briefe vom Tage des ersten Verhörs, vom 5. Juni, be-
richtet er seinen in Constanz anwesenden Freunden von dem Hergang nicht
ohne Freudigkeit, a. a. O. 104 folg., vgl. 107.
2) Den letzteren Umstand erwähnte Hus selbst im Laufe seiner Ver-
nehmung, laut Mladenowitz Bericht, a. a. O. 282;
3 Die Artikel, mit Hus'ens später dazwischen geschriebenen Erwie-
derungen, gibt, nach Mladenowitz. Palackv a. a. O. 230*— 234.
Zweites Verhör Husens. 7. Juni 141"). 211
rechtgläubig 1 . Ferner hatte sieh Hus darüber zu verantworten,
dass er gegen die Verurtheilung der 45 Artikel in Prag opponirt
habe. Er betonte in Betreff dieses Vorhalts, dass er für seine
Person keinen der genannten Sätze hartnäckig behauptet, son-
dern nur der Verurtheilung wider dieselben in Bauseh und Bogen
und ohne Beweis sieh widersetzt habe. Als ihm aber von Seiten
des Coneils auch Schuld gegeben wurde . dass er tiefe Verehrung
für Wie Iii" s Person geäussert habe , zog- er keineswegs in Ab-
rede, dass er Wieiii' für einen frommen Mann halte, und wenn
er auch keine Gewissheit habe, dass er selig geworden sei. doch
nur wünschen könne, dass seine Seele einmal dahin gelangen
möge, woWiclif's Seele sei. Ein Bekenntniss . worüber man
im Cond] nur lachte und den Kopf schüttelte - . Höchst bezeich-
nend für den Geist der Versammlung ist auch der Umstand. das§
man dem Hus aus seiner Appellation vom Papst an den Herrn
C hristum einen Vorwurf mächte; und als er laut bekannte, es
gebe gar keine gerechtere und wirksamere Appellation . als die
an den Herrn Christum . der ja der höchste Richter sei und der
gerechteste und mächtigste dazu . empfing man diese aus treuem
frommem Christenherzen kommende Erklärung mit hellem Geläch-
ter3 . Offenbar erschien es den Vätern des Coneils als die gut-
müthige Selbsttäuschung eines Schwärmers, dass der arme Magi-
ster vom Papst an Christiis appellirte . als an das höchste und
wahrhaftige Haupt seiner Kirche. Ferner wurde ihm vorgehal-
ten. dass er die Zerwürfnisse an der Prager Universität . sowie
die Gewalttätigkeiten, welche in der Hauptstadt gegen Prälaten
und Kleriker vorgefallen seien, verschuldet habe, und dergleichen.
Er lehnte indes jede persönliche Schuld an diesen Vorfällen ab
und berief sich auf Thatsachen, welche beweisen sollten, dass
sowohl der Abzug der Deutschen von der Universität als die Un-
bill . welche einzelnen Klerikern widerfahren sei . noch ganz an-
dere Ursachen gehabt hatten. Schliesslich kam zur Sprache, dass
Hus früher, wo er versicherte . ganz freiwillig zum Concil ge-
1 a. a. ü. 276 folg.
2 a. a. 0. 280.
3 a. a. O. 2S1.
14*
212
Buch III. Kap. 3. VI.
kommen zu sein, darauf gepocht habe, dass weder König Wenzel
noch König Sigismund im Stande gewesen sein würde, ihn wider
seinen Willen zur Reise nach Constanz zu zwingen. Hus erwie-
derte . dem sei in der That also : er habe so viele und grosse
Herren für sich . dass diese ihn auf ihren Burgen vollkommen zu
schützen in der Lage gewesen wären. Und dies bestätigte auf der
Stelle Herr von Ohlum, der bei der Verhandlung zugegen war,
in Betreff seiner eigenen Person und seiner Freunde unter dem
böhmischen Adel. Cardinal dAilly und nach ihm der römische
König Sigismund schlössen die Verhandlung mit Vermahnun-
gen an Hus, er möge sich nur demüthig und vollständig unter-
werfen und sich dem Concil auf Gnade und Ungnade ergeben,
statt hartnäckig und rechthaberisch zu bleiben. Darauf gab Hus
wiederum die Erklärung ab, er sei ganz von freien Stücken hieher
gekommen, und nicht in der Absicht, irgend etwas hartnäckig zu
vertheidigen. vielmehr in aller Demuth sich eines Besseren beleh-
ren zu lassen, falls man ihm nachweise, dass er in irgend einem
Stücke geirrt habe 1 .
Die Sitzung wurde geschlossen und auf den 8. Juni vertagt.
Da fand denn in demselben Saale des Franziskanerklosters das
dritte und entscheidende Verhör statt, wiederum in Gegen-
wart König Sigismunde und der böhmischen Barone Johann
von Chlu in und Wenzel von Duba, so wie des Peter von Bf la-
den ow.it 2. Man las nicht weniger als 39 Sätze vor. welche
theils aus Husens Buch »Ueber die Kirche« 26 Punkte . theils
aus seinen Streitschriften wider Paletz 7) und wider Stanis-
laus von Znaim 6 ausgezogen waren. In seiner Verantwortung
darüber war Hus in der Lage, mehrere derselben aus dem Grund
abzulehnen, weil sie dem, was er selbst ausgesprochen hatte,
nicht vollkommen entsprachen: während er solche Sätze, die er
als die seinigen anerkannte, zu begründen und zu vertheidigen
bemüht war. Man kam hiebei auf seine Lehre von der Kirche,
also auf den Schwerpunkt der Sache zu sprechen. Ks stellte sich
deutlich heraus, dass den Vätern des Concils nichts anstössiger
und grundstürzender erschien, als die Behauptung von Hus,
I a. a. O. 281 — 284.
Drittes Verhör Hus ens, 8< Juni 141"».
213
(lass lediglich nur die Erwählten wahre Mitglieder der Kirche
Christi seien, und dass demnach nur wer sittlich in der Nach-
folge Jesu wandelt, ein wahrer Christ. Priester u. s. w. sei: hie-
hei ergriffen Cardinal d'Ailly und andere Prälaten begierig den
Schein, dass dieser Grundsatz von Hus auch die Monarchie be-
drohe, und machten Sigismund darauf aufmerksam . der die
Verhandlung nicht regelmässig verfolgte , vielmehr in diesem
Augenblick in einer Unterhaltung über Hus mit zwei anderen
Fürsten begriffen war und zum Fenster hinaussah 1 . Höchst
ärgerlich war man über den letzten Satz, der aus der Schrift
wider Stanislaus von Znaim gezogen war: die apostolische
Kirche sei vortrefflich gewesen ohne Papstthum ; möglicherweise
könne man auch jetzt . und bis an s Ende der Welt . das Papst-
thum entbehren. Da bemerkte ein Engländer, Stokes. nicht
mit Unrecht, Hus betrete hiemit ganz und gar den Pfad YVi-
clif's. und habe gar nicht nöthig. sich seiner Schriften und
Lehren zu rühmen, seine Lehren seien vielmehr Wiclifs
Lehren2 .
Zum Schluss der Sitzung stellte der Cardinal Erzbischof von
Cambray, d'Ailly, dem Johann Hus die Wahl frei: entweder
sich dem Concil vollständig zu fügen . dann werde man schonend
mit ihm verfahren, oder einzelne seiner Sätze festzuhalten und zu
\ *e rtheidigen. wozu man ihm ferneres Gehör geben würde: allein
dieser Weg dürfte für ihn gefährlich werden. Der Magister ant-
wortete, er sei hieher von freien Stücken gekommen, nicht in der
Absicht, irgend etwas hartnäckig zu vertheidigen, vielmehr, falls
er irgend etwas in mangelhafter Weise aufgestellt haben sollte,
sich vom Concil unterweisen zu lassen : indessen bitte er um fer-
neres Gehör, damit er seine Meinung in Betreff der ihm vorgeleg-
ten Sätze deutlicher machen und aus den Kirchenvätern begrün-
den könne : sollten seine Gründe aus Vernunft und Schrift nicht
zureichend sein, so wolle er der Unterweisung, auch der Zurecht-
\\ eisung und Entscheidung des Coneils — letzteres fügte er aus-
drücklich hinzu, als ersterer Ausdruck, weil dem Ansehen
1 Mladenowitz bei Palacky. Bocu.m. 299 folg
2 a. a. O. :}(>7 folg.
214
Buch III. Kap. 3. VI.
des Coneils minder entsprechend und vorbehaltsvoll, beanstandet
wurde — sich aufrichtig und demüthig unterwerfen.
Diese Erklärung nahm Cardinal d ' A i 1 1 y für die geforderte
bedingungslose Unterwerfung, und eröffnete ihm nun. dass ein
Ausschuss des Coneils von gegen 60 Doetoren aus Vollmacht des
Coneils entschieden habe: Hus solle 1 bekennen, in den Sätzen
die er bisher behauptet, geirrt zu haben: 2 diesen Sätzen für
alle Zukunft eidlich entsagen : 3) dieselben öffentlich widerrufen :
4 das Gregentheil dieser Sätze künftig annehmen.- behaupten und
verkündigen.
Da erwiederte Hus mit aller Ehrerbietung, er sei bereit dem
Concil Gehorsam zu leisten und sich weisen zu lassen : aber er
bitte um Gottes willen , man möge ihn nicht zwingen Sätze abzu-
schwören , die er niemals aufgestellt habe , die ihm — Gott sei
sein Zeuge — niemals in den Sinn gekommen seien, namentlich
den Satz , dass im heil. Abendmahl nach der Consekration das
Brod als Stoff noch bleibe. Sätze, welche er wirklich aufgestellt
habe, wolle er, wenn man ihn eines Besseren belehre, demüthig
widerrufen. Aber wenn er sämmtliche ihm Schuld gegebenen
Sätze, unter denen viele ihm mit Unrecht zugeschrieben worden,
abschwören sollte , so würde er eine Lüge begehen und sich die
ewige Verdammniss zuziehen : das gehe wider sein Gewissen !
Diese herzbewegende Aussprache, der man den Ernst des
Gewissens anfühlt, fand keine gute Statt. Man hatte für das An-
liegen des Gewissens eben so wenig Verständniss und Mitgefühl
als für die Zuversicht christlicher Frömmigkeit, welche, gegen-
über Papst oder Concil, an den Herrn Christum selbst appellirte.
Die meisten nahmen die Sache oberflächlich und dachten wie
Sigismund , der leichtfertig sagte : »Höre Hus. warum willst
du nicht alle irrthümlichen Sätze abschwören, von denen du be-
hauptest, dass die Zeugen sie wahrheitswidrig dir beigelegt
haben ? Ich wollte doch alle Irrthümer abschwören : daran) DM186
ich doch nicht irgend einen früher gehegt haben!. Und der Car-
dinal Franz von Za bare IIa. Erzbischof von Floren/., versprach
Hus eine wohl bemessene Abschwörungsformel vorzulegen; dann
möge er erwägen, was er thun wolle. Unversehens war man wie-
der mitten in der Streitunterredung drin, wobei der eine Mann
Drittes Verhör. 8». Juni 141*».
215
dem ganzen zahlreichen Concil gegenüber stand. Insbesondere
hielten ihm seine Gegner aus Böhmen diesen und jenen Vorgang
aus Prag vor : wogegen englische Mitglieder des Concils zur
Sprache brachten, dass Hus eine Urkunde der Universität Ox-
ford, welche ein rühmliches Zeugnis« für WicHf enthielt, in
einer Predigt vorgelesen und das Siegel vorgezeigt habe, was
Hu s allerdings bestätigte: er gab an. dass zwei Studenten die
Urkunde aus Oxford mitgebracht hätten 1 .
Als eine Pause eingetreten war. nahm Dr. Stephan Palet/,
das Wort, um zu betheuern. dass er bei der Anklage wider Hus
nicht aus fanatischem Eifer oder persönlichem Hass gehandelt
habe, sondern nur um seinem Doctoreide nachzukommen: offen-
bar eine Aeusserung. welche sein eigenes Gewissen beschwich-
tigen sollte. Auch Michael de Causis schloss sich an dieses an.
H u s antwortete gelassen : »loh stelle mich vor Gottes Gericht :
er wird mich und Euch mit Gerechtigkeit, wie wir's verdienen,
richten ! «
Hierauf nahm der Erzbischof von Kiga. Johann von Wallen-
rod; den Gefangenen in Empfang und führte ihn in seine Ge-
fängnisszelle zurück. Beim Vorübergehen drückte ihm, noch im
Kefectorium. Johann von Chi um die Hand, und richtete tröstende
Worte an ihn. Wie wohl ihm dieses Zeichen treuer Liebe getban.
bezeugt Hus in einem Brief an seine Freunde in Oonstanz mit den
Worten Wie lieb war mir der Händedruck des Herrn Johann,
der sieh nicht gescheut hat mir Armen die Hand zu geben, einem
so \ erstossenen. gefesselten Ketzer, auf den alle hineingeschrieen
hatten 2 ! <
reberschauen wir den Gang aller drei Verhöre noch einmal,
so müssen wir. was Hus betrifft, zugestehen, dass die Limitation,
welche er bei einzelnen ihm vorgehaltenen Sätzen anbrachte,
nicht von entscheidendem Belange war. Somit hatte er keinen
Grund, die Anerkennung derartiger Sätze als der seinigen zu
verweigern. Allein die Mehrzahl der ihm Schuld gegebenen
1 Mladenowitz bei Palacky, Docutp. 313. Vgl. über die Urkunde
selbst und die Frage ihrer Aechtheit oben Buch III. Kap. 2. S. 69 folg.
2 a. a. O. 110.
2tB
Buch III. Kap. 3. VI.
Punkte war wirklich der Art. dass er sie entweder mit vollem
Recht ablehnen oder, falls sie die seinen waren, sie als berechtigt
und in Wahrheit gegründet behaupten konnte. Ersteres war der
Fall mit seiner angeblichen Opposition gegen die Lehre von der
Wandlung, letzteres mit seiner Appellation an Christum und
mit dem Satz, dass Christus allein, nicht Petrus, das Haupt der
Kirche sei.
Das Concil aber hat in Sachen Hus ens ganz und gar nicht
sachgemäße, unparteiisch und gerecht gehandelt. Das endgültige
Urtheil stand schon vor dem Beginn des ersten öffentlichen Ver-
hörs fest, und die Vernehmung des Angeschuldigten war mehr
nur Schein. Seine Verantwortung redlich zu prüfen, zeigte sich
irgend eine Geneigtheit auf keiner Seite. Nicht einmal in unter-
geordneten Punkten Hess man seine Rechtfertigung gelten, weder
sachlich noch persönlich. Von Unbefangenheit und wirklichem
Uechtsgefühl bemerken wir nicht eine Spur.
Nach dem letzten Verhör war die Verurtheilung des H u s
zum Feuertode für das Concil sowohl als für ihn selbst zweifellos
zumal König Sigismund nach seiner Abführung aus dem dritten
Verhör sich über seine Strafbarkeit unumwunden ausgesprochen,
ja vor der Annahme eines etwaigen Widerrufs gewarnt hatte :
er machte kein Hehl daraus, dass politische Rücksichten für ihn
dabei maassgebend seien : er hoffte . das Strafgericht an H n s
würde die Neigung zu Irrlehren in Böhmen und sonst zu dämpfen
imStande sein 1 . Hus selbst gab sich keiner Täuschung mehr
hin. Seine Briefe bezeugen unverkennbar, dass er seiner Ver-
urtheilung und Hinrichtung gewärtig war - : trägt doch sein Briet-
weehsel von da an den Stempel des Abschieds und eines letzten
Willens an sieh. Dass man ihn dessen ungeachtet noch ganze
1 Wochen im Kerker Hess, hatte seinen Grund unstreitig in den
Bemühungen, ihn doch noch zum Widerruf zu bewegen. Man legte
ihm eine Widernifßformel vor, welche doch eroigermaassen darauf
berechnet war. seinen geäusserten Bedenken gerecht zu werden.
I Mladenowitz a. a. (). M l folg.
2) Scriptum in rineutü, in expectat ion r rotnhustinms. schlii'sst ein
Hillet an Mag. Ohristann von Prachatitz. a. a. (>. 129.
Aussichten für Hus.
217
Allein Hus erklärte, dass er auch in dieser Fassung; den Wider-
ruf zu leisten. Gewissens halber sieh weigern müsse: denn er
würde hiemit doeli 1 viele Wahrheiten verwerfen. 2 einen Mein-
eid begehen (durch das indirekte Bekenntniss. Irrthtimer gehegt
zu haben, die ihm ferne gelegen seien . 3 vielen frommen Seelen
einen Anst* »ss geben. Das unbekannte Ooncilsmitglied. welches
in dieser Angelegenheit schriftlich mit Hus verhandelte, gab sich
zwar redlieh Mühe, ihn zur Annahme der Formel zu bestimmen,
aber freilich nicht ohne die acht römische Hinweisung darauf,
dass die etwaige Schuld nicht auf seinem, sondern auf seiner
Oberen Gewissen lasten würde, ein Gedanke, auf den sich Hus
schlechterdings nicht einlies» 1 . Und das war auch in der That
die innerste und gewichtigste Frage, bei welcher es sich ent-
scheiden musste. ob Hus der Mann sei oder nicht, die evan-
gelische Wahrheit zu vertreten. Entweder das eigene Gewissen
fremdem Gewissen unterordnen, sei dies- auch das der Gesammt-
kirche in ihrer Vertretung durch ein Concil . oder dem eigenen
Gewissen unbedingt und schlechthin folgen. — das war jetzt die
Frage für Hus. wie später für Luther in Augsburg vor Cajetan.
in Worms vor Kaiser und Reichstag, wie für die evangelischen
Keichsstände in Speier 1529. wie neuestens für Bischöfe. Priester
und Gemeindeglieder der römischen Kirche angesichts des Dogma
von dem unfehlbaren Lehramt des Papstes. Und das ist das
Grosse an Hus. dass er. bei aller Demuth und Kindlichkeit, bei
allem Mistrauen gegen sich selbst, doch sich nicht imponiren liess
durch die Einmüthigkeit eines grossen Concils. sammt all' der
Fülle von Geist. Gelehrsamkeit und kirchlicher Auktorität. die
es in sich schloss . dass er lieber die Schmach, für einen hart-
näckigen Ketzer zu gelten, ja selbst den Feuertod auf sich nahm,
als die Befleckung seines Gewissens durch einen Widerruf, der
wider die Wahrheit ging.
1) s. die Briefe Nr. 74 — 77, bei Palackv . Dorwn. 121 — J 24. Der
Prälat, welcher diese Briefe mit Hus wechselte, ist nicht, wie von der
Hardt. IV, 329 und andegre meinen, der Cardinalbischof von Ostia. Johann
von Brogni, damals Präsident des Concils. sondern irgend ein anderer, viel-
leicht ein Ordensprälat: vgl. Lexfaxt. Histoire du Conci/e de Cnnstattc-
1714. 40. S. 231 folg. Hefei-E. Conciliengesch. VII. 1. lsf,9. S. 1S4 folg.
21$
Buch III. Kap. 3. VI.
Man gab sich alle erdenkliche Mühe, bei wiederholten Be-
suchen . die man ihm in seinem Gelangniss machte , seine Be-
denken zu widerlegen und sein Gewissen zu beschwichtigen.
Man stellte ihm vor. es sei in der That sittlich unbedenklich, ja
es sei Pflicht und sogar verdienstlich . sich der Entscheidung
der heiligen Kirche zu unterwerfen, gesetzt auch man sei in der
That schuldlos 1 . Ein Engländer wies ihn ausdrücklich darauf
hin. dass in seiner Heimath alle Doctoren, welche im Verdacht
wiclifitischer Ansichten gestanden seien, einer nach dem andern
sich zum Widerruf verstanden hätten2 . Allein Hu s erwiederte
regelmässig : »Versetze dich doch in meine Lage ! was würdest du
rhun. wenn du überzeugt wärest, einen gewissen Irrthum niemals
gehegt zu haben, und man würde dir zumuthen. ihn abzuschwö-
ren?*' Dann hatte keiner den Muth, kurz und gut zu antwor-
ten : -Ich würde dessen ungeachtet abschwören! < Selbst Stephan
Paletz. einer seiner erklärtesten Gegner und Ankläger, wurde
bis zu Thränen gerührt, als Hus ihn sogar um Verzeihung bat,
wenn er ein Wort des Vorwurfs gegen ihn gebraucht habe, und
ihm an's Herz redete - . Freilich in der Sache wurde dadurch
nichts geändert.
Die persönliche Herzensstellung von Hus. wie sie aus seinen
Briefen seit dem letzten Verhör vom 8. Juni zu ersehen ist. kann
jedes unbefangene Christengemüth nur für ihn stimmen. Man
muss ihn wahrhaft hoch achten und lieb gewinnen. Seinen per-
sönlichen Widersachern. Anklägern u. s. w. verzeiht er. ja er
bittet sie um Verzeihung und bittet für sie in seinem Gebet4 .
Wer so acht christliche Fein des liebe zu üben vermag, der be-
1 Am lehrreichsten in dieser Beziehung ist Husens Mittheilung im
M. Brief bei P ALACK Y, Docum. 135 folg., vgl. Nr. 61. S. 102 folg.
2 Vgl. a. a. O. S. 136.
:< Vgl. Nr. 82. u. S4. a. a. 0. I2<>. VMS.
4 So namentlich für Michael de Causis, welcher weniger Her/ zeigte,
als Paletz, und mit gefühlloser Feindseligkeit, ja mit triumphirender
Freude an Husens Verderben arbeitete. Gerade deshalb sagt Hus von
ihm: »der arme Mann!" a. a. Ü. I2i>. Im Hinblick auf Jugendfreunde, die
jetzt seine Todfeinde geworden , sagt er im Schreiben an die Universität
Prag If/noscat Ulis Dem omnipotens, quin uesciunt, quid J'aciunt; pro qui-
bt44 xinvero cordc oro. ut parrat Ulis. Kp. 87. S. 142.
Die letzten Briefe von Hus.
219
thätigt sicher auch eine herzliche Liebe gegen seine Freunde.
Vorzüglich Leuchtet Hus 'ens tiefgefühlte Dankbarkeit aus allen
diesen Brieten hervor für alle Liebe und Treue, die man ihm er-
zeigt hatte, namentlich für die mannhafte, wahrhaft ritterliche
Beständigkeit und sittliche Tapferkeit der Herren und Freunde,
die ihn nach Constanz begleitet hatten und die hier, bei aller
Schmach und Gefahr, in welcher Hus sieh befand, unverrückt zu
ihm standen. In Briefen an Johann von Chi um allein, oder an
ihn und Wenzel von D u b a . in mehreren Schreiben an seine
Freunde in der Heimath, strömt sein Herz über von Dank und
Segenswünschen für jene Manner . und von Ermahnungen . sie
hoch zu halten und ihnen ja nichts geschehen zu lassen. Da-
gegen geht es ihm nahe, dass Paletz einmal, bei einer Be-
sprechung im Gefängniss. angesichts der Commissare des Concils,
über alle diejenigen, welche einst in Prag Hus ens Predigten ge-
hört hatten, das Urtheil fällte, sie seien im Irrthum begriffen 1 .
In alle dem aber steht ihm nicht das persönliche Interesse, seinet-
halben oder seiner Freunde wegen, im Vordergrund, sondern die
Ehre Christi und seine Wahrheit, und eben damit das unver-
letzte Gewissen und ewige Heil für sich und die Seinen. Daher
die herzandringenden seelsorgerliehen Vermahnungen zu reinem
Wandel in den Geboten Gottes und der Nachfolge Christi, zu
unverrücktem Festhalten an «Gottes Gesetz«, und zum Bleiben im
Dienste Christi, der ein liebevoller Herr sei und den Seinen über
Bitten und Verstehen vergelte.
lieber das Coneil freilich lauten seine Aeusserungen . seit
dem letzten Verhör, wo die Hoffnung auf ein gerechtes Verfahren
völlig geschwunden war. lütter und absprechend. Er klagt über
Simonie und Geiz. Hoehmuth und Heuchelei des Concils. Unfehl-
bar sei dasselbe wahrlich nicht: habe es doch vor allem in Papst
Johann XXIII. sich geirrt: dem habe es mit Kniebeugung seine
Verehrung bezeugt und ihn als den allerheiligsten betitelt ;
schliesslich habe es denselben als einen Mörder. Knabenschänder,
Simonisten und Häretiker verurtheilt und abgesetzt - . Und diese
! a. a. O. m.
2 Briefe Nr. 7*. u. $3. S. 125. 134 folg.
220
Buch III. Kap. 3 . VI.
Thatsache habe eine Tragweite» welche weit über jede persönliche
Frage hinausreicht : wo sei nun die Doktrin geblieben, dass der
Papst das Haupt und das Herz der Kirche sei. die unversiegbare
Quelle aller Auktorität und geistlichen Vollmacht? Jetzt sei die
glaubige Christenheit ohne einen Papst, habe nur Jesum Christum
zu ihrem Haupt und Herz und zur Quelle aller Geistesgaben und
Gnaden1). Auch seine, des Hu s, Schriften anlangend habe das
Concil augenscheinlich mehrfach geirrt, indem es Sätze aus den-
selben unrichtig ausgezogen, verkürzt und sonst entstellt oder mit
Unrecht verworfen habe. Hus sieht in all' dieser intellektuellen
und sittlichen Verkehrtheit die arge List und Bosheit des Anti-
christs und den »Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte« 2 .
Aber weit entfernt, in Folge dieser apokalyptischen Anschauung
der Sachlage verzagt zu werden, fordert er seine Freunde auf nur
muthig fortzufahren : er meint, die Väter des Concils werden
auseinanderflattern wie Schmetterlinge, und wenn der Winter
kommt, einsehen, was sie im Sommer gemacht haben: was sie
beschlossen haben, werde so dauerhaft sein wie Spinnweben.
Dagegen hat er die Zuversicht. Gott werde stärkere Männer, als
er sei. geben, welche die Bosheit des Widerchrists besser an den
Tag bringen und für die Wahrheit des Herrn Jesu Christi ihr
Leben hingeben werden ;' .
Das sind weissagende Blicke und Zukunftsahnungen ge-
wesen . welche durch den Erfolg zum Theil rasch in Erfüllung
gingen. Was das Constanzer Concil an Hus selbst begangen,
fand seine Vergeltung in den Hussitenkriegen, und wurde schon
durch das Basler Concil. so gut es noch möglich war. wieder gut
gemacht. Die Reformbemühungen des Constanzer Concils wurden
ganz zu Wasser. Und die stärkeren Kämpfer wider den Anti-
christ brachte das XVI. Jahrhundert.
Für seine eigene Person aber hoffte Uns einzig und allein
auf Gottes Gnade und Beistand. Wenn er nach dem ersten Ver-
1 a. a. O. 125.
2 In einem tschechisch geschriebenen Briete, laut der lat. Ueberaetzung
l'rofecto jatn malitia, nequitin HC titrpitudo Antichrist i in jmjni afiisoxc <•"//-
eilii participibUB jKitcfacta est etc. a. a. O. 135.
:* a. a. (). 134 folg. 139.
Husens Stimmung nach den drei Verhören.
221
iiür seinen Freunden Bericht erstattete und der Meinung war, es
halte ihm nicht an Muth und Freudigkeit gefehlt, so sieht er darin
eine Gnadengabe des allmächtigen Gottes 1 . Und beim Gedanken
an das was ihm noch bevorstehe, getraut er sieh nicht mit Petrus
zu sagen: »ich werde mich nimmermehr an Christo ärgern«: doch
hofft er zu Christo Jesu, bei der Wahrheit zu beharren bis an den
Töd2 . Er ist wohl willig im Geist, alter vergisst auch nicht:
das Fleisch ist schwach« ; und da dient es ihm recht zum Tröste,
dass selbst der Erlöser in seiner letzten Nacht gesprochen hat:
»meine Seele ist betrübt bis an den Tod.!« Wenn er am Gestade
des gegenwärtigen Lebens stehend«, in der Aussicht auf eine
grauenhafte Todesart, dennoch der Krone des Lebens entgegen-
sieht, so thut er dies nie in blindem Selbstvertrauen, sondern stets
in demttthigem Hoffen, dass der erbarmungsreiche Gott, der ihm
bisher beigestanden, ihn in seiner Gnade erhalten werde bis zum
Tod. dass der Herr Christus nach seinem Erbarmen ihn bei seinem
bisherigen Vorhaben festhalten werde :5 . Zu diesem Behuf ersucht
er alle Freunde zu Constanz und in der Heimath um ihre Für-
bitte 1 . Ja auch auf die Fürbitte der Heiligen im Himmel hofft
er: denn in diesem Stücke weicht Hus von dem Gemeinglauben
der Kirche seiner Zeit nicht ab5 . Aber man sieht ihm ins Herz
hinein, wenn in demselben Schreiben an seine Freunde in Con-
stanz. worin er der Fürbitte des Täufers Johannes sich getröstet,
die Betrachtung über das Leiden in der Nachfolge Jesu auf ein-
mal übergeht in das innige Gebet, welches wörtlich wiedergegeben
zu werden verdient:
o frommer Herr Christus! ziehe uns schwache dir nach,
denn wenn du uns nicht ziehest, so können wir dir nicht folgen:
gib einen starken (-eist, der willig sei: und wenn das Fleisch
1 a. a. O. 104. Ep. 6tf.
2 a. a. O. 103. Ep. 62.
3 Ep. 85. S. 140; Ep. 84. S. 137.
4 Ep. 73. S. 120. Ep. ST. S. 143. Ep. »1. 8. 14S.
5 Am Vortag des Festes Johannis des Täufers, 23. Juni, schliesst er
einen Briet' mit der Erinnerung daran, dass Johannes, weil er die Schlech-
tigkeit gerügt, im Gefängniss enthauptet worden, und fährt fort : qui digxe-
tur orare pro nobis dominum Jesum Chris'nm. Amen.
-222
Buch III. Kap. :i. VI
schwach ist. so lass deine Gnade vorangehen, begleiten und fol-
gen: denn ohne dich können wir nichts tliun. am wenigsten uni
deinetwillen in einen grausamen Tod gehen. Gib willigen Geist,
ein unerschrockenes Herz, rechten Glauben, festes Hoffen, voll-
kommene Liebe , dass wir um deinetwillen geduldig und mit
Freuden unser Leben dran geben! Amen." 1 .
Dieses Gebet und alle die Fürbitten der Freunde haben Er-
hörung gefunden. Bei den erschütternden Scenen der letzten
Tage, zumal bei der öffentlichen Verurtheilung und Degradation,
und zuletzt auf dem Scheiterhaufen ist das feste Gottvertrauen,
die unverrückte Treue, die gelassene Würde und die siegreiche
Christengeduld des Mannes herrlich an den Tag getreten. —
Am 1. Juli schrieb Hus eine Erklärung für das Concil nie-
der, worin er so weit als möglich demselben entgegenkam 2 . In
Folge dessen machte man am 5. Juli einen letzten gütlichen Ver-
such : vier Bischöfe im Namen des Concils, und die Herren Wen-
zel von Duba und Johann von Ohlum aus Auftrag König Sigis-
munde, begaben sich in das Franziskanerkloster, um Hus noch
einmal zu fragen, ob er an den oft erwähnten Sätzen aus seinen
Büchern festzuhalten oder sie zu widerrufen gewillt sei. Johann
von Chlum sprach wie ein Ehrenmann, indem er Hus bat. falls
er sich in irgend einem der Punkte, die man ihm vorwerfe, schul-
dig fühle, doch ohne Scheu zu widerrufen, wenn er sich aber nicht
schuldig wisse, nur ja nicht wider sein Gewissen zu handeln,
sondern auf der erkannten Wahrheit bis an den Tod zu bestehen.
Darauf wiederholte Hus die schon oft abgegebene Erklärung,
dass er gern widerrufen wolle, wenn man ihn eines Irrthums
überweise; man möge ihn nur durch bessere Sehriftbeweise. als
seine eigenen, widerlegen, dann werde er sofort widerrufen. Da
er im Wesentlichen dieselbe Erklärung auch gegen einen der ab-
gesandten Bischöfe wiederholte, so war der Versuch zur (Mite
auskragen.
Sonnabend den »>. Juli sehritt man in feierlicher öffentlicher
Plenarsitzung des Concils der löten . im Dom zu Constanz, unter
r Kp. 82. s. m.
2) Mansi, Conri/iortnn novo et ampUss. coHectio. Vol XXVII, TH4.
Hus verurtheilt, H.Juli 1 4 1 "> . 223
dem Vorsitz des Cardinalbisehofs von Ostia. Johann von Brogni,
im Beisein des Königs Sigismund, zur Fällung des Urtheils Uber
i 1 n s . das sofort auch vollzogen wurde. Der Bischof von Lodi
hielt eine kurze Predigt über die Pflicht jede Kotzerei in der
Kirche auszurotten, während Hus vor einem Gertiste kniete und
betete . auf welchem ein Holzstock mit dem Messornat behängt
war. Als die Sache von Hus an die Reihe kam. wurde ein Be-
rieht über seinen Process von Anbeginn an verlesen. Man kam
an die aus seinen Schriften ausgezogenen Sätze 1 . Hier erhob
Hus gleich gegen den ersten Einsprache und wollte seinen Satz,
richtig limitiren. Allein man entzog ihm das Wort. Er bat um
Gottes willen . man möge ihm Gehör geben . damit nur die Zu-
hörer nicht glauben, er habe Irrlehren vorgetragen. Als man ihm
dessen ungeachtet Stillschweigen auterlegte, fiel er auf die Knie
und hob die gefalteten Hände stille gen Himmel. Wiederholt ver-
suchte er sich zu rechtfertigen, aber vergebens. Mit lebhafter
Entrüstung widersprach er. als ihm wovon bisher keine Kede
gewesen war vorgeworfen wurde . er habe sich für die vierte
Person in der Gottheit ausgegeben 2 ! Bei Erwähnung des Um-
standes. dass er an Christum appellirt habe, was ihm als verdam-
menswerther Irrthum ausgelegt wurde, antwortete er mit feuri-
gem Eifer: »Herr Gott! siehe, nun verdammt dies Concil gar dein
Thun und Gesetz als einen Irrthum . da du doch selbst deine
Sache deinem Vater als dem gerechten Richter anheimgestellt
hast, uns zum Vorbild, wenn wir schwer bedrängt werden!«
Auch den Umstand erwähnte er nochmals öffentlich und laut,
dass er sich von freien Stücken vor dem Concil gestellt habe, im
Besitz eines Geleitbriefes von dem hier gegenwärtigen König, um
Rechenschaft al »zulegen von seinem Glauben.
Nun wurde das Strafurtheil der Synode über seine Schriften
und seine Person durch einen italienischen Bischof verkündigt.
Auch hiebei erhob Hus gegen einzelne Punkte laute Einsprache:
1 Vgl. die Erörterung Hefele's über die am (i. Juli zur Sprache ge-
kommenen Sätze, Conciliengesch. VII, 1. 194 folg. 204 folg.
2 Dass dies auf feindseliger Consequenzenmacherei beruhte, gesteht
Hefele, Conciliengesch. VII. 1. 199. 151 folg. Anm. 4. bereitwillig zu.
224
Buch III. Kap. 3. VI.
z. ß. da seine sämmtlichen Bücher, weil sie der Ketzerei ver-
dächtig seien . zur Verbrennung verurtheilt wurden . protestirte
er: man liabe nicht ein Wort in seinen Büchern des Irrthums
überwiesen, und seine tschechischen Bücher habe das Concil
nicht einmal gesehen! Als er selbst für einen hartnäckigen
Ketzer erklärt wurde, widersprach er erst laut: niemals sei er
hartnäckig gewesen u. s. w.; dann fiel er auf die Knie und be-
tete still, mit dem Blick nach oben: endlich betete er laut um
Vergebung für alle seine Feinde, falsche Zeugen u. s. w. Bei
diesem ergreifenden Gebet wussten viele Kirchenfürsten nichts
Besseres zu thun als Blicke des Unwillens auf Hus zu werfen
• •der ihn auszulachen!
Das l'rtheil war gesprochen und öffentlich verkündigt. Die
Vollziehung folgte auf der Stelle. Hus musste das Gerüste be-
treten . und wurde mit dem vollen Ornat eines Messpriesters be-
kleidet, um sofort feierlich entkleidet und des Priesterthums ent-
setzt zu werden. Zuvor wurde aber noch eine Aufforderung zum
Widerruf an ihn gerichtet. Diese beantwortete er mit einer herz-
bewegenden Ansprache an die versammelte Gemeinde, des In-
halts, er könne Gewissens halber nicht widerrufen, um nicht
angesichts Gottes ein Lügner zu werden . gegen Gottes Wahrheit
zu Verstössen, endlich allen, denen er gepredigt, und anderen
treuen Predigern des Wortes Gottes ein Aergerniss zu geben.
Man schritt sofort zu seiner Entkleidung und Degradation als
Priester, unter den herkömmlichen Verwünschungen bei jedem
einzelnen Theil dieses furchtbaren Aktes, worauf Hus antwor-
tete . er lasse sich diese Lästerungen demüthig und willig gefal-
len, um unseres Herrn .Jesu Christi willen. Nachdem ihm endlich
auch die Tonsur vernichtet worden war. lautete der Spruch : Nun
hat die Kirche alle kirchlichen Rechte von ihm genommen, sie
hat nichts weiter zu thun. Er werde dem weltlichen Arm über-
gebend Dann sagten sie: »Deine Seele geben wir dem Teufel
anheim!« Hus aber schlug die Hände zusammen und erwiederte
mit einem Blick zum Himmel: »Und ich gebe sie dem frommen
Herrn Jesu Christo anheim!« Nun setzten sie ihm eine ellenhohe
l'apiermütze auf, mit der Umschrift: hic est ltaeresiareha . und
einem Bild , worauf drei Teufel um eine Seele streiten und an ihr
Hus verbrannt »i. Juli 141ö.
zerren. Hus sagte darauf: »Mein Herr Jesus hat eine viel här-
tere Dornenkrone um meinetwillen zum schmählichsten Tode ge-
tragen . da will ich armer Sünder diese viel leichtere, aber fluch-
volle demüthig tragen um seines Namens und seiner Wahrheit
willen!« Die vielen kurzen Aeusserungen von Hus bei dieser
öffentlichen Schlussverhandlung sind meist so treffend, so muth-
voll. demüthig und fromm, dass an ihm in der That die Ver-
heissung erfüllt ist : Es soll euch zu der Stunde gegeben werden,
was ihr reden sollt Matth. 10, 19,1).
Auf des Königs Befehl nahm Pfalzgraf Ludwig den Verur-
theilten an eich . und übergab ihn dem Magistrate der Stadt zur
Hinrichtung durch s Feuer. Das Concil fuhr ruhig in seiner Tages-
ordnung fort. Hus aber wurde aus der Kirche geführt. Auf dem
Kirchhof vor dem Dom war man eben daran seine Bücher zu ver-
brennen. Er lächelte nur . sagte aber den Umstehenden, sie mö-
gen nur nicht glauben . dass er wirklich wregen Irrlehren sterben
müsse Diese seien ihm mit Unrecht Schuld gegeben worden von
persönlichen Feinden und falschen Zeugen.
Der Richtplatz befand sich zwischen Stadtmauer und Graben,
auf dem »Brühl« . einer Wiese . nach dem Schlosse Gottlieben zu
gelegen. Dort angekommen, kniete Hus nieder, und betete laut,
mit heiterer Miene: »Erbarme dich mein, oGott! Auf dich hab'
ich gehoffet. Herr! In deine Hände befehle ich meinen Geist!«
u. drgl. Als ihm zugerufen wurde , er solle aufstehen, erhob er
sieh, und sprach laut und vernehmlich: «Herr Jesu Christe. die-
sen grauenhaften schmachvollen Tod will ich von wegen deines
Evangeliums und der Predigt deines Wortes demüthig und ge-
duldig ausstehen!« Hierauf entkleideten ihn die Henker und
banden seine Hände rückwärts mit Stricken und seinen Hals mit
einer Kette an eine starke, in den Grund gespiesste Diele : seine
Füsse standen auf einem Holzbündel, und rings um ihn her wurde
Holz mit Stroh untermischt bis zur Kinnhöhe aufgeschichtet.
I) Hus hatte an diese Verheissung geglaubt,, als er, noch in seinem
ersten Kerker, an Chlum schrieb: Vos etiam — adsitis et audiatis , quid
dominus Jesus Christus — meus procurator et advocatus et Judex gratiosis-
simus, dabit in os meum etc. Ep. 49, bei. Palacky , Docum. 88.
Lechler, Wiclif. II. 15
226
Buch III. Kap. 3. VI.
Die Vorbereitungen waren beendigt. Ebe nun das Feuer
angezündet wurde, richtete der Reichsmarschall von Pappenheini
nebst dem Pfalzgrafen Ludwig noch einmal die Ermahnuni; an
Hus, er möge doch sein Leben retten durch Widerruf dessen,
was er einst gepredigt und behauptet habe. Da antwortete er.
den Blick zum Himmel gerichtet , mit lauter Stimme : »Gott ist
mein Zeuge, dass ich dasjenige, was mir falsche Zeugen Schuld
gaben, niemals gelehrt und gepredigt habe : vielmehr war meine
Hauptabsicht bei meiner Predigt und allen anderen Handlungen
und Schriften nur darauf gerichtet , die Menschen von der Sünde
zu bekehren. Und in der Wahrheit des Evangeliums, welche ich
geschrieben, gelehrt und gepredigt habe, will ich heute mit Freu-
den sterben!« Da schlugen die Herren die Hände zusammen und
traten zurück. Nun zündeten die Henker den Holzstoss an. Der
Magister aber fing an mit heller Stimme zu singen : »Christe, du
Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich unser! Christe. du
Sohn des lebendigen Gottes , erbarme dich mein ! « Als er] aber
weiter sang : »der du geboren bist aus Maria der Jungfrau«, da
schlug ihm die Flamme in's Gesicht , so dass man nur noch die
Lippen und sein Haupt sich bewegen sah ; nach kurzer Qual war
er lautlos verschieden. —
Die Henkersknechte thatendas ihrige, damit der entseelte Leib
völlig eingeäschert würde und auch nichts von seinen Gebeinen
übrig bliebe. Selbst die Kleidungsstücke, welche man ihm vor der
Hinrichtung abgenommen hatte , wurden auf Befehl des Reichs-
marsehalls, der den Henkern eine Entschädigung dafür ver-
sprach, ins Feuer geworfen; nur damit die Böhmen nichts von
ihm mehr finden und mitnehmen könnten, was sie vielleicht spä-
ter als Reliquie eines Märtyrers verehren möchten. Eben deshalb
wurde schliesslich alle zurückgebliebene Asche sorgfältig gesam-
melt, selbst die Erde von der Richtstätte ziemlich tief ausgehoben,
auf einen Karren geladen, nachdem unweit des Platzes vorbei-
fliessenden Rhein gefahren und ins Wasser geschüttet. —
Hus war der vereinigten geistlichen Auktorität und welt-
lichen Macht unterlegen. Aber weder das ökumenische Concil.
welches eine Vertretung und Cnncentration der gesummten abend
ländischen Christenheit war. noch die Schrecken des Feuertod«
Die Todesstrafe wegen Ketzerei.
227
hatten ihn zu beugen oder zubrechen, innerlich zu überwinden
vermocht. Em Erliegen siegen, das war sein Loos. Die unUber-
windliche Macht des Gewissens, die überlegene Stärke des im
(Hauben an den gekreuzigten Heiland wurzelnden Charakters ist
selten so rein und leuchtend, so gewinnend und erschütternd vor
aller Welt an den Tag getreten, wie in Hus. Daher die tiefe,
welthistorische Wirkung, welche seine Gewissenstreue und Cha-
rakterstarke Jahrhunderte hindurch geübt hat. —
In Betreff der Rechtsfrage sind noch zwei Punkte zu be-
leuchten: die über Hus verhängte Tode s strafe wegen Ketze-
rei, und das von König Sigismund gewährte freie Geleite.
Was die Todesstrafe für Hus als angeblichen Häretiker
betrifft, so ist kein Zweifel, dass dieselbe mit dem Richtmaass
nicht der Gegenwart , sondern seinerzeit zumessen und nach
oem damaligen Recht und den Rechtsbegriffen seiner Zeit zu
beurtheilen ist. Und nach letzterem Maasstab, wie ihn Hus
selbst nicht nur kennt, sondern auch vollständig anerkennt, stand
es fest, dass einen der Irrlehre überwiesenen und darin hart-
näckig beharrenden Mann die Todesstrafe mit Fug und Recht
treffe *). Die Frage ist nur, ob Hus wirklich einer Irrlehre über-
wiesen worden ist? Und wir antworten entschieden : nein! Die
nach damaligen Begriffen gravireudste Anklage, als ob Hus.
nach W i c 1 i f ' s Vorgang , die Lehre von der Wandlung bestrit-
ten hätte, war faktisch nicht erwiesen worden und konnte nicht
erwiesen werden. Seine persönliche Verehrung vor Wiclif war
nicht dazu angethan, als Beweis der Ketzerei zu gelten. Sein
ß
1 In einem öffentlichen Anschlag vom 30. August 14J4 in tschechi-
scher Sprache sagte er. laut der lateinischen Uebersetzung bei Palacky,
Documenta, 69: Quodsi ullius hacresis convictus ero, non recuso haere-
tici pönas dare. Vgl. Docum. 07: Quodsi in quo errore vel haeresi de-
prehendar, non recuso quin ut errans, ut haereticus , pönas dem. Und in
einem lateinischen Anschlag vom 26. August erklärte er sich bereit zur Ver-
antwortung gegen jedermann; nur möchten diejenigen, welche ihn hart-
näckiger Irrlehre zu beschuldigen gedächten, sich darauf gefasst machen,
falls sie den Beweis wider ihn zu führen nicht im Stande sein sollten,
ihrerseits die Strafe der Wiedervergeltung auf sich zu nehmen, d. h. mit
dem Tode bestraft zu werden, a. a. 0. (5*>.
15*
228
Buch III. Kap. 3. VI.
Kirchenbegriff und was daraus im Einzelnen sich ergeben mochte,
konnte theils um deswillen nicht für häretisch erklärt werden,
weil er auf Augustin beruhte , theils weil ein kirchlich sanktio-
nirtes Lehrstück von der Kirche damals überhaupt noch nicht
existirte. Somit bleibt nichts übrig als die Thatsache, dass Hus
eine Besserung des kirchlichen Wesens nicht, wie das Concil,
durch die kirchliche A u k t o r i t ä t herbeiführen wollte, vielmehr
sich auf die Schrift und auf sein Gewissen stützte. Dass aber
diese Gesinnung nach damaligem Recht eine todeswürdige Ketze-
rei gewesen sei, lässt sich sicher nicht erweisen1; . Und das Con-
cil zu Constanz hatte um so weniger das moralische Recht zu
solchem Urtheil, als es fast in einem Athem über offenbar un-
sittliche und rechtswidrige Grundsätze wie die Jean Petit' s von
der Zulässigkeit , ja Pflichtmässigkeit des Tyrannenmords von
Seiten der Unterthanen mit wohl überlegter Schonung und diplo-
matischer Vorsicht geurtheilt hat 2) .
Zum andern ein Wort über das sichere Geleite, wel-
ches König Sigismund dem Magister Johannes Hus gewährt
hatte. Ueber diese Angelegenheit ist neuestens mehr Licht ver-
breitet worden 3) . Früher hat man fast ausschliesslich nur an den
Geleits b rief gedacht, welchen Hus allerdings erst in Constanz
1) Die Rechtfertigung des Concils und seines Verfahrens wider
Hus, welche Hefele, Conciliengesch. VII, 1. 210 folg. versucht hat,
kommt einestheils auf eine blosse Entschuldigung der Väter des Con-
cils hinaus, anderntheils auf die Anschuldigung wider Hus, dass er
mit seinem Schriftprinzip und dem Prinzip der Subjektivität (> ein »wahrer
^»rläufer des Protestantismus« gewesen sei.
2 Das Urtheil des Concils wurde in derselben Sitzung, wo auch
Hus verurtheilt worden war, und während dieser zum Scheiterhaufen ge-
führt wurde, am (>. Juli 1415 gefällt, aber absichtlich, ohne Petit selbst
zu nennen, s. von der Hardt, Ti IV, 439 folg., vgl. Hefele a. a. O. 181.
Mit gutem Grunde hat Gerson in einer Predigt über das Gebot: »Du
sollst nicht tödten«, vor dem Concil am 1*. October 1415 erinnert, dass
man Sätze Wiclif's, welche weit weniger anstössig seien, z. B. das Volk
könne seine Gebieter , wenn sie lasterhaft seien , zurechtweisen , verdammt
habe, während Petit dem Unterthan sogar erlaube, seinen tyrannische
Herrscher zu tödten u. s. w. Vgl. Schwab, Joh. Gerson, 009 folg. bes. t\Tl.
3 Durch Wilhelm Rercjkr, Johannes Hus und König Sigmund, Augs-
burg 1 ST I .
Das freie Geleite und König Sigismund.
am 5. November 1414 in die Hand bekommen hat : und davon
allein spricht er selbst , wenn er wiederholt betont , er habe sine
sähe conductu die Reise zum Concil gemacht 1 . Allein es ist zu
unterscheiden zwischen »lebendigem« und »todtem Geleite«. Und
die böhmischen Barone, welche im ausdrücklichen Auftrag des
Königs den Magister von Prag nach Constanz begleiteten, um ihn
im Nothfall zu beschützen, bildeten das »lebendige Geleite«
für ihn. Schon damit allein war das königliche Wort zum Schutze
seiner Person gegen Unbill und Gewalt verpfändet. Ferner ist
zu unterscheiden zwischen politischem und gerichtlichem Geleite.
Dasjenige Geleite, welches König Sigismund dem Hu s gewährte,
hat . kraft des Wortlauts der betreffenden Urkunde , vergli-
chen mit ähnlichen Geleitsbriefen aus dem XIV — XVI. Jahrhun-
dert . allerdings nicht die Bedeutung eines gerichtlichen (proces-
sualischen . sondern eines politischen Geleites; mit andern Wor-
ten, es schützte H u s nicht gegen eventuelle Verurtheilung und —
Hinrichtung als Ketzer2 . So hat Hus selbst, so haben auch seine
Freunde, die böhmischen Herren, den Geleitsbrief aufgefasst.
Allein was geschah? Am 28. November wurde Hus, auf
Befehl des Papstes und der Cardinäle . vor einer Verurtheilung.
ja noch vor einem Verhör, eiligst in Haft genommen. Und das
war allerdings unvereinbar mit dem sicheren Geleite. König Si-
gismund selbst sah es im ersten Augenblick so an . und war über
dieses Verfahren geradezu entrüstet, als er am 24. December in
Constanz ankam : und es gab einige leidenschaftliche Scenen
zwischen ihm und den Cardinälen. Allein schliesslich opferte er
Hus 'ens Freiheit und seine eigene Ehre und des Reiches Würde
der Existenz des Concils. an welchem ihm alles gelegen war.
Nochmals: die Verhängung der Haft über Hus war ein Bruch
des vom König gewährten sicheren Geleites3 . Und indem Sigis-
I z. B. Ep. , bei Palacky, Documenta , S. 73 in der lat. Ueber-
setzung aus dem Tschechischen.
■1 Berger a. a. O. 105 folg. 177— 208. Vgl. Hefele a. a. 0. 220 ff.
:> Hefele a. a. O. 222 gesteht zu, dass die Verhaftung vor jeglichem
Verhör eine Geleitsverletzung gewesen wäre, '-wenn nicht Hus durch sein
eigenes Benehmen solche Maassregel nöthig gemacht hätte." Aber was hat
23(1
Buch III. Kap. 3. VI.
mund sich die Gefangenschaft des Magisters vom 1. Januar 1415
an gefallen Hess, hat er dem Concil gegenüber geradezu eine mo-
ralische Niederlage auf sich genommen 1 . Es hat ihm nichts ge-
holfen, dass das Concil in seiner 19ten Sitzung vom 23. September
1415 ein Dekret annahm über das freie Geleite , dahin gehend,
dass durch ein solches der competente kirchliche Richter nicht
gehindert werden dürfe, Untersuchung über den Betreffenden an-
zustellen und im Falle hartnäckiger Verweigerung des Widerrufs
ihn zu bestrafen. Denn dieses Dekret hatte keineswegs die Ab-
sicht, Sigismunde Ehre zu retten, vielmehr nur die Befugniss der
Kirche festzustellen, auch selbst in dem Fall mit dem Process
und eventuell mit Strafe vorzugehen . wenn dem Angeschuldigten
ein sicheres Geleite ertheilt worden sein sollte 2 . —
er denn gethan, wodurch diese Maassregel nöthig wurde? Hätte er einen
Fluchtversuch gemacht, so liesse sich eine Untersuchungshaft eher rechtfer-
tigen. Allein Hefele hält jene Angabe selbst für ein grundloses, von den
Gegnern verbreitetes Gerücht, a. a. O. To: Wohl aber erinnert er, Hus
habe, trotz des ausdrücklichen päpstlichen Verbots, in seiner Wohnung täg-
lich Messe gelesen und Anreden an Neugierige gehalten; s. ebendaselbst.
Hingegen S. 64 hat Hefele selbst erzählt, Johann XXIII. habe gestattet,
dass jedermann mit Hus ungehindert verkehren dürfte. Und was das Messe-
lesen betrifft, so besagen die von Hefele angezogenen Worte des Car-
dinalis von Keinstein, Docum. 80, ganz etwas anderes, nämlich im Gegen-
theil Suspension des Interdikts und Banns; was der Papst Hus hatte
untersagen lassen, war blos sein Erscheinen beim Hochamt. Somit lag in
der That keine Thatsache vor, wodurch seine Verhaftung irgendwie sich
hätte rechtfertigen lassen.
1 So urtheilt selbst Berger a. a. 0. 138.
2 Von der Hardt, T. IV, 521 folg. Ein zweites Dekret, welches VON
der Hardt auf das erste folgen lässt , ist allerdings unächt , wenigstens
fehlt demselben jedes Placet von Seiten des Concils. Vermuthlich war
dasselbe nur ein Entwurf, eingebracht von einem kaiserlich gesinnten
Mitglied des Concils, statt dessen aber das erste Dekret Annahme gefun-
den hat. Dieses unächte Dekret bezieht sich ausdrücklich auf Hus und den
von Sigismund ihm ertheilten Geleitsbrief, und hat die Absieht, den König
und sein Verfahren in Sachen Husens und des ihm gewährten sichern Ge-
leites zu rechtfertigen. In diesem Punkte treten wir HEFELE a. a. ().
227 folg. vollständig bei. Wenn aber derselbe Gelehrte urtheilt, GlESELSB
•habe sich gegen die Synode und gegen die Wahrheit gröblich versündigt
dadurch, dass er den Schluss des ersten Dekrets einfach wegliess., s. Lehr-
buch der Kirchengesch. Bd. II. Abth. 4. S. 41s Anm., so müssen wir denn
Hieronymus von Prag und Hus.
231
Nur in zweiter Linie, begleitend und nachfolgend, kann das
Schicksal des Freundes von Hus, Hieronymus von Prag, in
Betracht kommen. Hieronymus stand an Geistesgaben und
ausgebreitetem Einfluss eher über Hus, aber an Seelenadel, Cha-
rakter und frommer Herzensstärke entschieden unter ihm ; und
darauf gerade beruht die Macht der Persönlichkeit von Hus,
und die Wirkung seines Todes. Während Hus in Folge der Auf-
forderung und unter Zusicherung des Schutzes von Seiten König
Sigismunde sich entschlossen hatte die Reise zum Concil zu unter-
nehmen, begab sich Hieronymus unberufen, ja trotz der aus-
drücklichen Warnung Hus'ens1), nach Constanz. Die muthige
Begeisterung schlug rasch um, er entwich in aller Stille aus Con-
atanz, und trat den Heimweg an. Unterwegs erkannt und fest-
genommen, wurde er auf Verlangen des Concils nach Constanz
zurückgeführt, aber in Ketten. Vom 23. Mai 1415 an blieb er
Jahr und Tag in der Gefangenschaft des Concils. Ein vorläufiges
Verhör war an dem genannten Tage mit ihm vorgenommen wor-
den. Aber erst nachdem Hus hingerichtet war, fand man Zeit,
sich mit Hieronymus ernstlich zu befassen. In öffentlichen
Verhören und Privatunterredungen seit dem 19. Juli arbeitete man
doch entgegnen, dass der Zusatz : nee. sie promitt entern , cum alias fecerit
quod in ipso est, ex hoc in aliquo remansisse obliyatum , ausschliesslich
nur in zwei Handschriften der Concilsakten sich findet, und deshalb von
dem Herausgeber der Akten, von der Hardt, nur mit Reserve und in
Parenthese gegeben worden ist. Die Leipziger Handscnrift, von dem Ab-
geordneten der Universität zum Concil, Theol. Dr. Wyse (Weise geschrie-
ben, gibt die Stelle allerdings in so gleichmässigem und gleichzeitigem Zuge,
dass darnach allein ein Zweifel über 'die Aechtheit der Worte nicht auf-
kommen könnte. Indes ist der Inhalt des Zusatzes: dass der Fürst,
welcher einen Geleitsbrief ausgestellt habe, falls er was in seiner Macht
steht für den Betreffenden gethan, dadurch nicht weiter gebunden sei, —
sachtfeh der Art, dass er eine nothwendige Ergänzung zu dem Dekret in
keinem Falle bildet, im Gegentheil dem Schlüsse desselben nur äusserlich
angeheftet scheint. Somit hat Gieseler sich keineswegs gegen die Wahr-
heit versündigt, vielmehr der Wahrheit gehuldigt, indem er den durch
äussere Zeugnisse nur einseitig gestützten und innerlich ungerechtfertigten
Zusatz . auf welchen Hefele mindestens ein allzugrosses Gewicht legt
a. a. O. 227 und 237 , stillschweigend weggelassen hat.
1 Documenta, ed. PalaCKT, ep. 50. S. 90.
232
Buch III. Kap. o. VI.
darauf hin, ihn zum Widerruf zu bewegen. Und der arme Mann,
durch mehr als dreimonatliche zum Theil harte Gefangenschaft,
durch Entbehrung und Krankheit gebeugt, von Todesfurcht ange-
fochten . nach Freiheit schmachtend, erklärte am 10. September
widerrufen zu wollen; er that dies am Ilten wirklich, in einer
geschlossenen Versammlung der vier Nationen im Dom. und wie-
derholte seinen Widerruf in einer noch rückhaltloseren Fassung,
die man ihm inzwischen vorgeschrieben hatte . in öffentlicher
Session des Concils am 23. September, indem er sich von allen
durch das Concil verurtheilten Sätzen Wiclif's und Hus ens
feierlich lossagte {) .
Es war gelungen den Mann zu beugen. Allein je mehr man
die Consequenzen zog aus dem was er erklärt hatte, und in ihn
drang, an König Wenzel und die Königin von Böhmen, an die
Universität Prag und an das böhmische Volk in demselbeu Sinne
zu schreiben, in welchem er wenigstens einen Brief an Herrn
von Krawar bereits am 12. September aufgesetzt hatte2 . desto
mehr scheint ihn Reue über seine That angewandelt zu haben :
er verweigerte jeden ferneren Brief in der verlangten Richtung,
und nun nahm der Process gegen ihn erst recht seinen Anfang.
Die Schilderung, welche einer von den Vätern des Concils. Pog-
gio. von dem Auftreten und der Verantwortung des Hierony-
mus am 23. und 26. Mai 1416 entworfen hat3 . macht ganz den
Eindruck, als habe der Angeschuldigte erst jetzt, nachdem er von
dem Widerruf endgültig zurückgetreten war. die volle Freudig-
keit des guten Gewissens und eine unüberwindliche Siegeskraft
erlangt. Alle Versuche, ihn wieder herumzubringen, scheiterten.
Und am 3 0. Mai. nachdem er* in öffentlicher Session als rück-
fälliger Ketzer verurtheilt worden war. ging er mit heiterer Stirn
und munterem Angesicht zum Tode. Als der Holzstoss auge-
zündet wurde, stimmte er ein Kirchenlied an. und sprach Worte
des Gebets, bis Feuer und Rauch seine Stimme erstickten 4 . Die
1] Die Formel des Widerrufs s. bei vox der Hardt. IV. 103 ff. Vgl.
Hkfkle. Conciliengesch. VII, 1. ISS folg.
2 Palacky. Documrntn. 59S folg.
:* a. a. (). I>24 ff.
4 a. a. O. 6».
Hubens Lehre: seine Prinzipien
233
ungetrübte Freudigkeit und heldenmüthige Standhai'tigkeit. zu der
Hieronymus sich schliesslich ermannt hatte, machten wenig-
stens einigermaassen gut. was er durcli vorübergehende Schwäelie
und Abfall verdorben hatte. —
Wenn aber das Concil der Meinung war. mit dein Ketzer-
gericht über Hus und Hieronymus die böhmische Reform-
bewegung erstickt zu haben, so war das ein grossartiger Irrthun).
Die Verbrennung der beiden Männer hat die Flamme des Hussitis-
nius erst recht entzündet.
VII.
Wir wenden uns zu einer möglichst bündigen Zeichnung der
Gedanken von Hus. unter vergleichendem Hinblick auf die
Lehre Wiclif's, um das gegenseitige Verhältniss zwischen bei-
den so genau als möglich zu erkennen. Hiebei beschränken wir
uns absichtlich auf die r e f o r m a t o r i s c h e n Lehr - Gedanken
Hus ens . und sehen von demjenigen ab, was er mit der Kirchen-
lehre und der scholastischen Theologie seiner Zeit gemein hat.
und dessen ist ja in der That nicht wenig 1 .
Seine reformatorischen Gedanken aber haben, wie die Ellipse,
einen doppelten Angelpunkt: einmal »Christi Gesetz« d. h.
Gottes Wort, die heil. Schrift: sodann, die wahre Kirche
Christi. Man kann sagen, sein Formalprinzip ist: »das Gesetz
Christi«, sein Materialprinzip ist: die wahre Kirche. Und beide
gehören zusammen, sie sind innerlich und wurzelhaft mit einan-
der verwachsen.
Wir finden genug Aeusserungen von Hus, aus denen, für
sich allein genommen, der Schluss gezogen werden könnte, das
e r s t e r e . nämlich Gottes Wort, sei der alleinige Mittelpunkt
seines christlichen Denkens, Strebens und Lebens gewesen. Schon
in der Schrift Vom Blute Christi, aus dem Jahr 1405, macht er
geltend, ein rechtschaffener Christ habe gar nicÄ nöthig Zeichen
1 Dass Hus »in einer Keine von dogmatischen und kirchlichen Punk-
ten — den Altgläubigsten beigezählt werden kann« , bestätigt , als unver-
werflicher Zeuge. Hefele a. a. 0. 217. Vgl. Duex, Nicolaus von Cusa.
I. 1847. 36. 59.
234 Buch III. Kap. 3. VII.
und Wunder zu suchen , er habe bei der Schrift Beruhigung zu
fassen : ferner spricht er den Grundsatz aus : wenn die Priester
dem Volk lieber C hristi Worte als fehlerhafte Wunder kund
thun wollten, so würde der Erlöser beide, Priester und Volk, vom
bösen Wege der Lüge und Sünde abbringen. Opera I. 158 2.
161 2. In dem frühesten Briefe, den man bis jetzt von ihm- kennt,
aus dem Jahre 1408, liegt ihm die Predigt des Evangeliums, die
assidua praedieatio , die pia evangelizatio , allerdings in Verbin-
dung mit wahrer Nachfolge Christi , vor allem am Herzen :
der ganze Brief hat keinen anderen Zweck, als dem Erzbisch of
die Fürsorge für treue Prediger und für die Verkündigung des
Evangeliums an's Herz zu legen *) . Und in dem allerletzten Briefe,
den er nur eine Woche vor seinem Tode geschrieben hat 29. Juni
1415 sagt er von seinen Fesseln, er trage sie »um des göttlichen
Gesetzes willen«, und richtet in den Schlusszeilen die Ermahnung
an den Priester Hawlik an der Bethlehemskirche: »predige
Gottes Wort!« Er bittet alle seine Freunde in Böhmen, dass sie
beständig bleiben mögen bei Gottes Wahrheit2). In einem von
den Schriftchen, die er zu Constanz verfasst hat. beschreibt er
seine Lebensaufgabe, im Anschluss an das Bekenntniss des Apo-
stels Paulus Ap. Gesch. 26, 22, mit den Worten . »Ich stehe mit
Hülfe Gottes bis auf den heutigen Tag, und bezeuge Grossen und
Kleinen . und sage nichts ausser dem . was dasGesetz unseres
Herrn Jesu Christi lehrt. — — Ich habe gewünscht und
wünsche noch, mein armes Leben für Christi Gesetz daran zu
geben, von dem ich glaube, dass es in allen seinen Theilen von
der heil. Dreieinigkeit gegeben sei: und ich glaube, dass dasselbe
wahr ist und ausreichend zur Rettang des Menschengeschleehts 1 .
Und noch ehe der Holzstoss angezündet wurde, erklärte er laut,
da ss er bei der Wahrheit des Evangeliums . die er in Schrif-
ten, Predigten und Lebten vorgetragen, beständig bleiben und
freudig sterben wolle 1 .
1 Documenta •!<>. Urs. ed. Palacky, '■'< folg.
2 a. a. ü. 147 folg.
'■> ]>e fidei sitae eluc+datione, Opp. Nürnb. I55&. I. ls'-\
I Bericht des Mladenowiti, Dorum. 323.
Hubens Lehre : seine Prinzipien.
Andererseits ist der Angelpunkt seines Dichtens und Trach-
tens die wahre Kirche. Die Synodalpredigten, welche 11 us
uns Auftrag des Erzbischofs vom Jahr 1 404 an hielt, und welche
vorwiegend den Charakter von Strafpredigten ttber die Versäum-:
rrisse und Uebertretnngen, Unsitten und Laster der Geistlichkeit
an sich tragen, arbeiten auf sittliche Reinigung und Hebung der
Kirche hin. Sein Auftreten gegen die Wallfahrten zum »heiligen
Blute von Wilsnack« hatte keinen anderen Zweck, als die
Kirche von Aberglauben . Priesterbetrug und Mißbrauchen zu
säubern 1 . Das war noch die Zeit, wo er eine Reform und sitt-
liche Bebung der Kirche im Einverständniss mit seinen Oberen
erstrebte und hoffte. Aber auch nachmals, wo er eine opposi-
tionelle Stellung einnahm gegen den Erzbischof. gegen die päpst-
liche Kurie selbst, ja zuletzt gegen ein allgemeines Concil, blieb
es das höchste Ziel seiner Arbeiten und Kämpfe, die Zurück-
t'iihrung der Kirche zum rechtschaffenen Gehorsam, zur Nach-
folge Christi und zur gewissen Hoffnung des ewigen Lebens in
seinem Theile zu fördern - . Und überschauen wir seine sämmt-
lichen Schriften, namentlich seine Streitschriften, so springt die
Thatsache in s Auge, dass dieselben ihren gemeinsamen Mittel-
punkt in der Lehre von der Kirche haben.
In Gemässheit dieser Vorbemerkungen glauben wir festhalten
zu dürfen, dass Christi G e s e t z und die w a h r e Kirch e Christi
die beiden Angelpunkte des reformatorischen Denkens und Stre-
bens von Hus gewesen sind. Diese beiden Punkte stehen aber
bei ihm nicht atomistisch neben einander, sondern er setzt sie in
einen inneren Zusammenhang und in wesentliche Rückwirkung
aufeinander. Wenn Hus in seiner Hauptschrift »Von der Kirche
angesichts der Anschuldigungen seiner Gegner sagt. «Es ist
nicht die Absicht unserer Partei, das Volk vom wahren Gehorsam
) s. oben 8. 143 ff., vgl. Opera Susi, I, 154^ ff.
2) De .sufficientia ler/i.s Christi. Opp. I, 45: Super om/tia desidero hono-
rem Bei, profectum eanetäe ecclesiae etc. Laut Bericht des Mlade-
nowitz, bei Palacky, Dochw. 33$ sagte Hus in den letzten Minuten vor
dem Anzünden des Feuers, es sei seine principalis intentio bei seinem Pre-
digen, Handeln und Schreiben gewesen, die Menschen wo möglich von den
Sünden abzubringen.
236
Buch III. Kap. 3. VII.
abzubringen, sondern zu bewirken, dass das Volk einig sei. vom
Gesetze Christi einmüthig geleitet werde und sich nicht durch
widerchristliche Satzungen von Christo scheiden lasse« 1 , so
.deutet er an. dass der Gehorsam gegen Gottes Wort auch den
wahren kirchlichen Gehorsam, das rechte kirchliche Leben be-
dinge. Und hiemit harmonirt vollkommen sein letztes Bekennt-
niss. als er bereits an den Pfahl gebunden war. sofern er darin zu
erkennen gibt, es sei mit all seiner Predigt des Evangeliums, sei-
nen Schriften u. s. w. darauf abgesehen gewesen, die Leute von
den Sünden abzubringen.
Treten wir diesem doppelten Grundgedanken naher, vorerst
dem Grundsatz, dass »Christi Gesetz« maassgebend sein solle.
H u s bekennt sich von früh an wiederholt und nachdrücklich
zu dem Grundsatz ; »Christi Gesetz« d . h . die Offenbarung
Gottes im N. T.. wie sie durch Christum zur Zeit seines Erden-
lebens und der Apostel gegeben worden 2) . ist unbedingt maass-
gebend und vollständig genügend um das Christenleben zu regeln,
die Kirche zu regieren und zur Seligkeit zu führen. Nicht als ob
die heil. Schrift die einzige Quelle der Wahrheit wäre. Er er-
kennt ausser unmittelbarer göttlicher Offenbarung auch Sinnes-
wahrnehmung oder Erfahrung, und Vernunft oder geregelte Denk-
arbeit als Quellen der Wahrheit an 3 . Aber in Sachen des Glau-
bens und der Seligkeit ist die heil. Schrift mit unbedingter und
allein unfehlbarer Auktorität begabt ; denn Christus ist der beste
Lehrer und der höchste Richter, Daraus folgt, dass man weder
etwas ab noch etwas zuthun darf. Vielmehr ist jeder Christ ver-
pflichtet, jede Wahrheit zu glauben, welche der heil. Geist in der
Schrift niedergelegt hat, und dem Gesetze Christi unbedingten
Gehorsam zu leisten. Anders verhält es sieh mit Aussprüchen
der Heiligen oder mit Bullen der Päpste ; diesen ist kein Mensch
1) De ecc'esia, c. 17. Opp. I, 2A\K
2 Was er unter «Christi Gesetz« verstehe, definirt er in dem eigens
der Lehre von der Genügsamkeit der heil. Schrift gewidmeten Traktat: De
sufficienti« /er/is Christi ad ref/e/idam ecc7esici)n (zu Constanz 1414 verfasst ,
Opp. I. 4(i': Voco autem letfem Christi evanffeUcam leyem a Christo pro tem-
pore .sitae riationis et Apostohrum expositattt.
'S Resjionsio ad srrij)ta Stam'sl ii, I, 265s.
Husens Lehre: von Gottes Wort.
237
an und für sich Glauben schuldig, es sei denn sie sprechen etwas
aus. was aus der Schritt geschöpft oder mittelbar auf die Schrift
gegründet ist. Der heil. Schrift darf man wieder den Glauben
versagen noch ihr widersprechen, denn Gott kann weder selbst
irren noch irre führen: wohl aber darf man zuweilen päpstlichen
Bullen den Glauben versagen und ihnen widersprechen : denn
der Papst und seine Kurie kann irren und irre leiten, ihn
leitet irre der Gewinn und er selbst irrt durch Unwissenheit1).
Die Gegner erkannten wohl, dass dieses Schriftprinzip mit
dem römischen Prinzip der kirchlichen Auktorität unvereinbar
sei. Daher machten sie ihm und seiner Partei einen doppelten
Vorwurf:
1. er erkenne ausschliesslich der heil. Schrift richterliches
Ansehen zu. und verkenne deshalb die Auktorität der allgemeinen
Kirche und der heiligen Väter und Kirchenlehrer:
2. er deute die Schrift nach seinem eigenen Kopf und Be-
lieben, anstatt die Auslegung der Kirche zu befolgen - .
Allein Hus entgegnet, beide Vorwürfe seien unbegründet:
1 . er verkenne das Gewicht der Kirche und der Kirchenväter
nicht, verehre vielmehr alle Concilien. Dekrete und Dekretalen,
alle Gesetze, Canones und Bullen, — so weit sie unmittelbar oder
mittelbar mit Gottes Gesetz harmoniren 3 . In der That beruft sich
H u s in seinen Schriften ausserordentlich oft auf Kirchenväter wie
Augustin, Gregor den Grossen und andere, auf den heil.
Bern h a r d . Thomas von Aquino, Robert G r o s s e t e t e u . s . w .
2. erwidert Hus. er habe nicht die Absicht, die heil. Schrift
anders auszulegen als nach demjenigen Sinn, den der heil. Geist
fordert und die heil. Kirchenlehrer, welchen der heil. Geist das
Verständnis verliehen hat. darlegen4 .
1) De ecclesia c. S. Opp. I, 2091. Vgl. De fidei suae ehicidationc, Opp.
I, 492: Sacra scriptum facti certitudinem inf all ibi lern.
2 Vgl. das Gutachten der Prager theol. Facultät vom 6. Febr. 1413,
bei P ALACK Y , iJocum. 476: Quidam de clero regni Bohemiae — solam
scriptura m s. — pro judice habere volentes i — scripiuram secundum
capita sua interpretantur etc.
3 De ßdei sitae elucidatione, Opp. I, 461.
4 De ecclesia c. 16. Opp. I, 2271.
21*8
Buch III. Kap. 3. VII.
Dieses Sehriftprinzip nun, wie es Hus geltend macht, ist
unstreitig- von Wie Ii f entlehnt, der es zuerst aufgestellt, indem
er zwischen »Gottes Gesetz« und jeglicher anderweitigen Auktori-
tät eine scharfe und prinzipielle Linie zog. Allerdings hat Wi-
clif die ausschliesslich und unbedingt maassgebende , »unend-
liche« Auktorität der Schrift ausführlich begründet, abgeleitet und
vertheidigt, während Hus dieselbe nur sich aneignet, festhält und
in Schutz nimmt. Nicht den Grundsatz selbst, sondern nur eine
Folge desselben, nämlich den Satz, dass die heil. Schrift zur
Regelung der Kirche genugsam sei, führt Hus mit umständlichem
Beweise aus 1 .
Der zweite reformatorische Grundgedanke von Hus ist:
die wahre Kirche. Seine Glaubenslehre sowohl als sein sitt-
liches Streben bewegt sich um diesen Angelpunkt.
Wie verhält es sich mit seiner Lehre von der Kirche? Sie
ist keimartig eingeschlossen in der Definition des Begriffs :
oKirche ist die G e s a m m t h e i t der Erwählte n . « Darin liegt,
wie wir bei der Lehre Wiclif's sahen, einmal der ewige Grund
der Kirche, nämlich die göttliche Gnadenwahl ; zum andern eine
ideale , nicht empirische Anschauung der Kirche , aus welcher
ganz andere Begriffe von Haupt und Gliedern der Kirche sich
ergeben, als diejenigen, welche gemeinhin galten. Doch ist nicht
zu übersehen, dass alle diese Folgerungen nicht unbedingt und
auf den ersten Blick gezogen werden mussten. Es ist Tliar-
sache, dass Hus diesen Begriff der Kirche, der ursprünglich von
Augustin aufgestellt ist, von Anfang an vorausgesetzt und aus-
gesprochen bat, schon zu einer Zeit, wo er von jedem Gedanken
an Opposition gegen Hierarchie und Papstthum weit entfernt w ar.
In einer Ansprache, die er als Synodalprediger Namens des Erz-
bischofs im Jahr 1405 an die versammelte Geistlichkeit der Trä-
ger Kirchenprovinz gehalten hat, definirt er bereits ecclesia als
praedestinatorum universitas2). Diesen Begriff combinirt er da-
1) Dt suJficientHt legi* Christi ad regendam ecelesiam, Opp. I. 11-— l^1.
Vgl. Schwabe, Ueber die,ref'ormatorische Theologie des Joh. Hus, Denk-
schrift des ev. Prediger -Seminariums in Friedberg. Friedb. 1862. 115 ff.
FRIEDRICH, Die Lehre des Johann Hus. Kegensburg ISI>2. U2 H'.
2 Opp. II, 2Si.
Husens Lehre; von der Kirche.
selbst mit der bei den Scholastikern beliebten Dreiteilung :
ecclesia militans, dormiefis, triumphaus. in der Art. dass erster«
die Menge der Erwählten, so lange sie auf Erden pilgern, die
mittlere die Erwählten im Fegefeuer, die dritte die Erwählten
in der himmlischen Heimath umfasst. Von der Eintheilung der
Kirche auf Erden in Klerus, Herren und Arbeiter oder Volk,
welche Hus mit seinem Zeitalter gemein hat. sehen wir hier
ganz ab.
Seit dem Jahr 1410 zieht Hus die Consequenzen. welche in
jenem Kirchenbegriff an sich liegen, die ihm aber früher nicht
bewusst waren. Er hat dieselben in mehreren Streitschriften,
namentlich in seiner reformatorischen Hauptschrift De ecclesia
vom Jahr I 1 1 3 . entwickelt und seinen Widersachern gegenüber
vertheidigt.
Der Augustinisehe Kirchenbegriff, welchen Hus unzweifel-
haft von Wiclif überkommen hat, fasst die Kirche als die Ge-
sammtheit der Erwählten, und schliesst hiemit alle diejenigen
aus. welche nicht aus Gnaden zur ewigen Seligkeit erwählt sind,
die Vorhergesehenen [praesciti , wie Hu s nach Wiclif 's , aber
nicht Augustinus Vorgang sich auszudrücken pflegt. Eben damit
ist aber eine Unterscheidung gegeben, welche schon August in
macht, nämlich zwischen dem wahren und dem nur schein-
baren oder gemischten Leibe Christi [corpus Domini verum ac
simulatum s. permixtum . Alle Gerechten vom Anfang der Welt
an . alle aus Gnaden zur Seligkeit Erwählten, sind Glieder am
Leibe Christi, wirkliche Glieder der Kirche; alle übrigen
nicht, wenn sie auch erweckt und bekehrt sind und sittlich gut
wandeln, so dass sie Kinder Gottes scheinen undheissen; aber
das Beharren bis ans Ende fehlt ihnen, schliesslich gehen sie
doch verloren, denn sie sind eben nicht von Ewigkeit erwählt,
sondern vorhergesehen1). Die Mitgliedschaft an dem wahren
Leibe Christi, an der wahren Kirche, wurzelt in der ewigen Gna-
denwahl; demgemäss lässt sie sich nicht mit Sicherheit aus-
machen, in keinem Fall an irgend einem äusseren Merkmal er-
kennen. Niemand kann von sich selbst oder von irgend einem
1 De ecclesia e. 4 u. : Praedestinati sunt nwmhru corporis mystiei.
240
Buch III. Kap. 3. VII.
andern gewiss wissen, ob er ein Erwählter, also ein wirkliches
Glied der Kirche sei; er kann das immer mir vernmthen und
hoffen; aber eben so wenig kann man, ohne eine besondere Offen-
barung- Gottes, von jemand kategorisch behaupten, dass er durch
Gottes Vorhersehen von der Seligkeit ausgeschlossen und ewig
verdammt sei l) . Indessen gibt es doch gewisse Kennzeichen, aus
welchen jemand mit Wahrscheinlichkeit schliessen kann, dass er
von Gott erwählt sei, nämlich 1. Andacht beim Hören und Freude
beim Verstehen der Worte Gottes; 2. williges und freudiges Voll-
bringen guter Werke; 3. Abscheu vor Sünden; 4. Schmerz und
Zerknirschung wegen früher begangener Sünden 2) . Diese Kenn-
zeichen sind lauter innere Stimmungen und sittlich-religiöse
Gesinnungen. Demgemäss sind auch diejenigen Unterscheidungs-
zeichen, mit Hülfe deren über andere ein Urtheil dahin gefällt
werden kann, dass sie Erwählte und Kinder Gottes seien, ledig-
lich sittlicher Art, so dass wenigstens negativ aus dem mit der
Nachfolge Jesu unvereinbaren Wandel eines Menschen der Schluss
sich ziehen lässt, dass er kein Erwählter sei.
Das alles ist von grosser Tragweite. Denn es folgt daraus,
dass äussere Mitgliedschaft an der Kirche, ja selbst Aemter und
Würden in derselben, keine Bürgschaft dafür bieten, dass die be-
treffenden Personen nur überhaupt wirkliche Mitglieder der wah-
ren Kirche seien. Kann doch jemand in der Kirche sein, ohne
dass er von der Kirche ist; wer aber von der Kirche ist, der ist
auch i n der Kirche 3) . Wer hingegen nur i n der Kirche, nicht von
ihr ist, der gleicht der Spreu unter dem Korn auf der Tenne, dem
Unkraut in dem Waizenacker ein Bild, das schon August in
anwendet, In Joh. Ev. Tract. VI, 12).
Dazn kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt. Diejenigen,
welche in der Kirche sind und doch nicht wahrhaft zur Kirche
Christi gehören, sind in Wahrheit Glieder der falschen Kirche des
Widerchrists, und stammen sittlich vom bösen Feinde. Uns
1 De tribus dttbiis, Opp. I, 1691.
2) Expücatio in II. ep. Petri zu 1, 9 folg.), Opp. II, 180«.
3) De Bedeutet, C. 'S : Aliud est esse de ecclesia, aliud esse in eeele-
.sia; nach 1. Joh. 2, 1<>. Opp. I, IM*.
Husens Lehre: sein Kirchenbegritt*.
241
unterscheidet, und weist darauf hin. dass erst am jüngsten Ge-
richt Christus scheiden wird, wie ein Hirte die Schate von den
Böeken scheidet. Derzeit sind alle unter einander gemengt, die
Gemeinde der Heiligen und die der Bösen und Verworfenen, die
Heerde der Schafe und die der Bücke: und doch sind sie im Kern
und Wesen zwei grundverschiedene Dinge 1 . Die Sünde übt eine
bindende und eine trennende Kraft aus: sie bindet die Glieder des
Satans, und sie trennt dieselben von der Gemeinschaft der Seligen :
wie die Wärme chemisch gemischte Grundstoffe löst und Itc-
wirkt, dass das Wahlverwandte sich sucht und verbindet, aber
auch Fremdartiges sich scheidet und räumlich trennt 2 .
Gehen wir auf den einfachen Begriff der Kirche als »Ge-
-ammtheit der Erwählten« zurück, so ist es die Gnadenwahl
(rottes um Christi willen, welche dabei vorausgesetzt ist. Darin
liegt ferner die Wahrheit, w elche als ein Grundgedanke bei H u s
immer wieder zur Sprache kommt: Christus ist der Grund, auf
den die Kirche gebaut ist: Christus das Haupt, das alleinige Haupt
seiner Kirche von je her. Die Gnadenwahl ist das Band, wodurch
die Kirche als der Leib mit Christo als dem Haupt verknüpft
ist 1 . Die streitende Kirche auf Erden ist mit Christo als dem
Haupte verbunden : eines anderen Hauptes neben ihm bedarf die
Kirche nicht, er ist ihr alleiniges und allgenugsames Haupt4 .
Ind jedes Mitglied der wahren Kirche auf Erden, jeder Erwählte
ist auch ein Glied an dem Leibe Christi, und mit ihm als dem
Haupte innerlich und wesentlich verbunden. Während die durch
Cottes ewiges Voraussehen zur Verdammniss bestimmten schliess-
1 De ecclesia, c. 1. Tina est ecclesia haedorum et altera avium, una
ecclesia saitctorum et aliß reproborum etc. Opp. I, 1901. c. 0. S. 2U51 ff.
Ecclesia saneta catho/ica — ecclesia malignantium ; ecclesia Christi — si/tia-
yoga Satanae.
2 a. a. O. 2052.
3 üesjwnsio ad scripta Stephani Paletz, Opp. I, 257 1 : Junctura corpo-
ris ecclesiae et Christi capitis — cjratia praedestinationis.
4) De ecclesia, c. 4. S. 202'2. So Ins Christus est caput universalis eccle-
siae. c. 15. S. 2242: Christus est caput sufficientissimum, sicut proba-
vit per trecentos annos et amplius, quando prosperata est sua ecclesia.
Lechlee, Wiclif. II. ](j
242
Buch III. Kap. 3. VII.
lieh Glieder an einem Leibe sind, dessen Haupt der Teufel ist 1 .
Dieser Dualismus wird nun streng durchgeführt. Hus unter-
scheidet wahrhaftige Christusverehrer von falschen Christen2 :
er weiss nicht blos von einer christlichen Geistlichkeit, sondern
auch von einer widerchristlichen Geistlichkeit ;v , welche nur ver-
derblich wirken kann 4) .
Es fällt sofort in's Auge, was dieser Dualismus zu bedeuten
hat. Damit jedoch die Schroffheit desselben nicht allzu auffallend
erscheine, erinnern wir auch hier, wie schon oben bei Wiclif
selbst5), an die Thatsache, dass sogar ein Papst wie Gregor VII.
ganz eben so zwischen »Gliedern Christi« und »Gliedern des Teu-
fels oder des Antichrist« zu unterscheiden pflegte. Nur dass Hus .
nach Wiclif s Vorgang, diesen Dualismus vom Standpunkt der
Opposition gegen die Romanisten kehrte, während Hildebrand
ihn vom Standpunkt Rom's aus gegen die Opposition verwerthete.
Die Begriffe vom Papstthum, seiner Notwendigkeit und Be-
rechtigung, von der kirchlichen Vollmacht und der entsprechenden
Pflicht des Gehorsams u. s. w., gestalteten sich dem Bisherigen
entsprechend. Doch dürfte es nicht überflüssig sein, hier zu er-
innern, dass Hus, ebenso wie Wiclif selbst, nur allmählich und
Schritt vor Schritt zu diesem Standpunkt gelangt ist, den er am
vollsten und entschiedensten in seiner Schrift vom Jahr 1413 De
ecclesia dargelegt hat. Stanislaus von Znaim und Stephan
von Paletz stellten die Behauptung auf, dass der Papst das
Haupt und die Körperschaft der Cardinäle der Leib der römischen
Kirche sei , und dass jener als Nachfolger des Apostelfürsteil
1) a. a. O. c. 5. S. 2ü5a sollte heissen 203a) : Praesciti sunt final iter
membTtt diaboli. c. 6. S. 205a: Ecclesia malignantium est corpus diti-
boli, cujus ipse est caput.
2) veraces ehr istico lae , a. a. O. c. 11. S. 217'-.
'.\ a. a. O. c. 15. p. 2201 : Hie oportet considerare sectam oleri duplicem,
scilicet der um Christi et clerum Antiehristi. Clerus Christi quietatut in suo
capite Christo ac suis legibus, clerus vero Antiehristi — innititur legibus hu~
manis et legibus Antiehristi, et tarnen palliatar esse clerus Christi et eeele-
siae. Zugleich ein abermaliger Beweis, wie sehr die Grundbegriffe »Christi
Gesetz« und »wahre Kirche« bei Hus in einander greifen.
4) a. a. O. c. 11. clerus pestifer.
5 Buch II. Kap. 7.
Hus ens Lehre : Kirche und Papst
24:'»
Petrus, diese als Nachfolger des Apostelcollegiums die Vollmacht
kirchlichen Regimentes und letzter Entscheidung* in allen Lehr-
fragen besitzen u. s. w. 1 . Dieser Theorie gegenüber führt Hus.
in Gemässheit obiger Grundbegriffe, folgendes aus :
1 Nicht der Papst ist das Haupt der allgemeinen Kirche,
sondern Christus allein ist dieses Haupt- . Wenn irgend ein Christ
neben Christo das Haupt der allgemeinen Kirche wäre, so
müsste er entweder selbst Christus sein oder über Christo stehen.
Ist doch nicht einmal Petrus oder Paulus die beiden »römischen
Apostel« . geschweige irgend ein anderer Christ ausser Christo,
der Grund oder das Haupt der Kirche 3 .
2 Lediglich nur dann, wenn er in Christi Fusstapfen einher-
geht und nach Christi Gesetz wandelt, apostolisch lebt und lehrt,
ist der Bischof von Rom Christi Stellvertreter, des Ap. Petrus
Nachfolger und Inhaber des »apostolischen Stuhles«. Hingegen
ein Papst, der Christo zuwider lebt, heisst gemeiniglich ein Wider-
christ 4J: in diesem Fall steht »der Greuel der Verwüstung an hei-
liger Stätte« 5 . Wenn der Papst die Lehre der Apostel hintan-
setzt, so ist er nicht »apostolisch«, sondern »pseudoapostolisch' (i ;
zum Beispiel ein habsüchtiger und geiziger Papst ist ein Stellver-
treter des Judas Ischarioth, der den Heiland verkauft hat. Eben-
so ist das Cardinalscollegium entweder der wahre oder der
nur scheinbare Leib der römischen Kirche : jenes, wenn sie den
Aposteln nachfolgen in Lehre und Leben : dieses, wenn sie un-
apostolisch leben und lehren 7 .
3 Demgemäss ist die päpstliche Vollmacht und die ent-
sprechende Pflicht kirchlichen Gehorsams eine durchaus be-
dingte, gemessene und beschränkte. Es gibt da keine Pflicht
unbedingten und blinden Gehorsams. Päpstliche Gebote sind nur
dann zu befolgen, wenn sie im Gesetze Christi gegründet sind:
1) Palacky, Docmn. 47 5 folg., vgl. De Ecclesia, c. 13. Opp. I, 219- ff.
2} De ecclesia, c. 7. S. 20S1. c. 12 u. 13. S. 220» ff.
3) a. a. O. c. 4. 9.
4 a. a. O. c. 13. S. 220».
5 a. a. O. c. 16. S. 2291.
6 a. a. O. c. IS. S. 2341.
7 a. a. O. c. 14. S. 223' ff.
1(3*
244
Buch III. Kap. M. VII.
lauten sie demselben zuwider, so. gilt es, ihneu muth vollen Wider-
stand zu leisten, so wie der Bischof von Lincoln einst dem Papst
Innocenz IV. '). Dann ist es sogar Pflicht, trotz päpstlichem Ver-
bot und Bann. Christi Befehl zu befolgen, z. B. das Evangelium
zu predigen, wie Hus selbst gethan hat2 . Und um dessen ge-
wiss zu sein, ob die päpstlichen Erlasse schriftgemäss sind, ist
der Untergebene, und nicht blos der Kleriker sondern auch der
Laie, verpflichtet und berechtigt, die Vorschriften seines Oberen
zu prüfen :v . Auch die kirchlichen Censuren und Zuchtmittel, als
Suspension, Bann und Interdikt, haben nur insofern Gültigkeit,
als sie dem Willen Gottes und der Verfügung des höchsten Oberen,
Jesu Christi, entsprechen ; kein Vorgesetzter soll jemand in den
Bann thun, es sei denn er wisse zuvor, dass derselbe von Gott
gebannt sei. Sonst dienen diese Mittel der Disciplin nur dazu,
den Klerus zu erhöhen und dem Widerchrist den Weg zu berei-
ten4 . Einer angemaassten Gewalt widerstehen heisst aber nicht
der Ordnung Gottes, sondern dem Misbrauch der Gewalt wider-
stehen 5 .
4. Der Bischof von Rom stand ursprünglich den übrigen Bi-
schöfen an Vollmacht und Würde gleich. Erst 300 Jahre nach
Christo hat ihn Kaiser Constantin durch seine Schenkung über
andere Bischöfe gestellt und ihm päpstliche Vollmacht verliehen (i .
Letztere ist im Laufe der Zeit noch gesteigert worden. Nachdem
aber ein Jahrtausend seit Christi Geburt verflossen war. ist der
Teufel los geworden; seit dieser Zeit ist z. B. das Interdikt erst
aufgekommen und in immer erweitertem Maasse angewandt wor-
1, a. a. O. c. 17 ff. Opp. I, 'l'.io2. 241-, vgl. llefutatio dicH oeto docto-
torum, 2932.
2 De ecclesia, c. 21. Opp. I, 2442 ff.
3) a. a. O. c. 19. S. 239«: »Unde e&aminare debet diacretus subditm
praecepUt praepositi, quando videtur declinare a lege Christi rel sua regiila.
Non emm quilibet praepositus est incorrigibiti».
4) a. a. O. c. 22 folg. S. 2492, 251« folg., vgl. c. 10. 215«.
5] a. a. O. c. 11. S. 21 7* folg.
('» Hierin liegt deutlich die folgenreiche Ueberzeugung, dass das Papst-
thum nicht göttliche Stiftung, sondern eine menschliche Institution sei, nicht
göttliches Recht, sondern nur menschliches Kecht für sich habe.
Husens Lehre: Kirche und Papst.
den. der Widerchrist bat es jetzt aufs höchste getrieben. Gott
kann aber das vom Kaiser verliehene Privilegium des Papstes
auch wieder aufheben und die Kirche zur ursprünglichen Gleich-
heit der Bischöfe zurückführen. Und das wird um so notwen-
diger, als die verderbliche Spaltung der Kirche zwischen nun-
mehr drei Päpsten ihre Ursache eben in jener Schenkung Con-
stanrins und dem durch ihn verliehenen Vorrecht des Papstes
hat 1 . Kleriker sollen durch Aufdecken der Sünden und Schäden,
und durch unerschrockene Predigt des Worts und Gesetzes Christi
zur Besserung helfen. Fürsten und Herren, als die das Schwert
von Gott haben; sollen die Feinde Gottes strafen, auch die Bos-
heit des Klerus züchtigen . die Kirche reinigen . böse Priester,
welche den Tempel entweihen, austreiben, wie Christus Käufer
und Verkäufer aus dem Tempel getrieben hat2 . Insbesondere
mögen sie gewissenlosen Klerikern die Kirchengüter entziehen
und sie dadurch züchtigen und bessern 3 .
War das letztere erklärtermaassen ein Grundsatz von Wi-
elif zu dem sich Hus offen und rückhaltlos bekannte, so ist
nicht minder Husens ganze Lehre von der Kirche, wie sie in
ihren Umrissen so eben gezeichnet wurde, durchweg von Wiclif
her überkommen, wenn auch dessen Name hiebei nicht ausdrück-
lich genannt wird. Es ist Thatsache. dass die sämmtlichen
uiaass^ebenden Begriffe und Anschauungen von Wiclif ausge-
sprochen sind, so dass nur die jedesmalige Ausführung Husens
Kigenthum ist 1 . Aber auch die Begründung und Beweisführung
für die Hauptsätze richtet sich nicht selten nach Wiclif 's Vor-
l a. a. O. c. 15. Opp. I, 224* ff. c. 23; S. 2521. c. ll>. S. 23U*.
1 Contra occultum adversarium, Opp. I, 1352 ff.
■>> De ablatione temporalium a clericis. Verteidigung eines Wiclif '-
sehen Satzes), Opp. I, 1172 ff.
4 In der Hauptsache hat dieses Verhältniss einer der bedeutendsten
gelehrten Gegner von Hus richtig erkannt. Der Karthäuserprior Stephan
von Dolan sagt in seinem »Sendschreiben an die Hussiten« vom Jahr 141".
bei Pez , Thesaurus aneedotorum, IV, 2. 003. c. 12: Magister vester Hus
fahrieavit et conßnxit sihi ex libris et intentione — Wikleff — tractatum,
quem appeUavit de Ecelesia , plenum eontemptu universalis s. Matris
Ecc-esiae.
246
Buch III. Kap. 3. VII.
gang. Seine Kenntnis? von Grossetete nnd dessen Opposition
wider Innocenz IV. verdankt Hus nachweisbar den Schriften
Wiclif's: auch die kirchengeschichtliche Anschauung von den
drei ersten Jahrhunderten, vom Aufschwung des Papstthums an-
geblich durch Constantin s Schenkung, so wie von dem Loswerden
Satan s nach Verfluss des ersten Jahrtausends seit Christo, ist un-
streitig von W i c 1 i f auf Hus vererbt. Wenn N e an de r urtheilt,
dass bei Hus, vermöge seiner vorherrschend praktischen Rich-
tung , keine so schroffen und harten Aussprüche über die Leug-
nung aller Freiheit sich finden wie bei Wiclif l), so beruht dies
auf Irrthum und ungenügender Kenntniss Wiclif's.
Ehe wir zu der Sakramentslehre von Hus übergehen, möge
eine andere Frage berührt werden.
Nämlich was die Heilsordnung anlangt, so gehen die An-
sichten der Gelehrten weit aus einander. Die einen urtheilen.
Hus lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben voll-
kommen protestantisch 2 : die andern behaupten . seine Recht-
fertigungslehre sei vollkommen römisch-katholisch 3 . Hätten die
ersteren Recht, so würde Hus einen bedeutenden Fortschritt über
Wiclif hinaus in der Richtung auf die Lehre der deutschen Re-
formation gemacht haben, wahrend wir ihn bisher ganz in W i -
clif s Fusstapfen treten sahen. Wie verhält es sieh damit ?
Nach sorgfältiger Prüfung müssen wir dem katholischen Ge-
lehrten Friedrich Recht geben und zugestehen, dass Hus nicht
die evangelische sondern die römisch-katholische Lehre von der
Rechtfertigung vorträgt. Sobald man einerseits die hier einschla-
genden Fragen klar unterscheidet , andererseits die betreffenden
Aeusserungen von Hus im Zusammenhang fasst, kann man
unseres Erachtens nur auf das genannte Ergebniss kommen. Es ist
wahr, wir finden bei Hus einzelne Sätze, welche, isolirt für sich
1 Allgem. Gesch. der christl. Keligion und Kirche. 3. Autt. 1856. II,
Vjf>. Ebenso ist die Meinung Schwabe's, Denkschrift. Friedberg 1M»2.
S. 7, dass Hus die Lehre von der Gnadenwahl, »in gemilderter Form«,
von Wicli f entlehnt, unzutreffend.
2 Schwabe, a. a. (). 115 ff.; ihm folgt Krümmki.. Gesell, der böhm.
Reformation, 3S7 ff.
Friedrich, die Lehre des Joh. Hus. 8. 70.
Husens Lehre: von der Rechtfertigung.
247
genommen, wie acht evangelische Sätze klingen, z. B.: »Christus
allein ist der Mensch, welcher für die Menschheit die Seligkeit
grundlegend verdient« : ferner : »Niemand wird durch das Gesetz
sondern nur durch den Glauben au Christum gerechtfertigt«;
oder : »Gottes Gnade wird nicht durch euer Verdienst erworben,
sondern frei geschenkt« 1 . Allein man lasse sich nicht durch den
Schein täuschen! Der erste Satz ist ein Stück der Lehre vom
Werke Christi, nicht von der Heilsordnung. Der zweite betrifft
allerdings die Lehre von der Heilsordnung, gehört aber zu dem
Consensus zwischen dem römischen und evangelischen Lehr-
begriff. Der dritte Satz endlich tritt blos der Ansicht entgegen,
dass der Mensch durch sein sittliches Verhalten und Streben die
zur Bekehrung erforderliche Gnadengabe verdienen könne,
keiuesweges aber dem Satze, dass der Christ im Gnadenstande
fähig sei, durch eigene Werke das ewige Leben, die Seligkeit zu
verdienen. Diesem letzteren Satze tritt Hus mit allen den
Aussprüchen, auf welche man sich beruft und berufen kann, so
wenig entgegen, dass er sich vielmehr zu demselben öfters be-
kennt, und zum Theil gerade im Zusammenhang mit Aeussenm-
gen . welche vollkommen evangelisch klingen , den Begriff des
Verdienstes« voraussetzt. Wenn Hus in der IX. Predigt un-
mittelbar vor der so eben angeführten Sentenz ausspricht : »der
Herr Christus ist der Grund des ganzen Verdienstes der Glieder
seiner Kirche« 2) . so ist ja klar wie der Tag, dass der Begriff eines
wirklichen Verdienstes nicht beseitigt, sondern im Gegentheil
festgehalten und vorausgesetzt ist. Der Begriff vom Verdienst
im Gnadenstande, oder die Annahme, dass der durch Gottes un-
verdiente Gnadenwirkung erweckte und bekehrte Sünder nun-
mehr mit Hülfe der Gnade Gottes durch Christum im heil. Geist
so zu handeln im Stande sei. dass er das Wohlgefallen Gottes
und schliesslich das ewige Leben wirklich verdiene, diese An-
nahme hat in Hus 'ens Denkart und Frömmigkeit so tiefe Wurzeln
1 Scrmo IX. Opp. II, 5iA Explicatio in Ps. IIS. S. 2S6-\ Explicatio
M I. ep. Petri c. 1. 13. II. 155».
2 Opp. II, 50'2: Christas dominus noster est basis tottus meriti mem ■
hrnrum ecclesiae.
24s
Buch III. Kap. 3. VII.
getrieben, dass ich mir getrauen mochte, in jedem Abschnitt, wo
Hus die Rechtfertigung durch den Glauben allein zu bezeugen
scheint , den acht römisch-katholischen Begriff des Verdienstes
nachzuweisen. Ein einziges Beispiel statt vieler: Krümmel be-
ruft sich auf die Erörterung Hus ens über Jae. 2, 21 ff., und
betont insbesondere die Worte: »Der Glaube, durch welchen
Abraham zuvor gerecht war, führte ihn zu den Werken, welche
ohne Glauben nicht verdienstlich sein würden : denn ohne Glau-
ben ist es unmöglich Gott zu gefallen« u. s. w. r . Aber Hus be-
hauptet ja in eben diesen Worten, dass die Werke des Gläubigen
in der That »verdienstlich« seien. Es ist in allen Auslas-
sungen Hus ens über Gnade. Glauben und Werke in der That
nichts zu entdecken, was der römisch-katholischen Lehre von der
Heilsordnung widersprechen würde. Insbesondere ist seine An-
schauung von der Heilsordnung der Art, dass sie mit der Lehre
Wiclif's2) sich vollständig deckt, nicht aber so gestaltet, dass
sie über Wiclif hinausginge und dass man sagen dürfte. Hus
stehe »ganz entschieden auf dem Grunde der evangelisch-prote-
stantischen Rechtfertigungstheorie -
In dem Lehrstück von den Sakramenten wurde Hus von
seinen Gegnern beschuldigt, er wolle nicht glauben, dass die Lehre
Wiclif's von den sieben Sakramenten falsch und unkatholisch
sei. Allein diese Aeusserung selbst ist augenscheinlich mit Vor-
sicht ausgedrückt; sie besagt nicht, dass Hus sich gegen die
Kirchenlehre von der Siebenzahl der Sakramente erklärt habe,
sondern nur. dass er die Ansicht Wiclif's von den 7 Sakramen-
ten nicht für irrthümlich halte. Es hat auch in der That den
Anschein, als habe Hus in diesem Punkte Wiclif's Urtheil sieh
nicht angeeignet, nämlich seine Kritik über die in der scholasti-
schen Wissenschaft seiner Zeit angenommene Satzung von der
1 Ej-plictitio in cp. Jacob i , Opp. II, 133*: opera, quue höh cssoit
meritoria sine Jide etc.
2 s. III. Huch. Kap. 7. VIII.
•1 Krümmel, a. a. O. 389, Wir finden nachträglich, dass wir in die-
sem Urtheil mit RlTSCHL , Die christl. Lehre von der Rechtfertigung und
Versöhnung, 1^1^70. 119, zusammentreffen.
Husens Lehre : von den Kakramenten
249
Siebenzabl der Sakramente, welche ja kirchliche Sanktion erst
1 139 durch das Concil zu Florenz erhalten hat.
Wohl aber hat er sich erlaubt, in Betreff des >P> uss- Sa kra-
me nts*. die Ansicht geltend zumachen, dass unter den gemeinig-
lich angenommenen drei Stücken der Busse : contritio cordis, c<>n-
fessio oris, satirfactio operis. das mittlere, nämlich das mündliche
Sundenbekenntniss, die Beichte, nicht schlechthin nothwendig sei.
dass vielmehr schon das Bekenntniss des Herzens hinreichend
sei 1 . Das war nicht etwa eine neue und gewagte Ansieht: hatte
doch Richard von St. Victor und der »Magister der Sentenzen*
Peter der Lombarde, selbst sieh in diesem Sinne ausgespro-
chen2 . Und zuletzt hatte noch Wiclif sich entschieden auf
diese Seite gestellt. Doch das war von keiner Bedeutung im
Vergleich mit der Frage über die Heils Wirkung der Sakra-
mente überhaupt und die Bedingtheit derselben durch den Gna-
denstand des sie verwaltenden Priesters.
Die Gegner bezichtigten Hus, er habe behauptet. das>
jeder Priester nur wenn er in der Gnade steht, die Consekration
im Sakrament des Altars wirklich vollziehen oder die Absolution
im Buss-Sakrament gewähren könne : ein Priester . der in einer
Todsünde steht, könne nichts ausrichten, weder wirklich absei -
viren noch in der Consekration die Wandlung zu Stande brin-
gen:! . Hus selbst hat aber beharrlich erklärt, es sei ihm nie-
mals beigekommen. die Wirksamkeit sakramentaler Handlungen,
wenn sie von einem sittlich unwürdigen Priester verrichtet wer-
den, zu verneinen4 : die göttliche Segensmacht wirke durch einen
guten und einen bösen Priester . nur verrichte der letztere den
1) De trihns dttbife, Opp. I, J(>S2. 109".
2) Auf liichard beruft sich in dieser Frage Hus, De eedetsia, c. 10.
Opp. I, 214- folg.: auf den Lombarden, De trihits dubiis. I. 1682.
3 Depositiones testium 1414, bei Palacky, Dorum. 175, ferner quod
existens in mortali peccato presbyter non absolvit, 178, vgl. ISO. 1S4.
4 In dem Schreiben an Papst Johann XXIII vom 1. Sept. erklärt Hie
verschiedene gegen ihn erhobene Beschuldigungen für grundlos, namentlich
auch die. als habe er gelehrt, ein Priester, welcher mit einer Todsünde be-
haftet ist. könne die Consekration in der Messe nicht bewirken: fetke sei',
defemnt, quod doenerim pojtulunt , quod sacerdo* in peccato vtorta'i 7ion con-
ßcit. Palacky. Dorum. S. 19.
250
Buch III. Kap. :;. VII.
Dienst Jesu Christi auf sittlich imwtiidige Weise und zu seiner
eigenen Verdammniss l). Nach diesen Aeusserungen, denen noch
eine ganze Anzahl ähnlicher an die Seite gestellt werden kön-
nen2), lässt sich nicht wohl daran zweifeln, dass Hus keines-
wegs behauptet hat , die Heilswirkung der Gnadenmittel sei von
der sittlichen Würdigkeit und dem Gnadenstande des dieselben
verwaltenden Priesters abhängig . und ein Sakrament, wenn es
durch einen unwürdigen Diener der Kirche gespendet werde . sei
aller Heils Wirkung baar und ledig. Wir sind in dieser Frage un-
serer Sache um so gewisser, als wir oben3 nachgewiesen haben,
dass auch Wie Ii f die objektive Heilskraft der Sakramente in
der That nicht (wie gewöhnlich angenommen wird von der sub-
jektiven Würdigkeit des dieselben verwaltenden Priesters abhän-
gig gedacht hat. Und Hus hat sich in seinen hier einschlagenden
Aeusserungen an Wiclif fast wörtlieb angeschlossen1 .
Anlangend insbesondere die Lehre vom heil. Abendmahl,
so wurde Hus einer doppelten Irrlehre bezichtigt: 1 er bekämpfe
die Lehre von der Wandlung , 2 er fordere die Spendung unter
beiderlei Gestalt.
Der letztere Punkt war, wie wir oben gesehen"* . ursprüng-
lich nicht von Hus selbst, sondern von seinem Freunde in Prag.
1) Verum est. quod dixi et dico, quod non potest sacerdos existens in
mortali peccato dbsolvere alium <l i g n <■ sive meritorie. Docum. 184 in der
Beantwortung jener Zeugenaussagen. Vgl. Responsio ad scripta Stephani
Paletz, Opp. I, 250 1 : Minister ille malus et pestifer non baptisat — non
consecrat dif/ue. sed indif/ne in sui da mnationem exercet niinisteriuui
Jesu Christi.
2) Vgl. Schwabe, Denkschrift, 35 ff. Friedrich, Lehre des Joh. Hus,
104 ff.
Ii Buch II. Kap. 7.
4 Z. B. WlCLIF, De Eeelesia. c. JJ> 's. oben;: Praeseitus — habet
ad s ii i damnati<niem et eeelesiae utilitatem certa officia. Vgl. Hus, Resp.
ad 9CT. Paletz: Minister malus in sui dam n a t io n em exercet miuisti-rium
Jesu Christi. Demnach ist die Ansicht Palacky's, Gesch. von Böhmen, III,
I. Iiis insoweit begründet, als er anerkennt, Hus habe den Satz, dass die
Sakramente im Fall ihrer Spendung durch einen mit einer Todsünde be-
hafteten Priester ihre Heilkraft verlieren, »von jeher« verworfen; Palacky
irrt nur darin, dass er voraussetzt, das sei ein Satz Wiclif s gewesen.
:» III. Kap. t, V. S. 199 ff.
Hus ens Lehre : vom heil. Abendmahl.
25 1
Magister Jakob von Mies, in Anregung gebracht worden.
Bus befand sich bereits in Constanz. als »Jakobeil anfing,
den Laienkelch lehrhaft zn vertheidi^en und sofort auch - den
Kelch regelmässig zu spenden. Und Hus hatte sich nur erst auf
Anregungen von der Heimath aus theils brieflich, theils eigens in
einem Aufsatz über die Frage ausgesprochen 1 . Er that dies Im-
merhin in einer maassvollen Weise. Nur dass es erlaubt und
heilsam sei, das heil. Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu spen-
den und zu gemessen . nicht dass dies zum Heil nothwendig und
Pflicht sei, sprach und führte er aus. Und als das Concil am
15. Juni 1415 die Kelchentziehung, welche bisher blos kirchlicher
Brauch gewesen war. zum Kirchengesetz erhob und den Prie-
stern die Communion unter beiderlei Gestalt bei Strafe des Banns
untersagte2 . sprach sich Hus nachdrücklicher über die Sache
aus. Aber es erscheint bezeichnend für seine christliche Denkart,
du ss er hiebei weniger auf die Vollständigkeit des Sakramentes
selbst, als auf die maassgebende Auktorität der Bibel den Nach-
druck legt. Er ist eben darüber entrüstet, dass man das Her-
kommen über die Wahrheit, über Christi Einsetzung und das
Verfahren der Apostel setze. Es ist demnach viel mehr das An-
sehen des göttlichen Wortes und sein Formalprinzip, als die Voll-
1, De sanguine Christi sub specie vini a laicis sumendo, Opp. I, 421 — 44 :.
Eine Abhandlung, worin die Sache ganz in scholastischer Weise, durch An-
führung einer Menge Zeugnisse von Kirchenvätern und mittelalterlichen
Doctoren erörtert wird, von dem Erlass Gelasius I. an. der im kanoni-
schen Rechtsbuch steht, worin der römische Bischof die willkührliche Ent-
haltung vom Kelch verbietet, und die »Theilung des Geheimnisses« für »eine
grosse Heiligthumsschändung« (/runde sacrtlegtum erklärt. Merkwürdig ist.
dass das Concil, wohl nicht ohne Absicht, gerade den analogen Ausdruck
anwendet, wenn es in seinem sofort anzuführenden Dekret die Behauptung
als einen Irrthum [errmwtm verwirft, dass die Beobachtung des Brauchs
oder Gesetzes der Kelchentziehung heiligthumsschänderisch oder unerlaubt
sei {sacrileg um aut Ulicitum . Nebenbei gesagt, ist das eine kleine Illu-
stration zu der angeblichen Unfehlbarkeit päpstlichen Lehramtes, wenn ein
ökumenisches Concil die , wie es scheint , ex cathedra erfolgte Entscheidung
eines älteren Bischofs von Rom für »irrig« erklärt.
2) Maxsi, CoHcih'orum növa collectio . XXVII, 727 ff. V. d. Hardt.
IV. 333 folg.
252
Buch III. Kap. :;. VII.
ständigkeit des Sakramentes selbst, was ihm hiebei im Vorder-
gründe steht 1 .
Der andere Punkt, dass Hus angeblich die Lehre von der
Wandlung bekämpfe, ist ein in hohem Grade zweifelhafter.
Denn Hus selbst hat vom ersten Augenblick an, wo der Vorwurf
auftauchte, als ob er die Wandlung bestreite, bis zu seiner Ver-
urtheilung und Hinrichtung beharrlich verneint, dass er das je
gethan habe , er hat sich im Gegentheil zu der Kirchenlehre von
der Wandlung bekannt. Andererseits haben ihm seine Ankläger
und seine Richter, nämlich das Concü zu Constanz. Schuld gege-
ben . dass er denn doch die Lehre von der Wandlung angegriffen
habe. Ja selbst bis auf den heutigen Tag huldigen viele Gelehrte,
und nicht blos Katholiken, sondern auch Protestanten, dieser An-
sicht-. Während andere Forscher, sowohl protestantischer als
römisch-katholischer Confession, anerkennen, dass Hus in die-
sem Punkte in der That nicht in Wiclif's Fusstapfen getre-
ten sei?)*;
Prüfen wir die Ansicht Palm kv s. welche wegen seiner an-
erkannten Gründlichkeit als Forscher für viele andere bestim-
mend gewesen ist. Sie besteht aus folgenden zwei Sätzen :
l Hus habe nach dem Prager Universitätsakt vom 2s. Mai
1403, dessen Rrgebniss war, dass die bekannten 45 Wielif v
1 Laut der zwei Briefe Nr. 7^ u. 8$, bei Palagky, Docum. S. 128.
2 Auf protestantischer Seite hat PALACKY, Gesch. von Böhmen, III, 1.
107 feig, den Ton angegeben, indem er behauptete, Hus sei durch Wiclif's
Schriften^ in seinem Glauben an die Wandlung wenigstens schwankend ge-
worden , und habe erst seit dem Jahr 140.'*, wo die Prager Universität 4.">
Artikel Wiclif's verurtheilte , sich von Wiclif's Abendmahlslehre ent-
schieden losgesagt. Dieser Ansicht ist von protestantischen Gelehrten bei-
getreten Oscar JaeüKR, John Wycliff'e , IS54. 84; während BoEHBINGEK
wenigstens für möglich hält, dass Hus bis zum Jahre 1 4 1 ö in Betreff der
begrifflichen Fassung der Abendmahlslehrc geschwankt habe. — Auf rö-
misch-kathelischer Seite eignete sich V. HELFEST , Hus und Hieronymus.
185:*. 66, jene Ansicht mit Zuversicht an, während Hoeflkk, Magister Joli
Hus. 1S.")4. 1 Sö , wenigstens so viel KU verstehen gibt, Hus sei in diesrm
Stücke zweideutig gewesen.
:t Protestantischerseits Nkaxdkk, Kirchengeschirhte. ■>. Aull. 1856. II,
£04. A. 4. ScilWABK , Denkschrift 1862. S. I II ff. . katholischerseits am
rückhaltlosesten Hkfki.K, Conciliengeschichte VII, I. S. .11.
Husens Lehre: von- der Wandlung. I 2.~>)>
sehen Sätze verpönt wurden, die Lehre Wiclif's vom heiligen
Abendmahl d. h. seine Opposition gegen die Lehre von der
Wandlung bestimmt verworfen und verleugnet: 2 vor diesem
Zeitpunkt sei er in Betreff der Lehre von der Wandlung, »wie es
seheint" . mit sieh selber nicht ganz einig gewesen, und habe sieb
in dieser Hinsicht wenigstens schwankend erwiesen. Diese bei-
den Sätze spricht übrigens Palacky selbst nicht mit gleicher
Zuversicht aus : den ersten stellt er mit kategorischer Bestimmt-
heit hin . den letzteren drückt er hypothetisch aus und will ihn
nur als wahrscheinlich gelten lassen: »wenn bis dahin Hus
mir sich selbst, wie es scheint, nicht ganz einig gewesen
w ar . u. s. w. Und dieser Unterschied im Ausdruck ist einer von
den vielen Belegen der Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit dies
berühmten Gresöhichtschreibers. Der erstere Satz lässt sich in
der Unit nicht anfechten. Palackv macht a. a. 0. Anm. 256
mit feiner Beobachtung darauf aufmerksam . dass in den Depnsi-
tt'ones testium alle Angaben über Husens nicht orthodoxe Aeusse-
rungen in Betreff der Lehre von der Wandlung in den Zeitraum
vor 1403 zurückreichen. Wir halten die Thatsache allerdings für
nachgewiesen und urkundlich sichergestellt, dass Hus wenigstens
nach dem Jahr 1403 niemals die Lehre von der Wandlung in
Zweifel gezogen oder angegriffen hat. Die Frage ist nur die: ob
Hus vor dem genannten Zeitpunkt diese Lehre bestritten oder
wenigstens geschwankt habe in Hinsicht derselben / Will man
diese Frage bejahen, so kann man lediglich nur auf die Aussagen
seiner Ankläger und einiger von diesen benannter Belastungs-
zeugen sieb stützen. Allein da steht dann die Thatsache vollstän-
dig im Wege, dass vor dem Jahr 1412 auch die Gegner von Hus
niemals seine Abendmahlslehre beanstandet haben. Wir haben
urkundliche Kenntniss von zwei Beschwerden wider Hus. welche
.vor dem genannten Jahre beim Erzbischof von Prag angebracht
worden sind, die eine im Jahre 1408, die andere 1409 >). Beide
umfassen eine Reihe von Punkten. Die erste Beschwerde richtet
sieb hauptsächlich dagegen, dass Hus in seinen Predigten die
1) Bei Palacky, Documenta, 153 ff. 164 ff. Vgl oben S. 146. 156.
254 Buch III. Kap. ä. VII.
Achtung vor der Geistlichkeit untergrabe. Nur nebenbei kommt
zur Sprache, dass Hus eine tiefe Verehrung vor Wi c Ii f bezeuge,
und der habe doch eine notorische Irrlehre über das Sakrament
des Altars autgestellt. Nun ist aber wohl zu beachten, dass die
Ankläger sich sehr wohl gehütet haben auszusprechen, dass Hus
selbst die Wiclif sehe Irrlehre vom heil. Abendmahl sich ange-
eignet habe. Sie begnügen sich damit, den Wink zu geben, dass
Reste dieser Wiclif1 sehen Irrlehre bei vielen in Prag noch vor-
handen seien l) . Die zweite Reihe berührt in der That auch an-
gebliche Irrlehren von Hus. insbesondere die Behauptung, dass
ein sittlich schlechter Priester die Sakramente heilskräftig zu
spenden . und die Consekration im Abendmahl zu verrichten
nicht vermöge'2 . Aber davon, dass Hus die Wandlung bezwei-
felt habe . hören wir weder in diesem Zusammenhange noch an-
derswo in beiden Urkunden auch nur ein Wort. Im Gegentheil
setzen die Ausdrücke . welche an obiger Stelle gebraucht sind
conficere vener abile corporis Christi sacramentum den her-
kömmlichen Begriff von der Wandlung positiv voraus. Wenn es
nun wirklich gegründet wäre, dass Hus vor dem Jahre 1403, an-
langend die Lehre von der Wandlung sich in einem Sehwanken
befundeivhabe. dass er aber von da an Wiclif s Opposition ge-
gen diese Lehre entschieden Krisbilligt habe, so sollte man den-
ken, die Gegner würden eher vor 1403 oder wenigstens in den
nächsten Jahren darauf, als erst 9 — 10 Jahre später. 1412 ff.
sieh darüber aufgehalten haben, dass Hus die Wandlung betref-
fend nicht vollkommen rechtgläubig gelehrt habe. Nun taucht
aber diese Anschuldigung, wenn ich recht sehe, überhaupt er>t-
male im Jahr 1112 auf. Michael von Deutsch-Brod war es. der
in geiner an Papst Johann XXIII. eingereichten Klageschrift wir
1, Doeum. J 54 . Hus macht in seiner Erwiederung a. a. O. 161 folg.
darauf aufmerksam , wie hinterlistig die Fassung dieses Theils der Klage-
schrift sei. Er verlangt deshalb , sie mögen diejenigen Männer namhaft
machen, bei welchen angeblich Reste von Wiclif 8 Abendmahlslehre sich
finden. Wer kann glauben, dass Hus in dieser Weise den Fehdehand-
schuh hingeworfen haben würde . wenn er sich nicht schuldlos gewusst
hätte?
2 Dncum. !*>.">.
Husens Lehre : Von der 'Wandlung
dei Uns im Jahr l 112 zuerst erwähnte, derselbe habe in Predig-
ten) welche er in der Bethlehemskapelle gehalten, unter anderen
Irrlehren auch die vorgetragen, dass nach der Consekration der
Hostie auf dem Altar natürliches Brocl bleibe 1 . Genauer sowohl
in Betreff des Zeitpunktes als des Wortlautes der angeblichen
Aeusserungen von Uns ist die Zeugenaussage des Pfarrers von
St. Clemens in Prag, Johann Protiwa2}. Derselbe gibt an.
Uns habe ungefähr im Jahr 1309 in einer Gesellschaft beim
Pfarrei' der Michaelskirche in der Altstadt, im Laufe des Ge-
sprächs die Meinung geäussert, dass nach der Consekration im
Abendmahl das Brod zwar Christi Leib werde, aber doch sub-
stantiell Brod bleibe. Allein Hu s erklärt die Worte, worauf es
hiebei ankommt, in seinen Bemerkungen zwischen den Linien,
für lügenhaft. Die Aussage eines anderen Zeugen . des Predigers
Benesch, hat darum kein Gewicht, weil er zugestandenermaas-
sen nicht selbst Ohrenzeuge der fraglichen Predigt von Hus ge-
wesen war. sondern nur durch einen Dritten davon gehört hatte3 .
Zu einem dritten Zeugniss des Klerikers Paul bemerkt Hus:
so. wie dieser vorgibt, könne er sich gar nicht ausgedrückt ha-
ben, denn derselbe rede von einer tschechischen Predigt, die Hus
gehalten: und für die scholastischen Kunstausdrücke, deren er
sich bedient haben solle, gebe es in der böhmischen Sprache gar
keine angemessenen Worte4 . Endlich sind einige Zeugenaus-
sagen der Art. dass Hus erwiedert. man habe biblische und
sonst unansrössige Worte, deren er sich bedient, verdreht und
misdeutet: spreche doch der Erlöser selbst: »ich bin das Brod
des Lebens . und der Apostel Paulus sage : »das gesegnete Brod.
welches wir brechen-' . u. s. w. Sollten indes diese Entgegnun-
gen von Hus auf jemand den Eindruck machen, als seien sie zum
Theil leere Ausflüchte . so erinnere ich an die feierliche Betheue-
rung, welche Hus in seinem dritten und letzten Verhör vor dem
1 Docum. 101) folg.
2) a. a. O. 174 folg.
3; Docum. 179.
4) a. a. O. : JSece quam intricatv iste mentitur: primo, quia nee acci-
dens nec st/bjectu m potest in Bohemico pertinenter exprimi.
250
Buch III. Kap. 3. VII
Cofieil, am S. Juni 14 15. abgelegt hat, indem er um Gottes willen
bat ihn nicht zu einer Lüge zu zwingen, indem man ihn nöthigen
wolle gewisse Artikel abzuschwören . »von denen ich — Gott ist
mein Zeuge und mein Gewissen — nichts weiss , indem Zeugen
gegen mich Dinge aussagen, die mir nicht einmal je in den Sinn
gekommen sind, namentlich dass nach der Consekration im Sa-
krament des Altars materielles Brod bleibe1).« Diese Worte ma-
chen doch auf jedes unbefangene Gemitth einen Eindruck wie
das Bekenntniss eines gottesfürchtigen Gewissens, mit einem
Worte den Eindruck reiner Wahrheit. Auch noch in der feier-
lichen Session in der Domkirche, am 6. Juli, seinem Todestage,
hat Hus noch einmal aufs nachdrücklichste bezeugt, er habe
niemals dafürgehalten, noch gelehrt, noch gepredigt, dass im
Sakrament des Altars nach der Consekration noch materielles
Brod bleibe 2 .« Als er auf dem Hinrichtungsplatze angekommen
und bereits an den Pfahl gebunden , mit Holzbüscheln und Stroh
umgeben war, und das letzte mal zum Widerruf aufgefordert
wurde, erwiederte er laut: »Gott ist mein Zeuge , dass ich das-
jenige, was mir fälschlich zugeschrieben wird, was falsche Zeu-
gen mir beigemessen haben, niemals gelehrt noch gepredigt
habe« u. s. w. 3 . Das bezog sich ganz unzweifelhaft in erster
Linie mit auf seine angebliche Bestreitung der Lehre von der
Wandlung. Solchen heiligen Versicherungen gegenüber, welche
angesichts des Todes abgelegt sind, müsste man doch die über-
wältigendsten Beweise für das Gegentheil haben, wenn man jene
Betheurungen Lügen strafen, und trotz des stets wiederholten
nunquam, auch nur das behaupten wollte , Hus sei mindestens
in früheren Jahren eine Zeit lang schwankend gewesen zwischen
der römischen Kirchenlehre von der Wandlung und WicliTs
Opposition gegen dieselbe.
Allein wir sind keineswegs nur darauf angewiesen abzu-
wägen . wie viel Bedeutung solchen Aeusserungen \<m Hus.
worin er gewisse Aussagen von Zeugen und Gegnern in Abrede
1 Dorum. 309*
2 a. a. 0. 318.
:i a. a. O. '.m.
Husens Lehre : von der Wandlung.
257
zog, beizumessen sein dürfte. Diesen Verneinungen gegenüber
können wir im* vielmehr auf seine Bejahungen und positiven
Ausführungen berufen. Und da die Meinung aufgestellt worden
ist. Hus habe vor dem Jahre 1403 in Betreff der Lehre von der
Wandlung geschwankt, so ist es doppelt erwünscht, dass wir eine
Schrift aus seiner Feder vom Jahr zuvor zu Rathe ziehen können.
Ks ist dies sein Traktat »Vom Leibe Christi«, aus dem Jahr
I 102 1 . eine Lehr- und Streitschrift, gerichtet gegen solche,
welche nicht anerkennen wollten , dass Christus selbst das Brod
ist Job. 0 : »Ich bin das Brod des Lebens, das wahrhaftige Brod^
u. s. w. . und welche behaupteten, der Leib Christi werde in der
Gommunion gebrochen, zerkaut, mit Händen betastet, leiblich ge-
lben. Diese beiden Sätze gehörten einer und derselben Partei
an. sie bildeten die negative und die positive Seite einer und der-
selben Anschauung2 . Und Hus tritt beiden Punkten entgegen,
am ausführlichsten allerdings dem zweiten positiven Satze , wel-
cher eine krasse, roh sinnliche Vorstellung befürwortete. In der
letzteren Polemik liegt offenbar der Schwerpunkt des ganzen
Aufsatzes. Die Gegner stützten sich theils auf dasjenige Abend-
mahlsbekenntniss . welches dem Berengar von Tours im Jahr
1059 aufgeni ithigt worden war, als eine kirchlich maassgebende
Lehrurkunde , theils auf die im Schwange gehende volksmässige
Vorstellung und Ausdrucks weise von der Communion : »Ich habe
Christi Leichnam gesehen« und dergleichen. Allein Hus be-
kämpft diese sinnliche und krasse Auffassung, indem er . unter
häufiger Berufung auf Kirchenväter wie Augustin, Hiero-
1) Tractatus de corpore Christi, Opp. I, 1631 — 167*. Die Abfassungs-
zeit dieser Abhandlung lässt sich genau bestimmen, weil Hus in einem
späteren Aufsatz. De sacramenio corporis et sanguinis domint, den er zu
Constanz 1415 geschrieben hat, selbst angibt, er habe den ersteren Traktat
im ersten Jahr seiner Priesterwürde und seines Predigtamtes geschrieben,
Opp. 1, 392. Wenn er hier beifügt: qui fuit, ut aestimo, annus Domint
1401, so hat er sich mit seiner beiläufigen Schätzung um ein Jahr gestos-
sen; denn wir wissen, dass er erst am 14. März 1402 als Prediger an der
Bethlehemskapelle eingewiesen worden ist.
1 Es sind das nicht zweierlei Leute und zweierlei Ansichten , wie
Schwabe, in der Friedberger Denkschrift 1S62. 133, angenommen hat.
Lechleb. Wiclif. II. 17
25S
Buch III. Kap. 3. VII.
nymus und Gregor den Grossen, und auf Scholastiker wie
den Lombarden und Thomas von Aquino (in seiner Mess-Sequenz
Lau da Sion . ausführt, dass im Abendmahl Christi Leib nur
mit dem Glauben, nicht mit den leiblichen Sinnen des Auges,
des Gefühls, des Geschmacks wahrgenommen, nur geistig, nicht
leiblich genossen werde; dass Brechen, Kauen und Verdauen,
Sehen und Betasten nur von den sichtbaren Zeichen ( species .
Brod und Wein, nicht vom verklärten Leib und Blut Christi
selbst ausgesagt werden könne. Daraus könnte jemand aller-
dings schliessen, Hus huldige in diesem Aufsatz denn doch der
Ansicht, dass beim heil. Abendmahl ein ausschliesslich nur gei-
stiger und geistlicher Genuss des Leibes und Blutes Christi statt-
finde, er verneine die wahre Gegenwart des Leibes und Blutes,
also auch die Wandlung, stehe somit in der That auf Wie Ii fs
Seite und sei der Lehre von der Wandlung abgeneigt. Dem ist
jedoch nicht so. Hus bekämpft allerdings eine roh sinnliche
Vorstellung vom Abendmahlsgenuss , aber er hält dessen unge-
achtet an der wirklichen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi
im heil. Abendmahl unbedingt fest , und setzt sogar die sanktio-
nirte Kirchenlehre von der Wandlung unverkennbar als richtig
voraus. Zu wiederholten Malen verwendet er arglos , als könnte
es gar nicht anders sein, den Begriffsapparat, welcher dem
scholastischen Dogma von der Wandlung eigenthümlich ange-
hört1 . Im ersten Theile des Traktats beantwortet Hus unter
den Einwendungen der Gegner auch den: »Wenn Christus das
Brod sei, so sei er materielles Brod. aus Mehl gebacken, und
nicht durch Wandlung geworden, non transsubstantiatus2 .«
Er entgegnet, die Folgerung sei falsch, bekennt sich somit in-
direkt zu dem Begriff transsubstantiatio. Und im zweiten Theile
der Abhandlung findet sich eine andere Erörterung, bei welcher
er nicht nur abermals den Begriff : panis prtus t r a // s s u b s tan-
t iatus anwendet, sondern auch mit den zum Lehrkreis von der
1) Nicht etwa «nur einmal«, wie Schwabe meint, Denkschrift. 135.
Anm. 'MHi , sondern mehrmals erkennt Hus indirekt die Transsubstantia-
tion an.
2) üpp. I, 163*.
Hus ens Lehre : von der Wandlung.
259
Wandlung integrirend gehörigen Correlatbegriffen aceidens und
subjectum. accidentia sine subjecto arbeitet 1 . Ferner ist die nach
patristischen Vorgängen wiederholt geltend gemachte Idee des pa-
nis super substantialis Uebersetzung des aoro; snouaio; in der Wer-
ten Bitte offenbar um deswillen erwähnt . weil sie die Vorstel-
lung von dem Akt der Wandlung transsubstantiatio voraussetzt.
Nach alle dem können wir nicht mit Böhringer sagen.
Hus lasse in diesem Traktat die Frage der Transsubstantiatiou
im Unbestimmten 2 ; müssen vielmehr darauf bestehen . dass er
fiese Lehre positiv voraussetzt. Denn darauf kann doch gar
nichts ankommen, ob das Substantivum transsubstantiatio ge-
braucht wird, da doch das Verbum wiederholt auftritt, wenn
auch im Particip des Passivs. Auch betont Hus selbst in dem
kurzen Traktat vom Frühjahr 1415 »Ueber das Sakrament des
Leibes und Blutes Christi«, er habe in jenem Traktat (von 1402
sich dazu bekannt . dass auch ein mit Todsünde behafteter Prie -
ster wirksam consekrire . obgleich sich selber zum Schaden und
Gericht 3 . Und der Begriff confieere et consecrare, den er hier
mehrmals gebraucht, setzt selbst wieder die Lehre von der Wand-
lung voraus. Zum Beweise, dass Hus selbst, der doch der beste
Ausleger seiner eigenen Worte sein muss. seine frühere Schrift
so auffasst. als sei er zu jener Zeit derselben Ansicht, auch hin-
sichtlich der Wandlung gewesen . wie dermalen , wo er ganz un-
zweifelhaft diese Lehre vorträgt und sich zu ihr bekennt.
Somit sind wir zu der Erkenntniss gelangt, dass Hus zu
keiner Zeit seines Lebens die Lehre von der Wrandlung im heil .
Abendmahl bekämpft, und nicht einmal in den Jahren vor 1403
darin gesehwankt hat. Wir glauben zur Bestärkung dieses Er-
gebnisses uns auch auf den Prior der Karthause zu Dolan . Ste-
phan, berufen zu können. Dieser hat im Jahr 1412 eine ziem-
lich ausführliche Streitschrift wider Hus unter dem Titel Anti-
Hussus ausgearbeitet4 . worin er auf verschiedenen Punkten.
1 a. a. O. 166'.
2) Kirche Christi, II, 4. 2. S. 568.
3} Opp. I, 392.
4 AntiHussus, bei Pez, Thesaurus Anecdotorum novissimus, Vol. IV.
P. 2. 363 — 430, in 18 Kapiteln. Im 5ten Kap. fol. 382 nennt der Verfasser
260
Buch III. Kap. :>. VII
z. B. anlangend das Papstthum, die Notwendigkeit der Ohren-
beichte u. s. w., Hus entgegentritt, aber nicht mit einer Silbe
erwähnt, dass Hus in Hinsicht der Wandlung nicht rechtgläu-
big sei.
Ein einziger Umstand ist geeignet . noch einen Zweifel rege
zu erhalten, nämlich die Thatsaehe . das* doch mehrere Zeugen
ausgesagt und diese Aussage beschworen haben. Hus habe die
Lehre von der Wandlung angefochten und behauptet, auch nach
der Consekration bleibe das gesegnete Brod immerhin Brod. Man
fragt sich : wie ist das möglich . wenn doch ganz und gar nichts
an der Sache war ?
Wir können uns jene Anschuldigung wider Hus nicht anders
erklären, als aus der Thatsaehe. dass zu der Zeit . wo Wielif 's
Schriften und Lehren in Prag bekannt und beliebt Avurden. in
der That auch seine Abendmahlslehre und sein Kampf gegen das
Dogma von der Wandlung bei namhaften Gliedern der hussiti-
schen Partei Anklang gefunden hat. Da nun anerkanntermaas-
sen Hus der Führer und Sprecher der Partei war, so setzte man
voraus und konnte sich's nicht anders denken, als er selbe! habe
sich die Ansichten Wielif s. wie in anderen wichtigen Fragen,
so auch in diesem Lehrstück, angeeignet. Wie sollten, sagte man
<\ch . seine Freunde dazu kommen . dieser Irrlehre sich anzu-
schliessen. wenn Hus selbst an die Wandlung glaubt?
Nun war zu der Zeit, wo die Schriften Wiclif's in Prag
Aufsehen machten, auf der Schwelle des XV. Jahrhunderts. Hus
immer noch einer von den jüngeren Gelehrten. Unter den älteren,
welche sich für Wielif interessirten. waren Ni c o 1 a u s von Lci-
t o m i s c h 1 . Stanislaus von Z n a i m und Stephan von P a 1 e t ; z
die namhaftesten. Nicolaus, ein Mann, welcher mindesten.^
15 Jahre älter war als Hus, — er bekleidete im Jahr 1391 . als
Hus noch studirte . bereits das Kectorat der Universität — vr&r
ein eifriger Verehrer Wiclif's. Bei der Disputation am '28. Mai
selbst das Jahr 1412 als dasjenige, in welchem man stehe. Das Buch ist
dem Dr. der Theologie Stanislaus von Znaim gewidmet^ es ist durch den
kurzen Aufsatz von Hus veranlasst, welcher betitelt ist De iribua duhiia
facti« in Holomutz Olmütz , Opp. 1, 1072—
Hus ens Lehre : von der Wandlung.
261
1403 trat er nebst Hus und in gleicher Richtung mit diesem
j-vii die Yerurtheilung der 4r> angeblich Wie Ii t" sehen Sätze
auf1 . Hingegen Stanislaus von Znaim. den Hus als seinen
ehemaligen Lehrer mit aufrichtiger Dankbarkeit erwähnt 2 . war
jedenfalls derjenige , welcher am feurigsten auf Wi e 1 i f s Oppo-
sition gegen die Lehre von der Wandlung eingegangen ist und
Anhänger dafür geworben hat. Hus selbst berichtet darüber in
einem Briefe vom Jahr 1413 an seinen Freund Christann von
I'rachatitz: »Ich weiss gewiss . dass Stanislaus die Ansicht
gehabt und sehriftlich kund gegeben hat. dass das Brod bleibe:
et hat auch an mich die Frage gerichtet . noch ehe die Irrungen
ihren Anfang nahmen, ob ich seine Ansicht theilen wollte.» Später
hat er die Sache abgeschworen — und eidlich versichert, dass er
den betreifenden Traktat nicht verfasst habe *) .
Hus führt in seiner Streitschrift gegen Stanislaus eine
Stelle an aus des letzteren Commentar zum vierten Buch der Sen-
tenzen des Lombarden . wo sein ehemaliger Lehrer sich auf die
Auktorität Wiclif's für seine Sätze über das Abendmahl beruft
und ihn als einen »tiefen Theologen und Philosophen« rühmt, hin-
gegen diejenigen für kurzsichtige Leute erklärt , welche ihn ver-
ketzern und die . welche seine Schriften lesen . anschwärzen 4 .
Bei der Disputation am 2S. Mai 1403 opponirten Nico laus
von Leitomischl und Hus gegen die Yerurtheilung der Wi-
elif sehen Sätze nur unter dem formalen Gesichtspunkt, indem
sie die Aechtheit der fraglichen Artikel bezweifelten: während
Stanislaus auf den Inhalt der Sätze einging und dieselben
saehlich vertheidigte . ohne Zweifel auch diejenigen, welche vom
Abendmahl handelten 5 . Nicht ohne Grund hat eine in den Pra-
ger l'niversitätswirren entstandene, von einem Deutschen ver-
faßte Parodie der Messe eine Art Stammbaum des Hussitismus.
1 s. oben Kap. II. 8. 141. Anm.
2) Opp. I, 265 1 : Stanislaus magister meus — , a quo in suis exercitiis
et actibus scholasticis multa bona didici.
V, Docum., ed. Palacky, Epp. Nr. 27. S. 56.
4) Responsio ad scripta Stanislai, Opp. I, 267 \.
ö Es sind dies die drei ersten unter den schon zu London 13S2 ver-
urtheilten Wiclif sehen Artikeln, Docum. 32S.
262
Buch III. Kap. 3. VII.
als Seitenstück zu der Genealogie Jesu, Matth. 1, entworfen,
worin Stanislaus als der erste Stammvater, und Hus selbst erst als
der vierte in der Linie erscheint : »Stanislaus zeugete den Peter
von Znaim, Peter von Znaim zeugete den Paletz, und Paletz
zeugete Hus1).«
Wenn nun derjenige Mann, welcher im Anfang als der Spre-
cher und Führer der wiclifi tischen Partei in Prag angesehen
wurde, insbesondere auch in Betreif der Lehre von der Wandlung
die Ansichten Wiclif's vertrat, so wird begreiflich, wie man
mehr denn zehen Jahre später, wo Hus an der Spitze der Partei
stand, durch eine Art optischer Täuschung dazu geführt wurde
vorauszusetzen, dass auch er die Lehre von der Wandlung be-
kämpft habe. Allein wir wissen, dass dem nicht so war. Hus
hat niemals Wiclif's Opposition gegen die Lehre von der Wand-
lung sich angeeignet.
Das ist aber eine Thatsache, bei der wir der Frage nicht aus-
weichen können : wie kommt das *? Wir haben doch Hus als einen
Verehrer und treuen Schüler Wiclif's kennen gelernt. Er hat
seine theologischen Grundgedanken von niemand anders als von
Wiclif überkommen. Hus als Theologe und als Reformfreund,
steht unleugbar auf den Schultern von Wiclif. Nun aber ist der
Protest gegen die Lehre von der Wandlung die Seele des Sinnens
und Trachtens von Wiclif in den vier letzten Jahren seines Le-
bens gewesen. Und seine Anhänger in England vom Ende des
XIV. Jahrhunderts an, das ganze XV. Jahrhundert entlang bis
zu der Schwelle der englischen Reformation, haben diesen Protest
stetig fortgeführt. Woher kommt es denn, — müssen wir uns
fragen, dass Hus diesen charakteristischen Zug Wiclif scher
Lehre und Reformgesinnung stillschweigend fallen Hess, und im
1) Hus selbst gedenkt jener blasphemischen Parodie des Stammbau-
mes Christi, ResjJonsio ad scripta Stephant Fitletz, Opp. I, 2552. Jedenfalls
ist Stephan von Dolan im Irrthum, wenn er behauptet, Hus sei unter
den Prager Magistern von Anfang an der erste und einzige gewesen , der
Wiclif's Schriften mit Freuden aufgenommen, gelesen und studirt . und
andere zum Lesen und achtungsvollen Studiren derselben beredet habe,
ungeachtet andere ihn dringend davor warnten. Epistola ad Hussitas, Pars
secunda, c. I, Pez, Thesaurus anecdotorum, IV, 2. 527.
Hus ens? Lehre : von der Wandlung.
263
(ieirentheil die Lehre von der Wandlung von Anfang an bis zu
seinem Ende festhielt ?
Sollte der Beweggrund etwa der gewesen sein, dass Hus
durch die Aufbietung kirchlicher Lehrauktorität , Zucht und
Macht, welche noch gegen Wiclif selbst um dieser Lehre wil-
len verfügt worden war , sich hätte einschüchtern lassen ? Aber
Hus war nicht der Mann dazu, der blossen Gewalt einen Einfluss
auf seine christliche Ueberzeugung und sein Bekenntniss einzu-
räumen. Wie nachdrücklich rügt er es an seinen ehemaligen
Freunden und Parteigenossen, einem Stanislaus von Znaim
und Stephan Paletz, dass sie sich haben einschüchtern las-
sen, so dass sie aus standhaften Verfechtern der Wahrheit sich in
Schmeichler der Kurie und der Papstmacht verwandelt haben.
Furcht und Rücksichten , niedere persönliche Beweggründe sind
es in keinem Fall gewesen, welche in dieser Frage für Hus
maassgebend waren.
Es war gewiss nur reine Ueberzeugung und sachliche Prü-
fung, welche ihn bestimmte, der Opposition Wiclif s gegen die
Kirchenlehre von der Wandlung nic ht beizutreten. Hus ist sich
bewusst, der Lehre Wiclifs ganz unabhängig gegenüber zu ste-
hen, und keinen seiner Sätze darum anzunehmen, weil Wiclif
ihn aufgestellt hat, sondern darum, weil die heil. Schrift oder die
Vernunft ihn bezeugt, aber auch einen Irrthum, den Wiclif etwa
vorgetragen haben sollte , eben so wenig von ihm als von irgend
einem anderen Lehrer sich aufdringen zu lassen 1 . Bei alle dem
können wir jedoch nicht bezweifeln , dass die kirchlichen Censu-
1) Responsio ad scripta Stephani Paletz, Opp. I, 2641 : Nec mihi pla-
ret, quod iste Doctor Paletz) in mala signißcatione vocat nos Wiglefi-
stas. Ego tu im fateor, quod sententias vereis, quas M. Joannes Wigleff,
sacrae theologiae professor posuit, teneo, uon quia ipse dicit , sed quia di-
cciis ? scriptura vel ratio infallibilis dicit. Si autvm aliquem errorem po-
sucrit. nec ipsum nec quemeunqae alium intendo in errore quantumlibct mo-
dice imitari. Aehnlich spricht sich Hus schon im Jahr 1412 in seinem
Schreiben an den Karthäuser-Convent zu Dolan , Docum. 32, aus : er sei
nicht gewillt irgend einem schriftwidrigen Irrthum zu huldigen, non dico,
si Wiklef, sed nec si angeht* de eölo desceiideret , et a/iter, quam scriptura
doeuit. doceret.
264
Buch III. Kap. 8*. VII.
ren. welche über Wiclif um seiner Abendmahlslehre willen ver-
hängt worden waren, immerhin Eindruck auf Hu s gemacht ha-
ben. In der Weise nämlich, dass er. weil die Censuren erfolgt
waren, um so mehr zu sachlicher Prüfung der Wiclif sehen
Gedanken vom Abendmahl veranlasst wurde. Die Folge war.
dass er dieselben fallen Hess . während er die übrigen Grundge-
danken Wiclif s, weil sie ihm biblisch und vernunftgemäss
erschienen , sich aneignete und mit seinem innersten Wesen ver-
schmolz.
Wir haben vorhin angedeutet, dass Hus als Theologe und
als Mann der Kirchenreform, auf Wiclif s Schultern stand. Was
er mit letzterem gemein hat, das ist die Anerkennung der allein
maassgebenden Auktorität der heil. Schrift und sein Begriff von
der Kirche : die wahre Kirche ist die Gesammtheit der Erwähl-
ten. Demnach ruht bei ihm, so gut wie bei Wiclif, die Kirche
auf dem ewigen Grund der göttlichen Gnadenwahl. Die Ueber-
zeugung, dass die wirkliche Gliedschaft an der Kirche , als dem
Leibe Christi, nicht durch irgend ein äusseres Merkmal erkennbar
und bedingt sei , dass selbst Amt und Würde in der Kirche keine
Bürgschaft dafür biete , dass jemand in Wahrheit der Kirche an-
gehöre : alle diese gewichtigen Gedanken von reformatorischer
Tragweite theilt Hus mit Wiclif. Mit ihm zieht er eine grosse
Scheidungslinie zwischen der wahren Kirche Christi und der fal-
schen Kirche des Widerchrists , zwischen Gliedern Christi und
Gliedern des Satans, zwischen dem cforus Christi und einem
clerus Antichristi. Demgemäss hat Hus eben so wie Wiclif.
einen ganz anderen Begriff von kirchlicher Auktorität und kirch-
lichem Gehorsam, als die zu seiner Zeit herrschende Ansicht.
Wie Wiclif beim Anfang der grossen Papstspaltung, so hat
Hus beim Ende derselben eine innere Emancipation vom Papst-
thum erlangt. Er theilt mit jenem die Anschauung von der Ge-
sammtentwicklung der christlichen Kirche : dass der päpstliche
Primat über die Kirche auf Verleihung durch den Staat berate
auf der »Schenkung« Kaiser Constantin's . dass die Kirche da-
durch verweltlicht worden und gesunken sei. dass vollends seit
dem XI. Jahrhundert »der Teufel los« sei. u. s. w. Endlich har-
monirt Hus mit Wiclif in der Ueberzeugnng, dass eine Reform
Hus und Wiclif. Vergleichung ihrer Lehre. 26.")
der Kirche dringend nothwendig sei. und in der Ansicht, dass die
Mittel und Wege solcher Reform in anhaltender und treuer Pre-
digt des Worts, in Züchtigung und Besserung des Klerus durch
Fürsten und Herren, in Aufhebung des päpstlichen Vorrechts und
Wiederherstellung der ursprünglichen Gleichheit zwischen den
Bisehöfen zu finden seien.
Genug Züge, welche eine geistige Familienähnlichkeit beider
Männer erkennen lassen. Es ist aber nicht blos eine Aehnlich-
keit wie zwischen Brüdern . sondern wie zwischen Vater und
Sohn. Wiclif und Hus stehen einander nicht parallel, sondern
der letztere stammt so zu sagen in absteigender Linie von dem
ersteren ab; sein Gedankenkapital ist von Wiclif ursprünglich
errungen, und er selbst hat es gleichsam ererbt, freilich nicht
ohne eigene Arbeit des Studiums, der Prüfung, wohl auch inneren
Kampfes. Dass aber Wiclif der Meister und Hus der Schüler
ist. das lässt sich, abgesehen davon, dass letzterer fast um ein
halbes Jahrhundert jünger ist. und abgesehen von vielfachen
ausdrücklichen Bekenntnissen desselben, sachlich erweisen durch
Vergleichung zwischen ihren Lehren. .
Beide Männer legen das Schriftprinzip zu Grunde . und er-
kennen der heil. Schrift die höchste entscheidende Auktorität zu.
Aber der Unterschied ist doch ein mehrfacher : einmal hat Wi-
clif diesen Grundsatz offenbar allmählich erarbeitet und mühsam
kämpfend errungen, während Hus ihn überkommen hat und ihn
nur festzuhalten uud geltend zu machen nöthig fand. Und weil
dem so war. so hat Wiclif das Schriftprinzip, welches für ihn
ein Neues war. und den Werth einer selbständigen Errungen-
schaft hatte, vielseitig begründet, systematisch abgeleitet . um-
ständlieh vertheidigt. Ist doch sein grosses Werk »Von der Wahr-
heit der heil. Schrift« nichts anderes als eine ausführliche Ver-
theidigung und Beleuchtung des Schriftprmzips. Wie viel leichter
hatte es Hus in dieser Beziehung ! Er hatte das Schriftprinzip
von Wiclif Uberkommen, er ist der Jünger, und jener der Mei-
ster. Allerdings hatte schon Matthias von Janow die Schrift
höher gestellt als alle menschlichen Ueberlieferungen 1 und
1 s. oben Buch III. Kap. '.S. I. 8. 127 folg.
266
Buch III. Kap. 3. VII.
Satzungen. Allein Hus ist in diesem Stucke nicht durch Janow,
sondern durch Wiclif s Vorgang bestimmt worden. Das ergibt
sich mit Zuverlässigkeit aus der unleugbaren Thatsache , dass
Hus den ganzen Begriffsapparat, mit welchem er in diesem
Lehrstück arbeitet, in der That mit Wiclif gemein hat, nicht
aber mit Matthias von Janow '). Ferner hat Wiclif den Grund-
satz von der allein maassgebenden Auktorität der Schrift mit prin-
zipieller Schärfe geltend gemacht und geradezu behauptet :
die Schrift hat unendliche Auktorität . deswegen muss man sich
rein an sie halten: während Hus niemals mit solch schneiden-
der Schärfe sein Schriftprinzip entwickelt. Endlich hat Wi-
clif auch in der Auslegung des Wortes Gottes die Befugniss
kirchlicher Tradition zu massgebendem Einfluss folgerichtig ab-
gelehnt, und dagegen gefordert, dass wir uns durch den heiligen
Geist den Sinn der Schrift sollen eröffnen lassen , oder , was auf
dasselbe hinauskommt, dass wir lernen müssen Schrift durch
Schrift erklären2). Da macht Hus viel eher eine Einräumung,
wenn er versichert, er wolle die Schrift nicht anders auslegen,
als wie der heilige Geist an die Hand gibt und wie die heiligen
Kirchenlehrer, denen der heilige Geist das Verständniss verliehen
hat. sie erklären3 .
Den zweiten Grundgedanken . dass die wahre Kirche nichts
anderes sei als die Gesammtheit der Erwählten, hat Hus eben-
falls mit Wiclif gemein, und er hat ihn, unseres Erachtens.
nicht von Janow. bei dem wir ihn allerdings gleicherweise
finden, sondern vielmehr von W i c l i f überkommen. Dafür spricht
1 Schon die Namen sind in dieser Beziehung charakteristisch. Der
stereotype Lieblingsbegriff' von Hus ist hier lex Christi; und diesen hat er
tinfach von Wiclif angenommen, während Janow der mannigfaltigsten
Bezeichnungen sich bedient : Veritm. divina scriptunu s. veritas, Bihha,
cerbtim Jesu . re.rbu Dei riri, Dei summt praeeepta , wohl auch einmal lex
a Jesu promulgata; aber der ausgeprägte Begriff lex Christi ist ihm fremd.
Kerner sind die Gedanken von der Genügsamkeit des »Gesetzes Christi«
/.ur Regierung der Kirche, von der alles übertreffenden Wirkungskraft
der Schrift u. s. w. speeifisch Wiclif'scher Art.
2 s. oben II. Buch. Kap. 7. III.
:t s. oben S. 2."i7.
Hus und Wiclif, Vergleichung ihrer Lehre.
267
entscheidend der Umstand , dass das correlate Begriffspaar : Er-
wählte und Vorhergesehene . welches bei Hus zu den Elementen
«k's Lehrstücks von der Kirche zählt, von Janow nicht entlehnt
sein kann, weil es diesem selbst noch fremd ist, sondern nur von
Wiclif. dem dasselbe vollständig- geläufig ist. während der Be-
griff praesciti nicht etwa von beiden unabhängig aus Augustin
geschöpft sein kann. Seinen ganzen Kirchenbegriff, mit allem,
was daraus fliesst. verdankt Hus keinem anderen als Wiclif,
Und doch lässt sich auch auf diesem Gebiete christlicher Lehre
ein charakteristischer Unterschied zwischen beiden nicht verken-
nen. Bei Wiclif steht jener Kirchenbegriff in einem grossarti-
gen Zusammenhang mit seiner ganzen Anschauung von Gott und
göttlichen Dingen . von der Welt und der göttlichen Weltregie-
rung . von der Sinnenwelt und Geisterwelt . von den Allgemein-
heiten u. s. w. Insbesondere ist keinem Zweifel unterworfen.
das< Wiclif s Lehre von der Gnadenwahl nicht anthropologisch
durch Sündenfall und allgemeine Sündhaftigkeit, wie bei Augu-
st in . sondern theologisch begründet ist. Hingegen bei Hus fin-
den wir denselben Kirchenbegriff, ohne dass dessen tiefere spe-
culative und theologische Wurzel irgendwie zu Tage tritt. Ganz
das Verhältniss . wie es zwischen Meister und Jünger in der Na-
tur der Sache liegt.
In dem Glaubenssatz: Christus allein der Mittler zwi-
schen Gott und Menschen, ist Hus mit Wiclif einig. Der Unter-
schied ist nur der, dass letzterer diese ächt evangelische Wahr-
heit mit vollkommener Stärke und Freudigkeit der Ueberzeugung.
scharf und rückhaltslos geltend gemacht und wenn wir von der
Kechtfertigungslehre absehen folgerichtig durchgeführt hat. ins-
besondere gegenüber der Verehrung und Anrufung der Heiligen.
Während Hus lange nicht mit der Schärfe und Entschiedenheit
den gemeinsamen Grundgedanken bis in seine Consequenzen ver-
. folgt, insbesondere von der Anrufung der Heiligen und dem Ver-
trauen auf ihre Fürbitte und Verwendung niemals sich losge-
sagt hat1 .
1 Er spricht sich zwar dahin aus, dass ein Christ nicht an die Jung-
frau Maria oder an irgend einen Heiligen glauben dürfe . sondern nur an
268
Buch III. Raffe 3. VII.
In der Lehre von den Sakramenten ist Hus an Schärfe
und Rückhaltslosigkeit der Kritik ebenfalls hinter W i c 1 i f zurück- .
geblieben. Das freimüthige Urtheil desselben über die Siebenzahl
der Sakramente hat er sich anscheinend nicht angeeignet \) . Dass
Hns anlangend die Unabhängigkeit der Heilswirkung jedes Sa-
kramentes von dem Gnadenstande des Priesters, der dasselbe ver-
waltet, von Wiclif abgewichen sei2 , beruht, wie oben nachge-
wiesen, auf Irrthnm 3 . Dagegen hat er die Opposition Wiclif's
gegen die Lehre von der Wandlung niemals getheilt. sondern ist
in diesem belangreichen Punkte der Kirchenlehre treu geblieben.
Anlangend die praktisch einschneidenden Fragen der Kir-
chenverfassung steht Hus insofern auf Wiclif's Standpunkt, als
er das angebliche göttliche Kecht des Papstthums auf den Primat
in der Kirche entschieden verneint. Nur begnügt sich Hus bei
der Frage, was denn werden solle, damit, dass die ursprüngliche
Gleichheit der Bischöfe unter sich wiederhergestellt werden möge ;
ein Ideal, das allerdings weiter geht als die episcopalistische Mehr-
heit des Concils zu Constanz. welche sich den Primat des Papstes
gefallen Hess, aber demselben nur feste Schranken ziehen wollte,
um den Absolutismus der Kurie für immer zu beseitigen. Aber
bei alle dem ist Hus hinter den Gedanken und Zielen Wiclif's
doch um ein Beträchtliches zurückgeblieben . sofern dieser weit
davon entfernt war. sich mit der Gleichheit unter den Bischöfen
zu begnügen, vielmehr Gleichheit unter den Priestern forderte
Denn Wiclif behauptete, dass die apostolische Kirche einen
Stufenunterschied zwischen Presbytern und Bischöfen gar nicht
gekannt habe, stellte sich vor. dass die Erhebung des Episkopat>
den dreieinigen Gott, De ßdei suae elucidatione , Öpp. I, 491. Allein in
derselben Schrift richtet er, gegen den Schluss, I, 512, dennoch eine Für-
bitte für seine Gegner an die »reinste Jungfrau, die Wiederherstellerin des
menschlichen Geschlechts«, und sagt von ihr weiterhin , sie sei »die Mittle-
rin« und »die Ursache der ganzen Erlösung aller, die da selig werden«!
Vergl. einen der letzten Briefe, Nr. S2 , Docitm. 131 am Schluss, s. oben
VI. S. 221.
1, s. oben S. 24S folg.
2 HoEHRiXGER, Kirche Christi, II, 4, Vorreformatoren. 2. S. tiü4.
3 s. oben S. 24<) folg.
Hus und Wiclif. Yergleichung ihrer Lehre.
269
über das Priesteramt erst eine Folge der (vermeintlichen Schen-
kung Constantin's gewesen sei : weshalb er offenbar der Ansicht
ist. dass die Superiorität der Bisehöfe über die Priester eben so
gut wie der Supremat des Bischofs von Korn über die andern Bi-
schöfe wieder abgestellt werden müsse. Abermals ein Punkt,
worin der Vorgänger ungleich kühner und entschlossener vorge-
drungen ist als der Nachfolger.
Fassen wir zusammen, so ist Hus allerdings nicht ein ur-
kräftiger . schöpferischer . originaler Geist wie W ieli f , und als
Denker weder spekulativ angelegt, noch von systematischem Ta-
lent. Auf dem Gebiete theologischen Denkens ist Wiclif ein
königlicher Geist, von einer angeborenen Geistesmacht und einer
durch unermüdete Geistesarbeit verwirklichten Hegemonie . Aväh-
rend Hus als ein Stern zweiter Grösse erscheint, und sich wie
ein Planet um Wiclif als seine Sonne dreht; beide freilich
schwingen sich um die Centraisonne, welche Christus selber ist.
Ferner. Hus ist nicht ein Charakter, wie Wiclif. doppelt
gehärtet und scharf wie Stahl, eine innerlich starke Natur, unbe-
dingt gerade aus gehend . ohne nach rechts oder links sich umzu-
sehen . nur seiner Ueberzeugung folgend und diese bis zu den
äussersten Consequenzen folgerichtig und thatkräftig durchfüh-
rend, seis auch zuweilen mit einer Schroffheit und Herbe, welche
verletzt und Anstoss gibt. Im Vergleich mit Wiclif ist Hus
vielmehr eine weiche Persönlichkeit, eine zart besaitete Seele,
mehr empfänglich und passiv geartet . als zu selbstthätigem Ein-
greifen und heldenmüthigem Erobern berufen. Aber damit ist
nicht gesagt, dass er ein Schwächling, eine charakterlos nachgie-
bige Persönlichkeit gewesen sei. Mit Weichheit und Zartheit der
Seele kann sich recht wohl eine sittliche Zähigkeit vereinigen,
eine unwandelbare Treue, eine unbeugsame Festigkeit, welche
eben in dieser Verbindung einen liebenswürdig gewinnenden Ein-
druck macht, ja die reinste Achtung und Verehrung erringt. Dazu
kommt die sittliche Reinheit und L neigennützigkeit des Mannes,
der eine fast asketische Strenge gegen sich selbst übte, seine
aufrichtige Gottesfurcht, zarte Gewissenhaftigkeit und herzliche
Frömmigkeit, wobei es ihm ganz und gar nicht um sich selbst
und die eigene Ehre , sondern vor allem um die Ehre Gottes und
270
Buch III. Kap. 3. VII.
seines Heilandes , nebenbei aber auch um die Ehre seines Vater-
landes und den unverletzten Ruf rechtgläubiger Frömmigkeit
seines Volkes zu thun war. An redlichem Eifer für Gottes Ehre
und die Sache Jesu Christi standen beide Männer, Wiclifund
Hus, einander gleich; nur war dieser Eifer bei Wiclif von
feuriger, männlicher, thatkräftiger Art, bei Hus von stillerglü-
hender Wärme , von fast weiblicher Zartheit , von inniger Treue
und Ausdauer. Und dieses bei aller Weichheit doch bis zum
schauerlichsten Tode unerschrockene Herz, diese unüberwind-
liche, ja alle Widerwärtigkeit weit überwindende Geduld des
Mannes in seinem Bekenntniss der evangelischen Wahrheit hat
ihm die Gemüther erobert und den nachhaltigsten Eindruck auf
seine Zeit und die Nachwelt gemacht. Wenn Wiclif überwie-
gend ein Verstandesmensch war, so ist Hus überwiegend ein
Mann des Gemüthes gewesen, nicht eines genialen Gemüthes wie
Luther, wohl aber eines tiefen, innigen, milden Gemüthes.
Ferner, wenn Wiclif beseelt war von einem mächtigen, ent-
schlossenen, männlichen, thatkräftigen Willen, so war Hus
erfüllt von einem treuen, innigen, ausdauernden Willen. Ich
möchte sagen: Wiclif war ein Mann Gottes, Hus war ein
Kind Gottes: aber beide waren Helden in Gottes Heersehaar.
jeder nach der Gabe , die ihm der Geist Gottes verliehen hatte .
und in jedem von beiden erzeigten sich die Gaben des Geistes
zum gemeinen Nutzen (I. Korinth. 12, 11. 7) . Mit dem Maasse
des Geistes gemessen, war Hus allerdings einem Wiclif nicht
ebenbürtig: Wiclif ist bei weitem der Grössere, er überragt
nicht nur andere Männer, sondern auch selbst einen Hus um
eines Hauptes Länge. Aber dessen ungeachtet war Johannes
Hus, was den Charakter anbetrifft, um seiner reinen, edlen Per-
sönlichkeit willen, seiner gewissenhaften Frömmigkeit und seiner
im Leiden und Erliegen sieghaften unverbrüchlichen Treue we -
gen ein durchaus würdiger Nachfolger Wiclif 's, ein würdiger
Vertreter des evangelischen Schriftprinzips und der die Ehre
Christi hochhaltenden, furchtlosen und treuen Reformgesinnung
Wiclif's. auf dem Continent.
VIII.
Nachdem wir Hus selbst, seine Persönlichkeit , Lehre und
Leben, in Beziehung auf Kirchenreform, vorzüglich mit einem
Rückblick auf Wie Ii f uns vergegenwärtigt haben, werfen wir
noch einen Blick auf den Beginn der hussiti sehen Bewe-
gung. Es gilt hier nicht dieselbe an und für sich zu verfolgen,
sondern nur das Reformelement, was in ihr lag, zur Erkenntniss
zu 1 »ringen, und diese Aufgabe kann nicht gelöst werden . ohne
das Verhältniss zu bestimmen, in welchem die Bewegung zu Hu*
und W iclif selbst gestanden ist.
Schon die Verhaftung und Einkerkerung Husens in Con-
stanz erregte in Böhmen und Mähren ein peinliches Aufsehen.
Vornehm und gering, reich und arm war entrüstet, dass ma ihn
ohne vorgängiges Verhör und Urtheil, kraft eines Gewaltstreichs •
trotz dem königlichen Schutzbrief, in den Kerker geworfen habe.
Man ahnte ein Unglück für das Land und für König Sigismund, den
Erben der römischen Krone , »falls dem gerechten Mann . der mit
einem solchen Briefe versehen ist, etwas widerfahren sollte.
Daher wandten sich die Stände von Böhmen und Mähren in
einem Schreiben vom Januar oder Februar 1415 an König Sigis-
mund, und forderten ihn auf durchzusetzen, dass Hus wieder auf
freien Fuss gesetzt und dass ihm freies öffentliches Verhör ge-
währt werde1). Die grossen Herren wussten sich zu massigen,
und suchten Abhülfe durch diplomatische Schreiben. Aber ihre
Hintersassen und die Masse der Bevölkerung Hessen schon jetzt
ihren Uninuth in Gewalttätigkeiten aus. Es kam da und dort zu
ärgerlichen Auftritten, zu Aufläufen sogar in Kirchen, und zur
Mishandlung von Klerikern. Daher wandte sich Erzbisehof Con-
rad von Prag am 6. März 1415 an den Oberstburggrafen zu Prag.
Tschenjek von Wessel auf Wartenberg , und bat ihn , weil man
1 Palacky j Documenta . ö:>4 ff. Das Schreiben* ist in tchechischer
Sprache verfasst : in der lateinischen Uebersetzung ist bemerkenswert!! die
Aeusserung, Hus sollte sich öffentlich vor dem Concil verantworten dür-
fen, wie er palam et sine metu legem divinum pr aedicav it. Wir haben
hier den Begriff »Gottes Gesetz« , welchen Hus mit Wiclif gemein hat.
272
Buch III. Kap. a. VIII.
wohl wusste, dass er an der Spitze der hussitisch gesinnten Ba-
rone stehe , den Unordnungen zu steuern und seine Anhänger
zu beruhigen, damit es nicht am Ende bis zum Blutvergiessen
komme 1 .
Das Unglück war aber schon nicht mehr abzuwenden. Si-
gismund that nichts, um sein Wort zu halten, seine fürstliche
Ehre zu retten und Hus auf freien Fuss zu setzen. Und das Con-
oil trieb einem Auto da fe entgegen. Dieser Gang der Dinge
machte sich in Böhmen und Mähren fühlbar : die Stimmung ver-
schlimmerte sich immer mehr. Wir können das deutlich messen,
wenn wir die beiden Schreiben des böhmischen und mährischen
Adels an König Sigismund vom 8. und 12. Mai 1415 mit dem
früheren Schreiben vom Januar oder Februar vergleichen. Die
späteren Schreiben sind durchweg um einen Ton höher gestimmt :
das Zeugniss, welches die Barone für Hus ablegen, ist fühlbar
wärmer und begeisterter; die Beschwerde über das gegen ihn
eingeschlagene Verfahren lautet lebhafter; insbesondere klagen
sie mit unverholener Entrüstung über die Härte und Grausam-
keit, womit er jetzt in Gottlieben behandelt werde ; die Zu-
muthungen an König Sigismund sind mit mehr Nachdruck und
Dringlichkeit ausgesprochen 2) .
Aber alle - diese offenen Aussprachen und wohlgemeinten
Warnungen blieben unbeachtet. Das Concil schritt Anfang Juni
zu den öffentlichen Verhören. Und am 6. Juli folgte das End-
urtheil, und dessen Vollziehung durch den »weltlichen Arm«.
Als die Nachricht von Hus ens Verbrennung und von der
unerschütterlichen Standhaftigkeit , womit er in den Tod gegan-
gen war, nach Böhmen und Mähren gelangte , machte sie allent-
1 Docttm. 536 folg.: Quidam, ut melius nostis, dei timore postposito,
ecc/esias et personas ecclesiasticas invadentes et blasphemiam committentes, in
vilipendium censurae ecclesiasticae nefanda et scandalosa committere prae-
sumpserunt. Aber schon im Eingang des Schreibens erwähnt der Erzbischof,
was vollends in der Zukunft bevorstehen dürfte : law quasi per amnes di-
strietas particulares fide/ium ehristianorum sanguinis tffutio ex-
pectatiur. Wir sehen, wie gross auf klerikaler Seite die Besorgniss bereits
geworden war.
2 Vgl. oben V. S. 2(>:J folg. Doeum. 547 ff. 550 ff.
Die Stimmung in Böhmen.
273
halben einen ungeheuren Eindruck. Man stand vor einer vollen-
deten Thatsaelie. Die hierarchische und klerikale Partei fand
in derselben eine tiefe Befriedigung und lebhafte Ermunterung.
Die reformfreundliche und nationale Partei war für einen Augen-
blick wie niedergeschmettert. Darauf folgte aber ein tief gehen-
des unheimliches Grollen. Der böhmische Patriotismus sah in
Uns den reinsten Vertreter und tapfersten Vorkämpfer tschechi-
schen Volksthums. Und den hatte man nicht nur erbarmungslos
eingekerkert, seine Lehre als häretisch verurtheilt, sondern sogar
als einen Erzketzer verbrannt ! Damit war der tschechischen Na-
tion . der slawischen Rasse ein Schandfleck angehängt, welcher
nur mit Blut abgewaschen werden konnte. War doch Hus nicht
nur. um seine persönliche Rechtgläubigkeit zu beweisen, sondern
auch um den christlichen Ruf seines Vaterlandes zu retten, nach
Oonstanz gegangen. Seine Verurtheilung erschien als Parteilich-
keit, seine Verbrennung als Justizmord. So verband sich die
Entrüstung verletzten Rechtsgefühls mit religiösem Fanatismus
und mit dem patriotischen Groll über die Beschimpfung der na-
tionalen Ehre. Lauter Elemente, welche in ihrem Zusammen-
wirken die Folge hatten, dass die Hussitenkriege mit dem Feuer
eines Rassenkampfes und den Leidenschaften eines Bürgerkrie-
ges zugleich die Greuel eines Religionskrieges vereinigten.
Es kam jedoch nicht so rasch zu einem Ausbruch. Wiewohl
es an Ereignissen, welche die Flamme schürten, nicht fehlte. Am
8. Juli 1415. zwei Tage nach Hus'ens Tod, von dem man in
Prag unmöglich schon Nachricht haben konnte, richtete die Uni-
versität Prag eine lebhafte Beschwerde an den Landeshauptmann
von Mähren. Latzek von Kr a war. Es war nämlich am 29. Juni
ein ehemaliger Prager Student von der hussitischen Partei, Na-
mens Johannes, nach Olmütz gekommen, dort aber verhaftet,
verhört, gefoltert, verurtheilt und als Ketzer verbrannt worden,
— alles binnen eines halben Tages ! Und doch war derselbe als
ein frommer junger Mann von sittlich reinem Wandel und auf-
richtigem Eifer für Gottes Gesetz 1 . hoch geachtet. Aber auch
1) verus zelator legis Dei, Palacky, Docum. 502. Wenn der Kector
der Universität zwei Zeilen nachher auch den Landeshauptmann selbst legis
Lechlek, Wiclif. II.
274
Buch III. Kap. 3. VIII.
hier spielt die Hauptrolle das verletzte Nationalgefühl. Nicht
blos die Universität schien durch jene That biossgestellt, sondern
jener Vorgang war »ein unauslöschlicher Schandfleck des Volks
von Böhmen und Mähren und der ganzen slawischen Sprache«
Kasse 1 .
Kein Wunder, wenn bald nach dem Eintreffen der Nachricht
von Hus'ens Feuertod in Böhmen und Mähren da und dort wilde
Ausbrüche der Volkswuth sich ereigneten. In Prag selbst wurden
die Wohnungen einiger Pfarrer, welche man als H u s ens Feinde
ansah, demolirt. mehrere Geistliche theils erstochen theils in die
Moldau gestürzt : das Palais des Erzbischofs auf dem Hradschin
wurde förmlich belagert, so dass er selbst mit knapper Noth sein
Leben rettete. Und auf dem Lande wurden römisch gesinnte
Pfarrer von den Grundherren verjagt und durch hussitisehe Prie-
ster ersetzt 2) .
Da nun König Wenzel die Sachen gehen liess . wie sie gin-
gen, während die Königin Sophie sich für die Verehrer von Hus
eben so offen erklärte wie ehmals für ihn selbst, so nahmen die
königlichen Würdenträger und Räthe. welche grösstentheüs 1ms-
sitisch gesinnt waren, das Heft in die Hand. Sie entschlossen
sich den Gefühlen und Wünschen des Volks auf gesetzlichem
Wege Geltung zu verschaffen, eben damit aber den Landfrieden
zu bewahren und Ausbrüche der Rache und Versuche der Selbst-
hülfe für die Zukunft abzuseimeiden. Man berief einen grossen
Landtag auf Anfang Sept. 1415 nach Prag. Derselbe wurde von
böhmischen und mährischen .ständen ausserordentlich zahlreich
besucht. Gleich die erste Handlung des Landtags war ein feier-
licher Protest an das Concil zu Constanz gegen Hus ens Yer-
urtheilung und Hinrichtung, in einem offenen Schreiben vom
2. September, welches in sehr nachdrücklichein Ton abgefasst
war und von 45 böhmischen, 24 mährischen Baronen sofort un-
dei zelator praecipuus nennt, so fällt der bereits gäng und gäbe gewor-
dene Begriff »Gottes Gesetz« sofort in's Auge.
1) Daher werden die Urheber jenes Ketzergerichtes zweimal ausdrück-
drücklich als inimici gentis nostrac bezeichnet.
2) Palacky, Gesch. von Böhmen, III, 1. 370 ff.
Protest des Adels in ßöhmen und Mähren.
27.")
fceneichnet wurde. Das Schreiben wurde nachher in den einzel-
nen Kreisen von Böhmen und Mähren in Umlauf gesetzt und noch
von einer grossen Menge Herren unterzeichnet, so dass acht
gleichlautende Schreiben mit den Unterschriften und Siegeln von
452 .Magnaten, Baronen und Herren abgesandt werden konnten.
Das Schreiben enthält theils Protest, theils Willenserklä-
rung. Der Protest ist ein doppelter: er betrifft theils Hus per-
sönlich, theils das ganze Land. Böhmen und Mähren. Nach Con-
statirung der Thatsache, dass das Coneil »deu ehrwürdigen Magi-
ster« Johann Hus. ohne dass er geständig oder rechtskräftig über-
wiesen war. verurrheilt und hingerichtet habe, wird ein überaus
ehrenvolles Xeugniss für denselben mit ausserordentlicher Wärme
abgelegt: er sei ein durchaus guter, frommer, sittlich tadelloser
Mann gewesen, welcher »das evangelische Gesetz« in Lehre. Pre-
digt und Schrift treulich vorgetragen, durch Wort und Wandel
zum Frieden und zur Nächstenliebe vermahnt, aber niemals einen
Irrthum oder Ketzerei behauptet und Aergerniss gegeben halte.
Nebenbei wird auch Hieronymus von Prag rühmlich erwähnt,
und constatirt. dass man ihn unverhört und ohne dass er gestän-
dig oder überwiesen sei. eingekerkert und vielleicht jetzt eben-
falls umgebracht habe. Diesem persönlichen Protest schliesst
sich sofort ein Protest an im Namen des »allerchristlichsten Kö-
nigreichs Böhmen« und der »hochberühmten Markgrafschaft Mäh-
ren : beide seien vor dem Coneil verschiedener Irrlehren und
Ketzereien angeschuldigt worden: das sei eine schreiende Unbill,
beide Länder haben von jeher der römischen Kirche unverbrüch-
liche Anhänglichkeit und aufrichtigen Gehorsam bewiesen. Da-
her erkläre man mit gutem Gewissen öffentlich jeden, wer er
auch sei — mit alleiniger Ausnahme des Königs Sigismund. —
der da behaupte, es gebe Irrlehren und Ketzereien in Böhmen
und Mähren, für einen Lügner, einen Verräther dieser Länder,
ja für den schlimmsten Ketzer and für ein Teufelskind. Doch
stelle man die Vergeltung all" dieser Unbill Gott dem Herrn
anheim.
Diesem doppelten Protest folgte die W i 1 1 e n s e r k 1 ä r u u g :
man behalte sich vor. die Sache bei dem künftigen Papste weiter
zu verfolgen. Diesem werde man in allem was erlaubt und sittlich
IS* V
276
Buch III. Kap. 3. VIII.
recht . der Vernunft und dem Gesetze Gottes gemäss ist, gebüh-
renden Gehorsam leisten, behalte sich aber unter allen Umstän-
den vor. Christi Gesetz und seine demüthigen und standhaften
Prediger furchtlos und ohne Rücksicht auf entgegenstehende
Menschensatzungen, bis zur Vergiessung des Blutes zu verthei-
digen und zu schützen.
Dem Proteste schloss sich demnach unmittelbar ein Programm
für die Zukunft an, ein aufrichtig und entschlossen gefasstes
evangelisches Programm1). Allein so bedeutungsvoll diese Kund-
gebung war, so lag doch in derselben genau betrachtet nur ein
Bekenntniss zu der Lehre und Sache von Hu s. nicht aber eine
That. Man schritt aber sofort auch zu einer entsprechenden That.
Nur drei Tage später, am 5. September 1415. unterzeichneten
dieselben Barone aus Böhmen und Mähren, welche die Adresse an
das Concil erlassen hatten . eine Urkunde , worin sie zum Behuf
gleichmässigen und gemeinschaftlichen Handelns in Sachen der
Religion ein Schutz- und Trutzbündniss unter sich aufrichteten.
An die Spitze desselben wurde ein Triumvirat gestellt, bestehend
aus den Herren Tschenj ek von Wessel auf Wartenberg, Oberst-
burggraf von Prag, Latzek von Krawar, Landeshauptmann
von Mähren, und Botzek dem älteren von Podjebrad, Gross-
vater des nachmaligen utraquistisehen Königs von Böhmen . Ge-
org von Podjebrad, also zwei Barone aus Böhmen und einer aus
Mähren. Der Herrenbund verpflichtete sich gegenseitig, auf sei-
nen Besitzungen die freie Predigt des Wortes Gottes zu schirmen,
ferner kirchliche Verfügungen und Urtheile des künftigen Papstes
oder irgend eines Bischofs in Böhmen und Mähren lediglieh nur
in so weit anzuerkennen und durchzuführen, als sie dem Willen
1) In dem Schreiben, das lateinisch gefasst ist, D<>cum. 580 ff., wird
schon in Betreff Husens die lex evangelica , allerdings in Verbindung mit
expositio sanctorum doctorum ah ecchsia approbatorum oder sanctorum patrttm
instituta, mehr als einmal betont. Aber ganz besonders nachdrücklich ziehen
die Barone eine scharfe Grenzlinie für ihren künftigen Gehorsam gegen
Kirche und Papst, indem sie ihn ausdrücklich auf diejenigen Verfügungen
beschränken, welche rationi et legi dicitntr consona seien, und Rieh
positiv vorbehalten, die lex Jesu Christi ipsiusque — humiles et con-
stantes pr u e d icat o res unbedingt in Schutz zu nehmen.
Der hussitische Herrenbund.
277
Gottes und der heiligen Schrift gemäss sein würden. Andernfalls
solle die Prager Universität, nämlich der Rector und die Docto-
ren der Theologie, als Schiedsrichter anerkannt werden. Sollten
schriftwidrige Excommunicationen und Maassregelungen versucht
werden, so versprach man sich gegenseitige Hülfe und Schutz.
Der Vertrag wurde vorerst auf sechs Jahre geschlossen 1 .
Das war ein kühner Griff, ein praktischer Schritt von unge-
meiner Tragweite. Der hussitische Bund bildete eine Art Ne-
benregierung . einen Staat im Staate . freilich nur zu kirchlichen
Zwecken , aber unvermeidlich auch mit politischen Folgen. Das
evangelische Schriftprinzip, wie es Hus von Wie Ii f überkom-
men hatte, wurde hiemit zum Panier eines zahlreichen und mäch-
tigen Herrenbundes erhoben, wie es von demselben ein paar Tage
zuvor als Bekenntnis^ dem Concil gegenüber ausgesprochen wor-
den war 2 . Beachtenswerth erscheint hiebei der Umstand, dass
den Baronen der Begriff einer tschechischen Landeskirche vorzu-
schweben scheint , indem sie mit einer absichtlichen Betonung
aussprechen, dass sie lediglich nur von Seiten derjenigen Bischöfe,
»welche in Böhmen und Mähren unsere Vorgesetzten sind«, Ver-
fügungen annehmen und gelten lassen wollen. Ausserdem liegt,
wie Palacky mit Recht bemerkt hat3 , etwas vollkommen Neues
in dem Schiedsrichteramte in Kirchenfragen, welches die Barone
der Prager Universität . d. h. dem Rector und den Doctoren der
Theologie zuerkennen. Uebrigens handelten dieselben auch hierin
folgerichtig . indem sie der theologischen Facultät nicht ein un-
beschränktes Schiedsrichteramt ertheilten . sondern über dersel-
1 Dorum. 590 ff. Vgl. die deutsche Uebersetzung der Urkunde, deren
Original tschechisch ist, bei Helfert, Hus und Hieronymus, 1853. An-
hang, 30() ff.
2) Verbum Dei secundum sacras Ute ras praedicari , ist der
Zweck ; verbum dei et ejus lex, oder lex dei ejusque sacra scriptura wird als
maassgebende Norm anerkannt ; und dabei ist bemerkenswerth , dass von
einem nebenbei maasgebenden Ansehen der Kirchenväter, wovon das Schrei-
ben an das Concil zweimal spricht , in der ganzen Bundesurkunde keine
Spur vorkommt.
3 Gesch. von Böhmen. III, t. 377.
i
278
Buch III. Kap. ä, VIII.
ben »Gottes Gesetz und seine heilige Schrift« für das Richtmaass
erklärten 1 .
Es war nicht ursprünglich die Absicht gewesen, einen hus-
sitischen Sonderbund und eine Nebenregierung zu bilden. Man
hatte sich redlich bemüht , den König zum Beitritt zu bewegen :
dann würden die Bundesbeschlüsse Landesgesetze geworden
sein. Allein dazu Hess sich König Wenzel denn doch nicht
bewegen. Somit blieb den Baronen, wollten sie nicht ihre
Ueberzeugung und Gewissensfreiheit zum Opfer bringen , nichts
anderes übrig, als das Schutz- und Trutzbündniss einfach unter
sich zu schliessen.
Natürlich blieb die Gegenpartei auch nicht müssig. Sie hielt
am 1. October eine Versammlung beim Erzbischof Conrad auf
seiner Herrschaft Böhmisch - Brod , und vereinigte sich ebenlalls
zu einem Bunde, dessen Urkunde nicht mehr vorhanden ist. Nur
so, viel weiss man davon, dass diesem Bunde 14 Barone beiger
treten sind, also eine sehr kleine Zahl im Vergleich mit dem
hussitischen Herrenbunde. Indessen gehörten dazu mehrere holte
Landesbeamte und sonst vornehme Herren. Die Hauptsache war
aber , dass König Wenzel selbst nachträglich und zwar öffentlich
zu erkennen gab, dass er diesem Bunde angehören wolle. Die
Mitglieder verpflichteten sich zu unbedingtem Gehorsam ge-
gen den König, die römische Kirche und das Concil.
So standen in Böhmen und Mähren nunmehr zwei Sonder-
derbündnisse von Baronen und Herren sich gegenüber, das hus-
sitisch-reformatorische und das römisch-conservative. Es fragte
sich, ob eine Möglichkeit sei, den Landfrieden noch zu erhalten,
oder ob man unrettbar dem Bürgerkrieg entgegentreibe.
Die Maassregeln, welche die Hierarchie ergriff, waren nur
gar nicht dazu angethan, die Gemüther zu beschwichtigen. Es
war ein entschiedener Fehlgriff, dass das Concil zu Constanz
gerade den Bischof von Leitomischl . Johann den Eisernen, als
ausserordentlichen Legaten mit Vollmacht und Empfehlungen
l Docum. 594: tri Iii sint urhitri sie an dum li'f/cm de% fjttsqife .<-"-
er am scripturam.
.Maassregeln der Kirche gegfetl die Hussiten.
279
rtaöh H< »Innen schickte, um »die Ketzerei auszurotten1 «. Bischof
Johann war in Böhmen schon vor dem Concil als Führer der anti-
hussi tischen Partei in dem böhmischen Klerus, und in Constanz
während des Concils als einer der fanatischsten Gegner Hus ens
ao%etreten2 . Demnach konnte die Ernennung seiner Person zum
Legaten von Seiten des Concils die hussitische Partei nur erbit-
tern. Ferner waren die Erlasse, zu denen das erzbischöfliche
Domkapitel in Prag- sich bewogen fand, nur zu sehr geeignet das
Im'iut zu schüren. Das Kapitel erliess am 5. Sept. ein scharfes
Verbot, bei Strafe des Banns, gegen die Spendung des Abend-
mahls unter beiderlei Gestalt, an alle Pfarrer der Diöcese , und
am Ib. desselben Monats gegen die Zulassung hussitischer Reise-
prediger praedicatores cagi) zu Predigten und anderen Anits-
vei •richrungen innerhalb der einzelnen Parochiem an sämmtliche
Decane und Pfarrer8 . Aber noch mehr trug zur Steigerung der
Leidenschaften das Interdikt bei, welches der Dechant und das
Domkapitel am 1. November 1415 über die Hauptstadt verhängte
und Jahre lang aufrecht erhielt. Es half nichts, dass eine tsche-
chische Bürgerversammlung sich mit einer Beschwerde über das
Interdikt an die Bürgermeister von Prag wandte. Die Bürger-
meister ersuchten , wie es scheint, den König um sein Einschrei-
ten. Aber selbst der König erreichte mit seiner Verwendung
nicht das geringste. Das Domkapitel antwortete mit Gegenbe-
scliwerden. und wusste Gründe genug anzuführen, aus denen
das Interdikt nicht aufgehoben werden dürfe4'.
1 Die Vollmacht, Docum. .V74 ff. ; eine Empfehlung an Jdhann von
Neuhaus, Obersthofmeister in Prag, a. a. O. 572 ff. und bei Hoefler, Ge-
schichtschreiber d. hussit. Bewegung, II, 2s2 folg.; ferner eine Empfehlung
an die Geistlichkeit in Prag selbst und in dem bischöflichen Sprengel von
Prag, Docum. 578 folg.
2 Hus selbst hat ihn in einem seiner letzten Briefe, Docum. 138 folg.
als einen von den Männern bezeichnet, welche am meisten gegen ihn ge-
hetzt haben.
3 Docum. ")!)5 folg. (iOO folg.
4 Die Vorstellung der tschechischen Bürgerversammlung, Documenta.
B04 ff.; die Erwiederung des Domkapitels an die königlichen Käthe, a. a. O.
606 ff.; beide Urkunden sind im Original tschechisch.
280
Buch III. Kap. 3. VIII.
Nun aber kam dazu, dass das Concil Ernst zu machen drohte.
Am 24. Februar 1416 beschloss es, die 452 Barone und Herren
aus Böhmen und Mähren , welche die Adresse an das Concil vom
2. September 1415 unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen
hatten, vorzuladen, um ihnen den Process zu machen. Und unter
dem 27. März 1416 erliess das Concil ein Schreiben an die Ba-
rone von dem antihussitischen Sonderbund, um diese zu thatkräf-
tiger Unterstützung des Legaten , Johann von Leitomischl . auf-
zumuntern und einen Kreuzzug gegen Böhmen in Aussicht zu
stellen 1 . Mit alle dem vermochte man die tschechischen Hussi-
ten nicht einzuschüchtern. Als aber vollends auch Hierony-
mus von Prag am 30. Mai verurtheilt und verbrannt worden
war, blieb schlechterdings keine Aussicht auf Versöhnung der
Parteien mehr übrig. Daher Hess das Concil seinerseits nun jede
Rücksicht fallen. Hat es sich doch zu einer bis dahin unerhörten
Maassregel entschlossen, indem es die Universität Prag mit einer
Art von kirchlichem Verruf belegte, alle ihre Privilegien, moch-
ten sie vom Papst oder einem Bischof, vom Kaiser oder irgend
einem Fürsten verliehen sein, ausser Kraft setzte, und sännnt-
liche Universitätsakte und Promotionen in allen Facultäten für
nichtig erklärte2). Wenn vollends einer der angesehensten und
gemässigtsten Theologen des Concils. D. Gerson, in seiner aus
Auftrag der Versammlung geschriebenen Beleuchtung der Frage
über die Communion unter beiderlei Gestalt , kein Hehl daraus
machte, dass es seines Erachtens der Würde des Concils mehr
entsprechen würde, gegen die Hussiten den römischen König
anzurufen, damit er die Sache mit dem weltlichen Arm verfolge,
statt einen literarischen Kampf zu führen, zumal das Concil
1) Dorum. (>1 5 ff".
2, Die Urkunde vom Jahr 1417, aber ohne Datum, s. bei Hoefler.
Geschichtschreiber der hussit. Bewegung, II, 237 ft'. Das Concil verhehlt nicht,
dass man mit Aufhebung der Universität umgegangen sei, aber schliess-
lich sich mit Suspension auf Zeit begnügt habe. Bezeichnend für das
kirchliche Rechtsgefühl ist, dass man sich ohne weiteres befugt glaubte,
auch solche Privilegien zu suspendiren , welche von Kaisern oder Köni-
gen, nicht von kirchlichen Behörden, verliehen waren.
Das Concil und die Reform
28 1
bereits das Urtheil gefallt habe1 : so sieht mau. wie man in
Constanz jetzt gesinnt war.
Dennoch erlebte das Concil einen Kreuzzug gegen die Hus-
siten nicht mehr. Nachdem es die grosse Papstspaltung glücklich
geheilt und die Einheit der abendländischen Kirche vollständig
wiederhergestellt hatte . blieb nur noch eine doppelte Aufgabe zu
lösen übrig : die Wahl eines einheitlichen Papstes und — die Re-
form der Kirche an Haupt und Gliedern. Nachdem aber die Mit-
glieder romanischer Nationalität. Italiener. Spanier und Franzo-
sen, mit Einschluss selbst so eifriger Reformfreunde wie Cardinal
d Ailly und D. Gerson. die Priorität der Papstwahl durchge-
setzt hatten, während die Mitglieder germanischer Nationalität.
Deutsche. Skandinavier und Engländer, unter Zustimmung der
Slawen Böhmen2 und Polen und der Magyaren . mit König Si-
gismund an der Spitze, die Reform zuerst auf die Tagesordnung
hatten setzen wollen : wurde die Papstwahl wirklich in erster
Linie vorgenommen. Am II. November 1417 wählten die Ver-
trauensmänner des Concils . in Gemeinschaft mit den in Constanz
anwesenden Cardinälen den Cardinal Otto von Colonna zum Papst,
der zum Andenken an den Tag seiner Wahl den Namen Martin V.
annahm. Nun sollte die Reform an die Reihe kommen. Allein
es war zu spät. Die redlichen Reformfreunde aus den romani-
schen Nationen mussten sich bald genug überzeugen, dass der
König und die deutsche Nation Recht gehabt hatten, als sie dafür
stimmten : erst die Reform . und dann den Papst ! Aus der Re-
form durch das Concil ist nichts geworden. Es wurde Martin V.
nicht schwer, gute Gründe für die Vertagung der Reform geltend
zu machen : die Aufgabe sei zu gross, als dass man sie übereilen
1 Von der Hardt, III. 776.
2) Nicht am wenigsten dringlich für die Reform sprachen sich gerade
die tschechischen Concilsmitglieder aus. Zum Beispiel der Prager Inquisitor.
Dr. Marik Mauritius , hielt am 9. Mai 1417 eine Rede im Concil für
die Priorität der Reform vor der Papst wähl, wobei er unter anderen Grün-
den hiefür auch den geltend machte, nur durch Venvirklichung der Re-
form werde man den Argwohn aus der "Welt schaffen, als hätte das Concil
den Hus nur darum verurtheilt . weil er die Simonie scharf gerügt habe.
V. d. Hardt, I. 870.
28*2
Buch III. Kap. 3. VIII.
dürfe : jedes Land habe seine »berechtigten Eigenthümlichkei-
ten« , die man durch eine allgemeine und gleichmässige Reform
nicht nivelliren dürfe : überdies habe das Concil zu Constanz be-
reits in's vierte Jahr gedauert, es könne nicht füglich ohne Scha-
den für den kirchlichen Dienst und die Gemeinden noch länger
tagen 1 . Somit begnügte sich der Papst mit dem Schein statt der
Sache, traf mit den einzelnen »Nationen« auf dem Concil Separat-
Vereinbarungen . und vertagte die allgemeine Reform : d. h. er
befolgte die strategische Maxime: dwide et impera. Am 22. April
1418 hat er das Concil wirklich aufgelöst.
Aber noch vorher hatte der neue Papst die Angelegenheit der
Hussiten in die Hand genommen. Am 22. Februar 1418 erliess
er mehrere Bullen und Schreiben, worin er die vom Concil in der
hussitischen Sache ergriffenen Maassregeln bestätigte, die Hussi-
ten ermahnte in den Schoos der Kirche zurückzukehren . die hart-
näckigen mit dem Bann belegte und alle kirchlichen und staat-
lichen Auktoritäten aufforderte, gegen sie einzuschreiten 2 .
Zugleich gab sich König Sigismund alle Mühe, seinen
Bruder Wenzel dahin zu bringen, dass er endlich gegen die Hus-
siten nachdrücklich einschreite. Zu diesem Behuf setzte das
Concil 24 Artikel fest über das hiebei einzuhaltende Verfahren.
Wenzel sollte sich eidlich verpflichten . I) die römische Kirche
bei ihren Hechten zu schützen, insbesondere den Kirchen alle
(xüter. die ihnen weggenommen worden, zurückzuerstatten, dem
Prager Dom seine Reliquien und Schatze zurückzugeben ; 2 die
vertriebenen Geistlichen in ihre Pfründen wieder einzusetzen :
^ die Prager Tniversität wieder auf römisch-katholischen Fuss
zurückzuführen: 1 den hussitischen Kultus abzustellen ;das
Reisepredigerwesen sollte unterdrückt, das Singen hussitiseher
Lieder allenthalben verboten, alle hussitischen Schriften ver-
brannt werden . ."> Die hussitischen Bündnisse sind aufzu-
lösen. 6 Die bedeutendsten unter den hussitischen Lehrern so
wie diejenigen Geistlichen, welche auf der Burg Lipnitz urdinirt
1 Nach Platina. Vita Martini V. bei Palacky, Gesch. von Böhmen.
III. I 404 folg. Anm. 60»!
2 Von der Hardt. IV. 15)8—1531
Könif; Wenzel und die Hussiten.
wurden, sind anzuhalten, dass sie sich zur Verantwortung vor
dem päpstlichen stuhle stellen. Aber alle Hussiten müssen zur
Abschwörung ihrer [rrthtimer gezwungen, die hartnäckigen
ernstlich gestraft werden: jeder der den Uns oder Hierony-
mus für einen Heiiiiren erklärt, soll als rückfälliger Ketzer zum
Feuertod verurtheilt werden u. s. w. 1 .
Allein König Wenzel war immer noch nicht geneigt; solche
energische Maassregeln zu ergreifen. Bis endlich König Sigis-
mund, auf der Rückreise nach Ungarn, am 4. December 141S
von Passau aus einen sehr nachdrücklichen Brief an seinen
Bruder sehrieh, des Inhalts: wenn König Wenzel nicht Ernst
mache, die hussitischen Irrungen in seinem Reiche zu unter-
drücken, so werde er um seine Krone kommen: denn die ganze
Christenheit werde sieh dann zu einem Kreuzzug gegen Böh-
men erheben. Wenn es aber so weit komme, so habe Wen-
zel es lediglich sich selbst und seiner Pflichtvergessenheit zu-
zuschreiben - .
Das wirkte. Seit Anfang Februar 14 Hl schritt der König zu
einzelnen Verwaltungsmaassregel» , welche den vom Concil vor-
geschriebenen Artikeln entsprachen. Der Dr. Johann Jesenitz.
um dessen willen zunächst das Interdikt am 1. Nov. 1415 über
Prag Verhängt worden war. musste für immer Prag meiden, die
vertriebenen römischen Priester wurden in ihre Pfarrstellen wie-
der eingesetzt. Nun war aber die Bevölkerung von Prag über-
wiegend hussitisch gesinnt. Daher hatten diese Maassregeln, so
wie der Umstand , dass die zurückgekehrten katholischen Pfarrer
ihre Kirchen neu weihten u. s. w .. eine nicht geringe Aufregung
zur Folge. Es kam zu Aufläufen in der Stadt. Daraufhin wurden
auf den 2r>. Februar Deputirte der Bürgerschaft vor die Käthe des
Königs vorgeladen, um die Eröffnung zu vernehmen, dass der
König den Hussiten drei Kirchen in der Stadt zu ihrem Gottes-
1) Dies sind, in etwas bessere logische Ordnung gebracht, die Haupt-
punkte der 24 Artikel . welche das Concil zu Constanz formulirt hat , um
das gegen die Hussiten zu beobachtende Verfahren zu regeln j vgl. Von
der Hardt, IV. 1514.
2 Docum. 682 ff.
2s4
Buch III. Kap. 3. VIII.
dienst anweisen lasse. Allein das empfand man nicht als eine
Concession, sondern als eine Beschränkung. Daher versuchte
man, durch Bitten , Vorstellungen und Gewalt wieder mehr Kir-
chen zu erlangen. Ein Hauptzankapfel wurden aber die Schu-
len. Wenn auch die Kirchen an römischgesinnte Priester abge-
geben werden mussten, so verweigerte die Gemeinde ihre Kirch-
schulen an die Pfarrer abzutreten, weil nicht die Pfarrer, sondern
die Gemeinde diese Schulen unterhalte. Nun aber konnten die
katholischen Pfarrer auf den Unterricht der Jugend nicht ganz
verzichten , sie wiesen ihre n Schülern Glockenthürme und der-
gleichen Lokale zun Unterricht an. So gab es denn bei einer
und derselben Kirche zweierlei Schüler , katholische und hussi-
tische; jene sangen lateinisch, diese tschechisch. Das konnte
ohne fortwährende Reibungen nicht abgehen. Manchmal misch-
ten sich die Bürger in den Streit zwischen den beiden Parteien
unter den Schülern. Es kam zu Schlägereien, Verwundungen
und Todtschlägen 1 .
Die Schwenkung , welche der König seit Anfang des Jahres
1419 gemacht hatte, war natürlich auch für seine Umgebung von
Folgen. Die eifrigsten Hussiten konnten nicht wohl länger am Hofe
bleiben. So trennten sich jetzt vom königlichen Hofe zwei Män-
ner, die bisher hoch in der Gunst Wenzel's gestanden waren, der
eine ein Staatsmann, der andere ein Kriegsheld: jener war Ni-
colaus von Pistna, königlicher Burggraf auf Hus und Pracha-
titz, dieser Johann Zizka (sprich: Schischka von Trotznow, ein
Mann vom niedern Landadel , der nur einige kleine Besitzungen
hatte, aber im Kriegshandwerk ergraut war. Beide wurden all-
mählich Volksführer auf hussitischer Seite. Bald war es dem
König Wenzel nicht mehr gemüthlich in Prag. Er begab sich
auf ein von ihm selbst erbautes Schloss »Wenzelstein.« Als er
aber dort Nachricht erhielt von den Vorfällen in Prag, wo am
30. Juli eine hussitische Procession in der Neustadt beim Rath-
hause aufgehalten und verhöhnt worden war. worauf die fana-
1 Nach der interessanten Mittheilung aus dem Chronicon Prnvopii im
Wittingauer Archiv, bei Palacky, Geschichte von Böhmen, III, 1. 413t
Anm. -V22.
Charakter der hussitischen Bewegung.
2S5
ttatrte Menge unter Johann Zizka's Führung das Rathhans
stürmte, und sieben Rathsherren zu den Fenstern hinausstürzte,
die sofort auf der Strasse umgebracht wurden: da gerieth er in
die leidenschaftlichste Aufwallung. In Folge derselben wurde
sein Geniüth verdüstert, voll Mistrauens und Schwermuth: ein
Schlagfluss lähmte seine linke Seite, und am 16. August 1419
starb er in Folge eines zweiten Schlaganfalls. Und noch im glei-
elien Jahre brach der Bürgerkrieg aus, wenigstens in seinen
ersten Vorspielen.
Anstatt nun die äusseren Ereignisse zu verfolgen, wenden
wir uns zum innere n C h a r a k t e r der hussitischen Bewegung.
Vor allem wurde das pietätsvolle G-edächtniss des Johann
Hus selbst von der ganzen Partei heiliggehalten. Sein Todes-
tag, der 6. Juli, wurde unstreitig schon in den ersten Jahren, und
so fortan, wie der Feiertag eines Heiligen und Märtyrers, began-
gen . Er hiess Pam at k a m i s t r a J a n a Hu si . Gedächtnisstag
des Magisters Johann Hus: und noch am Ende des XVI. Jahr-
hunderts hielt die Bevölkerung von Prag so streng auf die Feier
dieses Tages . dass der Abt des Klosters Emmaus in Prag , Paul
Horsky . um deswillen aufs ärgste verfolgt und bedroht wurde,
weil er einmal an dem Tage des Hus , als wäre es ein Werktag,
im Weinberg hatte arbeiten lassen 1 . Geistliche Beredtsamkeit.
Dichtkunst, Malerei wetteiferten, den Magister als einen Heiligen
zu ehren 2j . Wie viele Hoch-Altäre in Pfarrkirchen Böhmens und
1 llichard Andre e, Tschechische Gänge, Bielefeld u. Leipzig IS72. 131.
2 Das hussitische Cantionale der Stadt Prag aus dem Jahr 1572.
jenes Kleinod der Universitätsbibliothek daselbst, enthält ein tschechisches
Kirchenlied auf Hus, fol. 364a und folg.. während die genannte Seite mit
Miniaturen prachtvoll geschmückt ist: die Initiale zeigt die Enthauptung
Johannis, der untere Hand Husens Flammentod mit vielen Figuren, worun-
ter Michael de Causis mit einem gelungenen Fuchskopf (nicht einem
Eselskopf, wie Hanslick, Gesch. der Prager Univ. -Bibl. 1 S 5 1 . 627 folg. be-
hauptet ; der rechtseitige Hand enthält medaillon-artig über einander Wi-
clif, wie er Feuer schlägt, unter ihm Hus, wie er die Kohle anzündet,
noch tiefer unten Luther, die hellleuchtende Fackel schwingend! Diese
Trilogie von Medaillons zeigt sinnbildlich die Mission der drei Männer, der
beiden Vorläufer und des Reformators selbst. — Von den Miniaturen eines
Cantionale von Leitmeritz aus den Jahren 1511 — 1517. und zwar merk-
Buch III. Kap. 3. VIII.
Mährens im XY. Jahrhundert mit den Bildnissen des Hus und
Hieronymus geschmückt waren . wird «ich nicht mehr ausma-
chen lassen. Von vielen weiss man es positiv. Die Begeisterung
für Hus war so gross, dass ihn — so behauptet wenigstens ein
damaliger Gegner — die Partei nicht nur als Gelehrten über alle
Doctoren, sondern auch als Märtyrer über alle Märtyrer erhob:
laut desselben Gewährsmanns hat bei der Todtenfeier für Hus.
welche in der Bethlehemskapelle zu Prag gehalten wurde, der
hussitische Prediger ausgesprochen, ausschliesslich nur Christi
Passion könne dem Leiden des Johannes Hus gleichgestellt
werden 1 .
Dessen ungeachtet war es nicht ihre Meinung, den Magister
zu ihrem Herrn und Meister zu erheben, sondern Christus allein
sollte ihr Meister sein ; den »Magister« ehrten sie nur als einen
evangelischen Prediger«, treuen Lehrer und frommen Diener
Christi. Unter diese Gesichtspunkte stellt ihn der ungenannte
Theologe, dessen Predigt zu Hus ens Gedächtnisstage wir noch
besitzen-'. Das Jahr, dem diese Predigt angehört, ist freilich
würdigerweise nicht der Brüderschaft vom tschechischen . sondern der vom
lateinischen Kirchengesang, gibt uns theils Julius Lippert Nachricht. Ge-
schichte der Stadt Leitmeritz in »Beiträge zur Gesch. Böhmens«, Abth. III.
S. :*<K5 folg.), theils Hoefler, Mag. Jon. Hus, Iis. Anm. 95. Darnach ist
das kolossale Gesangbuch des lateinischen Liferatenchors der genannten
Stadt auf den Hus-Tag, *i. Juli, mit zwei Miniaturen geschmückt, deren
jede die Grösse des ganzen Pergamentblattes ( eine böhmische Elle und •">
Zollhoch, 12 Zoll breit; einnimmt. Das eine Bild stellt Husens Verantwor-
tung vor dem Concil dar, das andere seine Verbrennung, und auf dem
oberen Theile des Bildes seinen Eingang in die Seligkeit, indem ihn Engel
zum Himmel emportragen, in die ausgebreiteten Arme Gottes des Vaters.
t) Stephan von Dölau. Epistola od Hussitas, bei Pez, Tketaunis
auecd. IV, 2. 521. Femer stammt die Angabe gleichfalls aus der Feder
eines Gegners, ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die Hussiten sagten,
Hus habe mehr ausgerichtet und grössere Wunder gethan . als Petrus oder
Paulus, denn die Apostel hätten nur leiblich, Hus aber geistlich Wunder
gethan. Uocum. 637.
2, Opera II, .'WO1 — 'MW-. Dass die Predigt nicht schon 141") gehalten
sein kann, beweist die ausführliche Beschreibung des Todes von Hierony-
mus. Uebrigens spricht der Prediger auch von des letzteren Verbrennung
nicht in einer Weise , dass man den Eindruck bekäme . das Ereignis*, sei
noch sehr neu gewesen.
Oesinnung der Hussiten.
287
nicht genannt : sie stammt wohl eher aus dem Jahre 1 41 7 ais 1 41 6,
in keinem Fall aus dem Jahre 1415. Nun aber spricht der Unge-
nannte von Hus wohl mit reinster Verehrung für Beinen Cha-
rakter und seine wahrhaft fromme , aufopfernde Arbeit an dem
Seelenheil seiner Nebenmenschen, jedoch nicht in einem Tone,
als stellte er ihn über alle anderen. Wird doch nicht nur Hiero-
nymus von Prag Hus an die Seite gestellt, sondern auch noch
»fünf selige Brüder in Christo . nämlich die drei »einfachen, got-
resfürchtigen Männer«, welche am 11. Juli 1412 in Prag enthaup-
tet' . und die zwei, welche am 29. Juni 1415 inOlmütz verbrannt
wurden - . Der Redner ist evangelisch besonnen genug, um zu
tagen: »Wir habenden frommen Glauben . dass diese aus dem
Tode zum Leben übergegangen sind, wollen uns aber ihrer nicht
eitel rühmen . sondern verleugnen das ungöttliche Wesen und die
weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in die-
ser Welt . uns nicht verführen lassen durch Lehren . welche dem
rechten Glauben fremd sind alienis afideeaihölica doctrinis . und
in einem neuen Leben wandeln, damit wir mit der triumphirenden
Kirche . mit diesen und allen andern seligen Märtyrern einst uns
ewig freuen dürfen. Dazu helfe uns der. welcher ist der Weg,
die Wahrheit und das Leben3]!« Demnach begreifen wir die
Thatsache. welche jenem zeitgenössischen Kritiker nur als eine
wunderliche Inconsequenz erschien . dass diese Leute den Namen
»WiclefiteiiM und »Hussiten« ablehnten, während sie doch die
Lehren und Vorschriften eines Wiclif und Hus mit hoher Ver-
ehrung annahmen und sie wie Heilige ehrten und feierten4 . Sie
waren sich eben bewusst. gute »katholische« Christen zu sein und
L s. oben Kap. 'S. IV. S. 179.
2) s. oben Kap. 3. VIII. S. 273 folg.
3 Opp. II. 363*
4 Stephanus von Dolan, Epistola ad Hussitas. Pars V. c. 52. Pez.
Thes. aneed. Vol. IV. 2. 706: Valde miramur de robis, cur denominationeth
a vestris auetoribus, videlicet Wikleff et Hus, vobis imjiositam erubescendo
refugiatis , cum cobis dicitur Wicleffitae vel Hus sitae , cum eorundem
doctrinas et traditas regulas pro summo gradu sequamun, et eosdem contra
totius s. matris ecclesiae Decretum — beatißcetis, et quasi sanetor um ho-
minum memoriam celebretis.
2Ss
Buch III. Kap. o. VIII.
sein zu wollen . nicht aber Menschenknechte und nicht eine
Sekte . Schätzte man doch anHus gerade das so hoch, dass
er ein »rechtgläubiger« Mann eaiholicm gewesen und »^katho-
lisch« d. h. acht kirchlich gelehrt habe 1 . Sie empfanden ja ge-
rade das als eine unverantwortliche Unbill . die dem Lande an-
gethan werde, dass man es der Irrlehre und Ketzerei zeihe. Sie
wollten ja Katholiken bleiben : nur wünschten . verlangten und
hofften sie eine Reform der katholischen Kirche . der »heiligen
Mutterkirche < . wie sie mit redlicher Herzensmeinung zu sagen
pflegten.
Sehen wir aber näher zu. so bemerken wir sofort, dass unter
den Hussiten selbst gewisse Verschiedenheiten an den Tag traten
und sich je mehr und mehr geltend machten. Die ersten Spuren
dieser Unterschiede lassen sich bereits im Jahr 1416 beobachten.
Vollkommen einig war man über den Grundsatz . dass Gottes
Gesetz«, d.h. die heilige Schrift, anlangend die Glaubenswahr-
heiten, sittlichen Vorschriften und kirchlichen Einrichtungen, die
höchste Auktorität besitze . dass also die Kirchenreform . zu der
man entschlossen war. nach Maassgabe der heil. Schrift bewirkt
werden müsse. Allein bei der Anwendung und Ausführung kam
bald zum Vorschein, dass das Schriftprinzip in verschiedenem
Sinne gefasst wurde. Die Einen Hessen ausschliesslich nur das-
jenige als wahr und kirchlich berechtigt gelten, was ausdrück-
lich durch »Gottes Gesetz« bezeugt und vorgeschrieben sei: die
Anderen billigten alle diejenigen Lehren und Einrichtungen der
bestehenden Kirche, welche der heiligen Schrift nicht zuwider-
liefen. Eine prinzipielle Divergenz, welche folgerichtig durch-
geführt, zu vielfachen Abweichungen, ja Gegensätzen führen
musste. Zugleich eine Differenz, welche der reformirten und
der lutherischen Auffassung des Schriftprinzips merkwürdig
gleicht. Sie entspricht aber auch einem gewissen Unterschiede,
den wir schon zwischen Wiclif und Hus bemerkt haben, sofern
jener den Einfluss der Tradition auf Auslegung und Verständniss
1 Adresse der tschechischen Barone an das Concil vom 2. Sept. 1415:
quod tp.se M. Joannes Uns fuit wr utique bonus Justus etc atholicus
hos et suhditos nostros cutholice doruit. Docum. 5S2.
Verschiedenheit innerhalb der hussitischeti Partei.
289
der Schrift ablehnt , während Ilus die Schritt nicht anders aus-
legen will, als wie die heiligen Väter sie verstanden haben1). Ich
finde, dass schon im Jahr 1416 Magister Ohristann von Pra-
ohatitz sich des oben erwähnten Unterschiedes bewnsst war: ,
denn er hält dem hussitischen Prediger Koran da in Pilsen vor,
dass er und seine Gesinnungsgenossen um alle menschlich erfun-
denen Ceremonien und Kirchengebräuche sich nichts kümmern,
und kirchliche Gebräuche, »welche der heil. Schrift nicht zuwider-
laufen«, geringschätzen und nicht verrichten lassen2 . Die Sache
erschien auch bereits den hussitischen Baronen und Schutzherren
der Partei befremdlich. Wenigstens erwähnt Prachatitz, dass
jüngst Herr Tschenjek von Wartenberg die älteren Magister
zusammenberufen und eine scharfe Rüge an solche Pfarrer ge-
richtet habe . »welche die Rathschläge. Aussprüche und Schriften
der Magister hintansetzen und ihrem eigenen Kopfe folgen.« Mit
Besonnenheit Stellte die Prager Universität am 25. Jan. 1417 die
Kegel auf: »In Dingen, worüber die heil. Schrift keine bestimm-
ten Aussprüche enthält, soll die Sitte des Volkes Gottes und
das Herkommen als Gesetz gelten3).« Allein das einmal auf-
getauchte Prinzip hatte seinen Fortgang. Und im Jahr 1418 fand
eine hussitische Synode zu Prag statt e. 28. September), welche
der eingerissenen Uneinigkeit zu steuern suchte , und zu diesem
Behuf 23 Punkte feststellte. Unter diesen befindet sich an zweiter
Stelle der : »Es möge sich niemand herausnehmen zu behaupten,
man dürfe nur dasjenige glauben und festhalten , was ausdrück-
lich in der heil. Schrift ausgesprochen ist: allerdings sei jede
l) s. oben Kap. 3. VII. S. 237 folg.
2 Der Brief, Docum. 033 ff., ist um deswillen von höchstem Interesse,
weil er, wenn ich nicht irre, das früheste Zeugniss vom Auftauchen der
jenigen Differenz unter den Hussiten ist, welche später mit dem Namen
Taboriten und Utraquisten oder Kelchner bezeichnet wurde. Der
Briefsteller schildert Männer , qui suadent nullas cerimonias et cccle-
siasticos ritus humanitus inventos curare, sed potiits in cuneiis ecclesiae pri-
mitivae ritibus se eonformare. Nachher stellt er dem Koran da vor: Omnes
et singulos ritus ecclesiasticos sacrae scripturae non contrarios pa-
rumpendis, nec per te nec per alium adimptere pirmittis.
3) Docum. 65Ü.
Lechlek, Wiclif. II. 19
290
Buch III. Kap. 3. VIII.
zu unserem Heil dienende Wahrheit in der heil. Schrift nieder-
gelegt, aber nicht gerade in offener, direkter und ausdrücklicher
Weise.« Mit diesem Prinzip hängen ferner die unter Nr. 14 — 16
stehenden Sätze zusammen, nämlich 14: man solle, laut des
Zeugnisses der heil. Schrift, denjenigen Vorschriften und Satzun-
gen der Kirche Gehorsam leisten, welche vernünftig sind, zu
Christi Gesetz hinleiten, und dem Gesetze Gottes in keiner Weise
zuwiderlaufen , noch der Sittlichkeit im Wege stehen ; 15: man
solle bei den Aussprüchen und Lehren der Kirchenväter, welche
in der heil. Schrift gehörig gegründet sind, stehen bleiben und
sich von ihnen nicht leichtfertig lossagen ; 16: »alle Ceremonien
und Gebräuche der Kirche, welche Gottes Gesetz unterstützen,
die Kirche zieren und bei den Gläubigen gute Sitten befördern,
sind zu beobachten , so lange nicht etwas besseres an ihre Stelle
tritt1 .
Es fällt in die' Augen, dass diese doppelte Auffassung des
Schriftprinzips einer verschiedenen Reformgesinnung entspricht :
die hussitische »Convocation« oder Synode vertritt die oonserva-
tive Reform, ihre Gegner die radikale Reform2, . ähnlich wie im
XVI. Jahrhundert die deutsch-lutherische Reformation und die
schweizerische Reform sich gegenübertraten.
Gerade der radikalen Reform und dem radikal gefassten
Schriftprinzip tritt der gelehrte Polemiker aus der Karthause zu
Dölau, der Prior Stephan, entgegen, wiewohl er sämmtliche
Hussiten im Auge hat. wenn er behauptet, es sei Unsinn, den
gegenwärtigen Zustand der Kirche zu dem Stand und Brauch der
Urkirche zurückführen zu wollen: habe doch schon in der apo-
1) Docum. GTT ff. Nr. 2. S. 67$: Nemo audent dicere , q»od solum ea
sunt credenda pro ßde aut aliter ienenda , quae sunt ex p res so, in samt
Script u ra et explicite posita. 14. 8. 680: Constitutionibus ecclesiae —
mamidnctivis ad legem Christi et legem dei null ate nus impu gn ant i-
hus — est ex testimonio s. scripturae obediendnm.
2) Den Begriff der Radikalreform drückt die Prager Universität in einem
Schreiben vom 2ö. Januar 1417 Docum. 054 ff. Hoefleh, Geschichtschrei-
ber der hussit. Bewegung, II, 254 ff.) treffend aus : Mas l>cnedictioncs cum
a'iis laudabilibus ecclesiarum cerimoniis funditus ev eitere et destruere
nituntur et eontendunt.
Verschiedenheit in der Reformgesinnung.
291
stolischen Kirche Paulus die Körinthier über die rechte Art des
Herrnmahls belehren müssen; sei doch die urchristliche Güter-
Gemeinschaft bei veränderten Verhältnissen auch abhanden ge-
kommen ; und zur Zeit der Apostel habe es noeh keine Pfarrer
gegeben und keine Abstufungen der Hierarchie , sondern blos Bi-
schöfe und Diaconen ; diese Einrichtungen seien aber unter der
Leitung des heiligen Geistes durch Gottesmänner . welche der
Apostel Nachfolger waren, eingeführt worden, und haben demge-
niäss göttliche Anordnung für sieh 1 .
Die verschiedene Auffassung des Sehriftprinzips hatte bedeu-
tende Folgen für Glaubenslehre, Sittenlehre. Kultus und Kirchen-
ordnung. Am rasehesten wurden von der radikalen Hussitenpartei
die Consequenzen gezogen auf dem Gebiete des Kultus. Im Felde
der 61 au bensieh re ist derjenige Punkt, welcher am frühesten
in An gri ff genommen wurde, die römische Lehre vom Fege-
feuer. Schon im Jahr 1416 gibt Christann von Prachatitz
dem Pfarrer Koranda zu verstehen . er gehöre zu denjenigen,
welche behaupten, es gebe kein Fegefeuer2,. Eben dieselbe An-
sicht bekämpfen Rector und Doctoren der Prager Universität in
der Erklärung vom 25. Januar 1417 5 und die Prager Synode
vom September 1418. Die letztere stellt positiv den Satz auf
»Das Fegefeuer für die Seelen der Erwählten nach diesem Leben
ist anzunehmen, denn alle heiligen Lehrer, von Dionysius an !
bis zu den letzten, sprechen sich, übereinstimmend mit der Schrift,
dafür aus4 . < Ferner ergibt sich aus den Erklärungen derselben
Synode, duss die radikal gesinnten Hussiten auch die Lehre von
der Fürbitte und Mittlerschaft der Heiligen im Himmel in Frage
gestellt . und der letzten Oelung den sakramentlichen Charakter
abgesprochen habend . Endlich gehört hieher auch der interes-
.1) Epistola ad HussHas, Pars quinta, c. 39. Pez, Thes. anecd. 669 folg.
2) qui suadent , purgatorium non esse. Dornum 634.
3) Docum. 655.
4; Docum. GTS. Nr. 3. vgl. 655: Cum sancta maire ecdesia, nohiscum et
cum sanctis doctoribus — conßteamini j)ost ha?ic vitam ignem purga-
torium et usque ad extremum dient judicii duraturum.
5 Docum. 679. Nr. 6, und 680. Nr. 12. Ein Wink in Betreff des Glau-
bens an die Heiligen findet sich aber auch schon in dem Brief an Ko-
randa, suffragia sanctorum non advertere. a. a. O. 634.
19*
292
Buch III. Kap. 3. VIII.
sante Umstand , dass derselbe Bruchtheil der Hussitenpartei gel-
tend gemacht hat, ein Priester, welcher sich einer Todsünde schul-
dig mache, könne weder taufen noch die Weihe im heil. Abend-
mahl vollziehen, noch sonst irgend ein Sakrament heilskräftig
und mit göttlicher Vollmacht verwalten. Die Synode stellt dem
gegenüber mit Kecht den Grundsatz auf, welchen sie bündig und
sententiös so ausdrückt: »Priester ist der Name eines Amtes,
nicht einer sittlichen Beschaffenheit1).«
In allen diesen Lehrfragen sind die radikal gesinnten Hus-
siten über Hus selbst hinausgegangen, und im letzterwähnten
Punkte sogar über Wiclif2), während ihre Kritik des Sakra-
ments der letzten Oelung und ihre Misbilligung des Glaubens an
die Mittlerschaft der Heiligen wenigstens einen Anlehnungspunkt
bei Wiclif hatte 3).
Die Ansichten der radikalen Hussiten griffen insofern in die
christliche Sittenlehre ein, als sie, anlangend die Lehre vom
Buss-Sakrament, die den Beichtenden in der 'Regel auferlegten
»Busswerke« : Gebete, Fasten, Kasteiungen, Almosen u. dgl. miß-
billigten , weil es zur Reue und Busse hinlänglich sei , von den
Sünden zu lassen 4) . Sodann aber ist von Belang der Umstand,
dass diese Ultra's der Hussiten den Eid schlechterdings für un-
erlaubt erklärten und die Todesstrafe verwarfen. Der Grundsatz,
dass man »in keinem Falle schwören« dürfe , war ohne Zweifel
ein Ausfluss ihres strikten Schriftprinzips 5) . Während die Ver-
1 Docum. 079. Nr. 9. Der angeführte Satz lautet : Sacerdos enim nottieii
est officii, non meriti.
2 s. oben Kap. 3. VII. S. 249 folg.
3 Einer von den ältesten Freunden von Hus, der aber sein Leben
lang mit Kom nie brechen wollte und mit am conservativsten gesinnt War,
Magister Johann von Pribram, sagt in einer später verfassten , aber nur
handschriftlich vorhandenen Schrift von sich selbst: Contra Wide ff ab
annis fere viginti in Praga publice praedieavi ,« quando omnes ha er es es
et error es de sacranientis et sacr amenta Hb us tunc et ttsque nunc
currentes a Wicleff et sua doctrina tanquam a fönte haustos et
tractos patenter declaravi. Bei Palacky, Gesch. von Böhmen, IV, 1.
440. Anm.
1 Docum. 079 folg. Nr. II.
5) Docum. 079. Nr. 7.
Die radikale Partei in ihrem Kultus.
293
werfung der Todesstrafe kaum im Buchstaben der Schrift ihre
Wurzel haben konnte1 . eher in der Berührung mit anderen Op-
positionsparteien des kirchlichen Mittelalters.
Die vielseitigste und breiteste Entfaltung hat das Schriftprin-
zip der radikal gesinnten Hnssiten in Sachen des Kultus ge-
funden. Erwähnt doch selion Christann von Prachatitz im
Briet' an Ko ran da eine ganze Anzahl von Verneinungen gegen-
über der katholischen Kultusordnung, neben einer einzigen posi-
tiven Neuerung, die er höchlich misbilligt2 . Die Neuerungen im
Kultus waren zum Theil nichts anderes als die praktischen Fol-
gen der Kritik, welche man an der Lehre übte : war es mit der
Fürsprache und Mittlerschaft der Heiligen nichts, so inusste
auch die Verehrung derselben, besonders der Jungfrau Maria,
beseitigt werden. Ein Punkt, welchem die gemässigten Hussiten
nur in so weit ihre Zustimmung gaben, als sie einräumten, man
müsse sich allerdings vor einer maasslosen Verehrung der Heili-
gen hüten, weil der Blick stets auf Christum zuerst und vorzüg-
lich gerichtet sein müsse und von ihm nicht abgelenkt werden
dürfe 3 . Ferner . weil man die Lehre vom Fegefeuer verneinte,
so fielen natürlich auch die Seelenmessen . Gebete und Almosen
für Seelen im Fegefeuer weg4 . Andere Dinge folgten direkt aus
dem einseitigen Schriftprinzip, z. B. die unbedingte Verwerfung
der Bilder in den Kirchen, wobei es zu bilderstürmerischen Auf-
tritten kam "' . Aus dem Schreiben der Prager Universität vom
25. Januar 1417 erhellt klar . dass die Gegenpartei sich auf das
Schriftwort vermuthlich auf das »zweite Gebot« reformirter Zäh-
lung stützte 6 . Die gemässigte Partei war auch in diesem Stücke
besonnener : sie erklärte , man könne Bilder in der Kirche dul-
den , nur dürften sie nicht der Art sein . dass sie die Seelen zer-
1 Docum. 679. Nr. 8.
2) a. a. O. 634 : »Salve regina« non cantare, reliquias sanetorum incer-
tas sterqxitinio pr (ff teere, imagines denique eorum igni comhurere etc.
3) Docum. 679. Nr. 6.
4] a. a. O. 67S. Nr. 4. 5. .
5) a. a. O. 634: imagines eorum igni comburerc.
6) a. a. O. 655: Asserimt, quamvis false, quod habere Christi et saneto-
rum imagines fegi dei repugnaret.
294
Buch III. Kap. 3. VIII.
streuen ; in keinem Falle dürfen sie mit Lichteranzünden, Knien
und Niederfallen verehrt werden; sie sollen vielmehr nur zur
Darstellung der heiligen Geschichte dienen, um die Einfältigen in
ihrer Andacht zu fördern !) . Es war eine begreifliche Abneigung
gegen Aberglauben und unbiblisches Ceremonienwesen, wenn die
strenge Hussitenpartei von Reliquien gar nichts wissen wollte,
auf die Weihen von Kirchenge räthen , von Kerzen und Palmen,
Taufwasser und Salz , Eiern und Käse , auf Räuchern, Bespren-
gen, Glockenlauten und alle möglichen Ceremonien nichts hielt2) .
Andererseits ist es wirklich merkwürdig , wie die Universität in
ihrem Ausschreiben alle diese Ceremonien ausnahmslos und un-
bedingt in Schutz nimmt . Bei der Neigung zu einem einfachen
geistigen Gottesdienst auf Seiten der hussitischen Linken um es
parlamentarisch auszudrücken) ist es kein Wunder, dass dieselbe
die Messe von einer Menge traditioneller Zuthaten zu entladen,
zu vereinfachen und auf die Communion zurückzuführen strebte4) .
In Betreff des heil. Abendmahls bemerken wir aber nicht blos
Verneinungen, sondern dreierlei neue Positionen. Einmal die
unbedingte Forderung der Communion unter beiderlei Ge-
stalt. In diesem Punkte waren jetzt alle Hussiten einig. Am
JO. März 1417 hat die Universität Prag eine wohl erwogene,
inaassvolle aber feste Erklärung für das Recht und die Pflicht zur
Spendung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, wie ein Bekennt-
niss , abgegeben5). Zum andern stimmten, wie es scheint,
beide hussitische Parteien in der Empfehlung häufiger
Communion überein. Das war noch ein Erbstück von Militsch
und dem »Pariser Magister« Matthias von Janow. Der Kar-
thäuserprior von Dolan hält den Hussiten vor: »Ihr treibet zum
täglichen Empfang des Sakraments unter beiderlei Gestalt Bauern
und Bäuerinnen , rohe und mit ihrer landwirtschaftlichen Arbeit
1 Dorum. 680 folg. Nr. 20.
2) Dorum. 096 u. 680. Nr. 10. JT.
3) Docvm. 655 folg.
1 Darauf dtutet wenigstens der 1^. Punkt unter den Beschlüssen der
Convocation« vom Sept. 1418 in Prag, Docum. 680. Vgl. 636: JRtiatn ex rm
tnissas communicant popuhim, conflctcHtes so.'um ilictis quU)Usdam orotiontbits»
5) Oj era Hm, II, 3641.
Kindercommunion bei den Hussiten.
295
beschäftigte, eben deshalb aaeh zerstreute und andachtslose Leute.
Denket doch, Avas der Apostel sagt: der Mensch prüfe sich selbst,
und also esse er von diesem Brod und trinke von diesem Kelch1 !«
Nun aber rinde ich keine Spur von Vorstellungen oder gar Vor-
würfen, welche die gemässigte Partei der radikalen Hussitenpartei
in Betreff der häufigen Communion gemacht hätte. Folglich müs-
sen beide Bruchtheile darüber vollkommen einig gewesen sein.
Anders verhält es sich mit dem dritten Punkte: der Kinder-
communion. Im Jahr I41(> machte Christann von Pracha-
titz dem Hairer Koran (La einen Vorwurf daraus, dass er klei-
nen Kindlein« die noch nicht schlingen können und nichts von der
Sache wissen, das Sakrament des Altars unter beiderlei Gestalt
reiche - . Hingegen Stephan von Dolan erwähnt wenigstens-,
dass die Hussiten behaupten, alle Christen, nicht nur Mann und
Frau . s< >ndern sogar sieb e n j ä h r i g e K i n d e r müssten Christi
Leib und Blut unter beiden sichtbaren Gestalten von Brod und
Wein empfangen, sonst könnten sie nicht selig werden 3) . Das
Genaueste erfahren wir jedoch darüber im ersten Artikel der
Convocationsbeschliisse vom September J 4 1 S . Es wird hier der
Grundsatz aufgestellt, dass kleinen Kindern nach der Taufe
Christi Lei!) und Blut gespendet werden solle , jedoch mit Vor-
sicht : sei das Kind nicht gesund und nicht fähig es zu empfangen,
so müsse man mit der Communion zuwarten: sei dasselbe aber
dazu fähig, so solle man ihm ein ganz kleines Stückchen von der
geweihten Hostie in den Mund geben und diesen eine kurze Weile
schliessen. nachher aber einen Tropfen vom Blute Christi auf den
Finger nehmen und ein oder zweimal in den Mund bringen4).
Es muss demnach zwischen der Abfassung des Briefs an
K o r a n d a 1 41 (V und der Convocation von Prag (Sept. 1418;
bei den gemässigten Hussiten ein Meinungswechsel in Betreff der
\ Epistola ad Hussitas, Pars V. c. 50. Pez, Thcs. a/teedot. IV, 2. 699.
2) Docum. 634. Auch erwähnt Christann, dass Baron Tschenjek
bestimmt erklärt habe, er werde durchaus nicht dulden, dass man den klei-
nen Kindern unmittelbar nach der Taufe die Communion reiche. 635.
3) Episto1,! ad Hussitas, Pars V. c. 2. Pez . The», aneedot. IV, 2. 570.
4 Docum. 678. Nr. 1 .
296
Buch III. Kap. :\. VIII.
Kindercommunion eingetreten sein : anfänglich war dieselbe aus-
schliesslich nur bei dem radikalen Bruchtheil üblich 1 . bei der
gemässigten Fraktion der Hussiten war sie eine offene Frage ;
hingegen zur Zeit der Convocation ist sie von Seiten der Gemäs-
sigten bereits angenommen. Yerniuthlieh war sie inzwischen
Sitte geworden, und wird jetzt erst gutgeheissen und, unter ge-
wissen Vorsichtsmaassregeln, — denn auf diesen und den Wor-
ten discrete commumeandi liegt offenbar der Schwerpunkt des
Artikels — als kirchliches Recht sanktionirt. Möglicherweise hat
in Folge der Disputation zwischen Simon von Tissnow und
Jakob von Mies (1417) die Universität eine Entscheidung über
die Frage und zu Gunsten der Kindercommunion gegeben2 .
Doch dem sei wie ihm wolle, eine »berechtigte Eigentüm-
lichkeit« der Hussiten war die Kindercommunion analog der Kin-
dertaufe nicht, wohl aber eine wunderliche Verirrung, zumal an-
gesichts ihres Schriftprinzips. Denn einen Schriftgrand dafür
hatten sie sicherlich nicht und konnten ihn nicht haben. Wohl
aber wies der Polemiker von Dölau mit Recht auf des Apostels
Wort: »Der Mensch prüfe sich selbst, und also esse er von
diesem Brod und trinke von diesem Kelch!« 1. Korinth. 11, 28.
Ganz anders ist darüber zu urtheilen . dass die radikalen
Hussiten Schriftverlesung, Gebete u. s. w. bei der Messe in ihrer
Muttersprache vornahmen, wogegen die gemässigte Partei
nur so viel zugestand . dass Evangelium und Epistel tschechisch
gesungen werde ; alles übrige aber sollte lateinisch bleiben 1 . Es
scheinen demnach »Taboriten« um diesen späteren Namen zu
gebrauchen gewesen zu sein, welche der Prior Stephan im
Auge hat. wenn er sagt : »Mit einer bisher neuen und unerhör-
ten Frechheit singet und leset ihr die Messen in böhmischer
Sprache, und dabei helfen euch eure Frauen singen1 Der-
1) Uebrigens ist bemerkenswerth , dass Magister Christann sich über
die kSchrit'tmässigkeit der Sitte ziemlich schwankend äussert . gegen den
Schluss seines Briefes an Koranda , Doc. 635,
2 Docitm. 613 ff.
3 Nr. 19 unter den Beschlüssen der Convocation . Dorum. *>M>.
4 Epist. ad Hussitas. Pars III. c. 8. 556;
Kirchenordnung der radikalen Hussiten.
297
selbe erwähnt anderswo tschechische Gesänge, welche man im
Volk verbreite x) .
Endlich ist zu erwähnen, dass die extreme Partei nicht nur
die katholischen Fastenzeiten, sondern auch die kirchlichen Feste
Marien- und Aposteltage und andere Feiertage von Beiligen,
seihst hohe Feste . und sogar den Sonntag beseitigte, während
die besonnene Partei sie beibehielt und durch Berufung auf den
Brandl der Urkirche so wie auf die Zeugnisse der Kirchenväter
rechtfertigte 2 . Der letztere Punkt erinnert wieder lebhaft an das
Verhältnis» zwischen der radikal aufräumenden Weise der Refor-
mirten und dem kirchlich conservativen Zug der lutherischen Re-
formation des XVI. Jahrhunderts.
Was schliesslich die K irchen Ordnung betrifft, so ging
die radikale Partei allerdings ganz demokratisch nivellirend vor:
man erkannte das Vorrecht des Priesterstandes auf kirchliche
Verrichtungen nicht mehr an. sondern gestand einfachen Laien,
ja selbst Frauen die Befugniss zu, das Wort Gottes zu predigen.
Schon im Jahr 1416 constatirt ein Bruchstück, dass auf der Burg
Kozi. so wie in der Stadt Austie an der Luschnitz, einfache
Laien gepredigt und in Privathäusern sogar Beichte gehört ha-
ben . In demselben Jahre kam es: laut glaubhafter Mittheilung
des Priors Stephan, in Prag selbst vor. dass eine Frau pre-
digte. Unser Gewährsmann erzählt den Hergang anschaulich ge-
nug : Ein hussitischer Prediger hatte so eben seine Predigt been-
digt und kam von der Kanzel herab. Da begab sich sofort eine
Frau, mit einem Buch in der Hand, auf die Kanzel. Sie schlug
ihr Buch auf. und hielt nun eine Predigt, welche die Gemeinde
mit um so grösserer Aufmerksamkeit anhörte . je ungewöhnlicher
der Vorgang war: selbst der Prediger von vorhin hörte ihr an-
dächtig zu 4 . Der römisch gesinnte Polemiker betrachtet das als
1 cantiones vulgari Bohemico impertinentissime co?iflctas, Pars. V.
c. 2. 370.
2 Nr. 21 u. 22 der Beschlüsse vom Sept. 141S. Dorum. 681.
3 JDoeum. 037.
4} Epistohi ad Hussitas , Pars I. c. 4. 519. Das Sendschreiben ist im
October 1417 vollendet, und der Verfasser sagt, der Vorfall habe sich »ver-
gangenes Jahr« ereignet.
298
Buch III. Kap. 3. VIII.
eine Entweihung des Heiligthums , denn das sei der Weisung des
Apostels zuwider : mulier taceat in ecclesia x) ! Er wirft den Hussi-
ten vor : »ihr machet aus Frauen Lehrerinnen und Doctorinnen.« Es
war noch ein geringes , dass hussitische Frauen als Schriftstelle-
rinnen auftraten. Derselbe Gewährsmann erzählt uns, dass die-
selbe hussitische Frau , von deren Predigt er berichtet hat , eine
Schrift in tschechischer Sprache zu Ehren des Magister Hus, wie
es scheint noch zu dessen Lebzeiten, verfasst habe, voll Schmä-
hungen auf Papst und Cardinäle, Prälaten und Geistlichkeit, aber
auch voll von Berufungen auf die Bibel und Auslegungen aus
derselben ; ja selbst an Citaten aus Kirchenvätern fehle es nicht.
Er selbst besass ein Exemplar des Traktats von stark fünf Bo-
gen), und er macht mehrere Mittheilungen daraus2 ).
Aus dem loten Artikel unter den Beschlüssen der Convoea-
tion von 1418 Jässt sich mit Sicherheit abnehmen, dass die ex-
treme Partei überzeugt war, selbst die Consekration beim heiligen
Abendmahl sei nicht durch die Priesterweihe bedingt . ein from-
mer Laie sei ebenfalls befugt zu consekriren 3) . Es geht aus der-
selben Gesinnung hervor , wenn die radikale Partei auch davoi
nichts wissen wollte , dass nur in geweihten Räumen , Kirchen.
Kapellen u. s. w. Gottesdienst gehalten, nur an gewTeihten Altä-
ren Messe gelesen und communicirt werden dürfe. Das wurde
offen in Predigten ausgesprochen *) . Und man handelte demge-
mäss : man taufte in Teichen und Bächen , und hielt Messen in
, Scheunen, z. B. in einer Scheune der Burg Kozi5 . Der Prior
Stephan erwähnt mit sichtbarem Grauen die «verfluchte Neue-
rung«, dass die Hussiten , wenn die Gläubigen die Kirchen rat
1) a. a. O. c. 'A.
1 a. a. O. Pars I. c. 4. .-)I9. Pars II. c. 5 und <>. 534 — 54& Die An-
nahme, dass die Schriftstellerin und die Predigerin, s. oben, eine und die-
selbe Person gewesen seien, beruht auf dem Umstand, dass Stephan, dem
wir beide Notizen verdanken, wo er auf die Schriftstellerin zu reden kommt,
an die Erwähnung jener Predigt anknüpft : mentorabor sie nmlivris prav-
dictae.
'.}) Docum. 079: Nemo (lebet auf potest radiär ist iam con/icere, quantum-
Cltnque nanctus fuerit, ai.si sacerdos ad hoc dcjmtatns et ordinatas.
I Docum. tYM'i.
5) a. a. O. ii'Mi folg.
Die Unterschiede innerhalb der hussitischen Partei.
209
ihnen verschliessen . die Comnumion in Scheunen und Ställen
feiern ') ■
Wenn die Lltrapartei feste Besoldungen von Priestern miß-
billigte^, so gab das freilieh noeh keine Gewähr für wirkliche
üneigennützigkeit ihrer »evangelischen Priester-. Wenigstens
glicht Ohristann von Prachatit/ von hussitischen Pseudo-
prie>tern . welche von Annuth predigen, aber die Einkünfte der
Kirche ohne Arbeit verzehren wollen, und, wenn man ihnen nicht
genug gebe, reichere Kirchen aufsuchen, angeblich weil sie auch
Anderen das Evangelium predigen müssten 1 .
Ueberblicken wir noch einmal den Unterschied zwischen den
beiden Sehattirungen der grossen hussitischen Gesammtpartei,
und fassen die einzelnen Züge eines kirchlichen Conservatisnms
zusammen . die wir bei der gemässigten Richtung gefunden ha-
ben, so müssen wir unwillkührlich daran denken, wie Hus selbst
sein Leben lang ein guter, rechtgläubiger Christ, ein treues Glied
der »katholischen Kirche« hat sein wollen, und wie nachdrücklich
die Männer seiner Partei auf die Ehre Böhmens als eines stets
rechtgläubigen Landes, gehalten haben. Und von dem Gesichts-
punkte des gemässigten Hussitismus aus. wie er 1-115 — 1419 ge-
genüber den feurigen Männern von der Linken sich ausgebildet
hat. können wir nur sagen, jenes Bewusstsein Hus ens war in der
That redlich und aufrichtig.
Die aus einander gehenden Riebtungen hatten bereits ihre
Sprecher. Vertreter und Führer gefunden. Sie mussten auch ihre
örtlichen Mittelpunkte bekommen. Man bedurfte überdies kurzer
bezeichnender Namen und Stichworte. An der Spitze der gemäs-
sigten Partei besass Baron Tschenjek von Wartenberg einen
maassgebenden Einfluss, den man namentlich in dem Sehreiben
Obristann's von Prachatitz an Koranda zu fühlen bekommt.
Unter den Gelehrten dieser Seite sind zu nennen Jakob von
Mies Jokobell . Johann von Je Benitz , Johann von Reinstein
der .Cardinal' . Christann von Prachatitz. Simon von
I Kpis'ola ad Kussitas, Pars V. c. 3. 5T(>.
2: Vgl. den entgegenstehenden Artikel 23 der Convccaticn, Locum. 6S1.
•T Dornum. 635.
300
Buch III. Kap. :i. VIII.
Tis n (my und andere. Schon der Umstand, dass der hussitische
Herrenbund den jeweiligen Reetor und die theologische Fa-
cultät von Prag zu »Schiedsrichtern nach Maassgabe von Gottes
Gesetz v bestellte, konnte nicht verfehlen, der Universität, ja
auch der Stadt Prag . ein entscheidendes Gewicht innerhalb der
Partei zu geben. Die hussitische Adelspartei stand grösstentheils
auf dieser Seite : das gab der gemässigten Fraktion eine aristo-
kratische Färbung. Die Universität Prag mit ihrem Schiedsrich-
teramt drückte ihr ein Gepräge von Wissenschaft und Bildung
auf. Die kirchlich conservative Reform, welche Husens Seele
gewesen war . gab diesem Bruchtheil der Partei ihren conservativ
katholischen Zug.
Auf der andern Seite standen einige fanatische Geister . wie
jener Prager Magister Johann von Jitschin, der einst am
11. Juli 1412 rasch entschlossen und kühn die Leiber der drei
enthaupteten Jünglinge in andächtiger Processiun zur Bethle-
hemskapelle geleitet hatte1 . Xicolaus von Pistna. Johann
Zizka von Trotznow und andere. Zu dieser Seite gehörten
manche Bürger in kleinen Städten, und das Landvolk. Dieser
Theil der Hussitenpartei war demokratisch, radikal, ja fanatisch
gesinnt, sowohl in religiösen als in politischen Dingen.
Beide Fraktionen bekamen ihre örtlichen und socialen Mit-
telpunkte. Prag war von Anfang an Stützpunkt und Centram des
vornehmeren . gebildeteren . gemässigten Theils. Die radikale
Seite erlangte mit der Zeit einen Mittelpunkt in derjenigen Ge-
gend* südlich von Prag, in welcher Hus selbst während seines
freiwilligen Exils 1412 — 1414 die meiste Zeit zugebracht hatte.
Anfangs war das Städtchen Austi an der Luschnitz dieser Mit-
telpunkt. Als aber kraft eines königlichen Befehls vom Februar
1419 die römiseh-gesinnten Geistlichen wieder in ihre Pfarreien
eingesetzt wurden und die hussitischen Geistlichen von Austi
weichen mussten . hielten letztere im Sommer 1419 mit den bei
ihnen zusammenströmenden Volksmassen Gottesdienste unter
freiem Himmel auf einem benachbarten Hügel, welchen sie
1 ■. oben Kap. 3. IV. S. 180.
Tabor.
»den Berg- Tabor nannten. Aus den gottesdienstlichen Ver-
sammlungen wurden grossartige religiöse Volksfeste, aus dem
Schauplatz derselben, seit 1420. eine feste Stadt, Tabor. Daher
stammt der noch später für die Ultra's der Hussiten üblich ge-
wordene Name »Taboriten.« Die andere Partei, deren religiöser
Schwerpunkt in der Conimunion unter beiderlei Gestalt, d. h. in
dem Laienkelche lag, wurden anfänglich die »Präger« genannt,
weil die Hauptstadt ihr Stützpunkt war , später die »Calixtiner«
oder Kelchner.
Viertes Kapitel.
Die englischen Lollardeu, tou der Hinrichtung Lord
Col)ham*s Ms zum Ende der blutigen Verfolgung.
(1417—1431).
I.
Wir wenden uns vom Continent wieder nach England. Ver-
gegenwärtigen wir uns den bisherigen Gang der wi e Ii fi tischen
Bewegung in kurzen Zügen.
Johann von W i c 1 i f hatte den Grund gelegt und einen mäch-
tigen, vielseitigen Einfluss auf die Nation geübt. In dem ersten
Zeitraum nach seinem Tode von 1384 — 1399) sahen wir die
Bewegung im Wachsen begriffen . sofern die Gesinnungsgenossen
Wiclif s der Zahl nach rasch zunahmen, kühn vordrangen und
aggressiv verfuhren, in der Hoffnung, eine Reform des Kirchen-
wesens in ganz England durchsetzen zu können. Allein im Jahre
1399 wurde Eichard II. vom Thron gestürzt. Anstatt des Hau-
ses Plant agenet kam das Haus Lancaster zur Regierung.
Von diesem Augenblick an war die Aussicht auf einen raschen
Erfolg im Grossen und Ganzen verschwunden. Im zweiten Zeit-
raum , vom Jahr 1399 — 1417. sahen sich die Lollardeu in eiue
defensive Stellung gedrängt und durch die nun mit der Hierarchie
verbündete Staatsgewalt mit allen Mitteln verfolgt. Mit dem tra-
gischen Ende des Lord Cobham war die Partei der Lollar-
den endgültig zurückgewiesen und niedergeworfen. Von diesem
Augenblick an musste sie auf die Hoffnung verzichten . ihre
Grundsätze in England durchgeführt zu sehen. Dies ist der
Stand der Dinge an dem Punkte, wo wir den Faden der engli-
Zurücktreten des wissenschaftlichen und politischen Element:«.. 3lK
sehen Kirchengeschichte wieder aufnehmen. Die Lollarden muss-
ten von jetzt an sich mit einer Sektenexistenz begnügen, und froh
■ein, wenn sie nur bestehen konnten und wenn, wie sie immerhin
hofften , durch ihre Thätigkeit im Stillen und Verborgenen ein-
zelne Seelen von dem herrschenden Verderben gerettet wurden.
Biemit hängt zugleich ein anderer höchst charakteristischer
Umstand zusammen. In der Persönlichkeit Wiclif's war mit
dem christlich-religiösen Element ein * Usrn^chaftlieh-theologi-
<cii<^ und ein politisch-nationales innigst verbunden gewesen.
Seine eigene innere Entwickelung hatte aber den Gang genom-
men, dass die politischen Motive mehr und mehr zurücktraten,
und das kirchlich-religiöse Element das entschiedene Ueberge-
wicht bekam. Denselben Gang, den wir in der Entwickelung des
Führers beobachtet haben . nahm auch die von ihm ausgegangene
Bewegung im Ganzen. Das christlich-religiöse Element in der-
selben musste sich aus der Mischung mit dem seientifischen und
politischen Element nach und nach lösen und sich rein heraus-
arbeiten. Dies ist die innerste Bedeutung der Ereignisse, welche
vom Tode Wiclif's an bis zum Jahr 1431 vor sich gegangen
sind. Die Ausscheidung des wissenschaftlich-theologischen Ele-
mentes erfolgte am raschesten: die Maassregeln der Hierarchie
gegen die Universität Oxford brachten es allmählich dahin , dass
Männer der theologischen Wissenschaft sich von der wiclifiti-
schen Partei entfernten 1 . Andererseits nahm das Leben selbst mit
-einen Arbeiten und Kämpfen die Gemüther der Lollarden der-
maassen in Anspruch . dass sie sich von der wissenschaftlichen
Arena allmählich zurückzogen.
Ungleich schwerer war die Ausscheidung des Politisch-Na-
tionalen aus der ursprünglich gemischten Reformgesinnung. In
den letzten 1(3 Jahren des XIV. Jahrhunderts galten die Lollar-
den als eine kirchlich -politische Partei. Und wenn wir nur
ihre Bittschrift an das Parlament vom Jahre 1394 ansehen, so
1) Das drückte in den Verhandlungen mit Hus. im Juni 1415. ein eng-
lisches Mitglied des Concils zu Constanz so aus : In Anglia ömnes magistri.
— qni suspecti fuerunt de opinionc Wicleff, omnes seotndum ordinent er
mandato archiepiscopi ahjuraverunt. Docum. b. Palacky, S. 136.
304
Buch III. Kap. 4. I.
müssen wir gestehen . jene Ansicht war nicht ohne Grund. Aber
noch im Anfang des XV. Jahrhunderts stand die Sache nicht we-
sentlich anders. Insbesondere beweis't die Geschichte 0 ld Cast-
le' s3 dass noch im zweiten Jahrzehent dieses Jahrhunderts die
Lollarden als eine kirchlich -politische Oppositionspartei angese-
hen wurden. Das wird anders seit Lord Cobham's Fall. Vom
Anfang des gegenwärtigen Zeitraums an werden die Lollarden
nicht mehr als eine politische Partei . sondern ausschliesslich nur
als eine religiöse Partei, d. h. als eine Sekte behandelt. Die
Lösung vom politischen Element ist eine vollbrachte Thatsache,
und wird allerseits anerkannt. Und wodurch war diese Wirkung
herbei geführt ? Hauptsächlich durch die furchtbaren Verfolgun-
gen, welche von der vereinigten Kirchen- und Staatsgewalt, un-
ter der neuen Dynastie Lancaster. gegen die Lollarden ver-
fügt und vollzogen worden waren. Man hatte sie vernichten und
unterdrücken wollen. Das war allerdings nicht erreicht. Aber
was die Menschen gedachten böse zu machen , das hat (^ott der
Herr gut gemacht. Er hat die Wiclifiten durch die schweren
Leiden geläutert . er hat durch das Feuer der Verfolgungen die
politischen Parteigedanken wie Schlacken ausgeschieden, und
das Metall kirchlich-religiösen evangelischen Lebens rein dar-
gestellt.
Damit hängt indess noch eine beachtenswerthe Erscheinung
zusammen. Früher wurden die Lollarden in demselben Maasse.
in welchem sie als eine kirchlich-politische Partei erschienen,
auch als eine national englische Genossenschaft angesehen ; man
dachte gar nicht an das Ausland, wenn man sich mit ihnen be-
schäftigte. In dem jetzigen Zeitraum ist das anders geworden.
Der Blick ist erweitert : man fasst die Lollarden als eine euro-
päische Erscheinung auf. man hat ihre ökumenische Bedeutung
erkannt. Dazu hatte der Hussitismus und das Concil von Con-
stanz beigetragen. Durch diese Kirchen Versammlung war die
grosse langwierige Papstspaltung glücklich gehoben und die
abendländische Christenheit wieder unter einem Papste, Mar-
tin V. 1417 — 1431) vereinigt worden. Die unter dem Schisma
ungefähr 40 Jahre lang unterbrochene kirchliche Einheit war
wiederhergestellt ; eben damit war die wechselseitige Kenntniss-
Die Lollardea gewinnen europäische Bedeutung.
305
nähme und das gegenseitige Aufeinanderwirken der verschiedenen
Landeskirchen und christliehen Nationen des Abendlandes wie-
der in Gang gebracht worden. Und durch das Auftreten von Hus
auf dem Concil, als einem kirchlich -politischen Congress Euro-
pl 's. durch die Verhandlung und Vernrtbeilnng seiner Sache vor
den Abgeordneten aller abendländischen Landeskirchen hatte die
hnssitische Sache . in der man nur einen Schbssling vom Baume
des W'iclifisnuis erkannte, aller Augen, auch in England, auf sich
gezogen. Die weitere Entwicklung der hussitischen Angelegen-
heit in Böhmen und Mähren wurde mit Spannung verfolgt. Kein
Wunder . dass man in England die Partei der Lollarden jetzt
unter einem umfassenderen Gesichtspunkt ansah, und in ihnen
eine Erscheinung von keineswegs nur partikularistischem, exclu-
siv englischem Interesse, sondern von europäischer, ökumenisch-
kirchlicher Bedeutung erkannte.
Treten wir nun den Ereignissen und dem Stande der Dinge
in dem Zeitraum von 1417 an näher, so ergibt sich auf den ersten
Blick, dass die 18 Jahre lang systematisch fortgesetzten Maassre-
geln der Hierarchie und des Staates denn doch bedeutende Erfolge
gehabt haben. Auf der Universität Oxford entdecken wir indem
gegenwärtigen Zeitraum keineSpur mehr von wiclifitischer Ge-
sinnung. Allein wir sehen auch kein Zeichen wissenschaftlichen
Lehens innerhalb der Universität. Die Hierarchie hat das Spiel
gewonnen, aber sie hat das geistige Leben getödtet. Im Jahre
142o kam der gelehrte Italiener und Humanist Poggio Brac-
ciolini. vordem Mitglied des Concils zu Constanz . nach Eng-
land. Da konnte er sich nicht genug wundern über die an den
hrittischen Universitäten herrschende Unwissenheit, Roheit und
barbarische Wortklauberei: er urtheilt. wirkliche Gelehrte und
Freunde der Wissenschaft seien nur sehr wenige hier zu finden *) .
Ferner , die bisherigen Verfolgungen im Lande waren vor-
zugsweise gegen die wie Ii fit i sehen Reiseprediger gerichtet
gewesen. Denn diese hatten bei der Beweglichkeit ihrer wan-
dernden Propaganda . bei dem lebhaften Anklang . den sie an
1) PoGGio, Epistolae, ed. 1S32. 43. Aus seinem Brief über das Ende des
Hieronymus von Prag haben wir oben Kap. 3. VI. S. 232 einiges mitgetheilt.
Lechler , Wiciif. II. 20
Buch III. Kap. 4. I.
vielen Orten fanden . bei der weiten Ausbreitung, welche sie der
biblischen Lehre verschafften . die Besorgnisse der papistischen
Geistlichkeit in hohem Maasse erregt. Nun aber hatte man die
Forderung aufgestellt . dass jeder Reiseprediger sich über eine
bischöfliche Legitimation hiezu ausweisen müsse, und man be-
stand darauf mit Consequenz und Nachdruck; gegen Prediger,
welche ohne bischöfliche Vollmacht da oder dort aufzutreten wag-
ten, verfuhr man mit rücksichtsloser Strenge : ihre Zuhörer wur-
den durch Strafen eingeschüchtert; denjenigen gegenüber, welche
solche Vorträge begünstigten und in Schutz nahmen . übte man
eine peinliche Wachsamkeit. Alle diese Mittel zusammengenom-
men mussten die Lollarden zuletzt ängstlich und überaus vorsich-
tig machen. Und so finden wir denn in dem laufenden Zeitraum
nur noch ganz vereinzelte Spuren von wiclifi tischen Reisepre-
digern; zum Beispiel im Jahr 1422 kam ein Kaplan Wilhelm
White ^Whyte) in's Verhör vor der Convocation, weil er ohne
bischöfliche Vollmacht zu Tenterden ( Ten t er ton,, einem
Städtchen in der Grafschaft Kent, gepredigt hatte J) .
Wohl aber treten jetzt römisch-gesinnte Reiseprediger auf.
indem die Päpstlichen ihre Gegner mit den eigenen Waffen der-
selben zu schlagen versuchen. Solch ein papistischer Reisepredi-
ger war Wilhelm Lindwood (Lyndewode) ; er erhielt im Jahr
1417 von Erzbischof Chichely Vollmacht. Vorträge und Predig-
ten in lateinischer und englischer Spractte , vor der Geistlichkeit
und dem Volke in beliebigen Orten der ganzen Kirchenprovinz
Canterbury zu halten 2) . Dieser Mann war seit Jahren einer der
eifrigsten Kämpfer gegen die Lollarden, spielte auch vermöge
seiner Kenntniss des Kirchenrechts (er war Doctor beider Rechte
schon geraume Zeit eine Hauptrolle als Untersuchungsrichter bei
vielen Ketzerprocessen : er war Ofticial bei dem erzbischöflichen
Gerichtshof in London und öfters Sprecher des Unterhauses der
Convocation; 15 Jahre später wurde er sogar Geheimsiegelbe-
wahrer3); und im Jahr 1438 empfahl ihn Heinrich VI. dem Papst
1) Wilkins, Concilia Magnae Britanniae, III, 404.
2) WlLKINS, Concilia Magnae Britanniae, III. 389.
3) a. a. O. 521.
Wiclifitische Conventikel.
307
Bttgen IV bei der bevorstehende]] Besetzung des Bisthums He-
reford 1 .
Wenn übrigens die Bischöfe meinten . mit der wiclifi tischen
frei se p r e digt sei auch die Partei der Lollarden verschwun-
den . so haben sie sich gar sehr getäuscht. Die Sache blieb die-
selbe, nur die Erscheinungsform hatte, angesichts der Gewalt,
sich verändern müssen. An die Stelle der grossen Volksversamm-
lungen, welche sich vormals um die Reiseprediger geschaart hat-
ten, sind kleine Vereine, Conventikel getreten. So wird 1 42T>
einem Pfarrer. Robert Hoke, und 1423 einem Laien , Wilhelm
Harvev von T enter den vorgeworfen, dass sie conventicuta
occulta der Lollarden besucht, beziehungsweise geleitet hätten2).
Der englische Polemiker jenes Zeitalters, Thomas Netter von
Waiden, berichtet uns, dass die Lollarden die Kirchengebäude
herabsetzten und ihre eigenen Gottesdienste in Häusern hielten,
und zwar möglichst in versteckten Häusern; besonders gern
wählten sie zu diesem Behuf einsame Bauernhütten an den Feld-
marken zwischen mehreren Dorfschaften. Das geschah vermuth-
lieh aus doppeltem Grunde : sie waren dort einestheils vor Ent-
deckung eher gesichert, anderntheils konnten die Einverstandenen
aus mehreren Orten sich dort leichter zusammenfinden. Derselbe
Gewährsmann erwähnt aber auch, dass die Lollarden, in Ermang-
lung geeigneter Wohnhäuser , sogar in Höhlen und Gruben ihre
Conventikel hielten 3).
Abgesehen von Conventikeln und persönlichen Zusammen-
künften, war zum Behuf der Erbauung der Bibelfreunde das Mittel
1) a. a. O. 532 feig.
2) Wilkins, Com. III, 435. 494. Dem Pfarrer Hoke wurde insbeson-
dere vorgehalten , er habe mit Männern und Frauen , welche der Irrlehre
verdächtig waren, Scholas et conventiculas gehalten
3) Thomas Waldensis, Doctrinale antiquitatum, Venet. 1571. Vol. III.
Tit. XVII. 257. Tit. XX. 268. Schon den Waldensern wurde nachgesagt,
dass sie heimlich und in Winkeln, in Kammern, Scheunen und Ställen pre-
digten und Gottesdienst hielten, Refutatio errorum, quibus Waldenses disti-
nentur, in Btbl. max. Pottum, Lugd. 1077. Vol. XXV. 302. Auch Hussiten
und böhmische Brüder bekamen den Spottnamen »Gr üben heimer« , weil
sie vor Verfolgungen in Einöden flüchteten.
20*
308
Buch III. Kap. 4. 1.
der Schrift zwar schwierig- genug, aber doch nicht unmöglich
gemacht. Abschriften von Wiclifs Uebersetzung eines bibli-
schen Buches oder mehrerer Bücher heiliger Schrift . ferner von
Traktaten über religiöse Fragen . waren bei den Einverstandenen
in Umlauf, und dienten zur Erbauung und zur Bestärkung in
der Wahrheit zur Gottseligkeit. Bei den bischöflichen Verhören
kommen öfters Exemplare von biblischen Büchern in englischer
Uebersetzung. und sonstige »häretische^ Schriften, theils in eng-
lischer theils in lateinischer Sprache zum Vorschein. Der bereits
genannte Laie Wilhelm Harvey gesteht, dass er verschiedene
Bücher der heil. Schrift in der Volkssprache gelesen habe. Bei
einem Londoner Kaplan Johann Calle entdeckte man ein engli-
sches Evangelienbuch, schön geschrieben, mit dem Titel : »Buch
des neuen Gesetzes.« Und der Kaplan Ralph Mungyn besass
zugestandenermaassen 12 Jahre lang Wiclifs Trialogus . seine
Evangelien und mehrere seiner englischen Traktate 1 . Auch wur-
den fortwährend neue Schriften wiclititischen Inhalts verlasst.
z. B. von den Pfarrern Robert Hoke und Thomas Drayton.
dem Kaplan Wilhelm White und Anderen. Ein ausführlicher
Traktat über das Gebet und wider die Anrufung der Heiligen,
von Magister Wilhelm Tailor in lateinischer Sprache ausgear-
beitet, ist dem bischöflichen Protokoll über das mit demselben im
Jahr 1422 vorgenommene Verhör einverleibt2).
Ferner ist schon die Thatsache allein doch nichts weniger als
ein Zeichen von abnehmender Kraft des evangelischen Geistes in
der englischen Kirche , dass immer mehr Mitglieder der Pfarr-
geistlichkeit in den Reihen der Lollarden angetroffen werden.
Schon bisher war allerdings die Zahl der Kleriker unter der Par-
tei verhältnissmässig nicht gering gewesen. Doch waren diesel-
ben meistens Männer in untergeordneter und abhängiger Stel-
lung, Kaplane und Hülfspriester. Auch in dem gegenwärtigen
Zeitabschnitt kommen mehrere dergleichen vor, z. B. Wilhelm
Brown. Johann Calle, Ralph Mungyn, Ralph Owtrede,
Wilhelm Tailor, Wilhelm White. Richard Wyche. Hin-
1 Wilkins, Conc. III, 494. 498.
2 a. a. O. III, 435. 407 —409.
Pfarrer als Wiclititen.
300
gegen von jetzt an kommen auffallend viele Hauptpfarrer in Ver-
dacht wicliritischer Denkart und in Untersuchung wegen Irrlehre.
Wir erwähnen namentlich den wiederholt genannten Robert
Hoke. Rector der Pfarrkirche Braybrooke in der Herrschaft
Horthampton 1425 . Thomas Drayton, Rector der Pfarrkirche
/u Sinne. Diöcese Canterburv 1425 . Richard Monk, Pfarrei
von Chesham. Robert. Rector der Pfarrkirche Heggeley, Graf-
schaft Lincoln. Wenn ein solcher Mann sich seinem Pfarramt
wirklich mit Eifer für die evangelische Wahrheit und für das Heil
der Seelen widmete, so ist gar nicht abzusehen, wie weit sich der
Kreis seines Wirkens ausdehnen mochte, auch ohne dass er irgend
einen Versuch als Reiseprediger wagte.
Dazu kommt ein anderer gewichtiger Umstand. Je mehr die
Hierarchie die ausserordentlichen Formen, Mittel und Wege ver-
pönte und versperrte, je mehr man sich auf das Geleise der ge-
regelten Thätigkeit und des Amtes angewiesen sah , desto elasti-
scher wurde durch den Druck von aussen die zurückgedrängte
Kraft evangelischer Ueberzeugung, und desto kühner strebte sie
Innerhalb der aufgedrungenen Schranken sich mit der That zu
offenbaren im Thun und Lassen. Daher kommt es jetzt zum
ersten Male vor. dass wieliütiseh gesinnte Priester ihre Ueberzeu-
gung bethätigten durch grundsätzliche Enthaltung von gottes-
dienstlichen Handlungen, die wider ihr Gewissen gingen.
Der Bischof von Lincoln. Philipp R e p p i n g t o n . vormals an
der Universität Wiclif's Freund, nunmehr Verfolger seiner An-
hänger, musste die Beobachtung machen, dass in der Stadt Lin-
coln selbst, seinem Bischofssitze, mehrere Priester am Fronleich-
namsfest und dem Sonntag darauf der Procession. welche von
einer Kirche der Vorstadt zu der Kathedrale sich hinauf bewegte,
sic h nicht anzuschliessen pflegten. Er fand sich dadurch im Jahr
1419 bewogen, sänimtliehen angestellten Stadtgeistlichen streng
einzuschärfen . dass sie die Procession in priesterlichem Ornate
mitzumachen hätten, unter Bewilligung eines 4ütägigen Ablasses
für Geistliche und Gemeindeglieder, falls sie sich dabei betheilig-
ten 1 . Es ist zwar in dem Erlasse selbst von den Beweggründen.
1) WffcKörsf, Owe. III, 39(5.
:U0
Buch III. Kap. 4. L
aus welchen jene Kleriker sieb von der Procession ferne hielten,
nichts näheres gesagt: allein es ist doch an sich wahrschein-
lich, dass wiclifi tische Ueberzeugimgen vom heil. Abendmahl,
und von der dem lebendigen Gott allein . nicht einer Monstranz,
schuldigen Anbetung zum Grunde lagen. Zugleich lässt das Ver-
sprechen des Ablasses für die »Gläubigen«, d.h. für Laien, und
die tadelnde Bemerkung, jene Unterlassung sei ein gefährlicher
Vorgang für Andere, vermuthen. dass jene Zurückhaltung einiger
Geistlichen bei der Gemeinde Anklang gefunden haben mag.
Einigermaassen ähnlich ist die Thatsache. dass Pfarrer Robert
Hoke in Braybrook, gleichen Bisthums, zwei Jahre nach ein-
ander je am Charfreitag dem Kreuze die übliche Verehrung für
seine Person als Priester nicht bezeugt hat . und . als die ganze
Gemeinde seinem Vorgang folgend ruhig in den Kirchenstühlen
sitzen blieb , diese Unterlassung gebilligt hat 1 } . Das waren le-
diglich Enthaltungen von gewissen herkömmlichen Kultusakten.
Aber noch in ganz anderer Weise bethätigten jetzt einzelne Wi-
clifiten ihre Ueberzeugimgen . Thomas von W aide n theilt un-
ter anderem Folgendes als hinlänglich bezeugt mit : Ein gewisser
Wilhelm mit dem Zunamen Jakob [William James ^ . ein
Mann von tüchtiger Gelehrsamkeit und edler Beredtsanikeit. habe
einmal Sonntags in einer Hauptkirche dem Hochamt beigewohnt :
als aber die Hostie zur Anbetung emporgehoben wurde , habe er
sich umgedreht, so dass er dem Altar den Kücken zukehrte, dann
aber die Hände aufgehoben , und seine Augen auf eine ausge-
zeichnet schöne Frau gerichtet, mit den Worten, er schaue (i<»tt.
den er anbete, in ihr klarer an. als in der aufgehobenen Hostie H .
1 Er hat bekannt: thut on O'ood Friday — neyther I in myn owen
own, persona , ner noon of tnyne owen parishens, by tny teil and suß'raunce
dide no worship aecoustnmed to bee done that day in all Itoly cherche to
ihe crosse. WiLKixs, Conc. IM. vgl. et quod parochiani tut non aaorarent,
seä in sedilibus suis mancrent absque adorafionc, approbmti.
2) Vgl. Wilkins, Conc. 307.
:t, Doetrinale antiqu. Jidei, Vol. II. c. 2ü. f. 47. Aehnliches hören wir
von einem gewissen Nicclaus Canon von Eye in Suftolk: er sei einmal am
Fronleichnamsfeste, während des Hechamts, als bei der Elevation alles nie-
derkniete , hinter einen Pfeiler getreten . habe dem Hochaltar den Rücken
Priesterehe.
311
Der Berichterstatter erklärt das ohne weiteres für Wahnwitz;
und wir sind weit entfernt, eine solche Demonstration, welche das
an der Anbetung: der Hostie genommene Aergerniss ausdrücken
will , in Schutz zu nehmen . da sie ans Frivole streift. Indessen
scheint uns diese Anekdote, deren geschichtliche Glaubwürdig-
keit keiner triftigen Einrede unterliegt, bezeichnend als ein Beleg
davon, wie manche Lollarden jener Zeit ihre Glaubensansicht,
wenn auch in verfehlter Weise, an den Tag zu legen suchten.
Höchst merkwürdig ist ferner die Thatsache, dass ein gewe-
sener Kaplan Wilhelm Weiss Whyte. Willelmus cognomento
Albus nennt ihn Waiden seine von W i c 1 i f überkommene
Ueberzeugung von dem göttlichen Recht der Priesterehe prak-
tisch bethätigte. Nachdem er durch die Lektüre von Wiclif's
Schritten erweckt worden war. gab er seine einträgliche Pfründe
auf, um sein Leben desto ungehinderter nach dem Willen Gottes
einrichten zu können. Gewiss waren dem Entschluss . dieses
Opfer zu bringen . schwere Gewissenskämpfe vorhergegangen,
vermöge des Conflikts zwischen der übernommenen Amtspflicht
und der gewissenhaften persönlichen Ueberzeugung. Jedoch
machte White, auch nach Niederlegung seines Amtes, von sei-
ner priesterlichen Befugniss noch fleissigen Gebrauch: er be-
nützte jede Gelegenheit, um zu lehren und zu unterweisen , den
Seelen zu dienen und Christi Ehre zu fördern. Insbesondere ver-
t'asste er mehrere Volksschriften, deren eine Thomas von Wai-
den in Bandes gehabt hat und eitirt 1 . Dieser Mann nun hat unter
anderem auch in Betren0 der Ehe Grundsätze sich angeeignet und
öffentlich ausgesprochen, des Inhalts: Christus habe allen drei
Ständen der Christenheit, dem Lehrstande so gut als dem Nähr-
stande, die Ehe zur Pflicht gemacht: diese Vorschrift Christi habe
der Widerchrist von Papst nebst seinen Rathgebern . erst nach-
dem der Teufel um das Jahr 1000 los geworden, zum sittlichen
Schaden der Priesterschaft, zu nichte gemacht. Der Mann be-
gnügte sich indessen nicht mit der grauen Theorie : er schritt
zugewendet und diejenigen verspottet . welche dem Sakrament ihre Vereh-
rung bezeigten. Foxe, Acts and 3Ion. III, 599.
1 Doctrinale, Vol. III. f. 292.
312
Buch III. Kap. 4. I.
selbst zur Ehe mit einer gxrttesfürchtigen Jungfrau Namens
Johanna , und erklärte es für eine arge Verkehrtheit, dass man
ein Ehelosigkeitsgesetz . welches von Gott niemals gegeben wor-
den sei, halte, dagegen das Geschenk der Ehe, welehes Gott
selbst verliehen habe, wegwerfe1 . So wagte es dieser Mann,
ungeachtet seines priesterlichen Standes , doch in die Ehe zu tre-
ten, indem er den Priestercölibat als eine lediglich menschliche
Satzung, ja als eine geradezu widerchristliche und sittlich ver-
derbliche Institution . grundsatzlich verwarf. Und merkwürdiger
Weise hat Thomas von Waiden, dem wir diese ganze Nach-
richt über seinen Zeitgenossen verdanken, kein Wort des Vor-
wurfs gegen diese thätliche Durchbrechung einer für das ganze
päpstlich - lrierarchische System so wichtigen Ordnung, wie der
Priestercölibat war.
Dieser gewesene Priester. Wilhelm White, stand um seiner
Frömmigkeit und christlichen Wandels willen bei den Lollarden.
die ihn kannten , in höchster Achtung . so dass sie viel auf seine
Fürbitte hielten: eine gewisse Margarethe Wright äusserte nach
seinem Märtyrertode : wenn es Heilige gäbe, zu denen man beten
könnte, so wollte sie lieber zu ihm beten, als zu irgend einem
andern. Seine Frau Johanna folgte schon früher nach Kräften
seinem Vorgang: sie verbreitete die Lehre und bestärkte viele
Leute in der Wahrheit : diese Bemühungen setzte sie auch nach
ihres Ehegatten Tod fort . nicht ohne durch den Bischof von Nor-
wich mit Kirchenstrafen belegt zu werden - .
Derselbe Wilhelm White suchte die evangelische Wahrheit,
wie er sie erkannte, auch in Betretf der heiligen Zeiten und Feste
im Leben durchzuführen, indem er das Volk lehrte, es seiden
Gläubigen erlaubt . an Sonntagen und Festen . welche die Kirche
eingeführt hat. selbst an den höchsten Festen . zu arbeiten und
leibliche Geschäfte zu vollziehen; nur knechtische Arbeiten seien
unerlaubt. Ueberdies wurde ihm nachgesagt, er habe den (Grund-
satz aufgestellt: »Jeder Tag ist zu feiern, da wir im Geiste leben :
jeder Tag ist Sonntag, jeder Tag ist Osterfest oder Pfingsten.
1 Doctrmmk, HL, 121.
2 Johann Foxe, Acts and Monuttwnts. ed. Townsend, III. ">1H .
Die Lollarden um 1420 folg.
313
gleichwie die Engel im Himmel jeden Tag gleichmäßig feiern1).«
Hier steht die wiclifitische Ansicht allerdings in Gefahr, abwei-
send von Wiclif's persönlicher Lehre, in einen falschen Spiri-
tualismus auszulaufen. Während die Verwerfung der Bilder und
Reliquien ihrerseits in fanatische Bilder stürm erei überzugehen
droht, falls die Aeusserung thatsächlich gegründet ist. welche
Thomas von Wa 1 den einigen Wiclifiten in den Mund legt : Wenn
ich den Leib jenes Petrus oder Antoninus hätte . so wollte ich ihn
mit Feuer verbrennen 2 !«
Kurz, die wiclifitische Partei war in dem gegenwärtigen Zeit-
raum, noch in den zwanziger Jahren des XV. Jahrhunderts, kei-
neswegs unterdrückt und ausgerottet, wie manche Gelehrte sich
vorstellen3 . bn Gegentheil , sie war noch recht zahlreich . und
dabei innerlich kräftig und muthvoll. Hat doch der Erzbisehof
von Canterbury. Heinrich Chichely. das im Juli 1428 eröff-
nete Provinzialconcil zu London insbesondere auch in der Absicht
berufen, damit »die Irrlehren und Irrlehrer, welche in ungewöhn-
lichem Maasse überhandnehmen«, entkräftet und ausgerottet wer-
den möchten4 . Es stand so. dass die Wiclifiten selbst anfingen
geltend zu machen, dass sie ungeachtet aller Verfolgungen von
Seiten der Bischöfe und aller Verleumdungen und Ränke von
Seiten der Bettelmönche und anderer falschen Christen . seit be-
reits 40 — 50 Jahren immer noch bestehen und nicht haben unter-
drückt werden können ; sie beriefen sieh auf diese notorische
Thatsache als einen Beweis dafür, dass ihre Sache von Gott sei" .
Dieses Bewusstsein wird ergänzt durch eine angebliche Prophe-
zeiung, dahin gehend, die Sekte der Lollarden werde in einem
gewissen Sinne vernichtet werden . dessen ungeachtet werde sie
1 Thom. WALDES, Doetrinale, III. c. 140. f. 252.
2] Doetrinale, III. c. 137. f. 249: Qu i dam clamant et ruf/iunt: si höhe-
rem corpus illius Petri auf Antonini, igne concremarem.
3) Vgl. Leo, Lehrbuch der Universalgeschichte, II, 373 Anm.
4 Wilkixs. Cone. UJ, 493: ob errorum et haeresium ac haereticorum .
plus solito inval eseentium destruetionem et enervationem.
5 Thomas von WALDES führt diese Aeusserungen buchstäblich an,
Doetrinale , II, doctrina, XI. fol. S.
3 14
Buch JH. Kap. 4. II.
zuletzt die Oberhand haben und den Sieg' über alle ihre Feinde
gewinnen 1 .
II.
Zu dem Behuf, die Lehre der Lollarden in diesem Zeit-
raum kennen zu lernen , stehen uns , abgesehen von einer grossen
Zahl einzelner Sätze, welche bei Gelegenheit bischöflicher Unter-
suchungen diesem oder jenem Angeschuldigten vorgehalten wur-
den . zwei kurze Urkunden aus der Feder von Wiclifiteii zu Ge-
bote , woraus wir ihre Gedanken einigermaassen im Zusammen-
hang ersehen. Wir meinen das Glaubensbekenntuiss des Thomas
Bagley und den oben erwähnten Aufsatz Wilhelm Tailor's
Uber das Gebet überhaupt, insbesondere über die Anrufung der
Heiligen.
Beginnen wir mit den isolirten Sätzen, so kommen in der
Untersuchung wider den Pfarrer Bobert Hoke vier Sätze vor, die
aus Büchern, welche er besass, herausgehoben wurden :
1 Wenn es in eines Priesters Macht stünde , Gottes Leib zu
machen (offenbar das conficere in der Mess-Terminologie; . so wäre
er im Stande das in seiner Art schlechteste Ding zu seinem Gott
zu machen : denn das Sakrament des Altars ist unvollkommener
in seiner Art, als Pferde- oder Rattenfutter, und das Sakrament
im Kelch ist ungleich unvollkommener als Gift;
2 die Pharisäer der Jetztzeit , als Mönche, Nonnen. Dom-
herren, Bettelmönche und alle anderen von der Kirche anerkannten
Privatreligionen, sind Glieder des Teufels, und nicht des allmäch-
tigen Gottes;
3 die Beichte vor dem Priester ist nicht zum Seelenheil
nothwendig, sondern eine vom Teufel eingeführte List:
4) weltliehe Herren sind durch Gottes (leset/, verpflichtet, alle
Dinge als Gemeingut zu behandeln 2 .
1) Dies beruht auf der Aussage eines Belastungszeugen. Wilhelm
Wright, in einer Unter.-.uchung vom Jahr 1429 gegen mehrere Lollarden
vor dem Bischof von Norwich, s. Joh. Foxe, Acts and Mon. III, 597.
2i Wilkixs , Cour. III, l-'t". in einer englisch gegebenen Widerrufs-
Grundsätze der Lollarden.
315
Angenommen . diese Sätze seien uns in ächter und unver-
änderter Gestalt Uberliefert, was nicht über allen Zweifel erhaben
ist. so unterscheiden sieli die drei ersten Sätze von anderen ähn-
licher Art durch die Derbheit ihrer Passung und durch einen ge-
wissen fanatisch gesteigerten Ton. Der vierte Satz ist insofern
ächt wiclifitischer Herkunft, als Wie Ii f selbst sieh mit dem
Wesen und den Bedingungen rechtschaffenen Besitzes viel be-
schäftigt hat. Allein der hier gewählte Ausdruck macht auf den
ersten Anblick den Eindruck des Communismus . obwohl der Satz
nur die sittliche Pflicht der Besitzenden behauptet, nicht das
Recht der Besitzlosen auf das Privateigenthum Anderer. Letz-
teres liegt dagegen in einer Aeusserung. welche dem Ralph
Mungy n von einigen Zeugen zugeschrieben, von ihm selbst aber
in Abrede gezogen wurde: »Wenn jemand in Noth wäre, so dürfte
er von den Gütern Anderer nehmen, und er würde damit keine
Sünde thun : in diesem Sinne sollten die Güter allen gemein
sein
Während wir hier nur einige aus dem Zusammenhang geris-
sene, möglichst schroff gefasste Sätze vor uns haben , ist uns von
Thomas Bagley. einem Pfarrer zu Maunden in der Grafschaft
Essex, ein ziemlich zusammenhängendes Glaubensbekenntniss er-
halten. Dasselbe beginnt mit einem Satze über die göttliche
Dreieinigkeit aus dem Athanasiamim . fährt weiter fort im An-
schluss an das apostolische Bekenntniss . und erklärt sich ferner
über das Sakrament des Altars . über Wallfahrten und Bilderver-
ehrung. Die erste Eigenthümlichkeit besteht darin , dass in den
Artikel des Apostolicum von der Kirche die praedestinatianische
Definition eingeschoben ist : credo etiam ecelesiam s. catholicam.
quae est numerus )> r a c d <> si i itatorum. Was die Sakramente
betrifft, so erkennt Bagley alle sieben Sakramente der römischen
Kirche an, und misbilligt nur ihren Misbrauch. namentlich zur
Gewinnsucht. Eben so maassvoll und vorsichtig erklärt er sich
im besonderen über (bis Sakrament des Altars, so wie endlich
t'ormel, welche dem Angeschuldigten auferlegt wurde . that lords /empöre//
been ho den by the lato of Ciod to have all t hinge in couimun.
J) WlLKINS. Conc. III, 501. et illo modo debeiwnt bona esse communic .
316
Buch III. Kap. 4. IL
über Heiligenbilder und Pilgerfahrten. Ueberhaupt erscheint das
Ganze als das Erzeugniss eines durchaus nicht leidenschaftlichen
und fanatischen , vielmehr besonnenen und gemässigten Geistes,
der sich an das Bestehende so viel . als Gewissens halber möglich
ist, anschmiegt. Aber eben um dieses sittlichen Maasses willen,
das wir in seinen Erklärungen erkennen , hat es um so mehr zu
bedeuten , dass dieser Mann sogar vor seinen geistlichen Richtern
sich unverholen auf Wie Ii f beruft , als auf einen Lehrer, dem er
mehr Glauben schenke wie einem Hieronymus , Augustin , Gregor
oder Ambrosius den vier grossen Kirchenlehrern des Abend-
landes): er fügt hinzu, er glaube, dass Wiclif, obgleich er
'seiner Zeit wegen Irrlehren und Ketzereien von der Kirche ver-
urtheilt worden sei, dennoch im Himmel höher stehe, als der
heilige Thomas von Canterbury (Thomas B ecket 1 .
Die umfangreichste und zugleich innerlich bedeutendste Er-
klärung eines Lollarden aus diesem Zeitraum ist der Aufsatz von
Wilhelm Tailor Tailour; über das Gebet. Derselbe ist der
Form nach eine briefliche Antwort auf das Schreiben eines Do-
minus T. . der über das Gebet, insbesondere unter Berufung auf
mehrere Aussprüche von Kirchenlehrern, seine Bedenken gegen
Tailor' s Ansicht eröffnet hatte2). Der Verfassen* widerlegt nun
jene Einwendungen und vertheidigt seine Ansicht. Er begnügt
sich jedoch nicht damit, die geltend gemachten Bedenken aufzu-
lösen , wobei er insbesondere auf die gegen ihn angerufenen Aus-
sprüche der Kirchenväter eingeht, sondern führt im zweiten Theik
seines Sehreibens (welches freilich mehr Abhandlung als Brief
ist auch positive Zeugnisse von Kirchenvätern, namentlich von
Augustin, für sein Thema auf. Dieses besteht nämlich in fol-
genden Sätzen: Jedes Gebet, welches eine Bitte um ein Uber
natürliches Gnadengut enthält, ist ein Akt der Anbetung; ein
1 Wilkixs, Cime. Öl, ">lö folg. Die letzten Worte lauten: O+edidtt
dictum Wicliff per ecelesiam propter errores et haereßea alias tfamnatUtH
altins residere IN cblo, quum Ixatum Tliomam Cont.
2 Der Aufsatz ist in den Processakten gegen Tailor abgedruckt bei
Wilkixs, Conc. III, 407 — 40!). Auch führt ihn Thomas von Waiden
unter dem Titel De orandis satictis, als lihellus. (/nein edidit (t'ai/le/mas cogn&-
mento Sartor d. h. Schneider, = tailor' an, Doefrina/e. III. 2 1 7 - .
Tailor s Aulsatz vom Gebet.
solcher gebührt aber einzig' und allein Gott selbst, und keinem
Geschöpfe ; somit ist ein solches Gebet an Gott allein zu richten.
Dies ist allerdings ein acht wiclifitischer Satz. Allein die Aus-
führung desselben in dem vorliegenden Traktat ist der Art. das?
sie theils hinter der Schriftwahrheit zurückbleibt , theils über die-
selbe hinausgeht. Ein Zurückbleiben hinter dem richtigen Maasse
der Schriftwahrheit ist es offenbar, wenn Tailor Gebete an die
Beiligen insoweit gestattet, als man sie um ihre Fürbitte anruft,
und wenn er einräumt, dass die Fürbitten und Verdienste der Hei-
ligen sowohl den Lebenden als den Todten zu gute kommen. Auf
der andern Seite aber geht der Verfasser über das Maass der Bibel-
wahrheit hinaus, wenn er dem Grundsatze , dass nur Gott, und
kein Geschöpf, angebetet werden solle, auch die Wendung gibt,
dass an Jesum Christum, den Gottmenschen, kein Gebet gerichtet
werden dürfe 1 . Diese Verneinung verträgt sich mit der Schrift-
lehre von der Person Christi und mit neutestamentlichen Anrufun-
gen des erhöhten Erlösers eben so wenig, als jene Bejahung mit
dem alleinigen Verdienste Christi.
Die papisti scheu Inquisitoren hätten immerhin denken kön-
nen, es stehe manches gut Römische in dem Aufsatze von Tailor.
Allein derselbe Mann hat sich , abgesehen von diesem Traktate,
doch auch zu Ansichten bekannt wie die folgenden:
«Die bürgerliche Herrschaft ist so unvollkommen, dass sie sich
mit der priesterlichen Vollkommenheit unmöglich verträgt; in
keinem Falle hat Christus gewollt, dass die Priester der Kirche
in solcher Weise herrschen sollen.
Die Art. wie die Bettelmönche betteln, ist in alle Wege
schädlich und verflucht.
Wer dem Kreuz oder einem Heiligen opfert, begeht eine Ab-
götterei.
Wiewohl einige der genannten Sätze von der allgemeinen
Kirchenversammlung zu Constanz verworfen und verdammt wor-
1 Er beruft sich hiefür auf das Vater Unser: Christus sie Orariß doeuit
diseipulos suos: Pater noster etc. Ubi docetur , cui ßdeles debent orationes
suas dtrigere, h. e. Ueo, sub rat tone qua Dens est et Dominus, et non S'tb
ratione humanitatis. Der Erlöser habe nicht beten gelehrt: »Unser Jesu,
oder unser Christus, unser Heiland" u. s. w.
Buch III. Kap. 4. Iii
den sind, so sind sie dessen ungeachtet wahrhaft rechtgläubig
und durch das Gesetz des Herrn Jesu Christi bestätigt 1 .«
Allein in den Augen der Inquisitoren waren diese Sätze aller-
dings entschieden ketzerisch.
Um aber nachzuweisen, dass auch in diesem Zeitraum der
von Wie Ii f so klar und entschieden aufgestellte Grundsatz werbt)
solo« den Lollarden ins Herz geprägt blieb, möge neben dem
Schluss des letzterwähnten Satzes vonTailor. welcher die h.
Schrift als die höchste Auktorität anführt, noch einer von den-
jenigen Sätzen Erwähnung finden, welche im Jahr 1428 ein Lon-
doner Priester. Thomas G ar e n t e r, vor dem Erzbischof widerrufen
hat. Es sind vier Sätze , die er vorgetragen zu haben gesteht,
aber nunmehr schriftlich widerruft :
I »Derjenige, welchen die Christen Papst nennen, ist nicht
Papst noch Gottes Statthalter auf Erden, sondern der Antichrist:
2) nach der Consekration in der Messe bleibt Brod und
Wein, und ist nicht verwandelt in Christi Leib und Blut;
3) es ist nicht gut, auf Pilgerfahrten zu gehen: besser
bleibt man zu Hause , denn es ist doch nur Holz und Stein . was
sie suchen:
4) keine Schrift ist rechtgläubig und heilig ausser derjenigen,
w eiche in der Bibel enthalten ist2); von den Legenden und
Lebensbeschreibungen der Heiligen hielt ich nichts , und die
Wunder . welche von ihnen geschrieben stehen , hielt ich für un-
wahr.«
Wir haben an den verschiedenen Erklärungen von Lollarden
eine Reihe von Thatsachen vor uns, aus denen sich sowohl Ein-
heit als Mannigfaltigkeit der Auffassung und Lehre ergibt. Die
Einheit besteht vor allein in dem Hochhalten der Bibel, als
des »Gesetzes Gottes«, welchem das letzte Wort und das schlecht-
hin entscheidende Gewicht gebührt: ferner in der Misbilligung
des römischen Heiligenkultus mit allem Avas darum und daran
ist. als Wallfahrten and dergleichen; sodann in der Wie Ii f -
I, WlLKINS, Conc. III, 1 1 0 folg«
2) / Uelde noo tefiptur Catholyk no' hotyf hui oonhj (hat ys conteineil
in the Bible. WlLKINS, Conc. III, 502.
Wiclifitasche Grundsätze.
sehen Abendinahlslehre, wornaeh die Wandlung verneint
wird. Auf der andern Seite bekommen wir den Bindruck, dass
zwischen den als Lehrer und Schriftsteller unter den Lollarden
dieser Zeit hervorragenden Männern eine bedeutende Verschie-
denheit obgewaltet habe, indem die einen gemässigter und
besonnener verfuhren, und sieb der Kirchenlehre so weit als
möglich näherten und anschlössen . während andere eine schrof-
fere Haltung- einnahmen, und sich derber auszusprechen liebten.
Es liegt indes in der. Natur der Sache, dass den argwöhnischen
und spähenden Gegnern und Richtern vornämlich die polemischen
Spitzen und die scharfen Kanten ins Auge fielen. Wir sind dem-
nach kaum berechtigt, uns von der christlichen Anschauung und
Lehre sogar der kühnsten unter jenen Männern ein Bild lediglich
auf Grund der ihnen vorgehaltenen Anschuldigungen zu entwer-
fen. Ks wird immerhin anzunehmen sein . dass im Leben selbst,
auch bei den schroffsten Lollarden dieses Zeitraums . weit mehr,
als nach diesen von gegnerischer Seite aufgenommenen und er-
haltenen Papieren zu vermuthen wäre , eine Richtung positiver
biblischer Gottesfurcht und Frömmigkeit vorwaltend gewiesen sei.
III.
Diese Gesinnungen und Lehren hat die Hierarchie auch in
dem gegenwärtigen Zeitraum mit allen Mitteln zu dämpfen und
auszurotten für ihre Pflicht gehalten. Wenn irgend möglich,
suchte man die Personen, welche im Rufe standen Lollarden zu
sein, zum Widerrufe zu bewegen. Und das ist nicht selten gelun-
gen, z. B. im Jahr 1419 bei zwei K aplanen . Ralph Owtrede
und Wilhelm Brown: dies war der erste Fall von Inquisition
gegen Lollarden seit dem Jahr 1417. von welchem wir in der
reichhaltigen Sammlung von Wilkins urkundliche Nachricht
haben1). Ein dritter. Richard Wiche Wyche . ebenfalls Ka-
plan, hatte schon vor diesem Zeitraum seines Glaubens wegen
viel erduldet : einmal war er vom Bischof von Durhain der Ketze-
rei schuldig gefunden und Jahre lang im Norden verhaftet gewe-
1) Cond ha M. Brit. III, :*94 folg.
320 Buch III. Kap. 4. III.
sen : sodann hatte man ihn nach London gebracht und hier frei-
gelassen. Allein nun wurde er wegen neuen Verdachts wiederum
eingezogen, im Fleet-G-efängniss eingesetzt , und zur Verantwor-
tung vor die Convocation gestellt , aber , ohne dass es zu einer
Entscheidung kam , wieder zur Haft gebracht l) . Vermuthlich ist
er noch lange in Gefangenschaft geblieben: zuletzt ist er doch
noch verbrannt worden, aber das geschah , wie es scheint, erst im
Jahr 1431. Ueberhaupt sind nicht wenige wegen Verdachts wi-
clifitischer Denkart gefangen gehalten, zum Theil Jahre lang.
Zum Beispiel der oben genannte Priester Thomas Garenter. der
Pfarrer Robert H o k e , Wilhelm James, Richard M o n k , Pfar-
rer von Chesham, der Pfarrer Robert vonHeggeley, Wilhelm
White - . Allein der Widerruf, zu welchem mancher durch die
Tortur oder durch Todesfurcht gebracht wurde , verhalf erst nicht
immer zur Freiheit. Zwar der Arzt, Magister Wilhelm James,
welcher im Jahre 1420, nach mehrjähriger Gefangenschaft . die
»Ketzerei« abschwor, erlangte seine Freiheit insoweit wieder, dass
er innerhalb der Marken einer erzbischöflichen Besitzung , Maid-
stone in Kent. wohnen , unter Aufsicht des Haushofmeisters sich
mit jedermann unterreden und seine ärztliche Kunst wieder aus-
üben durfte 3 . Der wiederholt erwähnte Robert Hoke, Pfarrer
von Braybrooke im Bisthum Lincoln, galt als ein eifriger Förderer
des Lollardenthums ; er war zuerst im Jahr 1405, sodann wieder
im Jahre 1414 in Untersuchung gekommen und hatte am 18. Oc-
tober jenes Jahres widerrufen. Im Jahre 1425 lenkte sich jedoch
abermals der Verdacht auf ihn , und er wurde vom 6. Juni an zu
London vom Erzbischof und mehreren Bischöfen verhört. Schliess-
lich verstand er sich dazu , eine ihm vorgelegte Widerrufserklä-
rung in englischer Sprache öffentlich vorzutragen: Sonntag den
21. Juli hat er den ihm auferlegten Widerruf »bei dem hohen
Kreuz« auf dem St. Paulskirchhofe zu London öffentlich vorgetra-
gen, worauf er seiner Haft wieder entlassen, aber in sein Pfarr-
amt vorerst noch nicht wieder eingesetzt wurde: doch wurde ihm
1 a. a. 0. 394.
■1 Wilkixs, Coiic. III, 502 folg. 434. 31)7. 49s. 4M folg. 404.
3 a. a ü. 397.
Standhattigkeit einzelner Lollarden.
321
die Aussicht eröffnet , wenn er sich eine Zeit lang »gut« gehalten
haben würde, in sein Pfarramt zu Braybrook wieder eingesetzt zu
werden1 . Auch der Pfarrer Thomas Drayton zu Snave in
Kent. unweit der Küste des Kanals, welcher schon 1414 in den
gegen Lord Cobham und Genossen angestrengten Hochverraths-
process verwickelt gewesen 2 , und wegen Verdachts der Ketzerei
von Comraissaren des Bischofs von Lincoln vernommen worden
war. kam im Jahr 1425 wegen vielfachen Umgangs mit Lollar-
den, namentlich mit Wilhelm Tailor, so wie wegen Theilnahme
an ihren Conventikeln, aufs neue in Untersuchung, wurde jedoch,
nachdem er sich zum Widerruf verstanden, wieder freigelassen3).
Allein viele konnten selbst durch Widerruf ihre Freiheit
nicht erkaufen. Robert, Pfarrer zu Heggeley, und Wilhelm
Harvey von Tenderden widerriefen zwar sowohl vor der Con-
vocation als auch vor einer zahlreichen Versammlung von Geist-
lichen und Gemeindegliedern in der St. Paulskirche zu London im
Jahre 1428, wurden aber dessen ungeachtet zu lebenslänglicher
Baft verurtheilt , welche nur durch Begnadigung von Seiten des
Erzbischofs sollte abgekürzt werden dürfen4).
Uebrigens hat es auch in diesem Zeitraum nicht an solchen
gefehlt, welche eine unerschütterliche Treue gegen die er-
kannte Wahrheit, und bewundernswürdige Standhaftigkeit be-
wiesen. Wir finden sogar Frauen in dieser Zahl, so Katharina
von Dertford, genannt Spynnester, eine Frau, in deren Woh-
nung sich die Gesinnungsgenossen aus ihrer Gegend geraume Zeit
hindurch zu versammeln pflegten. Das war lange unentdeckt ge-
blieben. Endlich fiel sie im Jahre 1428 dem Ketzergericht in die
Hände. Allein sie verstand sich durchaus nicht zu den Erklä-
rungen . welche man in Betreff der Lehre von der Wandlung so
wie der Bilderverehrung und Wallfahrten von ihr verlangte ; sie
blieb vielmehr bei den Worten des apostolischen Glaubens-
bekenntnisses und der Zehn Gebote stehen , als worin allein sie
1 AYilkixs. Conc. III,
2) s. oben B. III. Kap.
3) Wilkins, Conc. III,
4 a. a. ü. 494.
Lechlee. Wiclif. II.
434 — 43S.
2. III. S. 91. Anm. 3.
434- 436.
322
Buch in. Kap. 4. III.
unterwiesen sei, musste aber dafür in langwieriger Gefangen-
schaft büssen l) . Auch der mehrerwähnte Priester Ralph M u n -
gyn wurde im gleichen Jahre wegen beharrlicher Verweigerung
des Widerrufs zu lebenslänglichem Gefängniss verurtheilt, und
der Erzbischof sollte nur mit Zustimmung eine* Provinzialconcils
in Zukunft etwa eine Milderung eintreten zu lassen befugt sein 2; .
Aber selbst mit dem Märtyrertode haben manche ihre Ueber-
zeugung besiegelt . von denen wenigstens einige näher bekannt
sind.
Wilhelm T a i 1 o r . den wir bereits kennen . galt so sehr als
ein Haupt der Lollarden. dass ihn der Polemiker Thomas Netter
von Waiden haeresiarcKa eorum betitelt3 . Er war Magister
und Priester; 14 Jahre lang, seit dem Jahre 1405. war der von
Erzbischof Arundel wegen beharrlichen Nichterscheinens ver-
hängte Bann auf ihm gelegen . als er vor dem Nachfolger . Erz-
bischof Chichely, sich, wie es scheint, von freien Stücken
stellte. Er erschien am 12. Februar 1419 vor dem Erzbischof in
seinem Bibliotheksaal zu Lambeth als Büssender, und verstand
sich zu der ihm auferlegten Busse. Am 14. Februar musste er
in der grossen Kapelle zu Lambeth vor dem Erzbischof sein Be-
kenntniss ablegen und um Absolution bitten: er legte Priester-
rock und Kapuze ab . kniete vor dem Erzbischof. der eine Ruthe
in der Hand hielt . nieder und musste warten, bis der Busspsalm ;
»Gott sei mir gnädig« Ps. 51 . unter dem Respondiren mehrerer
Geistlichen, nebst einigen Gebeten gesprochen war. Hierauf er-
hielt er die Absolution, jedoch unter der Bedingung, dass öf
seinen Widerruf und das Gelöbniss . sich aller Gemeinschaft mit
Irrlehrern künftig enthalten zu wollen, auch vor der Convocatimi
Öffentlich und feierlich wiederhole. Aber noch vor dem Mai des
Jahres 1421 wurde er vom Bischof zu Worcester verhaftet, weil
er in Bristol und der Umgegend dieser Stadt abermals Irrlehren
vorgetragen habe. Er widerrief nun vor der Convocation die ihm
Schuld gegebenen Sätze . worauf ihm zur Strafe der - Beleidigung
1 a. a. O. 493.
2] a. a. O. 4U7 — 5i»2.
3 DoctrinalH, II. f. U.
Der Process gegen Wilhelm Tailor.
323
Gottes und Verachtung- der Kirche« lebenslängliche Haft auferlegt
wurde : wegen bezeugter Reue wurde er jedoch sofort gegen Bürg-
schaft frei gelassen. Dessen ungeachtet erscheint er schon im
Februar 1422 zum dritten Mal als Beklagter vor einem geistlichen
Gerichtshof, diesmal in London : denn er hatte, trotz seines dop-
pelten Widerrufs aufs neue »Irrlehren« vorgetragen : der lateini-
sche Aufsatz über das Gebet , von welchem wir oben Kenntniss
genommen, diente als Beleg hiefür. Nun erstattete ein Ausschuss
von Doctoren der Theologie aus den Bettelorden , unter denen
auch Thomas von Waiden sich befand, ein Gutachten über
diesen Traktat : sie erkannten den Aufsatz für ketzerisch. Ueber
die Rechtsfrage wurden mehrere Doctoren der Rechte, unter
denen Wilhelm Lind wo od genannt wird, befragt. Diesmal
bezeugte Tailor vollkommene Festigkeit: er bekannte sich im
letzten Verhöre zu den meisten der Sätze, die ihm vorgehalten
wurden , und beharrte unwandelbar dabei. Daher fällte der bi-
sehöfliche Gerichtshof am 27. Februar das Urtheil, dass er als
rückfälliger Ketzer aller priesterlichen Ehre und Würde entkleidet
und sodann dem weltlichen Gericht überlassen werden solle. Am
1 . März wurde die Degradation in der Paulskirche feierlich voll-
zogen, und am 2. März wrurde er auf Smithfield verbrannt *) .
Vom Jahr 1422 an ist es still zugegangen. Das hing ohne
Zweifel mit dem Regierungswechsel zusammen. Im Jahr 1422
war Heinrich V. gestorben. Der Thronerbe Heinrich VI. war
noch nicht völlig ein Jahr alt , als sein Vater starb. Und die
Regentschaft, bestehend aus den Oheimen des jungen Prinzen, den
Herzogen Johann von Bedford und Humphrey von Glocester.
hatte keinen Grund, sich in kirchliche Dinge viel einzumischen.
Wir hören Jahre lang nichts von Ketzerverbrennungen. Auch
selbst von Ketzerprocessen überhaupt berichten die vorhandenen
Urkunden wenig. Aber auf einmal geht es wieder an . im Jahre
1428. Der Anstoss dazu war, wie es scheint, von Rom ausge-
gangen.
Nachdem schon drei Kreuzzüge gegen die Hussiten in Böh-
1) Wilkins, Conc. III, 404 — 413. Thom. Wald., Doctrinale II, f. 9;
III, 204 folg. Foxe. Acts cmd Monum. III, 5S1 feig.
21*
324
Buch III. Kap. 4. III.
inen und Mähren mit Niederlagen geendigt hatten , betrieb Papst
Martin V. 1426 einen neuen Kreuzzug gegen die Böhmen. An die
Spitze desselben wollte er einen englischen Prälaten, der ein Prinz
von Geblüt war, stellen. Heinrich von Beaufort, Bischof von
Winchester, Grossoheim des jungen Königs Heinrich VI. und
Oheim der beiden Herzoge, und Mitinhaber der Regentschaft, war
einer der reichsten und mächtigsten Prälaten seiner Zeit , er galt
zugleich als ein erfahrener Staatsmann. Im Jahr 1414 hatte er,
auf einer Pilgerreise nach Jerusalem begriffen , der Kirchenver-
sammlung in Constanz beigewohnt. Nun ernannte ihn der Papst
zum Cardinal und am 18. März 1427 zum apostolischen Legaten
für Deutschland , Böhmen und Ungarn , erth eilte ihm auch aus-
gedehnte Vollmachten l) . Allein das neue grosse Kreuzheer wurde
Anfang August bei Tachau in die Flucht geschlagen. Aber Papst
Martin arbeitete nur desto eifriger für eine neue Unternehmung
und erliess an alle Bischöfe in den verschiedenen Landeskirchen
den Befehl , in Gemässheit eines Beschlusses von Constanz , den
Zehenten zur Aufstellung eines Heeres gegen die Hussiten zu er-
heben. Am 18. Januar 1428 erliess er den Befehl, jeden ersten
Sonntag eines Monats bei allen Kirchen feierliche Bittgänge für
Bekehrung und Niederwerfung der Ketzer (Hussiten) mit 100-
tägigem Ablass für alle Theilnehmer an diesen Processionen zu
veranstalten 2 j. Und am 18. März erging ein apostolisches Schrei-
ben an den Cardinallegaten Heinrich , um alle Christen aufzufor-
dern, dass sie zur Ausrottung der »Wicclyfisten, Hussiten« und an-
derer Ketzer mithelfen sollten 3) .
Ausserdem erschien ein päpstlicher Nuntius, Kunz von
Z wolle, in England, gab in der Convocation Nachricht über die
» Bedrängniss der Kirche Christi und die Verfolgung der Gläubi-
gen durch die Ketzer in Böhmen«, und drang auf Gewährung der
angesonnenen Kirchensteuern für Bekämpfung der Hussiten von
Seiten der Prälaten und Geistlichkeit Englands 1 . Durch die
1) Vgl. Palacky, Gesch. von Böhmen, IV, 2. 437 ff.
2; WlLKlNS, Conc. III, 491 folg.
3 a. a. O. 493. 490.
4 a. a. O. 511 folg.
Wielifs Gebeine verbrann*
ganze Agitation . welche von Rom ausging und zunächst nur die
Hussiten im Auge hatte . wurde auch in England der Eifer gegen
die Lollarden neu entzündet. Jedenfalls werden die päpstlichen
Nuntien. Kunz von Zwolle und Magister Jakob, nicht versäumt
haben . den englischen Prälaten das Inquisitionsgewissen auch in
Betreu0 ihrer Landsleute zu schärfen. Wir sehen hier deutlich die
oben erwähnte Rückwirkung der europäischen Verhältnisse auf
den Gang der wiclifitischen Bewegung in England.
Jedenfalls hing es mit den Kreuzzügen gegen die Hussiten
zusammen , dass Martin V. dem Bischof von Lincoln . Richard
Fleming, im Jahr 1427 die Pflicht, den Constanzer Beschluss in
Betreff der Ueberreste Wielifs1) endlich zu vollziehen, neu
einschärfte. Warum war denn jener Synodalbeschluss nicht be-
folgt worden ? Wir können uns diesen Umstand nur daraus er-
klären, dass derjenige Mann, welcher zur Zeit des ökumenischen
Concils den bischöflichen Stuhl von Lincoln einnahm , Philipp
Repington, ungeachtet er jetzt ein Verfolger der Lollarden war,
doch Christ und Mann genug war . um jenes schmähliche Verfah-
ren gegen die Ueberreste seines ehemaligen Freundes nicht auf
sich nehmen zu wollen. Und als er im Mai 1420 resignirte. waren
bereits 5 Jahre seit jener Entscheidung der Synode von Constanz
verstrichen. 'Dieselbe war verschollen und blieb es. bis der Papst
selbst daran mahnte. Nun konnte Bischof Fleming nicht umhin,
die unbegreifliche Sentenz des Constanzer Concils zu vollziehen,
und Wielifs Gebeine in Lutterworth ausgraben zu lassen, wor-
auf man sie verbrannte und die Asche in s Wasser warf.
Die Hauptsache aber war die Verfolgung der jetzt lebenden
Lollarden. Gleich nach Eröffnung der Convocation am 9. Juli
142S erklärte Erzbischof Chicheley für eine Hauptaufgabe die-
ses Provinzialconcils »die Ruhe der Kirche und Erhaltung des
Glaubens, die Entkräftung und Ausrottung der Irrlehrer und
Ketzer, welche in unerhörtem Maasse überhand nehmen2 )«. Und
als im November die Convocation. nach ihrer Vertagung, wieder zu-
sammentrat, erklärte er. es sei dringendes Bedürfniss. dass schleu-
1} Beschluss vom 4. Mai 1415, s. oben B. III. Kap. 3. V. S. 206 folg
2 Wilkins. Coric. III. 493.
326
Buch III. Kap. 4. III.
nige Maassregeln gegen die Ketzer ergriffen würden, denn die Bos-
heit nehme, wenn man nicht einschreite , Tag für Tag zu J) . Es
wurde ein Ausschuss gewählt, um Vorschläge in dieser Beziehung
zu machen. Im Namen des Ausschusses trug später der uns schon
bekannte Official des Erzbischofs, Wilhelm Lind wo od, die Vor-
schläge, über die man sich geeinigt hatte, vor. Unter diesen Vor-
schlägen befand sich auch der : es wäre gut , wenn die Bischöfe
Lollarden , welche zum Gefängniss verurtheilt seien , an Klöster
überweisen könnten, um in denselben ihre Strafzeit auszuhalten.
Allein die Vertreter der Mönchsorden erklärten auf der Stelle, das
sei eine so unerhörte Zumuthung, dass sie erst genau zusehen
müssten, ob nicht eine Beeinträchtigung ihrer Privilegien darin
liege. Sie forderten deshalb Bedenkzeit, und erhielten solche bis
März nächsten Jahres. Die Sache war und blieb vertagt2} .
Aber ohne die Entscheidung über die neuen Vorschläge abzu-
warten, schritt die Convocation sofort zur Vorladung, Vernehmung
und Aburtheilung mehrerer Lollarden. Unter diesen befand sich
Johann Jourdelay, die oben genannte Katharina von Dert-
ford, der Pfarrer Robert von Heggeley, Wilhelm Harvey,
Johann Calle. Vor der Vertagung ermahnte der Erzbischof seine
» hochwürdigen Brüder« eindringlich, sie möchten in der Zwi-
schenzeit möglichst eifrig gegen die Lollarden einschreiten; in
der nächsten Session sollten sie dann Bericht darüber erstatten 3) .
Dieser Aufforderung ist der Bischof von Norwich mit besonde-
rem Eifer nachgekommen. Er war es, der schon im Sept. 1428 den
Priester Wilhelm White in Norwich verbrennen lassen, und auch
dessen Ehefrau Johanna in strenge Untersuchung genommen4).
Bei der an Martini 1428 wieder zusammengetretenen Con-
vocation wurden Ralph Mungyn, Thomas Gar enter und Ri-
chard Monk in Untersuchung gezogen. Und so ging die Verfol-
gung die nächsten Jahre stetig fort. Im Jahre 1430 wurde un-
mittelbar nach der feierlichen Krönung des erst 9jährigen Königs,
l] a. a. O. 495.
2 WlLKINS, Cotic. III, 495 folg.
3) a. a. O. 494.
4; Foxe, Acts and Mon. III, 5b(i folg. 591.
Verfahren der Convocation gegen die Lollarden. H27
Heinrich VI. , gleichsam zur Erhöhung der Festlichkeit, ein Lon-
doner Gewef bsmann , Richard Hoveden. welcher durch keine
Vorstellungen und Drohungen von seiner Ueberzeugung abzubrin-
gen gewesen und als Lollarde verurtlieilt worden war. unweit des
Towers verbrannt 1 . Und im Jahre 1431 starben zwei Männer
den Flammentod als Wiclifiten. Der eine war ein Priester. Tho-
mas Ba gl ey, Pfarrer von Mundon Maunden in Essex: dieser
wurde während der Fastenzeit in Smithfield bei London ver-
brannt2' . Der andere war angeblich ein geborener Böhme. Paul
Craw. welcher demnach den Wiclititismus mit seinem ursprüng-
lichen Hussitisnuis eombinirt haben müsste. Er wurde auf Befehl
des Bischofs von St. Andrews in Schottland verhaftet , und weil
er gegen die Lehre von der Wandlung, die Ohrenbeichte und die
Verehrung der Heiligen sich beharrlich erklärte, der weltlichen
Gewalt überliefert und in der Stadt St. Andrews verbrannt 3 .
Mit dem Jahre 1431 haben, so weit sich aus den überliefer-
ten Urkunden und sonstigen Nachrichten ersehen lässt. die bluti-
gen Verfolgungen wider die Lollarden ihr vorläufiges Ende ge-
funden. Deshalb nehmen wir gerade dieses Jahr als den End-
punkt des gegenwärtigen Zeitraums an.
IV.
Wir haben indes noch eine bemerken swerthe Erscheinung
dieses Zeitraums ins Auge zu fassen. Es ist dies die als Quelle
unserer Kennrniss schon wiederholt benutzte grosse scholasti-
sche Streitschrift wider Wiclif und die Lollarden.
von Thomas von Waiden. Dieses polemische Werk verdient
um so mehr eine eingehende Besprechung, je weniger dasselbe
bekannt ist.
Ueber die Persönlichkeit des Verfassers können wir
Folgendes mittheilen. Thomas Wal den sis. eigentlich Tho-
1) a. a. 0. 59S folg.
2 WlLKINS, Conc. III, 515 folg.
3^ Hetherington , History ofthe Chatreh of Scotland , 30 folg. nennt
das Jahr 1432, Foxe, Acts III, 600 folg. das Jahr 1431.
328
Buch III. Kap. 4. IV.
mas Netter von Saffron- Waiden, einem Städtchen im nordwest-
lichen Theile der Grafschaft Essex , mag um das Jahr 1,380 ge-
boren sein. Er trat in den Bettelorden der Carinelitermönche und
wurde 1414 Provincial seines Ordens für England. Man zog ihn
als anerkannt tüchtigen Doctor der Theologie zu vielen Verhand-
lungen bischöflicher Gerichte mit Lollarden bei. z. B. zu den Ver-
hören mit Lord C ob harn, Wilhelm Tailor und anderen1,. Fer-
ner hat er den Concilien zu Pisa 1409 und zu Constanz angewohnt,
dem letzteren als Beauftragter des Königs Heinrich V. Dieser
hatte ihn zum Beichtvater erwählt und zu seinem Geheiinschreiber
ernannt. Den Sohn, Heinrich VI., begleitete er zur Krönung nach
Frankreich, starb aber am 3. November 1431 zu Rouen.
Von seinen zahlreichen Werken war geraume Zeit nur das
eine gedruckt, worüber wir Bericht zu erstatten im Begriffe
stehen. Erst im Jahr 1858 hat der verewigte Walter Shirley
ein Sammelwerk unter dem Titel Fasciculi zizaniorym heraus-
gegeben, welches eine Menge Urkunden zur Geschichte Wie lif 's
und seiner Anhänger enthält und ohne Zweifel von niemand an-
derem als Thomas Netter zusammengestellt ist. Das hier zu
besprechende Werk aber hat den Titel : Doctrinale antiquitatum
fidei ecclesiae catholicae, »Lehrbuch der Alterthünier des Glaubens
der katholischen Kirche«.
Die Abfassungszeit dieses Werkes lässt sich nach Maass-
gabe des Inhalts ziemlich genau bestimmen. Der erste Band ist
nämlich dem Papst Martin V. gewidmet, und der zweite König
Heinrich V. Da nun der genannte Papst im Jahre 1417 gewählt
worden, der König im Jahre 1422 gestorben ist. so kann der erste
Band nicht vor dem Jahr 1417 geschrieben, und der zweite nicht
später als im Jahr 1422 vollendet sein. Im II. Bande spricht der
Verfasser unter anderem auch von den Untersuchungen gegen die
Lollarden Wilhelm White und Wilhelm Tailor: nun haben
diese ebenfalls im Jahr 1422 statt gefunden: einmal sagt Netter
sogar, »während er dieses diktire, sei ein Haupt der Wiclifiten,
Tailor, verurtheilt und hingerichtet worden« 2 : dies geschah aber
1 Wilkins, Couc. III, 355. 409,
2) Docfrhtah II. f. 9.
Das polemische Werk des Thomas Netter von Waiden.
329
am 2. März 1422, folglich mnss der II. Theil gerade in diesem
Jahre geschrieben worden sein. Hingegen lässt sich aus der Bulle
Papst Martin s V. vom S. August 1427 ersehen, dass der III. Theil
damals noch in der Arbeit war: wir dürfen also annehmen, dass
etwa im Jahre 1428 dieser vollendet worden und das Werk com-
plet erschienen ist.
Die Geschichte des Buches nach seiner Vollendung ist
lehrreich. Als die deutsche Reformation begann, erwachte auf
römischer Seite ein lebhaftes Interesse für das Doctrinale, man
fand in demselben eine reich ausgestattete Rüstkammer zum
Kampfe gegen den Protestantismus. Und so wurde das Werk
vom Jahr 1521 , also ungefähr von dem 100jährigen Jubiläuni
seines ersten Erscheinens an, nicht weniger als dreimal im XVI.
und später noch einmal im XV ULI. Jahrhundert im Druck heraus-
gegeben. Es erschien zuerst in Paris: ein Professor an der dor-
tigen Universität, selbst Carmeliterprior , war der Herausgeber
dieser grossen Leistung eines ehemaligen Ordensgenossen. Merk-
würdiger Weise kam der zweite Band , sogar auch der dritte, vor
dem ersten heraus, der IL 1521. der III. 1523, der I. 1532. Der
zweite Band behandelt nämlich die Lehre von den 7 Sakramenten,
und es seheint mir fast, als habe man in Paris mit der Ausgabe
desselben im Jahr 1521 eine indirekte Antwort geben wollen auf
Luther's reformatorische Schrift De captwitate babylonica.
welche ebenfalls die Sakramentslehre behandelte. Im Jahr 1523,
als der III. Band erschien, gab die Sorbonne die Erklärung ab.
das Buch sei sehr nützlich und verdiene herausgegeben zu wer-
den, weil es zur Widerlegung der lutherischen Irrlehren sehr
viel beitrage1 . — Eine zweite Ausgabe, wenigstens des IL und
III. Bandes, erschien 1566 zu Salamanca. Die dritte, voll-
ständige Ausgabe (welche wir selbst benützten und citiren) er-
schien 1571 in drei starken Foliobänden in Venedig. Auch sie
wurde, wie die erste in Paris, durch einen Carmeliter besorgt,
nämlich durch Johann Baptist Rubeo, der eine Art Scholien in
Gestalt von Randbemerkungen beifügte . welche nicht selten auf
1) quandoquidem ad enervandas Lutheranas calumuias atque haerese-i
— plurimmn conducit.
330
Buch in. Kap. 4. IV.
Luther und die deutsche Reformation ausdrücklich hinweisen.
Fast zwei Jahrhunderte später. 1757 — 59. erschien noch eine
Werte Ausgabe . von T. Bonaventura B 1 a n c i o 1 1 i durchgesehen
und mit Noten erläutert.
Fassen wir zusammen: es sind im Reformationsjahrhundert
allein binnen 50 Jahren drei Ausgaben des Doctrinale er-
schienen . die erste in Frankreich . die zweite wenn auch nicht
complete in Spanien, die dritte in Italien, also gerade in den drei
romanischen Ländern, wo die bereits Boden fassende Reformation
durch die jesuitisch-päpstliche Reaction unterdrückt worden ist.
Man konnte das Werk des englischen Polemikers aus dem XV.
Jahrhundert gegen Wiclif und die Lollarden, sehr gut gegen die
Protestanten gebrauchen. Das bekennt auch die epistola mmcu-
patoria im III. Bande der Venetianer Ausgabe aufrichtig: Ecclesia
opus habet fide . prudentia et auetoritate — quibus adcersus Wi-
rJetistarum. etqui ex Ulis nati sunt. Lu 1 h era norum
haeresin permciosissimam defensa sarta teetaque maneat. Und in
der Einleitung zum I. Bande bezeugt der Franziskaner Andreas
Vega . dass dieses Werk Allen, welche gegen die neuen Ketzer-
häupter schrieben . zur Fundgrube gedient habe. Ich finde in der
That . dass der grösste unter den römischen Polemikern gegen die
evangelische Lehre. Robert Bell arm in. den Thomas Waldensis
zu wiederholten Malen als seinen Vorgänger anführt. —
Nur noch zwei Bemerkungen drängen sich hiebei auf. 1 Die
Thatsache . dass die Römischen Xetter's Werk zur Polemik
gegen die Reformation des XVI. Jahrhunderts so ausnehmend
brauchbar gefunden haben, ist ein indirektes aber unverwerfliches
Zeugniss für den ächt evangelischen Charakter der Wiclif sehen
Bewegung und für ihre innere Verwandtschaft mit der Reforma-
tion. 2 Der Umstand, dass das voluminöse Doctrinale von
Seiten der Päpstlichen so oft herausgegeben worden . ist für uns
Protestanten . namentlich für England selbst , immerhin beschä-
mend , sofern für die Herausgabe der Werke Wiclif s selbst bis
auf den heutigen Tag noch nicht so viel geschehen ist . als römi-
scherseits für Thomas von Waiden, den Polemiker gegen Wiclif
und dessen Anhänger.
Die Gesinnung und Absicht des Verfassers lässt sich aus
Thomas Netter von Waiden.
331
seiner Widmung an Martin V. so wie ans der Vorrede erkennen.
In ersterer äussert er . die Häretiker . gegen die er schreibe, seien
unstreitig »Vorläufer des Antichrist?^: Wiclif selbst sei, ver-
glichen mit den Ketzern früherer Jahrhunderte . der allerfurcht-
barste. in ihm habe gleichsam »der Abgrund eine Stimme von sich
gegeben«. Dessen ungeachtet, meint er. solle man England nicht
etwa darum ansehen . dass es einen solchen Gegner des Glaubens
erzeugt habe. Jedes Land habe sein Unkraut. Und England habe
im Vergleich mit anderen Ländern gerade «die allerchristlichsten
Fürsten , Geistlichen und Bürger« gehabt : seit seiner Bekehrung
zum Christenthum sei kein Angehöriger des Landes als Ketzer er-
funden worden 1 : und neuestens habe Heinrich V. bei seinem
Regierungsantritt gegen die wiclifitischen Ketzer mit solchem Er-
folge das Panier erhoben . dass viele von ihnen ergriffen und auf-
gerieben, andere aus dem Lande geflüchtet seien. Nun erst wen-
det sich der Verfasser an den Papst und ruft ihm zu : »Heiliger
Vater, was Du thust. das thue bald ! Dein Eintritt in den Aposto-
lat war ein Sieg über das verruchte Ungeheuer der Kirchenspal-
tung. Fahre darin fort, damit der Fortgang den Schweif der alten
Schlange. Ketzerei, abhaue, welche vor mehr denn 60 Jahren aus
wiclifirischer Quelle hervorgebrochen ist und die Kirche entstellt
bat!3 — In der Vorrede bezeichnet Thomas, mit einer Anspie-
lung auf 1. Sam. 17, sich selbst als einen zweiten David, welcher
den Goliath der Jetztzeit. Wiclif, im Namen Gottes bekämpfe :
»So viele Anhänger Wiclif s stehen in Schlachtordnung, und
fordern die Kirche zum Kampfe heraus, brüsten sich, und halten
jenen Philister, ihr Sektenhaupt Wiclif, als wäre er ein Goliath
von riesenmässiger Wissenschaft, für den streitbarsten Helden
wider ganz Israel . gegen den sie einen Augustin . Hieronymus
1 Dieser Gedanke erinnert lebhaft an das einniüthige Pochen der Böh-
men . vom König an und den Baronen des Reichs bis auf den Prior von
Dolan und Hus selbst, auf die von jeher unversehrte Rechtgläubigkeit
des Landes.
2 Hit einer gelehrten Schmeichelei deutet der Verfasser das Wort Apo-
kal. 4. 12: qui cicerit faciam ewn c olum nam in domo dei mei, auf Mar-
tin V., der aus dem Hause Colon na stammte, und weissagt ihm den Sieg
über die Ketzerei.
332
Buch III. Kap. 4. IV.
und andere Kirchenväter, als ungelehrte Leute, zurücksetzen.
Noch jetzt ruft er in seinen Schriften und in seinen Gliedern . die
er als Lehrer seines Irrthums hinterlassen hat. den Heerschaaren
Israels, den Lehrern und Geistlichen der Kirche, zu: »Wählet
einen Mann aus eurer Mitte , der zu mir herabkomme zum Zwei-
kampf : schlägt er mich, so wollen wir eure Knechte sein ; schlage
ich ihn , so sollt ihr uns dienen ! « Heute noch hören die Männer
aus Israel , die katholische Kirche , das Wort des Philisters , und
furchten sich sehr davor. Ich kann die Lästerung nicht ertragen,
und sage den Bischöfen und dem Klerus, meinem König und dem
Volk : »Es entfalle Keinem das Herz um deswillen ! ich . euer
Knecht , will hingehen und mit dem Philister streiten ! Christus,
mein Erlöser, weiss es, dass nicht Stolz und Selbstvertrauen mich
dazu treibt; sondern ich hoffe auf meinen Herrn Jesum, und
spreche in seinem Namen zu dem Philister : Du kommst zu mir
mit Schwert und Schild, mit Arglist, falscher Schriftauslegung
und sophistischen Worten ; ich aber komme zu dir im Namen des
Herrn Zebaoth , mit der lauteren Schrift Christi und mit der Aus-
legung aller Gläubigen und Heiligen der Kirche, die du heute ge-
höhnet hast ! Der Streit ist des Herrn, und er wird euch in unsere
Hände geben x) l «
Die Gliederung des Ganzen ist die, dass es in 6 Bücher
zerfällt. Der I. Band enthält vier Bücher, 1. »von Gott und Chri-
stus«, genauer: von Gott, vom Menschen, von Christus: 2. von
dem Leibe Christi, der Kirche und deren Gliedern (a. Petrus und
der Primat; b. katholische Kirche, Klerus und Hierarchie, Kirche
und Staat); 3. Mönchthum: 4. Bettelorden, Klostergüter u. s. w.
Der II. Band enthält das 5. Buch : von den Sakramenten, im All-
gemeinen und im Einzelnen. Der III. Band umfasst das 0. Buch :
de sacramentalibus , mit einer Menge Fragen , welche den Kultus
betreffen. Die Anordnung ist nicht gerade streng logisch . auch
fehlt es nicht an zahlreichen Wiederholungen.
Aber das müssen wir dem Polemiker lassen : es ist ihm um
die Prinzipien zu thun gewesen. Er eröffnet jeden Band mir
1) Doctrinale, ed. Venet. 1571. Vol. I. f. lb folg.
Thomas von Waiden über das Schriftprinzip.
333
grandlegenden Erörterungen , bevor er auf die einzelnen Lehr-
stücke eingeht. Vorzugsweise beleuchtet er dasjenige, was wir
das formale Prinzip« nennen, nämlich den Grundsatz Wiclif's,
da ss lediglich die h. Schrift, nicht aber die Kirche mit ihrer
Ueberlieferung, Lehre und Auktori tat, darüber entscheide . was
Wahrheit sei. Hier handelt es sich also um die Centrailehre des
Protestantismus gegenüber dem Katholicismus : verbö Solo ' Tho-
mas von Waiden stellt als »Grundlehre Christi gegen die Wiclifi-
ten« die Warnung voraus: »Hütet euch vor dem Sauerteig der
Pharisäer, und vornämlich vor derjenigen Ketzerlehre, welche die
wiclifitischen Lollarden nach Kräften befolgen, indem sie in Wort
und Schrift behaupten, sich an die h. Schrift zu halten und ledig-
lieb ihr in allem zu folgen l) .« Sie verwerfen, was der Papst oder
die Kirche sagt, falls diese es nicht aus der Schrift beweisen. —
Darauf entgegnet Thomas : »Von jeher haben alle Ketzer ihre
Irrthümer aus der Schrift zu beweisen gesucht. Der Teufel selbst
liat gegen den Glauben nie anders als mit Hülfe der Schrift ge-
stritten. Der Verfasser bekennt in der Vorrede, es sei ihm schau-
erlich dabei zu Muthe, dass Wiclif bei jeder Beweisführung
den Christenglauben halbire (fidem christianoriim — dimidiat),
indem er die Schrift angeblich anerkenne, aber den nicht ge-
schriebenen Glauben der allgemeinen Kirche, welchen Christus,
auch der Apostel Paulus, überliefert hat, hintansetze2). Aller-
dings könne die Kirche für sich allein einen Glaubensartikel nicht
begründen. Dessen ungeachtet sei die Ueberlieferung unentbehr-
lich neben der Schrift, einmal um zu der richtigen und authen-
l, Doctrinale, I, f. 2a: se scripturas sacras teuere, et nude eas sequi et
probate per omnia.
2 Thomas erwähnt als Thatsache, dass die Wiclifiten in Zimmern und
Schenken ausposaunen : »Der heilige evangelische Doctor bringt le-
diglich nur Evangelisches vor, und verschmäht die Erklärungen der
Bettelmönche und die unnützen Gesetze der kaiserlichen Kleriker« I, 2b.
Und im III. Bande, f. 2 mahnt er: Du Mensch Gottes, meide vor allem die
häretischen Wiclifiten, welche lehren, solas Christi praeeeptiones in scri-
pturis expressas a ßdelibus adimplendas , quas Witcleff nomine »legum
Dein, ut secretius fallat, edisserit — cetera omnia recusantes, quia tradi-
tiones sunt ho min um.
334
Buch III. Kap. 4. IV.
tischen Auslegung der h. Schrift zu gelangen deshalb beruft er
sich auf die Auslegung der Kirchenväter . um den Schein einer
willkürlichen und erzwungenen Deutung zu vermeiden . wenn er
gegen Wiclif einen Schriftbeweis führen will 1 . zum andern, um
Glaubensartikel, welche nicht ausdrücklich in der Schrift stehen,
dadurch zu begründen. Denn welche Bibelstelle hat die Gläubi-
gen gelehrt das Zeichen des Kreuzes zu machen . bei der Taufe
das Salböl zu gebrauchen« u. s. w. Ohne zu ahnen, wie schwach
dieser Beweis ist , fährt Thomas hierauf fort : »Siehe da die Ehr-
furcht vor apostolischen Ueberlieferungen. welche sie nicht in der
Schrift mitgetheilt haben . und denen doch eben so gut wie den
geschriebenen gleich fromme Verehrung und Uebung
gebührt'2;!« Und so kommt durch eine Hinterthür die Tradition
wieder herein . und ist auf einmal der Schrift gleichgestellt an
Auktorität. — Wobei nicht unbeachtet zu lassen ist. dass Thomas
fast dieselben Worte braucht, wie 130 Jahre später das Concil zu
Trient.
Auch auf andere grundlegende Punkte kommt Thomas in
seinen Prolegomen a zu sprechen. Er rügt mit Schärfe die
angebliche Selbstüberhebung der Lollarden wegen ihrer religiösen
Erkenntniss und der Glaubwürdigkeit ihres Meisters, vermöge
1) Thomas erklärt es für eine Anmaassung, dass Wiclif glaube, er
allein habe den Sinn des Herrn lauter und ächt aus der Bibel geschöpft.
Er wirft im Gegentheil ihm und seinen Anhängern vor, dass sie die Schrift
falsch auslegen , und in Gemässheit ihrer verkehrten persönlichen Ansicht
verstehen ; sie wollen angeblich nicht dulden , dass man auf Christum und
seinen rechtmässigen Grund 1. Kor. :j baue Gold, Silber, Edelsteine, hal-
ten aber sich selbst für befugt, darauf zu bauen Holz, Heu, Stoppeln, in
Lollardenbüscheln , die bereits an allen Ecken der Kirche mit Reisig ver-
brannt sind. Vol. III, 2 folg. — Die Wiclif iten machten, angesichts der
katholischen Berufung auf die Einstimmigkeit der Kirchenlehrer, geltend,
die Uebereinstimmung Vieler verdiene nicht immer Beifall, sonst hätten die
Juden Recht gehabt Jesum zu tödten, auch hätten sonst die 500 Baals-
priester den Elias überwunden. Darauf entgegnet Thomas: »aber es ist
doch ein Unterschied zwischen der Versammlung der Apostel und der Ver-
sammlung der Pharisäer; und Jenen muss man glauben!« I, 2h.
2) quibuü acque ut scriptis pur n'tits dehc'ur et ptetutis affv-
ctuH. i, iio.
Thomas von Waiden über die Prinzipien. 335
deren seine Lehre Glauben verdiene. »Jene thörichten und unge-
bildeten Lollarden , sagt er. wollen etwas gelten bei den Laien,
und setzen gläubige Männer herab, denen sie doch nicht die
Schuhriemen auflösen dürften! Sie rühmen Wiclif wegen seiner
Wissenschaft und wunderbaren Kenntniss von »Gottes Gesetz : ja
sie behaupten, die Katholischen verstehen weder ihren Meister
noch ihre Bücher.« — Das glaube ich wohl, antwortet Thomas,
einen Stammler versteht niemand besser als ein Stammler 1 . —
Ferner beleuchtet er die Empfehlung für Wiclif. seine Lehre
und Partei, welche von dem anerkannt guten Inhalt seiner Schrif-
ten, seinem reinen und edlen Charakter, und der sittlich ernsten
Richtung seiner Predigten hergenommen zu werden pflegte. »Man
hört sie sagen : 0 wie kann der ein Häretiker sein ? er predigt so
heilig, bekämpft die Sünden, lässt die h. Schrift zum Worte kom-
men, und verkündigt Christum 2) ! « Die Entgegnung des papisti-
schen Polemikers ist schwach , sie lautet : »Versteht sich ! wenn
ein Ketzer nicht Christum predigte , dann könnte er nicht unter
dem Namen Christi Christen irre führen!« Es ist sicherlich für
die Geschichte von Belang, dass dieser systematische Gegner der
Wiclifiten auf das Lob für Wiclif 's reinen, ehrlichen und demü-
thigen Charakter aus dem Munde seiner Verehrer, nichts anderes
zu sagen weiss, als: seine Sanftmuth und Demuth müsse doch
erheuchelt sein, denn seine Schriften seien so herb und derb. Der
Polemiker hat nicht ein Wort, um den sittlichen Carakter Wi-
clif'8 oder seiner späteren Anhänger wirklich in Frage zu stel-
len; ein Stillschweigen, welches unter solchen Umständen ziem-
lich einem Zeugniss f ü r deren Charakter gleich kommt.
Die Lollarden beriefen sich mit Nachdruck auf die Thatsache.
dass doch Wiclif bei seinen Lebzeiten niemals von der Kirche
als Ketzer verurt heilt worden sei! Thomas räumt ohne
weiteres ein , dass dies eine bei Hoch und Niedrig in der recht-
gläubigen Kirche verbreitete Ansicht sei. Allein er erinnert da-
gegen an das Londoner Provinzialconcil vom Jahr 13S2, und mit
1; Doctrinale, I, 3 fulg., III, 6.
2 a. a. O. I, 4.: (J iste quomodo haereticus estf sancte L>raedicat, vitia
impugnat, scnptttras ss. interst ri*, Christum annuntiat!
336
Buch III. Kap. 4. IV.
noch stärkerer Betonimg auf das »Verdammungsurtheil«, welches
die ökumenische Kirchenversammlung zu Constanz in aller Form
Uber seine Person gefällt habe 1 . Auch erwähnt Netter aufrich-
tig, dass die Lollarden zu seiner Zeit sich auf das langjährige
B e s t e h e n ihrer Partei beriefen , und diese Thatsache als einen
Beweis dafür ansahen, dass ihre Sache von Gott sei [vgl. Apostel-
geschichte 5. 38 folg.) 2). — Die Antwort lautet, das Alter könne
bei dieser Sekte so wenig etwas beweisen als bei dem Muhameda-
nismus, der noch viel länger bestehe.
So viel von den Prolegomena. Gehen wir auf die Haupt-
1 ehren selbst über, welche Thomas Netter polemisch erörtert.
Es sind vorzüglich zwei Lehren , mit denen er sich am ange-
legentlichsten beschäftigt: Wiclif's Kirchenbegriff und sein
Sakramentsbegriff. Alles andere scheint von untergeordnetem
Werthe zu sein. Zum Beispiel im ersten Buche kritisirt er zwar
Wiclif's Lehre von Gott, ferner seine Anthropologie und Chri-
stologie. In ersterer Hinsicht beschuldigt er ihn eines Pantheis-
mus , der die Freiheit Gottes und des Menschen verneine ; anlan-
gend die Anthropologie erhebt er Einsprache gegen W i c 1 i f s in der
Schrift gegründete Unterscheidung zwischen Seele und Geist . als
sei dies ein gefährlicher Irrthum (! ) ; bei der Christologie müht er
sich vergebens ab, irgend eine Irrlehre bei Wiclif aufzuspüren;
dann geht er aber, ohne die Lehre von der Erlösung und Ver-
söhnung (die auch Wiclif lediglich vorausgesetzt haf irgendwie
zu erörtern, im zweiten Buche mit desto mehr Sorgfalt und Eifer
auf die Lehre von der Kirche ein, wobei ihm der Primat Petri
und des Papstes das Hauptaugenmerk ist.
1) JDoctrmale, II, 5 folg. In Betreff' des Concils von 1382 ist jedoch
nicht zu vergessen, dass dasselbe blos eine Anzahl Sätze von Wiclif
verworfen, nicht aber ihn selbst für einen Ketzer erklärt hat, was sehr
zweierlei ist.
% SectCtm suam per hoc esse a Deo, qnia stat; stetit, itiquiunt, jam cir-
eiter qnadraginta, quinquaginta atmis ; nee persecutionibns episeoporiun , nec
fratrum aut aHarum pseudo potent calumniis obrui aut muchinationibus dis-
solvi. II, S: Die Ziffer 40 Jahre führt, da das II Buch 1422 geschrieben
ist, auf das Jahr 1383 zurück, die Ziffer 50 auf das Jahr 1372.
Thomas von Waiden über das Wesen der Kirche.
Gegen Wie Iii s Grundsatz, Christus allein sei das Haupt
der Kirche, und man könne nicht, ohne Christo ZU nahe ZU treten,
einen Menschen das Haupt der Kirche nennen, — beruft sieh
Themas auf die Grundstelle Matth. 16. Und wenn Wiclif ge-
gen den angeblichen Primat des Apostels Petrus erinnert. Paulus
sei doch laut Gal. 2 nicht unter Petrus gestanden, so will der
Polemiker den Fuchs aus seiner Grube treiben« und gerade aus
dieser Stelle beweisen, dass Paulus ja vorzugsweise mit Petrus
nicht sowohl mit Jacobus oder Johannes) verhandelt habe, denn
seine eigene Vollmacht sei von Petrus abhängig gewesen [a quo
»teure praedicandi ec angeln tota Pauli pendebat auetoritas) , wo-
für er sich auf die Auslegung des Hieronymus stützt. Er schliesst
dann mit dem Ausrufe: »Siehe wie Wiclif geradezu gelogen
hat!« u. s. w. ') .
Auch an der Berufung des Paulus zum Missionswerk unter
den Heiden, Apostelgesch. 14, will Thomas die Abhängigkeit des
Paulus von Petrus erweisen, indem er frischweg voraussetzt,
Petrus habe den Paulus zum Apostel der Heiden ordinirt2).
Fanmal ruft er dem Wiclif, weil er die Apostel alle an Aukto-
rität einander gleichstellt, entrüstet zu: »Was machest du, Wi-
clif.' wenn du die Ordnung aufhebst, so hebst du die Kirche
auf3 U Er meint: »alle Apostel sind der Grund, aber nächst
Christo ist Petrus der Grund der Gründe, und der ganzen Kirche
Grund4 .«
Thomas erkennt wohl, dass bei Wiclif alles an dem
Grundbegriff von der Kirche, als der Gesammtheit der Erwähl-
ten, hängt, wobei das Hauptgewicht auf der unsichtbaren Seite
liegt. Er selbst geht hingegen, ächt römisch, von der Kirche als
Anstalt aus: das Reich Gottes sei gleich einem Netze, darin
allerlei Gattung gefangen wird. Er erinnert gegen Wiclif 's
Kirchenbegriff, es seien weder alle Erwählten in der Kirche
z. B. die noch nicht Geborenen), noch alle Verdammten aus-
1; Doctrinale, I, 139 — 145.
2 a. a. O. I, 145.
S] a. a. O. I, 142.
4 a. a. O. I. 155.
Lechlrb , Wiclif. IJ. •)♦?
338
Buch III. Kap. 4. IV.
serhalb derselben. Man sieht sofort , er weiss die Wurzel des
Wiclif sehen Kirchenbegriffs nicht zu würdigen1). Eben des-
halb fehlt es ihm an jedem Verständniss für die aus dieser Grund-
anschauung von der Kirche , in Verbindung mit dem Grundsatze
von dem souveränen Ansehen des Wortes Gottes, fliessende Ver-
wahrung gegen Majoritätsentscheidungen auf Concilien. Tho-
mas führt aus einer Predigt Wiclif 's folgende Worte an,
welche unwillkürlich an die Protestation zu Speier im Jahre
1 529 erinnern : »Da viele von denen . welche zu einem Concile
der Neuzeit strömen, meist thörichte und unwissende abtrünnige
Leute sind , so wäre das ein gotteslästerliches Gesetz oder
Kegel, dass man bei der Entscheidung der Mehrheit stehen
bleiben und ihr Glauben schenken müsse2).« Allein seine Erwi-
derung beweist , dass er die Tragweite dieses Gedankens nicht
begriffen hat.
Natürlich ist ihm auch das allgemeine Priesterthum der
Gläubigen, welches Wiclif anerkennt, ein Dorn im Auge. Er
kann sich nicht vorstellen , dass e i n ungelehrter Mann durch
Gottes Gnade solle mehr Gutes ausrichten können , als viele
graduirte Männer in Schulen oder Collegien. Auch kann er sich
nicht genug darüber verwundern, dass Wiclif jedem Christen
das Recht zu predigen zuerkenne: auch Purvey wolle in einem
Traktate beweisen , dass »des Königs Kriegsleute« und alle gläu-
bigen Laien, ja sogar Frauen predigen dürfen, wenn sie wollen3 .
Thomas hat sich bemüht, die Quelle letzterer Ansicht der Lollar-
tten nämlich dass auch Frauen predigen dürften u. s. w. bei
Wiclif selbst aufzuspüren, und glaubt in der That einen Aus-
spruch desselben entdeckt zu haben, welcher zum Stützpunkt für
jenen Grundsatz geworden sei. Er theilt die Stelle aus Wiclif 4
Schrift De papa c. 9 vollständig mit: dieselbe macht jedoch mehr
1 DoctrinaJe, I, 157 folg.; II, c. 1 3 — 1 6 .
2) a. a. O. I, 217: Cum multi eoneurrentes ad modermim eoneil iun
sunt vi phirimum apostatae stolidi et ir/nari, hla sphema foret lex vel re
f/ula, quae dietaret, quod generaliter st und um est et credendum judicii
mujoris partis.
3 a. a. O. I, .'{52. 372.; vgl. II, 203.
Thomas von Waiden über das allgemeine Priesterthum.
339
den Eindruck einer doktrinären dialektischen Erörterung, als eines
praktisch gemeinten Ausspruchs. ludessen meint Thomas von
Waiden doch : »Ich möchte glauben, dass hauptsächlich aus die-
ser Stelle seine Anhänger eine Gewähr dafür entnommen haben.
Frauen zu Priestern zu ordiniren. welche Messen und andere
Sakramente verwalten, die Schrift vorlesen und in den Gemein-
schaften der Lollarden predigen r .« Wie wenig zuverlässig übri-
gens diese ganze Angabe sein mag. lässt sich nach der Aus-
drucksweise einer anderen Stelle ermessen : » Seine Anhänger
haben, wie die gemeine Sage geht \at publica fama canit ,
hier in der Stadt London einmal ein junges Mädchen angewiesen,
an Festen uud Sonntagen ihnen das Abendmahl zu cousekriren.
— Siehe da eine profane Priesteriu aus dem Lollardenpriester-
stande!« Ueberhaupt erscheint ihm der ganze Begriff »evange-
lischer Freiheit«, welchen Wiclif aufstellt, als ein nicht nur auf
kirchlichem Boden, sondern auch auf sittlichem Gebiete schlecht-
hin auflösender, grundstürzender Gedanke : ein Urtheil. welches
er nur durch die rücksichtsloseste Consequenzenmacherei zu be-
gründen vermag2).
Ein anderer Gegenstand . welchen der Polemiker beleuchtet,
ist das Kirchen gut. Besoldungswesen und was damit zu-
sammenhängt. Thomas beklagt sich bitter darüber, dass die
Lollarden hinter allen möglichen Einrichtungen der Kirche. Kult-
verschönerungen u. dgl. immer nur Habsucht und Herrschsucht
der Klerisei wittern. Er behauptet, sie stellen dem Volk in Pre-
digten und Schriften häufig vor, dass alle schönen Gebräuche und
Sitten , welche die Kirche zur Ehre Gottes im Gottesdienst und
bei den Sakramenten eingeführt hat, nach Habsucht der Prälaten
und Ehrgeiz der Priester schmecken. Daher lehren sie das Volk
Feste und Kirchenschmuck geringschätzen, und deuten alles, was
die Erfahrung der Heiligen unter Gottes Eingebung eingerichtet
hat. um den Gottesdienst zu verschönern, auf Habsucht der Kle-
riker3 . Wenn andererseits die Lollarden daraufhinweisen, dass
1 Boctrmale. III. lU*>.
2 a. a. O. III, 45.
3 a. a. O. III. «5.
22*
340
Buch III. Kap. 4. IV.
ihre Reiseprediger poor priesU hatte sie Wie Iii* genannt un-
besoldet seien und sich ihrem Beruf unentgeltlich widmen . so
bestreitet der Karmeliterprovinzial die Thatsache selbst. Er erin-
nert theils an die reichlichen Colleeten . welche in ihren Conven-
tikeln zur Belohnung- der Prediger gesammelt werden , theils an
die ansehnlichen Summen, welche von einzelnen Gönnern der
Partei freiwillig zum Jahresgehalt eines Reisepredigers ausge-
setzt worden seien . theils an eine wohlgespickte Kasse . welche
vor längerer Zeit in ihrem Verstecke zufällig aufgefunden wor-
den sei. und aus welcher solchen Predigern, die nicht einem Bet-
telorden angehörten, wenn sie an einem Sonntage beim St. Pauls-
kreuz in London auftraten, eine ansehnliche Belohnung ausbezahlt
worden sei 1 .
Mit Recht hat Wiclif auf den Charakter und Wandel
des Geistlichen grossen Werth gelegt. s<> dass er urtheilte,
»man müsse seinem Wandel mehr Glauben schenken . als der
Tinte und den Papieren eines Bischofs2«. Der Gegner aber be-
nützt den Schein wir haben B. II. K. 7. XII. gesehen, es ist nur
Schein als ob Wiclif den Gnadenmitteln, wenn sie durch sitt-
lich tadelnswerthe Personen gespendet werden, alle Heilskraft
abspreche. Er weiss die ihm gewordene günstige Stellung auszu-
beuten und erklärt es für eine Unbill, welche allen Sakramenten
angethan werde generalis injuria . quae cuneta sacramenta con-
cemit . wenn man in Zweifel ziehe, ob Christus bei Verwaltung
des Sakramentes einem Priester Beistand leiste, dessen Wandel
dem Leiten Christi zuwider ist. Er erklärt es für einen Donati-
stischen [rrthum, wenn man solchen Priestern die Gläubigen ab-
wendig mache. Zwar gibt er zu. es sei besser, wenn das Sakra-
ment durch einen frommen Mann gespendet werde, nämlich besser
für den Spendenden selbst, nicht für das Sakrament. Allein er
beharrt darauf, gemäss dem Begriffe des Sakraments als eines
objektiven Gnadenmittels: dass Gott beim Sakrament mit jedem
rechtmässig dazu eingesetzten ad hoc rite instituto) Priester
1 Doctrinule, I. 370,
2 a. a. U. II, 210; Plus dabei eredi operibtu, 9*uun ntrtumnio rd c/mr-
//* tfistopi.
Thomas von Waiden Uber die Sakramente.
341
mitwirke, sollte er auch den schlimmsten Lebenswandel führen;
dass der heilige Wandel eines Klerikers zum Wesen des Sakra-
mentes nichts dazu thue. und seine Schlechtigkeit von demselben
nichts davon tlme : und dass dem Sakramente nur im Falle der
Spendung durch einen frommen Priester eine Wirkung beilegen,
so viel heisse als sein Vertrauen auf Menschen setzen 1 .
Wiclif \s evangelische Ansicht vom geistlichen Amte macht
dem mönchischen Apologeten Roms, wie sich von selbst versteht,
ziemlich zu schaffen. Während jener die Identität von Presbyter
und Bischof in der apostolischen Zeit behauptet, will dieser die
rollständige Gliederung der Hierarchie als apostolisch nachwei-
sen2 . Während jener den Ueberfluss an Klerikern tadelt, er-
scheint er dem Polemiker nur wie ein zweiter Pharao . welcher
das männliche Geschlecht im Volke Gottes ausrotten und nur die
Töchter übrig lassen will3)«. Dass Thomas die staatlichen Vor-
rechte und die Macht des Klerus, den Cölibat und dergleichen in
Schutz nimmt, versteht sich von selb>t.
Die ausführliche Abhandlung über die Sakramente, im
zweiten Bande, befasst sich am angelegentlichsten mit der Messe :
theils weil dieselbe an sich der Herzpunkt der römischen Kirche
und ihres Kultus ist. theils weil Wiclif 's Angriffe am häufig-
sten und entschiedensten gegen die Messe . vorzüglich gegen die
Lehre von der Wandlung mit ihren Consequenzen gerichtet wa-
ren. Thomas von Waiden hält es für seine Pflicht, sowohl die
Lehre von der Wandlung als den Opferbegriff und die Kelchent-
ziehung zu vertheidigen. die letztere gegenüber den »Prager Wi-
clifiten 4 fi . Er rechtfertigt die Kirchenlehre mit Hülfe der be-
kannten scholastisch metaphysischen Gründe, wirft hingegen
Wiclif vor. er reisse auf unnatürliche Weise aus einander, was
1 Doctrinale . I, 187; Q, 15. 23. 269. Wir haben oben Kap. 7. XII.
erinnert, dass Thomas von Waiden in diesem Punkte durch die Aukt< -
rität des Constanzer Concils sich leiten lässt. welches dem Wiclif eint
Ansicht beigemessen hatte, die wir bei ihm selbst nicht gefunden haben.
2) a. a. O. I, f. 320; II. c. 110.
3) a. a. O. II, 201.
4 Wichvistae Pragense.s, II. 140.
342
Buch III. Kap. 4. IV.
untrennbar zusammengehöre , nämlich das Sakrament auf Erden
und den Leib Christi selbst 1 .
In dem dritten Bande, welcher »von den S a k r a m e n t a 1 i e n«
handelt, d. h. von dem Ritus und den Kultushandlungen,
die theil weise zur Modalität der römischen Sakramente gehören,
erscheint uns dasjenige weniger bemerkenswerth , was der Ver-
fasser zur Rechtfertigung sämmtlicher Ordnungen und Aus-
schmückungen des Kultus gegen die Kritik Wiclif's und seiner
Anhänger beibringt, als dasjenige, was er in Betreff des Gebets
erörtert : denn hier kommt er wieder auf prinzipielle Dinge zu
sprechen.
Thomas führt mehrere Aeusserungen Wiclif's an, welche
dahin gehen, dass dasjenige Gebet, welches in frommem Leben
und Wandel bestehe, mehr WTerth habe, als das Beten im Herzen
oder mit dem Munde. Ferner constatirt er die Thatsache , dass
auch die Lollarden das thätige Leben hoch stellten und das Beten
mit Herz und Mund fast gar nicht gelten Hessen 2) . Wiclif hatte
augenscheinlich eine wirkliche Schattenseite der mittelalterlichen
Frömmigkeit im Auge, und bekämpfte das Krankhafte einer von
der praktischen Sittlichkeit absehenden Hochschätzung des 'äusse-
ren Kultus. Der Gegner ersieht sofort seinen Vortheil und weiss
die Blossen, die sich Wiclif hiebei gegeben hat, klug zu be-
nutzen. Er schickt sich zur Verteidigung des Gebetes im enge-
ren Sinn an, und besteht darauf, dass dieses zu einem guten
christlichen Leben eben so gut erforderlich sei als die Werke, ja
dass gerade das Gebet erst tüchtig mache zu guten Werken ; —
lauter Wahrheiten, die Wiclif nicht bestritten hatte, und die er
ihm gegenüber gar nicht zu vertreten brauchte. Ja er nimmt
sogar die kühne Wendung , Wiclif vorzuwerfen, er neige sich
zum Pelagianismus hin, sofern er einen frommen Wandel dem
1) Doctrinale, II, 36: Pessime separat Witcleff, quac Christus uohiit esse
conjuneta, ponens sacramentum in terra, et corpus nusquam secund/i/n
substäritiam nisi in patris dextera.
2 a. a. 0. III, 15: Wiclecistae vitam operosam magnißcant et omnein
orationem mentis et oris ab tfUS nierito praescindentes fix ttllam esse con-
sent iunt.
Thomas von Waiden über das Gebet.
Beten vorziehe, durch welches doch Gottes Gnade erst erlangt
werde. In dieser günstigen Stellung gebehrdet er sich ganz, als
wäre er eigentlich der Anwalt der Gnade, gegenüber Wiclif.
welcher durch seine proprio, justitia vitae das Verdienst der
Werke geltend zu machen scheine und, wie dort der betende
Pharisäer, voll-Selbstvertrauens sei1). Dass aber diese Streiche
in die Luft gehen, und dass der mönchische Scholastiker das
wirkliche Verhältnis für einen Augenblick geradezu umgekehrt
hat, ist leicht zu bemerken. Er ist überhaupt gewandt genug,
seinen Vortheil wahrzunehmen. Zum Beispiel weil die Wiclifiten
gegen Bilder in Kirchen protestiren, so macht er ihnen einen ein-
seitigen Spiritualismus zum Vorwurf : »Wenn sie blos durch Un-
sichtbares über das unsichtbare Wesen Gottes sich unterwei-
sen lassen wollen, so müssen sie allem Sinnlichen den Rücken
kehren2 .«
Zur C h a r a k t e r i s t i k der Stellung , welche Thomas Net-
ter von Waiden als Polemiker und Apologet einnimmt, fügen
wir noch folgende Bemerkungen hinzu.
1 Er nimmt, wie oben berührt, bei seinen Beweisführungen
aus der Bibel regelmässig die Auslegungen der Väter zu Hülfe;
so zwar . dass seine Erörterung öfters zu einem blossen Aneinan-
derreihen von Ansprüchen der Kirchenväter wird, als Ambrosius,
Augustin. Hieronymus, Cassiodor. Dionysius des Areopagiten ;
aber auch Scholastiker wie der Lombarde und Männer wie Bern-
hard von Clairvaux sind seine Auktoritäten.
2 Er ist darauf bedacht, die Vorgänger Wiclif's und
die Gewährsmänner seiner »Ketzereien« nachzuweisen, z. B. Par-
teien wie die Manichäer. Donatisten, Pelagianer 3; ; aber auch ein-
zelne Männer wie Berengar von Tours . Wilhelm von St. Amour,
Richard von Armagh. Den ersteren bezeichnet Thomas als Wi-
1 Doctrinale II. c. 3 — S. f. 16 — 30.
2 a. a. O. III, f. 277 1 : Si per sola invisibilia volunt de dei invisibili-
bus instrui Wiclecistae, necesse est seorsum in hac carne perctpere discipli-
nam, et per hoc alienari a sensibits.
3} a. a. O. I, f. IST; III, c. 4.
Buch III. Kap. I- IV
clif's Meister in der Abendmahlslehre1 . Wilhelm als seinen
Vorgänger in der Opposition gegen die Bettelmönche - . ebenso
auch den Erzbischof von Armagh 3) .
3) Die Art und Weise, wie Wiclif selbst beurtheilt
wird, ist eine sehr gemischte. Einerseits verfährt der in Inqui-
sitionsprocessen heimische Polemiker höchst leidenschaftlich und
fanatisch: er erklärt Wiclif und seine Verehrer für Wölfe im
Schafspelz und für Götzendiener 4) , ihn selbst aber für den Feind
der Sakramente in der Jetztzeit 5) . Er erklärt die Ketzerei W i -
clif's für die Hure, mit welcher der Teufel sich verlobt habe,
um durch sie als eine zweite Eva auszurichten , was er für sieb
allein zu bewirken nicht vermochte , nämlich die Unvorsichtigen
in einen bösen Schlaf zu versenken 11 .
Andererseits ist jedoch Thomas auch nobel genug , um den
Gegner besonnen, gerecht und anerkennend zu behandeln. Schon
das ist ein Zeichen nicht nur von Gründlichkeit sondern auch von
Gerechtigkeitsliebe, dass er Wiclif 's Schriften in der Regel
sorgfältig citirt, oft ganze Stellen aus denselben und darunter sehr
derbe Auslassungen gegen den Papst, wörtlich einrückt. Er macht
namentlich fleissigen Gebrauch von dem Trialogus [z. ß. 1.
96. 210; II, 5: III, 237) nebst dem »Supplement« dazu I, 210 .
Ferner hebt er öfters Stellen aus seinen Predigten heraus: ausser-
dem benützt er Wiclif s Schriften Von der Bergpredigt. Vom
Pfarramt [De officio pastorali, z. B. II, 203. 211), Von Christus
und dem Antichrist. Vom Papst u. s. w. Einmal findet er sich
veranlasst, seine Gewohnheit wörtliche Citate anzubringen zu
rechtfertigen; es geschehe das , um den Vorwurf abzuschneiden,
als ob er etwas anderes unterschiebe oder die Sachen in einem
anderen Sinn auffasse, als Wi clif's Meinung gewesen: des-
wegen führe er Wiclif s eigene Worte an und bezeichne die
I, Doetrinale II. f. 34: Berengar iusf mattster tuus.
2 a. a. O, I. f. 242. 485: magister ac paedagogus tuus, vgl. f, 528.
3 a. a. ü. I, \Y). vgl. II, 1872.
4) a. a. 0. I, 368; II, doctrifia 12. — III. 280: thtemonrs adorat in
suorutn phanUtsmatum idolis.
•") a. a. (). II, 11 : Möderau* hosfin sfWWHnentot'tttn.
6 a. a. O. III, V,.
Charakter der Polemik des Thomas von Waiden.
345
Stolle, wo sie zu lesen seien *) . Ja er macht sogar einen kritischen
Unterschied zwischen Wiclif selbst und seinen Anhängern, und
zwar stets zu Gunsten des Meisters. Er rügt z. B. »die ungeheure
Uebertreibung in gewissen wiclifitischen Traktaten , welche be-
haupten, dass Christen, um Gott anzurufen . kein anderes Gebet,
nach Inhalt und Wortfassung, brauchen dürften, als das Vater
Unser weil dieses Christus selbst entworfen und zum Gebrauch
überliefert habe, indem er sprach: »so betet: Unser Vater« u. s. w.
Bierauffährt Thomas also fort: Diese Verkehrtheit habe ich in
ihrem Meister nicht gelesen; ich finde vielmehr, dass er auch
andere Gebete zulässt. wegen der Mannigfaltigkeit des Betens.«
Er meint, die Lollarden seien vielleicht erst durch die Gründe
ihren katholischen Gegner, nach Wiclif a Tode, auf jenen
Standpunkt hingedrängt worden . indem man gegen sie geltend
machte, dass nach ihren eigenen Grundsätzen alles was nicht
positiv und ausdrücklich in der Bibel nachweisbar ist. zu verwer-
fen sei ; da hätten sie dann . um nicht dieses Fundamentalprinzip
ihres Meisters in Abrede stellen zu müssen, sich auf jene Ansicht
von der alleinigen Berechtigung des Vater Unsens zurückgezogen - .
Aehnlich verfährt Thomas in Betreff der Priesterehe.
Ks geht die Sage, schreibt er einmal. Wiclif habe die Ehelosig-
keit der Geistlichen getadelt : ich bekenne jedoch , in seinem
Büchern öfter gefunden zu haben, dass er die Keuschheit der
Geistlichen und der Ehelosen gelobt hat. Indes ist der üble Ge-
ruch von seiner schmutzigen Sekte . welcher in Betreff der Vor-
gänge in ihren Conventikeln zu Tage kommt, dazu angethan, den
Urheber selbst anzuklagen. Endlich fand ich jedoch eine Ver-
anlassung zu jener ihrer Meinung in seinen Schriften , indem in
seinem Buche Vom Pfarramt c. 29 geschrieben ist: »Die Ehe.
welche ihnen nach Christi Gesetz erlaubt ist, hassen sie wie Gift,
und nach weltlicher Herrschaft . die ihnen von Christo untersagt
ist. greifen sie gar zu gierig .
1 DoctriiKile, II. -l : Ipsa rerba ejus producentur in medium cum un-
notatione I oc orum .
1 a. a. O. III, 34.
'S) a. a. O. II, 211. Noch im letzten Kapitel des Werkes III, f. 295
versichert der Verfasser: »Die hartnackigen Schüler übertreffen noch den
346
Buch III. Kap. 4. IV.
Aber auch abgesehen von dem Verhältniss zwischen W i c 1 i f
selbst und seinen späteren Anhängern , weiss Netter auch die
Abweichungen , welche zwischen einzelnen Lollarden unter sich
statt fanden, in einer Weise sich zu Nutze zu machen , welche an
die Taktik moderner römischer Polemiker gegen den Protestan-
tismus lebhaft erinnert. Er sagt einmal : »Ohne Zweifel betet die
wiclifitische Sekte, welche die Bilder verdammt, in den Götzen-
bildern ihrer Einbildung Dämonen an. Und weil die Gebilde ver-
schiedener Personen verschieden sind, so ist die nothwendige
Folge, dass es fast eben so viele Ketzereien bei ihnen gibt, als
Köpfe von Dichtenden. Das bestätigt auch die Erfahrung bei den
Wiclifiten , wo der Eine die Priester lehrt eine Frau zu nehmer ,
der Andere sich zu enthalten. Der Eine erklärt die Eucharistie
für Brod, der Andere nicht. Der Eine lässt Bilder zu, der Andere
schätzt sie gering *) .
Es ist unverkennbar, Thomas Netter von Waiden hat Wi-
clif's Werke und Standpunkt förmlich studirt. Und in dieser
Hinsicht steht er entschieden über allen seinen Vorgängern in der
Polemik gegen Wiclif und die Lollarden. Er kennt sie recht
wohl, wenigstens den Wilhelm Woodford, den er sogar einmal
rühmlich anführt, als den »andächtigen Bruder und Magister Wil-
helm in seinem Buche gegen den Trialogus 2;«. Stellen wir eine
Vergleichung zwischen den Leistungen beider an , so können wir
Folgendes feststellen :
1) Woodford hat sich dem Inhalt und der Form nach ledig-
lich an diejenigen Sätze Wi clif 's gehalten, welche von der Lon-
doner Synode im Jahre 1396 verworfen worden waren; während
Netter von Waiden die Werke Wiclif 's in einem weiten Um-
fange durchforscht hat, und dieselben in seinem Werke selb-
ständig und methodisch kritisirt.
2) Das Büchlein Woodford's ermangelt zwar nicht aller
guten und gesunden Gedanken, ist aber im Ganzen genommen
Wahnwitz ihres Gewährsmanns, und behaupten, es dürften in den Kirchen
beim Gottesdienste keine Lichter brennen« u. s. w.
1) Doctrinale, III, 280.
2) Doctrinale, II, IST: devötus f rater et magister Guilehnus in l Uro suo
contra Trialogum (dito.
Thoraas von Waiden verglichen mit Wilhelm Woodford. 347
doch von geringem Gehalt. Hingegen das grosse Werk des Tho-
mas von Waiden tritt in der schweren Rüstung scholastischer
Gelehrsamkeit auf ; dasselbe hat mitunter tüchtige Beiträge zur
Kritik über Wiclif geliefert, und ist nicht ohne guten Grund zu
einer Fundgrube der späteren römischen Polemik gegen die Re-
formation des XVI. Jahrhunderts geworden.
3) Während Wilhelm von Woodford es fast ausschliesslich
mit Wiclif selbst zu thun hat, wenigstens nur nebenbei seine
Anhänger berührt, beschäftigt sich Thomas mit den Lollarden
in einem sehr bedeutenden Maasse, und zwar so, dass er an-
deutet , sie seien über ihren Meister theilweise noch hinausgegan-
gen. Dieser Umstand erklärt sich hauptsächlich aus der vor-
gerückten Zeit, denn seit dem Büchlein Woodford's waren 25
Jahre vergangen.
4 Diese Thatsache, nebst dem Lebensgange Netter's be-
dingt endlich auch den Unterschied, dass letzterer offenbar einen
weiteren Blick besitzt, einen europäischen Horizont umfasst , und
neben den Wirteßstae nostrates oder Lollardi auch die Wicleß-
stae Pragenses, die böhmischen Hussiten berücksichtigt , während
der Franziskaner Wilhelm die Lollarden als eine partikulari-
stisch englische Erscheinung ansieht.
Eine gerechte Würdigung und billige Anerkennung der bibli-
schen Erkenntniss und der berechtigten Reformbestrebungen W i -
c 1 i f s und der Lollarden im Grossen und Ganzen finden wir frei-
lich bei dem späteren Polemiker so wenig als bei dem früheren.
Deshalb ist auch nicht daran zu denken , dass das Werk des Kar-
meliterprovinzials auf die Partei der Lollarden selbst irgend einen
Einfiuss geübt haben könnte. Das hat der Verfasser selbst sich
auch nicht eingebildet. Er bekennt ja in seinem Vorwort aufrich-
tig, er habe nur den Zweck, »die erwählten Brüder zu bewahren
dass sie nicht auch kommen an diesen Qrt der Qual !«
Fünftes Kapitel.
Vom Ende der blutigen Verfolgung bis zum Anfang
der englischen Reformation.
(1431 — 1535).
I.
Mit dem Jahre 1431 tritt in England, was die Lollarden be-
trifft , eine Pause ein. Wir hören nichts mehr von Hinrichtungen,
welche »Glaubensakte« sein sollten, ja nicht einmal von Processen
vor den geistlichen Gerichtshöfen gegen Wiclifiten. Die englische
Hierarchie scheint nur mit 'den Angelegenheiten der Gesammt-
kirche, namentlich mit dem Concil zu Basel und mit den Hussiten
beschäftigt zu sein. Am 20. August 1432 erliess der Erzbischof
von Canterbury, Chichely, in Gemässheit einer Aufforderung
des Concils von Basel , eine Verordnung , um Gebete und Mess-
opfer für die Bekehrung der Böhmen anzuordnen. Und im Jahre
1433 fasste die Convocation der Kirchenprovinz Canterbury meh-
rere Beschlüsse hinsichtlich des Basler Concils, vornämlich in
Sachen der Hussiten. Man sprach sich mit Entschiedenheit gegen
jede Concession der Kirche an dieselben aus , so lange sie darauf
beharren würden , die Auktorität der Kirche gering zu schätzen :
denn das sei eben das Prinzip aller Irrlehren und Ketzereien 1 .
Wenn man diese Verhandlungen der englischen Provinzialsynode
liest, so muss man nur darüber staunen, wie ganz ohne eine Ah-
nung davon, dass England selbst sehr nahe dabei betheiligt sei.
1) Wilkixs. Concilia M. Brit. III, öl 0 folg. V21 folg
Ende der Verfolgung.
349
die Sache der Hussiten als eine schlechthin ausländische und voll-
ständig- fremde behandelt wird.
Zwar im Jahre 1435 finden wir in einem Beschluss der Con-
\ ocation über den regelmässigen Gebrauch eines gewissen Bann-
fluches, unter anderen Sündern auch heretikes . "Lollar des <nul
fmitors of kern (them) genannt: aber in welcher Umgebung? Vor-
her gehen Brandstifter und Leute , welche Simonie oder Kirchen-
rauh begehen, und unmittelbar nachher kommen »berüchtigte
Diebe und Käuber 1 « ! Die Art , wie hier die Lollarden genannt
sind, macht viel mehr den Eindruck einer altherkömmlichen stereo-
typen Phrase als den einer Aussprache , welche der Versammlung
durch die frische Erfahrung und das Bedürfniss der Gegenwart
abgenothigt ist.
Wollten wir jedoch aus der Thatsache . dass das englische
Kirchenregiment nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte lang mit den
Lollarden nichts mehr amtlich zu thun hat, sofort den Schluss
ziehen , dass dieselben in der That verschwunden , also in der
römisch-katholischen Kirche vollständig aufgegangen seien, so
wäre das eine übereilte und trügliche Folgerung. Denn einmal
ist das Schweigen der kirchenamtlichen Urkunden und der Chro-
niken noch lange kein wirklicher Beweis für das Nichtvorhanden-
sein einer kirchlichen Erscheinung: sagt doch ein bekanntes
Sprüchwort: stille Wasser sind tief! Zum Ander n ist es an und
für sich gar nicht denkbar, dass, nachdem erst noch im Jahre
1431 und in den nächst vorhergegangenen Jahren bis 1428 zurück
mehrere Männer als Lollarden in Untersuchung gekommen , zum
Theil sogar verbrannt worden sind , unmittelbar darauf die ganze
Partei oder Sekte sammt und sonders sollte verschwunden sein.
Vielmehr ist es an sich psychologisch wahrscheinlicher . und lässt
sich auch nach vielfachen anderweitigen Erfahrungen auf religiö-
sem Gebiete weit eher erwarten, dass eine religiöse Gesinnung
und Denkart , welche trotz heftiger und blutiger , systematisch
geleiteter Verfolgungen, schon über ein halbes Jahrhundert ihr
Dasein gefristet , von Zeit zu Zeit sogar einen neuen Aufschwung
genommen hatte . durch Gewaltmittel zwar in den Hintergrund
I WlLKINS, Com. M. B. III, 524.
350
Buch III. Kap. 5. I.
gedrängt, aber nicht ganz und gar vernichtet werden konnte.
War das offene Bekenntniss verpönt . so zog es sich in die Stille
des Herzens zurück . und das Feuer der Begeisterung brannte in-
wendig mit desto stärkerer Gluth. Ohnehin war es schlechthin
unmöglich, der Gesinnung, die man bedrohte, alle Luft zu ent-
ziehen , die gegenseitige Mittheilung und Aufmunterung zwischen
Einverstandenen in vertrautester Heimlichkeit, vollständig zu ver-
wehren. Zum Dritten kommen doch auch positive Thatsachen
zum Vorschein, welche das stetige Fortbestehen der Lollarden.
das wir laut des Bisherigen voraussetzen müssen, wirklich bestä-
tigen. Eine dieser Thatsachen besteht darin, dass in dem Jahr-
zehent von 1430 — 1440 eine grosse Menge von Abschriften der
englischen Bibelübersetzung von Wiclif. theils einzelne
Bücher, theils grössere Partien umfassend, gefertigt worden sind.
Und fast im gleichen Maasse finden wir dergleichen Abschriften
aus dem Jahrzehent von 1440 — 1 450 1 . Wenn heute noch, nach
420- 440 Jahren, aus den Jahren 1430—1440 ungefähr 30 Hand-
schriften, und aus den Jahren 1440 — 1450 nahezu 20 dergleichen
Abschriften in England sich vorfinden . so sind wir gewiss zu der
Annahme berechtigt , dass noch beträchtlich mehr Abschriften in
jenen beiden Zeiträumen geliefert worden sind. Und diese Bibel-
handschriften in der Muttersprache haben ihr Publikum gehabt.
Ihr Dasein allein ist schon ein sicherer Beweis dafür, dass damals
in England wiclifitische Bibelsitte und wohl auch ein entsprechen-
des Bibelleben gewaltet hat. —
Eine zweite Thatsache . welche das Fortbestehen einer star-
ken wiclifitischen Strömung positiv bezeugt, besteht in der Ver-
ehrung, welche einem als »Ketzer« hingerichteten Lollarden wie
einem Heiligen von vielen Seiten gewidmet wurde. Am 15. Juli
1 440 erliess die Regierung Heinrich s VI. an die Sheriffs in sünimt-
lichen Grafschaften den Befehl, im Namen des Königs bekannt zu
1. Vgl. die Einleitung zu Wyclißte Versions of the Bible, Vol. I. Auch
einige Handschriften von englischen Predigten Wiclif s aus der Mitte des
XV. Jahrhunderts verzeichnet der Herausgeber, Thomas Arnold . Select
mglish works of John IVyclif, Vol. I. Oxf. ls«9. Introd. XVIII folg. Nr.
O. und J.
Verehrung des hingerichteten Richard Wiche,
:;:,]
machen, dass fortan niemand mehr, bei Strafe als Ketzer ver-
urtheilt zu werden, zu dem Platze, wo Richard Wiche hin-
gerichtet worden war , pilgern oder Opfer hinschicken , oder ihm
seine Verehrung- bezeugen dürfe l) . Die Verordnung selbst lässt
keinen Zweifel darüber aufkommen, dass, nachdem der gewesene
Kaplan Richard Wiche von dem Bischof von London, Robert
Braybrooke (wahrscheinlich im Jahre 1431) als »rückfälliger
Ketzer« verurtheilt und degradirt, und sodann auf königlichen Be-
fehl durch die Obrigkeiten von London auf Towerhill verbrannt
worden war 2 . viele Leute bei dem Glauben blieben, der Mann sei
durchaus kein Ketzer gewesen, sondern habe als ein guter, ge-
rechter und heiliger Mann gelebt, sei auch als solcher gestorben.
Ja man erzählte sich sogar von Wundern, welche er nach seinem
Tode gewirkt habe. Und nun wurde es Sitte, ihn als einen Heili-
gen zu verehren. Die Leute pilgerten zu der Stätte, wo er ver-
brannt worden war , und verrichteten ihre Andacht daselbst. Und
aus dem Umstand, dass die königliche Verordnung vom 15. Juli
1440 an die Oberbeamten sämmtlicher Grafschaften erging, lässt
sich entnehmen, dass Wallfahrten von Lollarden rings um die
Hauptstadt aus weiten Entfernungen Sitte geworden waren. Diese
Verehrung eines Mannes wie eines Heiligen , der von Kirche und
Staatsgewalt als Ketzer verurtheilt und auf dem Scheiterhaufen
verbrannt worden war, beweist unleugbar, dass im englischen
Volk noch in dem Jahrzehent von 1430 — 1440 die wiclifitische
Gesinnung überaus stark vertreten war. Jedenfalls betrachtete
man den auf dem Scheiterhaufen verbrannten Richard Wiche
als einen Märtyrer , und man hatte um so mehr Grund zur Hoch-
achtung für ihn, als er ein ehrwürdiger Veteran war aus der
Blüthezeit des Lollardenthums, und ein Mann, der einst als Reise-
prediger in vielen Gauen von England gewirkt hatte 3) .
1 Die königliche Verordnung bei Foxe, Acts and Mon. III, 703.
2) Der Zeitpunkt seiner Hinrichtung ergibt sich aus der Urkunde nicht.
Foxe verlegt ihn, aber ohne positiven Grund, ungefähr in das Jahr 1439.
Was die früheren Erlebnisse des Mannes betrifft , so ist zu vergleichen oben
Kap. 4. III. S. 319.
3 Dafür spricht selbst der Wortlaut der königlichen Verordnung, welche
den Mann folgendermaassen charakterisirt ;: Richard Wiche, late clerk,
Buch III. Kap. :». 1.
Um das Jahr 1440 wurde in England päpstlicher Ablass ver-
kündigt und Ablassbriefe wurden in Fülle angeboten, so dass
die Leute sagten : »Rom kommt jetzt vor unsere Thür!« Aber man
hörte auch ganz anders sprechen. Andere sagten: »Die römische
Kirche ist jetzt die grosse Hure, denn sie gibt sich jedem preis,
der Geld gibt!« Die römischen Abhisshändler gingen nämlich so
weit, dass sie für ein Essen, für einen Trunk Wein oder Bier
ii. s. w. , den Ablass gaben1 . Sollte es gewagt sein zu ver-
muthen, dass die letztere Aeusserung. welche apokalyptischen
Ton und sittlichen Abscheu zu erkennen gibt . aus Lollardenkrei-
sen stammte '?
Zu den bisher angeführten Umständen treten gegen das Ende
der vierziger Jahre eine Reihe von Thatsachen aus dem Leben
eines merkwürdigen Kirchenmannes jener Zeit, des Dr. Regi-
nald Pecock. Dieser Mann hat ein bedeutendes Werk gegen
die Lollarden geschrieben, welches glücklicherweise auf uns ge-
kommen ist. Und dieses Buch ist nicht etwa eine blosse gelehrte
Stilübung gewesen . welche sich auf eine damals bereits der Ge-
schichte anheim gefallene Sekte und Lehre bezogen hätte. Sondern
es handelte sich um ein praktisches Bedürfniss der Gegenwart,
um Berichtigung und Widerlegung von Ansichten und Gesinnun-
gen , welche bei einer beträchtlichen Partei in der anglikanischen
Landeskirche herrschend waren. Diese Thatsache beweist schon
an und für sich, abgesehen von dem näheren Inhalt des fraglichen
Werkes, dass in jenem Zeitpunkt, vor der Mitte des XV. Jahr-
hunderts , die Lollarden in England noch keineswegs verschwun-
den waren, vielmehr eine nach Zahl und innerer Bedeutung immer
noch iinsehnliche Partei bildeten.
ir/io hcretofore, long si/tec licnticalhj did hold, teach and publicly preach
certain heresies and erroneous opinions in m<t>i;/ places within our realm of
England . — Vermuthlich war es niemand anders als eben dieser Richard
Wiche, welcher im Jahr 1410 mit Hus correspondirte. vgl. PALACKY, /)>>-
cum. 12 ff . Der Name heisst hier zwar Wichewitze ; allein die beiden letz-
ten Silben sind zweifellos tschechische Zuthat, wodurch Patroinjmica gebil-
det werden und woraus zahllose slawische Ortsnamen entstanden sind.
1) Nach einer Stelle aus Thomas Gascoigxe's Dictionariinn theoJogÜMtn,
welche Johann Wolf in den Lectiones memoruhilrs IßttO. Vol. I. f. ST.'t folg.
mitgetheilt hat.
Reginald Pecoct.
Es ist auch nicht eine isolirte literarische Erscheinung,
welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Das ganze
praktische Leben Pecock's war in gewissem Sinne der Arbeit
an den Lollarden gewidmet. Grund genug, uns seine Persönlich-
keit, sein Leben und Wirken zu vergegenwärtigen *) .
Reginald Pecock2), zu deutsch Reinhold Pfau, war aus
1 Pecock ist seit der Reformation mehrfach Gegenstand genauerer
Aufmerksamkeit gewesen. Bereits im Reformationsjahrhundert hat John
Foye die Blicke der Protestanten auf ihn gelenkt , schon in der ersten
Ausgabe seines später so gross und berühmt gewordenen Werkes : Com-
meniarxi verum in ecclesia (jestarum maximarumque — persecutionum . Strass-
burg 1554. Er gab darin nicht nur eine kurze Nachricht über Pecock,
sein Leben und seine Schriften 157 — 172 , sondern auch, im An-
hang, 199 — 203, einige Auszüge aus denselben. — Gegen das Ende des
XVII. Jahrhunderts hat der gelehrte Sammler Heinrich "Whartox einen
Aufsatz von Pecock theilweise im Druck herausgegeben: A Treatise pro-
üiftg Scripture fo he the Book of Faith. Lond. 1688. 4°. Der Herausgeber
wollte damit nachweisen , dass die Kirche im XV. Jahrhundert nicht die
Tradition, sondern die Schrift als die Nonn des Glaubens anerkannt habe.
— Im XVIII. Jahrhundert bearbeitete Johann Lewis, der verdiente Bio-
graph Wiclif's als Nachtrag zu seinem Leben Wiclif's vom Jahr 1720
an bis 1725 eine Lebensbeschreibung Pecock' s, die jedoch erst 1742 im
Druck erschien unter dem Titel: The Life of the leamed and right reve-
rend Reynohl Pecock. Lond. 1742. 8. Eine neue Auflage ist 1S20 in Ox-
ford erschienen ; letztere citiren wir. Auch bei Lewis, wie bei Wharton.
ist das protestantisch polemische Interesse beträchtlich stärker als das ge-
schichtliche. Doch hat Lewis zuerst erkannt, dass Pecock's Schriften eine
schätzbare Quelle sind für unsere Kenntniss von den Wiclifiten im XV. Jahr-
hundert , und von der Controverse zwischen ihnen und der römisch-katho-
lischen Kirche damaliger Zeit. — Im gegenwärtigen Jahrhundert hat der
Verfasser des gegenwärtigen Werkes in der Zeitschrift für historische Theo-
logie 1S54, 2. 168— Ä53i dritter Theil von »Wiclif und die Lollarden« u. s. w.;
grossentheils nach damals noch ungedruckten Handschriften in Cambridge
und Oxford, Beiträge zur Kenntniss Pecock's gegeben. Inzwischen ist
das interessanteste Werk des Mannes, betitelt The Repressor, von Chur-
chill BABINGTON in Cambridge, vollständig herausgegeben, London 1S60,
in 2 Bänden 8°. Die Ausgabe, welche mit einer gründlichen Einleitung zur
Lebensgeschichte und den Schriften Pecock's versehen ist, bildet einen
Theil der werthvollen Sammlung von Urkunden und Schriftstellern zur
Geschichte Grossbritanniens und Irlands im Mittelalter , welche seit 185s
auf Staatskosten im Druck erscheint.
2} Die Schreibung des Namens schwankt in den Handschriften zwischen
Pecock, Pecok, Pecokke; die moderne Schreibart ist Peacock.
Lechler, Wiclif. II. 23
354
Buch III. Kap. 5. I.
Wales gebürtig. Das ist alles . was wir über seine Herkunft wis-
sen. Zeit und Ort seiner Geburt sind nicht überliefert. Er muss
etwa 1395 geboren sein, denn 1417 wurde er schon Fe/low eines
College in Oxford . hatte also bereits ausstudirt . und das führt
auf jenes Datum. Dass er aus dem Fürstenthum Wales stammte,
ergibt sich aus der Provisionsbulle Papst Eugen' s IV. vom Jahr
1444. w elche seine Erhebung zum Bischof von St. Assaph enthält,
und ihn als presbyter Menevensis diöcesis d. h. als Angehörigen
des Sprengeis von St. Davids, bezeichnet. Noch deutlicher er-
hellt jener Umstand aus der Angabe seines Zeitgenossen D. Tho-
mas Gaseoigne. ~ 1457. der von ihm sagt: Waüicus orxgine
fuit 1 . Er studirte zu Oxford . im Oriel-CoUege . welches in den
dreissiger und vierziger Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts
als ein Hauptsitz des Puseyismus angesehen wurde. Am 30. Oc-
tober 1417 erlangte Pecock eine Stelle als Fellow in demselben
Collegium. Die niederen kirchlichen Weihen erhielt er am 21 . De-
cember 1419 durch Richard Fleming. Bischof von Lincoln,
unter welchem, wie zu Wiclif's Zeit. Oxford damals noch stand.
Im Februar und März 1420 folgte die Weihe zum Diacon und zum
Priester. Bald darauf promovirte er zum Baccalaureus der Theo-
logie und erlangte an der Universität den Ruf hoher Gelehrsam-
keit und Wissenschaft. Im Jahr 1425 wurde er an den Hof be-
rufen : Prinz Humphrey Plantagenet . Herzog von Glocester. wel-
cher bei der Minderjährigkeit Heinrich s VI. nebst seinem Bru-
der . Herzog Johann von Bedford . und seinem Oheim . Heinrich
von Beaufort . die Regentschaft führte . ein Freund der Wissen-
schaft und Gönner der Gelehrten, wandte ihm seine Gunst zu,
und blieb ihm bis an sein Ende 1447 stets wohlgewogen. Ihm
verdankte er auch seine Beförderung zu einer ansehnlichen geist-
lichen Stelle in der Hauptstadt.
Kurz vorher hatte Sir Richard Whit tington, der welt-
berühmte mehrmalige Lordmayor von London . die St. Michaels-
kirche in der City restauriren lassen , und sich entschlossen . ein
1 Dictionan'inn theohxjienm . HS. in Lincoln-College, Oxford: der be-
treffende Abschnitt ist daraus abgedruckt bei Babington. Reprcssor . II.
621 folg.
Lebensgang Pecocks.
355
zu dieser Pfarrkirche gehöriges College nebst einem Hospital
für Arme zu stiften : das College war für einen Vorstand Ma-
ster . welcher zugleich Reetor (Hauptpfarrer] der Michaels-
kirche war, und für vier Fellows bestimmt, welche zugleich als
Kaplane an der Kirche dienten, während im Hospital, welches
OstHcfa an das College stiess . 13 Arme Aufnahme fanden 1 . Nun
wurde Pecock am 19. Juli 1431 zum Meister dieses Stifts und
zum Reetor der Kirche ernannt. In dieser Stellung hat er
13 Jahre in London zugebracht2 . Dieses Pfarramt in der Haupt-
stadt, welche von jeher ein Hauptsitz des Wiclifitenthums ge-
wesen war . brachte ihn in persönliche Berührung mit Lollarden ;
und er erzählt selbst davon: »Ich habe oftmals und geraume Zeit
mit den verständigsten und unterrichtetsten Leuten von diesem
Schlage, welche der Kirche zuwider sind, gesprochen, mit Leu-
ten, welche als Führer unter ihnen gelten, und sie haben mich
lieh gewonnen dafür, dass ich ihre Beweise und Beweggründe
geduldig anhören mochte, ohne ihnen Vorwürfe zu machen3 .«
Während dieser Londoner Amtsführung hat er jedenfalls auch die
meisten seiner Bücher geschrieben.
Allein Pecock gelangte noch zu höheren Würden in der
Kirche. Herzog Humphrey . sein mächtiger Gönner . wusste ihn
durch Empfehlung beim Papste zu einem Bisthum zu befördern.
Am 22. April 1444 erliess Eugen IV. die Provisionsbulle, kraft
der er. seiner Gelehrsamkeit, reinen Charakters und Wandeis.
seiner Umsicht und anderer Vorzüge halber, zum Bischof von St.
Assaph in Flintshire . Nord- Wales, ernannt wurde. Der Erz-
bischof von Canterbury, Johann Stafford, ertheilte ihm in seiner
Kapelle zu Croyden die Bischofsweihe; auch erhielt er jetzt die
theologische Doctorwürde.
1) DUGDALE . Monasticum anglieanum. a new edition — hy J. Caley,
H. E Iiis and Ree. B. Bandinei, Vol. VI. 3. 73S. Lond. 1S30. Das Hos-
pital oder Pfründnerhaus besteht heute noch.
2; Er erwähnt seinen Aufenthalt im Whittington-College zu London,
Repressor, I, 112.
3 In einer Stelle des I. Theils vom Book of Faith. welche Lewis 232.
Anm. aus der Handschrift mittheilt.
23* •
356
Buch III. Kap. 5 I.
Bereits nach sechs Jahren wurde er zu einem ansehnlicheren
Bisthum . dem von C h i c h e s t e r im Süden Englands . befördert.
Allein Hofränke und politische Parteiungen . verbunden mit An-
stössen, welche Pecock als Theologe und Schriftsteller gegeben
hatte, führten zu seinem Sturz. Hier sei nur so viel im voraus
bemerkt: es wurde 1457 ein förmlicher Ketzerprocess gegen den
Bischof eingeleitet . in Folge dessen er sich zum öffentlichen
Widerruf bewegen Hess : nun wurde er aus dem Hause der Lords
ausgestossen , nachher seines bischöflichen Amtes entsetzt und in
ein Kloster gesperrt , wo er gestorben ist . man weiss nicht wann
und nicht wie. Aber so viel ist gewiss: er fiel als ein Opfer der
Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche !
Wenden wir uns. nach diesem flüchtigen Blick auf das tragi-
sche Schicksal des Mannes , zu seinem Denken und Wirken . um
zu erkennen, welchen Standpunkt er einnahm, insbesondere aber
— was der Zweck unserer Erörterung ist — um den Stand der
wiclifitischen Sache durch ihn kennen zu lernen.
Hiebei zieht vor allem eine Predigt unsere Aufmerksamkeit
auf sich, welche Pecock, noch als Bischof von St. Assaph, im
Jahre 1447 beim St. Paulskreuz in London gehalten hat.
Auf dem Kirchhofe der St. Paulskirche . der Kathedrale von
London, war im XIV. und XV. Jahrhundert ein ansehnlicher
Kaum mit einem Bleidache überdeckt, ohne durch Wände ge-
schlossen zu sein: auf dem Dache stand ein hohes Kreuz: im
Innern war eine Kanzel angebracht. Der Bau war schon 1299
zum Behuf der Predigt geweiht worden, später verfallen, und erst
1 425 wieder hergestellt worden. Hier beim St. Paulskreuz (//>>/</
üftecem, oder apud altam crucem m cometerio S. Pauli hatten
Predigten und kirchliche Akte, auch Widerrufe und dergleichen,
die grösstmogliche Oeffentlichkeit und Feierlichkeit 1 . Eine Pre-
digt »am Kreuz« hatte die mächtigste Anziehungskraft für die grosse
Menge. Noch im XVI. Jahrhundert bemühten sich hochgestellte
Personen irgend einen berühmten evangelischen Kedner für Pre-
1 Hier hatten die wiclifitischen Kaplane, Thomas Garenter und Ri-
chard Monk 1428 ihren Widerruf erklären müssen. Wilkins, Conc. III,
502. Vgl. 451. 1.V7. 516 u. s. w.
Verstimmung des Volks gegen die Bischöfe.
:r>7
d igten am Kreuze« zu gewinnen1 . Bier war es auch, wo Pecock
1117 eine Predigt hielt, welche* grosses Aufsehen machte und.
nach der Meinung mancher Leute. Unheil stiftete.
Der freisinnige und aufgeklärte Bischof sprach vom bi-
schöflichen Amt. Er ging darauf aus. einerseits gewissen-
hafte Bedenken zu lösen . andererseits voreiligen Tadel und un-
begründete Vorwürfe zurückzuweisen. Es war ihm nicht unbe-
kannt, dass manche seiner Amtsbrüder sich Gewissensskrupel
darüber machten, ob sie nicht eigentlich die heilige Pflicht hätten,
dem Volk in ihrem Sprengel zu predigen und schon um deswillen
in demselben ihren wesentlichen Wohnsitz zu nehmen . während
sie. der Sitte und den obwaltenden Verhältnissen gemäss, anders-
wo sieh aufhielten. Und diese Skrupel konnten einem gottes-
fürchtigen Mann, zumal wenn es mit ihm zum Sterben kam.
grosse Noth machen. Solche Zweifel und Bedenken glaubte Pe-
cock lösen zu können und zu sollen. Andererseits hörte man
aber auch leichtfertige und absprechende Urtheile fällen: Bi-
schöfe, welche nicht selbst predigten, oder anderweitiger Pflich-
ten wegen (z. B. wegen Staatsämtern) von ihren Diöcesen ab
wesend waren . begegneten nicht selten grosser Misstimmung und
kränkender Herabsetzung . so dass ihr persönliches Ansehen und
ihr amtlicher Einfluss gelähmt wurde. Und es war gerade die
wiclifitische Partei im englischen Volke . welche über die Geist-
lichkeit überhaupt ungehalten war. weil sie die Predigt des
Worts zu sehr hintansetzte . insbesondere aber über die Bischöfe,
weil man begreiflicher und berechtigter Weise ihnen die Schuld
davon beimass . dass die Pfarrgeistlichkeit und der niedere Kle-
rus zu wenig predigte. Hatte doch seiner Zeit Erzbischof Arun-
de 1 von Canterburv. um der wiclifitischen Reisepredigt zu steu-
ern, alle Reiseprediger einer strengen Controle unterworfen, ja
die Predigt überhaupt mit Ungunst und einem gewissen Mistrauen
behandelt. Natürlich waren die Lollarden in Pecock s Zeit, als
die Oppositionspartei in der Kirche . darüber unzufrieden . dass
die Bischöfe nicht in eigner Person predigten, oder wenn sie je
eine Predigt hielten, nicht recht predigten, überhaupt ihr Amt.
1 Willmot. Bishop Jeremy Taylor, 2. ed. 1S4S. 4(> folg.
358
Buch III. Kap. 5. I.
leicht nahmen, ihren Sprengel hintansetzten u. s. w. Es mochte
wohl vorkommen, dass sogar römisch denkende Leute, falls sie von
ernster Gesinnung beseelt waren , solche Urtheile fällten ; haupt-
sächlich aber gingen letztere, und in schonungsloser Schärfe, von
den Lollarden aus ; überdies mochten viele in der grossen Menge,
ohne gerade zu den Lollarden zu gehören , in den Ton des Un-
muths einstimmen , welchen diese zuerst angegeben hatten. Wir
wissen aus dem Bericht eines dem Bestehenden so ergebenen,
streng römischen Mannes wie Dr. Gascoigne, eines Zeitgenos-
sen von Pecock, es stand so, dass das Volk sich nicht scheute,
öffentlich auf der Strasse gegen die Bischöfe zu murren und zu
sprechen: »Wehe euch, ihr Bischöfe, die ihr so reich seid, die ihr
es gerne habt, wenn man euch Herren Lords nennt und vor
euch auf die Knie niederfällt , die ihr mit einem Gefolge von vie-
len prächtigen Pferden ausreitet , aber nichts thun möget für die
Rettung der Seelen durch die Predigt des Worts!« Ferner
hörte man sagen : »Entweder sie verstehen nichts vom Predigen,
weil sie viel zu sehr in weltliche Geschäfte und sinnliche Er-
götzungen verwickelt sind , oder sie können nicht aufrichtig pre-
digen ohne gegen Sünden zu zeugen, deren sie sich selbst schul-
dig wissen ; und wenn sie je predigen , so handeln sie nicht von
guten Werken , welche sie ja selber nicht thun , sondern verspot-
ten und bewitzeln diejenigen, welche sich eine Pflicht daraus
machen, solche Werke zu thun, oder schätzen sie wenigstens
nicht1)!« Und über den Handel mit Kirchenämtern, über die
Summen , die dafür an die Kurie gezahlt wurden , auch über die
Abwesenheit der Bischöfe von ihren Kathedralkirchen und Spren-
gein sind auf den Concilien zu Constanz und Basel so laute Kla-
gen geführt , zum Theil Beschlüsse zur Abstellung solcher Uebel-
stände gefasst worden, dass das Echo davon in allen Landes-
kirchen zu hören sein musste. Namentlich war England dabei
1 Thomas Gascoigne, in einer Stelle, welche Lewis IS folg. an-
führt. Diese Stimmen des Volkes um die Mitte des XV. Jahrhunderts erin-
nern lebhaft an die Gedanken, -welche am Ende des XIV. in der Volks-
dichtung Plowmtuis Tale ausgesprochen sind; vgl. oben Buch III. Kapi-
tel 1. II. S. 39 folg.
Verstimmung des Volkes gegen die Bischöfe.
359
betheiligt. Hier hatten schon ein starkes Jahrhundert zuvor,
unter der kräftigen Regierung Eduard s III. . Krone und Parla-
ment Hand in Hand die Rechte und Interessen des Landes gegen-
über der Kurie und ihren Kreaturen mit ihrer Anmaassung und
Habsucht gewahrt, und deshalb Provisionen und Annaten und die
Abwesenheit der nominellen und finanziellen Stelleninhaber von
ihren Amtssitzen als in einander geschlungene Uebel bekämpft.
Das wirkte immer noch nach. Im Zeitalter Pecock's war es in
England eine gemeine Rede geworden: es seien drei Dinge, wel-
che in England einen Mann zum Bischof machen , nämlich der
Wille des Königs, der Wille des Papstes oder des römischen Hofs,
und eine Masse Geld, an den römischen Hof bezahlt, d. h. meh-
rere tausend Pfund englischen Geldes , welche hier zu Lande an
die Lombarden Bankiers gegen Wechsel ausbezahlt werden;
und dadurch verarme das Königreich 1 ! Derselbe Gewährsmann,
dem wir diese Mittheilungen verdanken, constatirt auch, dass vor
Heinrich VI. die Könige von England zu Beichtvätern in der Re-
gel solche Theologen . welche kein Kirchenamt bekleideten , ge-
wählt haben, z. B. Heinrich V. den Dr. Thomas von Waiden: da
haben dann die Bischöfe sich ihrem Amte widmen können. Allein
unter Heinrich VI. 1422 — 1460 sei das anders geworden. Da
sei z. B. der Bischof von Norwich, Walter Hart aus CornwalL
Beichtvater der Königin gewesen , und habe sich am Hofe auf-
gehalten . während andere Prälaten hohe Staatsämter annahmen
und dadurch ihrem Kirchenamte entzogen wurden: der Erz-
bisehof von Canterbury , Johann Stafford 1443 — 1452 . sei
Kanzler von England geworden, der Bischof von Chichester,
Adam Mole y n s der unmittelbare Vorgänger Pecock's in dem
genannten Bisthum , Geheimsiegelbewahrer. Andere Bischöfe
pflegten . ohne durch Staatsämter behindert zu sein , dennoch aus
anderen willkürlichen Beweggründen sich nur selten in ihrem
1) Buchstäblich aus Gascoigxe, Dictionarium theo/. MS. I, 438, beim
Wort Episcopus, s. bei Lewis, Pecock, 22. Derselbe Gewährsmann sagt in
einer Stelle, welche Babington, Einl. zum Repressor, XXXI. Anm. 3 mit-
theilt: Ab anno Christi, in quo fui natus 1403 , non novi promotos esse in
ecclesia, qui sciunt. possunt et solent debito modo animabus prodesse.
360
Buch III. Kap. 5. I.
Sprengel aufzuhalten. So wird von Johann K e in p . welcher zu-
erst Bischof von Rochester . dann von London . hierauf Erzbisehof
von York und zuletzt 1452 — 1453 von Canterburv gewesen ist.
berichtet, dass er während der 10 — 12 Jahre, wo er Erzbischof
von York war . im Ganzen nur einige Wochen lang sich in seiner
Diöcese aufgehalten habe, in der Stadt York aber nur etliche Tage
oder gar nicht ; die übrige Zeit habe er theils in London . theils
in der Grafschaft Kent aus der er gebürtig war . oder sonstwo
in England zugebracht. Der Bischof von Salisbury . Wilhelm
Askew. welcher Heinrichs VI. Beichtvater war und stets am
Hofe blieb, wurde zuletzt in seiner Diöcese vom Pöbel umge-
bracht, der ihn zuvor noch ln'diivte und schmähte, mit den Worten :
Der Kerl hat immer beim König gelebt und ist sein Beichtvater
gewesen . und hat nicht in seinem Sprengel bei uns gewohnt noch
Gastfreundschaft geübt; deshalb muss er um s Leben kommen !
Ferner werden uns mehrere Männer genannt . welche in jenem
Zeitalter . ohne persönlich würdig zu sein und ohne kirchenord-
nungsmässige Wahl, nur auf dem Wege päpstlicher Provision zn
hohen Kirchenwürden in England gelangten, z. B. Wilhelm
Boothe. Bischof von Coventry 1447. nachher Erzbischof von
York. 1452; Georg Nevil, welcher vom Papste zum Bischof von
Exeter befördert wurde . als er erst 23 Jahre alt war : während
Erzbischof Lushborough von Rouen im Jahre 143s durch
päpstliche Yerleihung nebenbei das Bisthum Ely in England er-
hielt. Kurz, es wird uns auf glaubhafte Weise versichert, dass
' damals um die Mitte des XV* Jahrhunderts in England durch
Abwesenheit der Prälaten und Pfarrer von ihren Amtssitzen und
Gemeinden, durch Anhäufung von mehreren Pfründen in einer
Hand . durch Aneignung von Einkünften der Pfarrstellen an Stif-
ter und Klöster, durch Aemterhandel . Beförderung ungelehrter
und sittlich unwürdiger Männer und andere Misbräuche ähnlicher
Art. die Seelsorge so gut wie vernichtet und das kirchliche Wesen
überhaupt gründlich zerrüttet gewesen sei 1 .
Das waren die Früchte einer 50jährigen Keaction , welche
1) Durchweg aus Gascoignks handschriftlichem Dictionarium theo1.
nach den Mittheilun^en von Lewis. 1 ^ — 22.
Kirchlicher und wissenschaftlicher Verfall Englands.
unter der Dynastie baneaster durch vereinigte Kräfte der Hierar-
chie und der Staatsgewalt, alle evangelischen Gedanken und
Elefctrmhestrebungen der wtclifitischen Partei auszulöschen und zu
vernichten bemüht gewesen war. Uns letztere Ziel hatte man
allerdings nicht zu erreichen vermocht. Die Lollarden standen
immer noch auf dem Plan, mit ihrem Schriftprinzip, ihrer kirch-
lichen Opposition und ihren Reformgedanken. Wohl aber hatte
man es zu einer grenzenlosen Zerrüttung des kirchliehen Lebens
und zu einer verrotteten Prälatur und Klerisei gebracht. Und es
ist nicht eine oppositionelle Partei, welche diesen Jammer zur
Sprache bringt, sondern ein vollkommen unverwerflicher Zeuge,
ein ganz päpstlich gesinnter und streng römisch-orthodox denken-
der Mann. Thomas Gascoigne, welcher mehrere Jahre 1443—
1115 als Kanzler an der Spitze der Universität Oxford gestan-
den ist.
Ueberdies wird dieses Zeugniss in schlagender Weise bestä-
tigt durch klägliche Vorstellungen . welche schon im Jahre 143S
von beiden Universitäten, Oxford und Cambridge, in ähnlichen und
Gast gleichzeitigen Eingaben an die Frühjahrsconvocation durch
den damaligen Kanzler von Oxford. Richard Carpent er. per-
sönlich überreicht worden sind, zugleich mit einem Schreiben
Heinrich's VI. , an welchen sich beide Universitäten schon das
Jahr zuvor gewendet hatten. Beide klagen über Zurückgehen und
Verfall. Oxford sagt, in früheren Zeiten seien viele Tausende
von Studirenden dort gewesen, jetzt seien keine tausend mehr
da. Es möge zum Theil die Verarmung des Königreichs, in Folge
von Kriegen, Miswachs und Theuerung. daran Schuld sein. Aber
ein Hauptgrund, aus welchem so wenige Lust haben, die Univer-
sität zu beziehen . liege unbedingt in dem Mangel an Aussicht auf
Belohnung des Fleisses , des Studiums und der Tugend durch
Ehren, Würden und Aemter. Dadurch werde alle Freudigkeit
gelähmt. Es sei Thatsache. dass die unterrichtetsten und be-
rühmtesten Männer . welche billig und von Rechts wegen beför-
dert und zu höheren Würden der Kirche erhoben werden sollten,
einfach bei Seite geschoben werden , so dass sie am Ende ohne
irgend eine Belohnung ihres Studiums ihre Tage schliessen müs-
sen, während einfältige Leute . ohne alle wissenschaftliche Bil-
362
Buch III. Kap. 5. I.
dung, befördert werden. Es sei tief zu beklagen, dass der Wein-
berg des Herrn Zebaoth so unverständigen und ungelehrten Wein-
gärtnern zur Bearbeitung übergeben werde. Die Bischöfe mögen
doch zuerst des Glaubens Genossen versorgen , nämlich diejeni-
gen, welche ihre Lichter brennend in den Händen tragen und
durch Sittlichkeit und Wissenschaft sich empfehlen. Und die
Universität Cambridge spricht sich theilweise fast noch stärker
aus. Sie scheut sich nicht zu sagen, die Kirche sei derzeit unge-
lehrten Führern anheimgegeben, deren zuchtloser Wandel anderen
zum Aergerniss werde , und deren Blindheit sie in die Grube der
Irrlehren und Ketzereien führe. »Dieser Art — heisst es weiter —
sind heutzutage die Pfarrer ; und da den wissenschaftlich eifrigen
kein Vorzug zu Theil wird, so ist es kein Wunder, wenn die Ehre
der Kirche täglich abninfnit und ihre Auktorität verachtet wird l) .«
Der Entschluss , angesichts so schreiender Uebelstände sich
zum Vertheidigen des Bestehenden aufzuwerfen , erforderte einen
kühnen Muth. Und den besass Dr. Pecock. Er war zwar nicht
gewillt , wirkliche Misbräuche in Schutz zu nehmen , sondern nur
den voreiligen und leidenschaftlichen Urtheilen, welche »das Kind
mit dem Bade ausschütteten«, entgegenzutreten. Dass er aber die
Absicht hatte , theils die gewissenhaften Bedenken der Einen zu
lösen, theils den leidenschaftlichen und maasslosen Tadel der
Andern zurückzuweisen, beruht nicht auf blosser Vermuthung,
sondern auf seinem eigenen Bekenntniss , das er nachträglich zur
Rechtfertigung des Schrittes, den er gcthan, ablegte 2) .
In der Predigt, die er 1447 beim St. Paulskreuz hielt, stellte
Pecock folgende Sätze auf:
] Diese höchst interessanten Denkschriften sind in der Conciliensamm-
lung von Wilkins, III, 52S — 530 vollständig abgedruckt. — Vgl. hiemit
die Bemerkung von Gascoigne, welche oben S. 359 in der Anm. ge-
geben ist.
2) In einer Eingabe an den Erzbischof, worin er seine Predigt recht-
fertigt, Handschrift 117 der Bodleianischen Bibliothek in Oxford, f. 11 — 13,
unter dem falschen Titel: Abrenuntiatio , abgedruckt von Babing ton un-
ter dem Titel: Abhrcviatio Reginalde Pecock, im Rcpressor , II, (»15 folg.
erwähnt Pecock drei Motive, von denen er sich habe leiten lassen; vgl.
Wiclif und die Lollarden in Zeitschrift für hist. Theol. 1^54. 177 folg.
Pecocks' Sätze vom bischöflichen Amt.
363
1) Niemand kann beweisen, dass ein Bischof als solcher ver-
pflichtet sei, in eigener Person dem gemeinen Volke seines Spren-
geis zu predigen.
2 Bischöfe sollten sich selbst nicht für verpflichtet halten, in
eigener Person dem Volk ihres Sprengeis zu predigen , sofern sie
Bischöfe sind über die Pfarrgeistlichen ; sondern sie sollten dafür
halten, dass sie frei seien von dieser Amtslast.
3 Bischöfe als solche sollen eine reichere Kenntniss der
christlichen Religion besitzen in Gegenständen, worüber unter-
geordnete Pfarrgeistliche zu predigen und zu lehren haben , und
eine grössere Wissenschaft . um schwierige Fragen lösen zu kön-
nen, als untergeordnete unmittelbare Seelsorger zu haben brauchen.
4 Bischöfe haben Vollmacht das Werk der Predigt zu üben
und wieder aufzugeben, wann es ihnen beliebt, gleichwie sie
diese Vollmacht in Betreff jedes anderen Werks der Seelsorge
auch haben: nur dass sie dadurch nicht an einem besseren Werke
ihrer eigentlichen Amtspflicht gehindert werden.
5 Bischöfe können aus verschiedenen Gründen sich von
ihrem Sprengel entfernen und ausserhalb desselben ihren Wohn-
sitz nehmen, auf unschuldbare, ja verdienstliche Weise.
6) Es kann ein nützlicheres Werk an den Seelen der Christen
getrieben werden, als das der Predigt.
7 Weder der Papst , noch die Bischöfe von England machen
sich damit der Simonie schuldig , dass sie ihr Bisthum vom Papst
durch Provision erhalten und dem Papst die »ersten Früchte« ihres
Bisthums entrichten 1 .
Alle 7 Sätze haben zu ihrem Gegenstand das bischöfliche
Amt: die Sätze 1 — 4 und 6 2 handeln von den Amtsverrichtun-
gen, der 5te von dem Aufenthalt des Bischofs, der 7te von seinem
Gelangen ins Amt. In Betreff der Amtsobliegenheiten ist Pe-
1 Wir haben hier die sieben Sätze so kurz und bündig wie möglich,
aber in der Sache getreu wiedergegeben. Das Original s. bei Babixgtox,
Repressor, 616 folg.
2 Lewis, Pecock, 43 folg. stellt die 6te und 5te These um. und bringt
dadurch in die Keine eine bessere logische Ordnung. Allein wir folgen dem
Original, da die Ordnung der Sätze bei Lewis, wie es scheint, lediglich
auf dem persönlichen Erachten des modernen Verfassers beruht.
Buch III. Kap. 5. I.
cock's Grundgedanke, wenn auch nicht mit runden Worten aus-
gesprochen, kein anderer als der: das bischöfliche Amt ist nicht
Kirchend iens t. sondern Kirchenleitnng, Kirchenregiment,
nicht unmittelbare Seelsorge an dem Volk (den Gemeinden , son-
dern Oberaufsicht und Leitung , zunächst über die Pfarrer . Seel-
sorger und Prediger selbst. Eben deshalb ist nicht das Pre-
digtamt die eigentliche und unmittelbare Pflicht des Bischofs
(1 und 2 , obwohl er das Recht und die Vollmacht dazu aller-
dings ebenfalls besitzt (4 . Dazu kommt aber nach ihm noch
ein anderer Grund : es gibt etwas für die Seelen nützlicheres und
nöthigeres als die Predigt 'Satz 6). nämlich die religiöse Un-
terweisung; deshalb muss ein Bischof sich durch ausgebreitete
und gründliche Erkenntniss und Wissenschaft auszeichnen , um
schwierige Fragen lösen und die ihm untergebenen Geistlichen in
Betreff ihrer Predigt und Unterweisung richtig leiten zu können
Satz 3 . Der allerletzte Satz vertheidigt die päpstlichen Provi-
sionen und die Entrichtung des ersten Jahreseinkommens an den
Papst gegen den Vorwurf der Simonie. Der 5te Satz nimmt die
zeitweilige Abwesenheit eines Bischofs von seinem Amtssitze die
non-residence in Schutz , erklärt sie wenigstens nach Umständen
für erlaubt, ja pflichtmässig.
Der Form nach sind die Sätze eigentliche Thesen, Streit-
sätze, kategorische Behauptungen, ohne Begründung und Beweis.
Man sieht ihnen auf den ersten Blick an , dass der Verfasser ent-
gegenstehende Ansichten bei einigen Zeitgenossen voraussetzt
und bekämpft. Die 7 Sätze waren natürlich nicht in dieser Fas-
sung vorgetragen worden: es war ja eine Predigt, die Pecock
am Kreuze« gehalten hat. Er hat nur nachträglich die Anschauun-
gen, von welchen er in der Predigt ausgegangen war, in die Form
von Thesen gegossen, weil jene Anschauungen lebhaften Wider-
spruch erregt hatten. Die Einen behaupteten, sie seien ihrem
Inhalte nach falsch, ja ketzerisch: die Andern meinten wenig-
stens, sie seien sophistisch gefasst und enthalten ungeeignete
Begriffe1 . Das kam ihm selbst jedenfalls höchst anerwartet;
1) Laut der eigenen Angabe Pecock s in seiner Zuschritt an den
Brzbiaohofj », Bamngton, Repressm-, II, 6f5.
Wirkung der Predigt Pecock's
365
denn er soll zu einem Bekannten, Namens Cha pmann. gesagt
haben, seine Ansicht würde die Folge haben, dass hinfort nie-
mand mehr über die Bisehöfe murren oder lästern würde : er habe
bewiesen . dass Bischöfe nicht schuldig seien zu predigen oder
Seelsorge zu treiben , wie das Volk meine , sondern die Seelsor-
ger zu beaufsichtigen 1 . Da aber seine Predigt doch Anstoss
gegeben hatte, so überreichte Pecock Abschriften obiger Sätze
in englischer Sprache an einige bedeutende Männer, mit denen er
befreundet war, z. B. an den Bischof von Norwich und Beichtvater
der Königin, Walter Hart, den Bischof von Chichester und Ge-
heimsiegelbewahrer, Adam Mol eyns, und einen Dr. der Theo-
logie, Vincenz Clemens. Der letztere war ein päpstlicher Ein-
nehmer in England, ein geborener Römer; die Bischöfe befanden
sieh beide in dem Fall, nicht in ihrer Diöcese zu residiren,
während der eine von ihnen, Walter Hart, durch päpstliche
Provision sein Bisthum erlangt hatte. Die Auswahl der Per-
sonen war also gut getroffen : die drei Herren hatten gewiss ihre
Freude an den Thesen. Allein Pecock war bereit . dieselben
gegen jedermann zu vertheidigen. Er reichte dem Erzbischof.
Johann Stafford, eine schriftliche Verantwortung ein, worin ei-
serne 7 Sätze mittheilte, sich über die Beweggründe aussprach,
aus denen er seine Ansicht öffentlich kund gegeben habe, und
den Primas ersuchte, von Amts wegen bekannt zu machen, dass.
wer den Sätzen widersprechen wolle, mit seiner Entgegnung her-
ausrücken möge, damit der Verfasser antworten könne. Sollte
sich niemand stellen, so möge der Erzbischof, nachdem der Ver-
fasser die Sätze vor ihm vollständig begründet haben werde,
öffentlich erklären, dass die Sätze wahr, richtig und nicht sophi-
stisch seien. Zugleich spricht er seine Ueberzeugung aus , dass
seine Thesen gewiss keine Beeinträchtigung der Predigt zur
Folge haben würden : vielmehr werden die Predigten vom Volk
nur desto fleissiger besucht werden und desto reichere Frucht
bringen 2) .
1 Laut der Mittheilung von Gascoigne in seinem Theologischen
Wörterbuch«, woraus Lewis 14. diesen Auszug gibt.
2 Abbreviatio Reginalde Pecock, erstmals abgedruckt von Babington
366
Buch III. Kap. 5. I.
Der Standpunkt, den Pecock einnahm, lässt sich aus
den Thesen selbst unschwer erkennen.
1) Er ist conservativ, denn er will das Bestehende im
kirchlichen Wesen aufrecht erhalten , insbesondere Angriffen und
Vorwürfen gegenüber , die gegen bestehende Einrichtungen und
Bräuche gemacht wurden, in Schutz nehmen.
2) Pecock ist zugleich doktrinär geartet: denn indem er
die Predigt des Worts nicht als in erster Linie den Seelen nöthig
und nützlich anerkennt, sondern auf Unterweisung , Erkenntniss
und Wissenschaft einen grösseren Nachdruck legt *) , verräth er
eine lehrhafte, einseitig intellektualistische Richtung.
Nehmen wir zu den Thesen selbst vollends die Begründung
und Beweisführung hinzu , welche der Verfasser für die Thesen
im Einzelnen gibt, so bemerken wir noch einige charakteristische
Züge, welche von grossem Belange sind2).
3) Pecock zeigt nicht blos eine lehrhafte , sondern eine in
der That rationalistische D e n k u n g s a r t. Er geht nämlich
von dem Grundsatz aus, jede Wahrheit müsse , wolle man sie
gründlich erkennen , auf den ursprünglichen Boden , auf dem sie
erwächst, zurückgeführt werden. Nun gebe es vier Gattungen
von Wahrheiten , also auch vier Fundamente und Prinzipien der
Wahrheit : historische Wahrheiten haben ihr Fundament in einer
geschichtlichen Urkunde , juridische Wahrheiten in positiver Ge-
setzgebung, Glaubenswahrheiten in der heil. Schrift, und philo-
im Anhang zum Repressor , II, 6] 5 folg. In seiner Schrift: »Fortsetzung
des Donat«, constatirt Pecock sechs Jahre später, dass seither kein Gelehrter
eine Entgegnung wider die Sätze gegeben habe, s. Babington, Intro-
duction XVII. Anm.
1) Vgl. seinen Satz, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lü^st
Praedicatio non est actus p)erf cctissimus , qui potest circa christianorum ani-
mas per suos curatos impendi, quod docere est actus perf ectior quam
praedicare.
2] Die Notizen, auf welche wir uns hier stützen, sind von Babington
leider nicht mit zum Abdruck gebracht worden , ungeachtet sie , wie er in
der Einleitung, S. LXXIV. selbst bemerkt, sich unmittelbar an die »Abbrt-
viatio« in der gleichen Handschrift anschliessen. Wir geben das im Text
folgende auf Grund unserer Benützung der Oxforder HS. selbst vom
Jahre 1840.
Standpunkt Pecock':
367
sophische Wahrheiten in dem Urtheil der Vernunft. Angewandt
auf religiöse und kirchliehe Dinge, so hat Christus solche Ein-
richtungen, welche unsere Vernunft, sich selbst überlassen, nicht
erkennen und feststellen kann , geoffenbart; hingegen alles das-
jenige, zu dessen Auffindung und Feststellung die menschliche
Vernunft sich erheben kann, und was zu wissen oder einzurich-
ten doch zum Heil der Seele nothwendig ist , hat Christus nicht
selbst geoffenbart oder festgesetzt , sondern zu finden und zu be-
stimmen der Klugheit seiner Kirche überlassen.
Der letztere Satz enthält eine ganz merkwürdige Mischung :
er verräth einerseits eine, ich möchte sagen, »hochkirchli che«
Gesinnung, sofern heilsnoth wendige Dinge (necesmria ad
scdutem animarum der freien EntSchliessung und Festsetzung
der Kirche überlassen sein sollen. Damit wird offenbar die
Vollmacht der Kirche ungemein hoch gestellt , höher als sich ver-
antworten lässt. Denn sowohl die römische als die evangelische
Kirche trägt die Ueberzeugung in sich , dass alles Heilsnothwen-
dige durch die Offenbarung Gottes gesetzt und entschieden sei ;
sie unterscheiden sich blos in der Beantwortung der beiden Fra-
gen: 1) was ist heilsnothwendig und was nicht ? 2 welches ist
die Quelle der Offenbarung , die Schrift allein oder die Tradition
neben der Schrift ?
xVuf der andern Seite liegt in obigem Satze, wenn auch noch
nicht klar herausgearbeitet, eine rationalistische Gesinnung.
Denn nicht allein der unbedingten Auktorität der Kirchenväter
tritt der Verfasser indirekt entgegen, — das wäre noch nicht
rationalistisch, sondern nur gut protestantisch l) , — sondern er ist
auch entschieden der Meinung , dass die Vernunft Wahrheiten zu
finden und festzustellen vermöge, welche zum Seelenheil geradezu
nothwendig sind. Hiemit dehnt er das Gebiet dessen, worüber
das judiciumr rationis zu entscheiden hat, in einem Maasse aus,
welches sich nur als rationalistisch bezeichnen lässt. Dieses Ur-
1) MS. 117 der Bodleianischen Bibliothek in Oxford,, fol. 132: Dicta
sanctorum non sunt tantae auctoritatis, quin liceat dicere contrarium in Jus
quae. non sunt per s. scripturam determinata.
368
Buch III. Kap. 5. II.
theil lässt sich jedoch erst aus dem grösseren Werke Pecock's.
m dem wir sofort übergehen, vollständig klar machen.
II.
Pecock ging auf dem Wege, den er mit seiner Predigt »am
Kreuz« betreten hatte , ungeachtet des Widerspruchs . der gegen
ihn erhoben wurde, weiter fort. Rechtfertigung und Verteidi-
gung des kirchlich Bestehenden, zumal gegenüber der Opposition
von Seiten der Lollarden , und zwar Rechtfertigung durch Beleh-
rung und Beweisführung . und Beweisführung vornämlich durch
Vernunftgründe als Gegengewicht gegen den Schriftbeweis der
Lollarden, das war die Hauptaufgabe, welche er sich stellte. Er
erfüllte sie theil* persönlich als Prediger, in seinem Bisthum
St. Assaph , theils und hauptsächlich als Schriftsteller vorzüglich
durch Schriften . welche auf Leser aus dem Volk berechnet und
deshalb englisch verfasst waren.
Die für unsern Zweck lehrreichste Frucht dieser Bestrebun-
gen Pecock s ist ein Werk, welches er im Jahr 1449 vollendet
zu haben scheint, das jedoch erst 4 — 5 Jahre später veröffentlich.*
wurde 1 . Dasselbe hat den Titel: Bepressor, »Der Bekämpf er
übertriebenen T a d e 1 s wider die Geistlichkeit2 !
J Evsteres Datum ergibt sich aus dem Buch selbst , sofern der Verf.
von dem englisch-französischen Kriege S. 517, Ausg. von Babington,
sagt, er währe schon 34 Jahre ; letzteres aus einer Stelle in Pecocks Book
of Faith, s. Babington' s Einleitung, XXII. Anm.
2 Einfach Rcpressor betitelt das Buch ein Gegner Pecock' s, der
Augustinermöneh Johann Bury, in seinem »Salomonsschwert« . abgedruckt
im Anhang des Repr ossär, 567 ff. , insbesondere 571 : intuens librum ejus,
quem Repressorem voeßt. Der vollständige englische Titel ist: The R e -
presser of over myehe = too mach wyting '= blaming the clergie. Die
einzige Handschrift des Buches befindet sich auf der Universitätsbibliothek
zu Cambridge, unter der Bezeichnung: K. k. IV. 2(5. Sie bildet einen Fo-
lioband, über 2(K) Seiten stark , in zwei Columnen sorgfältig und gut ge-
schrieben. Am Schlüsse steht von einer späteren Hand die Bemerkung:
exhibit. coratn Duo in capella sua apud Lambith XI. Novembr anno Domini
1457. Demnach ist dies dasselbe Exemplar, welches in dem Process wider
Bischof Pecock dem Erzbischof Bourchier überliefert worden ist. Aus
dieser Handschrift hat Churchill Babington, Baccalaureus der Theologie
Pccock's Repressor.
369
Wie schon der Titel zu erkennen gibt und der vollständige
Inhalt des Buches bestätigt, ist dasselbe eine Apologie der rö-
misch-katholischen Kirche, ihrer Lehren, ihres Kultus und ihrer
Verfassung. Die Partei, mit welcher Pecock hier zu thun hat,
und deren »übertriebenen Tadel« er zurückweisen will, nennt er
entweder die »Laienpartei« oder die »Bibelmäntier« , mit einem
Wort, es sind die Lollar den; das Hesse sich auf indirektem
Wege evident erweisen, wenn wir auch nicht zum Ueberfluss auf
eine Stelle hinweisen könnten , wo der Verfasser selbst diesen
Namen, als den üblichen, anführt1).
Das Ganze zerfällt in fünf Theile ; der erste behandelt die
Prinzipienfragen . die vier übrigen erörtern einzelne Hauptstücke
des kirchlichen Wesens.
Im-ersten Theil kommt das Schriftprinzip der Lcllarden aus-
führlich zur Sprache . während andererseits das rationalistische
Prinzip Pecock 's klar zu Tage tritt. Aus beiden Gründen glau-
ben wir etwas länger bei diesem ersten Theil verweilen zu sollen.
Schon das Vorwort ist äusserst charakteristisch. Das-
selbe geht aus von der Ermahnung des Apostels Paulus,
2. Timoth. 4. 2: »Weise zurecht, bitte und tadle mit aller Geduld
und Lehre!« Er bemerkt, das habe der Apostel allerdings an
Timotheus geschrieben , welcher ein Bischof gewesen sei , und
nicht ein Laie : allein Paulus spreche in diesen Worten nicht von
amtlicher Rüge eines Oberen gegenüber dem Untergebenen , son-
dern von Vorstellungen , die auch ein Untergebener , selbst ein
Laie, seinem Vorgesetzten gegenüber machen dürfe ; der Apostel
und Fellow von St. Johns-Collcge in Cambridge, das Buch herausgege-
ben, mit Einleitung und Nachträgen, als einen Theil der Sammlung: Be-
rum britannicaram medii aevi seriptores oder Chronicles and memorials of
Great Britain u. s. w. London 1SG0 in 2 Bänden. Da mir im Juni 1S40 die
Benützung der genannten Handschrift in Cambridge freundlichst gestattet
worden war 'die Abhandlung: »Wiclif und die Lollarden«, Zeitschrift f. hist.
Theol. 1S54, gibt S. 179 — 217 ausführliche Mittheilungen daraus), so kann
ich hiemit öffentlich das Zeugniss ablegen, dass Babing ton sich als sach-
kundigen Herausgeber erwiesen hat , und den Text sorgfältig und richtig
wiedergibt.
1 Repressor, I, S. 12S: tho erring persoones of ihe la\j peple iohiclie
hen clepid [cdlled) Loll ardis I. Theil. 20. Kapitel .
Lechlek, Wiclif. II. 24
370
Buch III. Kap. 5. Ii.
gebe hiemit eine Belehrung über die Art und Weise, wie man
solche Vorstellungen erheben dürfe. Nun nehmen sich viele in
einem Eifer mit Unverstand, heraus . die Geistlichkeit der Kirche
Gottes in Rede und Schrift offen und scharf zu tadeln und ihr
vorzuwerfen , sie habe sich durch einige Einrichtungen verschul-
det. Und in Folge dieser Vorwürfe sei viel Unwille. Verwirrung
und Spaltung entstanden . welche bei vielen Leuten schon Jahre
lang fortdauern.
Solchen übereilten Tadlern nun sagt der Verfasser das apo-
stolische Wort : »Weise zurecht , bitte und tadle mit aller Geduld
und Lehre!« d. h. wenn du lehren und beweisen kannst, dass
das . was du tadelst , wirklich ein Fehler und eine Uebertretung
sei. so tadle mit Einsicht und mit Geduld; kannst du das aber
nicht beweisen: so solltest du schweigen und nicht tadeln. Ja die
voreiligen Tadler hindern eben dadurch die Wirkung selbst der
weisen und wohl überlegten Vorstellungen . welche sie zu andern
Zeiten der Geistlichkeit machen1). Der Verfasser möchte nun
durch Rechtfertigung einer Anzahl kirchlicher Einrichtungen,
welche mit Unrecht getadelt werden, etwas dazu beitragen, dass
Gott . um seiner Liebe und Güte willen . bei dem gemeinen Volk
aufhören lasse solchen unweisen und voreiligen Tadel gegenüber
der Geistlichkeit , nebst den Uebeln, die daraus entspringen. Zu
diesem Zwecke schreibe er das gegenwärtige Buch in der Sprache
des gemeinen Volkes , klar, offen und kurz. Schliesslich versi-
chert er jedoch, er sei nicht gewillt, solche Handlungen der
Geistlichkeit . um deren willen dieselbe wirklich brüderliche Zu-
rechtweisung verdient, zu entschuldigen oder zu vertheidigen; im
Gegentheil bitte er sie in Rede und Schrift »mit aller Geduld und
Lehre«, dass die Geistlichkeit dieselben aufgeben, verlassen und
bessern wolle 2 .
Der erste Theil des Werkes erörtert, wie gesagt, die
1) Ein Zugeständniss , welches von Aufrichtigkeit zeugt und den Lol-
larden theilweise Kecht gibt, da ja gewisse Vorstellungen, die sie erheben,
als wij 8 and discr ete and Weel avisid — tust U n di r n y ni 1/ ny t.v
anerkannt werden. S. 3.
2 Repressor, I, S. 1 — 4.
Grundsätze der Lollarden nach Pecock.
371
Prinzipien. Pecock bemerkt, fast alle Irrthümer, in welchen
viele von der Laienpartei 1 befangen sind, und vermöge deren
sie sich zu ungerechtem Tadel gegen die Geistlichkeit hinreissen
lassen, beruhen auf drei Ansichten oder Grundsätzen, die er eben
deshalb zuerst uinzustossen und zu widerlegen versucht, in der
Ueberzeugung . dass. sobald der Beweis geführt wäre, diesel-
ben seien unwahr und nichtig, sofort alle übrigen Meinungen,
welche darauf gebaut sind , nothwendig ebenfalls hinfällig wer-
den müssten.
Die drei Grundsätze der Lollarden sind folgende :
I. Keine Einrichtung ist als Gottes Gesetz anzuerkennen,
sie gründe sich denn auf die heil. Schrift.
IL Das rechte Schrift verstä ndniss wird jedem Chri-
sten zu Theil, welcher demüthig im Geist und willig ist. die
Schrift richtig zu verstehen.
III. AVer zu diesem Schriftverständniss gelangt ist, soll sich
nicht davon ablenken lassen durch anderweitige Schrift-
oder Vernunftgründe.
Der Beleuchtung und Widerlegung dieser drei Grundsätze,
vornämlich des ersten, ist der ganze erste Theil gewidmet.
Der erste Grundsatz bildet eigentlich das Schriftprinzip
der Lollarden. Pecock selbst macht darauf aufmerksam, dass
eine Differenz innerhalb der Partei insofern besteht, als die Einen
unter ihnen ausschliesslich nur das Neue Testament, die Andern
aber nebenbei auch das Alte Testament, soweit nicht das Neue
etwas daran geändert habe , als maassgebend anerkennen. Von
dem Grundsatz im allgemeinen aber versichert er , sie halten so
fest und kühn an demselben, dass sie, so oft ein Geistlicher irgend
eine Ordnung behauptet, die ihnen nicht zusagt, auch wenn sie
offenbar in der Vernunft und dem natürlichen Sittengesetz begrün-
det ist. sofort fragen: »worauf gründest du es in der heiligen
Schrift?« Und wenn sie nicht hören, wo es in der heil. Schrift
bezeugt ist. so verachten sie es und lassen es nicht als Got-
tesdienst und als Gottes Sittengesetz gelten. Diesen Grundsatz
stützen sie auf das Wort Christi Matth. 22: »Ihr irret, indem ihr
1) manie of the la\j partie. I, 5.
24*
372
Buch III. Kap. 5. II.
die Schrift und die Kraft Gottes nicht kennet!« und auf die Stelle
Joh. 5 : »Suchet in der Schrift , denn ihr meinet , ihr habet das
ewige Leben darinnen, und sie ist's die von mir zeuget!«
Um nun dieses Prinzip der Lollarden zu widerlegen, geht
Pecock Kap. 2 — 15 ganz nach der beliebten scholastischen Me-
thode zu Werke: er führt zuerst Kap. 2 — 10 einen positiven Ge-
genbeweis, sucht sodann Kap. 11 und 12 die Schriftbeweise der
Gegner für ihren Grundsatz zu entkräften, und beantwortet end-
lich Kap. 13 — 15 noch einige Einwendungen, welche die Lollar-
den etwa ihm entgegen halten könnten.
Da uns hier die Lollarden wichtiger sind, als ihr Gegnerr
dessen Standpunkt für uns nur mittelbar von Belang ist, so gehen
wir sofort auf die Schriftbeweise der Lollarden für ihr eigenes
Schriftprinzip ein. Pecock erwähnt ausser den oben genannten
Aussprüchen Christi, deren Beweiskraft er verneint, noch drei
Texte, aufweiche die Partei sich stütze. Der erste steht 1. Ko-
rinth. 14, 38 und lautet hier: »Ist jemand unwissend, so wird er
unerkannt sein.« Diese Worte verstanden die Wiclifiten zu Pe-
cock's Zeit so: wenn jemand die Bibel nicht kenne, oder sich
nicht alle Mühe gebe die Bibel kennen zu lernen, so werde er von
Gott nicht für einen von den Seinen erkannt werden. Und hieran
knüpft der Bischof eine Mittheilung, welche für uns neu und nicht
uninteressant ist. Er bemerkt nämlich : »Weil sie sich Muhe ge-
ben , die Bibel , namentlich das Neue Testament , Wort für Wort
auswendig zu lernen, so geben sie sich einen eigenthümlichen
Namen und nennen sich selbst »erkannte Leute«, als ob alle
anderen ausser ihnen Unbekannte wären. Und wenn einer von
ihnen mit einem andern unter ihnen von einem dritten Manne
spricht, so pflegt der Hörende zu fragen: »Ist er ein erkannter
Mann?« Bekommt er die Antwort: »ja, er ist ein erkannter Mann«,
so steht alles gut, es hat keine Gefahr mit jenem zu verkehreu ;
lautet aber die Antwort: »nein, er ist kein erkannter Mann«, dann
ist es gefährlich, mit demselben recht vertraulich umzugehen 1 .
1) Rcpressor, P. I. c. 11. S. ö:j. knowen man, knmcnn mm, lauten die
Ausdrücke. Es ist merkwürdig, dass wir DU Jahre später, im Anfang des
XVI. Jahrhunderts . vor dem Beginn der Reformation , bei den englischen
Das Schriftprinzip der Lollarden nach Pecock
373
Der zweite Text, aufweichen sieh die Lollarden für ihr
Schriftprinzip beriefen, war das Wort 2. Korinth. \. 3: »Ist unser
Evangelium verdeckt . so ist es denen verdeckt, die verloren ge-
hen« u. s. w. Daraus folgerten sie. dass jeder, der ein Kind der
Seligkeit ist. den wahren Sinn der heil. Schrift bald verstehe,
wenn er nur aufmerke. Und Pecock bemerkt hiebei. dass die
Lollarden alle erkannten Leute« für Kinder der Seligkeit oder
nahe der Seligkeit hielten children of saUacioun or neighe fo $al*
cacioxii . Ein Umstand, welcher offenbar mit dem acht wiclifiti-
schen Begriff von der Kirche, als der Gemeinschaft der Erwähl-
ten, zusammenhängt.
Der dritte Text ist Off. Joh. 22, 1S folg.: -Ich bezeuge
allen die da hören die Worte der Weissagung dieses Buches S so
jemand zusetzt, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen« u. s. w.
Unter dem »Buch der Weissagungen« verstanden sie das N. T.
oder die ganze Bibel , und zogen den Schluss aus diesem Zeug-
nis*, dasv man der heil. Schrift keine Auslegungen. Erklärun-
gen u. dgl. beifügen, sondern bei dem reinen Bibelwort bleiben
solle 1 .
Die Kritik dieser Schriftbeweise, beziehungsweise Auslegun-
gen . welche Pecock sofort anschliesst . können wir füglich bei
Seite lassen. Doch mag nicht unerwähnt bleiben, dass er jenen
Leuten zum Vorwurf macht, sie rühmten sich ihrer Bibelkenntniss
und erhöben sieh in ihren Gedanken über andere Leute . welche
nicht so viel wie sie in der Bibel lesen. Studiren und lernen'2 .
Nachdem Pecock die Schriftbeweise der Lollarden für ihr
Schriftprinzip ausführlich geprüft hat. kommt er im 13. Kapitel
auf ihr Bibellesen überhaupt zu sprechen, und findet einen
nicht sowohl exegetischen als psychologischen Grund ihres
"Wiclifiten denselben Namen wiederfinden, s. unten Abschnitt IV dieses Ka-
pitels. Während die "NValdenser des XV. Jahrhunderts, laut des Zeugnis-
ses von Peter von Pilichdorf, Contra sectam Wahlensiuni , in U?>"tn-
theca max. Patrmn , Lyon 1677. Band XXV, 2S1 sich ebenfalls »die Kun-
den«, und ihre römischen Gegner »die Fremden« zu nennen pflegten,
vgl. fol. 308.
1) Repressor, I. S. 54 folg.
2 a. a. O. S. 59. Vgl. 62 folg.
374
Buch III. Kap. 5. II.
Schriftprinzips in dem Reiz, den das Bibellesen an sich schon
habe. Hören wir ihn selber reden.
»Ein Hauptgrund, warum die von der Laienpartei, welche
die Bibel oder das N. T. in ihrer Muttersprache gebrauchten, die
erste Meinung (den I. Grundsatz) gefasst haben, ist der, dass
das Lesen in der Bibel , namentlich in den geschichtlichen Thei-
len des A. und des N. Testaments , sehr ergötzlich und süss isty
die Leser zur Andacht und zur Liebe Gottes hinzieht, und von
der Liebe und Zuneigung zur Welt abzieht, wie ich davon Erfah-
rung gemacht habe bei solchen Lesern und ihrer Stimmung. Und
weil ihnen nun dieses Lesen so lieblich , so anziehend und zu
besagtem Zwecke so dienlich war , so kam ihnen der Gedanke,
Gott habe die Bibel gemacht zu Nutzen des Menschen, nach sei-
nem äussersten Vermögen und Verstehen, um sein Leben zu ord-
nen; und deshalb müsse die Bibel (oder das N. T. alles enthal-
ten, was von Christen im Dienste Gottes gethan werden soll, ohne
dass es einer anderen Lehre dazu bedürfe. Ja ich habe selbst
sagen hören : » dass nie ein Mann geirrt hat beim Lesen und Stu-
diren in der Bibel, noch irgend jemand irren kann beim Lesen in
der Bibel, und zwar aus dem besagten Grunde« : obwohl es kein
Buch in der Welt gibt , das einem Menschen leichter Veranlas-
sung zum Irren werden kann, als die Bibel l) .«
Pecock meint schliesslich, der Fehler liege darin, dass die
Leute sich durch Neigung , und nicht durch Vernunft leiten las-
sen, ähnlich wie die Frauen. «
Im 13 — 15ten Kapitel beantwortet Pecock zwei Einwen-
dungen, welche die Gegner ihm etwa machen könnten. Die
erste besteht darin, dass die menschliche Vernunft, laut der Er-
fahrung , in ihren Urtheilen oft irre gehe : somit könne Gott
nicht gewollt haben . dass die Vernunft unsere Richtschnur in
Handlungen unseres Dienstes gegen Gott sein solle. Der zweite
Einwurf geht davon aus, die heil. Schrift sei schon darum ehr-
würdig und schätzbar, weil durch sie und von ihr die ganze Kirche
Gottes ihren (Hauben empfängt; deshalb scheine es. dass Gott
I Repreaeor, I, S. (»<> folg.
Das Schrif'tprinzip der Lollarden nach Pecock.
375
sie nicht der Vernunft untergeben oder an die Vernunft gewiesen
haben werde, um ausgelegt und richtig verstanden zu werden.
Pecock's Anwort auf die erste Einwendung kann hier füg-
lich übergangen werden. Dem zweiten Einwurf aber begegnet er
mit der Bemerkung : wenn die heilige Schrift höher zu schätzen
ist als die Vernunft, so sei das nur der Fall in blossen Glau-
be 11 s Wahrheiten . die ausschliesslich in der heiligen Schrift und
nicht in der Vernunft begründet, aber auch keine sittlichen Vor-
schriften sind, z.B. Dreieinigkeit. Menschwerdung Gottes , Auf-
erstehung der Todten u. s. w. 1 .
Im Anschlags hieran fährt er fort: »Ich erinnere alle Welt
an eine Wahrheit. Wenn es keine Geistlichen gäbe, die in Lo-
gik. Moralphilosophie und Theologie tüchtig bewandert und reif-
lich geübt wären , um Schrifttexte richtig auszulegen und gebüh-
rend verstehen zu lehren . oder wenn es zwar solche gäbe, aber
die Laienpartei wollte auf deren Lehre nicht achten, sondern
nur ihrem eigenen Witz trauen und sich lediglich auf Bibeltexte
stützen, so würden, behaupte ich. in den Seelen der Laien so
viele verschiede n e M e i n u n g e n aus Anlass von Schriftwor-
ten über den sittlichen Wandel des Menschen entstehen, dass alle
Welt dadurch beunruhigt wäre und dass die Menschen in Betreff
ihres Dienstes gegen Gott nicht besser zusammenstimmen wür-
den, als Hunde auf einem Marktplatze, wenn jeder den andern an
der Haut packt. Denn der Eine würde einen Text so verstehen,
ein Anderer anders . und der Dritte auf die dritte Weise. — Und
wenn alsdann kein Richter vorhanden wäre . um zu entscheiden
zwischen denen, welche so verschiedener Meinung sind, so würde
ihr Streit kein Ende nehmen . bis es zum Kampf und Krieg und
Gefechte käme : dann würde aller Wohlstand und Gnade schwin-
den . und keine ihrer Meinungen würde dadurch in irgend einem
Punkte gestärkt oder bestätigt werden.
In der That hat auf diese Weise und aus der genannten Ur-
sache die klägliche und beweinenswerthe Zerstörung der würdigen
Stadt und Universität Prag und des ganzen Königreichs Böh-
men sich ereignet, wie ich hievon hinlänglich unterrichtet bin.
1) Repressor. I, S3.
376
Buch III. Kap. 5. IL
Und jetzt . nach der Verwüstung des Königreichs . sind die Leute
froh, sich wieder zu dem katholischen Glauben und der allgemei-
nen Lehre der Kirche wenden zu können, und bauen nun in ihrer
Arniuth wieder auf, was niedergebrannt und zerstört war, und
keine ihrer Meinungen kann gedeihen. Denn Christus in seiner
Prophezeiung hat Recht: »jedes Reich, wenn es mit ihm selbst
uneins wird, das wird wüste.« Gott wolle um seiner Gnade und
Erbarmung willen England behüten, dass es nicht in gleiche
Verwirrung gerathe *) !
Doch um mich von hier aus wieder an unsere Bibel män-
ner zu wenden, so bitte ich euch, saget mir: wenn unter euch ein
Meinungsstreit entstanden ist, weil jeder von euch sich aufsein
eigenes Studium der Bibel allein verlässt, was für ein Richter
kann dafür nachgewiesen werden auf Erden, ausser der Ver-
nunft ? Und wer wird dann wohl die Vernunft besser oder eben
so gut gebrauchen und handhaben als diejenigen Männer, welche
auf jene Kunst so viel Arbeit verwendet haben ? Und das sind die
besagten Geistlichen. Darum, ihr Bibelmänner, kraft des Ge-
sagten , das ihr nothwendig zugeben müsst, kraft der Erfahrung,
die ihr habt von der Verwirrung in Böhmen, und auch von der
gegenwärtigen Verwirrung und Meinungsverschiedenheit unter
euch selbst in England, wornach einige unter euch Doctor-
h ä n d 1 e r ( Boctour-mongers) genannt werden , andere M e i n u n g -
h a 1 1 e r ( Opinioun-holders), und einige n e u t r a 1 sind Neutralu .
so dass von einer so anmaassenden Spaltung zu hören, ein Greuel
für andere Leute und eine Schande für euch selbst ist : machet
nur jetzt euch selbst Vorwürfe darüber, dass ihr nicht schon bis-
her anerkannt habt , die Vernunft und ihr Urtheil habe ein s<»
grosses Interesse an Gottes Gesetz und an der Auslegung der
heil. Schrift, als ich behauptet und bewiesen habe. Und daran
könnt ihr auch hinlänglich merken, dass ihr nöthig habt euch bei
unterrichteten Geistlichen Raths zu erholen, ungeachtet ihr euch
euer Leben lang mit der Bibel allein Mühe geben und darin for-
schen wolltet. Lud furchtet euch nur vor den Folgen, welche die
Böhmen aus gleicher Ursache und Verkehrtheit betroffen haben!
1 RcpreHHor, I, 85 folg. P. I, c. lo\
Das Schriftprinzip der Lollarclen nach Pecock. 377
Fürchtet euch vor denselben Folgen um so mehr, als Christus
verkündigt hat, dass sie überall eintreten werden , wo Spaltung
und Uneinigkeit fortdauert. —
Ferner hüte dich . einen Geistlichen anzunehmen . zu wählen
und zu beurtheilen, als sei er für dich geeignet schon um des-
willen, weil er einen Dootorhut tragt, oder weil er ein berühmter
und beliebter Prediger auf der Kanzel ist. oder weil er ein grosser
Schwätzer aus Bibeltexten oder Kirchenvätern ist1), bei Festen
oder andern Versammlungen. —
Ich weiss wohl . dass das Predigtamt zur Vermahnung und
Erinnerung sehr dienlich ist. aber gewiss eignet es sich nicht so
gut zur besten Belehrung2). — Viele Männer, welche nie mehr
gelernt haben in Schulen als ihre Grammatik, können Texte aus-
wendig, und können mit ►Sprüchen und Geschichten. Parabeln
und Gleichnissen ganz prächtig predigen . zum Wohlgefallen und
zum Nutzen der Leute, und erscheinen eben deshalb als sehr
weise. AVenn man sie aber in einem dieser Texte. Parabeln und
anderer Predigtstücke recht prüfen wollte, so würden sie nicht im
Stande sein irgend eines von diesen Stücken zu vertheidigen und
zu behaupten , oder den wahren Sinn eines einzigen unter ihnen
befriedigend auszulegen. — So gewiss die Sonne scheint an einem
Sommertage, so gewiss ist die Nichtbeachtung dessen, was ich so
eben erinnert habe . eine Hauptursache geworden von der heillos
verderbten Schule der Ketzerei unter den Laien in England,
welche noch nicht Uberwunden ist3 . Und deshalb, um etwas
Gott gefälliges zu thun, Gott zu dienen und zum geistlichen Nut-
zen meiner Mitchristen etwas beizutragen . auch aus Furcht vor
Gott . um nicht etwas, das mit grossem Nutzen gesagt werden
könnte . aus Furcht vor Verleumdung mündlich oder schriftlich
zurückzuhalten . schreibe und äussere ich , was ich so eben ge-
äussert habe. Sollte jemand anders von mir urtheilen. so nehme
er sich in Acht vor Dem. welcher uns beide darüber richten wird!
. 1 a greet and thikkc rafeler out of textis etc. a. a. O. I, SS.
2) Ein Satz, der in die Gedankenreihe der Thesen von 1447 gehört,
s. oben S. 3b3.
3 the wickidli enfectid scole of heresie among the lag peple of Yng-
ond, ich ich is not ghif comjwrid. Repr. I, S9.
373
Buch III. Kap. 5. II.
Aber wollte Gott , der König von England gäbe sich so viel
Mühe , sein Land von der besagten heillosen Schule und von an-
deren Uebelständen zu erobern und zu reformiren, als um die Er-
oberung der Normandie und Frankreichs! Vielleicht würde er
alsdann mehr Dank und Lohn davon haben , wenn er einst heim-
kommt zu dem König der Seligkeit , und einen edleren Duft wür-
digen Ruhmes unter allen Fürsten der Welt und den würdigen
Pairs des Himmels , als er davon tragen wird von seiner vielen
Mühe und den Kosten, welche er an die weltliche Eroberung
Frankreichs gewendet hat 1 . «
Wir haben bisher dasjenige bei Seite gelassen, was Pecock
für sein eigenes Prinzip geltend macht , indem wir in erster Linie
berücksichtigen, was er aus dem Munde der Lollarden beigebracht
hat, theils für ihr eigenes Schriftprinzip, theils gegen Pecock 's
Ansicht. Denn diese Partie der Schrift bietet für die Kenntniss
der Lollarden j euer Zeit (Mitte des XV. Jahrhunderts) unmittel-
bar einige werthvolle Beiträge.
Allein wir müssen nun doch noch in Kürze berücksichtigen,
was Pecock Kap. 2— 10 vorträgt, um dein wiclifi tischen Schrift-
prinzip seine positive Anschauung entgegenzusetzen. Und dies
um so mehr , als auch diese Partie über die Lollarden Licht zu
verbreiten geeignet ist.
Er stellt der Reihe nach 13 Hauptsätze auf, verweilt jedoch,
entwickelnd und begründend, bei dem ersten verhältnissmässig
länger Kap. 2—6), und erörtert die übrigen 12 Kap. 7—10)
mehr nur kursorisch. Dies ist in der That insofern sachgemäss,
als die 13 Sätze keineswegs auf gleicher Linie stehen: sind doch
mehrere darunter genau betrachtet nur Folgesätze oder erklären-
der Natur.
Satz 1. ist folgenden Inhalts : Es stellt der heil. Schrift
nicht zu. sie ist auch nicht dazu von Gott verordnet, irgend eine
Wahrheit oder Pflicht zu gründen, welche die natürliche Ver-
nunft des Menschen zu finden und zu erkennen vermag.
Ganz in steifer logisch-demonstrativer Form, auf die er über-
haupt grosse Stücke hält, führt Pecock seinen Beweis für diesen
1] ]{<>i))'eswr, I, 88 — !•<>.
Pecock über Vernunft und Schrift.
379
Satz. Der Langen Rede kurzer Sinn ist der: Sittliche Wahr-
heiten in Betreff dessen, was Gott von dein Menschen fordert,
sind nicht ausschliesslich auf die heil. Schrift gegrün-
det; denn die menschliche Vernunft lehrt dieselben ebenfalls.
Zum Beispiel die Pflicht, Gott über alles zu lieben, demttthig
zu sein vor Gott, die Pflicht der Massigkeit u. s. w. kann aus
der Vernunft eben so gut erkannt werden als aus der heil.
Schrift. Haben doch heidnische Philosophen , ohne göttliche
Offenbarung, auf dem Wege des Nachdenkens jene Pflichten er-
kannt. Und ehe dem Volk Israel irgend ein positives Gesetz ge-
geben wurde, waren die Menschen zu den sittlichen Pflichten ver-
bunden, welche sie durch das natürliche Sittengesetz keimen
lernten. Als dann das mosaische Gesetz gegeben wurde, blieben
alle jene uralten Vernunftgesetze, neben dem positiven Gesetze
Gottes aber gerichtliche und gottesdienstliche Ceremonien, den
Juden immer noch auferlegt. Und Christus hat keine Gesetze
widerrufen, ausser den mosaischen Gesetzen über gerichtliche
Ceremonien und über die Sakramente des A. T.. und hat auch
selbst kein positives Gesetz gegeben ausser dem über die N. T.
Sakramente: somit bleibt den Christen bis jetzt das gesammte
natürliche Sittengesetz nebst dem positiven Gesetz der neuen
Sakramente Christi auferlegt. Und jenes natürliche Sittengesetz,
welches für uns Christen immer noch Geltung hat , ist nicht auf
die heil. Schrift des A. oder des N. Testaments gegründet, son-
dern in die Seelen der Menschen mit Gottes Finger eingeschrie-
ben. Ferner sagt Pecock : Das blosse Erinnern , Ermahnen.
Einschärfen setzt die Kenntniss dessen , was in Erinnerung ge-
bracht wird, u. s. w., offenbar voraus. Nun ist das meiste, was die
heil. Schrift thut, ein Erinnern, Ermahnen u. s. w. ; sie fordert
den Menschen auf, demttthig, geduldig zu sein und so fort, ohne
zu lehren, was Demuth und Geduld ist. Also kann man von
einer solchen Tugend nicht behaupten, sie sei auf die heil. Schrift
gegründet.
Aus dem 1. Satz leitet Pecock folgenden Nebensatz ab : »So
oft in der heil. Schrift ein Punkt des natürlichen Gesetzes ge-
schrieben steht , ist derselbe noch eigentlicher in dem Buch der
Menschenseele geschrieben als in dem äusseren Buch von Perga-
380
Buch III. Kap. 5. II.
ment. Und falls irgend ein anscheinender Widerspruch stattfindet
zwischen den Worten, welche in dem äusseren Buch der heil.
Schrift geschrieben sind, und dem Urtheil der Vernunft, wie es in
des Menschen Seele und Herz geschrieben ist : so müssen die
äusserlich geschriebenen Worte nach dem Urtheil der Vernunft
ausgelegt und gedeutet und mit demselben in Uebereinstimmung
gebracht werden : nicht aber darf das Urtheil der Vernunft nach
der Bibel ausgelegt und gedeutet werden, so dass es in Ueberein-
stimmung mit der äusseren Schrift in der Bibel oder irgendwo
sonst ausser der Bibel in Uebereinstimmung gebracht wird.« Das
letztere ist nun der Grundsatz des Rationalismus vom reinsten
Wasser, so klar und unverhohlen ausgesprochen . dass es sich
lohnt, die Worte Pecocks im Original zu geben1 .
Pecock liebt es. seine Gedanken etwas breitspurig auszu-
führen, in mannigfaltigen Wendungen zu wiederholen . nament-
lich auch plastisch und je zuweilen drastisch einzukleiden. Dem-
gemäss lässt er auf die Erörterung in wissenschaftlicher Form
noch eine Verdeutlichung im Bilde folgen :
»Saget mir. guter Herr, und gebt Antwort darauf: Wenn
Leute vom Lande zur Sommersonnenwende nach London Baum-
zweige vom Bischofswald und Blumen vom Felde bringen , und
sie Bürgern von London ablassen , um ihre Häuser damit zu
schmücken : sollen dann Leute von London . welche diese Zweige
und Blumen bekommen , sagen und dafür halten, dieselben seien
aus den Fuhrwerken erwachsen, welche sie nach London gebracht
haben . und diese Fuhrwerke oder die Hände der Ueberbringer
1 Repressor, P. I. Kap. 5, Ausg. von Babington, I, 25 folg.: WKartne
euere and ichere euere in Holi Scripture Ott out of Holi Scripture he writen
eny point or eny gouemaunce of the seide latce of kinde , it is niore rer-
rili writen in the hook of mannt* soule than in the outward hook af par-
cheinyn or of velym. And if eny setnyng discorde he hitwixe the worais
writen in the outward hook of Holi Scripture and the down of resoun,
writen in tnannis soule a)id herte: the wordis so writen w ithoutforth
ouf/hten he expoton ed and he interpretid and hrouf/ht forto accorde
with the doom of resoun in thilk mater ; and the doom of resoun out/hte
not forto he expowned, r/losid, interpretid, and hrouf/hte for to accorde with
the seid outward uriting in Holi Scripture of the Bihle or oughwhei'e ellis
out of the liihle.
Pecock über Vernunft und Schrift.
381
seien Grund und Fundament jener Zweige und Blumen? Gott
verhüte, dass so wenig Witz in ihren Köpfen sei: Wahrlich wenn
Christas und seine Apostel jetzt in London lebten, und Zweite
vom Bischofswald und Blumen vom Felde nach London brächten
und den Leuten überlieferten, dass sie ihre Häuser damit auf-
putzen könnten zur Erinnerung- an St. Johannes den Täufer und
an die Weissagung, dass viele sich seiner Geburt freuen werden k) :
so dürften dennoch die Leute von London . welche diese Zweige
und Blumen erhielten, nicht sagen und denken, sie seien aus
Christi und der Apostel Händen gewachsen : denn Christus und
die Apostel würden ja hiemit nichts anderes thun. als was Andere
auch thun könnten. Sondern die Empfänger müssten glauben, die
Zweige seien aus den Aesten gewachsen , auf denen sie im Bi-
schofswalde gestanden sind, und die Aeste seien aus Stämmen
gewachsen, und die Stämme aus der Wurzel, und die Wurzel aus
dem sie umgebenden Erdboden: so dass weder das Fuhrwerk,
noch die Hände der Ueberbringer, noch diese Ueberbringer selbst
die Gründe oder Fundamente dieser Zweige sind. Und ebenso ist
das Feld die Grundlage jener Blumen, und nicht die Hände derer,
welche sie gesammelt haben, noch jene Ueberbringer. Und glei-
chermaassen verhält es sich mit den Gegenständen . Sätzen und
Wahrheiten des natürlichen Gesetzes, worin fast das ganze Gesetz
Gottes für Christen aufgeht, mit Ausnahme der Sakramente Chri-
sti : dasselbe das natürliche Sittengesetz liegt offen zu Tag. und
wächst auf seinem eigenthümlichen Grund und Boden . dem Feld
der Menschenseele ; da kommt eine Wahrheit aus einer andern,
und diese aus der dritten und so fort bis zu den Grundwahrheiten
in der Moralphilosophie, gerade so wie das Reis aus dem Zweige
wächst, der Zweig aus dem Ast. der Ast aus dem Stamm und der
Stamm aus der Wurzel. Und so stand es nahezu mit diesem gan-
1 Diese Festsitte vom Johannisfeiertag am 24. Juni ist in London un-
ter Heinrich VIII. abgestellt worden. In Oxford hat sie sich bis in die
vierziger Jahre unseres Jahrhunderts insofern erhalten , als der erste Hof
des von Johannitern gestifteten Mag dalen- College am Johannisfeiertage rings
mit grünen Zweigen umsteckt wurde ; Jahrhunderte lang wurde auf einer
alten steinernen Kanzel im Hofe an diesem Tage eine Predigt gehalten.
Knie well, Reiseskizzen, I, 293.
382
Buch III. Kap. 5, II.
zen Naturgesetz . ehe es irgend eine Schrift des A. oder des N.
Testamentes gab: und es wäre so gewesen, wenn alle diese
Schriften verbrannt wären. Demnach muss jeder Verständige
zugeben, dass keine von den Wahrheiten des Naturgesetzes in
der Bibel ihren Grund hat , sondern in dem Wald des natürlichen
Gesetzes , welchen Gott in des Menschen Seele pflanzt , wenn er
ihn zu seinem Bilde macht . Und aus diesem Walde von Wahr-
heiten können Wahrheiten und Sätze genommen und zu offener
Erkenntniss ihres Entdeckers und anderer Menschen gebracht
werden , wiewohl nicht ohne vieljähriges Bemühen und Studiren.
Und dazu dienen Kenner der Moralphilosophie, welche derzeit
Gottesgelehrte heissen, gerade wie Forstmänner und andere Leute
dazu dienen, Zweige herabzuhauen für sich selbst, und um sie
Bürgern von London zu überliefern zur Verschönerung ihrer
Häuser 1 .«
Pecock begnügt sich nicht mit dieser hinlänglich ausgemal-
ten Vergleichung. Er kleidet seinen Gedanken noch in ein zwei-
tes und drittes Bild ähnlicher Art, und zieht dann den Schluss :
»Da es sich so verhält, dass alle Wahrheiten des natürlichen Ge-
setzes, welche Christus und seine Apostel lehrten, vor ihrem Leh-
ren und Schreiben vorhanden gewesen sind und vorher geschrie-
ben waren in dem ehrwürdigsten inneren Buch des Urtheils der
Vernunft, welches alle äusseren Bücher übertrifft am Nutzen für
den Menschen um Gott zu dienen2): so folgt noth wendig, dass
keine von den besagten Wahrheiten begründet ist auf die Worte
oder Schriften Christi oder der Apostel , sondern in dem besagten
inneren kostbaren Buch und Schreiben , das in des Menschen
Seele liegt ; und aus dieser inneren Schrift können durch Bemü-
hung und Studium von Gelehrten mehr Sätze und Wahrheiten
und Ordnungen des natürlichen Sittengesetzes und des Gesetzes
über Gottes Dienst genommen werden , als die grosse St. Pauls-
kirche in London zu fassen vermöchte!"
Was die übrigen »Hauptsätze« oder Wahrheiten anbelangt,
1) Repressor, P. 1. Kap. G. S. 28 — 30.
2) a. a. O. I, 31 : Thilk soletnpnest inward book or intcarä writing of
resounis dootn passing alte outward bookis in praßte tu msn for to wstms God.
Pecock über Vernunft und Schrift.
welche Pecock unter Nr. 2 — 13 zum positiven Gegenbeweis
wider das Schriftprinzip der Lollarden aufstellt, so mag in aller
Kürzt' nur so viel davon hier bemerkt werden.
Die heil. Schrift ist von Gott dazu bestimmt, einem doppelten
Zwecke zu dienen :
1 Gla üben s Wahrheiten zu begründen, d. h. Wahrheiten
zu bezeugen, welche die Vernunft an und für sich, ohne göttliche
Offenbarung, zu entdecken und kennen zu lernen vollständig
ausser Stande ist. und das sind theils Wahrheiten, »wrelche keine
Gesetze sind . z. B. die Dreieinigkeit, die Menschwerdung Got-
tes, die Lehre von der Schöpfung, die Geschichte des Lebens
Jesu, die Lehre von der zukünftigen Auferstehung ; theils Wahr-
heiten, welche Gesetze sind. z. B. dass jeder getauft wer-
den, dass jeder das heil. Abendmahl empfangen solle1). Sofern
die Schritt solche Wahrheiten gründet, ist sie für den Christen
unentbehrlich.
2 Der andere Zweck, zu welchem die heil. Schrift von Gott
verordnet wurde . ist, sittliche Wahrheiten (nicht zu grün-
den, sondern zu bezeugen und vermahnend vorzutragen,
welche in dem natürlichen Sittengesetz moral luve of linde
gegründet sind, und welche die menschliche Vernunft für sich
allein finden und erkennen kann.
Pecock beschrankt jedoch die Vernunft nicht auf sittliche
Wahrheiten, behauptet vielmehr, dass sie auch gewisse Glau-
benswahrheiten ohne Hülfe der Offenbarung und der heiligen
Schrift rinden und erkennen könne, z. B. dass ein Gott ist, dass
er alle Kreaturen aus nichts gemacht hat; ferner, dass der
Mensch zu dem Zwecke geschaffen ist, mit Gott vereinigt zu
werden durch Erkenntniss, Liebe und Gehorsam u. s. w. Und
zu diesen Wahrheiten, meint er. könne die Vernunft gelangen
vermöge so einleuchtender Beweise, dass die so erlangte Er-
kenntniss ausreichend sei um den Willen des Menschen zu regie-
ren und zu bewegen zum innern Erwählen und äusseren Han-
deln in Gemässheit jener Erkenntniss. Solche Erkenntniss sei
allerdings nicht eine demonstrative . sondern nur eine wahr-
1 JRepressor, I. S. 35. 39. S3.
384
Buch III. Kap. 5. II.
scheinliche ; aber auch der auf die heil. Schrift sich stützende
Glaube besitze keine über die blosse Wahrscheinlichkeit hinaus-
gehende Stärke , um unser Leben und unsern Wandel vor Gott
zu regeln ') .
Vergleicht man die beiden Complexe von Wahrheiten, so ist
nach Pecock der Inbegriff sittlicher Wahrheiten, welche die
menschliche Vernunft selbst finden kann , weit umfassender und
reicher als der Inbegriff der nur durch Offenbarung und mit Hülfe
der heil. Schrift zugänglichen Wahrheiten. Ja er ist der Meinung,
dass sittliche Pflichten, z. ß. die der Mässigkeit, Demuth, Ge-
duld u. s. w., »im natürlichen Gesetz durch die Vernunft zehnfach
vollständiger gelehrt werden als in der Bibel2)«. Freilich hat er
dabei wissenschaftliche Erörterungen im Auge, »Bücher in der
Moralphilosophie«, wie er sie nennt, u. s. w. Diese hält er nicht
nur für nützlich, sondern auch geradezu für unentbehrlich. Aus
diesem Grunde räth er den »Personen von der Laienpartei«, Geist-
liche hochzuschätzen , welche in der Moralphilosophie tüchtig be-
wandert sind; und denjenigen, welche nicht im Falle sind die
persönliche Unterweisung solcher Männer zu gemessen, empfiehlt
er wiederholt, und nicht ohne ein bedeutendes Maass von Selbst-
bewusstsein, seine eigenen Werke, z. B. »Donat der Christenreli-
gion« und wie sie alle heissen.
Das Beste sei, meint Pecock, wenn man die heil. Schrift in-
nerhalb ihres Bereiches gelten lasse , so dass sie die Grenzen des
natürlichen Gesetzes nicht überschreite und dessen Recht nicht
beeinträchtige; andererseits aber müsse auch das natürliche Ge-
setz sich innerhalb seiner Grenzen halten und dürfe sich nicht
anmaassen etwas zu gründen , was der heil. Schrift zukommt,
sondern beide müssen freundnachbarlich bei einander wohnen :! .
Aber in dieser Beziehung, scheint es ihm. machen die »Bibel-
männer«. d. h. die Lollarden, einen grossen Fehler. Sie wollen
1 Represner, I, S. 41 folg.
2 lteprtssor , P. I. Kap. 7. 13(1. II. S. 34: Whiehe all* Inn tauyht in
tltc lawe of kinde bi doom of resoun tnore füllt thun thei bai rc/icrvid
in Holt Soriptut'6 bi tenfßld and more. Vgl. S. 14 iulg.
a. a. (). I, 70: thut euereither of hetn neig hb out ly dwellc biridis
thß otlier of lu-nt.
Pecock über das Schriftprinzip der »Bibelmänner«.
385
nicht einräumen, dass irgend eine Handlung und Ordnung Gottes
Gtetetz sei und zum Dienste Gottes gehöre, sie sei denn auf die
heil. Schrift gegründet, als ehrten sie Gott desto mehr,
je höher sie die heil. Schrift priesen; während Gott
unmöglich geehrt werden kann durch Unwahrheit. Wenn jemand
aus der heil. Schrift oder aus irgend einer Kreatur in Himmel und
Erde mehr macht, als der Wahrheit gemäss ist. so kann das Gott
nur misfallen. Falls jemand sich gegen Gott zu versündigen
fürchtet , wenn er sich aus der Bibel zu wenig macht, so frage
ich, warum fürchtet er sieh nicht davor, die innere Schrift
des natürlichen Gesetzes zu wenig zu schätzen, welche
Gott selbst in die Menschenseele geschrieben hat . als er sie zu
seinem Bilde machte 1 "
Pecock verwahrt sieh übrigens ausdrücklich gegen die Vor-
aussetzung, als ob er es für unerlaubt hielte, dass Laien in der
Bibel lesen, studiren und lernen unter Beihülfe und mit
dem Rathe weiser und gelehrter Geistlichen und mit
Genehmigung ihres Vorgesetzten, des Bischofs; sondern
seine Absicht sei blos, den Dünkel derjenigen Laien zu rügen und
zu dämpfen, welche wähnen, dass sie durch ihr fleissiges Bibel-
lesen allein zur grössten Einsicht gelangen könnten 2 .
Bisher haben wir den ersten Grundsatz der »Bibelmänner«,
welchen Pecock theils direkt theils indirekt bekämpft, mit an-
dern Worten das Schriftprinzip derselben in's Auge gefasst.
Der zweite Grundsatz, wie ihn Pecock fasst, bezieht
sich auf die Erfordernisse des richtigen Schriftverständ-
nisses. Die Meinung der Lollarden ist nämlich: jeder Christ,
welcher demüthig im Geist ernstlichen Willens ist, die heil.
Schrift gebührend zu verstehen, werde den wahren Sinn der
Schrift ohne Fehl und Mangel finden , wo er auch lesen und stu-
diren möge , selbst in der Offenbarung Johannis ; und je demü-
thiger er sei , desto eher werde er zu dem wahren und richtigen
Verständniss dessen gelangen, was er in der Bibel lese. — Es ist
hiebei besonders zu beachten, dass die Lollarden ausdrücklich
1) Repressor, I, S. 51 folg.
Z) a. a. O. I, S. KT.
Lechlee, Wiclif. II. 25
Buch III. Kap. 5. II.
auch auf Frauen diesen Grundsatz ausdehnten. Wir sehen die
Tragweite des »allgemeinen Priesterthums«, welchem sie, ohne
es so zu nennen , huldigten 1 j . Als S ehr i f t b e w ei s für diesen
Grundsatz beriefen sie sich auf Bibelworte wie Jesa. Öt>. 2: »Wen
anders soll ich ansehen, als einen kleinen armen Mann, gebrochen
im Herzen und zitternd bei meinen Worten /« laut der altengli-
schen Uebersetzung ) ; ferner Jak. 4,6: »Gott widerstehet den
Hoffärtigen, aber den Demuthigen gibt er Gnade«: Jesaia 57, 15:
»Dass Gott der ewiglich wohnet , bei einem demüthigen und zer-
knirschten Geiste wohnet , auf dass er erquicke den Geist demü-
thiger Menschen und das Herz zerknirschter Menschen2).«
Dieser Grundsatz ist insofern überaus charakteristisch, als er
ganz auf die Ethik Wiclif 's sich gründet; derselbe erkennt den
Hochmuth für die Ursünde, und die Demiith für die Grundtugend,
die Wurzel aller übrigen Tugenden, ja für die Wurzel christlicher
Frömmigkeit: je demüthiger einer ist, desto näher ist er, nach
Wiclif, bei Christo selbst3). Wenn demnach die Lollarden in
Pecock's Zeit Demuth für das Haupterforderniss richtigen
Schriftverständnisses ansahen, 'so sind sie im allgemeinen Wi-
clif's Grundgedanken treu geblieben. Aber Wiclif hat auch
im besonderen gerade für die Auslegung der Schrift demüthige
Gesinnung gefordert 4) .
Pecock hat für diesen Gedanken kein Organ. Er hat ver-
schiedene Einreden gegen denselben; die gewichtigste ist aber
jedenfalls die: Schriftauslegung sei eine Verstandessache, gut
und heilig zu sein aber sei eine Sache des Willens und der Gesin-
nung; der sittlich fehlerhafte Mensch könne einen helleren Ver-
stand und ein richtigeres Schriftverständniss haben als der tugend-
I In einer späteren Stelle, Kap. 20 des I. Theils, Bd. I. S. er-
wähnt Pecock uisdrücklich , dass namentlich die Frauen der Lollarden
sich durch die Bibel so weise machen, dass sie keine Handlung als tugend-
haft anerkennen , die sie nicht ausdrücklich in der Bibel rinden ; er meint .
»sie führen eine sehr hochmüthige Sprache in Betreff der Geistlichen, und
rühmen sich, wenn sie in ihrer muthwilligen Laune und in ihren eigenen
Häusern sind/ zu disputiren gegen Geistliche.«
2) Mepreaaor, I, S. 0 folg.
.5 s. Buch II. Kap. 7. VIII.
4) nSenaua auctoris hum i Itter indurjanihm«, oben Buch II. Kap. 7. III.
Das Wiclif sehe Schriftprinzip der Lollarden nach Pecock. 387
hatte Mann 1 . Um hier den »dritten Grundsatz« als von gerin-
gerem Belang zu übergehen, fügen wir sofort den »vierten bei.
welchen Pecock nachträglich erwähnt ; denn dieser steht im innig-
sten Zusammenhang mit dem »zweiten« ; er lautet so : Wenn jemand
nicht nur demüthig ist. sundern auch das ganze »Gesetz Gottes«,
so weit es ihn angeht, erfüllt, so werde er das wahre Verständ-
niss der heil Schrift erlangen, obgleich ihn niemand lehrt
ausser Gott; hingegen diejenigen Menschen, welche nicht treu
nach Gottes Gesetz wandeln, werden nicht zu dem wahren Ver-
ständniss der heil. Schrift gelangen, wenn sie auch alle ihre na-
türliche Kraft und Fleiss daran wenden , nebst der Beihülfe und
dem Rath anderer Personen ihres gleichen. Nun aber leben, wie
es ihnen scheint, die Bischöfe und Archidiakonen, Doctoren und
andere Geistliche sämmtlich ausserhalb »Gottes Gesetz«: deshalb
glauben sie. dass kein Bisehof, Doctor u. s. w. das wahre und
gebührende Schriftverständniss erlange; darum wTollen sie auch
keinem Bischof und sonstigen Geistlichen Glauben schenken;
sondern sie schenken nur derjenigen Lehre Glauben, w elche sie
unter sich selbst finden durch Studiren in der Bibel allein. Denn
von sich selbst allein glauben sie , dass sie sich in einem wah-
ren gläubigen Leben in Gemässheit des Gesetzes Gottes be-
linden- .
Wenn Bischof Pecock gerade diese Ansicht für »höchst ge-
fahrlich und der Widerlegung bedürftig« hält 3 , so kann uns das
freilich nicht Wunder nehmen. Er glaubt sie jedoch leicht wider-
legen zu können, indem er gegen sie aufführt »die grösste Ge-
wissheit, welche in unserem Wissen möglich ist, nämlich die
Erfahrung«; es sei Thatsache der Erfahrung, und er selbst,
der Bischof, habe durch sorgfältiges Nachforschen die vollkom-
mene Gewissheit davon erlangt, dass unter denjenigen, welche
diese »vierte Ansicht haben . einige sich finden , welche unter
ihnen selbst und anderen Nachbarn als ausschweifende Leute,
als Diebe bekannt sind. Ja gerade solche, welche unter ihnen in
1) Repressor, I, IS. 92 folg., bes. 94.
2 a. a. O. I, S. 102 folg.
3) a. a. Ü. I, S. S. Kap. Anfang, I. S. 102.
388
Buch III. Kap. 5. II.
recht grossem Ansehen stehen im Lehren . waren solche und sind
solche, wie Pecock zweifellos zu erweisen sich getraue1).
Nachdem Pecock im I. Theil die Prinzipien erörtert hat.
geht er in den übrigen 4 Theilen auf die Rechtfertigung mehre-
rer Hauptstücke des kirchlichen Wesens ein, welche von den Lol-
larden seiner Zeit beanstandet wurden. Nach dem ursprünglichen
Plan2) beabsichtigte er 11 Punkte zur Sprache zu bringen: 1 den
Gebrauch von Bildern in Kirchen , 2) die Wallfahrten . 3 den
Grundbesitz des Klerus. 4 die Stufen der Hierarchie nebst dem
Primat Petri und des Papstes , 5) die kirchliche Gesetzgebung,
welche vom Papst und Episkopat ausgeht , fr) die Mönchsorden.
T die Verdienste der Heiligen und ihre Anrufung . 8 den kost-
baren Schmuck der Kirchen. 9 die Anbetung der Hostie. 10 den
Eid. 1 1 die Todesstrafe und die Kreuzzüge.
In der Ausführung hat jedoch der Verfasser die ö letzten
Punkte nicht erörtert, sie vielmehr sämmtlich in einem Kapitel,
dem 15ten des V. Theils. abgethan. unter Verweisung auf andere
seiner Schriften. Er hat offenbar gefühlt, die Erörterung der
6 ersten Punkte sei schon allzu breit gerathen. und das Buch
könnte »den meisten vom gemeinen Volke zu theuer werden 1
Ueberscliauen wir jedoch nach dem ersten Plan die 1 1 Punkte,
so springt in die Augen , dass sie sicli sämmtlich auf Fragen des
Kultus oder der Verfassung und des kirchlichen Rechts beziehen,
nämlich 1 und 2. 7 — 9 auf den Kultus, 3 — Ö . Ii) und 11 auf
Kirchenverfassung und Recht. Kein einziger dieser Punkte ist
lediglich Sache des Dogma : nur zwei greifen wenigstens mit in
die Glaubenslehre ein, Nr. 7, sofern es sich um das Verdienst
der Heiligen . Nr. 9. sofern es sich um die zu Grunde liegende
Abendmahlslehre handelt. Aus der kurzen Erörterung dieses Ge-
genstandes, und der Abneigung jener Partei gegen die Messe4'
ist leicht abzunehmen, dass die Opposition Wiclifs gegen die
Lehre von der Wandlung um die Mitte des XV. Jahrhunderts
noch keineswegs ausgestorben war.
1; Repressor, I. S. 103.
2) a. a. O. Vorwort I. S. 4. Kap. S. 110 folg.
3) a. a. O. II, 5G2.
4) a. a. O. II, 5ü:j.
Die Lollarden über Bild und Schrift.
389
Es wird wenigstens einige nicht zu verachtende Ausbeute
geben, wenn wir von den im II — Vten Tlieile folgenden Erörte-
rungen Kenntniss nehmen. Denn Pecock hat die Lollarden.
ihre Ansichten und Gedanken dermaassen, ich möchte sagen,
studirt. dass er zu unserer Kenntniss derselben manchen dan-
kenswerthen Beitrag zu geben vermochte.
Im II. Buch werden die zwei ersten Punkte besprochen,
nämlich Bilder und Wallfahrten; und da man gerade zu
berühmt gewordenen Bildern pilgerte , so steht beides in solchem
inneren Zusammenhang, dass auch bei Pecock öfters beide Kul-
tusfragen in einander fliessen. Da uns hier die Lollarden selbst
direkt interessiren und Pecock' s Ansichten nur indirekt, so
übergehen wir zunächst die ausführliche positive Rechtfertigung
des Gebrauchs der Bilder , welche der Verfasser in erster Linie
versucht 1 . und wenden uns zu den Gründen und Einwendungen
der Lollarden gegen Bilder , die der Bischof der Reihe nach auf-
führt und beantwortet. Unter diesen befinden sich mehrere, die
allerdings von Belang sind.
Jene »Laien« machten geltend, Bilder und Pilgerfahrten seien
durchaus nicht nothwendig, um, wie deren Vertheidiger beton-
ten, das Volk an die Wohlthat Christi und seine Passion, an den
frommen Wandel der Heiligen zu erinnern ; es gebe, meinten sie,
geeignetere Mittel , solche Dinge in Erinnerung zu bringen , na-
mentlich Schriften. Und wenn man ihnen erwiederte, Bilder seien
gerade die »Bücher der Ungelehrten«, weil nun einmal doch nicht
alle Männer und Weiber lesen können , was in Büchern geschrie-
ben ist: so gaben die Lollarden zur Antwort, man sollte ver-
ordnen, dass alle Männer und Weiber in ihrer Jugend
lernen sollten, Geschriebenes in ihrer Mutter spräche
zu lesen; dann würde nicht blos besagtes Gute der
Erinnerung daraus entspringen, sondern zugleich
auch manches andere Gute2). -Der gelehrte Bischof be-
1 Repressor, II. Kap. 2 - S. Band I. S. 136 — 190.
2 a. a. O. I. S. 192: It myghte be ordeyned that alle nien and
wommeti in her jongthe schulden leeme forto rede writingis in the
langage in which thei schulden lyue and dweJle; and thanne therbi schulde
390
Buch III. Kap. 5. II.
merkt hiezu nicht ohne einiges Kopfschütteln . sie machen sich in
Folge dessen nicht viel ans jener Erwiederung.
Aber wir können nicht anders als jenen Gedanken der engli-
schen Lollarden in der Mitte des XV. Jahrhunderts mit Verwun-
derung begriissen. Wir sehen darin die erste Idee obligatorischen
Leseunterrichts . mit andern Worten . die Forderung der Volks-
schule, und zwar mit Schulzwang, aufdämmern. Offenbar hat ihr
eigener Drang nach biblischer Erkenntniss und die Befriedigung,
welche ihnen selbst das Bibellesen gewährte . sie auf den Gedan-
ken geführt, diese Wohlthat und die Fähigkeit sich seil ist zu
unterrichten, könnte und — sollte billig allen — Männern und
Frauen — zugänglich gemacht werden. Wir constatiren die
Thatsache. dass der für die Geschichte des Unterrichts , ja für
die Kulturgeschichte überhaupt belangreiche Gedanke eines obli-
gatorischen Leseunterrichts für die Jugend beiderlei Geschlechts
zuerst bei den englischen Lollarden erwacht ist. und zwar im in-
nigsten Zusammenhang mit ihrer kirchlichen Opposition . insbe-
sondere mit ihrem Bibelleben.
Ferner erinnerten sie : wenn Bischöfe . Priester und Geist-
liche . welche durch die Laien dazu mit Gütern bedacht worden
sind, den Laien so oft und so viel predigen wollten, als sie von
Amts wegen schuldig sind , so würden die Laien an diejenigen
(Tegenstände . welche durch Bilder und Pilgerfahrten in Erinne-
rung gebracht werden sollen, so hinlänglich erinnert werden, dass
sie Bilder und Wallfahrten gar nicht mehr nöthig hätten. Des-
wegen ist es nicht vernünftig und passend, dass die Nachlässig-
keit der so wohl besoldeten Bischöfe . Priester und Kleriker ge-
duldet wird und fortdauert, wodurch den Laien Mühe und Kosten
gemacht werden mit Pilgerreisen u. s. w. .
Ein anderer Einwand, den die Lollarden gegen Bilder erho-
ben war der: jeder lebende Mensch sei ein besseres und vollkom-
meneres Bild Christi und jedes Heiligen, als ein todter Stock und
Stein, vom Bildhauer bearbeitet und mit Gold und Gemälden ge-
schmückt l) .
rome forth not oonli tJtis seid goml of rememhrauncing. hu* tut/du' o/hir ffood
ii /so ther teith.
1 Itrpressor, Bd. 1, 192 folg.
Die Lollarden über Bilder und Wallfahrten.
391
Ausserdem verfehlten sie nieht auf Schriftworte sich zu be-
rufen, wie Joh. 4. 24 von den wahren Anbetern, die den Vater
im Geist und in der Wahrheit anbeten u. s. w. : sie erinnerten,
dass Bilderdienst zu Götzendienst führe ; denn wenn man andäch-
tig zu einem Gegenstand bete . so mache man daraus einen Gott,
und solche Gebete werden sowohl von Geistlichen als vom Volke
an das Kreuz gerichtet in wirklich üblichen und sanetionirten
Gebeten und Hymnen, z. B. :
O crux, ace spes uitica!
Hoc passionis tempore
pÜ8 adauge yratiatn
rcisque dele crimina !
Am Charfreitag sei es gewöhnlich, dass die Leute in demüthigster
Geberde zum Kreuze kriechen auf den Knien, und dem Kreuz
andächtig opfern, und die Füsse des Kreuzes küssen: offenbar
nehmen sie dag Kreuz für ihren theuersten Herrn selbst1 .
Es ist kein Zweifel, die Lollarden der damaligen Zeit ver-
warfen den Gebrauch von Bildern in Kirchen unbedingt und
mit vollkommener Entschiedenheit. Sie gingen in diesem Stücke
über Wiclif hinaus , der nur gegen den Misbrauch der Bilder,
nicht gegen jeden Cfebrauch derselben gewesen war und nur ein-
geschärft hatte . man müsse sich vor dem unter dem Honig ver-
borgenen Grift in Acht nehmen, d. h. vor abgöttischer Verehrung
des Bildes selbst anstatt des Abgebildeten 2 .
Wie Pecpck sich zu der Bilderfrage stellt, sei nur kurz
erwähnt. Er ist weit entfernt die kostbare Ausschmückung der
Bilder, die ihnen dargebrachten Opfer, die Erweisung göttlicher
Ehre in Schutz zu nehmen. Er räumt sogar ein. dass Bilder,
wenn sie unvermeidlich zum Götzendienst gebraucht werden . ja
wenn auch nur mehr Böses als Gutes aus ihrem Gebrauch her-
vorgeht, zerbrochen werden dürfen. Allein heut zu Tage liege
die Gefahr . das Bild als Gott anzusehen und zu verehren . nicht
so nahe : das thue doch niemand mehr . wenn er die Kindheit
hinter sich hat und nicht ein wirklicher Narr ist. Ferner erinnert
1 Repressor, I. 207.
2 s. oben Buch II. Kap. T. X.
392
Buch III. Kap. 5. II.
er. Hören und Lesen seien zwar nützlich . aber die Anschauung
von Bildern wirke doch lebendiger . anregender una eindrucks-
voller als das Lesen vieler Bände. Wenn in London 10.000 Bü-
cher mehr über Leben und Passion der heil. Katharina wären,
als bereits dort sind, so würden sie die Stadt doch nicht in dem
Grade an das heilige Leben der Katharina und ihre jetzige Herr-
lichkeit erinnern, als die jährliche Wallfahrt des Volks zu dem
Collegium der heiligen Katharina bei London an der Vigilie des
St. Katharinentages 24. Nov. 1 .
Auch über die Wallfahrten hatte Wiclif selbst mit
maasshaltender Vorsicht sich ausgesprochen. Er hat sie nicht an
sich und unbedingt gemisbilligt. aber auch nicht positiv gebilligt,
indem er der Ansicht war, diejenigen, welche einen solchen Got-
tesdienst verrichten, •könnten sich in der Zeit, die sie darauf ver-
wenden, besser beschäftigen, begehen also mindestens eine Un-
terlassungssünde2 . Die Lollarden in Pecocks Zeit eigneten
sich Wiclif s Gedanken insoweit an. als sie gleichfalls geltend
machten , man könnte wohl etwas besseres thun als Wallfahrten
unternehmen: in der Zeit, die man darauf verwende, und mit den
Kosten, die man daran rücke, könnte man viel thun. was ein bes-
serer Gottesdienst wäre, nämlich arme Leute besuchen, Unweise
lehren . in Andachtsbüchern und andern Büchern geistlicher Un-
terweisung fleissig studiren. Es sei also ein übler Tausch . wenn
man so viele Mühe und Kosten an Bilder und Wallfahrten
wende 3j . Im übrigen scheinen diese Lollarden sich unbedingt und
entschieden gegen Pilgerfahrten ausgesprochen zu haben. Dem-
nach sind sie auch in Betreff der Wallfahrten, wie der Bilder,
über Wiclif selbst hinausgegangen.
Uebrigens ist Pecock besonnen genug, um seine Recht-
fertigung der Bilder und Pilgerfahrten mit der allgemeinen Be-
merkung zu schliessen : der Gebrauch solcher sichtbaren Zeiehen
sei zwar gut und nützlich, wenn er mit Andacht und mit
Verständniss dessen, was die Zeichen bedeuten, verbunden
1) Repressor, I. S. 215.
2 s. oben Buch II. Kap. 7. X.
.1 Repressor, I. S. 195.
Die Lollarden über das Kirchengut.
393
ist. zumal für Leute, welche Gottes Wort nicht lesen oder die Pre-
digt nicht hören können : dessen ungeachtet wünschte er nicht, dass
man solche sichtbare Zeichen immer suche: denn man würde
dann eine bessere Uebung versäumen und eine Zeit verschwen-
den . welche man besser zum Hören oder Lesen von Gottes Wort
anwenden würde. »Denn wie die Sonne an Helle. Heiterkeit nnd
Wohlthun den Mond, und eine grosse Fackel ein kleines Kerzen-
licht übertrifft, so übertrifft das Lesen und Hören des Wortes
Gottes, d. h. die Beschäftigung mit hörbaren Zeichen, die
uns Gott gegeben hat. an Klarheit der Unterweisimg, an Hei-
terkeit der Ergötzung daran . und im Wohlthun zur Stärke im
Thun und Leiden für Gott beim Halten seines Gesetzes, jede
mögliche Uebung in Betreff sichtbarer Zeichen, welche von
Menschen erfunden sind1 «. Eine Erklärung, bei welcher
die Lollarden immerhin Beruhigung fassen konnten , da hiemit
anerkannt war. dass die Bilder im Kultus lediglich von Men-
schen erfunden seien, während die Bibel Gottes Geschenk und
Gabe sei , mit andern Worten . dass eben doch Gottes Wort über
alles gehe.
Der dritte Punkt, welchen Pecock beleuchtet und in
Schutz nimmt, ist das Kirchengut. Diesem ist das ganze
IH. Buch I. 275 — II, 415 gewidmet. Wir erfahren, dass die
Lollarden gegen alles Kirchengut , gross oder klein , sich erklär-
ten, indem sie unter anderem geltend machten:
1) Die Frucht der reichen Ausstattung der Kirche sei Stolz,
l eppigkeit. Simonie und andere Sünden: also sei der Baum
nichts nütze, denn »wie die Frucht, so der Baum«.
2) Christus hat die Kirche weder selbst mit Gütern ausge-
stattet noch solches für die Zukunft befohlen : also ist das Kir-
chengut nicht zuträglich der Geistlichkeit oder dem andern Theil
der Kirche.
3) Als Constantin der Grosse den Papst Silvester, der ihn
getauft hatte . mit reichen Ländereien ausstattete, habe man die
Stimme eines Engels in der Luft gehört : »Heute ist Gift ausge-
1) Kepressor, I. S. 273 folg.
Buch III. Kap. 5. II.
gössen worden in die Kirche Gottes« , also sei Ausstattung des
Klerus mit unbeweglichen Gütern unrecht und übel.
Das sind allerdings acht wiclifi tische Gedanken und
Gesinnungen. Auf Pecock's Widerlegung dieser Gründe des
näheren einzugehen, ist nicht dieses Orts. Nur einige wenige
Punkte dürften hier der Erwähnung werth erscheinen.
Erstlich, dass Pecock, anlangend obigen dritten Punkt bei
ihm Punkt 4 , eine ausführliche Widerlegung der Sage des Mit-
telalters versucht, als ob Constantin der Grosse die römische
Kirche mit liegenden Gütern ausgestattet habe 1 . Er führt aus
Eusebius und anderen Quellen den Beweis , dass Constantin we-
der von Silvester, noch in Pom , sondern von Bischof Eusebius in
Nikomedien getauft worden sei : und damit hange die angebliche
Ausstattung pragmatisch zusammen. Er zeigt, dass erst die frän-
kischen Herrscher im VIII. Jahrhundert, Pipin und Karl der
Grosse , und später die Markgräfin Mathilde den Grund gelegt
haben zu dem grossen Landbesitz der Päpste2^ u. s. w. Kurz,
Pecock emancipirt sich durch historische Kritik von einer der
Papstfabeln des Mittelalters3)«, an welche Wiclif noch ganz
naiv geglaubt hatte. Und ich linde keine Spur davon, dass Pe-
cock die fast ein Jahrzehent ältere Untersuchung von Laurentius
Valla, De ementifa Constantini donatione aus dem Jahr 1440,
gekannt hätte. Er scheint vielmehr ganz unabhängig von diesem
auf dasselbe Ergebniss gekommen zu sein 4) .
Zum andern glauben wir nicht unerwähnt lassen zu sollen,
was Pecock gegenüber der von Wiclif selbst nachdrücklich
und wiederholt geltend gemachten . und von den späteren Lollar-
den getheilten Ansicht , die Seelsorger bedürften keiner liegenden
Güter, sondern sollten nur auf freiwillige Gaben der Gemeinden
1) Das 12te und das ISte Kapitel des III. Theils, in Babington s Aus-
gabe Bd. II, 3&Ö — :*W>- i«t dieser Untersuchung gewidmet.
21 RepresHor, II, 3q9. 363.
:{ Vgl. DoELLINGER , die Papstfabeln des Mittelalters, 2. Aufl. 1863.
S. Iii ff.
I Babington ist , wie ich sehe Tntred. XXX. Anm. I , derselben
Ansicht.
Die Lollarden über Kirchengüter und Kenten.
angewiesen sein, erinnert. Er macht die gewiss nicht unbegrün-
dete Bemerkung: »Wie sollte jemand so kühn sein, einen Beruf,
der ihn nährt, zu verlassen und ein Seelsorger für andere zu wer-
den, es sei denn, er hätte ein förmliches Recht daranf, seinen Le-
bensunterhalt von seinen Pfarrkindern zu erhalten, so dass er
nicht von ihrem guten Willen abhängt. Wäre er Mos von ihrem
Witz und Willen abhängig, so würde die Mehrzahl von ihnen ge-
wiss öfter als sie sollten ans Schwäche ihm böse werden wegen
seiner Rügen und Zurechtweisungen : und dann würden sie gerade
einem gewissenhaften und treuen Pfarrer ihre Opfer, Zehenten und
Zahlungen vorenthalten . falls dieselben ganz und gar auf Frei-
willigkeit gestellt wären 1 .
Bin dritter Punkt besteht darin, dass laut Pecock's Bericht
einige v<»n der wie Ii fi tischen Partei zwar den Grundsatz ein-
räumen, dass Priester und andere Kleriker , ohne mit Schrift und
Vernunft in Conflikt zu kommen, mit liegenden Gütern ausgestat-
tet werden dürften, damit sie ihr geistliches Amt desto besser
versehen könnten: aber sie beharren dann um so mehr auf der
Ansieht, dass diese Güter solchen Bischöfen. Priestern und
Klerikern, welche dieselben mißbrauchen, mit Fug und Recht
entzogen werden dürften, so dass sie »depossedirt« unpossessyd
würden und doch in ihren Aemtern blieben. Ferner fand auch
die Meinung Vertreter: wenn ein Bischof. Priester oder Kleriker
seines Amtes nicht gehörig warte gegenüber dem Volk, über das
er gesetzt sei . so könne dieses Volk mit Fug und Recht die Ze-
henten und Opfer, Reuten und sonstige Zahlungen vorenthalten,
mit denen besagte Kleriker für sieh und ihre Nachfolger ausge-
stattet seien - .
Dieser Theil der Lollarden gab also das Prinzip zu . dass
Ausstattung von Kirchenämtern mit liegenden Gütern an sieh
berechtigt sei. hielt aber zeitweilige Entziehung sei's der Kir-
chengüter selbst . sei's gewisser Einkünfte des Amtes für berech-
tigt im Falle des Misbrauehs der Kirchengüter oder mangelhafter
Pflichterfüllung von iSeiten der Amtsinhaber: in diesen Fällen
V
1 Repressor, II, 391 feig.
2 a. a. O. II. 386 folg
396
Buch III. Kap. 5. II
war die Meinung" . wie es scheint, dass nur der schuldige Mann
für seine Person durch jene Maassregel gestraft werden sollte.
Dass Pecock auch diese Modifikation und Einschränkung des
viel weiter gehenden ersten Grundsatzes mit Eifer bekämpft, lässt
sich zum voraus erwarten. Gegen den Schluss des III. Theils
erwähnt er noch, dass »ein Gelehrter« in Wahrheit ein Häretiker
die erstere Meinung l) dahin ermässigt . dass er sagt . wenn die
Geistlichkeit regelmässig und habituell ihre Ausstattung mit lie-
genden Gründen misbraucht. könne und solle dieselbe recht-
mässiuerweise dieser Ausstattung beraubt werden durch die
weltlichen Herren, sonst aber nicht 2 !
Es kann kaum ein Zweifel darüber aufkommen . dass der
Mann, welchen Pecock meint, Wiclif selber ist. wie dies auch
der Herausgeber des Repressor in der Anmerkung zu dieser Stelle
kategorisch behauptet. Auffallend ist hiebei nur, dass der Bi-
schof seinen Namen nicht nennt, wiewohl er in einer Stelle des
V. Theils wenigstens ein »Buch von Wiclif« nennt3 .
Der vierte Gegenstand, welchen Pecock in der ersten
Hälfte des IV. Theils, Kap. 1 — 5) 4 erörtert, ist die Hierarchie
mit ihrer ganzen Stufenleiter bis hinauf zum päpstlichen Primat.
Er beschreibt dieselbe in der Kürze und referirt dann thatsäch-
lich : »Diese ganze Einrichtung und Verfassung des Klerus halten
und erklären einige von den Laien für nichtig und vom Teufel
und Antichrist eingeführt, so dass sie haben wollen, alle Priester
sollen auf einer und derselben Stufe sein und keiner von ihnen
solle über dem anderen stehen. Sie wollen, dass unter den
Western Diakonen sein sollen, aber sonst keine Ordnungen.
Stände oder Grade mehr im Klerus überhaupt. Und weil die
vorhin erwähnten Stände und Grade über den Priestern sind,
so verleumden und schelten sie die Geistlichkeit, heissen den
Papst Antichrist und alle unter ihm stehenden Stände über den
1 welche Repressor, II, S. 3S<> erwähnt ist.
2 Rcpressor, II, 413.
'S a. a. O. II, 501 : M it is open in the book of Wiclijf and of othere
htwg of Jus sect.
1 *a. a. 0. II, 416 — 452.
Die Lollarden über das Mönchthum.
397
Priestern Glieder des Antichrists ri.« Eine Anschauung, die wir
bei Wielif selbst vollständig so gefunden haben, die Bich somit
Iiis auf die Zeit Pecocks. nahezu 7<> Jahre nach Wielif s
Tode, bei seiner Partei unverändert fortgeerbt hat. Was Pecock
dagegen erinnert, insbesondere auch, was er für den Primat des
römischen Bisehofs geltend macht, lassen wir billig bei Seite.
Einen fünften Punkt bespricht er in der zweiten Hälfte des
IV. Theils. Kap. b' — 9 2 \ nämlich die kirchliche Gesetzge-
bung durch Papst und Episkopat a) . Die Lollarden erinnerten
nämlieh. das seien eben Menschensatzungen, und Gott tadle und
verwerfe in der heiligen Schrift N. Testaments ausnahmslos alle
Menschensatzungen : aus diesen komme auch nichts gutes, wohl
aber viel Sünde und Schade: überdies seien einige unter jenen
kirchliehen Satzungen und Verordnungen geradezu wider Gottes
Gesetz und Befehl4 .
Der seeliste Gegenstand, welchen Pecock gegen die wi-
elif irische Opposition in Schutz nimmt, zugleich der letzte , den
er im V. Theil, Kap. 1 — 15 noch ausführlich behandelt, ist das
Mönch thum. Er erwähnt mit aller Aufrichtigkeit. das< einige
unter den Laien« die Mönchsorden tadeln wegen ihrer Verschie-
denheit und Neuheit, aber auch den Vorwurf erheben, dass
sie einige Satzungen und Ordnungen haben, welche der Liebe,
und somit dem Gesetze Gottes zuwider seien ; ferner schreiben
sie die Stiftung und Erhaltung aller solchen religiösen Orden dem
bösen Feind und dem Antichrist zu . nennen sie ein Teufelswerk
u. s. w. 5 . Er gibt uns zugleich in ausführlicher Weise Rechen-
schaft von allen den Gründen, aus der Schrift und Vernunft,
selbst aus den Weissagungen der heiligen Hildegard von Bingen
1 Repressor, II, S. 416 folg.
2 a. a. O. II. S. 452 — 475.
'.S Diesen ganzen Punkt hat sowohl Lewis, %ife of Pecock, Oxf. 1 S2ü.
S. S3 folg. 95 folg., als der Verfasser des gegenwärtigen Werkes in »Wiclif
und die Lollarden«, Zeitschrift für hist. Theol. 1S54. 214 folg. übersehen,,
was erklärlich und entschuldbar ist, weil der Repressor damals noch nicht
im Druck erschienen war.
4) Repressor, II, S. 46.*i folg., vgl. 452.
5^ a. a. 0. V, Kap 1 ; Band II. S. 47b.
39S
Buch III. Kap. 5. II.
geschöpft, welche von den Lollarden gegen die Klöster und Orden
geltend gemacht wurden' . Seine Erwiederungen zur Rechtfer-
tigung des Mönchthums in seinen mannigfaltigen Gestalten; ins-
besondere auch der Bettelmönche, sind hier nicht von Belang. Nur
so viel mag Erwähnung linden, dass der bischöfliche Apologet un-
befangen genug ist zuzugeben, dass durch das Bestehen einer so
grossen Menge von Mönchsorden einiger Schaden und Nachtheil
entstehe, doch meint er, in keinem Falle so viel, als die Beseiti-
gung derselben Schaden stiften würde. Er stellt auch nicht in
Abrede, dass in jedem Mönchsorden, abgesehen von den drei
Grundgelübden. Keuschheit. Armuth und Gehorsam . die vorge-
schriebenen Beschäftigungen . Beten. Gottesdienst und beschau-
liches Leben . aber auch Studiren und Lernen bedeutender Ver-
besserungen fähig seien : daraus folge aber nicht, dass die Orden
selbst durchaus verkehrt und unfruchtbar seien 2 . Zur Rechtfer-
tigung derselben im allgemeinen entwickelt er mit Rücksicht auf
sein eigenes Vaterland und Zeitalter folgenden Gedanken : Man
nehme alle die Mönche aus Engkmd weg, welche gegenwärtig
da sind und in Klöstern gewesen sind in England während der
letzten mehr als 30 Jahre, wo beständig grosser Krieg fortdauerte
zwischen England und Frankreich, und lasse dann sehen, was
aus den Leuten geworden wäre in diesen Jahren, wenn sie nicht
ins Kloster gegangen wären. Lnssr sehen . wie sie gelebt haben
würden und was für Männer sie gewesen sein würden: ob sie
nicht geworden wären . wie fast alle anderen Männer in diesen
:'>4 Wintern in England gewesen sind: sie würden entweder be-
trügerische Gewerbsleute, oder unbarmherzige Processmänner und
meineidige Geschworene geworden sein, oder Soldaten, gedungen
nach Prankreich, viel Blut zu vergiessen. ja Seelenmord zu be-
gehen auf ihrer eigenen und auf französischer Seite. — Dagegen
kann niemand finden, das< diese Personen, ><> lauge sie im Klo-
ster lebten, s<> viel Sünden, wie eben aufgezählt, und deren sie
sich sonst schuldig gemacht haben würden , begangen haben.
1, JRejiressor II, 477 folg. die Schrift gründe, 502 folg, die Vernunft grün de,
483 folg. die Berufung auf Hildegard.
2 a. a. (). II. 123 folg. :>:<:> folg.
Pecock s Donat.
399
Daraus folgt aber noth wendig, dass die Mönchsorden in England
höchst ansehnliche und nützliche Hecken und Wehre gewesen
sind diese 34 Jahre laug, um so viele Personen einzuschliessen.
zu bewahren . einzuhegen und zu warnen vor so viel grösseren
Sünden, in welche sie würden verfallen sein, wenn diese Mönchs-
orden nicht gewesen wären 1 .
III.
Pecock hat sich jedoch nicht ausschliesslich in seinem Buch
. The Repvessor mit der wiclifitischen Partei beschäftigt, sondern
nachher noch andere Schriften, gleichfalls in englischer Sprache
verfasst. welche Volksschriften sein sollten, und mehr oder min-
der direkt zur Verständigung der Laien, beziehungsweise zu ihrer
Versöhnung mit der römisch-katholischen Kirche, ihrer Geistlich-
keit und ihren Ordnungen, zu dienen bestimmt waren 2) .
So in einem gewissen Sinne sein »Donat«. eine Art Elemen-
tarunterricht im Christenthum 3 . Der von dem Namen des alt-
1] Repressor II, S. 516 folg.
2) Ueber Pecock 's Schriften überhaupt vgl. meine Abhandlung: Wicht
und die Lollarden, Zeitschr. f hist. Theol. 1S54, 241 folg. und Babington,
Introd. LXI— LXXXIII.
3 Die einzige Handschrift dieses Büchleins befindet sich im Besitz der
Bodleianischen Bibliothek in Oxford, Nr. 916, auf Pergament, klein 40;
sie umfasst 100 Blatt, und ist zwar mit Abkürzungen, aber sonst höchst
sorgfältig und leserlich geschrieben. Auszüge aus dieser Handschrift von
Richard James finden sich in einer Papierhandschrift derselben Bibliothek.
James Manuscript Nr. 14, p. 49 — 79. Der gelehrte Johann Lewis im
vorigen Jahrhundert hat sich durch den Eingang des Buchs, worin Pecock
auf sein umfassenderes Werk Rule of Christian Religion Bezug
nimmt , indem er olfenbar blos die ersten Worte ansah und nicht weiter
las, dermaassen irre führen lassen , dass er glaubte und in seinem Life
of Pecock, Aufl. 1820. S. 220 folg. referirte, die Bodleianische Bibliothek
besitze eine schöne Handschrift von Pecock s Ru'e of ehr. Rel. ; er be-
schreibt sofort gerade die oben genannte Handschrift und meint, der Donat
sei nur in der Abschrift von James vorhanden, welche in Wahrheit nur
Auszüge aus demselben enthält. Diese Irrung hat Babington in seiner
Einleitung zum Repressor, S. LXI folg. bemerkt, nachdem ich schon 1854
in der Zeitschrift f. hist. Theol. S. 235 die Sache in s Klare gebracht hatte.
Wenn jedoch Babington nicht nur sagt, der Donat sei noch nie gedruckt
400
Buch III. Kap. 5. III.
römischen Grammatikers Donatus herstammende Titel war im
Mittelalter für Schulgrammatiken üblich geworden und entspricht
unserem deutschen: »Fibel«. Der Verfasser selbst erklärt den
Titel so , das Buch verhalte sich zu der vollständigen Kenntniss
von Gottes Gesetz wie der gewöhnliche Donat zu der vollständigen
Kenntniss der Grammatik : in dem Buche : »Regel der Christen-
religion« seien die Gegenstände weitläufig behandelt . das gegen-
wärtige Büchlein nebst seinem Anhang [the vFoletcer« herto)
solle zur Einleitung, zur Wiederholung und zur Erleichterung des
Verständnisses der t>Mtde of Christian religiom dienen. Um der
Volksmässigkeit und Fasslichkeit willen ist die dialogische Form
gewählt : es ist ein Gespräch zwischen Vater und Sohn ; der Sohn
fragt, der Vater antwortet.
Das Büchlein handelt im I. Theil methodisch 1 vom Men-
schen, 2) von Gott. Der II. Theil, welcher erst nachträglich,
zur Rechtfertigung des I., beigefügt worden ist. zeigt, dass im
ersten Theil bereits mitenthalten seien die 12 Artikel des Glau-
bens, die 7 Todsünden und die 7 Haupttugenden, die 7 Gaben des
heil. Geistes und die 7 Sakramente, die 10 Gebote und die evan-
gelischen Rathschläge, kurz die im Mittelalter bekannten Haupt-
stücke christlicher Unterweisung. Der Schluss handelt vom Gebet
und der Betrachtung. Da jedoch diese Schrift sich nicht direkt
mit den Lollarden zu schaffen macht . sondern nur positiv den
Grund zur christlichen Erkenntniss legen will, so halten wir uns
bei derselben nicht länger auf. gehen vielmehr zu seinem »Buch
vom Glauben« über, welches einige weitere Aufschlüsse über
die Lollarden und das Verhältniss Pecock's zu denselben gibt.
Das Buch, welches Pec ock selbst im Repressor anführt1 .
hat den Titel The book of Faith, und ist wie sein Donat in ein
Gespräch zwischen Vater und Sohn eingekleidet, indeni der Sohn
Prägen und Zweifel vorlegt, der Vater dieselben beantwortet und
löst. Der I. Theil handelt von den angemessensten Mitteln, die
Lollarden mit der Kirche auszusöhnen; der 11. Theil beantwortet
worden, sondern auch, er sei noch nicht viel benützt worden um Pecotk's
Ansichten zu erörtern, so ist das aus dem Umstand erklärlich, dass ihm der
deutsche Aufsatz unbekannt war.
I Hejrrrssor II. S. 564 a book ekpid The. book of fvith.
Pecocks »Buch vom Glauben«
101
die Frage, was die Richtschnur des c.laubens sei. ob die Schrift,
»der die Kirche, oder die Vernunft 1 .
In dem I. Theil bekennt Peeock aufrichtig, dass diese-
Buch aus dem Wunsche hervorgegangen sei, die »Laienkinder«
der Kirche für den Gehorsam wieder zu gewinnen, welchen sie bei
grosser Seelengefahr ihren Geistlichen zu leisten schuldig sind.
Kr wolle nämlich solchen Ungehorsamen offen entgegenkommen
mittels eines von den Laien selbst sicher zugegebenen Grunds-
atzes; und dieser ist : wir sind schuldig einem Sprecher oder
Lehrer, welcher allerdings irren kann, so lange zu glauben und
zu folgen, als nicht bestimmt erkannt ist. dass er in der Sache
wirklich irrt.
2. Der Verfasser erkennt wie im llepresxor in zwei Ge-
sinnungen die Hauptursachen der Ketzerei unter den Laien : erst-
iich in dem übermässigen Siehstützen auf die Schrift, zum
andern in einer Mißachtung gegen die Entscheidungen der Kirche
m Glanbenssachen.
Pecock gibt zu verstehen, es würde eine Art Muhame-
danismus sein . wenn man dem Christen verwehren wollte, den
Glauben, der ihm zugemuthet wird, zu prüfen. Ja bei »der
Sekte der Sarazeuen« habe der böse Feind die List eingeführt,
dass sie schlechthin dagegen eingenommen sind, irgend einem
Beweis Gehör zu geben, der gegen die Sarazenensekte und für
den Christenglauben spricht. Jener gottlose Mann Muhamed, oder
1 Die einzige Handschrift dieses Buchs befindet sich in der Bibliothek
des Trinity-Colleye in Cambridge jetzige Bezeichnung B. 14. 45. Sie ist
auf Pergament in S° geschrieben, leider am Schluss jetzt unvollständig,
s. Babingtox's Beschreibung, Introd. LXVI. folg. Merkwürdiger Weise
hat das Buch einen falschen Titel von späterer Hand , als wäre es eine
Sammlung Predigten von Pecock: Reyinald Peucock, Bppe of Chichester's
Sermons in English. Heinrich Whartox hat unter dem Titel : A Treatise
proviny Scripture to be the Eule of Faith. Writ by R. Peacock. Lond. 1688.
4'"1 etwa ein Drittheil des Buchs im Druck herausgegeben : nämlich nur
den II. Theil, so weit ihn die Handschrift noch enthält, vollständig, von
dem ersten umfangreicheren Theil nur Auszüge. Aber auch dieses Buch
ist so selten geworden, dass es auf den grössten Bibliotheken Deutsch-
lands vergebens gesucht wird und selbst in England unter die seltenen
Bücher gehört. Ich gebe einige Mittheilungen aus einem Exemplare, das
in meinem Besitz ist.
Lechlek, Wiclif. II. m 26
402
Buch III. Kap. 5 III.
irgend ein »Prälat " nach ihm hat es zu einem Theil seines Gesetzes
gemacht, dass bei Todesstrafe niemand irgend eine Erklärung
oder Beweisführung gegen seine Sekte auch nur anhören dürfe. —
»Aber, o Herr Jesu, Gottmensch, du Haupt deiner Kirche und
Lehrer des Christenglaubens, ich flehe deine Gnade. Erbarmung
und Liebe dafür an. lass diese Gefahr ferne sein von der Christen-
heit und von jeder Person in derselben ! Verhüte du. dass dieses
Gift nie in deine Kirche gebracht werde ! Und wenn du zulassen
solltest, dass es je einmal eingeführt werde, so bitte ich. lass es
rasch wieder ausgestossen werden! Gestatte, ordne und walte
du vielmehr, dass das Gesetz und der Glaube, welchen deine
Kirche zu irgend einer Zeit festhält, der Prüfung unterworfen wer-
den möge und dürfe, ob es derselbe wahre Glaube sei, den du
und deine Apostel gelehrt haben, oder nicht, und dass geprüft
werde, ob er hinlängliche Zeugnisse für seine Wahrheit habe oder
nicht ! Sonst könnte dem Glauben widersprochen werden : und es
wäre eine Schmach für die Christenheit, einen Glauben für den
Grund ihrer Seligkeit zu achten, von dem sie nicht dulden wollte,
dass er geprüft werde, ob er als wahrer Glaube anerkannt zu
werden verdiene oder nicht. Es wäre eine Schändlichkeit, Christo
zuzutrauen, dass er seinem Volk einen Glauben gegeben habe, zu
welchem sein Volk alle anderen Völker bekehren solle, ohne dass
er gestatte, dass sein Glaube vollständig geprüft werde, als hätte
er seinen Glauben nicht für so rein und irrthumsfrei anerkannt,
dass er durch keine Kraft der Gründe und Beweise überwunden
werden könnte. Darum, allmächtiger Herr, verhüte du, dass in
deiner Kirche ein solches Gefangennehmen des Glaubens sieh
je ereigne !«
4. Somit, nieint Pecock. soll die Kirche sieh selbst nicht
dafür halten, als könne sie mit Vollmacht und Meisterschaft je-
mand lehren, es sei denn, dass sie sich bewusst ist. eben (Uesen
Glauben von Gott empfangen zu haben, kraft eines Schlusses,
welcher besagt : »die heil. Sch rift bezeugt und verkündigt diesen
Satz!« oder: »die heil. Kirche hat von der Apostel Zeit an bis
jetzt dies stetig als Glaubenssatz angenommen!« «»der »es ist zum
Zeugniss dafür ein Wunder geschehen !«
5. Daraus ergibt sieh eine Erinnerung an die Geistlich-
Pecock über Gewissensfreiheit.
403
kei t. Sie geht dahin; die Geistlichen mögen in Erwägung ziehen,
dass etwas nicht darum ein Glaubensartikel ist. weil es dafür
ausgegeben wird. Im Gegentheil. deswegen, weil es ein Glaubens-
artikel ist und als solcher hinlänglich erwiesen wird, muss es
im Glauben angenommen werden. Die Geistlichkeit wird am
jüngsten Tage verdammt werden, wenn sie nicht die Menschen
durch klaren Verstand [eher >rit zur Annahme des wahren Glau-
bens bringt, anstatt durch Feuer. Schwert oder Hängen ; wiewohl
nicht in Abrede gezogen werden soll, dass letztere Mittel er-
laubt seien . vorausgesetzt . dass das erstere zuvor angewendet
worden ist.
. 6; Während Pecock die Geistlichkeit warnt, auf die Voll-
macht der Kirche und ihre Lehrauktorität zu pochen, schärft er
den Laien ein. nicht auf ihr persönliches Urtheil zu pochen, son-
dern sich der Entscheidung der Kirche zu unterwerfen. »Selbst
wer augenscheinlich nachweisen kann, dass die Kirche einen ge-
wissen Artikel ohne zureichenden Grund, ja talschlich glaubt,
wftrde vor Gott doch vollkommen entschuldigt sein, wenn er sich
dessen ungeachtet der Kirche unterwirft. Falls die Geistlichkeit
ohne dein Wissen und Wollen irrt, so schadet dir deine Unter-
werfung unter die Geistlichkeit zweifelsohne nichts, im Gegen-
theil sie nützt dir eben so viel, als wenn sie darin nicht irrere !
Was willst du mehr?1 Gesetzt ein Ortsgeistlicher lehrte sein
Pfarrkind eine grobe Ketzerei statt eines Glaubenssatzes, so wäre
es die Pflicht des letzteren diese Lehre anzunehmen ; und er wäre
hiebei nicht blos entschuldbar vor Gott, sondern sein Handeln
wäre sogar verdienstlich und würde ihm ganz so belohnt werden
wie der Glaube an irgend eine Wahrheit: ja wenn der Mann zur
Verth eidigung dieser Lehre sein Leben hingeben würde, über-
zeugt, es sei die Lehre der Kirche, so wäre er ein »ächter und
gerechter Märtyrer ! e
Allerdings acht römisch-katholisch, im Sinne des Auktoritäts-
systems. wie wir es jetzt auf die höchste Spitze getrieben sehen.
Während der protestantische Grundsatz lautet : »Es ist nicht ge-
1) Book of faith ed. Wharton, S. IV. Ts not this ynoug to thee?
what inaist thou loke \look> aftir eny moref
26*
404
Buch III. Kap. 5. III.
rathen. etwas wider das Gewissen zuthun!« and: Du bist für
deinen Glauben selbst verantwortlich vor Gott«, wird hier alles auf
die Verantwortlichkeit der Seelsorgers, der Kirchenoberen gestellt.
Sagt jemand : Ich habe gelernt, die heil. Schrift sei ein so
würdiger Grund des Glaubens, dass kein anderer sie an Zuver-
lässigkeit übertrifft: deshalb verdiene ich nicht Tadel sondern
Lob. wenn ich mich nach der für Glaubenssachen von Gott ver-
ordneten unübertrefflichen Regel richte, und demnach meinen
Glauben aus ihr entnehme — so gibt das Pecock allerdings zu.
aber nur so weit es sich um den Glauben handelt, den die Schrift
zu lehren hat.
Im II. Theil untersucht Pecock. was das ursprüngliche und
maassgebende Fundament des Glaubens the Rule of Faith sei.
ob die Schrift oder die Kirche ?
In dem Gespräch zwischen Vater und Sohn legt der letztere
die Frage selbst vor. indem er constatirt. dass gewichtige Gründe
für beides in s Feld geführt werden . sowohl für die höhere Ur-
sprünglichkeit der Schrift, als für die maassgebende Ursprünglich-
keit der Kirche. Einerseits werde erinnert, die Kirche selbst be-
rufe sich ja für den Glauben auf die Schrift, erkenne somit selbst
die Ursprünglichkeit der Schrift an. Andererseits aber gebe es
auch Gründe genug dafür, dass die Kirche höher srehe und in
Betreff der Glaubenswahrheiten, welche in der heil. Schrift ent-
halten sind, grössere Vollmacht habe.
Der Vater erklärt sich bereit, die angekündigten Gründe für
die höhere Auktorität der Kirche zu hören und zu beantworten.
Nun entwickelt der Sohn dieselben der Keine nach : z. B. die
Schrift sei nicht schlechthin unentbehrlich : die Apostel hätten,
ohne auch nur ein Wort zu schreiben. Andere von dem Glaubens-
inhalt vollständig unterrichten können: die von den Aposteln
unterrichteten Geistlichen und Laien hätten Andere in dem-
selben Glauben hinlänglich unterweisen können : und so hätte es
können fortgehen bis auf den heutigen Tag, ohne dass Uber den
mündlich fortgepflanzten Glauben eine Schrift verfasst worden
wäre. In diesem Falle hätte der Glaube aller Lernenden seinen
genügenden Grund lediglich nur in der Person ihrer Lehrer ge-
habt, und durchaus nicht in einer Schrift. Folglich sei die Schrift
Pecock über das Verhältnis zwischen Schrift und Kirche. 405
nicht der unentbehrliche Glaubensgrund für solche die gläubig
geworden. Und es hätte doch im Neuen Bunde eben so gut können
der Fall sein als im Alten, dass der Glaube auf mündlichem
Wege, durch Erzählung der Eltern am Passafest, mündlich fort-
gepflanzt worden wäre. Auch gebe es Klöster, in welchen gewisse
Gebräuche von den Stiftern her lediglieh durch mündliche Ueber-
lieferung sich erhalten. Zweiter Beweis: Was vorhin nur als
möglich angenommen worden, das ist auch wirklich der Fall ge-
wesen. Christus hat seinen Aposteln befohlen : »Gehet hin und lehret
alle Völker, indem ihr sie taufet auf den Xamen des Vaters und
des >ohnes und des heiligen Geistes, und indem ihr sie alles halten
lehret, was ich euch befohlen habe.« Diesen Befehl würden aber
die Apostel nicht befolgt haben, wenn sie nicht den ganzen
Glauben mündlich gepredigt hätten. Denn der ganze Glaube, so
weit er unentbehrlich, ist in dem Evangelium enthalten, d. h. in
der Botschaft, welche Gott in die Welt gesandt hat. Folglieh
haben die Apostel wirklich den ganzen Glauben mündlich in zu-
reichender Weise gepredigt.
Ein anderer Beweis geht aus von der Einheit der Kirche.
Die Kirche Christi auf Erden ist überall und allezeit eine und
dieselbe. Nun sind aber in der apostolischen Zeit die Apostel von
so grosser Würde und Auktorität gewesen, dass sie selbst mehr
als die von ihnen verfasste Schrift, der Grund des Glaubens waren.
Daraus folgt aber, dass die Kirche von der Apostel Zeit bis jetzt,
die doch eine und dieselbe ist mit der damaligen Kirche, dem
Christenglauben mehr als die Schrift zur Grundlage dient.
Ferner geht ein Beweis davon aus. dass die heil. Schrift der
A u s 1 e g u n g bedarf. Was aber eines Auslegers oder Dolmetschers
bedarf, das steht unter diesem, als einem Aufseher und einem
Würdigeren. Nun sei die Geistlichkeit Ausleger der heil. Schrift,
also stehe die Geistlichkeit in der Eigenschaft eines Aufsehers
höher als die Schrift.
Endlich wird ausgegangen von dem Artikel des apostolischen
Glaubens: »ich glaube der allgemeinen heil. Kirche auf Erden.
Was die Apostel in das Glaubensbekenntniss gesetzt haben . ist
vmi allen Christen für wahr zu halten. Es ist also nothwendig.
der allgemeinen heiligen Kirche auf Erden zu glauben. Das
406
Buch III. Kap. 5. III.
können wir aber nur, wenn wir der Geistlichkeit glauben, denn
sie ist der Haupttheil der Kirche auf Erden : insbesondere müssen
wir ihr glauben, wenn sie bestimmt, dass irgend etwas als Glau-
bensartikel anzunehmen sei, selbst in dem Falle, wo diese Ent-
scheidung der heil. Schrift zuwiderlaufen sollte.
Diese Beweisgründe für die Superiorität der Kirche der heil.
Schrift beleuchtet und widerlegt nun der Vater gleichfalls der
Ordnung nach.
Anlangend den ersten Beweisgrund zeigt er, dass eine Lehre
durch blos mündliche Ueberlieferung, ohne in einer Schrift nieder-
gelegt zu sein, unmöglich bestimmt, fest und zuverlässig erhalten
werden könne. Er beruft sich auf ein ihm nahe liegendes Bei-
spiel : »Ich glaube in der That, während der Zeit des 40jährigen
Krieges zwischen England und Frankreich 1 würden nicht leicht
drei oder vier Männer in dem Bericht über die Eroberung einer
Stadt oder Festung in Frankreich oder über den Verlauf einer
Schlacht durchaus übereinstimmen, wenn auch jene Männer für
ganz zuverlässig und wahrhaftig gehalten würden, und jeder ge-
schworen hätte, dass , was er erzählte wahr 'sei . und dass er
selbst Augenzeuge gewesen. Natürlich würde es mit dem Bericht
über die Thaten und Worte Jesu eben so gegangen sein : und dass
dem wirklich so war, bezeugt Lukas in dem Vorwort zu seinem
Evangelium. Somit war wegen der unvermeidlich eintretenden
allmählichen Veränderung und Entstellung mündlicher Ueber-
lieferung, die schriftliche Aufzeichnung der Evangelien, überhaupt
der Schriften Neuen Testaments unumgänglich nothwendig. Nicht
ohne Grund beruft sich jede Kirchenversammlung und jede Geist-
lichkeit, wenn sie den Glauben lehrt, auf die heil. Schrift. Folg-
lich muss die heil. Schrift ein würdigerer Grund unseres Glaubens
sein, als die Geistlichkeit der ganzen Kirche auf Erden.
Was den Beweis aus der Einheit der Kirche betrifft, so ent-
gegnet der Vater, die Kirche der Gegenwart sei mit der aposto-
lischen nur in gewissem Betrachte eins, nicht aber schlechthin,
I Im Repres8or zählte Pecock erst 34 Jahre seit dem Anfang des
englisch-französischen Krieges; jetzt 40 Jahre. Also ist das Book af faiih
ü Jahre später geschrieben, etwa 14ö.r».
Pecock über Schrift und Kirche.
K>7
und namentlich nicht in ihrer Beziehung ZU der Schritt : denn die
ursprüngliche Kirche habe die Unterweisung der Apostel und
Evangelisten genossen ; die jetzige Kirche habe diese nicht mehr,
sondern suche sie durch das Lesen in den Schriften der Apostel
und Evangelisten zu ersetzen.
Die Auslegung anlangend babe die Kirche allerdings
Vollmacht, die Schrift auszulegen und zu erklären ; daraus folge
aber nicht, dass die Kirche über der Schrift stehe. Durch die
Auslegung werde der Schrift nichts genommen, was sie zuvor hat.
und nichts gegeben, was sie noch nicht hat: es werde nur an den
Tai;- gebracht, was zuvor im Verborgenen in der Schrift gelegen
war. So hat zwar die Geistlichkeit Vollmacht, einfachen Leuten
zu erklären, welches der wahre Sinn der heil. Schrift sei; aber
daraus folgt keinesweges . dass die Geistlichkeit vermöge ihrer
Hinsicht würdiger sei als die heil. Schrift selbst, dasjenige zu
begründen, was die Schrift selbst begründet.
Auf Grund dieser und ähnlicher Erwägungen wird dann die
Frage beantwortet : ob die Gesammtkirche oder die Geistlichkeit
irgend etwas zu einem Glaubensartikel machen könne, was nicht
an sich schon ein Glaubensartikel gewesen ist '? Die Antwort ist
eine verneinende: Kirche und Klerus können nicht machen,
dass ein Satz wahr oder unwahr ist : sie können nur kund thun
und erklären, was existirt und Glaubenssache ist. Und wenn der
Klerus oder die Gesammtkirche irgend etwas als Glaubensartikel
annimmt, was sie nicht als schriftmässig erweisen kann, so
handelt sie übereilt und anmaasslich 1 .
Demgemäss bestreitet Pecock auch die gewöhnliche römisch-
katholische Annahme, dass die Apostel gewisse Artikel
ausser der heil. Schrift als noth wendige Glaubens-
wahrheiten überliefert haben sollten, mittels mehrerer
Gründe. Nur in Hinsicht solcher Dinge, welche erst lange nach
der Apostel Zeit gethan oder gelehrt worden sind. z. B. der
Kanonisirung von Heiligen, verhalte es sich anders. Damit beab-
sichtigt aber die Kirche keineswegs zu entscheiden . dass es ein
Artikel geoffenbarten Glaubens sei : »Thomas von Canterbury
1 Book of faith II, Kap. 5. S. XXXV.
40S
Buch III. Kap. 5. III.
(B ecket ist ein Heiliger« u. s. w.. sondern die Kirche lässt
nur zu. dass solche Männer als Heilige verehrt und nachgeahmt
werden, gleichwie die Kirche auch nicht entscheidet, dass die
Schriften eines Ambrosius. Augustinus. Hieronymus wahr seien,
sondern nur gestattet, dass man sie zum Studiren. Lesen und
Hören benütze, jedoch mit Vorbehalt der Freiheit des Urtheils.
Er fügt hinzu : »Ich will zwar Wunder. Offenbarungen und altes
Herkommen im Schriftvers tändniss nicht davon ausschliessen.
etwas zur Begründung beizutragen: aber an und für sich sind sie
doch sehr schwach, um den Glauben zu begründen, falls er nicht
schon anderweit hinreichend geprüft und erwiesen ist.«
Im EL Theil des »Buchs vom Glauben« entscheidet sieb
Pecock offenbar für die Superiorität der heil. Schrift verglichen
mit der Gesammtkirche und ihrem Klerus. Im I. Theil hat er
zwar der Geistlichkeit die Pflicht eingeschärft, die Glaubenswahr-
heiten überzeugend zu erweisen : aber er hat doch andererseits der:
Laien zur Pflicht gemacht, sich der Unterweisung des Geistlichen,
der Entscheidung der Kirche zu unterwerfen. Somit scheint das
Thema des IL Theils mit den Ausführungen des I. Theils nicht
ganz zu stimmen. Nur lässt sich über diese Frage um deswillen
nicht endgültig urtheileu. weil wir den I. Theil blos aus den
wenigen Auszügen W hat ton ' s kennen. Und es wäre unbedingt
wünchenswerth , dass P e c o c k ' s »Buch vom Glauben« voll-
stand i g herausgegeben würde.
Vergleichen wir aber den Grundgedanken im II. Theil des
»Buchs vom Glauben« mit demjenigen Grundgedanken, wel-
chen Pecock im L Theil des llepressor weitläufig begründet
hat und in den übrigen Theilen des letzteren Buchs stets voraus-
setzt, so ergibt sich Folgendes.
Im R epress o r geht er darauf aus die Schranken zu ziehen,
innerhalb welcher die heil. Schri ft niaassgebende Geltung hat :
im »Buch vom Glauben« zieht er die Schranken, innerhall) welcher
die Kirche massgebende Geltung in ( ilaubenssachen hat. Dort
kommt die Kirche zu ihrem Recht, hier kommt die Schrift zu
ihrem Ansehen. Zwischen beidem scheint ein Widerspruch obzu-
walten. Allein der Gegensatz löst sich, wenn wir die Sache je in
dem Zusammenhang, worin sie steht, in's Auge lassen. Im I. Theil
Pecock im »Repressor« und im »Buch vom Glauben«
409
des Represser wird das Verhältnis* der Schrift zur Vernunft, im
II. Theil des -Buchs vom Glauben« das Verhältnis* der Schrift
zur Kirche und Tradition festgestellt. Dort streitet der Verfasser
gegen die »Bibelmänner«, welche seines Erachtens die Bibel allzu
hoch stellten: hier hat er Kirchenmänner im Auge, welche die
Vollmacht der Kirche, die Apostolicität ihrer Ueberlieferung und
die Unfehlbarkeit ihrer Entscheidung auf eine unhaltbare und das
Ansehen des Wortes Gottes beeinträchtigende Weise geltend
machten. Uebrigens wissen wir aus dem I. Theil des »Buchs vom
Glauben«, dass Pecock der Kirche und Geistlichkeit keineswegs
zu nahe tritt, ihr vielmehr die persönliche Verantwortlichkeit des
einzelnen Gemeindegliedes aufopfert. Dessen ungeachtet ge-
winnt es den Anschein, als habe Pecock in der Zwischenzeit von
sechs Jahren zwischen der Abfassung beider Schriften, sich doch
den »Bibelmännern eher etwas genähert. Auch im »Donata glaube
ich einige Annäherung an die Ansichten jener zu erkennen. Es ist
doch unleugbar ein anderer Ton. in welchem er hier von Kloster-
gelübden spricht, als dies im Repressor geschehen ist. Im
l) on a t warnt er mit Besonnenheit und treuer Besorgniss vor über-
eilter Uebernahme solcher Gelübde, durch welche doch Viele schon
in Seelengefahr gerathen seien: »Zwar können Gelübde und eid-
liehe Verpflichtungen zu gewissen Uebungen nach Umständen von
gewissen Personen wohl übernommen werden : allein ich rathe
doch recht ernstlich und herzlich jedem Mann und jeder Frauens-
person, recht wohl zu überlegen, was für Gelübde sie auf sich
nehmen, nebst dem guten Rathe Solcher, die Erfahrung davon
haben, wie es schon Manchem mit seinem Gelübde ergangen ist:
auch rathe ich ihnen, sich eine geraume Zeit zur Probe zu nehmen,
ehe sie ihr Gelübde ablegen. Wollte Gott, der Kampf, die Gefahr,
selbst der Fall Etlicher diente Anderen zur Lehre und Warnung !
Schon manches Mal ist das Gelübde für jemand eine Versuchung
zu grösserem sittlichem Uebel geworden, als wenn er diese Regel
der Enthaltsamkeit nicht auf sieh genommen hätte: zum minde-
sten hat sie ihn von beträchtlichem Guten abgehalten, das er sonst
hätte thun können und sollen 1 .«
I Donut I. Kap. T. Handschrift S. 49 folg.
Buch III. Kap. 5. III.
Da steht der Mann doch etwas anders zur Sache , als im
V . Theil des Repressor, wo er vielmehr als Apologet des Kloster-
lebens aufgetreten war1), während er hier wie ein Seelsorger er-
fahrenen Rath ertheilt und vor Seelengefahr warnt.
Wir können uns in der That nicht wundern, dass Pecock's
Verkehr mit den Lollarden und die Eigentümlichkeit seines
Geistes ihm von Seiten der Kirche selbst, deren Anwalt er war,
schliesslich Angriffe zuzog. Die Billigkeit, Milde und Unbefangen-
heit, mit welcher er, obgleich katholischer Bischof, mit kirch-
lichen Oppositionsmännern sich in Verkehr einliess , mit ihnen
sogar über die Vollmacht und die Lehrbefugniss der Kirche ver-
handelte, die Unfehlbarkeit der Kirche in Frage zog, einzelne
Irrthümer und Misbräuche im kirchlichen Wesen zugestand, seine
rationelle Prüfung alles Bestehenden, seine unablässigen Be-
mühungen für Aufklärung des Volks, neben wirklichen Fehlern
und Schwächen , — alles dieses zog ihm erst die argwöhnische
Aufmerksamkeit, bald das Misfallen strenger Kirchenmänner, den
Neid und Hass bigotter und beschränkter Fanatiker, endlich die
Maassregeln seiner Oberen zu.
Wir wissen, dass schon seine Sätze über das bischöfliche Amt
1447) von Manchen für falsch , ketzerisch , sophistisch und auf-
regend erklärt worden waren ; wodurch er sich veranlasst fand,
dieselben in einer Eingabe an den Erzbischof zu vertheidigen.
Aber je tiefer er sich in die Controverse mit den Lollarden einliess,
je unverhohlener sein freisinniger Geist und das Streben nach
einer Vermittlung hervortrat, desto lauter und stärker wurden die
Stimmen, die sich gegen ihn erhoben. Wir können das messen
andern Tone, den er in seinem Vorwort zum Donat anschlägt.
Wie angelegentlich versichert er da, dass es weder in diesem noch
in irgend einem andern Buche, das er jemals lateinisch oder eng-
lisch geschrieben habe oder schreiben werde, seine Absicht sei,
irgend einen Irrthuni und Ketzerei oder irgend einen giaubens-
widrigen, dem Gesetze Gottes zuwiderlaufenden Satz zu behaupten,
zu vertheidigen oder zu begünstigen. W ie ernstlich bezeugt er.
falls es ihm dennoch aus Unvorsichtigkeit oder Unwissenheit
I oben Buch III. Kap. 6. II. S. :i!>7 f.
Verwahrungen Pecock's
Hl
begegnen sollte, einen Satz der Art vorzutragen, seine Bereit-
willigkeit, »solchen Satz, in Unterwerfung unter die Entscheidung
seiner Vorgesetzten, demtithig und fromm aufzugeben und zuriiek-
ranehmen !« Er fügt bei, jenes sei von jeher sein Grundsatz ge-
wesen. und er gedenke nie anders zu handeln, mögen auch Auf-
passer und Verleumder das Gegentheil denken und voreilig und
anbedachtsam aussprengen. — Abgesehen von dieser eventuellen
Verwahrung rindet er noch zweierlei Bemerkungen für nöthig
I eine Entschuldigung w egen etw aiger Unrichtigkeiten in seinen
Schriften : »AVenn ich nieine Worte so zu setzen vermöchte . dass
kein Vorwurf gegen dieselben erhoben und keine Unwahrheit
daraus gefolgert werden könnte, so besässe ich eine Wundergabe,
die seit Christi Himmelfahrt noch nie ein Schriftsteller gehabt
hat1 .« Dem entspricht, was er etwas früher sagt: »Besser bin
ich nicht, als der heil. Gregorius wollte Gott, ich wäre den
vierten Theil so gut! . welcher ungeachtet seiner heiligen Ab-
sichten und seiner Einsieht so viel abgeneigte Leute fand, die seine
Bücher hinderten, schmähten und zerstörten, dass er wünschte, kei-
nes seiner Bücher sollte vor seinem Tode veröffentlicht werden. Ja
selbst nach seinem Tode wurden durch solche Leute einige dieser
Bücher verbrannt, und es würden ihrer noch mehr verbrannt wor-
den sein, wenn nicht Gottes Hülfe es verhindert hätte 2 .« 2 Die
andere Bemerkung besteht darin , dass einige seiner Schriften,
noch ehe er die letzte Feile daran gelegt habe, von Bekannten,
denen er sie im Vertrauen mitgetheilt, eigenmächtig und voreilig
veröffentlicht worden seien: diese Thatsaehe habe er selbst in
einer Predigt in der St. Paulskirche öffentlich zur Sprache ge-
bracht3 .
Pecock's ( i e g n e r waren, laut der Mittheilung zweier Zeit-
genossen, die beide gegen ihn eingenommen sind 4 . theils Bettel-
1 Donat, Handschrift S. ü.
■l a. a. 0. Handschrift S. ■>.
:f a. a. O. Handschrift 8. 4.
4 Thomas Gascoigne, im »Theologischen Wörterbuch« und Abt Johann
WHETHAMSTEBE , Narratio de Ii. Pecockii abjuratione ., aus denen Lewis.
Peeock. J 2S — 190. Auszüge gibt.
412
Buch III. Kap. 5. III.
mönche. wie der Augustiner-Eremite Johann Bury. theils Mit-
glieder der Universitäten : von Oxford z. B; Thomas Eyburhall .
welelier Pecock's Nachfolger als Vorstand von Whittingtm-
Gottege in London geworden war. und Johann Mi 1 vertun:
von Cambridge Wilhelm Miliin gt on , Propst von Kings-
College und Master von Olare-Hall. und Dr. Hugo Damlet.
Master von Pembroke-Hall und andere. Die Universität Cam-
bridge stand damals vorzugsweise im Ruf makelloser Recht-
gläubigkeit. In dem Stiftungsbriefe des Kmgs-CelUge von
Heinrich VI. war ausdrücklich festgesetzt, dass kein Anhänger
von Wiclif oder Pecoek darin geduldet werden sollte1 . Der
genannte M illington war eben Propst dieses College ; er hat
immittelbar nach Pecoek eine Keine Predigten in der St. Pauls-
kirehe zu London gehalten, und auf der Kanzel öffentlich ausge-
sprochen, das Königreich England werde nie dulden, dass die-
jenigen gedeihen, welche Pecoek begünstigen und unterstützen.
Und Hugo Damlet. Master von Pembroke-Hall, soll sich
anheischig gemacht haben. Pecoek aus seinen eigenen Schritten
der Ketzerei zu überführen. Diese und andere Männer Liessen
nicht nach, den Bischof von Chichester in Predigten. Vorlesungen
und Schriften zu verdächtigen und anzuschwärzen, bis endlich
amtlich Kenntniss davon genommen wurde.
Erzbisehof von Canterbury war damals . nachdem Johann
Stafford 1452 und dessen Nachfolger, Johann Kemp, schon
1453 gestorben war, Thomas Bourchier, 14o4 — I4S6. Dieser
liesfl seinen Suffiragan, den Bischof von Chichester. vorladen, mit
der Weisung . diejenigen seiner Schriften, gegen welche seither
Bedenken erhoben worden waren, mitzubringen, damit sie geprüft
werden könnten, und zwar auf Grund einer Constitution des Erz-
bischofs Ar un del vom Jahre 140S gegen ketzerische Predigten.
Lehren und Schriften - . Schon die Vorladung an und für sieh
1 Das Kiiit/s- Collegt zu Cambridge wurde am 12. Febr. 1442 ge-
stiftet. In der Stiftungsurkunde steht unter anderem. Itt'm .sMtu'mus . .
quod (jui/ibef scho'aris .... juret, ijuod non fuvehit npinioiiihus . dam mit is
erroribu.s auf haeresihus Johannis Wycklyfe, lleginaldi Pvacocke. N0M
a'icujus aftmfm kueretiel etc. ?gl. Habinutox. Introd. XXXIV. Anm. 1.
2 Vgl. Wilkins. Conciiia III. 314 i'olg.
PrDoess wider Peccck.
hatte beträchtliche folgen: Pecock s bisherige Gegner traten
jetzt nachdrücklicher auf und scheuten sich nicht auf den Kanzeln
auszusagen, er habe durch seine Büchel' Irrlehren verbreitet, an
denen er hartnäckig- festhalte, lieber dieses ehrenrührige und dem
eingeleiteten amtlichen Verfahren vorgreifende Gebahren hat
Pecock wahrscheinlich beim Krzbischof Beschwerde geführt.
W enigstens erliess dieser am 22. Oktober 1457 eine Bekannt-
machung, wodurch alle Geistlichen und Gelehrten, die wider
Pecock' fl Schriften etwas vorzubringen hätten, aufgefordert
wurden am 1 L November vor dem Erzbischof zu erscheinen und
ihre Anschuldigungen schriftlieh einzubringen . wogegen bis zum
Austrag der Sache alle anderweitigen Aeusserungen zu Ungunsten
des Lord Bischofs Reinhold kraft erzbischöflicher Vollmacht unter-
sagt wurden *) .
Inzwischen war das Parlament in Westminster zusammen-
getreten wahrscheinlich gleichfalls am 22. Oktober . und Pecock
war. als Bischof von Chichester, ebenfalls erschienen. Allein die
weltlichen Lords weigerten sich in die Verhandlung einzutreten,
so lange Pecock der Versammlung angehöre. Von allen Seiten
erhoben sich Stimmen gegen ihn : er habe in englischer Sprache
Bücher Uber tiefe Fragen verfasst. das könne nur aufregend wir-
ken : er habe die alten Kirchenlehrer herabgesetzt . ein neues
Glaubensbekenntniss anstatt des apostolischen gemacht u. s. w.
Die Aufregung wurde so gross, dass schliesslich der König
reibst einsehreiten musste : er Hess dem Bischof von Chichester
durch den Erzbischof eröffnen, er möge sich zurückziehen. Sofort
verliess Pecock den Sitzungssaal und London. Er war aus dem
Hause der Lords ausgestossen. Der bereits erwähnte Erlass des
Erzbischofs erging, wie es scheint, in Folge dieser Vorgänge,
und noch am gleichen Tage 2' .
Der Martinitag. 1 1 . Novemher 1457. kam. und Dr. Pecock
erschien, der Vorladung gemäss . in dem erzbischöflichen Palast
zu Lambeth. und überreichte dem Erzbischof in der Kapelle neun
1 Lewis, Life of Pecock, 14*i.
■1 Vgl. Babingtox. I,drod. XXXVI. folg.
414
Buch III Kap. 5. III.
seiner Schriften zum Behuf der beabsichtigten Prüfung 1 . Mit der
Prüfung- wurden 24 Doctoren der Theologie beauftragt. Das Gut-
achten, welches sie nach einiger Zeit erstatteten, ging dahin, diese
Schriften enthielten viele Irrthümer und Ketzereien. Nachdem
Pecock sich verantwortet hatte und ihm replicirt worden war.
hielt ihm der Erzbischof, dessen Beisitzer die Bischöfe von Win-
chester, Lincoln und Rochester waren, Namens Waynflete.
Ched worth und Lowe, am 28. November seine angeblichen
Irrthümer vor. und liess ihm nur die Wahl zwischen öffentlichem
Widerruf und der Degradation nebst Auslieferung an den welt-
lichen Arm, d. h. der Verbrennung.
Nach einigem Schweigen in tiefer Bewegung fasste und er-
klärte Pecock seinen Entschluss zu widerrufen, legte auch sofort
ein Bekenntniss ab. worin er alle häretischen Sätze zurücknahm,
welche in seinen verschiedenen Büchern enthalten seien. Am
3. December schwor er in Lambeth förmlich die Irrthümer ab.
welche ihm beigemessen worden und verurtheilt waren, in Gegen-
wart des Erzbischofs und jener 24 Doctoren2) . Und Tags darauf.
Sonntag den 4. December 1457. musste er seinen Widerruf öffent-
lich beim St. Paulskreuz wiederholen. Zwanzig tausend Menschen
waren hier versammelt, der Erzbischof nebst mehreren Bischöfen
und vielen Klerikern waren zugegen. Pecock erschien im bischöf-
lichen Ornat, kniete vor dem Erzbischof nieder und las die ihm
vorgeschriebene Widerrufsforniel in englischer Sprache nur die
angeblichen Irrlehren selbst waren lateinisch ausgedrückt öffent-
lich vor ! .
Nach dieser erniedrigenden Scene wurde auf dem St. Pauls-
kirchhof ein Feuer angezündet, und Pecock selbst übergab
14 Bände seiner Werke drei in Folio und elf in Quart dem
Henker, der sie sofort in die Flammen warf: als sie vor seinen
1) Unter den überreichten Schritten befand sich laut der oben S. 368 f.
Anm. erwähnten Schlussnote auch die in Cambridge (Univ. Bibl. noch vor-
handene Handschrift des lieprcfwor.
1 Die Formel s. bei LEWIS a. a. O. 160. Anm.
'.\ Wilkixs, Cotic. III, 576, bei Lewis S. 100 folg.. so wie bei
Babington, Inirod. XL VII. folg.
Pecock widerruft.
Augen vom Feuer verzehrt wurden, rief er aus: Mein Stolz und
Anmaassung haben diesen Jammer und Vorwürfe über mich ge-
1 »nicht« !«
So schmählich erniedrigte sich der Mann, aus Schwäche und
Todesfurcht! Ganz anders als seiner Zeit Hu s. hat er theüs Sätze
widerrufen, die er niemals behauptet hatte, z. B. es sei nicht
beilsnoth wendig , an den heiligen Geist zu glauben (IL Satz .
theüs solche Sätze, von deren Wahrheit er gewiss nach wie vor
Überzeugt war. z. B. dass die allgemeine Kirche in Glaubens-
sachen irren könne, dass die Entscheidungen eines allgemeinen
Ooncils nicht ohne weiteres für wahr zu halten seien, dass jeder-
mann die heil. Schrift in ihrem buchstäblichen Sinne verstehen
dürfe Satz V. VI. VII . Er scheint in der That so befangen und
verwirrt gewesen zu sein, dass er kaum mehr wusste . was er
selbst gesagt oder nicht gesagt hatte.
Der Erzbischof gab dem Widerruf Pecoek's alle mögliche
Publicitat. Die Universität Oxford veranstaltete am 17. Deeember
eine feierliche Procession. den Kanzler an der Spitze, und ver-
brannte an einem Kreuzwege alle Exemplare von Pecoek's
Schriften, welche in Oxford sich vorgefunden hatten. Die Feinde
des Mannes triumphirten, und verhöhnten ihn nach seinem Sturze.
Pecock selbst wurde erst nach Canterbury. dann nach
Maidstone in Kent gebracht. wo der Erzbischof sich in seinem
Schlosse aufhielt. Hier war es auch, wo. nachdem er noch
4 Monate nach dem öffentlichen Widerruf als Bischof von Chi-
chester anerkannt worden war. die Absetzung vom bischöflichen
Amt über ihn ausgesprochen wurde. Pecock appellirte zwar an
den Papst, und wusste durch seine Verbindungen mit der Kurie
eine Bulle auszuwirken, die seine Wiedereinsetzung befahl. Allein
der Erzbischof war nicht geneigt sich zu fügen : er wandte sich an
den König. Dieser beauftragte am 17. Sept. 145S einen Bischof
und einen Rechtsgelehrten . ein Gutachten über die Rechtsfrage
zu geben. In Folge dieses Erachtens versuchte der König einen
Mittelweg: er Hess Dr. Pecock eine angemessene Rente anbie-
ten, falls er freiwillig abdanken wollte. Ob dies erfolgte, wissen
I) Laut Gascoigne's Mittheilung, bei Lewis 169, Anm.
416
Buch III. Kap. 5. III.
wir nicht. Nur so viel ist gewiss, dass bald darauf das Bistlium
Chichester einem Andern übertragen wurde, und dass Pecock
seine letzten Tage in einem Kloster zubringen musste, in der
Abtei Thorney in der Grafschaft Cambridge ; dort wurde ihm ein
Zimmer angewiesen, das er nicht verlassen durfte ; ausser Bibel
und Psalter, Brevier und Messbuch erhielt er keine Bücher, eben
so wenig Schreibmaterialien ; 40 Pfund wurden dem Kloster zu
seinem Unterhalt angewiesen , vermuthlich die Summe , welche
der König ihm angeboten hatte. Pecock mochte immerhin nahe-
zu ein Siebziger sein. Wie lange er diese klösterliche Haft, mit
strenger geistiger Diät, zu ertragen vermochte, wann und wie er
gestorben ist, darüber fehlen uns alle Nachrichten.
Pecock ist als Opfer seiner Freisinnigkeit, insbesondere
seiner Opposition gegen die Lehre von der Unfehlbarkeit der
Kirche gefallen. Das ergibt sich aus den 7 Sätzen, welche man
als irrthümlich und häretisch verurtheilt hat, und die er hat wider-
rufen müssen ; denn nicht weniger als 5 unter denselben beziehen
sich auf den KirchenbegriiF, und 3 unter den letzteren speciell auf
die Unfehlbarkeit der Kirche. Diese seine Opposition steht im
Zusammenhang mit der ganzen E i g e n t h ü m 1 i c h k e i t des Mann e s .
Diese können wir in nichts anderem finden als in dem mächtigen
Ueberwiegen einer klaren Verständigkeit in ihm. Eine solche
Geistesart hat ihre Licht- und Schattenseite. Beide erkennen
wir auch bei Pecock. Die Lichtseite besteht in der Neigung
und Gewöhnung , alles Gegebene , insbesondere die kirchlichen
Lehren und Einrichtungen, redlich zu prüfen und nichts ungeprüft
anzunehmen, auch Anderen eine redliche Prüfung zu gestatten.
Eine Folge hievon war einerseits, dass er manche Irrthümer und
Misbräuehe, die sich in die Kirche eingeschlichen hatten, erkannte ,
wiewohl er das Wesentliche in der bestehenden Kirche recht-
fertigen zu können glaubte. Andererseits hing damit zusammen,
>lass er unhaltbare Gründe oder gar Gewalt und Schreckmittel,
welche man gegen die Lollarden in Anwendung brachte . mis-
billigte; was freilich nicht ausschliesslich aus seiner intellektuellen
Geistesart hervorging, sondern zugleich aus seinem Charakter
sieh erklärt, aus der Gerechtigkeit, dem Billigkeitssinn und einer
acht Seelsorgerlrchen Liebe zu den Seelen, einer Liehe, welche
Die Eigentümlichkeit Pecocks.
417
sich nicht erbittern lässt. sich nicht der Ungerechtigkeit freuet,
w"l)l aber der Wahrheit", einer Liebe, welche »alles hoffet«
L Kor. 13 . Seine klar verständige Geistesart prägt sich theils
darin aus. dass er die heil. Schrift mit nüchternem Blicke las,
and den einfachen Wortsinn aller mystischen, überschwenglichen
Deutung weitaus vorzog: theils offenbart sie sich in einem für
>eine Zeit höchst merkwürdigen und seltenen kritischen Geist,
den er z. B. in der tüchtigen Untersuchung über die unhistorische
Sage von der Schenkung Constantin s bewährt hat. Aber die vor-
waltende Verständigkeit hat auch ihre Schattenseite. Wir
sehen dieselbe in seiner schon bei der Predigt vom Jahr 1447 her-
vortretenden doktrinären Richtung, seiner Liebhaberei für die
hegriffliche und mit logischen Schlüssen pedantisch vorgehende
demonstrative Methode, noch mehr aber in seiner Ueberschätzung
der reinen und wohlbestellten« Vernunft, welche er für den
höchsten Maasstab aller Wahrheit, auch in göttlichen Dingen, an-
sah, so dass er ihr gegenüber selbst das Wort Gottes ungebührlich
herabsetzte . die Genügsamkeit der heil. Schrift in Abrede zog,
und sich der Ansicht näherte, dass die christliche Wahrheit,
wenigstens in Beziehung auf Sittlichkeit und Handeln, ihren
Grund in letzter Beziehung nicht in der heil. Schrift, sondern in
der Vernunft habe1 . Wir haben schon aus Pecocks Predigt
1 Diesen Grundsatz hat einer seiner Gegner ganz richtig als »die Wur-
zel seines ganzen Uebels«, d. h. als das Prinzip aller seiner Irrthümer er-
kannt, den Umstand nämlich, dass er in der Sittenlehre die Vernunft mehr
gelten lasse als die Schrift: rationis humanae titulos in morum direc-
tione scripturis sacris praefert. Der Augustiner Johann Bury hat in
der Dedication seiner Streitschrift wider P e c o c k an Erzbischof B ourchi e r
dies als totius sui malt radix bezeichnet . S. 572 in R&BINGTON's Anhang
zum Repressor , wo er Auszüge aus Bury' 8 Schrift: Gladius Salomonis
gibt , S. 567 — 613. Der Titel »Salomonsschwert« ist mit Anspielung auf
den drohenden Schwerthieb gewählt, durch welchen König Salomo die
richtige Mutter des lebenden Kindes an den Tag gebracht habe; so will
Verf. durch sein Büchlein erweisen, welches die richtige Mutter der »Tugend«,
d. h. der christlichen Sittlichkeit sei, nämlich »nicht die processsüchtige
Vernunft, sondern die fromme Schrift«; a. a. O. 572. Bury folgt dem
Gange des Repressor und widerlegt in 42 Kapiteln dessen Grundsätze über
Vernunft und Schrift in der Art, dass er Pecock's Ansicht in englischer
Sprache vorausschickt und dieselbe sodann in lateinischer Sprache beleuchtet
Lechler. Wiclif. II. 27
418
Buch III. Kap. 5. III.
vom Jahr 1447 ersehen, dass er einer rationalistischen Denkungs-
art huldigt. Noch mehr liegt dies in seinem Repressor am Tage,
so zwar, dass er die »praktische Vernunft« (mit Kant zu reden .
oder »das sittliche Naturgesetz« [tJie moral lawe of kinde . wie
Pecock selbst sagt) für die eigentliche und ursprüngliche Grund-
lage christlicher Sittlichkeit hält, der heil. Schrift in dieser
Beziehung nur eine sekundäre, abgeleitete Auktorität zuerkennt
und bei einem etwaigen Conflikt zwischen beiden der Vernunft
(doom of resoun, Judicium rationis) das letzte und entscheidende
Wort lässt. Insofern müssen wir Pecock als einen ächten Ratio-
nalisten gelten lassen, als einen Geist, in welchem, wie Nean-
der einmal in Betreff des Theobald Thamer sich ausdrückt,
bereits »die Reaktion der zur Alleinherrschaft hinstrebenden Ver-
nunft gegen das Positive« hervortrat. Nehmen wir zu der maass-
gebenden Auktorität, welche Pecock dem »natürlichen Sitten-
gesetze« zuerkennt, ferner hinzu, welche Wahrheiten nach ihm die
Vernunft für sich allein zu erkennen vermag, z. B. dass ein Gott
ist, dass der Mensch zu dem Zwecke geschaffen ist. mit Gott ver-
einigt zu werden durch Liebe und Gehorsam u. s. w. 1 : so können
wir einem Warner nicht ganz Unrecht geben, wenn er Pecock
den »ersten deistischen Schriftsteller Englands« genannt hat2 .
Wenigstens glauben wir heute noch daran festhalten zu müssen,
dass Pecock eine Art »Vorläufer des englischen Deismus« ge-
wesen sei 3j .
Vergleichen wir Pecock mit seinen Vorgängern in der
und widerlegt. Er betont die Auktorität der Bibel als höchster Kichtschnur
des Glaubens und Lebens, und ihre Unabhängigkeit von dem natürlichen
Sittengesetz. Und es ist merkwürdig , dass dieser von der Hierarchie be-
günstigte Polemiker gegen einen Mann , dem seine Ueberzeugung von der
Fehlbarkeit und der beschränkten Auktorität der Kirche zum Schaden ge-
reicht hat, die unvergleichliche Würde der heil. Schrift retten muss, so dass
durch eine wunderbare Verkettung der Umstände der Sprecher römischer
Orthodoxie gegen Pecock's Ueberschätzung der praktischen Vernunft,
für die Genügsamkeit der heil. Schrift in einer Weise kämpft, die einem
Wiclif hätte müssen Freude machen!
1) s. oben Buch III Kap. 5, II, S. oV*.
2] Kirchengeschichte des ls. Jahrh. lTöo.
3 Geschichte des englischen Deismus 1841, S. 13 folg.
Yergleichung Pecjck's mit Woodford und Thomas Netter. 419
Apologetik und Polemik, in dem theologischen Kampfe mit
Wiclif und den L ol lar de n , so finden wir einige belangreiche
Ergebnisse. 1. Woodford, am Ende des XIV. Jahrhunderts,
hatte es fast ausnahmslos nur mit Wiclif selbst und dessen An-
sichten zu thun gehabt , und die Lollarden nur nebenbei berührt ;
Thomas von Waiden dagegen, im ersten Viertheil des XV. Jahr-
hunderts, hatte sowohl Wiclif s eigenen Lehrbegriff als die An-
sichten seiner Anhänger , der Lollarden, beleuchtet und bekämpft1).
Pecock nun, in der Mitte des XV. Jahrhunderts, hat es fast aus-
schliesslich nur mit den Lollarden zu thun, und kommt auf Wic-
lif selbst nur noch so zu sprechen, dass er ihn flüchtig berührt.
Ein Unterschied , welcher einfach durch den Fortgang der Zeit
selbst herbeigeführt ist.
2. Der erste Polemiker, Woodford, hat sich an eine Reihe
Sätze Wiclif s gehalten, welche von einer Provinzialsynode ver-
urtheilt waren, und im übrigen aus dem Trialogus geschöpft.
Thomas Netter von Waiden dagegen hat die Werke Wiclif s
in einem weiten Umfang durchforscht und seine Ansichten mit
Sorgfalt und Treue dargestellt. Aber auch ihn, geschweige den
Franziskaner Woodford, übertrifft Bischof Pecock weit durch
die eingehende Aufmerksamkeit, Unbefangenheit und Treue, wo-
mit er die Ansichten der Lollarden darstellt und referirt. Er be-
gnügt sich nicht damit , ihre Sätze und Behauptungen ohne Ent-
stellung und Verzerrung wiederzugeben, sondern er geht auch
darauf aus. ihre Gründe und Beweisführungen aus der Bibel,
aus den Vätern, aus der Vernunft vollständig und sorgfältig zu
entwickeln.
3 Was das Urtheil über die Gegner betrifft, so haben wir
gefunden, dass Woodford an den Sätzen Wiclif s, die er
prüfte, schlechterdings nichts Gutes liess und nichts Wahres fand.
Thomas Netter ist wenigstens hie und da so billig, etwas gelten
zu lassen; ja er nimmt einige Male die Partei Wiclif s gegen-
über seinen späteren Anhängern. Aber Pecock geht entschieden
1) Vgl. über Woodford Buch III. Kap. 1. III. S. 4"> ff. ; über Thomas
von Waiden Kap. 4. IV. S. 330 ff.
27*
420
Buch III. Kap. 5. III.
noch weiter und giebt auch den Lollarden seiner Zeit in manchen
nicht unwichtigen Dingen Recht.
4. Damit hangt ein weiterer Umstand zusammen, nämlich die
Stellung dieser Männer z u dem Bestehenden. Und in die-
ser Hinsicht stehen Woodford und Thomas von Waiden auf
gleicher Linie. Beide glaubten alles in der Kirche Bestehende
in Bausch und Bogen rechtfertigen und gegen die wiclifitische
Reformpartei vertheidigen zu müssen. Hingegen Pecock besitzt
sowohl die Einsicht als den sittlichen Muth und die Aufrichtigkeit,
Irrthtimer und praktische Misbräuche in der Kirche einzusehen,
oifen zu gestehen und für deren Beseitigung einzutreten, wodurch
er bereits zwischen. den Lollarden und der Kirche eine vermit-
telnde Stellung einnimmt.
5. Dieser Punkt steht mit einem weiteren in wesentlicher
Verbindung, nämlich damit, dass Pecock nicht , wie seine bei-
den Vorgänger, hauptsächlich und fast ausschliesslich auf der
Tradition und der Auktorität der Kirche fusst. um wider die Geg-
ner zu streiten, sondern sich theils auf die heil. Schrift, theils
und mit besonderer Vorliebe auf die Vernunft und Vernunft-
gründe stützt.
6 . Fragen wir nach dem Leserkreise, den diese Männer im
Auge hatten, so ist klar, dass nicht nur Woodford, sondern auch
Thomas Netter gegen die Lollarden geschrieben haben, im
besten Falle über sie (so wenigstens Netter,, aber in keinem
Falle für sie. vielmehr für katholisch-gläubige Leser, wie letz-
teres Thomas ausdrücklich sagt. Darin unterscheidet sich aber
Pecock von beiden ganz wesentlich. Er hat zwar theilweise
auch gegen die Lollarden geschrieben, wohl auch über sie;
aber vorzugsweise schrieb er doch für sie, indem er sich Lollar-
den als Leser dachte, als Käufer seiner Bücher wünschte und sie
aufzuklären, zu überzeugen und durch Güte und Gründe zu ge-
winnen, mit der Kirche auszusöhnen suchte 1 .
1) Er sagt ihnen einmal im Book of faith I. Theil , s. bei Lewis,
Pecock 224: »Fraget ihr, wer ich denn sei, der sich hier so geschäftig
gegen euch erzeigt , so ist es in Wahrheit der Mann, welcher zu eurem
geistlichen Wohl, zur Beförderung eurer wahren Erkenntniss und Besei-
tigung des Irrthums mehr gearbeitet und gethan hat, als ihr an euch selbst
zu thun verstehet und vermöget. Um es genauer zu sagen, so ist es der
Woodford, Thomas Netter und Pecock
421
7. Durch den Leserkreis bestimmt sich auch die Sprache.
Woodford und Thomas von Waiden hatten nur katholische
Leser, und vorzugsweise Theologen. Kleriker und Gelehrte im
Auge: deshalb schrieben sie lateinisch. Ganz anders Pecock.
Er dachte und wünschte sich zwar nicht ausschliesslich aber
doch wesentlich auch wiclifitisch gesinnte Laien : deshalb wählte
er für solche Volksschriften die » Laiensprache « . wie er sich aus-
drückt, d. h. die englische Muttersprache. Wiclif selbst und
seine Anhänger hatten vorzüglich durch den Gebrauch der Mutter-
sprache in Predigten und Schriften gewirkt und Eingang gefun-
den. Eben deshalb schrieb Pecock gleichfalls englisch, um
durch Entgegenkommen auf halbem Wege auch in Hinsicht der
Sprache die Gemüther zu gewinnen.
Mann, welcher für euch und für alle Laien in der Laiensprache in
lay-mennys langage) folgende Bücher geschrieben hat« — Aufführung von
neun Büchern — »in denen ihr, wenn ihr sie fleissig und mit sorgfältiger
Aufmerksamkeit leset, — so grosse Erkenntniss der Christenreligion finden
werdet, dass ihr merket, ihr habt euch bisher in eurem Vertrauen auf eure
andern Studien und dem Bemühen um Erkenntniss getäuscht. Ihr solltet
euch selbst tüchtig und tugendhaft züchtigen, und den bisherigen Stolz
und Anmaassung ablegen, womit ihr euer "Wissen in Sachen der Christen-
religion dem Wissen der Geistlichen und der Kirche bisher vorgezogen habt.« —
Und bei diesen wohlgemeinten Bemühungen um Unterweisung der
Lollarden machte sich Pecock immerhin Hoffnung auf einigen Erfolg.
In dieser Hinsicht sagt er einmal im »Donat« II. Kap. 11. Handschrift,
S. 153 Folgendes: "Hätte ich vernünftigerweise nichts anderes zu erwarten,
als dass die Leute hartnäckig und unbezwinglich wären, — so wollte ich
stille sejn und an mich halten. Da ich aber nach gewissen Zeichen etwas
besseres hoffen kann, so denke ich: wenn es um die Leute so übel steht,
dass sie ihre alten Finsternisse blindlings lieber haben als das Licht, aber
es nur nicht ganz unmöglich ist sie , wenn auch mit einiger Anstrengung,
zurechtzubringen, so ist es desto nothwendiger dahin zu arbeiten, dass sie
herauskommen, zugleich aber auch dass Gott Hand anlege und in ihnen
wirke, was nicht in meiner Macht steht; denn was bei Menschen unmöglich
ist, das ist bei Gott möglich. Darum muss ich in meinem Theile wirken,
und was in dieser Sache mir zukommt , das will ich thun , so lange jene
Hoffnung noch in mir ist ; alles übrige aber befehle ich Gott und stelle
ihm anheim, dass er dabei thue was ihm wohlgefällt.« — Pecock wünscht,
dass Leute aus dem Volk den Repressor kaufen; im letzten Kapitel, S. 562
fa^st er sich kurz, »damit nicht die Leute vom gemeinen Volke verhindert
werden die Geldkosten aufzubringen, um dieses Buch zu erlangen."
422
Buch III. Kap. 5 III.
S. Die Vorgänger waren ausschliesslich oder wenigstens in
überwiegendem Maasse streitend, widerlegend, negativ verfahren.
Hingegen P e c o c k schlägt einen positiven Weg ein : er will un-
terweisen, belehren, überzeugen. Und in dieser Absicht, verbun-
den mit dem Umstände , dass er für Leute aus dem Volke und in
ihrer Muttersprache so schlicht und fasslich als er konnte, schrieb,
hat er sich zu einem Volksschriftsteller gebildet, so weit im Mittel-
alter davon die Rede sein kann.
Fassen wir schliesslich dasjenige zusammen, was aus Pe-
cock's Leben und Schriften in Beziehung auf die wiclifi-
tische Partei selbst sich ergeben hat, so sind es folgende
Thatsachen :
1. Der ununterbrochene Fortbestand einer wiclifitischen
Partei. Das ganze Leben Pecock's, wenigstens die Arbeit
seiner Mannesjahre, ziemlich seit dem Jahr 1431 (wo er das Amt
in London antraf bis zur Zeit seiner Katastrophe, nebst den'
Hauptschriften , die der fleissige Mann herausgegeben hat , sind
ein vollgültiges und unwidersprechliches Zeugniss davon, dass
noch vor und nach der Mitte des XV. Jahrhunderts die Lollarden
keineswegs ausgerottet oder auch nur unterdrückt waren, son-
dern als eine zahlreiche und ansehnliche Partei in England immer
noch fortbestanden.
2. Aber in welcher Schichte der Gesellschaft, in welcher
Klasse der Bevölkerung linden wir die wiclifitisehe Partei /
Lediglich nur unter den Laien. Dieser Umstand ergibt sich aus
zahlreichen Aeusserungen Pecock's zweifellos , insbesondere
aus den ISamen, mit denen er sie bezeichnet, als: »vieleNvon der
Laienpartei « , » die Schule der Ketzerei unter dem Laienvolk von
England«, »Laienkinder der Kirche«, »einige vom gemeinen
Volk« u. s. w. Ich kenne nicht eine einzige Stelle von Pecock .
welche bezeugte oder auch nur vermuthen liesse . dass zu seiner
Zeit Kleriker und Gelehrte die wiclifitisehe Richtung theilten.
Wir hatten früher gesehen, dass bis zum Jahr 1430 immer noch
einzelne Pfarrer. Kaplane, Priester und Kleriker selbst Lollarden
waren. Die Maassregeln kirchlicher Disciplin in Verbindung mit
staatlicher Gewalt hatten demnach besonders in dem Jahrzehent
von 1422 bis 1431 so viel Erfolg gehabt, dass in den vierziger
Ergebnisse aus Pecock über die Wiclifiten.
423
Jahren kein einziger Kleriker mehr dieser Partei angehörte. Die
Lollarden waren ans dem klerikalen Stande glücklich verdrängt,
vom Klerus abgeschnitten und völlig in die Laienschaft, in die
Gemeinden herabgedrückt. In Folge dessen waren die Lollarden
ausschliesslich auf Conventikel unter sich selbst angewiesen.
Eine unmittelbare Folge war aber selbstverständlich auch die,
dass die Opposition der Lollarden nunmehr eine Standessache
wurde : man stand der ganzen Klerisei gegenüber ; das Lollarden-
thum brachte ein Tadeln des Klerus mit sich. Laienpartei und
klerikale Partei standen wider einander. — Das war vor 1431
niemals der Fall gewesen. — Eine andere Frage ist die . ob die
Lollarden jetzt nur in den niedersten Schichten sich vorfanden ?
Man könnte dies daraus schliessen . dass Pecock für die Partei
öfters auch den Ausdruck braucht: » einige yom gemeinen Volk«
of the comoun peple . Allein es wäre voreilig, wenn man diesen
Ausdruck pressen und daraus folgern wollte , dass um jene Zeit
nur L^ngebildete und geringe Leute zu den Lollarden gehört
hätten. Schon der Umstand würde dagegen sprechen, dass
Pecock. wie in hohem Grade wahrscheinlich ist. hauptsächlich
in London die Bekanntschaft von Lollarden gemacht hat und mit
solchen in regelmässigen Verkehr getreten ist. Wenn dem so
war, dann lässt sich kaum annehmen, dass das Personen aus den
niedersten Ständen gewesen sind : viel eher waren es solche Bür-
ger der Hauptstadt, die sich eines gewissen Wolilstandes-erfreu-
ten und einen nicht geringen Grad von Bildung besassen. Wir
wissen . dass Pecock bei seinen Volksschriften sich vorzüglich
auch Lollarden als Leser gedacht, dass er sie sich als Käufer sei-
nes Repres&or gewünscht hat. Die müssen schon dem wohlhaben-
deren Theile der städtischen Bevölkerung angehört haben. Noch
gewichtiger aber fällt in die Wagschaale die Thatsache. dass die
Gedanken. Gründe und Beweise, welche Pecock aus dem
Munde der Wiclifiten in seinem Repressor zur Sprache bringt,
einen Grad von Bildung. Kenntniss und Lektüre verrathen. wel-
cher ganz entschieden auch ein gewisses Maass bürgerlichen
Wohlstandes voraussetzt.
%. Für die innere Charakteristik der Lollarden in
P e c o e k ' s Zeitalter ist schon der Name o Bibelmänner«, wel-
424
Buch III. Kap. 5. III.
chen der Bischof nicht selten gebraucht, bezeichnend. Er selbst
gibt zwar diesem Namen einen tadelnden Beigeschmack : aber an-
dererseits ist Pecock doch ein so maassvoller und billiger Gegner,
dass er den Lollarden ohne Rückhalt das Zeugniss gibt, welches
wir gern vernehmen und als ehrenvoll anerkennen , sie seien in
der Bibel ausserordentlich bewandert , berufen sich stets auf die
Bibel als die alleinige Richtschnur und Grundlage christlichen
Glaubens und Lebens [the Bible oonli, war ihr Wahlspruch und
fragen stets nach Schriftbeweisen u. s. w. Diese Thatsache be-
weist uns, das Wiclif 's Schriftprinzip bei den Lollarden in der
Mitte des XV. Jahrhunderts nicht nur in der Theorie in Geltung
geblieben war. sondern auch im Leben treue Uebung und Anwen-
dung fand , vermöge einer bei den Lollarden herrschenden Bibel-
sitte und eines fortgesetzten Forschens in der Schrift. Hierin
haben wir zugleich den sprechendsten Beweis für die stetig-
fortdauernde Wirksamkeit und den Segen der Wiclif sehen
Bibelübersetzung. Zugleich constatiren wir die Thatsache.
dass den zahlreichen und zum Theil ausgedehnten Bibelcitaten.
an welchen Pecock's Repressor so reich ist. durchweg die
Wiclif 'sehe Uebersetzung, und zwar in ihrer zweiten, verbesser-
ten Gestalt, zu Grunde liegt, so dass die Abweichungen von
dem Texte derselben nur wenige und unerheblicher Art sind.
4. Abgesehen von dem Schriftprinzip, sind die übrigen Unter-
scheidungslehren der Lollarden. wie sie uns aus Pecock s
Schriften entgegentreten, wesentlich dieselben, die wir aus frühe-
ren Zeitaltern der wiclifitischen Bewegung kennen. Der Grund-
satz . dass das richtige Schriftverständniss nur dem D e m ü t h i -
gen [?neek zugänglich sei, hat uns bereits gezeigt, dass die
Lollarden dieser Zeit ganz noch den Grundansichten W iclif's
huldigen , dass Demuth die Wurzel aller christlichen Gesinnung
und Tugend sei : und diese Ansicht beruht selbst wieder auf der
Wahrheit, dass Gottes Gnade in Christo der Grund unseres Heils
ist. Ferner fanden wir bei den Lollarden Pecock's die alt-
wiclifitische Misbilligung des Heiligenkultus, der Bilder und
Wallfahrten, nur allerdings in einem, verglichen mit Wie Iii
selbst, gesteigerten Maasse. Sodann die Opposition gegen die
Hierarchie, den päpstlichen Primat, den Grundbesitz des Klerus.
Ergebnisse aus Pecock über die Wiciifiten
425
<lie Mönchsorden, wie bei Wiclif und seinen Anhängern in frühe-
rer Zeit. Dass auch die Opposition gegen die Lehre von der
Wandlung im heil. Abendmahl unvergessen war. ersehen wir aus
der. wenn auch von Pecock nur kurz erwähnten Abneigung der
Partei gegen die Messe !). — Hier möge auch an die von Pecock
bezeugte Thatsache nochmals erinnert werden, dass zu seiner
Zeit die Lollarden sich unter einander mit dem Namen »er-
kannte Leute« (knoten meri zu bezeichnen und von andern
Leuten zu unterscheiden pflegten2. Diese Bezeichnung haben
wir früher nie gefunden, wohl aber werden wir sie später wieder
antretfen im XVI. Jahrhundert.
5. Was den sittlichen Charakter der Lollarden anbelangt, so
rügt Pecock vor allem ihre Verstimmung und übertriebene, un-
gerechte Tadelsucht gegenüber der Geistlichkeit : das ist jedoch
eine Gesinnung, welche bei einer über ein halbes Jahrhundert ver-
folgten und gedrückten Partei nur zu erklärlich und entschuldbar
erscheint. Sonst aber legt Pecock der Partei im Ganzen keine
sittlichen Fehler bei . ausser denjenigen, die eben mit jener Ver-
stimmung zusammenhängen. Denn wenn er mit dem Ton der
Aufrichtigkeit und erfahrungsmässigen Sicherheit von groben
Sünden und Ausschweifungen einzelner Lollarden spricht3), so
ist scharf zu beachten, dass er dort nicht von der Partei im allge-
meinen, sondern ausdrücklich nur von einer Schattirung in
derselben redet und behauptet, dass in diesem Bruchtheil der
Partei einige einen ausschweifenden und unsittlichen Wandel
führen-*).
Hiemit sind wir bereits auf den Punkt geführt, bei wel-
chem Pecock unsere Kenntniss -von den Lollarden vorzugsweise
bereichert : er lehrt uns nämlich gewisse Meinungsverschie-
denheiten und Schattirungen innerhalb der Partei kennen,
welche bereits mit bestimmten Namen bezeichnet wurden. Die
Einen hiessen »Doctorhändler« [Doctour-mo/ujers . die Andern
1 s. oben II dieses Kapitels, S. 3SS.
2 s. oben Buch III, Kap. 5. II, S. 372.
3 Repressor, I, S. 103. s. oben Buch III, Kap. 5. II, S. 3ST f.
4} a. a. O. : y am certißed — — that amonge the holders of this
■same IVe opinioun summe ben founde u. s. w.
426
Buch III. Kap. 5. IV.
»Meinungshalter« Opinioim - hohlers) , eine dritte Partei waren
Neutrale1). Was die eigentliche Bedeutung dieser Namen und
welches die wirkliche Verschiedenheit unter ihnen war, lässt sich,
bei der flüchtigen Erwähnung der Sache, nicht ausmachen. In
Beziehung auf eine Frage, nämlich die des Kirchengutes; er-
wähnt P e c o c k speziell eine nicht ganz unerhebliche Meinungs-
verschiedenheit unter den Lollarden. Die Einen hielten dafür,
der Besitz von liegenden Gütern in den Händen der Geistlichkeit
sei unbedingt schriftwidrig und verwerflich. Die Andern räumten
ein. dass Priester und andere Kleriker mit liegenden Gütern
rechtmässig ausgestattet sein könnten ; sie behaupteten nur , dass
dieselben ihnen im Fall des Mi sb rauch s entzogen werden
dürften 2) .
IV.
Wir haben mit Hülfe von Dr. Pecock's Schriften die Ge-
schichte der Lollarden, allerdings mehr ihre innere als ihre
äussere Geschichte, bis gegen das Jahr 1460 hin zu verfolgen ver-
mocht. Von diesem Zeitpunkt an fliessen die Quellen für die
Geschichte der wiclifi tischen Bewegung wieder spärlicher. In-
dessen sind die urkundlichen Zeugnisse doch hinreichend, um die
stetige Fortdauer einer wiclifitischen Gesinnung in England Iiis
zum Schluss des XV. Jahrhunderts , ja bis zur englischen Refor-
mation hin nachzuweisen. Wenigstens ist kaum eines unter den
nächsten Jahrzehenten , welches nicht wenigstens eine oder die
andere Spur vom Vorhandensein der Lollarden aufwiese.
Im Jahre J 4(51 stürzte Eduard Graf von March, Sohn des
Herzogs Richard von York, den König Heinrich VI. Damit ge-
langte das Haus York , oder die vierte Linie unter den Nachkom-
men Eduard s III., auf den Thron, nachdem die zweite Linie, die
Laneasters (die rothe Rose), seit 1399 in drei Heinrichen. Vater.
Sohn und Enkel Heinrich IV.. V.. VI.) regiert hatte. Eduard [V.
regierte von 1461 — 1483.
1) lirpressor, I, &7-
2 a. a. O. II, 380. vgl. oben II, S. 395 i.
Spuren von Wiclifismus 1 47(> ff.
427
Im Jahre 1470 gelangte eine Anzeige an die Regierung-, wor-
nach nicht wenige Mitglieder der Universität Oxford den Ansich-
ten Wiclif s und Pecock's zuneigten. Die Zusammenstellung
ist merkwürdig, da Pecock sein Leben lang gegen die Wiclifiten
aufgetreten war. Allein es scheint, man sah schon damals Pe-
cock für einen halben Wiclifiten an. In Folge jener Anzeige er-
ging am 16. Februar 1476 nach Oxford der Befehl, in allen Colle-
gien und Hallen nach den Schriften beider Männer zu forschen
und diejenigen , welche etwa den Meinungen derselben anhangen
sollten, zu bestrafen. Die Universität berichtete später, man habe
einhellig beschlossen, die besagten Bücher zu verbrennen, und
dieser Beschluss sei in der That vollzogen worden : sollten künf-
tig Schriften der beiden Männer sich vorfinden, so werde man es
ebenso halten. Die Männer aber, welche den Ansichten Wiclif 's
oder Pecock's beistimmten, wurden mit dem Bann, mit Aus-
stossung von der Universität oder mit andern Strafen belegt ; unter
diesen wird ein gewisser Thomas Smith genannt, der später vor
dem Könige sich vom Verdacht der Ketzerei reinigen musste1). —
Es ist überraschend , dass auf einmal wieder an der Universität
Oxford Spuren von Wiclifismus auftauchen, während dieselbe seit
dem zweiten Jahrzehent jenes Jahrhunderts gänzlich davon ge-
säubert schien. Wie das zusammenhängt, lässt sich aus Mangel
an Urkunden nicht wohl ermitteln.
Um so festeren Boden haben wir unter den Füssen in Betreff
mehrerer Personen, welche im Jahr 1485 vor dem Bischof von Co-
ventry und Lichfield zur Untersuchung gekommen sind ; denn hier
kennen wir die Anklagepunkte speziell. Nämlich am 9. März jenes
Jahres sass Bischof Johann Halse (1 459 — 1490; in der stattlichen
St. Michaelskirche von Coventry zu Gericht über verschiedene Per-
sonen, von denen acht mit Namen verzeichnet sind. Dieselben wa-
ren, wie es scheint, sämmtlich Bürger von Coventry selbst was
beiläufig gesagt, nur etwa drei deutsche Meilen von Lutterworth
entfernt liegt . und hiessen Johann Blomstone. Richard Heg-
1 Wood, Historia et Antiquitäten Univ. Oxon. I, 230, bei LEWIS,
Pecock 216.
428
Buch III. Kap. 5. IV.
harn. Robert Crowther, Johann Smith, Roger Brown. Tho-
mas Butler, Johann Falks und Richard Hilm an Hilmin 1 .
Es ist der Mühe werth die Anklagepunkte, welche in Betreff
jedes Einzelnen genau formulirt auf uns gekommen sind, in's Auge
zu fassen, denn sie dienen dazu , den Standpunkt jener Männer
bestimmt zu fixiren. Wir lernen dadurch nicht wenige belang-
reiche Dinge kennen. Einmal waren einige von ihnen im Besitz
englischer 'Erbauungsmittel. Richard Hilman besass
nicht nur das Vater Unser, den Gruss des Engels und den aposto-
lischen Glauben in englischer Sprache , sondern auch ein eng-
lisches Evangelien- und Epistelbuch (Perikopenbuch) , von dem er
sagte, er wolle sein Leben darnach einrichten, und dadurch er-
warte er selig zu werden. Ueberdies sollte er gesagt haben, kein
Priester auf der Kanzel spreche besser als dieses Buch. Auch
gegen Roger Brown wurde angebracht, er habe einem Dritten
versprochen, ihm gewisse ketzerische Bücher zu zeigen, falls er
ihm schwöre, nichts davon zu verrathen und diesen Büchern
Glauben zu schenken. Und von Johann Smith hören wir wenig-
stens, dass er den Grundsatz ausgesprochen habe, jedermann
sollte von Rechts wegen das Vater Unser und den apostolischen
Glauben in englischer Sprache auswendig können. Damit hängt
zusammen, dass Smith die Ansicht äusserte, wer nur eben glaube
wie die Kirche gerade glaube, habe keinen guten Glauben : auch
sei es nöthig eine geraume Zeit die Schulen zu besuchen, ehe man
zur Erkenntniss des wahren und richtigen Glaubens gelangen
könne. Der letztere Gedanke scheint um so mehr von Belang
zu sein, als er offenbar an den Grundsatz der »Bibelmänner«
Pecock's in Betreff der Schulen anknüpft2]. Bei weitem das
Wichtigste finden wir bei Richard Hegham, welchem die Ueber-
zeugung zugeschrieben wird, »dass ein Christ, wenn es mit ihm
zum Sterben kommt, auf alle seine eigenen Werke, gute und böse,
verzichten und sich der Erbarmung Gottes unterwerfen solle* .
1) Erzbischof UsilER, Historia — coiitrovcrsiae — de scripturis et sacris
vernaculis, ed. Wharton, Lond. 1090. 4°. 173, nennt den letzteren Hilm in.
2; s. oben Buch III. Kap. 5. II, S. 3S9 f.
3; that a Christian man bt'ing at the point of death . shott.'d renottnee
Die Lollarden von Coventry J4b5.
429
Ein Satz . welcher zwar nicht den vollen und klaren Ausdruck
der evangelischen Wahrheit von der Rechtfertigung durch den
Glauben allein in sich fasst, aber dieser doch ganz nahe kommt.
Die Lehre vom Glauben liegt dann in dem Satze, welcher dem
Thomas Butler schuld gegeben wurde: dass kein gläubiger
Mensch eine Pein für irgend eine Sünde auszustehen habe seit
Christi Tod, weil Christus für unsere Sünden gestorben ist : damit
steht ferner der Gedanke in Verbindung, welcher demselben Manne
zugeschrieben wird : »jeder, der im Glauben an Christum abscheide,
werde selig werden, wie er auch gelebt haben möge.« Das letztere
ist allerdings sehr misverständlich ausgedrückt: möglich, dass
der Gedanke im Munde der Ankläger eine andere Fassung er-
halten hat. als in Butler1 s Aeusserung selbst.
Dogmatischer Art sind ausserdem einige Aeusserungen.
welche sich auf die Lehren vom Abendmahl, von der Absolution
und vom Fegefeuer beziehen. In Betreff der Abendmahls -
lehre stimmen die referirten Ansichten nicht ganz überein. Am
weitesten geht der Satz Hilm an 's , das Sakrament des Altars sei
b 1 o s B r o d i also nicht Christi Leib) , und die priesterliche Conse-
kration sei nur eine Täuschung des Volks. Während Crowther
nur das behauptet haben soll : wer das Sakrament des Altars in
Todsünde oder ohne Liebe empfange , der empfange nichts als
Brod und Wein : wobei also vorausgesetzt ist, dass der würdige
Communikant Christi Leib und Blut empfange. Aus der Beschul-
digung gegen Brown, er habe bei der Elevation die Hände nicht
aufgehoben und nicht aufgeschaut, ersehen wir nur. dass er die
Anbetung der geweihten Hostie verweigerte, auch wohl, dass er
an die Wandlung nicht glaubte. Interessant ist, dass Johann
Falks fragte : warum der Priester, wenn er Christi Leib zu einem
Kranken bringt, nicht auch Christi Blut mitbringe ? Ein Gedanke,
welcher die hussitische) Forderung der Communion unter beider-
lei Gestalt in sich schliesst.
Hinsichtlich des Buss-Sakraments habe Roger Brown
die Notwendigkeit der Beichte und Genugthuung in Abrede
all his own works good and ill, and submit htm to the mercy of God, bei
Foxe, Acts and Mon. IV, 133.
43U
Buch III. Kap. 5. IV.
gezogen, und nur die Zerknirschung- des Herzens für nothwendig
erklärt, während Falks die priesterliche Vollmacht zur Absolu-
tion verneinte. C r o w t h e r und Smith die Schlüsselgewalt wenig-
stens im Zusammenhange mit einem »Busshandel« [market of
penance verwarfen.
In der Verneinung eines Fegefeuers stimmen Johann
Blomstone, Eoger Brown und Thomas Butler vollkommen
überein: am meisten scheint sich der letztere mit dieser Lehre
beschäftigt zu haben, denn von den fünf Sätzen, die ihm Schuld
gegeben wurden, beziehen sich vier darauf: und von ihm ist auch
die positive Erklärung, es gebe nur zwei Wege, den zum Himmel
und den zur Hölle. — In dieser Beziehung sind die Lollarden am
Ende des XV. Jahrhunderts über Wiclif selbst entschieden
hinausgegangen, und haben einen Lehrsatz der AValdenser ange-
nommen1 . obwohl ohne äusseren Zusammenhang mit diesen.
Die Opposition gegen Bilder und Wallfahrten theilen
sie fast alle: insbesondere gefallen sich Blomstone . Hegham.
C r o w t h e r und Falks darin , auszusprechen , dieses oder jenes
Bild sei nur Stock oder Stein, und es sei Thorheit zu dem Marien-
bild von Doncaster. Walsingham oder im Thurm von Coventry zu
pilgern: das helfe einem doch nicht in den Himmel Blom-
stone, Butler .
Ausserdem wird Brown und Falks vorgeworfen. dass sie
das Fastengebot gebrochen, und ersterein, dass er alle Abgaben
an Priester für weggeworfenes Geld erklärt habe, während nur
Blomstone das Papstthum selbst antastete, indem er die Ver-
erbung der Vollmacht Petri auf dessen Nachfolger verneinte 2 .
Die Untersuchung hatte den Erfolg, dass die Angeschuldig-
ten widerrufen mussten . worauf ihnen eine Busse auferlegt und
schliesslich Absolution ertheilt wurde.
Am 3. April 14S8 kam vor demselben Bischof Johann Halse
eine Frau ins Verhör wegen wiclifitischer Lehren: sie war aus
1 Vgl. Buch I. Kap. 1. II, S. 02.
1 Foxe, Acts and Man. IV, 133 folg., jedenfalls aus dem auch von
Erzbischof Usher benützten bischöflichen Archiv von Coventry. WlLKTNA
hat die Urkunde nicht. Vgl. über Coventry Seebohm. Oxford Reformers,
1869. 414 f.
Die Lollarden von Kvle in Schottland 14t>4.
431
der Stadt Ashburn in Derbyshire . und hiess Margarethe Goyt,
Ehefrau des Jakob Goyt daselbst. Es wurde ihr Schuld gegeben,
sie habe gesagt: Ij das was die Priester bei der Messe über ihre
Häupter erheben, sei nicht der wahrhaftige Leih Christi, sonst
könnten sie es nicht so leicht brechen und schlingen: denn
Christi Leib habe Fleisch und Bein, nicht so das was die Priester
gemessen.
'2. Wenn die Priester 40 Hostien für einen halben Penny
kaufen und dem Volke zeigen, und behaupten, dass sie aus jeder
Hostie Christi Leib machen, so thun sie nichts anderes als dass
sie das Volk betrügen und sich selbst bereichern.
3. Gott hat im Anfang den Menschen geschaffen und gemacht :
wie ist es möglich, dass der Mensch im Stande sein sollte. Gott
zu machen ?
Man sieht . alle drei Sätze beziehen sich auf die römische
Abendmahlslehre und treten dem Begriff der Wandlung entgegen,
insbesondere der Selbstüberhebung des Geschöpfs gegenüber dem
Schöpfer, und des Priesterstandes gegenüber der Gemeinde,
welche darin liege: es sind das somit acht Wie Ii f "sehe Gedan-
ken, wie wir denn die Opposition gegen die römische Lehre von
der Wandlung so eben auch bei den Lollarden von Goventry
gefunden haben.
Uebrigens ist auch diese Frau, nachdem sie zum Widerruf
gezwungen wurden, mit einer Kirchenbusse davongekommen und
sodann frei gesprochen worden l] .
Aber sogar in Schottland entdeckte die Hierarchie zahl-
reiche Lollarden. Der erste Erzbischof von Glasgow. Blacater,
seheint einen besonderen Eifer darauf verwandt zu haben. Irr-
lehrer aufzuspüren. Auf sein Betreiben wurden im Jahre 1494
30 Personen vor den Geheimen Rath vorgeladen, und unter dem
persönlichen Vorsitz König Jakob s IV. J4SS — 151S) über die
gegen sie erhobene Anschuldigung der Ketzerei als Lollarden
verhört. Es regte sich in einigen Gauen der westlichen Graf-
schaften von Schottland . namentlich in der Gegend von Kyle.
Carrick und Cunningham . eine Verstimmung wider kirchliche
1 Foxe, Acts und Man. IV, 135.
432
Buch III. Kap. 5. IV.
Misbräuche. welche den Bischöfen Besorgniss einflösste. Man
nannte diese Leute nur »die Lollarden von Kyle«. Unter ihnen
werden besonders namhaft gemacht Adam Reid von Bars-
kimming, Georg Campbell von Cessnock, Andreas Shaw von
Polkeinmet, und einige Frauen von Stande, die Ladies von Stair
und P o 1 k e 1 1 i e . Man beschuldigte sie. dass sie die Verehrung der
Jungfrau Maria und anderer Heiligen , den Gebrauch der Bilder
und Reliquien so wie die Messe verwerfen , und verschiedene
Dinge für Misbräuche und eigenmächtige Anmaassungen der Prä-
laten und Priester erklären und als solche misbilligen. Das sind
in der That lauter Punkte, welche von Wiclif an über ein Jahr-
hundert lang den Lollarden anstössig waren; insbesondere sind
es Dinge, gegen welche vorzugsweise die Opposition der »Bibel -
männer« um die Mitte des XV. Jahrhunderts gerichtet gewesen
war. Bei der Vernehmung vor dem Geheimen Rathe scheint de,r
vorhin in erster Linie genannte Adam Reid als Sprecher der
Angeschuldigten aufgetreten zu sein. Wir hören, er habe mit so
viel Geist, Humor und Witz geantwortet, dass er den Erzbischof
vollständig beschämte, zum nicht geringen Ergötzen des Königs.
Schliesslich entliess Jakob IV. die Leute sämmtlich auf freiem
Fusse, indem er sie nur vor Neuerungen warnte und ihnen die
Ermahnung mit auf den Weg gab . künftig bei dem Glauben der
Kirche Beruhigung zu fassen. Es ist eine merkwürdige That-
sache, dass gerade in denselben westlichen Distrikten, wo im
Jahre 1494 die »Lollarden von Kyle« auftraten, einige Jahrzehente
später die Lehren der Reformation die freudigste Aufnahme und
die muthigsten Vertheidiger gefunden haben 1 .
Aber im gleichen Jahr wurden auch in England aufs neue
1) "Wir entnehmen diese Nachrichten der schottischen Kirchengeschichte
von HETHERINGTON, Hist. of the Church of Scotland, 2 ed. 1842. \V1 folg..
der sich auf die übereinstimmenden Nachrichten von Knox und Spotts-
wood stützt. Allerdings hält Hetherington selbst die Leute nicht für
Wiclifiten, sondern vermuthet, dieselben seien nur ein frischer Schössling
der in Schottland einheimischen Culdeer gewesen , d. h. der Anhänger
eines freieren und reineren, altbiblischen Christenthums. Dass diese Hypo-
these historisch unbegründet ist, habe ich Zeitschrift f. hist. Theol. 1854.
254 f. Anm nachgewiesen.
Lollarden in London 1494 fi".
433
Maassregeln gegen Lollarden ergriffen. Unter dem ersten Tudor,
Heinrich VII. (1485 — 1509), begannen die Verbrennungen der
Ketzer wieder, und zwar in London selbst. Am 28. April 1494
wurde eine 80jährige Frau, genannt Mutter Young, wegen hart-
näckigen Festhaltens an acht Sätzen von Wiclif (welche uns indes
nicht näher genannt wrerden , auf Smithfield verbrannt. Es wird
insbesondere berichtet, dass sie durch die drohenden Worte ihrer
geistlichen Richter sich nicht habe einschüchtern lassen ; sie ant-
wortete, sie sei so gewiss der Liebe Gottes und seiner heil. Engel,
dass sie sich vor dem Feuer nicht fürchte. Und in den Flammen
selbst rief sie zu Gott, dass er ihre Seele in seine heiligen
Hände nehmen möge ! In der Nacht nach ihrer Verbrennung sei
ihre Asche grösstenteils weggeräumt worden von Liebhabern
der Lehre, für wrelche sie gestorben war l) .
Derselbe Chronist, welcher diese Thatsache als Zeitgenosse
aufgezeichnet hat, der Londoner Handelsherr Robert Fabian
f c. 15122), erwähntauch, dass im Jahr 1495 »viele Lollarden«
mit Galgen beim Paulskreuz haben stehen müssen«. Es war ein
Zeichen der Busse und eine Kirchenstrafe , dass sie mit einem
Miniatur-Galgen am Halse eine Procession mitmachen oder wäh-
rend einer Predigt angesichts der Gemeinde stehen mussten.
Sonntag den 17. Januar 1496 mussten zwei Männer, deren Namen
aufbewahrt sind, Richard Milderale und Jakob Sturdy bei
dem Bittgang] um die Paulskirche vorausgehen mit Galgen am
Halse, und nachher während der Predigt vor dem Prediger stehen.
Und am Sonntag darauf standen schon wieder zwei andere Männer
beim Paulskreuz, so lange die Predigt währte ; der eine war mit
bemalten und beschriebenen Papieren behangen, während der
andere einen Galgen am Halse tragen musste. In der Fastenzeit
war ein gewisser Hugo Glover dazu verurtheilt, an einem
Passionssonntag vor der Procession mit einem Galgen vorauszu-
gehen : und als nachher eine Predigt beim Paulskreuz gehalten
wurde , musste er, so lange die Predigt währte, mit dem Galgen
1) Foxe, Acts and Mon. IV, 7, nach Robert Fabian's Chronik.
2 Vgl. über Fabian's Persönlichkeit und den Werth seiner Chronik
Pauli, Gesch. v. England, V, 696.
Lechlek, Wiclif. II. 28
434
Buch III. Kap. 5. IV.
an seinem Halse dastehen. Am nächsten Sonntag waren es
nicht weniger als vier Männer , welche auf dem Kirchhof der
Paulskirche zur Busse so dastehen mussten, während die Pre-
digt gehalten wurde. Ausserdem erwähnt aber der Chronist,
dass viele Bücher, die ihnen gehörten, vor ihren Augen beim
Kreuz verbrannt worden seien. Aus dem Jahre 1498 hören wir
sogar, dass ein Priester, dessen Name nicht erwähnt wird,
als Ketzer verbrannt worden sei. Anfangs Mai befand sich König
Heinrich VII. zu Canterbury und hörte von einem Priester, wel-
cher so hartnäckig in seinen Ansichten sei, dass alle Bischöfe
und Gelehrten nicht im Stande seien ihn davon abzubringen. Da
liess er den Priester vor sich selber bringen und beredete ihn
schliesslich zum Widerruf; dessen ungeachtet wurde der Mann
unmittelbar darauf als Ketzer verbrannt. Im Jahre 1499 wurden
13 Lollarden, worunter acht Frauen und ein Jüngling, dazu ver-
urtheilt, bei der Procession auf dem St. Paulskirchhof Galgen am
Halse zu tragen1). Auch im Jahre 1500, wahrscheinlich im Mai
oder Juni, wurde in Norfolk ein Mann Namens Babram, und in
demselben oder im folgenden Jahre am 20. Juli ein ungenannter
alter Mann auf Smithfield in London als Ketzer verbrannt 2) .
In Betreff der Matrone Youn^ ist ausdrücklich bezeugt, dass
sie Sätze von Wiclif festgehalten habe. Die Angeschuldigten
von Coventry und Ashburn lassen sich an ihren Sätzen als Lollar-
den erkennen. Es kann kaum ein Zweifel darüber aufkommen,
dass auch die übrigen nach ihnen Erwähnten wegen wiclifi ti-
scher Ansichten mit Kirchenstrafen belegt, zum Theil gar
verbrannt worden sind. Somit ist die Thatsache constatirt, dass
in den letzten Jahren des XV. und in den ersten des XVI. Jahr-
hunderts Untersuchungen bischöflicher Gerichtshöfe und Ver-
hängung von Kirchenstrafen bis zum Feuertode gegen. Lollarden
in sehr häufigen Fällen stattgefunden haben.
1) Foxe, Acts and Mon. IV, 123.
2) Diese Angaben verdanken wir sämmtlich der Chronik von Hoheit
Fabian, aus welcher sie in Foxe's Acts and Monuments , IV, 7 folg..
122 folg., vgl. Anhang 710 folg. (Ausg. von Townsend 1846), aufge-
nommen sind.
Lollarden zu Amersham 1506.
43;>
Hiemit harmouirt bestätigend die Thatsache, dass von den
Handschriften der W i e 1 i f sehen Bibelübersetzung, so weit sie in
England heute noch vorhanden sind, ungefähr zehn aus der zwei-
ten Hälfte des XV. Jahrhunderts stammen, während zwei andere
entschieden der spätesten Zeit desselben Jahrhunderts angehören.
Und da diese Handschriften wahrscheinlich nur in wiclifitischen
Kreisen gewünscht und gebraucht wurden, so dient diese That-
sache gleichfalls dazu, das Vorhandensein von Lollarden in der
zw eiten Hälfte und bis zum Ende des XV. Jahrhunderts zu be-
urkunden.
Aber im XVI. Jahrhundert häuften sich, insbesondere vom
Jahre 1506 an. die Fälle erst recht, wo Personen männlichen und
weiblichen Geschlechts wegen Bibellesens oder des Besitzes eng-
lischer Uebersetzungen von biblischen Büchern , wegen Verwer-
fung gewisser Punkte des römisch-katholischen Kultus und Kir-
chenwesens, kurz wegen speeifisch wiclifitischer Dinge zur Anzeige
gebracht, zur Verantwortung gezogen, theilweise mit Kirchen-
strafen belegt, sogar verbrannt wurden. Ganz besonders scheint
sich das Städtchen Amersham in der Grafschaft Buckingham, da-
mals noch zum bischöflichen Sprengel von Lincoln gehörig, als
ein Sitz des Wiclifismus hervorgethan zu haben. Im Jahre 1506
fand in Amersham eine umfassende Untersuchung statt . wobei
mehr denn 60 Personen zu Kirchenstrafen verurtheilt wurden,
und ein Mann, welcher das Haupt des Conventikels gewesen zu
sein seheint. Wilhelm Tylsworth , lebendig verbrannt wurde :
seine eigene Tochter Johanna, Ehefrau eines Johann Clerk,
wurde gezwungen . den Holzstoss selbst anzuzünden , der ihren
Vater einäscherte . während ihr Gatte mit über 60 anderen Per-
sonen als Büsser anwohnen musste. Johann Foxe beruft sich
für seinen Bericht von jener Execution auf Männer und Frauen in
Amersham. welche Augenzeugen gewesen waren und damals
noch lebten als er schrieb: zwei davon nennt er mit Namen, z. B.
den Wilhelm Page, welcher damals selbst in Untersuchung ge-
nommen und zu einer Kirchenstrafe verurtheilt worden war 1 .
1) Foxe, Acts and Man. IV, 123 folg. — Auch Usher, Hist. controv.
de scripturis 1690. 179, berichtet davon.
2S*
436
Buch III. Kap. 5. IV.
Unter den Angeschuldigten befinden sich mehrere Ehepaare:
nur von einigen mögen die Namen genannt werden, weil sie in
späteren Jahren wieder vorkommen, theils ebenfalls als Lollar-
den. z. B. die Brüder Kobert und Richard Bartlet, Johann
Phip, theils als Denuncianten gegen ihre ehemaligen Glaubens-
genossen, z. B. Thomas Holmes. Mehrere unter diesen Leuten
wurden sonst bestraft: Robert Bartlet war ein reicher Mann,
man confiscirte seine liegenden Güter und sperrte ihn Jahre lang
in das Kloster Ashridge ein; ihrer 30 wurden zur bleibenden
Schmach an der Wange oder dem Kinnbacken gebrandmarkt
u. s. w. Und was war ihr Vergehen? Es bestand in nichts an-
derem als darin, dass sie die heil. Schrift zu lesen oder zu hören
verlangten, und mehrere Dinge in der bestehenden Kirche für
Aberglauben und Götzendienst hielten.
An einem der nächsten Tage nach jener Execution in Amers-
ham wurde in der Hauptstadt der Grafschaft , in Buckingham
selbst, ein Müller Roberts aus Missenden, einem unmittelbar bei
Amersham gelegenen Dorfe, verbrannt, und binnen zwei oder drei
Jahren noch zwei Personen in Amersham. Ein anderer, Vater
Rogers genannt, wurde 14 Wochen lang in einem Gefängniss
des Bischofs eingesperrt, und durch Kälte. Hunger und Zwangs-
eisen dermaassen mishandelt, dass er. als man ihn doch wieder
frei Hess, im Rückgrat gelähmt war und nie mehr aufrecht gehen
konnte 1 . Einer von denjenigen, welche in Amersham das erste
Mal mit einer leichteren Strafe davon gekommen waren, Thomas
Chase, ein gottesfürchtiger und ehrenhafter Mann, zog sich spä-
ter abermals den Verdacht wiclifitischer Gesinnung zu. Er wurde
vorden auf seinem Landsitz Woburn . unweit Amersham, woh-
nenden Bischof von Lincoln geführt und von ihm verhört. Seine
Krklärungen scheinen sehr wenig befriedigt zu haben: deshalb
wurde er im Herrenhaus des Bischofs in ein enges Gelass gesperrt,
das als Gefängniss diente. Hier wurde er öfters mit Hunger ge-
martert, mit Ketten. Hand- und Fusseisen u. s. w. belegt, und
am Ende ermordet. Ks wurde zwar das Gerücht verbreitet, Chase
habe im Gefängniss sich erhängt, allein das Gelass war der Art,
1 FOXE, Acts aml Mbn. IV, 124.
Maassregeln gegen Lollarden 1507. 437
dass ein Mann weder aufrecht darin stehen noch bequem liegen
konnte ; überdies waren dem Unglücklichen so viele Eisen angelegt,
dass er weder Hand noch Fuss regen konnte ! Um sein Gedächt-
niss für immer zu brandmarken , verscharrten sie seine Leiche
in einem Walde an der Strasse zwischen Woburn und Klein-
Marlow 1 .
Aber nicht blos in dem weitläufigen Sprengel von Lincoln,
sondern auch in andern Gegenden von England tauchten in jenen
Jahren »Irrlehren« auf. denen man mit aller Macht steuern zu
müssen glaubte.
Am 31. März 1507 wurde in Norwich ein gewisser Thomas
Noris als Ketzer verbrannt. Und im Jahre darauf kam in Lon-
don eine Frau, Elisabeth Sampson, in Untersuchung vor dem
bischöflichen Gerichtshofe, weil sie gegen die Verehrung von
Bildern, gegen Pilgerfahrten zu solchen, und gegen die Messe
gesprochen hatte. Sie hatte von den Marienbildern in Wilsdon,
Staines . Crome und Walsingham despektirlich gesprochen und
gemeint , es wäre besser für die Leute, wenn sie daheim blieben
und den Armen Almosen gäben, als wenn sie Wallfahrten mach-
ten. Auch sagte sie, die geweihte Hostie sei nicht Christi Leib,
sondern Brod, denn Christus könne nicht im Himmel und auf der
Erde zugleich sein. Sie wurde zum Widerrufe genöthigt, den sie
vor dem bischöflichen Kanzler. Wilhelm Horsey, ablegte'2 .
In Salisbury Hess der Bischof, ebenfalls noch unter Hein-
rich's VII. Regierung, einen Bürger Lorenz Ghest erst zwei
Jahre lang gefangen halten und schliesslich verbrennen, der Messe
wegen. Als er bereits an dem Pfahle stand, brachte man, um ihn
wankend zu machen, seine Ehefrau und seine sieben Kinder vor
ihn: er bat jedoch seine Frau, sich zu fassen und ihm nicht ein
Hinderniss in den Weg zu legen, denn er sei in einem guten Lauf
und eile seiner Erlösung zu. Nun wurde das Feuer angelegt.
Als er im Brennen war . warf ihm einer von des Bischofs Leuten
ein brennendes Stück Holz ins Gesicht, worüber der Bruder von
1) Foxe, Acts and Mon. IV. 124 folg.
2 a. a. O. 128. auf Grund eines Protokolls im Archive des Bisthums
zu London.
43S
Buch III. Kap. 5. IV.
Lorenz G h e s t , welcher dabei stand , so ausser sich war. dass er
um ein kleines den Mann erstach *) .
So sind noch in den letzten vier Jahren der Regierung' Hein-
riche VII. zahlreiche Lollarden zur Entdeckung und Bestrafung*
gekommen, mehrere von ihnen ausser den Genannten auch noch
eine Frau in Chipping-Sudbury. deren Namen Foxe nicht mehr
ermitteln konnte auch verbrannt worden. Am 21. April 1509
starb König Heinrich VII. Und da sein Erstgeborener. Prinz
Arthur, schon 1502 gestorben war, so bestieg sein zweiter Sohn
als Heinrich VIII. den englischen Thron. Der Anfang seiner Re-
gierung blieb hinter den letzten Jahren der Regierungszeit seines
Vaters nicht zurück in der Verfolgung der »Ketzer«.
Unter den Kirchenfürsten that sich im Eifer wider dieselben
hervor der Bischof von London, Richard Fitz-James 1506 —
1521, ein beschränkter Eiferer. Bei ihm kamen allein in den Jah-
ren 1510 und 1511 nicht weniger als 24 Personen zur Anzeige,
Männer und Frauen, im Jahre 1512 ein Mann. 1517 zwei Personen,
1518 sechs und 1521 vier Personen, deren Namen sämmtlich aus
dem Archiv des genannten Bischofs von Foxe verzeichnet sind 2) .
Die Anschuldigungen bezogen sich theils auf die Abendmahlslehre,
insbesondere auf die Lehre von der Wandlung, theils auf Bilder,
Wallfahrten und Verehrung der Heiligen. Bemerkenswerth ist,
dass einer Frau, Namens Johanna John, Ehefrau von Ludwig-
John, vorgeworfen wird, sie behaupte. Gott habe keine heiligen
Tage zu halten befohlen ausser dem Sabbattag. und deswegen
habe sie keinen gefeiert ausser diesem ; : was ohne Zweifel aus
dem Schriftprinzip der Lollarden abgeleitet war und als ein Vor-
spiel der puritanischen, gegenwärtig auch anglikanischen Lehre
vom Sonntag und den heil. Zeiten zu betrachten ist. Vorzüglich
wurde diesen Personen zum Vorwurf gemacht , dass sie gewisse
Bücher in englischer Sprache gehabt und gelesen haben, welche
dem Glauben der römischen Kirche zuwiderlaufen, als die vier
1) Foxe, Acts and Mon. IV, 12G folg. mit Berufung auf mündliche
Berichte von Augenzeugen.
2 Foxe, IV. 17:*— 178.
3) a. a. O. 176.
LoHarden in England 1511.
439
Evangelien, die Briefe Pauli undJakobi, die Offenbarung: Johannis,
ferner Wiclif's Wichet und ein Buch über die zehn Gebote des
allmächtigen Gottes. Schon der eine Umstand, dass diese Leute
Wiclif's »Pförtchen« lasen, seine kleine Volksschrift gegen die
Lehre von der Wandlung, beweist hinlänglich, dass sie ächte
Wiclifiten waren.
Man begnügte sich , die der Ketzerei Verdächtigen zum
Widerrufe zu nöthigeii und mit Kirchenstrafen zu belegen. Allein
wenn sie schwach gewesen waren und nach der Hand doch wieder
auf die früheren Ueberzeugungen zurückkamen, so wurden sie als
rückfällige Ketzer verurtheilt und dem qualvollen Feuertode über-
liefert. So wurden Wilhelm S w e e t i n g und Johann B r e w s t e r
am 18. Oktober 151t zusammen auf Smithfield verbrannt1). —
Im Frühling und Sommer desselben Jahres hatte der Erzbischof
von Canterbury. Wilhelm Warhain 1504 — 1532;, sonst ein
milder Herr, mit einer Menge Personen seiner unmittelbaren
Jurisdiction , besonders aus Tenterden in Kent, zu thun , weil sie
gegen die Wandlung in der Messe, die Noth wendigkeit der Taufe,
Firmung und Ohrenbeichte, gegen die Verehrung der Heiligen,
gegen Bilder und Wallfahrten sich erklärten. Die meisten wurden
zum Widerruf genöthigt, aber einige auch zum Tode verurtheilt2) .
Damals befand sich Erasmus von Rotterdam zum dritten
Mal in England; im Herbst 1511 hielt er sich in Cambridge auf.
Sein Freund, der königliche Geheimschreiber für Latein, Andreas
Ammonius, schrieb an ilin nach Cambridge, das Holz sei im
Preise gestiegen in Folge der täglichen Ketzeropfer, während
immer noch neue Ketzer nachwachsen 3 !
Im December 1514 kam in London ein Ereigniss vor, welches
die öffentliche Meinung aufs tiefste erregte und zuletzt selbst das
Parlament beschäftigte. Ein angesehener und wohlhabender Ge-
werbsmann und Bürger von London. Richard Hun, wurde wegen
Verweigerung einer Abgabe an einen Pfarrer in einen Process
vor dem bischöflichen Gerichtshofe verwickelt. Da nun die Geist-
1 Foxe, Acts and Mon. IV, ISO. vgl. 214 folg.
2 Foxe, a. a. O. V, (i47.
3 In der Briefsammlung des Erasmus. Opp. Lugd. Bat. 170$. III, f. 113.
440
Buch III. Kap. 5. IV
lichkeit fürchtete, er könnte den Process gewinnen und das würde
von üblen Folgen sein, so wusste die bischöfliche Inquisition neben-
bei einen Ketzerprocess gegen ihn anzustrengen. Man verhaftete
ihn und warf ihn in den »Lollardenrhurnn<. einen Thurm der alten
St. Paulskirche. Am 2. December 1514 verhörte ihn Bischof
Richard Fitz-James in der Kapelle seines Landsitzes Fulham.
Die Anschuldigungen gingen nämlich dahin, er habe verbotene
englische Bücher gehabt und fleissig gelesen, als Episteln und
Evangelien, auch die Apokalypse in englischer Sprache. Wiclif's
verdammenswerthe Werke, u. s. w.; ferner, er habe behauptet, die
Zehnten seien nur durch die Habsucht der Priester verordnet.
Bischöfe und Priester seien nur Lehrer aber nicht Erfüller des
Gesetzes Gottes u. dgl. Nach der Vernehmung wurde er am glei-
chen Tage wieder nach London in den Lollardenthurm gebracht.
Am Morgen des 4. December. als man ihm um 10 Uhr sein Früh-
stück bringen wollte, fanden ihn die Aufwärter erhängt , mit dem
Angesichte gegen die Wand. Sofort wurde dem bischöflichen
Kanzler H o r s e y Anzeige gemacht : er kam mit einigen Collegen
in das Gefängniss zur Besichtigung und liess nun aussprengen.
Hun habe sich aus Verzweiflung erhängt.
Allein in der Stadt hiess es sofort, da sei gewiss ein heim-
licher Mord geschehen , und unter der Bürgerschaft verbreitete sich
eine bedeutende Aufregung. Es half nichts, dass der Bischof nun
erst noch 13 neue Irrlehren aufstellte, welche Hun angeblich be-
hauptet habe, und diese am nächsten Sonntag beim St. Paulskreuz
bekannt machen liess, auch erst nachträglich am 16. December
eine feierliche Sitzung des kirchlichen Gerichtshofes hielt . über
den seit 12 Tagen todten Mann ein Urtheil fällte, das ihn als Ketzer
erklärte1 und seinen Leichnam der weltlichen Gewalt ausant-
wortete. Als vollends wirklich am 20. December der Leichnam
Hun's auf Smithfield verbrannt wurde, wirkte dieser Akt so
wenig abschreckend oder überzeugend, dass er vielmehr die Ge-
müther erst recht empörte und in ihrem Verdachte bestärkte.
Der Todtensehauer hatte scheu am 5. und 6. December deu
1) Die höchst ausführliche Sentenz, von einem merkwürdigen Wort-
schwall, gibt Foxk. Acts and Mo». IV. folg. Anm.. vollständig.
Die Untersuchung über die Todesart Ilichard HunV
141
Leichnam an Ort und Stelle besichtigt. Der Geheime Rath nahm
sich der Sache an und vernahm die Betheiligten, selbst Heinrich
VIII. wohnte mehr als einmal den Sitzungen bei. Die obersten
Richter leiteten den Process ein, und erhoben die Anschuldigung
auf Mord gegen den Kanzler Dr. Horsey. den Aufwarter Karl
Joseph und den Glockenlauter Johann Spalding. Indessen
setzte es der Bischof von London mit Hülfe des Cardinais Wol-
sey durch, dass die Anschuldigung gegen Dr. Horsey für un-
richtig erklärt wurde ; derselbe wurde sofort auf freien Fuss ge-
setzt, verliess London und durfte sich nie mehr in der Hauptstadt
blicken lassen. Der Ausspruch des Coroner $ Todtenschauers
von London, Thomas Barn well , nebst seinen 24 Geschworenen,
zusammengenommeil mit allen Zeugenaussagen, welche noch vor-
handen sind, lässt in der That keinen Zweifel übrig, dass Richard
Hun sich nicht selbst erhängt haben kann, sondern dass er zu-
erst erdrosselt und nachträglich aufgehängt worden ist, ferner dass
diese Mordthat von dem bischöflichen Kanzler. Dr. Wilhelm Hor-
s e y . dem Aufwärter Karl Joseph und dem Glockenlauter Johann
Spalding in Gemeinschaft begangen worden ist1 . Um so un-
begreiflicher ist es, dass der König in den Gang der Justiz einge-
griffen hat, so dass der Generalstaatsanwalt jene Verfügung er-
liess. durch welche der Kanzler auf freien Fuss gesetzt wurde.
Der Criminalprocess gegen die beiden Mitschuldigen desselben
nahm einen schleppenden Gang. Deshalb wandte sich die ver-
heiratbete Tochter Hun's, Margarethe verehelichte Waplod.
in einer heute noch im Staats-Archiv vorhandenen Bittschrift '2
an den Geheimsiegelbewahrer mit der Beschwerde über Justiz-
verzögerung und der Klage , dass sie mit ihrem Ehemann und
sieben Kindern sich in Noth befinde : denn das ganze nicht un-
bedeutende Vermögen ihres Vaters war confiscirt worden. Selbst
das Parlament verwendete sich beim König für die Familie. Die
Folge war ein königliches Mandat, wodurch die Restitution des
1) Foxe hat Acts and Mon. IV, 190 folg., vgl. 196 folg., das Verdict der
gerichtlichen Besichtigung, und 192 folg. die Zeugenaussagen urkundlich
mitgetheilt.
2) s. Anhang zu Foxe, in der Ausg. von Townsend, Vol. IV. 725.
442
Buch III. Kap. 5. IV.
Vermögens von Hun an seine Hinterlassenen angeordnet wurde.
In diesem Befehl ist zugleich ausgesprochen, dass Richard grau-
sam ermordet worden sei l) . Das Vermögen von Hun betrug, ab-
gesehen von Silberzeug und Juwelen, die für jene Zeit höchst be-
trächtliche Summe von 1500 Pfund Sterling.
Dieses ganze Ereigniss hat begreiflich nicht verfehlt, einen
lange nachhaltenden Eindruck zu machen und die öffentliche Mei-
nung gegen die Geistlichkeit gewaltig in Harnisch zu bringen.
Im Jahre 1515 scheint das Haus von Robert Durd'ant in
Yvercourt Grafschaft Buckinghami der Sitz eines wiclifitischen
Conventikels gewesen zu sein. Denn wir sehen aus den Proto-
kollen über die später, theils 1518 theils 1521. mit ihm vorge-
nommenen Verhöre, dass er »ein grosses Ketzerbuch in englischer
Sprache« besass, welches laut der Beschreibungen nichts anderes
gewesen sein kann als eine Handschrift der englischen Bibelüber-
setzung von Wiclif. Um aber die Entdeckung zu verhüten und
der Verfolgung zu entgehen, kam man in seinem Hause häufig bei
Nacht zusammen, und las mit grosser Begierde etliche Kapitel
aus den Evangelien, einen Brief des Apostels Paulus, oder auch
wohl den bei den Stillen im Lande damals besonders beliebten
Brief Jakobi, welchen, wie uns bezeugt wird, manche von den
Liebhabern des Wortes Gottes vollkommen auswendig wussten 2 .
I Foxe, Acts and Mon. IV, 197 folg.
2) Usher führt in seiner Historia — controversiae — de scriphtris
11)00. Si ISO, aus dem Archiv des Bischofs Fitz-James unter anderem
den Vorhalt an, welchen der Kanzler und Generalvicar Dr. Ben et einem
Richard Butler 1 51 S machte . Leg ist i in magno libro haereseos ejusdem
Ro1). Durdant tota iUa nocte capilula quaedam etc. Vgl. Foxe, Acts
IV, 220. Ferner wurden Durdant und andere, im Jahre 1521 vom Bischof
Longland von Lincoln darüber zur Verantwortung gezogen, dass sie am
Hochzeitstage der Tochter Durdant's einen Brief des Apostels Paulus in
einer Scheune gelesen hatten, wobei Durdant denselben warm empfohlen
und gerühmt habe, Usher a. a. 0. IM. — Das Auswendiglernen bibli-
scher Bücher war um so mehr am Platz, als die Abschriften so selten und
kostbar waren: ein gewisser Nicolaus Beiward zahlte für eine Handschrift
des englischen N. Testaments l Mark 40 Pence = 2 Pfd. 10 Schilling s Pf.,
was nach jetzigem Geldwerth mindestens 10 Pfd. Sterling betragen würde.
Bald darauf (1520 erschien Tindals englisches N. T. im Druck, welches
um Schilling 2 Pf., d. h. ungefähr um 1 '•_>,) des obigen Preises verkauft
Leben und Wesen der Lollarden im XVI. Jahrhundert.
443
Jahr für Jahr kamen Untersuchungen. Verhöre, Kirchenstra-
fen bis zum Scheiterhaufen vor, und zwar in verschiedenen Ge-
genden von England, zu einer Zeit, wo die deutsche Reformation
entweder noch nicht begonnen hatte oder wenigstens in Gross-
Britannien noch von niemand beachtet wurde. Es war eine reli-
giöse Erweckung aus ureigenen englischen Quellen entsprungen.
Die wiclifitische Tradition war in ununterbrochener Linie erhal-
ten, sie war nte ganz erstorben. In manchen Familien hat sie sich
erweislich von den Voreltern auf Kind und Kindeskind vererbt.
Aber seit der Wende des XVI. Jahrhunderts schlägt die alte wicli-
titische Wurzel neu aus und treibt frische Schösslinge. Seit 1506
sind die jungen Schösslinge bereits etwas erstarkt. Und die Winde
der Verfolgung haben ihr Gedeihen nur befördert. Es ist, als
sollte in England eine Reformation aus dem Schoosse des Bürger-
timms und Bauernstandes, in welchem der Wiclifismus als keim-
kräftiger Same bewahrt worden war, geboren werden. Die Leute
hatten die Süssigkeit des Wortes Gottes geschmeckt, wTie es ihnen
W i c 1 i f in ihrer Muttersprache gegeben hatte. Ein glühender Eifer,
dasselbe auszubreiten, war erwacht. Prediger hatten sie keine
unter sich, biblische Reiseprediger gab es nicht mehr. Ihre Stelle
vertraten nun Leser; einer und der andere werden als »grosse
Leser « gerühmt. Statt der Reise p r e d i g e r finden wir Reise 1 e h -
rer und Reise Sprecher in den Conventikeln. So ein Mann wie
Thomas Chase, Robert C o s i n , wurde unter den Eingeweihten
mit dem Namen »Doctor« geehrt1). Wie ehemals die »armen
Priester«, die Reiseprediger der Lollarden, von Ort zu Ort gegan-
gen waren um »Gottes Gesetz« zu predigen, so wanderten nun
diese stillen Leute von Grafschaft zu Grafschaft; sie erkannten
sich unter einander, und wo ein kleines Häuflein von Liebhabern
des Wortes Gottes war, da versammelten sie sich um den »Doc-
tor«. In der Wohnung eines Wissenden, aber nicht selten nur bei
wurde Lewis, Pecock '217 . Weil der Preis eines geschriebenen X. Testa-
ments, geschweige einer ganzen Bibel, für Arme ganz unerschwinglich war,
so cirkulirten handschriftlich in der Hegel nur einzelne Bücher der Bibel,
in Form von Büchlein und Traktaten, und zwar sämmtlich in der AVic-
lif 'sehen Uebersetzung.
1, Foxe, Acts IV, 214.
444
Buch III. Kap. 5. IV.
Nacht, auch wohl in einer Scheune, las er ihnen vor aus den eng-
lischen Bibelbüchern, die er mitgebracht, einem Evangelienbuch,
einem Jakobusbrief u. s. w., oder auch aus Wiclif's Abend-
mahlsbüchlein, dem »Pförtchen« {Wichet), aus dem Buche Wil-
helm Thorpe's und anderen. Es war eine Begeisterung und
Opferfreudigkeit in jenen Leuten, die uns beschämen. Wie sassen
sie ganze Nächte beisammen , mit Lesen und Hören der Bibel be-
schäftigt ! Sie lernten nicht nur die zehn Gebote, den apostolischen
Glauben, die acht Seligpreisungen auswendig, sondern auch ganze
Bücher, z. B. den Jakobusbrief. Wie grosse Kosten wandten
Leute, denen es mitunter recht schwer wurde, daran, ein Büch-
lein in der Muttersprache zu kaufen. Es kam vor, dass einer eine
Wagenladung Heu für eine Handschrift des Jakobusbriefs oder
einen Paulinischen Brief gab. Die Buchdruckerkunst war ja
längst erfunden ; aber für Leute dieser Art und für ihr Bedürfniss
schien sie noch nicht da zu sein. Es scheint mir, dass sie in Eng-
land erst in den zwanziger Jahren jenes Jahrhunderts zu Volks-
schriften, Traktaten, fliegenden Blättern verwendet wurde. In dem
Jahrzehent zuvor waren jene Bibelfreunde im englischen Volk noch
an Handschriften gewiesen. Die waren theuer und rar; und wie
viele gab es, die lesen konnten ? Dennoch hat in jenen Kreisen
das Wort Gottes sich ausserordentlich vervielfältigt, gewiss mehr,
als unter einem anderen Volke der Christenheit und zu irgend einer
anderen Zeit vor Verbreitung des Bücherdrucks der Fall gewesen
ist. Das macht, das Evangelium ist auch in dieser Hinsicht eine
»Kraft Gottes« gewesen und hat wunderbare Wirkung gethan,
wie der Apostel Rom. 1,16 zunächst freilich in einem anderen
Sinne von demselben rühmt. Ein Nachbar ermuntert den andern,
sie halten ernste Besprechungen mit einander ; oft drückt ein kur-
zes Wort einen Stachel in ein Herz, den dieses nicht mehr los
wird. Und die sich zusammengehörig wissen, üben gegenseitige
Zucht und sehen darauf, ob sie die Gebote Gottes immer noch
halten, wie sie ehedem gethan l). Und wie haben sie sich zu Lie-
1) Foxe, Acts IV, 229. In einem Verhöre kommt zur Sprache,
dass einer nach seinem Cousin und zwei anderen , an einem dritten Orte
wohnenden, gefragt hat: JIow they did? ivhether they kept the laws of God,
as they teere tvont?
Johann Brown von Ashford in Kent.
445
beswerken ermuntert, wenn z. B. einer sagt, das sei eine richtige
Pilgerreise, die Armen, Schwachen und Kranken besuchen, denn
»las seien die wahren Bilder Gottes. Wahrlich, es ist etwas von
einer neuen Ausgiessung des heil. Geistes zu spüren.
Das war freilich nicht die Meinung des englischen Episkopats
und des ganzen Klerus. Man stiess sich an der Kühnheit und
dem jezu weilen schroffen und spöttischen Wesen der Leute, und
erkannte gefährliche Ketzer in ihnen.
Im Frühjahr 1517 sassen zwei Männer in einem Nachen, der
auf der Themse von London herab nach Gravesend fuhr, auf ei n em
Brette beisammen. »Weisst Du, wer ich bin ?« fing der eine an, »Du
sitzest auf meinem Kleide!« — »Nein,« antwortete dieser. — »Ich
bin ein Priester, ich bin ein Messpriester und singe für eine Seele.«
— Nun fragte der andere: »Bitte, wo findet Ihr die Seele, wenn
Ihr zur Messe geht?« — »Das kann ich Dir nicht sagen!« antwor-
tete der Priester. — »Ich bitte Euch, wo lasst Ihr die Seele, wrenn
Ihr von der Messe kommt?« — »Kann Dir das nicht sagen! « —
»Ihr könnt nicht sagen, wo Ihr sie findet, wenn Ihr zur Messe geht,
und nicht, wo Ihr sie lasset, wenn die Messe vorüber ist! wie
könnt Ihr dann die Seele haben ?« sagte der Mann. — »Gehe Dei-
ner Wege,« rief der Priester, »Du bist ein Ketzer, mit Dir will ich
schon fertig werden!« — Als sie an's Land kamen, nahm der
Priester zwei Zeugen mit sich und eilte stracks zum Erzbischof
Warb am. Drei Tage später schickte man nach dem Mann; er
hiess Johann Brown, wohnte zu Ashford in Kent, und feierte
eben mit einigen Gästen den ersten Ausgang seiner Frau nach
dem Wochenbette. Man brachte ihn nach Canterbury, wo er 40
Tage eingesperrt wurde, ohne dass seine Frau erfuhr, wo er sei.
Erst als man ihn nach seinem Wohnort Ashford brachte und dort
in's Gefängniss legte, erfuhr es seine Frau und sass die ganze
Nacht bei ihm. Da erzählte er ihr, wie man ihn behandelt hatte,
und dass man ihn zur Tortur mit blossen Füssen auf glühende
Kohlen gestellt hatte, so dass seine Füsse bis an die Knochen
verbrannt waren und er nicht mehr auftreten konnte : und das in
Gegenwart des Erzbischofs und des Bischofs Fisher von Roche-
ster! »Dessen ungeachtet,« sagte er, »will ich meinen Herrn nicht
verleugnen ; denn wenn ich meinen Herrn verleugnete in dieser
446
Buch III. Kap. 5. IV.
Welt, so würde er mich dereinst verleugnen! Ich bitte Dich, gute
Elisabeth, fahre fort wie du angefangen hast , und erziehe deine
Kinder tugendhaft und in der Furcht Gottes !« Den Tag darauf
wurde Brown verbrannt. Er ist standhaft geblieben, seine letz-
ten Worte waren das Gebet : »In deine Hände befehle ich meinen
Geist, du hast mich erlöset, o Herr der Wahrheit ! « Das hat die
hinterlassene Wittwe Elisabeth Brown ihren Kindern oft und
viel erzählt, und aus dem Munde ihrer Tochter Alice hat Foxe
seinen Bericht entnommen ») .
Am 29. März 1518 wurde auf Smithfield ein unter den Lol-
larden sehr einflussreicher und angesehener Mann verbrannt,
welcher schon 1511 vom Bischof Smith zu Lincoln zum Wider-
ruf »ketzerischer« Meinungen genöthigt, und in dem Kloster der
heil. Frideswida zu Oxford eingesperrt worden war. Er hiess
Thomas Mann und war ein Reiselehrer der Lollarden, der von
Ort zu Ort reiste und sich in verschiedenen Grafschaften, als Nor-
folk, Suffolk, Essex, Middlesex, Buckingham und Berkshire ab-
wechselnd aufhielt, namentlich einmal geraume Zeit in dem mehr-
erwähnten Amersham, Grafschaft Buckingham, arbeitete. In den
Verhören wurde ihm nachgesagt, er habe sich gerühmt, dass er
sammt seiner Frau 6 — 700 Menschen zu seiner religiösen Ueber-
zeugung bekehrt habe, wofür er Gott danke2).
Am 25. Oktober desselben Jahres wurde Johann St ihn an
von dem Generalvikar des Bischofs zu London als ein rückfälliger
Ketzer verurtheilt, und am gleichen Tage den Sheriffs von Lon-
don ausgehändigt und auf Smithfield verbrannt. Derselbe war
schon im Jahre 1507 vor dem Bischof von Salisbury in Unter-
suchung gewesen, weil er gegen Bilderverehrung, so wie gegen
die Lehre von der Wandlung gesprochen hatte. Damals brachte
man ihn zum Widerruf. Seitdem aber hatte er dieselben Ansich-
ten wieder geäussert, Wiclif's Wichet gelesen, auch dieses
Büchlein und andere Schriften von Wiclif zur Zeit seiner ersten
Verhaftung nicht ausgeliefert , sondern in einer hohlen Eiche ver-
steckt und später mit nach London gebracht. Er soll gosagt
1) FOXE, Acts and Monum. IV, 181 folg., vgl. Anhang 722 folg
2) a. a. O. IV, 208 folg., 213 folg.
Verfolgungen von Lollarden 1 5 1 i» folg.
I 17
Ilaben . die Kirchenlehrer haben die Wahrheit der heil. Schrift
verkehrt und die Bibel nach ihrem eigenen Sinn ausgelegt, des-
wegen seien sie in der Hülle: Wielif aber sei ein Heiliger im
Himmel, und sein Buch »das Pförtchen« sei gut. denn darin zeige
er die Wahrheit 1 .
Warum wurden aber die sieben Märtyrer von Coventry am
4. April 1519 in einem und demselben Feuer mit einander ver-
brannt? Hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie ihre Kinder
das Vater Unser, den Glauben und die zehn Gebote in englischer
Sprache gelehrt hatten. Es waren sechs Hausväter vom Hand-
werkerstande und eine Wittwe. Die letztere war bereits vorläufig
entlassen, als der bischöfliche Amtsdiener bei ihr ein Rascheln im
Aermel ihres Kleides vernahm und ein Papier entdeckte, worauf
das Gehet des Herrn, die Artikel des Glaubens und die zehn Ge-
bote in englischer Sprache standen. Und dieses Verbrechen hat
sie dann mit dem Feuertode gebüsst 2; !
Unter allen englischen Bischöfen damaliger Zeit trat als der
heftigste Verfolger der Lollarden der Bischof von Lincoln. D. Jo-
hann Longland, auf. Zwar hatte schon einer seiner Vorgän-
ger, Wilhelm Smith 1495 — 1514, scharfe Massregeln gegen
die »Ketzer« genommen, namentlich 1506 in Amersham Bucking-
hamshire; den Wilhelm Tyls worth verbrennen lassen und viele
Andere zum Widerrufe gedrängt: unter ihm war Thomas Chase
von Amersham im Gefängniss umgebracht worden. Doch hat er
auch viele von denen, welche in Untersuchung genommen waren,
wieder ruhig nach Hause gehen lassen und ihnen die Strafe ge-
schenkt. Ganz anders verfuhr der dritte Nachfolger von Smith .
Bischof Longland, der am 20. März 1521 den Stuhl von Lin-
coln bestieg und bis zum Jahre 1 547 inne hatte. Er war ein Mann
von grausamer Härte, und verfuhr , um die »Ketzerei« gründlich
auszurotten, mit Methode und nach einem gewissen strategischen
Plane.
Er fing damit an, dass er einen oder zwei von denjenigen,
welche unter Bischof Smith abgeschworen hatten, veranlasste.
t) Foxe, Acts, IV, 207 folg.
2) a. a. O. IV, 557.
448
Buch III. Kap. 5. IV.
kraft ihres damaligen Eides, nicht allein ihre religiösen An-
sichten kund zu thun, sondern auch alle diejenigen Personen von
ihrer Verwandtschaft und Bekanntschaft namhaft zu machen,
welche gleichfalls widerrufen hatten oder verdächtig waren. Und
diese mussten wiederum sich aussprechen und alle diejenigen
anzeigen, von welchen sie etwas wussten. Dadurch erweiterte
sich der Kreis der Angeschuldigten nach allen Richtungen, und
es kam eine ungeheure Menge Männer, Frauen und Jungfrauen
in Untersuchung : so dass in dem grossen Sprengel von Lincoln,
welcher damals noch die jetzigen Diöcesen Oxford und Peter-
borough mit umfasste. binnen der Jahre 1521 und 1522 allein
über 100 Personen vor den bischöflichen Gerichtshof gezogen wur-
den. Man erpresste von den Beklagten Angaben selbst gegen ihre
eigenen Ehegatten oder Eltern, Geschwister und nächsten Anver-
wandten. Namentlich wurden die Angeschuldigten über ihre Be-
kanntschaft mit einflussreichen und thätigen Personen ihrer Ge-
meinschaft inquirirt, um den letzteren auf die Spur zu kommen
und ihre Wirksamkeit lahm zu legen. Diejenigen, welche ge-
ständig waren, mussten widerrufen und abschwören, und wur-
den sodann entweder mit der Auflage gewisser Busswerke und
Kirchenstrafen entlassen, oder auf eine gewisse Zeit, zum Theil
lebenslänglich, Klöstern übergeben, in denen sie Hausarrest be-
kamen. Andere hingegen wurden, als rückfällige Ketzer, ver-
urtheilt, dem weltlichen Arm übergeben, und endeten ihr Leben
auf dem Scheiterhaufen. Dies war das Loos des Thomas Ber-
nard, Jakob Morden, Robert Rave und Johann Scrivener.
Der letztere war im Jahre 1506 einer von denjenigen gewesen,
welche unter Bischof Smith widerrufen hatten; jetzt wurden
seine eigenen Kinder gezwungen, ihren Vater verbrennen zu hel-
fen, wie damals die Tochter von Tylsworth das Feuer hatte
anzünden müssen, das ihren Vater verzehrte.
Die Vergehen dieser Leute bestanden, laut der bischöflichen
Protokolle, keineswegs in irgend welchen Unsittlichkeiten, son-
dern darin, dass sie verbotene Bücher besassen, die sie einander
mitzutheilen und vorzulesen, auch wohl auswendig gelernte stücke
daraus Anderen herzusagen oder selbst zu lesen und vorlesen zu hö-
ren pflegten. Die verpönten Bücher waren aber bei weitem in den
Anschuldigungen wider die Lollarden 1521
149
meisten Fällen biblische Bücher in englischer Uebersetzung. z. B.
die Sprüche Salomonis. und aus dem N. T. einzelne Evangelien,
die Apostelgeschichte, Briefe Pauli, katholische Briefe, vorzüglich
der Jakobusbrief, die Offenbarung Johannis. Ferner legte man
ihnen zur Last, dass sie ihre Kinder das Vater Unser in englischer
Sprache gelehrt hatten, und dass sie selbst das Gebet des Herrn
englisch und nicht lateinisch beteten ; Einzelne von ihnen gingen
an Feiertagen nicht zur Kirche, dagegen besuchten sie sämmtlich
ihre Conventikel. In diesen Conventikeln waren es mitunter
Frauen, welche, wenigstens mit Hersagen aus dem Gedächtniss.
das Wort führten. So wurde unter anderem angegeben, dass
Alice Colins, die Ehefrau voji Richard Colins in Burford, ein
gutes Gedächtniss habe und vieles aus der Bibel und anderen
guten Büchern hersagen könne; deshalb habe man, wenn ein
Conventikel dieser Leute in Burford gehalten wurde . gemeini-
glich nach ihr geschickt, damit sie ihnen die Erklärung der zehn
Gebote und die Briefe Petri und Jacobi auswendig vortrage.
Auch die Tochter der genannten Eheleute, Johanna Colins,
hatte mit ihren Eltern auswendig gelernt die zehn Gebote, die
sieben Todsünden, die sieben Werke der Erbarm ung, die fünf
Sinne Leibes und der Seele , die acht Seligpreisungen und die
fünf Kapitel des Briefes Jacobi *) .
Dass sie die Wandlung in der Messe verneint und die
Communion für ein blosses Gedächtniss des Versöhnungstodes
Christi erklärt haben , wird von den meisten unter ihnen ange-
geben. Die Leute drückten sich mitunter auf eine sehr drastische
und allerdings verletzende Art aus. So ein gewisser Bartlet,
den ein dritter einmal beim Dreschen antraf: als dieser sagte:
»Gott helfe euch, Vater Bartlet, ihr arbeitet hart!« erwiederte der
alte Mann: »Ja. ich dresche Gott den Allmächtigen aus dem
Stroh 2 ! « Ausserdem wiederholt sich so und so oft, dass sie die
Verehrung der Heiligen misbilligten, Bilder für Stock und Stein
und für todte Dinge erklärten : Einzelne wollten die Ohrenbeichte
nicht für nothwendig halten ; Andere erkannten die Ehe nicht als
1 Foxe, Acts and Mon. IV, 208.
2) a. a. O. IV, 222.
Lechler, Wiclif. II. 29
450
Buch III. Kap. 5. IV.
ein Sakrament au; auch kommt vor, dass Etliche sagten: die-
jenigen, welche sterben, kommen stracks entweder in den Himmel
oder in die Hölle, d. h. sie leugneten das Fegefeuer *) . Das waren
lauter wiclifitische Grundsätze. Dass aber diese Ansichten nicht
selbständig erst aus der Bibel entnommen waren , sondern wirk-
lich auf wiclifitischer Ueberlieferung beruhten, ergibt sich zweifel-
los aus der Thatsache, dass jene Leute, wie von mehreren aus-
drücklich bezeugt ist, ihre Abendmahlslehre aus Wiclifs
Wichet geschöpft hatten und dieses Büchlein theuer und werth
hielten . Auch finde ich , dass sie »das Buch von Wilhelm T h o r p e «
besassen 2) .
Die Angeschuldigten waren ihrer Lebensstellung nach lauter
ungelehrte einfache Handwerker und Landleute, Bürger in kleinen
Städten oder Bauern auf Dörfern mit ihren Familien. Sie ge-
hörten theils der Grafschaft Buckingham an, indem sie in der
Stadt Amersham, in Colnbrook und anderen Orten wohnten, theils
der Grafschaft Middlesex , nämlich den der Grafschaft Bucking-
ham benachbarten Städten Uxbridge, Staines u. s. w. Unter der
grossen Zahl heben sich, laut der Aussagen und Anzeigen, als vor-
zugsweise thätig und eifrig für Ausbreitung ihrer Grundsätze hervor
Robert Bartletund sein Bruder Richard, Richard Colins mit
seiner bereits erwähnten Ehefrau Alice, Johann Littlepage und
sein Bruder Thurstan, Frau Alice Har ding. Es ist der Er-
wähnung werth, dass ein gewisser Wilhelm Littlepage be-
kannte , den apostolischen Glauben in englischer Sprache von
seiner Grossmutter gelernt zu haben ; während wir in Betreff eines
Robert Colins die Angabe finden, dass dessen Vater schon vom
Jahre 1480 an »einer von dieser Lehre« gewesen sei3). Endlich
taucht in diesen Zeugnissen mehr als einmal der Umstand auf.
dass die zu der wiclifitischen Gemeinschaft gehörigen Personen
sich unter einander im esoterischen Kreise «gute Leute, Gerechte,
und erkannte Leute« zu nennen pflegten [a good man, just-fast
* men, a known-man, knoum-men) 4) ; diese Namen dienten ihnen als
1) Foxe, Acts and Mon. IV, 243. Vgl. oben S. 430.
2) a. a. O. IV, 235. 24:j. 238.
3) a. a. O. IV, 22S. 2117.
4) a. a. O. IV, 221.
Einwirkung der deutschen Reformation auf England.
451
Erkennungszeichen. Den Namen »erkannte Leute« oder »Be-
kannte« hal»en wir schon bei Pecock. und zwar dort zum ersten
Male gefunden. Es ist eines von den Zeichen stetiger Fortpflan-
zung einer gewissen lollardischen Eigenart, dass wir hier, 70
Jahre später, immer noch denselben, doch nicht so ganz auf der
Hand liegenden Namen antreffen.
Im Jahre 1517 hatte in Deutschland Luther durch seine
Thesen vom Ablass das Signal zur Reformation gegeben, und
bald war er weiter geführt worden zu andern reformatorischen
Gedanken und Schritten. In England verbreitete sich die Kunde
davon nebst Luthers Schriften allmählich, und das Jahr 1521 ist
in Hinsicht der Bekanntschaft Englands mit den Anfängen der
deutschen Reformation als eine Epoche anzusehen. In diesem
Jahre trat Heinrich VIII. mit seiner Assertio Septem sacramen-
torum als Kämpfer gegen Luther und als »Vertheidiger des Glau-
bens« auf. Und in demselben Jahre, am 14. Mai 1521, erliess
Cardinal Wolsey ein Mandat an die Bischöfe des Landes, gegen
die »höchst verderblichen, schädlichen und ärgerlichen Meinungen-
Luthers, worin er seine Schriften für ketzerisch erklärte und
deren Auslieferung bei Strafe des Banns befahl 1 . Eine könig-
liche Verordnung vom 21. Oktober 1521 schärfte allen Obrig-
keiten ein. dass sie den Bischöfen bei Aufspürung und Bestra-
fung der lutherisch gesinnten behülflich sein sollten. Und in der
That sind die nächsten zwölf Jahre voll von Verfolgungen bis
zum Scheiterhaufen und Blutvergiessen. Aber diese Gewaltmittel
vermochten nicht Viele abzuschrecken. Die evangelische Wahr-
heit verbreitete sich während der zwanziger Jahre immer weiter
in England, ungeachtet der Staat, mit der Kirche vereint, sich ihr
in den Weg stellte. Unter dem Drucke wuchs nur die elastische
Kraft evangelischer Gesinnung. Evangelisch gesinnte Engländer
im Exil arbeiteten für Verbreitung evangelischer Schriften in Eng-
land. Antwerpen wurde der Hauptstapelplatz reformatorischer
Literatur für Gross-Britannien. Dort Hess Wilhelm Ty n da 1 e seine
Uebersetzung des Neuen Testamentes, unter dem Pseudonym
»Hotchyn«, 1526 drucken, und schickte sie seiner Heimath zu.
l; Wilkins, Conti ui 31. Brit. III, 690 folg.
29*
152
Buch III. Kap. 5. IV.
Hanseatische Kaufleute luden die Exemplare auf ihre Schiffe
und versendeten sie nach London. Ein frommer Seelsorger, Tho-
mas Garret, an der Allerheiligenkirche in Honey-Lane, London,
liess die Bücher in seiner Wohnung niederlegen und verkaufte sie
selbst an Laien, Priester und Mönche. So kam das N. Testament
in modernerer englischer Uebersetzung in viele Hände und wurde
vom Volk, doch auch von Gebildeten und Studirten, begierig ver-
schlungen. Dadurch wurde im Volk der Grund gelegt zur eng-
lischen Reformation.
Es ist nämlich, wie zuerst Guizot1) ausgesprochen und klar
nachgewiesen hat, in der englischen Reformation eine doppelte
Bewegung zu unterscheiden, die von oben und die von unten ; die
Reformation von oben, aus weltlichen und fleischlichen Beweg-
gründen entsprungen, in ihrem Verfahren tyrannisch und schwan-
kend zugleich ; die Reformation von unten, in der Kraft des Glau-
bens unternommen, aus sittlichen Motiven hervorgehend, mit Ver-
achtung irdischer Rücksichten eifrig und folgerichtig vorrückend.
Allein in der vom Volk ausgehenden Reformationsbewegung
sind verschiedene Elemente wohl zu unterscheiden, welche zu-
sammenwirkten und in ihrer Vereinigung jene Reform von unten
bildeten.
In politischer und socialer Beziehung war Verstimmung,
Aergerniss und Klage über die Geistlichkeit des Landes, über ihre
Unwissenheit, Sittenlosigkeit, Habsucht und Herrschsucht so weit
verbreitet und eingewurzelt, dass nicht nur satirische Dichter, wie
Johann Skel ton, Pfarrer zu Diss in Norfolk, Bischöfe, Priester
und Mönche aufs schärfste und unerschrockenste geisselten2),
sondern auch das Unterhaus Gesetze beantragte zur Beschränkung
der Vorrechte des Klerus und zur Schmälerung seines Einkom-
mens (1527); das Oberhaus stemmte sich zwar dawider, allein die
Bills erlangten schliesslich doch Gesetzeskraft. Selbst Prälaten
konnten sich der Einsicht nicht mehr verschliessen, dass unerträg-
liche Misstände das kirchliche Wesen drückten, und machten einige
1) Guizot, Geschichte der engl. Staatsumwälzung u. s. w., deutsch
bearbeitet, Paris 1827.
2) WlLLMOT, Bishop Jervmy Taylor, 1848. S. 15 folg.
Englische Humanisten.
153
Versuche zur Abhülfe, wiewohl erfolglos. Der Erzbischof von
York schrieb noch 1535 an Thomas Crornwell. er kenne in seiner
Diöcese keine zwölf Pfarrer . die im Stande wären zu predigen.
Schon am 2. Januar 1517 hatte Bischof Fox von Winchester in
einem Schreiben an Wolsey eine Reform der Kirche gefordert.
Der Cardinal beschloss, um seinen Eifer zu bethätigen und seine
Auktorität als päpstlicher Legat geltend zu machen, 1523 und
1524 eine allgemeine Kirchenvisitation, welche vorzugsweise der
Geistlichkeit galt. Darüber bezeugte ihm Bischof Fox seinen
wärmsten Beifall, und sprach aus : »Die Reform der Geistlichkeit
und aller kirchlichen Dinge wird dem Volke gefallen ; es hat sich
schon lange darnach gesehnt1).«
Ein zweites Element, welches mit eingriff, war das wissen-
schaftliche . der Humanismus und die Reform der Theo-
logie durch Zurückgehen auf die Bibel und ihren Urtext. Nach
Italien, wo die klassische Literatur wieder erwacht war, wendeten
sich lernbegierige junge Männer auch aus England, ein Tho-
mas Linacre, Wilhelm Grocyn. Johann Col et. Sie ver-
werteten nach ihrer Rückkehr die dort erworbene Bildung zum
Besten der Heimath. Wilhelm Grocyn (f 1519) lehrte nachher
in Oxford Griechisch, und war der erste Engländer, der die Un-
ächtheit des »Areopagiten« erkannte. Johann Colet (f 1519) hatte
in Italien besonders die Neuplatoniker studirt und las in Oxford
seit 1496 mit Beifall über die paulinischen Briefe. Zum Dechan-
ten der Paulskirche in London befördert (1505 , wirkte er als ein
gesegneter Prediger, gründete aber auch 1510 aus eigenen Mitteln
die erste klassische Unterrichtsanstalt im Lande, die Paulsschule,
welche das Vorbild für viele andere geworden ist 2) . Das Studium
1 STRYPE, Ecclesiastical Memorials , relating to Religion and the Re-
formation of it. 1721. Wir benutzen die Oxforder Ausgabe aus der Claren-
don-Presse 1832. 1, 71 folg. Die Ordnung und Verarbeitung des Gegebenen
lässt viel zu wünschen übrig; desto schätzbarer ist der urkundliche Stoff
selbst, den der Herausgeber theils aus Handschriften, theils aus selten ge-
wordenen Druckschriften gesammelt und, zum Theil in besonderen Urkun-
denbänden, zum Abdruck gebracht hat.
2 Vgl. das treffliche Werk von Fr. Seebohm : The Oxford Reformers
John Colet, Erasmus and Thomas More. 2. ed. London 18(59.
454
Buch III. Kap. 5. (IV,
des Griechischen kam an den Universitäten auf. Zwar witterten
darin die Aengstlichen bereits einen Keim der Ketzerei. Aber der
König selbst nahm das klassische Studium gegen Verketzerungen
in Schutz. In Cambridge war es der gelehrte Dr. Robert Barnes,
der vom Jahre 1525 an die Jünglinge ermunterte, anstatt der
Scholastiker lieber die Klassiker zu studiren . Georg S t a f f o r d ,
Fellow von Pembrole-Hall. war der Erste, der in Cambridge,
als er von 1524 an vier Jahre lang theologische Vorlesungen zu
halten beauftragt war , nicht über die »Sentenzen« sondern über
die Bibel las. Er hat bei vielen Studirenden. z. B. bei Hugo
Latimer, dem späteren Bischof und Märtyrer, den erstenGrund
zu evangelischer Erkenntniss gelegt 1 .
Den Kern der Bewegung bildete jedoch das religiöse Ele-
ment selbst. Man pflegt die unter dem englischen Volke seit dem
Anfang der zwanziger Jahre des XVI. Jahrhunderts sichtbare Er-
weckung lediglich von aussen herzuleiten, und ausschliesslich auf
Luther und die Einwirkungen der deutschen Reformation zurück-
zuführen. Dabei übersieht man aber einen überaus wichtigen
GährungsstofT . nämlich die Nachwirkungen von Wiclif. Und
hiemit kommen wir auf unser eigentliches Thema zurück.
Dass der altüberlieferte Wiclifismus zur Anbahnung der eng-
lischen Reformation mitgewirkt hat. ergiebt sich aus dem Bisheri-
gen. Dass das Lollardenthum aber auch noch in den zwanziger
und dreissiger Jahren entschieden mitgeholfen hat zum Wachsthum
und zur Verbreitung evangelischer Gesinnung in England, lässt sich
durch Thatsachen derjenigen Jahre, in welchen der deutsche und
lutherische Einfluss im Lande schon bedeutend war, einleuchtend
und unwidersprechlich erweisen. Besonders lehrreich sind in die-
ser Beziehung die von Johann Strype in seinem bereits erwähnten
Werk : »Kirchliche Denkschriften zur Geschichte der Religion und
der Reformation in England« mitgetheilten Urkunden, namentlich
die Akten aus dem Archiv des Bisthums London über die von
Bischof Cuthbert Tunstall 1522 — 153() theils persönlich,
thcils durch seineu Generalvikar Gottfried Wharton im Jahre
I.V27 und den folgenden vorgenommenen Visitationen und (ie-
I Stuype, Beel. Jlemor. I, 74 folg. 5<>s.
Beförderung evangelischen Sinnes durch Wiclifiten.
455
rirhtsverhandlungen 1 . Wir ersehen aus diesen Urkunden, dass
sowohl in der Hauptstadt selbst als in der zum bischöflichen
Spreugel von London gehörigen Grafschaft Essex, namentlich in
der Stadt Colchester, eine bedeutende Anzahl von Gemeindeglie-
dern seit Jahren und Jahrzehenten englische Uebersetzungen von
biblischen Büchern in Handschriften besassen und sich gemein-
schaftlich aus diesen erbauten, auch die Lehre von der Wandlung
im Abendmahl, die Verehrung von Bildern, die Wallfahrten und
dergleichen anstössig fanden. Bei diesen Leuten stand ein 'Mann
Namens Hacker, auch Ebb genannt, welcher sechs Jahre in
London gewohnt hatte und später sich in Colchester aufhielt, in
solchem Ansehen, dass sie ihn nur »Vater Hacker« nannten. Dieser
wurde aufgegriffen, und man setzte ihm im Januar und Februar
1527 dermaassen zu, dass er am Ende viele seiner Freunde und
Glaubensgenossen in London und in Essex angab : ein gewisser
Thomas Vincent, der vor 13 Jahren also c. 1513) wegen
Ketzerei verbrannt worden, habe ihn in diesen Ansichten unter-
richtet, ihm das Evangelium Matthaei in englischer Sprache, auch
ein Buch von den zehn Geboten eingehändigt. Ferner bekannte
Hacker, ein Schneider von Witham . einem Städtchen in
Essex. Namens Christoph Ravens, welcher 1511 vor Bischof
Fitz -James ketzerische Meinungen widerrufen hatte, habe an-
derthalb Jahre lang regelmässige Zusammenkünfte mit ihm in
seinem Ravens Hause gehabt, wobei sie sich gegenseitig unter-
richteten : mehrere Diener von Ravens seien Leute »von dersel-
ben Sekte* gewesen. Ueberhaupt machte Hacker im Ganzen
20 — 30 Personen von Colchester und Umgegend namhaft, unter
denen sich auch Frauen und Jungfrauen befanden. Nächst
Hacker erscheint Johann Pykas, ein Bäcker in Colchester, als
ein Haupt der kleinen Gemeinschaft am Orte. Er war. wie er im
Verhöre bekennt, durch seine Mutter mit den paulinischen Brie-
fen in englischer Sprache bekannt gemacht worden : dieselbe hatte
ihn ermahnt, nach der Regel der Evangelien und Episteln zu
wandeln, hatte ihn auch zu der Ansicht vom heil. Abendmahl ge-
bracht, dass blos Brod und Wein, und nicht der wahre Leib
1) Strype, Eccl. Memor. I, 1, 113-134.
456
Buch III. Kap. 5. IV.
Christidariii sei. Pykas kannte einen gewissen Robert Best,
welcher den ganzen Brief Jacobi auswendig wusste. — Ein an-
derer Mann, Johann Tyball von Bumpstead in Essex, legte im
April 1 528 das Geständniss ab, dass er acht Jahre lang die Evan-
gelienbücher, so wie Briefe Pauli und Petri in englischer Sprache
besessen habe ; durch das Lesen eines Kapitels an die Korinther
sei er zu der Ueberzeugung geführt worden, dass im Sakrament
des Altars nicht der wahre Leib Christi, sondern blos Brod und
Wein zum Gedächtniss des Leidens Christi vorhanden sei, dass
ein Priester keine Macht habe, durch Consekration den Leib
Christi zu machen, dass vielmehr jeder Laie die Sakramente
der Kirche so gut als ein Priester spenden könne. Ferner be-
kannte Tyball, dass er seinen Seelsorger, den Pfarrer Richard
Fox von Bumpstead, durch Unterredungen über biblische Bücher
nebst Gründen und Beweisen allmählich für seine eigene Ueber-
zeugung gewonnen; im Jahre 1527 habe Pfarrer Fox in seiner
Gegenwart aus einem Buche , genannt the Wichet, vorgelesen1 .
Bemerkenswerth sind mehrere Züge, welche aus diesen und
anderen damit zusammenhängenden Verhören hervorleuchten.
Einmal der geschlossene Verein, die innige brüderliche Gemein-
schaft zwischen jenen Leuten, welche durch die gemeinsame
Liebe zu Gottes Wort, aus dem sie sich erbauten, verbunden
waren. Sie nennen sich »Brüder in Christo«, heissen ihren Verein
»die Brüderschaft«, bezeichnen sich auch als die »Erkannten 2
Ferner fällt in die Augen, dass hie und da eine ununterbro-
chene Fortpflanzung wiclifitischen Geistes in einer und derselben
Familie stattgefunden hat. ein Umstand, welcher den bischöfli-
chen Richtern selbst auffallend war. Am Schluss einer Urkunde
1) STRYPE, EccI. Mem. 1, 1. S. 113 folg. 1/2. S. 50 folg. Dass
Pfarrer Fox hernach selbst wieder Andere zum Wiclifismus bekehrt hat.
ergibt sich aus Foxe, Acts and Hon- V, 40.
2) Thomas Hempsted von Bumpstead bekennt, er habe von seiner
Frau den Glauben , das Vater Unser und das Ave Maria in englischer
Sprache gelernt; als Pfarrer Fox und Johann Tyball hörten, dass er das
gelernt habe, haben sie ihn brothcr in Christ und a knowne man genannt.
STRYPE , a. a. O. I, 1. 8. 27 folg. 123 folg.; vgl. 12!» a kuownt tcomtm
und of the brotherhood.
Der alt-wiclifitische Geist neu erwacht.
457
über den Widerruf des Wilhelm Boeher .Butcher . eines Wag-
ners. gleichfalls aus Bumpstead . ist die Bemerkung beigelügt:
»Er war aus verderbtem Stamm entsprossen, denn sein Urgross-
vatcr war wegen Ketzerei verbrannt worden . wie man sagt 1 .«
War der Urgrossvater wegen Ketzerei, d.h. ohne allen Zweifel
als Lollarde verbrannt worden, so führt uns dies bis in die erste
Hälfte des XV. Jahrhunderts zurück, etwa auf die Jahre 1420 bis
1430, also eben in jene Zeit, wo Verbrennungen von Lollarden
noch häutig vorkamen. Ist doch auch in Betreff des Robert Colins
aus Buckinghamshire 1521 die Angabe gemacht, dass dessen
Vater seit 14SO ein Anhänger jener Lehre gewesen sei -
Endlich ist sehr bedeutungsvoll die Thatsache . und sie steht
nicht allein, dass ein Pfarrer durch den Einfluss eines bibelfesten
und frommen Mitgliedes seiner Gemeinde zu evangelischer Er-
kenntniss und Ueberzeugung geführt worden ist. Wir kannten
eine Zeit, wo studirte und gelehrte Männer. Priester. Reiseprediger,
das englische Volk mit Gottes Wort bekannt machten, eine Zeit,
wo manche Pfarrer und Seelsorger für die wiclifitischen Grundsätze
eintraten und dieselben verbreiteten. Seit 1431 fanden wir den
Wiclitisnms in die Laienwelt herabgedrückt, und nur noch in den
Gemeinden vertreten, aber gar nicht mehr im geistlichen Stande.
Nim aber sehen wir die christliche Erkenntniss sowohl als die Be-
geisterung in den wicMtischen Gemeindekreisen so stark, dass sie
selbst Priestern und Pfarrgeistlichen sich mittheilte. Der alt-wiclifi-
tische Geist, neu erwacht und erstarkt im zweiten Jahrzehent des
Reformationsjahrhunderts, fasst Personen höherer Stände geistes-
mächtig an. Die Reformation von unten her. wie sie im dritten
Jahrzehent sich entwickelt, hat offenbar mit eine ftielifitisehe
Wurzel.
Aber sie hat allerdings auch eine Quelle auf dem Continent.
auf deutschem Boden, in der lutherischen Reformation. Der Un-
tersehied ist nur der: die ursprünglich englische, von Wiclif her
stammende Bibelkeuntniss und freie religiöse Gesinnung hatte in
1) Nota, quod iste oritur ex Stirpe vitiata : qnia avus patris sui erat ob
haeresin concrematus. >tt dicitur. Bei Strype a. a. 0. I. "2. S. 60.
2] s. oben S. 450.
458
Buch III. Kap. 5. IV.
den niederen Ständen des englischen Volks ihren wesentlichen
Sitz und drang nur in einzelnen Fällen aufsteigend in die höheren
Schichten der Gesellschaft ein, während die vom Ausländ her
kommende, durch Schriften der deutschen Reformatoren erzeugte
und genährte Bewegung, mit theologischer Wissenschaft und dem
Humanismus innerlich verknüpft, zuerst in wissenschaftlichen
Kreisen Fuss fasste, dann in den gebildeten Ständen des Volkes
sich verbreitete, und nun von da aus allmählich auch in die nie-
deren Schichten der Bevölkerung eindrang. Luther' s Vorreden
zu einzelnen biblischen Büchern, z. B. zum Römerbrief, seine
Auslegung des Galaterbriefs; seine Schriften von der babyloni-
schen Gefangenschaft, von der Freiheit eines Christenmenschen
u. s. w., fanden in England Verbreitung. Ausserdem wurden
Schriften von Engländern, welche als Schüler der deutschen Re-
formatoren zu betrachten waren, Traktate von Wilhelm Tyndale,
z. B. über den Gehorsam eines Christenmenschen, und Auslegung
der Bergpredigt, Barl ow 's Gespräch zwischen Bauer und Edel-
mann, Johann Frith, »Spiegel« und »Abendmahl«, die »Bitte der
Bettler« von Simon Fish, eine Satire über die Geistlichkeit,
worin die Verarmung des Landes als Folge der maasslosen Ver-
mehrung der Kleriker und Mönche dargestellt ist, — diese und an-
dere Schriften wurden in Antwerpen, Cöln oder Hamburg gedruckt
und nach England versendet. Es fehlte nicht an Männern, welche
es wagten, selbst mit Lebensgefahr Ballen solcher Bücher zu
landen und sodann in Stadt und Land zu verbreiten. Zu diesen
gehörte z. B. Richard Bayfield, welcher 1531 auf Smithfield
verbrannt wurde, und der schon genannte Thomas Garret, Pfar-
rer in London; der letztere war es, der 1526 die ersten Bücher
dieser Art nach Oxford brachte und dadurch das Werkzeug einer
evangelischen Erweckung auf dieser Universität wurde. Robert
Necton erfuhr durch Georg Constantine . dass ein gewisser
Fish gedruckte Neue Testamente verkaufe; er verschaffte sich
mehrere Exemplare und verbreitete sie: und so trieb er von da
an theils in London, tlieils in Colchester, theils in der Stadt und
dem Sprengel Norwich, einen Handel mit evangelischen Büchern,
wobei er aus dein X. T. vorzulesen pflegte: kurz. Necton wurde
ein eitriger Bibelcolportenr ; zuletzt fiel er aber der römisch-ka
Evangelische Gesinnung von Deutschland aus genährt. 450
tholischen Geistlichkeit in die Hände. Diese ergriff zwar strenge
Gegenmaassregeln. Im Jahre 1521 hatte Wolsey Luthers
Schriften bei Strafe verboten; 152(5 dehnte Tun st all, Bischof
von London, dieses Verbot noch auf andere evangelische Bücher
aus: im Jahre 1529 erging auf Betreiben der Bischöfe eine könig-
liche Proklamation gegen 28 »Bücher von der lutherischen Sekte
oder Partei, welche nach London eingeführt worden sind«. Allein
die Verbote richteten nichts aus. Es fanden sich trotz aller Ge-
fahren stets Einzelne, welche entweder allein für sich oder in
heimlichen Zusammenkünften mit Anderen solche Bücher gierig
verschlangen. In Cambridge pflegten die Liebhaber biblischer
Wahrheit, ein Barnes1 , Bilney, Coverdale, La t im er
und viele andere in einem Hause, »das weisse Boss« genannt, zu-
sammenzukommen, in das man sowohl von Kings- und Queens-
College als auch von St. Johns aus durch eine Hinterthür gelangen
konnte. Hier studirten sie gemeinschaftlich Schriften der deut-
schen Reformatoren ; man nannte sie daher nur »die Deutschen«.
Andere Freunde des Evangeliums, welche über ein grosses Ver-
mögen zu verfügen hatten, verwendeten einen Theil ihres Ein-
kommens dazu, Gelehrten wie Wilhelm Tyndale und dessen Mit-
arbeiter Wilhelm Roy, Jahresgehalte auszusetzen oder wenigstens
Wohnung und Kost zu gewähren. So der achtbare Londoner Bürger
Johann Petit, in dessen Geschäftsbüchern nach seinem Tode be-
trächtliche Posten unter dem Titel : »Christo geliehen« angetroffen
wurden. Zu diesen gehörte auch der edle Londoner Handelsherr
Humphrey Monmouth, der in seinem Testamente anstatt der
üblichen 30 Seelenmessen, 30 Predigten »zur Ehre Gottes und
zum Dank für das Versöhnungsopfer Jesu Christi « anordnete , die
von den ausgezeichnetsten evangelisch gesinnten Predigern Eng-
lands in derjenigen Pfarrkirche von London, in die er selbst ein-
gepfarrt gewesen, gehalten werden sollten2 .
Immerhin dürfen wir über diesen von der deutschen Refor-
mation geweckten Bestrebungen das Vorhandensein alt- engli-
sch er Bibelkenntniss und evangelischer Gesinnung aus wicli-
f
1 s. oben S. 454.
2 Strype, a. a. O. I, 2. S. 4S7 folg.; das Testament S. 3GS— 370.
460
Buch III. Kap. 5. IV.
fitischein Stamme nicht verkennen. Das alt-nationale
Licht verschmolz mit dem neuen, von aussen her ange-
zündeten. Die alt-wielifitische Geistesströmung- floss mit der
allerdings mächtigeren lutherischen in eins zusammen, und er-
goss sich dann in gemeinsamem Bette.
Im Jahre 1527 reiste der uns schon bekannte Johann Tyball
von Bumpstead in Essex mit einem Freunde. Thomas Hilles,
nach London. Dort gingen sie in das Augustinerkloster zu dem
Bruder Barons, um von diesem ein englisches Neues Testament
zu kaufen. Sie führten sich bei dem Mönch mit den Worten ein.
sie hätten gehört, dass er ein »guter Mann« sei (offenbar im Sinn
eines Geheimnamens) , sie möchten seine Bekanntschaft machen
und ihn um seinen Rath im Neuen Testamente bitten. Der
Augustinermönch erwiederte, er begreife schon, dass sie »von Mei-
nungen angesteckt« seien [infected with opinions) , weil sie gerne
ein Neues Testament hätten. Nun rückten die Fremden freier
heraus mit der Sprache. Sie eröffneten dem Mönche, dass ihr
Ortspfarrer . Richard Fox, infolge ihrer Bemühungen auf ihre
Ansichten eingegangen sei, und dass sie hofften , ihn bald voll-
ständig auf ihrer Seite zu haben. Deshalb baten sie den Augusti-
ner um einen Brief an Pfarrer Fox, worin er ihn dazu ermuntern
möchte, fortzufahren wie er angefangen habe. Bruder Barons
sagte ihnen das zu und versprach ihnen das Schreiben auf den
Nachmittag. Im ferneren Laufe der Unterhaltung zeigten ihm die
Männer aus Essex einige alte Bücher, die sie besassen jedenfalls
Handschriften , nämlich die vier Evangelien und mehrere Briete
von Paulus und Petrus in englischer Sprache. Der Mönch machte
nicht viel daraus: er meinte, verglichen mit dem neuen gedruck-
ten Testament seien die alten nicht werth, dass man sie nur an-
sehe; das neue sei viel reiner englisch. Hiemit übergab er ihnen
ein gedrucktes englisches N. Testament: sie bezahlten 3 Schillinge
und 2 Pfennige dafür: übrigens bat er sie, das Buch recht geheim
zu halten, denn es sollte ihm leid thun, wenn die Sache an den
Tag käme. Das lateinische Neue Testament aber verglich der
Mönch mit einem tönenden Erz und einer klingenden Schelle.
Des Nachmittags fanden sich die Bibelfreunde aus Bumpstead
wieder ein, am den Brief an ihren Pfarrer abzuholen, Barons
Vereinigung alt-wiclifitischer und neu-evangelischer Denkart. 461
las den Brief vor und händigte ihnen denselben ein, worauf sie
eich von ihm verabschiedeten.
Wir kennen diese Geschiente aus dem Protokoll des Verhörs,
welches Bischof Tunstall am 28. April 1528 mit Johann Tyball
vorgenommen hat. Dort hat der Angeschuldigte den ganzen Vor-
gang ausführlich erzählt x) . Die Erzählung hat ttir uns das beson-
dere Interesse, dass wir darin das Zusammentreffen der alt-
wiclifitischen Gesinnung mit der neu reformatorischen Richtung
vor uns sehen. Die Männer aus der Provinz gehören den Lollarden
an. hingegen der Augustiner in der Hauptstadt zählt zu der neuen
»lutherischen« Partei. Die Handschriften biblischer Bücher in der
alten wiclifitischen Uebersetzung einerseits, und das gedruckte eng-
lische N. Testament von Ty ndale andererseits sind gleichsam die
äusseren Unterscheidungszeichen der beiderseitigen Richtungen.
Und der geringschätzige Ton, in welchem Barons von den hand-
schriftlichen Uebersetzungen und ihrem veralteten Englisch spricht,
geht aus dem Gefühl hervor, dass seiner Partei die Zukunft ge-
höre. Nebenbei ist es der Erwähnung nicht unwerth, dass es gerade
ein Augustinermönch ist, den wir hier als einen warmen Freund
des Wortes Gottes kennen lernen, während auch in Cambridge ein
Augustinerprior, Dr. Barnes, das erste Werkzeug evangelischer
Erweckung auf der Universität war : ferner kommen einige Mönche
des Augustinerklosters Cläre in Suffolk vor, Thomas Topley und
Wilhelm Gardner, welche beide durch Pfarrer Fox von Bump-
stead zu wiclifitischen Ansichten bekehrt worden sind 2) . Nehmen
wir dazu, dass der deutsche Reformator selbst ein Augustiner-
mönch gewesen, dass in Antwerpen in den Jahren 1521 folg. das
Augustinerkloster der Hauptsitz evangelischer Wahrheit war3),
so können wir nicht umhin, an Wiclif s Ahnung einer künftigen
Reformation der Kirche durch Bettelmönche uns zu erinnern 4) .
Die wiclifitische Bibelkenntniss und Opposition gegen die
römische Kirche ist im Laufe der zwanziger und dreissiger Jahre
1 Strype, a. a. Ü. I; 2. S. 50 ff. vorzüglich 54 — 56.
2) Foxe, Acts and Man. V, 40.
3) Rudelbach, Christliche Biographie I, 252 folg.
4) s. oben Buch II, Kap. 7. XI.
462
Buch III. Kap. 5. IV.
des XVI. Jahrhunderts in die weit stärkere Strömung der von
Deutschland aus in England erweckten Reformbewegung über-
gegangen, ohne jedoch in letzterer aufzugehen und spurlos zu ver-
schwinden. Vielmehr hat sich die scharfe Schneide , der glühen-
de Eifer und die sittliche Kraft Wiclif 's und der Lollarden in den
Puritanern des XVI. und XVII. Jahrh. erhalten, welche gewisser-
maassen als die Erben wiclifitischen Geistes zu betrachten sind.
Auf der andern Seite können wir kaum daran zweifeln , dass die
Eigenart der englischen Reformation, insbesondere die Abweichung
der anglikanischen Kirche , wie sie unter der Königin Elisabeth
sich gestaltet hat, von dem Geiste W i c 1 i f ' s , die wesentlichste
Ursache von der Thatsache geworden ist, dass England Jahr-
hunderte lang seinen Wiclif nicht in dem Maasse geschätzt und
gekannt hat, wie es hätte thun sollen. Ein Unrecht, welches erst
in neuester Zeit, bei unbefangenerem geschichtlichem Blick, gut
zu machen versucht wird.
Sechstes Kapitel.
Die Kirche auf dem Continent während der letzten
hundert Jahre vor der Reformation.
1419_1517.
I.
Indem wir den Blick auf den Continent wenden . nimmt vor
allem die hussitische Bewegung unsere Aufmerksamkeit in An-
spruch. Haben doch die Hussitenkriege reichlich ein Jahrzehent
lang nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in eine Auf-
regung versetzt, deren Wellenschlag bis nach Spanien hin zu
spüren war. Und wir haben um so mehr Ursache, wie früher Hus
selbst, so auch jetzt noch die Hussiten genau ins Auge zu fassen,
als die Nachwirkungen Wiclif's ganz unmittelbar bei denselben
zu bemerken sind.
Als König Wenzel IV. am 16. August 1419 auf »Wenzel-
stein« gestorben war. machte sich in Prag der mühsam nieder-
gehaltene Unmuth über den Druck, den die hussitischen Sym-
pathien der Mehrheit seit Monaten empfanden, in Gewalttätig-
keiten gegen die verhasstesten Klöster und gegen schlechte Häu-
ser Luft. König Sigismund . der rechtmässige Thronerbe, war
dem römischen Stuhle völlig ergeben , während nur die Minder-
heit im Lande , Prälaten und Mönche , ein Theil des Adels und
die Deutsch-Böhmen päpstlich gesinnt, hingegen die grosse Mehr-
heit der Bevölkerung, Ritter, Bürger und Bauern, die Univer-
sität und ein grosser Theil der Pfarrgeistlichkeit hussitisch ge-
sinnt war : eben deshalb konnte man nichts Gutem entgegensehen.
Hussitische Volksversammlungen auf der einen Seite, Rüstungen
464
Buch III.' Kap. 6. I.
der Regierung auf der andern Seite führten zu blutigen Zusammen-
gössen, bis endlich der wirkliche Bürgerkrieg ausbrach.
Auf die politische und kriegerische Seite dieser Jahre einzu-
gehen, ist nicht dieses Orts. Desto mehr Interesse bietet uns die
religiöse und kirchliche Seite. Wir haben oben gesehen1), dass
in der grossen hussitischen Gesammtpartei schon seit dem Jahr
1416 verschiedene Schattirungen sich gegen einander abhoben,
eine conservativere und eine radikalere Fraktion. Je drohendere
Gewitterwolken aufzogen, je schadenfroher die päpstlich gesinn-
ten bereits jubelten : »Jetzt werden die hussitischen und wiclifi-
tischen Ketzer zu Grunde gehen2)!« desto mehr vertieften sich
manche von den radikal gesinnten Hussiten in das Wort der
Weissagung. Sie trösteten sich mit der Aussicht auf die Wieder-
kunft Christi. Wenn man von Kriegen und Kriegsgeschrei hörte,
so sahen sie darin die Zeichen des jüngsten Tages und hofften,
dass demnächst Christus wiederkommen , alle Feinde der Wahr-
heit ausrotten, aber seine Auserwählten retten werde ; wie Lot aus
Sodom sich nach Zoar geflüchtet habe , so könne man jetzt nach
der »Sonnenstadt« Pilsen, oder nach Saatz, Laun, Schlan und
Klattau sich retten. Die verstorbenen Auserwählten werden auf-
erweckt werden, denn die erste Auferstehung sei nahe, und dann
werde Christus bis zur allgemeinen Auferstehung sein Reich
haben auf der erneuten Erde : kein Fürstenthum und keine Herr-
schaft , aber auch kein Leiden Christi und seiner Glieder, keine
Unbill, Streit und Aergerniss werde mehr sein; die geschriebene
Bibel müsse aufhören, denn Christi Gesetz werde allen in's Herz
geschrieben sein 3) . — Solche acht chiliastische Vorstellungen
hat laut desselben hussitischen Gewährsmannes der talentvolle
1 Buch III. Kap. 3. VIII. S. 288 ff.
2 Der utraquistische Chronist Lorenz von Brezowa Breziiia bei
Höfler) erwähnt, Geschichtschreiber der hussit. Bewegung L 348: vcri-
tatü aemidis et siynanter Theutorncis ridentibns et manibus prae gaudio
platldentibUB ac dicentibus: Jam haeretici Uli Husitae et Wiklejistae peribunt
et finem hahcbunt.
3) Brezowa, bei HÖFLEB I, 349 folg. : Sacerdotes quidam Thaborien-
»ium novüm Christi udvr/itwn praedicaUant popnlo u. s. w. Vgl. die Artikel
I — 34 eben daselbst, S. 434 folg.
Die Ultra s unter den Hussiten.
465
junge Priester aus Mähren, Martin Bauska, genannt Loquis,
ferner der früher erwähnte Koranda und andere in der Zeit der
grössten Aufregung nicht ohne Erfolg verbreitet l) . Aber .selbst
tlie taboritische Partei unter den Hussiten war doch nüchtern ge-
nug, diesen schwärmerisch-apokalyptischen Ausschreitungen ent-
gegenzutreten, man hat sie sogar auf einer taboritischen Synode
verurtheilt - . Hingegen derselbe Martin oder Martinekj Hauska
scli ritt auch in Hinsicht der Glaubenslehren selbst bis zu den
kühnsten Sätzen fort : er bekannte sich zu der, wie es die Hussiten
nannten, »pikardischen Irrlehre« :) , dass im Sakrament des Altars
nicht der wahre Leib und das wahrhafte Blut Christi sei , son-
dern blos Brod und Wein, und diese seien auch nur b ei 'm Ge-
nus s Zeichen des Leibes und Blutes Christi 4 . Diejenigen welche
seine Lehre annahmen (es sollen ihrer über 400 gewesen sein),
erzeigten dem Sakrament keine Verehrung durch Kniebeugung
oder sonst, hielten Aufbewahrung der geweihten Hostie für ein
Unrecht, zerschlugen Monstranzen und Kelche u. s. w. Die tabo-
ritischen Geistlichen erbaten sich von den Prager Magistern, z.B.
Jakobeil und P r i b r a m , Rath, wie man solchen Irrthümern mit
Gründen entgegentreten möge, und baten, gegen die neue Sekte
auch in der Hauptstadt auf der Hut zu sein. Dagegen wurde am
Sonntag Laetare, den 2. März 1421, auf Anordnung der Universität
und des Raths in allen Kirchen von Prag gegen die »grundstür-
zende Ketzerei« gepredigt, was jedoch nicht verhindern konnte,
dass auch in Prag viele Gemeindeglieder dieser Sekte beitraten.
Ein bibelfester Bürger von Prag, der Schuster Wenzel, war hier
1 Brezowa, bei Höf ler I, :^JS folg.
2 Palacky, Geschichte von Böhmen III, 2. 81.
3 Die Yermuthung Palacky' s, Geschichte von Böhmen, III, 2. 228.
Anm., dass »Pikarden« nichts anderes als »Begharden« seien, ist gewiss zu-
treffend, obgleich Aeneas Sylvius den Namen von der Picardie in Frank-
reich ableitet. Begharden und Lollarden waren aber Namen , welche in
der Kegel gleichbedeutend gebraucht wurden.
4 qnud in sucramento aitaris non sit verum corpus Christi et ejus'
sanguis, sed solnm panis, qtti est signtim, so tum cum sumitur, corporis et
sanguinis Christi. Brezowa bei Höfler I, 451 folg. Diese Ultrahussiten
haben also, wie ein Theil der späteren Lollarden, die Zwingli'sche Abend-
mahlslehre antieipirt.
Lechlek , Wielif. 11. 3(j
466
Buch III. Kap. 6. I.
das Haupt derselben ; er wurde noch im gleichen Jahre verbrannt.
Auch Martinek oder Martin Hauska erlitt am 21. August des-
selben Jahres in Raudnitz denselben Tod mit Standhaftigkeit.
während der hussitische Chronist Gott preist, dass er die Wölfe,
welche seine Heerde angreifen wollten, zerrissen und vernichtet
habe 1 . Leichter freilich lässt sich begreifen, dass selbst ein
Zizka gegen Leute, die einer grauenhaften und gottlosen Schwär-
merei huldigten, so dass sie zum Theil nackt gingen, weil sie an-
geblich im Stande der Unschuld sich befänden. Unzucht für
Pflicht und die Ehe für Sünde hielten u. s. w., schliesslich einen
Vertilgungskrieg führte, ihrer 50 auf einmal bei Klokot ver-
brannte 2 u. s. w.
Sehen wir aber von diesen äussersten Extremen ab , so stan-
den sich in der hussitischen Gesammtpartei die Schattirungen der
»Präger« und der »Taboriten« gegenüber.
Jene erhielten erst später den Namen Calixtiner Kelchner
oder Utraquisten: während der zwanziger Jahre heissen sie immer
nur die Prayenses. Ihre Grundsätze haben sie zum ersten Mal
selbst formulirt und veröffentlicht im Jahre J 420. Am 14. Juli hatte
Zizka das unter der Führung König Sigismunde selbst zum erstell
Kreuzzug wider die Hussiten ausgerückte feindliche Heer auf dem
Witkowberge vor Prag, der von da an den Namen Zizkaberg er-
hielt, aufs Haupt geschlagen. Da wurde der König geneigt mit
den Böhmen zu unterhandeln. Und diese vereinbarten unter ein-
ander ihre Forderungen, welche sie vom 3. Juli bis 1. August in
eine endgültige Fassung brachten und sodann in Lateinischer
tschechischer und deutscher Sprache überall hin versandten. Diese
vier Prager Artikel waren das Programm der böhmischen
und mährischen Hussiten. Damals waren auch die Taboriten da-
mit einverstanden. Obwohl sie vor und nach noch weitergingen,
1) Brezowa, a. a. ü. 47s folg.
2 a. a. ü. 452 folg. Man nannte diese Schwärmer, welche ohne Zwei-
fel vom Chiliasmus aus auf ihre Yerirrungen gekommen sind. Adamiten
oder auch Nikolai teil, angeblich nach einem Bauer Xiklas , welcher eine
Hauptrolle unter ihnen gespielt haben soll Palacky, Geschichte von Böh-
men, IV, 1. 239 , wenn nicht etwa letzterer Name von den »Xikolaiten« der
Apokalypse 2, 6. 14 folg. hergenommen ist.
Die vier Artikel der »Präger*
4(57
.scheinen sie, den Katholiken gegenüber, sich mit jenen Grund-
sätzen als dem Minimum begnügt zu haben. Die »Prager« aber
fanden alles darin, was sie begehrten. Die vier Artikel sind
folgende :
Erstens: dass Gottes Wort im Königreich Böhmen frei
und ohne Hinderniss in geordneter Weise von den Priestern des
Herrn gepredigt werde Marc. 16. Matth. 2b. 2. Thessal. 3 ;
Zweitens: dass das Sakrament des heil. Abend m a h 1 s
unter b ei derlei Gestalt, des Brodes und Weines, allen gläu-
bigen Christen, die nicht durch eine Todsünde dazu untüchtig
gemacht sind, frei gereicht werde, nach der Einsetzung Christi :
Drittens: dass die weltliche Herrschaft und die irdischen
Güter, welche der Klerus zum Nachtheil seines Amtes und zum
Schaden des weltlichen Arms inne hat , ihm genommen und die
Geistlichkeit zu der evangelischen Richtschnur und einem aposto-
lischen Wandel zurückgeführt werde :
V i c r t e n s : dass alle Todsünden, vornämlich die öffentlichen,
so wie andere dem Gesetze Gottes zuwiderlaufende Unordnungen
in jedem Stande von denjenigen, welchen das zusteht, rechtmässig
und vernünftig verboten und abgestellt werden sollen 1 .
Schliesslich begehren sie. wenn jemand Böses und Schmäh-
liches von ihnen aussage, so möge man ihm keinen Glauben
schenken : denn ihre Absicht sei keine andere, als nach Kräften
dem Herrn Jesu Christo wohlzugefallen . sein Gesetz und seine
Vorschriften und diese vier christlichen Punkte haee puncto
quatuor catkolica treulich zu befolgen und zu erfüllen: übri-
gens seien sie stets bereit Unterweisung nach der heil. Schrift
anzunehmen.
Diese vier Artikel der »Prager« stellen die Forderung der
freien Predigt des Wortes Gottes voran . also das Schriftprinzip,
welches Hu s mit Wiclif gemein hat: indem sie die »ordnungs-
mässige Predigt durch Priester« betonen, erklären sie sich in-
1, BBEZOWA, a. a. 0. I, :isu folg. Beim vierten Punkte, welcher sitt-
lichen und disciplinellen Inhalts ist, sind nicht nur Unzucht und Trunk.
Diebstahl und Todtschlag, Meineid und Betrug, sondern auch Gewinnsucht
und Wucher , in Betreff der Geistlichkeit aber Simonie und alle Stolge-
bühren, so wie jederlei Gelderpressung aufgezählt.
30*
468
Buch III. Kap. 6. I.
direkt gegen ein praktisches Geltendmachen des allgemeinen
Priesterthums.
Der zweite Artikel fordert das Abendmahl unter beiderlei
Gestalt, protestirt also acht hussitisch gegen die römische Kelch-
entziehung, sagt aber stillschweigend von der wiclifitischen Oppo-
sition gegen die Lehre von der Wandlung sich los.
Der dritte Artikel ist wieder ein solcher, den die Hussiten
mit Wiclif gemein oder von ihm entlehnt haben, während der
vierte Artikel sich eben so wohl an Wiclif als an die Prager
Vorläufer von H u s , vorzüglich einen K o n r a d von Waldhausen
und M i 1 i t s c h anlehnt .
Was man römischerseits dazu sagen konnte , das hat der in
Sigismunde Lager das Kreuzheer begleitende päpstliche Legat
Ferdinand, Bischof von Lucca, in einem Schreiben an die Prager
vom 6. Juli 1421 rückhalstlos gesagt1). —
Für die vier Artikel suchten die Böhmen, wo es irgend mög-
lich war, Propaganda zu machen, namentlich in Polen und Lit-
thauen, wo unter den stammverwandten Slawen viele wenigstens
für die Communion unter beiderlei Gestalt eingenommen waren.
Während des zweiten Kreuzzuges gegen Böhmen arbeiteten bei
König Wladislaw von Polen und Witold von Litthauen böh-
mische Gesandte für Annahme der vier Artikel, wozu jedoch der
König von Polen sich nicht herbeiliess 2) .
Dagegen war es ein grosser Triumph für die Hussiten, als
Erzbischof Konrad selbst, nachdem geheime Unterhandlungen
vorangegangen, nach Prag kam und am 21. April 1421 sich
öffentlich, wenn auch unter einigen Verwahrungen , für die vier
Artikel erklärte. In Prag feierte man dieses Ereigniss mit einem
Te JJeum in allen Kirchen, unter dem Geläute der Glocken, wäh-
rend die Taboriten wenig davon erbaut waren und über die »Hei-
lung des antichristlichen Thieres« spöttelten3).
Die katholische Christenheit war natürlich voll Entsetzens
darüber. Eine Folge dieses Uebertritts des Primas von Böhmen
1 PalaCKY, Geschichte von Böhmen, III, 2. 127 folg.
2 a. a. 0. 255.
3 BEEZOWA, bei Höfler I, 355.
Noch weiter gehende C'oncessionen der Prager.
469
war. in Gemässheit des dritten unter den Präger Artikeln . die
Säkularisation der vielen und reichen erzbischöflichen Herrschaf-
ten in Böhmen 1 .
Uebrigens waren die Prager grossentheils einer Aussöhnung
mit Rom sehr geneigt, und machten demgemäss Concessionen.
welche noch weiter gingen, als man nach ihren vier Artikeln, für
■sich genommen, vorauszusetzen berechtigt wäre. 80 hat auf der
hussitischen Generalsynode Böhmens und Mährens, welche im Juli
1 1*21 im Karolinum zu Prag gehalten wurde, am 7. Juli Magister
Johann von Pribram 23 Artikel vorgetragen, welche von allen,
die Taboriten ausgenommen, angenommen wurden2 . Diese Arti-
kel gestehen , nächst der heil. Schrift, dem apostolischen, Nicä-
nischen und Athanasianischen Glaubensbekenntniss und allen
Satzungen des christlichen Alterthums fortdauernde Geltung zu
(Art. 2 . wehren allen willkührlichen Neuerungen und Abweichun-
gen von den Vorschriften des Evangeliums und der heil. Väter
Art. 5) . behaupten die wahrhafte Gegenwart des Leibes und Blu-
tes Christi im heil. Abendmahl (6.), fordern Beibehaltung des
vollständigen Ritus der Messe (7), die sieben Sakramente (12),
den Priestercölibat, die Tonsur, die kanonischen Gebetsstunden
und dgl. (1 3 folg. , sprechen sich aber auch für die Communion
der neugetauften Kinder aus (20) .
Als nach dem grossen Siege der Hussiten bei Aussig (16. Juni
1 126 König Sigismund zu einem Vergleiche geneigt war, kamen
die Prager halbwegs entgegen ; wenigstens Hessen sich Stimmen
vernehmen, welche die ehemalige Bilderstürmerei und die Ein-
ziehung der Kirchengüter tadelten. Die Verehrung von Hus und
die Communion unter beiderlei Gestalt war das einzige, was vom
Hussitismus noch blieb, aber jeder kühnere Gedanke wurde zum
mindesten für irrthümlich oder Aergerniss gebend erklärt. So
waren namentlich die Magister Christann von Praehatitz, Peter
von M 1 a d e n 0 w i t z und Johann P r i b r a m gesinnt . Der letztere
nennt sich selbst »den elendesten Sünder, jedoch aller Ketzereien,
1 Nicht weniger als 17 solcher Herrschaften macht Palacky a. a. ü.
218 folg. Aura, namhaft.
2 BREZOWA, bei Hofier I. 486 ff.
470
Buch III. Kap. 6. I.
zumal der wiclifi tischen und pikardischen Irrlehre, eifrigen Verfol-
ger1 «. Inzwischen fehlte es doch auch unter den Pragern nicht
an solchen Männern, welche es höchlich misbilligten, wenn Wic-
lif verketzert wurde, und klar genug erkannten, dass man dabei
nicht stehen bleiben, sondern bald auch Hu s selbst als Irrlehrer
bezeichnen würde. So dachte nicht nur der Engländer Peter
Payne, sondern auch eingeborene tschechische Hussiten wie
Jak ob eil und Magister Johann von Rokyzana; auch der
Chronist Lorenz von Brezowa that sich um diese Zeit durch
Opposition gegen die rückschreitende Richtung Pribram's her-
vor. Um diese Differenz zum Austrag zu bringen, wurden zu
Weihnachten 1426 an der Prager Universität öffentliche Disputa-
tionen gehalten. Die Hauptsprecher waren Magister Johann Pri-
bram einerseits, Peter Payne nebst Jakobe 11 und Rokyzana
andererseits2) . Natürlich wurde der Gegensatz der Ansichten da-
durch nicht ausgeglichen, er trat vielmehr immer wieder an's
Licht, besonders stark 1429. Es war wiederum Pribram, der
gegen Wiclif eiferte, und Peter Payne, der für seinen verehr-
ten Landsmann und Lehrer muthig eintrat. Man schritt abermals
zu einer Disputation. Um derselben indes einen Erfolg zu sichern,
vereinbarte man diesmal im voraus ein Schiedsgericht, aus acht
Magistern und Theologen bestehend. Auf Payne' s Seite waren
Schiedsrichter Magister Johann von. Rokyzana, Priester Wenzel
von Drachow, Peter Njemetz von Saatz und Niklas von Pil-
grani, Bischof der Taboriten ; die Schiedsrichter von der anderen
Seite kennt man nicht. Die Disputationen fanden von Ende Sep-
tember an im Karolinum statt und dauerten volle drei Wochen.
Der Ausspruch der Schiedsrichter, wie er am 20. Oktober ertheilt
wurde, ging insbesondere dahin, dass Pribram den Johann
Wiclif und seine Schriften, aber auch Peter Payne und dessen
Schriften nicht mehr verketzern oder schmähen dürfe : auf der
anderen Seite solle auch Peter Payne den Magister Pribram
1 oi/u/unn ha&0$um et praecipnc Wiktefisticüe ei Picard icae
liu< nsis sol licitus perm-cuto r , bei PALACKY, Geschichte von Böhmen,
III, 2. 423.
2 Palacky. a. a. O. III, 2. 4*1 folg
Die Taboriten.
171
nicht mehr anfeinden oder verketzern. Beide sollen die Magister
Hus und Jakobel 1 f 9. August 1 429 ! nicht verketzern, son-
dern als rechtgläubig" anerkennen. Beide Gegner sollten nur un-
ter Vorwissen der Schiedsrichter und nur in lateinischer Sprache
Streitschriften gegen einander veröffentlichen : bis nächste Pfing-
sten sollten sie sich jedenfalls ruhig verhalten . wenn bis dahin
eine Verständigung zwischen ihnen nicht erzielt sein sollte *) .
Die künstlichen Dämme halfen nichts. Noch im gleichen Jahre
gab Pribram die heftigste Streitschrift heraus, und zwar in
tschechischer Sprache, worin er Wiclif undPayne, aber auch
alle taboritischen Priester schmähte und verketzerte.
Es ist eine bezeichnende Thatsache . dass die prinzipiellen
Verschiedenheiten innerhalb der hussitischen Gesaramtpartei und
innerhalb der Fraktion der Prager insbesondere, immer wieder
auf Wiclif zurückführen und auf das Urtheil, das über ihn gefällt
wird. Diese Thatsache beweist unstreitig, dass nicht nur Hus
selbst, sondern auch der spätere Hussitismus auf Wiclif fusst.
Die Taboriten nannten sich selbst »die Eiferer für Gottes
Gesetz2 «. Zu ihrer Charakteristik dienen uns Urkunden aus ver-
schiedenen Jahren, theils von gegnerischer Seite, theils von der
Partei selbst ausgegangen. Schon am 5. August 1420 überreichte
die Taboritengemeinde den Pragern eine Urkunde in zwölf Arti-
keln, worin sie insbesondere auf praktische Durchführung des
dritten und vierten unter den Prager Artikeln drangen, aber noch
weiter gingen und forderten, dass alles »heidnische«, d. h. römi-
sche, und »deutsche« Recht aufgehoben werden, dass alles nur
nach göttlichem Rechte gehen solle in Verwaltung und Justiz ; Klö-
ster sollen zerstört, überflüssige Kirchen und Altäre so wie Bilder
in Kirchen sollen aufgehoben . aller Luxus im Gottesdienst abge-
than werden 3) .
. Am 10. December des gleichen Jahres fand denn in einem
1 Den Schiedsspruch haben wir in der Chronik Pilgram's , der ja
einer von den acht Obmännern gewesen war, bei Höfler II, 595 folg.
2 Brezowa, bei Höf ler I. 3SS: se legis Bei telatores appellantes.
Der Chronist gehört zu den Pragern, erstattet aber einen leidenschaftslosen,
billigen Bericht über die Taboriten.
3 Die Artikel bei Brezowa a. a O. :iS"> folg.
472
Buch III. Kap. 6. I.
Privathause zu Prag eine Verhandlung zwischen Prag-er Magistern
und einigen Taboritenpriestern statt. Auf Seiten der Prager war
Prokop von Pilsen, damals Rector der Universität. Jakohell
von Mies. Peter von M 1 a d e no w i tz dabei thätig. von den Tabo-
riten war Zizka selbst und der erwählte Bisehof Niklas von Pil-
gram, auch Martinek Hau ska . der damals noch nicht als Irr-
lehrer galt, zugegen. Die Prager hatten in 76 Punkten alles zu-
sammengefasst . was nach ihrer Ansicht Irriges von Taboriten-
priestern gelehrt worden sei 1^ . Im Namen der Taboriten bekann-
ten sich mehrere angesehene Laien und Priester zu den Sätzen,
welche man ihnen vorgehalten hatte, an denen nur hie und da die
Fassung zu beanstanden sei. Eine Vereinigung der getrennten
Parteien wurde durch die Verhandlung nicht erzielt, doch wurde
die gegenseitige Duldung für eine Zeit lang gesichert. Allerdings
haben sich aus der radikaler gesinnten und eifriger reformirenden
Taboritenpartei extreme, mitunter schwärmerische Ansichten
chiliastischer und communistischer Art. wie wir oben gesehen,
entwickelt. Aber diese Extreme wurden bald als solche erkannt
und abgestossen. Sehen wir von diesen ab, so bestanden die
unterscheidenden Grundsätze der Taboritenpartei in Folgendem :
1. Lediglich nur dasjenige, was ausdrücklich in der heil.
Schrift steht, ist maassgebend für Lehre und Uebung der Kirche ;
alle Schriften und Satzungen der Kirchenlehrer sind als werthlos.
ja antichristlich zu verwerfen. Eine Auffassung des Sehriftprin-
zips. welche wir schon seit 1416 beobachtet haben 2 .
2. Die Heiligen sind nicht als Mittler und Fürsprecher bei
Gott anzusehen und anzurufen :;
3. Nur laufe und Abendmahl sind Sakramente1 .
4. Wenn ein Priester sich in einer Todsünde befindet, so hat
er \ <>u Gott keine Vollmacht, ein Sakrament zu spenden.
1 BreZOWA, a. a. O. L34 folg. (er gibt 72 Artikel ; PlLGRAM . "bei
Höfler II, 4SS. Vgl. Palacky. a. a. Ö. 189 folg.
2) a. a. 0 440. Nr. 58. .V>— ">7. Vgl. oben B. III. K. ;t. VIII. S. >ss folg.
3) a. a. O. 441. Nr. 65 folg.
4) Dies ergibt sich mittelbar aus dem 41. Satz bei BüESOWA, a. a. ().
\'V.) : quod /in/hfs taetrdot in qüoewnfue jn-rcato mwjtoli habtt uudoritatmn
a Deo conficiefidt auf baptizandi. Auch scheint Nr. 54, obwohl von
den Pragern ungeschickt ausgedrückt, denselben Sinn zu haben.
Grundsätze der Taboriten.
:>. Die Wandlung im Abendmahl wird verworfen.
6. Ein Fegefeuer giebt es nicht1 .
Diese Punkte betreffen die Glaubenslehre. Bei weitem die
meisten aber beziehen sieb auf den Ritus im Gottesdienst und auf
die kirchliche Verfassung, z. B.:
7. Verwerfung der Bilder nebst Reliquien, und ihrer Vereh-
rung.
8. Vereinfachung des Gottesdienstes : dahin gehört z. B. Be-
seitigung vieler Oeremonien bei Taufe und Abendmahl, ferner der
vielen Messen, sofern in jeder Kirche an einem Tage auch nur
eine Messe gehalten werden sollte2 . Ferner wurde der priester-
liche Ornat selbst bei der Messe beseitigt, aber auch die alther-
kömmlichen Hymnen und Kirchengesänge.
9. Interessant ist und kommt im Jahre 1420, wenn ich nicht
irre, in hussitischen Kreisen zum ersten Male vor der Grundsatz,
dass ausser dem Sonntag gar kein Fest zu feiern sei:V. Dieser
puritanische Grundsatz war sichtlich nur eine praktische Folge
des exklusiven und abstrakten Schriftprinzips, eben so gut wie das
aus Apostelgeschichte 15. entnommene Verbot des Genusses von
Blut oder vom Fleisch erstickter Thiere 4] .
10. Aufhebung des Fastens als Busswerk, so wie der 40tägi-
gen Fastenzeit 5 .
1 1 . Anbelangend die Kirchenverfassung war der Grundsatz
von der eingreifendsten Bedeutung, dass die Priester der Hussi--
ten sich selbständig einen Bischof wählen und ordinären
dürften 11 . — Dadurch emancipirten sich die Taboriten völlig von
der römisch-katholischen Hierarchie. Sie hatten dieser Theorie
gemäss zu der Zeit, wo diese Sätze zur Diskussion kamen, bereits
gehandelt und den Priester Pilgram (Pelhuimow . den Verfasser
1 Brezowa. a. a. 0. Nr. 69.
2 a. a. O. Nr. 51.
3] Nr. 68, a. a. O. S. 441: Quod die dominieo excepto nulla alia
festivitas est ex aliquo debito eeclesiue primitivae a ßdelibus celebranda.
4 Nr. 72 a. a. ü.
5) Nr. 62. 07.
6 Nr. 64. a. a. O.: Quod licet quibuscioique sacerdotibus non episcopis.
pro eorum proprio nutn et libito episcopum sibi per se ordinäre.
474
Buch III. Kap. 6. I.
der Taboritenchronik, zum Bischof gewählt und geweiht: wäh-
rend die Prager sich immer noch an die katholische Hierarchie
sittlich gebunden fühlten und herzlich froh waren, als im Früh-
jahr darauf April 1421) der rechtmässige Erzbisch of von Prag,
Konrad, sich ihnen anschloss, so dass nun für Ordination ihrer
Priester und für ordnungsmässiges Kirchenregiment gesorgt war.
12. Jedenfalls eine Folge des allzu stramm gefassten Schrift-
prinzips war es. dass die Taboriten gegen den Unterricht im La-
teinischen und in der Philosophie waren 1 . Auf der andern Seite
hing dies zugleich mit dem Nationalitätsprinzip zusammen, vermöge
dessen sie alles Lateinische in Liturgie und 'Hymnen aus ihrem
Kultus verbannten. Daraus folgt aber nicht, dass sie Feinde der
Bildung und des Unterrichts gewesen wären. Im Gegentheil, die
Taboritenpriester unterrichteten Knaben und Mädchen in ihrer
Muttersprache im Lesen und Schreiben. Daher wurde Lesen und
Schreiben bei ihnen, selbst bei den Frauen, allgemein, sie benütz-
ten es aber ihren Grundsätzen gemäss vorzüglich zum Studium der
Bibel. Noch im Jahre 1451 war Aeneas Sylvius voll Erstau-
nens, als er bei seinem Besuche in Tabor fand, dass kaum eine
Frau zu finden war. welche nicht aus dem A. und N. Testament
hätte Rede und Antwort geben können : er schämte sich für seine
Landsleute, die italienischen Priester, welche selbst das Neue
Testament nicht ein einziges Mal gelesen hatten. Bis zu jenem
Zeitpunkt waren die Taboriten aber auch von dem anfänglichen
Widerwillen gegen das Lateinlernen zurückgekommen. Er be-
kam in Tabor Besuche von vielen Bürgern, welche lateinisch
konnten, und rühmte es den Leuten nach, dass sie eine Liebe zur
Wissenschaft hätten 2 . Somit war bei den Taboriten erreicht,
was die englischen Lollarden zu Pecock's Zeit nur als einen
Wunsch und als ein hohes Ziel sich dachten, dass alle Kinder
müssten lesen lernen, um selbst in der Bibel forschen zu können s) .
Die beiden Hauptfraktionen der grossen hussitischen Ge-
ll Nr. 58, Bkezowa, a. a. O. 440 : Qmd omncs veritatea in philo-
KOphia (-t in artibns legis Christi proinotivtte nttlh unqunm modo sunt
afhplectmtdae rive studmdae.
2 I'alack y , Geschichte von Böhmen, III, 2. 8. IM. 863 folg.
s. oben Buch III. Kap. 5. II. S. 980 folg.
Wechselseitiges Verhältniss der Prager und Taboriten.
475
sammtpartei, die conservativ reformirende oder die »Prager«, und
die radikal reformirende oder die »Taboriten«, standen sich bald
in einem freundlicheren . bald in einem gespannten Verhältnis«
gegenüber, reichten sich die Hand oder bekämpften sich gegen-
seitig, je nachdem die politische Lage Böhmens eine gefährdete
oder gesichertere war. Zugleich versteht es sich von selbst und
lägst sich auch urkundlich nachweisen, dass der Unterschied zwi-
schen den beiden Schattirungen kein scharf abgegrenzter, viel-
mehr ein fliessender war. Mit andern Worten, manche unter den
Pragern standen ihrer Denkart nach den Taboriten näher, als
einigen von ihrer eigenen Partei : und unter den Taboriten gab es
Manner. welche innerlich den Pragern näher standen, als den
Ultras der taboritischen Partei. Auch kam es hie und da vor.
dass jemand von der einen Seite zu der andern übertrat. Zum
Beispiel der Engländer Peter Payne. welcher am 13. Februar
1417 unter die Magister der Prager Universität aufgenommen
worden war. hielt lange zu den Pragern; als aber seine der Lehre
Wie Ii f 's treue und freiere Richtung in Prag immer stärker an-
gefochten wurde, ging er zu den »Waisen«, schliesslich aber zu
den Taboriten über und wurde einer ihrer hervorragendsten Leh-
rer 1 . Eine gewisse Mittelstellung nahm Zizka ein. Obwohl
ursprünglich Taborit und selbst Mitgründer von Tabor. hat er
(loch nie zu den Ultra's der Partei gehalten, sondern den Pragern,
wenn irgend möglich, die Hand gereicht. Auf Seite der Prager
war der Priester Johann, einst Prämonstratensermönch zu
Selau. nunmehr Pfarrer bei Maria-Schnee in der Neustadt, ein
Mann von maassgebendem Einfluss, stets zu einer Verständi-
gung mit den Taboriten geneigt. So bildeten Zizka und Prie-
ster Johann eine Mittelpartei, weichein den Jahren 1420 bis
1 122 das Heft in der Hand hatte. Nachdem Priester J o h a n n von
der aristokratischen Partei in Prag am 9. März 1422 hinterlistig
ums Leben gebracht worden war, löste sich sofort das Bündniss,
welches zwischen der Prager und Taboritenpartei bestanden hatte.
Die Zeit der Hussitenkriege 1420 — 143L theilt sich in zwei
Perioden. Während der ersten sieben Jahre begnügten sich die
1 Palackv, Geschichte von Böhmen, III, 2. 1S4. 42S.
476
Buch III. Kap. 6. I.
Hussiten damit, die drei Kreuzzüge, welche von 1420 an gegen
sie unternommen wurden, zurückzuschlagen. Vom Jahre 1427
an ergriffen sie die Offensive und trugen den Krieg in die Länder
ihrer Feinde. Diese Kriege, defensiv und offensiv, hatten von
Seiten der Hussiten immer einen doppelten Zweck zugleich, einen
religiösen und einen politischen: der Religionskrieg sollte, wie
ein Duell, die religiöse Ehre Böhmens retten, den Vorwurf der
Ketzerei abwehren, zugleich aber auch das politische Interesse
der Tschechen oder der slawischen Rasse gegenüber den Deutschen
und Ungarn wahren. Beides ist ausgesprochen in dem Schreiben,
welches die Prager nach der Niederlage König Sigismunde am
Wyschehrad, am 5. November 1420 an alle Böhmen in tschechi-
scher Sprache erliessen. Sie erheben darin laute Klage wider
Sigismund und fordern ihre Landsleute auf, sich ihnen anzu-
schließen und nicht mehr dem König beizustehen, der ein Feind
des Landes sei, dasselbe nur verleumde und vernichten wolle.
Da sagen sie unter anderem : »Daher, lieben Freunde, ermahnen
wir euch aus Liebe und Mitgefühl, dass ihr über euch selbst und
die euch stammverwandte Nation euch erbarmen, und mit uns
dahin arbeiten möget, dass Gottes Gesetz in allen heilsamen
Wahrheiten, die aus der heil. Schrift zu beweisen sind, Frei-
heit erlange, ohne die Unterdrückung, auf welche der König
mit seinen Helfershelfern sinnt, indem er uns von unserer Selig-
keit abbringen, zu seinem in Constanz verkündigten ketzerischen
Glauben bringen und zur Verdammniss führen will. Wenn ihr
trotz alle dem es mit ihm halten wolltet, — so müssten wir glau-
ben, dass es auch euch um die Vertilgung der böhmischen
Nation zu thun sei, und müssten uns mit Gottes Hülfe gegen
euch so verwahren wie gegen die olfenbaren Feinde Gottes
und unserer Nation1).« Wie in dieser öffentlichen Urkunde
Itcide Zwecke, der religiöse und der politisch nationale, verbun-
den erscheinen, so war in der Persönlichkeit Zizkas Beides
untrennbar eins. »Gottes Gesetz« war sein Schlachtruf, er betrach-
tete sich als Rächer für Gottes Gesetz: aber er griff zu den Waf-
1) Das Schreiben in der Chronik von BlUSEOWA, bei Hofier a. a. ().
I, 425 folg. Vgl. Palackv, Geschichte von Böhmen III. 2. I7.*> folg.
Die Hussitenkriege.
477
fen. wie er in einem Kriegsreglement vom Jahre 1 423 sagt,
»nicht blos für die Befreiung der Wahrheit des Gesetzes Gottes,
sondern insbesondere auch für die Befreiung der böhmischen und
slawischen Nation lj .«
Im Jahr 1427 erkannte die hussitische Partei, dass man durch
noch so zahlreiche und entscheidende Siege in der Heimath nicht
zu dem Ziele gelange, Rom zu Concessionen zu drängen, dass man
vielmehr den Krieg über die Grenzen Böhmens hinaustragen
müsse, um die katholische Christenheit zu Unterhandlungen und
zu einem Ausgleich zu bewegen. Diese Wendung gab der hussi-
tischen Sache der taboritische Feldherr, Priester Prokop der
Grosse. Nun machten die Parteien der Taboriten und der
»Waisen«, welche jetzt wieder die Hegemonie in der hussitischen
Bevölkerung hatten, Einfälle in die rings um Böhmen gelegenen
deutschen Länder, und zwar so. dass die Hussitenzüge zuerst nach
Süd and Ost, nach Oestreich. Schlesien und der Lausitz 1427 .
dann nach Ungarn und Schlesien, Oestreich und Bayern 142b .
ferner 1429 — 30 abermals in die Lausitz, nach Sachsen und nach
Franken, endlich aufs neue nach Schlesien und Ungarn gingen
und allenthalben Schrecken verbreiteten. Sie kehrten jedoch von
den wiederholten Einfällen in Feindesland jedesmal wieder ruhig
nach der Heimath zurück. Man erkannte deutlich genug, dass es
den Hussitcn nicht um Eroberung und Oberherrschaft zu thun sei.
sondern blos um Religionsfreiheit für sich. Und je vollständiger
alle die Versuche, sie in ihrer Heimath zu überwältigen, geschei-
tert waren, desto mehr sahen sich die Gegner darauf angewiesen,
einen gütlichen Ausgleich zu suchen2). Im Jahre 1429 schritt
man römischer Seits zum ersten Mal zu Unterhandlungen, die zu
Pressburg an Sigismunde Hofe theils im April, theils im Juni statt
fanden. In der Zwischenzeit hatte ein Landtag zu Prag Ende
Mai theils über einen Waffenstillstand, theils über Anerkennung
des bevorstelienden Concils als Schiedsgericht verhandelt. Was
das Concil betrifft, so erklärten sich Ritter. Städte und Gemein-
den , »die Gottes Gesetze anhingen« . nach dem Gutachten ihrer
1 Palacky, Geschichte von Böhmen III, 2. 361 folg.
2 a. a. O. IV, 1. 432. 472.
47S
Buch III. Kap. 6. I.
Magister und Priester bereit dasselbe zu beschicken, unter zwei
Bedingungen : l . wenn auf dem allgemeinen Concil auch Grie-
chen find Armenier erschienen, die das Sakrament unter bei-
derlei Gestalt empfingen: 2. wenn man auf dem Concil sich nach
»Gottes Gesetz«, nicht aber nach dem Willen des Papstes richten
wolle, und wenn nicht der Papst, sondern die ganze Christenheit
daselbst die Macht haben werde, das Urtheil zu sprechen 1 . Al-
lein der erste Versuch, eine Verständigung anzubahnen, inislang:
er schien nur zeigen zu sollen, wie weit noch die Kluft und wie
entfernt das Ziel sei. Inzwischen machten die Taboriten neue
Kriegszüge, erst nach Schlesien und in die Lausitz, sodann nach
Sachsen. Thüringen und Franken. Nachdem aber auch der letzte
Versuch eines Kreuzzuges gegen die Böhmen, unter Cardinal Ju-
lian Cesarini, in der Schlacht bei Taus, am 14. August 1431
schmachvoll gescheitert war. trat die bedeutsamste Wendung in
den Stimmungen ein. Derselbe Mann, welcher an der Spitze des
letzten Kreuzzuges gestanden war. Cardinal Cesarini. erkannte
jetzt, dass nicht in der Gewalt, sondern nur in der Güte und Ver-
söhnung das Heil zu finden sein werde, und er hat diese Ueber-
zeugung als Präsident des Basler Concils mannhaft und thatkräi-
tig bethätigt.
Das Concil erliess unter dem H) 15. Oktober 1431 eine
förmliche Einladung an die Böhmen in einem überaus vorsichtig
abgefassten Schreiben, um nicht mit einem Worte die Gefühle
der Hussiten zu verletzen. Diese verstanden sich aber zur Absen-
dung von Bevollmächtigten nach Basel erst, nachdem bei den Vor-
verhandlungen in Eger mit Abgeordneten des Concils, im Mai 1432.
die Bedingungen, welche sie selbst gestellt, in der Hauptsache
angenommen worden waren. Der entscheidendste unter diesen
Punkten war der 7te. nämlich dass auf dem Concil in der Streit-
frage »Gottes Gesetz« und der Vorgang Christi, der Apostel und
der ursprünglichen Kirche, sammt den Concilien und den auf jene
sich wirklich stützenden Kirchenlehrern als unparteiische und
unfehlbare Richtschnur dienen solle*2 . Ein Grundsatz, dessen
I Pai.acky, a. a. ü. 47:> folg.. bes. 177 folg.
•1 ix. a. ü. III. 46.
Das Basler ConciJ und die Hussiten.
479
Sehneide freilich durch Erwähnung der Coneitien und der Kir-
chenväter sofort wieder abgestumpft ist. Nachdem das Concil
selbst die Vereinbarungen von Eger am 2u. Juni bestätigt und
die geforderte Sicherheit bewilligt hatte, auch zwei Abgeordnete
aus Böhmen zur Recognoscirung und Vorbereitung in Basel ge-
wesen waren, trat die Gesandtschaft der Hussiten ihre Heise nach
Basel an . sieben Mitglieder vom Adel und Bürgerstand, unter
denen Wilhelm Kostka von Postupitz der hervorragendste war.
und acht Theologen. Unter den letzteren waren die namhaftesten
Prokop der Grosse. Johann Rokyzana. der Engländer Peter
Payne, der schon bisher bei den Colloquien in Pressburg und
Krakau eine Hauptperson gewesen, undNiklas Pilgram. Bischof
der Taboriten und Chronist.
Es war eine in der Kirche unerhörte Begebenheit, dass ein
allgemeines Concil sich in Unterhandlungen mit einem ganzen
Volke, das für Kirchenreform aufgetreten war, einliess, die Ab-
geordneten desselben wie die Gesandten einer gleichstehenden
Macht aufnahm und ihnen das freie Wort gab. Dieses welthisto-
rische Ereigniss lieh dem Reformgedanken ein Ansehen und gab
ihm eine Ehre, welche unwillkürlich tiefer einwirkte als alles,
was bisher für kirchliche Reform gedacht, gesprochen, geklagt
und verhandelt worden war. Schon die Reise der Gesandtschaft
durch die deutschen Gaue, wo sie mit Wohlwollen und Ehre be-
grübst wurden, noch mehr die öffentlichen Verhandlungen in Basel
selbst, so wie der Privatverkehr der Hussiten mit vielen hervor-
ragenden Mitgliedern des Concils waren von nachhaltiger Bedeu-
tung. Vom 10. Januar 1433 an währten die Verhandlungen,
welche sich um die bekannten vier Prager Artikel drehten, von
der freien Predigt des Wortes Gottes . der Gommunion unter bei-
derlei Gestalt, der weltlichen Herrschaft des Klerus, und der Sit-
tenzucht 1 . Die hussitischen Theologen theilten sich in die Ar-
beit, der eine nahm diesen, der andere jenen Artikel zu seinem
Thema. Und manches kühne schneidende Wort wurde inmitten
der Versammlung ungesehen! ausgesprochen, so dass die Väter
des Concils nicht selten murrten und knirschten, z. B. als Peter
1) s. oben S. 460 folg.
ISO
Buch III. Kap. 6. I.
Payne aus Anlass des Artikels von der weltlichen Herrschaft
der Geistlichen eine warme Lobrede für Hus und Wiclif ein-
flocht. Es kam hie und da zu höchst derben und heftigen Aus-
fallen der Böhmen und zu stürmischen Scenen : aber sie stützten
sich immer auf die unzweideutigen Vereinbarungen von Eger.
Zu einem Ausgleich gelangte man in Basel selbst nicht. Die
Hoffnung der Hussiten , ihre Lehre werde wenigstens theihveise
den Beifall des Concils finden, so dass die Kirche im Grossen und
Ganzen sich in ihrem Sinne reformire. fand keine Erfüllung. Sie
mussten sich das bald genug selbst sagen. Und die Väter des Concils
fanden ihrerseits, dass keine Aussicht dazu sei, die Böhmen ganz
zum römischen Wesen zu bekehren. Man sah. dass man sich zu
wesentlichen Concessionen verstehen müsse. Aber zu bestimmten
Abmachungen waren die hussitischen Abgeordneten nicht bevoll-
mächtigt. Daher wurde verabredet, dass das Concil den Böhmen,
wenn sie zurückreisten , seinerseits eine Gesandtschaft mitgeben
solle, um in Böhmen selbst die Unterhandlungen fortzusetzen.
Bei der feierlichen Verabschiedung am 13. April 1433 hielt Pro-
kop der Grosse noch eine Bede voll Freimüthigkeit . worin er
die Väter des Concils aufforderte, alle erst in neuerer Zeit einge-
führten sündlichen Gebräuche abzustellen und die Kirche zu ihrer
ursprünglichen Einfachheit und Reinheit zurückzuführen : sie soll-
ten weder der freien Verkündigung des Wortes Gottes, noch der
Communion unter beiderlei Gestalt entgegentreten; sie möchten
doch aufhören. Andersdenkende zu verdammen und zu verfolgen,
z. B. die Waldenser, die doch geordnete und ehrliche Leute seien:
sie sollten dafür sorgen, dass man nicht über der Menge kirch-
licher Verordnungen Gottes Gesetz vergesse Marc. 7. 8.) ; nur
allein Gottes Gesetz, als höchste Kegel und Richtschnur anerkannt,
vermöge der Kirche zu der erwünschten Ruhe und Wohlfahrt zu
verhelfen 1 . Wir hören demnach in diesem wichtigen Momente
nicht nur acht reformatorische Gedanken aussprechen, sondern
finden darin auch mehrere Wahrheiten, welche von Wiclif her-
stammen, ein halbes .Jahrhundert nach seinem Tode, inmitten eiues
I PALACRT, Geschichte von Böhmen III, '5. 1<»2 i'olg.
Die ersten Compactaten H'i'i.
4SI
ökumenischen Coneils geltend gemacht, welches die gesammte
abendländische Christenheit vertritt.
Am 14. April reisten die hussitischen Gesandten nebst zehn
Legaten des Coneils von Basel ab. Unter den letzteren befanden
sich zwei Bischöfe, mehrere Prälaten und theologische Schrift-
steller: der beliebteste bei den Böhmen war Bruder Johann von
Geilhausen aus dem Kloster Maulbronn. Am S. Mai kamen
sie. freudig empfangen, in Prag an. Die Abgeordneten des Con-
eils verhandelten mit dem böhmischen Landtag und mit einzelnen
Mitgliedern des hussitischen Adels . brachten aber auch noch
nichts zu Stande. Erst nachdem eine zweite Gesandtschaft von
Böhmen nach Basel gekommen und eine zweite Gesandtschaft des
Coneils nach Böhmen abgeordnet worden, gelang es. den Aus-
gleich mit dem böhmischen Landtage abzuschliessen : Sonnabend
den 3u. November 1433 wurden die ersten Compactaten ge-
schlossen. Sie bestehen darin, dass 1. die Communion unter
beiderlei Gestalt allen, die sie begehren, gespendet wer-
den dürfe, während die Concessionen in Betreff 2. der Sitten-
zucht. 3. der freien Verkündigung des Wortes Gottes. 4. der welt-
lichen Herrschaft des Klerus, durch kluge Klauseln so gut wie
illusorisch gemacht sind.
Mit diesem Ausgleich waren natürlich nur die gemässigtsten
und conservativsten unter den Pragern. Pribram und seine Par-
tei, zufrieden gestellt. Um so weniger befriedigten sie einen
liokyzana. geschweige die Waisen und Taboriten. Die Span-
nimg zwischen den Schattirungen der hussitischen Gesaumitpartei
wurde wieder stärker, bald brach der Bürgerkrieg aufs neue los.
Und in der grossen Hussitensehlacht bei Böhmisch-Brod und Lipan.
am 30. Mai 1434. wurden die Taboriten und Waisen von der dem
Ausgleich günstigen Adelspartei entscheidend geschlagen. Beide
Prokope, der Grosse und der Kleine, und eine grosse Zahl von
Priestern fielen in der Schlacht. Von da au war die geistige und
politische Macht der Taboriten gebrochen. Die Partei der »Wai-
sen« löste sich 1434 ganz auf: die meisten derselben, z. B. Peter
Payne. traten den Taboriten bei. andere vereinigten sich mit
Johann Kokyzana. Was die Differenz zwischen den Pragern
und den Taboriten anlangt, so übertrugen beide Parteien 1434
Lechleh, Wifilif. II. 31
4S2
Buch III. Kap. 6. L
dem Magister Peter Payne das schiedsrichterliche Urtheil. Die-
ser fällte aber sein Urtheil erst 2 Jahre später, 1436, und zwar in
der Eichtling, dass er 1. für Beibehaltung der 7 Sakramente, je-
doch ohne alle Simonie, 2. für Anrufung der Heiligen, 3. das Fege-
feuer und 4. für den Gebrauch des Priesterornats bei der Messe sich
aussprach. Er thut dies bei allen diesen Punkten in der Weise,
dass er sich auf die Erklärungen von Wiclif, beziehungsweise
von Hus, beruft1). Allerdings lag das schon in dem Auftrag,
der ihm als dem Schiedsrichter ertheilt war : er sollte in Gemäss-
heit der Vereinbarungen von Eger und nach den Schriften des
Magister Johann Hus wie des Johann Wiclif sein Urtheil fäl-
len2). Immerhin kann dieses Urtheil in sachlicher Hinsicht den
Druck der Zeit nicht verleugnen. Es sagt sich von ächt taboriti-
schen und — ächt wiclifitischen Gedanken los. Die Opposition
gegen die Lehre von der Wandlung, welche die Taboriten von
Wiclif überkommen hatten, war schon vor dem Compromiss
fallen gelassen.
Allein den Taboritenpriestern schien das denn doch eine gar
zu weit gehende Nachgiebigkeit zu sein. Sie unterwarfen sich dem
Schiedssprüche nur b e d i n g t e r W e i s e , und begründeten ihre Be-
rechtigung dazu durch den Umstand, dass Magister Peter Payne
dem Auftrag, der ihm ertheilt worden war, nicht gerecht geworden
sei. Sie erklärten sich 1. in Betreff der Sakramente dahin, dass die
7 Sakramente nur so weit beizubehalten seien, als sie in ihrer
Wesenheit und Reinheit von Christo eingesetzt seien. 2. Die Ver-
wahrung in Betreff der Anrufung der Heiligen ist schwach und bildet
keineswegs einen Damm gegen das, was sie abwehren will. Desto
klarer ist 3. die Erklärung gegen das Fegefeuer, indem sie nur das
Feuer des jüngsten Gerichts anerkennen ; dieses reinige die Seelen
der Gläubigen vollends von allen Befleckungen, die etwa durch's
Feuer der Trübsal in diesem Leben noch nicht abgethan worden
seien. Eben so unumwunden erklären sie sich 4. über den Priester-
Ornat: »Kaiserliche Priester, welche zur Zeit Constantin's des Grossen
1) Taboritenchronik von Pilgram. bei Höfler, Geschichtschreiber
der hussitischen Bewegung II, "05 folg. Vgl. Palacky , Geschichte von
Böhmen III, 3. 1S1 folg. vgl. 175 folg.
2) Pilgrams Taboritenchronik a. a. O. 704.
Erklärung der Taboriten. 483
kaiserlichen Schmuck von ihm bekommen haben, dürfen densel-
ben bei der Messe und sonst immerhin anlegen : hiugegen Priester
Christi dürfen dem Kaiser wiedergeben, was des Kaisers ist, und
dem Vorgange der Apostel folgen 1 . Da fühlt man doch noch
etwas von wiclititischem Geist, zumal in dem Gegensatz zwischen
saeerdotes caesarei und sacerdotes Christi u. s. w. Bei dieser Ge-
legenheit stellt der taboritische Chronist, welcher ja selbst Bischof
der Taboriten war, die Lehren der «Prager Magister« und der
»Taboritischen Priester« in 23 Punkten je parallel zusammen und
sagt von seiner Partei : »Wir glauben und halten dafür, wie wir
auch vordem immer geglaubt und dafür gehalten haben« u. dgl.,
80 dass deutlich zu erkennen ist. er will nicht blos die in früheren
besseren Jahren geltende Taboritenlehre geben, sondern die auch
nach den entscheidenden Schlägen, welche die Taboriten als poli-
tische Partei getroffen hatten, im Zeitalter der Reaction noch fest-
gehaltene Lehre darstellen'2 . Es ergiebt sich daraus, dass die
Taboriten auch jetzt noch die Schriftwahrheit und sie allein für
die unbedingt maassgebende Richtschnur erkannten, während die
Prager neben der Schrift die Kirche des Alterthums als Auktorität
hinstellten3] • In der Lehre vom Abendmahl und den Sakramen-
ten überhaupt Artikel 1—9 ist noch der kritische Geist Wiclif's
zu spüren, insbesondere dessen Opposition gegen die Lehre von
der Wandlung, indem als taboritischer Satz nach wie vor aufge-
stellt wird : Das Brod ist und bleibt wahres Brod, mit ihm ist aber
in der Communion anf sakramentliche und reale Weise Christi Leib
verbunden, der für uns gegeben ward ; und ebenso verhält es sich
mit dem Kelche 4 . Ferner wird die Pflicht einer Anrufung der Hei-
ligen, die römische Lehre vom Fegefeuer verneint, die Menge von
Heiligenfesten, als welche der Ehre Christi und der alleinigen
Feier seines Gedächtnisses zu nahe trete, ohne Rückhalt misbil-
ligt 5 . Manche der Artikel beziehen sich allerdings nur auf ritu-
elle Fragen und Gegenstände der Kirchenordnung.
1) Pilgram s Taboritenchronik, bei Höf ler II. TOT folg.
2] a. a. O. TU— T24.
3, Artikel 10, a. a. O. T16.
4 Artikel 1, a. a. O. T12.
5 Artikel 13. 14, a. a. O. TIS folg., Art. IT. T20. In letzterer Be-
31*
484
Buch III. Kap. 6. I.
Inzwischen war der Ausgleich von 1433 zwischen dem Basler
Concil und den Hussiten. genannt die » C o in p a c t a t e n « . auf dem
Landtage zu Iglau (5r. Juli 1436 feierlich bestätigt und mit Ge-
setzeskraft versehen worden. Die Aussöhnung mit Rom und der Ge-
sammtkirche des Abendlandes war vollendete Thatsache. während
den Böhmen die Communion unter beiderlei Gestalt zugestanden
und garantirt war. Zugleich wurde . unter gewissen sichernden
Bedingungen, Sigismund als König von Böhmen anerkannt, so
dass er jetzt erst, anstatt 17 Jahre früher (denn sein Bruder Wen-
zel war 1419 gestorben , seines Erbrechts über Böhmen froh wurde :
das hatte er sich selbst und seiner einstmaligen Wortbrüchigkeit
gegen Hus zuzuschreiben. So lange Sigismund regierte (1436
und 1437), ergriff er nur Maassregeln der Reaktion, suchte alles
rückgängig zu machen, was in den letzten Jahren vereinbart wor-
den war, beseitigte hussitisch gesinnte Männer aus Staatsämtern
und ergriff gegen Rokyzana, das Haupt der Prager Hussiten.
welcher schon 1435 in Gemässheit der Compactaten zum Erz-
bischof von Prag gewählt und von ihm selbst bestätigt war. solche
Maassregeln , dass dieser sich genöthigt sah . Prag zu verlassen
(17. Juni 1437). Kurz Sigismund brachte es durch gleiche Wort-
brüchigkeit, wie einst in Constanz. dahin, dass. als er am 9. De-
cernber 1437 starb, schon wieder die ärgste Gährung herrschte
Sein Nachfolger. König Albrecht, starb ehe noch zwei Jahre voll
waren. Und unter dem ISjährigen Interregnum, das nun folgte,
sind die Taboriten, wie 1434 als politische Partei, so nun auch
als Religionspartei vollends erloschen. Im Anfang der vierziger
Jahre hatte man noch Verhandlungen mit ihnen theils angeboten
(1441). theils wirklich gepflogen (1442 folg.' 1 : insbesondere fand
im Juli 1443 in der Pfarrkirche zu Kuttenberg das letzte Reli-
gionsgespräch zwischen Utraquisten und Taboritenpriestern statt,
unter dem Vorsitz eines Magisters Wenzel von Drachow von
utraquistischer Seite und des englischen Magisters Peter Payne
von taburitischer Seite. Auch Niklas Pilgram . der »Taboriten-
ziehung ist sogar wörtlich ein Satz Wiclifs, s. oben B. II, Kap. 7. X.
ohne ihn selbst zu nennen , -wiederholt : Videtur — catholicitm dieere, tot
8anctorum noritates instituere, IViclif 6880 tcmcrarium etc.
1) Taboritenchronik von Pilgram. bei Hofler II. 721 folg
Erlöschen der Taboritenpartei.
485
bischof«, was seit geraumer Zeit nur noch ein Titel war, so wie
Wenzel Koran da wohnten dem Colloquium bei. während Magi-
ster Rokyzana und Johann von Prior am die namhaftesten
.Sprecher von utraquistischer Seite waren. Die Verhandlungen
galten in der Hauptsache der Abendmahlslehre, und die Taboriten
blieben auch da noch bei der i Wiclif sehen) Lehre stehen , dass
im Abendmahl Christi Leib sakramental und geistig wirksam und
wahrhaft gegenwärtig sei, aber nicht substantiell l) , was die Geg-
ner, wie ehemals, für eine »pikardische« Irrlehre erklärten. Ein
Nachspiel dieses Religionsgesprächs fand auf dem Landtag in
Prag im Januar 1444 statt, wo schliesslich die Lehre Rokyza-
na s und der übrigen Prager Magister sanktionirt und die der
Taboriten als Irrlehre verworfen wurde 2) . Von da an traten viele
einzelne Glieder und ganze Gemeinden der taboritischen Partei zu
den Utraquisten über, und das um so mehr, als man keine Gewalt
gegen sie anwandte. Die Taboriten als Religionspartei verloren
sich um die Mitte des XV. Jahrhunderts allmählich. Sie pflanzten
sich geistig nur in den »Brüdern des Gesetzes Christi« (der Brü-
derunität; fort. Und mit dieser Zeit nach 1444) schliesst auch
die Taboritenchronik Pilgram's.
Die hussitische Bewegung, welche auf wiclifitischer Basis
ruhte, hat an den benachbarten deutschen Landen unmöglich
spurlos vorüber gehen können. Sie hat allerdings vielfach Anti-
pathie erregt. So schon in Prag 1409, als sie im Bunde mit
tschechischen Nationalitätsbestrebungen den Rechten der Deut-
schen innerhalb der Universität zu nahe trat, und den Abzug der
deutschen Magister und Studenten von Prag veranlasste. Das war
aber alles vergessen, als Hus 1414 zum Concil nach Constanz
reiste: da fand er, wie wir wissen, weitaus an den meisten Orten
eine ihn selbst überraschende Aufmerksamkeit und so viel Theil-
nahme, dass sein Vorurtheil, als ob die Deutschen durchweg seine
Feinde seien, verging, wie der Nebel vor der Sonne. Als einige
Jahre nach Hussens Tode die Hussitenkriege angingen und das
r Taboritenchronik. a. a. O. II, 74(3 folg. Vgl. Palacky, Geschichte
vjn Böhmen IV, 1. 9;i folg.
2) Palacky, a. a. O. 104 folg.
486
Buch III. Kap. 6. I.
eine böhmische Volk einen Kreuzzug um den andern, zu dem sich
die Gesammtkraft Mitteleuropa^ verbündet hatte, siegreich zu-
rückschlug-, da wuchsen an vielen Orten die Sympathien für die
hussitische Sache. Und nur als die Böhmen seit 1427 die Offen-
sive ergriffen und den Krieg in die Nachbarländer trugen, fuhr
ein Schrecken in die Gemüther, so dass Furcht und Hass gegen-
über den Hussiten überhand nahmen. Dessen ungeachtet hat ihr
Eifer für «Gottes Gesetz« und ihre Thatkraft für Reform des
kirchlichen Wesens, in dem Zeitalter der grossen Concilien . wo
alles von Reform der Kirche an Haupt und Gliedern sprach,
und doch kaum etwas dafür geschah, tiefe unverwischliche
Eindrücke im deutschen Volke gemacht.
Hussitische Lehren fand man im XV. Jahrhundert an den
verschiedensten Orten in Deutschland : in Schwaben und Franken,
in Bayern und Preussen.
Ein sächsischer Edelmann, Johann Drandorf 'Drändorf .
auch von Schlieben genannt, hatte sich in Prag zum Priester
weihen lassen. Er kam nach Weinsberg, zu einer Zeit, wo der
Bann über die Stadt vom Bischof zu Würzburg verhängt war.
und forderte die Bürgerschaft auf, dem Banne zu trotzen. Um
deswillen, und weil er zum Genüsse des Abendmahls unter bei-
derlei Gestalt ermunterte, wurde er in dem nahen Heilbronn ver-
haftet, in Heidelberg vor ein Inquisitionsgericht gestellt und als
Ketzer zum Feuertode verurtheilt, den er zu Worms am 3. Febr.
1425 erlitt 1 . Die utraquistische Lehre, ferner das Schriftprinzip,
zu dem er sich bekannt hat. und eine Anzahl sonstiger Punkte
beweisen . dass er hussitisch gesinnt war , während die Gering-
schätzung des Banns vortrefflich damit stimmt. — Ein Jahr dar-
auf starl) gleichfalls auf dem Scheiterhaufen Peter Turn au zu
Speier.
Um die Mitte des XV. Jahrhunderts verbreitete ein gewisser
Johann Müller im Fränkischen, in den Städten Windsheim und
Neustadt an der Aisch, in Onolzbach und Rottenburg an der Tau-
1) Kapp, Nachlese von Urkunden zur Reformationsgeschichte 1730.
III, 3 folg., bes. 13 folg. :>»i folg. Kapp gibt das ganze Protokoll des
Inquisitionsprocesses, der mit Drandorf vorgenommen wurde, vgl. Stalin,
AVürttemb. Geschichte III, 42b. Anm. 3.
Verbreitung hussitischer Ansichten in Deutschland.
4S7
her hussitische Grundsätze : er hielt im Stillen Conventikel und
fand Anhang bei dem gemeinen Mann. Als Verfolgung drohte, ent-
floh der Meister, aber 1 30 seiner Anhänger wurden verhaftet, nach
Würzburg geführt und dort zum Widerrufe genöthigt 1 . In Bam-
berg und in Regensburg hielt es der Rath für nothwendig . allen
Mannspersonen über 12 Jahren einen Eid gegen die hussitisehen
Meinungen abzunehmen2^. Den Schwaben wirft Papst Eugen IV.
vor. dass sie hussitisehen Irrlehren geneigt seien : das ist allerdings
nicht näher bescheinigt, aber es müssen doch Berichte von dort
aus in Rom vorgelegen haben, welche jene Thatsache bezeugten.
Um das Jahr 145S starb Friedrich Reiser, genannt Tunauer.
d. h. Donauer, weil er zu Deutach an der Donau geboren war, in
Strassburg auf dem Scheiterhaufen. Er hatte anfänglich einer
frommen Gemeinschaft in Strassburg, vermuthlich den »Winke-
lern« angehört. Nun gerieth er während der Hussitenkriege ein-
mal in böhmische Gefangenschaft, lernte die hussitische Lehre
kennen, bekehrte sich zu derselben, und Hess sich zum Priester
weihen. In die deutsche Heimath zurückgekehrt, verkündigte er
hussitische Grundsätze in geheimen Versammlungen zu Würz-
burg. Heilbronn, Pforzheim, Basel und Strassburg. Insbesondere
wird erwähnt, dass er von der Schenkung des Kaisers Constanrin
übel redete. Allein in Strassburg wurde sein heimliches Treiben
durch Dominikaner entdeckt; er wurde verhaftet, im Jahr 1457
verhört, und das Jahr darauf wirklich verbrannt. Viele seiner
Anhänger. Männer und Frauen, auch eine bejahrte Handelsfrau,
die seine Gönnerin gewesen war, Anna Weiler, traf die gleiche
Strafe, während andere nur des Landes verwiesen wurden3).
In Bayern machte sich der Böklerbund hussitischer An-
sichten verdächtig. Und in Preussen fand der Hochmeister
für nöthig, die Magistrate mehrerer Städte, namentlich der Stadt
Thorn. auf das um sich greifende Uebel der hussitisehen Irrlehre
1 Lorenz Friess, Historie der Bischöfe zu Würzburg in der Samm-
lung von Ludewig, Geschichtschreiber des Bischofthums Wirzburg 1713.
S. S52 folg.
2 Heinrich Zschokke, bayrische Geschichte n, 320.
3) Vgl. UlXMANN, Reformatoren vor der Reformation, 2. Auflage 1S66.
I, 311 folg.
4S8
Buch III. Kap. 6. I.
aufmerksam zu machen: sie möchten darob wachen, dass die Irr-
lehre sich nicht von fremden Landen her auch in Preussen ein-
schleiche 1 !
Es lag sehr nahe , dass dort die hussitischen Gedanken von
Polen aus Eingang fanden. Ist es doch eine bemerkenswerthe
Thatsache, dass in der hussitischen Angelegenheit von frühe an
nicht nur das Nationalgefühl der Tschechen, sondern auch die
slawische Stammverwandtschaft in weiterem Kreise sich erkenn-
bar machte. Schon in Constanz haben einige Barone aus Polen
in Gemeinschaft mit den adligen Freunden und Gönnern Hussens
aus Böhmen, sich für Hus beim Concil verwendet 2 . Und während
der Hussitenkriege fand die hussitische Sache bei Vielen vom pol-
nischen Adel lebhaften und unverhohlenen Anklang, zum Theil
gerade bei den angesehensten und einflussreichsten Männern 3 .
Im Jahr 1476 stand in dem jetzt badischen, damals bischöf-
lich Würzburgischen Dorfe N i k 1 a s h a u s e n an der Tauber ein
Jüngling aus dem Volke auf, welcher als Bauerknecht bisher Vieh
gehütet, aber auch als Musikant Geld verdient hatte. Johann
Beheim oder der Böhme. Er fing an zu predigen, die heilige
Jungfrau sei ihm auf dem Felde bei seiner Heerde erschienen
und habe ihm georYenbart, es sei eine Zeit der Heimsuchung, wo
Gottes Zorn der Menschheit drohe, zumal der Priesterschaft. Die
geistliche und weltliche Herrschaft sei verdorben : die weltlichen
Herren seien Dränger des Volks, sie dürften nicht mehr haben als
der gemeine Mann: die Fische im Wasser, das Wild auf dem Felde
sollten Allen gemein sein, Zölle, Frohndienste, Steuern müssten
aufhören. Aber auch die Zehnten müssten fallen, mit dem Papst
sei es nichts, die Geistlichen seien in Geiz, Hochmuth und Wohl-
leben versunken, sie haben zu viele Pfründen, sie sollten nie mehr
denn eine haben. Bessern sie sich nicht bald, so werden sie er-
schlagen werden. Den Bann achtete er für nichts; und ein Fege-
feuer, sagte er, gebe es nicht.
Als die Leute zu den Predigten des Hirten nicht blos aus der
Ii Johann Voigt, Geschichte Preussens VII. 1*36. S. 374 folg.
.! K oben Buch III. Kap. 3. V. S. 2(>4.
:t Palacky. Geschichte von Böhmen III, 3. 336 folg.
Die Relormconcilien.
4b9
Naehliarscliat't, sondern bald auch aus entfernten Gauen von *>üd-
und Mitteldeutschland sehaarenweise herzuströmteo und die
schwärmerische Aufregung immer höher stieg, schritt die Obrig-
keit ein. Der Bischof Rudolph von Würzburg schickte Reiter. Hess
den Volksprediger abführen und zuletzt verbrennen 1 .
Unter obigen Sätzen sind einige, die taboritischen Ursprungs
zu sein scheinen. Ohnehin stammte der Hirtenjüngling wahr-
scheinlich aus Böhmen: ein Nürnberger Chronist Kreuzer be-
merkt: Ich halt* davor, er habe es von der Hussen Jün-
ger einem empfangen und gelernet.«
So treten uns auf deutschem Boden von den zwanziger Jahren
an bald da bald dort Erscheinungen entgegen, welche von Sym-
pathien mit dem Hussitismus und von der Aneignung hussitischer
Grundsätze Zeugniss geben.
II.
Aber auch abgesehen von der hussitischen Bewegung und
dem Wellenschlag, der von ihr aus durch verschiedene Gaue ging,
wirkten Kräfte genug seit dem Anfang des XV. Jahrhunderts auf
Anbahnung der Reformation hin.
Vor allem die Reformconcilien in der ersten Hälfte des
XV. Jahrhunderts. Die drei Concilien zu Pisa 1409, zu Constanz
1414 folg. und zu Basel hatten sämmtlich ein gedoppeltes Ziel:
Wiederherstellung der Kircheneinheit des Abendlandes und Re-
form an Haupt und Gliedern. Das erste Concil erreichte weder
das eine noch das andere Ziel. Das zweite, zu Constanz, ver-
wirklichte endlich die Einheit des Papstthums und der abend-
ländischen Kirche ; aber vom andern Ziele blieb man so weit ent-
fernt wie jemals. Es bewendete in dieser Beziehung beim Streben
und bei frommen Wünschen. Und was Papst Martin V. durch
Verhandlungen mit den einzelnen Nationen ordnete, war sehr
sächlicher Art und rettete nur den Schein der Reform. Um so
mehr hofften alle Wohlgesinnten, als endlich ein Concil nach
Basel ausgeschrieben war (1424), dass dies dritte Concil endlich
1) ÜLLMANN, Reformatoren vor der Reformation, I, 350 folg.
490
Buch III. Kap. 6. IL
die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern zu Stand und We-
sen bringen würde. Nur machte es einen sehr üblen Eindruck,
dass das Concil erst in sieben Jahren zusammentreten sollte, dass
also die Reform auf so lange vertagt war. Ein englischer Prälat
sprach am 27. November 1425 in einer Rede vor Martin V. und
den Cardinälen unverhohlen aus, »wenn nicht baldige Abhülfe
erfolge, so werde die von der Kirche versäumte Reform von den
weltlichen Mächten vorgenommen werden Als das Concil (am
25. Juni 1431) in Basel wirklich eröffnet worden war, in der ersten
Sitzung (14. December) Reform cler-Kirche an Haupt und Gliedern
für seinen Hauptzweck erklärte, und allen Versuchen Papst
Eugen's IV. es aufzulösen oder wenigstens zu vertagen, entschlos-
sen widerstand und sich mannhaft behauptete, da erwachten freu-
dige Hoffnungen. Man sah eine bessere Zeit aufdämmern. Die
nach Reform hungernde und dürstende Christenheit sah die Er-
füllung ihrer theuersten Wünsche nahen. Viele zog es nach Basel,
ohne dass sie von Berufes wegen beim Concil sein mussten. Uni-
versitäten sprachen in eigenen Schreiben ihre Zustimmung aus.
Die öffentliche Meinung fühlte sich gehoben und befriedigt.
Als aber das Concil mit der Reform Ernst machte und am
Haupte begann, die Annaten und dergleichen päpstliche Einnah-
men verbot, da hörte beim Papst die Gemüthlichkeit auf. Es
kam zum Bruch zwischen Papst und Concil. Eugen IV. stellte
dem Concil zu Basel ein Gegenconcil zu Ferrara entgegen. Das
Concil antwortete mit Suspension des Papstes (24. Januar 1438);
darauf folgte die Erklärung, dass er abgesetzt sei (7. Juli 1439);
endlich stellte das Concil dem Papst Eugen IV. einen Gegenpapst,
Felix V. entgegen. Nun war das Schisma wieder da, und zwar
durch das Reformconcil selbst geschaffen. Dadurch hat das Con-
cil neue Freunde nicht gewonnen, wohl aber alte verloren. Die
Staaten schwankten zwischen den beiden Päpsten. Deutschland
erklärte sich neutral, und ging hernach zu Eugen IV. über. Die
Hoffnungen, welche man auf das Concil von Basel gesetzt hatte,
waren gesunken. Das Vertrauen und die Sympathien waren da-
1) v. Wessenbeug, Die grossen Kirchenversammlungen des XV. und
XVI. Jahrhunderts. 1S40. II, 277. 283.
Kirchliche Reaction seit 1450.
491
hin1 . Als das Concil in nächtlicher Sitzung am 25. Juni 144S
die Verlegung nach Lausanne in Wahrheit die Auflosung) be-
schloß, war seine sittliche Kraft und seine Macht in der Christen-
heit längst gebrochen.
So war auch das dritte Concil zu Ende, ohne dass die Reform
der Kirche erzielt war. Viel Gutes war in Basel zu diesem Behufe
beschlossen worden, aber man hatte das Werk nicht in grossem
Stil und nicht prinzipiell genug angefasst. Dieses Scheitern dreier
Ooncilien nach einander, welche doch die leuchtendsten Zierden
der Kirche, die edelsten Charaktere in sich schlössen, war eine
Thatsache von der schmerzlichsten Bedeutung. Und dies um so
mehr, als die Päpste von da an in der ganzen zweiten Hälfte des
XV. Jahrhunderts consequent und nur zu erfolgreich darauf be-
dacht waren , die Reformdekrete des Basler Concils . überhaupt
alle dem päpstlichen Absolutismus entgegentretende Beschlüsse
der Reformconcilien. zu entkräften und zu vereiteln. Zu diesem
Zwecke war jedes Mittel erwünscht ; was nicht auf offenen Wegen
zu erzielen war, suchte man durch Ränke und auf Schleichwegen
zu erreichen. Und bald war man damit so weit gekommen, dass
Pius IL, der einst als Aeneas Sylvins Piccolomini in Basel ein
Haupt der Reformpartei und einer von den einflussreichsten Män-
nern des Concils gewesen war. sich schon 1460 nicht entblödete,
die Appellation des Herzogs Sigismund von Tirol vom Papst an
ein künftiges allgemeines Concil mit dem übermüthigsten Hohn
und Spott zu behandeln, weil sie an ein »Unding« gerichtet sei2 .
Ist es doch eine Thatsache der Geschichte, dass in jenem Zeitalter
der rücksichtslosesten kirchlichen Reaktion, in der zweiten Hälfte
des XV. Jahrhunderts, der schrankenloseste Absolutismus des
Papstthums und seiner Machtfülle wiederhergestellt worden ist,
dass aber auch neben einigen persönlich achtungswertheren Män-
nern wie Nicolaus V. und Pius IL, in dieser Zeit Personen wie
Paul IL, Sixtus IV.. InnocenzVIII. und Alexander VI. den päpst-
lichen Stuhl bestiegen haben, welche durch freche Gewissen-
losigkeit, durch Nepotismus und Simonie, aber auch durch die
1, Vgl. Brockhaus, Gregor von Heimburg. 1861. 33 folg.
2) v. Wessenberg. Die grossen Kirchenversamrnlungen II/ 533.
492
Buch III. Kap. ü. II.
schaniloseste Unzucht und Päderastie, nebenbei durch unerhörte
Grausamkeit, der Christenheit das schreiendste Aergerniss ge-
geben haben.
Kein Wunder, dass das schliessliche Scheitern der ernstesten
Reforrnbestrebungen. zu denen das ganze Abendland sich die Hand
gereicht hatte, verbunden mit der immer klarer sich herausstel-
lenden Gewissheit, dass aus übel ärger geworden sei. viele
Gemüther in einen bewussten Pessimismus und in Verzweiflung
stürzte 1 . Es fehlte schon als das Basler Concil seinem trübseligen
Ende entgegen ging, nicht an Männern, welche der Ueberzeugung
waren, ohne Reform eile die Kirche ihrem Verfall, ihrer Auf-
lösung entgegen ; und die Reform noch von der römischen Kurie zu
erwarten sei Thorheit, denn diese sei ja gerade der Urquell kirch-
lichen Verderbens. Als vollends diese Besorgnisse im Laufe der
Jahre nur zu sehr in Erfüllung gingen, klagten fromme Gemüther
über das völlig hoffnungslose Versinken der Kirche und den Ver-
fall des Glaubens. Leichtfertige Geister hatten 's ihren Spott. Nach-
dem die Päpste Martin V., Eugen IV., Xicolaus V. und Pius II.
glücklich erreicht hatten, dass die Concilien zu Schanden gewor-
den waren, so brachten es ihr'e Nachfolger dahin, dass vor Rom
selbst und dem päpstlichen Stuhle alle Ehrfurcht schwand. Und
wie Viele waren es, in denen mit der Achtung vor den Institutionen
auch aller Christenglaube und Gottesfurcht abhanden kam! Damit
war dann freilich auch alle die sittliche Kraft geschwunden,
welche zu einer Reform und "W iedergeburt der Christenheit uner-
lässlich ist.
Trotz alle dem steht es aber dennoch fest, dass die Concilien
von Constanz und Basel Frucht getragen haben für die Refor-
mation.
Einmal sind ihre Grundgedanken auch durch die
schlimmste Zeit der Reaktion hindurch gerettet worden und keim-
kräftige Samenkörner für die Zukunft geblieben.
1 Es war nur eine Nachwirkung jenes schon seit dem Scheitern der Ke-
iormconcilien vielfach verbreiteten Pessimismus, als im Jahre 1517 ein redlicher
deutscher Gelehrter, Albert Krantz in Hamburg, erklärte: »Eine gründliche
Besserung der Kirche ist derzeit ebenso nothwendig als unmöglich.'«
Gregor von Heimburg
493
Unerschrockene Patrioten, mannhafte Charaktere boten ent-
weder angesehen* Trotz oder bewahrten wenigstens die conciliären
Grundgedanken furchtlos und treu. Unter den ersteren ragt her-
vor der ehrenwerthe Patriot Gregor von He im bürg. Dieser
trutzige Kämpfet1 gegen die Uebefgriffe der Hierarchie war zu der
besten Zeit des Concils mit in Basel gewesen, und blieb den Ge-
sinnungen, die er damals bethätigt hatte, auch unter ganz verän-
derten Verhältnissen bis zu seinem Tode f 1 472 unwandelbar ge-
treu. Insbesondere ist der Grundsatz von Constanz und Basel,
dass ein ökumenisches Concil über dem Papste stehe . der Ge-
danke seines Lebens geblieben. Mit welcher Kühnheit hat er
dies 1461 in der Appellation auf ein Breve Pius II. gegen Her-
zog Sigismund von Tirol öffentlich ausgesprochen! Um zu be-
weisen, dass man auch an ein Concil appelliren könne, welches
noch nicht zusammenberufen ist. sagt er z. B. : »Die Gewalt der
Kirche ist unsterblich, wie die Kirche selbst, die zwar jetzt zer-
streut ist. aber einmal versammelt werden kann: und dies ist
gerade jetzt hochnüthig. — Indem der Papst das Concil verbietet,
thut er nichts anderes, als dass er uns zürnt, weil wir sein ge-
waltthätiges Regiment nicht unterstützen, und die durch unsern
und unserer Vorfahren Schweiss und Blut errungenen Mittel zur
Befriedigung seiner Gelüste verweigern. Es ist das Regiment
eines Herrn über Sklaven, was der Papst über uns ausüben will.«
— Nachher appellirt Gregor von dem erzürnten Papste an den be-
sänftigten, an den rechtlich gesinnten u. s. w.. und fährt sodann
fort : »Verachtet der Papst das alles . was bleibt mir dann noch
übrig, als an die allgemeine Kirche mich zu wenden '? Der Papst
möge mir nicht einhalten, dass die Kirche nicht versammelt sei,
denn er hat das nur durch seine eigenen Ränke bis jetzt ge-
hindert l) .«
Andere waren zwar nicht dazu geartet, so offensiv und trotzig
den Standpunkt der grossen Concilien nach wie vor geltend zu
machen, hielten aber dessen ungeachtet an den Grundsätzen der-
selben fest. Es gab doch genug Leute . die es nicht schreckte,
dass Pius H. durch die Bulfe » ExecraUtis « vom IS. Januar
1 Bei Goldast, Monarchia II, 1592 folg.
494
Buch III. Kap. 6. II.
1460 jede Appellation vom Papste an ein allgemeines Concil
für einen früher unerhörten und verdammlichen Misbrauch er-
klärte. Kein Mensch war im Stande, das Andenken an die Con-
cilien von Constanz und Basel in frommen Gemüthern wieder aus-
zulöschen. Diese beiden Concilien leuchteten lange noch, nach-
dem sie zu Ende waren, wie im Sommer die Sonne noch geraume
Zeit, nachdem sie untergegangen, den Abendhimmel erleuchtet.
Jeder ernste Gedanke einer Kirchenreform knüpfte an das An-
denken dessen an, was in Constanz und Basel beschlossen und
verordnet worden j) . Insbesondere war der Grundsatz, dass ein
allgemeines Concil über dem Papste stehe, trotz aller kurialisti-
schen Reaktion nicht auszurotten. Und trotz päpstlichen Verbotes
wiederholten sich Appellationen vom römischen Stuhl an ein all-
gemeines Concil bis zum Ende des XV. Jahrhunderts und bis in's
XVI. hinein. So sind wenigstens die Grundgedanken der Reform-
concilien trotz der Erfolglosigkeit der letzteren, lebendig geblie-
ben. Hat doch noch auf dem Lateranconcil von 1512 folg. der
Augustinergeneral Aegidius von Viterbo in seiner Rede bei
Eröffnung der Synode die Verordnung des Constanzer Concils
über periodische Wiederholung allgemeiner Kirchenversammlun-
gen laut gepriesen, die Xothwendigkeit der Concilien zur Erhal-
tung des Glaubens und guter Ordnung in der Kirche betont, und
Julius II. zur Reform der Kirche aufgemuntert2).
Zum andern hat gerade das Scheitern jener Concilien zum
Nachdenken über Mittel und Wege der Kirchenreform Ver-
anlassung gegeben. Viele Geister beschäftigten sich mit dieser
Frage. Am eingehendsten und merkwürdigsten ist diejenige Er-
örterung derselben, welche ein Karthäusermönch angestellt hat.
Es war ein Jahr nach der Auflösung des Basler Concils, als
Jakob von Jüterbogk, früher Cisterzienser in Polen, seit 1445
Karthäuser in Erfurt, zugleich Lehrer der Theologie an der dorti-
gen Universität (t 1465), eine Schrift »Ueber die sieben Zeiträume
der Kirche« herausgab :}) . Er deutet die sieben Siegel in der Apo-
ll Von Wessexbkrg, Die grossen» Kirchenversammlungen II, 501,
2) RiciiEitii Hiatoria Conciliörum generalium. Cöln. 1681. -R Lib. IV.
P. 2. S 4-7.
:; Ue .Septem statibus ecclesiac et ejus reformatione. Reichhaltige Aus-
Jakob von Jüterbogk über Kirchenreform.
495
kalypse auf die verschiedenen Entwicklungsstadien der Kirche
Und meint, die Gegenwart bilde die vierte und fünfte Periode. Ob
eine Reform eintreten werde, oder ob es unaufhaltsam abwärts
gehe bis zum Erscheinen des Antichrists in der sechsten Periode,
das ist ihm zweifelhaft : doch erscheint ihm angesichts der Ver-
derbniss der Zeit das letztere als wahrscheinlicher. D a s s eine Re-
form hochnöthig sei, beweise der Zustand der ganzen Welt. Nur
wie sie zu verwirklichen, das sei noch nicht erfunden. Allgemeine
Concilien sind zu diesem Zwecke gehalten worden, und von diesen
Beschlüsse zur Reform gefasst. Aber alsbald erhob sich ein solcher
Widerstand geistlicher und weltlicher Personen dagegen, dass
wieder alles zu nichte wurde. Da die Zeit des Gebärens kam —
sagt er im Hinblick auf Apokal. 12, l folg. — hatte die Kreisende
keine Kräfte mehr. Ja die Widersacher wütheten dermaassen,
dass sie nicht allein das heilige Kind, die Reform, zu erwürgen
suchten, sondern auch seine Mutter, der Concilien Auktorität und
Zusammenberufung, vermöge deren doch allein noch Hoffnung
wäre eine Reform zu bekommen.
Nun denkt der fromme und selbständige Mann auf Grund
der bisherigen Erfahrungen darüber nach, auf welchem Wege eine
Reform etwa eintreten könnte? Er meint, wenn eine Reform mög-
lich sei, so werde sie entweder unmittelbar durch Gott oder aber
durch Menschen verwirklicht werden ; ein drittes sei nicht denk-
bar. Nun sei es bisher nicht Gottes Art gewesen, ohne mensch-
liche Vermittlung zu handeln. Soll aber die Kirchenreform durch
Menschen bewerkstelligt werden, so müsse man zunächst an die
Oberen denken, geistlich und weltlich, denn diese besitzen die
Macht und können mit dieser wirken. In diesem Falle würde die
Reform durchgeführt werden entweder durch Einen oder durch
Viele. Durch Einen wird es gewiss nicht geschehen, wie hoch er
auch an Sittlichkeit, Wissenschaft und Würde stehe. Schon mehr
als einmal sind Einzelne der Art aufgetreten, allein zur Reform
ist es doch nicht gekommen, die Spaltungen haben fortgedauert.
Auch nicht durch den Papst allein. Bedarf doch augenscheinlich
züge aus dem Traktat gibt Joh. Wolf, Lectiones memorabiles. Vol. I,
16U0. fol. S54— S5T.
496
Buch III. Kap. 6. II.
die päpstliche Kurie der Reform am allermeisten. Wenn nun der
Papst seinen eigenen Hof nicht reformiren kann und will . wie
lässt sich glauben, dass er die weit ausgebreitete Kirche reformi-
ren werde ? Die Kirche kann nicht gebessert werden, so lauge die
Wunden an ihrem Haupte nicht geheilt sind. Wie schwer dies
aber halte, das zeigt die Gegenwart : denn keine Nation in der
Christenheit stellt der Reform einen so hartnäckigen Widerstand
entgegen als die italienische, aus Ehrgeiz und Gewinnsucht
Diese Leute zittern schon bei dem blossen Xanien eines allgemei-
nen Concils. weil da Männer zusammenkommen, welche unpar-
teiisch und ohne Ansehen der Person die Verdorbenheit bekäm-
pfen. Nachdem durch die »Tragödie« des Basler Concils der Kirche
eine Wunde geschlagen worden, deren Heilung noch nicht abzu-
sehen ist. gehen manche gelehrte Leute darauf aus. das Ansehen
der allgemeinen Concilien zu untergraben, hingegen die Lehre
von der unbedingten Machtfülle des Papstes und seiner Erhaben-
heit über die Concilien zu befestigen. Solche Leute handeln in
der Meinung, dem Papste damit einen Dienst zu erweisen : allein
sie handeln seinem Besten zuwider, denn sie entziehen ihm die
brüderliche Zurechtweisung, deren er so gut wie jeder Andere
bedarf. Denn so unsinnig wird wohl niemand sein zu behaup-
ten, der Papst könne nicht sündigen : zeigt doch die Geschichte
und Erfahrung,, dass der Papst in Glauben und Sitte ebenso feh-
len kann wie andere Leute. Dem Papste die Zurechtweisung ent-
ziehen, ist gottlos: es heisst nichts anderes als ihm die volle
Sicherheit des Sündigens gewähren. Dann ist alle Hoffnung auf
Reform abgeschnitten : man vertraut sich einem der Sünde unter-
worfenen Menschen an. der sich und die Kirche auf alle Abwege
des Irrthums bringen kann 1 . Wird dieser verderblichen Lehre
nicht bald gesteuert, so entspringen daraus die grössten Uebel-
stände. namentlich wird niemand mehr, zumal von der deutschen
Nation, ein Concil besuehen wollen: denn wenn Alles in der Hand
eines sündigen Menschen liegt, so erscheint die Zusammenbe-
1, Ist es nicht, als hätte der Verfasser am IV Juli l^To geschrie-
ben, das Vatikanische Concil und manches Andere in unserer Gegenwart
erlebt/
Jakob von Jüterbogk über Kirchenreform.
497
rufung Vieler als ganz überflüssig* ; die Concilien werden in Zwie-
tracht verfallen und zum Spotte werden. — Wie wagt man aber
auch zu behaupten, der Papst dürfe nicht durch die in einem Con-
cil versammelte Kirche zurechtgewiesen und sogar abgesetzt wer-
den? da ja doch angenommen werden muss, er handle, wenn er
der Kirche Anstoss gibt, nicht als Papst, sondern als ein von der
päpstlichen Würde abgefallener Uebertreter. L ud wer anders
soll die Strafe vollziehen, als die Behörde, welche Christus be-
zeichnet: »sage es der Kirche tu Auch ist ja der Papst, darum
weil er amtlich das Haupt über die einzelnen Glieder ist, nicht
höher als die Kirche: denn der Papst ist selbst ein Glied der
Kirche, deren oberstes und wesentliches Haupt Christus ist.
Demnach ist der Verfasser der Meinung, die Kirche könne
durch einen der Sünde unterworfenen Menschen nicht reformirt
werden, eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern könne
vielmehr nur durch Viele, nämlich durch die auf einem Concil
versammelte Kirche selbst, bewirkt werden. Freilich sei die Kirche
dermalen gründlich verdorben, und weder unsere noch die kom-
mende Zeit werde eine rechtschaffene Besserung zulassen, so dass
die Welt voraussichtlich immer schlimmer werde, bis das Maass
der Vergebungen voll ist und der Antichrist kommt. Dennoch ist
mit allen Kräften darauf hinzuarbeiten, dass jenes Dekret : »Fre-
quemu, welches die Wiederholung allgemeiner Concilien anord-
net 1 . nicht in Vergessenheit gerathe. Und obwohl Viele wider-
sprechen, so gibt es doch durch Gottes Gnade noch allenthalben
ausgezeichnete Männer, welche jetzt und in Zukunft von der Auk-
torität der Concilien nicht abweichen und mit Freuden in dieser
Ueberzeugung ihr Leben beschliessen werden , und welche mit
Gründen kämpfen , denen keine durch Leidenschaft verdunkelte
Vernunft widerstehen kann.
Immerhin will der denkende Mann, welcher sich ausdrücklich
bescheidet, prophetischen Geist nicht zu besitzen, dies nur als eine
Meinung ausgesprochen haben. Dennoch bekennt er aufrichtig, er
1) Das berühmte Dekret, des Constanzer Concils, in der 39. allgemeinen
Sitzung am 9. Oktober 1417 verkündigt; von der Hardt, Hist. Conc.
Const. IV, 1435; vgl. Hefele, Conciliengeschichte VII, 1. 321.
Lechler, Wiciif. II. 32
498
Buch III. Kap. 6. II.
werde von dem Gesagten nicht abgehen, es sei denn, er werde von
der Kirche, deren Urtheile er sich gern unterwerfe, oder von einem
Einsichtsvolleren eines Besseren belehrt.
Wie schlägt da unter der rauhen Karthäuserkutte ein warmes
treues Herz, dem eine durchgreifende Reform des kirchlichen
Lebens als unumgängliches Bedürfniss vorschwebt, und das in der
Klosterzelle, aber wohl auch auf dem Katheder der Universität
Erfurt (wo ohnehin ein freierer Geist waltete , das Andenken der
grossen Concilien seiner Zeit mit unverbrüchlicher Pietät pflegt
und festhält. Eben daher kommt es, dass Jakob von Jüter-
bogk, wenn er über die Mittel und Wege nachdenkt, durch
welche die schlechthin nothwendige Reform an Haupt und Gliedern
werde verwirklicht werden, sich nicht anders denken kann, als
dass die Reform durch Concilien bewerkstelligt werden müsse.
Wenn freilich der nachdenkende Mann sich sagte, die Reform
werde nicht durch Einen kommen, so hatte er darin vollständig
Recht: der Eine werde in keinem Falle der Papst sein, dem fehle
der gute Wille dazu ; aber Unrecht insofern, als die Reform doch
zuletzt durch Einen gekommen ist, freilich zugleich durch Viele,
nur allerdings nicht durch ein Concil. Aber nicht diese Gedanken
über die Art und Weise der Verwirklichung waren die Haupt-
sache, sondern der leitende Grundgedanke, dass eine Reform der
Gesammtkirche schlechthin nothwendig sei 1 . Allerdings umfasstc
die Reform, wie Jakob von Jüterbogk sie dachte, lediglich nur das
kirchliche Leben und dessen Ordnungen, aber nicht die kirchliche
Lehre : an eine Entfernung von dieser hat er. wie es scheint, nicht
gedacht2;. Indessen hat die Wahrheit, die er am Schlüsse aus-
sprach, dass nicht der Papst, sondern Christus das wahre Haupt
der Kirche sei, doch eine Tragweite, welche auch dem römischen
Lehrsystem eine wesentliche Umgestaltung nicht ersparen konnte.
Als jener englische Prälat vor Papst Martin V. im Jahre 1 125
darauf hinwies : wenn nicht von Seitender Kirche bald Abhülfe
getroffen werde, so würde die von der Kirche versäumte Reform
1 Vgl. Ullmanx , Reformatoren vor der Reformation I. 2. Auflage.
200 folg.
2 Kami-m m'LTK. Die Universität Erfurt I, lö folg.
Reformdrang des Bürgerthums.
499
von den weltlichen Mächten in die Hand genommen werden, dachte
er an die Fürsten und Regierungen. Diese haben allerdings
in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts meistens den Päpsten
die Hand gereicht und durch Concordate mit Rom die Erfolge der
Reformconcilien vereitelt, so dass gerade durch den Bund zwischen
Kirchen- und Staatsgewalt die kirchliche Reaktion befördert
wurde. Und auch im XVI. Jahrhundert haben die Fürsten und
Regierungen viel mehr nur zulassend . schirmend und schützend
als anregend und die Initiative ergreifend, beim Werke der Re-
formation sich betheiligt.
Wohl aber nahmen sich die Bevölkerungen in einem je
mehr und mehr steigenden Maasse der kirchlichen Dinge an. und'
zwar in der Richtung auf Reform. Mit dem Erstarken des Natio-
nalgefiihls ging auch ein wachsender Widerstand gegen den Druck,
welchen Rom übte, und gegen die Uebergriffe desselben ziemlich
gleichen Schritt. Es war darin eine selbstbewusste Reaktion des
germanischen Geistes gegen den romanischen, deutscher Frei-
heitsliebe gegen Tributpflichtigkeit an die Römer. Wir erinnern
noch einmal an Gregor von Heim b u r g. Wie in ihm. als einem
grossartigen Repräsentanten, deutscher Patriotismus und Trotz
gegen die Uebergriffe Roms vereinigt war. so war nationale und
antiromanistische Gesinnung in vielen Männern auch zweiter und
dritter Grösse verbunden.
Während das Xationalgefühl gegen Rom Front machte, kehrte
sich das Bewusstsein des Bürgerthums nicht blos in Deutsch-
land, sondern in ganz Mitteleuropa, gegen den sittlichen Verfall
und die Anmaassungen der heimischen Geistlichkeit. Den Reigen
führten die wohlhabenden , einflussreichen und nach Bildung
trachtenden Bürger bedeutender Reichsstädte wie Nürnberg.
Strassburg und andere. Und es waren nicht blos patricische Ge-
schlechter, sondern auch Familien aus den Zünften, welche mit
dem Antheil an dem Regimente des städtischen Gemeinwesens
zugleich ihr Recht an die Bildung geltend zu machen anfingen und
an alle Dinge, auch an die kirchlichen, ihren Maasstab, den des
gesunden Menschenverstandes und des natürlichen Taktes, an-
legten. Auf diesem Boden ist die satirische Literatur erwachsen,
z. B. das »Narrenschiff« des Strassburger Svndicus Sebastian
32*
500
Buch III. Kap. 6. II.
Brant. Diesem Volksgesckinacke accommodirten sich sogar Pre-
diger wie Geiler von Kaisersberg, der unter andern über das
»Narrenschiff« Predigten hielt.
Ein ferneres Element der GähniDg wurde die humani-
stische Bildung, welche im Schoosse des wohlhabenden Bür-
gerstandes einwurzelte. Diese Beweguug der Geister ist von Ita-
lien ausgegangen, wo man für das klassische Alterthum, als für
die eigene Vorzeit, ein pietätsvolles aber durch mittelalterliche
Sagen phantastisch getrübtes Andenken bewahrt hatte. Als die
italienische Nationalliteratur in D a n t e , Petrarca und Boccac-
cio erwacht war, wurde eben damit auch das klassische Alter-
thum Korns und Italiens den Geistern näher gerückt. Aber nicht
vor dem Anfang des XV. Jahrhunderts fing das eigentliche Stu-
dium der lateinischen Literatur an, und dann erst das des Grie-
chischen. Allerdings hatten schon Petrarca und Boccaccio
die Aufmerksamkeit darauf hingelenkt. Aber erst als der Grieche
Manuel Chry solo ras, der als Diplomat nach Venedig ge-
kommen war, ein Lehramt des Griechischen in Florenz annahm
(f 1415 1, wurde das Griechischlernen erleichtert. Und seit 1420
nahm das klassische Studium einen grossartigen Aufschwung.
Das byzantinische Reich war von den Osmanen bedroht, immer
zahlreicher wanderten griechische Gelehrte aus, sie wandten sich
nach Italien. Weil sie aber natürlich eine Vorliebe für das Grie-
chenthum pflanzten, so erwachte bei den Italienern eine Art Eifer-
sucht, ein patriotischer Wetteifer für das römische Alterthum.
Klassische Bildung, insbesondere platonische Studien kamen in
die Mode und wurden Nationalangelegenheit der Italiener. Am
Anfang des XV. Jahrhunderts hatte in Italien die aristotelische
Philosophie die Oberhand. Gemistius Pletho. Mitglied der
Unionssynode zu Florenz 1438, führte die platonische Philosophie
in Italien ein, und schon 1440 wurde in Florenz eine platonische
Akademie gegründet. Und bald überstrahlten klassisch gebildete
Italiener die Nationalgriechen.
Wie stellte sich die humanistische Bildung des XV. Jahr-
hunderts zum Christenthum, und inwiefern trug sie zur Verbrei-
tung der Keformation bei 1
Der italienische Humanismus hat nur ganz ausnahms-
Stellung des Humanismus zum Christenthum.
50 1
weise, in Lo r e d z o V a 1 la , kirchliche Themen wie die »Schenkung
Constantin's« und den Ursprung des »apostolischen Glaubens« kri-
tisch berührt. Die meisten jener italienischen Humanisten be-
trachteten ihre klassischen Studien nebst der platonischen Philoso-
phie einerseits und den Kirchenglauben andererseits als zwei voll-
kommen getrennte Welten, welche keinen Berührungspunkt ge-
meinsam hätten. Man neigte sich in diesen Kreisen zu einem Kul-
tus klassischer Schönheit, d. h. zu einem antikisirenden Heiden-
thum . Pflegte doch der geistvolle Arzt M a r s i 1 i o F i c i n o ~ 1499
vor dem Bilde Plato's eine ewige Lampe zu brennen. Es fehlte
an dem Organ für den Kern des Christenthums, die Kraft Gottes,
selig zu machen. Und weil man nicht fühlte, worauf es ankam,
konnte man desto ruhiger das herrschende Kirchensystem, mit all
seiner Entartung, gewähren lassen. Andere huldigten aus Lieb-
haberei für das Klassische einer geistreichen Leichtfertigkeit.
Frivolität und Freigeisterei. Aber kein einziger von diesen wurde
von der Inquisition irgend behelligt. Sie Hessen ja die Hierarchie
und den römischen Kultus in Ruhe. Und am päpstlichen Hofe
selbst war unter Leo X. eine völlig irreligiöse Denkart herrschend.
So wirkte der italienische Humanismus vielmehr zur äusserlichen
Erhaltung des mittelalterlichen Kirchenwesens, als zur Reform 1 .
Italien hat für die humanistische Bildung, als ein Element zur
Wiedergeburt der Christenheit, nur einen Durchgangspunkt ge-
bildet.
Ganz anders gestaltete sich die Sache diesseits der Alpen,
in Deutschland, den Niederlanden und England. Der deutsche
Geist hat die neu entdeckte Welt klassischer Bildung für das
Reich Gottes, für die Kirche verwerthet. Während es in Italien
Dichter wie Boccaccio und Petrarca waren, die zu ihrer Zeit
das klassische Studium anregten, thaten dies in Deutschland jetzt
die Mitglieder eines frommen Vereins. Es waren lauter Schüler des
frommen Mystikers Thomas von Kempen, Zöglinge der »Brü-
l] Vgl. Jakob BmcKHARDT, Die Cultur der Renaissance in Italien.
1S60. 173 feig. Rvdelbach, Hieron. Savonarcla. 1S35. 39 folg. Kamf-
schulte . die Universität Erfurt in ihrem Verhältnisse zu dem Humanis-
mus u. s. w. I. 1S5S. 2S folg.
502
Buch III. Kap. 6. II.
der des gemeinsamen Lebens«, welche als die ersten über die Al-
pen gingen, um in Italien die klassischen Sprachen und die alte
Literatur zu studiren. Aber zurückgekehrt . wirkten sie dann
nicht in den Niederlanden, sondern in deutschen Städten, und
gründeten berühmte Schulen, worin ächte klassische Bildung im
Verein mit christlicher Frömmigkeit gepflanzt wurde. In Heidel-
berg arbeitete Rudolph Agricola, zu Schlettstadt im Elsass
Ludwig Dringenberg, in Basel und Freiburg Desiderius
Erasmus, lauter Niederländer. Am blühendsten wurde die
Schule zu Schlettstadt. und ansehnliche deutsche Städte stellten
mit der Zeit Schüler von Dringenberg als Lehrer an1 . Die
deutschen Humanisten waren nicht nur Feinde des scholasti-
schen Lateins, sondern auch der scholastischen Theologie. Aber
ihre Opposition . welche mit patriotischer Begeisterung geführt
wurde, war getragen von tief religiöser Gesinnung. Sie wandten
sich der Bibel in ihren Grundsprachen zu: während Erasmus-
das Studium des griechischen Neuen Testaments beförderte, hat
Reuchlin die hebräische Bibel erst zugänglich gemacht. Da-
durch, so wie durch die tiefere grammatische Bildung, wurde es
ermöglicht , dass mit dem reformatorischen Schriftprinzip Ernst
gemacht, dass aus der Urquelle selbst, anstatt aus der bereits ge-
trübten Yulgata. geschöpft wurde. Die Eröffnung der griechischen
und römischen Literatur machte auch die griechischen Kirchen-
väter und die ältesten Quellen des christlichen Alterthums zugäng-
lich. Nun erst gelang es, die dichten Schleier phantastischer Vor-
stellung und sagenhafter Verzerrung zu zerreissen. durch welche
das ganze Mittelalter entlang auch die klarsten und freiesten Gei-
ster, ein Wiclif und seines Gleichen, das christliche Alterthum
angeschaut hatten. Der Humanismus erst begründete eine unbe-
fangene Kritik und ächte Geschichte.
So wurde die humanistische Bildung ein Hebel der reformato-
rischen Arbeit, ein Ferment jener geistigen Gährung. aber nicht
die Quelle der Reformation. Es ist nicht Zufall, dass kein einzi-
ger von den Führern des Humanismus selbst Reformator gewor-
1 Leopold RAUKE, Die römischen Päpste u. s. w. L 5. Aufl. 7ö folg.
Ullmaxx, Reformatoren vor der Reformation II. 3. Auflage. 156 folg.
Böhmen und Mähren von 1450 an.
503
den ist. weder Reuehlin noeh Erasmus, weder Hutten noch
Conrad Mutian. Die eigentliche Quelle der Reformation ent-
sprang nicht im Felde der Wissensehaft und der Bildung, son-
dern im Hochlande des eigentlich religiösen Lebens und des Ge-
wissens.
III.
Wir haben die Geschichte der hussitischen Bewegung bis zur
Mitte des XV. Jahrhunderts verfolgt. Jetzt werfen wir noch einen
Blick auf Böhmen und Mähren in der zweiten Hälfte jenes Jahr-
hunderts.
Das Basler Concil hatte durch Gewährung des Laienkelchs
die grosse Mehrzahl der Hussiten befriedigt und zur Aussöhnung
mit der Kirche gebracht. Der Vertrag darüber, die Compactaten,
hatte Gesetzeskraft erlaugt. Damit war ein gewisser Ruhepunkt
erreicht. Aber nur verhältnissmässig. Denn dieser Ausgleich wur-
de von zwei entgegengesetzten Seiten beanstandet. Rom konnte
sich mit den darin gewährten Concessionen nie befreunden, und
das wieder erstarkte Papstthum arbeitete, zumal unter Pius IL,
der doch beim Abschluss des Ausgleichs persönlich thätig gewesen,
unverdrossen daran, die Compactaten rückgängig zu machen. Man
verlangte von den Böhmen unbedingte Unterwerfung unter den
Papst und Lossagung vom Kelche. Andererseits gab es auch auf
hussitischer Seite solche , denen die Gewährung des Laienkelchs
doch nicht als genügend erschien. Eine Zeit lang ging man in
Böhmen mit dem Plane um, sich von Rom zu trennen und eine
Union mit der griechischen Kirche einzugehen. Dieser Gedanke
wurde bald durch den Fall Constantinopels 1453 endgültig ver-
eitelt. Allein die Gesinnungen derer, welche es nicht vermochten,
ihre ganze hussitische Denkart auf den Laienkelch zu beschrän-
ken, erhielten bald nach der Mitte des Jahrhunderts einen Aus-
druck und einen socialen Halt, der sich als dauerhaft und zu-
kunftsreich bewährt hat, in den »Brüdern des Gesetzes Christk
oder der »Böhmischen Brüderunität«.
Im Jahre 1454 fing Magister Johann von Rokyzana, da-
mals Pfarrer an der Teynkirche in der Altstadt Prag, bei der
immer zunehmenden Reaktion gegen den Hussitismus , an , wie
504
Buch III. Kap. (5. III.
ehemals Koiirad von Waldhausen und Militsch von Kreinsier.
das sittliche Verderben seiner Zeitgenossen in Predigten aufzu-
decken. Er klagte über den Mangel an wahrer Frömmigkeit, zu-
mal bei den Priestern : die Sünde herrsche unter dem Namen des
Gesetzes, und eine Hoffnung auf Abhülfe gebe es nicht. Diese
Reden gingen seinen Zuhörern zu Herzen. Einige derselben bil-
deten einen engeren Kreis in der Gemeinde, der sich näher an
den Prediger anschloss. Unter diesen zeichnete sich Bruder Gre-
gor aus, ein Mann von seltenem Charakter, ein geborner Edel-
mann, doch blutarm, fromm, demüthig und streng, aber verstän-
dig und beredt, thatkräftig und unternehmend. Er suchte tiefere
Belehrung bei Rokyzana. und der gab ihm einige Bücher des
geistvollen und originellen Peter von Cheltschitz zu lesen.
Dadurch wurde Gregor erst recht begierig nach vollständiger
Unterweisung durch Peter selbst: er suchte ihn auf und wurde
sein persönlicher Schüler.
Peter von Cheltschitz Cheltschitzky war ein Laie, ein
kleiner Grundbesitzer in dem Dorfe Cheltschitz bei Wodnian im
Prachiner Kreise, vermuthlich vom niedern Adel, am Ende des
XIV. Jahrhunderts geboren, und hatte kurze Zeit in Prag studirt.
erwarb sich aber hauptsächlich durch Lektüre tschechischer Schrif-
ten und durch Umgang mit einigen Magistern wie Jakobeil und
Peter Payne. reichhaltige Kenntnisse, und wurde, bei unge-
wöhnlicher Begabung, durch eigenes Nachsinnen ein höchst origi-
neller christlicher Denker. Seine sänimtlich tschechischen Schrif-
ten, von welchen einige gedruckt sind und unter denen das »Netz
des Glaubens« als die vorzüglichste genannt wird, scheint er zwi-
schen 1433 und 1443 verfasst zu haben, zwischen dem Anfang des
Basler Concils und dem Fall der Taboritemnacht. Er ging weiter
als die Utraquisten. auch Rokyzana selbst mit eingeschlossen,
unterschied sicli aber doch auch von den Taboritcn. Den Satz
einiger Taboriten, dass im Abendmahl Brod und Wein blosse Zei
cheH des Leibes und Blutes Christi seien, verwarf er. lehrte viel-
mehr, Gott bewirke durch die Consekration des Priesters, dass
sowohl der Leib Christi als die Gestalt des Brodes zugleich da sei.
Wir finden also bei Peter wieder die acht Wie lif sehe An-
schauung. Uebrigens lag dem Peter von Cheltschitz nicht so-
Ansichten Peters von Cheltschitz.
wohl das Dogma und die Spekulation über die Glaubensgeheim-
nisse, sondern das achte christliehe Leben und Handeln am Her-
zen. Ihm ist. wie Andern vor ihm. der Wandel Christi der höchste
Reichthum, und Gott über alle Dinge lieben und den Nächsten wie
sich selbst, das Gesetz aller Gesetze ; aber die Liebe Gottes sollte
sich in eifriger Erfüllung aller seiner Gebote in Selbstverleug-
nung und Ergebung bethätigen. und aus Nächstenliebe sollten
wir auch Unrecht dulden, nicht Böses mit Bösem vergelten. Mit
äusserster Schärfe und Strenge straft er alles als antichristlich,
dem (apokalyptischen »Thiere« angehörig, was nur die Form der
Gottseligkeit hat und nicht deren Wesen und Kraft. Daher ver-
wirft er alle Verordnungen der Kirche über Religion und Gottes-
dienst . und behauptet . die menschlichen Gesetze wollen Gottes
Gesetz verdunkeln und verdrängen, während dieses allein zur
Regelung des Lebens hinreiche.
Das Christenthum ist nach ihm das Reich des Geistes und
der Freiheit, wo der Mensch von selbst nach dem Guten strebt,
und kein Zwang und kein Krieg ist. Das Heidenthum entspringt
aus der Leiblichkeit, ist voll Unruhe und Bosheit und muss wider
AVillen zur Ordnung gezwungen werden. Von der Sünde und dem
Heidenthum rührt alle weltliche Herrschaft und Zwangsgewalt
her: Herrschaft und Königthum ist nicht christlieh. Das reine
Christenthum bestand nur bis zu Constantin dem Grossen in der
ursprünglichen Kirche. Als dieser, ohne seinen Lebenswandel zu
ändern, mit all seiner Herrschaft von Silvester zum Glauben zu-
gelassen wurde, ist das Christenthum bald durch und durch heid-
nisch geworden. Der Papst machte den Kaiser, als Heiden.
Christi theilhaftig, und der Kaiser machte hinwiederum den Papst
der Welt theilhaftig. Seitdem unterstützen sich beide Mächte, die
kaiserliche und die päpstliche. Doctoren. Magister und Priester,
welche den weltlichen Herrscher wie einen Apostel und Stellver-
treter Christi darstellen und seine Würde gleichsam zu einem
Glaubensartikel stempeln, sind »Satrapen des Kaisers«. Im Zu-
sammenhang mit dieser Verwerfung der Idee des Staats verneint
Cheltschitzky das Recht zum Kriege und zur Todesstrafe
schlechthin. Alles Blutvergiessen. selbst der Vertheidigungskrieg.
506
Buch III. Kap. 6. III.
ist Mord, Todtschlag und Sünde. Ebenso ist jeder Eid dem Chri-
sten untersagt ') .
Johann Rokyzana stand im Briefwechsel mit Peter von
Cheltschitz, besuchte ihn auch persönlich und empfing ihn wie-
derum in Prag. Als aber Gregor und seine Freunde Peter und
dessen charaktervolle Ansichten kennen gelernt hatten, entfernten
sie sich allmählich von Rokyzana, welcher nicht gewillt war
so weit als sie zu gehen. Peter und seine Gesinnungsgenossen
bildeten einen geschlossenen Verein für sich , und neigten dazu,
sich von der katholischen Kirche , welche sie als gründlich und
hoffnungslos verdorben ansahen, zu separiren. Man nannte sie
anfangs die »Brüder von Cheltschitz«, weil sie in jenem Dorfe und
in dessen Nachbarschaft ihre Wohnsitze hatten. Als Georg von
P o d j e b r a d 1457 König von Böhmen wurde, wirkte Rokyzana
bei ihm aus, dass sie sich auf Podj ebr ad' s Herrschaft Senften-
berg, in Kunwald, an der Grenze der Grafschaft Glatz, ansiedeln
durften. Dorthin begab sich Bruder Gregor mit seinen Prager
Freunden: aus verschiedenen Gauen von Böhmen und Mähren
zogen Edelleute und Geistliche, Handwerker und Bauern dorthin.
Sie nannten sich unter einander »Brüder«, ohne irgend einen
Standesunterschied zu achten. Der Pfarrer von Senftenberg,
Michael, trat ihnen bei, diente ihnen als Pfarrer und Seelsor-
ger, und wurde nebst Gregor eines der Häupter der neuen Ge-
nossenschaft.
Man sah sie aber von Seiten der Regierung bald nur für eine
taboritische Sekte an, und es fehlte nicht an einzelnen feindseligen
Maassregeln, zu denen selbst Rokyzana gedrängt wurde.
Das trieb die »Brüder« weiter. Im Jahre 1467 versammelte
sich, von Gregor berufen, eine Synode der Brüder aus Böhmen
und Mähren in dem Dorfe Lhotka unweit Reichenau. Diese er-
wählte neun Männer, die des Priesteramts würdig erschienen, und
Hess (wie Apostelgeschichte 1] schliesslich das Loos entscheiden,
welche drei unter diesen von Gott zu Priestern bestimmt würden.
1) Nach der urkundlichen und sorgfältigen Darstellung von PALACKT,
Geschichte von Böhmen IV, 1. 405 folg. Vgi Anton GlXDKLV, Geschichte
der böhmischen Brüder I. Trag L86&. S. 12 folg.
Die »Brüder« bilden eine separirte Kirchengemeinschaft.
507
Den drei durch s Loos Bezeichneten ertheilten die vornehmsten
unter den Wählern die Handauflegung. Dadurch brachen die
Brüder mit den Priestern römischer Weihe und zugleich mit der
ganzen römisch-katholischen Kirche. Ein unbeschreiblich kühner
Schritt, zu dem sie durch die Ueberzeugung gedrängt wurden,
»dass es mit den katholischen Christen nichts sei; weil Glaube
und Liebe bei ihnen zu Grunde gehen, haben sie sich von ihnen
ab- und dem Evangelium zugewendet *) .«
Es ist begreiflich , dass man von diesem entscheidenden Akte
an die »Brüder« als »vorwitzige Irrgläubige« anfeindete, und nun
seinerseits den König Georg von Podjebrad gegen sie aufreizte,
den Klerus und das utraquistische Volk gegen sie bearbeitete.
Die Folge war ein Landtagsbeschluss zu Beneschau, 1468, dass
mit Strafen und Gewalt gegen die »Brüder« eingeschritten werden
solle. In Gemässheit dieses Beschlusses wurden die Brüder aus
Städten verwiesen, verhaftet , einige zu Tode gefoltert , einer zu
J Nach den eingehenden und interessanten Mittheilungen , welche
theils Palacky, Geschichte von Böhmen IV, 2. 1S60 494 folg., theils
Gindely, Geschichte der böhmischen Brüder, I, 32 folg. aus den, reich-
haltigen Quellen geben , welche in dem Archiv der Brüdergemeinde zu
Herrnhut eine Anzahl handschriftliche aber meist tschechische Bände füllen :
vorzüglich ausgiebig und zuverlässig ist darin Blahoslaw's geboren 152:>
Geschichte der Brüderunität. Uebrigens scheint mir die Erzählung GlN-
DELY's, nach Maassgabe eines Theiles der Quellen, von der durch die
Brüder nachträglich gesuchten und erlangten Bischofsweihe des Pfarrers
Michael von Seiten eines Waldenserbischofs Stephan (S. 36, vgl. Anm. 33.
'S. 493 folg., kritisch sehr zweifelhaft zu sein. Es liegt sachlich ein Wider-
spruch darin, das seinerseits die »Brüder« den drei durch' s Loos Auserkorenen
die HandauÜegung ertheilt haben, welche doch als richtige Weihe aufge-
fasst worden ist. und dass sie andererseits sich erst um eine anderweitige
Weihe bemüht haben sollen ; ferner widerspricht der notorische Grundsatz
der »Brüder«, welcher durch Hus von Wiclif her stammt , dass priester-
liche und bischöfliche Würde nicht wesentlich verschieden seien, der angeb-
lichen Erwerbung einer Bischofsweihe, um Priesterweihe ertheilen zu können.
Ueberdies hat es den Anschein, als sprächen nur spätere Quellen von der Weihe
durch einen AValdenserbischof. Zur Entscheidung dieser Sache ist aber voll-
ständige Beheirschung der tschechischen Sprache und kritische Autopsie der
handschriftlichen Quellen erforderlich. Der bewährte Forscher Palacky
scheint einerseits, Geschichte von Böhmen IV, 1. 1S57 492 folg., jene An-
gabe nicht für historisch zu halten, während er in neuerer Zeit, a. a. O. V,
1. (1865) die Nachricht für beglaubigt gehen lässt.
50S
Buch III. Kap. 6. III.
Kremsier in Mähren verbrannt. Die Gemeinde zu Kunwald wurde
gesprengt. Nun mussten sie auf Bergen und in Wäldern sieb ver-
sammeln : sie verbargen sich in Schluchten und Höhlen vor ihren
Spähern. Daher nannte man sie tschechisch jamnici, »Gruben-
heimer«. Aller Verfolgung ungeachtet erhielt sich die Gemein-
schaft vorzugsweise im Osten, ferner im Südwesten und im Nor-
den Böhmens, so wie in einigen Gegenden von Mähren. Sie
mögen nach ungefähren Schätzungen um die Wende des Jahr-
hunderts 300 Gemeinden gezählt haben: im Anfange des XVI.
Jahrhunderts wurde ihre Gesammtzahl auf 100,000 angegeben.
Zu verschiedenen Malen verstanden sich die Prager Utraquisten,
welche weit mehr als die Römisch-katholischen die Polemik gegen
die »Brüder« betrieben . doch auch zu friedlichen Colloquien mit
ihnen. Das erste dieser Art wurde im Jahre 1473 gehalten, ein
zweites vom 12. September 1478 an: aber beide blieben erfolg-
los1). Im Anfang des XVI. Jahrhunderts ging König Wladis-
law II. mit neuen Maassregeln gegen die »Pikarden«. d. h. die
Mitglieder der Briulerunität um. Der Inquisitor Dr. Heinrich
Krämer begann aber seine Thätigkeit damit, dass er den Häup-
tern der Unität ein Religionsgespräeh anbot. Dasselbe fand in
einem Kloster zu Olmütz statt. Ernstlicher wurde die Sache, als
der König 1503 Ausrottung der »Brüder« befahl, welche ja ärger
seien als die Türken, denn sie glauben, vom Teufel verstrickt,
weder an Gott noch an das heil. Abendmahl. Und bereits wurde
durch Predigten und andere Mittel das Volk fanatisirt. Um den
drohenden Sturm zu beschwören, reichten die Aeltesten der Brü-
derunität eine Bittschrift an den König ein, mit einem böhmisch
und lateinisch abgefassten Glaubensbekenntniss 2 . Die böhmi-
schen Stünde setzten durch, dass den Brüdern ein friedliches Ge-
hör gewährt werden solle; zu diesem Behufe sollte am Neujahrs-
tage 1504 ein Religionsgespräch in Prag statt finden. Allein die
1 Palacky, Geschichte von Böhmen, V, 1. 19% folg. Gindely, a. a. O.
I, öl. öS folg.
2 Dies ist derjenige Traktat, welcher unter dem falschen Titel: JVo-
fttoio Jidei fra/rwn Waldoisium in Orthuini GltATII Fascicuhis rmm cx-
pettndarutn ac fttgietuktrwn. Cöln lö.'Jö. si folg. abgedruckt worden ist.
Eigentümlichkeit der Brüderunität.
509
Aufregung der Bevölkerung war so stark, dasa man für räthlich
hielt, die zehn Vertreter der Brüder, welche erschienen waren,
und unter denen Lukas von Frag der namhafteste war. schleu-
nigst aus der Stadt zu geleiten. Der Sturm hatte nur gedroht,
wirklich ausgebrochen ist er nicht. Auch das heftige Mandat Wla-
dislaw's II. vom Jahre 1 507 hatte, da die Stände von Mähren keine
Lust bezeigten es zum Gesetze zu erheben, dort gar keine Wir-
kung ; in Böhmen erlitten die Brüder manche Bedrängniss. sie konn-
ten 1509—151 1 nur heimlich sich zum Gottesdienste versammeln ;
doch ging es, mit einer einzigen Ausnahme, nicht ans Leben 1 .
Worin besteht die Eigenthümlichkeit der Brüderunität ? Sie
war aus dem Hussitismus hervorgegangen, wie die utraquistische
Kirchengemeinschaft. Aber während diese mit Glauben, Ritus
und Verfassung in dem römisch-katholischen Boden festgewurzelt
war, hatten sich die »Brüder« von demselben abgelöst. Die Prager
Utraquisten , Rokyzana und seines Gleichen, erkannten als-
Richtschnur die heil. Schrift, aber mit ihr zugleich die Ueberliefe-
rung der Kirche und die xluslegung der Väter; die »Brüder« er-
kannten lediglich nur der heil. Schrift maassgebendes Ansehen zu.
Deshalb nannten sie sich »Brüder des Gesetzes Christi«.
Woran sie sich aber mit Vorliebe hielten, das war die Bergpredigt.
Das Ziel ihrer Brüderschaft war ein praktisches , sittliches : ein
demüthiger, stiller, reiner und geduldiger Tugendwandel, und
ein Umgang mit einander im Geiste der Liebe und wechselseitigen
Dienens, sodass die »Brüder«, einer des anderen Last tragend,
Christi Gesetz zu erfüllen suchen sollen. Vermöge dieser Betonung
frommen Lebens . waren die Brüder überzeugt , dass die Sakra-
mente, von lasterhaften Priestern gespendet, keine Heilskraft
haben. Dass Krieg und Schwertgewalt durch das Gesetz Christi
schlechthin verboten, jedem treuen Christen auch jede Uebernahme
von Staatsämtern unerlaubt, dass selbst der Eidschwur eine Sünde
sei, nahmen sie von Peter von Cheltschitz an. Kein Bruder
durfte Beamter, Richter oder Geschworner sein, vor Gericht klagen,
1) Gindely, Geschichte der böhmischen Brüder I, 90 folg., 106 folg.,
131 folg. Palacky, Geschichte von Böhmen, V, 2. (1S67; 69 folg. 137 folg.
220 folg.
510
Buch III. Kap. 6. III.
Kriegsdienste thun u. s. w. Die unterscheidenden Grundzüge der
> Bruder« waren :
1. Betonung des christlichen Wandels, gegenüber der christ-
lichen Lehre: 2. Harmonie und ungetheilte Einheit von Verstand
und Frömmigkeit: 3. der Grundsatz stetiger Verbesserung (Re-
form) !) .
Es entwickelten sich in der Genossenschaft frühe schon Diffe-
renzen der Grundanschauung. Im Jahre 14S5 rechtfertigte ein
gewisser Gregor von Wotitz, seines Zeichens ein Weber, in
einer Schrift : »Von der weltlichen Macht«, die strengsten ursprüng-
lichen Grundsätze Peter 's von Cheltschitz und Gregors. Auf
der andern Seite bildete sich in der Unität eine gemässigte Partei,
an deren Spitze Johann Klenowsky stand; während dort das
strenge Trachten nach eigener Gerechtigkeit vorwaltete . stellten
diese Christi Gerechtigkeit und sein Verdienst in den Vordergrund.
Dort war man zu einer neuen Gesetzlichkeit geneigt, hier zu evan-
gelischem Vertrauen auf die Gnade. Dort herrschte Strenge, hier
Milde. Einen Mittelweg schlug Bruder Prokop von Neuhaus ein :
der Mensch müsse mit der göttlichen Gnade wirken.
Eine Brüdersynode zu Brandeis an der Adler , wo P r o k o p
selbst Vorsteher der Unitätsgemeinde war, entschied 1491 für ein
Compromiss : Sollte jemand durch Befehl der weltlichen Macht
zum Richteramt, Kriegsdienst u. dergl. berufen werden, so solle er
im äussersten Falle der Gewalt sich fügen , er könne auch darin
mit Gottes Hülfe treu zu ihm halten u. s. w. Dieser Brandeiser
Spruch wurde Gesetz in der Unität, wiewohl einige Fanatiker wie
Arnos in Wodnian nachträglich opponirten, und meinten, nun sei
die weltliche Macht und damit der Teufel selbst in die Unität ein-
gedrungen. Dessen angeachtet wurde auf einer Versammlung zu
Reichenau 1495 nicht nur der Brandeiser Spruch bestätigt, sondern
man erklärte sogar die Schriften des Gründers der Unität G-regot
für ■apokrypliisch«, d. h. man sprach ihnen alle bindende Auktori-
tiit neben der heil. Schrift ab. Dieser Beschluss bezeichnet einen
wirklichen Fortschritt, eine Lösung von beschränkt sektirerischen
Grundsätzen, eine Annäherung zu ächt biblischer Denkart und
1) Pai.ackv, Geschichte von Höhnien. IV, 1. 490; IV. 2. 495 folg.
Innere und äussere Geschichte der Brüderunität.
51 l
weitherziger ökumenischer Gesinnung. Denn man fing- an, bei den
zur Unität l ebertretenden die Taufe nicht mehr zu widerholen,
leugnete nicht mehr die Heilskraft der Sakramente, falls sie durch
römische oder utraquistische Priester gespendet wurden, und be-
hauptete nicht mehr , dass ausserhalb der Unität niemand selig
werden könne.
Begreiflich wurden nun die Fanatiker, welche man »Amositer«
oder »die kleinere Partei« nannte, erst recht böse, sie schrien über
Verrath und Abfall vom alten Glauben, und stifteten Aufregung
an. Ein Versuch zur Güte, am 23. Mai 1496 in Chlumetz, mislang
und steigerte nur den Fanatismus der Altgläubigen. Diese traten
aus, aber ihre Isolirung schadete nur ihnen selbst, und nach etwa
45 Jahren sind sie spurlos erloschen *) .
Die grössere Partei oder die Unität in ihrer mit der Zeit fort-
schreitenden Gestalt, erstarkte, nachdem sie von dem Ballast der
Rückschrittspartei sich befreit sah, nach aussen und innen. Ihre
Zahl wuchs jetzt erst recht. Sie bildete ihre Gemeindeordnung
und Verfassung aus. Auf diese näher einzugehen ist nicht dieses
Orts. Wohl aber ist der Erwähnung werth, wie die «Brüder« von
jeher nicht allein für jede Förderung in Erkenntniss der Wahrheit
einen offenen Sinn hatten, sondern auch mit wahrer Sehnsucht nach
allen Seiten sich umschauten und die Hände ausstreckten, ob sie
wohl einer verwandten Gesinnung begegnen, ein wirkliches Einver-
ständnis* entdecken und Stärkung von Geistesverwandten erlangen
könnten. Schon ihre erste Gemeinschaftsordnung vom Jahre 1467
beschlossen sie nicht ohne zuvor geforscht und allenthalben gesucht
zu haben , ob irgendwo eine ächte christliche Kirchenordnung zu
finden wäre. Ferner im Jahre 1490 wurde eine christliche Recognos-
cirungsreise beschlossen, um Gemeinden aufsusuchen, welche die
apostolische Reinheit bewahrt hätten, theils im Morgenlande, theils
im Abendlande, besonders in Italien, wo man auf die Waldenser
ein Auge hatte. Bruder Lukas von Prag und Kaspar aus der
Mark bereisten vom März 1491 an die Türkei und Griechenland,
der Ritter Marcs Kokowetz ging zu den Russen, Martin Kabat-
1 Gindely, Geschichte der böhmischen Brüder, I, 62 — 76. Palacky.
Geschichte von Böhmen, V, 1. 424 — 432.
512
Buch III. Kap. 6. III.
n i k aus Leitomischl durchstreifte von Konstantinopel aus Klein-
Asien, Syrien und das gelobte Land, so wie Aegypten. Was sie
suchten, fanden sie natürlich nicht 1 . Später verfuhren die » Brüder«
verständiger und setzten sich erreichbare Ziele. Als im Anfang
des XVI. Jahrhunderts der Humanismus den Sammelpunkt für alle
nach ächter Geistesbildung trachtenden und freieren Geister bil-
dete , als Erasmus von Rotterdam wie ein Stern erster Grösse
strahlte, kam den »Brüdern« zu Ohren, dass derselbe im Brief-
wechsel mit einem andern Humanisten, der von ihrer Sekte weg-
werfend gesprochen, sie vertheidigt habe : da schickten sie 1511
zwei Abgeordnete an ihn mit ihrem gedruckten Bekenntniss und
der Bitte, dasselbe zu prüfen, und was er zu tadeln finde, ihnen zu
eröffnen : wo nicht, so möge er sein günstiges Urtheil darüber der
Oeffentlichkeit übergeben. Dieselben Abgeordneten besuchten von
Rotterdam aus viele Städte Niederdeutschlands , namentlich auch
Rostock, wo sie mit dem Pfarrer Nikolaus Russ eine Verbindung
anknüpften, welche nicht ohne Frucht blieb. Nach Antwerpen
zurückgekehrt, wünschten sie des Erasmus Urtheil zu hören.
Allein der sprach sich sehr reservirt und vorsichtig aus, er wollte
seinen Ruf als rechtgläubiger Christ und sein Ansehen nicht um
ihretwillen auf's Spiel setzen. Die Männer verliessen ihn sehr ab-
gekühlt und unbefriedigt - .
Als endlich Luther auftrat, den Ablass bekämpfte und bald
dem Papste selbst entgegentrat, folgte Lukas von Prag, das Haupt
der Unität, allen seinen Schritten mit lebhafter Aufmerksamkeit:
allein die Unität war keineswegs geneigt, auf ihre Eigenart und
Selbständigkeit zu verzichten , um in der deutschen Reformation
aufzugehen. Lukas schickte 1 522 zwei soeben verfasste Schriften,
die »Fragen für Kinder«, eine Art Katechismus in deutscher Spra-
che, und sein Werk : »Von der siegreichen Wahrheit« in lateinischer
Uebersetzung, Luthern zu; Ueberbringer war der spätere Senior
Johann Roh, auch Horn genannt. Luther antwortete in einer
Schrift, betitelt: »Schrift Martin Luthers u. s. w.« — in welcher er
1 Palacky, Geschichte von Böhmen, IV, 2. 497. Gindkly. Geschichte
der böhmischen Brüder, I, <>7 folg.
2 Gindkly, a. a. 0. 14^ folg. nach Blahoslaw.
Die Brüderunität und Luther.
513
zeigt, was ihm bei den Brüdern wahr und was zweifelhaft zu sein
scheint, mit eben so viel schonender Liebe als Aufrichtigkeit. Was
er tadelt . bezieht sich in der Lehre nur auf die Sakramente, dass
sie die sieben Sakramente beibehielten, die Wiedertaufe, und ihre
Abendmahlslehre, ausserdem, dass sie an dem Priestercölibat fest-
hielten l) . Lukas vertheidigte in einer tschechischen Gegenschrift
die Abendmahlslehre der Brüder und den Cölibat . ging aber an-
greifend gegen Luther 's Lehre vom Heilswege vor: »Nie und
nimmer kann man die Rechtfertigung dem Glauben allein zu-
schreiben, denn ihr habt die Schrift gegen euch ! Ihr hütet euch
ein gutes Werk zu thun; damit handelt ihr aber gegen Christum,
und haltet an einem Irrthum fest.« Es bedarf des Nachweises
uieht. dass dieser Vorwurf lediglich auf Misverständniss beruht.
Luther antwortete nicht; wir haben nicht einmal einen Beweis,
dass diese Streitschrift vor seine Augen gekommen. Noch im
Jahre 1524 schickte aber Lukas den oben genannten Johann Roh
mit Michael Weiss nach Wittenberg, um sich von dem dort
herrschenden religiös sittlichen Leben genaue Kenntniss zu ver-
schaffen. Beide Gemeinschaften, die böhmische Brüderunität und
die Evangelischen Deutschlands reichten sich mit freundlicher
Anerkennung der Geistesgemeinschaft die Hand, ohne sich mit
einander zu verschmelzen. Die Unität erhielt sich, hauptsächlich
durch das charaktervolle Auftreten des Lukas, aber auch nach
seinem Tode, in ihrer Besonderheit, streifte jedoch im Laufe der
Jahre immer mehr Dinge ab, welche mit den Grundsätzen der
deutschen Reformation unvereinbar waren. Zum Beispiel die
Wiedertaufe der zur Unität übertretenden wurde in der Brüder-
Confession von 1533 zum letzten Mal vertheidigt, später aber, um
nicht mit den deutschen Wiedertäufern verwechselt zu werden,
auf einer Synode zu Jungbunzlau abgeschafft. Luther erkannte
an, dass die Redeweise der Brüder, die man Pikarden nenne, von
der seinigen verschieden "sei. dessenungeachtet seien sie der bibli-
schen Lehre sehr nahe, und er könne sie nur als seine Brüder
1) Palacky, Geschichte von Böhmen, V, 2. 512 folg. Gindel y, Ge-
schichte der böhmischen Brüder, I, IST folg.
Lechler, Wiolif. II. 33
514
Buch III. Kap. 6. III.
ansehen l) . Sie lösten sich als Genossenschaft keineswegs auf,
sondern erhielten sich als eine evangelische Kirchengemeinschaft
in ihrer Besonderheit, indem sie der evangelischen Wahrheit, wie
sie in der deutschen Reformation auf den Leuchter gestellt war.
immer mehr Einfluss auf ihre Ueberzeugungen gestatteten. So ist
die Brüderunität , nächst den Waldensern, die einzige unter den
Oppositionsgemeinschaften von biblischem Charakter, welche aus
dem Mittelalter in die neuere Zeit herein ihre Existenz und Be-
sonderheit gerettet hat, allerdings nur indem beide sich gegen
wesentliche Errungenschaften der Reformation nicht verschlossen,
sondern dieselben sich allmählich aneigneten.
Noch früher, als die böhmischen Brüder , hatten einige der
Utraquisten einen Verkehr mit Luther angeknüpft. Die-
jenigen Böhmen, welche die allerersten Anhänger Luther's
waren, scheinen gewesen zu sein Johann Mirus, ein bereits be-
jahrter Mann, früherhin Mönch, dann Pfarrer zum heiligen Kreuz
in Prag, und der Pfarrer von Deutschbrod Johann; auch ein
Laie, Matthias der Einsiedler, welcher 1519 als Busspre-
diger auftrat, lobte je und je öffentlich den Doctor Martin Luthe r.
Um dem Einflüsse des Einsiedlers zu steuern, folgte der damalige
Pfarrer am Teyn in Prag, Johann Poduschka, dem Vorgang
desselben, und schloss sich der Lehre Luther' s an, so dass unter
den Deutschen in Prag eine religiöse Gährung eintrat. Dieser
Pfarrer Poduschka war es, der in Gemeinschaft mit einem
Mitgliede des utraquistischen Consistoriums, Wenzel Rosda-
lowsky, am 16. Juli 1519 an Luther schrieb, seine Lehre
rühmte, ihn zur Standhaftigkeit ermunterte und ihm Schriften
von Hu s, ohne Zweifel das Werk De ecclesia1 zuschickte. Wir
wissen aus Luther's Briefwechsel, wie er sich vor Erstaunen last
nicht fassen konnte, als er beim Studium von Hus entdeckte,
dass er selbst, Staupitz und andere, ohne es zu ahnen, Hussiten
gewesen seien, s. oben I, S. 2. Auf der andern Seite erstaunten die
BOhmen und sahen ein wahres Wunder Gottes darin . dass die
Deutschen, welche doch ehemals die Hauptfeinde der böhmischen
1) Luther s Vorrede zu der Wittenbeiger Ausgabe der Brüdercon-
l'ession 1533, vgl. GlNDELY, Geschichte der böhmischen Brüder, I, 222 folg.
Die Utraquisten und Luther.
515
Nation gewesen, und vor ihnen als »Ketzern « bisher einen wahren
Abscheu gehabt hatten . sich nun auf einmal so freundlich und
herzlich gegen sie erzeigten. Luther richtete 1522 folg. mehrere
Zuschritten an die Böhmen, am 15. Juli 1522 an die auf dem Land-
tage versammelten Stände, und 1523 »an den Rath und die Ge-
meinden von Prag«. Im ersteren Schreiben warnte er vor der
Rückkehr zum Gehorsam gegen den Papst : sie möchten doch
nicht diese Schmach auf den Namen ihres Märtyrers, Magister
Johann Hus. wälzen. Allein die böhmischen Utraquisten haben
sich keineswegs alle mit der deutschen Reformation befreunden
können. Nur ein Theil der Kelchner wurde lutherisch ; bei wei-
tem die Mehrzahl derselben fühlte sich gegenüber den luthe-
rischen Kultusreformen viel mehr zu dem katholischen Kultus
und zu der römischen Kirche als zu der evangelischen hingezogen.
Es kam zu einer Spaltung innerhalb der utraquistischen Partei,
deren Mehrheit allmählich in die römische Kirche zurücktrat vom
Jahre 1524 an1 . ganz entsprechend dem Abfall von dem ächt
hussitischen Geiste, der längst, und namentlich seit den »Com-
pac taten« von 1433. eingetreten war. Denn die vom Basler Concil
zugestandene Communion unter beiderlei Gestalt und die Ver-
ehrung für Hüs waren kaum mehr ein reformatorisches Prinzip
zu nennen2 . Hingegen die Minderzahl der Kelchner. welche
noch etwas von dem ursprünglichen Geiste Husens und Wic-
lifjs in sich bewahrt hatte, ging in der lutherischen Kirche auf.
und betrachtete Luther als den Mann, welcher dasjenige ver-
wirklicht habe, was Wiclif und Hus nur angestrebt und ver-
sucht hatten 8 .
IV.
In der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts haben theils in
den Niederlanden theils in Deutschland einige Männer gewirkt.
1) Palacky, Geschichte von Böhmen, V, 2. 404 folg. 509 folg.
2, Der römisch-katholische Historiker Anton Gixdely sagt einmal
von den Utraquisten : »Alles war bei ihnen gleich« wie in der katholischen
Kirche-, »bis auf einen Umstand: sie hatten einen Heiligen zu viel« näm-
lich Hus . Gesch. der böhm. Brüder, 1. 159.
3 Vgl. die bildliche Darstellung der drei Männer in dem hussitischen
Cantionale der Stadt Prag, s. oben Buch III. Kap. 3. VIII. S. 2S5. Anm. 2.
516
Buch III. Kap. 6. IV.
auf welche wir ihrer reformatorischen Richtung wegen noch einen
Blick werfen, nämlich Johann von Goch, Johann von Wesel
und Johann Wessel, der letztere ein Niederländer, die beiden
ersten Deutsche l] .
Johann Pupp er von Goch, einem Städtchen im Clevischen,
brachte die letzten 24 Jahre seines Lebens in Mechern zu, als
Beichtvater eines Nonnenklosters Tabor. das er selbst gestiftet
hatte, und starb daselbst am 2S. März 1475. Er hat niemals
Aufsehen in der grossen Welt gemacht, wohl aber in seinem
frommen iStillleben als christlicher Denker in engerem Kreise ge-
wirkt, und seine Gedanken in zwei Hauptschriften niedergelegt,
die uns seinen Geist vergegenwärtigen. Es sind dies die Schriften
De libertate christiana und der Dialog De quätüor erroribus circa
legem evangelicäm exortis. Erstere Schrift, von Grapheus 1521
in Antwerpen herausgegeben, von der äussersten Seltenheit,
entwickelt die positiven Ueberzeugungen GoelTs: letztere, in
Walch's Monimenta medii aevi , Göttingen 1760. I. Fascic. 4.
abgedruckt, fasst seine Polemik gegen falsche Zeitrichtungen
in sich.
Johann von Goch, selbst ein stiller Mensch von innerlicher
Frömmigkeit und praktischem Christenthum, nicht Scholastiker,
sondern ein Mann der praktischen Mystik, fasste nicht die hohen
Geheimnisse und spekulativen Glaubenslehren, sondern das Leben
und den sittlichen Gesammtgeist der Kirche seiner Zeit prüfend
in's Auge. Und als Maasstab der Prüfung legte er die heil.
Schrift an. Denn er geht von dem Schriftprinzip aus. Er
will sich, wie er selbst sagt, an die Schriftwahrheit halten und
sich nach ihr richten, so weit der Herr ihm das Vcrständniss der-
selben schenkt - . Er stellt aber die Schrift nicht der kirchlichen
Satzung entgegen, sondern der »Philosophie«, das will sagen, der
1) C. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation . hat im I. Band
17 — 14S. |2. Aufl. Gotha 1S6H eine treffliche Monographie Goch s gegeben.
Mit Rücksicht auf diese schöpfen wir aus der Schrift De quutuor erroribus,
da die andere Hauptschrift Goch s uns nicht zur Hand ist.
2 De quutuor erroribus, bei AValch a. a. O. 131 : cunonicue scrip-
turae veritati, quuntum dominus intelliycre donaverit . kl 4 velle cou-
f ormare.
Johann von Goch und sein Schriftprinzip.
517
spekulirenden Scholastik. Johann von Goch erkennt der Schrift
allein eine unwidersprechliche Auktorität zu; alle anderen
Schriften haben nur in so weit Auktorität, als sie mit der heil.
Schrift übereinstimmen. Dieses Schriftprinzip ist auf den ersten
Anblick ein acht informatorisches. Allein das ermässigt sich ganz
bedeutend, wenn wir seine Auslegungsgrundsätze gleich dazu
nehmen. Er unterscheidet, wie das Mittelalter durchweg, einen
vierfachen Schriftsinn, den buchstäblichen, allegorischen, tropolo-
gischen und anagogischen. Die drei letzteren begreift er zusam-
men unter dem »geistlichen« Schriftsinn, dem er den buchstäb-
lichen entgegenstellt. Der letztere sei von Gott zunächst be-
zweckt, und nur der buchstäbliche Sinn könne beim Schriftbeweise
einen triftigen Grund liefern. Das lautet alles ganz verständig und
treffend. Allein die Frage ist: wie lässt sich der richtige Wort-
sinn ermitteln . wo eine Stelle nach ihrem buchstäblichen Sinn
verschiedentlich ausgelegt werden kann ? Und diese Frage beant-
wortet Johann von Goch so. dass er derjenigen Auslegung den
Vorzug gibt, welche von rechtgläubigen Lehrern befürwortet wird
und den Entscheidungen der Kirche am meisten entspricht. Er
spricht unverhohlen aus, eine Auslegung möge noch so sehr dem
Buchstaben entsprechen, für die wahre sei sie doch nicht zu hal-
ten, wenn sie offenbar der Entscheidung der Kirche widerstreitet 1 .
Wir sehen, hier kommt durch die Hinterthür der Auslegung die
Auktorität der Kirche und ihrer Satzung wieder herein, und ge-
winnt am Ende die Oberhand Uber die ursprünglich als allein
niaassgebend gepriesene Auktorität der Schrift. Und wir können
nicht unbemerkt lassen, dass in dieser Beziehung Goch einen
Rückschritt thut. verglichen mit demjenigen Schriftprinzip und
Auslegungsgrundsatz, welche von Wiclif in seiner späteren Zeit
aufgestellt worden sind2). — Dagegen liegt etwas Bedeutsames
in dem anderen Grundsatze, welchen Johann von Goch aufstellt :
er unterscheidet zwischen demjenigen, was unmittelbar in der
Schrift ausgesprochen ist. und demjenigen, was nur mittelbar
1) Ullmaxx. Reformatoren vor der Reformation, 52 folg., nach De
nbert. chris*. Kap. 4 und 9.
2 Vgl. oben Buch II. Kap. 7. III. S. 447 ff. 4s:i ff.
51S
Buch III. Kap. Ii. IV.
und abgeleiteter Weise in ihr angedeutet ist. In jenen Stücken,
sagt er. verpflichtet die Schrift alle Gläubigen ohne Unterschied
zur Zustimmung, so dass sie einer entgegengesetzten Meinung,
selbst des grössten Lehrers, ohne eine Todsünde zu begehen,
nicht beipflichten können. In d i e s e n Stücken sind nicht alle ohne
Unterschied verpflichtet ihr beizustimmen. Doch schwebt ihm
auch hier, neben der Schrift, die Pflicht vor, so zu glauben, wie
die Kirche glaubt l) .
Uli mann urtheilt: »Schon die formalen Prinzipien Goch 's
sind entschieden der Scholastik entgegengesetzt, nicht minder
sind es auch die materialen2).« Wir meinen, seine Grundsätze
vom Glauben und Leben des Christen sind viel entschiedener
reformatorisch als sein Schriftprinzip. Er steht nämlich auf dem
Augustmischen Standpunkte: zwar nicht in Betreff der Gna-
denwahl und des Kirchenbegriffs . aber in Betreff der Lehre von
Sünde und Gnade. Er zieht eine scharfe Scheidelinie zwischen
Natur und Gnade. Alles Avas einem Menschen von Gott gegeben
wird, damit er sei. ist Natur und Naturgabe. Alles dagegen,
was dem Menschen in seinem Pilgerlaufe gegeben wird, damit er
gut sei vermöge übernatürlicher Güte, das ist Gnade. 'Alles
Gute kommt ursprünglich von Gott ; alles Böse kommt aus der
Kreatur, aus dem geschaffenen Willen. Aber da der Mensch
selbst im Stande der Sündhaftigkeit den Willen behält, und da
auch das Gute der Gnade nicht ein aufgezwungenes sein kann, so
ist die Wiederherstellung des Sünders immer durch Freiheit
vermittelt. — Wir sehen, Goch ist zwar Augustinisch gesinnt,
und bekämpft den Pelagianismus, aber er huldigt nicht der abso-
luten Gnadenwahl und ist nicht in deterministischem Sinne Augu-
stinisch. —
Die Gnade, die einem Menschen verliehen wird, ist nicht
etwas Geschaffenes in der Seele, sondern sie ist Gott selbst, der
beilige Geist, der den Menschen würdigt seinen Willen zu bewe-
gen, dass er das Qnte will und von der bösen Lnst frei wird.
Nicht der Glaube ist an sich rechtfertigend, sondern nur der in
1) Ullmaxx, Reformatoren vor der Reformation, 53 folg.
1 a. a. ü. 59. vgl. 30.
Johann von Goch über Gnade und Verdienst.
519
der Liebe thätige , der geformte Glaube l) . Die Natur empfängt
Kraft ans der Höhe, und wird von der Gnade überkleidet, aber
nicht in dieselbe verwandelt. Da aber der begnadigte Wille eine
Gabe Gottes ist. so geht die ganze Rechtfertigung und Verherr-
lichung des Menschen von der freien Gnade Gottes aus, nur dass
der Wille der göttlichen Gnadenwirkung zustimmt. In Gemäss-
heit dieser Anschauung verneint nun Johann von Goch jegliches
menschliche Verdienst, und tritt auf diesem Punkte allem Pelagia-
nismus. selbst dem scholastischen Semipelagianismus entschlossen
entgegen. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Graden
des Verdienstes meritum digni, congrui. condig ni sei nichtig und
schriftwidrig: auch die Behauptung sei eine Halbheit und von
dem Ap. Paulus bekämpft, dass der menschliche Wille und Gottes
Gnade zusammen das Verdienst bewirken. Nein, das Verdienst
sei der Gnade allein zuzuschreiben und beruhe ausschliesslich
nur auf Christi Verdienst und seiner Erlösung2'. — Hier
liegt der reformatorische und evangelische Kernpunkt von Goch's
Lehre. Seine Lehre von der Rechtfertigung ist ganz scholastisch,
aber die unbedingte Verneinung alles Verdienstes auf Seiten des
Menschen, auch des erlösten, das Zeugniss von dem alleinigen
Verdienste Christi, was einzig und allein aus Gnaden dem Men-
schen zu Theil wird, ist ächt biblisch und wahrhaft reformatorisch.
Gehen wir nun auf die ethische Anschauung Goch's über,
so fasst er das Evangelium als sittliches Gesetz auf ; und inso-
fern scheint er ganz auf dem römisch-katholischen Standpunkte
zurückgeblieben zu sein. Das ist aber nur Schein. Sobald wir
der Sache näher treten, entdecken wir auch hier ächt reformato-
rische Gedanken. Das evangelische »Gesetz« ist nach Goch ein
Gesetz der Freiheit und hiemit zugleich der Liebe, ein Gesetz
des Herzens d. h. der inneren Willensbestimmung und nicht
ein Gesetz der Werke, wie das mosaische.
Hier ist es, wo Johann von Goch zur Polemik und Opposi-
tion übergeht, wiewohl diese auch bisher schon nicht ganz gefehlt
1) Ullmaxx, Reformatoren vor der Reformation, 65 folg. Die be-
kannte scholastische Lehre von der fides formata im Gegensatze zur mformis.
2 a. a. O. TU folg.
520
Buch Hl. Kap. (i. IV
hat. Und hier wird nun die andere Hauptschrift »Von den vier
Irrthümern anlangend das evangelische Gesetz« die Quelle . aus
der wir schöpfen. Johann von Goch sah sich zu dieser Schrift
veranlasst durch begeisterte Verehrer des Klosterlebens, welche
behaupteten , die Freiheit des evangelischen Gesetzes sei von An-
fang an durch Gelübde eingeschränkt gewesen, und niemand
könne zu sittlicher Vollkommenheit gelangen ohne Gelübde 1 . Er
behandelt aber, um diesen Irrthum zu bekämpfen, die Sache aus
dem Ganzen und Vollen, in einem Gespräche zwischen Seele und
Geist.
Die sittlichen Grundirrthümer , welche von Anfang an das
christliche Leben verdunkelt und den Frieden in der Christen-
heit gestört haben, sind nach ihm 1. die unevangelische Gesetz-
lichkeit, welche in der Urkirche den Knechtsdienst des mosai-
schen Gesetzes für noth wendig zum Heil erklärte. Diesen Irrthum
hat der Ap. Paulus in den Briefen an die Römer und Galater end-
gültig widerlegt 2) .
2. Die Lehre', dass die Vollendung des christlichen Lebens
allein im Glauben bestehe und dass Werke des Glaubens nicht
nothwendig seien. Dieser einseitigen Innerlichkeit stellt er wie-
der den Ap. Paulus entgegen mit seinen Mahnungen zu Gehor-
sam und guten Werken: nur das falsche Vertrauen auf diese
schliesse er aus.
3. Das Vertrauen auf die natürlichen Willenskräfte, als ob
diese ohne den Beistand der Gnade zum vollkommenen Christen -
leben zureichend seien. Das sei die Pelagianische Irrlehre, die
schon voraus durch Paulus verworfen sei, z. B. Römer 7, oder
wenn er bezeugt . »Durch Gottes Gnade bin ich was ich bin, u. s. w.
4. Der Wahn, dass zu den vollkommenen Werken des evan-
gelischen Gesetzes die Verpflichtung durch ein Gelübde noth-
wendig sei. Dadurch werde die evangelische Freiheit in ver-
pflichteten Sklavendienst und pharisäischen Aberglauben verwan-
delt Das sei der Irrthum seiner Zeit, er sei vielfach mit dem
I) DißhfUt de qiiatuor error ih>is . bei WALCH. Moni))). med . (Mfl I.
läse. 4. 75. Pruefati<t.
>t a. n. 0. c. 3. S. s;{ ful»?.
Johann von Goch über Klostergelübde.
521
Pelagiauismus verwandt, und Thomas von Aquino sei der
Hauptgewährsmann desselben l).
Diese sittliche Anschauung bekämpft nun Johann von Goch
in dem überwiegend grössten Theile seines Buches, so dass man
sieht, hier liegt der Schwerpunkt dieser Schrift, wie das auch im
Vorwort bereits angedeutet ist. Das Mönchthum mit seinen Ge-
lübden wird hier einer ethischen Kritik unterzogen, nicht als In-
stitution an sich hat doch der Verfasser selbst ein Nonnenkloster
gegründet . sondern nach seiner Entartung oder auch theoretischen
Ueberschätzung. Das Gelübde könne für viele sittlich schwache
oder matte Seelen Veranlassung zu etwas Besserem werden: allein
dasselbe sei nicht an sich schon etwas Gutes: im Gegentheil. wer
das Gelübde nur aus Furcht vor Strafe erfüllt, nicht aus Liebe zur
Gerechtigkeit, der begehe eine Sünde. Denn das evangelische
Gesetz sei ja ein Gesetz der Freiheit und der Liebe. Unwahr sei
es und entspringe aus Selbstüberhebung, wenn Mönche ihren Or-
den einen Stand der Vollkommenheit« nennen. Mönche sind nicht
die Vollkommenen, sondern im Gegentheil die Unvollkommenen.
Schwachen . Unbeständigen . die einer äusseren Beihülfe . einer
Nöthigung zum Guten bedürfen. In der allgemeinen Kirche ist
die höchste Vollkommenheit, nämlich innere Heiligkeit : und diese
übertrifft jede Vollkommenheit »gemachter Religionen« bei wei-
tem- . Ein Gedanke, welcher lebhaft an Wiclifs Polemik ge-
gen das Mönchthum erinnert, während Goch doch vollständig
unabhängig von Wiclif seine Ueberzeugung ausgebildet hat.
Hier kommt unser Denker auf die Kirche und ihre Ordnun-
gen zu reden. Das Christenthum ist ihm eine Religion der Frei-
heit, somit kann auch die Kirche nicht eine unfreie sein. Wohl
sagt die Schrift: »nöthige sie hereinzukommen«. Dessen unge-
achtet ist nicht die Meinung, dass das Himmelreich mit solchen
gefüllt werden solle, welche wider Willen gut sind, sondern mit
solchen . die freiwillig dem Rufe folgen 3; . Die Kirche ist der
1) Diaiogus de quatuor error ihys c. T. 109 folg.
2 Reliyiones factitiae nennt er a. a. O. is9 folg. HM und anderswo
die Mönchsorden , gemäss dem mittelalterlichen Sprachgebrauch , wernach
das Mönchthum religio hiess.
3) a. a. O. 171. 1S1 folg.
522
Buch III. Kap. 6. IV.
geistliche Leib Christi , Christus der Kirche Haupt . ein höchst
vollkommenes Haupt , von welchem aus der Kirche alle Vollkom-
menheit zu Theil wird. Nun aber war der höchste Stand Christi
sein Priesterthum ; somit ist der höchste Stand in der streitenden
Kirche, der Stand höchster Vollkommenheit, gleichfalls das Prie-
sterthum. Es hat die höchste Weihe und verrichtet das höchste
Geschäft, nämlich im Sakrament des Altars Christi Leib und Blut
zu consekriren. Die Hoheit des Priesterthums betont aber Goch
so, dass er nach allen Seiten hin geltend macht , der Episkopat
stehe nicht über dem Priesterstande; kraft göttlicher Einsetzung
sei Priester und Bischof gleich, der Bischof nur eben ein Priester
unter den Priestern (also primus inter pares) . Nur durch Her-
kommen und Verordnungen der Kirche sei dem priesterlichen
Stande manches Recht entzogen, was ihm kraft göttlicher Ein-
setzung gebühre u. s. w. 1) .
So vertritt Johann von Goch in seinen sittlichen Gedanken
mehr als ein acht reformatorisches Prinzip, vorzüglich die evan-
gelische Freiheit, verbunden mit christlicher Innerlichkeit: er
nimmt sich derselben wesentlich im Gegensatze zu einer damals
vorwaltenden sittlichen Ueberschätzung des Mönchthums an. Ferner
macht er, im Gegensatze zu hierarchischen Begriffen, die Identität
und göttliche Gleichberechtigung des Priesterstandes und Episko-
pates geltend. Von der Idee des allgemeinen Priesterthums finden
wir bei ihm keine Spur : indessen ist auch die Verteidigung der
urchristlichen Gleichheit zwischen Bischof und Priester ein refor-
matorischer Gedanke, das Ergebniss einer biblischen Kritik der
kirchlichen Satzung und Ueberlieferung. Mit vollem Recht hatten
schon Flacius, Walch und andere den evangelischen Charak-
ter Goch 's behauptet; und Uli mann war befugt, ihn zu den
Reformatoren vor der Reformation« zu zählen ; nur überschätzt
er dessen Bedeutung in der Vorgeschichte der Deformation, wenn
er Goch als »den Anfangspunkt einer reformatorisch en
Tradition« hinstellt2;. Da muss man, von allem anderen ab-
1 DialogUi de quat. [err., c. IM. 189 folg.: Malta ordini saeerdotali
jx-r consuetudinem vcl constitiutionem ecclesiat sunt abläta, qtt&e dvbina in-
stituttone ei Stint coUata. S. 207.
2 Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, 1. 128.
Johann von Wesel.
523
gesehen, einen Wiclif und Hus und alles was damit zusammen-
hängt, gewaltig unterschätzen.
Während Johann von Goch auf dem Gebiete der Innerlich-
keit und der Gesinnung reformatorische Gedanken vertrat, ist
sein Zeitgenosse Johann von Wesel den kirchlichen Mißständen
schon unmittelbarer zu Leibe' gegangen. Johann Ruchrath
(Richrath), aus dem Städtchen Ober-Wesel am Rhein zwischen
Mainz und Coblenz gebürtig und nach seinem Geburtsorte benannt,
ist gleichfalls in den ersten Jahrzehenten des XV. Jahrhunderts
geboren. Uebrigens ist von seiner Jugend und Bildungslaufbahn
schlechterdings nichts bekannt. Erst in der Zeit tritt er in das
Licht der Geschichte , wo er auf der Universität Erfurt studirte
und später selbst lehrte, ungefähr von 1440 — 1460. Auf dieser
Universität war schon seit ihrer Stiftung (1392 wurde sie eröffnet)
ein unbefangener freier Geist vertreten, die kirchliche Opposition
fand daselbst einen fruchtbaren Boden. Ein Doctor der Theologie
von Erfurt, der Franziskaner Matthias Döring, hat auf dem
Basler Concil der Opposition gegen die Kurie angehört. Im Jahre
1446 promovirte hier Johann von Wesel zum Magister der
freien Künste, 1456 zum Doctor der Theologie: in dem Jahre
1458 hat er das Vicerektorat bekleidet. Bald darauf, etwa 1460,
wurde er als Prediger nach der erzbischöflichen Residenz Mainz
berufen, hierauf nach Worms, wo er 17 Jahre lang wirkte, bis er
zuletzt 1481 sein Leben im Kerker beschloss *) .
Im Jahre 1450 wurde auf Befehl Nicolaus V. ein Jubeljahr
begangen, und 1451 kam Cardinal Nico laus von Cusa auch
nach Erfurt , um den Ablass und die Gnaden des Jabeljahrs zu
verkündigen. Damals schrieb Jakob von Jüterbogk, der Kar-
thäuser und Doctor in Erfurt, einen Aufsatz Uber den Ablass, vor-
sichtig und mild, hauptsächlich um zu erinnern, dass im Ablass
nur die Strafe , nicht die Schuld, und nur die zeitliche Kirchen-
strafe so wie die Strafe für lässliche Sünden , nicht aber für
Todsünden, erlassen werde2). Dasselbe Jubeljahr aber veran-
1) Kampschulte, Die Universität Erfurt, I, 6. 16. ÜLLMANN, Refor-
matoren vor der Reformation , I, 202 folg.
2) ÜLLMANN, a. a. O. I, 233 folg.
524
Buch III. Kap. Ii. IV.
lasste den Johann von Wesel, öffentlich aufzutreten. Er schrieh
eine Abhandlung nicht Mos über, sondern geradezu gegen den
Ablass *) .
Er stellt sieben Thesen auf, die er sodann eingehend begrün-
det und erörtert. Den Ablass beschränkt er ebenso wie Jakob
von Jüterbogk auf den Erlass zeitlicher Strafe für eine Tod-
sünde. Gott kann Sünde vergeben, d. h. er tilgt die Schuld, in-
dem er den Reuigen Gnade mittheilt. Aber kann auch der Mensch
Sünde vergeben ? Ja, so weit er selbst beleidigt worden ist : nein,
sofern der Sünder zugleich gegen Gott gesündiget hat. Kein
Priester kann Sünden vergeben ursprünglicher und wirksamer
Weise, sondern nur dienender Weise, durch sakramentlichen
Dienst im Sakrament der Busse, kraft der göttlichen Gnaden-
mittheilung. Johann von Wesel legt einen bewussten Nach-
druck darauf, dass Gott allein aus lauter Güte Gnade schenkt.
Dabei aber erfordert es seine Gerechtigkeit, dass er über jeden
Sünder Strafe verhängt, und dieselbe auch dann, wenn er Gnade
mittheilt, nicht erlässt 2) .
Was nun den Ablass betrifft, so ist die erste Frage, ob es
überhaupt Ablass gibt? Die heil. Schrift weiss nichts vom
Ablass. Die Reden Jesu handeln von den Geheimnissen des Heils
und von allem was zur Seligkeit nöthig ist, aber vom Ablass ge-
schieht keine Erwähnung. In den Briefen der Apostel ist keine Rede
vom Ablass :i) . Dass es mit allen von den Scholastikern versuchten
Schriftbeweisen für den Ablass nichts sei, sucht Wesel ausführ-
lich zu zeigen. Nicht einmal das lässt er gelten, dass der AMass
nur eine Erlassung von solchen Strafen sei, die von dem Recht oder
von Menschen für Sünden bestimmt sind. Das sind alles nur Ein-
bildungen, ohne Schriftgrund : somit sind die sogenannten Ablässe
nichts anderes als ein frommer Betrug, der die Gläubigen zu
Wallfahrten und frommen Stiftungen bewegt u. s. w. 1 .
1) Jbannis de Vesalia advwsus indulgentdts disputatio , in Walch,
Monim. medii aetfi. Vol. I. Fase. I. 111—156.
2) Ade. mdulgentias, a. a. 0. c. 23. 130 folg.
3] a. a. (). m. L39«
4) a. a. (). c. ">o. S. 152.: Et dicatur qnod — vocutae indulgentia* 8Utä
piüe fraudem fidcliuni, itt dixcrtnit miiiti jtrr.shi/frfi .
Johann von Wesel wider den Ablas*.
525
Afcch Herkommen und Brauch der Kirche kann hier nichts
beweisen. Denn dass die allgemeine Kirche nicht irren könne,
ist selbst eine Behauptung ohne Schriftbeweis und Vernunftgrun<l.
Ja. die ächte Kirche Christi irrt nicht ; jedoch die ist nur ein T h ei 1
der allgemeinen Kirche ; aber es gibt auch einen Theil der Kircher
welcher aus Bösen besteht, und dieser kann irren und irre führen,
und das ist eben diejenige .Kirche, welche Ablass ertheilt l) .
Während Johann von Goch den Ablass nicht schlechthin
verwarf, sondern seine Bedeutung nur auf zeitliche Strafen, welche
die Kirche verhängt hat, einschränkte, begnügt sich Johann von
Wesel damit noch lange nicht, sondern spricht dem Ablass allen
und jeden Werth, alle und jede Berechtigung vollständig ab.
Johann von Wesel ist auch unleugbar weiter fortgeschritten als
Luther in seinen 95 Thesen. Nur finden wir leider, dass die
Gediegenheit der Ueberzeugung, der Muth und die Standhaftigkeit
des Charakters nicht auf gleicher Höhe stand, wie seine Einsicht.
Es scheint jedoch nicht, als ob diese unerhört kühne Schrift
ihrem Verfasser damals irgend welche Unannehmlichkeiten zuge-
zogen hätte. Anders wurde das später, als er zuerst in Mainz,
nachher aber 17 Jahre lang in Worms ein Predigtamt bekleidete.
Er hatte einen hohen Begriff von den Pflichten eines recht-
schaffenen Predigers, zumal in einer Zeit kirchlichen Abfalls. Er
sagte es sich und sprach es auch aus, ein rechter Verkündiger des
Evangeliums müsse den Seelen mit Hingebung dienen, müsse das
reine Evangelium unverkürzt predigen; der Kern des Evan-
geliums aber sei Christus selbst und seine Gerechtigkeit. —
Gegen die einem aufrichtigen Prediger drohenden Gefahren, Bann
und Bulle , suchte er sich selbst zu stärken. Er tröstete sich mit
der Aussicht auf den Stern der Erbarmung. welcher aufgehen und
die Finsterniss vertreiben werde; das Joch der babylonischen
Gefangenschaft werde nach so vielen Jahren endlich zerbrochen
werden2 . Obigen Grundsätzen gemäss bemüht sich Wesel
biblisch zu predigen, Schrift aus Schrift zu erklären. Und da die
Gnade die Grundlehre des Evangeliums ist, so verkündigt er die
1; Adv. indulg., c. 51 folg. S. 152 folg.
2, Ullmaxn, Reformatoren vor der Reformation, I, 269 folg.
526
Buch III. Kap. 6. IV.
göttliche Gnade, welche von Ewigkeit erwählt hat, die da seiig
werden. Nichts^ was Menschenwerk ist, könne Grund der Selig-
keit sein. Die Gesammtheit der Getauften sei nicht heilig: zum
grössten Theil bestehe sie aus Verworfenen. Uebrigens fasst er
weniger die Dogmen als den Ritus und die Ordnungen der Kirche
ins Auge. Doch ist bemerkenswerth , dass er die Lehre von der
Wandlung beanstandet und meint, es könne sein, dass das Brod
in seiner Wesenheit bleibe und dass der Leib Christi unter der
Gestalt des Brodes gegenwärtig sei !) . Die Form seiner Pre-
digten war, nach den Beschreibungen, nachdrücklich und feurig,
ja von einer derben Popularität. Einmal sagte er, und das be-
zeichnet seinen Standpunkt vortrefflich : »Ich verachte den Papst,
die Kirche und Concilia, und lobe Christum 2 ! «
Während seiner Amtsführung in Worms hat Wesel eine
Schrift »Von der Auktorität , Pflicht und Vollmacht der
geistlichen Hirten« herausgegeben . Er behauptet darin : nur
allein wer das Wort des Herrn lehrt und mit Einsicht die Heerde
weidet, der ist ein wahrer Hirte nach dem Herzen Gottes. Weiden
uns Papst und Priester nicht mit Gottes Wort, so wollen wir
nichts von ihnen hören. Aber wo ist der Eifer für die Heerde des
Herrn, wo die Vorbilder evangelischen Lebens? Wohl aber führen
sie das weltliche Schwert und üben Herrschaft. Der Papst, wiewohl
er Papst ist. unterliegt der Zurechtweisung selbst des geringsten
Christen, sobald derselbe geförderter ist. Wer uns mit dem Worte
Gottes belehrt, der ist uns Papst, Bischof, Hirte und Herr, sei er
auch ein Ungelehrter und der geringste Mann im Volke. Hingegen
die dreifache Krone, die glänzenden Bullen, die stolzen Hüte sind
schuld, dass das Wort Gottes von den Geringen verachtet wird 1 .
So misst Wesel die Kirche, wie sie ist, mit dem Richtmaa^s
des Evangeliums , und straft die ungeistliche und weltliche Ge-
sinnung der Hierarchie, während er schliesslich das allgemeine
Priesterthum der Gläubigen ahnt.
Allein seine Freimüthigkeit war grösser als sein sittlicher
1) ÜLLMANN, Reformatoren vor der Reformation, I, 273 folg.
2; Joh. Wolf, Leetionta memorabilet. Vol. I. 1600. S. s"-">-
3) Ullmann, a. a. O. I, 293- 308.
Johann Wessel.
527
Math. Im Februar 1479 wurde er vor ein Ketzergericht des Erz-
bischofs zu Mainz gestellt. Im Anfange des Verhörs, wo ihm aller-
lei Irrlehre, auch Hussitismus. schuld gegeben wurde, blieb er.
wenn auch mit vorsichtigen Aeusserungen, seiner Ueberzeugung
getreu. Auf einmal aber Hess er sich, ohne gehörig überwiesen,
geschweige tiberzeugt worden zu sein, zum Widerrufe bewegen.
Nachdem er diesen auch öffentlich geleistet, wurde er zu lebens-
länglicher Haft verurtheilt. Aber nicht volle zwei Jahre hatte er
als Gefangener im Augustinerkloster zu Mainz zugebracht, als ihn
Us) der Tod erlöste1).
Er war mit reformatorischem Geiste . aber nicht mit refor-
matorischer Charakterkraft begabt. Er hatte kühn in's Leben ein-
gegriffen . aber schliesslich fehlte ihm der rechte Muth , der aus
Demuth entspringt, und die sittliche Stärke, welche stets mit
Maass und Besonnenheit gepaart ist.
Diese Besonnenheit und Mässigung verband mit reformato-
rischer Gesinnung der Niederländer Johann Wessel, Her-
nianiVs Sohn, genannt Gansfort. Dieser Mann, der Zeit nach der
letzte unter den Vorläufern der Reformation, stand ihr geistig am
nächsten , insbesondere darum , weil die verschiedenen Geistes-
elemente, welche zur Vorbereitung der Reformation je in ihrer
Art gedient haben, sich in ihm vereinigten : gediegene Frömmig-
keit, wie sie in den »Brüdern vom gemeinsamen Leben« vertreten
war : humanistische Bildung, wie dieselbe vorzüglich seit der Mitte
des XV. Jahrhunderts von Italien ausging und in den Nieder-
landen so wie in Deutschland einen Bund mit ernster Frömmig-
keit schloss; wissenschaftliches Studium auf dem Gebiete der
Philosophie und der Theologie und praktisches Interesse für Unter-
richt. Erziehung und Kirchenwesen : klare Erkenntniss und Wärme
des Gemüths , eine von allem Aberglauben abgewandte Einsicht
und eine fromme biblische Gesinnung. Die früher isolirt gezoge-
nen Fäden ringen an in einander zu schlagen , sich zu einem Ge-
webe zu vereinigen. Und Wessel war derjenige Mann, in wel-
chem wir die vielseitigste harmonische Verbindung aller dieser
Geisteselemente beobachten.
1) Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, I, 305 folg.
528
Buch III. Kap. b\ IV.
Johann Wessel, zu Groningen 1419 oder 142o geboren, ge-
hörte dem durch derbe Naturkraft und zähe Freiheitsliebe ausge-
zeichneten Stamme der Friesen an. Seine Erziehung und Bildung
erhielt er in der damals berühmten Anstalt der Brüder vom ge-
meinsamen Leben zuZwoll; nebenbei genoss erden anregen-
den und christlich erwärmenden Umgang des trefflichen Thomas
von Kempen, welcher als Kanoniker auf dem eine halbe Stunde
von der Stadt entfernten Agnesberge lebte, ohne sich jedoch unbe-
dingt nach ihm zu bilden : im Gegentheil, er wahrte seine Selb-
ständigkeit und unabhängige reformatorische Gesinnung, und soll
in dieser Beziehung sogar auf den 40 Jahre älteren Mann nicht
ohne Erfolg eingewirkt haben1 . Universitätsstudien machte
Wessel in Köln, wo eine schon früher vorhandene und be-
rühmte philosophisch -theologische Schule 13SS zu einer Uni-
versität umgestaltet worden war. Auf dieser herrschte aber schon
vor der Mitte des XV. Jahrhunderts ein hierarchischer, finsterer
und verfolgungssüchtiger Geist, durch den Wessel nur abge-
stossen werden konnte. Mit desto mehr Interesse studirte und
excerpirte er Schriften des Abts Ruprecht von Deutz 7 1 135 ,
eines frommen Bibelforschers aus alter Zeit . empfing hier auch
den ersten Unterricht im Griechischen. So war bei ihm schon in
den Jünglingsjahren der Grund gelegt sowohl zu lebendiger
Frömmigkeit als zum Eifer für die Wissenschaft, zur Abneigung
gegen die Scholastiker bei dialektischer Streitfertigkeit, zu bibli-
scher Gesinnung bei einer gewissen Neigung zum Piatonismus
und zu der antiken Literatur.
Die männlichen Jahre WesseUs zerlallen in ein gelehrtes
Wanderleben und in das Stillleben des höheren Alters. In seinen
Wanderjahren ungefähr 1452 — 147S besuchte er mehrere
namhafte Mittelpunkte der Gelehrsamkeit, theils um sich selbst
noch fortzubilden, theils um als Lehrer seine Ueberzeugungeu
geltend zu machen. Er wurde unter lockenden Anerbietungen
nach Heidelberg berufen, folgte jedoch der Einladung nicht, begab
1 Laut einer höchst interessanten Mittheilung, welche Ullmaxx,
Reformatoren vor der Reformation , I. 24:< 2. Auti. Gotha 1866: aus einer
Münchner Handschrift gegeben hat,
Johann Wessels Lebensgang.
529
Meli vielmehr zunächst naeh der Universität Löwen, und ging von
da aus bald nach Paris, wo er mindestens 10 Jahre blieb. Er kam
nach Paris als Realist, denn in Köln hatte er wohl nur realistische
Lehrer gehabt. In Paris aber, wto damals der Nominalismus
herrschte, ging er. in Folge von gelehrten Kämpfen und Studien,
denen er sich widmete, zum Nominalismus über, anfänglich in
einer vermittelnden, dann in einer strengeren Form, und bei letz-
terer ist er dann sein Leben lang geblieben. Er fand, dass die
Nominalisten wissenschaftlicher waren, schärfer und consequenter
im Denken, aber auch freimüthiger und kühner in der Gesinnung.
Uebrigens scheint W e s s e 1 in der ersten Zeit seines Pariser Auf-
enthaltes mehr lernend, in der späteren mehr lehrend sich ver-
halten zu haben. Hier ist er sowohl mit Johann Reuchlin,
der 1473 als Prinzenhofmeister nach Paris kam, als mit seinem
eigenen Landsmann Rudolph Agricola bekannt geworden,
und hat auf beide Einfluss ausgeübt.
Von Paris aus reiste Wessel etwa 1470 nach Italien, kam
jedoch 1473 auf kürzere Zeit dahin zurück. In Italien besuchte er
Rom. aber auch Florenz und Venedig. Heine in Paris angeknüpfte
Bekanntschaft mit dem gelehrten Griechen Bessarion und dem
Franziskaner-General Franz von Rovere, der 1471 als Sixtus
IV. den römischen Stuhl bestieg, kam ihm zu gute; indessen
blieb er seinen freieren Ueberzeugungen auch in Rom getreu. Zu-
rückgekehrt aus Italien, ging er zuerst wieder nach Paris , hielt
sich 1474 oder 1475 einige Zeit in Basel auf, wo er abermals mit
Reuchlin zusammentraf; 1477 folgte er einem erneuerten Rufe
des Churfürsten von der Pfalz, Philipp, an die Universität Heidel-
berg, verlie ss dieselbe jedoch nach Jahr und Tag, um in die Hei-
math zurückzukehren.
Hier hat Wessel etwa von 147S an sein höheres Alter als
gelehrter Greis, wiewohl nicht ohne alle Anfechtungen, in einem
gelehrten Stil 11 eben zugebracht, indem er theils bei den regu-
lirten Kanonikern auf dem Agnesberge bei Zwoll. theils in der
Abtei Adwerd unweit Groningen, theils in einem Frauenkloster
zu Groningen selbst wohnte, in persönlichem und brieflichem Um-
gange mit zahlreichen Freunden , aber auch schriftstellerisch be-
schäftigt. Er lenkte Jünglinge und Männer von der Scholastik ab
Lechlek, Wiclif. II. 34
530
Buch III. Kap. 6. IV.
und zu dem Studium des klassischen Alterthums so wie der heil.
Schrift in den Grundsprachen hin , und bereitete so eine bessere
Theologie vor. Einer von seinen jüngeren Freunden und Ver-
ehrern war der Humanist und hochverdiente Schulmann Alexan-
der Hegius. Wie Wessel nach dem inneren Menschen gestan-
den, das bezeugt eines seiner letzten Worte: »Ich weiss nichts als
Jesum den Gekreuzigten.« Er starb am 4. Oktober 14S9 in dem
Nonnenkloster zu Groningen, wo er die letzte Zeit seines Lebens
zugebracht hatte l) .
Als christlicher Denker verfolgte Wessel eine Richtung, in
welcher gemässigt scholastische Form mit mystischem Gehalt
verbunden war. Als Grundlage diente ihm das Evangelium. Und
dieses suchte er durch ungekünstelte einfache Auslegung aus der
Bibel zu schöpfen, indem es ihm um Wahrheit zur Seligkeit, aber
um die ganze volle Wahrheit zu thun war. Die Offenbarung
Gottes ist unvollkommen im Alten Testamente , vollkommener im
Neuen. Das Gesetz war nur drückend, nicht aber rechtfertigend.
Das Wort Gottes im N. Testamente ist vollendeter als im Alten,
dessen ungeachtet ist es nicht vollständig, sondern nur in ver-
kleinertem Maasstab (en miniature: verbum abbreviatum ;
das geschriebene Wort drückt das Wort, welches um unsert-
willen Kind geworden ist, nicht adäquat aus. Fragen wir nach
dem Verhältniss , in welches Wessel die heil . Schrift zur
Tradition setzt, so erkennt er an, dass die Schrift nicht für
sich allein die angemessene Richtschnur des Glaubens sei . denn
einiges sei durch die Apostel überliefert, was nicht in der heil.
Schrift aufgezeichnet worden; nur Schrift und Tradition zusam-
men bilden die Richtschnur des Glaubens. Das lautet allerdings
sehr gut katholisch. Allein Wessel denkt hiebei offenbar nur an
die uralten Ueberlieferungen der Kirche. Wenn die Auktorität
der Kirchenoberen in der Gegenwart, wenn Entscheidungen des
Papstes oder Aussprüche von Kirchenlehrern neuerer Zeit, ver-
glichen mit der Schrift, abgewogen werden, so tritt er entschieden
auf die Seite der Schrift. Er bekennt ausdrücklich, dass die Gre-
1; Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, II. 239 — 343. 1. Auf-
lage 1 86«.
Wessels Lehre von Christi Person und "Werk.
531
setze und Verordnungen der Päpste nur so weit verbindlieb
sind, als sie mit dem Evangelium übereinstimmen, aber nicht
weiter ; denn der Wille des Papstes und die Auktorität der heil.
Schrift stehen nicht auf gleicher Linie : der Wille des Papstes
muss nach der Schriftwahrheit, und nicht die Schriftwahrheit
nach dem Willen des Papstes geregelt werden .
Aus dem Gedankensysteme Wessel s, welches Ullmairn
ausführlich entwickelt hat. heben wir hier nur einige charakteri-
stische Ideen heraus.
In der Lehre von Christo, seiner Person und seinem Werke
hat er etwas acht reformatorisches darin, dass, während der mittel-
alterliche Katholicisnius die Kirche vor Christum stellt. Wessel im
Gegentheil Christum vor die Kirche stellt ; nicht Christus ist um
der Kirche willen da . sondern die Kirche um Christi willen. Es
widersteht ihm, sich den Gottmenschen so zu denken, als diene
er nur zum Heileder Geschöpfe: er will ihm seine vollkom-
men selbständige Würde und Erhabenheit wahren. Daher geht
Wessel davon aus: So wenig Gott das, was er ist, nur um des
Logos willen ist, eben so wenig ist der Logos, was er ist, nur um
der Menschen willen. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden um
seiner selbst willen, und würde auch Mensch geworden sein,
wenn die Sünde nicht wäre. Ferner finden wir etwas von prote-
stantischer Werthschätzung der sittlichen Persönlichkeit in dem
Umstand, dass Wessel die Bedeutung und den Werth des Ver-
söhnungsopfers Christi und seines Leidens nicht quantitativ
abmisst. nach der Höhe der erduldeten Martern, sondern qualita-
tiv und intensiv, nach der Macht der ihn beseelenden Liebe. Das
Leiden Christi war schon an sich schmerzlich; aber der innere
Schmerz wurde bei dem Erlöser unendlich erhöht durch die Liebe,
die in seinem Herzen wohnte : diese steigerte seine Leiden bis auf
den höchsten Punkt 2 .
In der Lehre vom Heilswege nähert sich Wessel den
Keformatoren selbst mehr als irgend einer von den Vorläufern
1 Ullmann.. Reformatoren vor der Reformation, II. 355. 373 folg.
439 folg. 451.
2) a. a. O. II, 399 folg. 407 folg.
34*
532
Buch III. Kap. 6. IV.
derselben. Seine Ueberzeugungen lassen sich in folgende Sätze
fassen :
1 . Der Mensch kann durch Erfüllung des Gesetzes nicht ge-
recht und selig werden, theils weil das Gesetz selbst noch unvoll-
kommen ist, theils weil der Mensch es nie ganz erfüllt, nie ganz
erfüllen kann.
2. Christus allein trägt die Kraft der Erlösung, Heiligung und
Beseligung in sich ; durch sein sündlos heiliges Leben wird unsere
Unvollkommenheit ergänzt, durch sein Leiden und Sterben unsere
Sünde, nebst dem Tode den sie verwirkt, aufgehoben, Gerechtig-
keit und Leben geschenkt.
3. Vergebung und Gerechtigkeit vor Gott durch Christum
wird dem zu Theil, welcher das Evangelium von Christo glaubt
und als eine Freudenbotschaft mit Vertrauen annimmt, ausserdem
den ihm verkündigten Seligmacher liebt.
4. Derselbe rühmt sich dann nicht seiner Werke und
seines Thuns, sondern Gottes und seiner Gnadengabe durch
Christum t) .
Allerdings verneint Wessel hiemit alles menschliche Ver-
dienst schlechterdings, und schreibt die Gerechtigkeit, Sündenver-
gebung und Seligkeit ausschliesslich der Gnade Gottes in Christo
zu. Dies ist paulinisch, aber nicht in reinerem und vollerem Sinn,
als die Lehre Johann's von Goch2). Wenn aber Uli mann zu
verstehen gibt, dass Wessel bereits die reformatorische Rechtfer-
tigungslehre vortrage, so können wir ihm doch nicht beistimmen.
Denn Wessel spricht zwar viel von dem Glauben; aber wenn
wir genau zusehen und fragen: wodurch wird ein Sünder ge-
recht vor Gott ? so gibt er uns die Antwort : durch die »rechtfer-
tigende Liebe«; soll Christus die Sünden wegnehmen, so ist er-
forderlich , dass er die Gerechtigkeit eingiesse (justitiam infim-
dat); oder: das Maass der Sündenvergebung bestimmt sich nach
dem Maasse der Liebe. Wessel sagt nicht blos, dass der Glaube,
damit er der rechtfertigende sei, lebendig und in der Liebe thätig
sein müsse, sondern er sagt ausdrücklich, dass der Glaube, weil
I Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, II, 414 folg.
2) s. oben S. 518 folg.
"Wessels Lehre von der Kirche.
533
er die Quelle der Liebe ist. und um dieser seiner Frucht willen.
Gott angenehm sei1). Daraus ergibt sich, dass Wessel die
Frage nach der subjektiven Bedingung der Rechtfertigung im
Grunde nicht anders beantwortet, als die ganze Scholastik vor
ihm. nämlich die fides charitate formata sei diese Bedingung.
Nur die Verneinung alles menschlichen Verdienstes ist acht pau-
linisch und reformatorisch ; aber der Satz, dass der Mensch ge-
recht werde durch den Glauben allein, welchen die Reformation
aufgestellt hat, ist Wessel vollkommen fremd.
Der Kirchenbegriff, welchen Wessel voraussetzt, ist
reformatorisch, sofern er die Kirche als etwas Innerliches fasst;
er ist nicht der von W i c 1 i f und H u s nach Augustin's Vorgange
aufgestellte Begriff: »die Gesammtheit der Erwählten«, wohl aber
der aus dem apostolischen Symbolum entnommene Begriff : »die
Gemeinschaft der Heiligen«. Wessel schlägt in der Lehre
von der Kirche den Weg ein vom Inneren zum Aeusseren,
oder, wie Uli mann treffend formulirt : »der Weg, den Wessel
dem Christen vorzeichnet, geht nicht mit Augustin durch die
Kirche zum Evangelium, sondern mit den Reformatoren durch
das Evangelium zur Kirche2).« Eben deshalb ist ihm die Ver-
fassung, die Hierarchie, selbst das Papstthum eine Sache zweiter
und nicht erster Ordnung. Wessel scheut sich nicht den Grund-
satz auszusprechen : »Die Einheit der Kirche unter einem Papst ist
nur zufällig , nicht noth wendig.« Auf der anderen Seite ist es bei
dem Kirchenbegriff, von welchem We s s e 1 ausgeht, nur folge-
richtig, wenn er die Salbung mit dem heil. Geist als Priester-
thum auffasst, und dieses Priesterthum für die Hauptsache und
für zureichend erklärt, sollte auch das andere, das Standesprie-
sterthum, welches durch die sakramentliche Weihe ertheilt wird,
mangeln. Mit andern Worten, Wessel erkennt, seinem inner-
lichen Begriffe von der Kirche gemäss, auch das allgemeine
Priesterthum der Gläubigen an ; so sehr, dass er sagt, wenn
das Standespriesterthum dieses allen gemeinsame Priesterthum
nicht besitzt, so ladet es sich eine Schuld auf. Priester sind im
1) ÜLLMANN, Reformatoren vor der Reformation, II, 417. 419. 426. 502.
2 a. a. O. II, 437.
534
Buch III. Kap. 6. IV.
besten Falle nicht Urheber des Heils, wohl aber können sie Ver-
derber und Widerchristen werden. Selbst derjenige, welcher auf
der höchsten Stufe der Würde sich befindet, ist ein Widerchrist,
wenn er den Geringsten Anstoss gibt und sie wider den Willen
Christi von dem Wege der Wahrheit und des Lebens abfuhrt.
Und denen, welche die Kirche verstören, sind alle Christen, bis
auf die Geringsten, die Bauern, schuldig Widerstand zu leisten ;
und das um so mehr, als das Verhältniss zwischen Gemeinde und
Geistlichkeit ursprünglich von freier Uebereinkunft aus-
geht und der Natur der Sache nach auch wieder gelöst werden
kann, wenn der eine Theil sein Versprechen nicht hält *) .
Das Lehrstück von den Sakramenten hat We s s e 1 kei-
neswegs im Ganzen einer Prüfung unterworfen, und deshalb auch
die Siebenzahl der römischen Sakramente nicht angetastet ; wohl
aber hat er, in Gemässheit seiner Lehre vom Glauben, die Wir-
kung des Sakraments durch die Gemüthsverfassung des Empfan-
genden, nicht blos durch die Intention des Verwaltenden und
durch die objektiv correkte Vollziehung (ex opere operato) bedingt
sein lassen2). Nur auf das Abendmahl und das Bussakrament
ist We s s e 1 näher eingegangen.
Das Abendmahl betrachtet er als die Vergegenwärtigung
und Zueignung der erlösenden Liebe Christi im Leiden und Kreu-
zestode, so dass der Genuss desselben zugleich ein Bekenntniss
dieser Liebe und ein Beweis dankbarer Gegenliebe ist. Aber er
betont zugleich, dass nicht blos die Liebe Christi, sondern der
ganze Christus mit allem, was er für uns gewesen, gelitten
und gethan, darin vergegenwärtigt wird. Und eben darum ist
dieses selige Gedächtniss, welches gestiftet ist zum Andenken an
seine Wunder, wirksam zu allem, wozu Gott der Vater sein
Wort gesendet hat. Aus dem Bisherigen ergibt sich bereits, dass
Wessel die Gegenwart Christi im Abendmahl mit seinem Leib
und Mut, nicht als leibliche, sondern als eine geistige auff&sst.
Er unterscheidet zwar zwischen »geistlichem« und »sakrament-
licbem« Geniessen des Leibes Christi, welches letztere in der
J Ullmann, Reformatoren vor der Reformation. II, 444— 44V
2 a. a. O. II, 454 folg.
Wessels Abendmahlslehre.
535
heiligen Handlung geschieht. Aber das sakramentliche Geniessen
ohne das geistliche ist nicht blos unfruchtbar, sondern gereicht
zum Tode, während das geistliche , welches an das Abendmahl
nicht gebunden ist und allezeit statt finden kann, stets fruchtbar
ist und zum Leben dient. Wer blos sichtbar geniesst aber nicht
zugleich geistig, der geniesst eigentlich gar nicht. Hierin liegt
auch schon deutlich genug, dass nur der Gläubige Christi
Leib und Blut geniesse und Christi theilhaftig werde. Diese ver-
geistigende Auffassung hilft unserem Wessel auch über die
Kelchentziehung und über den Begriff des Messopfers hin-
weg; er tröstet sich damit, dass die Laien vermöge des inner-
lichen Genusses, der doch die Hauptsache sei, auch am Kelche
Antheil haben, obgleich sie äusserlich davon ausgeschlossen sind.
Andererseits fasst er das Abendmahl als ein Opfer: das Ge-
dächtniss Christi sei ein Weihrauchopfer, seiner vollendeten Hei-
ligkeit dargebracht *) .
In dem allem ist freilich von wahrhaftiger Gegenwart des
Leibes und Blutes Christi keine Spur 2) . Es beruht alles auf der
subjektiven Erinnerung, auf der commemoratio ; diese ist ein
geistliches Geniessen Christi, und der geistliche Genuss ist die
Bedingung des sakramentlichen Geniessens, weil dieses ohne
jenes gar nichts gewährt, im Gegentheil zum Tode gereicht. Eine
Anschauung, welche am meisten Verwandtschaft mit der Z wing-
li'schen Abendmahlslehre besitzt. In der That hat Uli mann
auf interessante Weise wahrscheinlich zu machen gewusst, dass
Z w i n g 1 i mit durch den Einfluss der Abendmahlslehre We s s e 1' s
zur Ausbildung seiner eigenen Ansicht vom Abendmahl geführt
worden sei 3) .
1) De magnitudine passionis c. 47. S. 556: In omni commemoratione
Jesu summum illud consummatae sanctitatis incensum offerimus. Dies ist
nicht, wie Ullmaxx , a. a. O. II, 483 es nimmt, als eine Wiederholung
des Sühnopfers Christi gemeint, sondern als ein Dankopfer der Chri-
sten ; das beweist schon der Umstand, ciass Wessel vom Sühnopfer Christi
als holocaustum redet, von dem Gedächtniss Christi im Abendmahl als von
einem incensum.
1 ÜLLMANN, Reformatoren vor der Reformation, II, 475—484.
3) a. a. O. II, 456-475. 4s4 folg.
Buch III. Kap. 6: IV
Das Bussakrament erörtert Wessel so. dass er alle
drei Theile desselben einer reformatorischen Kritik unterzieht :
die Zerknirschung- des Herzens ist nur dann die richtige, wenn
sie aus Liebe entspringt ; das Bekenntniss des Mundes ist nicht
ein gerichtliches Geständniss, und setzt nicht voraus, dass der
Priester, welchem gebeichtet wird, ein von Gott beauftragter
Richter sei; er ist nur Diener, und Gott ist es, der Vergebung
ertheilt. Endlich die Genugthuung des Werkes erkennt Wessel
durchaus nicht als einen wesentlichen Theil der Busse an 1 .
In Gemässheit dieser Ansicht von der Busse bestritt Wes-
sel auch den Ablas s, den er für eine unbiblische Neuerung
seit Bonifatius VIII.), ja für einen frommen Betrug und Irr-
thum , für Lug und Trug erklärt. Er geht, eben so wie Johann
von We sei, in diesem Stücke ungleich weiter als Luther in sei-
nen 95 Thesen von 1517 2).
Wenn wir aus dem Bisherigen, zumal aus der Polemik Wes-
sel's gegen den Ablass, den Schluss ziehen wollten, derselbe
habe auch die Lehre vom Fegefeuer bestritten, so wäre dies
ein Fehlschluss. Wessel hat das Fegefeuer nicht verneint, im
Gegentheil behauptet und begründet, aber er hat die Vorstellung
desselben allerdings vergeistigt. Er denkt sich das ewige Leben
als höchste Vollendung, und hält eben deshalb einen läuternden
Mittelzustand zwischen der irdischen Unvollkommenheit und der
himmlischen Vollendung für noth wendig. Aber das »Fegefeuer«
ist ihm nach der Schrift (1. Kor. 3, 11 folg.) nicht Straffeuer,
sondern lediglich nur innerliches Reinigungsfeuer, so zwar, dass er
sagt, Gott selbst, ferner Christus.und sein Evangelium ist dieses
reinigende Feuer: und dieser Zustand ist nicht ein Strafzustand.
sondern im Gegentheil bereits die erste Stufe der Seligkeit
Weder diese Vergeistigung und Idealisirung der Lehre vom
Fegefeuer, noch die Polemik gegen den Ablass, noch die Abend-
mahlslehre Wessel s ist der reformatorische Kernpunkt seiner
Gedanken, sondern die auf dem Grunde achter Frömmigkeit fest
1) Ullmann. Reformatoren vor der Reformation, II, 4W folg.
2 a. a. O. II, 491— WS.
3) a. a. O. II, 504— 514.
Das Keformatorische in Wessel.
537
stehende Gesinnung* der Liebe und des Vertrauens zu dem leben -
digen Christus, welche selbst zugleich die Geistesfreiheit des
Mannes, seine Unabhängigkeit von menschlichen Auktoritäten
und Satzungen, eine wissenschaftliche Selbständigkeit und Frei-
sinnigkeit mit sich brachte 1 . Der Exponent dieser Gesinnung
ist Wes sei's Lehrbegriff, vorzüglich seine Anschauung von der
Person Christi und dem Werke der Versöhnung, seine Lehre vom
Heilsweg. sofern er alles menschliche Verdienst vollkommen be-
seitigt, und sein Kirchenbegriff, sofern derselbe von innen nach
aussen geht und die Gemeinschaft der Heiligen als das Wesen
der Kirche fasst. eben damit aber auch das allgemeine Priester-
thum der Gläubigen anerkennt.
Kein Wunder, dass Luther selbst mit aufrichtiger Hoch-
achtung und verwundernder Freude zu Wessel aufgeschaut und
ihn. wie keinen Andern, als seinen Vorgänger anerkannt hat :
-Man sieht, dass er wahrhaftig von Gott gelehret sei, denn man
kann von ihm nicht urtheilen. dass er seine Lehre von Menschen
habe, gleichwie auch ich nicht. Und wenn ich den Wessel zu-
vor gelesen, so Hessen meine Widersacher sich dünken. Luther
hätte alles vom Wessel genommen, also stimmet unser beider
Geist zusammen2 .<
Und dass von Wessel in seinem Vaterlande, vorzüglich in
Groningen selbst , eine reformatorische Generation ausgegangen
ist, hat Uli mann in reichhaltiger und lichtvoller Weise nach-
gewiesen'' .
V.
Eine Thatsache, welche schlagend beweist, dass gegen den
Schluss des XV. Jahrhunderts die Sehnsucht nach einer Reform
der Kirche die edelsten Gemüther allenthalben erfüllte, ist das
Auftreten des Dominikaners Hieronymus Savonarola für eine
gründliche Reform der Kirche, ja seine Weissagung von der Er-
neuerung der Kirche, welche sicher und bald kommen werde.
1 Ullmax.x, Keformatoren vor der Reformation, II, 2S2 folg. 321 .
535 folg.
2 Luther 's Werke, Walch'sche Ausgabe XIV, 220 folg.
3) ÜLLMANN, Ref. v. d. Ref. II, 527 folg.
538
Buch III. Kap. 8. V.
In demselben Jahre, wo Johann Wessel in Groningen starb,
1489, fing Savonarola, nachdem er in das Markuskloster zu
Florenz versetzt worden war, hier reformatorisch zu wirken an.
Hieronymus Savonarola, aus einem edlen Geschlecht 1452 zu
Florenz geboren, wurde im 23. Jahre durch »das grosse Elend
der Welt und die Verdorbenheit der Menschen« in's Kloster ge-
trieben; er ging im April 1475 in das Dominikanerkloster zu
Bologna. Aber auch im Kloster fand er Eitelkeit und weltliche
Gesinnung ; und da er als Novizenlehrer das »Leben der Altväter«
las, und vollends von den Kirchenvätern zur Schrift selbst über-
ging, wurde seine Erkenntniss der herrschenden Mängel immer
klarer. Die heil. Schrift war es, die ihm Licht gab über die
Notwendigkeit einer Reform der Kirche. Er erkannte, dass das
göttliche Weltregiment auf wunderbare Weise Gerechtigkeit und
Erbarmen in sich vereinige, und fasste die Ueberzeugung, dass
auch in der Gegenwart Gerichte Gottes kommen werden, und
dass nur diejenigen, welche sich bekehren, Erbarmung finden
werden. Nachdem er als Dominikaner in verschiedenen Klöstern
seines Ordens gelebt hatte, auch einmal in St Marco zu Florenz
gewesen war , erhielt er in Folge der Verwendung des Fürsten
Johann Picus von Mirandola und des ausgesprochenen Wun-
sches von Lorenzo Medici, von seinen Oberen den Befehl nach
Florenz zu gehen. Und hier brachte er, zuerst als Mönch, seit
1490 als Prior des Dominikanerklosters St. Markus, die letzten
neun Jahre seines Lebens in einer bewegten, mannigfach erfolg-
reichen, aber tragisch schliessenden Thätigkeit zu, deren bewe-
gende Feder nichts anderes war als der Drang zur Reform der
Christenheit.
Savonarola eröffnete seinen Unterricht als Novizenlehrer
im Klostergarten zu St. Marco unter einem Rosenbaum. Bald
wuchs die Zahl der Zuhörer, unter die sich auch geistvolle und
gelehrte Leute mischten, dermaassen, dass er seine Vorträge in die
Klosterkirche verlegte. Hier fing er im August 1489 an die ( Offen-
barung Johannis auszulegen, und bald strömte zu diesen Bibel-
stiuiden so viel Volk, dass die Mönche selbst kaum mehr Platz
landen. Der Faden, welcher sich durch diese Predigten hin-
durchzog, bestand in folgenden Hauptgedanken: - Die Kirche Got-
Savonarola s Busspredigten.
539
tes muss erneuert werden, zuvor aber wird ganz Italien scharf
gezüchtigt. Das Schwert des Herrn wird bald und schnell über
die Erde kommen.« Die sittlich-religiöse Reform der Kirche
stand in seinen Gedanken im engsten Bunde mit der Heimsuchung
und politischen Wiedergeburt Italiens und mit Wiederherstellung
der republikanischen Freiheit in Florenz 1 .
Als er 1490 zum Prior von St. Markus befördert wurde, liess
er sich schlechterdings nicht bewegen, dem Staatsoberhaupt Lo-
renzo Medici irgend eine Art von Huldigung zu erweisen. Thec-
kratische Ideen, aber auch republikanische Gefühle hielten ihn da-
von ab. Lorenzo starb 1492; wenige Monate nach ihm starb auch
Innocenz VIII.. und den römischen Stuhl bestieg, in Folge notori-
scher Bestechung, der ruchloseste unter den Päpsten, der Atheist
Alexander VI. Nun trat der Prior von St. Marco als erklärter
Gegner der in Laster und Schande versunkenen Kurie auf, wäh-
rend er Busspredigten über die Sünden aller Stände hielt. »Ihr
macht mich mit Gewalt zum Propheten,« ruft er in einer Predigt
den Florentinern zu ; »die Sünden Italiens müssten alle zu Pro-
pheten machen, wenn auch keine Prophetie mehr wäre2).« Als
nun Karl VIII. von Frankreich die Ansprüche des Hauses Anjou
auf Neapel wieder aufnahm und 1494 in Italien einrückte, sah
Savonarola in ihm das Werkzeug, durch welches Gott Italien
züchtigen, die Kirche Christi erneuern und Florenz wieder er-
heben wolle; er konnte Kirchliches und Politisches nicht mehr
richtig unterscheiden. Das Volk verjagte den Peter Medici,
weil er durch seine verkehrte Politik die Existenz des Staates
gefährdet habe . und schloss einen Vergleich mit Karl VIII. ab.
Nun galt es , nach dem Abzüge der Franzosen , die Verfassung-
von Florenz zu reorganisiren : da griff Savonarola aus Patrio-
tismus thätig ein. Er handelte wie ein Prophet, wie ein theokra-
tischer Führer und Gesetzgeber, und gestaltete Florenz in einen
demokratisch republikanischen Gottesstaat um, dessen Seele Got-
1) Rudelbach, Hieron. Savonarola und seine Zeit, 1835. 76 folg.
Villari, Stoi'ia dt Girolamo Savonarola ; Uebers. v. Berduschek, Leipz. 1S6S.
I, 269.
2 Rud Elbach, a. a. O. 300.
540
Buch III. Kap. 6. V
tesfurcht und Nächstenliebe sein sollten, lieber die Kanzel im
Dom wurde die Inschrift gesetzt: »Jesus Christus, der König
der Stadt Florenz.« Es gab Demonstrationen, wo das Volk rief :
»Es lebe Christus, unser König1; !« Florenz sollte nach Savona-
rola's Ideal ein asketisch strenges christliches Gemeinwesen
werden; es lag etwas Puritanisches in seiner Art. Das Muster-
kloster, welches er gründen wollte , sollte durchaus schmucklos
und einfach sein, die Klosterkirche ohne steinerne Säulen, die
heiligen Gewänder nur von Wolle und Leinwand, die Kelche
ohne kostbaren Schmuck. Aehnlich sollte es in der Stadt werden.
Ein Verein von Jünglingen, unter seiner eigenen Leitung, ging
während der Advents- und Fastenzeit in die Häuser und sam-
melte allerlei eitle Dinge, die man nur Anatema nannte, als Kar-
ten, Würfel, Harfen, Lauten, unzüchtige Gemälde, Boccaccio s
Werke u. s. w. Diese Dinge wurden am Carnevalstage aufge-
schichtet und unter Psalmengesang verbrannt 2 . Selbstverständ-
lich war nicht alles in der Stadt so gesinnt. Die Gegner nannten
sich die Wilden [Arrabiati), während sie die fromme Volkspar-
tei die Heuler ( Piagnoni) , auch wohl Heuchler nannten . Die
weltlich gesinnten Patricierfamilien von Florenz standen meist
Savonarola entgegen. Aber sein gefährlichster Gegner war
Alexander VI. Nachdem der Versuch , den kühnen Reformer
durch den Cardinalshut zu ködern, misglückt. auch der Plan, ihn
durch List in die Gewalt der Kurie zu bringen, gescheitert war.
drohte man ihm mit dem Bann ; und als er unerschrocken fort-
predigte, verhängte der Papst im Mai 1497 wirklich den Bann
über ihn. Als aber Alexander VI. es dahin brachte, den Reformer
in Sachen der Religion zu verdächtigen, als auch die Franziskaner
den Dominikaner zu bekämpfen anfingen : da wandte sich die
Volksgunst allmählich von ihm ab. Savonarola wurde in der
Morgenfrühe des 9. April 1498 gefangen genommen, im Inquisi-
tionsprocess gefoltert, als Ketzer, Verfolger der Kirche und Volks-
vcrführer zum Tode verurtheilt. und am 23. Mai 1498 mit mehre-
ren Gesinnungsgenossen auf dem Marktplatze zu Florenz mit dem
1) Rudelbacii, Hieron. Savonarola und seine Zeit, 192. ü>7.
2) a. a. ü. WS). 177.
S b v ( > n arola' s Gesinnung
54 I
Strang hingerichtet, die Leiber nachher verbrannt und die Asche
in den Arno geworfen.
Es ist so gekommen, wie Savonarola selbst einmal in der
Predigt gesagt hatte : »Der Meister, der den Hammer führt . wirft
ihn weg, wenn er ihn gebraucht hat, wozu er will. So wird er's
auch mit diesem Hammer thun : wenn er ihn genugsam geführt
hat nach seiner Weise, wird er ihn hinwerfen. Dei; Herr thue.
was ihm gefällt1)!« Savonarola's Seele glühte für Gottes Ehre
und Christi Reich. Aber es ist etwas von 'schwärmerisch-fana-
tischer Gluth in ihm. In seinem prophetischen Feuer ist unwill-
kührliche Täuschung, ein Eilen ohne Weile während wir »warten
und eilen« sollen, 2. Petri 3. 12 2 , ein wohlgemeintes und doch
anmaassliches Beschleunigenwollen der Zukunft des Reiches
Gottes ; und ein Hauptschaden bei ihm ist die trübe Mischung
zwischen Religion und Politik.
Savonarola hat mehrere wahrhaft reformatorische Züge.
Die Liebe zur Schrift, mit der er seinen Geist nährt, seine
Kraft stählt, seine Seele erquickt und tröstet, ist ächt evange-
lisch, wiewohl er die scharfe Linie zwischen Schrift und Tradition
nicht zieht, und das allein maassgebende Ansehen der Schrift
nicht geltend macht wie ein Wiclif. Aber hoch über Wiclif
steht er. ja er zeichnet vor allen Vorläufern der Reformation,
selbst vor Johann Wessel sich aus durch seine Erkenntniss des
Heilswcges ; nicht nur dass der Glaube Gottes Gabe und Werk
ist. sondern auch dass der Glaube allein gerecht macht,
ohne Gesetzeswerke, hat Savonarola klar, rund und voll
ausgesprochen 3 . Und das war bei ihm nicht blosse Theorie,
sondern Gesinnung des Herzens. Nicht auf seine eigene, sondern
auf Gottes Gerechtigkeit und unverdiente Gnade setzte er sein
Vertrauen. Das sprach er noch in seiner Auslegung des 31. und
1) Rcdelbach, Hieron. Savonarola und seine Zeit, 234.
2 Savonarola gesteht selbst in einem Briefe : »Wir zählen die Tage,
wir sind ungeduldig — Videbitis cito, cito!« Rudelbach 226. 230. Anm. 1.
3! Expositio orationis dominicae: Haec (seil, ßdes sola justificat
hominem; id est, apud Deum absque operibus legis justum facit.
Bei Rüdelbach a. a. O. 34S folg. 374. Meditationes in psalmos, ed. 1524.
A. 4a. C. Ib.
542
Buch III. Kap. 6. V.
51 . Psalms aus, die er im Kerker geschrieben bat. Und als noch
auf dem Richtplatz einer ihn ermunterte nicht zu verzagen , son-
dern der vielen guten Werke , die er gethan, sich zu getrösten,
erwiederte er : »Dem Sünder gebührt kein menschliches Lob und
keine Ehre; auch ist in diesem Leben keine Zeit des Rühmens
— Ferner. Savonarola, als Dominikaner, ist ein Verehrer des
Thomas von Aquino, und ist schon deshalb mit den Augusti-
nischen Gedanken befreundet. Sein Begriff von der Kirche
ist derselbe wie bei Wiclif und Hus: die Kirche ist die Ge-
sammtheit der Erwählten; auf die Lehre von der Gnadenwahl
geht er spekulativ nirgends ein. wohl aber sind ihm nur diejenigen
wahre Glieder der Kirche , welche im Gnadenstande sich befin-
den 2 . Auch e r geht, wenn er von der Kirche handelt, den Weg
von innen nach aussen, nicht von aussen nach innen. Nicht die
äussere Stellung, nicht der hohe Rang, den jemand auf der Stufen-
leiter der Hierarchie einnimmt, macht es, sondern die innere
Stellung zu Christo. »Von dem Papste muss man zum himmlischen
Papste, d. h. zu Christo, als der letzten Zuflucht, sich wenden.
Ja du, Herr Christus, bist mein Pfarrherr, mein Prälat, mein Bi-
schof, mein Papst ! Die Kirche kann irren, selbst die Gesammt-
kirche , wie viel mehr Papst und Concilien. Und wenn der geist-
liche Richter selbst in Todsünde und Ketzerei befangen ist, so ist
jede Censur die er verfügt, ja der Bann den er ausspricht, nich-
tig und machtlos. Wenn Christus dich nicht absolvirt, was helfen
dir dann die andern Absolutionen ? Christus spricht : Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben; ich will bei denen stehen,
die verflucht werden, und der Teufel steht bei denen, die gesegnet
werden. Nicht die sind von Christo abgeschnitten, die seinen
Tod an ihrem sterblichen Leibe tragen4).«
Savonarola vergleicht die Kirche seinerzeit, die »moderne
Kirche«, wie er sie nennt , mit der apostolischen Urkirche, und
findet einen ungeheuren Abstand zwischen beiden: Die Christen
!) Rudelbacii, Hieron. Savonarola und seine Zeit, 263 folg. 271.
2) a. a. ü. [95. 3571. 361.
3j Worte der letzten Predigt, welche Savonarola am 18. März 14t>s
in der Markuskirche gehalten hat, bei Uuüelb.\(H a. a. O. 233.
4) Rudelbach a. a. O. 203 folg. 325. 32<>.
Einsicht in die Schäden der Kirche.
543
sind nicht mehr vereinigt in Christo Jesu, und daher nicht mehr
einig unter sich. Die wahre Kirche ist zerstört, und eine falsche
gebaut, aus Christen, welche Brennstoff zum Feuer der Hölle sind.
Insbesondere findet er. dass judaisirende Lehren. Ueberschätzung
der Ceremouien und der zeitlichen Güter eingeschlichen sei. »Dem
evangelischen Gesetze Christi sind eine Menge andere Satzungen
angeheftet worden, die viel ärger sind als die Satzungen der
Juden zum Gesetze Mosis. So sind wir denn vom Neuen zum
Alten Testamente zurückgekehrt: die Christenheit ist heut zu
Tage ein jüdisches Volk geworden1 . An der römischen
Kirche insbesondere ist vom Scheitel bis zu den Fussohlen nichts
Gesundes mehr, und doch betet man den Greuel an. der auf dem
erhabenen Stuhle Petri sitzt und sich ohne Scheu überall aus-
breitet. Alexander VI. ist kein Papst und kann nicht als sol-
cher anerkannt werden. Ja. ich ich sage euch, er ist kein Christ,
und glaubt nicht einmal an einen Gott !«
Je klarer Savonarola die tiefen Schäden der Kirche seiner
Zeit erkannte, vornämlich den Rückfall in judaisirendes Wesen,
desto klarer ist ihm die Noth wendigkeit der Kirch en-
reform geworden. Die Erneurung und Verjüngung der Kirche,
aber nicht der Kirche allein sondern der gesammten Christenheit,
war die Sehnsucht seines Heizens . das Ziel der Arbeit seines
Lebens : und schliesslich ist er als Märtyrer für diese Idee ge-
storben. Denn er ist nicht sowohl wegen irgend einer besonderen
Irrlehre, die ihm schuld gegeben wurde, als vielmehr wegen seines
Dringens auf Reform zum Tode verurtheilt. Alexander VI. hat
ihn allerdings »als einen Ketzer. Schismatiker. Verfolger der heil.
Kirche und Volksverführer« verurtheilt ; aber die zwei zuerst ge-
nannten Punkte waren unstreitig nichts anderes als gleissnerische
Umschreibungen seines Reformbestrebens. Als Mittel und Wege,
zur Reform zu gelangen, betrachtete Savonarola vor allem die
Predigt des Worts, sodann die Bekehrung der einzelnen Seelen, und
die Erneuerung des kirchlichen und gemeinen Wesens von einem
Mittelpunkte aus als solcher sollte ihm natürlich Florenz selbst
1) In Predigten über den Propheten Haggai. bei Rudelbach, a. a. ü.
315 folg.
544
Buch III. Kap. (i. V.
dienen , endlich, um die Reform im Grossen und Ganzen durch-
zuführen, ein allgemeines Concil. In Betreff der Predigt sagt
er in seinem Schreiben an die christlichen Fürsten : »Weil mir Gott
durch seine Gnade hat kund werden lassen, dass er seine Kirche
durch viele Heimsuchungen erneuern will, so habe ich seit acht
Jahren im Herzen Italiens mit lauter Stimme alle zur Busse ge-
rufen, und mich bemüht den christlichen Glauben in seiner ganzen
Herrlichkeit darzustellen. Ich habe zur Busse gerufen, damit die
ganze Welt, damit alle Völker zu Gott zurückkehren möchten. «
Und gewiss ist Savonarola einer von den gewaltigsten und
ergreifendsten Predigern aller Zeiten gewesen, weil er »nicht mit
vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern mit Bewei-
sung des Geistes und der Kraft« (1. Kor. 2, 4) redete. Gerade
die schmucklose Einfalt, mit der er redete, das Wiederaufnehmen
der Bibel , welche bei den meisten Predigern seiner Zeit, wie er
selbst sich ausdrückt, »im Staube lag«, und dass er nicht sich
selbst, sondern Christum den Gekreuzigten predigte, — das alles
zusammen machte so tiefen Eindruck. Dass er ferner glaubte,
erst im »kleinsten Punkte die höchste Kraft sammeln« und der
Reformation in Florenz eine feste Stätte bereiten zu müssen, da-
mit sie von da aus weiter schreite, das war an sich ganz richtig
und gesund ; nur fehlte er, wie gesagt, darin, dass er Politisches
und Kirchliches in trübe Mischung brachte. Wenn er endlich ein
allgemeines Concil für das einzige Mittel ansah, die Reform
in den weitesten Kreisen durchzuführen, so hatte er darin sein
Jahrhundert und die besten Christen seiner Zeit für sich. Aber
wie griff er die Sache an ? Im Anfang des Jahres 1497 wie
Rudelbach vermuthet versandte er Schreiben an die euro-
päischen Fürsten, an den Kaiser, an die Könige von Frankreich,
England und Ungarn, an den König und die Königin von Spanien,
und eröffnete ihnen, Gott habe ihm selbst. Savonarola. aus
Gnaden geoflenbart. dass er in dieser Zeit Gerechtigkeit und Hann-
herzigkeit üben wolle auf Erden, die in seiner Kirche herrschen-
den Sünden bestrafen, und der Kirche ihre alte Schönheit wieder-
geben werde. Zu diesem Behufe habe er mit der Predigt der Busse
das Seinige gethan. Nun aber, da die Zeit der Rache nahe, habe
der Herr ihm befohlen, ihnen, den Fürsten des christlichen Ge-
Savonarola* s Aiifruf an die Fürsten Europa s.
545
meinwesens, einige Geheimnisse zu offenbaren. Darum bezeuge
er ihnen mit Gottes Wort, dass Alexander VI. kein Papst sei
s. oben : und auf Gottes Befehl bitte, ermahne und beschwöre er
die Fürsten, bei Vermeidung der schwersten Sünde und des
Zornes Gottes, ein freies Coneil zu veranstalten, um die Christen-
heit von so verderblichem Uebel zu befreien. Er selbst mache
sich anheischig, vor dem Concil dasjenige zu beweisen, was er
hier gesagt: ja Gott werde mit offenbaren Wundern zeigen, dass
es Wahrheit sei. So mögen sie denn Gottes Befehl nicht zu ihrem
eigenen Schaden verachten u. s. w. 1).
Wir können uns vorstellen, was diese Schreiben bei den
Fürsten, falls sie wirklich in deren Hände gelangt sind, für einen
Eindruck machen mochten. Wie ein Prophet Gottes im Alten
Bunde, tritt der Mönch hier vor die gekrönten Häupter, um ihnen
Gottes unmittelbaren Befehl zu offenbaren. Sie werden erst ge-
staunt, dann alter den Kopf geschüttelt und schliesslich lächelnd
das Schreiben ad acta gelegt haben . überzeugt, dass es der Er-
guss eines frommen Schwärmers . wo nicht eines Wahnwitzigen
sei. Und in der That. von schwärmerischer Illusion können wir
hierin den edlen Mann nicht frei sprechen. Als aber im Mai des-
selben Jahres 1497 in Rom der Bann über Savonar ola verhängt
worden war. wiederholte letzterer noch heftiger als jemals, die
Aufforderung zur Versammlung eines freien christlichen Concils.
Zu eiuem reformatorischen Concil, wie er sich's dachte , ist
es freilich nicht gekommen. Aber Savonar ola war dessen
ungeachtet so fest als von irgend etwas, davon überzeugt, dass es
zu einer Reform der Kirche, so oder so, kommen werde. In einer
Predigt am Feiertage Simonis und Judae, 28. Oktober 1496, sagte
er unter anderem: »Ich weiss gewiss, dass die Kirche
sich erneuern wird, es gehe wie es wolle: du siehest
aber nur auf die Dinge, wie sie jetzt gehen, und meinst, es könne
nimmer dahin kommen!« Andererseits hat Savonarola vom-
1) Die Schreiben an den Kaiser und an das Königspaar von Castilien
und Arragonien siud in italienischer Uebersetzung auf uns gekommen,
und unter den Beilagen S. 402 folg. von Rudelbach mitgetheilt. wäh-
rend sein eigener Bericht, S. 1S4 folg., doch nicht ganz getreu den Geist
und Ton wiedergibt, aus welchem Savonarola spricht.
Lechleb, Wiclif. II. 35
546
Buch III. Kap. 6. V.
Jahr U89 an bis an sein Ende geglaubt und gepredigt und daran
festgehalten : »die Kirche Christi muss erneuert werden, und zwar
binnen kurzer Zeit.« Fern'er, als Alexander VI. ihm den Car-
dinalshut antragen Hess, sofern er von seinen Prophezeiungen ab-
stehen wollte, gab Savonarola zur Antwort: »Gott behüte mich
davor, dass ich dem'Auftrage meines Herrn untreu werden sollte ! «
Und den Tag darauf sprach er öffentlich auf der Kanzel davon
und fügte bei : »Ich begehre keinen andern rothen Hut als den des
Mä r ty r er th ums, welcher mit meinem eigenen Blute roth ge-
färbt werden wird *) ! «
Es ist wahr, die Reform der Kirche ist nicht in Italien und
nicht in der Art, wie Savonarola erwartete, gekommen. In so
weit sind seine Prophezeiungen nicht in Erfüllung gegangen.
Aber in drei Punkten hat sich erfüllt, was er vorhergesagt hatte :
er selbst ist ein Märtyrer seiner Prophezeiung und seines Reform-
bestrebens geworden; ferner, die Reform ist bald gekommen, es
waren noch keine zwanzig Jahre nach seinem Tode verstrichen,
als die deutsche Reformation begann ; und, was gegenüber der
Verzweiflung und dem Pessimismus vieler wackeren Christen
jener Zeit wahrlich nicht zu unterschätzen ist, die felsenfeste
Zuversicht, mit welcher der Florentinische Dominikanerprior einer
Erneuerung der Kirche »es gehe wie es wolle« entgegensah . ist
nicht zu Schanden geworden. Angesichts dieser schwer wiegen-
den Thatsachen treten wir unbedenklich dem Urtheil Rudel-
bach'sbei, dass Savonarola ein »Prophet der Reforma-
tion« sei2). Wir glauben dieses Urtheil nur noch insofern er-
gänzen zu müssen, als wir sagen: Savonarola war der Prophet
der Reformation und der Märtyrer seiner Prophetie, ein Märtyrer
der Reform vor der Reformation.
1) »«Tb non voglio capelH (Hüte), non mitre, grandi ne iiiccole; — wi
capello roaso, un capel/o di sangue, — questo desidero.« Prcdica fatta a di
20. di Agosto 1496. Bei F. K. Meier, Girol. Savonarola aus grossen Theils
handschriftlichen Quellen dargestellt. Berlin 1S3I>. S. 112.
2) Rudelbach, Savonarola, 314.
Anhang A.
L Ursprung und Herkunft der Schrift : The last Age
of the Church.
Dieser kleine Traktat ist aus einer Handschrift des Trinity- College
in Dublin von dem im Juni 1S69 verstorbenen Professor des Hebräi-
schen, Theol. Dr. James Henthorn Todd daselbst 1840. 12°.
herausgegeben worden. Der Aufsatz füllt nur 14 Seiten in jenem klei-
nen Format, und ist in englischer Sprache geschrieben. Seitdem Robert
Vaughan, Life and Opinions of John de Wicliffe , Lond. 1831. I,
254 ff., den Aufsatz, welchen er 1828 an Ort und Stelle in der Hand-
schrift untersucht hatte, unbedenklich Wiclif beigelegt hat, ist die
Annahme, dass derselbe Wiclif's Jugendschrift gewesen Bei, durch
alle Abhandlungen über Wiclif, ja durch alle Handbücher der Kir-
chengeschichte gegangen. Uebrigens hat Vaughan selbst damit nicht
etwa eine ganz neue Vermuthung aufgestellt. Schon der eivte Biograph
Wiclif's, Johann Lewis, hatte History of the Life and Suffer ings of
John WicUf 1720, neue Auflage 1820, 3 folg., ihm den Traktat beige-
legt. Aber auch Lewis folgte darin einem früheren Gewährsmann, dem
Bischof Bale von Ossory, f 1563, der in seiner brittischen Literarge-
schichte, Centuria VI. S. 454, dem Aufsatze De ultima aetate ecclesiae
eine Stelle unter den Schriften Wiclif's angewiesen hatte. Alle diese
Notizen bezogen sich indessen auf ein bis 1840 nie gedrucktes Büch-
lein, von welchem zudem nur eine einzige Abschrift, die in Dublin, vor-
handen war. Sobald dasselbe durch den gelehrten Dr. Todd heraus-
gegeben worden war, Hess sich eher ein Urtheil fällen. Zwar hat der
Herausgeber selbst sich mit grosser Vorsicht benommen , indem er kei-
neswegs dafür einzutreten wagte, dass der Aufsatz Wiclif zum Ver-
fasser habe. Doch hat er das auch nicht geradezu verneinen zu dürfen
geglaubt.
Nun aber hat Vaughan selbst in seiner letzten Umarbeitung des
früheren Werkes, welche unter dem Titel : John de Wicliffe, a Mono-
graph, 1853 erschienen ist, sich nicht gescheut, auf Grund sorgfäl-
tigerer Forschung, starke Zweifel an der Autorschaft Wiclif's aus-
zusprechen, und hat sein früheres, allerdings nur auf Grund der Ein-
35*
54S
Anhang A. I.
sieht in die Dubliner Handschrift gefälltes Urtheil so gut wie völlig zu-
rück genommen. S. 42 ff. Noch zuversichtlicher hat Walter Wadding-
ton Shirley, in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Fmciculi Zizarno-
rum, Lond. L858. Inirod. VIII folg. Anm. 4. die Autorschaft des Trak-
tats Wiclif abgesprochen.
Gehen wir auf die Untersuchung über diese Frage näher ein, so
werden wir gut thun, äussere und innere Gründe für oder wider die
Abfassung durch Wiclif auseinanderzuhalten.
I. Die äusseren Gründe reduciren sich, beim Lichte betrach-
tet, auf ein einziges Zeugniss. Zwar führt der Herausgeber, Dr. Todd.
in seinem Vorwort VIII folg, deren zwei an: 1. den Umstand, dass der
Aufsatz sich in einer Handschrilt vorfindet, welche aus dem XIV. Jahr-
hundert stammt und mehrere Traktate in sich fasst , die man alle Ur-
sache hat. Wiclif zuzuschreiben: 2. die Thatsache. dass Bischof
Bale . Johann Lewis und einige neuere Gelehrte die fragliche Schrift
für ein ächtes Werk Wiclif s erklärt haben. Allein die letztere That-
sache hat nicht das Gewicht eines Zeugnisses im engeren Sinn, wie das
wäre, wenn irgend ein Zeitgenosse Wiclif's, oder ein Mann der näch-
sten Jahrzehente nach Wiclif's Tode, tei's ein Anhänger oder ein
Gegner des Mannes, eine Schrift dieser Art. vielleicht gar mit diesem
Titel, als von Wiclif verfasst erwähnt hätte. Ein Gelehrter des
XVI. Jahrhunderts wie Bale, oder gar ein Mann des XVIII. Jahrhun-
derts wie Lewis, befand sich schon in zu grosser Ferne : diese Män-
ner standen der Frage nicht wesentlich anders gegenüber, als wir
Späteren auch. Was Bischof Bale von dem Büchlein sagt, hat also
nicht den Werth eines »Zeugnisses«, sondern nur den eines subjektiven
Urtheils, nach dessen Begründung zu fragen, und welches ganz unbe-
fangen zu prüfen wir befugt sind. Noch mehr ist dies bei Johann
Lewis der Fall , der ohnehin nur eine sehr ungenügende Kenntniss des
Traktats, und zwar aus zweiter Hand, besass : denn er verdankte seine
ganze Kunde von der Lubliner Handschrift einem Fetiow des Tr 'mity-
Collrge in Dublin . er selbst hatte sie niemals gesehen. Bezeichnend
dürfte auch die Thatsache erscheinen, dass Lewis in seinem Katalog
der Schriften Wiclif's den fraglichen Traktat zweimal aufführt, S.
195 als Nr. 84, unter dem Titel: De simonia saeerdotum , und S. 205
als Nr. 14S, unter dem Titel: De ultima aetate Ecclesiae, als wären
das zwei verschiedene Schriften, während ganz unleugbar ein und der-
selbe Aufsatz, von welchem wir hier reden, gemeint sein muss! —
Somit bleibt nur ein einziges »Zeugniss« übrig, bestehend in dem
Umstand, dass der Aufsatz sich in einer Handschrift befindet, welche
ausserdem mehrere andere Aufsätze enthält, welche man Wiclif zu-
zuschreiben Grund hat. Diese Handschrift, bezeichnet: Ciass 0.,
Tab. 5, Nr. 0, hat einst dem berühmten Erzbischof Usher, dem
verdienten Alterthumsforscher und Sammler von Handschriften ange-
hört. Sie ist später, mit vielen anderen Manuscripten aus Usher' s
Sammlung, durch Karl II. der Bibliothek des Trinity-ColUye geschenkt
The last Af/c of the Church.
549
worden. Die Handschrift ist am Ende des XIV. oder spätestens am
Anfang- des XV. Jahrhunderts gefertigt, und enthält, schön geschrie-
ben, 29 verschiedene Aufsätze, von welchen Dr. Todd in der Einlei-
tung- zu einer daraus abgedruckten Schrift: An Apology for Lollard
Doctrincs. Lond. 1S42 ein genaues Verzeichnis* veröffentlicht li;:t.
Drei dieser Aufsätze hat derselbe Gelehrte im Jahre 1851 zu Dublin
erscheinen lassen unter dein Titel : Three, Treatkes by John Wyrldytf'< . —
Es ist indes unschwer zu begreifen . dass der erwähnte Umstand an
und für sich ein entscheidendes Gewicht nicht besitzt. Denn in der-
gleichen Sammelbänden sind gar nicht selten Arbeiten verschiedener
Verfasser zusammengestellt , z. B. Schriften von Wiclif selbst ent-
weder mit Aufsätzen von Schülern desselben, oder auch mit Sachen von
älterem Datum. In einem von hussitischen Händen in Böhmen ge-
schriebenen Codex, wrelcher jetzt in der k. k. Hof- und Staatsbiblio-
thek zu Wien sich befindet (nach Denis , Codices manuscripti theol.
hibUothecae palat. Vindobonensis latini II, Nr. CDIV. jetzt Nr. 3*930 .
stehen unter anerkannten Werken von Wiclif mehrere Predigten von
Hus und Jakob von Mies. In einem andern Handschriftenband glei-
cher Gattung (Nr. CDX, Denis, jetzt 3935) folgen auf fünf ächte
Bücher Wiclif" s erst einige Sachen aus der Feder des Erzbischofs
von Armagh, Richard Fitz-Halph, und dann einige Streitschrif-
ten. Wi e lif betreffend . welche c. 1427 in Böhmen gewechselt worden
sind, also jüngere und ältere Schriftstücke mit Erzeugnissen von Wic-
lif selbst in einem Bande vereinigt. Es war den Leuten nicht sowohl
um die Einheit des Verfassers, als um die Einheit des Geistes, um die
Uebereinstimmung der kirchlich-religiösen Gesinnung und Richtung zu
thun. Gesetzt aber auch, der Abschreiber jenes Dubliner Codex hätte
den kleinen Traktat »The last Agea u. s. w. wirklich für eine Schrift
Wiclif 's gehalten und diese als solche der Handschrift einverleiben
wollen : so wäre selbst dieser Umstand noch kein unumstösslicher Be-
weis der Wiclif sehen Autorschaft. Denn er könnte sich ja in seinem
Urtheil getäuscht haben. Wir kennen Thatsachen genug, welche be-
weisen, dass in solchen Fragen selbst die Zeitgenossen nicht selten
irre gegangen sind. Es lässt sieh eine ganze Reihe von Schriften des
XIV. und XV. Jahrhunderts nennen, welche in jener Zeit fälschlicher
Weise Wiclif zugeschrieben worden sind, Schriften theils englischen,
theils böhmischen Ursprungs. Einige Fälle dieser Art hat bereits
Shirley. Introdurtlon ZU Fasciculi zh.aniorum p. XIII. Anm. 3.
erwähnt, namentlich die populäre englische Schrift : The poor Caitif.
welche Wiclif beigelegt worden ist, während sie sicherlich von einem
andern Verfasser herstammt ; sodann die lateinische Schrift : De Abomi-
natione desolatioms , welche bald Wiclif bald Hus zugeschrieben und
unter den Werken des letzteren, in Joannis Hus Historia et Monumenta .
Nürnberg 155S folg. I, 3 76 ff. abgedruckt worden ist. während sie in der
Tliat ein Werk des Mag. Matthias von Janow ist: vergl. Palacky.
Geschichte von Böhmen, III, l. Prag IS45. S. 175 folg. Anm. 215.
550
Anhang A. I.
Ausser diesen mögen hier nur noch zwei Schriften berührt werden.
Die eine ist eine Auslegung des Hohenliedes , in lateinischer Sprache,
welche in mehreren, ursprünglich böhmischen Handschriften unter dem
Namen Wicl i f* s vorkommt, aber in der That einem älteren Zeitge-
nossen desselben angehört, dem Augustiner Richard Rolle von
Hampole bei Doncaster, 7 1349, gewöhnlich »Eremita Hampolus* ge-
nannt. Die andere Schrift dieser Art ist eine lateinische Auslegung der
Offenbarung Johannis, welche sich in zwei Wiener Handschriften des
XVI. Jahrhunderts CCCXCVI und CCCXCVH nach Denis1 vorfindet
und (allerdings von einer zweiten Hand Wiclif zugeschrieben ist.
während sie, laut der eigenen Angabe des Verfassers im Texte, nicht
früher als 1390, als 6 Jahre nach Wiclif s Tode, verfasst ist. Be-
weis genug, dass die Angaben schon der nächsten Jahrzehente über
den Verfasser dieser oder jener Schrift keineswegs ungeprüft als baare
Münze anzunehmen sind. Somit besitzt der einzige äussere Grund für
den Wiclif sehen Ursprung der fraglichen Schrift, für sich allein ge-
nommen, noch kein entscheidendes Gewicht. Die Entscheidung mnss
also auf dem Wege innerer Gründe gesucht werden.
EL Die inneren Gründe sprechen unseres Erachtens gegen
die Annahme, dass Wiclif der Verfasser sei.
A. Gegenstand des Schriftchens und seiner Klage ist die Si-
monie, der Aemterhandel innerhalb der Geistlichkeit. Insofern ist
der Hauptinhalt des Büchleins richtig angedeutet in dem einen Titel,
den Bale a. a. 0. 453. und nach ihm Lewis 195 Nr. 84. demselben
geben : De simonia sacerdotum. während beide, wie mit Bezug auf Lewis
schon oben bemerkt worden, dieselbe Schrift an einer andern Stelle
unter dem Titel : De ultima aetate Ecclesiae, wie eine zweite von ersterer
verschiedene Schrift noch einmal aufführen. — Auf den ersten Anblick
scheint jener Grundgedanke allerdings für Wiclif, als Verfasser, zu
sprechen ; denn es ist bekannt, dass er unter den Schäden der Kirche
seiner Zeit stets auch die Simonie bekämpft hat. Aber es scheint nur
so. Die Sache hat noch eine andere Seite. Prof. Shirley hat im Vor-
wort zu Fase, zizaniorum XIII folg. Anm. 4. darauf aufmerksam gemacht,
dass in unserem Traktat ausschliesslich nur von den Misbräuchen und
Fehlern der begüterten Geistlichkeit die Rede sei. Die Meinung ist,
Wiclif habe sonst vorzugsweise die Bettelorden und deren Entartung
bekämpft; somit spreche der Umstand, dass davon hier gar keine
Rede sei, allein schon gegen die Annahme, dass Wiclif Verfasser
sein dürfte. Dieses Bedenken verliert jedoch an Gewicht durch die Be-
obachtung, welche wir gemacht haben , dass Wiclif keineswegs von
Anfang an so grundsätzlich und geflissentlich , wie in seinen späteren
Jahren, die Bettelmönche zur Zielscheibe seiner Angriffe gemacht hat.
Indessen ist docli so viel gewiss, dass er zu keiner Zeit ausschliesslich
nur die Simonie ins Auge gefasst, sondern stets verschiedene Gebre-
chen und Misstände erkannt und nach Kräften abzustellen gesucht hat.
Mit einem Wort. Wiclif ist auf keiner Stufe seiner inneren Entwick-
The last Age of the Church.
551
hing so beschränkt und so einseitig gewesen , wie sich der Verfasser
ins darstellt. Somit spricht der Hauptgedanke des Schriftchens, eben
vermöge der Beschränkung, in der er aufgefasst ist, gegen die Ab-
fassung durch Wi c Ii f .
B. Auf das gleiche Ergebniss führt uns die Beachtung der vom
Verfasser citirten Schriftsteller. Sehen wir uns um, in was für
einer Gesellschaft wir uns befinden, wenn wir an der Hand des Ver-
fassers eine Strecke weit wandeln, so erblicken wir allerdings Gestalten
wie den heil. Bernhard von Clairvaux (S. 24), und den Chronisten
Petrus Comestor (S. 34), welche beide Wiclif gleichfalls hoch
hält. Aber hiemit sind wir auch schon am Ende mit den Auktoritäten .
welche Wiclif mit dem Verfasser gemein hat. Zwar Beda (s. 26.
27. 30. last Age) ist auch bei Wiclif hoch angeschrieben; nur
Schade, dass in unserem Traktate nicht der ächte Beda, der »Ehr-
würdige « gemeint ist, sondern eine demselben untergeschobene Aus-
legung der Sibyllinen. Aber die allerhöchste Auktorität für den Un-
bekannten ist unstreitig Abt Joachim von Flore ; diesen führt er in
der sehr kurzen Schrift nicht weniger als siebenmal mit Namen an.
Und das ist eine Auktorität, die für Wiclif, laut seinen unzweifelhaft
ächten Schriften, weniger Bedeutung hat1). Dazu kommt, dass angeb-
liche Sibyllinische Weissagungen, die in der That dem XIV. Jahr-
hundert angehören, ja dass der Zauberer Merlin (beides S. 33) mit
gläubiger Verehrung angeführt werden. Kurz diejenigen Auktoritäten,
welche in den Augen des Verfassers die höchsten sind, und auf die er
sich mit Vorliebe beruft, bilden eine durch und durch apokalyptisch-
mystische Gruppe. Nun wollen wir zwar nicht in Abrede ziehen, dass
auch Wiclif einen gewissen apokalyptischen Zug in sich trägt. Allein
dessen ungeachtet behält bei ihm der scharfe, nüchterne Verstand unter
allen Umständen die Oberhand. Und in keinem Fall ist ihm zuzutrauen,
dass er in einer theils apokryphischen, theils mystisch-apokalyptischen
Gesellschaft sich so völlig zu Hause fühlen würde, wie der Verfasser.
C. Der entscheidende Punkt liegt aber in der Denkart und der
ganzen Eigenthümlichkeit des Verfassers. Ein rabbinisch-kab-
balistisches Rechnen mit Buchstaben, welche Jahrhunderte bedeuten
sollen, ein wahrhaft kindisches Spielen mit Schriftzeichen, eine unge-
meine Vorliebe für alberne Legenden und Sagen, die er für baare
Münze nimmt, — das bildet einen unterscheidenden Zug des Verfassers.
Er betrachtet nämlich die Buchstaben theils des hebräischen, theils des
römischen Alphabets als die Schlüssel jedes Räthsels, welches die Weis-
\ Zwar erwähnt Wiclif Supplem entum Trialogi c. 10. S. 453 meiner
Ausgabe, und De Veritate s. scripturae c. 7. Manuscript 1294. f. 16 Col. 1.
den ablas Joachim; allein die letztere Stelle beAvei^t . dass er ihn keines-
wegs als eine Auktorität ansieht; denn er urtheilt , Joachim habe einen
häretischen Satz aufgestellt, wiewohl er um dessen willen noch nicht
Häretiker gewesen sei.
552
Anhang A. I.
sagung aufgibt: jeder Buchstabe bedeutet ein Jahrhundert; das he-
bräische Alphabet entspricht den Jahrhunderten des Alten Testamentes,
das römische denen des Neuen Testamentes. Weil das hebräische Alpha-
bet 22 Buchstaben zählt, so ist das Alte Testament in 22 Jahrhunderten
zu Ende gekommen. Das lateinische Alphabet hat nur 21 Buchstaben;
demnach wird die Zeit des Neuen Testamentes mit dem 21. Jahrhun-
dert abschliessen. Nun gehören aber, von der Gründung Roms an ge-
rechnet, nicht weniger als sieben Jahrhunderte (= den sieben ersten
Buchstaben A — Q) noch der vorchristlichen Zeit an, Christus ist erst
im Jahrhundert des Buchstabens H geboren ; somit bleiben für die
christliche Aera im eigentlichen Sinne nur noch 14 Buchstaben, d. h.
nicht mehr als 14 Jahrhunderte übrig: folglich ist mit dem Schluss des
XIV. Jahrhunderts das Weltende zu erwarten. Der Verfasser gibt
S. 30 folg. deutlich an, dass er im Jahr 1356 schreibt, und demnach nur
noch 44 Jahre der Weltdauer erwartet. Daraus begreift sich auch der
Titel: »Das letzte Zeitalter der Kirche.« Diese rabbinisch
spielende Zeitrechnung , in Verbindung mit Aberglauben und Leicht-
gläubigkeit, bildet, wie gesagt, den einen Zug, der die Individualität
des Verfassers kennzeichnet. Den andern Zug erkennen wir in seiner
durch und durch unselbständigen, von Auktoritäten abhängigen Geistej-
art. Will er irgend einen Satz, den er aufstellt, beweisen, so thut er
das am liebsten durch Berufung auf eine Aussage Abt Joachim1 s von
Flore ; was dieser sagt, gilt ihm als Orakel. Andere Schriftsteller führt
er fast nur an, weil Joachim sie benützt hat (S. 26), oder weil sie
mit demselben in dieser oder jener Ansicht übereinstimmen. Ueber-
haupt müssen ihm immer andere Leute als Gewährsmänner dienen, und
je mehr ihrer sind, desto besser begründet erscheint eine Ansicht (S.
33). Kurz, von selbständigem Denken zeigt der Verfasser keine Spur.
Und in beiderlei Hinsicht bildet er das vollkommene Gegenstück zu
Wiclif, welchem ein so kleinliches Buchstabenspiel nur gar nicht
gleich sieht, aber auch ein derartiges Sich-stützen auf Auktoritäten
wie auf Krücken, nimmermehr zuzutrauen ist. Zwar liebt es auch
Wiclif. auf angesehene Männer sich zu berufen; aber einmal sind
das wirklich geistvolle und verdiente , überdies im vollen Lichte der
Geschichte stehende Männer, nicht schwankende apokryphische Gestal-
ten der Sage oder schwärmerisch apokalyptische Geister. Und zum
andern verzichtet er, auch den verehrtesten Auktoritäten gegenüber,
niemals auf die Selbständigkeit seines eigenen Urtheils und Denkens.
Und da möge man nicht etwa sagen, Wiclif könne möglicherweise in
jüngeren Jahren und auf einer Stufe der Entwicklung, welche noch
nicht die der geistigen Keife war, einen ähnlichen Standpunkt einge-
nommen haben! Man bedenke doch, dass Wiclif, angenommen er
wäre wirklich der Verfasser des fraglichen Traktats, welcher jedenfalls
in dem Jahre geschrieben ist, damals mindestens 32 Jahre,
eher einige Jahre mehr, gezählt hat! Lud (Ins ist doch schon ein an-
ständiges männliches Alter, in keinem Fall eine Altersstufe jugend-
The last At/e of tlie Chutch
563
lieber Unreife imd Gährung. Und wer in der Mitte seiner dreissiger
Jahre noch ein so unselbständiger Denker und so ganz nur von Vor-
gängern und Gewährsmännern abhängig ist , wie der unbekannte
Schriftsteller, der entwickelt sich nie und nimmermehr zu einer geisti-
gen Selbständigkeit und Kraft, wie wir sie an Wiclif kennen und
hochschätzen. Kurz, der innere Gehalt und Charakter des Schriftchens
spricht, nach unserer Ueberzeugung, durchaus gegen die Möglichkeit,
dass Wiclif dasselbe verfasst haben könnte.
Suchen wir aber den Kreis, welchem der ungenannte Verfasser
angehört haben dürfte, auch nur einigermaassen positiv zu bestimmen,
so weist uns die geistige Atmosphäre, in der er leibt und lebt, nirgends
anders hin als zu denjenigen Franziskanern, welche, für die strengste
Eigenthümlichkeit ihres Ordens eifernd , auf einen Standpunkt der
Opposition gegen die bestehende Kirche geführt worden waren und
schwärmerisch-apokalyptischen Ansichten huldigten. Um einige Namen
.zu nennen , so waren Petrus Johannes 0 1 i v i , f 1297, sein Schü-
ler IT bertin us de Ca sali, und der berünrate Dichter der Sequenz .
JStabat mater dolorosa , Jacoponus von Todi, dieses Geistes Kinder.
Und dass gerade diese Partei unter den Franziskanern die Schriften des
Abtes Joachim hochschätzte und ehrerbietig benützte, ist anderweitig-
bekannt. Mehrere Umstände treffen zusammen, um die Vermuthung
wahrscheinlich zu machen, dass der Verfasser von The last Age of the
Church einer von den Franziskanern dieser Richtung gewesen sei : l . be-
kämpft der Verfasser ausschliesslich nur die Fehler der mit Kirchen-
gütern ausgestatteten Geistlichkeit : dies führt darauf, dass er überhaupt
einem Bettelorden angehört haben dürfte; 2. hegt der Verfasser
apokalyptische Ansichten und huldigt in erster Linie der Auktorität des
Joachim von Flore: dies weist näher auf den Franziskanerorden und
zwar auf die oben bezeichnete Fraktion innerhalb desselben. Freilich
die allzu unselbständige, schwache und beschränkte Geistesart dürfen
wir nicht auf Rechnung dieser Partei an sich setzen, sondern müssen
sie dem Individuum zurechnen, dessen Namen und Lebensverhältnisse
mit Bestimmtheit auszumitteln weder möglich noch belangreich sein
dürfte.
II. Wiclif s Schriften.
Es sind drei Verzeichnisse derselben vorhanden, welche dem
XV. Jahrhundert angehören und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
viel später als etwa 30 Jahre nach Wie 1 if s Tode aufgestellt sind.
Sie befinden sich in zwei Handschriften der k. k. Hof- und Staatsbiblio-
thek zu Wien. Dieselben waren jedoch bis vor kurzem ungedruckt und
der gelehrten Welt so gut wie unbekannt. So kam es. dass man seit
Jahrhunderten an viel spätere Werke gewiesen war.
554
Anhang A. II.
Der Erste, welcher den Versuch machte, ein umfassendes Ver-
zeichniss der Schriften Wiclif s zu entwerfen war der anglikanische
Bischof Johann Bale von Ossory in Irland (f 1563). Seine gross-
britannische Literaturgeschichte erschien zuerst 1548 unter dem Titel:
Illustrium majoris Britanniae scripiorum summarhtm in qaasdam centurias
divisum. Damals umfasste es nur fünf Centimen von Schriftstellern.
Während seines Exils in Deutschland erweiterte er das Werk um vier
weitere Centurien, und führte es bis auf das Jahr 1557 herab, in wel-
chem es zu Basel in vermehrter Auflage erschien. In dieser Ausgabe
zählt es nicht weniger als 900 Schriftsteller. In diesem Sammelwerk
gibt Bale fol. 451 ff. 242 Nummern von Schriften Wiclif s mit
ihren Titeln; und bei 149 derselben setzt er die Anfangsworte bei.
Eine systematische Ordnung und vollends eine Nachweisung darüber,
wo die betreffenden Handschriften sich befinden , ist gar nicht dabei
beabsichtigt. Was aber der Hauptfehler ist , so hat Bale Titel von
Schriften Wiclif s, wo ^r sie irgend fand,, aufgerafft und ohne eine
Spur von Kritik zusammengestellt. Deshalb hat sein Verzeichniss sehr
wenig Zuverlässigkeit.
Mehr denn 150 Jahre verflossen, bis zum ersten Mal wieder ein
Anderer desselben Weges kam. Der erste Biograph W i cl i f s , Johann
Lewis, gab in seinem Werk : The Life of Dr. John Wiclif 1720 (neue
Auflage, Oxf. 1820, c. 9. S. 170 — 217) auf Grund von Bale's Arbeit
eine Liste von 284 Nummern, welche wenigstens in einigen Beziehungen
die Leistung Bale's übertrifft. Das Verzeichniss bei Lewis ist reich-
haltiger als das von Bale, enthält auch, wo dies möglich war, eine
Angabe über die Bibliotheken, worin die Handschriften sich befinden ;
zugleich sind, wie das schon Bale wo er irgend konnte, gethan hat,
die Anfangsworte der Bücher und Aufsätze beigefügt ; zuweilen ist
nächst dem Titel auch der Inhalt oder die Veranlassung zur Abfassung
erwähnt. Allein eine zweckmässige Ordnung, selbst eine kritische Sich-
tung ist doch auch hier zu vermissen : da stehen grössere Werke und
kurze Flugschriften , lateinische und englische Erzeugnisse in bunter
Reihe; manche Nummern, die Lewis aufzählt, sind gar nicht von
Wiclif, und andere sind wohl auch doppelt angeführt.
Dasjenige Verzeichniss, welches H. H. Baber seinem Abdruck
der Purvey'schen (angeblich Wiclifschen) Uebersetzung des N. T.
1S10 in der Einleitung voranschickte, war auf Grund der Vorarbeiten
von Bale und Lewis abgefasst, ist jedoch laut glaubhafter Zeugnisse
'das Buch selbst einzusehen ist mir leider nicht gelungen) unvollstän-
1) Was noch vor Bale der emsige und gelehrte John Lkland in Be-
treff der Schriften Wiclif 's geleistet hat, Commenturii de scriptoribus
hritannicis, ed. Ant. Hall, Oxford 1701). 8°. I, 378 ff., bes. »80, kann
kaum in Betracht kommen ; denn Leland kennt nicht mehr als acht
Schriften Wiclif s und gesteht selbst, dasr. er nur wenige von den vielen
Huchem desselben gesehen habe: QuahqtlCtin, ut casus tum , ego plane ex
in itl fix p a n r o s v i d i.
Wiclif's Schritten.
555
diger als die von Lewis gegebene Liste. Der einzige, in der That
dankenswerthe Fortschritt, welchen Baber machte, besteht angeblich
darin, dass er von den einschlagenden Handschriften des British Museum
zu London so wie von den Wiclif-Handschriften in Wien (nach dem
Katalog von Dennis) genauere Nachricht gab.
Achtzehen Jahre später gab Robert Vaughan in der ersten Aus-
gabe seines Werks Life and Opinions of John de Wych'Jf'e (s. 2. Auflage,
II. 379 — 396) eine nach gewissen Gesichtspunkten geordnete, in Be-
treff des Nachweises der Bibliotheken vollständigere und mit einiger
Kritik , anlangend die Aechtheit oder Unächtheit der Werke, ausge-
arbeitete Liste auf Grund persönlicher Nachforschungen, namentlich in
Cambridge und Dublin. Und in seinem letzten Werke über Wiclif:
John de Wycliffe, a Monugraph. 1853, hat er im Anhang S. 525 — 544
ein neues Verzeichniss entworfen , das in mancher Hinsicht genauer
und eingehender ist, als das in seiner ersten Lebensbeschreibung Wic-
lif's gegebene. Dessenungeachtet können wir nicht umhin zu urtheilen.
dass diese angeblich verbesserte Liste an Uebersichtlichkeit der früheren
nachsteht , und in Hinsicht der Genauigkeit viel zu wünschen übrig
lässt; so ist z. B. mehr als eine Schrift, unter verschiedenen Titeln,
doppelt aufgeführt, z. B. 544 Nr. 103 De dotaiione ecelesiae, und 125
Supplementum Triahgi. was eine und dieselbe Schrift ist. Und sehr
wenig zutreffend, ja geradezu verwirrend ist, was Vaughan zu wieder-
holten Malen, nämlich S. 537 und 542. über Wiclif's »Summa Theu-
hgiew mittheilt ; darnach müsste man sich vorstellen, es sei dies ein
Buch, aus zwölf Hauptstücken cJiapters bestehend, während es vielmehr
ein umfassendes Gesammtwerk ist, nicht weniger als zwölf Bücher um-
fassend, von denen manches im Drucke einen ganz hübschen Band
füllen würde.
Den bedeutendsten Fortschritt hat auf diesem Felde der nur zu
frühe (Nov. 1866) dem Leben und der Wissenschaft entrissene Professor
der Kirchengeschichte zu Oxford, Dr. Walter Waddington Shirley ge-
macht. Als VTorarbeit einer Ausgabe ausgewählter Werke Wiclif's,
an deren Erscheinen er selbst sich nicht mehr betheiligen konnte, hat er
ein Verzeichniss der Schriften Wiclif's veröffentlicht, welches im Jahr
1865 unter dem Titel erschienen ist: A Catalogne of the original Works
of John Wydif. 2fy W a 1 1 e r W a d d i n g t o n Shirley, D.D. Oxford : a t
the Clarendon Press 1865. XIX. 74. Dieses seinem Umfange nach sehr
bescheidene Büchlein ist doch die Frucht beträchtlicher Arbeit, vielseiti-
ger Correspondenz und mühsamer Sammlungen während eines Zeitraums
von zehn bis zwölf Jahren. Die eigenthümlichen Vorzüge dieses »Kata-
logs« sind sehr mannigfaltig : sie bestehen darin, dass Shirley I. die
lateinischen und englischen Schriften vollständig aus einander hält ; 2. die
lateinischen Werke ihrem Inhalt gemäss in gewisse Klassen theilt :
3. zur Entscheidung über die Aechtheit der einzelnen Schriften thun-
lichst Zeugnisse und Notizen beibringt: 4. die A bfassungszeit der
einzelnen Schriften wenigstens annähernd zu bestimmen sucht ; 5 . die
556
Anhang A. II.
Handschriften genau bezeichnet, welche die fragliche Schrift ent-
halten. Auf die Liste der ächten uud noch vorhandenen Werke W i cli f ' s
lässt der Verfasser sowohl ein Verzeichniss der verlorenen als der mit
Unrecht W i c 1 if zugeschriebenen Werke folgen. In einem Anhang hat er
zwei der oben erwähnten Verzeichnisse Wi e 1 i f scher Werke, welche
in Wiener Handschriften aus dem Anfange des XV. Jahrhunderts sich
befinden, abdrucken lassen. Das Büchlein schliesst mit einem alpha-
betisch geordneten Register der noch vorhandenen Werke Wiclif's
nach den Anfangsworten, und zwar getrennt, je nach der Sprache, worin
sie abgefasst sind. Zuletzt hat Thomas Arnold im III. Bande der
Sehet english Works of John Wyclif, Oxf. 1871 ein Verzeichniss aus-
schliesslich englischer Schriften gegeben, welche Wiclif zugeschrie-
ben werden, wobei er die wahrscheinlich ächten Schriften (41 an
der Zahl) voranstellt, die zweifelhaften (28) folgen lässt und damit
schliesst, dass er wenigstens einige entschieden unächte namhaft
macht, S. XVII - XX. Arnold hat die von Shirley gegebene Liste
englischer Schriften Wiclif s um ein Stück bereichert, welches er
eigentlich ^entdeckt hat {Sehet Works, Vol. III, 230 — 233. Dasselbe
führt den Titel Lincolniensis (d. h. Grossetete), ist aber nichts an-
deres als ein Aufruf zu redlicher Theilnahme für die Personen und das
Werk der Reiseprediger, nachdem einige derselben in Untersuchung
gezogen und verhaftet worden waren. Im Uebrigen hat Arnold zwar
die chronologische Bestimmung der Schriftstücke möglichst ins Auge
gefasst, seine Aufmerksamkeit jedoch überwiegend der kritischen Frage
über die Aechtheit zugewandt. Das Ergebniss war. dass er doch eine
ziemliche Anzahl Stücke beanstandete: von den 65 englischen Werken,
welche Shirley aufgeführt hatte, sind durch Arnold ungefähr acht
mit Bestimmtheit Wiclif abgesprochen, während er bei 15 — 2.0 an-
deren wenigstens zu einem Non-liquet gelangt ist. Uebrigens hat ei-
sern persönliches Urtheil nicht als maassgebend angesehen , sondern
mehrere von den seinerseits beanstandeten Schriften im dritten Bande
der betreffenden Publikation unter den »Vermischten Werken" mit ab-
drucken lassen.
Treten wir den Werken Wiclif 's selbst näher, so sind vor allem
einige Bemerkungen in Betreff der Sprachverschiedenheit zu machen.
Dr. Vatgiian saut von den englischen Schriften Wiclif s, sie seien
hei weitem die zahlreicheren1;. Das ist ein Irrthum. Wenn man auch
nur auf s Zählen sieh einlasst. so sind nach dem »Katalog« von Shirley .
die lateinischen Werke Wiclif's nicht weniger als die englischen
nur <;.">. Ziehen wir aber, wie billig, den Um fang der Schriften mit
in Betracht. SO stellt sich das Yerhältniss noch viel mehr zu Gunsten
der lateinischen Schriften. Daher urtheilt Arnold, die lateinischen
Werke Wiclif' s seien »bei weitem die zahlreichsten und die umfang-
I Life and Opmions II. 2'<t->.
Wiclit' s Schriften.
557
reichsten^ 1 . In der That sind die englischen Schriften grossentheils
nichts anderes als ächte Flugschriften, die ein paar Blätter zählen 2) ,
und die umfangreichsten unter denselben füllen im Druck höchstens
drei bis vier Bogen ; während in der Reihe der lateinischen Werke doch
zehn bis zwölf sind, von denen jedes so gut als der Triahgus einen ganz
anständigen Oktavband füllen würde.
Aber auch die Bedeutung des Inhalts ist bei vielen der lateinischen
Werke eine ungleich höhere als bei den englischen. Wissenschaftlich
betrachtet, sind blos die lateinischen Schriften von Werth ; Wiclif's
philosophische und theologische Stellung lässt sich nur aus diesen sicher
und gründlich erkennen , während seine englischen Schritten ihren
Hauptwerth theils für die Geschichte der englischen Sprache und Lite-
ratur, tlieils für unsere Kenntniss der Einwirkung Wiclif's auf das
englische Volk haben 3).
Hiebei ist nicht unerwähnt zu lassen, dass die Aechtheit der wich-
tigsten lateinischen Werke hinlänglich bezeugt und Uber allen Zwei-
fel erhaben ist, theils weil Wiclif selbst seine eigenen früheren Werke
in späteren anzuführen pflegt, theils weil einzelne Gegner in ihren Streit-
schriften verschiedene Werke Wiclif's citiren. So lässt sich aus der
Schrift von Wilhelm Woodford, aus efnem Mandate des Erzbischofs
Sbynjek von Prag gegen Hus4), aus den antihussitischen Arbeiten
.des Priors Stephan von Dölau, am allermeisten aber aus dem grossen
Werke des Thomas Netter von Wralden schon eine ziemlich reich-
haltige Liste von Schriften Wiclif's herstellen. Aber auch Freunde
und Verehrer, wie Hus, nennen einzelne Schriften Wiclif's mit ge-
nauen Citaten. In den W7iener Handschriften Wiclif 'scher WTerke
findet sich sein Name gar nicht selten angegeben.
Ganz anders verhält es sich mit den englischen Schriften.
Keine derselben wird in einer anderen Schrift Wiclif's oder eine&
literarischen Gegners erwähnt. Nur allein seine Volksschrift über das
Abendmahl, the Wichet, wird in Processakten gegen einzelne Lollarden
ausdrücklich als ein Traktat Wiclif's erwähnt; aber nicht früher als
im Anfang des XVI. Jahrhunderts. Und in den betreffenden Hand-
schriften findet sich der Name Wiclif's wunderselten. Mit andern
Worten, äussere Zeugnisse für die Aechtheit der englischen Schriften
Wiclif's sind fast gar keine vorhanden; wir sind also blos auf innere
Gründe für und wider die Abfassung durch Wiclif angewiesen. Be-
greiflich wird dadurch die Entscheidung schwankend und schwierig.
Ueberaus merkwürdig ist ferner die Thatsache . dass von den
1) Sehet englxsh Works of Wyclif, Vol. I. 1S69. Tntrod. II.
2) Shirley, Catalogue, Preface VIII. sagt : The English icorks — are
almost always short. being intended for populär circulation.
3) Vgl. die treffenden Bemerkungen Shirley's , Catalogue, Pref. IX,
4 s. Palacky, Documenta etc. 1869. 300. In diesem Mandate sind
nicht weniger als 18 Schriften von Wiclif nach ihren Titeln genau auf-
geführt.
558
Anhang A. II.
lateinischen Werken Wiclif's verhältnismässig wenige alte Hand-
schriften in England selbst und in Irland vorhanden sind, während seine
englischen Schriften sich sämnitlich in englischen, beziehungsweise
irischen Bibliotheken befinden. Lege ich Shirley's »Katalog« und
dessen Angaben zu Grunde, so befinden sich unter den 96 lateinischen
Schriften, die Shirley aufgezählt hat, nur 27, von welchen Hand-
schriften aus dem XIV. und XV. Jahrhundert im Besitz englischer oder
irischer Bibliotheken sind, d. h. nicht völlig ein Drittheil. Und unter
denjenigen , welche in England selbst fehlen , sind nicht wenige von
grösster Bedeutung, z. B. der Tnalogus , De juramento Amaldi , eine
von den frühesten Denkschi iften W ic Ii f ' s , welche von hohem Interesse
ist u. s. w. Dagegen sind continentale Bibliotheken , vor allen die
k. k. Hof- und Staatsbibliothek zu Wien, die Universitäts- und die
erzbischöfliche KapiteL-bibliothek zu Prag, selbst die Pariser öffentliche
Bibliothek, und die königliche Bibliothek zu Stockholm, im Besitze von
Handschriften der lateinischen Werke Wiclif's. Und zwar ist das
Verhältniss dieses, dass unter den 96 lateinischen Werken, beziehungs-
weise Traktaten, nur etwa sechs sind, von denen Handschriften aus-
schliesslich blos in England oder Irland sich befinden und keine einzige
auf dem Continent, während von englischen Schriften Wiclif's gar
keine Handschrift in continentaleu Bibliotheken anzutreffen ist. Der
letztere Umstand erklärt .-ich sehr einfach durch die Unbekanntschaft
mit der englischen Sprache, welche auf dem europäischen Festland,
selbst in Böhmen während der hussitischen Bewegung, herrschte.
Weniger leicht erklärlich ist aber die Thatsache, dass in England sich
verhältnissmä-sig so wenige der lateinischen Werke Wiclif's erhalten
haben. An die bischöfliche Inquisition und die Vernichtung Wiclif scher
Bücher durch die Hierarchie zu denken , verbietet uns der Umstand,
dass auch unter den rein philosophischen Traktaten, deren Shirley
elf aufzählt, nur zwei sind, von denen sich Handschriften in Eng-
land befinden : und doch lässt sich bei diesen logischen und metaphysi-
schen Abhandlungen schlechterdings nicht absehen, warum die In-
quisition sich mit Aufspürung und Vernichtung derselben bemüht
haben sollte.
Wenn wir nun zu einer geordneten Aufzählung der einzelnen
Schriften Wiclif's schreiten, so ist unser Absehen daraufgerichtet,
ein Bild von der schriftstellerischen Thätigkeit des Mannes zu geben.
Zu diesem Zweck empfiehlt es sich weniger, die beiden Sprachen, in
denen die Schriften verfasst sind , zum Haupteintheilungsprinzip zu
machen, wie das Shirley, dessen Absehen auf einen anderen Zweck
gerichtet war, gethau hat. Dem sprachlichen Gesichtspunkte dürfte hier
besser eine untergeordnete Stellung angewiesen werden, während eine
sachliche Theilung, nach Inhalt und Gegenständen, in erster Linie
anzustreben ist. Auch Shirley hat eine sachliche Theilung je inner-
halb der beiden Hauptklassen I. lateinische, II. englische Werke) ge-
macht. Wir werden indes auch in der sachlichen Eintheilnng unseren
Wiclif's Schriften.
559
eigenen Weg gehen, und so oft wir mit Shirley zusammentreffen, uns
dessen freuen. In Hinsicht des Nachweises der Handschriften und der
Bibliotheken , welche dieselben besitzen , gestatten wir uns einfach auf
Shirley 's verdienstliche Leistung zu verweisen.
Wir theilen die Werke in vier Hauptklassen : erstlich Werke
wissenschaftlichen Inhalts , zum andern Predigten , drittens praktisch
lehrhafte Erklärungen von Katechismusstücken, viertens Gutachten,
persönliche Erklärungen, Flugschriften u. s. w. ; einige Briefe bilden
eine Art Anhang.
A. Werke wissenschaftlichen Inhalts.
I. Philosophische Werke.
I, Logica.
2 • Logicae con tin uatio . Vgl . Band 1 , 459.
3. Quaestiones logicae et philosophicae .
4. De Ente sive Summa InteUectualium begreift 2 Bücher, je mit
6 Traktaten, in sich) s. Shirley, Xr. S) .
5. De UniversaUbus (Shirley 10 .
6. Replicatio de Universalibus Shirley. 9 .
7 . De Ente particulari Shirley 4) .
8. De Materia et Forma Shirley 6)1).
9. De Materia Shirley 7 .
10. De compositione hominis Shirley 5).
11. De Anima.
II. Theologische Werke,
A. Systematischer Art.
Hier verdient vorangestellt zu werden sowohl des bedeutenden
Umfangs als des inneren Werthes halber das grosse Gesammtwerk
Wiclif's, welchem seine Verehrer (denn bei ihm selbst findet sich,
wie mir scheint, diese Benennung nirgends den in der Scholastik nicht
1) Zur Ergänzung dessen, was Shirley, Catalogue S. 2 ff mitgetheilt
hat, glauben wir hier bemerken zu sollen, dass die königliche Bibliothek
zu Stockholm, laut Dudik's »Forschungen in Schweden für Mähren' s Ge-
schichte«, Brünn 1S52. S. 19S ff. eine wahrscheinlich von Hus selbst 139S
geschriebene Papierhandschrift in 4° besitzt, welche folgende philosophische
Traktate Wiclif's enthält: 1. De individuatione temporis et instantia, zwölf
Kapitel, f. 1—33. 2. De Ydeis, f. 34 — 52. 3. De materia et forma, f. 53—76.
4. Replicatio de Z'niversalibus, f. 77 — SG. 5. De veris universal ibus, f. ST — 134.
Diese Handschrift war ein Theil der vom General Königsmark bei Einnahme
des Hradschin in Prag am 26. Juli 164S. gemachten Beute aus der Kunst-
und Schatzkammer so wie aus der Bibliothek des königlichen Schlosses.
560
Anhang A. II.
ungewöhnlichen Namen : Summa Theologiae oder Summa in Theologia
gegeben haben. Es war vom XIII. Jahrhundert an Sitte geworden,
umfassenderen Werken, worin das Lehrgebäude eines Doctors in selb-
ständigem Gang, und nicht im Ansehluss an die Sentenzen Peter s des
Lombarden, zugleich in grösserem Zusammenhang aufgestellt war, diesen
Titel zu ertheilen, auch wenn der Verfasser selbst seinem Werke einen
anderen Titel gegeben hatte. So fiude ich z. B., dass dem grossen
Werke Bradwardins , welches er De causa Dei betitelt hatte, in
einigen Handschriften der Titel ertheilt ist : Summa de causa Dei. Auch
das voluminöse Werk von Richard Fitz-Ralph, Erzbischof von
Armagh Armachanus , Adve.rsus errores Armenorum, wird je und je
Summa genannt.
Die Wiclifsche »Summa« so betitelt in drei Katalogen aus der
Hussitenzeit, Ms. 3933, Denis CCCXCI. f. 195 folg. 4514, Denis
COCXCIIL f. 102 folg. und Ms. 7982,-f. 5. Col. L — f. 12. Col. 2.) ')
umfasst nicht weniger als J 5 Bücher, unter denen einzelne, z. B. das-
6te, »Von der Wahrheit der heil. Schrift«, im Druck einen Band von
wenigstens 30 Bogen füllen würden. Dem theologischen Hauptwerk
ireht eine allgemeinere Arbeit philosophisch-theologischen Inhalts voran,
welche »von der Herrschaft« handelt :
1. De Dominio dies scheint laut des Vorworts, MS. 1339 f. 1 :
3929 f. 114, Col. 1., der allgemeine Titel zu sein; auch stimmt damit
das Verzeichnis* in 4514).
a De dominio divino, Lib. I. Bruchstück in 19 Kapiteln),
b De dominio divino. Lib. II. Bruchstück in 6 Kapiteln),
c) De dominio divino, Lib. III. (Bruchstück in 6 Kapiteln .
2. »Summa Theologiae^, in 1 2 Büchern,
I De mandatis divinis.
2) De statu innocentiae.
:i) De do?ni?iio civili, Lib. I.
4) De dominio civili, Lib. II.
5) De dominio civili, Lib. III.
II De veritate sacrae serijiturae . Vgl. Bd. I. S. 471 folg. und
Anm. 1.
7 De ecclesia.
sj De ojficio regis.
'■') De potestale papae.
l" De simonia.
ll) De apostasia.
11 De blasphemia.
3. Trialogus.
1) SHIRLET hat im Anhang seines Cutalogiu- , S. 50 — 60 die beiden
ersten Verzeichnisse abdrucken lassen ; das dritte war ihm unbekannt ge-
blieben , s. Tubulär coilicum manu scriptorum — in bibliothcca palatina
rindohom nsi asm rvaiorum \ ed. Acadaniu caesarea rindobonensis. Vol. V. 1871.
Wicüf's Schriften.
56 I
4. Supplementuni trialogi sive de dotatione ecclesiae ; beide ed. Lech-
ler, Oxf. 1869.
Der Titel Trialogus kommt nach Wiclif auch bei Johann Ger-
son vor; dieser schrieb im Jahre 1402 oder 1403 einen Trialogus in
materia Schismatis, in Form eines Gesprächs zwischen dem Eifer, dem
Wohlwollen und der Besonnenheit, Opera II,. 83 — 105, vgl. Schwab,
Johannes G er son , lb58. S. 160 ff. Und Acne as Sy 1 vi us schrieb
1446 ein Gespräch zwischen fünf Personen : Kaiser Friedrich HL, sei-
nem Kanzler Caspar Schlick, den Bischöfen von Freising und
Chiem, und Aeneas selbst, unter dem Titel: Pentalogus, s. Pez,
Thesaurus anecdotorum T. IV. P. 3. f. 639 folg.
5. De Incamatione Verbi (bei Shirley, Nr. 12.
6 . De Ecclesia et membris .
Dies scheint der richtige Titel zu sein, und nicht, wie Shirley,
nach dem Vorgang der Verzeichnisse in zwei Wiener Handschriften,
Nr. 13 angibt: De fide catholica. Uebrigens ist dieses Buch mit dem
')Buch von der Kirche«, welches den 7ten Theil der Summa bildet, nicht
identisch.
7. De officio pastorali, 1S63 in Leipzig von mir herausgegeben,
Shirley, S. 18. Nr. 40.
Eine englische Uebersetzung dieses Traktats erwähnt Shirley,
S. 48. Nr. 61.
8. De Eurharistia tractatus major.
9. De Eucharistia et Pönitentia y sive de Confessione ; bei Shirley,
Nr. 23.
B. Disputatorischer Art.
1. Contra Kilingham Carmelitam determinationes. S. SHIRLEY, Catal.
20. Nr. 53.
2. Contra Magistrum Outredum de Ornesima (?) monachum determi-
natio, Shirley, 20. Nr. 54.
3. Contra Wilhelmum Vynluvm monachum de S. Albano determina-
tio, Shirley a. a. O. Nr. 55.
4. De Dommio determinatio contra unum monachum. SHIRLEY
a. a. O. Nr. 56.
5. Responsiones ad Radulf um Strode, SHIRLEY, 20 folg. Nr. 57.
6. Responsiones ad argumenta cujusdam aemuli veritatis, SHIRLEY,
Catal. 21. Nr. 58.
7. Responsiones ad XLIV quaestiones sive ad argutias monacliales,
Shirley, 21. Nr. 59.
8. Responsum ad decem quaestiones. Shirley, 21. Nr. 60.
Lechlkf. , Wiclif. II. 36
562
Anhang. A. II.
B. Predigten und praktische Schriftauslegungen.
I. Predigtsaninilungen
a) #in lateinischer Sprache.
1. Predigten über die Sonntagsevangelien, Super Evangelia donii-
nicalia, bei Shirley, S. 13. Nr. 33.
2. Predigten über die Festevangelien, Super Evangelia de Sanctis.
3. Predigten über die Sonntagsepisteln, Super Epistolas.
4. Vermischte Predigten, 64 an der Zahl. Den Kern dieser
Sammlung bilden 40 Predigten, welche in der Handschrift 3928 als
besondere Sammlung auftreten, und um deswillen von hervorragendem
Werthe sind, weil sie die frühesten Predigten Wiclif s enthalten und
seinen früheren Standpunkt abspiegeln. Da die Predigtsammlungen
schwerlich von Wiclif selbst gemacht sind, so begreifen sich die
Schwankungen in Betreff des Umfangs und Inhalts dieser Predigt-
bücher um so leichter. So zählt Shirley unter Nr. 37. eine Samm-
lung von 24 vermischten Predigten, von denen die meisten unter 4.
sich wieder finden, als ein besonderes Predigtbuch auf.
Als Anhang zu den Predigtsammlungen sind zu erwähnen
einzelne Predigten, welche aus den Sammlungen besonders abgeschrie-
ben wurden , z. B. Sermo pulcher über Ruth 2, 4, identisch mit der
24. Predigt unter den »vermischten« XXIV Predigten, s. Shirley, 16.
Nr. 39; ferner: Mulierem fortem quis invmiet ? über Sprüche Sal. 31.
10 ff. , identisch mit der fünften unter den XXIV Predigten, Shirley,
16. Nr. 41. Auch Exhortatio novi Doctoris, Shirley 16. Nr. 3S. ist
eine Predigt, bei einer Doctorpromotion gehalten. Endlich ist der
Traktat: De sex jugis. s. Anhang B. Nr. V. eine Zusammenstellung
aus mehreren Predigten (Band I, S. 427), vgl. Shirley 16. Nr. 40.
b) in englischer Sprache.
1 . Predigten über die Sonntagsevangelien, vom I. Trin. bis zum
Schluss des Kirchenjahrs, Evangelia dominicalia.
2. Predigten über die Sonntagsevangelien vom I. Advent bis zum
Trinitatisfest.
3. Festpredigten über evangelische Texte an Commune Sanctorum.
4. Festpredigten über evangelische Texte an Proprium Sanctorum.
s. Shirley, Catalogus S. 32. Nr. 2 (1 — 4). Diese vier Theile sind
im I. Bande der Sehet english icorks of John WyeUf von Thomas
Arnold IS(59 herausgegeben.
5. Wochenpredigten über evangelische Texte, nebst einigen Ca-
sualpredigten , Evangelia feriaUa. Die Gesammtzahl der Evangelien-
predigten unter 1 — 5 beläuft sich auf 239.
0. Epistelpredigten , Epistolae dominicales . 55 an der Zahl. Die
Wiclifs Schriften.
563
Sammlungen unter 5 und 6 sind im II. Bande der Arnold' scheu
Sehet works of WycUf 1S71 im Drucke erschienen.
Wie eine einzelne Predigt erscheint der Traktat über das heilige
Abendmahl, betitelt Wyckett, vgl. Band I, 627 folg. Anm.
II. Praktische Schriftauslegungen,
a. Lateinisch.
1) Auslegung der Bergpredigt, Opus evangelicum sive De sermone
Domini in monte, in vier Theilen ; die zwei letzten werden auch mit
dem Titel : De Antichristo bezeichnet. S. Shirley a. a. 0. 16. Nr. 42.
2) Auslegung des 23. Kapitels im Ev. Matthaei, Expositio s. Matth.
C. XXIII. sive De Vae oetuplici.
3) Auslegung des 24. Kapitels im Ev. Matthaei, Expositio s. Matth.
C. XXIV. sive De Antichristo .
4) Auslegung der N. T. Bücher mit Ausnahme der Apokalypse.
b. Englisch.
1) Vae octuplex, Auslegung des XXIII. Kapitels vom Ev. Matthaei,
abgedruckt in Sehet works, Vol. I, 379 — 389.
2) Of Mynystris in the Chirche, Auslegung des XXIV. Kapitels
vom Matthaeus. Abgedruckt a. a. 0. 393 — 423. Diese beiden Trak-
tate stehen in allen vollständigen Predigtsammlungen Wiclifs in
englischer Sprache.
Die englisch geschriebenen Erklärungen der Evangelien des Mat-
thaeus , Lukas , Johannes , so wie der Offenbarung Johannis , welche
Shirley, Catalogue, S. 35 folg. unter Nr. 6 — 9 beschreibt, sind aller
Wahrscheinlichkeit nach nicht von Wiclif verfasst, s. Band I. 440 ff.,
vgl. Arnold in der Einleitung zum I. Bande der Select works, S. IV ff.
Dagegen gehören wahrscheinlich Wiclif an 3) die zwölf Stücke,
welche unter dem Titel: Super Cantica sacra, in mehreren Handschrif-
ten gesammelt vorkommen, und von Arxold, in Select works, Vol. III.
5 — 81 herausgegeben worden sind. Die Ordnung in den Handschrif-
ten und im Druck ist weder zeitlich noch sachlich motivirt. Wir nennen
sie in anderer Reihe :
I. Alttestamentlich :
1. Mose's Lobgesang, Exod. 15.
2. Moses Lied, Deuteron. 32.
3. Der Hanna Lobgesang, I. Sam. 2.
4. Israel' s Danklied, Jesa. 12.
5. Hiskias Loblied, Jesa. 38, 10 — 20.
6. Habakuk's Gebet, 3, 2—19.
II. Apokryphen des A. T.
7. Gesang der drei Männer im Feuerofen, Daniel III, 51 ff. nach
den LXX.
36*
564
Anhang A. II.
III. Neutestamentlich :
8. Das Magnißcat, Luk. I, 46 — 55.
9. Benedictas, das Gebet des Zacharias, Luk. 1. 68 — 79.
10. Simeons Lied, Luk. 2, 29 — 32.
IV. Altkirchlich.
1 1 . Das Te Deum.
12. Das Symbolum Quicunque, als Psalm betrachtet. Vgl. SHIR-
LEY, Catal. 36 ff.
Diese Stücke werden sämmtlich so ausgelegt, dass ein Vers nach
dem andern zuerst lateinisch nach der Vulgata, sodann in englischer
Uebersetzung gegeben und hierauf kurz erklärt wird.
C. Praktisch-lehrhafte Erklärungen von Katechis-
musstücken.
Wir gestatten uns hiebei den modernen Nainen »Katechismus« für
das Mittelalter anzuwenden, obwohl er damals bekanntlich nicht im
heutigen Sinne üblich war. Zugleich aber rechnen wir zu den für den
Volksgebrauch behandelten Stücken , mit Geffken ') , ungleich mehr
als seit Luther zum Katechismus gehört. Weil diese Arbeiten zum
Besten des Volks gemacht wurden, sind sie grösstentheils in englischer
Sprache verfasst. Nur wenige Traktate, welche zu dieser Kategorie
gehören, sind lateinisch geschrieben.
I. Lateinisch.
1. De septem donis Spiritus sarwti, s. Shirley, Catal. 11. Nr. 27.
2. De Oratione Dominica, Shirley, 18. Nr. 47.
3. De Salutatione angelica, SHIRLEY, 18. Nr. 48.
4. De triplici vineulo amoris, Shirley a. a. 0. 19. Nr. 49.
5. Differentia inter peccatum mortale et veniale . Shirley, 11.
Nr. 28.
II. Englisch.
1. Of the ten commandments, Shirley, 4 5. Nr. 40. Abgedruckt
in Sehet worhs, Vol. III. 82—92.
2. Of the seven works oj merey bodyhf. und
3. The seven tuerkys of merey ghostly . oder Optra Caritatis, SlIIR-
I Der Bildercateehismus des XV. Jahrhunderts und die cateehetischen
Hauptstücke in dieser Zeit bis auf Luther, 1^.">.">. S. 20 tt'.
Wiclif s Schritten.
565
lly, 45 folg. Nr. 42 und 43. Beide Stücke bilden offenbar ein Gan-
zes, abgedruckt in Select Works, Vol. III. 168 ff. 177 ff.
4. On the seven deadhj sins, Shirley, 46. Nr. 44., in Sehet works
III. 1 19 — 167.
5. Der »Spiegel christlichen Lebens«, Shirley, Catal. 38. Nr. 1 1 ;
indes ist zu bemerken, dass laut der Forschungen von Thomas Arnold
und Professor Stubbs in Oxford, die Stücke Nr. 11, i und 7 dieser
Sammlung entschieden nicht Wie Ii f angehören, sondern einem »Hand-
buch religiöser Unterweisung«, welches der Erzbischof Thoresby von
York im Jahre 1357 hat ausarbeiten und in seinem Sprengel unter
Klerikern und Laien verbreiten lassen: s. Arnold, Sehet works. Vol.
III. Introd. VI. Die übrigen fünf Stücke, nämlich
2 Ueber das Vater Unser.
3 Ueber das Ave Maria,
4) Auslegung des apostolischen Glaubens,
Ueber die fünf leiblichen Sinne,
6 Ueber die fünf geistlichen Sinne,
hat Arnold in dem genannten Bande, S. 93 — 118. abdrucken lassen.
Ueber das Gebet des Herrn finden sich unter den Schriften Wic-
lif's, ausser dem vorhin 5, 2. genannten Traktate noch zwei andere,
von diesem sowohl als unter sich wohl zu unterscheidende, Auslegun-
gen des Vater Unsers. nämlich
6. Nr. 27. bei Shirley, Catal. S. 43. und
7. Nr. 64. bei Shirley. -19.
Das letztere umfangreichere Stück ist unter die Sehet works. Vol. III.
S. 98 — 110 aufgenommen.
8. Ueber das Ave Maria, s. Shirley, Catal. 43. Nr. 28 . zu
unterscheiden von dem Traktate über den »Englischen Gruss«, welcher
bereits unter 5. 3. erwähnt i>t.
9. Of Faith , Hopp and Ckarity, Shirley. S. 45. Nr. 41.
Arnold s Urtheil über diesen Aufsatz ist ziemlich ungünstig ausge-
fallen. Sehet works, Vol. III. Introd. VI.
Endlieb glauben wir hieher einige Traktate stellen zu sollen,
welche, mit Luther zu reden, eine Art »Haustafel« bilden, nämlich:
10. <>Von Eheleuten und ihren Kindern« (Of weddid men and wifis
and of Ziere children also . Shirley, S. 44. Nr. 36. Von Arnold ver-
öffentlicht in Select works. Vol. III. 188 — 201.
11. »Von Dienern und Herren, wie jeder seinen Beruf »seinen
(•lad' einhalten soll«, Shirley. S. 43. Nr. 31.
12. A short reule rule) of Ufe. Shirley, S. 42. Nr. 24., abge-
druckt in Sehet works. III. 204 — 208. Der Herausgeber war anfangs,
s. Einleitung zum I. Bande. 1869. VI folg., sehr stark geneigt, die
Authentie zu bezweifeln : allein er ist später zu einem andern Urtheil
gelangt, so dass er im III. Bande. 1871. S. 204. die Abfassung durch
W i c 1 i f anzunehmen bekannt hat.
566
Anhang A. II.
D. Gutachten, persönliche Erklärungen an Behörden
und dergleichen.
A. Gutachten,
sämmtlich in lateinischer Sprache.
1. Ad quaesita regis et concilii, abgedruckt in Thomas Netter's
Fa&eiculi zizaniorum ed . Shirley, Lond . 1858. S . 25 8 — 2 7 1 .
2. De captivo Hispanensi ; dieses und das vorangestellte Gutach-
ten in Shirley's Catalog, S. 23. Nr. 65 und 66 beschrieben.
3. De juramento Arnaldi, in Shirley's Catalog S. 24. Nr. 71
erwähnt, erstmals abgedruckt unten, Anhang B. Nr. II.
B. Petitionen, persönliche Erklärungen und Vertheidigungs-
schriften an Behörden gerichtet.
I. Lateinisch.
1. Ad Parliamentwn Regis, Shirley, Catal. 19. Nr. 50. Ver-
öffentlicht zuerst von Lewis, History of WicUf, 382 ff. , sodann von
Shirley , in Fasciculi zizan . 245 — 257.
2. Declarationes Johannis Wickliff, Shirley, Catal. 19. Nr. 51.
Abgedruckt in Walsingham's Chronik: Historia anglieana, ed. Riley,.
Vol. I. 357—363.
3. De condemnatione XIX conclusionam, Shirley, Nr. 52. Ab-
gedruckt im Anhang zu Fascicidi zizan. Nr. III. S. 481 — 492.
4. De Eucharistia confessio, Shirley, Catal. S. 10. Nr. 19. Ab-
gedruckt bei Lewis, 323 — 332, und buchstäblich .nach Lewis, bei
Vaughan, Life and Opin. II. 428 ff. und Monograph 564 ff.; selbstän-
dig und kritisch bei Shirley, Fase. ziz. 115 — 132.
5. Kürzeres Bekenntniss vom Abendmahl, Shirley, S. 10.
Nr. 20.
II. Englisch.
1. Wiclif's Petition an König und Parlament , betitelt : Four
articles, bei Shirley, Catal. S. 4 5 unter Nr. 39. Veröffentlicht durch
Thomas James, Oxford 1608. 4°., in Two short treatises U. s. w. : in
berichtigter Gestalt neuestens durch Arnold, Select works, Vol. III..
507 — 523 unter dem Titel: A petition to the hing and par Hamen
2. Zwei Bekenntnisse über das Sakrament des Altars. I. 1 hwn-
leche t/tat the sacrament etc. Shirley, 49. Nr. 65. Abgedruckt in Select
worki, III, 499 folg. II. I belere, as Crist etc., Shirley, 47. Nr. 54.
Abgedruckt in Select works, III, 501 ff.
Wiclifs Schriften.
567
E. Streit- und Flugschriften.
I. Lateinisch.
Diese Schriften beziehen sich sämmtlich auf die Kirche, ihren
Kultus, insbesondere das Sakrament des heil. Abendmahls, ihre Glie-
der und Stände, ihre Pflichten und Rechte, ihren Nothstand und Scha-
den, ihre Besserung und Reform. Suche ich diese zahlreichen Trak-
tate, welche theilweise nichts anderes sind als fliegende Blätter, in
einige Hauptklassen zu ordnen, so sind das etwa die folgenden. Wo-
bei ich jedoch im voraus gestehe , dass Irrthum um so leichter mög-
lich ist, als die allerwenigsten unter diesen Flugschriften gedruckt sind.
a) Kultus.
1 . De Eucharistia conclusiones XV.
2. Quaestio ad fratres de Sacramento Altaris\ beide genannt Shir-
ley, Catal. S. 10. Nr. 21. 22.
3. De Imaginibus, Shirley, 11. Nr. 26.
b) Gliederung der Kirche.
!. De ordine christiano, Shirley, 26. Nr. 77.
2. De gradibus cleri ecclesiae sive de ordinibus ecclesiae, SHIRLEY,
30. Nr. 95.
3. De graduationibus scholasticis. SHIRLEY, 29. Nr. 94.
4. De praelatis contentionwn, Shirley, 29. Nr. 92.
5. De clavibus ecclesiae von der Schlüsselgewalt des Papstes),
Shirley, 24. Nr. 70.
6. Errare in materia fidei qtiod potuit ecclesia militans ( gegen die
Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche), Shirley, 12. Nr. 32.
7. De officio regis ccnclusio, Shirley, 24. Nr. 69.
8. Speculum secularium dominorum, SHIRLEY, 23. Nr. 67.
9. De Servitute civili et dominio seculari, SHIRLEY, 24. Nr. 68.
c) Mönchthum, insbesondere Bettelorden.
1 . De religione privata I.
2. De religione privata II, SHIRLEY, 27. Nr. 81 und S2.
3. De religionibus vanis monachorum, SHIRLEY, 27. Nr. 80.
4. De perfectione statuum, Shirley, 26. Nr. 78.
5. De nova praevarirantia mandatorum , Shirley, 26. Nr. 79.
Ein kurzes Bruchstück daraus ist De purgatorio , Shirley, S. 12.
Nr. 31.
6. De concordantia fratrum cum secta simplici Christi, sive De sectis
monachorum, Shirley, 27. Nr. 84.
568
Anhang A. II.
7. De paupertate Christi, sice XXXIII Conclusiones , Shirley,
23. Nr. 64.
8. De novis ordinibus, Shirley, 28. Nr. 87.
9. Descriptio fratris, a. a. 0. 28. Nr. SO.
10. De mend actis fratrum, a. a. 0. 28. Nr. SS.
11. De frattibus ad scholar es, a. a. 0. 28. Nr. 90.
12. De minoribus fratribus se extollentibus , gegen die Selbstüber-
hebung der Franziskaner, in der Wiener Handschrift 3930 Denis
CDIV.) f. 178 — 187. Der Traktat, welcher von Shirley übersehen
worden zu sein scheint, beginnt mit den Worten : Cum viantes et fratres.
d) Verfall der Kirche und Kirchenreform.
1 . De contrarietate duorum dominorum, suarum partium ac etiam
regularum, Shirley, 27. Nr. 83.
2. De Christo et suo adver sario Antichristo , a. a. 0. 25. Nr. 76.
3. De diabolo et membris ejus, bei Shirley, S. 12. Nr. 29.
4. De daemonio meridiano, a. a. 0. 25. Nr. 7 3.
5. De solutione Satanae, a. a. 0. 12. Nr. 30.
6. De detectione perßdiarum Antichristi , a. a. 0. 28. Nr. 86.
7. De citationibus Jrivolis et aliis versutiis Antichristi, a. a. 0. 24.
Nr. 72.
8. De dissensione paparum sive De schismate, a. a. 0. 25. Nr. 74.
9. Contra cruciatam papae, a. a. 0. 25. Nr. 75.
10. De quatuor sectis novellis. Dieser Traktat bezieht sich nicht, wie
Shirley durch die Stelle, die er ihm anweist, S. 28. Nr. 85, unter
der Rubrik »Monaslic orderst zu verstehen gibt, blos auf das Mönchs-
thum, insbesondere auf die vier Bettelorden, welche Wiclif allerdings
häufig zusammenfasst ; sondern laut der authentischen Erklärung im
Eingang (HS. 3929, f. 225. Col. 2.) und der Ausführung versteht der
Verfasser unter den »vier modernen Sekten« 1) die mit Dotationen und
Herrschaften ausgestatteten Priester, sacerdotes caesarei, 2 besitzende
Mönchsorden, 3) Stiftsherren, 4) Bettelmönche.
11. De fimdatione sectarum, Shirley, S. 29. Nr. 91.
12. De quatuor imprecationibus einige Handschriften haben : inter-
pretationibus) . SjURLEY, 29. Nr. 9 3. Dieser Traktat scheint nur ein
Bruchstück aus der Auslegung von Matth. XXIV. (s. oben S. 563.
II, a, 3) zu sein.
13. De dü6bu8 generibus häereÜaortim d. h. von solchen, welche
Simonie oder Abfall sich zu Schulden kommen lassen . Sirhoniaci et
Apostatici . SHIRLEY, 3<>. Nr. 96.
14. De prbphetiä, SHIRLEY, S. 11. Nr. 24.
15. De oratione et ecclesiac purgationc, a. a. 0. 11. Nr. 25.
10. Dialogus, sice Speculum ecclesiac militafitis, SlUULEY, S. 22.
Nr. (i2.
Es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, dass von diesem Buche
Wiclifa Schriften.
569
mehr Handschriften auf uns gekommen sind, als sonst von irgend einem
Werke Wie Ii Ts, ausgenommen ganz kurze Flugblätter., nämlich ihrer
zehn. Ohne Zweifel hat dies seinen Grund in dem Inhalt, welcher sich
auf Reform der Kirche bezieht und diese nach mehr als einer Seite
hin bespricht. Die Abfassungszeit des »Dialogs' lässt sich ziemlich ge-
nau bestimmen. Sie muss später als 13 TS gesetzt werden, weil das
päpstliche Schisma darin erwähnt ist, cap. 12: ferner, da Wie Ii f be-
reits die Lehre von der Wandlung bekämpft, c. IS, und zugleich mit
Lebhaftigkeit gegen die Bettelorden kämpft, c. 32, so kann das Buch
nicht vor dem Jahre 13S1 geschrieben sein1). Andererseits i>t der
»Dialog« ohne Zweifel früher verfasst, als der »Trialog« ; denn die Ge-
sprächsform ist im »Dialog« erstlich insofern einfacher, als dieser ein
Zwiegespräch darstellt, während der »Trialog« drei Personen sich unter-
reden lässt. Zum andern sind die sich Unterredenden im »Dialog« noch
mehr als im »Trialog«, abstrakte Begriffe, nämlich »Wahrheit« = Chri-
stus (Joh. 14,6, worauf die Einleitung ausdrücklich Bezug nimmt . und
»Lüge« ; die Personen im «Dreigespräch«, Alithia, der gründliche Philo-
soph. Pseustis, oder der sophistische Ungläubige, und Phronesis, der
reife und tiefe Theologe, tragen zwar auch noch etwas zu viel Abstrak-
tion an sich, stehen aber dessen ungeachtet der lebendigen Persönlich-
keit ungleich näher, als Veritas und Mendacium. Endlich ist auch die
Gesprächsform selbst im »Trialog« weit beharrlicher und treuer durch-
geführt, als im »Dialog«, dessen 7 erste und 5 letzte Kapitel 1 — 7:
31 — 35 vielmehr Monologen sind, indem dort die Veritas allein spricht ,
und nur c. S — 30 das Zwiegespräch eintritt. Diese drei Unterschiede
in Betren0 der schriftstellerischen Form zusammengenommen , dürften
die Ueberzeugung begründen, dass der »Dialog« als ein erster Versuch
in der schriftstellerischen Gattung des Gesprächs zu betrachten . und
früher als der »Trialog« zu setzen sei: da aber letzterer entweder
13S3 oder 1384 geschrieben ist, so dürfte 13S2 als Abfassungszeit des
»Dialogs« anzunehmen sein.
Hiebei ist noch zu bemerken, dass der Traktat De tripUci ecclesio.
welchen Shirley. S. 23. unter Nr. 63. als selbständige Schrift auf-
führt, in der That nichts anderes ist als ein Bruchstück des »Dialogs',
welches unter Weglassung des Vorworts mit dem ersten Kapitel be-
ginnt und bis zum 7. Kapitel geht.
17. Specuhon secularhmi dominorum, SHIRLEY. S. 23. Nr. 67.
II. Englisch,
betreffend
a Lehre der Kirche.
I . Octo in quibus sedueuntur simpliees christiani, StURLEY, Catalo-
gue S. 42. Nr. 23. Abgedruckt in Sehet works, Vol. III.. 44 7- 453.
Ii Hiemit nehme ich zurück und berichtige, was ich S. 0, in den
Proleg omena zu meiner Ausgabe des Trialogus, 1S69, über die Abfassungs-
zeit des Dialogus aufgestellt habe.
570
Anhang A. II.
2. On the sufficiency of holy scripture, ein fliegendes Blatt, s. Shir-
ley, 48. Nr. 60, herausgegeben von Arnold, Sehet works, III,
186 folg.
b) Kultus.
1 . De Confessione et pönitentia, gegen die Ohrenbeichte, Shirley
47. Nr. 51.
Hieher würde Nr. 49. S. 46 bei Shirley gehören, Of Anteehri-
stis sang in Chirche, so wie Nr. 50. S. 47 bei Shirley, Of prayer, falls
diese Traktate, die übrigens nur Auszüge aus Nr. 63. bei Shirley
sind, Wiclif angehörten; allein Arnold hat das letztere Stück: On
the XXV articles zwar herausgegeben, Vol. III, 455 — 496, aber zu-
gleich S. 454 wahrscheinlich gemacht, dass diese Verteidigungsschrift
auf klerikale Anschuldigungen antwortet, welche 1388 gegen die Lol-
larden erhoben wurden, also frühestens vier Jahre nach Wiclif s Tode
verfasst ist.
c) Verfassung der Kirche.
1 . How the office of Ouratis is ordeyned of God, oder De XX XI II
erroribus curatorum. SHIRLEY 41. Nr. 19.
2. For the ordre of Presthod, a. a. 0. Nr. 20.
3. Of clerks possessioneris, a.a.O.Nr. 18. 4
4. De precationibus sacris , Vermahnung an Priester zu frommem
Gebet, reinem Wandel und lauterer Predigt des Evangeliums, Shirley,
42. Nr. 22. Abgedruckt in Sehet works. III, 218 — 229.
5. De stipendiis ministrorum, oder How men schütten fynde prestis,
Shirley, S. 42. Nr. 21. Herausgegeben von Arnold III, 202 folg.
Nr. 1 — 5 handeln vom Pfarramt.
6. Of Prelates, Shirley 41. Nr. 16.
7. De obedientia Praelatorum, oder How men owen obesche (obey) to
Prelatis, drede curs and kepe lawe, SHIRLEY 10. Nr. 12.
8. The grete sentence of curs expouned , SHIRLEY 45. Nr. 38.
Erstmals vollständig veröffentlicht von Arnold in Sehet works III,
267—337.
9. De Papa, Shirley 49. S. 62.
Nr. 6 — 9 behandeln die Hierarchie bis zum Papste hinauf, die
Vollmacht und Schlüsselgewalt der Oberen. Hingegen die nächst fol-
genden Traktate beschäftigen sich mit dem Mönchthum, vorzüglich mit,
den Bettelorden, nämlich :
10. How men of privat religion schulden loue more the gospel, God-
dis heste [commandement] and his ordynaunce then ony (t/um any) new lawis,
newe reulis — and ordyiutuncis of synfulmen. SniRLKY, S. 4 3. Nr. 30.
1 I . Ruh of S/. Francis, und
12. Testament of St. Francis, SiriRLEY, S. 40. Nr. 13. und 14.
13. Tractatus de Pseudo freris, SlIIRLEY 4 6. Nr. 17.
Widifs Schriften.
14. Fifty hercsics and errors of friars, a. a. 0. 41. Nr. 15., nur
dass Shirley, wie früher Lewis, dem Buche den weniger bezeichnen-
den Titel gibt : Objections offreres, welcher blos die Randbemerkung
einer Handschrift für sich hat. Arnold gibt diese Schrift in Sehet
works III, 366 — 401 ; sie enthält 50 Kapitel und bildet einen um-
fassenden Angriff auf die Bettelorden.
15. De blasphemia, contra fratres, Shirley4 7. Nr. 52, wohl zu
unterscheiden von dem lateinisch geschriebenen Buche De blasphemia,
welches den letzten Theil von Wiclif's Summa bildet. Die englische
Streitschrift hat Arnold veröffentlicht Select works III, 402—129.
d) Verfall und Reform der Kirche.
Schon unter den bisher aufgezählten 15 Schriften (a, b und e) ist
keine einzige, welche den Gesichtspunkt der Verirrung und Entartung
des kirchlichen Wesens nicht im Auge hätte und auf Reinigung und
Besserung der Kirche hinarbeitete. Allein bei den im Folgenden zu
erwähnenden Schriften ist jener Gesichtspunkt und das Streben nach
Kirchenreform noch ungleich mehr vorherrschend und maassgebend.
Ich stelle voran eine Schrift, welche beides, den Verfall und die Reform
gleichmässig erörtert ; es ist dies
1. The Church and her members, Shirley, S. 4 6. Nr. 45. Zuerst
von D. Todd in Dublin 1851 veröffentlicht in Three Treatises by John
Wycklyffe , S. III — LXXX, nun aber nach einer weit besseren Hand-
schrift der Bodley - Bibliothek befriedigender herausgegeben durch
Arnold , Select works III, 338 — 365.
Ferner beschäftigen sich überwiegend mit Nachweis und Bekäm-
pfung des Verfalls der Kirche die zunächst folgenden Traktate :
2. De apostasia den', Shirley 46. Nr. 46. Abgedruckt von
Todd in Three Treatises , S. LXXXIII — CXII. und neuestens von
Arnold in Select ivorks III, 4 30—440.
Hier möge nicht unerwähnt bleiben, dass die Schrift: Of Ante er int
and his Jfeynee (Vom Antichrist und seinen Genossen' Shirley 46.
Nr. 48, welche D. Todd in den Three Treatises S. CXV — CLIV. gleich-
falls veröffentlicht hat, schon vonVAUGHAN im Monograph 539 folg. für
unächt erkannt und von Arnold, Select works Vol. I, Introd. VII.
gleichfalls einer späteren Zeit zugewiesen worden ist.
3. Antecrist and his clerkis traueilen to distroie holy writt, Shirley,
44. Nr. 33.
4. How Sathanas and his prestis — casten — to destroie alle good
lyuynge etc., Shirley 44. Nr. 34.
5. Speculum de Antichristo, oder How Antecrist and his clerkis feren
treue prestis fro preehyne/ of Cristis gospel bi four diseeits, ShIRLEY 4 1 .
Nr. 17.
6. Of feyned contemplative lif\ of songe — and worldly bisynesse of
prestis etc., Shirley 4 2. Nr. 26.
572
Anhang A. II.
7. Hou Satharms and Ms children turnen Werkes of mercy ypsodou n.
and disceynen men thereinne etc., Shirley 43. Nr. 29.
8. De duobus generibus haereticorum (Simonie imd Apostasie , Shir-
ley 48. Nr. 56. Abgedruckt in Select icorks III, 21 1 folg.
9. De Domi)} io divino, richtiger: Von Kirchengütern und Herr-
schaften des Klerus, Shirleyj 48. Nr. 58, vergl. Arnold, Vol. III,
Introd. VII.
10. Thre thingis distroien t/iis world, false confessoares , false men
of latve, and false merchaimtis, Shirley 42. Nr. 25.
11. De Pontifcum romanorum schismate , SlIIRLEY 48. Nr. 59.
abgedruckt in Select tuorks III, 242 — 266.
Vorwiegend mit der Kirchen re form selbst, den Mitteln und We-
gen zu diesem Ziele, mit Verteidigung der daran arbeitenden Perso-
nen, namentlich der Reiseprediger, und mit Vermahnung an andere,
sich dieses Werkes anzunehmen, befassen sich folgende Flugschriften
1 2 . Of good prcchyng prestis, Shirley 4 5 . Nr. 3 7 .
13. Why pore prestis han non beneßces, SHIRLEY 44. Nr. 32.
14. Lincolniensis , eine bisher unbekannt gebliebene Flugschrift,
welche Thomas Arnold in einer für englische Traktate Wiclif s sehr
wichtigen und viel benützten Handschrift der Bodley-Bibliothek erst-
mals entdeckt, und im III. Bande der Select works S. 230 — 232 ver-
öffentlicht hat. Der kurze, aber interessante Traktat beginnt mit der
Definition Grossetete's (daher die Ueberschrift : Ldneolnimsis für
einen aus seinem Kloster gegangenen Mönch, handelt jedoch vorzugs-
weise von den Anfeindungen der Bettelorden gegen »arme Priester«, und
fordert Ritter und Herren auf, sich der verfolgten anzunehmen, für
Christi Sache und die Besserung seiner Kirche zu kämpfen.
15. For ihre skilies lordis schulden constreyne clerkis to lyue in
mekenesse , icilful povert etc., Shirley 44. Nr. 35. Abgedruckt in
Select icorks III, 2 l 3—2 1 8 .
16. De vita sacerdotum, SHIRLEY 17. Nr. 53, abgedruckt in
Select works III, 233 — 24 1. Das Thema ist die Notwendigkeit, die
Kirchengüter zu secularisiren , und die Priester zu der apostolischen
A nnuth zurückzuführen .
F. Briefe.
I. Lateinisch (im Original) s. Kiiikley 8. 21. Nr. 61.
I . Litera missu Archiepiscopo Cantuariensi. Das Schreiben begrün-
det erstlich Wiclif's Grundsatz, dass die Geistlichkeit keine weltlichen
Herrschaften besitzen sollte; es bekämpft, im Zusammenhange damit,
den Kreuzzug in Sachen Papst Urban s VI. Der zweite Hauptge-
genstand des Schreibens ist die Lehre von der Wandlung im heil. Abend-
mahl, welche der Briefschreiber durch den Primas zu einer Entschei-
dung nach Maassgabe der heil. Schrift gebracht zu sehen wünscht.
Widifb Schriften.
Das Schreiben ist frühestens in das Jahr 1382, möglicherweise in das
folgende zu setzen. *
2. Litera mtssa episcopo Lincolniensi, offenbar an Bischof Johann
Bokyngham gerichtet, ist kürzer, und handelt ausschliesslich nur
vom heil. Abendmahl und der Lehre von der Wandlung : entweder
Ende des Jahres 1381 oder Anfang des Jahres 1382 geschrieben
3. Litera parva ad quendam socium (so Wiener Handschrift 1387.
f. 107.) Ein kurzes Belobungsschreiben an einen Gesinnungs- und
Kampfesgenossen.
4. De octo quaestionibus propositis, discipulo. Der unter Nr. 6 mit
dem Titel Depeccato in spiritum sanctum von Shirley , Catal. S. 22.
angeführte Brief scheint nichts anderes zu sein als ein integrirender
Theil des Briefes De octo quaestionibus, nämlich die Antwort auf die
erste Frage.
Der Brief De amore Nr. 5 bei Shirley ist Uebersetzuug eines
englischen Originals , s. unter EL Hingegen die Stücke Ad Urbanum
papam [Nr. I bei Shirley) und Ad simplices sacerdotes (Nr. 4 eben-
daselbst) sind beide nur vermeintlich nicht aber in Wirklichkeit Briefe.
Wir verweisen, was das letztere Stück betrifft, auf dasjenige,
was Band I, Kap. 5, S. 426 folg., sowohl im Text als in Anm. 4
darüber gesagt ist. Das angebliche Schreiben an Papst Urban VI., im
lateinischen Original von Shirley veröffentlicht, im Fasciculi zizaiuoruw
341 folg., ist frühe ins Englische übersetzt worden, jedoch mit freier
Paraphrase. Diese englische Bearbeitung hat zuerst Lewis im Anhang
zu seinem Leben Wiclif s, S. 333 ff. veröffentlicht, nach ihm Vaug-
hax, Life and opinions II, 122 folg. Neuestens hat Arnold, Select
worhs III , 504 — 506 auf Grund der beiden Originalhandschriften,
welche in England vorhanden sind , das Bruchstück kritisch genau
herausgegeben. Was den Inhalt und die Form desselben anlangt, so
verweise ich auf die Bemerkungen Band I, Kap. 8.
II. Englisch im Original.)
I. Ad quinque quaestio)ies Shirley, Catal. 4S. Nr. 57). Wiclif
beantwortet fünf Fragen eines Freundes und Gesinnungsgenossen über
die Liebe. Es ist kein Zweifel , dass der englische Text Original, und
der lateinische s. Shirley, Catal. 22. Nr. 61, 5 Uebersetzung ist;
denn mehr als einmal ist vom Lateinischen und vom Englischen so die
Rede, dass man annehmen muss, der Brief sei ursprünglich englisch ge-
schrieben. Und da Wiclif bemerkt, es sei schwer, diese Fragen in
englischer Sprache richtig zu beantworten, so glaube ich hieraus ferner
schliessen zu dürfen, dass dieser Brief in einen verhältnissmässig frühen
Zeitpunkt zu setzen sein möchte ; denn in seinen letzten Jahren hat
Wiclif so viel englisch geschrieben, dass in diesen eine derartige
Aeusserung nicht mehr erwartet werden kann. Diesen Brief hat
Arnold, Select tvorks III, 183 — 185 erstmals im Original veröffentlicht.
574
Anhang B. I.
B. Materialien aus Handschriften.
L
Wiclif, De Ecclesia c. 16.
Aus Handschrift 1294 der Wiener K. und K. Hof- und Staatsbibliothek
(Denis CCCCV.) f. 180, Columne 3.
Quinto arguitur per deducens ad familiäre inconveniens , scilicet: Si
beatus Silvester peccavit in recipiendo dotacionem ecclesie in per-
petuuni , sequitur a pari , quod collegia nostre universitatis verisiiniliter
peccarent in recipiendo teraporalia pro sustentacione perpetua pauperum
clericorum; et ita sequitur, quod tarn clerici Doinini Wy utoniensis ,
quam alii collegiati, tenentur non perpetuari, et per consequens movere
patronos ad dissolvendum privilegia perpetua, ut est de privilegiis per-
petuis concessis universitati nostre a rege , et sie de cantariis et aliis
elemosinis perpetuis. Revocetur, inquit, ista heresis, cum extingueret
devocionem populi, elemosinas perpetuas clericorum, et per consequens
cederet ad detrimeutum maximum pauperibus in futurum.
Hic dico primo, quod consequencia non procedit ; cum homo potest
facere nedum bonum de genere, sed bonum l) moraliter. et tarnen cum
hoc et in hoc peccare venialiter, ut ista pars habet dicere, »in fami-
liariori2} exemplo«: Nam Dominus Simon Hyslep, archiepiscopus
Cantuariensis, fundavit unum collegium in Oxonia 5 , plus pia intencione,
ut evidencius creditur , quam de fundacione cuiuscunque abbathie in
Anglia; et ordinavit, quod in ea4) sub forma laudabili studeant ad
utilitatem ecclesie pure clerici seculares, quod et factum est ; et tarnen 5)
ipso mortuo , symoniace cum commentis mendacii eversum est tarn pii
patroni propositum, et Ulis expulsis pauci alii non egentes sed divieiis
affluentes , irregulariter introdueti , contra decretum captum ex dictis
beati Jeronymi positum 12, qn. 2, 0 : »Gloria episcopi est pauperum
opibus providere : ignorainia sacerdotis est, propriis studere divieiis.
Et cum pretextu" illius fuci8) episcopus et suum capitulum sunt una
persona, a qua non licet alienare bona illius ecclesie, ista persona rendi-
cat bona illius collegii proprietarie possidere. Unde consulendum videtur
domino Wyntoniensi, ut caveat haue cautelam. Credo autem, quod
1) bonum] bene, Shirley, Fase. Zizan. 52(5.
2) familiär iori\ familiari, Shirl.
3) in Oxonia] MS. : in Üxonii.
4; in ea, MS., als wäre nicht collet/ium, sondern au la vorher gestanden.
5) tarnen] tum, Shirl.
0) Corpus jur. can. ; Decreti secunda pars, causa 12, quaestio 2, cap. 71.
7) pretexfa SlIIRLEY liest preiextum, vermuthet jedoch richtig pretextu ;
allein die Handschrift selbst hat in der That pretextu.
fuci, facti, Shirl.
Forma juramendi Arnaldi.
575
dictus Symon peccavit fimdando dictum collegium , sed non tantum,
quantum Antisymon, qui ipsum dissolverat. Sed, ut credo, nunquam
fuit ecclesia appropriata in Anglia, vel possessio in perpetuam elemosi-
nam mortificata, quin appropriatio sapuit peccatum altrinsecus.
Ulterius pro materia argumenta , affectarem , si Deus decreverit,
quod non foret in regno nostro talis ecclesiarnm appropriatio vel reddi-
tnum temporaliura mortificatio, scilicet quod totus clerus vivendo pure ex-
proprietarie, de decimis, oblationibus et privatis elemosinis sit contentus.
II.
Forma juramenti Arnaldi pape thezaurarii.
Handschrift 3929 der Wiener Hof- und Staatsbibliothek (Denis CCCLXXXV,
f. 246, Col. 1 — f. 247, Col. 2.
Hec est forma iuramenti Arnaldi de Granario *) , collectoris domini
pape Gregorii XI. in ecclesia anglicana. Et dividitur sacramentum in
X articulos: primo promittit et iurat ad sancta Dei evangelia, quod
erit fidelis et legalis regi et corone sue etc. 2).
Formidantissime [sie] domine mi rex! Ego Arnaldus de Granario,
reeeptor iurium s. patris nostri domini pape intra vestrum regnum Anglie
promitto et iuro ad sancta Dei evangelia, quod ero fidelis et legalis
vobis et vestre corone.
Nec faciam nec curabo nec paciar fieri nec procivrari aliquid quod
possit esse preindiciale et dampnosum vobis vel regno ac legibus vestris
vel iuribus et alicui de vestris subiectis.
Bonum et fidele consilium vobis dabo super quanto ex vestra parte
fuero requisitns.
Consilium vestrum ac regni vestri3), dum potero esse qnomodolibet
informatus, vel quodeunque feceritis me scire per literas vel alio modo,
celabo et secretum tenebo sine revelacione vel deteccione alicui persone
vive , nnde dampnum , preiudicinm vel dedecns possit sequi vobis vel
regno vestro.
Nullam execueionem literarum seil mandatorum papalium per me
vel per alium faciam vel fieri permittam, quod possit esse displicens et
1) MS. : Grauario.
2 Die hier folgende kurze Inhaltsangabe lasse ich um so mehr weg.
als der vollständige Wortlaut des Eidsclrvvurs selbst hier abgedruckt ist.
3) Hier und an vielen andern Stellen habe ich die Interpunktion,
-welche, wie die Textgestalt überhaupt, in der Handschrift höchst mangel-
haft ist, dem Sinne und Zusammenhange gemäss berichtigt; wobei mir der
bei Rymek, III, 2 f. 933 folg. gegebene französische Text erwünschte
Dienste geleistet hat.
576
Anhang B. II.
preiudiciale vestre regali maiestati nec vestris regalibus legibus ac
iuribus nec alicui de subiectis vestris.
Nullas literas papales et alias recipiam, si non illas portem tradam
etdeliberem, quam cito potero, consilio vestro, antequam fuerint publicate
vel tradite alicui alteri persone vive.
Nullum thezaurum vestrum vel regni vestri pape vel cardinalibus
aut alteri persone cuicunque in moueta vel massa auri vel argenti, per
literas Cauabii aut aliter transmittam, nec aliquanter l) literas quascun-
que mandabo extra predictum regnum vestrum , antequam super hoc
habuero specialem licenciam de vobis aut vestro consilio.
Honorem vestrum et statum, leges vestras, regalias et iura custo-
diam et defendam inviolabiliter pro posse meo ;
Et quod non transibo extra regnum Anglie sine speciali licencia
regis per literas sui magni sigilli,
sicut Deus me adiuvet et sua sancta evangelia, secundum scire
meum !
Hec facta sunt in pallacio Regis in Westmonasterio XIII0 die
Februarii Anno domini MCCCLXXII,
praesentibus domino Roberto Thorp cancellario,
domino Ricardo de Scrop , thezaurario Anglie.
domino J. Nevyle, Senescall,
Nicol. Caren, custode sacrati sigilli,
domino Joh. Knyvet, iusticiario Regis,
domino Henrico Wakfeld, thezaurario domus Regis,
domino Henrico Snayth, cancellario stactarii -) .
domino Ricardo de Rauenesher, clerico de Haneper,
J. de Burncester
et Wilhelmo Tyrygtan, notario Regis.
Folgt Wiclifs Beleuchtung und Gutachten.
De istis 1 0 articulis provideat prudenti examine discretum regis
consilium, utrum dominus collector incurrebat magnum periurium. Nam
in secundo iurat, quod nec faciet aliquid nec procurabit nec permittet
fieri aut procunu i, quod possit esse preiudiciabile aut dampnosum regi,
regno, legibus vel subditis regis nostri. Numquid credimus, quod ex-
haustus tanti thezauri ad curiam sine recompensa corporalis aut spiri-
tualia Buffragii sit tarn preiudiciabile aut dampnosum? Videtur, (juod
sie ; cum regnum nostrum iam sensibiliter pereipiens illud gravamen de
ipeo conqueritur. Quantum ad retribucionem corporalis suti'ragii, dieunt
experti, quod non nostri sed inimici nostri cum thezauro per ipsum ex-
1) aliquanter ist blosse Vermuthung , da die Handschrift nur die Ab-
kürzung aliqe hat, und der französische Text, in welchem dieses Zwischen-
sätzchen fehlt, keinen Anhalt bietet.
Denkschrift über den Eid des päpstlichen Einnehmers. 577
tiacto de Anglia relevantur. Et quantum ad spirituale suffragium, non
videtur dacio taute pecimie esse nobis elemosinaria aut meritoria, dum
a nobis iiiuitis, nec ad pios usus nec egenis aut pauperibus , sit extorta,
sed pocius videtur prepositis nostris dampnabilis et per consequens
dampnosissima quoad Deum, cum secundum theologos. qui potest emen-
dare delictum et negligit, constituit se delicti participem quoad Deum.
Si dicatur, quod uon potest esse preiudiciabile quod summus pon-
tifex arbitrato, quia, quod Uli principi placuerit, legis habet vigorem ;
imo supposito, quod dictus collector incurrat periurium, habet pres-
bitero sibi assistenti commissam potestatem ad absoluenduin eum, quo-
tiescunque in ipsum incurrerit, ita plene , sicut absoluerit dominus
noster papa.
Quoad primum, videtur quod sapit1) calumpniam , cum dominus
papa sit satis peccabilis , imo per idem, si voluerit, conquireretur sibi
regimen Anglie, vel transferre in alios foret iustum. Et quoad secundum,
videtur, tarn sophistica et subdola illusio consilii regis nostri foret tarn
preiudicialis quam dampnosa regi nostro2) et omnibus incolis regni
sui. Ideo cum secundum sapientem »qui sophistice loquitur, est Deo
odibilis«3), non debet supponi tarn vulpina calliditas in patre nostro
sanctissimo vel in eius venerabili collectore ; nec per idem supponi debet
dolosa quorundam opinio, qui dicunt , quod in omni iuramento subin-
telligenda est condicio : »si pape placuerit«, vel : »nisi ipse decreverit
aliter faciendum«, quia tunc foret esse superfluum , regnum nostrum de
ministris papalibus recipere aliquod iuramentum. Et idem est iudicium
supposito, quod post iuramentum iurans protestatus fuit coram notariis,
quod sie fecerat metu mortis. Quomodo, rogo, suppositis cautelis huius-
modi »finis controversie et pacis signaculum fuerit iuracio« 4) ?
Item , inquit , foret tarn preiudiciale quam dampnosum , regnum
Anglie tantum depauperari pecunia, quod assistente invasione hostibus 5 ,
rex non haberet unde dispertiretur exercitui suo Stipendium, qui hostes
invaderet et regnum regis ac pape ecclesiam a destruccione defenderet.
Utrum autem talis paucitas pecunie possit regno nostro contingere ex
subtraccione thezauri regni nostri ad curiam romanam , relinquendum
est super iorum iudicio, qui noverant statum regni.
Imo cum dictus collector sit iuratus in tertio articulo, quod bonum
. et fidele consilium dabit regi et regno, super quocunque. super quod
seiverit [sie] fuerit requisitus : videtur, quod parliamentum debet onerare
eum virtute iuramenti prestiti, quod vere dicat sibi. quantum de pecunia
1 sajrit] MS. : capit.
2) nostro] MS. : nostri.
3 Proverb. 12, 22. Vulg. : Abominatio est Domino labia mendacia.
4) cf. Hebr. 6, 16.
5) So das MS. Ich vermuthe : insistenie invasione hostium; oder insistente
invasione hostibus, wobei der Dativ hostibus mit invasio so verbunden wäre,
dass die Worte bedeuten sollten: Angriff auf die Feinde. In ersterem Fall
wäre von einem Defensivkrieg die Rede, in letzterem von einem Offensivkrieg.
Lechler, Wiclif. II.
37
578
Anhang B. II.
vel aequivalenti pro uno anno transmisit ad curiam vel promisit aut
sciverit transmitti, vel quantum de Omnibus bonis ecclesie anglicane, que
papae vendicat, superest transmittendum. Si enim super hoc oneratus
negat vel dissimulat dieere veritatem , non videtur quod sit fidelis vel
legalis corone, sicut dicit primus articulus iuramenti. Hoc autem cognito
potest parliamentum discernere, si transmissio talis, que iam est copio-
sior , pensata proporcione ad residuura thezaurum regis, eidem regno
preiudicialis fuerit vel dampnosa. Item cum regni prosperitas stat in
complecione pie elemosine, secundum formam qua rex et domini regni
nostri dotarunt singulariter ecclesiam , quomodo non foret prejudiciale
et dampnosum extrahere elemosinas predictas ad curiam , ex quarum
defectu foret complecio tarn pie elemosine dissoluta? Cum enim dei
suffragium sit prestancius quam humanum, et torpere in defensione iuris
divini sit gravius, quam omittendo defendere ius humanum, videtur.
quod talis thezauri regni extraccio eclipsat a regno divinum subsidium.
et implicat patronos, heredes fundatorum, in periculosa voragine pecca-
torum ; permittens autem et procurans hec fieri non potest evadere quin
permittit aut procurat preiudicialia et dampnosa regi, regno, legibus et
subditis regis nostri, quod manifeste obviat iuramento ; nam leges Anglie.
que currerent super indigenis sustentatis ex dictis elemosinis, deficiente
robore populi nostri, et multiplicata gente extera1) nobis contraria, sunt
frustratae 2) .
Item cum omnes sacerdotes vel clerici de regno Anglie, qui sol-
vunt curie primos frnctus, coacti sunt per dictum collectorem sub pena
gravis excomm'unicacionis deferre sibi Londonias valentem illorum fruc-
tum, non in decimis vel rebus sacris, sed in moneta regis nostri, que
est res purissime temporalis, quomodo sie exsequens tales censuras non
facit preiudicium tarn regni nostri legibus quam personis? Legibus qui-
dem, quia per censuras cogit, ut sacre deeime in bonum mere temporale
mutentur , etsi sine remedio regis Anglie , eciam supposita iniuria.
deferantur ; persone autem , que sunt legii homines regis nostri , non
defenduntur in pristina Ubertate, cum ex uno latere necessitati sunt ultra
solitum 3) facere expensas non inodicas et labores ; ex alio autem latere.
cum oportet eos vivere, sustentacionem extorquent a subditis pauperibus,
et debitum Dei ministerium pretermittunt. Et isti 4j licet parvipendantur
a superioribus, qui ipsa non senciunt, decrescit regni prosperitas, quia
secundum sapientem »qui contempnit modica, paulatim deeidit« 5) .
Item iuxta quintum articulum iuramenti dictus collector non debot
exequi literas vel mandata papalia per se vel per alium, que possent
esse'1 displicuncia aut preiudicialia regiae maiestati, regni legibus vel
1 extera MS. : exteri.
2) frustratae' MS. : frustrata.
3} solituw] MS. : solicitum.
4) isti so MS.; ob vielleicht ista zu lesen, sei hier nur gefragt.
•"> Sinich 1!», I.
6) esse] MS. : ex se.
Denkschrift über den Eid des päpstlichen Einnehmers. 579
subditis. Sed constat ex facto eius notorie, quod sie facit. Ideo , ut a
umltis creditur, est periurus. Si enim prestaret hodie idem iuramentum
quod prius, sicut videtur multis quod foret adhuc , creditur , quod exe-
eucio sui officii regi nostro, licet in etate iuvenili florenti, et omnino r)
suo consilio racionabiliter displiceret, et, si non fallor, displiceret maiori
parti populi anglicani. Ex istis videtur, quod literas quascunque de
curia romana reeepit vel transmisit in ista materia, facit preiudicium
regno nostro contra quartam , sextam et octavam partem iuramenti ; et
per consequens nec honorem regni nec eius statum prosperum custodit
vel defendit, sed omnino oppositum, contra nonum articulum iuramenti.
Et sie si decem iuramenti particulae distinete et particulariter sint
discussae, forte dictus collector iuveniretur periurus in Deum et homines,
et per consequens prevaricator decalogi mandatorum. Lex itaque
correpeionis fraternae urget regnum nostrum, prevaricatori tarn intoxi-
cabili resistere et radicem tanti 2) deo et regi odibilem cum suis compli-
eibus extirpare, specialiter pensata natura legis caritatis et pacienciae
Christi vicarii et natura legis elemosinae bonorum. Si enim layei non
extorquent a papa suffragium spirituale plus debitum , multo magis
interest papae, qui in humilitate et paciencia excederet laycos, elemo-
sinam praeter evangelium mendicatam exeommunicacionibus vel tradi-
cionibus aliis3) extorquere. Sic enim posset papa christianismum
paupertate et paciencia martirum conquisitum dirimere a domino quan-
tum 4) . Et idem videtur beatum Bernardum innuere libro tertio ad
Eugenium sie asserentem, quod papa solum in spiritualibus ut humili-
tate, caritate et paciencia superat seculares ; alioquin, inquit, quo pacto
te reputes superiorem bis, a quibus beneficium mendicas5;? Nec vide-
tur, quin liceret in prineipio exeommunicare pro elemosina , sicut post
eius subtraccionem, postquam fuit gratis 6) repetita etc.
1) omnino] conj. omni.
2) Hier ist entweder zu lesen tante, ein Adverbium, das nicht selten
bei Wiclif vorkommt, oder, falls tanti ächt ist, müsste ein Wort wie mali
oder peccati u. dgl. ausgefallen sein.
3) Wenn ich nicht ganz irre , muss vor dem Infinitiv non ausge-
fallen sein.
4) velit, libet, oder ein ähnliches Verbum ist vom Abschreiber hier
ausgelassen worden.
5) Bernhard von Clairvaux, De consideratione.
6) gratis] MS. : gracius.
37*
580
Anhang B. III.
m.
Sernio IX. über Luk. 8, 4 — 15.
XL Sermones. Handschrift 3928 der k. k. Hof- und Staatsbibliothek in
Wien, (Denis CCCC.) fol. 207. Col. 2. — fol. 210. Col. 2.
Leider ist derjenige Theil dieses Bandes, welcher fol. 193. Col. 1. bis
fol. 253. Col. 2. die vermischten Predigten enthält, von einem Menschen ab-
geschrieben, der ziemlich unwissend war, und der, was noch schlimmer ist,
sehr fahrlässig dabei verfuhr.
Constat ex serie evangelii, quod Salvator noster Dominus Jesus
Christus crebro locutus est suo auditorio in paraholis, nunc ut sententia
latens et salubris in patente parabola fortius memoranter imprimatur,
sie enim docemur artificialiter per domos et imagines memorari, nunc
ut audientes ob pönam sui demeriti minus intelligant, et ut proprietas
naturalis tarn exempli quam exemplati philosophice doceatur. Sic enim
secundum beatum Augustinum scriptura sacra continet omnem veri-
tatem philosophicam. Et propter primam causam et tertiam totus populus
Palaestinorum et multorum, inter qaos Salvator noster conversatus est,
intentus fuit parabolis. Et ideo condignum valde fuit, quod evangelium
Christi, medium inter Vetus Testamentum et epistolas apostolortim.
partieiparet conditionibus utriusque.
Sed inter omnes parabolas Salvatoris nullam significautius et aper-
tius legitur doeuisse quam parabolam seminantis. lpsam enim dignatus
est suis diseipulis seorsim exponere, ultra quam sufficit humana fragili-
tas comprehendere. Unde ante expositionem factam de terra quadru-
plici seminata declamat in haec verba: »Qui habet aures audiendi
audiat 1) !
Semen itaque secundum expositionem Salvatoris est verbum Dei2).
Ex quibus verbis elicio michi tria fraternitati vestrae per ordinem decla-
randa : primum est de dispositione spiritualis seminis, secundum est de
dispositione seminantis, et tertium de congruentia sive convenientia tem-
poris seminandi.
I. Pro quo advertendum , quod »semen« aeeipitur tripliciter in
scriptura, primo pro materia decisa a vivo habente in se virtutem incli-
nativam ad animatum consimile in forma et in specie produeendum, sive
sit terrae nascentium et natatilium 3) , quorum semen est constans, cum
non habet appropriatum reeeptaculum, sive formale et liquidum ut semen
gressibilium vel volantium 4) , unde Genesis 1 . »Protulit terra herbam
viventem et facientem semen juxta genus suum.« Secundo aeeipitur pro
individuo seminantis ex tali semine produeto, ut Genesis 3 : »Inimicitias
ponam inter te et mulierem, et semen tuum et semen illius.« Tertio ac-
1) Luc. 8, 8.
2) Luc. 8, 11.
3) Pflanzen und Fische.
4) Vierfüssige Thiere oder Vögel.
Predigt über das Gleichniss vom Säemann.
581
cipitur pro quocunque opere viatoris digno merito vel demerito, uude
Gal. G: »Quae enim seiniuaverit hoino, haec et metet.«
Semini ergo primo modo dicto similatur verbum Dei, quia decidi-
tur non a quocunque vivo, sed ab angelo ecclesiae1), sacerdote videli-
cet Doinini, misso ad gignendum et nutriendum populum verbo vitae.
Habetque verbum debite praedicantis vocem formatam pro suo materiali,
et vim mentis, quae secuudum praecipuos philosophos multiplicatur 2)
cum voce, pro suo formali. Hinc enim secundum magicos naturales
habent verba sapientis incantationem suam efficaciam, quantumlibet
distantia transmutando , sine hoc quod taliter transmutent medium.
Verbum itaque praedicantis est materiale quoddam decisum a vivo,
habetque in se quandam virtutem seminalem datam dcsuper ad produ-
cendum novam creaturam ; quia non dubium quin praeter vocem et vim
animae oportet esse interius verum doctorem, qui meutern illuminet et
veritatem ostendat. Cum igitur ille magister utitur voce tanquam
organo, non mirum si in illam redundet virtus inclinativa ad spiritua-
lem hominem producendum. Et illuin sensum praetendit apostolus
I. Corinth 4. »In Christo Jesu per evangelium ego vos genui.« Ecce
praemittit Christum Jesnm tanquam opificem principalem. Quia Ja-
cobi 1 . scribitur : »Yoluntarie genuit nos verbo virtutis, ut simus initiuni
aliquod creaturae ejus.« Et hinc concipientes in animo verbum divinitus
seminatum et foventes calore caritatis, donec formetur in eis Christus.
matres ejus sunt. Unde Matthaei 12. Salvator dicit : »Quicunque fecerit
voiuntatem patris mei qui in cölis est, ipse meus frater et soror et
mater est.« »Frater« quidem propter ydemptitatem patris cölestis, se-
cundum interiorem hominem renovatum ; et »soror« secundum naturam
corpoream , quae quamvis est diflormis sexus , tarnen fragilior ; et
»matera propter minfstrationem gignitionem et nutritionem Christi in
anima contriti 4 . cui per se debetur opera fervida caritatis ; oportet
enim merentem ad actum suum meritorium active concurrere, sed opor-
tet matrem coagere4) ad formationem suae prolis. Et illam affinitatem
secundum narratum ordinem oportet quemlibet natum denuo habere ad
Christum secundum humanitatem, et per consequens esse filium ejus
secundum divinitatem, ut dicitur Jacobi 1. et I. Joh. 3.
0 stupenda virtus divini seminis, quae fortem armatum superat5),
corda quasi lapides indurata emollit, et homines per peccata conversos
in bestias et infiuitum aDeo distantes6) renovat et transmutans in homi-
nes facit deiformes! Non dubium, quin tarn summuni mirabile non pos-
set verbum sacerdotis perficere, nisi principaliter coefnciat calor spiri-
1) Cf. Apocal. 2, 1. S. 12 etc.
2) tnultiplieatur] MS. : multipliciter
3} contriti] MS. : con11.
4 i. e. cooperari. ^— ^
5 superat] Conjectur. Die HS. hat die Abkürzung : erat. Anspielung
auf Luk. 11, 21 folg.
6 distantes) Conjectur; das MS. hat deutlich: disputantes.
582
Anhang B. III.
tus vitae et verbum aeternum; unde Matthaei 10. scribitnr: »Non enim
vos estis qui loquimini, sed spiritus patris vestri, qui loquitur in vobis.«
Sed proh dolor! his diebus est verbum sacerdotis quasi semen
decisum a mortuo ! Et cum influentia cölestis Semper agit secundum
dispositionem materiae, non mirum, si verbum exhortationis tantae effi-
caciae non sit sicut olim. Unde manifestum est, quod praecipua causa
mortificationis spiritualis in populo, et per consequens totius nequitiae
regnantis in seculo, est defectus vel mortificatio seminis verbi. Sed
unde quaeso tarn perniciosa radix peccati? Revera »inimicus homo«
surrepens in animas sacerdotum, superseminavit zizania1)! Nunc enim
si quis loquitur, non quasi sermones Dei2), sed gratia extraneandi prae-
dicabit gesta, poemata vel fabulas extra corpus scripturae, vel praedi-
cando scripturam dividet ipsam ultra minuta naturalia, et allegabit
moralizando per colores rithmicos, quousque non appareat textus scrip-
turae sed sermo praedicantis 3) tanquam auctoris et inventoris primarii .
Et ex illa affeetione dyabolica, qua quilibet appetit a se ipso, et non ab
alio, habere talia, insurgit tota vitiosa novitas hujus mundi. Propter
hoc autem fiunt divisiones sermonum, divisiones ornamentorum et alio-
rum artificialium ultra solitum. Et non dubium quin istae divisiones vel
causant vel pronosticant divisiones in moribus. Et ex hinc »refrigescit
Caritas multorum«4), quae est junctiva virtus, non quaerens ambitiöse
quae sua sunt sed quae domini Jesu Christi 5) .
Sermo ergo perversa intentione sie infectus in radice, et fueo 6) alli-
gatus in germine est verbum mortuum et dyabolicum, et non verbum
domini nostri Jesu Christi, quia juxta confessionem beati Petri »verba
vitae habet« 7) , et secundum alium apostolum »verbum domini non est
alligatum« 8) .
Sed ut praedictum peccatum jactantiae magis appareat et cautius
caveatur, quod tarn latenter et nequiter perdit oves Christi fame refec-
tionis spiritualis, recitabo tres criderttias inventas a sie superbientibus ad
excusandas excusationes in peccatis.
1. Dicunt enim, quod uisi addiderint aliquas novitates ultra modum
praedicandi solitum ab antiquo, non foret differentia inter theologum
quantumlibet subtilem in seminando verbum Dei , et sacerdotem . . !))
quantumlibet exiliter literatum.
Sed quid praetendit ista sententia nisi cupiditatem inanis gloriae,
1) cf. Matth. 25. 2S.
2) cf. I. Petri 4, 11.
3) j)raedicantis) Conjectur, während im MS. steht: sermo primus dicantis.
4) cf. Matth. 24, 12.
5) cf. Philipp. 2, 21.
6) furo] MS. : fugö.
7) cf. Joh. «, 68.
8) cf. II. Timoth. 1, 9.
9) Hier steht in der Handschrift ein Wort, welche« so abgekürzt ist,
dass es unlesbar wurde; dem Sinn entgeht durch diesen Umstand nichts.
Predigt über das Gleichniss vom Säemann.
583
qua aflectamus »nos ipsos« praedicare et non dominum Jesum Chri-
stum1)? Cum tarnen apostolus Galatas 5. monet, et specialiter nos
ecclesiasticos, quod non simus inauis gloriae cupidi, invicem provocan-
tes, invicem invidentes 2) . Inanis gloriae cupidus est qui innititur divi-
sionibus et texturis verborum, ut reputetur subtilis ab auditorio. Uli
autem »invicem provocant et invicem invident«, qui nedum divisiones3)
thematis sed cujuslibet auctoritatis occurrentis ingeminant, ut aliis sub-
tiliores appareant.
Non sie, carissimi, sed imitatores simus nostri domini Jesu Christi,
qui cum in forma Dei esset4), humiliter confessus est Joh. 7 : »Doctrina
mea non est mea sed ejus, qui misit me, patris ; quia qui a semet ipso
loquitur, proprium gloriam quaerit5).« Et revera haec est inanis gloria
et fallax: mams quidem, quia gloria in confusione eorum6) qui terrena
Bapiunt ; inanissima ergo est gloria laudis , cui quanto quis ardentius
innititur, tanto abjectius et confusibilius dejicitur. Est etiam summe
fallax, quia tales »dicentes, se esse sapientes, stulti facti sunt eo, quod
niutarunt gloriam incorruptibilis Dei in shnilitudinem imaginis corrupti-
bilis hominis« ") . Et indubie haec est sapientia terrena et per conse-
quens dyabolica^;. Quae quaeso magis dyabolica sapientia, quam
honorem proprium honori divino praeponere, et dare occasionem extra-
neando et se ipsum exaltando per grandia verba et commenta, ne sini-
plices audeant praedicare ? Non dubium quin ista sapientia sit expresse
caritati contraria et per consequens mere dyabolica.
2. Secumlo^ movet praedictos inaniter gloriantes, quod de lege
naturae forma Semper proportionanda est ejus materiae ; cum igitur
materia theologica sit perfeetissima, consequens est, quod forma nobilis-
sima et pulcerrima sit sibi tribuenda : sed hujusmodi 10) est color rheto-
ricus et colligantia rithmica. Sic enim secundum auetores eloquentia
perficit sapientiam.
Sed sie arguentes graviter peccant tarn in materia quam in forma :
in materia quidem, quia assumunt, quod forma sapientiae sit lepor ver-
borum, et sie in re dicunt »bonuni malum et malum bonum , et lucem
tenebras 11 «. Sed quod pejus est, dum declamatorie sie loquuntur sapien-
tiam quae ex solo Deo est, formam metricam induunt sibimet usurpando,
ad quam quidem induitionem est labor in curiose componendo, labor in
1) II. Corinth. 4, 5.
2 et'. Galat. 5, 26.
3; dicisiones MS. . divisionis.
4 cf. Phil. 2, (> ip uo^ffij (htoii.
5) Joh. 7, 16. Ib.
(i d. h. weil es ein Ruhm ist darin bestehend, dass zu Schanden ge-
macht werden solche die irdisch gesinnt sind.
7] cf. Rom. 1, 22. 23.
8) cf. Jac. 3, 15.
9) secundo MS. : secunda.
10) hujmmodi] Conjectur. MS. : hujus.
11) Jesa. 5, 20.
584
Anhang B. III.
pueriliter repetendo, et labor in composite proferendo ; et in omnibus
istis propter carentiam fructus et aggravationem scelerum est vanitas
vanitatum et afflictio Spiritus. Respiciamus igitur ad formara, - qua
sapientia theologica anostris1) auctoribus est inducta, et instar illius
coaptemus formam verborum cum ipsis exhortationibus. II. Corinth. 2.
scribit apostolus : »Non enim sumus sicut plnrimi adulterantes verbuni
Dei, sed in sinceritate, sicut ex Deo, coram Deo Christo loquimur.
Quid roga est praedicatorie wdulterare verbum Dei« ? Scilicet invol-
vendo ipsum in peplis et in aliis ornamentis meretriciis, extraneis a
scriptura, abuti ipso ad ejus voluptuosam ostentationem, et sie a sponso
excludere florem ejus et fruetum, qui est honor Dei et conversio proximi.
Et quid est »in sinceritate loqui«, nisi clara intentione, mule et apfe
loqui veritatem quae aedifieat? Tunc enim praedicator loqnitur »ex
Deo« et non de extraneo sibi 2) vel extraneis impertinentibus ad salutem
animae. Et cum »hominem Dei« 3) habet principaliter prae oculis, ad
gignendum Christum in anima sponsae suae, non dubium quin »coram
Deo in Christo« loquitür4), coram Leo quidem, et non latenter more
adulteri in angulis falsitatis : in Christo etiam loquitur, qui est lux mun-
di, tanquam sibi nihil conscius, et non in tenebris peecatorum. Nec
caret5; scriptura nostra eloquentia sibi debita, sicut egregie declarat
beatus Augustinus De doctrina Christiana c. 6G) : »Quareret forsitan
aliquis. utrum auetores nostri, quorum scripta divinitus inspirata cano-
nem ") nobis saiuberrima auetoritate fecerunt , sapientes tautummodo
aut eloquentes v nuneupandi sunt9)? Quae quidem quaestio aput me
ipsum et aput eos, qui mecum quod dico10) sentiunt. faciliime solvitur.
Nam ubi eos intelligo, sicut eis nichil sapientius ita etiam nichil elo-
quentius michi videri potest. Et audeo dicere. omnes qui recte intelli-
gunt quae ipsi loquuntur, simul intelligere, eos non aliter loqui debu-
isse. Sicut enim est eloquentia, quae magis aetatem juvenilem decet.
est quae senilem', neejam11) dicenda est eloquentia. si personae non
congruat eloquentis : ita est quaedam quae viros summa auetoritate
1) a nöstris] MS. : amrs. Unter nostri auetores versteht Wiclif, wie auch
Augustin in der sogleich folgenden Stelle, die biblischen Schriftsteller.
2 seil. Deo.
3) cf. II. Timoth. 3, 17.
4) cf. II. Corinth. 2. 17.
5) caret MS. : carent.
6) De doctrina christiana Lib. IV, c. (). am Anfang. Das Chat weicht in
unbedeutenden Dingen von dem Text der Mauriner Ausgabe Augustin s
ab, ist aber in der vorliegenden Wiener Handschrift sehr fehlerhalt wieder-
gegeben.
7) scripta divinitus inspirata canonem) MS. : scriptura Dei intus in-
spirata canone.
8) aut eloquentes) im Original bei Aug.: an eloquentes etiam.
9) sunt) Aug. : sint.
10 quod dico] MS.: quodammodo.
I 1 jam MS. : illa.
Predigt über das Gleichniss vom Säeinann.
5S5
dignissimos planeque divhios decet. Hac ipsi locuti sunt, nec ipsos
decet alia nec alios ipsa ; quanto enim videtiir humilior, tanto altius.
non ventuositate sed soliditate, ascendit.« Haec Augustinus. Utinaui
ecclesiastici iwstri moderni sie saperent de scriptura ! Tunc enim forent
longe plures pugiles pugnautes in campo spiritualis militiae cum gladio
spiritus, quam sunt modo.
3. Tertio movet praedictos hypoeritas, quod quidam libri hymnici 1
et prophetici Veteris Testamenti contexti sunt metrice, sicut patet de
libro beati Job pro parte, et de aliquibus libris Salomonis : professor
igitur hujus textus debet se conformare suae auetoritati specialiter, cum
metrum juvat animos paucis compreliendere niulta.
Sed constat, quod illud dictum t'aeit ad opposita. Nam aliud est
canticum laudiß vel prophetam canere, et aliud verba exhortationis disse-
rere; quoad prtmum juvat sermo metricus, sicut patet ex laudabili usu
canticorum ecclesiae ; sed quoad sensum , non dubium quin colores
moderni confundunt intelligentiam sententiae, tarnen quia communiter
obscurius profertur sententia praetextu vocalis concordiae, tarnen etiam,
quia auditus assistentium sentiens pruriginem in verbis nietricis, plus
attendit ad signa sensibilia quam signata ; et cum sensationes imperti-
nentes mutuo se confundunt, patet quod colores moderni abstrahunt a
coneeptu sententiae, etsi quandoque juvent memoriam eloquentis, unde
more attendentium ad melodias musicas pro magna parte animo obver-
satuf2 ex modernis sermonibus nisi pro tempore :3> auditoris4) titillans
delectatio et forte praedieatoris de sua subtilitate ventuosa laudatio.
De tali igitur dyscrasia morali populi christiani potest 5; verificari
illud apostoli Timoth. 4: »Erit enim tempus, cum salvam doctrinam
non sustinebunt sed ad sua desideria coacervabunt sibi magistros, pru-
rientes auribus a veritate quidem auditum avertent, ad fabulas autem
convertentur6) .« Revera completio hujus prophetiae instat hodie, cum
major pars potentatum ecclesiae sit tantwn dedita temporalibus, quod
seminantes doctrinam salutiferam reputant jure stolidos, et hinc juxta
sua desideria coacervant sibi ecclesiasticos, qui omnes dicunt se »magi-
stri« [sie populi. Et signanter dicit apostolus, quod »coacervant« et non
quod »ordinant«, cum ecclesiastici dicunt esse mfirmis" firmum defen-
] hymnici] MS.: ympnidici.
2) obeersatur] beruht auf Vermuthung, da gerade diese Stelle verzweifelt
undeutlich und mit Abkürzungen geschrieben ist; das Wort sieht in der
Handschrift eher wie repetatw aus , wo indes der Conjunctiv in den Zusam-
menhang nicht passt.
3) pro tempore Vermuthung: denn die Abkürzung an dieser Stelle
führt eher auf quam tempore.
4 auditoris ebenfalls Conjectur, als Gegenstück zu praedieatoris ; denn
hier steht eine Abkürzung, die ich nicht zu enträthseln vermochte.
5^ potest\ MS. : possunt.
6'j II. Timoth. 4, 3.
7) injirmis "Wenn dieses Wort richtig gelesen ist, wofür ich nicht bür-
gen kann, so ist es Dat. commodi.
586
Anhang B. III.
sorium contra kostes, tanquam turris stans appropinquata cum propu-
gnaculis. Sed modo sunt impolliti et inordinate positi propter defectum
convenientis scientiae et caritatis, et sie coacervati quasi materiae de-
pulsae a gradu spiritualitatis ad gradum summum mundanae vanitatis,
in tantum quod religiosi quidam propter ambitionem temporalium egressi
claustris commixti sunt inter gentes et didicerunt opera eorum l) . Et
revera haec est horrenda monstruositas sponsae Christi, et verisimiliter
praesumitur, quod sit occasio perturbationis totius christianismi , cum
secundum Lincolniensem2) »claustralis, propter ambitionem tempo-
ralium sie egressus, sit sicut cadaver mortuum, pannis funeralibus in-
volutum, de sepulcro egressum, a dvabolo inter homines agitarum.« Quid
mirum igitur, si perturbatio sit consequens tale monstrum?
Tales igitur magistri sie spissim coacervati ingerunt pruritum auri-
bus mundialium. dum alii in monachantibus vel machinantibus lucro j
temporalium solum intendunt, alii lautis refeetionibus, largis muneribus
et fictis adulationibus populum pascunt. Et alii palliantes verba doctri-
nae, dimissa annuntiatione sceleris , populi vanos applausus auditorio
rhetorice referunt. Et cum in rebus insensibilibus et aeternis potissime
sit veritas, et in istis transitoriis propter eorum mutabilitatem fabulosa
fallacia, patet, quomodo moderni a veritate auditorium avertunt ad4
fabulas convertentes. Nam si quis hodie veritatem theologicam annun-
ciat, non auditur sed spernitur tanquam vaniloquus : sed tractanti nego-
tia secularia statim intenditur, quod sine dubio est signum carnalitatis
et extinetionis vite spiritualis, quia spiritualis homo appeteret refici eibo
spirituali, quo viveret; et talis appetitus induratus in homine est evi-
dens signum mortis.
Patet igitur cuilibet nutrito5; in philosophicis. quod quaecunque
media ordinata ad finem aliquem de tanto sunt aptius proportionata, de
quanto compendiosius et copiosius dueunt ad finem illum. Cum igitur
seminatio verbi Dei sit medium ordinatum ad honorem Dei et aedifica-
tionem proximi, patet, quod, quanto compendiosius et copiosius hoc
facit, de tanto est aptior. Sed non dubium quin plana locutio de perti-
nentibus ad salutem sit hujusmodi, ideo ista est eligenda, declamatione
heroica 6j postposita. Idem enim secundum Jeronimum7) est loqui sie
populo et miscere semina cum floribus ne radicent 8) . Et secundum
Lincolniensem cum praedicatores sint ubera sponsae, sie loquentc-
deludunt populum, ac si nutrix divaricativam porrigeret infantulo, ne lac
1) cf. Hose. 7, 6; Jerem. 10, 2.
2) d. h. Kobert Grossetete, Bischof von Lincoln.
3) lucro) Conjectur; die Handschrift hat: lucrutii.
4) ad] MS. : et ad.
5; nutrxto) MS. : utrumque nutrito.
6) heroica] MS. : eroica.
7) Hieron.
8) ne radicent) Conjectur; die Handschrift hat: ne ut dicent.
9j loquentes) Conjectur ; die Handschrift hat . loqueudi.
Predigt über das Gleichniss vom Säemann.
587
sugat. et ac si dispensator mensuram furfuris et non tritici daret fanri-
liae domini sui1); non enim nitilante cortice verborum sed adipe fru-
menti satiavit nos Dominus 2 .
Sic ergo consumto calore caritatis ad intra, et relueente nitore
verborum ad extra, sunt praedieationes modernae tenebritatae1, nocte
ignorantiae sensibilia innominata ut squamae ad quercum putridam4;:
sed esus talium secundum philosophos est mortiferus, sterilisans eden-
tem ; ideo consulitur metrice, quod
lueens de nocte
non comedatur a te !
Non sie, sacerdos Domini, sed sicut in Veteri Testamento ordinati
sunt sine defectu in naturalibus quoad corpus, sie in5) Novo Testamento
eorrespondenter ad figuram babundent in spiritualibus et specialiter in
fideli dispensatione divini seminis. Sicut enim inter omnes actus hier-
archieos6) ecclesiae militantis est") fidelis seminis ministratio Deo ma-
xime placita : sie frans in illa seminatione est maxime perniciosa et per
consequens Deo maxime odiosa.
Et tantum de dispositione divini seminis.
II. Secundo dixi, quod ostenderem caritati vestrae dispositionem
semmantis. quae notari potest in illo verbo thematis. Debet enim qui-
libet s) fidelis christianus, et specialiter praedicator, et constanter et
mere substare divino beneplacito ; et quamvis de se non habeat qualita-
tem, oportet tarnen ipsum quatuor virtutibus cardinalibus spiritualiter in-
dui. Et primo prudentia, attendendo ne justitiam suam faciat coram
hominibus, ut videant opera ejus bona, ne forte sit de numero fatuarum
virginum, de quibus Dominus dicit in evangelio: »Amen dico vobis,
nescio vos!« Matth. 25. 9). Quantum fatua ergo est intentio aptare
labores bonos de genere, ut vel principialiter 10 vel mixtim captetur ap-
plausus populi ! Idem enim est sie facere et commutare amicitiam Dei n)
pro ficta et adulatoria fama mundi, et per consequens bonum aeternum
gaudii perdere pro gaudio hypoeritae, quod est instar puneti breve, imo
constituere unum talem vilem peccatorem Deum suum, et sie, quantum
in se est, pervertendo ordinem universi, dum ejus laudem praefert laudi
Dei. 0 caeca commutatio 12 et distorta ratio ! Dicit Salvator Matthaei 6 :
1 cf. Luc. 12, 42.
2) cf. Ps. 147, 14.
3) Hier steht in der Handschrift das sprachwidrige und sinnlose Wort :
tenebritatis. Die Stelle ist jedenfalls sehr entstellt.
4) Die Handschrift hat: et quercus putridam.
5) in] fehlt im MS.
6) hierarchicos] MS. : yerarticos.
7) est] MS. : et.
8) quilibet] MS.: quibus. 9) Matth. 2b' MS.: Matth. 10.
10] principialiter Conjectur, aus S. 566 Z. 4; HS. : participaliter.
11) Der Conjectur; die HS. hat: Deo.
12) commutatio] MS. : communicatio.
588
Anhang B. III.
»Quod si oculus tuus , hoc est intentio operandi, fuerit simplex , timc
totum corpus operiun simplex erit.« Et credo, quod inter omnes caute-
las dyaboli haec est una de subtilissiinis, per quam surrepit in meutern
scolasticoram, quia vix est aliquis, quin principialiter vei mixtim facit
acta sua ut videatur ab hoaimibus. Et cum minimus error in principio
sit causa maximi in fine, patet, quod isti cautelae dyaboli est prudentius
resistendum.
Secundo requiritur temperantia in cibariis et aliis corporis nutritivis,
ne forte sacerdos propter petulantiam et ventris ingluviem cespitet
in serendo. Unde exemplar 1) dicit: »Castigo corpus meum et in servi-
tutem redigo'2 , ne forte , cum aliis praedicaverim , ipse reprobus
efficiar 3) . «
Tertio requiritur fortitudo iu tolerando adversa pro zelo veritatis
et salute populi. Illud patet discurrendo per omnes pugiles laudabiles
ecclesiae militantis. Unde vere dixit apostolus : »Omnes qui pie volunt
vivere in Christo, persecutionem patiuntur4) .«
Et demum justum est, quod mens sacerdotis elevetur in Deum per
notitiam et amorem et alias latrias Deo.debitas.
Unde Salvator noster, exemplificans praedicatoribus suis quoad
omnia illa per ordinem, non legitur in evangelio publice praedicasse
ante annum tricesimum. Sed paulo ante praedicationem suam petivit
desertuin 5) locum, ut sie doceret diseipulos suos prudentiam ad evitandum
adulatorios applausus populi; ubi etiam jejunavit6) 40 diebus natura-
libus, ut ipsos doceret temperantiam. Tertio pugnavit vincens tempta-
torem tripliciter, ut in hoc doceret nos fortitudinem ; et quarto oravit
praestans obsequium Deo et ostendendo se populo. Ipsum ergo magistrum
sequamur in nostris operibus , non solum secundum ejus humanitatem
sed secundum ejus divinitatem, et per consequens totam beatam Trini-
tatem. Non enim est possibile, quod actus aliquis viatoris sit Deo pla-
citus, nisi fuerit ad imitationem summae Trinitatis exemplatus.
Oportet ergo sacerdotem praeeipue esse potentem, correspondenter
ad Deum patrem; potentem quidem non in divitiis nec in potestate
mundi vel corporis, sed in opere et sermone7). Oportet secundo esse
ipsum sapientem, correspondenter ad filium, non in sapientia hujus mundi,
quae est stultitia aput Deum s) , sed sapientia quae vincit malitiam populi
acerbe fortiter increpando peccata, et suaviter disponendo ac nutriendo
bona opera. Sed tertio oportet ipsum esse bene volentem, correspondenter
X) Er nennt den Ap. Paulus unser Vorbild, vurmuthlieh im Hinblick
auf I. Cor. 11, 1 ; 4, Kl.
2) Die Worte et in .servitutem vor redigo sind in der HS. ausgelassen.
3) I. Cor. !), 27.
1 11. Timoth. 3, 12.
5 desertum] MS. : adsertum.
ü> jejunavit) MS. : jejunat.
7) Anspielung auf »mächtig von Thaten und Worten«, Luk. 24,
S; I. Cor. 3, 19.
Predigt über das Gleichniss vom Säemann.
589
ad spiritum sanctum ; bene volentem dico, non injuste conferendo in-
dignis, propter affectioneni carnalitatis, bona temporalia, sed caritative
procurando salutem animae proximis et bona spiritualia.
Et tantnm de dispositione seminantis.
III. Tertio dixi, quod ostendereni fraternitati vestrae convenientiam
temporis seminandi, quod notari potest in tertio verbo tbematis, quod
successionem implicat, et sie constat tempus quoddam ex tertia signi-
ficatione seminis , quod, quamdiu sumus hie in via, superest tempus
eontinue seminandi. Unde Exodi 13. praeeipitur, quod lex, qaae obligat
nos ad seminationem praedictam et instruit, eontinet semen nostrnm, sit
quasi »Signum in manu nostra et quasi appensum ante oculos« \) . Sed
secundum imaginationem apostoli seminantes sunt bifarii, ut quidam in
carne quidam in spiritu2 ; et bi proportionabiliter duplici sapientiam ;
tanquam vasa sui seminis colla subjiciunt. Seminantes autem mundia-
liter habent sapientiam hujus mundi pro contentivo et duetivo sui semi-
nis; sed ista sapientia secundum Jacobum est triplex4) , animälis5 .
eorrespondenter ad coneupiscentiam earnis, et terrena, correspondenter
ad coneupiscentiam oculorum : et est dyabolica correspondenter ad
superbiam vitae6 . Et ita mimdialiter seminantes tres auras insalubres
sibi captant pro suis seminibus. Sunt enim nonnulli ecclesiastici. qui in
roneupiscentia corms , secundum animajem sapientiam, sed in paludibus
seminant semen suum ; bi sunt qui de patrimonio Christi carnem suam
gulose nutriunt , meretrices et hystriones vestiunt , et voluptatibus
juxuriae se involvunt. Et non dubium . quin abscisa vena vohvptatis
quod inevitabiliter erit in hora mortis) taliter seminantes in carne de
carne metent corruptionem ") . Sunt alii in coneupiscentia oculomm,
secundum terrenam sapientiam , in aura gelida seminantes ; et hi sunt
ecclesiastici, qui bona pauperum per traditiones suas avare congregant,
vel ut totum mundum per coactivam potentiam sibi subjiciant, vel de
praeda possessiones vel pinguia beneficia sibi perquirant, vel ut lites
pro temporalibus potenter suscitent et foveant. Xec dubium quin tales,
cum dormierint somnum suum, inveniant pro tali semine acerbas tristi-
tiäs, anxietates corrosivas ut vermes, et colligantias horridas cum opacis
terrestribus, quae tarn inordinate construxerunt. Sunt autem tertii in
superbia vitae, secundum sapientiam dyabolicam, in vento valido seminan-
tes , et hi sunt inflati, qui propter pompam seculi acta sua facinnt, ut
honorabiles ac dominati sie) spectantibus appareant, apparatus splendidos
1 Exod. 13, 9.
2) cf. Gal. 6, 8.
3) cf. Jac. 3, 15.
4) triplex) Die HS. hat fälschlicherweise duplex.
5) animalis] dies Wort ist durch die uns schon bekannte Fahrlässig-
keit des Abschreibers im MS. weggefallen.
6) Hier und gleich nachher ist der Ausspruch Jac. 3, 15. mit dem
I. Joh. 2, 16 combinirt.
7) cf. Gal. 6, 8.
590
Anhang B. IV.
et sumptuosos sibi adinveniunt. Et in isto vitio est major pars ecclesia-
sticorum hodie excaecata, cum vix ullum invenies , qui praelaciam vel
officium in ecclesia suscipit, ut »semen« spiritualiter »fratri suo« seniori
»suscitet« 1 , sed magis ut laute vivat et gloriosius appareat. Sed cum
durum judicium his , qui praesunt , fiet , non dubium quin talis sicut
ceteri finaliter obstinati pro tempore, quo reddet rationem villicationis
suae2 . ignominiose repulsus projicietur in tenebras exteriores, ligatis
manibus et pedibus :i .
Uli autem qui in spiritu seminant , seminant in benedictionibus 4 :
et sunt isti, quorum omnia opera sunt ad imitationem summae Trinitatis,
ut superius est expositum, exemplata et per consequens benedicta ; quam
quidem benedictionem in operibus precatur sibi Psalinista sub triplici
nomine trini Dei ita dicens : »Benedicat nos Deus, Deus noster, et bene-
dicat nos Deus« 5) !
Sic ergo, fratres carissimi, seminemus in benedictionibus, dum
tempus habemus 6) , quia non dubium quin tunc tempore suo et in bene-
dictionibus metemus. quando veniemus cum exsultatione portantes fruc-
tum7) divini seminis, qui quidem fructus est sempiterna fruitio beatae
Trinitatis, quam nobis concedat Deus dominus noster! Amen.
IV.
Die angebliche Epistola missa ad simplices sacerdotes.
Erstmals abgedruckt Shirley, Fasciculi zizaniorum, Introd. XLI. not. 1.
aus der Wiener Handschrift 1337 (Denis CCCLXXVIII; f. ;,2.
Handschriften, A. = Wiener HS. 13S7. Denis CCCLXXXIV. f. 105. Col. 2.
B. = „ 3929. CCCLXXXV. f. 207. Col. 2.
Videtur meritorium mihis bonos colligere sacerdotes, cum Christus
exemplar cujuslibet boni operis sie fecit. Sed elemosynantes caverent
de talibus sacerdotibus praeeipue in his tribus. Primo quod sint amovi-
biles et non haeredati, com jam non sint in merito °) confirmati, sed
sub conditione, quod vivant digne et juste, habeant de temporali elee-
mosyna in mensura. Secundo, quod sint in numero loco et10) tempore
1) Anspielung auf das Gebot über die Leviratsehe , V. Mos. 25, 5.
vgl. Matth. 22, 24.
2) Vgl. Luk. 10, 2.
3) Matth. 22, 13.
4) Vgl. II. Cor. 9, 0.
5) Ps. 07, 7. Ö.
0) Vgl. Gal. 0, 9. 10.
7) Vgl. Ps. 120, 0.
S) mihi] fehlt bei Shirley und in HS. A.
9) in merito] Shirley: immerito, was den Sinn völlig stört.
10) et] fehlt in A.
De sex jugis.
591
competenti, quia abundantia et defectus in isto peccatum inferunt secun-
dum sententiam sapientum. Ter 60 quod «int solliciti in officio congruo
sacerdoti1), cum tarn insolertia2) quam otiositas ipsos inhabilitat ad
hoc opus , nec quaelibet occupatio pertinet sacerdoti , sicut tabernae
exereitatio, ferarum venatio, ad3) tabulas vel ad scaccos occupatio, sed
attenta legis Dei informatio, clara verbi Dei praedicatio et devota oratio.
Praecipuum4 autem istorum est evangelii 5; praedicatio, cum
Christus Marci ultimo pro memoriali perpetuo sacerdotibus hanc in-
junxit6). Per hanc enim Christus regnum suum de manu diaboli con-
quisivit, et per hanc filios suos ad statum triumphalem reduxit. Qui
autem non praedicat publice , hortetur private, sie quod si quis loqui-
tur 7) , loquatur secundum Petri sententiam verbum s) Dei 9) . Per hoc
autem vigerent presbyteri et aedificarent ecclesiam tanquam apostoli.
Et quicunque seiverit sacerdotes melius reducere ad hunc statum,
habet potestatem a domino et meritum caritative taliter operando.
V.
De sex jugis.
Vgl. Band I. S. 427.
Ich nenne vorerst die Wiener Handschriften , welche ich verglichen
habe, und bezeichne sie der Kürze halber mit folgenden Buchstaben :
A. Cod. lat. Nr. 1337 [Denis CCCLXXVIII.) foL 161. Col. 1. bis
fol. 165. Col. 2.
B. Nr. 3928 (Denis CCCC) fol. 1S6. Col. 2. -fol. 1S9. Col. 1. Hier
steht der Traktat als geschlossenes Ganzes, er findet sich aber in
demselben Handschriftenbande noch einmal, nämlich stückweise in
5 Festpredigten, und diese Abschrift ist von der gegenwärtigen
wohl zu unterscheiden; daher bezeichne ich sie mit
C. Nr. 3928. fol. 53 Col. 4, mit Unterbrechungen bis fol. 66 Col. 2.
D. Nr. 3932 (Denis CCCLXXXVIII) fol. 153 Col. 1. - fol. 155 Col. 3.
Ut simplices sacerdotes10; zelo animarum succensi11) habeant
materiam praedicandi , notanda sunt sex juga secularis brachii, quae
trahunt efficacius cu'rrum Christi : Primum est inter Christum et fideles
1) sacerdoti) sacerdotii, Shirley.
2) insolertia) insolentia, A.
3) ad) vel ad, B. — scacci = Schachspiel.
4 Praecipuum) primum, Shirley.
5) evangelii Christi evangelii, Shirley.
6) mjunxit] injunxerit, A.
7) sie quod si quis loquitur fehlt bei Shirley.
8) verbum Shirley hat richtig so conjicirt, während die von ihm be-
nützte HS. verbi hat; allein A. und B. haben beide verbum.
9) Vgl. I. Petr. 4, 11.
10) simplices sacerdotes) ydiote et simplices sacerdotes, C.
11] zelo animarum succensi] fehlt in C.
592
Anhang B. V.
simplices viatores, secundum est inter conjuges secundum legem Dei1)
conjugatos, tertium est inter parentes et filios naturales, quartum est
inter patresfamilias et suos mercenarios et eis servientes . quintum est
inter dominos seculares et suos servos vel tenentes 2 , et sextum genera-
liter inter proximos conviventes 3) . Omnibus enim istis debet 4 columba
ecclesiae 5) canticum pacis et caritatis canere et optare. Cum autem 6)
ista sex juga secundum istam levitatem et suavitatem") sunt fundabilia
in scriptura, evangelisans sie animatus sj a domino debet auimose atque
viriliter ista per ordinem praedicare. Illud autem jugum, quod debet
esse sacerdotum ad Christum velpopulum9 vel est10) in lege domini
plene instruetum vel ex antichristi perfidia plene disparatum 1 1 .
Jugum autem primum, quod est 12) tocius ecclesiae ad Christum,
stat in observantia mandatorum, nam quicunque christianus ipsa serva-
-verit, erit salvus. Et hoc jugum est suave non exasperans hoc ferentem,
et leve est non deprimens supportantem, ut dicitur Matth. II.13). Nam
in lege veteri 14) observarunt decalogum cum oneribus extra Christum l5);
sed modo per eorum exonerationem, per Christi confortationem et adjuto-
r«m16) multiplicationem est levius quam tunc fuit.
Constat quidem , quod lex Dei fuit per cerimonias legis veteris
multipliciter onerata, ut dicit Petrus Act. 1 5mo. Cum ergo totum hoc
onus ex libertate christiana deponitur , patet primum 17/ . Sed heu anti-
christus tantum difficultavit ls) legem graciae per suas traditiones caesa-
reas , quod tolerabilior fuerat l9J lex antiqna. Sed prudeus et simplex
christianus debet traditiones illas20) sapienter excutere, cum in earum
regulari observantia sit venenum.
Quantum ad confortationem Christi , patet, quod superat omnem
gravedinem 2l), cum fidelis constanter retinet, quod tenendo legem suam
et contemnendo traditiones hominis22 peecati magnifice praemiatur.
1) Bei, fehlt in A. B. D.
2) suos servos et tenentes] mercenarios eis servientes C. Tenentes = Vasallen.
3) conviventes] convivantes, C.
4] debet] fehlt A. B. 5 Vgl. Hoheslied 2, 12.
6] autem] fehlt C. f] Vgl. Matth. 11, ^0.
8) sie animatus sit animatus, C.
9) populum] papam C.
10) est] esse B.
11 disparatum] desperatum A. B. D.
12) primum quod est fehlt C.
13) Matth. 11] Matth. 20, C.
14) veteri] domini, A. B. D.
15) Christum ipsum, A. B. 1).
16) adjutorum] adjutoriorum, 1).
17 primum] nämlich die exotwratio, die Entledigung des Christen von
gesetzlichen Lasten.
18) difficultavit] difficultat, A. D.
19) fuerat foret, C.
20 iÜas] istas, B. C.l).
21) gravedinem] gravedinem antichristi, B. C. D., was eine Glosse scheint.
22; hominis homines, A.
De sex jugis.
593
Et quoad terttum 1 , patet, quod licet sunt rari adjutores supersti-
tes . tarnen omnino multiplicantur adjutores militantium in ecclesia
triumphante, sie quod enrrus Dei hodie est magis multiplex, ideo sicut
millia exsultantium2), quia Deus3) est in ecclesia militante. Et quantum
ad omnes argutias vitulaminum spuriorum 4), patet, quod omnia Christi
consilia facilitant ad observantiam mandatorum. Et il Ii qui stillte et
private sine 5 auetorisatione ad consilia ipsa se obligant, ab eis magis
degenerant.
Nec oportet hortari Christum, ut recte faciat, qui est pars altera
hujus jugi, cum ex fide firmiter capimus. quod ex parte sui non posset
pactum deficere.
De observatione istorum mandatorum decalogi patet alibi .
c. 2.) Secundum7).
Quantum ad duo juga sequentia capite proximo introdueta,
notanda est vox turturis 8) saneti Pauli ad Colossenses 3i0. Quamvis enim
Christus sit turtur praeeipue Matthaei 5° miscens luctum cum gaudio :
Beati, inquit, qui lugent, quoniam ipsi consolabuntur« , tarnen9) mem-
bra ejus turtures 10) possunt dici. Nam magnus turtur fuit Baptista
Joh. 3., dum sie cecinit: »Amicus sponsi, qui stat et audit cum n) gau-
dio, gaudet propter vocem sponsi12).« Magnus etiam fuit turtur Paulus
apostolus, dum cecinit : »Ipse Spiritus postulat pro nobis gemitibus ine-
narrabilibus 13) .« Ex quibus colligitur, quod iste Spiritus erat turtur.
Docet autem iste apostolus ad Colossenses ubi supra, quod omnia
quaecunque fidelis fecerit, debet facere in nomine domini Jesu Christi :
••Omne, inquit, quodeunque facitis verbo aut opere, omnia in nomine
domini Jesu Christi facite I4j .« Patet rationabilitas hujus prineipii ex
hoc, quod omnis vita hominis viantis voluntaria vel naturalis debet esse
meritoria, et per consequens esse in gracia domini nostri 15) Jesu Christi.
1) terttum] secundum B. D.
1 millia exsultantium} sunt multi exultantium C. vgl. Ps. 68, 18.
3) Dens) dominus C.
4 spuriorum] spiriorum C. Vgl. De officio pastorali I, c. 1. S. ~.
5) sine] sua C.
6 alibi superius parte prima C, was sich auf die erste Predigtsamm-
lung bezieht.
T Secundum' Secundum jugum, A. C. D.
8 Vgl. Hoheslied 2, 12.
1» tarnen] cum C.
10) turtures turturea C.
11 cum] eum C.
12 sponsi] sponsus B.
13) Körn. 8, 2<l.
14) facite] vor facite schieben B. und C. supple ein , lediglich weil das
facite. das in sämmtlichen Handschriften steht, in der Vulgata sich nicht
findet.
15) nostri] fehlt in C.
Lechlek, Wiclif. II. 3$
394
Anhang B. V.
Ipse enim est priina natura et gracia, in qua natura subducto peccato
oportet fieri creatum quodlibet naturale. Tolle inquam l) peccati vetan-
tiam, et in virtute ejus ac gratia est quaelibet creatura ; rnulto eviden-
tius quidquid homo fecerit, qui Christi ministerio tarn specialiter depu-
tatur .
Isto itaque2) principio ut fide supposito adjimgit apostolus : »Mulie-
res, mquit, subditae estote viris vestris, sicut oportet, in domino. Viri
diligite uxores vestras et nolite arnari esse ad illas.« Debent enim3
mulieres de natura et ex mandato trinitatis esse subditae viris suis, in
cujus signum ordinatae sunt esse in natura inferiores, unde philosophi
vocant eas viros4j in naturalibus defectivos. Genesis autem tertio5)
legitur, quomodo 6) prima femina ex costa primi viri, non ex pede vel
capite est formata. Et ambo ista docent, quomodo quadam inferioritate
mulier debet esse viro matrimonialiter copulata. Ideo cum hoc sit natu-
rale, dicit apostolus mulieres oportere esse subditas7) viris suis. Sed
signanter modificat, quod sint subditae s; »m domino«; debent enim uxo-
res viris suis tanquam domino deservire, ut docet Petrus de Sara et
Abraham '•'} . Si autem viri ab uxoribus suis quid quam exigant quod a
domino10) est vetitum, tunc non debent11) in completione hujus12 esse
subditae viris suis, quia tunc non forent Ulis subditae13; in domino.
Et per locum a majori, si superior vel praelatus ecclesiae subjecto
suo quidquam praeceperit14) quod dissonat legi Christi, tunc debet ex
obedientia debita Christo et Uli praelato humiliter rebellare. Quirn,
enim duo praelati, quorum unus est superior et alter 15 inferior, man-
dant contraria, superiori in rationali 10) est parendum ; cum ergo Christus
sit superior quocunque praelato ab nomine instituto 17 , nec potest nisi
rationale et justum mandare cuiquam 18), patet quod quidquid voluntati 19
suae contrarium papa vel quicunque praelatus quantumcunque stricte
mandaverit suo subdito, debet viriliter20) contra illud rebellare . nam
faciendo oppositum peccaret graviter. Ex quibus patet, quod tarn21
praelatus quam subditus debent cognoscere beneplacitum domini 22 ) Jesu
Christi; nam sine obedientia sui privaii praepositi potest salvari, cum
1 inquam] inquit A. C. 1).
ii enim autem C.
5) Gen. 2, Tl.
7) suhditds subjectas C.
9) I. Petr. -'S, 5' folg.
11, debent] A. 13. D.
13 subditae Bubiectae B. C.
15) aiter\ alius Ii., et alius C.
17; instituto Substitute» A. Ii.
ISj cuiqttmn euique A., cuicunque B.
1!) vohmtait voluntatis Ii.
20 riritifcr eontra illud humiliter C.
21) tarn] fehlt A.
22] domini domini nostri Ii.
2) itaque namque A. Ii. ])
4) viro» fehlt A. 1).
(i quomodo] quum C,
8) subditae subjectae B- C.
lüj domino" Deo Ii. C.
12 Jiujus] hujusmodi C.
14 praeceperit pnteeepit C.
1(> rationali ralionabili B. (
De sex juyis.
non juvat ni&i de quanto promovet 1 ad obedientiam domino Jesu
Christo : sed sine obedientia Christi non stat, quod alias sit salvatus.
Ideo ad discendum [sie] Christi regulam debent privati ordines
primo tendere , et si fuerint ita stolidi , quod per se ipsos et Chrkti
regulam non sufficiant regulari2), tunc consulant superiorem intuitu
earitatis , ut eos misericorditer dirigat in agendis ; si autem impro-
vise3) obligati fuerint maledicto vel ignaro4 praeposito , dissolvanl
statim hunc nexum fatuura , et vel vivaut prudenter secunduni
alium vel teneant religionem simplicem christiannm pure secundum
abbatem communem5), dominum Jesum Christum. Et licet in stulti.s
maritis jacet periculum, tarnen longe plus in stnltis praelatis, quia in
majori parte exigunt a subjectis, quod ignorant esse Dei beneplacitum.
vel debent cognoscere esse mandato suo contrarium. Quandocunquc
quis6) praelatus präeeipit, subjectum facere quod non est expeditiu-
vitae" suae et Deo placentius, peccat graviter. Sed quid seit s ips<-
hicy) de subjecto, cujus statum et vitam ignorat, cum10; crebro nesciat
de se ipso? Ideo secundum regulam Christi, cui non licet contradicere.
debet quilibet viator continue mereri et spiritu Christi duci, nam duetus
ille non deficit, »isi peccator ponens obicem sit in causa. Ideo durum
Judicium fiet i^tis praelatis, qui sie caece n) praeeipitant se et suos.
In conjugatis autem, non sie temere obligatis istis consiliis, oportet
virum praeeipue mandata Dei cognoscere, et uxorem vel ab informatione
conjugis l2) vel a Christo mandata Dei cognoscere. Ideo mandat Christum
in suo apostolo viros in caritate uxores suas diligere, et non illas amare
tractare ; ille autem amare tractat uxorem , qui tractat eam crudeliter
ut ancillam, nunc verberat, nunc conviciat et nunc ad peccatum inclinat.
Verumtamen cum toto isto tractatu non videtur mihi matrimouium
debere dissolvi, cum saepe salvatur vir infidelis per mulierem fidelem :
et mulier ex patientia injuriae, salvo Semper quod non consentiat ad
peccatum, vivit meritorie in vero matrimonio, ut deberet. Istis ergo
conjugibus tarn generaliter quam specialiter debet praedicari vinculum
earitatis. Et alii casus13) privati exigunt speciales conditiones et con-
silia evangelica praeter leges privatas de sponsalibus introduetas.
(c. 3.) Tertium14).
Quoad tertium jugum, scilicet inter parentes et prolem suam, sive
de sexu virili sive 15) femineo, est10) notandum, quod parentes plus tenen-
1) promovet] promovet in rationabilibus A. B.
2) regulär?* reguläre C.
3) improvise] improvide B. 4 ignaro ignavo A. B.
5; communem] fehlt C. 6) quis] quidem A. B.
7) vitae] viae B. C. S seif fehlt A.
9) lue] hoc C. 10} cum cum hoc A. B.
11) qui sie caece] qui se in se C.
12) conjugis] conjugis i. e. viri, A. B. , was jedenfalls eine Glosse ist.
13) casus] casti A.
14) Tertium] fehlt C. ; Tertium jugum A.
15) sive] vel A. B. 1(3 est] fehlt C.
3S*
596
Anhang B. V
tur providere de sua proie in spiritualibus secundum legem domiui quam
in carnalibus1), licet ipsa carnalia2) propius et immediatius3) a parenti-
bus sint causata4). Probatur, quod5) perfecta Caritas hoc requirit,
sed tenentnr perfecta caritate prolem suam diligere, ergo conclusio6).
Dens enim plus pouderat vitam spiritualem interioris hominis quam car-
nalem 7] ; cur ergo non parens, qui solum in Deo debet prolem suam
diligere ? Item profectus in moribus est proli utilior quam nutritio cor-
poralis; quare ergo parentes ex sincera dilectione non debent illum
profectum majorem proli suae appetere? Nam amando minus bonum in
Esse genito foret ordo praeposterus s) , non amor sed odium venenosum.
Item illud debet homo plus appetere in Esse alteri, de cujus carentia
plus doleret; sed quis non doleret plus de damnatione prolis, et de
maculatione peceato, quam de sua corporali9) esurie vel penuria mor-
rali, quod raro vel nunquam eveniet 10 ? Ergo debet ad illud n) bonum
spirituale melius magis niti.
Ex isto patet, quod sinistre et inordinate multi parentes diligunt
prolem suam ; multi namque delectabiliter ipsos 12) nutriunt in peccatis,
et vel non curant ipsos corripere vel correptionem illam faciunt nimis
remisse, quod est Signum evidens, quod inordinate diligunt Deum atque
prolem ; debent enim secundum legem caritatis ordine converso l3) dili-
gere proximum quantumcunque extraneum, ergo longe evidentius pro-
lem suam i4j .
Sed mundiales graviter et in dign anter ferunt istam sententiam
dicentes, quod juxta illam permitterent 15) homines nedum proximos 16)
sed proprios natos mori, quod cum contradicit legi naturae , mani-
festum est quod est contrarium legi Dei. Nemo enim seit, si ex tali
educatione carnali 17) quis peccabit mortaliter vel erit deterior quoad
mores. Hic dicit logicus, quod nedum oportet patres ,s) dimittere sed
debent gratanter suflferre mortem proximi20) sive nati ut patet II. Re-
gum 12. 21 de David, quod hilariter sustulit 22) mortem nati. Verum-
tamen isti non repugnat sed consonat, quod parens potens debet proli
1) carnalibus] corporalibus C 2) carnalia] corpovalia G.
3) propius et immediatius proprius et magis immediatius C.
4J causata] curata B.
.r> quod] quia C. (> conclusio] conclusio vera A.
13) converso] transverso A.
14 ordine converso — — prolem suam] fehlt in C. fahrlässiger Weise.
15) permitterent] Conjectur; sämmtliche Handschriften haben promp-
teren t, was in den Zusammenhang nicht passt.
16) proximos homines C. ; sinnlos, aber durch das vorangehende
homines veranlasst.
IT carnali] corporali C. 18) patres] patrem C.
19 debent debet C. Ii)" proximi Christi C.
21 II. Samuel. 12. 20 ff. 22 sustulit sustinuit C.
carn&lem corporalem C
1 corporali] carnali ('.
11 illud id A.
S) praeposterus praeposteris C.
10) eveniet] evenit A. 1>.
12) ipsos] eos C.
De sex jugis.
597
de vitae necessariis providere, licet in nulluni 1 praeter intentum pa-
rentis. ex hinc quandocunque proli eveniat - . Oportet tarnen paren-
tes3] prudenter et cum moderamine talia tribuere proli suae, et non
propter fortificandum pulcritudinem vel potestatem prolis carnaleni,
aut propter magnifieentiam seculi in parentibus extollendum 4 . sed
utrobique ad honorem Dei et profectum ecclesiae intendendum. Et si
occasione mala 5 accepta sit proles ex facto parentis deterior, pareus
propterea non est increpandus, cum secundum rationem Augustini
nemo tunc faceret quodvis opus. Oportet ergo intendere ad intentio-
nem prudentemGy in talibus.
E contra autem necesse est hortari prolem, ut excellenti gradu
Jionorificet et obediat suis parentibus. ut patet in materia de primo
mandato secundae tabulae ; oportet tarnen ut ") catolicus istam obedien-
tiam modificet ut priorem. Ideo dicit apostolus ubi8] supra : »Filii obe-
dite parentibus per omnia, hoc enim beneplaeitum est domino. Patres
nolite ad indignationem provocare filios, ut non pusillo animo fiant [) .«
Debent autem filii obedire parentibus, non solum in opere manuali,
sed praecipue in spirituali, quod .sonat in salutem animae suae. Ideo
cum spirituale et corporale sit 10; omnia, signanter dicit apostolu>.
quod filii debent obedire parentibus suis f>per omnia« : non autem dicit,
quod filii obediant in quibuscunque parentes mandaverint, quia sT.it
ipsos mandare irrationabiliter : et per consequens tunc debent obedire
rationi, qui 11 est pater superior, dominus Jesus Christus. Talis autem
irrationabilis praeceptio non ponit in numerum cum mandatis 12 .
Patres autem non debent nimis aspere tractare filios. ne postmo-
dum fiant invalidi ad debite patiendum Sicut enim Christus paulatin-
introduxit suam humanitatem a deitate13 assumptam. ut patet de Bap-
tista et sua conversatione usque ad annos triginta, sie debent parentes
bonos mores in filiis suis indueere palliative.
c. 4. Q uartum 11 .
Quantum ad quartum jugum, quod est inter patremfamilias et suos
mercenarios et ei servientes 15j, oportet quod sint fides spes et Caritas
inter illos. et per consequens oportet quod inter conjuges conducentes et
suos mercenarios sit fides, rationabiliter conducendo. debite tractando
et fideliter mercedem debitam persolvendo. Sicut enim fraus in emptio-
1 malum] alium A. 2, eveniat] conveniat A. B.
3 parentes parentem C. 4 extollendum extollendam C.
5 mala male A. G prudentem prudentis C.
7 ut] quod C. 8 übt] vide X.
9] Coloss. 3, 20. 21. 10) sit\ sunt C.
11) qui] quae C. Hier scheint ratio = Logos genommen zu sein.
12 non ponit — mandatis d. h. zählt nicht unter die Gebote, verdient
nicht als Gebot gerechnet zu werden.
13) a deitate ad deitatem C.
14 Quartum] De quarto jugo A. C.
15 et ei servientes fehlt in B., während A. irrigerweise eis statt ei hat.
59S
Anhang B. V.
nibus et venditionibus est dainnaiida, sie in conduetionibus et aliis duobus
sequentibus in fideliter serviente l, . Patet 2 , quia tanta est ratio utrobique.
Unde quoad tertium 3) in lege antiqaa Levitici 19mo dicitur 4) : »Xon mora-
bitur opus mercenarii tui aput te usque mane.^ Quamvis autem istud ex-
ponatur conmruniter, quod post completionem laboris opus mercenarii non
debeat remanere5 per tempus culpabile tenebrosum, tarnen assistente in-
digentia mercenarii debet inerces retribui in completione laboris. Dens enim
exemplar humanae justitiae Semper gratiose praevenit servitorem et tri-
br.it copiosius quam suus mercenarius merebatur. Et quantum ad me-
lium 6 novit mundus. quantum injuste multi mercenarii sunt tractati nunc
labores indebitos ex diuturnitate temporis, ex qualitate operis et ex "*] aliis
circumstantüs exigendo. Ideo debet esse regula aequitatis in talibus
i lud v Matthaei 7mo: »Omnia quaeeunque vultis ut faciant vobis homi-
nes, et vos facite illis!« Ista !l autem regula intellecta debite est prin-
eipium communicationis moralis ; quicunque enim juste voluerit aliqua-
liter sibi fieri, debet 10, similiter facere alii in casu simili u); et totum hoc
intelligitur in hoc dicto : »ita et vos facite illis.« Debent autem l2j hoini-
nes propoitionabiliter facere proximis, ut fiennt13] velle illos facere sibi
ip*is. Unde in isto prineipio fundatur quinta n) petitio orationis domini-
•ae. dum oratur : »Dimitte nobis debita nostra. sicut et nos dimittimus
debitoribus nostris ! «
Ex parte autem mercenarii contingit esse fraudem multiplicem, ut
in ingressu locando operam servitoris, in progres.su fraudando a pleni-
t idine temporis15;, et fiualiter fraudando in operis bonitateJli . Contra
quos loquitur apostolus ad Colossenses tertio, mandans quod sint non
ad oculum servientes quasi hominibus placentes, sed in simplicitate cor-
dis timentes dominum; »Quodcunque ,T). inquit, facitis. ex animo opera-
mini, sicut domino et non hominibus. scientes quod a domino aeeipietis
retributionem haereditatis. Domino Christo senke. Qoi eniui injuriam
fecit, reeipiet id ls quod inique gessit, et non est personarum aeeeptio
aput Deum.« In quibus verbiß manifeste sequitur cum isto prineipio
tidei, quod omnia quaeeunque fidelis fecerit 19, , debet facere coram Deo,
ac si serviret proprie ipsi Deo, quia non servirent 2u) solum apparenter
1 in ßdeliter serviente] in fideliter ohne serviente A.
2) Patet' secundum mentem patet A.
'•'> tertium die Auszahlung des Lohnes.
1 dicitur] fehlt C.
•"> remanere manere A. 6 medium das debite tractare.
7 ex fehlt C. 6 ittud juxta illud C.
9) Ista illa A. B.
10] voluerit — debet aliqualiter voluerit sibi, sicut debet C.
11 simi/i consimili C. 12) autem enim C.
Iii dicunt] debent A. B. 14 quinta secunda C.
15 temporis operis C. 16 operis boniiate] bonitate operis C.
IT quodcunque quaeeunque C.
1^ id fllud C .
Jt* fecerit facit A. 20 aervirent serviret B. C.
De sex juyis
599
in prae^entia conducentis et in ejus absentia fraudantes ab opere, quia
tunc servirent ]) in cordis duplicitate , quod servitium non convenit
Deo vero.
Secundo sequitur, quod servientes debent locantibus fideliter ser-
vire continue'1 . quia debent continue servire Deo, cujus praesentiam
iebent credere adesse continue, et totam qualitatem operis cum inten-
tione cordiS clarissime intueri. Si ergo meicenarius 3) propter praesen-
tiam hominis serviret4; fideliter, quantum magis propter praesentiam
D> i intinitum majoris domini et totam qualitatem operis verius cogno-
>ceiitis ! Non enim subest5) ratio, nisi infidelita> exeusaret.
Tertio patet, quod ministri debent^ pensare laborem secundum
rationem qua Christo serviunt ") . Ista enim est ratio potissima maxime
attt-ndenda , quia si serviunt Christo fideliter , quomodocunque sit de
locante, non possunt a mercede Christi deficere. Et haec ratio, quare
uiinistrando infidelibus vel quantumcunque discolis debent mercenarii
rideliter ministrare , quia secundum rationem , qua Christo serviunt,
uiercedeniv infallibiliter ab ipso capiuut(J) . Quanto magis nos sacer-
dotes. Christi servi, tarn specialiter et comminatorie ab ipso condueti !
(c. 5.) Quintum 10) .
Circa n) quintum jngum, quod est 12) inter dominos seculares et suos
servos et tenentes1* . hortanda est utraque pars ad observantiam caritatis.
Domini enim debent tractare suos subditos 14) tanquam fratres in domino,
et nichil facere servis suis nisi quod appeterent 15j sibi fieri in casu con-
simili111): omnia enim opera viantium debent fieri ex amore. Unde ad
Colossenses quarto »Domini, quod justum est et aequum servis praestate,
seientes quod et vos dominum habetis in cölo.« Unde postponenda sunt
iura eivilia17) momentanea et infundabilia in ista materia. Cum certum
sit ex fide, quod domini non debent tractare servos 1S) nisi in caritate et
lefensione quoad mundanas repugnantias ac directione viae ad patrhm.
1) servirent] serviret A.
2 Entspricht der phnitudo temporis oben.
• i mercenarius mercenarii C.
4, serviret servirent C.
5 subest obest C.
t> debent] debet C.
~ Christo serviunt) Christus servi vit A. B.
v mercedem] et mercedem B. C.
9] capiunt] recipiunt C.
10 Quintum De quinto jugo A.
1 1} Circa Sed C.
12i est' fehlt B.
13) et suos servos et tetientes et servos suos tenentes C.
14) suos subditos subditos servos B.
15, appeterent] deberent appetere C. deberet appetere A.
16] consimili simili A.
IT Jura eivilia miracula C.
IS servos servos suos C.
600
Anhang- B. V.
Unde ad Ephesios 6to l) »Vos domini eadem facite servis vestris rernit-
tentes injurias2), scientes quia3) illorum et vester dominus est in cölis,
et personarum acceptio non est aput Deum.« Cum enim Deus librat 1
et acceptat quemcunque secundum ejus virtutem aut humilitatem 5 , et
non secundum statum quem occupat0) aput mundum : manifestum est
quod servus humilior et virtuosior de tanto acceptior est aput Deum.
Unde videtur multis, quod servorum subjectio sit catena7) superbiae a
veritate sive 8) virtute retardans et saepe impediens dominos seculares ;
debent enim providere servis suis de vitae necessariis secundum con-
gruentiam sui Status.
Secundo debent ipsos 9) def andere a 10) raptoribus tarn ecclesiasticis
quam secularibus irrationabiliter insultantibus. Et tertio debent eos 11
in caritate tractare tarn verbis quam opere, ut patet ex praedicto morali
principio.
Servi zutem non debent remurmurare 12) contra eorum subjectionem.
ut dicit apostolus (I. Corinth. 7): »Servus vocatus es13), non sit tibi
curae.« Et ratio est, quia, ut patet ex utroque testamento, ordinatio
Dei est, quod a subjectis in pönam peccati sui superioribus domini>
serviatur. Et saepe est ille Status aptior quam seculare dominium, ut
servus Dei amplius mereatur. Unde quia Status servitutis hujusmodi est
consonus legi Dei. ideo scribit apostolus I. Timoth. 6to : »Quicunque
sunt sub jiigo servi, omni14) honore dominos suos dignos arbitrentur. in-
nomen domini et doctrina blasfemetur.« Christus enim ordinavit genus
suum adjici15] servituti per plurimos annos, ut patet Gen. et Exod. per
processum. Sed quia duae sunt maneries dominorum, scilicet justae et
injustae, declarat apostolus, quod sicut nec servitus sie nec dominium re-
pugnat statui promerendi, et per consequens qualescunque sint 1,1 domini,
servi debent voluntarie eis subdi. »Qui, inquit apostolus, fideles habent
dominos, non contemnant, quia fratres sunt et17 dilecti, qui benefieii 18
partieipes sunt 19 •< Sententia ergo apostoli est, quod servi fideliter ser-
viant dominis sive fidelibus sive infidelibus, quia principaliter serviunt do-
mino Jesu Christo. Et bre viter quia omnia talia possunt fieri sine con-
sensu ad facinus, debent mitigando malitiam servire fideliter utrobique 20 .
Et patet, quam leviter et quam sinistre 21 loquuntur qui hortantur
1)
2)
3)
5)
7*
9;
M
13)
15)
17)
1 s!
I(i
21
Ephesios 6to] Ephesios dicitur C
injurias misericordias 1^.
quia quod et C.
humilitatem habilitatem A
catena] cathedra A. B.
ipsos] eos C.
eos\ ipsos C.
e» est A.
aa]jicil adduci C.
ef\ fehlt C
beneßeit benefieiis A. B.
I. Timoth. 0, 2.
sinistre sine tempore C.
4, libraf liberat C. erster Hand
6) occupat] acceptat C.
8 a veritate sive^ fehlt C.
10, a] de B. C.
12] remurmurare' renunciare A.
14) om?ii} cum omni ('.
1C> sint] sunt A.
erster Hand.
20 utrobique] utrique ('.
De sex juyis
601
servos vel famulos rebellare, eo quod domin i tyraiinice regunt eos.
Nam secuudum legem evangelii tarn Christi quam sui apostoli servi et
famuli debeut humiliter servire ryraunis, non sub ratione quod 1 tales,
sed sub ratione quod serviuut domiuo Jesu Christo. Et si discipuli dia-
boli objiciunt contra istam patientiam et colorant2 rebellionem ac repug-
nantiam per hoc, quod aliter facinori consentirent : item : subditi tales
habent ut sui domini potentiam invasivam. quare ergo non:j; resisterent
injuriantibus 4) ut . . . . 5 ) et serpentes? Item Deus movet propter
demeritum inhabitantium ad conquestus; quare ergo non moveret1'
subditos. ut contra deprimentes ipsos recalcitrarent -) Hoc ergo ex in-
stinctu naturali habet quilibet . ut , sicut appetit vivere , sie appetat
libertatem.
Sed hie dicitur scolae"/ diaboli, quod omnis instruetus in lege et
gratia domini Jesu Christi debet iu talibus injuriis non rebellare sed
pati humiliter. Cujus ratio est, quia propositis duabus contrariis viis.
quarum una est difficilis atque ambigua quoad mores , et alia facilis
atque certa s , lex gratiae est quod prior dimittatur et altera eligatur.
Lex ergo humiliter patiendi injurias est facilis atque certa ; et lex in-
vadendi atque 9j resistendi difficilis atque ambigua. Ideo scola foret
diaboli, priorem relinquere et istam ambiguam aeeeptare. Et hinc Christus
eam10 doeuit tarn opere quam sermone. Nam gratis passus est mortem
durissimam n; . et doeuit apostolus istam scolam : »In patientia. inquit.
vestra possidebitis auimas vestras 12) .« Qui ergo hortatur ad rebellionem
hujusmodi, indicat se esse expertem sapientiae scripturarum . Sed hoc
dicendum est13) dominis secularibus et civilibus christiauis 14 . quod non
consentiant facinori sacerdotum rebellantium legi Christi, hoc est enim
inseparabiliter malum sicut consensus ad istud. Ideo cum subtractio
juvaminis non sit actio sed actionis dimissio 15 , ad ipsam sunt Christian:
singuli instruendi. Et haec ratio , quare sacerdotum eleemosinaria
ministratio debet esse libera non coacta.
Ad primam instantiam 1,1 dicitur negando prima m consequentiam.
1) quod quä C.
2) colorant) colorent ß., colarent C.
3 quare ergo non non ergo A.
4 injuriantibus fehlt B.
5) Hier stehen in allen Handschriften zwei Worte abgekürzt, welche
zu entziffern mir bisher nicht gelungen ist.
6 moreret movet A. C.
7) scolae] i. e. scholae : discole B., Scolari dyaboli C.
8] certa] certa via A.
0) atque] vel C.
lü) eam] ipsam B. C.
11, durissimam gravissimam C.
12 Luc. 21. 19.
13) est] fehlt C.
14) civilibus christiauis cuilibet christiano B. C.
1 5 di)))is$io divisio B.
lti^ nämlich: quod aliter facinori consentirent, oben.
602
Anhang B. V.
quia nullus ex invasione est certus nt resistat facinori, ^ed potius ex
sibi dubio augebit ^ facinus tarn ex2j parte propria quam invasi3 .
Quoad secundam dicitur, quod subditi, licet habuerint taleui poten-
tiam, mediante qua possent sie in christianos irruere, tarnen quia ilia
potentia ex primo crimine est infecta, ideo dimissa inclinatione sua est,
secundum legem gratiae, patientiae insistendum. Nee excuso seculares
dominos in istis invasionibus vel conquestu, sed Deo approprio propter
excellentiam sui capitalis dominii activam 4 ; nec est michi evidentia
capta de stimulo Serpentine-.
Quoad tertium articulum 5) dicitur, quod habentes ad hoc revelatio-
nem possunt libere rebellare, sed debent temptare Spiritus, si ex Deo
sunt'5) ; imo conceditur, quod Deus dat peccantibus et rebellantibns
naturalem potentiam et instinetum ad quodlibet criminis positum ") . sed
a rege superbiae habent complexionem 8 j defectus in moribus. Conce-
ditur ergo, quod omnis homo appetit naturaliter libertatem, sed specia-
liter a peccato. Sed quia ad illam libertatem est patientia via securior,
et invasio abducit commuuiter, ideo debet illa dimitti et lex patientiae
aeeipi propter appetitus vehementiam libertatis. Nec sequitur, quod
corporales9) doraini super suos subditos tyrannisent, quod propter lioe
eädem mensurä debeatJU remitiri, quia scola Christi est !1) , propter
malum bonum J2j retribuere.
(c. 6.) Sextum13).
Sextum jugum. quod est amor inter proximos, est14; paululum per-
tractandum. Quamvis autem apostolus I. Corinth. 13,n0 narrat condi-
tiones sexdeeim caritatis, ex quibus juxtapositis ,5; conversationi nostrae
Caritas nostra extinguitur, hypoeritice fingimus, quod observamus cari-
tatem, quae sufficiat16j ad salutem. Qi is enim est sufficienter »patiens«
injurias atque molestias? quis secundo »benigne« dolet l7) alienas injurias,
1) augebit\ augebat A.
2) ex) in C.
:i invasi) ex parte invasi A.
4) activam) actionem A. B.
5; nämlich, es sei den Unterdrückten von Gott eingegeben Widerstand
/u leisten, s. oben.
6] vgl. I. Joh. 4, 1.
7) positum alle Handschriften. Vielleicht ist propositnm zu lesen.
8 complexionem complecionem B. C.
9] corporate] temporales B. C.
10) debeat] debeant C.
1 1 ) est] docet C.
12 bonum] fehlt C. Vgl. Köm. 12, I<» ff.
13) Sextum) De sexto et ultimo jugo A.
14) est) et A. B.
I •") juxtapositis d. h. bei Seite gesetzt ?
16] mfüciat) sufficit C.
IT; dolet fehlt A. B.
De sex jugis.
ita ut vere tlicere possit l) cum apostolo 2) : »quis infirmatur, et ego non
infirmor.3)?« quin potius gaudet4) de molestiis proximorum? Quis tertio
non invidet« sectae 5) procuraus et sectis sibi contrariis improperans ac
de contentione (i) sectae Christi propter superbiam iudubie dedignatur?
falsum quidem est, quod Caritas talium »non einuletur«. Quis quarto
non declinat a mandatis Christi atque consiliis, »agendo p erper am?«
Quis quinto ex bonorum fortunae copia vel bono naturali, aut dato vel
licto bono gratiae wem inßatur« tangere 7) montes ad habendum experi-
entiam, et fumigabunt 8) ? Sexto cujus viantis caritatis capacitas »non
est ambitiosa?« judicet autem super isto propria conscientia , si quis
honores mundanos, famam seculi vel temporalia non affectat, quod si
deformatur in istis primae regulae, quis dubitat, quin tunc declinet ab
observantia caritatis? Septimo Caritas »non quaerit esse proprietaria « ;
sed ut obmittam ,J) cupiditatem secularium, cujus clerici Caritas non extin-
guitur hoc peccato? nam possessio?iati plus laborant pro proprietate quam
beatitudine. mendicantes vel exproprietarii laborant pro multiplici pro-
prietate damnabili, ut quod illorum 10) religio vel quod illis est proprium
extollatur, quod suae proprietati temporal ium copia adquiratur, et quod
illis cederet ad honorem proprium 1 ') , licet honorem Dei suppeditet, in
populo efFeratur. Et idem est judicium de rectoribus, de vicariis et 12] de
quocunque genere viatorum. Quis enim affectat, ut cuneta fiant com-
munia, sicut in statu innocentiae et statu apostolico a Christo fuerat
ordinatum? Quis octavo pro dicta sibi sententia veridica de13) talibus
vitiis »non« contra dicentem licet benevole mrritaturdl Tangat hortator
in quantacunque caritate voluerit , et videbit quod 14} cunetum genus
viantium, etiam fratres, succumbent in ista macula caritatis. Nono
Caritas »non cogitat«, quomodo »malunw pönae vel culpae sit proximo
irrationabiliter 15) inferendum. Sed quis, licet extiuxerit 16) alias caritatis
maculas, in isto senserit se immunem? Omnes enim cogitamus superflue,
quomodo vindicta caperetur de hostibus Christi atque ecclesiae , et po-
tius cogitamus imprecando 17) istam vindictam quam alia media miseri-
cordiae, quae sie injuriantibus cederent ad salutem. Decimo »Caritas
non gaudet super iniquitate«, qualiter faciunt maligni more diaboli, qui
delectantur de vindicta capienda de18) proximo et lyj denigratione famae
personae, cui invident ; gaudenter audiunt peccata proximi et gauden-
1) possit} posset A. 2) apostolo] Paulo C.
3; vgl. II. Cor. 11, 29. 4) gaudet] congaudet C.
5 sectae] sectas C. 6) contentione1 contentatione C.
7] tangere] tange A. C. 8) vgl. Ps. 104, '62.
9 obmittam] amittam C, dimittam A.
U)> illorum] eorum A.
11; proprium] propitium A. 12) et] fehlt C.
13 de] pro B. 14) quod] fehlt A.
15j irrationabiliter] nostro A.
16) extinxerit] extraxerit vel extinxerit A.
17) imprecando"^ in praedicando A.
18) de] in B. C. 19) et] de A. B.
tf04 Anhang B. V
tius publieant maluni suiim inendaciter dilatando. Undeciino earitate for-
niatus congaudet rectitudini j u s t i t i a e proximorum . ut quam audit
zelare queineunque pro jnstitia sine personarum acceptione. hoc appro-
bat et de hoc gaudet. Sed suscitata ista eonditione caritatis diffamatio 1
et detraetio deliterent. Duodecinio Caritas omnia genera tarn bonorum
quam malorum s u f f e r t = cum gaudio moderato. Xumquid eredimus ini-
petuosos2 ista proprietate indui earitatis* Tredeeimo Caritas movet
tarn de bonis quam de malis, ut »eredat«3 omnes fidei veritates. Sed
illi qui volunt credere eis placens et favorabile. atque discredere eis dis-
plieeus. licet sit verltas ac Dei ordinatio. ex ista caritatis deficientia
^unt culpandi. Quartodecimo Caritas ?$jxrat tarn de beatis gaudium
quam damnatis : non enim cadit in istam haeresin , quod singuli sint
salvandi. sed de unoquoque. sive praedestinato sive praeseito. sperat
gaudiuni. cum non sit conscienria quod damnerur4 , et certa sit. quo3
timentibas Deum omnia cooperantur in bonum . Quintodeeimo Cari-
tas tomnia srntmet tarn j uste illata a domino quam injuste illata a pro-
ximo. Sed nunquam eredimus Ulos. qui tantum zelant pro vindictis pro-
priis. esse in isto capitata: cujusmodi snnt qui contendunt pro suis
supra limites rationis. qui pugnant cum regnis exteris pro jnstitia. quam
somniant* non cognoseunt. vel qni rebellant contra suos dominos etiam
propter injurias quas eis infenmt. et regulariter qui sie pugnant. Et
ne videanir istam conditionem cum dnodeeima eonditione incidere.
notandum est. quod pertecti in earitate7 susrinent omnia ista in oper<r
et sermone. non solnm quoad suas injurias sed omnia quae illata fnerint
cuicunque. scientes quod Justus s cuneta respieiens fach et patitur sin-
gula hujusmodi pro justitiae complemento : ideo caritativus manet in
talibus inturbatus 1 . Sedecimo Caritas *mmqvam excidih 10 . quia si
respeetu enjusquam excideret. potissime hoc foret propter injuriam
inimici. sed omnem talem injuriam snstinet patienter. ut patet ex eon-
ditione proxima.
Ex quibus convineitur. quomodo dicentes se servare earitatem
generaliter mentiuntur. Et patet. quam vera est illa generalis sententia.
quod Caritas se non compatitur cum mortali 11 . Imo quantnmeunque quis
seiverit de se ipso, ignorat earitatem suam ex eonditione hac ultima, nisi
forte fuerit sibi revelatum. Et ut breviter dicam. non video quomodo
qnicunque 12 in earitate persisteret. qui propter amorem ad quemeunque
1 difamatio defamario A B 2 impetuosos imperuosus B.
-"• credaf credantur B. C. 4 damnetur\ dampnei C.
Vgl Koni. S. »i somniaut soniniantes A
7 i'w earitate fehlt C
> Justus Deus justus alle] Handschriften Allein Deu* pas^t in den
Zusammenhang offenbar nicht: es wird nur zwischen Justus und earitatirn-
unterschieden, aber beidemal ist nur von Menschen die Rede.
9 tHtnrbatui turbatus A 16 exeidit excidet C
11) mortali seil peecato : d. h. dass Liebe sich nicht verträgt nrl: einer
Todsünde.
12 quomod» quieunque] quomodocunque A
De sex jugis.
605
proximum martirio se noo daret ; omnis enim talis non plus diligit
proximum carne sua , et per consequens pervertitnr sinistre 1 regula
caritatis. Et patet quod ex vita et operibus melius judicandum est de
caritate proximi quam de verbis propriis, quantumcunque solemniter
confitetur. Et patet tarn de clericia quam de2) laicis, quomodo eorum
Caritas hodie refrigescit 3) . Si enim faabent talem habitum, tum incli-
nant4 ad actus proprios caritatis. Istae autem regulae praedicandae
sunt instanter populo, ut cognoscant, si ipsi vel clerici plene servaverint
caritatem. Nec dubito quin 5 discrasia introducta per sectas novellas
ab observantia legis Christi huic observationi sexdecuplae sit repugnans.
Et cum omne sonans contra caritatem tanquam haereticum sit damnan-
dum, patet cum quanta diligentia exequeretur ecclesia contra hujusmodi
novitates fi) .
VI.
Ein Abschnitt aus Wiclif's Buch De Veritate sacrae
Scripturae c. 14.
Wiener Handschrift Nr. 1294. fol. 40. Col. 3 — fol. 44. Col. 2. f. 40. Col. 3.
Sic enim 7 salutatus sum nuper a quodam doctore, quem credidi
amicum meum specialem et defensorem praecipuum catholicae veritatis.
Et licet patienter sufferam personales injuria^ secundum regulam scrip-
turae, tarnen necesse est mihi ob honorem Dei et profectum ecclesiae, ut
tollam ab ea scandalum, quod darem ex taciturnitate culpabili, respon-
dere ad argumenta, quibus apparet multis doctorem docere me et omnes
fautores meos esse haereticos et regni subdolos proditores. Hoc enim
debeo facere secundum legem Christi humiliter patientis et diligentis,
cum Christus et sui apostoli sie fecerunt (Joh. 8, 49), et Christus sub-
ditus erat dominis secularibus ut — Caesari (Matth. 22, 21).
I. Imponitur autem mihi primo, quod tanquam periculosissimus I.
inimicus ecclesiae sum Doctor fallaciarum, eo quod ex confessione mea
propria frequenter aequivoco et instar Christi sum Doctor aequivocorum.
aequivocatorum, — aequivocantium. —
Dies wird sofort auf formal logischem Wege widerlegt. —
1) pervertäur sinistre] in ipso sinistre pervertitur B., pervertitnr sinistre
in ipsa A.
2] de fehlt C.
3) vgl. Matth. 24, 12.
4 inclinanf inclinat C.
5) quin] quando A.
6) novitates novitates. Amen. B. Worauf noch die tschechischen Worte
folgen: Taksem chtyel. Während in der Handschrift A. steht: Explicit
tractatus de sex Jugis.
7) Unmittelbar vorher ist von lügnerischen Verdächtigungen die Rede.
(306
Anhang B. VI.
Ii, II. Secundo fit tnpliciter argumentum opprobriosum ad probandum.
quod sum haereticus: cujus argumenti recitntionem et solutionem, si
non esset scolae seductio et famae insontium declaratio [sie] mallem sub
silentio praeterire.
a. A . ßeportatum est autem mihi a tribus personis gravibus auditorii
satis sagacis, scilicet magistris artium. religiosis possessionatis et simili-
bus, quod doctor ille assumit, me inniti sensui verhall scripturae sacrae.
ratione cujus in errores plurimos sum prolapsus ; ut inter multa exempli-
ficat, quomodo ex illo textu apostoli 1 . Cor. II. : »spiritualis homo judi-
io. Coi. 4.cat omnia«, reputando me sie spiritualem, nullius judicio nisi judicio
divino et proprio me submittere : hoc autem est maximum Signum
haeretici : si enim haereticus neminem in terris habeat , qui cum a
suo errore compesceret, a quo de jure judicari possit, quid restat
amplius, nisi ut libere et sine freno suas haereses dogmatizet, cujus
libertatis acquisitionem omnis haereticus summe desiderat ? Sic enim ille
haereticus Occain1) et sui sequaces suos errores asseruit, sed stare
judicio summi pontificis vel ecclesiae romanae tanquam venenum effu-
gerat, ne videlicet, eorum doctrina igne examinationis probata, veritas
in gazophilacium Domini reponatur , et sententiam dampnationis reci-
peret doctrina erroris. Eodem modo per omnia iste Doctor2) Judicium
summi pontificis et romanae ecclesiae subterfugit, ut liberius suos erro-
res. ymo ut verius dicam haereses, possit astruere. Vidi enim protesta-
tionem suam3), quam misit Domino summo pontifici, in qua fatetur se
velle stare judicio Dei et ejus universalis ecclesiae, sibi tarnen cavendo
diligentius, ne judicio ecclesiae romanae vel judicio summi pontificis sit
subjectus ; quae protestatio videtur mihi valde suspecta eo quod, si ejus
conclusiones catholicas et pro utilitate ecclesiae reputaret, subjiceret se
summo domino pontifici , nec ecclesiae romanae eas tradere formidaret.
ut ipsi examinarent, si dictae conclusiones teneri debeant vel damnari.
ad ii. a. II. A. Istud longum argumentum includit venenum sextuplex.
Primo enim fundatur super mendacio. Concessi quidem, quod
»spiritualis homo judicat omnia« ; sed non est hueusque auditum , quod
judieavi me esse de numero illorum spiritualium ; tarnen recognosco et
recognovi saepius, me esse miserum accidum4), mole mundialium
praegravatum.
Seeundum mendacium est, quod nolo stare judicio alicujus nisi
judicio Dei et proprio ; quia, ut patet in protestatione, »submitto me judi-
cio sanetae matris ecclesiae« 5) ; et iste modus loquendi est scripturae s.
conformior, generalior et humilior, quam dicere, quod homo submittit
1) Occam] Hocham, MS.
2) iste Doctor] nämlich Wiclif selbst.
3) Protestatio] bei Lewis, Life of John Wiclif, Anhang Nr. 4l>,
S. 392 ff. mit den Anfangsworten : Protestor publice, at saepe alias u. s. w<
4) accidum] Vermnthnng; die Handschrift hat aeeivum oder atticum.
Arcidus, von accidia {«xnihia) abgeleitet, s. v. a. traege, gleichgültig.
5) s. Levis, Wiclif, 382, im Eingang.
Wiclifs Antwort auf persönliche Verdächtigung.
GUT
ee romanae scclesiae, licet hoc implicet. Volo eniin, sicut debeo ex fide
seripturae, esse siibjectus omni homini propter Christum f] .
Tertw implicat, omnem papam haereticum fuisse summe haereti-
cum, eo quod multi fuerunt papae dampnati haeretica pravitate, et, ur
Doctor asserit, nemo debet in causa papae cognoscere nisi soluin Dens
et ipse, quae foret conditio summi haeretici.
Qttarto assumit2). quod Venerabiiis Ineeptor Occam3, fuit haereti-
cus. quod nec seit probare nec 4 sibi consonat, cum in Iiis, quibus maxi-
me videretur a fide devius, Doctor iste v fuit et est excellens et prae-
eipnus. Ubi enim Occam ponit. quod nihil est nisi substantia vel quali-
tas, iste Dr. ponit, quod nihil est nisi substantia, . et illam vocat rem
per se signabilem, sicut didicit ex Occam, ex Doctore de Aureolis'' .
et illis fratribus quos nunc odit.
Quinta committitur mendacium in hoc, quod imponendo mihi haere-
ses dicit. quod subterfugi Judicium summi pontificis et romanae eccle-
siae, cujus judicio »humiliter me submitto« ") , cum etiam quia ecclesia
universalis mater nostra , cujus filiationem humiliter recognosco , est
romana ecclesia, sicut patet ex jure canonico et conformitate sj eccle-
siae. et patet respicienti protestationem meam, quod nimis sinistre con-
clusum est, quod soli judicio Dei et meo proprio me submitto, cum ex
protestatione formaliter sequatur oppositum.
Sc.vto committitur <J) conditionalis impossibilis, cum sie concluditur:
»si reputarem couelusiones meas esse catholicas et ecclesiae Dei utiles.
nOB dubitarem dare eas summo pontifici nec tradere eas examinandas
romanae ecclesiae. Kam posset esse, quod dominus papa foret ignarus
legis scripturae, et quod ecclesia anglicana foret longe praestantior in
judicio veritatis catholicae, quam tota ista romana ecclesia collecta de
istis papa 10) et cardinalibus. Imo ex facto meo colligitur, quod non sum
suspectus de formidine istarum conclusionum, cum transmisi illas per
magnam partem Angliae et Christianismi , et sie nj usque ad curiam
r oman am, salte mediale, examinandas. Imo cum dictus Doctor viderit
1) nach Eph. ö, 21.
2) Die Worte assumit — nisi substantia hat Shirley, Inirod. zu
Fasetculi zizaniorum IS5S. S. LIII. Anm. nach einer Handschrift der
Bodley schen Bibliothek gegeben.
3) Occam] Wiener HS.: die Bodl. HS. hat hier Roitham.
4) nec seit probare nec) nescit probare. Kec Shirley.
•"> Doctor iste] der Gegner, Avelchem Wiclif antwortet.
<>; Doctor de Aureolis] Petrus von Verberia, genannt Aureolus, 7 frühe-
stens 1345. Vgl. Prantl, Gesch. der Logik im Abendlande, III, 31Q.
7) humiliter me submitto] aus der »Protestatio« s. Lewis 3^2.
8) conformitate] Vermuthung. Die Handschrift hat confre.
9) Auch diese Stelle von committitur bis lingua duplici hat Shirley
a. a. O. p. XXXIII. folg. Anm. 2 aus der Bodley schen Handschrift ab-
drucken lassen.
10) papa] nach Shirley, die Wiener HS. hat papis.
11 et sie] etiam Shirley.
608
Anhang B. VI.
protestationem, et illi 1 patebit per Dei gratiam, quod non timebo2, re-
spondere sibi et omnibus suis complicibus, vel in facie vel in scolis,
quod posset manudueere etiam inimicos, quod nec 3j sum conscius mihi
ipsi de conclusionibus praedietis, cum volo non solum illas examinari
per romanam curiam sed per totam ecciesiam militantem et triumphan-
tem, quae est »sancta mater ecclesia«, cui »humiliter me submisi«, a qua
absit me excludere romanam ecciesiam, cum credo illam esse caput
aliarum ecclesiarum militantium. Unde quia volui materiam communi-
catam, collegi et communicavi 33 conclusiones illius materiae in lingua
cluplici.
■ i b. IL B. Sccundo arguit Doctor forma consimili : De communi, in-
quit, eonsuetudine haereticorum Semper fuit, spreto ecclesiae judicio
ad dominorum secularium praesidium convolare, ut errores suos, quos
non valebant ratione defendere, saltem brachio seculari et manu valida
siipportarent , inferendo viris ecelesiasticis et verae obedientiae filiis
molestias corporales atque diversas injurias, sicut patet4) respicienti
cronicas et gesta antiquorum haereticorum ; invenietis enim, quod Sem-
per haeretici infestabant fideles. Unde et ille maledictus haereticus
Occara, cujus in persecutione ecclesiae videor esse sequax, pro defen-
sione sui erroris adhaesit imperatori Bavaro5) qui ad tempus suas
haereses supportavit. Sic, inquit, ego pro defensione conclusionum
mearum non dubium haereticarum Iiis diebus brachio seculari adhaereo,
i. coi. 2.ut saltem gladio et illatis injuriis contra adversantes queam defendere;
quales etiam injurias atque molestias per dominos seculares ego in-
tulerim membris ecclesiae, ipse in persona sua in parte, ut asserit, est
expertus. Sed licet, inquit, ad tempus regnet, ego tarnen non timeo,
nisi de quibusdam conclusionibus voluerit emendari, finaliter judicabitur
inimicus crucis Christi atque ecclesiae.
Sed ista ratio videtur mihi in multis deficere. Primo in fallacia
ii. b. i. consequentis : haeretici solent inniti dominis secularibus, ut patet de
Arrianis : et ego sie facio ; ergo ego et socii mei sumus haeretici,
Constat Doctori, quod non valet argutia, quia tunc Christus et
sanetus apostolus ex defensione veritatis scripturae forent haeretici.
Christas enim spretis sacerdotibus, scribis et pharisaeis adhaesit dominis
secularibus, ex quorum,;J suffragiis voluit se et suos diseipulos relevari.
Sic enim voluit inopiam sui et parentum suorum in sua nativitate per
tres magos orientales, quos scriptura vocat reges Tharsis et insulae 7) ,
relevari, ut patet Matfhaei 2°. Sic in media aetate sua suseepit elemosi-
1) et Uli] nach Shirley; Wiener HS.: et illas seil, conclusiones)
patebit etc.
2) timebo Shirley: timeo.
nee non Shirley.
1 patet] Vermuthung; potest HS.
"> Bavaro] Kaiser Ludwig von Bayern.
6) (juornm Vermuthung; quibus HS.
7) vgl. Ps. 72, lU folg. Jesa. 60, 9 folg.
Wielif gegen persönliche Verdächtigungen.
609
nas de devotis mulieribus et aliia secularibus, comedendo cum publica-
nis et aliis secularibus, ut patet de Lazaro et Zachaeo. Et tertio in
morte sua vohiit impensis et ministerio secularium sepeliri . ut patet de
.Joseph ab Arimathia, qui fuit nobilis deeurio. Quod autem comedit cum
sacerdotibus vel suscepit ab eis elemosinas, non recolo. A pharisaeis
autem, quorum religio fuit laudabilis, sicut et ipsi cum militibus ex doc-
trina Christi erant conversi, suscepit elemosinas corporales et spiritua-
les, ut patet de Nichodemo et centurione. Non ergo sequitur : adhaesit
dominus secularibus, et movit eos ad spolianduin sacerdotes, ut patet de
Vespasiano et Tyto principibus. quos quadragesimo secundo anno post
ascensionem fecit ire Jerusalem ad destruendum illos sacerdotes ; ergo
fuit haereticus.
Conformiter dicitur de apostolo, qui spreta submissione s*ummi pon-
tificis appellavit Caesarem, non beatum Petrum papam, licet causa sua
tuerit fidei, ut patet Actorum 25°; non tarnen ex hinc sequitur, quod
fuit tunc haereticus, sed perfectus Christianus. Et idem patet de Jere-
mias qui fuit sinistre accusatus a sacerdotibus et prophetis reputantibus
ex conditionali prophetae sententiam de inesse *) ; sed principes seculares,
quibus Jeremias adhaeserat, eum liberarunt, ut patet Jeremiae 2(5°. 38°.
42°. et 4 3°. capitulo. Imo de Nabuchodonosor pagauo habuerat Jere-
mias et Daniel plus amicabilitatis quam de perversis sacerdotibus sui
generis, ut patet Jeremiae 40 et Daniel ; a sacerdotibus autem et pseu-
doprophetis fuerant persecuti, ut patet Jeremiae 20, et ideo locuti sunt
eis aspere instar Christi - .
Cum ergo multi haeretici adhaeserunt brachio seculari, ut dicitur
in libris apocrifis 3) , multi autem catholici adhaeserunt brachio seculari,
ut dicitur in scriptura sacra, quae non potest esse falsa, oporteret de-f.4i.Coi.
scendere specificando modum adhaerendi brachio seculari, ex quo cogno-
scitur hominem esse haereticum, et non turpiter arguere ex fallacia con-
sequentis a communi 4) usque ad suum particulare : »Isti haeretici ad-
liaeserunt brachio seculari pro defensione suae opinionis; et tu adhaeres
bracbio seculari pro defensione tuae opinionis ; ergo tu es haereticus. «
Unde ad discernendum ista est mihi pro regula : si quis adhaeret brachio
seculari pure pro defensione veritatis scripturae, tunc ipse est catliolicus ;
et si adhaeret brachio seculari vel sacerdotali pro defensione falsitatis
suae, scripturae s. contrariae. tunc ipse est haereticus. quia adversarius
legis .
Sed hucusque nec Doctor iste nec alii priores , qui multiplicarunt
contra me 5 argumenta, potueruut convincere , quod aliqua conclusi-
onum, quas impugnant, sit scripturae sacrae contraria: sed ex inven-
1 de inesse] Die Abkürzungszeichen der HS. sind mir nicht klar.
2 instar Christi d. h. wie die Priester gegen Christum feindselig ge-
sprochen haben.
3 apoerijis] HS. : apocrisis.
4 a communi] Vermuthung; HS.: ad communi:
5 Hier kommt nun Wiclif direkt auf sich selbst zu reden.
Lechle r , Wiclif. II.
39
610
Anhang B. VI.
tione eoruin patuit scolae et mundo, quod sententia eoruni fuit scriptu-
rae magis consona. Et sie tarn ratione quam scriptura scio conclusiones
illas defendere graeia Dei , qui me praeservans a mania aecommodavit
intelligentiam ad tollendum omnes suas versutias dictis meis et legi Dei
contrarias.
Ii. b. 2. Secundo quantum ad exprobrationem [) Inceptoris Occam , quem
dicit me sequi nec aliquid novitatis invenire nisi quod in libris suis inse-
ritur, hic dico tria : primo, quod ego nescio ipsum probare fuisse haere-
ticum, sicut forte nec Doctor, sicut pateret eis , qui volunt opiniones
suas defendere vel ad Doctoris evidentias in ista materia respondere.
Secundo dico, quod conclusiones meae nec ab ipso nec a me sumpserunt
originem, cum sint in scriptura sacra infringibiliter stabilitae et per
sanetos Doctores eas astruentes saepius repetitae, sicut collegi in quo-
dam compendio istius materiae 2 . Tertio dico ut supra, quantum ad libros
hujus Venerabiiis Inceptoris, quos ego vidi, Doctor 3) est in pluribus se-
quax suus assiduus, quam sum ego ; nec verecundor sed gaudeo, si in
veritatibus convenimus. Quum autem dicitur, quod conclusiones meae
indubie sunt haereticae, fuisset plus honorificum notasse illas, et vi
argumentorum, non nudis scandalis, doeuisse hanc scolam ; quia aliter
non crederet dictis suis.
Ii. b. a. Tertio quantum ad illud, quod dicit, ipsum in parte sensisse inju-
rias ex instigatione mea illatas clero per dominos, videtur mihi pericu-
losum dictum, salva sua reverentia, propter multa : videtur enim im-
ponere regi, regni consilio, et suis legibus nedum errores sed haereses.
Quantum ad errores, dicit consilium regis injuste egisse cum eo. Et
cum egerunt cum eo secundum leges Angliae, innuitur, leges illas esse
f. 4i. Coi. 4.injustas, et sie scripturae sacrae contrarias et per consequens haereticae.
et sie dominos sub legibus illis militantes. Secundo confirmatur ex hoc,
quod inter alia sie loquitur : per malam, inquit, informationem meam4
et meorum sequacium domini seculares aeeeptant ettemptarunt in parte,
spretis censuris ecclesiasticis cognoscere de possessionibus religiosorum,
et etiam auferre ab eis quasdam eorum possessiones, quas in puram et
perpetuam elemosinam eorum progenitores ecclesiae contulerunt. Istud
dictum indubie cum verbis5; implicat, ipsos esse haereticos, etpotissime
caperet veritatem de monachis francis translatis de Analia. et de the-
zauro regis, propter necessitatem suae detentionis detento a curia : quod
factum haereticare foret nedum haereticare regis consilium , regnum
nostrum et leges suas, sed etiam regnum Franeiae ae alia, et leges
civiles atque canonicas. Tertio confirmatur ex hoc, quod patenter asse-
rit, dominos n) regni nostri defendere me in opinionibus meis haereticis.
1; exprohrationcm\ MS. : exprobationem.
2) Was für eine Schrift dies sei, lässt sich bis jetzt nicht ermitteln.
3) Doctor \ der ungenannte Gegner selbst.
4) meani^ Wiclif 8 und seiner Anhänger.
5) cum verbis] d. h. ausdrücklich.
6) do?nino#] die Lords.
Wiclif gegen persönliche Verdächtigungen.
611
Sed tum; indubie cum verbis sequitur. ipsos esse baereticos, quia 1\.
quaestione ultima : »qui ahorttma l) vere dicitur ab Urbano papa : »Qui
aliorum errorem defendit, multo est dampuabilior illis qui errant. quia
Bon solnm ille errat , sed etiam aliis offendicula erroris praeparat et
contirmat : unde, quia magister erroris est, non tantum haereticos sed
haeresiarcha dicendus est»« Periculosum itaque videtur, imponere dicti>
dominls haereses. nisi quis sciverit probare, quod fuudamentum est fal-
sum, scripturae sacrae coutrarium ; specialiter cum imponens alteri
haeresim obligat se ad pönam talionis , nisi sciverit hoc probare. Si
ergo Doctor nesciat probare, conclusiones meas esse falsas vel scripturae
sacrae contrarias, securus sum. quod non probabit haereses ex Ulis in
me. in meis sequacibus aut defensoribus. quin potius sequitur haeretica
pravitas in secta opposita. Si autem sciret hoc facere, videtur mihi
quod Christi Caritas urgeret ipsum signare conclusionem haereticam. et
docere scripturä vel ratione. quod sit haeretica, vel in scolis publice vel
ad partem specialiter, cum sim paratus ad revocandum et emendandum
me, si sim doctus, quod sit haeretica. Et iterum cum sententia mea sit
catholica. rei publicae directiva. a fide scripturae secundum postiilatio-
nes sanctorum concorditer elicita : videtur peccatum grande, retrahere
dominos a tantae veritatis defensione, cum secundum Crisosfomum, ut
dictum est proximo capitulo- . omne genus hominum tenetur veritates
tales modo suo defendere.
Quarto quantum ad prouosticationem vel prophetiam quam annee-
tit. quod finaliter judicabor inimicus crucis Christi atque ecclesiae : vide-
tur mihi, quod sententia mea est remota a contrarietate crucis Christi,
quia secundum partem. quam plus impugnat Doctor. quod sacerdotesf. 42. coi. 1.
Christi debent vivere in paupertate et persecutione propter justitiam.
Unde ad docendum, quod Doctor iste sit in inimicitia crucis Christi
profundior . deliberatione magna cum suis complicibus ordinavit. ut
unus frater minor , qui gravavit eos ex praedicatione paupertatis et
Status primitivae ecclesiae, per modum revocationis, confiteretur publice
in ecclesia beatae Virgiuis 3- sanctitatem conversationis praesentis eccle-
siae sub hac forma :
»Non teneo, ecclesiam militantem propter suam dotati<mem imper-
fectionis gradum incurrere aliquem.«
Et revera talis confes^io non est scripturae consona nec sanctis
Doctoribus aliquatenus vallata nec rationi de perfectione Status consen-
tanea, sed omnino oppositum. Ulterius de conclusione prophetica for-
mido, non propter spiritum prophetiae, quem scio ipsum4; habere, sed
propter fragilitatem meam quam timeo. perseverare in constanti asser-
1 Corpus Juris canonici.
2) De Veritate s. scripturae c. 13.
3) Virginis in der Marienkirche zu Oxford. Der ganze Vorfall ist nicht
ohne Interesse.
4 ipsum] den Gegner.
39*
Anhang B. VI.
tione veritatum evangelicarum . quas assero et defendo. Certus sum
enim, si vixero in confessione earum usque ad mortem, quod relinquam
mundum et temporalia per carnis et mundi crucifixionem , et per conse-
quens fiam amicus sponsi ecclesiae 1 ) per aeternam domus suae cohabita-
tionem, et sie ero amicus sanetae matris ecclesiae, quia sponsi, per con-
summatam incorporationem. Conclusiones itaqne erroris et seculi opor-
tet nie destruere et sequi Christum in pauperie. si debeo coronari.
n. c. Tertio sie arguitur : Omnes haeretici antiqui de more habebant
fidelibus insultare dicendo eis, quod erant opinionis contrariae, verba
contumeliosa, et sie instar latronum fideles de latrocinio accusantium
fideles vocant haereticos et multa falsa fingentes eis improperant. Sic
enim invenimus, quod Arrius voeavit Athanasium 2) haereticum, et quia
Athanasius docet trinitatem personarum esse omosion^j, unius substan-
tiae, Arrius cum suis complieibus voeavit Athanasium cum suis sequaei-
bus omosiones. ut patet in quodam sermone. Sic ego cum meis sequaci-
bus voco haereticos omnes a meis opinionibus discrepantes, et alia multa
opprobriosa 4) ac contumeliosa ipsis inferimus, quum nobis deficiunt
argumenta, et sie more meretricum ad litigia nos convertimus . ut
omnino ultimum verbum improperatorium sit nobiscum. Ex istis, in-
quit, verisimiliter sequi videtnr, quod ego cum secta mea tarn in conclu-
sionibus quam doctrina sapiam haeretieam pravitatem. Verumtamen,
inquit, hoc adhuc ex causa nostra assero ; sed postmodum in facie
resistet mihi, cum sit ad hoc ex causa multiplici animatus.
Quantum ad istud, videtur mihi, quod hoc argumentum ex fallacia
consequentis non sit multum scolasticum : imo si debeat credi talibus
suasionibus topicis. cum quibus ignari possent deeipi, videtur argumen-
12. ,1. 2. tum illud in Doctorem meum et dominum retorqueri, cum scola cessante
ipse manifestius habundat in verbis improperatoriis et calumniis defa-
matoriis et in subterfugiis frustratoriis, quam alias sectae nostrae. Ideo
si per se ex tali conditione argueretur haereticus, ex pluri illius condi-
tionis argueretur major haereticus, numquam enim memini nie hueusque
explicite imposuisse haeresim alicui, sed saepe dixi, quod adhuc repeto :
si quis pertinaciter asserit sie vel sie, ut puta quod scriptura Sacra sit
falsa, aut quod sapientia Dei patris non sit passa, tunc ipse est haere-
ticus; sed ille est sibi conscius, qui assumit super se consequens, et
tum non audet simpliciter asserere antecedens.
Et eodem modo vidi in quadam epistola, quomodo si papa vel an-
gelus de cölo pertinaeifer dampnaverit quatuor datas sententias, tunc
ipse foret haereticus ; quam veritatem connexionis Obligo me ad vicarie
su8tinendum. Sed simile est imponere scribac illius epistolae asserere,
(|uod papa est haereticus, eo quod dicitur : m sie dampnaverit, tunc est
haereticus:« ac si quis argueret, quod nolo subjici romanae ecclesiae
1) amicus sponsi ecclesiae'] nach Joh. .'J, 29,
2) Athanasium die HS. hat statt dessen Augustinum, Augustinus dreimal.
3) ouwsion) ouoni'amr ; omosiones ouooraioi .
4) opprobriosa HS.: impropriosa.
Wiclif gegen persönliche Verdächtigungen.
nee cuiquam uisi Deo. quia volo subjici sanctae matri ecclesiae. Secundo
dico. quod oportet dimittere convicia latronum et meretricum, et froban
rationc vel auctoritate . quod conelusio quam Doctor proponit haereti-
eare, sit falsa, scripturae s. contraria: quia sum certus, si sit ?era,
non est haeretica vel dampnanda. Et sie videtur multis, quod impro-
prians nobis de defectu argumentorum dissoiveret gazophilaeium marga-
ritarum suarum et doceret per copiam rationum vivacium conclusioncm
quam asserit, et falsitatem sententiae quam diffamat. Verumtamen quia.
dominante in mundo hypoerisi, homines possent alternando ') sibi iin-
ponere haereticam pravitatem. ordinavit sponsus ecclesiae legem scrip-
turae pro regula, ubi potuerit hoc discerni ; quicunque enim non vere
fundaverit vel vitam suam vel sententiam suam in scriptum s.3 sed ad-
versatur sibi et suis professoribus, hie obliquat ut pugil diaboli atque
haereticus. Tertio miror, quomodo Doctor concludit ex dictis, quod
sapimus haereticam pravitatem, sed adhuc ex causa differt nobis ipsani
imponere. Primo quia omnia argumenta sua facta per locum a simili
vel assumunt mendacium quod non probat, vel e contra vel evidentius
docereut, ipsum ac suos esse haereticos, cum ipsi sint copiosius condi-
tioiiis, per quam nimis levis discernit haereticum. Miror insuper, quo-
modo dicit. se non adhuc nobis imponere haereticam pravitatem, cum
saepe prius inculcat. verum esse quod sumus haeretici. Et revera, ut
<lixi superius. propinquius est contradictioni dicere, quod »verum est me
esse haereticum, sed non dico hoc«, quam foret dicere : »non malefaciam
Uli homini. et tarn facto quam verbo depravo eum, quantum sufficio.«
Consideret itaque lector argumenta Doctoris per locum a simili, et ap-
parebit, quomodo pertinentius concluderet, nos esse latrones et meretri-f- 42. Coi. :;.
ces, quam haereticos, et ut credo ex signata similitudine tarn omne
genus perversorum quam etiam improbos viros. Si ergo Doctori liceret
per locum a tali similitudine occupare scolam cum talibus nudis argutiis.
tunc vel pauperi sophistae non deficerent argumenta.
Quarta arguit Doctor conformiter : Apud antiquos, inquit, haereti- H. D-
cos ista diabolica calliditas inolevit, ut in gestu et exteriori habitu simu-
lent quandam sanetitatis imaginem, ut perversam doctrinam2) eorum.
quae de se non habet apparentiam veritatis, saltem suis simulatis fictitiis
et falsae hypoerisis versutiis palliarent, et sie venenum sub velamine eibi
sani Christi fidelibus periculosius propinarent. Sic, inquit, magnus ille
haeresiarcha Arrim nimiam victus austeritatem et vestium abjectionem
continue praeferebat ad hoc non dubium, ut suas haereses coloratius
praedicaret et simplicium animos copiosius captivaret. Si, inquit, ad
folia istorum, scilicet ad exteriorem hominem attendatur, quis non eos
sanetissimos reputaret ? Sed si ad fruetum profunde inspicitur, quis eos
esse haereticos validissimos formidaret? Ideo signanter docet Christus:
1 alternando] Vermuthung . da die HS. hier eine unleserliche Ab-
kürzung hat.
2) perveraam doctrinam' Vermuthung., HS. : percersa doctrina.
614
Anhang B. VI.
a fructibus cognoscetis eos!« Sic, inquit, modernis temporibus ego cum
meis sequacibus, licet veniamus in vestimentis ovium, in omni secus
tarnen sumus lupi rapaces, cum, ut confirmemus nostras doctrinas evi-
dentia sanctitatis , nimiam vtctus austeritatein et vestium abjectionem
aliarumque apparentiam virtutum objicimus conspectibus mcautorum-,
ut vel sie nobis credatur callidius et nostri sequaces multiplicius cumu-
lentur. Praeservamus quidem nos a juramentis extrinsecis, et intrin-
secus laboramus invidia et rancorc, et sie instar hypo-critarum tempore
Christi »colamus culicem sed deglutimus camelum l) . Addimus insuper,
nostram doctrinam continere infringibilem veritatem et testimonio catho-
lico undique comprobatam, sed revera non sequitur, quod verum.
»Nolite, inquit, eis nimis caeco credere 2) , cum secundum doctrinam
apostoli debemus temptare Spiritus , 8-i ex Deo sunt 3) , nempe quan-
tameunque sanetitatem quis in nomine exteriori praetendat, difficile
tarnen est cognoscere, qualis veraciter intus existat; et ideo oportet ad
fruetum attendere, et tunc indubie scire potestis, qualis sit arbor, ex
qua fruetus hujusmodi processeruut. Si; inquam, ad fruetus liujus
sectae attenditis. videre potestis, quod a doctrina eorum oritur regni
perturbatio et ecclesiae persecutio , cum velut ingrati filii maternum
honorem ferre non valentes s. matrem ecclesiam jure et libertatibus suis
privare satagunt toto nisu, sicut inspicienti eorum doctrinam luce clarius
elucescit. Insuper et ad divisionem ecclesiae per subtractionem obedien-
tiae ab ecclesia roinana totis viribus elaborant, et sie ex sonsequenti
corpus Christi misticum, praecidentes domini caput a corpore, ampu-
tare desiderant totam ecclesiam destruetis 4) suis compagibus, quantnm
in eis est, dissolvere et ruere [sie] moliuntur. Unde digne haeretici sunt
f. 42. Coi. 4.censendi, dicente Decreto distint. 22 : »Omnis quisquis cuilibet ecclesiae
jus suum detrahit, injustitiam facit ; qui autem roinanae ecclesiae Privi-
legium ab ipso summo omnium ecclesiarum capite traditum auferre
conatur, hie proeul dubio in haeresim labitur, et cum ille notetur in-
justus, hie est dicendus haereticus.« Hoc, inquit, me et meos compliccs
fecisse, quantum in nobis est, sufficienter ostenditur ex praemissis. Unde
credo, quod positus est hic in ruinam et non in resurrectionem sed in
signum, cui per Dei graciam contradicetur V Nullus, inquit, aestimet.
quod dico ista malo animo ; nolo enim teste conscientia malum dicere
alieui. Unde diligo ipsum forte melius quam credit, cum omnia ista dico
secundum regulam caritatis. <
Ii. i>. 1. Videtur mihi salva reverentia Doctoris, quod hoc argumentum de-
ficit plurimum secundum infamem binarium . tarn in materia quam in
J Matth. 23, 24.
2) Diese Stelle trägt ganz das Ge]>räge eines Stückes aus einer Vor-
lesung des Gegners.
'S) I. Joh. 4. 1.
4; destruetis Vermuthung; strueturis, HS.
5) Luc. 2, 34.
Wiclif gegen persönliche Verdächtigungen.
forma. In materia quidem, quia falsum pro fundamento saepius assu-
mitur, ex quo non minus falsum informiter concluditur. Nam non doce-
tur ex cronicis, quod Arriani nimiam pönalitatem exterius inferebant,
sed nimis modicam, cum indigni fuerant vivere super terram. Ideo debu-
erunt macerasse carnem suam, quousque fuissent noscentes veritatem
scripturae, quam totis viribus depravarunt ; et insuper fuissent impo-
tentes ad sinißtre seminandum suas haereses et ad palliandum ipsas
mendaciis contra scripturam per catervaa infidelium . quas illudunt.
Unde nullus christianus reputaret cos sanctissimos, oisi ex ignorantia et
inadvertentia scripturae fuerit maniacus et insanus.
Seciatdo dico, quantum ad applicationem similitudinis per locum a n. d. 2.
Miniii. quod argumentum deficit infami binario supradicto. Falsum qui-
dem est 1 . quod ego cum meis sequacibus uimiam pöDalitatem et abjec-
tionem cum apparentia virtutum objicio conspectibus incautorum ; nam
inter alia peceata. de quibus timeo, hoc est unum praecipuum, quod
con=umendo in excessivo victu et vestitu bona pauperum, deficio dando
cxemplum aliis, ut lux et regula sanclitatis vitae, quam deberem habere,
luceat sacerdotaliter conspectibua laicorum. Quod Sutern communem
vitam viveudo frequenter avide et laute manduco, dolenter profiteor:
cum. si illud hypocritice simulare voluero, testarentur contra me socii
commensales. Et quantum ad formam argumenti, est similis cum priori,
quo sie arguitur : haeretici communiter adhaerent infldelibus et tyrannis
pro defensione sui perversi dogmatis ; et ego adhaereo christianis prin-
eipibus pro defensione catholicae veritatis : ergo sum haereticus.
Tcrtio videtur mihi mirabile. ex quo spiritu Doctor imponit mihi n. d. 3
tantam vietus et vestium parcitatem, specialiter cum hoc non didicit ex
sensu vel testimonio, nee credo hoc sibi fuisse revelatum ex spiritu pro-
phetiae. Ideo non occurrit mihi locus, quo illud crederet, si non per
locum ab insufficienti similitudine : »Tu sie facis, eo quod Arrius haere-
ticus. cum quo in aliquo convenis. ita fecit.« Sed si locus a tali simili-
tudine attendi debeat, evidentius sequeretur : »Arrius haereticus nega-
vit scripturam asserendo, quod non debet concedi catholice, Christum
Deum simul et hominem, secundum formam quam evangelium exprimitf. 43. Coi. 1.
posse pati ; et tu sie facis, ergo tu es haereticus. »Nam quantum ad pöna-
litatem et vitae austeritatem attinet, non dubiuni quin Baptista, apostoli
et multi saneti primitivae ecclesiae superaverant Arrianos, imo beatus
Jeronymus, beatus Martinas et ceteri saneti, qui Arrianis in facie resti-
terunt ; ideo si ex nuda similitudine pönalitatis cum Arrianis arguendus
foret haereticus, isti saneti Doctores ex majori in ista similitudine argu-
endi forent haeretici plus quam ego.
Quarto videtur mihi non sanum Judicium, quo dicit nos cavere Ii. d. 4.
juramenta extrinseca et laborare intrinsecus invidia et rancore. Nam
l Falsum quidem est — commensales hat Shirley a. a. O. p. XL VI.
Anm. 1. aus der Bodley'schen Handschrift gegeben. Die Ziffer des Ka-
pitels ist indes 14, nicht, wie dort verzeichnet, 12.
616
Anhang B. VI.
licet nobis judicare de manifestis criininibus, de occultis autein nequa-
quam: sed de operibus bonis de genere, nisi docto in facie ecclesiae.
quod fiaut mala intentione, non debeinus ad deteriu.s judicare ; hoc enim
foret temerarium Judicium a Bcriptura sacra prohibitum: Matthaei sep-
timo V dicit Christus : »Nolite, inquit, judicare, et non judicabimini. <
Multis enim videtur probabile, quod Doctor interpretans opera bona de
genere ad malum , ut puta perniciosam pönitentiara et juramenti abs-
tinentiam, ex hoc quod procedunt ab hypocrita ex invidia et rancore.
incidit in jndicium quod osteudit. qaia nee Bervatur forma correctionia
fraternae in forma judicii, nec dictum illud videtur consonum confessioni
priori. Quum autem dedit ista signa incompleta sub quodam involucro
verborum communium, per quae discernit haereticum, scripsi sibi, cum
aliqua pars scolae supponit, quod me intelligit in verbis suis eomrnuni-
bus; respondit. quod non, cum reputat me virum catholicum2. Nunc
autem effundendo virus collectum antiquitus multiplicat argumenta secun-
tl n in Domerom illoruni signorum haeretici, et omnia Lila ad me modo
applicat singulariter et expresse. ConataJ autem mundo, quod ex hiric
non potest convinct?re, unde sim modo noviter super haeresim singula-
riter inipetitus. Unde ne materia3; istius eontentionis sit nimis forma-
lis4j, statui mihi pro tripla regula ex scriptum, quod prima inundem me
cavendo diligentius de culpa quae mihi imponitur : scio enim •>) quod
nimis crebro immisceo zelum sinistrum viudietae cum intentione dextra.
si quam habuero. Ideo quoad Hj illud, quod imponit" mihi, sub prae-
tensa sanctitate latere hypocrisim, invidiam et rancorem, timeo mihi,
quod dolens refero, quod illud mihi evenit nimis crebro, ratione cujus
mereor pati scandala longe plura, quam adhuc mihi illata sunt. Et hine
pulsando Deum meum orationibua nitar diligentius, depeccatia spiritua-
libus, quae est solius Dei eognoscere, de cetero praecavere. Secmido
considerans, quod *] diabolus tanquam leo rugiens circuit quaerens quem
devoret9,, quem non potest devorare seductum nequitia manifesta.
famam ejus inquinare conatur, ut vel sie opprobriis hominum et mala-
ruin linguarum detractione "') deficiat. non eonseius mihi de crimine
1) septimo] HS. : s°.
2; Der Satz : Quum autem — — virum catholicum enthält eben die
confessio prior des Gegners, und referirt einen früheren Vorfall.
3) Den Abschnitt von ne materia — vulnera superaddant hatShirley,
Introd. zu Fasdc, Zizan. XLV fg. Anm. 4. gleichfalls nach der Bodley'-
schen Handschrift abdrucken lassen.
4 formalis] sterilis, Shirley.
5) sie enim] fehlt bei Shirley, aber mit Unrecht; es ergibt sich dann
ein völlig anderer Sinn.
6) quoad] err/o ad, Shirley.
7 imponif imponitur, Shirley.
8] quod quia. Shirley.
9 I. Petr. ■>. 8.
10) detractione Vermuthung : Shirley: ohtractione , Wiener HS. wtOih
tr actione.
Wiclif gegen persönliche Verdächtigungen.
617
manifesto1) iinposito patienter suff'eram maledictum , quia 1. Cor. 4°t. 4:{. Coi. 2.
dicit apostolus : »mihi autem pro niinimo est, ut a vobis judicer aut ah
humano die.« Tertio excusans me a scandalo mihi imposito, rogabo pro
scandalizantibus, ne Ii vor et zelus vindictae dolorem mihi super prior»
vulnera superaddant2 ). Et ista triplex regula mihi necessaria elicitur
ex epistola Augustini ad cives Ypponenses. Quarto quoad/rwc^uw
sectae nostrae, quo assumitur nos perturbare ecclesiam et niti separare
membra a capite nitendo destruere privilegia romanae ecclesiae, non
sum mihi conscius quoad ista, cum intendo tarn in universali quam in
particulari, quod destruam peccatum scandali a Christi ecclesia, quod
est per se causa totius perturbationis in populo. Ex quo patet, quod
non in praedicando veritatem evangelicam ad destructionem peccati.
sed in fovendo peccata et impediendo, ne lex scripturae servetur, tur-
batur ecclesia, licet quantumlibet malum pönae sequatur ex primo, et
quantumlibet apparens prosperitas ex secundo. Apparet ex IU° Regum
183) dicto Heliae : »Tune es ille qui conturbas Israel?« et ille ait : »Non
ego turbavi, sed tu et domus patris tui, qui dereliquisti mandata Do-
mini!« Sic ergo debet omnis catholicus niti unire membrum capiti
Christo, faciendo in casu divisionem hostium crucis Christi, quia hoc
est ad veram pacem matris ecclesiae, licet pönalis corporalis perturbatio
consequatur, dicente Christo Matth. 10: »Non veni pacem mittere in
terram sed gladium ; veui enim separare hominem adversus patrem
suum, et filiam adversus matrem suam, et nurum adversus socrum
suam.« Venit itaque Christus ad dissolvendum conföderationem fictam
inter homines mundanos per superbiam cliaboli; illa euim viros fortiores
fallit, cum diabolus, rex super omnes filios superbiae, omncs peccatores
illaqueat ; carnales autem ex vitio voluptatis camaUs conjuncti suut per
Christi pönitentiam sejungendi : sed mundo uupti sunt per Christi paupe-
riem separandi. Qui ergo nititur quiete fovere populum in aliquo horum
trium, nititur dissolvere veram pacem, quia pacem originalem hominis
ad Deum , quae solum dissolvitur per peccatum. Unde generaliter
omnes sancti utriusque Testamenti ad ilium finem fecerunt seditionem
in populo, cum aliter non forent milites Christi exercitus, nisi pacem
diaboli sibi contrariam niterentur dissolvere. Unde et istam accusatio-
nem de commotione populi tulerunt sacerdotes et scribae adversus domi-
num Jesum Christum accusantes eum tanquam haereticum occidendum.
ut patet Lucae 23°: »Commovet, inquiunt, populum docens per univer-
sam Judaeam incipiens a Galilaea usque huc« ; et sequitur : »Stabant
autem principes sacerdotuni et scribae constanter accusantes eum.«
Patet ergo,, quod non sequitur: Iste christianus commovet populum ad
1) In der Wiener HS. steht am untern Rande der mit manifesto zu
Ende gehenden Columne, von der ersten Hand: Auctoris virtus magna.
2) superaddant] bis hieher erstreckt sich der Abdruck von Shirley.
3) 1. Könige IS. 17.
618
Anhang B. VI.
pugnandum secundum fidem scripturae contra diabolum ; ergo est haere-
ticus; cum sit Signum oppositi.
f. 43. coi. 3. Ex istis perpendi potest fructus sententiae, quam per tempus soli-
cite seminavi. Primo discerni potest, qui clerici conjugati cum seculo
et per consequens cum Mammona ut socro fortius quam cum Deo ; quia
omnes, qui plus remurmurant contra praevaricationes temporalium quam
virtutum. Secundo discerni potest quomodo mundo divites debent a tali-
bus prüden ter subtrahere elemosinas corporales, cum nemo debet »jugum
ducere cum infidelibus« J) confirmando matrimonium tarn monstruosum,
quin potius dissolvendo. Tertio si Deus voluerit, possunt de omni genere
clericorum bi, quorum corda Spiritus sanctus tetigit, animari ad mundi
contemptum et induendum paupertatem evangelicam propter Cliristum.
Nec credo tantum fructum procedere ex opinione dicente, quod scrip-
tura sacra sit haeretica et blasphema.
ii. d. ö. Ulterius quantum ad destructionem privilegiorum romanae ecclesiae
protestor publice, quod amando et venerando romanam ecclesiam matrem
meam desidero et procuro defensionem omnium privilegiorum suorum
atque insignium. Scio quidem ex fide scripturae tanquam infringibiliter
verum, quod omne suum Privilegium est ex Deo ; et de quanto secuta
fuerit Christum conformius, de tanto amplioribus privilegiis insignitur.
Uli autem qui alliciunt, ut dicta ecclesia plus attendat ad homines ac
prosperitates mundanas, quam ut persecutionem patiatur pro justitia2),
ut plus appretietur dotationem ac aedificationem Caesaris quam capitis
sui Christi, sunt ejus subdoli inimici, dicente Christo Matth,. 10, post-
quam docuit se daturum non pacem mundanam sponsae suae sed gla-
dium, »inimici, inquit, hominis domestici ejus. De hoc alibi.
ii. d. ü. Sexto cum Doctor determinatione multiplici docuit ex sanctis Doc-
toribus, per quae signa possunt haeretici cognosci, et jam ultimo eadem
repetiit, applicando ad me singulariter (|uae prius dixerat in communi,
restat colligere, ex quo signo iufallibiliter cognosci possunt haeretici,
quia certum est quod nullum signorum in forma qua mihi recitata sunt,
probant vel topice quantumcunque hacieticum : ideo dico. ut supra,
([uod omnis talis et solum talis est haereticus, qui scripturae sacrae
verbo vel opere pertinaciter contradicit. Cum enim illa sit testimonium
Dei, quod voluit remanere in terris, ut suam voluntatem cognoscerent,
patet quod impossibile est, nisi per conformitatem ad illam, fidelium
mentes bonae :>) effici voluntatis. Ideo signanter legitur Lucae 16°:
»Habent Moysen et prophetas ; audiant illos !« Lex, inquam, scripturae
sufficit pro instructione ecclesiae, et sie omnis haereticus est adversarius
legis et prophetarum, ut saepe exposui. Unde beatus Gregorius tertio
Moralium super libro Job 2°: »condixerant enim sibi, utpariter venien-
1) 2. Cor. (i, 14.
2) Matth. 5, 10.
3) bonae] beruht auf Vermuthung mit Anspielung auf Luc. 2, 14), da
die hier in der HS. stehende Abkürzung schwer zu entziffern ist.
Wiclif gegen persönliche Verdächtigungen.
Iii!!
tes visitarent eum; condicunt, inquit. sibi haeretici, quiini prava quae-
dam contra ecclesiam concorditer sequuntur, et In quibus a veritate dis-
erepant, sibi in l'alsitate concordant.« Volvant et revolvant quicunque
voluerint, et non invenient in sanctis Doetoribus vel ratione fundatuin,
quod quicunque sunt haeretici nisi ex eo, quod fundantur in falsitatc
scripturae sacrae contraria , qüia veritas scripturae sacrae non potest
esse ecclesiae sanctae contraria, et solum illud dogtna est haereticüm, f. 43. Col. 4.
quod est contra ecclesiam. Solum ergo i Iii . qui contra scriptnram
sacram, quae est earta sanctae matris ecclesiae, conspirant et sentiunt,
sunt censendi haeretici, eo quod solum illi sunt contra ecclesiam. Ad
convincendum ergo haereticos, quod vel false sentiunt extra scriptnram,
vel quod de ipsa sinistre sentiunt, tales inquam non solum haeretici,
h. e. a voluntate Dei divisi. sed proditores ac persecutores Dei merito
possunt dici. Unde Crisostomus in Imperfecta, homelia 20 exponens
illud Matth. 20 : »Assumpsit Jesus duodecim discipulos suos seorsum in
itinere et ait Ulis : ecce ascendimus Jerosolymam, et filius hominis trade-
tur principibus sacerdotum et scribis, et condempnabunt eum mortc. et
tradent eum gentibus ad illudendum et flagellandum et crucifigendum,«
omnis, inquit, gloria Dei et omnis salus hominum in Christi morte posita
est ; nulla enim est res, quae ad salutem hominum magis pertineat, nec
aliud propter quod magis Deo gracias agere debeamus ; ideo cum plu-
rima turba sequeretur Christum in via, 1 2 apostolos tulit [sie) secreto et
eis tantum suae mortis nuntiavit misterium, quia Semper pretiosiorem the-
zaurum in melioribus vasis includimus ; plebs ergo propter incapacitatem
et mulieres propter naturae suae mollitiem excluduntur. Sed post tra-
dit iste sanctus 1 ex praedictis verbis evangelii sensum magis melli-
fluum2 : Christus, inquit, verbum veritatis est secundum testimonia
scripturarum : nnde sicuttnnc, sie et modo, Deus tradit eum sacerdoti-
bus et scribis ad manifestandum fidem sanetorum et perfidiam iniquorum.
cum tradit eis scripturam sacram, quae est verbum veritatis. Et sicut
tunc fideles videntes eum pati secundum humanitatem non recedebant a
tide deitatis, iniquorum autem perfidia, licet intellexerit, eum esse filium
Dei secundum testimonia scripturarum, ausi sunt eum interficere, sicut
et modo, quum, inquit, vides scripturas prophetarum, evangelii et
apostolorum traditas esse in manus falsorum sacerdotam et scribarum,
intellige, quia vivum verbum veritatis traditum est principibus iniquis et
scribis3)« etc. —
Ex testimonio autem istius saneti et aliorum sanetorum elicitur. t. u. Col. l.
quod sicut haeresis antichristiana in primitiva ecclesia coepit perse-
quendo verbum Dei in natura corporea, sie. eadem haeresis continuaturde-
pravando illud verbum quod est scriptum sacra, adversando sibi tarn
opere quam sermone. Hoc ergo est per se Signum cognoscendi haereticüm .
ausgelassen.
1) sanctus] seil. Chrysostomus.
2; mellißuum] mellifusum HS.
3) Einige weitere Sätze aus Chrysostomus. die Wiclif citirt. sind hier
62o
Anhang B. VI.
u. D- 7. Ulterius quoad prophetiam de ruirm mea, juxta prophetiam Symo-
nis de Christo Luc. 2, rogo Dominum, quod, si nou sit a Deo sententia
quam praedico, sed falsitas lidei scripturae opposita, quod ruam cum
meis fautoribus , saltem ab ejus defensione temeraria ad lumen fidei
resurgendo. Et sie videtur mihi, quod sive sim haereticus sive catholi-
cus, quod »positus sum in resurrectionem ;« si. inquam sim haereticus.
sum certus, quod sententia mea ad resurrectionem multorum, quia ad
declarationem fidei, destruetur: si autem in hoc sim catholicus . sum
certus iterum, quod sententia, quam teneo, per Organa Dei vel ante
adventum antichristi vel postea defendetur , quia super omnia vincit
veritas verbi Dei, ut dicitur Esdrae 3°. Et sie utrobique vel ad bonum
meum vel malum dogma raeura proderit sponsae Christi et erit cum
paribus ad resurrectionem multorum a volutabro voluptatum.
n. d. v Quantum ad dilectionem, quam Doctor jurat se erga me gerere plus
quam credo, si veritas ita se habeat, Deus sibi retribuat ; si sophistice
palliat, rogo Deum, ut de perjurio sibi parcat, quia multis videtur, quod
mixtio mendacii sit malum in genere. et raro evenit, quod malum tale
bene circumstantionetur [sie] moraliter, cum de difficultate simplex in—
tentio adjaceat bono extrinseco. Constat quidem 1 ex testimonio Criso
stomi omelia 17ma Imperfecti, quod licet christiano corripere christia-
num, sed oportet cavere, quod vere corripiat de reatu, subdueto odio.
pro peccato commisso in hominem, subdueta , inquit - , jactantia de
1. 14. coi. 2.propria justitia vel virtute. et tertio servata forma evangelica . quod
non judicetur ex levi suspicione ambigua et occulta. Quae videntur
multis in ista correptione deficere, cum notum sit mihi, quod cum dupli-
citate verborum ad partem3) in publico faisum fingitur, et caritativa
communicatio in scriptis patule denegatur. Ideo timens de malo, quod
Doctor meus4 posset ad verificandum pronosticationem suam disponere,
licet fuerim citatus ad comparendum 5 nunc coram domino archiepi-
scopo in quocunque loco fuerit suae provinciae, timui illo ire : audivi
enim, quod dixit in sententia. quod »Modicum , et non videbitis me, et
iterum modicum, et videbitis me6).« Si, inquam, vadit ad patrem papam
vel archiepiscopum . posset faciliter parare mihi locum insidiarum et
caedis corporis, cum inulti sunt instrueti, Deus seit a quibus et quali-
ter. quod foret elemosina , ut combustione , occisione vel morte alia
1/ Von Constat quidem sim extinetus hat Shirley diese Stelle
wiederum nach der Bodley'schen Handschrift in Fasciculi zizan., Introd.
XXXIV. Anm. abdrucken lassen.
2) subdueta, inquit) subduetaque, Shirley, jedenfalls in Folge irrigen
Lesens einer Abkürzung, welche auch in der Wiener HS. sich hier findet.
:{ ad partem] partem ohne ad, Shirley, wodurch der Sinn aller-
dings leidet.
4) meus] mmis, Shirley, vennuthlich in Folge einer Abbreviatur,
welche die Wiener HS. gleichfalls hat.
•r>) comparendum'1 comparandum Wiener HS.
ti, Joh. 16, 16.
7 combustione] combustive Shirley, der jedoch combustica vormuthet.
Eine wiclifitische Dichtung.
621
Bim extinctus in tantum. quod ista argumenta, quae Doctor jam fecerat,
notantur communiter in ore multonun clericorum episcopalium, trahen-
rium ignaros ad infidelitatem, quotquot possunt cum ipsis subvertere.
VII.
Metrica compilatio de replicationibus contra
Magistrum Johannem x) .
A. Handschrift der Wiener Hof- und Staats-Bibliothek Nr. 3929.
fol. 223. Col. 2. — fol. 225. Col. 1.
B. Handschrift des British Museum, MS. Cotton. Cleopatra. B. II.
fol. 59.
Abdruck a. in Monumenta Franciscana . herausgegeben von Professor
Brewer Lond. 1858. S. 592—601.
b. in Political Songs and Poems relating to english history, herausgegeben
von Thomas Wright. Lond. 1859. Vol. I. 253—263.
Beides in der Sammlung Herum britannicarum medii aevi scriptores.
welche auf Staatskosten erscheint.
Heu. quanta desolatio Angliae praestatur,
cui2 regnum quodlibet hinc inde minatur,
<jt ejus 3 navigium paene conquassatur !
Regnum nec4) consilio5) nec ope juvatur.
Wiih an 0 and an I, prae dolore ventris
meum jam consilium jacet in vi mentis ,3 .
1 Ueberschrift in A. Die Handschrift B. hat von späterer Hand die
Ueberschrift des Gedichts : Invectivum contra monachos et atios religiosos
tempore Richardi Secundi, s. Band I. S. 691. Anm. 1.
2 cui] , A. cujus B. Letzteres gibt nur dann einen Sinn, wenn
minatur passive gebraucht ist . was in mittelalterlichem Latein wenigstens
denkbar ist.
3 ejus] A. . hu jus B.
4j nee fehlt in A.
5; consilio exsilio B.. nach Brewer b, während Wright a, eben-
falls consilio gibt.
6) With an O — mentis Diese Zeilen und die analogen durch das
ganze Gedicht stehen als Refrain je am Schluss einer Strophe. Brewer
(a) hat zweifellos Unrecht, dieses Zeilenpaar je an die Spitze der Strophen
zu stellen , wenn auch die Handschrift des British Museum diese Anord-
nung haben sollte. A hat constant: Wyt a o et a I, was sich nur durch
die vollkommene Unbekanntschaft des böhmischen Abschreibers mit der
englischen Sprache erklärt. Ganz den gleichen Refrain finde ich in einem
englischen Gedichte, welches demselben Verfasser angehört und in der-
selben Handschrift des British Museum seht; s. bei Brewer S. 606 ff., bei
Thom. Wright 1, 26S ff. In englischer Umgebung nimmt sich der Re-
frain natürlich besser aus , als inmitten eines lateinischen Textes. Hier
bildet er eine Erscheinung ähnlich der nicht so gar seltenen Einflechtung
(522
Anhang B. VII.
Sed ad pönitentiam convertat Üeus gentem
et dirigat divinitus mei 1 regis mentem,
ut tortuosum lucide cognoscat serp entern,
iu monachis et fratribus hypocrisim latentem !
With an 0 and an I, ne istis attendat,
sanctorum oratio ad cölos ascendat.
In nos pestilentia saeva tantum 2) crescit,
quod virorum fortium 3) populu.s dcerescit 4] ,
quae diversis partibus adluic invalescit.
linde 5) noster jubilus totaliter recessit.
With an 0 and an I huic 6) finem ruinae
addat, qui snpremus est" auetor medicinae.
In maligno positus nunc est inundus totus s .
20 a viris Angligenis non est Christus notus9 ;
in religionibus 10) nullns est devorns,
pro peccato popnli nj venit terrae motns.
With an 0 and an I debacchantur servi l2j ,
et in servos Domini nimis sunt protervi.
In hoc terrae motu ab hora diei
qua 13) tunc convenerant scribae, pharisaei
cum summis sacerdotibus contra Christum Dei,
vultus irae patuit divinae faciei.
With an 0 and an I sanctos difiamarunt ,
30 per haereses et Schismata quae false 14 patrarunt.
lateinischer Liedesworte in Liedern moderner Sprache, z. B. In dulci jubüo,
nun singet und seid froh u. s. w., oder Syngin y Wolde, bat alasl De
sc cndunt prospera (/rata etc. Politieal Poems and Songs, ed. Wright I.
270 ff.
1 mei A. , nostri B.
2) tantum] A. , jam B.
3) fortium fortium jam 1>.
4) dcerescit] B., decessit A.
5) unde] A. , cum B.
6) huic] B. , hunc A.
7) est] B. , sit A.
8) Vgl. 1. Joh. 5, 19.
9) a ciris — notus] diese Zeile steht in Cod. A. als dritte , dagegen
in relig. — derotus als zweite , pro peccato — motus als vierte Zeile. Es
scheint, dass die Zeile a viris in B., die Zeile pro peccato in A. die ächte
und ursprüngliche Stellung hat.
10) m religionibus ] A. , in religiosis jam B. religiones = Mönchsorden.
11) pro peccato populi] B. , pro puncto peccuti A.
12) debacchantur servi] Anspielung auf den Bauernaufstand im Mai und
Juni 1381.
13) qua] A. , quin B. Hier, wie Zeile 22, deutet Verf. auf das Erdbeben
vom 19. Mai 1382. 14) falte] A. , falsa B.
Eine wiclifitische Dichtung.
(523
Efeu, jam 1 mala plurima de nobis sunt seit»,
per ventos et flumina jacent grana trita ;
ab antiquis patribns haec sunt inaudita.
qui campos conspicitis, scitis2), quod est ita.
With an 0 and an I. causam si quaeratis .
dico, quod haec accidunt3 nobis pro peccatis.
Si statas conspieimus, nullus exeusatur :
Quod in shopis4 venditur, male mensuratur.
quilibet perjurio vel fraude Lucrätur,
sed quod sie adquiritur, adquirens furatur, 40
With an 0 and an J, res male quaesita.
ut in dies conspieimus, saepe vadit ita.
Clcrici. ([iii speculum forent laicorum.
in fastum cum libidine 5 multi laxant lorum.
Rectores jam rapiunt bona subditorum ;
scitis °; , quod haec omnia signa sunt dolorum.
With an 0 and an I, sie") est mundus versus.
qui lueeret aliis. tenebris est mersus.
Ultra si progredimur, ubi sunt praelati?
Nescio. sed certum est, multi sunt elati, 50
scholis theologici^ pauci baptizati,
sed prece vel pretio vel penna sublimati.
With an 0 and an L libens scire, quare
penna viros erigens non 8j facit volare ?
Quid dicemus praeter haec de religiosis.
primo9) mendicantibus. falsis et mendosi*.
qui se fingunt similes actu rubris rosis.
cum mores odoriferos exemplent 10 morosis 0
With an O and an I, rosae marcuerunt 11
instar sterquilinii l2) saporem dederunt. 60
1) Jam] B. , tarn A.
2) scitis] B. , satis A.
3) haec accidunt] A. , hoc accidit B.
4) shopis] B. , scopis A. Wieder ein Fall . wo Unbekanntschaft des
Abschreibers [A] mit dem Englischen Ursache des Fehlers ist : shopus ist
ächt das englische shop, Kaufmannsbude oder Gewölbe.
5] cum libidine] A. , libidinis B.
6) scitis] B. , satis A.
T) sie] B. , hinc A.
8) non facit] B. , facit non A.
9) primo] immo, b. Wright.
10) exemplent] A. , exempluni B.
11) inarcuerunt b, mercuerunt a, mercesserunt A.
12) sterquilitiii A. a, sterquilinium b.
624
Anhang B. VII.
Hi domos conficiunt inirae largitatis,
politis lapidibus, quibusdam quadratis ;
totum tectum tegitur lignis levigatis;
sed trausgressum regulae probant ista satis.
With an 0 and an I, facta vestra tabent,
Christus quum sie dixerit: »Vulpes foveas l) habent.u
C^ualiter aedificant modo 2; , non est mirum,
ingens opus construunt quasi magnum Tyrum,
quantumeunque3! fuerit, circumvallant 4) gyrum,
70 si decretum verum sit, totum est5) delirum.
With an O and an I, destruetis fundatis,
nova statim construunt H) pecuniis paratis.
Non est monasterium tarn possessionatum,
nec rex nec episcopus, ut satis est probatum,
habens opus aliquod tarn cito paratum,
sicut qui cotidie vadunt mendicatum.
With an 0 and an I} vel sunt furatores,
Vel faciunt numismata regni proditores.
Se mendicos publicos clamant cunetis horis,
*»0 non tarnen dedecoris, sed magni7) honoris
habitu se protegunt, panni melioris
tunicis, pelliciis frigus claudunt foris.
With an 0 and an I, dicunt pharisaei :
»ecce quanta patimur pro amore Dei ! «
Sed siv quis impugnat11) hoc, dant responsum gratum :
quod ad usum proprium nobis est hoc datum ;
donum 10) rident intime, non accedunt statum,
seä praeeeptum regulae sie est vacuatum.
With an 0 and an I, per idem possent11) isti
90 uti roba rubea pro amore Christi.
1; Vulpes foveas] A. , foveas vulpes B.
2 modo] A. , vere B.
• ; quantumeunque] A. , qualitercunque B.
4) circumvallant) B. , circumvallatum A.
5) totum est] A. , est totum B.
ti) construunt] A. und a 'Brewer durch Conjectur, construant B.
7) sed magni] B. , magni sed A.
8) ISed si] A. , Si B.
9) imimynat] B. . impugnet A.
10; donum] A. , bonum B.
IT possent \ A. , possunt B.
Eine wiclifitische Dichtung.
625
Minores induerent pannum viliorem,
et de corda cannabi induerent cinctorem ;
sed ut locum teneant in fastis aliorum 1 ) ,
semet ipsos induunt regium colorem.
With an 0 and an I, exivi de paradiso
absconditur sub modio Papa sie deriso.
Inter fratres griseos2; sie est ordinatuin.
quod nullnm velle mortuum post erit mutatum.
Si conventum videant penuriis gravatum.
non donabunt aliquid, sed monstrant kgatum. 100
With an 0 and an I, Helmebrigge 3) testatuni
firinum stat cum Frances dicunt desponsatum 4 .
Isti fratres praedicant per villas et forum .
quod si mortem gustet quis in habitu Minorum,
non intrabit postea locum tormentoruim
sed statim deducitur ad regna polorum 5 .
With an 0 and an I. habitu0) cum zona
adquiritur ab Helmebrigge fratribus") annona.
Si dives in patria quisquis infirmetur.
illuc frater properans et currens movetur s . 110
et statim cum venerit, infirmo loquetur.
ut cadaver mortuum fratribus donetur.
With an 0 and an I, ore petimt ista,
dum cor et memoria simul sunt in cista 9 .
Quod si pauper adiens fratres infirmetur.
et petat, ut inter hos sepulturae detur :
»Gardianus absens est«, statim respondetur,
et sie satis breviter pauper excludetur.
With an 0 and an I, quilibet est negans.
quod quis ibi veniat nisi dans vel legans. 120
Fratres in capitulis solent compilare
literas, »suflragia« quas solent vocare,
1) in fastis aliorum] A., fastis altiorem B.
2; fratres grisei, grey friars, sind ebenfalls die Franziskaner.
3) Helmebrigge] B., Helingbrigg, A.
4) desponsaium A., dispensatum, B.
5) 2)oloru7n] A., cölorum, B., was die leichtere, erklärende Lesart ist.
6) habitu] B., prohibitum, A.
7) fratribus] B., fehlt in A.
8) movetur] A., monetur. B.
9) in cista, d. h. im Geldkasten des Sterbenden.
Lechler, "Wiclif. II.
40
626
Anhang B. VII.
vere sed *) naufragia debent 2) nominare,
viros 3) cum praecipitent in profundum mare.
With an 0 and an I, quod papa non audet.
falsus frater annuit, et spe lucri gaudet.
In bis sunt participes4) omnium missarum
et precum similiter et abstinentiarum,
nam personae dignae sunt; curant valde parum,
130 numquid tales literae sunt de usu Sarumb).
With an 0 cmd an I} tot partes dederunt,
quod ipsis non aliquae credo remanserunt.
Tarn vivis quam mortuis tales partes dantur.
sed doctores0) publice blasphemiae probantur.
Haec et his similia fratres operantur ;
quae restant gravissiina, hic non recitantur.
With an O and an I, vos fratres valete
in vos pravos capiet7), si quis trabat rete.
Quid dicam de mvnachis sancti Benedicti?
140 dictiss) per antipbrasin, sed sunt maledicti,
nam non servant regulas, quibus sunt astricti,
ab antiquo Mammona uimU 9) sunt depicti 10) .
With an 0 and an I, leporem venari
rnalunt quam Jeronymi vitam venerari 11 .
Nulli sunt qui seculo12! magis se dederunt,
quam illi qui seculo renunciaverunt ;
ut canes ad vomitum tales redierunt 1 ;
manus dantes aratro retro respexerunt u) .
1) sed) Ä. und a; sunt, b, oflfenbar gegen die HS. 13, und sinnlos
zugleich.
2j debent] A. und b; debentur, a.
3) viros] A; pueros, B
4) sjunt j)artici2)es B ; bullis partes sunt, A.
5) Anspielung auf die Liturgie der Kathedrale von Sarum Salisbury ,
welche im ^littelalter maassgebend geworden war.
6) doctores publice, blasphemiae] A; d. h. sie werden öffentlich als Lehrer
einer Gotteslästerung enviesen ; blasphemi pablici doctores, B.
7) ])ravos capiet] A; capiet pravos, B.
8) dictis] A; dicti, B.
9) nimis] A. und a; minus, b.
10) depicti] A; deficti, B.
11) venerari] A; contemplari, B; ersteres ist vorzuziehen, wegen des
"Wortspiels mit venari.
12) qui seculo] A; in seculo qui. B.
13) cf. II. Petr. 2, 22.
14) cf. Luc. r>2.
Eine wiclifitische Dichtung.
627
With mi 0 and an J, hoc peccato rei
imllo modo dicti sunt apti regno Dei. 150
Monachus, qui proprium solet abnegare,
obbam1) die quolibet vult appropriare,
nec vult ciphum socii, sed proprium portare,
et ni discus plenus sit, hic vult murmurare 2) .
With an 0 and an 1, fuit dictum prisco 3j :
»Monachus mundo mortuus vivens est in disco.«
Haec ego qui feceram4; monachos5) aggressus,
per hos rasus fueram, sed nondum professus ;
sed de magnis ocreis0; cito fui fessus,
et ad Christi regulam statim sum regressus7). 160
With an 0 and an I, de visis in domo,
cum juratus fuerim s . nunquam seiet homo.
Zweiter Theil.
Tautos motus intuens Dominus in mari
et Petri naviculam pene conqua>sari 9) ,
quosdam viros nobiles fecit magistrari,
ut fides ecclesiae posset 10) restaurari,
Wy clif et diseipulos voluit vocari.
With an 0 and an I, hi sunt viri nautae.
ducentes a devio1^ Petri navim caute.
Hi doctores mouachos solent increpare. 170
quia volunt l2) regulam propriam 13) servare.
1 ein Trinkgeschirr.
2j murmurate] A. und b; minitare, a.
3) prisco] A; presto, B, a und b, mittels Conj. : prisco: cf. Matth. 5, 21.
4] Hier am Schlüsse des I. Theils, stellt sich auf einmal der Dichter
persönlich vor, mit einer kurzen Andeutung seiner Lebenserfahrungen.
5) monachos] A; monachus, B. a. b.
6) ocreis] A ; b ; otiis, a.
7) regressus] A; egressus, B. a. b.
8) cum juratus fuerim] B. a. b; pro me tum juratus sum A.
9; et Petri naviculam pene conquassari] diese Zeile steht nur in A; sie
fehlt in B (a. b./. Man könnte sie für eine eingeschobene Glosse halten,
zumal bei Aufnahme derselben die Strophe vor dem Refrain 5 Zeilen hat,
statt , wie allenthalben sonst , -1 . Allein die Zeile muss doch wohl acht
sein , da bei Auslassung derselben die Worte in mari nicht recht ver-
ständlich sind.
10) posset] A; possit, B. a. b.
11) devio] A; Domino, was keinen guten Sinn gibt, A a. b.
12) nolunt] B. a. b ; volunt, A.
13) regulam propriam] A; proprias regulas, B. a. b.
40*
628
Anhang B. VII.
injungentes monachis otium vitare,
et dant per quod medium debent laborare.
With an 0 and an I, roonachi pinguati
laborare manibus hoc non possunt pati.
Tunc fratres ulterius probant delirare.
nullo modo validi debent mendicare,
sed aptantur regula mann laborare,
qnia qnam accipere beatins est dare l) .
ISO With an 0 and an I, Frannces (sie) laboravit,
nt posteri sie facerent, primus exemplavit.
Tacto laboritio fratres fnriebant
et ex parte propria monachi timebant :
monachi tum propere2 fratribus mittebant,
qui laeti de nuntio statim3) veniebant.
With an 0 and an l, sit Deus beatus.
hic amici facti sunt Herodes et Pilatus.
Armacan4; , quem Dominus cölo5) coronavit,
discordes tantummodo 6 fratres adunavit :
190 sed magno miraculo Wyclif coruseavit,
cum fratres et monachos simul colligavit 7) .
With an 0 and an I, consortes effecti
quovis adversario8) dicunt sunt protecti.
Factum est, dum monachis fratres 9) concordarent,
quod10) doctores ordinum Scholas11; doctrinarent,
1) cf. Act. App. 20, 35.
2 propei'e] A; proprie, was keinen Sinn gibt, B. a. b.
3) statim] A; laeti, tautologisch, B. a. b.
4) Armacan] B. b ; a, Armacanum ; es muss aber Nomen sein; Armo-
lian A. Der Name des berühmten Erzbischofs Richard Fitz -Ralph von
Armagh, -j- 1360, ist überhaupt in den böhmischen "Wiclif-Handschriften
aus Unkenntniss gewöhnlich verschrieben.
5) Dominus cölo) A; cölo Dominus, B. a. b.
6) tantummodo] Conjectur, die Handschriften haben einhellig tantomodo.
Der Sinn ist : AViclif hat ungleich mehr zuwege gebracht als der Erzbischof
von Armagh : dieser hat blos die verschiedenen Bettelorden durch seine
Opposition zur Einigung getrieben, Wiefif aber hät bewirkt, dass Bettel-
mönche und besitzende Orden eine Coalition unter sich schlössen.
7) colligavit) A; collocavit, B. a. b.
8) quovis adversario, d. h. gegen jeden Feind.
9) fratres] A; simul, B. a. b.
10) quod] A; et, B. a. b. Die Stellung dieser und der folgenden Zeile
nach A; B. a. b. haben die Ordnung umgedreht.
11) scholas] A; scholis, B. a. b.
Eine wiclititische Dichtung. 629
atque falsas fabulas fratres praedicarent,
per quas fainas floridas in sonitum migrarent.
With (in 0 and an I, viri veritatia
multum diffarnati sunt dictis cum tractatis l) .
Tunc primus determinans est Johannes Wellis2) 200
sanctos 3) viros reprobans cum verbis tenellis,
multum conversatus est ventis et procellis,
hinc4) in ejus facie patet eolor feÜis.
With an 0 and an I, in scholis non prodest
imago5) faciei monstrat, qualis hie6) est.
Hic promisit in scholis, quod vellet probare,
Nicol Hereford et Wyclif") dictis repuguare.
Sed cum hics) nesciverat plus !J) argumentare,
Hereford 10) solvens omnia jussit Bayard n) stare.
With an 0 and an I. Wellis replicabat 210
sed postquam Nicol solverat, tunc 12 j Johannes stabat.
Tunc successit alius Goydon1:! nuncupatus,
in 11 monachis egregius et vir magni status ;
propter meum dicere nemo sit iratus,
hic non erat 15) clericus, sed laicus literatus.
With an 0 and an I, sub veste monachatus
Goydon fere laicus est clam piliatus.
Hic dixit, quod monachi non debent laborare,
sed quod fratres validi 16) debent 17 mendicare ;
1 dictis cum tractatis] d. h. mit Worten und Schrift. Conjectur; A hat :
dictis nontractatis; B. a. b : in dictis contractatis.
2 Wellis] A., Vellis, B. Magister Johann Wellys oder Wellis, ein
Benediktiner aus dem Kloster Ramsey , war ein eifriger Gegner Wiclif s,
und erscheint als solcher in vielen Urkunden, s. Fase. Zizan. 113. 239 u. s. w.
3) sanctos] A. B. b; istos, b.
4 hinc] A; b. durch Conjectur; B: huc ; Brewer, a, vermuthete at.
5 imago] B. a. b ; imago namque, A.
6) hic] B. a. b; quis, A.
7) Nicol. Hereford et Wyclif] A; Wyclif et Hereford simul, B. a. b.
8) hic] B. a. b; plus, A.
9) plus] B. a. b ; hoc, A.
10) Hereford] A; Nichol, A. a. b.
11) Bayard] B; Bayherd, A; blind bayard = blinder Kauz, blin-
der Hesse.
12) tunc] B. a. b ; extunc, A.
13) Goydon] B; Gaydon, A.
14) in] B. a. b; pro, A.
15) hic non erat] B. a. b ; non erat hic, A.
16) validi] B. a. b ; valide, A.
IT) debent] A. a; deberent, c.
630
Anhang B VII.
220 sed ejus asserere vel suum1) negare
non est factum2) aliquod liquide probare.
With an 0 and an I, magis audax pecus,
quod in biga cernitur, extat Bayard caeeus
Tunc Cromphorn4) accesserat omnibus ignotus,
non 5) Anglicus nec Wallicus °) nec Scotus nec Francus,
non claustro sed seculo se donabat totus ;
apostata tarn7) publicus a nobis sit remotus !
With an 0 and an I, a claustro sie dempti
Christi non sunt ; quare sie? quia sunt exemti8).
230 Tu Cromphorn yj stultissime, credo, quodinsanis!
Ut quid10) Scholas occupas frivolis et vanis?
dicta tua non valent unuin stercus canis ;
omnes isti monachi coaxant cum ranis.
WitJt an 0 and an I, dixit bufo crati
maledicti desuper sint tot dominati.
Facto fine11) monachis, frater sequebatur,
doctor de Minoribus, qui M er ton12) vocatur ;
sed quia balbutiens tanquam corvus fatur,
nihil, quod proposuit, tunc reputabatur 13) .
240 With an O and an I, sileat ut mutus,
donec per Franciscum sit loquelae restitutus.
Tunc processit W h a p p e 1 o d e 14) , fere cerebrosus,
non arguens, sed garrulans, et nimis mendosus,
cujus labor quilibet est infruetuosus,
cum sit pro mendaeiis omuibus exosus.
1) suum] a; sui, A. b. Sinn: sein Behaupten oder Verneinen ist Be-
hauptung, nicht Beweis.
2) factum] B ; fratrum, A.
3) magis audax — caeeus] Wiclif selbst spielt einmal auf dasselbe
Sprichwort an , De quatuor sectis novellis c. 6 Wiener HS. 3929. f. 22S :
In vulgo dicitur , quod non est equus in biga audacior , quam est caeeus.
Vgl. De Ecclesia c. 18. HS. 1294. f. 186, CÖ1. 3.
4) Cromphorn] Krummhorn, A; Crophorne, B. a. b.
5) non] A; nec, B. a. b.
6) Wallicus] d. h. aus Wales, A; Gallicus, B. a. b.
7) tanfj A; jam, B. a. b.
8) exemti] A; adempti, B. a. b.
9) Cromphorn] A; Crophorne, B. a. b.
10) quid] A; quod, B. b.
1 1) ßne] B. a. b ; sine, A.
12) Merton] B. a. b ; Morton, A.
13) reputabatur] A; reportabatur, B. a. b.
14) Whappe'ode] B. a. b; Fabulot, A.
Eine wiclifitische Dichtung.
631
With an 0 and an I, talis frater fictus
est frater aequivoce, sicut frater pictus.
Tunc aecessit1) alias Stokis2) nominatus,
rufos naturaliter, et 3) veste dealbatus,
omnibus impatiens et nimis elatus, 250
et contra veridicos dirigens conatus.
With an O and an I, sub tarn rubra pelle
animus non habitat nisi mixtus4) feile.
Hic per dies plurimos Doctor laboravit
ad probandum publice, quod Christus mendicavit ■"■ .
allegans, quod feminae Christus imperavit,
ut potum porrigeret, et6) ipsa ministravit.
With an O and an L si tu tacuisses,
tunc tu 7) stulto similis philosophus fuisses !
8i legas, a seculo non erat inventurn, 260
a quibus haec religio cepit fundamentuii] .
polimitum8) prinritus habebat indumentum,
sed cur haec despicitur, est magnum portentum.
With an 0 and an I, fuerunt Pyed Freres 9) ;
quomodo mutati sunt, rogo dicat10) Peris11).
Horum quidam praedicant, quod sunt ex Maria,
alii tunc asserunt, quod sunt ex Helia,
cum istorum 12) quilibet diecordet a via,
nullus talis veniet coli monarchia 13) .
1) aecessit] B. a. b; processit, A.
2 Stokis B. a. b: Stocus. A. Der Carmeliter Peter Stokes, Dr. der
Theologie, gegen die WicHf sehe Partei vielfach thätig.
3) et) B. a. b; fehlt in A. 4 mixtus] A; unetus, B. a. b.
5) ad probandum — mendicavit] A. Fehlt in B, dagegen hat letztere
Handschrift, und nach ihr a und b folgende Zeile: nihil ad propositum,
quod argumentamt, was im Zusammenhang völlig entbehrlich ist, während
obige Zeile eine wirkliche Lücke ausfüllt: sie nennt die These, welche
Stokes mit dem Citat aus dem Gespräch Jesu mit der Samariterin be-
weisen wollte.
6) et] fehlt in A.
7) tunc tu] A, tu tunc, B. a. b.
8) polimitum] A. b; pollinudum, b.
9) Pyed Freres) bunt gekleidete Bettelmönche ; Die Handschrift A.
hat die Glosse picatus zu pyed.
10) dicat] A; a. b; Dico, B.
11) Peris) \ \ Pers, B. a. b; vielleicht = Piirce, mit Anspielung auf
»Peter den Xckersmann« und dessen beliebte Gesichte , s. oben 1. Buch,
S. 244 ff.
12 istorum] B. a. b ; tunc horum, A.
13) monarchia] A; monachia, B. a. b.
632
Anhang B. VII.
27 0 With an 0 and an I, si fundator detur,
ipse dedit regulam, quae rogo monstretur.
Post haec die postera Nicol veniebat,
et ad tacta *) singula clare respondebat ;
et Philippus Repington2) omnia solvebat,
quae Petrus apocryphus3) in scholis tangebat.
With an 0 and an I, postquam sie solverunt 4) f
et fratres et monachi5) vultum depresserunt.
Monachi cum fratribus (i) pariter videntes,
quod facere nil poterant 7) adversus innocentes,
280 pauperum pecuuiis loculos replentes,
quantum possunt properant 8) Londonias currentes 9) .
With an 0 and an I, pro quaestu sanetorum
largas dant corrigias de bouis aliorum.
Post haec simul adeimt metropolitanum,
Nicol Hereford asserunt haereticum profanum,
et Philippum Repington proclamant 10) insanum
praesulis pecuniis linientes manum11).
With an 0 and an I, pecuniis placatus :
»quidquid fratres cupiunt«, dicit, »sum paratus«.
290 Tunc ipsos episcopus et fratres citabant 12) ,
contra quos, cum venerant13), nihil allegabant,
qui multis injuriis ipsos aggravabant,
qui visis periculis ad Papam appellabant .
With an 0 and an I, Filius et Flamen
hos cum Patre dirigat14) in agendis! Amen.
1) tacta] B. a. b; cuneta, A.
2) Repington) Repinton, A; Repyndone, a; Repyndoun, b.
3) Petrus apocryphus] Peter Stokes.
4) solverunt] A; voluerunt, B. a. b, sinnlos.
5) et fratres et monachi] A; fratres tunc et monachi, B. a. b.
6) Monachi cum fratribus) B. a. b ; tunc fratres et monachi, A.
7) quod facere nil potera?it] A; quae facere poterant, B. a. b.
8) properant] A. b; propriant, a.
(J) currentes] A. b; carentes c.
10) proclamant] B. a. b; clamant, A.
11) praesulis] A. b; profusis, a. Sie schmieren des Erzbischofs Hände
mit Geld.
12) citabant] B. a. b; eibabant, A.
13) cum venerant] B. a. b ; venerant, cum, A.
14) dirigat] A; dirigant, B. a. b.
Wiolifa angebliches Schreiben an Papst Urban VT.
633
VIII.
Liter a missa papae Urhano sexto l) .
A. Handschrift der Wiener Hof- und Staatsbibliothek Nr. 13S7. fol. 105.
B. Handschrift der Bodleianischen Bibliothek in Oxford: E. Mus. B6.
Abgedruckt in Fasciculi zizaniorum ed. Shirley, Lond. 1858. S. 341 fg.
Gaudeo plane detegere cuicunque fidem 2J quam teneo, et specia-
liter Romano pontifici ; quia suppono, quod si sit orthodoxa, ipse fidem
illam humiliter confirmabit, et si sit erronea, emendabit.
Suppono autem, quod evangelium Christi sit cor corporis 3) legis
Dei; Christum autem, qui evangelium illud immediate dederat, credo
esse verum Deum et verum hominem, et in hoc legem evangelii omnes
partes seripturae alias4) excedentem.
Suppono iterum, quod Romanus pontifex, cum sit5) summus vica-
rius Christi in terris, sit ad istam6) legem evangelii inter viantes maxi-
me obligatus ; majoritas enim inter Christi discipulos non penes magni-
tudinem mundanam, sed penes Christi imitationem in moribus men-
suratur.
Iterum ex isto corde ") legis Domini patenter elicio, quod Christus
fuit pro statu b) hujus viationis homo pauperrimus, omnem dominationem
mundanam abjiciens. Patet per fidem evangelii, Matth. VIII. 20, et
2. Cor. VIII. 9.
Ex istis communiter elicio, quod nec papam9) nec aliquem10) sanc-
torum debet fidelis aliquis imitari, nisi de quanto ipse imitatus fuerit
Dominum Jesum Christum. Nam Petrus , Paulus et filii Zebedaei cu-
piendo dignitatem mundanam contra istam imitationem , deliquerant ;
ideo non sunt in istis erroribus imitandi. Ex istis elicio tanquam consi-
lium n) , quod papa dimittat seculari brachio temporale dominium 12 , et
ad hoc clerum suum efficaciter exhortetur. Sic enim Christus fecit sig-
nanter per suos apostolos.
1) A; Die Ueberschrift lautet in B: Copia cujusdam literae Magistri
Johannis Wycclyff missae papae Urbano VI. ad excusationem de non veniendo
sibi ad citationem suam a. d. MCCCLXXX1V. — Lewis, Life of Wiclif,
ed. 1820. 194. Nr. SI. gibt den Titel: Excusationes ad Urbanum.
2) ßdem] A; fidem meam, B.
3) cor corporis] A; corporis, B; corpus, Shirley kraft Vermuthung,
aber irrig.
4) alias] A; fehlt in B. Englische Recension: all other lawes.
5) sit] A; fehlt in 'B.
0 istatn] A; illam. B.
7) isto corde] ein Beweis, dass oben cor nicht fehlen darf.
8) statu] A; tempore, B.
9) papam] A; ipsum papam, B.
10 aliquem] B; alium, A. Englisch: ne no saint.
11) consilium] A; concilium, B.
12) temporale dominium] A; dominium temporale, B.
634
Anhang. B. VIII.
Si autem in istis erravero , volo humiliter , etiam per mortem , si
oporteat, emendari. Et si in persona propria ad votum potero laborare,
vellem praesentiam Romani pontificis humiliter visitare. Sed Deus
necessitavit me ad contrarium, et consequenter l) me docuit plus Deo
quam hominibus obedire. Cum autem Deus dederit papae nostro iu-
stinctus justos evangelicos, rogare debemus, quod instinctus illi non per
subdolum consilium extinguantur, nec quod papa aut cardinales aliquid
agere contra legem Domini moveautur. Igitur rogemus Dominum2)
cujuslibet creaturae, quod sie excitet papam nostrum Urbanum sextum,
sicut ineeperat, ut imitetur cum clero suo in moribus 3) Dominum Jesum
Christum, ut ipsi efficaciter doceant populum in hoc ipsos fideliter imi-
tari, et rogemus spiritualiter papam nostrum a maligno concilio4) prae-
servari ; quod certum5) cognoseimus , quod »Inimici hominis domestici
ejus«^) , et »Deus non permittit nos tentari supra id quod possimws«") : multo
magis Deus8) a nulla creatura requirit, quod faciat quod non potest ;
cum illa sit patens conditio Antichristi.
1) consequenter] A; communiter, B.
2) Dominum] A; Deum Dominum, B.
3 in moribus] A; etiam in moribus, B.
4 concilio] A. und B ; consilio , Shirley vermöge einer Conjectur,
jedoch ohne genügenden Grund.
5) certum] A; iterum, B.
• 6) vgl. Matth. 10, 36.
7) vgl. 1. Cor. 10, 13.
8) multo mayis Deus] A; multo plus (ohne Deus , B.
Register.
Abaelard I, 67.
Abbotesley, Pfarrkirche I, 2S9 ff.
Abel I, 547. 589.
Abendmahl I, 606.
Lehre vom Abendmahl I, 631 ff.
II, 29. 31. fg. 534 fg.; häufiger Ge-
nuss des Abendmahls II, 129 ff.
Abendmahl unter beiderlei Gestalt
s. Kelch.
Abgeschiedenheit, mystische I, 142 fg.
Abgötterei, sittliche I, 564 fg.
Ablass I, 707 fg. II, 132. 174 ff. 352.
523 ff. 536.
Absolution I, 615.
Accidentien I, 615. 620. 622.
Ackermanns Erzählung II, 35 ff.
— Gebet II, 105.
— Gesichte II, 36.
— Glaube II, 36 fg.
Adam I, 511. 522. 547.
Adamiten in Böhmen II, 466. Anm 2.
Adelbert von Bremen I, 34.
Adoptianer I, 42.
Aegidius von Viterbo II, 404.
Aelfric I, 433.
Aeneas Sylvius, s. Pius II.
Aevum, aevitas I, 497.
Agnesberg bei Zwoll II, 52S fg.
Agobard von Lyon I, 35.
Agricola, Rud. II, 502. 52!».
Ailly, Card, d', I, 473. Anm. 3. IL
203. 210 ff. 2S1.
Akko I, 93.
Akosmismus I, 1-13 fg.
Alanus de Insulis I, 40.
Albert der Grosse I, 497. 509.
Albik, Erzb. von Prag II, 173. 1S3.
Aldhelm, Bischof I, 432 fg.
Alexander II. I, 172.
Alexander III. I, 72 fg.
Alexander V. II, 156 fg.
Alexander VI. II, 539 fg. 543. 545.
Alexander von Haies, s. Haies.
Alexiusbrüder II, 4.
Alfred, König I, 171. 433.
Alice Perrers I, 361 fg.
Allmacht Gottes I, 491 fg.
Allwissenheit I, 492.
Alterthum , christliches , Errungen-
schaften desselben I, 30.
Alvaro Pelavo 1,118. Anm. 1 60. Anm.
163 fg.
Amalrich von Bena I, 159.
Ambrosius I, 616 fg. II, 343. 40s.
Ambrosius Traversari I, 7'».
Amersham in Buckinghamshire II,
435 fg. 450.
Ammonius, Andr. II, 439.
Arnes in Wodnian II, 510.
Ampere, J. J. I, 162. Anm.
Anbetung der Hostie I, 624.
Andree II, 285. Anm. 1.
Angelsachsen I, 16S ff.
Angelsächsische Literatur I, 432.
»Anglikanische Kirche« I, 175.
Anglo-normannische Sprache I, 434.
Angrogne, Synode von, 1532. I, 48.
Anna von Luxemburg, Richard' s II.
Gemahlin II, 110 ff.
Annaten I, 164. Anm. 345. 356.
Anrufung der Heiligen I, 558. 560.
Anselm von Canterbury I, 141. Anm.
14(i. Anm. 173. 237/240. 490. 495.
498. 509. 521.
Antichrist, Erwartung desselben I,
73 fg. 78., der Papst Antichrist I,
595. 709. II, 244. 264.
Antinomismus I, 155. 160 fg.
Antonius von Padua I, 83.
Apokalyptische Richtung I, 76 ff.
II, 33. 120. 551.
»Apokryphisch« alles ausser der Schrift
I, 476.
636
Register.
Apostelbrüder I, 87 fg.
Apostolische Armuth I, 50. 80 fg.
118 ff. 142.
Apostolisches Bekenntniss II, 315.
321. 405 fg.
Appellationen I, 195.
— vom röm. Stuhl an ein allgem.
Concil II, 494.
Appropriation I, 191 fg.
Arbeit an Heiligentagen I, 561.
Aristoteles I, 108. 461.
Aristotelische Metaphysik I, 497. 526.
Armachanus s. Richard Fitz-Ralph.
Armenische Kirche (Lehre) I, 217 fg.
Armuth, evangelische, I, 330 fg.
"Arme Priester« I, 419 ff.
Arnold von Brescia I, 64 ff. 79. 741.
Arnold, Thomas I, 16 fg. 404. Anm.
2. 419. Anm. 423. Anm. 3. 426.
428. 441. Anm. 1. 628. Anm. 659.
Anm. 2. 669. Anm. 698. Anm. 713.
Anm. 1. II, 350. Anm. 556.
Aries liberales I, 278 fg.
Arundel, Thomas Graf, Erzbischof
I, 414. 438. 609. II, 24. 46. 60.
66 fg. 74. 78 fg. 83 ff. Tod 92.
322. 357. 412.
Askese I, 28 fg.
Askew, Bischof II, 360.
Aston I, 414. 421. 660. 6S5. 687 ff.
II, 4. Anm. 7 ff. 14. 17 fg.
Augsburgische Confession I, 609.
Anm. J .
Augustin I, 143. Anm. 145. 237 ff.
240. 242. Anm. 243. 461 . 465. 485 fg.
493 fg. 505 fg. 509 ff. 522. 543.
545. 547. 550 fg. 571. 599. II, 257.
267. 316. 331 fg. 343. 408. 533.
542.
Augustin, »Ap. der Angeln« I, 318.
Augustiner-Eremiten II, 460 fg.
Auktorität der Kirche II, 401 ff.
Auktoritäten, nach scholast. Begriff
I, 467. 469.
Ausf in England I, 365.
Austie in Böhmen II, 297.
»Authentisch«, die Schrift I, 470.
Avignon I, 93. 114. 163 ff. 209 ff.
B.
Baalspriester I, 625 fg.
Baber I, 389. Anm. 451 . Anm. II, 554.
Babington II, 353. Anm. 365 fg. Anm.
368 fg. Anm. 391. Anm. 4. 399 fg.
Anm.
"Babylonische Gefangenschaft« der
Tapste I, 93.
Baccalaureat I, 284. 286. 293.
Bacon. Roger, s. Roger.
Badby, Jon., II, 64 ff.
Bagley, Thom., II, 315. 327.
Bakonthorpe I, 217.
Bale, Joh., I, 21S. Anm. 313. 319.
432. 440. 443. 717. II, 554.
Ball, Joh.. I, 245. 656. 661.
Balliol-Colleqe in Oxford I, 272. 274.
288 ff. 316.
Baiton I, 685.
Bann I, 577. II, 244 fg.
Barlo w II, 458.
Barnes, Rob., II, 454. 459. 461.
Baronius I, 36. Anm. 70.
Barons I, 591. Anm. 1. II, 460 fg.
Bartlet, Robert u. Richard, II, 436.
449 fg.
Basler Concil II, 348. 478 ff. 489 ff.
503. -
Bauernaufstand in England 1381, I,
656 ff. 704 fg.
Baur I, 231. Anm. 240. Anm.
Bayfield, Rieh., II, 458.
Becket von Patteswick II, 14. 29.
Becket, s. Thomas Becket.
Beda, der Ehrwürdige, I, 432 fg.
Bedeman I, 660. 685. 692. 695.
Begharden I, 155. Anm. 156 ff. II, 4.
Beginen I, 133. 157 ff.
Begüterte Orden I, 587.
Beichte I, 669 fg. ; bei Bettelmönchen
I, 219 ff.
Bekehrung I, 523 ff. 538.
Beiknappe, Rob., I, 347.
Bellarmin II, 33o.
Benedikt XIII. I, 205.
Benedikt von Nursia II, 39 fg.
Benesch II, 255.
Berengar Taloni I, 118.
Berengar v. Tours I, 61. Anm. 634.
638. Anm. 3. II, 343.
Berger, W., II, 195. Anm. 228 fg.
und Anm. 3 22s).
Bernard, Thom , II, 448.
Bernhard von Clairvaux I, 66 ff. 7;».
141. Anm. 145. 146. Anm. 163.
228. 382. 5.10. 533. 741. II, 237.
343.
Bernhard von Font-Caude I, 58 ff.
Bernhard, Erzb. von Narbonne, I, 58.
Berthold von Regensburg I, 44. 133.
140 fg 158. 397.
Berton, Wilh., in Oxford I, 654 fg.
Besoldungswesen, kirchliches, I, 419.
II, 297. 339 fg. 394 fg.
Bessarion II, 529.
Register.
637
Bethlehemskapelle in Prag II, 137 ff.
162 fg. 160. ISO.
Betteln, sittliche Berechtigung 1,219 f.
Bettelorden I, 39. 80. 141. 190 fg.
457. Erzb. Bichard' s Polemik gegen
sie 218 ff. 225 fg. 256. Wiclif und
die Bettelorden I, 319. 374. 416.
585 ff. 663 fg. 679. II, 54 fg.
Bibel, s. Schrift, heilige.
Bibelmänner II, 370. 433 fg.
Bibelübersetzung, waldensische 1,49.
— irische I. 2iS.
— englische, vor Wiclif ? I, 430 ff.
— Wiclif sehe I, 437 ff. 651. II, Sfg.
16. IS. 20. 23. 7S. 97 fg. 111. 350.
424.
— lutherische I, 450. 453 fg.
Biberach II, 192.
Bilder Heiligenbilder) I, 555 fg. II,
126. 293 fg. 343. 3SS ff. 430. 473.
Bilderstürmer, taboritische II, 465.
469.
Bilney II. 450.
Bischof und Presbvter I, 109. 573 fg.
II, 26S. 341. 473. 522.
Bischöfliches Amt I, 574. II. 357 fg.
363 ff.
Blacater, Erzb. v. Glasgow II, 431 fg.
Blahoslaw II, 507. Anm.
Blomstone II, 427 ff.
Boccaccio I, 102. Anm. 134. 409.
II, 500 fg.
Bocher, Wilh. ,'Butcher: II, 457.
Böhmen II, 110 ff. 347] 375 fg.
Böhmischer Adel II, 274 ff.
Böhmische Brüder I, 46. 4S.
Böhmer, Ed. I, 101 fg. Anm. 115,
Anm .
Böh.ringer I, 12. Anm. 32S. Anm.
346.Anm.2. 592. Anm. 613. Anm. 3.
654. Anm. 691. Anm. II. 167. Anm.
259.
Böklerbund II, 487.
Bonagratia I, 120 fg.
Bonaventura I, SO fg. Anm.
Bonifacius VIII. I, 93 ff. 108. 112.
130. 137. 207 fg. 499.
Bonifacius »Apostel der Deutschen«
I, 171.
»Bom honwies« I, 61.
Bonner, Bischof I, 431.
Boothe, Bischof II, 360.
Bor, Joh. v. II, 132.
Böse, das I, 237 ff. 506 ff.
Bourchier, Erzb. II. 36s. Anm. 412 fg.
417.
Bracton I, 206.
Bradwardin, s. Thomas v. Bradwardin.
Brancaccio, Card. II, 165. 181.
Brant, Sebast. II, 499 fg.
Braybrooke, Hob., Bisch, v. London
I, 691. II, 24. 96.
Botzek v. Podiebrad II, 276.
Bremen, Erzbisthum I, 34.
Bretignv, Friede von I, 247. 336 fg.
Brewster, Joh. II, 439.
Brezowa. Chronist II, 464. Anm. 470.
Brightwell I, 685.
Brigitta, die heil. I, 166. II, 129.
Britten, die alten I, 16S. 170. II, 35.
Brockhaus I, 20. Anm.
Brömel I, 152. Anm.
Bromyard I, 396. Anm.
Brown, Eduard I, 5. 17S fg. Anm.
185. Anm. 186. 198. Anm.
— Johann II, 445 fg.
— Roger II, 428 ff.
— Wilhelm II, 308. 319.
Brüder des freien Geistes I, 42.
— des gemeinsamen Lebens 11,501 fg.
527 fg.
— von Cheltschitz , Brüder - Unität
II, 506 ff.
Brügge in Flandern I, 346. 34S.
Brüte, Walter II, 30 ff. 44 fg. 49.
101.
Buchdruckerkunst II, 444.
Bücherpreise II, 442. Anm.
Buckingham, Grafschaft II, 435 ff.
450.
Bugenhagen I, 450.
Bukingham, Bischof von Lincoln I,
691.
Burckhardt, Jak. II, 501. Anm.
Burleigh, Walter I, 461.
Bürgerthum im XV. Jahrhundert II,
499.
Bury, Joh. II, 412. 417. Anm.
Busse I, 523.
Bussakrament II, 32. 249. 292. 314.
429 fg. 536.
Butler, Richard II, 442. Anm.
— Thom. II, 42s ff.
— Wilhelm II, 97.
c.
Caedmon I, 432.
Caesarei episcojn etc. I, 575.
Calixtiner II, 301. 466.
Calle, Joh. II, 30S. 326.
Calvins Abendmahlslehre I, 543 fg.
Cambridge, Univ. II, 362. 412. 454.
459.
038
Kegister.
Canon, Nicol. II, 310. Anm. 3.
Canossa I, 64. 173.
Canterbury, das Benediktinerstift da-
selbst I, 304 ff. 312.
Canterbury-Halle in Oxford I, 294 ff.
306fg. 312. 316. 334. 336.
Cantionale von Leitmeritz II, 285 fg.
Anm.
— von Prag II, 285. Anm. 514. Anm.
Cardinalscollegium II, 242 fg.
Carlstadt I, 643.
Carmeliter I, 590.
Carpsnter, Kanzler von Oxford ll, 361 .
Cassiodor II, 343.
Centralisation von Rom aus I, 136 fg.
Oesarini Card. II, 478.
Charta Magna I, 174 fg. 475.
Chase Thom. II, 436 fg. 443.
Chaucer 1,409 ff. 453 fg. II, 4. Anm.
35 fg.
Chedworth II, 414.
Chichelv, Erzbischof II, 92. 95. 100.
306. 313. 322. 325. 348.
Chiliastische Hoffnungen II, 464.
Christann von Prachatitz II, 183 fg.
261. 289. 291 ff. 299. 469.
Christ - Church - College in Oxford
I, 312.
»Christi Gesetz«, s. Schrift, heilige.
Christoph , Herzog v. Württemberg
I, 6.
Christus s. Jesus Christus.
Chrysoloras, Man. II, 500.
Ciarisse I, 12. Anm.
Clarke, Adam I, 4 51.
Ciaydon, Johann II, 95 ff. 99 fg. 103.
Clemens der Heilige I, 55S.
Clemens v. Alex. I, 29.
Clemens V. I, 10S.
Clemens VI. I, 209 f.
Clemens VII. I, 579 ff. 646 ff".
Clemens v. Lanthony I, 443.
Clerus Christi, Clerus Antiehristi II,
264.
Clifford, Sir Lewis I, 387 fg. II, 11. 79.
Closener, Chronik I, 131.
Cobham, Lord II, 22. 80 ff. 93 fg.
100. 107. 302. 321. 328.
Colet, Joh. II, 453.
Cölibat I, 38. 571 fg. II, 26 fg. 311.
345 fg.
Colins, Familie II, 449 fg. 457.
Colleges in Oxford I, 272.
Collegialsystem I, 126.
Colonna, s. Otto v. Col.
Communion, häufige II, 122. 129 fg.
294 fg.
Compactaten II, 481. 484. 503.
Concilien I, 106. HOff. 125 fg. 128.
II, 489 ff. 495 fg. 544 fg., s. Basler
Concil und Constanz.
Concil von Trient I, 624. Anm. 3.
Concordate II, 499.
Concordienformel I, 629.
Conrad von Lichtenau I, 82.
Consekration I, 614. 617. 622. II,
249fg. 314. 318.
Consilia, Gegensatz praecepta I, 109.
532 fg. 567. Anm. 1.
Constantin's (angebliche) Schenkung
I, 33. 59fg. 68. Anm. 3. 88. 254 fg.
574 fg. 593 fg. II, 244 ff. 393 fg.
417. 501. 505.
Constantine, Georg II, 458.
Constanz, Concil II, 186 fg. 251.268.
274. 278 ff. 291 fg. 304 fg. 325. 489.
Conventikel, wiclifitische II, 98 fg.
Convention zwischen England u der
Kurie 1-175. I, 352 fg.
Convocation II, 45.
Conway, Roger I, 227. 229.
Cornelius, CA. I, 591. Anm. 1.
Cosin II, 443.
Courtnay I, 353. 368 ff. 376 f. 383.
386. 412. 422. Anm. 609. 666 ff.
670 ff. 694 fg. 699. 707 fg. II, 8.
16. Anm. 43. 46 fg.
Coventry, Loliarden daselbst II, 42 . ff.
447.
Coverdale II, 459.
Craw, Paul II, 327.
Cromp I, 6s(ifg. 691. II, 4. Anm.
Cromwell, Thom. II, 453.
Crowley, Rob. I, 24^ Anm.
Crowther, Rob. II, 428 ff.
Cruciata I, Ti.^ff.
Cunitz I, 45. Anm.
Cunningham I, 314. 674. 724.
Cuthbert I, 433. Anm. 1.
1)
Damlet, Hugo II, 412.
Dänen in England I, 168. 171.
Daniel I, 542. Anm. 1. 637. Anm. 2.
Dante I, 95. 101 ff. 133fg. 255. Anm.
II, 5U0.
David von Augsburg I, 141.
Deformation 1, 593, von judaisiren-
der, von hellenischer Seite I, 26 fg.
Deismus englischer II, 4 IS.
Dekretalen, Dekretalisten I, 106.
Delitzsch, Joh. I, 144. Anm.
Delprat 1, 12. Anm.
Register.
639
Demuth (Demuth Christi I. 519.)
I, 529 fg. II, 41.
Demuth zum Schriftverständniss er-
forderlich, I, 4S4. II, 3SG. 424.
Dexter II, 13. 44.
Diakonen, urchristliche I, 573.
Dialektik im Mittelalter I, 271).
Dieckhoff I, 47. Anm. 4SI. Anm.
Dionysius Areopagita I, 145. 238.
240. 405. II, 291. 343.
Doctorat der Theologie I, 31 2 ff.
»Doctour - monyers« II, 370. 425.
Doketismus I, 032 fg.
Döllinger I, 33. Anm. 00. Anm.
TT. Anm 1. 83. Anm. S5. Anm.
164. Anm. 210. u. Anm. 255. Anm.
574. Anm. 727. Anm. 3. II, 394.
Anm. 3.
Dolan, Karthäuserkloster II, 109.
IT:',.
Dolcino I, 86 fg.
Dominicus I, 39. 80. 457. 588. '
Dominikaner I, 39. 80. IIS. 121.
190. 590. als Volksprediger 397.
Dominium I, 498fr. 587. Gegensatz
ministerium I, 500 fg.
Domkapitel zu Prag II, 2T9.
Donat II, 399 fg.
Donatisten I, 009. 012. II, 343.
Döring, Matthias, in Erfurt II, 523.
Drandorf Drändorf) II, 486.
Dravton, Thomas II, 92. Anm. 308.
321.
Dreieinigkeit Gottes I, 493 fg.
— rationell bewiesen I, 409. 494.
Dringenberg II, 502.
Drobisch II, 153 fg. Anm. 3.
Dualismus der Katharer I, 40.
Dudik II, 113. Anm. 2. 135. Anm.
Dugdale I, 055. Anm. 3.
Duns Scotus I, 490. 528. 668.
Durandus von Osca I, 52.
Durdant Rob. II, 442.
Durham-Buch 1, 433. Anm.
E.
Eberlin von Günzburg I, 591.
Echard, Jak. I, 397.
Eckhart, Meister I, 140ff. 140 ff.
Eduard I. von England I, 200 ff.
Eduard II. I, 209.
Eduard III. I, 206. 209 ff. 233.
321. 340. 349. 357. 361 fg. 365.
375 fg 3S0.
Eduard IV. II, 420.
Eduard, der schwarze Prinz I. 337.
349 fg. 361 fg.
Eidschwur I, 54 fg. II, 292. 506. 509.
614.
Eigenthumsrecht I, 37S. II, 31 4 fg.
Elias, Franziskaner I, 82 fg.
Ellendorf I, 70.
Engel, gute und böse I, 504.
Engelhard I, 77. Anm. 79. Anm.
83. Anm. 145. Anm. 404. Anm. 2.
•"> •';<>. Anm.
England, seine Geschichte im Mittel-
alter I, lOSff. II, 331.
— und Korn I, 170 ff.
— alt-englische Sprache u. Literatur
I, 43 5 fg.
— Humanismus in England II, 453.
— englische Reformation II, 452.
401 f.
Episkopalismus I, 577. II, 208.
Erasmus I, 277. II, 439. 502 fg. 512.
Erbsünde I, 51 2 fg. 521 fg.
Erdbeben I, 667 ff.
Erdmann Ed. I, 403. Anm. 490.
Anm. 1.
Eremit von Hampole, s. Rolle.
Erfurt, Univ. II, 494. 498. 523.
Ernst v. Pardubitz, Erzb. von Prag
I, 107. II, 113 ff.
Erwählung II, 238 ff.
Eugen III. I, 07 ff.
Eugen IV. I, 70. 490.
Evangelium, »das ewige« I, T9. s'j ff'.
— DasEv. einEv. der Freiheit I, 125.
— Gesetz und Evangelium I, 488.
II, 33.
»Evangelische Männer« I, 000 f.
Ewigkeit Gottes I, 492 fg. 497.
Excommunication I. 070.
Eyburhall, Thom. II, 412.
' F
Faber (Fabri . Johann I, 4.
— Urtheil über Luther, Hus und
Aston I, 4.
Fabian, .Hob., Chronist II, -133 fg.
Falks, Joh. II, 428 ff.
Fall, Sündenfall I, 511 fg.
Fasten II, 292. 473.
Fegefeuer I, 62. 542. 564. II, 291 fg.
430. 473. 482. 536.
Felloics der Colleges englischer Uni-
versitäten I, 272.
Ferrar. Nikolaus I, 7. Anm.
Ferrars, Lord I, 366.
Feste, kirchliche I, 500 fg. II, 297.
312 fg.
Heiligenfeste I, 560 fg.
Ficker.^Theod. I, 30. Anm.
640
Register.
Fillingham I, 292. 316.
Fish, Simon II, 458.
Fisher, Bischof von Rochester II, 445.
Fitz -James, Richard, Bischof von
London II, 43S. 440.
Flacius, Matthias I, 6. 717. II, 522.
Flathe I, 215 und Anm.
Fleming, Rieh., Bischof von Lincoln
II, 325. 354.
Florenz II, 500. 53SfF. 544.
Floris (Flore, Fiore) Kloster und
Congregation I. 76. 78.
Forshall I, 440. 450 fg. Anm.
Fox, Bischof von Winchester II, 453.
Fox, Richard, Pfarrer II, 456 fg.' 460.
Foxe, Johann,' Leben I, 6 fg.
Märtyrerbuch I, 6 fg. 31. 373 fg.
388fg. Anm. 667 fg. Anm. 716.
II, 67. 106. Anm. 351. Anm. 2.
353. Anm. 435. 446.
Francke, H. I, 65. Anm.
Franken, fränkisches Reich I, 31 fg.
Frankreich im XIII. Jahrhundert
I, 91 fg.
■ — englisch -französische Kriege I,
209. II, 39S. 406.
Franz von Assisi I, 8 ff. 39. 143.
457. 588. 741.
Franziskaner I, 39 fg. IIS ff. 190.
224. 499. 590.
— als Volksprediger 397.
Französische Bibelübersetzungen im
Mittelalter I, 434.
Fratricellen I, 118. 159.
Frauen als Lehrerinnen und Predi-
gerinnen I, 61. II, 297fg. 338 fg<
386.
— Bewahrerinnen des Glaubens I,
127. II, 128.
Freidank I, 43 fg.
»Freier Geist« (»Brüder des freien
Geistes«; I, 155 fg. 159 fg.
Freiheit, menschliche Willensfreiheit
I, 239 ff. 505 ff.
— evangelische I, 700. II, 339.
Frieden I, 104. 107.
Friedrich I. Barbarossa I. 60. Anm. 1.
66. 72 fg.
Friedrich IL, Kaiser I, 39. 44. 88 ff.
Friedrich, Dr. Joh. II, 238. Anm.
240. Anm. *
Frith Joh. II, 458.
G.
Gallikaner I, 577.
Gandavo, s. Göthals.
Gansfort, s. Johann Wessel.
Gardner, Wilh. II, 461.
Garenter, Thomas II, 318. 320. 320.
326.
Garnier, Arn. I, 341. 355. 356 Anm. 1.
359. II, 575 ff.
Garret, Thom., Pf. in London II,
452. 458.
Gascoigne, Thomas I, 203. 719 fg.
II, 352 Anm. 1. 354. 358 fg. 361.
411 Anm. 4. v
Gebet II, 316 ff. 342. 345.
Geffken II, 115 Anm.
Gegenwart des Leibes und Blutes
Christi im Abendmahl I, 633 ff.
Gehorsam, die Pflicht des kirchl.
Gehorsams II, 243 fg.
Geiler von Kaisersberg, II, 500.
Geistlichkeit, christliche — wider-
christliche, II, 242.
Gelasius I. II, 251. Anm.
Geleite, freies II, 228 fg., Hus und
das freie Geleite II, 189 ff. 228 ff.
Gelübde, Kritik derselben v. Goch,
II, 520 ff.
Gemeindeprinzip I, !26.
»Gemeinen« | Unterhaus I, 675 fg.
701.
Georg von Knienitz II, 113.
Georg von Podjebrad 11, 276. 506 fg*
Gerbert I, 277.
Gerhard von San Donnino I, b4. 86.
Gerhoh v. Reichersberg I, 73 ff. 7!' ff.
95 fg. Anm.
Gerichtsbarkeit, kirchliche, bürger-
liche I, 92.
Germanen I, 31 fg.
Gersdorf II, 154. Anm.
Gerson, Joh. I, 230. II. 187. 228.
Anm. 280 fg.
Geschichte, bibl., als Gegenstand der
Predigt I, 402. 405.
Gesetzgebung, kirchliche, II, 397.
Gesetz und Evangelium I, 488.
Gesetzlichkeit der röm.-kath. Kirche
I, 96.
Gewissensfreiheit I, 567 ff. II, 401 ff.
Ghest, Lorenz II, 43".
Gieseler I, 159. 231. Anm. 240. Anm.
389 Anm. II, 230 fg.
Gilbert, Joh., B. v. Bangor I, 316 fg.
353.
Gilles I, 4S.
Gindely, Anton II, 506 ff. Anm.
Giraldus, Cambrensis I, 179 fg.
Register.
641
Glaube, Begriff des Glaubens bei
Wiclif I, 52« ff , bei Wessel II,
532 fg.
— Wirkung des Glaubens, I, 526 fg.
Glaubensartikel II, 333 fg.
Gnade. Bradwardin's Lehre von der-
selben, I, 234 ff. Wiclif von der
Gnade, I, 535 ff. Joh. v. Goch
II, 518 fg.
Gnadenmittel II, 340.
Gnadenstand ungewiss II, 552 fg.
Gnadenwahl I, 240. 543. 545 ff. II,
267.
Gnosis, gnostische Sekten I, 28. 42.
Goch, Johann von, I, 473 Anm.
Goldast I, 99. 107 ff.
Goldsmith II, 13.
Goliath II, 331 fg.
Görres I, 139 Anm.
Göthals, Heinr. de Gandavo I, 461.
Gott. Gottes Dasein, I, 490.
— die erste Ursache, Allwirksamkeit
Gottes I, 236 ff.
Gottes Denken und Schaffen I, 462 fg.
— Eigenschaften, I, 490 ff.
— Dreieinigkeit, I, 493 fg.
Gottesfreunde I, 154 fg.
Gottlieben, Burg bei Constanz II,
202 fg. 207 fg.
Gottmensch, I, 513 ff.
Grapheus II, 516.
Gratius, Ortwin I, 5. 609. Anm.
63S. Anm. 3. II, 48. Anm.
Gregor I. I, 33. 170. II, 237. 258.
411.
Gregor VII. I, 37 fg. 64. II, 242.
54 9. sein Christusbild I, 37 fg.
514. seine Reformpläne ebendas.,
I, 64. 173. 568. von Bernhard v.
Clairvaux nie erwähnt I, 72. — I,
94 fg. beabsichtigte Heiligspre-
chung I, 205.
Gregor IX. I, 39 fg. 82 fg. SS. 90.
190.
Gregor XL I, 346. 348. 352. 360.
374 ff. 380. 390. 645.
Gregor XII. II, 147 fg.
Gregor. Mitstifter der Brüderunität,
II, 504 ff.
Gregor v. Heimburg I, 70. 493. 499.
Gregor v. Wotitz II. 510.
»Greuel der Verwüstung an heiliger
Stätte« I, 75. 80. 627. II,. 34. 120.
126. 220.
Griechische Kirche I, 567. 572. 621.
670. II, 503.
Lechler, Wiclif II.
Griechische Sprache und Literatur
I, 276 ff. II. 500.
Grocyn, Wilh. II, 453.
Groningen in den Niederlanden II,
529 fg. 537.
Grossetete, Rob. I, 16. 82. 177 ff.
Tod 201. II, 199. 586. Verehrung
für ihn I, 202 ff. — 225 fg. 243.
246.-285.
»Grubenheimer« II, 307. Anm. 3.
Guitmund von Aversa I, 738. Anm. 3.
Guizot I, 92. Anm. 2. IL 452.
Guter, Joh. I, 346. 350.
Güter, Lehre von den Gütern, I, 528.
Gütergemeinschaft, urchristliche, II,
291.
H.
Hacker IL 455.
Hadrian IV. I, 66.
Hahn , Christoph Ulr. I, 42. Anm.
47. Anm. 58. 77 fg. Anm.
Haies, Alexander v. 1, 606. Anm.
Halse, Bisch, v. Coventrv u. Lich-
field, II, 427. 430 fg.
Hanslick II. 285. Anm. 2.
Hardt. Hermann von der, I, 9. II,
204 fg.
Harmer, Ant. Pseudonym I, 431.
Anm. 2.
Harpsfield I, 3 SS. Anm.
Harrv IL 13.
Hart,* Walt . Bisch. II, 359. 365.
Harvey. Wilh. IL 307 fg. 321. 326.
Hauska, gen. Loquis , II. 465 fg.
472.
Häusser I, 665. Anm. 1.
Hawlik IL 234.
Hefele I, 36. Anm. 269. Anm. II,
208. Anm. 228 ff. Anm. 233. Anm.
252. Anm. 69S. Anm.
Hegel I, 279.
Hegesippus I, 28.
Hegham II, ^27 ff.
Hegius, Alex. IL 530.
Heidenthum, Ursprung desselben II,
505.
Heilige, Kanonisirung derselben II,
407 fg.
— Mittlerschaft derselben II, 267 fg.
292. 317. 472.
— Verehrung derselben I, 29. 557 ff.
II, 221. 267 fg. 293. 312. 317.
Heiligsprechungen II. 558 ff.
Heilsordnung I. 523 ff.
41
642
Register.
Heinrich IV., Kaiser. I, 94.
Heinrich VII., Kaiser. I, 98. 101.
107 fg.
Heinrich II. von England I, 173.
— IV. v.England II, 56 ff. 79 ff. 349.
— V. v. England II. 65 fg. 82 ff. 89.
323. 328. 331. 349.
— VI. II. 323. 326 ff.
— VII. II, 433 ff.
— VIII. I, 261. Aura. II, 438. 441.
451.
— v. Beaufort, Prinz, Bischof und
Cardinal II, 324. 354.
— v. Bracton I, 206.
— v. Chlum auf Latzenbock II. 1-89
ff. 194 fg. 204.
Heinroth I. 139. Anm.
Helfert, v. II, 252. 277. Anm.
Helfferich I, 139. Anm.
Hereford I, 414. 447 fg. 453. 660.
665. Anm. 679 fg. 682. 684 ff. 693 fg.
702. 714. II, 7 fg. 14. 16 ff. 629 ff.
Herrschaft. Begriff, göttliche. mensch-
liche Herrschaft. I, 498 ff.
Herzog, J. J. I. 46 fg. Anm. 48. 56.
Hetherington II, 432. Anm.
Hierarchie II, 317. 396 fg.
Hieronymus I, 29. 109. 27s. 44s.
574. 621. II, 257 fg. 331 fg. 408.
Hieronymus von Prag II, 112. 149fg.
J7s. 231 ff. 275. 280. 283. 286 fg.
Hildebrand, s. Gregor VII.
Hildegard II, 129. Anm. 397 fg.
Hilman, Rieh. II. 428 fg.
Hilton, Sir Reginald II, 12.
Himmelfahrt der Maria, Wiclif über
dieselbe I. 520. 562.
Hirtenamt I, 570 fg.
Höfler, C. I, 13—15. 174. Anm. 384.
Anm. II, 134. Anm. 144. Anm. 2.
252. Anm.
Hoke, Rob.. Pfarrer, II, 307 ff.
314 fg. 32n
Horn. Joh. 1,-702. 7)8. Anm. 719 ff.
Horn, eigentlich Roh, II, 512.
Horsey, Wilh., bischöflicher Kanzler
II, 4$7. HO fg.
Hoveden, Rieh. II. 327.
Hübner, Johann in Prag, II, 141 .Anm.
Hugate, Joh. I, 293.
Hugo von St. Victor I, 145.
Huillard-Breholles I, 98 ff. Anm.
Humanismus II, 500 fg. 527.
Humphrev, Herzog von Glocester,
II, 323! 354 fg.
Hun, Richard II, 430 ff.
Hus , seine Lebensgeschichte II.
133 ff., sein Feuertod, 225 fg. 4 15.,
seine Lehre I, 630. II, 233 ff.
Hus, Charakter II, 269 fg. 275. 290.
— und Bernhard v. Clairvaux I, 170.
-- und Grossetete I, 198. Anm. 237.
— und Wiclif I, 439. II, 112 fg. 135
155. 178. 233. 238 fg. 245 ff. 260 ff.
269 fg. 285 fg. Anm. 288. 467. 479.
642. 742 fg.
— Verehrung für Hus II, 273. 283.
285 fg. 298. 479. 485.
Hussiten I, 630. 642. II. 271 ff. 287 fg«
347. 463 fg. 485 ff.
Hussitenkriege II, 273. 464. 475 ff.
Hussitische Lehren in Deutschland
n, 485 ff.
Hutten, Ulr. II. 503.
I. u. J.
Jack Straw I, 657. 664.
Jacobellus (von Mies) II, 162.
199 ff. 250 fg. 296. 299. 465. 47o ff
504.
Jacoponus von Todi II, 553.
Jäger, Oscar I, 592. Anm. 1. II,
252. Anm. 2.
Jakob IV. von Schottland II, 431 fg.
Jakob von Jüterbogk II, 494 ff. 523 fg.
Jakob v. Mies, s. Jacobellus.
Jak ob iten = Dominikaneri, 590 An. 1 .
Jakobusbrief bei Lollar den beliebt.
II, 442. 444. 449. 456.
James. Richard II, 399. Anm. 3.
— Thomas I, 8. 430 fg. 700. Anm.
— Wilhelm II, 310 fg. 320.
Jaroslaw. Inquisitor II, 156 fg.
Ideen I. 461 fg.
Jesenitz, Johann v. II, 165. 188,
Anm. 283. 299.
Jesus Christus
Lehrstück von der Person Christi
I, 512 ff. Lehre von dem Werke
Christi I, 517 ff.
— die Schärfe seiner Rüge aus Liebe
hervorgegangen I, 403.
— Menschwerdung Christi um seiner
selbst willen , nicht blos um der
Menschen willen II, 531.
— der einige Mittler I. 513 ff. 517.
II, 267. 542
— Mittelpunkt der Menschheit I,
513 ff.
— Caesar Semper augustus I, 514.
— das einige Haupt der Kirche
I, 110. 112. 127. 130. 585. II. 40.
241. 243. 337. 522.
(wenigstens oberstes Haupt II, 497.)
Register.
Jesus Christus als Prophet I, 51 S fg.
Vorbild Christi I, 519. 532.
— als Priester I, 520 ff. 015. II, 522.
unendliche Kraft seines Leidens
I, 521 fg.
— als König I, 124. 12b. 522 fg.
— als Gesetzgeber I, 4S8. 518 ig.
— die Partei Christi I, 517.
Iglau, Landtag das. II, 4M
Impanation I, 038.
Innocenz III. I, 39. 40. 52. 95. 173
fg. 321.
Innocenz IV. I, 83. 89 ff. 183 fg.
192. 196 ff. 200 ff.
Interdikt II. 244.
Tntroductorius in Er. aet. I. 84. so.
219.
Jjachim von Flore I, 73. 70 ff. 80.
83 ff. 22s fg. II, 551 ff.
Joch, »Von den sechs Jochen - , 1. 427.
II, 591 ff.
Johann Beheim (der Böhme zu Ni-
kiashausen II, 488 fg.
Johann von Chlum 'Kepka II, 188 ff.
192. 194. 204.
Johannes, Ap. I, 27.
Johannes Eliae II, IM.
Johannes von Jandun I. 107 ff. 377.
4M. 742.
Johannes von Paris (Quidort, I. 98 ff.
Johannes von Parma I, 84.
Johannes, myth. Priesterfürst in
Asien I, 559.
Johann XXII. I, 108. 112. 119 ff.
131.
Johann XXIII. II. 107. 173. 186.
194 ff. 201 ff. 207 fg.
Johann ühneland, König v. England,
I, 173 ff. 176. 318. 321 fg. 329.
Johann, Prinz von Böhmen I, 114.
Johann, Herzog von Lancaster I, 346
fg. 361. 368 ff. 386 fg. 662 fg. 683.
699. II, 23. 57 fg.
Johann Clopinel [Jean de Meint I,
161 fg.
Johann von Geilhausen, aus Maul-
bronn, II, 481 .
Johann von Goch II, 510 ff. 525.
Johann von Jitschin II, ISO. 300.
Johann , armenischer Bischof von
Khelat I, 21 v
Johann von Leitomischl . Bischof,
II, 181. 204 fg. 278 ff.
Johann von lleinstein . Cardinalis,
II, 190. 299.
Johann von Salisburv I. 277. Anm. 1.
279.
Johann von Selau , hussit. Priester,
II, 475.
Johann von Wesel II, 516. 523. ff.
Johann Wessel II, 510. 527 ff.
Johanna, Prinzessin v. Wales I, 387.
Johannisfeiertag II, 380 fg. vergl.
Anm. 381.
Jordan, J. P. II, 122 fg. Anm.
Jost, Markgraf v. Mähren II, 113.
Anm. 159.
Jourdelay, Joh. II. 320.
Islip, Simon, Erzb. I, 293 fg. 300 ff
311. 314. 310.
Judaisirende Gesinnung I, 20 fg. 12*
554. II, 543. 8
Judas Ischarioth , der habsüchtigen
Priester Vorbild II, 41.
Juetta I, 180 fg.
Jüterbock I, 200. Anm.
K.
Kain »Kainiteiv I, 235. 256. 5 17.
Kain. nach Wiclif, Vorbil dder Bet-
telorden 589 fg.
Kaiserthum I. 32. 66. 88. 104 ff. 109
125. 130.
Kampschulte II, 145. Anm. 49b. Anm.
501. Anm. 523. Anm.
Kanonisches Recht I, 508. 574.
Kant, prakt. Vernunft II, 417
Karl der Grosse I, 32.
Karl IV. , König von Böhmen , II,
110. 110. 118 fg.
Karolinger I, 32.
Katerkamp I, 7)).
Katharer I, 42 — 40. 47. 52. 156..
Katharina v. Dertford gen. Spyn-
nester II, 321. 320.
Kbel, Johann II, 141. Anm.
Kelch im Abendmahl I, 628 ff, II
130. 1 99 ff. 250ff. 341. 407 fg. 503.
Kelchner (Calixtiner, II, 400.
Kemp, Bischof II, 300. 412.
Kerker I, 715. Anm. 3.
Ketzerei, Begriff II, 619.
— Bestrafung derselben I, 111. II,
403.
Kindercommunion II, 295 fg.
Kirche, Begriff I, 541 ff. II, lu4.
23S. ff. 315. 330 fg. 521 fg. bei
Wessel 533., bei Wiclif u. Hus 100
fg. Unfehlbarkeit? II, 409.
»Kirche der Boshaftigen« I, 58. 549.
II, 242. Anm. 1.
— des Widerchrists II, 240 fg.
Einheit der Kirche II, 405 ff.
41*
644
Register.
Kirche und Staat I, 97 ff. 108 ff.
116 fg.
Kirchenfürsten I, 33 fg.
Kirchen zum Gottesdienst nicht un-
bedingt nöthig II, 298 fg. 307.
Kirchengut I, 101. 111. 59b. II, 339
fg. 393 ff.
Kirchenordnung II, 297.
Kirchenstaat, Grundlegung I, 32 fg.
- Ende I, 33.
Kirchenverfassung II, 268.
Kirchenversammlungen , allgemeine,
I, 110., s. Concilien.
Kirchenvisitation I, 182 fg.
Klenowsky, Joh. II, 510.
Klostergelübde II, 398. 409.
Knighton , Chronist, I, 422. Anm.
423 fg. 437 fg. 446. 448. 661 fg.
674. Anm. 697 fg. Anm. 723. fg.
Anm. II, 9. 14. 17 fg. 20.
Known men, als Name der Lollarden
unter sich, II, 372. -125. 450 fg.
456.
Knox II, 432. Anm.
Koch, C. Fr. 1, 169. Anm. 432.Anm.2.
454. Anm.
Kohl, I, 265.
Köln, Univ. II, 528.
Konrad von Vechta, Erzb. v. Prag.
II, 187. 468. 474.
Konrad von Waldhausen II, 116 ff.
121. Anm. 134. 468. 504.
Koranda II, 289. 293 ff. 465. 485.
Kostka, Wilhelm II, 479.
Köstlin I, 643. Anm.
Kozi, Burg II, 297 fg.
Krämer, Inquisitor, II, 508.
Krantz, Alb. II, 492. Anm.
Krawar, Barone v. II, 164.
Kreuz, Verehrung desselben, II. 310.
317. 391.
Das Kreuz auf dem Kirchhofe St.
Pauls in London II, 320. 356 fg.
414.
Kreuz, Kaufmann in Prag II, 137 fg.
Kreuziger 1,450.
Kreuzzug gegen Papst Clemens VII.
I, 705 ff.
Kreuzzug gegen Ladislaus von Ne-
apel II, 173 ff.
Kreuzzüge I, 93.
Kreuzzüge gegen die Hussiten II,
323 fg.
Krieg II, 565 fg.
Krümmel II, 131. Anm. 167. Anm.
248.
Kultus I. 553 ff. versinnlicht 554 fg.
Kunwald in Böhmen II, 506. 508.
Kunz von Zwolle, Legat, II, 424 fg.
Kurialisten I, 578.
Kurie, röm. I, 95 fg. Anm. 193 ff.
Kurverein zu Rhense I, 131 fg.
Kuttenberg, Religionsgespräch das.
II, 484.
Kyle, Lollarden von II, 431 fg.
L.
Ladislaw von Neapel II, 173 ff.
Laien, nach kath. Begriff, I, 566. 569.
— nach Wiclif I, 567 ff.
Laien consekriren II, 298.
Laienkelch s. Kelch.
Laienpredigt I, 51 fg. 54. 60. 419 fg.
Lambert, Franz I, 591.
Lambeth I, 386 fg. II, 413 fg.
Lancaster, Haus I, 349. II, 57 ff.
302. 304. 361.
Landessprache, Kultus in II, 296 fg.
Lanfranc I, 172.
Langham, Erzb. I, 310. 336. 661.
Langobarden I, 31 fg.
Langton, Erzb. v Canterbury, I, 396.
Lantern of light II, 100 ff.
Latein als Kirchensprache u. gelehrte
Sprache I, 136 fg. II, 474.
Latimer, Hugo II, 454. 459.
Latimer, Sir Thomas II, 12. 22.
— Lord I, 362.
Latzek von Krawar II, 273. 276.
Le Bas I, 12. Anm.
Legenden der Heiligen H, 318.
Leger I, 48.
Leicester I, 421. 663. 691. II, 11.
13. 44.
Leipzig, Univ. I, 275. II, 154.
Leland, Joh. I, 261 ff. 319. 717.
Leo, Heinr. II, 313. Anm. 3.
Leo X. II, 501.
Leopold von Bebenburg I, 132.
»Leser« unter den Lollarden II, 443.
Lewald I, 458. Anm. 490. 511 fg.
Anm. 543. Anm. 2, 546. Anm. 3.
559. Anm. 3. 604. 641. Anm. 1.
Lewis, Johann I, 9. 285. 287. 306.
313. Anm. 2, 314. Anm. 5. 318 fg.
334. 374. 386. 411. 451. 455. 585.
661 fg. Anm. 3. 697. Anm. II. 353.
397. Anm. 3. 399. Anm. 3. 554.
Liebe Gottes und des Nächsten I,
530 fg. II, 505.
Liebner I, 145. Anm.
Linacre, Thom. II, 453.
Register.
(34.-)
Lincoln, Stadt u. Bisthum, I, 1S1 fg.
681.
— Diöcese II, 13. 448.
Lincolniensis s. Grossetete.
Lindwood, Wilhelm IL 306 fg. 323.
326.
Lingard I, 416. Anm. 698. Anm. IL
18. 26 fg. 90. 95. Anm.
Literatur, deutsche I, 133 fg.
— französische I. 133 fg.
— italienische I, 133 fg.
Lipnitz, Burg II, 282 fg.
Lippert, Jul. II, 2S6. Anm.
Lister, Joh. I, 705.
Litthauen II, 468.
Littlepage, Familie II, 450.
Logik I, 459 fg.
»Logik der heil. Schrift« nach Wic-
lif I, 460.
Logos I, 464 fg. 495.
Lollarden, I, 626. Anm. 1. 629 fg.
Name I, 6^6. II, 3 ff. 55, Partei
6 ff. 20 ff. 107 ff. 302 ff. 313 fg.
331 ff. 335 fg. 345 ff. 348 ff. 369 ff.
422 ff.
angebliche Verschwörung der Lol-
larden 1414. II, 89 ff.
Lollardenthurm II, 440.
Lombardei I, 53.
London — Wiclif zugethan I, 691.
— Bürger, den Lollarden geneigt II,
14.
— Paulskirche I, 368. II, 356 fg.
— St. Paulskreuz I, 689. II, 320. 356.
Longland, Joh. Bischof von Lincoln,
I, 432. Anm. 447 fg.
Longland, Hob. I, 244.
Lords, Haus der, I, 324 ff. 331 ff.
II, 413.
Lowe II, 414.
Lowth, Rob. I, 305. Anm. 1. 362.
Anm. 389. Anm.
Luard I, 178 fg. Anm. 197 ff. Anm.
Lucius III, I, 51 fg. 58.
Ludgershall I, 365.
Ludwig IV., der Bayer I, 98. 101.
Anm. 107. 108. 112. 114 fg. 121.
130 ff. 137.
Ludwig IX., der Heilige, von Frank-
reich I, 90 ff.
Ludwig, Markgraf von Brandenburg
I, 114 fg.
Lukas, Ev., Prolog II, 406.
Lukas von Prag (Brüderunität II.
509. 511 fg.
Lull, Raymund I. 725. Anm. 3.
Lushborugh, Bischof II, 360.
Luther, Entwicklung I, 455. 591.
— Charakter I, 601. 731. II, 270.
(vergl. mit Hus).
— Romreise I, 349.
— Thesen vom Ablass II, 451. 454.
525.
— Lehre von der Rechtfertigung I,
541.
— Lehre von der Kirche I, 541.
— Lehre vom Abendmal I, 628 ff.
633. 636. Anm. 2, 612 fg.
— Bibelübersetzung I, 439. 446. 450.
453 fg.
— Sein Urtheil über Hus, Wessel.
Savonarola I, 2 fg. 10. II, 514. 537.
— Wiclif und Hus, II. 285. Anm. 2.
I, 578.
— Schriften II, 329 fg. 458 fg.
— und die Brüderunität II, 512 ff.
.— und die Utraquisten II, 514 fg.
Lutterworth I, 181. 366. 408. 413.
415. 421. 691. 717. II, 9. 13.
Lyon I, 49 ff.
M.
Madden, Sir Frederic I, 440. 450 fg.
Anm.
Magistri regentes I, 271. 287. 293.
Magna Charta I, 174 f. 318. vgl. II,
619.
Maidstone II, 415.
Malyern-Hügel I, 244 fg.
Manichäer I, 42.
Mansi I, 36. Anm.
Marcion I, 29.
Margaretha Maultasch , Erbin von
Tirol, ihre Ehe und Ehescheidung
L 114 fg.
Maria, Wiclif über dieselbe I, 519 fg.
557 fg.
— Himmelfahrt I, 562.
Maria, Verehrung derselben I, 67.
— Fest Mariae Empfängniss I, 67.
Marik II, 281. Anm. 2.
Markus von Königgrätz II, 166.
Markus. Mönch I, 30.
Marsiglio von Padua I, 107 ff. 377.
473. Anm. 2. 742.
Marsilius Ficinus I, 101. Anm. II.
501.
Matter I, 285. Anm. 2.
Martin V.. Papst II, 281 fg. 304.
324. 328.
Martin, Hus ens Schüler II, 189.
Matthaeus von Krokow II, 132 fg.
Matthaeus Paris, Chronist I, 200 fg.
Matthias. Ap. I, 580. Anm.
64ö
Register.
Matthias der Einsiedler II. 514.
Matthias von Janow II. 121 ff. 134.
265 ff. 294.
Matthias von Knin II, 148 fg.
Matthias von Neuburg I, 115. Anm.
Mecum Myconius) I, 541. Anm. 1.
Medici, Lorenzo II, 538 fg.
— Peter II, 539.
Meier. Karl I, 13. II, 546.
Melanchthon I. 277. 450. 540 fg.
577. 612. II, 134.
Mensch . Lehre vom Menschen I.
504 ff.
Menschenverstand I, 622.
Menschwerdung Gottes I, 513.
MetUum de congnio, de eondigno, I,
504. 535 ff.
Merton- College in Oxford I. 231.
272. 274. 287 ff. 293. 316.
Messe II, 341. 473.
Messopfer I. 62^ ff. II. 32. 105. 341.
Metz I. 53.
Michael de Causis II, 180. 193. 215.
285. Anm. 2.
Michael von Cesena I, 121 ff.
Michael zu Senftenberg II. 506.
Michaud 1. 69. Anm.
Milderale II, 433.
Militsch von Kremsier II, 118 ff.
124. 129 ff. 134. 468. 504.
Millen arium Christi I. 594 fg. 621.
Anm. 2.
Milüngton. AVilh. II. 4J2.
Milverton, Joh. II, 412.
Mirandola. Fürst von II, 538.
Miras, utraquistischer Pfarrer II, 514.
M^denowitz II. 190. 469. 472.'
Moleyns. Bischof II, 359. 365.
Monarchie I, 102 ff.
Mönchthum I, 29 fg. 78. 255. 585 ff.
671. II, 39 fg. 397 fg. 409 fg.
520 ff.
Monk, Rieh. II, 309. 320. 326.
Monmoutb. Humphr. II, 450.
Montanismus I, 2S.
Morden, Jak. IL 44V
More, Sir Thomas. I. 430. 451.
Mose's Grab unbekannt I, 562.
Mosheim I, 156. Anm. 389. Anm.
Muhamedanismus II, 336. 401 fg.
Mühlheim, Joh. von II, 137 ff.
Müller. Joh. um 1450. II, 487.
Müller, Max I. 134. Anm. 432.
Anm. 2.
Mungvn. Ralph II. 308. 315. 322.
326.
Muratori I, 87. Anm.
Mutian II, 503.
Mvstik im Allgemeinen I, 139.
— deutsche I, 139 ff. 146 ff.
— griechische 145.
— romanische 145.
N.
Naas, Joh. II, 165.
Nationalität I, 130 ff. 137 fg.
Nationalliteratur I, 94.
»Nationen« an den mittelalterl. Uni-
versitäten I, 274 fg. II, 148 ff.
Naturgesetz nach Wiclif I, 467 fg.
«Natürliches Licht« bei Wiclif, I, 468.
Neander I, 389. Anm. 530. Anm.
592. Anm. 1. II, 131. 240. 418.
Necton, Rob. II, 458 fg.
Nepotismus I, 164.
Nerses, armen. Erzbischof I, 2 1 8.
Netter, Thomas, v. Waiden s. Tho-
mas.
Neutralität während der Papstspal-
tung I, 648 ff. IL 147 fg.
Nevil, Georg, Bischof II, 360.
— Sir William II, 12.
Xac-College in Oxford I, 305.
Nicolaiten II, 466. Anm. 2.
Nicolaus III. I, 119 fg.
Nicolaus von Basel I, 154 fg. 161.
Anm.
Nicolaus von Cusa II, 523.
Nicolaus Faulfisch II, 113.
Nicolaus von Hereford s. Hereford
Nicolaus von Leitomischl II. 141
Anm. 260 fg.
Nicolaus von Lvra I, 4^7.
Nicolaus von Pistna II, 284. 300.
Nicolaus von Welenowitz II, 146. 148.
Nitzsch, Karl Imman. I, 161. Anm.
— Fr. I, 725.
Nominalismus I, 94.
»Xon obstante« I, 199.
Xon-residence II, 358 ff'. 364.
Noris. Thom. II, 437.
Normandie 168. 172. 175.
Normannisch - französisches Element
in England, I, 168 ff.
Nonvich. bisch. Sprengel II, 14.
Nothwendigkeit und Freiheit) I,
240 ff.
O.
Ockam, s. Wilhelm Ockam.
Oelung, Sakr. der letzten I. 607.
II, 292.
Register .
647
Ohrenbeichte II, t>6.
Oldcastle, Sir John, s. Cobham.
Opferbegriff im Abendmahl II. 535.
Optik I, 280 fg.
Oriel-College in Oxford II. 354.
Ormulum I, 435.
Otho, Cardinallegat I, 176. 182. 1S4.
192.
Otto von Colonna, Card. Martin V.)
II, 163. Anm. 164 fg. 2S1 fg. 331.
Anm. 2.
Otto v. Freisingen I, 65 fg. Anm.
Oudin I, 107. Anm. TIS fg.
Owen I, 717. Anm. 2.
Owtrede. Ralph II, 308. 311).
Oxford. Univ. I, 223. 272 ff. 376 fg.
üS5fg. 676 fg. von Böhmen besucht
II. 111%. Nationen an der Univ.
I, 274fg.
— begünstigt die Lollarden II, 74 fg.
Umwandlung 7 5 ff. 303. 305. 415.
Klage der Univ. II, 361 fg. Oxford
1476 II, 427.
— Zeugniss der Univ. für Wiclif
IL 69 ff.
— Fredeswida Kirche I, 0S3.
— Marienkirche I, 392. 69(J.
— die AViege der wiclifitischen
Reisepredigt I, 413 ff.
— Concil daselbst 13S2. I. 696 ff.
P.
Page. Wilh. II, 435.
Paine, s. Peter Pavne.
Palackv I. 14 fg. 1*15. Anm. II, 122.
Anm*. 1S6. Anm. 192. Anm. 250.
252 ff. 277. 465. Anm. 507. Anm.
Paletz, s. Stephan v. Paletz.
Pantheismus I, 144. 151. Anm.
Pantin I, 627. Anm.
Par ehmener II, 13.
Paris. Paulin I, 162. Anm.
Paris. Univ. I, 648 fg.
Parker. Joh. II, 7.
Parlament I. 207 ff. 6751g. 701.
II. 22 fg.
Papst, Papstthum I, 32. göttliche
oder menschliche Ordnung ? I. 125.
n77. II, 244 und Anm. 6. 26S fg.
verweltlicht I, 576. Anm. Voll-
macht I, 101. 177. 576. Absolutis-
mus I, 124fg. 257. 576 ff. 11,268.
Papst nicht Haupt der allge-
meinen Kirche II, 2-13. nicht
Nachfolger Petri I, 113. Unfehl-
barkeit 1, 125. 577. II, 236 fg.
496 fg. 542. der Zurechtweisung
anderer unterworfen II, 526.
Papstthum und Kaiserthum I, 64.
72 fg. SS. 94. 108 ff. 574. Staats-
gewalt des Papstthums I, 65. 325 ff.
57»». Anm. der Päpste Hoffart II,
39. Papst der Widerchrist I, 424.
5Slff. II, 33 ff. 87. 243. 318. 396 fg.
Päpstliches Staatensvstem I, 174.
Paschalis IL I, 64.*
Patarener I, 76.
Pateshull, Peter II, 21 fg.
Patronatsrecht I, 211.
Pauli, Reinhold I, 175. Anm. 196.
Anm. 269. Anm. 332. Anm. 1.
350. Anm. 1. 659. Anm. 1. 664.
Anm. 2. II, 23 fg. Anm. 91. Anm.
433. Anm.
Paulskirche in London I, 366.
— St. Paulskreuz I, 669. II, 356 fg.
Paulus Ap. I. 26fg. 113. 243. 465.
527. 590. 620. 689. II. 337.
Panperes catholwi I. 52.
Pauperes de Lugduno 1, 50.
Pecock II. 352 "ff. Charakter 416 ff.
47 ff.
Pegge I, 179. Anm.
Pelagius. Pelagianismus I, 234 ff.
512. 533. II. 342f. 519ff.
Pelhrimow , Chronist II, 140. Anm.
Pelikan II, 37 f.
Percy, Lord I, 369 ff. 369. Anm.
Perrin I, 48.
Peter der Ackermann I. 244 ff.
Peter d'Ailly. s. Ailly.
Peter von Blois I. 213. Anm.
Peter von Bruis I. 42 fg.
Peter von Cheltschitz II, 504 ff. 509.
Peter der Grausame I, 337.
Peter Johann von OK vi I. 86. II.
207. Anm. 553.
Peter Pavne II, 71. 470. 475. 479 ff.
464. 504.
Peter von Pilichdorf I, 53 fg. II,
214. Anm. 3. 373. Anm.
Peter von Pulka II, 206. Anm.
Peter von Znaim II. 184.
Petit Jean II. 22 8. Anm. 2.
Petit. Joh.. in London II, 459.
Petition an das Parlament II, 22 ff.
45.
Petrarca I, 134 fg. 165 fg. II, 500 f.
Petrus Ap. I, 25. 106. 113. 577.
II, 242 fg. 337.
Pez. Bernhard II. 170. Anm.
648
Register.
Pfarramt I, 136 ff. 220 ff. 345. 416.
570 ff. 583.
Pfeiffer, Franz I, 140 fg. Anm.
Philalethes I, 255. Anm.
Philipp IV. der Schöne von Frank-
reich I, 93 ff. 99 fg. 108. 130. 208.
498 fg.
Philippa, Königin v. England I, 273.
349. 361.
Philister, allegor. auf Wiclifiten ge-
deutet II, 331 fg.
Pickering I, 246. 248. Anm.
Piemont I, 53.
»Pikarden« = BeghardenI, 4. Anm. 2.
II, 465. 470. 508.
Pilgerfahrten s. Wallfahrten.
Pilgram , Niklas , Taboritenbischof
II, 470. 472 fg. 479. 4S4fg.
Pilsen II, 464.
Pisa, Concil das. II, 147. 489.
Pius II. Aeneas Sylvius) II, 153.
Anm. 3. 465. Anm. 3. 474. 491 ff.
Plantagenet, Haus II, 302.
Plato I, 461. 469. 494. II, 501.
Pletho Gemistius II, 500.
Pluralitas beneßciorum I. ISO. 188.
366 fg.
Poduschka. Utraquist II, 514.
Poggio II, 232. 305.
Polen, hussitische Propaganda das.
II, 463. 488.
Portiunculakirche I, Sl.
Praedestinati I, 545 ff. 569.
»Praemunire« I, 212.
Praesciti I, 545 ff. 569.
Prag, Stadt II, 463.
— Bisthum II. 114.
— Universität II, 111. 149 ff. 1S4.
277 ff. 375 fg.
— Domkapitel II, 279.
— Gemeinde II, 283 fg.
Die »Prager« (Parteiname II, 466.
475.
Prager Artikel (4) II, 466 ff.
»Pragmatische Sanktion« 1269. I, 92.
Prantl I, 459. Anm. 725. Anm. 3.
Predigt I, 395 ff. 553 fg.
— deutsche I, 140.
— Predigtmanier des XIV. Jahr-
hunderts I, 395 ff. 399.
— Hochschätzung der Predigt bei
Wiclif I, 395. II, 32. 358. bei
Joh v. Wesel II, 525. bei Savona-
rola II, 544.
Preger I, 150. Anm.
Preussen , hussitische Lehren daselbst
II, 4S7fg.
Pribram, Joh. von II, 292. Anm. 3.
465. 469 ff. 481. 485.
Priester, unter sich gleich I. 109.
112. II, 522.
— Sünden der Priester II, 38 fg.
— Vorrechte des Priesterstandes 1.
569. 573. II, 29 fg.
— Priester ohne festen Gehalt I, 419.
II, 297.
— Wirksamkeit eines Priesters durch
Sittlichkeit bedingt I. 608 ff. II.
249 fg. 340 fg.
Priesterehe I, 563. 571 fg. II, 311 fg.
345 fg.
Priesterornat II, 473. 482 fg.
Priesterthum, allgemeines I, 61. 444.
545. 569. II, 29. 104. 106. 128.
130. 338. 533 fg.
— im röm. -katholischen Sinn I, 113.
Priesterweihe I, 569. 572 fg.
Primat I, 110.
»Privatreligionen« (Wiclif) I, 5S9.
Prokop der Grosse II, 477. 479 ff'.
Prokop von Neuhaus II, 510.
Prokop von Pilsen II, 162. 472.
Protiwa, Joh. II, 255.
Provenzalische Dichter I, 91.
Provisionen I, 209 ff. 358. II, 363.
Prüfung, Recht der Prüfung von
angebl. Glaubenslehren II, 40t f.
Prutz, Hans I, 65. Anm. 71. Anm
136. Anm.
Ptolemaeus von Lucca I, 95.
Pupper, s. Johann von Goch.
Puritaner II, 462.
— puritanische Grundsätze der Ta-
boriten II, 473.
Purvev, Joh. I, 414. 450. 702. 723.
II, 7. 9 fg. 14. 17 fg. 62 fg. 100.
102 fg. 338.
Pykas, Joh. II, 455.
Q
Quadrwntm I, 278 ff. 286.
Queens-College I, 273. 289.
R.
Radulphus von Coggeshall 1.45. Anm.
Rainerius , und Pseudo - Rainerius
I, 53 ff. 59. 61 ff.
Ranke, Leop. I, 32 ff. 269. Anm.
591. Anm. 2. II, 502. Anm.
Rathschläge im Unterschied von Ge-
boten I, 113.
Rationalistische Denkart bei Pecock
II, 366 ff. 379 ff. 417 fg.
Register.
649
Räumer. Friedr. I, S9. Anm.
Rave, Rob. II, 443.
Ravens, Christoph II, 455.
Realismus, philosophischer I, 4(51 ff.
Rechtfertigung durch den Glauben
II, 33.
Reform der Kirche I, 590 ff. II, 27 fg.
265. 494 ff. 543 ff.
— Radikalreform II, 290 fg
Reformation Deformation I, 24 fg.
595.
— des XVI. Jahrhunderts I, 138 fg.
Reformconcilien I, 110 fg. 4S9ff.
Reich Gottes, dessen Grundlegung
und Aufbau I, 24 fg.
im Unterschied von Kirche
I, 138.
Reid Adam II, 432.
Reiselehrer, der Lollarden II, 443.
Reiseprediger wiclifitische I, 411 ff.
651 fg. 673. 675. 683. II, 6 ff. 15.
17 ff. 305 ff.
— hussitische II, 279.
Reisepredigt, waldensische I, 50 fg.
Reiser, Fr. (Tunauer) II, 4 86 fg.
Reliquien I, 561 ff. II, 294.
Repington I, 679. Anm. 681ff. 6S9ff.
II, 7. 309. 325. 632.
Reprobi I. 545.
Resby II, 66.
Reservationen I, 210. 358.
Rettberg I. 4SI. Anm.
Reuchlin II, 502 fg. 529.
Reuss, Eduard I, 434. Anm.
Reuter I, 44. Anm. 73 fg. Anm. 173.
Anm.
Rheims, Svnode 991. I, 35 fg.
Richard Ii! von England I, 361. 381.
658. 676 f. II, 55ff. HOfg. 302.
Richard von Bardney I, 204.
Richard Fitz -Ralph 'Armachanus
I. 21 6 ff. 257. 271. 276. 2S5. 319.
500. Anm. 2. 508. Anm. 1. 586.
II, 54. 343 fg.
Richard von St. Victor 1 . 145. II,
249.
Richental Ulr.. Chronik II, 195.
Anm.
Richer II, 494. Anm. 2.
Richmond, Alt-Richmond I, 261 ff'.
Richteramt u. klerikales Amt I, 189.
Rigge. Rob. I. 681 ff. 685 fg. 695.
II. 4. Anm.
Ritsehl, Albr. I. 150. Anm. 538.
Anm. 2. II, 248.
Robert, Pfarrei* zu Heggelev II. 309.
320 fg. 326.
Roger Bacon I, 177. 276 fg. 279.
Anm. 1. 281.
Rogers »Vater« II, 436.
Roh, Joh., genannt Horn II, 512 fg.
Rohle, Wenzel II, 132.
Rokvzana, Joh. v. II, 470. 4 79. 481.
484 fg. 503 ff. 509.
Rolle, Rieh. I, 435.
Rom, Weltherrschaft Roms I, 104.
— Bischöfe von I, 32.
— »das Nest des Antichrists« II, 87.
— römische Kirche, älterer Zeit
I, 594. 621.
— »Stiefmutter« der englischen Kir-
che II, 27.
Roman de la Rose I, 161 ff. II. 35.
Roncalischer Reichstag I. 66.
Rosdalowskv, Utraquist II, 514.
Rov, Wilh/Il, 459.
Rubeo, J. B. II, 329.
Ruchrath, s. Johann v. Wesel.
Rückert, Heinrich I, 124. Anm.
Rudelbach I, 13. II, 501. Anm.
539 ff. Anm. 546.
Ruever, de I, 12. Anm. 330. Anm.
Ruprecht von Deutz II. 52*-.
Ruslvworth-Glosse I. 433. Anm.
Russ, Nicolaus II, 512.
S.
Sacerdotium und Imperium I, 97. 99 ff.
106. 499.
Sakramente , Begriff 1 , 604 ff. Zahl
I, 605 ff. Heilskraft I. 607 ff. II.
248 ff. 26^. 534.
— ihre Heilskraft durch sittlichen
Charakter des spendenden Prie-
sters bedingt? I. 608 ff. II, 249 fg.
292. 340 fg.
Salisbury, Diöcese II, 14. 437. 446.
Salomo I, 542.
Salomonischer Tempel I, 542. 554.
Salvian I, 31.
Sampson, Elisabeth II, 437.
Sanktion, pragmatische I, 92.
»Satanssynagoge« I, 549.
Satzungen von Menschen und Gottes
Wort I, 572.
Sautre, Wilh. II, 62 ff. 102.
Savile, Heinr. I, 230 fg. und Anm.
Savonarola I, 13. 26. II, 537 ff. 591.
Savonarola und Wiclif II, 541 fg.
742. Savonarola u. Wessel II, 54J.
Luther über Savonarola I. 3.
650
Register.
Sbynjek, Erzb. von Prag II, 142 ff.
stirbt 168.
Schaarschmidt I, 277. Anm. 1.
Schard I, 97. Anm. ff.
Schirrmacher I, 89 ff. Anm.
Schisma, das grosse I, 390 fg. 5S0 fg.
646 ff. 710. II, 123 fg. 131. 147 fg.
245. 264.
Schleiermacher I, 730. Anm. 1.
Schmidt, Ernst Alex. I, 92 fg. Anm.
Schmidt, Karl I, 14. 43. 140. Anm.
151. Anm. 154 fg. Anm.
Scholastik 1 , 282 fg. scholastischer
Studiengang I, 283.
Schorham, Wilh. I, 435 fg.
Schottische Kirche I, 47. 207.
Schottland, Lollarden in II, 66. 327.
431 fg.
Schreiber, Wilh. I, 101. Anm.
Schrift, heilige.
Die Schrift Gottes Wort I, 472.'
Christus der eigentliche Urheber
der Schrift I, 472.)
— die Schrift ist einheitlich I, 484.
— ist unfehlbar und schlechthin voll-
kommen I, 475.
— steht über allen Lehren u. Lehrern
I, 477.
— ist Same der Wiedergeburt I, 401.
429.
— ist das gesunde Hausbrod I, 401.
429.
— ist das Wort Gottes in verklei-
nertem Maasstab II, 530.
— Wirkungen der Schrift I, 474.
— Auslegung der Schrift I, 482 fg.
■ II, 237. 266. 385 ff. 405 ff. 517 fg.
— Buchstäblicher Schriftsinn I, 485.
— »Mvstischer« Schriftsinn I, 40.">.
417.*
— Vielfacher Schriftsinn I, 393. 485.
— Hus ens Lehre von der hl. Schrift
II, 233. 236 fg. 264 ff.
— Wiclif s Lehre von der hl. Schrift
I. 469 ff. II, 517.
— Polemik gegen dieselbe I, 471.
II, 333 fg.
— Verschiedene Fassung des Schrift-
prinzips II, 288 ff.
— Schriftprinzip der Lollarden, laut
Pecock, II, 371 ff.
— der Reformation I, 476. 478.
— Verhältniss der Schrift zur Kirche;
Schrift und Tradition I, 461) fg.
482 fß, II. 404 ff. 408 fg. 517. 53(1.
■ — allein maassgebendes Ansehen der
Schrift I, 111 fg. 404 fg. 471 ff.
476 fg. II, 28. 51. 177. 236 fg.
(Hus) 266. 318. 404 ff. 517. 619.
— Die Schrift allgemein gültig I, 473.
— Unfehlbarkeit der Schrift I, 577.
— Genügsamkeit der heil. Schrift.
(Hus) II, 234 fg. 266.
— heil. Schrift soll Gemeingut aller
werden I, 429. 443 ff. 489 fg.
— Bibellesen in der Muttersprache
I, 443 fg. II, 373 fg.
— Altes Testament I, 487. II, 371.
379.
Schröck, Kirch. -Gsch. I. 231. Anm.
389. Anm.
Schulen II, 284. 289 fg. 428. 474.
Schwab, J. Bapt. I, 13. 96. Anm.
120. Anm. 163. Anm.
Schwabe, II, 238. Anm. 240. Anm.
258. Anm.
Schweiz I, 53.
Schwert, »die zwei Schwerter« 1,71.
75. 486.
Scillius II, 51.
Scrivener, Joh. II, 44S.
Scrivener, Mich. II, 13.
Seebohm II, 453. Anm.
Seele und Geist II, 336.
Seelenmessen I, 563 fg. II, 32. 293.
Segarelli I. 87.
Sekten des Mittelalters I, 41 fg.
Sekularisation I, 33. 90.
Shakespeare über Lord Cobham II,
!il fg. Anm.
Shirley, Walter I, 16. 273. Anm.
288. 291. Anm. 313 fg. 320. Anm. 2.
412. 426 fg. Anm. 4. 440. 459. Anm.
498. 585 fg. II, 328. 554 fg. 558.
Shyreswood I, 459.
Sievers I, 146. Anm.
Sigebert von Gembloux I. »><>. Anm.
98.
Sigismund, König von Ungarn II,
166. 186. 188 fg. 197 fg. 271 fg.
282 fg. 466. 469. 476 fg. 484.
Silvester I., Papst, I, 88. 574. 721 fg.
II, 393 fg. 505.
Simonie I, 163 fg. 228 fg. 355.
Sixtus IV. II, 529.
Skelton, Joh. II, 452.
Smith. Johann II, 428.
Smith, Thom. II, 427.
Smith. Wilh., Bischof von Lincoln
II, 446 ff.
Smith, Wilhelm, Lollarde II, 7. II.
20. 44.
Spanien I, •">:{.
Register.
651
Spencer, Bischof von Norwich I, 650.
704 ff. II, 14. 43. 63. 178.
Smritmles I, 83 f. 120.
Spottlieder auf Erzbisch. Sbynjek
II, H O fg.
Spreswell f, 261 ff. 274.
Staat, Begriff u. s. w. I, 99 fg. 108.
117. 597. 599 fg.
Staat u. Kirche, s. Kirche u. Staat
Stabreim I, 246 fg.
Stafford, Erzb. II, 355. 359. 365.
412.
Stündeunterschied in der Kirche.
nach kath. Lehre I, 566 ff.
Stanislaus von Znaim II, 141. Anm.
142. 181. 184. 209. 242. 2C0 ff.
Staupitz I, 2. II, 514.
Stephan von Borbone I, 49 fg. 61 fg.
Stephan von Dolan I, 638. Anm.
II, 160 fg. Anm. 169 ff. 259 ff.
286 fg. Anm. 290 fg. 294 ff.
Stephan von Paletz, II, 167. 174.
181. 184. 193. 19S fg. 209. 215.
242. 262 fg.
Stjekna, Johann von II. 132.
Stilman, Joh. II, 446.
Stokes, I. 412. Anm. 3. 439. 67:<.
681 ff. 686. II, 112. 213.
Strasburg I, 53.
Stratford, Erzb. v. Canterb. I, 233.
Strvpe,Joh. I, 591. Anm. 1. II, 453 fg.
Stury, Sir Richard II, 12. 22. 24.
Stütz, Jodok I, 74. Anm. 2.
Sudburv, Sim., Bischof v. London I,
346. 34^. Erzbischof 353. 368. 383
386. 658. 679. 701.
Sultan der Türken I, 559.
Sünde I, 506 ff. II, 518.
Sündenvergebung II, 177.
Sündlosigkeit Christi I, 519. Mariae
I, 519 fg.
Suso I, 140. 150 fg.
Swinderby, Wilh. I, 692. II. 7. 10 fg.
2< ff. 44.
T.
-Tabor« in Böhmen II, 300f. 474.
Taboriten I, 48. II, 289. Anm. 2.
^ 471 ff. 475. 482 fg. 504.
Tacitus I, 31. Anm. 2.
Tailor, Xicol. II, 13.
Tailor, Wilh. II, 308. 316 ff. 321 fg.
328 fg.
laufgnade I, 611.
Tauler I, 140. 151 ff.
Tempelherren I, 93.
Tertullian I, 29.
Teufel I, 594. Anm. 670. 672.
Thamer, Theob. II, 418.
Thierry, Aug. I, 500. Anm. 1.
Thomas von Aquino I, 144. 285. 165«
497. 512. 528. 538 fg. 549. Anm.
635. Anm. 1. 637. Anm. 2. II, 237.
258. 521.
Thomas, Graf Arundel II, 24. 46.
56 ff.
Thomas Becket I. 17:5. 203.
720 fg. II, 316. 407 fg.
Thomas von Bradwardina I, 229 ff.
Gesinnung und Charakter 241 ff.
256.-276. 281. 493. Anm. 2. 506 ff.
Thomas von Celano I. 81. Anm.
Thomas von Gascoigne I, 719 fg.
Thomas von Kempen II, 501 fg. 528.
Thomas Netter von Waiden I, :;.
16. 610. 716. 737. II, 65. 86.
307 fg. 316. Anm. :^22 fg. 327 ff.
— die theol. Facultät von Paris über
sein Werk I, 3 fg.
— und Woodford II, 346 fg.
Thomisten I, 496.
Thorney Abtei II. 416.
Thorpe*, Wilh. I, 414 fg. 418 fg. r2J.
II. 9. 66 ff. 100. sein Buch II. 145.
450.
Thorpe, Rob. de I. 340.
Thurot, I, 2-4. Anm. 313. Anm. 3.
Timotheus II, 369 fg.
Tindal, s. Tyndale.
Tissnow, Simon II. 162. 166. 296.
299 fg.
Tod, der schwarze I, 247.
Todd I, 542. Anm. 1. 548. Anm. 2.
552.
Tower II, 85 ff.
Todesstrafe I, 54. II, 34. 293. 505 fg.
Todtenmessen I, i»2.
— an Ketzern I. 227 fg. Hus .
Topley, Thom. II, 461.
Tradition I, 106 fg. 469 fg. 621 fg.
II, 53 fg. 333 fg. 404 ff. münd-
liche, schriftliche) 409.
Transsubstantiation, s. Wandlung.
Trevisa, Johann von I, 431.
Trew 7nan treuer Christ; I, 569.
Trialogus, s. Wiclif.
Tridentin. Ccncil II, 334.
Trivium I, 278 fg. 286.
Trussel, Sir John II, 12.
Tschechische Predigt II, 115. 1 18 fg.
137 ff.
Tschenjek von Wessel auf Warten-
berg II, 271 fg. 276. 289. 299.
652
Register.
Tugend, Cardinaltugenden I, 52S.
— theologische Tugenden I, 529.
Tunstall, Bisch, v. London, II, 299.
454. 461.
Turner I, 453. Anm. II, 48. Anm.
55. Anm. 74. Anm. 91. Anm.
Tyball, Joh. II, 456. 460.
Tylsworth, Wilh. II, 435. 447.
Tyndale, Wilhelm II, 67. 451. 458 fg.
U.
Ubertino de Casali I, 119. II, 553.
Ullmann, Karl I, 12 fg. 146. Anm.
150. Anm. II, 133. Anm. 1. 516.
Anm. 1. 518. 522.^ 532 ff.
Unfehlbarkeit der Kirche I, 126 fg.
II, 407 ff. 416. 525. 542.
— des Papstes I. 125. II, 236 fg.
496 fg. 542.
Universalien I, 460 ff.
Unterricht, s. Schulen.
Urban V. I, 321.
Urban VI. I, 578 ff. 584 fg. 645 fg.
670. 712 fg.
Usher, Erzbischof, I, 430.
Utraquisten II, 289. Anm. 466 ff.
504. 509. 514 fg.
V.
Valla, Laurentius II, 394. 501.
Vater Unser II, 345.
Vaughan, Robert I, 11 fg. 262 fg.
267. Anm. 272fg. Anm. 313. A. 1.
319 fg. 323. Anm. 331. Anm. 365
fg. Anm. 374 fg. Anm. 378. Anm.
389. Anm. 404. Anm. 2. 411 fg.
455. 457. 541. 546. Anm. 550. 555.
557. 564. 585. 614. Anm. 1. 655
fg. Anm. 697 fg. Anm. II, 554.
Vega, Andr. II, 330.
»Verbo solo« I, 477 fg. 517.
Verdienst I, 242. 503 fg. 535 ff. II,
247 fg. 519.
Vergilius, Polydor. I, 716 fg.
Vernunft und Offenbarung, nach
Wiclif, I, 467 ff.
— Vernunft zum Schriftverständniss
unentbehrlich I, 485.
Vigilantius I, 29.
Villani I, 87.
Villari I, 13. II, 539. Anm.
Vincent, Thom. II, 455.
Viri evanüelici I, 600 fg.
Voigt, Jon. I, 31. Anm. 6-17. Anm.
Vorbild Christi I, 519.
Vulgata I, 446.
W.
Wadding I, 80 fg. Anm. 225. Anm.
»Waisen«, hussit. Partei, II, 475.
Wakefield, Bischof v. Worcester II.
14. 18. 43 fg.
Walch, Chr. W. Franz I, 10. II.
516. 522.
Waldenser I, 42. 45. 46 — 63. 100.
142. 155 fg. 481 fg. II, 373. Anm.
511. 741.
Waldo (Waldus) I, 49 ff.
Wales, Fürstenthum II, 14 fg.
Walleys, Thomas I, 396. Anm. 561 ff.
II, 22. 85. 104. 318. 389 fg. 392.
Walsingham I, 275. Anm. 2, 351.
383 fg. 386. 388 fg. 422. Anm.
661. 718 fg. II, 5. Anm. 8 14. '
43. 90.
Walther v. d. Vogehveide I, 41.
Walworth, Mayor v. London I, 658.
Wandlung im h. Abendmahl I, 581.
613 ff. 618. 622. 628 fg. 652 ff.
II, 49. 105. 249. 252 ff. 318 fg.
341. 346. 388. 429. 431. 437. 449.
473. 482. 526.
Wanley I, 436. Anm. 1.
Warham, Erzbischof II, 439. 445.
Warner II, 418.
Wat Tyler I, 657 fg. 664.
Waterland I, 451. Anm.
Wattenbach I, 74. Anm.
Waynflete II, 414.
Waytstach, Rieh. II, 7. 10 fg. 15 fg.
Anm.
Weech, von I, 115. Anm.
Weihe von Kirchengeräthen u. s. w.
II, 294.
Weiss, Mich. II, 513.
Welt, Lehre von der Welt, I, 495 ff.
— Weltschöpfung, I, 496 fg.
Wenzel, König v. Böhmen II, 147.
149 ff. 154 ff. 161 ff. 166. 180.
182 ff. 274. 279. 282 ff. 46i.
Wenzel von Drachow, Magister, II,
470. 484.
Wenzel von Duba auf Lestno II,
189 ff. 204.
Wenzel, Bürger in Prag, II, 465 fg.
Wenzel Tiem, Dechant II. 171.
Werner, Karl, r. kath. I, 218. Anm.
347 fg. Anm.
Wessel, Johann II. 527 ff.
— Luther über ihn, I, 2 fg.
Register.
653
Wessenberg, von I, 13. 70. 490 fg.
Anm.
Wharton, Heinr. I, 430 fg. 451.
Anm. II. 353. Anm. 401. Anm.
408.
Whethamstede, Joh. II, 411. Anm. 4.
White s. Wilhelm White.
Whittington, Sir Richard II, 354 fg.
Wichet I, 620. 627 fg. Anm. 656.
II, 557.
Wiclif, Johann von, Familie I,
265 ff., Geburt, Ort 261 ff., Zeit
derselben 267 ff., Rechtschreibung
des Namens 267 ff. Anm. Wiclif
als Scholar I, 271 ff., des Griechi-
schen unkundig 277 ff., Wardein
der Canterburyhalle 294 ff., Dr.
der Theologie 312 ff. 4S2. Wiclif
als Patriot 317 fg., Einfluss des
Geistes englischer Nation auf ihn
I, 2i2. 258., als philosophischer
Denker 45S ff., sein kritischer
Geist 727 fg. , theologische Denk-
art, Bibelkenntniss 479., Lehrbe-
griff 466 ff., sein Ehrenname:
Doctor evanc/elicus I, 478 fg. 488.
II, 27. 333. Anm. Johannes
Augustini 506. Seine Ethik
528 ff. Wiclif als Prediger 393 ff.
734.
— Charakter I. 414. 601 fg. 724.
II, 303. 334 fg., laut Zeugniss der
Univ. Oxford II, 69 fg. Wiclif
und das Mönchthum I, 585 ff.
737. vgl. II, 521. Wiclif und der
Bauernaufstand I, 659 ff.
Wiclifs Schriften I, 703 f g ,
Summa 498. 500 fg. 559 fg. Tria-
logus 455 fg. 458. Anm. 479. 494.
557. 559. 581. 584. 589. 648 fg.
Anm. 725. II, 16. 170 fg. 185.
344. De veritate s. scnpturae I,
471 fg. 489. 265. Wichet I,
489. 620. 627. Anm. II, 439. 444.
446 fg. 450. 456. Wiclifs Stil I,
453 fg. 725. 730 fg.
Wiclif und Bernhard v. Clairvaux
I. 70. 382., erwähnt die Walden-
ser nicht 215. Wiclif und Gros-
setete 177. 198 fg. Anm. 203.
Anm. 2. Wiclif und Mvstik 140.
Wiclif und Ockam 479 fg. II,
608 ff. Wiclif erwähnt die Beg-
harden I . 156 fg. Wiclif und
Bradwardina I, 230. Wiclif und
Richard von Armagh I, 226 fg.
Wiclif und Hus II, 264 fg. 285.
Anm. 2. 467. 479. 482. 514. Wic-
lif und Savonarola II, 541 fg.
Wiclif und Luther I, 541. 628 ff.
731. II, 285. Anm. 2. 329.
Wiclifs Tod I, 718 ff., seine Ge-
beine ausgegraben II, 325 ff. vgl.
206 fg. Polemik gegen Wiclif I,
471. 669 ff. 695 ff. II, 172 ff.
331 ff. 470 fg.
Wiclifs Schriften in Böhmen II,
111 ff. 159 ff. 162. 168 ff. Urtheil
des Constanzer Concils über ihn
und seine Schriften II, 205 ff.
Wiclifiten II, 3 ff. u. s. w.
Wilhelm v. St. Amour II, 343 ff.
— der Eroberer I, 16^. 172.
— James s. James.
— von Lorris II, 161.
— von Newborough I, 43.
— Ockam I, 98 fg. 107. 121 ff.
460. 473. 476. Anm. 3, 479 ff.
499. 742. II, 608. 610.
— Tailor II, 316 ff. 321 ff.
— White*, Priester II. 306. 308.
311 fg. 320. 326. 328.
Willmot II, 452. Anm.
Wilsnack , das heil. Blut von, II,
143 ff. 235.
Wilson, Lea I, 451. Anm.
Witte I. 101. Anm.
Wladislaw II. von Böhmen II, 508 fg.
Wladislaw, König von Polen, II, 468.
Wok von Waldstein II, 179.
Wolf, Joh. II, 494 fg. Anm.
Wolfram von Naumburg I, 97.
Wolsev, Cardinal II, 441. 451. 453.
Wood,* Ant. I, 319. 585. 697. Anm.
Woodford, Wilh. I, 320. 585 fg.
589. 638. Anm. 3. IL 4S ff. vgl.
mit Thomas Netter von Waiden
346 fg. 419 ff. vgl. mit Pecock
418 ff.
Woodhall I, 294 fg. 307. 310.
Wormser Vertrag 1122. I, 64.
Wright, Thomas I, 169. Anm. 215.
Anm. 247 fg. Anm. 432. Anm. 3.
II, 36. Anm.
Wunder II, 408.
Wvche, Richard II, 308. 319 fg.
351 fg.
Wvcliffe. Pfarrort. I, 263.
Wvkeham, Wilh. v., Bischof I, 304.
339 fg. 363. 367. 685.
(>54
Kegister.
Y.
Yorkshire 1,262 ff. Bevölkerg 264 ff.
Young, »Mutter« II, 43.'] fg.
Yvonet I. 50. 63.
Z.
Zabarella, Cardinal II, 165.
Zahl, Maass und Gewicht I, 490.
Zarncke 1, 275. Anm. 1.
Zdenjek von Labaun II, 183.
Zdislaw v. Wartenberg II, 162.
Zehenten I, 671. II, 395.
Zeichen I, 604 fg.
Zeitalter, »Vom letzten Zeitalter der
^ Kirche« I. 22S fg. 157. II, 547 ff.
Zelatores im Franziskanerorden I,
83 fg.
Zizka, Johann II, 281. 300. 466.
475 fg.
Zwangsgewalt I, 109. III. II, 505.
Zwingli, seine Abendmahlslehre 1,
633. II, 465. Anm. 4. 535.
Druck von Kreitkopf & Härtel In Lftipiig,
BW5111.L453v.lAJ
Johann von Wiclif ifnd die Vorgeschichte
Pnnceton Theological Seminary-Speer Library
1 1012 00036 1404