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Full text of "Johann von Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation"

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Druck  von  Breitkopf  und  Härtel  in  Leipzig. 


-JOHANN  VON  WIGLIF 

UND  DIE 

VORGESCHICHTE  DER  REFORMATION. 


VON 


GOTTHARD  LECHLER, 

DER   THEOLOGIE   DOCTOB   UND   OKDEXTLICHEM  PHOFE8SOK, 
SUPERINTENDENTEN  IN  LEIl'ZIG. 


ZWEITER  BAND. 


LEIPZIG. 

VERLAG  VON  FRIEDRICH  FLEISCHER. 
1873. 

LONDON.  WILLIAMS  6c  NOR  GATE. 


Das  Ucbersetzuiigsreeht  behalten  sieh   Verfasser  und  Verleger  cur. 


I  n  Ii  a  1 1. 


Drittes  Buch. 

Die  Nachwirkungen  Wiclifs  s.  3  -546 


Erstes  Kapitel. 

Von  WfcliTd  Tode  bis  zur  Thronbesteigung  des  Hauses  Latteaster 
(1385  —  1399)  S.  3-5S 

I   Die  Lollarden  als  Partei  S.  3—20 

Wiclifs  Anhänger,  als  Partei ,  durch  seinen  Tod  nicht  geschwächt;  der 
Lollardenname.  S.  3.  Die  Partei  bestand  aus  einem  e  n  g  e  re  n  Kreis  (nam- 
hafte Mitglieder)  desselben  S.  6.  und  aus  einem  weiteren  Kreis;  Statistik 
der  Lollarden,  S.  11. 

Inneres  Leben  der  Lollarden,  Predigten  und  Conventikel  S.  15. 
II.  Das  Vorgehen  der  Lollarden  und  ihre  Grundsätze  .    .    .    S.  20—42 

Die  Partei  drang  vor  und  verfuhr  aggressiv  S.  20,  ihre  Bittschrift  an  das 
Parlament  1395  S.  22.  Ihre  Grundsätze  laut  gegnerischer  Urkunden  S.  28. 
und  laut  der  Aufzeichnungen  des  Wicliflten  Walter  Brüte  S.  30. 

Die  Gedanken  und  Stimmungen  der  Lollarden  laut  »des  Ackermanns 
Erzählung«  S.  35. 
III   Maassregeln  der  Hierarchie  gegen  die  Lollarden.    .    .    .    S.  43 — 58 

Anfangs  vereinzelte  Maassregeln  der  Bischöfe  gegen  die  Partei  S.  43.  Seit 
1395  erstrebten  sie  etwas  Durchgreifenderes  S.  45.  Erzbischof  Arundel,  seit 
1390,  lässt  vorerst  Wiclifs  Lehren  von  einer  Provinzialsynode  1397  verur- 
theilen,  S.  40,  und  zur  Begründung  dieses  Urtheils  die  Streitschrift  Wood- 
ford's  ausarbeiten  S.  48.  Diese  Schrift  selbst,  ihr  Inhalt  und  Charakter 
S.  49. 

Zu  durchgreifenden  Maassregeln  gegen  die  Lollarden  kam  es  unter  der  Re- 
gierung Richard  s  HL  nicht,  S.  55.  Richard  IL  wird  gestürzt,  und  das  Haus 
Lancaster  auf  den  Thron  erhoben,  S.  56. 

Zweites  Kapitel. 

Von  der  Thronbesteigung  des  Hauses  Lancaster  bis  zur  Hinrichtung 

des  Lord  Cobham  (1399—1417)  S.  59—109 

I   Blutige  Verfolgung  der  Lollarden  S.  59— GS 

Politische  Motive  führen  Heinrich  IV.  zur  Verfolgung  der  Widititen,  S.  59. 
Strafgesetz  gejien  Ketzer  S.  61.    Vollziehung:  Pur\ey  widerruft.  SautreVivd 


IV 


Inhalt. 


verbrannt  S.  62.  Fortgang  der  Verfolgung,  Schicksal  Badby  s  „und  Wilhelm 
Thorpes  S.  G4. 

EL  Einschreiten  gegen  die  Universität  Oxford  so  wie  gegen  Reisepredigten 
und  Schriften  der  Lollarden  S.  68—78 

Maassregeln  gegen  die  Universität  Oxford,  nachdem  dieselbe  durch  ein  ehren- 
volles Zeugniss  für  Wiclif  Aufsehen  erregt  hatte,  S.  65.  Frage  von  der  Aeoht- 
heit  des  Zeugnisses  S.  71.  Regelmässige  Inquisition  innerhalb  der  Colleges 
1408  angeordnet  S.  74.  Oxford  vom  Wicliflsmus  gereinigt,  für  das  römische 
System  gewonnen  S.  76. 

Erlasse,  um  den  wiclifiti sehen  Reisepredigten  und  Schriften  einen  Damm 
entgegenzustellen  S.  77. 

III.  Der  Angriff  auf  die  Grossen,  welche  das  Lollardenthum  forderten. 

S.  78-94 

Sir  John  Oldcastle,  Lord  Cobham ,  Persönlichkeit  S.  80  ;  die  Hierarchie 
tastet  ihn  allmählich  an  S.  82.  Zwei  Verhöre  desselben  vor  dem  geistlichen 
Gericht  S.  84.  Lord  Cobham  entkommt  aus  dem  Tower  S.  89.  Die  angebliche 
hochverrätherische  Verschwörung  S.  89.  Lord  Cobham  abermals  gefangen, 
verhört,  hingerichtet  S.  93. 

IV.  Fortgang  der  Maassregeln.    Litteratur  und  Ansichten  der  Lollarden. 

S.  95-109 

Process  und  Hinrichtung  des  Londoner  Bürgers  Claydon  S.  95.  Polemik 
wider  die  Lollarden  S.  97.  Eifer  wider  ihre  Literatur  S.  9S.  Ansichten  der 
Lollarden  in  diesem  Zeitraum,  nach  der  »Leuchte«  und  anderen  wiclifitisehen 
Aussprachen,  S.  100;  des  »Ackermanns  Gebet«  S.  105. 

Rückblick  auf  den  bisherigen  Verlauf  der  wiclifitisehen  Bewegung,  von 
1385—1417,  S.  107. 


Drittes  Kapitel. 

Johann  Hus  und  die  hussitische  Bewegung  S.  110—301 

I.  Die  Quellen  der  hussitischen  Bewegung  S.  110 — 133 

Der  sociale  und  geistige  Verkehr  zwischen  England  und  Böhmen  seit  der 
Vermählung  Richard's  II.  mit  Anna  von  Luxemburg  vermittelt  die  Einwirkung 
Wiclifschen  Geistes  auf  Böhmen  S.  110.  Dazu  einheimische  Kräfte:  amtliche 
Reformbemühungen  des  Prager  Erzbisehofs  Ernst  von  Pardubitz  S.  113;  freie 
Reformbestrebungen  sittlich  -  religiöser  Art  S.  115.  Kon  rad  von  Wald- 
hansen S.  116.  Militsch  von  Kremsier  S.  118.  Matthias  von 
Janow  S.  122.  Vergleichung  zwischen  Militsch  und  Janow  S.  130.  Einige 
andere  Freunde  kirchlicher  Reform  in  Böhmen ,  am  Ende  des  XIV.  Jahrhun- 
derts S.  131. 

II.  Hus'ens  Anfänge,  bis  1408.   S.  133—154 

Johann  Hus,  Jugendgeschichte  und  innere  Entwicklung  S.  133.  Stiftung 
der  Bethlehemskapelle  in  Prag  S.  137.  Hus  als  Prediger  an  dieser  Kapelle 
S.  139.  Sein  theologisches  und  praktisches  Wirken  S.  140.  Erstes  Sta- 
dium, im  Bunde  mit  seinen  kirchlichen  Oberen,  1402 — 1410.  Hus  als  Synodal- 
prediger S.  142;  »das  heilige  Blut  von  Wilsnack«  S.  143.  Spannung  zwischen 
dem  Erzbischof  und  Hub  S.  146.  Die  Nationenfrage  an  der  Universität  Prag 
S.  149.  Entscheidung  derselben  durch  Machtspruch  der  Regierung,  S.  151. 
Trennung  der  Deutschen  von  der  Universität  S.  153. 

III.  Wachsende  Spannung,  1408—1411   S.  154—173 

Rückwirkung  der  Katastrophe  an  der  Universität  auf  diese  selbst,  auf  Stadt 
und  Land  S.  154.  Maassregeln  des  Erzbischofs  gegen  Uns  S.  155.  Dessen 
Verfahren  in  Betreff  Wiclif  scher  Schriften  S.  157.  Bann  über  Uns  und  <;♦'- 
yos<cn  S.  1 00. 


Inhalt. 


V 


Aufregung  darüber,  gesteigerte  Opposition  S.  160.  Verwendung  des  Hofs 
und  Adels  bei  der  Kurie  für  Hus,  während  Erzbischof  und  Klerus  gegen  ihn 
arbeiteten,  8.  163.  Beim  Scheitern  des  Banns  und  Interdikts  fügt  sich  Erz- 
bischof Sbynjek  einem  Ausgleichsversuch  S.  106,  tritt  zurück,  stirbt  S.  168. 

Rückblick:  Wiclifismus,  Mittelpunkt  der  bisherigen  Bewegung  S.  168. 
Des  Karthäusers  Stephan  Streitschrift  wider  den  Wiclifismus  in  Böhmen,  S.  169. 
IV.  Die  Opposition  gegen  päpstlichen  Ablass,  und  Hus  ens  Exil  S.  173—186 

Der  Ablass  zu  Gunsten  eines  Kreuzzugs  gegen  König  Ladislaus  von  Neapel 
S.  173.  Erregung  darüber  in  Prag  S.  174.  Disputation  und  Schrift  dawider 
von  Hus  S.  175.  Volksdemonstration  S.  179.  Todesstrafe  an  Gegnern  der 
Ablassbulle  vollzogen  S.  179.  Theologische  Facultät,  Pfarrgeistlichkeit,  Stadt- 
rath wider  Hus  S.  180.  Das  Interdikt  über  Prag  S.  181.  Hus  freiwillig  im 
Exil  1412  S.  182.  Vergebliche  Ausgleichsversuche  von  König  Wenzel  ver- 
anstaltet S.  182. 

V.  Vorbereitende  Ereignisse  in  Constanz  S.  186 — 208 

Berufung  des  Constanzer  Concils  S.  186.  Die  hussitische  Sache  auf  dessen 
Tagesordnung  gesetzt'  S.  187.  Hus  verspricht,  sich  vor  dem  Concil  zu  stellen 
S.  188.  Reise  nach  Constanz  S.  189.  Hus  in  Haft  genommen  S.  195.  Vor- 
untersuchung wider  ihn  S.  198.  Der  Laienkelch  S.  199.  Nach  Johann  s  XXIII. 
Entweichen,  Hus  in  das  Schloss  Gottlieben  versetzt  S.  201.  Bemühungen  des 
böhmischen  Adels  für  Hus  S.  203.  Beschlüsse  des  ConciFs  über  Wiclif  S.  205. 
Hus  nach  Constanz  zurückversetzt  S.  207. 

VI.  Die  Entscheidung  in  Constanz  S.  208—233 

Oeffentliche  Vernehmung  Hus'ens  vor  dem  Concil,  erstes  Verhör  am  5.  Juni 
1415  S.  208,  zweites  am  7.  Juni  S.  210,  drittes  am  8.  Juni  1415  S.  212. 
Rückblick  auf  die  drei  Verhöre  S.  215. 

Aussichten  nach  Schluss  der  Verhöre  S.  216;  Hus'ens  letzte  Briefe  S.  21S. 
Plenarsitzung  am  6.  Juli  1415,  Fällung  des  Lrtheils,  Vollziehung  S.  222. 

Die  Rechtsfrage  1.  über  die  an  Hus  vollzogene  Todesstrafe  wegen 
Ketzerei  S.  227  ;  2.  über  das  freie  Geleite  S.  228. 

Hieronymus  von  Prag  und  sein  Schicksal  S.  231. 

VII.  Husens  reformatorische  Lehrgedanken  -S.  233—270 

Seine  Prinzipien:  «Christi  Gesetz«  und  die  wahre  Kirche  S.  233. 
1.  Gottes  Wort  maassgebend  S.  236.  2.  die  wahre  Kirche,  Gesammtheit  der 
Erwählten  S.  238.  Christus  das  alleinige  Haupt  der  Kirche  S.  241.  Kirche 
und  Papst  S.  242.  Rückblick  auf  Wiclif  S.  245.  Heilsordnung,  Hus'ens  Lehre 
von  der  Rechtfertigung,  resp.  vom  Verdienst  S.  246. 

Lehre  von  den  Sakramenten;  Hus  bestreitet  nicht  die  Wirksamkeit  eines 
von  einem  sittlich  unwürdigen  Priester  gespendeten  Sakraments  S.  248.  Hus 
und  der  Kelch  S.  250.  Hus  und  die  Lehre  von  der  Wandlung  S.  252. 

Verhältniss  zwischen  Hus,  als  Theologe  und  Mann  der  Reform,  und  Wiclif 
S.  264.  Hus  von  Wiclif  abhängig  S.  265.  Vergleichende  Charakteristik  bei- 
der S.  269. 

VIII.  Beginn  der  hussitischen  Bewegung  nach  Hus'ens  Tode.   S.  271  —  301 
Die  Stimmung  in  Böhmen  und  Mähren  nach  Hus'ens  Verhaftung  S.  271. 

Eindruck  seines  Flammentodes  272.  Beschlüsse  des  Landtags  vom  September 
1415,  S.  274.  Der  hussitische  Herrenbund  S.  276.  Römisch -conservativer 
Gegenbund  S.  278.  Maassregeln  des  erzbischöflichen  Ordinariats  in  Prag,  des 
Concils  und  des  Papstes  Martin  V.  S.  278.  Einschreiten  König  Wenzel's,  durch 
König  Sigismund  und  das  Concil  angeregt  S.  282.  In  Folge  dessen  Unruhen 
und  Reibungen  in  Prag  S.  283.  König  Wenzel's  Tod  1419. 

Innerer  Charakter  der  hussitischen  Bewegung  S.  285.  Fromme  Verehrung 
gegen  Hus  und  Hieronymus  von  Prag  S.  285.  Verschiedenheiten  inmitten  der 
Hussiten  S.  288.  Erstes  Auftauchen  einer  verschiedenen  Fassung  des  Schrift- 
prinzips S.   288.    Consequenzen  des  abweichenden   Schriftprinzips  für  die 


VI 


Inhalt. 


Glaubenslehre  S.  291*  die  Sittenlehre  S.  292,  den  Kultus  S.  293,  die  Kir- 
chenordnung Si  297. 

Die  Sprecher  und  Führer  der  beiden  Schattirungen  S.  299 ;  örtliche  und 
sociale  Mittelpunkte  derselben  S.  300. 

Viertes  Kapitel. 

Die  englischen  Lollarden.  von  der  Hinrichtung  Lord  Cobhains  bis  zum 
Ende  der  blutigen  Verfolgung  (1417 —  1431)  .     .    .    S.  302— 347 

I.  Bestand  und  inneres  Leben  der  Lollarden  S.  302— 314 

Rückblick  auf  Wiclif  und  auf  die  beiden  Zeiträume  seit  seinem  Tode  S.  302. 
Allmähliche  Ausscheidung  des  wissenschaftlich-theologischen  und  des  politisch- 
nationalen  Elementes  aus  dem  Leben  der  wicjüUischeo  Partei  S.  303.  Erfolge 
der  bisherigen  Maassregeln  der  Kirche  und  des  Staats,  in  Betreff  der  Universität 
Oxford  S.  305,  der  Reisepredigt,  ebendas.  Dagegen  blühte  das  wiclifitische 
Conventikelwesen  und  Schriftthum,  S.  307.  Ordentliche  Pfarrer  als  Wicliiiten 
S.  30S.  Entschlossenere  Bethätigung  wiclifltischer  Gesinnung  S.  309.  Selbst- 
bewusstsein  der  Lollarden  in  diesen  Jahren  S.  313. 

II.  Lehre  der  Lollarden  in  dieser  Zeit  S.  314—319 

laut  einzelner  Sätze,  welche  von  der  Kirche  gerügt  wurden  S.  314,  laut  des 
Glaubensbekenntnisses  von  Thomas  Bagley  S.  315,  laut  des  Aufsatzes  von 
Tailor  über  das  Gebet  S.  316.  Zusammenfassung  S.  31S. 

III.  Maassregeln  der  Hierarchie  gegen  die  Lollarden  .    .    .    S.  319 — 327 

Untersuchungen  und  Strafen  über  Lollarden  verhängt  S.  319.  Wilhelm  Tailor 
schliesslich  verbrannt  S.  322.  Nach  Hjähriger  Pause  beginnt  das  Verfahren 
gegen  die  Lollarden  aufs  neue,  durch  Martin  V.  angeregt,  im  Zusammenhang 
mit  Bekriegung  der  Hussiten  :  Wiclifs  Gebeine  ausgegraben  und  verbrannt 
S.  323.  Ketzerprozesse  beginnen  wieder,  mehrere  Lollarden  hingerichtet 
S.  320. 

IV.  Die  Streitschrift  des  Thomas  Netter  von  Waiden  gegen  die  Lollarden 

S.  327-347 

Persönlichkeit  und  Lebensgeschichte  des  Thomas  von  Waiden  S.  327; 
das  Werk  und  dessen  Geschichte  S.  32S.  Gesinnung  und  Absicht  des  Verfassers 
S.  .330.  Thomas  über  die  Prinzipien ,  namentlich  über  das  Schriftprinzip 
S.  332.  Seine  Kritik  der  Wiclif'schen  Lehre  von  Kirche.  Priesterthum  und 
geistlichem  Amt  S.  330,  von  den  Sakramenten  und  Sakramentalien  S.  3U. 
Charakteristik  Thomas  Netter's  als  Polemikers  und  Apologeten  S.  313.  Yer- 
gleichung  desselben  mit  Wilhelm  Woodfofd  S.  310. 

Fünftes  Kapitel. 

Vom  Ende  der  blutigen  Verfolgung  bis  zum  Anfang  der  englischen 
Reformation  '1431 — 16&>)  S.  343—462 

I.  Fortdauer  einer  wiclifitischen  Strömung  in  England;  Reginald  Pecock. 

S.  34^— 368 

Seit  1431  tritt  in  England  eine  verhältnissmässige  Stille  ein  S.  34S.  Den- 
noch erhielt  sich  der  Wiclilismus  fort  S.  349.  Line  sprechende  Thatsache  hie- 
für  ist  Pecock' s  Auftreten  gegen  die  Lollarden  8.  3T>2.  Reginald  l'erorks 
Leben  S.  3*>3.  Seine  Predigt  und  Thesen  über  das  bischöfliche  Amt  S.  ;{">(> ; 
Standpunkt,  den  er  darin  einnahm  S.  'Ml. 

II.  Pecock'»  Repressor  und  die  »Bibelruänncr«  S.  368  :tü!> 

I  m  die  Lollarden  mit  Vernunltfrründcri  zu  widerlegen,  schrieb  Perork  sein 
Werk:  Repressor  S.  :'.<;s.  Inhalt  und  Grundgedanken  s.  mm.  Seine  Kritik  des 


Inhalt. 


VII 


w  ili tischen  Schriftprinzips:  Schritt  und  Vernunft  S.  .i 7 1 .  Verteidigung  der 
Bilder  und  Wallfahrten  S.  389.  Ueber  Kirchengüter  und  Kenten  S.  393. 
Hierarchie,  Papst  und  Episkopat  S.  390.  Münchthuni  S.  307. 

III.  Pecock'a  Annäherung  an  die  Bibehnänner,  sein  Schicksal ;  Würdigung 
des  Mannes  S.  399— 42(1 

Pecock's  Donat  S.  399,  sein  »Buch  vom  Glauben«  d.  h.  vom  Verhältniss 
zwischen  Schrift  und  Kirche  S.  400.  Der  Verfasser  scheint  den  »Bibelmännern« 
sich  mehr  genähert  zu  haben  S.  408. 

Verdächtigungen  wider  ihn  S.  410.  Einleitung  eines  Processes  81  412. 
Pecock  aus  dem  Hause  der  Lords  ausgestossen  S.  413.  Sein  Widerruf  S.  414. 
Absetzung,  klösterliche  Haft  S.  415.  Charakteristik  des- Mannes  S.  416.  Ver- 
gleichung  Pecock's  mit  den  Polemikern  gegen  Wiclif  und  die  Lollarden  vor  ihm, 
Woodford  und  Thomas  Netter  von  Waiden  S.  418. 

Ergebnisse  aus  Pecock  in  Betreff  der  wiclifltischen  Partei  S.  422. 

IV.  Die  wiclifitische  Bewegung  von  1460  bis  1530  .   .    .    .    S.  426—462 

Fortdauer  wiclifitischer  Gesinnung  bis  zum  Ende  des  XV.  Jahrhunderts 
S.  426.  Spuren  von  Wiclifismus  in  Oxford  1476  S.  427.  Die  Lollarden  von 
Coventry  1485  S.  427.  Die  Lollarden  von  Kyle  in  Schottland  1494  S.  431. 
Wiclinten  in  London  1494—1500  S.  432, 

Vom  Jahr  1506  an  häutigeres  Auftreten  von  Wiclifiteri  Maassregeln  der 
Bischöfe  gegen  dieselben  S.  435.  Das  Schicksal  Richard  Hun  s  in  London 
S.  439.  Leben  und  Wesen  der  Lollarden  im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts 
S.  442.  Vorgehen  des  Bischofs  Longland  von  Lincoln  1521  folg.  gegen  die 
»Häretiker«  S.  447.  Anschuldigungen  gegen  dieselben,  Lebensstellung  der 
Leute  S.  448. 

'Einwirkung  der  deutschen  Reformation  auf  England,  seit  1521,  S.  451.  Ele- 
mente der  Reformation  von  unten:  1.  sociale  und  politische  Verstimmung  gegen 
den  Klerus  S.  452:  2.  Humanismus  und  Streben  nach  Reform  der  Theologie 
S.  453;  3.  religiöses  Element,  nicht  blos  von  Luther  stammend,  sondern 
auch  von  Wiclif  her  überkommen  S.  454.  Einwirkungen  vom  Continent  her 
S.  457.  Alt-wiciifltische  Bibelkenntniss  und  Gesinnung  verschmelzt  sich  mit 
neuen,  durch  die  deutsche  Reformation  geweckten  Bestrebungen  S.  459. 

Sechstes  Kapitel. 

Die  Kirche  auf  dem  Continent  während  der  letzten  hundert  Jahre  vor 
der  Keformation.    1419 — 1517  s.  463— 516 

I.  Der  Hussitismus,  Schicksale  und  Wirkungen  desselben    S.  463—1^9 

Ausbruch  der  Erregung,  nach  König  Wenzel's  Tod  S.  463.  Stimmungen  und 
Ansichten  der  radikal  gesinnten  Hussiten  S.  464.  Gesinnung  der  gemässigten 
Partei,  der  »Prager«  (die  vier  Prager  Artikel)  S.  466.  Die  Taboriten  und  ihre 
Grundsätze  S.  471.  Gegenseitiges  Verhältniss  zwischen  den  beiden  letzteren 
Fraktionen  der  Hussiten  S.  474. 

Die  Hussitenkriege  von  142'»  defensiv,  seit  1427  offensiv  von  Seiten  der 
Hussiten  S.  475.  Verhandlungen  des  Basler  Concils  mit  den  Hussiten  S.  478- 
Die  Compaktaten'  1433  geschlossen  S.  481;  in  Iglau  U36  bestätigt  S.  484; 
allmähliche  Auflösung  der  Taboritenpartei  S.  484. 

Einfluss  der  hussitischen  Bewegung  auf  Deutschland  S.  485. 

II.  Die  Reformconcilien  und  ihre  Rückwirkungen ;  der  Humanismus. 

S.  489—503 

Die  Concilien  zu  Pisa,  Constanz,  Basel  S.  489.  Eindruck  ihres  schliesslichen 
Scheiterns  S.  492.  Ihre  Grundgedanken  unverloren  S.  -192.  Nachdenken  ge- 
weckt über  Mittel  und  Wege  der  Kirchenreform;  Jakob  von  Jüterbogk 
S.  494.  Stimmung  der  Bevölkerungen  S.  499. 

Der  Humanismus  in  Italien  S.  500,  in  Deutschland  und  den  Nieder- 
landen S.  501. 


VIII 


Inhalt. 


III.  Die  aus  dem  Hussitismus  entsprungene  Brüdminität   .    S.  503—515 

Aus  der  äussern  Lage  der  Utraquisten  seit  1450  entwickelt  sich  ein  Neues 
S.  503.  Peter  von  Cheltschitz  S.  504.  Die  »Brüder«  in  Kunwald  S.  506, 
bilden  1467  eine  separirte  Kirchengemeinschaft  S.  506.  Schicksale  derselben 
S.  507  ;  ihre  Eigenthümlichkeit  S.  500.  Sehnsucht  nach  Gemeinschaft  mit 
Gleichgesinnten  und  nach  tieferer  Erkenntniss  S.  511. 

Verkehr  mit  Luther  S.  512.  Stellung  zur  deutschen  Reformation  S.  513. 
Die  böhmischen  L'traquisten  und  die  evangelisch-lutherische  Kirche  S.  514. 

IV.  Johann  von  Goch,  Johann  von  Wesel  und  Johann  Wessel. 

S.  515—537 

Johann  von  Goch,  sein  Schriftprinzip  S.  516;  seine  Lehre  von  Natur  und 
Gnade  S.  518;  seine  Polemik  gegen  die  Gelübde  und  das  Mönchthum  S.  519; 
Lehre  von  der  Kirche  S.  521. 

Johann  von  Wesel,  Lebensgang  S.  523.  Streitschrift  gegen  den  Ablass 
S.  523.  Grundsätze  betreffend  die  Kirche  Und  das  Hirtenamt  S.  525.  Schick- 
sale S.  526. 

Johann  Wessel ,  Persönlichkeit  S.  527,  Lebensgeschichte  S.  528,  Eigen- 
thümlichkeit als  christlicher  Denker  S.  530.  Seine  Lehre  von  Christo  und  dem 
Heilswege  S.  531.    Kirchenbegriff  S.  533.    Lehre  vom  Abendmahl,  Buss- 
sakrament u.  s.  w.  S.  534.  Das  Reformatorische  in  "Wessel  S.  536. 
V.  Savonarola  S.  537 — 546 

Savonarola's  Leben,  Wirken  und  Ende  S.  537.  Reformatorische  Züge  an  ihm  : 
Liebe  zur  Schrift,  alleiniges  Vertrauen  auf  Gottes  unverdiente  Gnade  S.  541. 
Ueberzeugung  von  der  Notwendigkeit  einer  Reform  der  in  judaisirendes  Wesen 
versunkenen  Kirche  S.  542.  Irrthum  anlangend  Mittel  und  Wege  der  Reform 
S.  543.  Dessen  ungeachtet  ist  Savonarola  ein  Prophet  der  Reformation  und 
Märtyrer  seiner  Prophetie  S.  544. 

Anhang  A. 

I.  Ursprung  und  Herkunft  der  Schrift:  The  last  Age  of  the  Church. 

S.  547—553 

II.  Wiclifs  Schriften  S.  553—573 

Im  Allgemeinen  S.  553  ;  im  Einzelnen  S.  558. 

A.  Werke  wissenschaftlichen  Inhalts :  I.  Philosophische  .    .    S.  559 
II.  Theologische  S.  550 

B.  Predigten  und  praktische  Schriftauslegungen    .    .    .    .    S.  502 

C.  Praktisch-lehrhafte  Erklärungen  von  Katechismusstücken    S.  564 

D.  Gutachten,  persönliche  Erklärungen  an^Behörden  u.  dergl.    S.  566 

E.  Streit-  und  Flugschriften  *  S.  567 

F.  Briefe  S.  572 

Anhang  B. 

Materialien  aus  Handschriften. 

I.  Aeusserung  Wiclifs  in  Betreff  der  Canterbury-Halle,  De  Eeclesia  c.  16. 

S.  574  f. 

II.  Denkschrift  über  den  Eid  eines  päpstlichen  Einnehmers  S.  575—570 


Wortlaut  der  Beeidigung  S.  575 

Wiclifs  Beleuchtung  und  Gutachten   .    .    .    .    S.  576—570 

III.  Predigt  über  das  Gleichniss  vom  Säemann.  |.    .    .    .    8.  5SO— 500 

IV.  »Epistola  missa  ad  siinplices  sacerdotes«  S.  500  f. 

V.  De  .sex  ja (/is  S.  501—605 

VI.  Wiclifs  Antwort  auf  persönliche  Verdächtigungen  in  De  Verität«  s. 
scripturae  cap.  14  ,    .    .    .    .    S.  605 — 621 

VII.  Eine  wiclifitische  Dichtung  S.  621—632 

VIII.  Wiclifs  angebliches  Schreiben  an  Papst  Urban  VI.  S.  633  f. 

Kegister  635 


Drittes  Buch. 


Die  Nachwirkungen  Wielif  s. 


Lrchlek  .  Wiclif.  II. 


I 


Erstes  Kapitel. 

Von  Wiclif  s  Tode  bis  zur  Thronbesteigung  des  Hauses 
Lancaster  (1385-1399). 

I. 

In  den  letzten  Lebensjahren  Wiclif  s  haben  die  Gegner 
offenbar  der  Hoffnung  gelebt,  dass,  nachdem  die  namhaftesten 
Anhänger  des  Mannes  gebeugt  und  eingeschüchtert  worden 
waren .  nur  noch  der  Tod  des  durch  Alter  und  Krankheit  be- 
reits geschwächten  Führers  eintreten  dürfe,  um  seine  ganze 
Partei  völlig  vergehen  zu  sehen.  Allein  schon  die  ersten  Jahre 
nach  seinem  Tode  mussten  der  Gegenpartei  vollkommen  klar 
machen,  wie  bitter  sie  sich  getäuscht  hatte.  Es  Hess  sich  bald 
genug  erkennen,  dass  durch  Wiclif  s  Abtreten  vom  irdischen 
Schauplatz  in  dem  Stande  der  Sache  selbst  sich  nichts  verändert 
habe.  Die  Partei  blieb  auf  dem  Plan;  und  es  wurde  klar,  dass 
dieselbe  durchaus  nicht  in  dem  Maasse,  wie  man  gewähnt 
hatte,  von  der  Persönlichkeit  Wiclif's  selbst  abhängig  gewe- 
sen sei. 

Es  ist  ein  in  mehrfacher  Beziehung  gewichtiges  Zeichen  der 
Zeit,  dass  in  den  ersten  Jahren  nach  Wiclif's  Tode  der  Name 
Lollar  den  als  Gesaniintnanie  für  die  Partei  Wiclif's  rasch 
in  Gang  kam  und  bald  sogar  offizielle  Verwendung  fand.  Der 
Name  war  zwar  noch  bei  Wiclif's  Lebzeiten  aufgetaucht, 
allein  die  Freunde  desselben  hatten  sich  ihn  damals  nicht  ge- 
fallen lassen:   und  in  Folge  dessen  wurde  derjenige  Mann. 

i  * 


4 


Buch  III.    Kap.  1.  I. 


welcher  den  Namen  zuerst  in  polemischen  Vorlesungen  gebraucht 
hatte,  um  der  Partei  eine  Mackel  anzuhängen,  zur  Verantwor- 
tung gezogen  l). 

Der  Name  war  jedoch  nicht  zuerst  in  England  erfunden, 
sondern  vom  Festlande  her  eingeführt.  Er  war  schon  im  Anfang 
des  XIV.  Jahrhunderts  in  den  Niederlanden  aufgekommen.  Das 
Volk  nannte  die  Genossenschaft  der  Alexiusbrüder  oder  fratres 
Cettitae  so.  welche  sich  zu  Liebeswerken  an  Kranken  und  Todten 
vereinigt  hatten.  Man  wollte  sie  mit  dem  Namen  Lollarden  oder 
Hegharden  als  Betbrüder  und  Mucker,  als  Angehörige  eines  Con- 
ventikels  brandmarken  und  ihnen  die  Mackel  der  Ketzerei  an- 
hängen 2  .   Wenn  man  nun  diesen  Namen  in  England  einbürgerte 


1  Vgl.  oben  II ,  Kap.  8 ,  V.  Es  war  der  aus  Irland  gebürtige 
mönchische  Eiferer  aus  dem  Cistercienserorden ,  ein  Doctor  der  Theolo- 
gie.  Heinrich  Crompe,  der  im  Jahr  1382  sich  in  Oxford  befand  und 
Vorlesungen  hielt,  heftige  Ausfälle  auf  die  Partei  Wiclif's  machte,  und 
dieselben  insbesondere  »ketzerische  Lollarden«  schalt;  Fasciculi  zizaniorum 
ed.  Shirley,  311  folg.  quia  vocavit  haereticos  Lollardos.  Das  wurde  empfind- 
lich aufgenommen ;  es  hiess ,  so  eine  Verketzerung  sei  eine  Friedensstö- 
rung.  und  der  damalige  Kanzler  der  Universität,  Robert  Kigge,  der  selbst 
zu  Wiclif  's  Ansichten  hinneigte,  verhängte  in  öffentlicher  Weise  die  Sus- 
pension von  allen  scholastischen  Functionen  über  den  Cistercienser. 

2  Was  die  sprachliche  Herkunft  des  Namens  anlangt,  so  sind  zwei 
Ableitungen  bestimmt  abzulehnen :  einerseits  die  von  einem  angeblichen 
Sektenstifter.  Walter  Lolhard,  was  eine  ebenso  unhistorische  Person  ist 
als  jener  Zadok,  von  welchem  die  Sadducäer  abstammen  sollen ;  anderer- 
seits die  von  dem  lateinischen  lollium  Lolch ,  Schwindelhafer,  angeblich  weil 
die  Lollarden  nichts  anderes  als  Unkraut  seien  unter  dem  guten  Weisen 
der  Gläubigen  nach  Matth.  13,  25  ff.  .  Der  Chronist  Knighton  sagt  von 
dem  Wiclifitischen  Reiseprediger  Aston,  mit  offenbarer  Anspielung  auf  den 
Namen  Lollarden:  ubique  praedicans  lollium  cum  triticu  seminavit,  Col. 
2659.  Auch  der  Dichter  Chaucer  f  1400  kennt  den  Lollardennamen  und 
bezieht  sich  zugleich  auf  die  genannte  Ableitung ,  wenn  er  in  den  Canter- 
imry  tules,  Eingang  zu  Squire'.s  tale   p.  22.  der  Ausgabe  1002  fol.  sagt: 

This  L  oller  hei  e  woll  preche  us  sometchat, 
he  tcolde  sofoin   sow  sonn-  difßculte, 

<>r  spring  in  Isprinkle)  some  cockle  in  oure  clene  com. 
Es  ist  jedoch  wahrscheinlich,  dass  der  Name  Lollarden     ähnlich  wie 
Begharden,  Beginen  von  beggan.  biggan    von  lollen,  lullen,  =  leise  sin- 
gen herkommt,  was  englich  in  lull  a-sleep,  deutsch  im  sinnverwandten  lal- 
len sich  erhalten  hat.    Diese  Bedeutung  des  Namens  ist  in  dem  ältesten 


Der  Name  »Lollarden«. 


5 


und  auf  die  W  i  e  1  i  f  i  t  e  n  anwandte .  so  war  die  Absicht  darauf  ge- 
richtet, dieselben  als  eine  unkirchliche,  ketzerische  Sekte  zu  be- 
zeichnen. Immerhin  aber  lag  das  Merkmal  einer  selbständigen 
und  geschlossenen  Partei  in  diesem  Namen.  Und  sofern  gerade 
dieser  Titel  einer  Genossenschaft  den  persönlichen  Namen  W  i  - 
clifs  ersetzt  und  einigerin  aussen  in  den  Hintergrund  gedrängt 
hat .  deutet  er  mittelbar  eine  verhältnissmässige  Unabhängigkeit 
der  Partei  von  der  Person  ihres  verewigten  Führers  selbst  an.  Es 
stand  nur  ein  paar  Jahre  an .  so  wurde  der  Name  auch  schon  von 
kirchlichen  Oberen  amtlich  gebraucht :  der  anfänglich  nur  im 
Volksmund  übliche  Name  wurde  von  der  Hierarchie  adoptirt 1  . 
Nun  ist  es  an  und  für  sich  schon  nicht  ohne  Gewicht .  wenn  eine 

Zeugnisse ,  wo  dieser  Ketzername  vorkommt ,  mit  angedeutet ,  nämlich  in 
den  Worten  des  Lütticher  Domherrn  Johann  Hocsemius  um  1348  .  Genta 
pontißcum  Leodiensium  I,  c.  31  :  Eodem  anno  (1309)  quidam  hypocritae 
gyrovayi,  qni  Lollardi  sive  De  um  laudantes  vocabantur .  per  Hanno- 
niam  Hennegau  et  Brabantiam  quasdam  midieres  nobiles  decepert/nt.  Genta 
pontißcum  Tuugrensium  —  et  Leodiensium.  Leodii  1 H 1 2 .  4°.  Vol.  II.  350. 
Wenn  wir  auf  Walsingham  uns  verlassen  dürften,  so  würde  der  Name 
Lollarden  schon  7  Jahre  vor  Wiclif's  Tod  aufgekommen  sein,  denn  er 
sagt  beim  Jahr  1-^77  von  den  Reisepredigern:  hi  vocabantur  a  vulgo  L<>- 
lardi,  ed.  Francof.  1603.  p.  192.  Allein  ich  habe  schon  1853  Zeitschrift  f. 
hist.  Theoi.  S.  493.  Anm.  aus  einer  späteren  Stelle,  wo  der  Name  in  einer 
Weise  erscheint,  als  wäre  er  noch  nicht  genannt,  den  Schluss  gezogen,  dass 
dieser  Sektenname  noch  nicht  so  frühe  wirklich  gebraucht  worden  sei.  In- 
zwischen ist  durch  die  kritische  Ausgabe  Walsingham 's  von  Riley  in 
der  That  constatirt  worden,  dass  die  obigen  Worte  zum  Jahre  1377  in  den 
Handschriften  gar  nicht  stehen ,  sondern  nur  eine  Glosse  der  gedruckten 
Ausgaben  sind.  Hist.  anylicana,  1863.  I,  325.  Der  Chronist  Knighton  sagt 
ohne  irgend  eine  Zeitangabe:  sicque  a  tfulgo  Wyclyf  discijn/li  et  Wyclyviani 
sive  Lollardi  vocati  sunt. 

1  Den  ersten  Fall  von  amtlichem  Gebrauch  des  Namens  finde  ich  in 
einem  Mandat  des  Bischofs  von  Worcester  Wigornia  im  Jahr  13S7.  Es 
sind  darin  fünf  Führer  und  Reiseprediger  der  Partei  genannt  und  al>  no- 
mine seu  ritu  Lollar dorum  conföderati  bezeichnet ,  was  auf  einen  geschlos- 
senen Verein  hindeutet.  Wilkixs  Concilia  Magnae  Brit.  III,  202.  Im  Jahr 
1389  erscheinen  in  den  Akten  eines  durch  den  Bischof  von  Lincoln  einge- 
leiteten Ketzerprocesses  Lollardi  vulgariter  nuncupati.  Von  da  an  kehrt  der 
Name  Lollardi ,  lollardia  sive  haeretica  pravitas ,  techings  that  men  clopith 
[call)  Lollards  doctrin.  regelmässig  wieder  Wilkins  a.  a.  O.  III,  208  sq. 
225.  205  . 


6 


Buch  III.    Kap.  1.  I. 


Richtung  oder  Partei,  welche  bis  dahin  entweder  anonym  existirt 
hatte  oder  nur  mit  einem  Personennamen  bezeichnet  worden  war. 
zu  einem  eigenen  Namen  gelangt.  Es  gibt  sich  darin  eine  Bewe- 
gung der  Geister  kund  und  das  Hervortreten  einer  Erscheinung  in 
so  bedeutendem  Maasse,  dass  dieselbe  beobachtet  und  besprochen 
werden  muss.  Der  Lollardenname  verräth  somit,  dass  die  An- 
hänger und  Verehrer  Wiclif's  auch  nach  seinem  Tode  als  eine 
geschlossene  Partei  so  entschieden  auftreten .  dass  sie  die  öffent- 
liche Meinung  unwillkührlich  .  wennn  auch  in  getheilter  Weise, 
theils  für.  theils  wider,  beschäftigen. 

Die  Partei  der  Lollarden  bestand  in  den  nächsten  Jahren 
nach  Wiclif's  Tod  aus  einem  engeren  und  einem  weiteren 
Kreise.  Den  engeren  Kreis  bildete  eine  massige  Anzahl  von 
begeisterten  und  thatkräftigen  Männern .  welche  in  erster  Linie 
durch  Reisepredigt ,  aber  auch  durch  Abfassung  von  Denkschrif- 
ten. Volksschriften  und  dergleichen  die  evangelischen  Grundsätze 
zu  vertreten  und  zu  verbreiten  bemüht  waren.  Es  scheint  als 
hätten  diese  nach  dem  Tode  des  verehrten  und  geistesmächtigen 
Führers  das  Bedürfniss  gefühlt,  sich  noch  enger  als  bisher  an 
einander  anzuschliessen  \  und  sich  über  ein  gemeinsames  einheit- 
liches Vorgehen  gegenseitig  zu  verständigen  1  . 

Um  diesen  kleineren  Kreis  gruppirte  sich  ein  weitaus  um- 
fasse n  derer,  sehr  zahlreicher  Kreis  von  Männern  und  Frauen 
aus  verschiedenen  Ständen,  welche  als  mächtige  Gönner  und  Be- 
schützer, als  eifrige  Theilnehmer  an  den  Zusammenkünften  der 
Einverstandenen ,  als  begierige  und  begeisterte  Zuhörer  der  Pre- 
digten ,  als  fleissige  Leser  und  Hörer  bei  Vorlesung  biblischer 
Bücher  und  Wiclifiti  scher  Schriften,  den  durch  Wie  Ii  f  zu 
Tage  geförderten  reformatorischen  Lehren  und  der  Partei  selbst 
anhingen. 

Es  liegt  jedoch  in  der  Natur  der  Sache,  dass  der  Unterschied 
zwischen  jenem  engeren  und  diesem  weiteren  Kreise  jederzeit  ein 

1)  Es  ist  schwerlich  blos  inquisitorischer  Argwohn,  sondern  eher  that- 
sächlich  begründet ,  dass  der  Bischof  Heinrich  von  Worcester  in  dem  be- 
reits erwähnten  Mandat  vom  10.  August  1387  von  Hereford,  Aston, 
Purvey,  Parker  und  Swinderby  sagt,  sie  seien  consjrirati  in  collri/in 
illmto  —  ritu  I.oHanhrum  conßhhrati,   WlLKINs,  Conc.  III,  202. 


Engerer  und  weiterer  Kreis  der  Lollarden. 


7 


Messender  gewesen  sein  muss ,  sofern  Personen .  welehe  erst  nur 
Zuhörer  und  Lernende  gewesen  waren  ,  sobald  sie  selbständigere 
Einsieht  erlangt  und  festere  Ueberzeugung  gewonnen  hatten,  selbst 
auch  als  Zeugen  und  Verkündiger  der  Wahrheiten,  für  die  sie  be- 
geistert waren .  auftraten  und  Andere  für  dieselben  zu  gewinnen 
suchten.  Die  letztere  Thatsache  bezeugt  ein  gegnerisch  gesinnter 
Chronist  ausdrücklich.  Er  sagt:  selbst  neu  Bekehrte  hatten 
sofort  erstaunlicher  Weise  einerlei  Art  der  Aussprache  und  ein- 
hellige Lehrform  :  Männer  und  Frauen  waren  plötzlich  umgewan- 
delt und  wurden  Lehrer  der  evangelischen  Lehre  in  der  Mutter- 
sprache *) .  Nur  durch  diesen  Umstand  erklärt  sich  auch  der  nach 
dem  Zeugniss  von  Gegnern  ausserordentliche  Zuwachs  der  Partei. 
Denn  was  die  numerische  Stärke  derselben  betrifft,  so  stimmen 
mehrere  Zeugnisse  dahin  überein,  dass  in  jener  Zeit,  nämlich 
in  den  letzten  1b'  Jahren  des  XIV.  Jahrhunderts,  mindestens  die 
Hälfte  der  Bevölkerung  auf  Seite  der  Lollarden  gestanden  habe2). 

Als  Männer  jenes  engeren  Kreises,  der  den  Kern  der 
Partei  bildete .  erscheinen  laut  urkundlicher  Quellen  und  Privat- 
angaben. Nicolaus  von  Hereford,  Johann  Aston,  Johann 
Purvey,  Johann  Parker,  Wilhelm  Swinderby,  Wilhelm 
Smith.  Richard  Waytstach.  Hingegen  Philipp  Reppington, 
welcher  im  Bunde  mit  Wiclif  selbst  so  wie  mit  Dr.  Hereford 
und  Aston  als  Verfechter  evangelischer  Wahrheiten  sich  geraume 
Zeit  hervorgethan  hatte,  stand  seit  seinem  Widerruf  (23.  Okto- 
ber 1382)  nicht  mehr  auf  Seiten  der  Lollarden,  sondern  ihrer 
Gegner 3) . 

J  Knighton,  De  eventibus  Angliue ,  Lib.  V,  Col.  2664:  Et  licet  de 
novo  conversi  —  —  unum  modum  statim  loquelue  et  formam  concordem 
suae  doctrinae  mirabiliter  hubuerunt ,  et  Doctores  ev  an  gelte  ae  doctri- 
ncie  tarn  viri  quam  mulier  es  materno  idiomate  subito  mutati  effecti 
sunt. 

2  Knighton,  V.  Col.  2644:  Medium  pur tem  populi  uut  majo- 
rem partem  sectue  suue  adquisiverunt.  Col.  2666:  Sectu  illu  in  muximo  ho- 
uore  Ulis  diebus  hubebutur ,  et  in  tantum  multiph'cutu  fuit,  quod  rix  duo& 
videres  in  viu,  quin  alter  eorum  discipulus  Wyclyffe  fuerit. 
Hiemit  stimmen  mehrere  Bemerkungen  des  Annalisten  von  St.  Albans, 
Walsingham,  Bist,  anglicana  II.  ISS  ed.  Riley  zum  Jahr  1389:  Lol- 
lurdi  —  in  errorem  suum  plurimos  sednxerunt  etc. 

3  S.  oben  II,  Kap.  S.  V. 


8 


Buch  III.    Kap.  1.  I. 


Nicolaus  von  Hereford.  Dr.  der  Theologie,  und  der  Haupt- 
mitarbeiter Wiclifs  sowohl  an  der  Bibelübersetzung-  als  bei  Ab- 
fassung von  selbständigen  Schriften,  hatte,  wie  wir  oben  als 
wahrscheinlich  erkannten,  von  dem  Urtheil  des  Erzbischofs  an 
den  Papst  appellirt  und  war ,  um  seine  Sache  persönlich  zu  ver- 
treten, nach  Rom  gereist.  Er  ist  schwerlich  vor  dem  Jahr  1386 
oder  1387  zurückgekehrt1.  Aber  von  1387  an  wird  er  in  der 
That  mehrfach  erwähnt.  Unter  dem  10.  August  dieses  Jahres 
erliess  der  Bischof  von  Worcester  sein  Mandat  gegen  die  Lollar- 
den,  worin  er  vor  allen  anderen  Nicolaus  Hereford  nennt2  . 
Und  der  Chronist  Walsinghain  erzählt  zu  demselben  Jahre  von 
einer  Scene  am  Sterbebett  eines  Priesters ,  der  Lollarde  gewesen 
sei  aber  zuletzt  dies  schmerzlich  bereut  habe :  hiebei  sei  Nico- 
laus Hereford  zugegen  gewesen.  Und  bei  dieser  Gelegenheit 
bezeichnet  er  ihn  als  denjenigen,  welcher  nach  Wiclifs  Tod  der 
Mittelpunkt  der  Sekte  geworden  sei 3  .  Hereford  war  jedenfalls 
derjenige ,  welcher  durch  theologische  Gelehrsamkeit  und  durch 
rührige  Arbeit,  im  Leben  und  in  Schriften .  sich  am  meisten  her- 
vorthat. 

Nächst  ihm  stand  Johann  von  Aston  Ashton.  Aiston).  Erz- 
bigehof Courtnay  hatte  ihn  zwar  im  Jahr  1382  schliesslich  so 
weit  gebracht,  dass  er  nach  langem  Widerstreben  Widerruf  lei- 
stete :  in  Folge  dessen  war  er  vom  Bann  absolvirt  und  in  seine 
»scholastischen«  Rechte  wieder  eingesetzt  worden 4  .  Allein  Aston 
scheint  es  bald  bereut  zu  haben,  dass  er  so  weit  nachgegeben 
hatte.  Vielleicht  wollte  er  durch  verdoppelten  Eifer  wieder  gut 
machen,  was  er  in  Schwäche  gefehlt  hatte.  Er  hatte  in  dem  bi- 
schöflichen Sprengel  von  Worcester  eine  Pfarrstelle,  war  zugleich 
Mitglied  der  Universität  Oxford,  und  wurde  seiner  ausgezeichne- 
ten Frömmigkeit  und  seines  unbescholtenen  Wandels  wegen  hoch 

1  S.  oben  II.  Kap.  8.  V. 

2  VVii.kins.  Concilia  M   Brit.  III,  lui. 

3)  Hut.  anylicana  ed.  Kiley,  II,  150:  Nicholaus  Hercfmd .  Doctorij 
Thool(K)iue  (jradum  huhens,  sed  se  d  ti  cto  r  i s  SßquetU  officium,  q  nippe  cui,  pust 
htierexiarcham  Johannem  Wiclef,  omves  hu  Jus  sectne  FtV»  maxi  ine  u<l- 
h  a  w  ebant. 

4    S.  oben  II.  Kap.  8.  V. 


Die  Führer  der  Lollarden. 


9 


verehrt.  Als  Reiseprediger  hat  sicher  kein  anderer  ihn  an  Auf- 
opferung- und  unermüdlichem  Eifer  Ubertroffen.  Seine  Thätigkeit 
als  solcher  scheint  sich  über  .das  ganze  Land  erstreckt  zu  haben. 
Diese  Thatsache  ist  uns  sowohl  durch  Freunde  als  durch  Gegner 
hinlänglich  bezeugt.  Wilhelm  Thorpe  in  der  Denkschrift,  die  er 
im  Kerker  verfasst  hat.  gibt  ihm  mit  Freuden  das  Zeugniss.  dass  er 
höchst  emsig  die  Lehre  Wiclif  s  verbreitet  habe  .  wo  und  wann 
und  vor  wem  er  nur  wollte .  und  in  seinem  eigenen  Leben  sich 
darnach  gerichtet  habe  bis  an  sein  Ende  1  .  Der  Bischof  von 
Worcester  stellt  ihn  unmittelbar  nach  H e r e f o r d .  als  Reise- 
prediger der  Lollarden  zunächst  in  seiner  eigenen  Diöcese 2  .  Am 
ausführlichsten  aber  schildert  ihn  in  seiner  rastlosen  Thätigkeit 
K  ii  ig  Ii  ton.  wie  er  Erholung  hintansetzend,  zu  Fusse.  mit  dem 
Stab  in  der  Hand,  allenthalben  im  Reich  die  Kirchen  unermüdlich 
besucht  und  sich  keine  Ruhe  noch  Rast  gegönnt  habe  3  . 

Ferner  ist  in  diesem  Zeitraum  als  einer  der  Treuesten  und 
Eifrigsten,  der  Thäfigsten  und  Ausgezeichnetsten  in  der  Partei  zu 
nennen  Johann  P u  r  v  e  y  Perney.  Purney  .  Bei  W i  c  1  i  f '  s  Leb- 
zeiten war  er  Jahre  lang  sein  Gehülfe  im  Pfarramt  zu  Lutter- 
worth,  und  sein  Mitarbeiter  sowohl  am  Werk  der  Bibelübersetzung 
als  in  manchen  schriftstellerischen  Werken  gewesen.  In  den 
ersten  Jahren  nach  dem  Tode  seines  Meisters  beschäftigte  er  sich 
mit  dem  noch  von  Wiclif  selbst  unternommenen  Werk  der  Re- 
vision und  Ueberarbeitung  der  englischen  Bibelübersetzung .  mit 
der  er.  wie  es  scheint,  bis  13SS  glücklich  zu  Ende  kam4  .  Aber 
wir  dürfen  uns  darum  nicht  vorstellen .  dass  er  während  dieses 
Zeitraumes  alle  seine  Zeit  und  Kraft  ausschliesslich  auf  diese  Ar- 
beit verwendet  habe  und  für  die  sonstigen  Aufgaben  der  Gegen- 
wart gleichsam  abgestorben  gewesen  sei.  Im  Gegentheil ,  er 
widmete  sich  mit  Anstrengung  aller  seiner  Kraft  der  Reisepredigt 
und  anderen  Arbeiten.  Davon  zeugt  schon  der  Umstand,  dass 
der  Erlass  des  Bischofs  von  Worcester  namentlich  gegen  Purvey 


1  Bei  John  Foxe.  Acts  and  Monuments,  cd.  Townsend,  III.  258. 

2;  WlLKINS  III.  202. 

3  De  eventibiis  Angliae.  V,  Col.  265**  sq. 

4  S.  oben  II.  Kap.  6.  III. 


10 


Buch  III.    Kap.  1.  I. 


mit  gerichtet  ist1).  Und  Knighton  zählt  ihn  nächst  Wiclif 
selbst,  nächst  Hereford  und  Aston  als  den  vierten  »Erzketzer« : 
er  bezeugt  seine  ungemein  rührige  Thätigkeit,  zumal  in  uner- 
müdlichem Wandern  als  Reiseprediger) ,  um  die  Bevölkerung  für 
seine  Sekte  zu  gewinnen2'.  Zugleich  schildert  er  ihn  uns  als 
einen  Mann ,  der  überaus  schlicht .  in  der  Kleidung  und  seinem 
ganzen  Auftreten  einfach  und  volksmässig ,  in  Mienen  und  Ge- 
behrden  voll  sittlicher  Strenge  und  Reife  gewesen. 

Die  genannten  drei  Männer.  Hereford,  Aston  und 
Purvey  waren  unstreitig  die  gelehrtesten,  überhaupt  geistig 
hervorragendsten,  zugleich  aber  auch  thätigsten  und  einfluss- 
reichsten Führer  und  Vertreter  der  Lollarden.  Neben  ihnen  wer- 
den aber  auch  noch  vier  andere  mit  Auszeichnung  genannt : 
P a r k e r  und  Smith,  Swinderby  und  W  a  y  t  s  t a c h .  Johann 
Parker  ist  uns  blos  dem  Namen  nach  bekannt;  er  wird  aber  in 
dem  Mandat  für  die  Diöcese  Worcester.  vom  10.  August  13S7. 
nächst  den  drei  ersteren  ausdrücklich  mit  aufgeführt.  Genauer 
wird  uns  Wilhelm  Smith  geschildert.  Während  die  übrigen  alle 
sftulirte  Theologen  waren  und  meist  auch  geistliche  Aemter  be- 
kleideten, scheint  Smith  ein  Laie  gewesen  zu  sein.  Wenigstens 
erscheint  er  in  der  Urkunde  über  einen  Inquisitionsprocess  von 
Seiten  des  Bischofs  zu  Lincoln  gegen  etliche  Gemeindeglieder  in 
der  Stadt  Leieester.  vom  Oktober  und  November  1389.  inmitten 
derselben  !  .  Der  Chronist  von  Leieester,  Knighton.  kannte 
ihn  begreiflieh,  und  er  gibt  uns  eine  ziemlich  eingehende  Be- 
schreibung seiner  Persönlichkeit,  erzählt  uns  auch  einiges  aus 
meinem  Leben.  Er  war  von  Person  unansehnlich,  sogar  hässlich. 
Nachdem  seine  Werbung  um  eine  Jungfrau,  mit  der  er  sieh  zu 
verloben  wünschte,  mißglückt  war,  widmete  er  sich  von  da  an 
der  strengsten  asketischen  Lebensart,  und  entsagte  den  einfach- 
sten Bedürfnissen,  enthielt  sich  aller  Fleischspeisen  und  Fische, 
ebenso  des  Weins  und  Biers:  Jahre  lang  ging  er  baarfuss  :  aber 
er  lernte  auch,  schon  in  reiferen  Jahren  stehend,  das  Lesen  und 


1  Wilkins,  Coric.  III,  2(»2. 

2  Knighton,  Col.  2660. 

3  Wll.KINs,  Conc.  III,  20^  ff. 


Der  engere  Kreis  der  Lollarden. 


Schreiben,  hielt  sich  zu  den  Lollarden.  und  wurde  einer  ihrer 
Keiseprediger ;  ein  Beispiel  von  dem  Uebergang  aus  dem  weite- 
ren Kreise  der  Zuhörer  und  Anhänger  in  den  engeren  Kreis  der 
Führer  und  Vertreter  der  Partei. 

Ferner  Wilhelm  Swinderby  Skynderbye  .  ein  Priester, 
den  man  seiner  Lebensart  wegen  nur  den  Einsiedler  oder  Wil- 
helm den  Eremiten  hiess.  war  früh  noch  von  Wie  Ii  f  selbst  als 
Ueiseprediger  ausgesandt  worden,  und  namentlich  in  der  Stadt 
Leicester  z.  B.  am  Palmsonntag  1382  aufgetreten1  .  Jetzt  aber 
trat  er  in  verschiedenen  Gegenden  des  Landes  als  Wiclifi ti- 
scher Reiseprediger  auf,  wie  wir  aus  amtlichen  Erlassen  vom 
Jahr  1391  wissen2'. 

Von  dem  letzteren  ist  zu  unterscheiden  Robert  Swinderly, 
welchen  der  Erlass  von  Worcester  als  häretischen  Reiseprediger 
nennt s  .  Und  bei  der  Untersuchung  wider  die  Lollarden  in  der 
Stadt  Leicester  kommt  mitten  unter  den  Bürgern  und  Gemeinde- 
gl ledern  auch  Herr  Richard  Wayt stach,  ein  Kaplan,  vor;  die- 
sen erwähnt  der  Chronist  aus  dem  Augustiner  Chorherrnstift  in 
Leicester.  Heinrieh  Knighton.  gleichfalls.  Wir  erfahren  durch 
ihn  den  besonderen  Umstand ,  dass  der  Kaplan  Richard  und  der 
bereits  genannte  Wilhelm  Smith  eine  Zeit  lang  in  einer  dem 
Täufer  Johannes  geweihten  kleinen  Kapelle ,  die  bei  dem  Kran- 
kenhause ausserhalb  der  Mauern  von  Leicester  stand,  sich  häus- 
lich eingerichtet  hatten,  und  dass  diese  Kapelle  den  Lollarden 
häufig  zum  Versammlungsort  für  ihre  Erbauung  und  Berathung 
gedient  hat .  bis  die  Sache  ruchbar  wurde  und  man  sie  aus  der 
Kapelle  vertrieb4). 

Nächst  diesen  Männern  bilden  den  weiteren  Kreis  die 
sämmtlichen  Anhänger  und  Mitglieder  der  Genossenschaft.  Unter 
diesen  wird  uns  eine  Anzahl  Männer  genannt,  welche  an  Rang 


1  WALSINGHAM ,  Bist,  angiieana,  II.  53:  Inger  quos  Emissäre  Wi- 
clif"  S  erat  quidam  ruitnm  et  /labitum  praeferens  heremitae  -  —  Hie 
rntis.sus  per  dictum  Johannern.  publice  praedieavit  Lei/cestriae ,  Dominica  in 
Ramis  Palmarum   zum  Jahr  13 82  . 

2  Wilkins,  Com.  III,  215. 

3  Wilkins.  Com.  \\\,  hvl. 

4  Knighton,  Cot.  2662. 


12 


Buch  III.    Kap.  1.  1. 


und  Stellung-  in  der  bürgerliehen  Gesellschaft,  an  Keichthuni  und 
Grundbesitz,  so  wie  an  Einfluss  im  Staat  hervorragten.  Zum  Bei- 
spiel der  Graf  von  Salisbury,  Johann  von  Montacute.  Sir 
Thomas  Latimer  von  Braybrook  in  der  Grafschaft  Northamp- 
ton,  Sir  John  Trussel,  in  Staffordshire  angesessen ,  Sir  Lewis 
Clifford,  aus  der  Grafschaft  Durham  gebürtig,  ein  Mann,  der 
im  Jahr  1385  zum  Ritter  des  Hosenbandordens  ernannt  wurde: 
er  war  derselbe,  der  schon  1378  von  der  Mutter  Richard'»  IL,  der 
Prinzessin  Johanna,  an  die  Synode  zu  Lambeth  abgeordnet  wor- 
den war  mit  der  Weisung .  dass  das  Verfahren  gegen  W  i  c  1  i  f 
eingestellt  werden  solle.  Ferner  Sir  Richard  Stur ry ,  Sir  Re- 
ginald von  Hilton,  in  der  Grafschaft  Durham  begütert,  Sir  Wil- 
liam Nevil.  dritter  Sohn  des  Lord  Nevil 1  . 

Das  soll  keineswegs  eine  vollständige  Aufzählung  sein.  Um 
so  mehr  ergibt  sich  daraus,  dass  die  Partei  zahlreiche  Männer 
von  hohem  Rang,  zum  Theil  dem  Adel  selbst,  meist  aber  der 
gentry  angehörig,  in  sich  schloss,  welche  ihren  Reichthum  und 
Einfluss  zu  Gunsten  der  Lollarden  .  wie  früher  zu  Gunsten  W  i  - 
clif's  selbst,  in  die  Wagschaale  legten.  Auf  ihren  Gütern  blieben 
die  Anhänger  der  Partei  unangefochten :  ihre  Hauskaplane  waren 
meist  selbst  Lollarden:  waren  Kosten  zu  decken,  so  verfügten 
sie  über  ihre  Mittel  zu  Parteizwecken :  auch  bürgerlichen  Schutz 
verliehen  sie  den  Gesinnungsgenossen.  Aus  dem  Stande  der  Bür- 
ger, Kaufleute  und  Gewerbtreibenden  in  Städten,  so  wie  aus  der 
ländlichen  Bevölkerung  und  dem  Bauernstande  muss  damals  eine 
beträchtliche  Masse  der  Partei  zugethan  gewesen  sein.  Indessen 
liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  dass  wenige  Familien  sich  mir 


1  Walsingham,  Hißt,  anglicana,  II,  159  zutn  Jahr  1389  Erant  autem 
milites  Ritter  ,  <[>n  hanc  sectam  coluerunt  quam  maxime  et  sustentaverunt 
Wühehuits  Nevile  etc.  Und  beim  Jahr  1394  bezeugt  derselbe  Annalist.  I! 
216  einen  nimius  fuvor  quorundam  procerum  et  militum  Anf/licornm  gegen 
die  Lollarden;  er  fährt  fort:  Inter  quos  campidactores  fuerunt  Ricardo* 
Stury,  Lodewicns  de  Clifford  etc.  Vgl.  244.  —  Theilweise  dieselben  Namen 
nennt  Kmohton  ,  Col.  2661:  Erant  ctiam  milites,  dominus  Thomas  Late- 
iner —  cum  dneibus  et  eomitibus.  Isti  erant  praeeipue  eis  adhaerentes  H  in 
omnibns  eis  faveiites.  Isti  erant  hujus  stctue  promotores  strenttisstmi  et  pr*>- 
puyvatores  f'ortissimi  etc. 


Statistik  der  Lollarden. 


13 


Kamen  nennen  lassen.  Es  sind  nur  die  Urkunden  von  Inquisi- 
tionsprocessen ,  welche  uns  einzelne  Lollarden  namhaft  machen, 
2.  B.  jene  Bürger  von  Leicester,  Roger  Dexter  und  seine  Ehe- 
frau Alice,  Nicolaus  Tailor.  Michael  Scri vener.  Johann 
Harry.  Wilhelm  Parchmener  und  Roger  Goldsmith1). 
Auch  eine  Art  Nonne  kam  zu  gleicher  Zeit  ies  war  im  Jahr  13S9) 
in  Untersuchung,  als  eine  von  der  verderblichen  Lehre  der  Lol- 
larden angesteckte  Person;  sie  hiess  Mathilde,  und  lebte  als  Ein- 
siedlerin in  einem  Gelass  auf  dem  Kirchhofe  der  St.  Peterspfarr- 
kirche zu  Leicester  2  . 

Es  würde  von  Belang  sein,  wenn  es  thunlich  wäre,  von  der 
Verbreitung  Wiclif 'scher  Grundsätze  in  England  eine  Art  Stati- 
stik zu  entwerfen.  Allein  bei  der  Lückenhaftigkeit  urkundlicher 
Nachrichten  kann  dasjenige,  wras  wir  in  dieser  Richtung  zu  geben 
versuchen,  nicht  anders  als  dürftig  ausfallen.  Indessen  ist  so  viel 
gewiss,  dass  der  im  Mittelalter  so  ausgedehnte  und  volkreiche 
Sprengel  des  Bischofs  von  Lincoln  diejenige  Landschaft  war,  in 
welcher  während  der  letzten  15  Jahre  des  XIV.  Jahrhunderts  die 
Partei  der  Lollarden  am  stärksten  vertreten  gewesen  ist.  Das 
lässt  sich  schon  im  voraus  erwarten.  Denn  in  der  Diöcese  Lin- 
coln lag  sowTohl  Oxford  erst  1539  wurde  ein  eigenes  Bisthum 
Oxford  abgezweigt) ,  d.  h.  der  wissenschaftliche  Quellpunkt  des 
Wiclifisnius ,  als  die  Parochie  Luttenvorth ,  dem  Archidiaconat 
Leicester  zugetheilt,  politisch  der  Grafschaft  Leicester  angehörig, 
wo  Wiclif  selbst  die  letzten  Jahre  seines  Lebens  zurückgezogen 
und  doch  unermüdet  thätig,  zugebracht  hat.  Was  wTir  nach  der 
Lage  der  Dinge  voraussetzen  durften,  das  wird  durch  positive 
Urkunden  wirklich  bestätigt.  Im  Jahr  1389  wurden  in  der  Stadt 
Leicester,  von  welcher  Lutterworth  nur  21  2  deutsche  Meilen  ent- 
fernt liegt,  acht  Personen,  deren  Namen  w  ir  bereits  oben  erwähnten, 
als  Lollarden  hrs  Verhör  genommen ;  dabei  wird  jedoch  ausdrück- 
lich bemerkt ,  dass  zahlreiche  Andere ,  deren  Namen  man  nicht 
nennen  könne,  von  gleicher  Denkungsart  seien 3  .  Und  wrenn  der 


1  WlLKIXS,  Conc.  III,  20s  ff.  ;  Alice  Dexter  s.  211 

2  A.  a.  O.  III,,  209. 

:\   A.  a.  O.  III,  20S  f. 


14 


Buch  III.    Kap.  1.  1 


Chronist  K ni g h  t o n  .  welcher  in  dem  Augustiner  Chorherrnstifr 
zu  Leicester  lebte,  behauptet,  man  könne  auf  der  Landstrasse 
nicht  zwei  Leuten  begegnen .  ohne  dass  einer  von  den  beiden  ein 
Wiclifite  sei .  so  hat  er  die  Verhältnisse  seines  Wohnorts  und  der 
Nachbarschaft  desselben  zu  Grunde  gelegt.  Aber  von  der  weit- 
laufigen  Diöcese  Lincoln  aus  finden  wir  nach  verschiedenen  Him- 
melsgegenden hin  die  Partei  der  Lollarden  verbreitet.  Oestrich 
lag  die  Nachbardiöcese  Nor  wich:  von  dieser  erfahren  wir  we- 
nigstens so  viel,  dass  Bischof  Spencer  in  seinem  Sprengel  die 
Sekte  nicht  habe  um  sich  greifen  lassen  1  .  Südöstlich  grenzte  an 
den  bischöflichen  Sprengel  von  Lincoln  der  von  London.  Und  dass 
die  Bürger  der  Hauptstadt .  wie  sie  einst  Wiclif  selbst  begün- 
stigt hatten 2  .  so  auch  jetzt  noch  seinen  Grundsätzen  zugethan 
waren  und  es  mit  den  Lollarden  hielten,  erwähnt  der  Chronist 
Walsinghain  mehr  als  einmal3  .  Auch  in  Landparochien  der 
Londoner  Diöcese  gab  es  Lollarden ;  im  Jahr  1400  ertheilt  der 
Erzbischof  von  Canterburv  einein  gewissen  Johann  B ecket  in 
der  Gemeinde  Padeswick  Absolution,  nachdem  derselbe  Irrlehren 
der  Lollarden.  von  denen  er  angesteckt  gewesen  sei.  und  worin 
er  selbst  auch  Andere  unterwiesen .  nunmehr  widerrufen  hatte 4  . 
Südlich  stiess  die  Diöcese  Sali sbury  (ehemals  Sarum  an  die 
von  Lincoln,  und  der  Bischof  von  Salisbury  entdeckte  einmal, 
dass  Priester,  welche  Lollarden  waren,  sich  erlaubten  Ordination 
zu  ertheilen5  .  Südwestlich  war  der  bischöfliche  Sprengel  von 
Worcester  dem  von  Lincoln  benachbart.  Es  war  der  Bischof 
von  Worcester  Wigornia  )J  Heinrich  von  Wakefiel d  .  der  im 
Jahr  1387  das  mehrfach  erwähnte  Mandat  erliess.  worin  er  die 
Reisepredigten  Hereford's .  Aston's.  Purveys  und  Ande- 
rer innerhall)  seiner  Diöcese  streng  verbot 6)'.  Auch  im  Fürsten- 
tlium  Wales,  wenigstens  in  den  bischöflichen  Sprengein  von 


1  WalsINGHAM,  Bist,  an  gl.  II,  ]s!>. 

2  S.  oben  II,  Kap.  4.  Iii. 

Hist.  anglteana,  II,  1">~  f.  zum  Jahr  l.'is".   p.  208  zum  Jahr  1392 
Lollardorum  siistcntatores,  von  den  Londoner  Bürgern. 
1    WlLKINs.  ('One.  III,  247  sq. 

5j  Walsingiiam,  Hist.  angl.  II,  Iss,  zum  Jahr  i:iv>. 
8  Wilkins.  Conc.  III,  202  f. 


Leben  und  Wesen  der  Lollarden. 


15 


Südwales,  St.  David  s  und  Llandaft'.  waren  um  das  Jahr  1390  t 
Lollarden  als  Reiseprediger  tÜatig1  .  Das  sind  nur  zerstreute  Be- 
lege .  die  glücklicher  Weise  auf  uns  gekommen  sind.  Man  wird 
kaum  fehl  gehen,  wenn  man  aus  denselben  weiter  gehende 
Schlüsse  zieht  und  annimmt,  dass  auch  in  anderen  Diöcesen.  und 
weithin  im  Lande  Lollarden  verbreitet  gewesen  sein  mögen. 

Fragen  wir  aber  nach  dem  Leben  und  Wesen  der  Lol- 
larden in  dieser  Zeit,  so  können  wir  den  kirchlichen  Urkunden 
nur  wenig  entnehmen.  Etwas  mehr  Ausbeute  gewähren  die  Chro- 
niken. Aber  fassen  wir  alle  Quellen  zusammen,  so  können  wir 
uns  des  Eindrucks  nicht  erwehren .  dass  in  diesem  Zeitraum  ein 
ausserordentlich  kräftiges  und  rühriges  Leben  in  der  Partei  ge- 
waltet hat.  eine  aufrichtige  Gottesfurcht .  verbunden  mit  ernstem 
Streben  nach  der  Heiligung .  ein  glühender  Eifer  für  Verbreitung 
der  von  ihnen  angeeigneten  biblischen  Erkenntniss.  und  ein  an- 
haltendes Bestreben  für  eine  als  nothwendig  erkannte  Reform  der 
Christenheit  und  für  Abstellung  mancher  herkömmlichen  Irrthü- 
mer  und  Misbräuche.  Diesen  Eindruck  macht  alles  dasjenige, 
was  über  die  unermüdlichen,  bewunderungswürdigen  Arbeiten 
der  Reiseprediger.  über  den  Eifer  der  hochgestellten  Freunde  und 
Gönner  der  Partei ,  über  die  Anhänglichkeit  anderer  Mitglieder, 
über  den  Zudrang  der  Massen  zu  den  Predigten  der  Lollarden. 
über  die  ungemein  angewachsene  Mitgliederzahl  der  Genossen- 
schaft überliefert  ist.  Insbesondere  legt  für  das  rege  kräftige 
Leben  in  der  Partei  ein  sprechendes  Zeugniss  die  Thatsache  ab. 
dass  einfache  Handwerker  oder  Landleute .  sobald  sie  selbst  von 
der  Wahrheit  der  ihnen  vorgetragenen  Lehren  sich  überzeugt 
hatten,  dieselben  ihrerseits  wieder  Anderen  mittheilten,  unter 
ihren  Nachbarn  und  Bekannten  für  jene  Wahrheiten  warben,  und 
selber  Zeugen  und  Glaubensboten  wurden.  Was  wir  oben  von 
einem  Chronisten,  der  es  wissen  konnte,  als  allgemeine  Bemer- 
kung ausgesprochen  fanden 2  .  davon  geben  amtliche  Urkunden 
individuelle  Belege 3  . 

1  A.  a.  O.  Conc.  III,  215. 

2  Knighton,  Col.  2664,  s.  oben  S.  7. 

3  In  den  Processakten  gegen  Lollarden  in  der  Stadt  Leicester,  welche 
mit  alleiniger  Ausnahme  des  Kaplans  Wart  st  ach,   sämmtlich  schlichte 


16 


Buch  III.    Kap.  1.  I. 


Mehrere  Aeusserungen  lassen  erkennen .  dass  gewisse 
Schriften,  meistens  wohl  in  der  Form  kurzer  Volksschriften, 
theils  noch  von  W  i  c  1  i  f  selbst  verfasst .  theils  von  Nicolaus  H  e  - 
reford  und  Anderen  veröffentlicht,  ein  Hauptwerkzeug  zur  Be- 
festigung in  den  angeeigneten  Ueberzeugungen  und  Gesinnungen, 
wie  auch  zur  weiteren  Verbreitung  derselben  gewesen  sind1  . 
Hiebei  dürfen  wir  nicht  unbeachtet  lassen  die  Verbreitung  und 
den  Gebrauch  der  WicliT sehen  Bibelübersetzung,  mindestens 
in  Abschriften  einzelner  biblischer  Bücher.  Unter  den  zahlreichen 
Bibelhandschriften,  welche  heute  noch  vorhanden  sind  und  die 
ältere  oder  die  revidirte  Uebersetzung  Wiclifs  enthalten,  be- 
finden sich  laut  des  Urtheils  der  Kenner  wenigstens  12.  welche 
noch  vor  dem  Jahr  1 400  geschrieben  worden  sind2  .  Und  darunter 
befinden  sich  einige .  welche  sich  sowohl  durch  das  Material  als 
durch  die  Art  der  Ausführung  auszeichnen.  Handschriften,  welche 
jedenfalls  auf  Kosten  von  solchen  begüterten  und  vornehmen  Gön- 
nern und  Anhängern  Wiclif's  gefertigt  worden  sind,  deren  wir 
mehrere  oben  namentlich  aufgeführt  haben. 

Bürger  und  Gewerbtreibende  gewesen  zu  sein  scheinen,  wird  von  allen  An- 
geschuldigten bemerkt ,  sie  hätten  in  der  Stadt  und  in  Nachbarorten  ihre 
Irrthümer  öffentlich  gelehrt  und  behauptet  publice  et  notorie  docae- 
runt  etc.]  WlLKINS,  III,  208  sq.  Und  der  Erzbischof,  Wilhelm  Courtnay, 
bemerkt  unverholen  ,  dass  in  seiner  Kirchenprovinz  sehr  viele  Gemeinde- 
glieder quamplures  auhditi,  durch  die  Predigten  der  "Wie  Ii  fiten  angesteckt 
worden  seien,  und  einige  irrige  Ansichten  unter  sich  gehegt,  auch  wieder 
Anderen  beigebracht  haben  falsas  opiniones  —  mutuo  inter  se  habuerunt,  — 
ac  de  eisdem  —  alios  pemicioge  informavernnt  a.  a.  O.  ZU. 

1  Der  Erzbischof  spricht  in  obigem  Schreiben  von  doctrinae  in  eorum 
libris  scripturae  commendatae,  WlLKINS,  III,  211.  Ferner  erwähnt 
eine  königliche  Verordnung  vom  Jahr  1388,  welche  die  Auslieferung  Wi- 
clifitischer  Schriften  befahl,  dass  mag  ister  Nicol.  HEREFOliD  et  mag.  Jo. 
Wycliff  ,  dum  vixit ,  quosdam  libros ,  l ihellos ,  schedulas  fliegende 
Blätter  et  qua  te mos  Hefte  ,  diversas  haereses  et  errores  —  continentes, 
per  se  et  fautores  sttos  frequentius  scribi.  compilari ,  communicari  et  publicari 
fecerunt.  "Wilki.vs  2o4.  Und  im  Jahr  1396  versprechen  mehrere  gewesene 
Lollarden  in  einem  eidlichen  Widerruf,  »ihre  Bücher  oder  ähnliche  Bücher 
oder  die  Personen  selbst  nicht  anzunehmen«.  Nie  I shall  her  [their"  books  ne 
swgch  such  books,  ne  hem  =  themsclves  —  reseegve  reeeive  etc.  A.  Wil- 
ki.vs 225. 

2  TJie  Wyclifßte  Versions  of  the  holy  Bible.  Ed.  bxj  the  Ret  Josiah 
Forshall  and  Sir  Frederic  Madden.  Oxf.  1850.  I. 


Das  Predigtwesen  der  Lollarden. 


17 


Indessen  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  und  lässt  sich 
vollends  in  einem  Jahrhundert,  wo  das  Lesen  noch  eine  seltene 
Kunst  und  in  der  Regel  ein  Monopol  der  Gelehrten  war  .  nicht 
anders  denken .  als  dass  der  bedeutendste  Hebel  der  Einwirkung 
in  der  m  Und  Ii  eben  und  persönlichen  Mittheilung  lag.  sei's 
durch  Gespräche  zwischen  Einzelnen  in  kleineren  Kreisen,  theils 
durch  Vorträge  vor  zahlreichen  Hörern.  Vorzüglich  wirksam  wa- 
ren die  öffentlichen  Predigten  eines  Her eford .  Aston.  Pur- 
vey  und  Anderer,  die  zu  Fuss,  mit  dem  Stab  in  der  Hand 
amhenvanderten.  und  bald  da  bald  dort  Halt  machten,  um  in 
Kirchen  und  auf  Kirchhöfen,  häufig  auch  auf  grossen  Plätzen 
und  Strassen .  je  und  je  in  Häusern  und  Gärten  auftraten  und 
Vorträge  hielten.  Wie  es  dabei  zugegangen,  das  besehreibt  uns 
der  Chronist  von  Leicester  anschaulich  genug.  »Wenn  irgendwo 
ein  Pseudo-Prediger  sich  zu  der  Besitzung  eines  jener  Ritter  wen- 
dete, um  daselbst  zu  predigen,  so  bemühte  sich  dieser  sofort  mit 
aller  Bereitwilligkeit,  das  Volk  in  der  Nachbarschaft  zusammen- 
zuberufen  und  in  einem  bestimmten  Ort  oder  in  einer  Kirche  zu 
versammeln .  um  die  Worte  des  Predigers  zu  hören :  wenn  auch 
die  Leute  ungerne  gingen ,  so  wagten  sie  es  doch  nicht  sich  zu 
widersetzen  oder  zu  widersprechen.  Denn  sie  pflegen  mit  Schwert 
und  Schild  gerüstet  in  eigener  Person  beizuwohnen,  zur  Verthei- 
dignng  der  verkehrten  Prediger .  damit  niemand  es  wage .  gegen 
deren  Person  oder  Lehre  etwas  zu  versuchen  oder  Widerspruch 
zu  erheben  1  .« 

Auch  von  dem  Inhalt  und  Charakter  dieser  Lollarden  -  Pre- 
digten ,  deren  er  selbst  mehrere  mit  angehört  hat .  gibt  uns 
Knighton  eine  Schilderung:  «Ihre  Lehre  erschien  in  etlichen 
Reden  anfangs  voller  Süssigkeit  und  Andacht,  am  Ende  aber 
artete  sie  aus .  und  wurde  voll  versteckten  Neides  und  Verleum- 
dung. Und  niemand,  sagten  sie,  sei  gerecht  und  Gott  gefällig 
[  Deo  digmm  ,  der  nicht  das  Gesetz  Gottes  halte,  welches  sie 


1   Knighton.  Col.  2661  sq.  Etwas  vorhersagt  er:  Qui  militari  cingulo 
ambiebant,  ne  a  rede  credentibus  aliquid  opprobrii  aut  damni  —  sortirentur, 
—  nam  zelnm  Dei  habueru  nt ,  sed  non  secundum  scientiam ,  et  eis  'den 
Predigern  similes  in  voluntatibus  suis  factique  sunt  cives  et  domestici  eomm. 
Lechler,  Wiclif.  II.  2 


18 


Buch  III.    Kap.  1.  I. 


predigen :  denn  einen  solchen  Ausdruck  hatten  sie ,  indem  sie  in 
allen  ihren  Aeusserungen  immer  zur  Schau  trugen  Gottes  Gesetz« 
Goddis  lawe)  x) .  Namentlich  von  Johann  Purvey  erzählt  der 
Berichterstatter;  dass  er  unaufhörlich  seine  Anhänger  rühme, 
während  er  gegen  Andere,  insbesondere  gegen  die  Bettelniönche 
sich  Ausfälle  erlaube:  so  machen  es  auch  Andere  von  jener 
Sekte ,  indem  sie  in  ihren  Predigten  häufig  ausrufen :  »rechte 
Prediger,  falsche  Prediger!«  [Trewe  prechoures ,  Falsa  prechou- 
res) 2).  Hiemit  stimmt  vortrefflich .  was  der  Bischof  Wakefield 
von  Worcester  in  seinem  Mandat  aus  dem  Jahre  1387  von  den 
Reisepredigten  der  in  seinem  Sprengel  aufgetretenen  Lollarden. 
als  Hereford.  Aston  und  Anderen  sagt.  Er  spricht  von  dem 
»unter  dem  Schleier  grosser  Heiligkeit  und  honigsüssen  Worten 
versteckten  Gift«  und  von  der  verführerischen,  die  Gemüther  der 
Gläubigen  den  ordentlichen  Kirchendienern  entfremdenden  Wir- 
kung jener  Predigten3;.  —  Wenn  ein  römisch  gesinnter  Ge- 
schichtschreiber wie  Lingard4)  die  Predigten  der  Wiclifiten 
als  ausschliesslich  polemisch  und  die  Leidenschaften  der  Menge 
gegen  das  kirchlich  Bestehende  und  die  Geistlichkeit  aufregend 
darstellt ,  so  thut  er  das  im  Widerspruch  mit  dem  Zeugniss  des 
Chronisten:  denn  dieser,  so  wenig  er  den  Lollarden  geneigt  ist. 
fand  doch  auch  etwas  wirklich  Erbauliches  in  den  fraglichen  Vor- 
trägen, wenigstens  in  dem  Anfang  oder  dem  ersten  Theil  dersel- 
ben. Sogar  die  Bischöfe  erkennen  wenigstens  etwas  gutes 
darin,  wiewohl  sie  von  ihrem  Standpunkt  aus  dasselbe  als  eine 
Sache  der  Form,  ja  als  eine  Lockspeise,  um  die  Seelen  desto 
sicherer  zu  verführen,  betrachten. 


1)  A.  a.  O.  Col.  mt's 

2)  Col.  2660. 

3)  WlLKINs,  Conc.  III,  202  f.:  Sub  mar/nae  sanctitatis  velamine  venenam 
sub  labiis  ore  mellißuo  habentes  —  devotiones  ßdelium ,  ecclesiae  Christi  et 
ejus  ministris  solitas  conferri ,  ab  iisdem  subtrahere  et  ipsis  appropriare  ni- 
tunt/tr,  —  —  et  haereticas  projmsitiones  —  iam  in  ecclesiis  et  earutn  cöme- 
tcriis  quam  in  plateis  et  plurimis  Incis  profanis  —  nnn  verentur  (isser^re  — 
et  publice  pruedicure,  et  secrete  in  aulis,  cameris,  Jwrtis  et  yardinis  gar- 
denß)  Christi  ßdeli'S  ntriusque  sexus  auriculuri,  et  ipsos  —  sua  |WMW 
doctrina  inßcientes  etc. 

4   Lingard,  History  of  England,  L633.  IV.  2s<i. 


Die  Predigten  der  wiclifitischen  Reiseprediger. 


19 


Bei  diesen  Predigten  in  Kirchen  oder  auf  Kirchhöfen,  auf 
Strassen  und  'öffentlichen  Plätzen  war  die  Zuhörerschaft  natür- 
lich eine  sehr  gemischte.  Die  Aufgabe  des  Redners  war  vorzüglich. 
Seelen  zu  gewinnen  und  anzuziehen.  Zu  diesem  Zwecke  diente  vor 
allein  der  Umstand,  dass  diese  Predigten  ächte  Volksreden  waren 
und  durchaus  in  englischer  Sprache  gehalten  wurden.  Je  seltener 
es  in  jener  Zeit  war,  dass  das  religiöse  Bedürfniss  des  Volks  in  sei- 
ner Muttersprache  befriedigt  wurde,  desto  gewinnenderen  Eindruck 
machten  die  Ansprachen  dieser  Reiseprediger.  Dazu  kam ,  dass 
diese  Männer  selbst  im  einfachen  Gewand,  als  »arme  Priester«,  als 
Volksmänner  auftraten.  Und  wenn  ihnen  nun  ein  heiliger  Ernst 
und  rechtschaffene  Gottesfurcht  anzufühlen  war  ,  wenn  sie  die 
dem  christlichen  Volk  so  fremd  gewordenen  biblischen  Lehren,  die 
schlichten  Grundwahrheiten  des  Evangeliums  in  den  geliebten 
Klängen  der  Muttersprache  einfach  und  fasslich,  beredt  und  begei- 
stert vortrugen,  die  herrschenden  Sünden  und  Schäden,  Ueppigkeit 
und  dergleichen,  aber  auch  die  Misbräuche  und  Unsitten  der 
Geistlichkeit  beim  rechten  Namen  nannten,  offen  und  kräftig 
straften .  so  ist  es ,  zumal  die  Reiseprediger  nichts  für  sich  selbst 
suchten,  kein  Wunder,  dass  sie  weit  und  breit  im  Lande  Anklang 
fanden .  und  ihnen  die  Gemüther  in  immer  höherem  Maasse  sich 
zuwandten. 

Aber  ausser  diesen  gemischten  und  mitunter  zahlreichen 
Versammlungen ,  diesen  öffentlichen  Vorträgen  und  Reisepredig- 
ten mochten  häufig  Zusammenkünfte  von  Einverstandenen  statt 
finden,  bald  in  den  Burgen  grösserer  Grundbesitzer ,  bald  in  den 
Stuben  geringer  Leute,  in  Kapellen,  in  Gärten.  Dann  kam  je 
ein  kleines  Häuflein  zusammen ,  um  sich  über  göttliche  Dinge  zu 
besprechen ,  sich  gemeinsam  zu  erbauen  und  weitere  Unterwei- 
sung zu  suchen 1  .  In  solchen  Conventikeln  geschah  es  auch 
wohl,  dass  biblische  Bücher  in  Wiclifs  Uebersetzung  vorgele- 
sen, dass  aus  Volksschriften  von  Wiclif  und  Hereford  Geeig- 
netes mitgerheilt  wurde.  Vielleicht  mochten  diejenigen,  welche 
es  wünschten ,  in  solchen  Zusammenkünften  auch  Unterricht  im 


1)  mutuo  inter  se  habuerunt  et  tenuerunt  opmiones.  Wilkixs  III.  211  ; 
et  secrete  in  aulis,  cameris  etc.  a.  a.  O.  202. 

2* 


20 


Buch  III.    Kap.  1.  IL 


Lesen  erhalten.  Von  Wilhelm  Smith,  dem  Bürger  von  Leice- 
ster  f  wird  ausdrücklich  bezeugt .  dass  er  im  reifen  Mannesalter 
noch  das  Lesen  gelernt  hat 1  .  Das  wird  aber  wohl  bei  manchen 
anderen,  Männern  und  Frauen  .  der  Fall  gewesen  sein.  Wenig- 
stens erwähnt  Knighton.  wo  er  von  Wiclifs  Bibelüber- 
setzung spricht .  allerdings  im  Ton  der  Klage .  dass  in  Folge  der 
englischen  Bibelübersetzung  das  Wort  Gottes  »Laien  und  Frauen, 
welche  lesen  können,  bekannter  und  vertrauter  geworden  sei.  als 
manchen  hochgelehrten  und  einsichtsvollen  Geistlichen« 2  . 

II. 

Die  Partei  der  Lollarden  stand  während  der  letzten  15 
Jahre  des  XIV.  Jahrhunderts  geschlossen  und  einig,  muthvoll 
und  kräftig  auf  dem  Plan,  mit  Nachdruck  vorwärts  dringend,  an 
Grund  und  Boden  gewinnend,  zukunftsvoll.  Ihre  Kühnheit  im 
offensiven  Vorgehen  war  unverkennbar,  und  erschreckte  die  Con- 
servativen  und  päpstlich  Gesinnten.  Mehrere  Thatsachen  bezeu- 
gen diess  laut.  Die  Lollarden  verfochten  nicht  blos  in  der  Theorie 
den  Grundsatz,  jeder  Priester  habe  eben  so  ausgedehnte  Voll- 
macht, zu  binden  und  zu  lösen  so  wie  alle  übrigen  kirchlichen 
Handlungen  zu  vollziehen .  als  der  Papst  selbst  zu  verleihen  im 
Stande  sei :  sondern  sie  handelten  auch  wirklich  nach  diesem 
Grundsatz .  ihre  Priester  ertheilten  die  Priesterweihe  .  als  wären 
sie  selbst  Bischöfe ;  solche  Fälle  sind  namentlich  in  der  Diöcese 
Salisbury  vorgekommen :  ein  Geistlicher .  welcher  selbst  durch 
einen  Priester  der  Lollardenpartei  ordinirt  worden  war.  hat  Gte- 
wissensbisse  darüber  empfunden,  und  von  freien  Stücken  dem 
Bischof  Johann  Walthain  ein  Bekenntniss  darüber  abgelegt  , 


1  media  tempore  abcedarium  didicit.   KNIGHTON  V.  Col.  2661. 

2  A.  a.  O.  Col.  2644:  Evangelium  —  per  ipsum  ßt  vulgare  et  magis 
aper  tum  luicis  et  mulieribus  legere  sei ent  ihus ,  quam  solet  esse  cle- 
ricis  admodum  literatis  et  hene  intelligentibus. 

Walsingiiam,  Hist.  anglicana,  II,  1S8:  Lo/lardi  tantam  pruc- 

sumpserunt  audaeiant,  ut  eorum  preshyteri  more  pontißcum  novos  er  cur  ent 
presbyteros  —  —  —  practieaverunt  autem  istum  perßdium  in  Diüctsi  Sa- 
rum.  —  Prodifu  est  haec  nequitia  per  quendam  ab  eis  ordinatum.  qui  sti- 


Offensives  Auftreten  der  Lollarden. 


21 


Eine  fernere  Thatsache .  welche  das  offensive  Vorgehen  der 
Lollarden  beweist,  ist  ein  Auftritt,  welcher  im  Jahr  13S7  in  Lon- 
don selbst  sich  ereignete.  Ein  Augustiner-Eremite.  Peter  P  a  t  e  s  - 
hnll.  war  ans  dem  Kloster  ausgetreten  und  hatte  sich  den  Lol- 
larden angeschlossen,  die  ihn  darin  bestärkten,  dass  er  wohl 
daran  gethan  habe  dem  Klosterleben  entsagt  zu  haben,  denn  das 
bürgerliche  Leben  sei  sittlich  vollkommener  und  heiliger.  Ein 
Oarmelitermönch  .  Walter  D  i  s  s  e .  Beichtiger  des  Herzogs  von 
Lancaster.  ernannte  ihn  kraft  einer  von  Urban  VI.  verliehenen 
Vollmacht,  zum  päpstlichen  Kaplan.  Dieser  Peter  Pateshull 
hielt,  von  andern  Lollarden  dazu  angefeuert,  in  der  St.  Chri- 
stophskirche zu  London  eine  Predigt,  worin  er  sich  gegen  seinen 
ehemaligen  Orden  öffentliche  Ausfälle  erlaubte .  und  seinen  bis- 
herigen Ordensbrüdern  schlimme  Dinge  nachsagte.  Das  machte 
ungeheures  Aufsehen .  und  auf  augenblickliche  Mittheilung  dar- 
über begaben  sich  1 2  Augustiner  aus  ihrem  Kloster  sofort  in  die 
Christophs-Kirche .  wo  sie  die  empörendsten  Dinge  mit  anhören 
mussten.  Da  ergriff  der  kühnste  unter  den  Mönchen  plötzlich  das 
Wort  und  erhob  Einsprache  gegen  die  Aussagen  des  Predigers. 
Jetzt  brachen  die  Lollarden  los.  deren  ungefähr  hundert  als  Zu- 
hörer anwesend  waren,  stürzten  sich  auf  den  kühnen  Augustiner 
und  mishandelten  ihn  persönlich .  drängten  die  übrigen  Mönche 
zur  Kirche  hinaus  uml  verfolgten  sie  unter  wüthendem  Geschrei 
bis  zu  ihrem  Kloster,  das  sie  anzuzünden  drohten.  •  Nur  das  Ein- 
schreiten eines  der  Vicegrafen  von  London  vermochte  den  wilden 
Auflauf  zu  stillen.  Weil  aber  die  Predigt  unterbrochen  und  ge- 
stört worden  war.  sprachen  die  Lollarden  dem  Peter  Pateshull 
zu.  dasjenige  schriftlich  aufzusetzen,  was  er  mündlich  ausge- 
sprochen habe  und  was  ihm  sonst  in  der  Sache  bekannt  sei. 
Dieser  folgte  und  verfasste  ein  fliegendes  Blatt .  worin  er  unter 
anderem  mehrere  seiner  gewesenen  Ordensbrüder  des  Mordes 

mnlatus  conscientiu  Episcopo  Sarum  confessus  est  errorem  —  — .  Dass  obi- 
ges creare  nicht  blos  Berufung  zu  einem  geistlichen  Amt,  sondern  wirkliche 
Ertheüung  der  Priesterweihe  bezeichnen  soll ,  ergibt  der  Zusammenhang 
unzweideutig,  namentlich  das  ordinatus  ab  eis.  Der  Bericht  zum  Jahr 
13^9  in  der  Chronik  hat  auch  nichts  Unwahrscheinliches  an  sich. 


22 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


anklagt .  mit  Nennung  der  Namen  and  der  Orte .  wo  die  Un- 
glücklichen ums  Leben  gebracht  oder  beerdigt  worden  seien : 
ausserdem  beschuldigte  er  sie  der  Sodomiterei.  des  Hochverraths 
und  dergleichen.  Im  Eingang  sagte  der  Verfasser,  er  sei  aus 
einem  Teufelsnest  entkommen,  und  aus  der  Gemeinschaft  schlim- 
mer und  unsittlicher  Menschen  in  die  vollkommenste  Lebensart 
übergegangen ;  aus  diesem  Grunde  und  weil  er  die  Wahrheit 
thue .  würde  ihm  von  den  Bettelmönchen  viel  Feindseligkeit  wi- 
derfahren .  wenn  sie  seiner  Person  habhaft  werden  würden. 
Allein  er  danke  es  dem  Papst  Urban,  dass  er  es  ihm  möglich  ge- 
macht habe ,  mit  Hülfe  seiner  Freunde  den  Händen  der  Gegner 
zu  entkommen.  Diese  Denkschrift  schlug  Pateshull  an  der 
Paulskirche  in  London  an.  wo  dieselbe  von  vielen  Leuten  gelesen 
und  abgeschrieben  wurde,  namentlich  von  Rittern  und  Herren, 
die  zu  den  Lollarden  hielten  1  . 

Ferner  hören  wir.  dass  sie  im  Jahr  1391  öffentlich  gegen 
Pilgerfahrten  zu  Heiligenbildern  gepredigt  haben 2  . 

Der  kühnste  Schritt  aber,  überraschend  und  gewichtig, 
wurde  im  Jahr  1395  unternommen.  Die  Lollarden  entwarfen 
eine  Denkschrift,  welche  sie  dem  Parlament  einreichten . 
das  Mitte  Januar  zusammentrat.  König  Richard  II.  befand  sich 
seit  dem  Herbst  des  vergangenen  Jahres  in  Irland,  um  die 
dortigen  Unruhen  beizulegen,  und  sein  Oheim.  Edmund  Her- 
zog von  York ..  war  inzwischen  Reichsverweser 3  .  Man  hat  ver- 
muthet.  die  Petition  sei  von  Lord  Cobham  aufgesetzt  worden  4h 
allein  auf  gleichzeitige  Urkunden  kann  man  sich  hiebei  nicht 
stützen .  Die  Männer ,  welche  die  Eingabe  dem  Parlament  über- 
reichten, waren  Sir  Thomas  Latime*r  und  Sir  Richard  Stury. 
Die  Lollarden  legten  darin  ihre  Grundsätze  mit  vollkommener 
Aufrichtigkeit  dar  und  stellten  dieselben  in  das  volle  Licht  der 
Oeffentlichkeit ,  ja  sie  nahmen  die  Mitwirkung  des  Parlaments 


1  Walsixgham  ,  Hist.  mgKctma,  Q,  157  ff.  Nach  Walsixgham  er- 
zahlt die  Sache  auch  John  Foxe.  Acts  und  Monuments.  III,  201. 

1  Walsixgham,  D,  lss 

Walmxgham,  II,  214.  Vgl.  Pauli,  Gesch.  von  England,  IV,  BM  ri 

1  John  Balk,  Brefe  Chronicle  f.  7.  und  f.  50.  ed.  1 544 .  laut  Anm.  von 
TownsknI),  zu  John  FoXE,  Acts  und  Mon.  III,  %\%  zu  p.  M. 


Bittschrift  der  Lollarden  an  das  Parlament. 


23 


für  die  von  ihnen  als  nothwendig  erkannten  Reformen  in  An- 
spruch. Dieser  Schritt  für  sieh  allein  beweist  schon,  das*  die 
Partei  dazumal  sehr  zahlreich  und  mächtig  gewesen  sein  nmss 
denn  es  wäre  ja  sonst  eine  Unbesonnenheit  ohne  gleichen  gewe- 
sen .  ein  offensives  und  aggressives  Verfahren  zu  wagen,  in  dem 
Versuch .  mit  Hülfe  der  Reichsvertretung  ihre  Gedanken  geltend 
zu  machen ,  und  ihre  Plane  im  Ganzen  und  Grossen  durchzufüh- 
ren. Möglich,  dass  ein  Vorgang  im  Jahr  1390  sie  dazu  ermuthigt 
hat.  Es  war  damals  von  römischer  Seite  eine  Bill  im  Parlament 
eingebracht  worden .  dahin  gehend,  dass  alle  englischen  Bibel- 
übersetzungen, welche  in  den  Händen  von  Gemeindegliedern  sich 
befänden,  confiscirt  werden  sollten.  Allein  dieser  Antrag  wurde 
sowohl  vom  Adel  als  von  den  Gemeinen  so  nachdrücklich  be- 
kämpft .  dass  er  durchfiel ;  namentlich  war  auch  der  Herzog- 
Johann  von  Lancaster  stark  dagegen  aufgetreten ;  »Wir  wollen 
nicht  die  Hefe  unter  allen  Menschen  sein .  da  ja  andere  Nationen 
das  Wort  Gottes  ebenfalls  in  ihren  Sprachen  besitzen.«  Und 
Andere  fügten .  angesichts  der  Besorgniss.  die  Uebersetzung  des 
Evangeliums  in's  Englische  werde  Ketzereien  erzeugen,  hinzu,  es 
gebe  ja  unter  den  Lateinern  selbst  mehr  Häretiker  als  unter 
anderen  Nationalitäten,  die  Dekrete  selbst  zählten  ja  allein  66 
lateinische  Ketzer  auf1'.  Dieses  Ereigniss  mochte  in  den  Lollar- 
den die  Hoffnung  erwecken,  dass  eine  günstige  Stimmung  des 
Parlaments  ihrer  Sache  entgegenkommen  werde ;  vielleicht  sei 
sogar  kräftige  Unterstützung  zu  erwarten.  Allein  wenn  dem  so 
war .  so  haben  sie  sich  sehr  getäuscht.  Die  Petition  scheint  im 
Parlament  nicht  einmal  zur  Verhandlung  gekommen  zu  sein. 
Uebrigens  sorgten  die  Führer  der  Partei  für  möglichst  ausgebrei- 
tete Veröffentlichung  ihrer  Denkschrift ,  denn  sie  Hessen  dieselbe 
an  den  Thüren  der  Paulskirche  in  London  und  des  Westmünsters 
anschlagen 2  .    Die  Bischöfe ,  aufgeschreckt  durch  den  kühnen 


1)  ÜSHER ,  Hist.  doymatica  controversiae  de  scripturis  et  sacris  verna- 
cnlis,  1690.  40.  p.  162. 

2  Walsingham  ,  II,  216.  Pauli,  Gesch.  von  England,  IV,  597  un- 
terscheidet «aufreizende  Drohschriften ,  die  an  den  Kirchthüren  angeheftet 
Avurden«,  von  der  »scharfen  Eingabe  an  das  Parlament«.    Indessen  sind  im 


24 


Buch  III.    Kap.  1 .  II. 


Schritt  der  Lollarden .  schickten  eilig  eine  Deputation  an  den 
König  nach  Irland.  Der  Bischof  von  York .  Thomas .  ans  dem 
Hanse  der  Grafen  von  Arnndel.  und  der  Bischof  von  London. 
Robert  Braybrook.  standen  an  der  Spitze  der  Abgesandten. 
Richard  II.  kehrte  in  der  That  ungesäumt  nach  England  zurück, 
und  ertheilte  den  vornehmen  Gönnern  der  Lollarden  .  namentlich 
Sir  Richard  Stury.  einen  so  strengen  Verweis,  mit  furchtbaren 
Bedrohungen  verbunden .  dass  die  Partei  immerhin  eingeschüch- 
tert wurde  1  . 

Die  Eingabe  ist  also  erfolglos  gewesen,  im  Gegentheil.  sie 
hat  einen  Rückschlag  herbeigeführt.  Dessen  ungeachtet  ist  diese 
Denkschrift  als  eine  aus  der  wielif irischen  Partei  als  solcher 
hervorgegangene  authentische  Urkunde  von  hohem  geschicht- 
lichen Werth.  Das  Schriftstück,  so  wie  es  uns  vorliegt,  ist  un- 
zweifelhaft acht  und  unverfälscht2  :  nur  seine  Vollständigkeit  ist 


Sinne  des  Chronisten  selbst  die  uhomiuahiles  cleri  uccusationes  identisch  mit 
den  inauditae  conclusiones.  Wie  denn  schon  Foxe,  Acts  und  Mon.  III,  203 
ed.  Tovnsend  die  Darstellung  "Walsingham" s  so  verstanden  hat. 

1  Walsingham.  II.  2 Hi  folg. 

2  Zwei  Handschriften  enthalten  diese  Eingabe :  die  eine  befindet  sich 
im  British  Museum  zu  London  Cotton,  Cleopatra  E.  2  ;  die  andere, 
welche  die  Quelle  der  ersteren  zu  sein  scheint,  in  der  Bodl.  Bibliothek  zu 
Oxford.  Abgedruckt  wurde  die  Urkunde  zuerst  von  John  Foxe  ,  in  der 
2.  lat.  Ausgabe  seines  Werks  :  Rerinn  in  ecclesiu  gestarum  —  commentarii, 
Basel  1559.  f.  7 (i  folg.  Sodann  hat  Lewis.  History —  of  John  JJ'iclif  Ausg. 
1S20.  p,  m  ff.  ,  nach  ihm  Wilkixs  ,  Concilin  M.  Brit.  III.  221  ff.  den 
Text  gegeben,  neuerdings  Shirley  in  Ftuiciculi  zizaniorum .  360  ff.  Die 
wichtigsten  Sätze  geben  wir  hier  im  Auszug,  und  zwar  an  zweifelhaften 
Stellen  nach  den  kritisch  besten  Lesarten,  vorzüglich  Shirley  folgend. 

Conclusi on  es  Loi lardorum  in  quodam  libello  porrectae pleno  pur- 
/iamento  reyis  Angliae, 

I.  Quod,  quando  ecclesiu  Anyliue  incepit  delirare  in  temporalitate, 
secundum  n  o  v  t  r  c  a  >n  suam  magnam  eccl  es  in  m  r  o  m  u  n  u  m  .  et  eeelesiae 
fuerunt  unctorizatae  per  approjtriutioneiti  diversis  Joris:  Jides.  spes.  eim- 
ritas  ineeperunt  fuyere  de  eeelesin  nostra ;  quin  sn  perl)  i  tt  cum  MM  dolo- 
rosa yenealoyiu  mortalinm  peccatnrum  rindicahat  hoc  titulo  reritatis.  —  — 

II.  Quod  nostrum  usuale  s  u  r  e  r  d  o  t  i  u  m ,  quod  incejn'r  in  Rmna,  Jietu 
potestafe  anyelis  aftiori .  HOn  Sst  ilhtd  sucerdotiu  m .  quod  Christus 
ordivavit  suis  apo  s1 \o  I % s. 

III.  Quod  It'T  c  ontin  en  t  i  a  e  injuncUk  sacerdotio.  quue  in  praejudirium 


Inhalt  der  Petition  an  das  Parlament. 


25 


zweifelhaft,  da  es  olme  irgend  einen  Eingang  sogleich  medium  m 
rem  geht   Wahrscheinlich  ist  die  Einleitung  weggefallen.  Das 


mülientm  prius  fuit  ordinata ,  inducit  sodomiam  in  totam  sanetam  eccle- 
s/aui.  —  — 

IV.  Quod  fictum  miraculum  sacrament  i  panis  inducit  omnes  ho- 
mines,  nisi  sint  pauci,  in  idolatriam  —  —  .  Sed  vellet  Deus,  quod  ipsi  vel- 
lent  credere,  quod  Doctor  evanyelicus  dicit  in  suo  Trialoyo ,  quod  panis 
altaris  est  hubituadter  corpus  Christi.  — 

V.  Quod  exorcismi  et  benedictiones  factae  super  vinum .  panem. 
aquam  et  oleum,  sal ,  ceram  et  incensum ,  lapidem  altaris  et  ecclesiae  muros. 
super  vestimentum,  mitram,  crucem  et  baculos  pereyrinorum,  sunt  Vera  prac- 
tica necromantiae  potius  quam  verae  theoloyiae.  — 

VI.  Quod  rex  et  episcopus  in  una  persona,  praelatus  et  judex  in 
temporalihus  causis .  curatus  et  fffieialis  in  mundiali  officio  facit  quodlihet 
reynum  extra  hon  um  reyimen.  Der  Beweis  hiefür  wird  durch  Christi  A\  ort 
geführt:  »Niemand  kann  zweien  Herren  dienen.« 

VII.  Quod  .speciales  orationes  pro  animabus  mo r tu or um  factae 
in  ecclesia  nostra  —  est  falsum  fundamentum  eteemosynae. 

VIII.  Quod  pereyrinationes,  orationes  et  oblationes  factae  caecis  cru- 
eibus  sire  rodys.  et  surdis  imagininibus  de  liyno  et  lapide ,  sunt  prope 
consanyuineae  ad  idolatriam,  et  lonffe  ab  eleemosyna.  — 

IX.  Quod  auricular is  confessio.  quae  dicitur  tarn  necessaria  ad 
sa'vationem  hominis .  exaltat  stiperbiam  sacerdotum  ,  et  dat  Ulis  Opportunitä- 
ten! seeretarum  sermocinationum.  —  Et  in  tempore  confessionis  est  opportu- 
num  tempus  jrrocationum,  id  est  of  wowyny,  et  aliarum  seeretarum  conven- 

tionum  ad  mortui ia  peccata.  Dicunt,  quod  huhent  claves  coli  et  inferni, 

et  possunt  exeommunicare  et  benedicere,  ligare  et  solrere  ad  voluntatem  eorum  : 
in  funtum ,  quod  pro  bussello  vel  12  denariis  volunt  vendere  benedictionem 
cö'i  per  cartam,  et  cluusum  de  warruntia  sigillatam  sigillo  communi. 

X.  Quod  homicidium  per  bellum  rel  praetensam  legem  justitiae  pro 
temporali  causa  sine  spirituali  revelutione ,  est  expresse  contrarius  Novo 
T  est  umento  ,  quod  quidem  estJex  gratiue  et  pleno  misericordiarum.  Beweis: 
Christus  lehrt  die  Feinde  lieben.  Corollarium:  Es  ist  eine  Plünderung  des 
armen  Volks,  wenn  grosse  Herren  Ablas*  für  diejenigen  auswirken,  welche 
ihre  Kriegsheere  unterstützen. 

XI.  Quod  votnm  conti  n  entiae  factum  in  nostru  ecclesiu  per  mutie- 
re s,  quae  sunt  fragiles  et  imperfectue  in  natura,  est  causa  induetionis  muxi- 
morum  horribilium  peccutorum  z.B.  Kindsmord.  Abtreibung  der  Leibes- 
frucht, und  unnatürlicher  Unzucht  . 

XII.  Quod  multitudo  urtium  non  necessuriurum  usituturum  in  nostro 
regno  ?mtrit  muHum  peccutum  in  Wüste,  curiositate ,  et  inter  disguysyny. 
—  Videtur  nobis ,  quod  aurifabri  et  urmatores  et  omnimodae  artes  non  ne- 
cessariae  homini  secundum  Apostolum  destruerentur  pro  incremento  virtuti.s. 

Haec  est  nostra  ambassiata  [amhussude,  Botschaft,  Bittschrift  .  quam 


26 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


Ganze  besteht  aus  12  Thesen  [Conclusiones ,  Schlusssätze  .  nebst 
einem  kurzen  Nachwort.  Letzterem  folgen  noch  6  Verse,  Hexa- 
meter. Möglich ,  class  diese  in  der  offiziellen  Eingabe  sich  nicht 
befanden,  und  nur  den  für  anderweitige  Veröffentlichung  be- 
stimmten Abschriften  beigefügt  wurden.  Jedem  der  zwölf  Haupt- 
satze sind  in  scholastischer  Weise  einige  Bemerkungen  zur  Erläu- 
terung und  Begründung  beigegeben.  Ausserdem  folgt  alsdann 
allen  Thesen,  mit  einziger  Ausnahme  der  I  und  VIII  ten.  ein  Co- 
rollarium.  Streng  systematisch  geordnet  ist  die  Aufeinanderfolge 
keineswegs ;  denn  logisch  müssten  III  und  XI  Priester-Cölibat  und 
Keuschheitsgelübde  der  Nonnen) ,  V  und  VIII  Weihen  über  leblose 
Gegenstände  und  Bilderverehrung) ,  X  und  XII  Krieg  und  Kunst- 
gewerbe, die  dem  Luxus  dienen,  beide  Sätze  aus  dem  kirchlichen 
Gebiete  in  das  sociale  übergreifend)  zusammengestellt  sein. 

Dessen  ungeachtet  ist  nicht  zu  verkennen  ein  klarer,  in 
sich  geschlossener  Zusammenhang  der  Ueberzeugungen ,  welche 
hier  ausgesprochen  sind;  die  sämmtlichen  Sätze  fliessen  aus 
einer  Gesinnung ,  welche  auf  das  Innerliche  des  religiösen  Le- 
bens allein  Werth  legt ,  und  alles  Aeusserliche  nur  nach  sei- 
nem fördernden  oder  hemmenden  Einfluss  auf  das  Innere  be- 
urtheilt.  Als  Kern  des  Christenthums  wird  (I)  Glaube,  Liebe, 
Hoffnung  hervorgehoben ,  und  alles  mit  dem  sittlichen  Maasstabe 
gemessen  (HL  IX — Xü) ;  Hochmuth  ist  die  Quelle  aller  übrigen 
Sünden  :  daher  ist  alles ,  was  den  Hochmuth  befördert ,  an  sich 
schon  verwerflich  ( I  und  IX ) .  Eifer  für  die  Ehre  Gottes ,  ernste 
Sorge  um  die  Seligkeit,  und  Abscheu  vor  der  Sünde  ,  kurz  auf- 
richtige Gottesfurcht  spricht  aus  jedem  Wort,  und  erfüllt  den  un- 
befangenen Leser  unwillkührlich  mit  Achtung  vor  der  Gesinnung 
der  ungenannten  Verfasser ;  und  wir  müssen  es  den  Gegnern 
überlassen,  wenn  sie  mit  Lingard  urtheilen  wollen,  das  Ganze 


Christus  pruecepit  nobis  prosequi  isto  tempore,  muxime  acceptabili  pro  muitis 
cuusis.  Et  quumvis  istue  muteriue  sint  hic  breviter  notatue,  sunt  turnen  lar- 
giter  declurutue  in  u/io  libro,  et  multae  uliue  pittres  totuliter  in  nostro 
proprio  lungugio ,  quas  vellemus  ut  essent  communes  toti  populo  chri- 
stUunt.  Jiogamus  ergo  Deum  de  muximu  suu  bonitute ,  quotl  re formet 
ii  o st r um  ecclesium  totuliter  extru  J-uncturum  ud  per fectio  nein  sut 
jjritni  initii. 


Charakter  der  Petition. 


27 


sei  weiter  nichts  »als  eine  seltsame  Mischung  von  Fanatismus  und 
Thorheit«.  demnach  ohne  ein  Körnchen  von  Wahrheit 1  .  Es  ist 
ohne  weiteres  zuzugeben,  dass  die  Verfasser  eine  starke  Sprache 
führen,  sieh  nicht  scheuen  die  Sachen  derb  anzufassen,  und  mit- 
unter scharfe  Schnitte  zu  thun.  Wenn  sie  die  römische  Kirche 
als  die  grosse  Stiefmutter  der  englischen  bezeichnen  (I),  wenn 
sie  Aberglauben  kurzweg  »Götzendienst«  nennen  IV  und  VII  . 
VOö  buhlerischen  Verführungskünsten  sprechen,  welche  im  Beicht- 
stuhl verübt  werden  IX  .  und  behaupten,  dass  in  Folge  des  Prie- 
stercölibats  Sodomiterei  in  der  Christenheit  um  sich  greife  III) 
und  dass  das  Keuschheitsgelübde  in  Nonnenklöstern  zu  Kinder- 
mord und  unnatürlicher  Unzucht  führe  (XI)  :  so  ist  das  alles  frei- 
lich sehr  stark,  aber  in  vielen  Stücken  leider  der  Wahrheit 
entsprechend,  wie  durch  manche  Synodalbeschlüsse  und  ober- 
hirtliche  Erlasse  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  nachgewiesen  wer- 
den kann.  Ist  auch  polemische  Schärfe  und  Erregung  nicht  zu 
verkennen .  so  verdient  doch  andererseits  die  Aufrichtigkeit  und 
Freimüthigkeit  alle  Achtung,  womit  die  Verfasser  z.  B.  auf  Wi- 
clif.  den  »evangelischen  Doetor«.  als  eine  von  ihnen  hochgeach- 
tete Autorität  sich  berufen. 

Ferner  ist  die  Denkschrift  insofern  taktvoll  gefasst.  als 
sie  die  Dinge  keineswegs  ausschliessend  kirchlich,  sondern 
überwiegend  patriotisch  und  social  anfasst:  war  doch  die 
Eingabe  an  das  Parlament  gerichtet .  sie  musste  deshalb 
einen  Ton  anschlagen .  der  in  jedem  Herzen .  das  für  die 
Wohlfahrt  des  Volkes  und  die  Interessen  des  Vaterlandes  er- 
wärmt war .  Anklang  finden  konnte.  Dem  entspricht  auch  der 
Ausdruck.  Zwar  die  Form  von  Thesen,  Beweisen  und  Neben- 
sätzen sieht  scholastisch  aus.  Aber  die  Sprache  selbst  ist  nicht 
eine  gelehrte,  sondern  eine  möglichst  populäre,  was  auch  aus  der 
Einmischung  von  englischen  Worten  V.  VIII.  X.  XII  sich  er- 
gibt. In  der  Schlusserklärung  ist  bemerkenswerth  das  Be- 
wusstsein .  zu  dem  unternommenen  Schritt  verpflichtet  und  durch 
Christum  angewiesen  zu  sein :  ferner  die  Bemerkung .  dass  der 
gegenwärtige  Augenblick  zu  diesem  Behuf  besonders  günstig  sei : 


1    Lingard,  Hist.  of  England,  IV.  Ml 9. 


28 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


endlich  das  klar  hVs  Auge  gefasste  Ziel  einer  Reform  der  Kirche, 
im  Sinn  einer  Wiederherstellung  des  vollkommenen  Standes  der 
Urkirche.  Je  höher  sie  sich  ihr  Ziel  stecken,  um  so  mehr  Leuchtet 
uns  das  Bekenntniss  der  Bittsteller  ein .  dass  nur  von  Gott,  nicht 
von  Menschen,  dasjenige  verwirklicht  werden  könne,  was  sie  als 
noth wendig  erkennen. 

Vergleichen  wir  diese  Bittschrift  mit  den  Gesinnungen  und 
Grundsätzen  Wicli f  s  selbst,  so  ergibt  sich,  dass  die  vorlie- 
gende Urkunde  allerdings  das  Gepräge  von  Wiclif's  Geist  an 
sich  trägt.  Mehrere  wesentliche  Züge  hat  die  Petition  mit  W  i  - 
c  1  i  f  gemein  ;  einmal  das  Zurückgehen  auf  die  heilige  Schrift 
als  die  unbedingt  maassgebende  Auktorität  in  Sachen  des  Glau- 
bens, des  christlichen  Lebens,  ja  selbst  in  bürgerlichen  Dingen ; 
sodann  den  Eifer  für  die  Ehre  Gottes :  die  Bittsteller  sind  sich 
bewusst,  vor  dem  Parlamente  Gottes  Sache  zu  vertreten,  sie 
nennen  sich  (im  Corollarhim  zur  VI.  These)  procuratores  Dei.  An- 
wälte der  Sache  Gottes,  was  uns  lebhaft  an  die  Art  erinnert,  wie 
Wie  Ii  f  sich  selbst  und  seine  Gesinnungsgenossen  als  Vertreter 
der  causa  Dei  zu  bezeichnen  pflegte.  Damit  hängt  zusammen  die 
lebhafte  Rüge  wider  jede  Anbetung  eines  Geschöpfs ,  wider  allen 
»Götzendienst«  (IV  und  VIII).  Ferner  die  Betonung  des  Sitt- 
lichen in  der  Religion,  die  grundsätzliche  Bekämpfung  aller 
Vermischung  des  Weltlichen  mit  dein  Geistlichen  .  bürgerlicher 
und  staatlicher  Vollmacht  mit  kirchlichem  Dienst,  die  Feindschaft 
wider  hierarchisches  Wesen.  Auch  der  patriotische  Hauch,  wei- 
cher das  Schriftstück  durchweht,  zeugt  von  Wiclif's  Geist. 
Hingegen  vermissen  wir  die  maassvolle  Besonnenheit  Wiclif's 
darin,  dass  Kunstgewerbe  wie  Goldschmiede.  Schwertfegerund 
alle  Gewerbe  .  welche  nicht  die  unentbehrlichsten  Bedürfnisse 
beschaffen  sondern  irgendwie  dem  Luxus  dienen ,  verworfen 
werden  und  angeblich  aus  biblischen  Gründen,  zur  Beförderung 
der  Tugend  beseitigt  werden  sollen  (XII) . 

Mit  den  hier  zu  Tage  tretenden  Ansichten  der  Lollanlen 
barmoniren  die  von  Seiten  der  Gegner  aufgesetzten  Urkunden 
in  den  Hauptpunkten  vollkommen,  Der  Erzbischof  von  Canter- 
bury  charakterisirt  die  Grundsätze  des  Wilhelm  Swinderby, 
und  der  Bischof  von  Worcester  die  Irrlehren  dei-  Lollanlen  ins- 


Die  Lollarden  nach  bischöflichen  Urkunden. 


20 


gemein  als  solche,  die  den  Gesammtbestand  der  Kirche  und  die 
Kulie  des  Reichs  zu  untergraben  geeignet  seien  1  .  Ziehen  wir. 
wie  hillig .  die  zum  Behuf  der  Abschreckung  vorgenommene 
[Jebertreibung  ab,  so  bleibt  immerhin  so  viel  übrig,  dass  wir  die 
Reformbestrebungen  der  Lollarden  als  radikale  und  vielseitige 
erkennen  ;  was  mit  obigem  authentischem  Bekenntnis«  der  Partei 
allerdings  übereinstimmt.  In  anderen  Fällen  hat  uns  die  Hierar- 
chie einzelne  detaillirte  Ansichten  von  Lollarden .  die  ihr  unter 
die  Hände  gekommen  sind,  aufbewahrt,  z.  B.  von  denen  zu  Lei- 
eester,  zu  Nottingham,  von  Johann  Beck  et  zu  Padeswick.  Von 
den  ersteren  wird  behauptet,  dass  sie  über  das  Abendmahl 
anders  lehren  als  die  römische  Kirche  ,  nämlich  so .  wie  wenn 
nach  der  Einsegnung  Christi  Leib  zugleich  mit  dem  natürlichen 
Bröd  vorhanden  wäre  2  .  eine  Erklärung .  welche  ganz  mit  W  i  - 
clifs  Abendmahlslehre  sich  deckt,  und  der  lutherischen  Lehre 
sich  nähert.  Ferner  erfahren  wir  .  dass  die  Lollarden.  ganz  wie 
einst  Wiclif  selbst,  gegen  die  Verehrung  von  Bildern  und  Kreu- 
zen .  so  wie  gegen  Wallfahrten .  mit  Wort  und  That  einmüthig 
protestirten  1  .  Uebereinstimmend  sprachen  sie  sich  auch  gegen 
die  unevangelischen  Vorrechte  des  Priester  stand  es  in  Be- 
ziehung auf  Schlüsselgewalt.  Verständniss  und  Verkündigung  des 
Wortes  Gottes  aus  .  behaupteten  vielmehr  ein  Priesterthum  aller 
wahrhaft  guten  Christen,  sprachen  dagegen  unsittlichen,  in  Tod- 
sünden befangenen  Klerikern  die  geistlichen  Amtsrechte  geradezu 
ab  4  .    Folgerichtig  konnte  auch  das  Ertheilen  der  Priesterweihe 

J  Wilkix.s.  Conc.  III,  215:  in  Subversion em  status  univ  ersalis  eccle- 
siae,  ac  simplicium  animarwn  periculum  manifestum.  202:  quae  statum 
tot %us  ecclesiae  Dei ,  nostraeque  diöcesis  et  tranquillitatem  regni  sub- 
vertere,  et  quantum  in  eis  est,  enervare  nituntur. 

2  Quod  in  sacramento  altaris  post  verba  consecrationis  remanet  simul 
corpus  Christi  cum  pane  materiali.  WlLKINS,  III,  20%. 

'S  A.  a.  0.  und  225:  /  Shall  neuer  more  dispise  pylgremage ,  in  dem 
Widerruf  eines  Lollarden. 

4  Den  Lollarden  von  Leicester  wird  unter  anderem  die  Ansicht  bei- 
gelegt:  quod  papa  et  praelati  ecclesiae  non  possunt  aliquem  exeommunica- 
tionis  sententia  ligare.  nisi  priits  sciant  eum  exeommunicatum  a  Deo.  Item 
quod  nuilus  ecclesiae  praelatus  potest  induig e  ntias  impertiri.  —  Quod 
qnilibet  laictis  potest  saneta  ecang elia  ubique  praedicare  et  do- 
cere;  item  quod  quilibet  bonus  homo,  licet  literaturam  nesciat,  est  sa- 


30 


Buchlll.    Kap.  1.  IL 


nicht  als  ein  ausschliessliches  Vorrecht  der  Bischöfe  anerkannt 
werden :  die  Lollarden  betrachteten  dasselbe  als  ein  Recht,  wel- 
ches jedem  Priester  zustehe.  Demnach  hat  der  Bericht,  dass 
Priester  der  Lollarden  in  dem  bischöflichen  Sprengel  von  Salis- 
bury  die  Priesterweihe  ertheilt  hätten,  nichts  an  sich  Unwahr- 
scheinliches *) . 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache ,  dass  solche  aus  Inquisi- 
tionsakten und  bischöflichen  Urkunden  entnommene  Mittheilun- 
gen grösstenteils  verneinender  Art  sind  und  das  Bestehende 
bekämpfen.  Und  diese  Dinge  für  sich  allein  wären  natürlich 
nicht  im  Stande  gewesen ,  einer  zahlreichen  Partei  den  gediege- 
nen inneren  Halt  und  die  nachhaltige  Begeisterung  zu  verleihen, 
die  wir  doch  laut  unzweifelhafter  Thatsachen  bei  ihr  voraussetzen 
müssen.  Um  so  werthvoller  ist  alles,  was  von  der  Partei  selbst 
ausgegangen  ist  und  was  einen  Blick  in  den  positiven  Gehalt 
ihrer  Ueberzeugungen  gestattet.  Dieser  Art  ist  die  vorhin- erör- 
terte Bittschrift  an  das  Parlament.  Eine  fernere  Urkunde ,  und 
die  reichhaltigste  unter  allen,  besteht  aus  den  Aufzeichnungen 
des  Lollarden  Walter  Brüte  (Britte) . 

Dieser  Mann,  aus  dem  Fürstenthum  Wales  gebürtig  und 
väterlicher  wie  mütterlicher  Seite  der  kymrischen  Nationalität 
angehörig,  hatte  in  Oxford  studirt  und  proniovirt,  aber  wie  es 
scheint,  niemals  eine  geistliche  Weihe  erhalten,  er  wird  stets  als 
»Laie«  bezeichnet.  Er  schloss  sich  an  Wilhelm  Swinderby  an. 
theilte  dessen  Arbeiten  als  Reiseprediger  in  seiner  Heimath  Wales 
und  in  der  benachbarten  Diöcese  des  Bischofs  von  Hereford.  Als 
Swinderby  in  Untersuchung  kam  und  der  Irrlehre  beschuldigt 
wurde .  vertheidigte  er  dessen  Grundsätze  so  entschieden .  dass 
man  auch  auf  ihn  aufmerksam  wurde.  Bei  dem  Bischof  von  He- 
reford gingen  von  mehreren  Seiten  zugleich  Anzeigen  und  An- 
klagen gegen  Walter  Brüte  ein.   In  Folge  dessen  wurde  er  ver- 


c  er  dos.  —  AVeiter  oben:  Quod  curatus  vel  alius  presbytcr  aliquo  crimiiw 
irretitus  non  potest  comecrare  vel  confessiones  audire  nec  aliqua  sacramenta 
c.cclesiastica  ministrare.  Eine  praktische  Consequenz  des  letzteren  Grund- 
satzes ist  endlich ,  quod  decimae  non  debent  solvi  rectoribus  vel  vicariis, 
quamdiu  sunt  in  mortali  peccato. 

1,  s.  oben  Band  II,  S.  14,  nach  Walsingham,  II,  188, 


Aufzeichnungen  von  Walter  Brüte. 


haftet  und  im  Jahr  1391  von  dem  Bischof  Johann  Gilbert, 
einem  gewesenen  Dominikaner,  mehrfach  vernommen.  Er  reichte 
dem  Bischof  mehrere  Erklärungen,  Bekenntnisse,  Verantwortun- 
gen ein.  die  er  eigenhändig  niedergeschrieben  hatte.  Diese  hat 
Johann  Foxe  in  dem  bischöflichen  Archive  zu  Hereford  ge- 
funden und  in  seinem  grossen  Werke  vollständig  veröffentlicht 1  . 

Diese  Aufzeichnungen  sind  zum  Theil  sehr  ausführlich  ge- 
halten .  und  zeichnen  sich  durch  Klarheit  und  reiche  Bibelkennt- 
niss  aus.  Viele  Gedanken  sind  ächt  wiclifitisch .  vor  allem  das 
Hochhalten  der  heiligen  Schrift  als  der  maassgebenden  Auktori- 
tät 2  :  ferner,  dass  Christus  allein  als  das  Haupt  der  Kirche  an- 
erkannt wird .  der  Papst  aber  nicht 3, .  In  der  Lehre  vom  Abend- 
mahl tritt  Brüte  in  Wiclif's  Fusstapfen:  er  will  dem  Begriff 
von  der  Wandlung  nicht  von  vorn  herein  und  schlechthin  entgegen- 
treten, ist  vielmehr  der  Meinung,  dass  Christus,  wenn  er  wollte, 
allerdings  machen  könnte ,  dass  das  Brod ,  während  es  Brod 
bliebe,  zugleich  in  Wahrheit  sein  Leib  wäre:  indessen  meint  er. 
die  Schrift  führe  uns  nicht  weiter,  als  dass  das  Brod  »sacranient- 
lich.  d.  h.  figürlich,  erinnerungsweise«  Christi  Leib  sei4).  Es 
ergibt  sich  indessen  deutlich,  dass  Brüte  in  der  Frage  von  der 
Gegenwart  des  Leibes  Christi  im  Abendmahl  entschieden  auf  die 
Seite  einer  blos  symbolischen  Gegenwart  tritt,  welche  bei  Wi- 


1  FOXE,  Acts  and  Monuments  ed.  Townsend,  III,  131  —  lsS.  In  den 
ersten  lateinischen  Ausgaben  seines  Buches  stand  die  Geschichte  von 
Walter  Brüte  noch  nicht;  erst  in  den  englischen  Ausgaben  seit  1570  fin- 
det sich  dieselbe,  in  der  Weise,  dass  die  Erklärungen  Brüte' s  auszugs- 
weise und  in  englischer  Uebersetzung  gegeben  sind. 

2  Sowohl  im  Eingang  als  am  Schluss  seiner  Verantwortung  Foxe. 
III,  13H.  186  erklärt  sich  der  Verf.  bereit,  jeder  Widerlegung  sich  zu  unter- 
werfen, falls  dieselbe  aus  der  h.  Schrift  entnommen  oder  mittels  einleuch- 
tender Gründe  aus  der  Schrift  abgeleitet  sei  [by  the  authority  of  the  sacred 
Scripture,  or  by  probable  reason  grounded  on  the  sacred  Scrijrture) . 

3)  A.  a.  O.  165:  The  he  ad  of  the  body  of  the  church  is  one,  which  is 
Christ. 

4)  A.  a.  0.  174  f.  »Wie  Christus  sagte  :  ich  bin  das  wahrhaftige  Brod,  ohne 
dass  er  sein  Wesen  in  die  Substanz  des  Brodes  verwandelte,  sondern  der- 
selbe Christus  blieb,  der  er  zuvor  war,  aber  doch  Brod  war  kraft  bildlicher 
Sprache:  so  konnte,  wenn  er  sagte:  dies  ist  mein  Leib,  das  Brod  bleiben 
was  es  zuvor  war,  und  sacramenia7Iy  or  memorialty  sein  Leib  sein.« 


32 


Buch  III.    Kap.  L  II. 


c  Ii f  ebenfalls  vertreten  war,  während  der  Satz:  »zugleich  wirk- 
liches Brod  und  wirklicher  Leib«  von  Brüte  fallen  gelassen  wird. 
Bemerkenswerth  ist  indessen  in  der  Abendniahlslehre  Walter 
Brute's,  dass  er  sich  auch  gegen  den  Begriff  des  Messopfers 
wendet .  und  diesen,  als  schriftwidrig,  klar  und  entschieden  zu- 
rückweist ^) ;  ein  Gedanke,  welchen  Wie lif,  meines  Wissens, 
niemals  ausgesprochen  hat ;  er  concentrirte  alle  seine  Kraft  der 
Kritik  auf  den  Begriff  von  der  Wandlung.  — Wenn  Walter  Brüte 
das  Institut  der  Seelenmessen  für  Geld,  aber  auch  alle  magischen 
Vorstellungen  vom  Segnen  und  Weihen  lebhaft  bekämpft2  :?  wenn 
er  die  römisch-katholische  Lehre  vom  Busssakrament  biblisch  be- 
richtigt, und  namentlich  betont ,  dass  Beichte  vor  einem  Priester 
unter  Umständen  nützlich  sein  könne .  aber  keineswegs  zum  Heil 
schlechthin  nothwendig  sei 3: :  wenn  er  ohne  Rückhalt  behauptet, 
der  Bann  von  Seiten  des  Papstes  oder  irgend  eines  Priesters,  der 
unter  ihm  steht,  könne  dem  davon  Betroffenen  wenig  schaden, 
falls  dieser  nicht  zuvor  von  Gott  gebannt  sei.  der  Sünde  halber 4  ; 
wenn  er  die  Predigt  des  Worts  für  die  nöthigste  und  unmittelbar 
von  Gott  gebotene  Arbeit  des  geistlichen  Amtes  erklärt  5  :  so 
sehen  wir  in  dem  allem  den  treuen  Schüler  Wie  lif  s.  Indessen 
fehlt  es  ihm  durchaus  nicht  an  Selbständigkeit  des  Geistes. 
Eine  Spur  davon  haben  wir  bereits  entdeckt.  Wer  die  Aufzeich- 
nungen im  Zusammenhang  aufmerksam  prüft,  wird  finden,  dass 
fleissige  Schriftforschung  und  einheitliches  Nachdenken  den  Ver- 
fasser auf  einen  eigentümlichen  Standpunkt  geführt  hat.  Dieser 
charakterisirt  sich  einerseits  durch  die  helle  Einsicht  in  das  We- 
sen des  Evangeliums,  gegenüber  dem  Gesetz,  sodann  in  einer 

1)  A.  a.  0.  1  TS  f.;  /  do  not  find  in  the  Scriptures  of  God,  —  that  the 
body  of  Christ  owjht  to  be  niade  a  sacrifice  for  sin.  —  —  Hit  apostJes 
did  Ute  the  sinne  —  for  a  sacranient ,  and  not  for  a  sacrifice  etc.  — 
That  which  was  ordained  for  a  memorial  of  the  one  and  onhj  sacri- 
fice, icas  altered  —  —  into  the  reality  of  the  sacrifice  itself. 

2)  A.  a.  O.  ISO  ff. 

8]  A.  a.  O.  107.  109  f. 

4)  A.  a.  0.  1S4. 

5)  A.  a.  O.  IM  :  Therefore,  as  it  sleneth,  priests  ought  not ,  at  the  com- 
mandment  of  man,  to  leuce  the  preachinf/  of  the  tcord  of  Gfod,  to  trhich  thexj 
are  bound  both  by  divine  and  apostoli<fal  preeepts. 


Die  Ansichten  Walter  Brute's. 


:>>:; 


gewissen  apokalyptischen  Richtung.  Was  das  Erste  anlangt,  so 
spricht  zwar  auch  Walter  ß rn te .  wie  jeder  Theolop:  in  seiner 
Zeit,  wie  auch  Wielif ,  von  dem  »Gesetz  Christi  ;  allein  das 
hindert  ihn  nicht,  zwischen  Gesetz  Mosis  und  Evangelium  scharf 
und  streng  zu  unterscheiden.  »Christus  hat  sein  Gesetz  in  die 
Herzen  der  .Seinigen  geschrieben,  denn  Christus  hat  dasjenige 
durch  Gnade  erfüllt,  was  das  Gesetz  durch  Gerechtigkeit  zu 
erfüllen  nicht  vermochte;  nicht  durch  Gesetzeswerke,  sondern 
durch  Gnade  rechtfertigt  er  seine  Gläubigen l) .«  Demgemass  be- 
zeugt er,  auf  Grund  der  paulinisehen  Aussprüche,  die  Recht- 
fertigung durch  den  Glauben  in  einer  Weise,  wie  Wiclif 
selbst  dies  niemals  gethan  hat ,  während  wir  die  freudige  Er- 
kenntniss  evangelischer  Freiheit,  wie  sie  der  Schüler  besitzt, 
doch  auch  bei  dem  Meister  gefunden  haben.  Sodann  prägt  sich 
die  apokalyptische  Richtung  des  Mannes  darin  aus ,  dass 
er  den  Satz  :  »der  Papst  ist  der  Widerchrist«,  in  einer  Weise  aus- 
führt und  begründet,  welche  ganz  auf  der  Apokalypse  des  Johan- 
nes ,  in  Verbindung  mit  Visionen  eines  Daniel  und  anderer  Pro- 
pheten des  A.  T.  beruht.  Zwar  den  Gedanken,  dass  der  Papst 
ein  Widerchrist  sei.  hat  Wiclif  selbst,  allerdings  erst  in  den 
letzten  4  Jahren  seines  Lebens  gefasst;  das  ist  bei  Brüte  kei- 
neswegs etwas  Neues,  mm  Eigentümliches.  Auch  apokalyp- 
tische Farben  hat  schon  Wiclif  vielfach  in  Anwendung  ge- 
bracht. Dessen  ungeachtet  ist  Walter  Brüte  in  diesem  Stücke 
eigentümlich.  In  dem  ersten  kürzeren  Schriftstück,  zu  wel- 
chem das  nachfolgende  eine  begründende  und  vertheidigende 
Darlegung  darstellt,  stellt  Brüte  den  Grundsatz,  der  Papst  sei 
der  Widerchrist,  nicht  kategorisch  auf,  sondern  nur  hypothetisch  : 
Wenn  der  römische  Bischof  viele  Gesetze  gibt  und  handhabt, 
welche  dem  Evangelium  Christi  zuwiderlaufen,  dann  ist  er  einer 


1)  A.  a.  O.  147  :  The  law  of  Christ  ist  charity.  —  149:  The  law  is 
yiven  by  Moses,  and  the  fruth  by  Christ.  150:  Christ  did  not,  by  the 
works  of  the  lau-,  justify  the  be  tecers  in  htm,  but  by  yrjxce  justi- 
fied  them  from  tJwir  suis.  And  so  did  Christ  fulfil  that  by  yrace,  which 
the  law  cou  d  not  by  justice.  173:  By  thefaith  which  we  haue  in  Christ, 
beliecing  htm  to  be  the  true  son  of  f'od  who  came  down  from  heaven  to 
redeem  us  from  sin,  we  are  justified  from  sin. 

Lechler,  Wiclif.  II.  3 


34 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


von  denen .  welche  in  Christi  Namen  gekommen  sind  und  gesagt 
haben :  ich  bin  Christus ;  dann  ist  er  der  Greuel  der  Verwüstung  im 
Tempel  Gottes.  Wenn  die  Stadt  Rom  seine  Traditionen  anerkennt, 
aber  Christi  Lehre  und  Gebote  nicht  gelten  lässt,  dann  ist  sie  »die 
grosse  Babylon«,  deren  Zerstörung  geweissagt  ist  und  bevor- 
steht l) .  Hingegen  in  der  ausführlichen  Denkschrift  geht  der 
Verfasser  kühner  zu  Werke,  und  spricht  geradezu  aus.  die  Päpste 
sprechen ,  sie  seien  Christi  beste  Freunde ;  sie  stellen  aber  Ge- 
setze auf,  welche  dem  Evangelium  Christi  zuwider  sind;  dann 
sind  sie  die  vornehmsten  Widerchristen.  Denn  Christi  Gesetz  ist 
Liebe.  Aber  der  Bischof  zu  Rom  billigt  und  erlaubt  Kriege  und 
Menschenmetzelei  in  Kriegen ,  sowohl  gegen  unsere  Feinde .  die 
Ungläubigen,  als  auch  gegen  Christen,  um  zeitlicher  Güter  willen. 
Diese  Dinge  sind  der  Lehre  Christi,  der  Liebe  und  dem  Frieden, 
vollständig  zuwider 2) .  Christus  hat  uns  durch  Erbarmung  von 
Sünden  gereinigt,  wovon  wir  durch  die  Gerechtigkeit  des  Ge- 
setzes nicht  rein  werden  konnten:  und  die  er  durch  Erbarmen 
gereinigt  hat,  sind  verpflichtet  gleichfalls  barmherzig  zu  sein. 
Allein  der  Bischof  von  Rom  gibt,  im  Widerspruch  zu  dieser  Lehre 
vom  Erbarmen,  Gesetze,  welche  die  Uebertreter  bis  zum  Tode 
strafen.  Man  beruft  sich  dafür  auf  das  alte  Testament.  Ich  muss 
mich  höchlich  darüber  wundern,  dass  so  weise  Männer,  ab 
Gesetzgeber,  zur  Begründung  immer  nach  dem  Schatten  des 
Gesetzes  blicken  und  nicht  nach  dem  Licht  des  Evangeliums 
Christi3;.  Hier  geht  Walter  Brüte  zu  einer  für  jene  Zeit  höchst 
merkwürdigen  Erörterung,  die  Todesstrafe  anbelangend,  über. 
Er  zieht  aus  der  Parabel  vom  Weizen  und  Unkraut  die  Folge- 
rung, Christus  wolle,  dass  man  den  Sündern  Erbarmen  erweise 
bis  zu  der  Welt  Ende:  wenn  einer  ein  noch  so  grosser  Sünder 
sei,  so  wissen  wir  doch  nicht,  ob  er  nicht  am  Ende  Erbarmen 
bei  Gott  finden  werde.  »Und  wenn  Gott  einen  Menschen  aus 
Gnade  rechtfertigt ,  sei's  auch  erst  au  seinem  Ende,  wie  kannst 
du  dir  herausnehmen  ihn  zu  richten  und  zu  verdammen  1  ?  Bei 

1)  Johann  Foxe,  III,  138  ff.,  vgl.  147. 

2)  a.  a.  O.  168. 

3)  a.  a.  ().  1S9  ff. 

4)  a.  a.  0.  162. 


Der  Gedankenkreis  der  Lollarden. 


35 


Besprechung  der  Schlüsselgewalt  des  Papstes  kommt  er  auf  den 
Punkt  von  der  Lieblosigkeit  und  Erbarmungslosigkeit  desselben 
zurück.  »Stünde  er  in  der  Liebe  und  hätte  solche  Gewalt  wie  er 
sie  sich  anmasst,  so  würde  er  Niemand  der  Sünden  wegen  im 
Fegefeuer  liegen  lassen  J) .«  Dass  aber  der  Papst  der  Widerchrist 
und  Rom  das  Thier  der  Apokalypse  sei,  malt  der  Mann  mit 
lauter  Zügen  aus  den  Propheten  des  A.  Bundes  und  mit  Farben 
aus  der  Apokalypse  des  N.  Bundes  aus.  Es  geht  ein  düsterer 
Zug  schwermüthiger  Stimmung  durch  das  Ganze  hindurch.  Viel* 
leicht  hängt  das  mit  der  Nationalität  des  Verfassers  zusammen. 
Fühlt  er  sich  doch  als  ein  ganzer  Kymre.  Er  hebt  mit  einem 
gewissen  Stolz  hervor ,  dass  die  alten  Britten  sowohl  an  Körper- 
kraft als  an  Glaubensstärke  die  mächtigsten  unter  allen  Heiden 
gewesen  seien.  Er  legt  einen  grossen  Werth  darauf,  dass  das 
Evangelium  direkt  von  Osten  aus  nach  Britannien  gekommen  sei. 
nicht  über  Rom  und  Italien ,  und  dass  die  Britten  kraft  einer  be- 
sonderen Gnadenwahl  Gottes  bekehrt  worden  seien -u.  s.  w.2). 

Zur  Erkenntniss  der  Gedanken  und  Stimmungen,  welche  in- 
mitten der  Lollarden  walteten,  dient  auch  eine  Dichtung,  welche 
ganz  das  Gepräge  der  Lollarden  an  sich  trägt.  Dieselbe  ist 
sicher  um  diese  Zeit  verfasst,  und  führt  in  den  Drucken  aus  dem 
XVI.  Jahrhundert  den  Titel :  »Des  Ackermanns  Erzählung« 
( The  FlowmarCs  Tale) .  Das  Gedicht  wurde  nämlich  geraume  Zeit 
als  ein  Werk  Gottfried  Chaucer's  betrachtet  und  als  integriren- 
der  Theil  der  Canterhury  Tales  mit  seinen  Dichtungen  abgedruckt. 
Ausgemacht  ist  jedoch,  dass  die  »Erzählung  des  Ackermanns«  in 
keinem  Fall  Chaucer  angehört.  Denn  dieser  Zeitgenosse  Wi- 
clif '  s,  und  nächst  ihm  hochverdient  um  die  Ausbildung  und  Berei- 
cherung der  englischen  Sprache  (geb.  um  1330,  f  1400),  hat  zwar 
den  französischen  Roman  de  laRose'^  übersetzt,  und  in  seinen  eige- 
nen Canterhury  tales,  welche  dem  Decamero?ie  Boccaccio 's  nachge- 


1)  a.  a.  0.  171. 

2  a.  a.  O.  136  beschreibt  er  im  Eingang  seines  Bekenntnisses  sich 
selbst  als  a  Christian  of  the  Britons,  having  my  Offspring  of  the  Brilons, 
both  by  my  father's  and  mother's  siele,  vgl.  144.  142.  ff. 

3)  Vgl.  oben  I.  Band.  Buch  I.  Kap.  1.  VII. 

3* 


36 


Buch  III.    Kap.  t.  II. 


bildet  sind,  auch  die  kirchlichen  Schäden  gegeisselt.  Allein  daraus 
lässt  sich  noch  keineswegs  folgern ,  dass  er  ein  Geistesverwandter 
und  Anhänger  Wiclif's  gewesen  sei,  wie  dies  Lewis  angenom- 
men hat1).  Denn  es  ist  ein  himmelweiter  Unterschied  zwischen  der 
weltlichen  Bildung,  dem  lustigen  Humor,  dem  leichtfertigen,  oft  fri- 
volen und  frechen  Ton  des  Dichters,  und  dem  zarten  Gefühl,  dem 
sittlichen  Ernst  und  der  christlichen  Frömmigkeit  Wiclif  s  und 
seiner  Geistesgenossen.  Dagegen  ist  »des  Ackermanns  Erzählung« 
ohne  Zweifel  eine  Nachbildung  der  ungefähr  40  Jahre  älteren  Dich- 
tung »Gesichte  Peters  des  Ackermanns«2].  Die  »Gesichte 
des  Ackermanns«  waren  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIV.  Jahrhun- 
derts so  beliebt,  dass  von  Zeit  zu  Zeit  populäre  Dichtungen,  welche 
auf  Hebung  der  Schäden  des  kirchlichen  Wesens  und  auf  Reform 
hinarbeiteten,  unter  ähnlichem  Titel  erschienen.  So  Piene  tke 
Plowman's  Creed,  »des  Ackermanns  Glaube« 3) ;  der  Vorwurf  ist. 
dass  ein  Wahrheit  suchender  Mann  bei  den  vier  Bettelorden  der 
Reihe  nach  berumkommt,  aber  sich  durch  die  eigene  Anschauung 
der  Ueppigkeit  in  ihren  Klöstern  und  der  Sittenlosigkcit  ihres 
Wandels  für  immer  abgestossen  fühlt :  endlich  trifft  er  mit  einem 
Ackersmann  plovman  zusammen ,  der  ihn  in  die  evangelische 
Wahrheit  einführt.  Zu  diesen  Nachahmungen  der  »Gesichte  des 

1)  s.  Band  I.  Buch  I.  Kap.  2.  VI.  Die  »Erzählung  des  Ackermanns« 
erregte  im  XVI.  Jahrhundert  viel  Interesse  und  wurde  in  den  ältesten  Aus- 
gaben von  Chaucer's  Dichtungen  stets  mit  abgedruckt.  Diese  Ausgaben 
sind,  in  Ermanglung  von  Handschriften,  die  einzigen,  freilich  in  sprachlicher 
Beziehung  ungenügenden  Quellen  für  den  Text.  Thomas  Wrigiit  hat  in 
seinen  Political  Poems  and  sot/f/s ,  relaHny  to  EntjUsh  llistorij,  W>U,  1,  ;>0l 
bis  346  die  Dichtung  wieder  gegeben. 

2)  Erstmals  London  1533  gedruckt;  von  Th  mas  Wright,  Lond.  Is-">(i 
herausgegeben,  Bemerkenswerth  ist,  dass  wir  Vs.  305  eine  Anspielung  auf 
Walter  Brüte  und  die  gegen  ihn  ergriffenen  Maassregeln  antreffen  : 

Byhoidt  uvqn  Walte?  Brut, 

whom  bisitiche  the  pwitteaen, 

for  he  seid  //c/)i  the  sollte. 
Da  die  bischöfliche  Inquisition  nicht  früher  als  1391  mit  Brüte  zu  thun 
hatte,  so  dient  diese  Stelle  als  ein  Anhalt  zur  Bestimmung  der  Ab  assungs- 
zeit;  diese  kann  nicht  truher  als  1392  oder  1393  angesetzt  werden;  Wohl 
aber  einige  Jahre  später. 

3  Lund.  1  ~>.">;t  gedruckt.  Proben  daraus  bei  Lewis,  llisl.  >>/  Wie  //', 
S.  344  f.    Beste  Ausgabe  von  Pickering,  Lv.nd.  Iböti. 


„Des  Ackermanns  Erzählung." 


g7 


Ackermanns«  gehört  nun  auch  The  Pfowman's  Tale  von  einem 
unbekannten  Verfasser  1  . 

Die  »Erzählung*  des  Ackermanns«  oder  (wie  Wright  will)  »des 
Ackermanns  Klage«  zerfällt  in  drei  Tbeile  und  stellt  den  Gegensatz 
zwischen  den  Kömisch-Gesinnten  und  den  Lollarden  in  Form  einer 
Thierlabel  dar:  der  Verfasser  sagt  selbst  in  der  Schlussstrophe: 
»doch  als  eine  Fabel  mögt  ihr's  nehmen« 2) .  Denn  das  Ganze  ist  ein- 
gekleidet in  ein  Gespräch  zwischen  einem  Pelikan  und  einem  Greif, 
(bis  der  Erzähler  in  einem  Gehölze  zu  hören  Gelegenheit  gehabt 
hat.  Der  Eingang  spricht  ohne  Allegorie  einfach  aus.  es  sei  ein 
Streit  im  (Tange,  einerseits  zwischen  Päpsten.  Cardinälen.  Prä- 
laten. Pfarrern  und  Mönchen,  besitzenden  und  Bettelmönchen, 
welche  Petri  Nachfolger  sind  und  Thürhüter  des  Himmels  und  der 
Hölle,  und  andererseits  gewissen  armen  blassen  geringgeschätzten 
Leuten,  die  man  nur  »Loller  und  landlos«  nenne 3  .  Um  zu  er- 
fahren, welcher  Theil  »der  falschere«  sei,  habe  er  der  Ackers- 
mann viele  Länder  durchreis  t,  aber  umsonst:  endlich  sei  er  in 
einen  Wald  gekommen .  wo  er  zwei  Vögel  gesehen  und  ihrem 
Gespräch  zugehört  habe:  der  eine  war  ein  mächtiger  Greif,  der 
andere  ein  demüthiger  Pelikan :  jener  führte  die  Sache  des  Papstes. 


1  Der  Verfasser  legt  dem  Ackersmann  die  Worte  in  den  Mund : 

Of  f  r  eres  1  have  told  before 

in  a  rriüking  of  a  crede. 
Dies  bezieht  sich  unstreitig  auf  die  so  eben  erwähnte  satirische  Dichtung, 
denn  diese  hat  nicht  blos  den  Titel  »Glaube,  Glaubensbekenntnisse  [Credo, 
engl.  Creed,  sondern  handelt  auch  in  der  Hauptsache  nur  von  den  Bettel- 
mönchen. Somit  liegt  darin  ein  Selbstzeugniss  über  die  Identität  des  Ver- 
fassers beider  Dichtungen.  Und  da  der  »Glaube«  bereits  geschrieben  und 
im  Umlaut  war.  so  bestimmt  sich  hiemit  auch  die  Abfassungszeit  der  PIow- 
man's  Tale:  sie  kann  nicht  vor  dem  Jahr  1394  erschienen  sein.  Anderer- 
seits steht  fest,  dass  die  Dichtung  nicht  später  als  1399  entstanden  sein 
kann ,  weil  sonst  die  blutigen  Hinrichtungen  von  Lollarden  des  übrigen 
Inhalts  und  Zusammenhangs  wegen  unmöglich  mit  Stillschweigen  übergan- 
gen sein  könnten.  Thomas  "Wright  hat  dem  Ganzen  eine  sachlich  bezeich- 
nendere Titel-Ueberschrift  geben  wollen,  in  dem  Titel:  The  Complaint  of 
the  P  oughman. 

2  But  as  a  fable  take  it  ye  moice,  p.  346,  in  Wright' s  Pol.  Poems 
and  Songs,  Vol.  I. 

3)  a.  a.  O.  p.  305  lollers  and  londlese  (Lollards  —  Landless). 


38 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


dieser  sprach  für  die  Lollarden.  Die  Figur  des  Pelikans  ist  ge- 
wählt (das  erfahren  wir  am  Schlüsse) ,  weil  er  seine  Jungen  mit 
dem  eigenen  Blute  nährt,  wie  Christus  für  die  Seinen  am  Kreuze 
starb,  während  der  Greif  ein  stolzer  mächtiger  Räuber,  ein  Feind 
unter  der  Miene  eines  Freundes  ist l) .  Der  Pelikan  »predigt«  von 
Barmherzigkeit  und  Demuth.  Wie  Christus  der  Demüthigste  ge- 
wesen und  die  Demüthigen  und  Barmherzigen  gesegnet  hat,  so 
sollen  auch  Priester,  die  Nachfolger  Petri,  demüthig  sein,  nicht 
irdische  Ehren  und  Kronen,  nicht  stolze  Mäntel  noch  grosse  Geld- 
kassen haben;  sie  aber  sitzen  hoch  zu  Ross  im  Prachtgewand, 
glitzernd  im  Goldschmuck,  trotz  einem  Ritter;  sie  wollen  dem 
Könige  gleich  stehen  (als  Pairs  des  Reichs,  kingspeeres),  sie  wollen 
höher  als  der  Kaiser  sein,  sie  drücken  die  Armen,  füllen  sich 
selbst  mit  Wein  und  Bier ,  während  sie  das  Volk  abspeisen  mit 
einer  ärmlichen  Geschichte,  oder  von  Zehnten  und  Opfern  spre- 
chen, anstatt  das  Evangelium  recht  zu  predigen2).  Sie  verkaufen 

1)  Der  Dichter  verwendet  das  heidnische  Fabelthier,  den  Pelekan  oder 
Pelikan,  in  einem  Sinne ,  wie  er  mindestens  seit  dem  VI.  Jahrhundert  in 
der  Kirche  als  Sinnbild  des  Opfertodes  Christi  gebräuchlich  geworden  ist ; 
s.  Merz,  Sinnbilder,  in  Herzog's  Thecl.  Real-Encyklopädie,  XIV,  417  +>. 
In  der  mittelalterlichen  Poesie  finden  wir  den  Pelikan  als  stehendes  Sinn- 
bild; z.  B.  in  einem  Abendmahlsliede,  welches  dem  Thomas  von  Aquino 
beigelegt  wird,  Adoro  te  devote,  lautet  die  vorletzte  Strophe  : 

Pie  pellicane ,  Jesu  domine, 

me  immundum  mundo,  tuo  sanguine} 

cujus  una  stilla  salvum  facere 

totum  mundum  quit  ab  omni  scelere. 
s.  Daniel,  Thesaurus  hynuioloyicus  I,  lSt>2,  248  f.    Auch  die  mittelhoch- 
deutsche Poesie  bietet  Beispiele  genug  dar,  z.  B. 

Ein  vogel  heizet  pellikanus, 

der  ziuhet  sine  jungen  sus : 

sin  herzbluot  er  in  git 

ezzen  unz  er  tot  gelit. 

Der  selbe  vogel  gelichtet  ist 

üf  den  gnanligen  Krist, 

der  ouch  den  bittern  tot  leit 

durch  siniu  kint,  die  kristenheit. 
Vridankes  bescheidenheit,  herausgegeben  von  W.  Grimm,  14"). 
2;  And  telleth  the  people  a  Ivaud  täte,  Wright,  .'i<>7 ,  vgl.  318:- 

and  preachen  of  tithes  and  offrend, 

and  untruly  of  the  yospel  ta/ke. 


»Des  Ackermanns  Erzählung.« 


39 


Himmel  und  Hölle  um  Geld,  und  verfluchen  den,  welcher  die 
Wahrheit  über  sie  sagt;  darum  sind  sie  offenbar  Antichrisfs 
Diener,  obgleich  man  sie  Christi  Diener  nennt *) .  Der  Dichter  rügt 
die  Entartung  des  Klerus,  die  Verkehrtheiten  der  Geistlichen  in 
allen  Abstufungen  der  Hierarchie,  vom  Papst  an,  welcher  »ver- 
ehrt sein  will  in  Wort  und  That,  dass  Könige  vor  ihm  knien  und 
ihm  den  Fuss  küssen  müssen«;  ihn  nennt  man  sanctissimus1  wäh- 
rend sie  Christum  nur  sanctus  Deus  nennen 2  .  Die  B  i  s  c  h  ö  f e 
werden  vom  Papst  »um  irdischen  Dankes  willen,  nicht  Christi 
wegen«  ernannt;  sie  werden  geschildert  als  Männer,  welche  fett 
und  stark  sind,  aber  nicht  einmal  ihr  Credo  sagen  und  das  Evan- 
gelium lesen  können:  sie  gehen  nicht  durch  die  Thüre  in  den 
Schafstall  ein:  sie  arbeiten  nicht,  um  ihren  Schafen  zu  helfen, 
werfen  wohl  weite  Netze  aus,  aber  nicht  um  damit  Seelen  zu 
fangen,  sondern  Silber  und  Gold3;.  Sodann  kommen  die  Welt - 
geistlichen  und  die  Mönche  an  die  Reihe.  Ueber  jene  wird  ge- 
klagt :  » Sie  plappern  ihre  Frühmessen  her  wie  eine  Elster,  und 
verstehen  nichts  davon ;  sie  gehen  auf  die  Jagd  mit  Hunden  und 
unter  Jagdgeschrei ;  die  Heiligenbilder  in  Kirchen  müssen  ihnen 
zum  Erwerbe  dienen:  sie  machen  ihre  Taschen  weit,  aber  das 
heilige  Evangelium  verstecken  sie4  .«  Der  Mönche  (von  den 
tiesitzenden  Orden)  Leben  ist  nicht  gottselig,  wie  St.  Benedict  es 
gewollt,  sie  führen  ein  Leben  wie  die  Herren,  ihre  Väter  müssen 
Hunger  leiden,  dürsten  und  frieren  und  hart  arbeiten  um's  Brod: 
sie  selbst  haben  verlassen  und  verleugnet  um  Christi  willen  und 


1)  Christes  ministres  clepen  [called)  they  beene, — 

hut  Antichrist  they  serven  clene.  Wright  309. 

2)  a.  a.  O.  310. 

3}  They  laieth  out  her  large  nettes, 

for  to  take  süver  and  gold; 
fillen  coffers  and  sackes  fettes, 

there  as  they  soules  catch  shold. 

S.  317. 

4;  a.  a.  O.  325  ff.  : 

New  been  jmstes  pockes  so  teide, 

that  men  mmt  enlarge  the  vestiment, 
the  holy  gospell  they  doen  hide.  332. 


40 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


des  heil.  Benedicts  wegen .  nun  haben  sie's  bequem  und  flott 1  . 
Und  zu  alle  dem  kommt  die  schlimmste  Heuchelei : 

Sie  üben  keine  Simonie. 

aber  verkaufen  Kirchen  und  Priorate,  — 

sie  weihen  in  jeder  Grafschaft, 

aber  die  Priester  bezahlen  das  Pergament ;  — 

sie  üben  keine  Gehässigkeit, 

aber  verfluchen  alle,  die  ihnen  zuwider  sind; 

einige  leben  nicht  in  Wollust, 

aber  sie  laufen  Dirnen,  AYitttven  und  Frauen  nach!2 

Allen  diesen  Rügen  und  satirischen  Schilderungen  liegt  aber 

eine  sehr  positive,  auf  Gottes  Wort  fussende  Ueberzeugung  und 

bewusstes  Streben  nach  einem  klaren  Ziele  zu  Grunde.  Der  Greif 

erwiedert  einmal :  »Soll  denn  die  heilige  Kirche  kein  Haupt  haben  ? 

Wer  soll  sie  regieren,  wer  sie  schützen?  Und  wenn  der  Papst  ganz 

arm  wäre,  bedürftig  und  ohne  Hab  und  Gut,  dann  würde  man  ihn 

treiben  von  Thür  zu  Thür,  die  Gottlosen  würden  sich  vor  ihm 

nicht  fürchten,  eines  solchen  Hauptes  würden  die  Menschen  bald 

satt  sein,  und  in  Sünden  leben,  wie  sie's  gelüstete«:  da  ruft  der 

Pelikan  laut  aus : 

Ach!  warum  sagst  du  so? 
Christus  ist  unser  Haupt,  der  hoch  thront, 
andere  Häupter  sollten  wir  nicht  haben,  — 
alle  andern  Meister  sind  schlimm  und  falsch!13) 

Alles  wird  stets  mit  dem  Maasse  des  Evangeliums,  der  Gebote 
und  Einsetzungen  Christi  gemessen;  die  geistlich  Armen  und  die 
Demüthigen  preiset  Christus  selig:  Arme  hat  Christus  ausgesaudt 
zu  predigen,  die  königliehen  Reichen  nicht:  jetzt  darf  kein  Armer 
die  Leute  lehren,  denn  der  Widerchrist  ist  ihnen  feind4  .  Ferner 
Jesus  hat  dem  Petrus  befohlen  seine  Schafe  zu  weiden;  das 
Schwert  hat  er  ihm  untersagt,  denn  das  ist  kein  Werkzeug  /.um 
Weiden.  Jetzt  aber  folgen  sie  dem  Petrus  in  dem  nach,  was  ihm 


l   a.  a.  ().  33fr. 

2)  a.  a.  ().  311  f. 

.'{)  Christ  is  nur  heud,  that  sittctli  oti  lue  [high), 

Iwads  nc  oufflit  tre  httvc  i/o  mo  — 
all  (tfher  maslers  htm  irickcd  and  f als.  337, 

4]  a.  a.  O.  330. 


Wiclif  sehe  Züge  in  »des  Ackermanns  Erzählung.« 


II 


verboten  war  und  worin  er  gefehlt  hat,  sie  greifen  zum  Schwert : 
ja  sie  folgen  der  Regel  des  Judas,  der  den  Beutel  getragen  und 
gestohlen  hat1). 

Dass  Gottes  Wort  dem  Gebot  des  Papstes  nachgesetzt,  dass 
das  heilige  Evangelium  verheimlicht  werde,  ist  die  sich  stets 
wiederholende  bitterste  Klage : 

Auf  des  Papstes  Geheiss  achten  sie  mehr, 
als  darauf,  Christi  Gebot  zu  halten.  — 
Gottes  Gesetz  verachten  sie,  — 
und  Gottes  Wort  drehen  und  verstecken  sie  -  . 

Nächst  dieser  acht  Wiclif  sehen  Erhebung  des  Wortes 
Gottes  über  alles  Menschengebot,  sei  es  auch  päpstliches  Geheiss, 
nächst  der  Forderung  apostolischer  Armuth  und  Demuth  (wir 
erinnern  an  die  ethische  Grundidee  Wiclif 's.  die  Demuth. 
mecJaicss  .  fallen  uns  die  unterscheidenden  Züge  wiclifitischer 
Lehre  in  die  Augen,  namentlich  in  der  Ansicht  vom  heil.  Abend- 
mahl3), und  in  dem  Protest  gegen  Bilderverehrung  und  Wall- 
fahrten, wogegen  thätige  erbarmende  Liebe  gegen  arme  Christen 
empfohlen  wird,  anstatt  der  Opfer  vor  Bildern,  die  nur  Stock  und 
Stein  sind.  Besondere  Erwähnung  verdient  endlich  ein  Zug 
patriotischer  Gesinnung,  welcher  sich  in  dem  Unmuth  darüber 
zeigt,  dass  in  England  die  Hierarchie  derzeit  mehr  vermöge,  als 
der  König  und  alle  seine  Gesetze  :  das  sei  in  früheren  Tagen  nicht 


1)  a.  a.  O.  321  f. 

2)  To  pop  es  liest es  such  iaketh  more  hede  (heed) 
theuv  to  keep  Ch r  ist's  eo m  m  a u n d e m ent  (309) .  — 
These  new  points  ben  papall , 

and  all  GocVs  lawe  they  dispise  '314).  — 

The  holy  gospell  they  doen  lüde  (332  .  — 

They  serce  God  in  false  habite, 

and  tournen  mckenesse  into  pride,  — 

and  Goddes  Wördes  tourne  and  lüde  (340). 

3)  On  our  Lords  body  I  doe  not  lie,  — 

his  flesh  and  blood  tkrough  Iiis  misterie  [mystery 

is  thei%e  in  the  forme  ofbrede  (bread). 

Hoic  it  is  there,  it  netidestih  not  strive, 

ivhether  it  be  subget  or  accident; 

but  as  Christ  was,  when  he  was  on  live, 

so  is  he  there  v  er  am  ent  (341).  ' 


42 


Buch  III.    Kap.  1.  II. 


so  gewesen l) .  Hieher  gehört  ferner  die  Klage,  dass  die  Bischöfe 
und  Klöster  grösseren  Grundbesitz  und  mehr  Herrschaften  inne 
haben,  als  die  Lords  des  Reichs  2) .  Daher  der  Aufruf  an  König, 
Lords  und  Parlament,  einzuschreiten  und  das  Volk  aus  seiner 
Knechtschaft  zu  erlösen,  welche  härter  sei,  als  der  König  wisse 3) . 
Eine  Aufforderung,  welche  lebhaft  an  die  Petition  der  Lollarden 
vom  Jahr  1395  erinnert. 

Gegen  den  Schluss,  da  der  Greif  in  grimmigem  Zorn  weg- 
fliegt, weint  der  Pelikan,  und  sagt  zu  sich  selbst:  »Wollte  Gott, 
dass  eines  von  Christi  Schaf  lein  zugehört  und  auf  jedes  Wort  ge- 
achtet hätte,  das  hier  gesprochen  worden,  und  es  niederschriebe 
und  wohl  behielte !«  Da  antwortet  der  Ackersmann,  er  wolle  das 
thun !  Inzwischen  kommt  der  Greif  zurück,  mit  einem  Flug  Raben. 
Krähen,  Geier,  Käuzchen  und  dergleichen  Gevögel.  Und  nun 
muss  der  Pelikan  fliehen.  Aber  zuletzt  kommt  auch  er  wieder,  in 
Begleitung  des  starken  Phönix,  schlägt  den  Greifen  und  alle  seine 
Vögel  in  die  Flucht,  verfolgt  sie  und  schmettert  sie  zu  Boden  ohne 
Erbarmen 4) . 

Indessen  klingen  die  letzten  Strophen  des  Dichters  höchst 
vorsichtig,  ja  ängstlich  und  bange :  er  bittet,  falls  etwas  an  seiner 
Dichtung  misfallen  sollte,  den  Pelikan  zu  tadeln,  und  nicht  ihn 
selbst;  schliesslich  beugt  er  sich  vor  der  »heiligen  Kirche«5). 


1)  These  han  more  might  in  England  here, 
than  hath  the  kiny  and  all  his  lawe;  — 
it  was  not  so  by  eider  dawe  (323). 

2)  p.  324. 

3)  Der  zweite  Theil  der  Dichtung  schliesst  mit  dem  Wunsche :  the  king 
and  /ordes  now  this  aniende!   Und  kurz  vorher  ist  gesagt,  p.  324  : 

Wbnder  is,  that  the  parliament 
and  all  the  lords  of  this  lond 
hereto  taken  so  little  entent, 
to  heljte  the  ])eople  out  of  her  hond. 
For  they  hen  hardes  i)i  their  hond, 
worse  heat  and  bitter  brend, 
than  to  the  kiny  is  understoud. 
Ood  htm  helpe  this  to  amend! 

4)  p.  343  ff. 

5)  p.  345  f.  Ueber  die  Form  der  Dichtung  hier  nur  so  viel:  es  sind 
;tchtzeilige  Strophen;  je  die  letzte  Zeile  bildet  einen  Kefrain,  welcher  je  in 


Bischöfliches  Einschreiten  gegen  die  Lollarden. 


13 


III. 

Der  Verfasser  dieser  merkwürdigen,  von  evangelischem  Frei- 
muth  zeugenden  Dichtung  musste  wohl  wissen,  warum  er  am 
Ende  den  Schritt  so  zurückzog.  Wir  haben  eben  diese  Lage  noch 
eigens  in's  Auge  zu  fassen,  nämlich  die  Stellung,  welche  die 
Hierarchie,  die  Staatsregierung  und  die  öffentliche  Meinung,  den 
Lollarden  gegenüber,  einnahm. 

Der  Chronist  von  St.  Albans  klagt  einmal,  dass  die  Bischöfe, 
ungeachtet  sie  von  den  Umtrieben  der  »Ketzer«  wissen  (denn  sie 
sehen  und  hören  dieselben),  dennoch  nichts  thun,  sondern  hin- 
gehen, der  eine  auf  sein  Landgut,  der  andere  zu  seiner  Han- 
tierung nach  Matth.  22,  5) ;  nur  der  Bischof  von  Norwich  allein 
Heinrich  Spencer,  der  Führer  des  Kreuzzugs  von  1383)  habe 
den  Lollarden  bei  Lebensstrafe  verboten,  in  seinem  Sprengel  zu 
predigen  l) .  Indessen  liegen  doch  verschiedene  Belege  bischöf- 
lichen Einschreitens  in  einer  Reihe  amtlicher  Urkunden  vor.  Der 
Bischof  von  Worcester  (Wigornia),  Heinrich  von  Wakefield, 
erliess  1389  ein  Mandat,  worin  er  sowohl  den  Klöstern  als  der 
gesammten  Pfarrgeistlichkeit  seines  Sprengeis  nachdrücklich 
untersagte,  irgend  einen  Lollarden  in  der  Kirche,  auf  dem  Kirch- 
hof, oder  auch  an  einem  ungeweihten  Orte  der  Parochie  predigen 
zu  lassen ;  der  Bischof  berief  sich  hiebei  auf  das  Verfahren  des 
Erzbischofs  gegen  Wiclif  im  Jahr  1 381 2) .  Der  Erzbischof  selbst, 
Wilhelm  Courtnay ,  fuhr  nach  Wiclif 's  Tode  fort  wie  vor  dem- 
selben gegen  die  Anhänger  Wiclif 's  einzuschreiten.  Bei  seiner 
oberhirtlichen  Kirchenvisitation  im  Bisthum  Lincoln,  ebenfalls  im 
Jahre  1389,  brachte  er  in  Erfahrung,  dass  mehrere  Einwohner 


einem  Theil  sich  meist  gleich  bleibt.  Im  übrigen  ist  die  Bemerkung  des 
Herausgebers  der  Vision  of  Pierce  Ploughman,  2.  Ausg.  1S50,  Picke  ring, 
Introduction ,  p.  XXVI  sq. ,  dass  Plowman's  Tale  gereimt ,  und  nicht  mit 
Stabreim  versehen  sei,  nur  halb  wahr;  gereimt  ist  die  Dichtung  durchweg, 
aber  auch  der  Stabreim  ist  derselben  keineswegs  fremd .  nur  ist  derselbe 
nicht  regelmässig  durchgeführt;  am  meisten  findet  er  sich  im  I.  Theil,  die 
Kraft  dazu  scheint  dem  Dichter  allmählich  erlahmt  zu  sein. 

1)  Walsingham,  Hist.  anglicana,  ed.  Kiley,  II.  188  f.  zum  Jahr  1389. 

2)  Wilkins,  Concilia  31.  Brit.  III,  202  f. 


44 


Buch  III.    Kap.  i.  III. 


der  Stadt  Leicester  Wiclifiten  seien.  Er  Hess  dieselben  vorladen ; 
als  sie  aber  sieh  zu  verbergen  wussten.  that  er  sie  feierliehst  in 
den  Bann :  ja  er  belegte  die  ganze  Stadt  auf  so  lange  mit  dem 
Interdikt,  bis  die  Anhänger  der  »Irrlehre  ■  Busse  gethan  und  Ab- 
solution erhalten  haben  würden.  In  Folge  dessen  stellten  sieh  in 
der  That  einige  von  diesen  Leuten.  Wilhelm  Smith.  Roger 
Dexter  und  dessen  Ehefrau  Alice,  vor  dem  Erzbischof.  und 
schworen  die  Irrlehre,  deren  sie  sich  schuldig  bekannten,  ab. 
Hierauf  wurde  ihnen  Vergebung  und  Wiederaufnahme  zugesichert, 
sobald  sie  in  einer  Kirche  ihrer  Vaterstadt  nach  der  genau  vorge- 
zeichneten Form  würden  öffentlich  Busse  gethan  haben  1  . 

Welcher  Werth  übrigens  auf  solche  erzwungene  Absage  zu 
legen  war.  lässt  sich  aus  dem  Umstand  abnehmen,  dass.  wie  Erz- 
bischof Courtnay  ein  paar  Jahre  später,  in  einer  an  die  Geistlich- 
keit der  Sprengel  St.  David  s  und  Llandaff  in  Wales  gerichteten 
Warnung  vom  Mai  1391  sagt  2  .  —  der  »  angebliche  Priester«  Wil- 
helm S winde rby.  vor  dem  eben  gewarnt  wird,  ungeachtet  er 
vor  dem  Bischof  von  Lincoln  seine  Irrlehre  widerrufen  hatte,  nach 
der  Hand  doch  wieder  in  dem  gleichen  Geist  gepredigt  hat.  Es 
scheint,  der  Mann  hielt  sich  durch  den  ihm  abgenöthigten  Wider- 
ruf in  seinem  Gewissen  nicht  für  gebunden,  und  setzte  seine 
Thätigkeit.  falls  sie  in  einem  Sprengel  mit  Gewalt  verhindert 
wurde,  in  einem  anderen  Bezirke  fort.  Aus  Veranlassung  des 
zweiten  Einschreitens  gegen  S  winde  rby  zog  Bischof  Wake- 
field  von  Hereford  auch  den  Freund  und  Mitarbeiter  desselben. 
Walter  Brüte,  im  Jahre  1391  in  Untersuchung.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit reichte  der  Angeschuldigte  diejenigen  Verantwortungs- 
schriften und  Bekenntnisse  ein,  über  welche  wir  oben  Bericht  er- 
stattet haben.  Die  Untersuchung  dauerte  Jahr  und  Tag.  bis 
Walter  Brüte  1393  sich  »dem  Urtheil  der  heiligen  Kirche«,  den 
Beschlüssen  der  allgemeinen  Concilien.  der  Lehre  der  vier  grossen 
Kirchenväter,  und  der  Zurechtweisung  des  Bischofs'  unterwarf, 
und  die  schriftliche  Urkunde  darüber  vor  einer  ansehnlichen  Ver- 
sammlung auf  dem  Kirchhof  der  Kathedrale  zu  Hereford  öffentlich 


1  a.  a.  ().  2in  f. 
I   a.  a.  O.  215. 


Höhepunkt  des  Lollardenthums  1395. 


15 


vorlas.  Hierauf  scheint  er  allerdings  begnadigt  und  auf  freiem 
Fusse  entlassen  worden  zu  sein  1  . 

Alle  diese  Maassregeln  wirkten  offenbar  nur  als  vereinzelte 
Dämpfer.  Im  Ganzen  und  Grossen  konnte  durch  dieselben  die 
immer  noch  steigende  Fluth  des  Lollardenthums,  sein  massen- 
haftes Anwachsen  und  kühnes  Vorgehen  nicht  aufgehalten  wer- 
den. Das  Jahr  1395  bildet  in  dieser  Hinsicht  den  Höhepunkt.  In 
diesem  Jahre  wagten  die  Lollarden  den  kühnen  Schritt,  mit  einem 
offenen  Bekenntniss  hervorzutreten,  und  sich  mit  einem  unver- 
holenen Reformgesuch  an  das  Parlament  zu  wenden.  Ist  es  zu 
verwundern,  dass  die  Hierarchie  dadurch  aufgeschreckt  wurde, 
und  sieh  aufmachte,  um  die  Gefahr  zu  beschwören?  Bezeichnend 
ist  indess,  dass  die  Geistlichkeit  ihre  Hoffnung  von  Anfang  an  auf 
die  Regierung  setzte.  Die  Convocation,  d.  h.  die  zugleich  mit 
dem  Parlament  zusammentretende  Synode  der  englischen  Kirche, 
aus  Prälaten  und  Vertretern  der  niederen  Geistlichkeit  bestehend, 
überreichte  am  17.  Februar  1395  den  Erzbischöfen  von  Canterbury 
und  York  eine  Bittschrift,  welche  dahin  ging:  sie  möchten  zur 
Aufrechthaltung  der  Rechtgläubigkeit  und  zur  Ueberwindung  der 
Ketzerei,  welche  durch  die  treulose  Lollardensekte  in  England 
nur  allzusehr  verbreitet  werde,  dem  König  dringliche  Vorstel- 
lungen machen,  dass  er  den  Arm  seiner  königlichen  Herrlichkeit 
gegen  die  Treulosen  kräftig  ausstrecke ,  damit  sie  nicht  durch 
langes  Zusehen  erstarken  und  zu  einer  Menge  anwachsen,  der  zu 
widerstehen  mit  der  Zeit  immer  schwerer  werden  dürfte2). 

Das  Jahr  1395  bildete  sichtlich  einen  Wendepunkt.  Von  da 
an  hat  die  Partei  der  Römischgesinnten  durchgreifende  Maass- 
regeln gegen  die  Reformpartei  angestrebt.  Allein  die  Erreichung 
dieses  Zwecks  war  durch  zwrei  Ereignisse  bedingt :  die  Erhebung 
eines  energischen  und  schonungslosen  Gegners  der  Lollarden  auf 


1)  Johann  Foxe,  Acts  and  Monuments,  III,  187  f. 

2  WlLKINS,  Co/tri  ia  M.  Brit.  III,  223.  Der  Herausgeber  datirt  zwar 
diese  Convocation  in  das  Jahr  1394,  aber  auch  die  Petition  der  Lollarden 
setzt  er  in  dieses  Jahr.  Ist  aber  letztere  Eingabe  dem  folgenden  Jahr  zuzu- 
weisen, so  ist  das  mit  dem  Antrag  der  Convocation  der  gleiche  Fall,  denn 
letzterer  war  gewiss  durch  den  von  den  Lollarden  unternommenen  Schritt 
veranlasst. 


46 


Buch  III.    Kap.  1.  III. 


den  erzbischöf liehen  Stahl  von  Canterbury,  und  die  Erhebung- 
einer neuen  Dynastie  auf  den  Thron  von  England. 

Der  bisherige  Erzbischöf,  Wilhelm  Cour tnay,  hatte  es  zwar 
während  einer  1 5  jährigen  Amtsführung  als  Primas  nicht  an  Thä- 
tigkeit  gegen  die  Anhänger  Wiclif's  fehlen  lassen.  Als  er  am 
31.  Juli  1396  starb,  hat  der  Bischof  von  Exeter,  Edmund  von 
Stafford,  in  einem  Mandat,  worin  er  Seelenmessen  für  den  ver- 
ewigten Primas  anordnete,  unter  anderem  auch  das  als  Verdienst 
desselben  gerühmt,  dass  er  die  von  dem  bösen  Feind  ausgesäeten 
Irrlehren  in  seiner  Kirchenprovinz  so  scharf  nachspürend  ausge- 
jätet habe  *) .  Und  er  hatte  von  seinem  Standpunkt  aus  nicht  Un- 
recht. Allein  Courtnay's  Nachfolger  wurde  noch  im  Laufe  des 
Jahres  1396  der  bisherige  Erzbischöf  von  York,  Thomas,  aus 
dem  Geschlechte  der  Grafen  von  Arundel.  Und  der  war  im 
Punkte  der  Verfolgung  wider  die  Lollarden  doch  noch  ein  ganz 
anderer  Mann.  Seine  erste  Amtshandlung  als  Erzbischöf  von 
Canterbury  war  die  Veranstaltung  einer  Provincialsynode,  im 
Februar  1397,  welche  nächst  der  Frage  über  das  Aufsichtsrecht, 
welches  dem  Erzbischöf  gegenüber  der  Universität  Oxford  zustehe, 
auch  mit  der  Lehre  Wiclif's  zu  thun  bekam,  und  zwar  zunächst 
insofern,  als  diese  auf  der  genannten  Universität  immer  noch  Ver- 
treter fand.  Es  wurden  von  einigen  gelehrten  Mitgliedern  der 
Universität  1 8  Artikel  aus  W  i  c  1  i  f '  s  T  r  i  a  1  o  g  u  s  und  dem  Supple- 
ment dazu  vorgelegt,  welche  theils  als  irrthümlich,  theils  als 
häretisch  bezeichnet  waren ,  und  worüber  ein  Urtheil  der  Synode 
gewünscht  wurde,  weil  thatsächlich  einige  Theologen  und  Magister 
der  freien  Künste  an  der  Universität  diese  Lehren  vortragen  und 
vertheidigen 2; .  In  den  vorhandenen  Akten  findet  sich  zwar  nichts 
über  den  Beschluss,  welchen  die  Provincialsynode  darüber  gefassl 


1)  Wilkins  III,  220.  Der  Bischof  sagt  in  dem  Erlass  von  seinem  ver- 
storbenen Primas,  er  habe  Anderen  ein  Vorbild  guter  Werke  gegeben,  na- 
mentlich error  es  et  haereses  in  procincia  Cantuariensi,  iuimico  (jeneris  hnmani 
2>rocurante,  pullulantes  saf/aciter  exstirpando. 

2)  Wilkins,  III,  227—230.  Der  Herausgeber  nennt  das  Jahr  1390; 
da  aber  das  Provincialconcil  am  19.  Februar  zusammengetreten,  und 
Courtnay  erst  am  31.  Juli  1300  gestorben  ist,  so  muss  das  Jahr  13!»T 
angenommen  werden. 


Erzbischof  Arundel  lässt  Sätze  von  Wiclif  verurtheilen. 


17 


habe.  Dessen  ungeachtet  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass  ein  ver- 
dammendes Urtheil  über  die  fraglichen  Sätze  gefällt  worden  ist 1  . 
Die  Gesammtheit  der  Sätze  unterscheidet  sich  einigermaassen  von 
früheren  ähnlichen  Aufstellungen,  z.  B.  von  den  unter  Erzbischof 
Courtnay.  ebenfalls  in  seinem  ersten  Amtsjahr  als  Primas,  bei 
der  Provincialsynode  1381  verworfenen  Sätzen  Wiclif's.  Die 
hier  vorliegenden  Artikel  haben  eine  gewisse  Einheit  darin,  dass 
die  Lehre  von  den  Sakramenten  den  Mittelpunkt  des  Ganzen  bil- 
det. Denn  1  —  3  handeln  vom  heil.  Abendmahl.  4.  von  der  Taufe, 
namentlich  der  Kindertaufe,  5.  von  der  Firmung,  6.  von  der 
Priesterweihe  (den  Stufen  der  Hierarchie),  7  —  9.  von  der  Ehe. 
14.  von  der  letzten  Oelung.  Somit  werden,  mit  Ausnahme  der 
Busse,  alle  7  Sakramente  der  römisch-katholischen  Kirche  berührt. 
Die  übrigen  Sätze  haben  zu  ihrem  Gegenstande  theils  den  geist- 
lichen Stand  und  die  Kirchenämter,  insbesondere  die  Frage  von 
den  Kirchengütern  (10 — 13.  15.),  theils  das  weltliche  Regiment 
und  dessen  Bedingtheit  durch  den  sittlichen  Charakter  der  Inhaber 
(16.  .  theils  Grundbegriffe  der  Glaubenslehre,  von  der  unbedingt 
maassgebenden  Auktorität  der  Bibel  (18.),  und  von  der  schlecht- 
hinigen Notwendigkeit  alles  Geschehens  (17).  Logisch  hätten 
allerdings  die  zwei  letzten  Artikel  an  die  Spitze  der  übrigen 
gestellt  'werden  sollen.  Davon  abgesehen  aber  enthalten  die 
einzelnen  Artikel  für  sich  betrachtet  einen  ziemlich  getreuen, 
zum  Theil  wörtlich  entsprechenden,  Abriss  einiger  Gedanken 
Wiclif's2  . 

Die  Yerurtheilung  dieser  Sätze  durch  die  Provincialsynode 
sollte  als  theologisch-kirchenrechtliche  Grundlage  des  Einschrei- 
tens gegen  die  Lollarden  dienen.  •Uebrigens  begnügte  sich  der 


1)  Das  ergibt  sich  zweifellos  aus  der  sofort  zu  erwähnenden  Schrift 
von  Woodford. 

2  Lewis  hat  im  Anhang  zu  seiner  Histonj  of  —  John  Wiclif ,  neue 
Auflage  1S20.  Nr.  39.  S.  372— 3S1  eine  Zusammenstellung  der  18  Artikel 
mit  den  entsprechenden  Stellen  im  Trialogus  auf  parallelen  Columnen  gege- 
ben, woraus  man  ersieht,  wie  treu  und  wie  entfernt  von  verketzernder  Ent- 
stellung die  Wiclif  sehen  Sätze  hier  aufgestellt  sind.  —  Die  Beantragen- 
den erwähnen  auch  ausdrücklich  opiniones  —  scrijrtas  in  quibusdam  libris 
sive  libellis  triologiis  (sie)  et  supplemento  eorumeXc.  WlLKINS,  III,  229. 


48 


Buch  III.    Kap.  J.  III. 


neue  Erzbischof  nicht  damit,  durch  die  Wucht  kirchlicher  Ent- 
scheidungen die  Partei  niederzuschmettern.  Er  nahm  auch  dar- 
auf Bedacht,  das  gefällte  Urtheil  durch  Mittel  der  Wissenschaft 
und  Gelehrsamkeit  begründen  und  rechtfertigen  zu  lassen.  Er  be- 
auftragte daher  einen  gelehrten  Franziskaner  Wilhelm  Wood- 
ford, das  Urtheil,  welches  die  Provincialsynode  gesprochen, 
ausführlich  zu  begründen.  Die  Frucht  dieser  Arbeit  ist  ein  Buch , 
welches  den  Titel  trägt:  »Tractat  gegen  die  Irrthümer  Wi- 
clif's  im  Trialogus« 

Wilhelm  von  Woodford  (auch  Wodford,  Widford, 
Wydford.  Wydfford  geschrieben)  war  Minorite,  und  gehörte 
dem  Franziskanerkloster  in  Newgate  (London)  an 2)  ;  er  wurde 
Doctor  der  Theologie,  und  hat  sich  in  Oxford  durch  Disputationen 
gegen  Wiclif  selbst  hervorgethan,  noch  ehe  dieser  die  Abend- 
mahlslehre zu  beleuchten  anfing.  Ich  finde  in  einem  der  unge- 
druckten Werke  W  i  c  1  i  f 1  s ,  dass  dieser  sich  gegen  die  Kritik 
Wood  f  o  r  d '  s  vertheidigt,  wobei  er  jedoch  mit  bemerkens  werther 


1)  Die  Schrift  Woodford's  ist  zuerst  in  dem  Sammelwerk  des  Kölner 
Jesuiten  Orthuin  us  Gratius  abgedruckt:  Fasciculus  reram  expetendanun 
et  fugimdarum,  15:35.  fol.  XCV2  —  CXXXIII1.  Diese  Sammlung-  wurde  am 
Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  von  Eduard  Brown  im  protestantischen  In- 
teresse neu  aufgelegt  und  vermehrt  herausgegeben,  London  1690.  fol.  in 
2  Bänden;  in  dieser  Ausgabe  steht  die  Schrift  von  Woodford  Vol.  I, 
]!H>—  265.  Das  Urtheil  des  Jesuiten  Gratius  über  diese  Streitschrift  ist 
voll  Ueberschätzung,  und  zeugt  von  dem  Zeitinteresse,  welches  dieselbe  im 
Zeitalter  der  Reformation  fand:  Guil.  Widefordi  contra  Johannem  Wi- 
de ]) h u m,  sacrae  ßdei  pestefri  et  haeresiarcluun  ,  doct  iss im a e  ac  plane  ca- 
tholicae  decertationes.  qtdbus  miserinn  hwnc  hominem  ita  confufat,  prostcmit. 
eviscerat,  ac  in  omnibus  vincit,  ut*ex  i/lis  ipsis  omnes  ferme  nostri 
tempor  is  Jt  aeret  icos  mutos  effeceris.  Im  Index  der  Ausgabe  von 
f535.  —  Der  Titel  lautete  ursprünglich,  wie  es  scheint:  Traetatus  magistti 
Wilhelmi  WideforDI  de  online  Minorum ,  contra  errores  Wie  eß  in 
Trialogo;  s.  die  genannte  Ausgabe  f.  CXXXIII.  Diesen  Titel  scheint  auch 
der  etwas  spätere  Thomas  Netter  von  Waiden  vorauszusetzen,  wenn  er 
citirt  magister  duilichnns  in  libro  suo  con  tra  trial ogum  edito.  Doctr/na/e 
II,  157.  —  TURNER,  welcher  zwei  Handschriften  dieses  Buches  im  Brit. 
Museum  benützt  hat,  bemerkt,  dass  der  Verfasser  sein  Werk  aus  der  Burg 
Framlyngham   Grafschaft  Suffolk   datirt;  Hist.  of  Engl.  V,  1!»T. 

2)  SlIIRLEY,  Fasciculi  zizaniorum,  Note  on  the  two  John  Wiclit  s,  517. 
Anm.  2. 


Wilhelm  von  Woodford  und  Wiclif. 


49 


Hochachtung  von  ihm  spricht  und  auf  eine  keineswegs  dem  Scherz 
und  der  Satire  gleichende  Weise  bekennt,  schon  viel  von  ihm  ge- 
lernt zu  haben  1).  Woodford  hat  ferner  seit  dem  Jahr  1381  spä- 
testens' auch  literarisch  gegen  Wiclif  und  seine  Anhänger  ge- 
kämpft. Als  Wi  clif  die  Lehre  von  der  Wandlung  angriff,  schrieb 
Woodford  »12  Fragen  über  das  Sakrament  des  Altars«2;.  Eine 
zweite  weniger  bekannte  Abhandlung  handelte  von  der  Nach- 
ahmung Christi  und  suchte,  im  Gegensatz  zu  Wiclif.  nachzu- 
weisen, dass  wir  in  manchen  Stücken  nicht  verpflichtet  seien 
Christum  nachzuahmen  .  Nach  dem  Tode  W  i  c  1  i  f 5  s  fuhr  Wood- 
ford  in  seiner  Bekämpfung  der  Partei  fort.  So  hat  er  z.  B.  in 
einem  Sendschreiben  an  den  Bischof  von  Hereford  ein  Buch  des 
oben  besprochenen  Lollarden  Walter  Brüte  vielleicht  eben  das 
Bckenntniss  desselben;  beleuchtet4  .  Der  Erzbischof  hat  also 
keine  schlechte  Wahl  getroffen,  wenn  er  gerade  Woodford  auf- 
fordern Hess,  den  ( Oncilsbeschluss  über  die  18  Artikel  Wiclif 's 
zu  vertheidigen. 

Der  streitbare  Franziskaner  Hess  sich  nicht  lange  bitten.  Er 
ging  sofort  an  die  x\rbeit  und  verfasste  ein  Buch,  welches  zwar 
erst  unter  Heinrich  IV.,  also  frühestens  1399  erschienen  ist5  . 
aber  doch  unzweifelhaft  in  den  gegenwärtigen  Zeitraum  gehört. 
Das  Ganze  hat  die  Form  eines  Sendschreibens  an  den  Erzbischof. 


1)  De  civili  dominio,  III,  c.  IS.  HS.  1340.  f.  141.  Col.  2:  doctor  meus 
reverendus  Magister  WiUielmus  Wadford  etc. 

2)  Septuaginta  duac  quaestiones  de  sacramento  altaris.  wovon  eine  Hand- 
schrift im  Besitz  der  B  o  die  v -Bibliothek  in  Oxford  ist,  s.  Shirley  a.  a.  O. 
51S.  I,  Inirod.  XV.  4:  Woodford  citirt  diese  Streitschrift  in  der  Beleuch- 
tung der  IS  Artikel,  f.  CH,  1:  ut  declaravi  in  lihro  72  quaestionum  circa 
sacramentum  eucharistiae. 

3)  Tractatus  contra  errores  Wiclefi  bei  Orth.  Gratius  ed.  1535,  f.  CXI V, 
2:  et  consimiles  errores  alias  deduxi  valde  multos  in  quadam  quaestione  de 
conför initat e  nostra  od  opera  Christi,  in  qua  declaratum  est,  quod  in 
mutiis  non  tenemur  sequi  Christum  in  moribus. 

4)  a.  a.  0.  CX,  2:  ut  diffuse  alias  declaravi  in  epistola  missa  do- 
min o  Er f  ordensi  (Ed.  Brown:  Herefordensi)  contra  1  ihr  um  W al- 
tert Britte.  —  CXI,  2:  declaravi  in  historia  directa  domino  episcop<> 
JErf ordensi  (Brown:  Herefordensi  contra  Walt  er  um  Britte. 

5]  a.  a.  O.  CXXXII,  2:  quod  dominus  Henricus  est  rex  Angliae  etc. 
Lechlef.  .  Wiclif.  II.  4 


50 


Buch  III.    Kap.  1.  III. 


in  dessen  Auftrag  es  verfasst  worden  ist.  Im  Uebrigen  stellt  die 
Schrift  einen  rechtfertigenden  Commentar  zu  dem  ürtheil  dar, 
welches  die  Provincialsynode  über  die  vorgelegten  18  Sätze 
Wiclif's  gefällt  hat:  demnach  folgt  sie  der  Ordnung,  in  welcher 
die  Sätze  aufgeführt  sind,  und  erörtert  dieselben  mit  nicht  geringer 
Kenntniss  des  Trialogus  nebst  Supplementum ,  so  wie  anderer 
Werke  Wiclif's,  namentlich  der  Bücher  de  civili  dominio.  Ihrem 
Gehalte  nach  macht  die  Schrift  einen  sehr  gemischten  Eindruck. 
Auf  der  einen  Seite  sind  richtige  Gedanken  und  gesundes  Urtheil 
nicht  zu  verkennen,  namentlich  da,  wo  der  Verfasser  Ansichten 
Wiclif's,  die  in  der  That  einseitig  und  unwahr  sind,  bekämpft ; 
wenn  er  z.  B.  die  in  ihrer  Allgemeinheit  allerdings  unhaltbare, 
übrigens  von  Wiclif  nur  ganz  gelegenheitlich  geäusserte,  und  in 
seinem  Gedankenkreise  vollständig  untergeordnete  Behauptung 
widerlegt,  dass  eine  von  betagten  Personen,  ohne  Aussicht  auf 
Nachkommenschaft ,  eingegangene  eheliche  Verbindung  keine 
wahre  Ehe  sei l) .  Ferner  hat  der  Franziskaner  vielfach  Recht  bei 
Beleuchtung  des  16.  Artikels,  worin  Wiclif  die  bürgerlichen 
Herrscherrechte  von  der  persönlichen  Gerechtigkeit  der  Regieren- 
den völlig  abhängig  macht.  Woodford  hält  sich  sehr  angelegent- 
lich hiebei  auf:  allerdings  lässt  er  sich  mitunter  auf  leerer  Conse- 
quenzenmacherei  ertappen,  allein  er  bestreitet  jenen  Standpunkt 
doch  auch  wieder  sehr  glücklich  mit  Hülfe  der  heil.  Schrift,  aus 
der  er  die  erst  nach  dem  Fall  geordnete  Herrschaft  des  Mannes  über 
das  Weib,  ferner  eine  Menge  Beispiele  von  schlimmen  Regenten, 
denen  die  Erzväter  und  die  Israeliten  unterworfen  waren,  anführt, 
und  die  apostolische  Ermahnung  an  Sklaven,  ihren  Herren  zu  ge- 
horchen, auch  wenn  sie  wunderlich  seien,  geltend  macht2).  Ebenso 
ist  seine  Widerlegung  des  12.  Artikels,  der  allen  weltlichen  Be- 
sitz de|  Geistlichen  schlechthin  verwirft,  und.  um  die  Yerwelt- 
licbung  des  Klerus  zu  vermeiden,  auf  das  entgegengesetzte  Extrem 
fuhrt,  theilweise  gar  nicht  übel,  namentlich  wenn  er  erinnert,  dass 
der  Grund,  Christas  habe  nicht  gehabt,  da  er  sein  Haupt  hinlege, 
zu  viel  beweise    .    Ferner  verräth  es  einen  richtigen  Blick,  wenn 

1)  a.  a.  O.  t.  CVI. 

2)  a.  a.  ().  1   CXVI,  L'-CXXV,  J. 
:t>  a.  a.  O   f  CXfH,  1 


Woodford  gegen  Wiclif.  51 

Woodford  in  dem  18.  Satz:  nur  dasjenige,  sei  Glaubens  Wahr- 
heit, was  der  Papst  oder  die  Cardinäle  aus  der  heil.  Schrift  ab- 
leiten können,  alles  darüber  hinausgehende  sei  Irrlehre,  —  das 
Fundament  der  Lehre  Wiclif  s  erkennt.  Er  sucht  den  Grund- 
satz :  »die  Schrift  allein  ist  maassgebende  Richtschnur«  zu  wider- 
legen, und  äussert  alsdann  seine  Ansicht,  »dass  dieser  Artikel  die 
Hauptursache  der  Lehren  der  Lollarden  sei,  und  dass  es,  falls  sie 
von  dieser  bösen  Ansicht  geheilt  wären,  nicht  schwer  fallen  würde, 
sie  in  allen  Stücken  zur  katholischen  Wahrheit  zurückzuführen«1). 
Der  Verfasser  fühlt  richtig  heraus,  dass  es  sich  an  diesem  Ort  um 
Prinzipien ,  und  um  grundverschiedene  Prinzipien  handelt ,  wo 
allerdings  von  Vermittlung  keine  Rede  sein  kann,  sondern  nur 
von  dem  Sieg  des  einen  oder  des  anderen  Prinzips.  Freilich  dass 
in  dem  Schriftprinzip  Wiclif  und  seine  Schule  auch  ihre  Stärke 
haben,  und  dass  sie  in  ihrem  Rechte  seien,  das  lässt  er  sich  nicht 
träumen;  auch  hat  er  sich  die  Möglichkeit,  die  Lollarden  von 
jenem  »bösen  Glauben«  zu  heilen,  viel  zu  leicht  gedacht.  Wenig- 
stens ist  seine  Erörterung  dieser  Frage  keineswegs  dazu  angethan, 
auf  ein  Herz,  das  von  Ehrfurcht  vor  Gottes  Wort  als  der  alleini- 
gen Regel  des  Glaubens  und  Lebens  erfüllt  ist,  auch  nur  den  ge- 
ringsten Eindruck  zu  machen.  Denn  es  war  doch  nichts  ande- 
res als  ein  Kreis  im  Beweise ,  oder  eine  Voraussetzung  des  zu 
beweisenden  Satzes,  wenn  Woodford  sich  auf  das  Urtheil  der 
Kirche  und  ihrer  Lehrer  eines  Areopagiten,  Johannes  von  Damas- 
kus, Johannes  Cassianus,  Nicolaus  von  Lyra),  auf  die  aposto- 
lischen canones  und  dergleichen,  gegen  das  ausschliessliche  Lehr- 
ansehen der  Bibel  berief,  oder  wenn  er  geltend  machte,  dass  ja 
aus  jenem  Schriftprinzip  unterschiedliche  Irrlehren,  z.  B.  Ver- 
werfung der  Bilder  u.  s.  w.,  folgen  würden  2) .  Mehr  Schein  hatten 
Bemerkungen  wie  die  folgenden:  Wenn  jener  Grundsatz  feststünde, 
so  würden  bei  Schriftstellen  von  zweifelhafter  Auslegung  die  Er- 

1:  a.  a*  O.  f.  CXXXII,  2:  Etaestimo,  quod  istius  articuli  credtUÜas  est 
magna  causa  et  maxima  docirinarum  Lollardorum;  et  aestimo ,  si  essent  cu- 
rati  de  ista  mala  credulitate,  quod  facti  iter  reduceretitur  in  omnibus  ad 
cathelicam  veritatem. 

'1   a.  a.  O.  f.  CXXIX;  1  sqq.  CXXXII,  1. 

4* 


52 


Buch  III.    Kap.  1.  III. 


klärungen  der  Kirchenväter  nicht  angenommen  werden  dürfen: 
ferner,  man  würde  dadurch  auf  eine  ganz  buchstäbliche  und 
äusserliche  Auslegungsweise  geführt  werden :  es  lasse  sich  auch 
selbst  die  Abfassung  der  Evangelien  durch  Apostel1  oder  aposto- 
lische Männer  aus  der  Schrift  selbst  nicht  erweisen :  die  Heiligung 
des  Sonntags,  die  christliche  Festordnung  und  dergleichen  könne 
nicht  durch  die  Bibel  allein  begründet  werden.  Endlich  war  der 
Versuch,  den  Grundsatz  von  dem  ausschliesslichen  Lehransehen 
der  heil.  Schrift  durch  die  Schrift  selbst  zu  widerlegen ,  mehr 
kühn  und  überraschend,  als  überzeugend.  Woodford  geht  hie- 
bei  von  der  Stelle  aus  Joh.  21.  25 :  »Jesus  hat  noch  viele  Thaten 
gethan,  die  in  diesem  Buche  nicht  geschrieben  sind.«  Hieraus 
folgert  er  nun,  dass  also  viele  Ueberlieferungen  anzunehmen  seien, 
ungeachtet  Papst  und  Cardinäle  sie  »nicht  klar  aus  der  heil. 
Schrift  abzuleiten  vermögen.« 

Ihm  selbst  geht  die  Vollmacht  der  Kirche  und  die  Auktorität 
der  Oberen  über  alles.  Seine  Kritik  der  Sätze  Wiclif  s  ruht 
mehr  als  einmal  schliesslich  auf  dem  Grunde:  »sie  seien  mit 
Recht  verurtheilt,  weil  das  Gegentheil  derselben  von  der  Kirche 
gut  geheissen  worden  ist1).«  Einmal  wagt  er  es  nicht,  ein  Ur- 
theil  Wiclif  s  schlechthin  zu  verwerfen  nämlich  dass  die  Ehe- 
hindernisse des  kanonischen  Rechts  blos  menschliche  Satzungen 
seien)  ;  er  hält  dies  nur  für  das  vergleichsweise  rathsamere.  weil 
man  sonst  die  Kirche  des  Irrthums  zeihen  müsste 2  .  In  der  Regel 
tritt  er  allerdings  mit  der  Miene  vollständiger  Zuversicht  mit. 
Seine  Methode  lässt  sich  aus  der  Kritik  über  den  ersten  Arti- 
kel, von  der  Wandlung  im  h.  Abendmahl,  ersehen :  er  zieht  stets 
in  erster  Linie  mit  Auktoritätsbeweisen  zu  Felde .  und  verfährt 
von  vorne  herein  so.  als  wären  diese  an  und  für  sich  schon  ent- 
scheidend. Nur  bei  dem  löten  Artikel  beginnt  er  mit  dem  Schritt- 
beweis3!. Er  handhabt  wohl  auch  Vernunftgründe.  Avas  die  Scho- 
lastiker rationes  nannten,  zum  Unterschied  von  auetoritates ;  allein 

lj  a.  a.  O.  f.  CI ,  1.  zu  Satz  2:  Hie  est  articwiis  ratioualtiliter  ton- 
demnatus,  quia  ejua  contradictorium  est  ah  eeelesia  approbatum  ut  oatholi- 
cum;  vgl.  zu  Satz  14.  f.  CXVI.  1. 

2)  Zu  Art.  s,  f.  CVII,  1 

3)  a   a.  Ö.  CVI,  %  sq. 


Charakteristik  der  Woodfordschen  Streitschrift. 


53 


die  Auktoritätsbewcise  sind  ihm  die  Hauptsache,  er  ist  ein  gan- 
zer Mann  der  Auktorität.  So  führt  er  bei  dem  ersten  Satz,  für  die 
Verwerfung  der  Wiclif 'sehen  Abendmahlslehre  durch  die  eng- 
lische Provincialsynode,  als  ersten  Grund  den  Umstand  an,  dass 
dieselbe  schon  bei  Berengar  von  Tours  im  Jahr  1 050  durch  die 
Synode  zu  Vercelli  unter  Leo  IX.  verurtheilt  worden  sei.  Und 
so  reiht  sich  ein  Grund  an  den  andern  an.  bestehend  aus  Ent- 
scheidungen von  Concilien ,  Aussprüchen  von  Kirchenvätern, 
Päpsten,  scholastischen  Doctoren,  —  alles  in  bunter  Unordnung ; 
als  der  21ste  Grund  folgt  die  Auktorität  der  Universität  Paris, 
und  endlich  schliesst  die  Reihe  mit  dem  Consensus  der  Dekreti- 
sten.  als  der  22sten  causa.  Aus  alle  dem  folgert  er  sodann,  dass 
der  fragliche  Artikel,  weil  er  durch  eine  stetige  Reihe  von  kirch- 
lichen Zeugnissen  verworfen  worden ,  mit  Recht  als  ketzerisch 
verdammt  sei  1  .  Uebrigens  legt  der  Verfasser  eine  sehr  bedeu- 
tende Belesenheit,  zumal  in  den  Scholastikern,  an  den  Tag;  am 
vertrautesten  ist  er  natürlich  mit  den  Schriftstellern  aus  dem 
Franziskanerorden:  offenbar  stand  ihm  in  dem  eigenen  Kloster 
zu  Xewgate  eine  reichhaltige  Bibliothek  zu  Gebote ,  welche  die 
Werke  der  Doctoren  aus  dem  Minoritenorden  vollständig  besass. 
Zu  der  blinden  Eingenommenheit  für  das  überwältigende  An- 
sehen der  kirchlichen  Ueberlieferungen  kommt  ferner  eine  un- 
erquickliche Dialektik ;  eine  Unkritik  freilich  mit  dem  Zeitalter 
selbst  zu  entschuldigen) ,  vermöge  welcher  er  die  areopagitischen 
und  andere  untergeschobene  Schriften  als  unzweifelhafte  Denkmale 
der  apostolischen  Zeit  anruft2)  ;  hie  und  da  geschichtliche  Un- 

1  a.  a;  O.  f.  XC'VII,  2:  Tatet  ergo  ex  dietis,  quod  ille  articulus —  a 
tempore,  apostofomw  usque  ad  tvmpora  norfra  reputatus  est  esse  haerßticus, 
per  s  ii  c  c  <■  8  s  i  <>  n  e  s  p  a  t  r  u  tu  et  dort  o  r  um,  et  sie  m  erito  est  articulus 
condemnatus  ut  haereticus. 

2  Zum  oten  Artikel,  f.  CI\\  1.  Gegenüber  der  Behauptung  Wiclif's, 
dass  /ur  Zeit  der  Apostel  kein  Unterschied  zwischen  Bischof  und  Presbyter 
gewesen  sei.  beruft  sich  "Woodford  ganz  naiv  auf  den  Areopagiten;  er 
pocht  darauf,  derselbe  sei  doch  ein  Zeitgenosse  der  Apostel  gewesen ,  und 
habe  die  Intention  der  Apostel  besser  wissen  können,  als  spätere  Doctoren. 
Nun  Dionysius  unterscheide  die  hierarchische  Weihe  Bischofsweihe,  von  der 
Priesterweihe:  »also  hat  es  zur  Zeit  der  Apostel  einen  Unterschied  zwi- 
schen Bischof  und  Presbyter  gegeben.« 


54 


Buch  III.    Kap.  1.  III. 


wissenheit,  vermöge  deren  er  den  Damascener  Johannes  zu  einem 
Zeitgenossen  Augustin's  macht  *)  ;  endlich  eine  Leichtgläubigkeit, 
bei  der  es  ihm  nicht  darauf  ankommt,  aus  dem  Mährchen  von 
den  Siebenschläfern,  das  er  für  baare  Münze  nimmt,  auf  ähnliche 
Wunder  zu  schliessen  zu  Gunsten  der  Wandlung  im  h.  Abend- 
mahl 2  .  —  Mit  Recht  verwundert  sich  Woodford  über  die 
Kühnheit  Wiclif's.  die  Kirchenlehre  von  der  Wandlung  für 
häretisch  zu  erklären ;  er  meint .  das  sei  eine  Anmaassung  ohne 
Gleichen 3) . 

Der  Ton .  in  welchem  er  spricht,  ist  in  der  Regel  ein  ruhi- 
ger, sachlicher,  wissenschaftlich  erörternder,  auch  wenn  der 
Verfasser,  wie  er  das  gerne  thut,  dem  »Gegner«  (sehr  häufig 
nennt  er  Wiclif  nicht,  sondern  bezeichnet  ihn  nur  als  adversa- 
rius  nachweisen  will,  dass  er  sich  selber  widerspreche.  Dies 
ist  auch  der  Fall,  wenn  er  je  und  je  zu  verstehen  gibt.  Wiclif 
sei  nicht  so  sehr  selbständig,  er  lehne  sich  an  den  dominus 
Armachanus  Erzbischof  Richard  Fitz  -  Ralph  von  Armagh  an. 
mache  sich  dessen  Ansichten  zu  eigen .  und  setze  seine  Beweis- 
führungen voraus4).  Indessen  bricht  docli  einmal  auch  die  lange 
verhaltene  Erregung  los.  und  er  verfällt  in  den  leidenschaft- 
lichen, fanatischen  Ton  eines  Ketzerrichters 5  .  Nicht  eben  fein, 
aber  doch  nicht  leidenschaftlich  klingt  es.  wenn  Woodford  be- 
merkt, Wiclif  habe  in  seinen  Schriften  zahllose  Dummheiten 
gemacht,  von  denen  er  indess  nur  eine  erwähnen  wolle:  es  ist 
der  öfters  wiederkehrende  Gedanke  Wiclif's,  dass  die  vier 
Bettelorden  Cain  zum  Stammvater  haben,  und  dass  die  vifer 
Buchstaben  des  Namens  Caim  die  Carmeliter.  Augustiner,  Jaco- 


1)  Fi<iruit  ivter  Graecos.  quando  Augustinus  inter  Latinos.  f.  CI,  1  zu 
Satz  2. 

2   a.  a.  O.  XCIX,  1. 

:i  a.  a.  O.  XCVII  .  1  Magna  fuit  temer itas  Ioannis  Wicleß .  quod 
—  —  praesumpsit  dicere,  quod  nec  Berengarius  —  nec  aliquis  alius  haere- 

ticus  ausus  ftrit  dicere,  scilicet  quod  haereticum  est  ponere  Licet  ah- 

qui  —  dixerant,  hoc  esse  falsum,  nunquam  aliquis  prius  jyraesumpsit  dicere, 
hoc  esse  haereticum. 

4)  Z.  B.  bei  Artikel  5.  f.  CHI.  1  und  folgende. 

.">)  f.  CXXIII,  2:  Et  ideo  patet .  quod  argumentum  non  concludit  wa- 
ledicti  H'iclephi  haeretici.  adversarii  sanetae  veritati. 


Die  Regierung  Richards  II.  und  die  Lollarden. 


55 


biten  =  Dominikaner  und  Minoriten  bedeuten1).  Die  Anhänger 
Wiclifs  benennt  er  mit  dem  Namen  Wiclifistae  oder  Lol- 
lardi.  und  bezeichnet  sie  eben  damit  als  eine  geschlossene 
Partei  -  . 

Diese  Streitschrift  konnte  allerdings  auf  Lollarden .  falls 
solche  sie  lasen,  keinen  Eindruck  machen.  Hingegen  mochte  sie 
Leute,  die  ohnehin  schon  gegen  die  Partei  eingenommen  waren, 
durch  den  Schein  gelehrter  Widerlegung  in  ihren  Ueberzeugun- 
gen  bestärken.  Jedenfalls  ist  sie  als  ein  Versuch,  die  Wiclititen 
mit  Waffen  der  scholastischen  Wissenschaft  zu  schlagen .  einiger 
Beachtung  werth. 

Der  neue  Erzbischof  von  Canterbury  brachte  indess,  trotz 
alles  Eiters .  im  Anfang  noch  keine  Thaten  gegen  die  Lollarden 
zu  Stande.  Die  Sache  war  die  :  es  fehlte  bei  der  Regierung  an 
Bereitwilligkeit.  Gewaltmaassregeln  gegen  die  immerhin  nicht  zu 
unterschätzende  Partei  zu  ergreifen.  König  Richard  IL.  im 
Jahr  1H77  als  minderjährig  zum  Thron  gelangt .  liess  die  wicli- 
ritische  Partei  gewähren,  und  entschloss  sich  nur.  wenn  die  Hier- 
archie oder  gar  das  Parlament  drängte  und  er  nicht  anders 
konnte,  zu  Schritten  gegen  dieselbe1^  .  Im  Jahr  1387  forderte 
das  Parlament  Maassregeln  gegen  die  Lollarden  ;  da  erging  denn 
1388  eine  Verordnung  an  die  Behörden  der  Stadt  und  Graf- 
schaft Nottingham,  worin  der  König  seine  Willensmeinung  kund 
gibt,  der  Vertheidiger  der  Rechtgläubigkeit  zu  sein4  .  und  Wi- 
clifs Irrthümer  in  seinem  Reich  nicht  aufkommen  lassen  zu 
wollen :  deragemäss  wird  den  Behörden  befohlen .  dass  sie  wicli- 
fitischen  Schriften  nachspüren .  dieselben  mit  Beschlag  belegen 
und  dem  Geheimenrath  ausliefern  lassen  sollen,  während  alle  Per- 

1)  Gegen  den  Schluss  des  Ganzen,  f.  CXXXII ,  2:  ut  de  innumeris 
f ataitat  ibus .  quas  in  scriptis  reliquit,  unam  tangam  etc. 
2]  a.  a.  O.  CIL  2  und  andere  Stellen:  CXXXII.  2. 

3)  Turner.  Hist.  of  England  during  the  middle  ages,  1S30.  V.  198 
All  the  severity  of  persecution  that  the  church  could  use  short  of  death,  was 
employed .  but  never  favoured  by  Richard  II  more  than  the  power 
of  the  clergy  could  compel. 

4)  WlLKINS,  Conc.  III,  204:  nos  ze/o  fidei  cathol icae .  cujus  sv.mu* 
et  esse  volumus  defensores,  moti  — 


56 


Buch  III.    Kap.  t:  III. 


sonen  zu  verhaften  seien,  welche  mit  Kaufen  und  Verkaufen 
solcher  Schriften  oder  mit  dem  Vortrag  von  dergleichen  Lehren 
sich  abgeben.  Aber  sei  es,  dass  zur  Vollziehung  schon  von  An- 
fang an  der  erforderliche  Nachdruck  mangelte,  oder  dass  man 
später,  bei  veränderten  Verhältnissen,  von  oben  herab  nicht  sehr 
auf  Vollziehung  dringen  wollte,  —  wir  finden  abgesehen  von  einem 
späteren  Falle,  wo  1396  vier  Männer  aus  Nottingham  auf  der 
königlichen  Kanzlei  den  Widerruf  lollardischer  Grundsätze  lei- 
steten r) ,  sonst  keine  Thatsachen  von  wirklicher  Verfolgung  der 
Lollarden  durch  die  Regier ung. 

Am  wenigsten  war  das  Auftreten  des  jetzigen  Erzbischofs 
Thomas  A  r  u  n  d  e  1  geeignet  den  König  für  diesen  Zweck  günstig 
zu  stimmen.  Der  Primas  Hess  sich  nämlich  in  Verbindungen  mit 
einer  gegen  Richard  II.  selbst  feindseligen  Partei  ein.  bei  welcher 
sein  eigener  Bruder,  Richard  Fitz-Allan,  Graf  Arundel,  eine  be- 
deutende Rolle  spielte ;  letzterer  wurde  sogar  wegen  Hochver- 
raths hingerichtet,  und  der  Erzbischof  selbst,  als  nicht  ganz 
unbetheiligt  (1397),  aus  dem  Königreiche  verbannt2  .  An  seine 
Stelle  kam  Roger  von  Waiden,  bisher  Dechant  von  York. 

Allein  schon  nach  zwei  Jahren  war  Richard  II.  vom  Thron 
gestützt,  und  Arundel  als  Primas  wieder  eingesetzt.  Es  war  in- 
zwischen eine  neue  Verschwörung  von  Seiten  einiger  Grossen 
des  Reichs  gegen  den  König  angezettelt  worden,  der  freilich 
willkührlich  genug  und  despotisch  regierte.  Und  der  al »gesetzte 
Erzbisohof  spielte  hiebei  eine  der  thätigsten  Rollen.  Er  war  es. 
der  sich  von  den  Niederlanden  aus  nach  Paris  begab,  dort  mit 
dem  L398  gleichfalls  des  Landes  verwiesenen  Sohn  des  Herzogs 
von  Lancaster,  Heinrich  Grafen  von  Bolingbroke.  unterhandelte 
und  ihn  zu  dem  Wagniss  einer  Revolution  zu  bewegen  wusste. 
Er  schiffte  sich  mit  Heinrich  in  der  Bretagne  ein.  landete  mit 
ihm,  der  angeblich  nur  sein  Herzogthum  zurückfordern  wollte, 
Anfangs  .Juli  1399  an  der  Küste  von  Nordengland  .  und  stachelte 

1  Wilsum,  III,  2ti. 

2  a.  a.  ().  2.T2.    König  Richard  II.  schreibt  an  Papst  Honifacius  IX. 

über  den  bereits  abgesetzten  Erzbischof   pnnlitimiis  UMl  <'.r/>rrs  noto- 

nis  inimidi  destras  exhibet  sive  cunfei'f. 


Richard  II.  vom  Thron  gestürzt. 


57 


das  Volk  auf.  Der  Köni^  befand  sich  eben  in  Irland,  als  der 
Aufstand  ausbrach.  Er  kehrte  von  dort  zurück,  verweilte  jedoch 
vor  der  Hand  in  Wales,  bis  ihn  die  Empörer,  mittelst  einer  von 
dem  Erzbischof  angerathenen  Hinterlist,  am  19.  August  verrätlie- 
rischer  Weise  in  ihre  Gewalt  bekamen.  Richard  II.  wurde  im 
Tower  gefangen  gesetzt  und  schliesslich  genöthigt,  durch  eine 
schriftliche  Erklärung  dem  Thron  zu  entsagen.  Hierauf  sprach 
das  Parlament  seine  Absetzung  aus .  und  erkannte  dem  Herzog 
Heinrich  von  Lancaster  die  Krone  zu  30.  Sept.  .  Im  Jahr  darauf 
wurde  Richard,  als  eine  Empörung  zu  seinen  Gunsten  ausgebro- 
chen war.  am  14.  Februar  1400  in  seinem  Gefängniss  Pomfret- 
castle  getödtet 1  . 

Dies  war  in  den  Hauptzügen  der  Gang  eines  Thronwech- 
sels .  durch  welchen  die  Dynastie  Plantagenet  gestürzt  und 
das  Haus  Lancaster  die  rothe  Rose  der  Krone  theilhaftig 
wurde.  König  Eduard  III. ,  welchem  1377  sein  Enkel  als  Ri- 
chard II.  auf  dem  Thron  folgte,  hatte  ausser  dem  Vater  Richard'», 
dcni  Prinzen  von  Wales  Eduard,  genannt  der  schwarze  Prinz, 
der  i'MC)  gestorben  war,  noch  vier  Söhne  gehabt:  Lionell,  Her- 
zog von  Clarence;  Johann  von  Gent.  Herzog  von  Lancaster:  Ed- 
mund. Herzog  von  York,  und  Thomas,  Herzog  von  Glocester 2  . 
Da  Richard  II.  ohne  Leibeserben  war,  so  hätte  nach  seiner  Ent- 
thronung, kraft  Erbfolgerechts,  der  Enkel  des  Prinzen  Lionell, 
Edmund  Mortimer,  Graf  von  March,  die  nächsten  Rechtsansprüche 
auf  die  Krone  gehabt.  Allein  diesen  setzte  man  zurück,  und 
erhob  einen  Sohn  des  jüngst  3.  Februar  1399  verstorbenen  Her- 
zogs von  Lancaster.  welcher  erst  der  dritte  Prinz  Eduard's  III. 
gewesen  war.  willkührlich  und  rechtswidrig  auf  den  Königsthron. 


1  Lixoard,  Hid.  of  England.  IV.  352  ff.  Turner,  Hist.  of  Engl. 
during  the  middle  äff  es,  3.  ed.  1830,  V.  :>21  ff.  Pauli,  Gesch.  von  Eng- 
land IV.  1855,  622  ff. 


Eduard  III.  v  1377. 


Eduard. 
Prinz  v.  Wales 
t  1376. 


Liouell. 
Herzog  v.  Clarence 
f  1368. 


Johann  von  Gent 
Herz.  v.  Lancaster 
t  1399. 


Edmund, 
Herz.  v.  York 
1  1402. 


Thomas, 
Herzog 
v.  Glocester. 


Richard  II. 


Philippa;  Gemahl  Eduard 
Mortimer,  Grat' 
von  March. 


Heinrich,  Graf 
von  Bolingbroke. 
nachmals 
Heinrich  IV. 


Edmund  Mortimer. 


58 


Buch  III.    Kap.  I.  III. 


Bei  dem  bewaffneten  Aufstand  des  Adels,  durch  welchen 
Richard  II.  gestürzt  wurde,  hat  der  höchste  Würdenträger  der 
englischen  Hierarchie  wesentlich  mitgewirkt.  Der  »Altar«  erwies 
sich  keineswegs  als  eine  Stütze  des  -Throns«:  im  Gegentheil. 
der  Kirehenfürst  half  die  Krone  vom  Haupte  des  rechtmässigen 
Königs  reissen.  Aber  das  war  nur  der  Anfang  des  Unrechts.  Die 
Fortsetzung  des  Rechtsbruches  war.  dass  der  eigentliche  Thron- 
erbe willkührlich  übergangen  und  ein  anderer  Prinz  von  Geblüt 
auf  den  Thron  gehoben  wurde.  Auch  hiebei  hatte  die  Hierarchie 
die  Hände  mit  im  Spiel.  Zwar  der  alte  Herzog  von  Lancaster. 
gemeiniglich  nach  seinem  Geburtsort  Johann  von  Gent  genannt, 
hatte  sich  der  Hierarchie  nicht  sehr  empfohlen.  Er  war  lange  auf 
Seiten  der  antirömischen  Partei  gestanden .  hatte  die  Partei  der 
Reform  in  kirchlichen  Dingen  öffentlich  begünstigt,  war  nicht  nur 
ein  gebildeter  Mann  und  Freund  der  Kunst,  ein  Gönner  des  Dich- 
ters Chaucer.  sondern  auch  ein  Beschützer  Wiclif  s  gewesen 
und  gegen  bischöfliche  Anmaassung  rücksichtslos  aufgetreten. 
Dessen  ungeachtet  war  sein  Sohn .  Heinrich  von  Bolingbroke. 
der  Hierarchie  genehm.  Er  hatte  sich  schon  seit  geraumer  Zeit 
der  aristokratischen  Opposition  gegen  Richard  II.  angeschlossen, 
und  war  deshalb  139S  von  diesem  des  Landes  verwiesen  worden. 
Nun  bahnte  er  sich  mit  Hülfe  der  Hierarchie  auf  revolutionärem 
Wege  den  Zugang  zum  Thron.  Die  Kirche  hatte  zur  Usurpation 
mitgeholfen,  das  musste  die  Krone  mit  Gewaltmaassregeln  gegen 
die  kirchliche  Oppositionspartei  vergelten.  Damit  beginnt  eine 
Zeit  blutiger  Verfolgung  gegen  die  Wiclititen. 


Zweites  Kapitel. 

Von  der  Thronbesteigung  des  Hauses  Lancaster  bis  zur 
Hinrichtung  des  Lord  Cobham  (1399—1417). 

Di»>  Umstände,  unter  welchen  Heinrich  IV.  den  englischen 
Thron  bekriegen  hatte .  machten  es  ihm  zum  dringenden  Bedürf- 
nis», seine  Stellung  so  viel  wie  möglich  zu  stärken  und  seinen 
Thron  zu  »ehern  dadurch,  dass  er  im  Lande  selbst  Unterstützung 
Buchte.  Nun  konnte  er  die  mächtige  Bundesgenossenschaft  der 
Hierarchie  nicht  sicherer  gewinnen  als  dadurch  .  dass  er  seiner- 
seits ihren  Bestrebungen  gegen  die  Lollarden  Vorschub  leistete. 
Es  war  einerseits  der  Dank  für  die  hei  seiner  Erhebung  auf  den 
Thron  geleisteten  Dienste,  andererseits  eine  Politik  für  die  Zukunft, 
dasti  Heinrich  die  Geistlichkeit  begünstigte.  Dies  ging  so  weit. 
dä8S  der  hohe  Klerus  unter  ihm  fast  denselben  Einfluss  erlangte, 
welchen  bisher  der  hohe  Adel  genossen  hatte.  Namentlich  aber 
stelltt1  er,  was  bis  dahin  noch  keine  Regierung  in  England  gethan 
hatte,  das  weltliche  Schwert  der  Kirche  zur  Verfügung  zum  Be- 
huf der  blutigen  Verfolgung  der  Lollarden.  so  dass  die  »rothe 
Kose   des  Hauses  Lancaster  ihre  Farbe  traurig  rechtfertigte1  . 

Der  König  schickte  gleich  an  die  erste  Convocation .  die 
nach  seinem  Regierungsantritt  gehalten  wurde  b.  Oct.  1399  . 
einige  Mitglieder  des  hohen  Adels  als  Abgeordnete,  und  Hess 

1  Vergl.  Turner  .  Hisi.  of  Engl,  during  the  middle  ages,  II,  364  f. 
469;  V,  107.  200.  Pauli,  Gesch.  von  England.  V,  lSös.  50  ff.  Short. 
Bist,  of  the  Church  of  Engl.  1S40.  66  f. 


60 


Buch  III.    Kap.  2.  I. 


durch  sie  der  Versammlung  eröffnen:  er  gedenke  es  nicht  zu 
machen  wie  seine  Vorgänger  in  der  Regierung,  die  von  der 
Geistlichkeit  immer  Geld  begehrt  hätten;  er  werde  von  ihnen 
keine  Steuern  fordern,  es  sei  denn  class  dies  unumgänglich 
nothwendig  sei ;  hingegen  um  ihre  Fürbitte  wolle  er  sie  bitten ; 
seinerseits  aber  ertheile  er  von  freien  Stücken  die  Zusicherung, 
alle  Freiheiten  der  Kirche  aufrecht  zu  erhalten ,  und  alle  Irrleh- 
ren und  Ketzereien  .  so  wie  die  Ketzer  selbst ,  nach  Kräften  be- 
kämpfen zu  wollen.  Natürlich  blieben  lebhafte  Danksagungen 
für  ein  so  gnädiges  Wohlwollen  des  Königs  nicht  aus ;  sie  wurden 
von  Thomas  Ar unde  1,  Erzbischof  von  Canterbury,  im  Xamen 
der  Geistlichkeit  ausgesprochen  1  . 

Die  Geistlichkeit  ihrerseits  richtete  nun  vor  allem  an  den 
Erzbischof  und  die  übrigen  Bischöfe  ein  Gesuch,  dahin  gehend, 
sie  möchten,  als  Mitglieder  des  Parlaments,  sich  nachdrücklichst 
widersetzen,  falls  aufs  neue  Anträge  im  Sinne  der  Lollarden.  »der 
Freiheit  der  anglikanischen  Kirche  zuwider«  eingebracht  werden 
sollten 2  .  Es  wäre  zu  verwundern,  wenn  man  sich  mit  dieser  rein 
defensiven  Stellung  begnügt  hätte.  Die  Geistlichkeit  nahm  sofort 
auch  eine  offensive  Stellung  ein :  sie  ersuchte  den  König  in  einer 
Bittschrift  um  gesetzgeberische  Akte  gegen  die  Lollarden  *  .  In 
dieser  Eingabe  erkannte  man  die  Thatsache  ausdrücklich  au.  dass 
einzelne  Bischöfe  sich  vollkommen  ausser  Stande  sehen,  lediglieh 
durch  Mittel  ihrer  geistlichen  Jurisdiktion  und  ohne  Beihülfe  der 
königlichen  Macht,  mit  den  Ketzern  fertig  zu  werden,  und  zw  ar 
aus  dem  doppelten  Grunde,  einmal  weil  die  Häretiker  sich  aus 
einem  Sprengel  in  den  anderen  ziehen,  und  dann  weil  sie  den 
Oberen  Trotz  bieten,  auf  ergangene  Vorladung  sich  vor  den  Bi- 
schöfen nicht  stellen,  ja  die  Bisehöfe  samint  ihrer  geistlichen  Ge- 
richtsbarkeit. Schlüsselgewalt  und  Kirchenzucht  völlig  für  nichts 
achten,  und  somit  ihre  Predigten  und  Vorträge  kraft  ihres  auge- 
maasstcu  Predigtamtes  von  Tag  zu  Tage  fortsetzen,  wodurch  am 
Faule  alles  Kirchenregiment  lahm  gelegt  und  zerstört  werde.  Da- 


1  Wilkins.  Cum.  M.  Brit.  III.  238  sq. 

2  a.  a.  0.  III.  242.  Nr.  2<». 
:t   a.  a.  ().  III.  2$1  fg. 


Anträge  gegen  die  Lollarden. 


61 


durch  wird  das  Gesuch  an  den  Köllig  niotivirt:  er  möge,  im  Hin- 
blick auf  die  rühmlichen  Fusstapfen  seiner  Ahnen  und  Vorgänger, 
zur  Erhaltung  des  rechten  Glaubens,  zur  Aufrechthaltung  des 
Gottesdienstes  wie  auch  zur  Bewahrung  der  Rechte  und  Frei- 
heiten der  anglikanischen  Kirche,  in  dem  gegenwäl  tig  tagenden 
Parlamente,  unter  Beirath  der  Grossen  des  Reichs  und  der  übrigen 
Mitglieder.  Maassregeln  und  Straf bestimmungen  festsetzen  gegen 
Jeden,  der  künftig  sich  herausnehme,  ohne  bischöfliche  Ge- 
nehmigungöffentlich oder  insgeheim  zu  predigen,  gegen  Jeden, 
der  Bücher  verfasse  oder  abschreibe,  welche  den  Entscheidungen 
der  Kirche  zuwiderlaufen,  der  auf  Grund  der  Lehren  dieser  Sekte 
geheime  Zusammenkünfte  halte  oder  Unterricht  ertheile  1  .  oder 
auch  irgend  einen  Mann  dieser  Art  begünstige  und  seinen  Unter- 
halt bestreite.  Im  Falle  des  Zuwiderhandelns  müsste.  kraft  dieses 
GesetM»,  jeder  Bischof  in  seinem  Sprengel  Vollmacht  haben,  die 
Schuldigen  oder  Verdächtigen  verhaften  zu  lassen,  bis  sie  ent- 
weder sich  gereinigt  oder  die  ketzerischen  Meinungen  abge- 
schworen hätten,  so  dass  binnen  drei  Monaten  von  der  Verhaftung 
an  gerechnet  der  förmliche  Process  erledigt  sein  müsse.  Die  be- 
harrlich Widerstrebenden  oder  Rückfälligen  aber  sollten  von  den 
königlichen  Grafschaftsbeamten  übernommen  werden,  um  ferner 
zu  thun  was  ihres  Amtes  ist  der  bekannte  euphemistische  Kunst- 
ausdruck der  Inquisition:  ulterius  agant  quod  eis  incumbi/  in  ltu<- 
parte  .  Alles  das  sei  nöthig,  damit  solch  heillose  ketzerische  Lehre 
oder  deren  Urheber  und  Gönner  auf  keinerlei  Weise  im  Reich  ge- 
duldet werden.  Ueberdiess  müssten  alle  Besitzer  ketzerischer 
Schriften  innerhalb  einer  gewissen  Frist  dieselben  ihrem  Bischof 
ausliefern. 

Die  Bittschrift  hatte  den  gewünschten  Erfolg.  Der  König  er- 
hob, mit  Zustimmung  des  Parlaments,  sämmtliche  von  der  Geist- 
lichkeit beantragte  Maassregeln  zum  Gesetz.  Es  wurde  eine 
4<>tägige  Frist  von  Bekanntmachung  dieses  Statuts  ab  anberaumt 
zur  Auslieferung  ketzerischer  Schriften.  Ferner  erging  der  Be- 


1)  a.  a.  ü.  eon  v  enticulas  aliquas  faciat  —  Scholas  teneat  vel  cxev- 
ceat  quovis  mddo.  —  —  —  De  hujustnodi  secta  nefandisqtte  doctrinis  ac 
opinionibus  conventiculas  et  con  föderation  es  illicitas  faciunt. 


62 


Buch  III.    Kap.  2.  I. 


fehl,  dass  die  Vicegrafen  der  Grafschaften  und  die  Mayors  und 
Baillifs  der  Städte  und  Gemeinden  der  Urtheilsfällung  in  einem 
bischöflichen  Gericht  beiwohnen,  die  Verurtheilten  sofort  an  sich 
nehmen,  und  sie  zur  Abschreckung  für  Andere,  öffentlich  an  einem 
hervorragenden  Orte  verbrennen  lassen  sollen  1  . 

Die  Akte  de  comburendo  haereticos  vom  Jahr  1400  war  das 
erste  Stück  in  der  ganzen  englischen  Gesetzgebung,  welches 
Todesstrafe  wegen  Ketzerei  verfügt2  .  So  reichten  sich  denn 
Staatsgewalt  und  Kirchengewalt  brüderlich  die  Hände  zum  Ver- 
derben der  Lollarden.  Und  das  Statut  ist  nicht  etwa  auf  dem 
Papier  geblieben.  Noch  in  demselben  Jahre  wurde  vor  versammel- 
ter Convocation  zwei  Lollarden  der  Process  gemacht.  Der  eine 
entging  der  Strafe  durch  Widerruf,  der  andere  aber  wurde  wegen 
Beharrens  in  seiner  Ketzerei  das  erste  Opfer  der  neuen  Inquisi- 
tionsmaassregeln,  er  wurde  lebendig  verbrannt.  Beide  standen  in 
geistlichen  Aemtern :  jener  war  der  uns  bereits  bekannte  Johann 
Purvey,  dieser  hiess  Wilhelm  Sautre. 

Johann  Purvey  (P  u  r  n  e  y ,  Perne  y; ,  der  Kaplan  aus  dem 
Sprengel  von  Lincoln,  welchen  wir  als  den  Gehülfen  Wie  Ii  Ts 
im  Pfarramt,  im  Werk  der  Bibelübersetzung  und  als  Reiseprediger 
kennen,  wurde  zur  Verantwortung  vor  den  Erzbisehof  und  die 
Convocation  vorgeladen.  Inzwischen  war  aber  die  Verurtheilung 
Sautre's  erfolgt,  und  dieser  war  am  24.  Februar  1400 3)  auf  dem 
Scheiterhaufen  öffentlich  verbrannt  worden.  Dieses  Auto  da  fe 
scheint  auf  Purvey  einen  erschütternden  Eindruck  gemacht  und 
seine  Entschlossenheit  gebeugt  zu  haben.  Am  5.  März  verstand 
er  sich  vor  den  Beauftragten  des  Erzbischofs,  den  Bischöfen  von 
Bangor  und  Kochfester  nebst  mehreren  Doctoren,  zum  Widerruf, 
iuhI  unterwarf  eich  vollkommendem  Erzbisehof  und  seinem  Coneil. 
Den  Tag  darauf,  Sonntag  den  6.  März,  hat  er  beim  St.  Pauiskreuz 

1)  Wii.kins,  III.  254:  Personas  Ufas  —  cöram  poputo  in  eminent*  Inen 
comburi  faciant,  ut  hujnsmodi  punitio  tnchim  ineutiat  mentifms  UltquOTUnu 
2]  TüBNEB  a.  a.  0.  II.  305. 

A  Wilkins.  Cour.  III,  254  fi*.  gibt  das  Jahr  1400  an,  es  muss  jedoch 
das  Jahr  1 40 1  gewesen  sein.  Das  ergibt  sich  aus  den  in  der  Urkunde 
mehrfach  genannten  Wochentagen,  welche  zu  der  Ziffer  der  Monatstage  nur 
im  Jahr  1401  stimmen,  nicht  aber  im  Jahr  1400. 


Wilhelm  Sautre  stirbt  den  Feuertod. 


auf  dem  Kirchhof  der  Paulskirche  zu  London  seinen  schrift- 
lich ausgestellten  Widerruf,  anlangend  7  angebliche  Irrlehren,  in 
Gegenwart  der  Gemeinde  öffentlich  vorgelesen,  in  englischer 
Sprache1).  Uebrigens  steht  fest,  dass  Purvey,  dessen  Abfall 
unter  den  Lollarden  höchst  schmerzliches  Aufsehen  erregte,  spä- 
ter wieder  zu  der  evangelischen  Partei  übergegangen  ist :  denn  im 
Jahr  1421  wurde  er  unter  Erzbischof  Chichely  aufs  neue  in 
Untersuchung  gezogen. 

Aber  Wilhelm  Sautre  (Jawtre,  Chatrys)  hat  den  Feuertod 
erduldet.  Derselbe  war  früher  Kaplan  an  der  St.  Margarethen- 
kirche der  Seestadt  Lynn  in  Norfolk  gewesen,  und  wegen  Ketzerei 
seines  Amtes  entsetzt  worden.  Nachdem  er  aber  vor  dem  Bischof 
von  Norwich,  le  Spencer,  am  26.  Mai  1399  einen  Widerruf  ge- 
leistet 2j .  war  er  kürzlich  wieder  als  Kaplan  an  der  Kirche 
St.  Swithin  in  der  City  von  London  angestellt  worden.  Da  er 
aber  dieselben  oder  ähnliche  Sätze  wie  früher  wieder  vortrug, 
so  wurde  er  am  12.  Februar  1401  von  der  Provincialsynode  zur 
Verantwortung  gezogen.  Er  bat  sich  Bedenkzeit  aus,  so  wie  eine 
Abschrift  der  acht  angeblichen  Irrlehren ,  deren  er  angeschuldigt 
war  ;  Beides  wurde  ihm  gewährt.  Nun  gab  er  in  einem  zweiten 
Verhör,  am  18.  Februar,  eine  schriftliche  Verantwortung  ab,  worin 
er  jene  Sätze  möglichst  vorsichtig  auslegte,  ohne  eigentlich  etwas 
davon  zurückzunehmen.  Es  schloss  sich  eine  Vernehmung  an,  in 
der  er  auf  scholastisch-spitzfindige  Fragen  über  das  heil.  Abend- 
mahl und  die  Wandlung  ausweichende  Antworten  gab;  ebenso 
auch  am  folgenden  Tage,  wo  das  Verhör  von  8 — 11  Uhr  fortgesetzt 
wurde.  Weil  er  sich  also  zu  der  Kirchenlehre  durchaus  nicht  un- 
bedingt bekennen  wollte,  sprach  der  Erzbischof  im  Namen  der 
Provincialsynode  das  Urtheil  über  ihn.  dass  er  ein  Ketzer  sei.  Und 
nachdem  inzwischen  die  Urkunde  seines  früheren  Widerrufs  bei- 
gebracht, und  am  23.  Februar  ihm  öffentlich  vorgehalten  w7orden 
war.  wurde  er.  als  rückfälliger  und  unverbesserlicher  Ketzer, 
zur  Degradation  verurtheilt.  Schon  am  24.  Februar  folgte  die  Voll- 
ziehung dieses  Spruchs :  Sautre  wurde  in  vollem  priesterlichem 


1)  WlLKINS  III,  261  f. 

2   a.  a.  O.  III,  255  f. 


64 


Buch  III.    Kap.  2.  I. 


Ornat  bei  versammelter  Gemeinde  vor  dem  Erzbischof  in  der  Pauls- 
kirche  zu  London  vorgeführt:  das  gefällte  Urtheil  wurde  vorgele- 
sen; hierauf  schritt  man  zur  Degradation,  unter  allmählicher  Ent- 
kleidung von  allen  einzelnen  geistlichen  Gewändern  und  Sinnbil- 
dern, Ehren  und  Rechten :  schliesslich  wurde  er  der  Tonsur  beraubt 
und  zum  Laien  herabgesetzt,  und  sofort  dem  Marschall  des  Königs 
übergeben ]) .  Nachdem  inzwischen  am  26.  Februar  der  königliche 
Befehl  an  Mayor  und  SheritYs  von  London,  den  Mann  zu  ver- 
brennen, ergangen  war2  .  wurde  er  ungewiss  an  welchem  Tage 
Anfangs  März  auf  dem  freien  Platze  Smithfield  vor  einer  Menge 
von  Zuschauern  verbrannt.  Sautre  war  der  erste  Märtyrer  unter 
den  Lollarden.  Ein  Feuer  ist  immer  leichter  anzuzünden  als  zu 
löschen.  War  einmal  der  erste  Scheiterhaufen  entzündet,  so 
loderte  die  Flamme  des  Fanatismus  in  den  Gemüthern  fort  und 
suchte  nach  immer  neuen  Opfern. 

Vom  Jahr  1401  an  ging  die  Arbeit  der  Inquisition  stetig  vor- 
wärts. In  verschiedenen  Gegenden  des  Landes  kamen  Lollarden 
in  Untersuchung:  in  London  selbst  und  in  dem  benachbarten 
Sprengel  des  Bischofs  von  Rochester  3  ,  in  Oxford,  Nottingham  and 
Wigston  unweit  Leicester,  sämmtlich  zur  Diöcese  Lincoln  ge- 
hörig4), in  Norwich5).  ferner  aus  dem  Westen  Englands  in  Bristol 
und  Umgegend,  so  wie  in  Worcester*'  . 

Wie  man  in  der  Grausamkeit  der  Todesstrafen  Fortschritte 
machte  und  immer  sinnreichere  Qualen  erfand,  das  lässt  sich  an 
der  Geschichte  der  Hinrichtung  des  Johann  Badby  ersehen. 
Dieser  war  ein  Schneider  aus  Evesham  in  der  Diöcese  Worcester, 


1)  Wilkins.  Oone.  III,  299  f. 

2  RYMER  Fuder«.  VIII,  178.  Die  kirchliche  Urkunde  hei  Wilkins 
schweigt  wie  das  Grab  über  die  Hinrichtung  selbst.  Walsingham,  II.  247 
kennt  zwar  den  Namen  des  Mannes  nicht,  erwähnt  jedoch  offenbar  diese 
ThatSache   beim  Jahr  I  101. 

3)  Wilkins  III,  270  f.  Nebst  Richard  Herbert  und  Johann  Seygne 
kam  auch  eine  Frauensperson  aus  London.  Emmote  Wylly.  in  l 'ntcr- 
suchung ;  vgl.  III,  329  f. 

4]  a.  a.  ().  III.  :*ls.  :m.  .T2<i;  338 ;  870. 

5)  a.  a.  ().  298. 

6)  a.  a.  ().  2i>:>:  :r2:>  f. 


Johann  IJadbys  martervoller  Tod. 


65 


und  kaut  im  Jahr  1409  dort  vor  dem  Bischof  in  Untersuchung, 
wegen  angeblicher  Irrlehren  über  das  heilige  Abendmahl.  Das 
Jahr  darauf  wurde  er  in  London  von  dem  Erzbischof  selbst  und 
mehreren  seiner  Suffraganbischöfe  verhört.  Er  blieb  aber  mit  voll- 
kommener Ruhe  und  Festigkeit  bei  der  Erklärung,  dass  im  Sakra- 
ment des  Altars  nach  wie  vor  der  Consecration  wirkliches  Brod 
bleibe,  das  übrigens  ein  Zeichen  des  lebendigen  Gottes  sei.  Als 
man  ihn  aufforderte  der  geweihten  Hostie  seine  Verehrung  zu 
bezeugen,  antwortete  er,  wie  Thomas  von  Waiden  erzählt:  »da 
ist  wahrlich  eine  Spinne  würdiger,  verehrt  zu  werden !«  In  diesem 
Augenblick  Hess  sich  eine  ungeheure  Spinne  vom  Kirchengewölbe 
herab,  direkt  aufsein  Gesicht  zu,  und  lief  um  seinen  Mund.  So- 
gleich stand  der  Erzbischof  auf  und  eröffnete  dem  versammelten 
Volke,  was  Gottes  Hand  an  dem  Lästerer  gethan1  .  Am  5.  März 
1410  w  urde  das  Urtheil  über  ihn  gelallt,  dass  er  ein  hartnäckiger 
Ketzer  sei ;  der  geistliche  Gerichtshof  übergab  ihn  dem  weltlichen 
Richter,  nicht  ohne  eine  gleissnerische  Verwendung  dafür  eintreten 
KU  lassen,  dass  er  nicht  mit  der  Todesstrafe  belegt  werden  möchte. 
Aber  noch  an  demselben  Tage  wurde  er,  da  der  königliche  Hin- 
richtungsbefehl rasch  ausgefertigt  war,  nach  dem  Platz  Smithfield 
gebracht  und  dort  folgendermaassen  um's  Leben  gebracht :  man 
stellte  ihn  in  eine  leere  Tonne,  band  ihn  mit  eisernen  Ketten  an 
einen  aufgerichteten  Pfahl  und  häufte  nun  trockenes  Holz  rings 
um  ihn  her.  Es  traf  sich,  dass-  in  diesem  Augenblicke  der  Prinz 
von  Wales,  der  nachmalige  König  Heinrich  V.,  dazu  kam.  Er 
fühlte  Mitleid  mit  dem  Unglücklichen,  und  suchte  ihn  durch  Vor- 
stellungen und  Ermahnungen  zum  Widerruf  zu  bewegen.  Aber 
umsonst.  Inzwischen  brachte  der  Prior  des  Bartholomäusstiftes 
auf  Smithfield  in  Procession  das  »hochwürdige  Gut«  unter  dem 
Vorantritt  von  1 2  Fackelträgern,  um  es  dem  armen  Mann  am  Pfahl 
/Ai  zeigen.    Derselbe  blieb  jedoch  dabei,  das  sei  geweihtes  Brod. 

I  Doetrinale,  II,  108.  Thoraas  beruft  sich  darauf,  dass  er  Augenzeuge 
gewesen  und  diesen  Vorfall  in  der  Paulskirche  zu  London  selbst  mit  an- 
gesehen habe.  Auch  stimmt  das  amtliche  Protokoll  bei  Wilkins,  Conci.ia 
III,  327  in  der  Hauptsache  mit  dieser  Erzählung  überein,  nur  dass  die 
angebliche  Aeusserung  Badby's  nicht  im  Protokoll  erwähnt  wird. 
LtCHLKR.  Wiclif.  II.  5 


66 


Buch  III.    Kap.  2.  1 


aber  nicht  der  Leib  Gottes.  Nim  setzte  man  die  Tonne  über  ihn 
her,  und  zündete  das  Feuer  an.  Als  die  Flammen  seinen  Leih 
erfassten,  schrie  er  »Erbarmen ! «  Seine  Jammertöne  erschütterten 
den  Prinzen :  er  befahl  das  Feuer  zu  löschen  und  die  Tonne  zu 
entfernen:  nun  machte  er  einen  zweiten  aber  ebenso  vergeblichen 
Bekehrungsversuch,  unter  grossen  Versprechungen.  Endlieh 
wurde  Badby  wieder  in  die  Tonne  gethan,  und  starb,  darin  ein- 
gesperrt, den  grässlichsten  Flammentod,  mit  unbezwungener 
Festigkeit *)! 

Es  ist  nicht  zu  verwundern,  dass  manche  Personen  durch  die 
Qualen  der  Tortur  und  durch  die  drohenden  Schrecken  des  Feuer- 
todes gebeugt,  sich  unterwarfen  und  zu  dem  geforderten  Widerruf 
_sich  verstanden,  während  andere  zu  lebenslänglicher  Haft  ver- 
urtheilt,  im  Kerker  starben.  Immerhin  endeten  mehrere  auf  dem 
Scheiterhaufen  als  Märtyrer.  Und  das  geschah  nicht  nur  in  Eng- 
land, sondern  auch  in  Schottland,  wo  z.  B.  John  Kesby,  ein 
Wiclifite  aus  England,  im  Jahr  1407  verbrannt  wurde2). 

Unter  der  grossen  Zahl  von  Bekennern  und  Märtyrern,  welche 
in  den  ersten  Jahrzehenten  des  XV.  Jahrhunderts  Verhöre  der 
zudringlichsten  Art,  mitunter  rücksichtslose  Haft,  grausame  Fol- 
tern, zum  Theil  wirklich  den  Feuertod  erlitten  haben,  ist  Einer, 
dessen  Geschichte  vor  der  vieler  Anderen  hauptsächlich  aus  dem 
Grunde  hervorragt,  weil  sie  uns  durch  seine  eigenhändigen  Aut- 
zeichnungen genauer  bekannt  geworden  ist.  Es  ist  dies  Wilhelm 
T  Ii  o  r  p  e ,  derselbe,  aus  dessen  Schilderung  von  der  Persönlichkeit 
Wiclif 's  wir  schon  oben  einige  Züge  entlehnt  haben  !  .  Er  hatte 
2o  Jahre  lang  als  Reiseprediger  theils  im  Norden  Englands,  theils 
in  anderen  Gauen  gearbeitet.  Im  Jahr  1397  war  er  in  London 
verhaftet  gewesen,  aber,  nach  der  Verbannung  des  Erzbischofs 
A  runde  1.  auf  Verwendung  seiner  Freunde,  durch  den  Bischof 
von  London  ohne  weiteres  auf  freien  Fuss  gesetzt  worden  1  .  Nun 


1)  Wilkins,  III,  326  f.  Walsingham,  II,  282.  Johann  Foxe.  Aßtt 
and  Mon.  III,  2.15  ff. 

2)  HKTHERINGTON,  History  of  the  Church  of  Ücotland  Is42.  2.  ed.  30, 
8)  Buch  II.  Kap.  5. 

4)  John  Foxe,  III,  2sl. 


Wilhelm  Thorpe  und  sein  Verhör. 


'war  CT  aufs  neue  verhaftet,  und  zuerst  zu  Shrewsburv  im  Westen 
Kurland  s,  in  s  Uelangniss  gelebt  worden.  Allein  der  Erzbischof. 
Thomas  Arundel.  Hess  ihn  im  Jahr  1407  auf  seine  Burg  Salt- 
wood in  Kent.  unweit  der  Südküste.  bringen,  um  persönlich  mit 
ihm  zu  verhandeln,  und  ihn  womöglich  zu  bekehren.  Der  Primas 
hat  ihn  zu  wiederholten  Malen  vernommen .  und  bald  in  wohl- 
wollendem, zutraulichen!  Ton,  bald  in  inquisitorischer,  feind- 
seliger und  herrischer  Weise  mit  ihm  gesprochen.  Auf  Ansuchen 
seiner  Freunde,  die  theils  unterwegs,  als  er  von  Shrewsburv  nach 
der  Grafschaft  Kent  transportirt  w7urde.  ihn  sprachen,  theils  auf 
Saltwood  zu  Zeiten  ihn  im  Gelangniss  besuchen  durften,  setzte  er 
im  Kerker  eine  Art  Denkschrift  auf  über  die  Verhöre  und  seine 
Verantwortung  vor  dem  Erzbischof.  Diese  Aufzeichnungen  wur- 
den durch  Freunde  des  Mannes  sorgfältig  aufbewahrt  und  vielfach 
abgeschrieben,  im  XVI.  Jahrhundert  von  Wilhelm  Tindal .  dem 
Uebersetzer  der  Bibel  ins  Englische  ~  1536).  herausgegeben. 
Die  Schrift  war  im  Reformationszeitalter  eine  beliebte  Lektüre, 
wurde  doch  das  Lesen  derselben  mit  anderen  Büchern  durch  eine 
königliche  Proklamation  1530  ausdrücklieh  verpönt1  :  von  Johann 
Foxe  wurde  sie  vollständig  wieder  abgedruckt  -  . 

1)  Unter  dem  Titel:  The  examination  of  William  Thorpe,  WlLKlNs 
III.  739. 

1  Die  Aufzeichnungen  waren  in  englischer  Sprache  gemacht;  Tindal 
soll  die  eigenhändige  Niederschrift  Thorpe' s  zur  Verfügung  gehabt  haben, 
beim  Abdruck  glaubte  er  indes  die  Sprache  etwas  modernisiren  zu  sollen. 
Uebrigens  scheint  es  frühe  auch  eine  lateinische  Uebersetzung  davon  gege- 
ben zu  haben.  Die  böhmischen  Hussiten  interessirten  sich  für  die  Schrift, 
und  eine  von  den  Handschriften  der  Wiener  Hof-  und  Staatsbibliothek 
Lat.  MD XXVII  nach  Denis,  aus  dem  XV.  Jahrhundert  enthält  Colio- 
quium  Guilielmi  Thorp,  concionatoris  —  incarcerati .  cum  Thoma  Arun- 
del, archiepiscopo  Cantuariensi  —  anno  1407  habitum.  Auch  in  der  erz- 
bischöflichen Kapitels-Bibliothek  zu  Prag  befindet  sich  laut  einer  Notiz  von 
Hoefler  .  Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewegung,  II,  353.  Anm.,  eine 
Handschrift  dieses  Büchleins.  —  Johann  Foxe  hat  schon  in  der  ersten 
lateinischen  Ausgabe  seines  Werks  Commentarii  rerum  in  ecclesia  gesUiriim. 
15554,  nicht  nur  die  Geschichte  Thorpe* s  ausführlich  erzählt,  sondern  auch 
reichhaltige  Auszüge  aus  der  Schrift  desselben  Iis — 157  gegeben.  In  der 
englischen  Ausgabe  vom  Jahr  1684  ist  die  fragliche  Denkschrift  Vol.  I,  GS7 
bis  sn^  vollständig  enthalten;  auch  die  neue  Ausgabe  von  To wn send 
1S44  gibt  die  ganze  Thorpe'sche  Schrift  Vol.  III,  250— 2S2. 


Buch  III.    Kap.  2.  1. 


Diese  Schrift  ist  in  hohem  Grade  anziehend ,  ebensowohl 
durch  die  schlichte  naive  Form  des  Berichts  und  der  ganzen  Dar- 
stellung, als  durch  den  lehrreichen  Inhalt.  Namentlich  erregt  die 
Geistesgegenwart  und  Ruhe,  die  Klarheit,  Wärme  und  Ent- 
schlossenheit, mit  welcher  der  Getangene  sich  verantwortet,  zu- 
mal bei  den  verschiedenen  Tönen .  welche  der  Kirchenfürst  ihm 
gegenüber  anschlägt,  wirkliche  Seelenfreude  und  Bewunderung 
für  den  Geist  Christi,  welcher  in  diesem  Bekenner,  wie  in  anderen 
Zeugen  der  Wahrheit  gelebt  hat.  Da  aber  Thorpe  den  Widerruf 
und  die  unbedingte  Unterwerfung  unter  die  Auktorität  der  Kirche 
beharrlich  verweigerte,  und  nur  nach  Maassgabe  des  Wortes  Gottes 
sich  eines  Bessern  belehren  lassen  w  ollte,  so  wurde  er  zuletzt  vom 
Erzbischof  aufgegeben,  lieber  seine  letzten  Lebensschicksale  las- 
sen uns  die  Urkunden  völlig  im  Dunkeln.  Frei  ist  er  schwerlich 
je  wieder  geworden.  Auch  ist  kaum  wahrscheinlich,  dass  er  als 
hartnäckiger  Ketzer  verbrannt  wurde.  Eher  mag  er  im  Kerker 
durch  Hunger  oder  Henkersqualen  heimlich  umgebracht  worden 
sein.  Das  letztere  hat  er  offenbar  selbst  gefürchtet-.  Denn  in 
seinem  Testamente,  das  uns  gleichfalls  erhalten  ist.  erklärt  er 
seinen  festen  Entschluss,  »zum  Beweis  der  Wahrheit  seiner  Ueber- 
zeugung,  demüthig  und  freudig  zu  leiden,  dass  sein  armer  Leib 
gefoltert  werde,  wo  Gott  will,  und  von  wem.  und  wann,  und  wie 
lange  er  will,  und  welche  zeitliche  Strafe  und  Tod  er  will,  zur 
Ehre  seines  Namens  und  zur  Erbauung  der  Kirche.«  Er  bittet 
schliesslich  alle  Gläubigen,  welche  sein  Testament  lesen  oder 
hören,  um  ihre  andächtige  Fürbitte,  »dass  ihm  gegeben  werde 
Gnade,  Weisheit  und  Klugheit  von  oben,  damit  er  sein  Leben  be- 
schliessen  möge  in  der  Wahrheit,  die  er  bezeugt  hat,  und  um  seiner 
Sache  willen,  in  wahrem  Glauben,  beständiger  Hoffnung,  und 
vollkommener  Liebe  1  U 

II. 

Je  grösser  der  Nachdruck  war.  mit  welchem  die  Kirchen- 
gewalt,  unter  eifriger  Benützung  einer  geneigten  Stimmung  der 

1)  Das  .Testament  Wilhelm  Thorpe  s«,  bei  Joh.  Foxk.  III.  2S2— 285. 


Die  Führer  der  wiclifitischen  Partei. 


6<> 


königlichen  Regierung,  auf  Unterdrückung  der  Lollarden  hin- 
arbeitete, desto  deutlicher  stellte  sich  mit  den  Jahren  heraus,  dass 
durch  alle  bisherigen  Maassregeln  gegen  die  Reiseprediger  und 
gegen  einzelne  Mitglieder  der  Partei  docli  kein  nachhaltiger  Er- 
folg erreicht  werde.  Man  sali  immer  klarer,  dass  man  den  hervor- 
ragenden Führern  und  Hauptern  der  Partei  zu  Leibe  gehen,  und 
sie  entweder  beugen  oder  brechen  müsse,  um  alsdann  über  die 
Masse  desto  leichter  Meister  zu  werden. 

Nun  aber  waren  die  tonangebenden  Leiter  in  zwei  verschie- 
denen Kreisen  und  Ständen  zu  suchen:  die  geistig  bedeutenden 
und  wissenschaftlich  hervorragenden  Führer  vorzugsweise  unter 
den  Glelehrten  der  Universität  Oxford,  die  reichen  und  mächtigen 
Gönner  und  Schutzherren  der  Partei  unter  dem  grundbesitzenden 
Adel  und  den  Grossen  des  Reichs.  Sei's  nun,  dass  man  einen 
wohlüberdachten  Kriegsplan  befolgte,  nach  der  Regel :  dwide  et 
impera,  oder  dass  die  Umstände  selbst  diesen  Gang  herbeiführten: 
Thatsache  ist,  dass  man  nicht  beide  Arten  von  Parteiführern  der 
Lollarden  gleichzeitig  aufs  Korn  genommen,  sondern  zuerst  nur 
die  Universität,  und  erst  nachher  den  Theil  des  Adels,  welcher 
sich  an  die  Spitze  der  Bewegung  gestellt  hatte,  angegriffen  hat. 

Die  Universität  Oxford  war  kürzlich  in  den  brennendsten 
Verdächt  wiclifitischer  Gesinnung  durch  eine  Urkunde  gekommen, 
welche^  wie  es  sich  auch  mit  derselben  verhalten  mag,  auf  jeden 
Fall  eine  höchst  merkwürdige  Erscheinung  ist.  Wir  meinen  die 
unter  dem  5.  October  1406  im  Namen  des  Kanzlers  und  einer 
Versammlung  der  Magister  in  aller  Form  ausgestellte  und  mit  dem 
Universitätssiegel  versehene  Erklärung,  welche  Wiclif  gegen  den 
Verdacht  der  Irrlehre  in  Schutz  nimmt,  und  ein  nach  jeder  Rich- 
tung hin  ausnehmend  günstiges  Zeugniss  über  ihn  ablegt1).  Der 


1  Die  Urkunde  ist  abgedruckt  in  Wilkixs  .  ContiHa  M.  Brit.  III, 
'Mrl.  Jo.  HUS  et  HiBRONYMI  Prag-.  Historia  et  Monument«,  Nürnberg,  155S. 
Vol.  II.  f.  3663;  Lewis.  Hist.  ed.  l§20),  Append:  343  sq.  HOEFLER,  Con- 
ci/ia  Präaensia,  1862.  53  sq.  —  Der  Hauptinhalt  des  Zeugnisses  selbst  möge 
!unter  Weglassung  von  Eingang  und  Schluss  meistens  nach  der  Textge- 
stalt, wie  sie  in  WlLKINs'  Concilieifsammlung  sich  findet,  hier  stehen: 

—  Cujus  Wycliff  morum  honesta fam,  sententutritm  [scimtiartftrt,  Hoef- 
ler pro  funditatem  et  redolentis  famae  suavitatem  ,  ad  eommunem  ßdelium 


70 


Buch  III.    Kap.  2.  II. 


Eingang  lautet:  es  sei  nicht  schicklich,  die  Verdienste  wacke- 
rer Männer  mit  Stillschweigen  zu  übergehen :  wohl  aber  sei  es 
Pflicht,  Anschuldigungen  und  Lästerungen  wider  solche  Männer, 
in  Ermangelung  mündlichen  Zeugnisses,  schriftlich  zurückzu- 
weisen ;  aus  diesem  Beweggrund  wollen  sie  Kanzler  und  Magister 
der  Universität;  ihre  Achtung  für  Johann  Wiclif,  ehemaligen 
Sohn  der  Universität  Oxford,  mit  Herz.  Mund  und  Schrift  be- 
zeugen. Und  nun  wird  einestheils  sein  sittlicher  Charakter  und 
Wandel  nebst  seiner  rechtschaffenen  Frömmigkeit,  anderntheils 
seine  ausgezeichnete  gründliche  Wissenschaftlichkeit  bezeugt ;  sein 
Kampf  gegen  Bettelmönche  habe  lediglich  der  Ehrenrettung  des 
wahren  Christenthums  gegolten.  Insbesondere  wird  constatirt, 
dass  Wiclif  niemals  in  seinem  Leben  einer  Irrlehre  überwiesen 
worden  sei ;  aber  auch  nach  seinem  Tode  sei  nicht  etwa  sein  Leib 
ausgegraben  und  die  Ueberreste  verbrannt  worden l) . 

Dieses  höchst  ehrenvolle  Zeugniss  hat  seiner  Zeit  grosses 
Aufsehen  gemacht,  bei  Freunden  Wiclif  s  und  bei  Gegnern, 
innerhalb  und  ausserhalb  Englands.  Dasselbe  ist  in  Böhmen  be- 
kannt geworden,  Hus  hat  sich  sogar  auf  der  Kanzel  darauf  be- 
rufen, das  Zeugniss  wörtlich  verlesen  und  das  Siegel  öffentlich 


notitiam  eo  ferventius  cupimus  pervenire,  quo  piae  suae,  Hoefler  conver- 
satiönis  tnaturitas  ac  laborum  librorum,  Wilkixs  assiduitas  ad  Det  laudem, 
proximorum  salutem,  ecclesiae  profectum  evidenttus  tendere  dignoseafur  di- 
nosruntur,  Hoefler  .  Vobis  igitur patefßcimus per praesentes,  quod  ejus  con- 
versatio  ab  annis  teneris  in  tempus  sui  obitus  continuata  -sie  hie,  WlLK. 
praeelara  extitit  et  honesta,  ut  nunquam  de  ipso  haeresis  irretitio  ipso  irri- 
tatin ,  Wiek,  vel  sUspicionis  sinistrae  ac  infamiae  nota  respersa  fuerit  fue- 
rat,  HoEFEKK  .•  srd  in  rcspimdcndo ,  /('(/endo,  praedicamdo .  detenninando  lau- 
dabt  Itter  sc  habuit ,   et  vehit  fidei  fortis  ath leta  singulas  mendicitatt 

spontanen    Christi  rcl iijionem   blosphemantes  sacrae  seripturae  sententiis  ea- 

tliolice  expugnavit.  Nee  fuerat  praedictus  Doetor  pro  hueretica  praritatc  con- 
eictiis ,  auf  per  nostros  praelatos  post  ejus  humationem  traditus  üicendii.s. 
Absit  enim,  quod  nostri  praeluti  tantae  probitati.s  vir  um  pro  haeretico  con- 
demnasfseut ,  qui  in  logicalibu.s ,  philos<tphicis  et  tlieologicis  ac  mora/ibus  et 
xpeculativis  inter  omnes  nostrae  Uiiicerxitatis ,  ut  eredimas.  svripserat  sine 
pari. 

I  Die  verneinenden  Sätze  treten  offenbar  gewissen  Gerüchten  entge- 
gen, welche  um  jene  Zeit  verbreitet  worden  sein  müssen,  um  Wiclif 's 
guten  Ruf  nachträglich  zu  verderben. 


Das  Oxforder  Zeugniss  für  Wiclif. 


71 


vorgezeigt  4) .  Andererseits  haben  gerade  englische  Mitglieder  des 
( Joncils  zu  Constanz  das  Zeugniss  für  gefälscht  erklärt.  Man  hat 
später  sogar  den  Mann  genannt,  welcher  angeblich  völlig  unbe- 
rufen das  Zeugniss  verfasst  und  der  Universität  Oxford  unter- 
schoben, und  die  gefälschte  Urkunde  mit  dem  heimlich  entwen- 
deten Universitätssiegel  gesiegelt  haben  soll:  Peter  Paine,  einen 
Anhänger  Wiclif 's,  der  1410  — 1415  die  Würde  eines  Viceprincipals 
der  St.  Edmunds-Halle  in  Oxford  bekleidete,  später  von  England 
nach  Böhmen  ging  und  1433,  als  einer  von  den  Abgeordneten  der 
böhmischen  Hussiten,  zum  Basler  Concil  reiste ;  er  ist  1455  in  Prag 
gestorben 2) . 

Es  fragt  sich :  ist  der  Verdacht  einer  Fälschung  gegründet  ? 
Wir  verneinen  die  Frage ,  und  stützen  uns  dafür  gerade  auf  eine 
Aussage  von  gegnerischer  Seite.  Im  Jahr  1411,  also  nur  5  Jahre 
nach  dem  Datum  der  Urkunde,  hat  die  Convocation  der  Provinz 
Tanterbury  unter  anderem  einen  Beschluss  gefasst,  welcher  sich 
auf  Oxford  bezieht  und  augenscheinlich  auf  die  fragliche  Urkunde 

1  In  dem  Verhör,  welches  die  Synode  von  Constanz  am  S.  Juni  1 4 1 
mit  H  u  s  vornahm  .  wurde  er  von  englischen  Concilsmitgliedern  über  diese 
Urkunde  befragt.  Er  gestand  zu ,  dass  er  zu  Prag  einmal  in  der  Predigt 
dieselbe  zur  Kenntniss  der  Gemeinde  gebracht  habe.  s.  Palacky,  Docu- 
menta Mag.  Joannis  Hus  vitam  doctrinam  causam  —  ülustrantia,  Prag  1809. 
813,  nach  Peters  von  Mladenowitz  Bericht. 

2  Bemerkung  des  Herausgebers  Townsend  zu  Foxe,  Acts  and  Mon 
III.  sl4.  —  Andererseits  beschuldigte  man  aber  auch  einen  ungenannten 
Böhmen  ,  der  von  Prag  nach  Oxford  gesandt  worden  sei,  um  an  Ort  und 
Stelle  zu  erörtern,  ob  AViclif's  Schriften  wirklich  von  den  englischen  Bi- 
schöfen verurtheilt  worden  seien  ,  dass  er  sich  eine  absichtliche  Täuschung 
erlaubt  habe.  »Er  wusste  sich  eine  Ausfertigung  der  Oxforder  Universität  zu 
verschaffen,  schabte  die  Schrift,  so  weit  es  ihm  dienlich  war,  künstlich 
ab,  und  schrieb  nun  einen  fingirten  Beschluss  des  Oxforder  Kanzlers  und 
sämmtlicher  Magister  zu  Gunsten  Wiclif 's  darauf;  das  Aktenstück  wurde 
mit  den  dazu  gehörigen  Siegeln  versehen«  u.  s.  w.  So  Hoefler,  Magister 
Joh.  Huss,  1M)4.  S.  177,  nach  einem  handschriftlich  vorhandenen  Briefe 
eines  Stanislaus  von  Welwar.  AVie  weit  diese  Darstellung  buchstäblich  aus 
diesem  Briefe  entnommen  ist,  können  wir  nicht  sehen.  Jedenfalls  ist  die 
Angabe  des  antihussitischen  Briefstellers  nicht  der  Art,  dass  sie  auf  unbe- 
dingten Glauben  Anspruch  machen  kann.  Dessen  ungeachtet  nimmt  Ber- 
ber, Joh.  Hus  und  König  Sigmund.  1^71  .  47  f.  die  Erzählung  für  baare 
Münze  an. 


72 


Buch  III.    Kap.  2.  II. 


mit  anspielt.  Es  wird  Beschwerde  darüber  erhoben,  dass  auf  der 
Universität  die  Irrlehre  im  Schwange  gehe  und  der  rechte  Glaube 
bekämpft  werde,  dass  Würdenträger  der  Universität  das  Joch  des 
Gehorsams  abschütteln  und  Unschuldige  unterdrücken.  In  diesem 
Zusammenhang  wird  nun  ein  gewisses  Zeugniss  erwähnt,  welches 
zu  Gunsten  der  Irrlehre  ausgestellt  und  mit  dem  Universitätssiegel 
heimlich  versehen,  sogar  ins  Ausland  versendet  worden  sei  1  . 
Diese  Aeusserung  nimmt  unstreitig  Bezug  auf  unser  Dokument, 
denn  die  Beschreibung  deckt  sich  mit  diesem  in  allen  Hauptzü- 
gen dermaassen.  dass  über  die  Identität  kein  Zweifel  sein  kann. 
Welches  ist  aber  das  Urtheil.  das  die  Convocation  über  die  Ur- 
kunde fällt?  Sie  bezeichnet  letztere  als  literae  fahitatis.  Damit 
kann  der  Verdacht  der  Unächtheit  und  einer  Unterschiebung 
ausgesprochen  sein,  aber  er  muss  nicht  nothwendig  darin  liegen 
möglicherweise  will  nur  die  sachliche  Unwahrheit  des  Inhalts 
behauptet  werden.  Und  letzteres  dürfte  um  so  mehr  die  Meinung 
sein,  als  die  ganze  Urkunde  vom  Jahr  1411  ihrem  Zusammenhang 
nach  eine  Art  Anklageakte  gegen  die  Universität  Oxford  und  deren 
Würdenträger  ist.  Der  »falsche  Brief«  bildet  nur  einen  Punkt 
unter  anderen,  welche  der  Universität  zur  Last  gelegt  werden. 
Somit  scheint  die  Convocation  wirklich  das  Schreiben  vom  Jahr 
1406  der  Körperschaft  selbst,  wenigstens  ihren  Vertretern,  zuzu- 
schreiben. Die  Behauptung,  dass  das  Siegel  heimlich  auf- 
gedrückt worden  sei.  ohne  Einwilligung  der  Magister  und  Doc- 
toren.  spricht  vielmehr  für  als  gegen  die  Aechtheit  des  Doku- 
ments. Die  Meinung  scheint  eine  ähnliche  zu  sein  wie  bei  der 
Verwahrung  von  Hus  dagegen,  dass  in  Prag  1412  ein  Gutachten 
von  8  Doctoren  der  Theologie  für  eine  Entscheidung  der  theolo- 
gischen Facultät  ausgegeben  wurde2  .  Hätte  man  sagen  wollen. 

1  Wilkins  .  III.  336:  Qnasdam  ctiam  Hieras  fähitatis ,  testimo- 
ntoniwu  perhibentes  w  defen&ionem  brifiarum  =  rixaram.  Du  Catvge  harrc- 
sium  H  erromm,  rigittö  eommuni  universitatis,  mctmsultis  mat/istris  et  docto- 
ribus ,  elam  .v/V/  il  laut .  ad  regna  et  loca  ertranea  transmittwit  in  tntit/s 
>  (■(/)>/  Anf//i<w  et  praecipne  noetrae  matris  ecclesüu  scandahtm  et  ffravamen. 

2  Re.spon.sio  ad  .scripta  tna</i.stri  Sfattisfai  de  Znm/nia.  in  Jo.  Iii  s.  Hut. 
et  Monamenta,  Nürnberg  l.V>V  I.  265».  Vgl.  PALACKT  Gesch.  von  Böh- 
men, III.  1,  2M)  f.  Gesch.  des  Hussitenthnms .  IMiv  Uli  t.  Nkanuer. 
KircheiiKesch.  :i.  Anti.  1856.  II,  §30  f. 


Frage  von  der  Aechtheit  des  Zeugnis<e> 


der  Verfasser  habe  sich  zum  Besten  seines  unberufenen  Mach- 
werks nur  durch  Entwendung  in  den  Besitz  des  Siegels  der  Uni- 
versität für  einen  Augenblick  zu  setzen  gewarnt .  so  würde  man 
sicher  noch  ganz  andere  Worte  gewählt  haben:  hat  doch  dieselbe 
Convocation  im  Fortgang  des  gleichen  Aktenstückes  das  gefälschte 
Ordinationsdiplom  eines  angeblichen  Bischofs  ein  imtrumentum 
praetetisum  genannt  und  die  betreifende  Handlung  als  ein  crimen 
f abricationis  sigillorum  et  lullarum  gebrandmarkt1  .  Indessen 
ist  selbst  der  Vorwurf,  dass  die  stimmberechtigten  Mitglieder  der 
Universität  nicht  über  die  Sache  berathen  und  Beschluss  geüasst 
hätten,  mit  Vorsicht  aufzunehmen.  Falls  in  einer  zufällig  wenig 
zahlreichen  und  überwiegend  von  wiclifitisch  gesinnten  Doctoren 
und  Magistern  besuchten  Versammlung  ein  Beschluss  durchgegan- 
gen war.  welcher  nach  der  Hand  den  Gegnern  misfiel,  so  konnte 
sehr  leicht  der  Vorwurf  erhoben  werden,  man  sei  nicht  loyal  zu 
Werke  gegangen.  Auch  setzt  die  von  Prälaten  und  Klerus  in  der 
Convocation  erhobene  allgemeine  Anklage  wider  Oxford,  dass  es 
Irrlehren  begünstige,  offenbar  dieThatsache  voraus,  dass  bei  einem 
beträchtlichen  und  einflnssreichen  Theile  der  Mitglieder  eine  Hin- 
neigung zu  Wielif's  Seite  statt  gefunden  habet  Während  die 
Ansehuldigung  gewalttätigen  und  terroristischen  Gebahrens 
leicht  eine  Beziehung  haben  mochte  gerade  auf  die  Art  wie  der 
Besehluss  über  das  Zeugniss  zur  Ehrenrettung  Wiclif's  zu  Stande 
gekommen  war.  Nach  alle  dem  glauben  wir  die  Aechtheit  des 
Dokumente>  behaupten  zu  dürfen,  ungeachtet  dasselbe  von  den 
Gegnern  Hussens  in  Prag  und  auf  dem  Concil  zu  Constanz  für 
eine  Fälschung  ausgegeben  worden  ist2  .  auch  neuere  ganz  un- 


1  Wilkins.  Iii,  ;vm\. 

2  HoEFLER.  Concilia  Pragensia,  p.  53 :  literae  unicersitatis  Oxoniensis 
apocnjphae.  Palacky.  Documenta  .To.  Hn.s  ritam  —  Mustrantia,  1868,  1513: 
dixerunt  Main  literam  f/tisse  fai sificatam  et  non  debito  emanas.se.  Die 
letzteren  Worte  deuten  nur  an.  dass  der  Hergang  nicht  ganz  legal  gewesen, 
keineswegs  aber .  dass  das  ganze  Schriftstück  ein  Machwerk  des  Betrugs 
und  Schwindels  sei.  Uebrigens  kann  das  Schreiben  entgegengesetzten  In- 
halts, mit  dem  Siegel  des  Kanzlers  von  Oxford .  welches  die  Engländer  in 
Constanz  zur  Verlesung  brachten .  in  keinem  Fall  als  Beweis  der  Unächt- 
heit  der  fraglichen,  jedenfalls  älteren  Urkunde  gelten.  Die  ganze  Bespre- 
chung der  Sache  in  der  Convocation  hat  aber  nur  dann  Sinn  und  Bedeu- 


74 


Buch  III.    Kap.  2  .  II 


parteiische  Forscher  theils  von  der  Unächtheit  überzeugt  waren, 
rheils  mit  sichtbarer  Zurückhaltung  sieb  darüber  geäussert 
haben  1  . 

Jedenfalls  ist  durch  das  gegnerische  Zeugniss  der  Convocarion 
constatirt.  dass  der  Geist,  welcher  aus  jener  Urkunde  spricht, 
dazumal  in  Oxford  weit  verbreitet  und  von  einflussreichen  Persön- 
lichkeiten an  der  Universität  vertreten  war.  Da  kann  man  sich  in 
der  That  nicht  wundern,  dass  die  Kirchenmänner  sorglich  wur- 
den, und  darauf  bedacht  waren,  dem  Ueberhandnehmen  der 
Ketzerei  an  der  Universität  zu  steuern. 

Seit  dem  Datum  jener  Urkunde  waren  Jahr  und  Tag  ver- 
gangen, als  Erzbischof  Arundel  auf  einem  Provincialconcil.  wel- 
ches, in  Folge  eines  Antrags  von  Seiten  der  Pfarrgeistlichkeit  de- 
Erzbisthums,  im  Januar  140s  in  Oxford  selbst  tagte,  eine  periodisch 
zu  Aviederholende  Visitation  aller  Collegien  der  Universität  durch 
die  Vorsteher  der  Häuser,  in  Hinsicht  auf  wiclifitisehe  Gesinnungen 
anordnete.  Im  Eingang  klagt  der  Erzbischof:  »diese  Universität, 
die  sonst  ein  saftreicher  Weinstock  gewesen  sei.  und  ihre  Zweige 
zur  Ehre  Gottes  und  zur  Förderung  seiner  Kirche  ausgebreitet 
habe,  trage  jetzt  Heerlinge ;  und  daher  komme  es.  dass  die  neue 
unfruchtbare  Lehre  der  Lollarden  im  Lande  so  überhandnehme.« 


rung ,  wenn  die  Urkunde  von  140(>  von  Mitgliedern  der  Universität  ausge- 
gangen war.  Mit  andern  Worten,  die  Anklage  des  Stanislaus  von  Welwar, 
als  sei  jenes  Zeugniss  für  Wielif  das  Machwerk  eines  hussitischen  Bac- 
calaureus  gewesen  ,  der  nach  England  geschickt  worden ,  verliert  dadurch 
allen  Grund  und  Boden.  —  Noch  machen  wir  aufmerksam  auf  das  Schrei- 
ben des  Krzbischofs  Arundel  von  Canterbury  d.  S.  Mai  1411.  worin  erder 
Universität  Prag,  zur  Berichtigung  falscher  Gerüchte,  die  Versicherung  gibt, 
dass  er  nebst  Bischöfen  und  Klerus  Wiclif  als  Irrlehrer  verurtheilt  habe. 
Der  Brief  ist  abgedruckt  bei  Hokfler.  Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewe- 
gung II,  193..  Hier  ist  nur  von  .sjtiritu.s  motdaeii.  nicht  aber  von  Fälschung 
die  Rede.  Und  doch  scheint  der  Erzbischof  gerade  jenes  Zeugniss  von  14<M> 
im  Auge  zu  haben;  wir  glauben  das  um  so  mehr,  als  selbst  die  Adresse: 
l'nnrrnis  fidei  rathol  ira  r  zc.lat  or  ibus,  nicht  ohne  einen  Seitenblick  auf 
die  Adresse  des  Zeugnisses  .  welches  ja  auch  Briefform  trägt .  gewählt  sein 
dürfte:  1'nircrsis  sanctav  nuttris  ecrlesiae  filiis. 

1  Xkaxdkr  ,  Kirchengesch.  2.  Aufl.  II.  soö  hält  das  Dokument  ent- 
schieden für  unächt  .  Tlrnkr.  ///*/.  of  Engl.  V.  P9§  äussert  sieh  wenig- 
stens mit  grosser  Zurückhaltung  darüber. 


Maassregeln  gegen  die  Universität. 


Deshalb  wird  angeordnet  :  »jeder  Vorsteher  eines  Collegiums  oder 
einer  »Halle«  solle  mindestens  jeden  Monat  einmal  gründlich  nach- 
forschen, ob  irgend  ein  Angehöriger  des  Hauses,  sei  er  ein  Studi- 
render  oder  ein  Graduirter.  einen  mit  der  Kirchenlehre  unverträg- 
lichen Satz  geäussert  oder  vertheidigt  habe.  Der  Verdächtige  sei 
erstmals  nachdrücklich  zu  verwarnen:  bleibe  dies  erfolglos.  ><> 
sei  der  grosse  Bann  über  ihn  zu  verhängen ;  überdies  soll,  falls 
er  Studirender  ist,  seine  Studienzeit  ungültig  sein :  ist  er  Doctor 
oder  Baccalaureus,  so  wird  ihm  jeder  Universitätsakt  untersagt, 
und  er  soll  aus  seinem  Collegium  ausgestossen,  seine  Stelle  aber 
einem  rechtgläubigen  Mann  ertheilt  werden.  Sollte  sich  aber  ein 
Collegienvorstand  in  diesem  Geschäfte  lässig  finden  lassen,  so 
soll  er  in  den  Bann  gethan,  seiner  Würde  entsetzt,  und  ein  an- 
derer in  dieselbe  eingesetzt  werden.  Dasselbe  Verfahren  tritt  ein. 
wenn  der  Vorstand  eines  Collegiums  oder  einer  Halle  für  seine 
Person  in  den  Verdacht  der  Irrlehre  geräth ,  oder  Leute  dieses 
Geistes  vertheidigt  und  begünstigt1). 

Die  Sache  war  so  weit  gut  angelegt.  Allein  die  Vollziehung 
scheint  vielfach  nicht  ganz  entsprochen  zu  haben.  Wenigstens 
beschwert  sich  der  Erzbisehof  in  zwei  späteren  Erlassen  über 
Nichtbeobachtung  obiger  Verordnung,  und  fordert  aufs  nach- 
drücklichste, dass  dieselbe  streng  vollzogen  werden  solle2  .  Aber 
noch  im  Jahr  1411  klagte,  wie  wir  oben  gelegentlich  hörten,  die 
Geistlichkeit  auf  der  Convocation  über  die  Universität- Oxford:  sie 
erzeuge  entartete  Söhne,  welche  die  Kirchenzucht  verachten,  und 
dem  Volk  mit  Misachtung  der  Kirche  vorangehen,  auch  die 
Mönchsorden  verspotten ;  insbesondere  wird  darüber  Beschwerde 
geführt,  dass  Beamte  der  Universität  ihre  Stellung  zur  Be- 
schwerung Andersgesinnter  mannigfach  misbrauchen.  Mit  dem 
allein  wird  schliesslich  das  dringliche  Ersuchen  motivirt,  dass  der 

1  YVilkixs.  III.  318  f.  Coiictmio.  Die  Thatsache  der  gegen  die  Uni- 
versität gerichteten  Denunciation  so  wie  der  Beschluss  des  Provincialcon- 
cilfi  spricht  dafür,  dass  damals  der  AVic Iii" sehe  Geist  in  Oxford  stark  ver- 
ireten  war.  Dadurch  -wird  die  Möglichkeit  eines  Beschlusses  zu  Gunsten 
von  Wiclif,  wie  ihn  die  Urkunde  von  1406  voraussetzt,  immerhin  nahe 
gelegt. 

2  a.  a.  O.  323.  N 


76 


Buch  III.    Kap.  2.  II. 


Erzbischof  alsbald  in  eigener  Person  die  Universität  visitiren  und 
die  geeigneten  Maassregeln  ergreifen  möge  1  .  Dieses  Gesuch  war 
jedenfalls  von  Erfolg  begleitet.  Ohne  Zweifel  hat  die  beantragte 
Visitation  statt  gefunden.  Und  wahrscheinlich  wurden  im  Ver- 
laufe derselben  einzelne  bedeutende  Männer  von  freier  Reform- 
Gesinnung  ausgegossen.  Wenigstens  waren  schon  im  Jahr  141*2 
die  tonangebenden  Manner  an  der  Universität  von  einem  päpstlich 
gläubigen  und  conservativen  Geist  beseelt :  die  Körperschaft;  der 
Universität  legt  in  einem  Sehreiben  an  den  Erzbisehof  und  sehn1 
Suffraganen  eine  Reihe  von  267  Sätzen  aus  Wie  Ii  f  's  Schriften 
vor.  die  sie  für  irrig  und  ketzeriseh  erkenne,  aber  auch  von  den 
Kirchenoberen  ausdrücklich  verurtheilt  zu  sehen  wünsche.  Sie 
haben,  in  Gemässheit  der  Ermahnungen  des  Erzbisehofs.  12  aus- 
erlesene Doetoren  mit  sorgfältiger  Durchsicht  der  Schriften  Wi- 
ciif's  und  Verzeichnung  irriger  Sätze,  die  sich  darin  finden  sollten, 
beauftragt:  und  so  befinden  sich  denn  in  den  267  Sätzen  Auszüge1 
aus  13  grösseren  und  kleineren  Schriften  des  Mannes2  .  Ks  ist. 
als  wollten  die  Häupter  der  durch  die  Prälaten  gesäuberten  Körper- 
schaft einen  Beweis  von  ihrer  vollkommenen  Ergebenheit  gegen 
die  römische  Kirche  geben.  Und  bei  dieser  Gesinnung  hatte  es 
in  Oxford  fernerhin  sein  Verbleiben:  denn  im  Jahr  1114  reichte 
die  Universität  eine  Denkschrift  an  den  jüngst  auf  den  Thron  er- 
hobenen Heinrich  V.  ein.  worin  sie  aeben  einzelnen  guten  Reform- 
Vorschlägen-  im  Geiste  des  Constanzer  öoncils,  das  eben  damals 
verhimmelt  war,  schliesslich  auch  den  Antrag  stellte:  jeder  Bi- 
schof, der  die  Säuberung  Beines  Sprengeis  von  Ketzerei  lässig 
betreibe,  solle  abgesetzt,  hingegen  alle  königlichen  Beamten  im 
Lande  mögen  darauf  beeidigt  werden,  den  Bischöfen  bei  Ver- 
haftung und  Bestrafung  der  Lollarden  kräftig  an  die  Hand  zu 
gehen  *  .  So  bedeutend  war  der  Umschwung  gewesen,  welchen 
der  in  Oxford  herrschende  Geist  erfahren  hatte,  dass  jetzt  die 
Universität  glaubt  die  Bischöfe  anspornen  zu  müssen,  damit  sie 

im  Werk  der  Inquisition  ihre  Schuldigkeit  thun.  während  vorher 


1  WiLKOrs,  III.  :t:*ü. 

2  a.  a.  O.  III.  XW  —  U9 

3  a.  a.  O.  III.  365. 


Erlasse  gegen  das  Umsichgreifen  des  Lollardenthums. 


77 


geraume  Zeit  vielmehr  die  Prälaten  für  nöthig  gefunden  hatten 
auf  die  Universität  zu  wirken,  um  sie  in  das  orthodoxe  Geleise  zu 
bringen.  Von  da  an  scheint  Oxford  der  wiclifitischen  Partei  für 
immer  abwendig  gemacht,  und  für  das  päpstlich  scholastische 
System  gewonnen  zu  sein.  Es  waren  seit  Wiclif's  Tod  30  Jahre 
vergangen.  —  So  war  demnach  die  eine  der  beiden  Quellen,  aus 
welchen  die  wiclifitische  Strömung  im  Lande  gespeist  worden 
war,  glücklich  verstopft. 

Inzwischen  war  die  Arbeit  auch  schon  in  Angriff  genommen, 
diejenigen  Grossen  des  Reichs  zu  beugen,  welche  dem  Lollarden- 
thum  als  Gönner  und  Schutzherren  Vorschub  leisteten.  Bevor  wir 
jedoch  zu  diesen  Maassregeln  übergehen,  ist  es  nöthig  eine  Reihe 
von  Erlassen  zu  berühren,  welche  den  Zweck  hatten,  auf  unmittel- 
bar kirchlichem  Gebiete  dem  Umsichgreifen  des  Lollardismus 
Schranken  zu  setzen.  Es  sind  dies  die  im  Jahre  1408  vom  Erz- 
bischof  in  Verbindung  mit  der  Convocation  gegebenen  »Con- 
stitutionen« l) .  Sie  sollten  hauptsächlich  die  Mittel  zur  Aus- 
breitung der  wiclifitischen  Lehre  abschneiden,  dadurch  dass  so- 
wohl mündliche  Vorträge  und  Reisepredigten  als  das  Lesen  von 
Sehliften  unter  eine  strenge  Aufsicht  der  Kirche  gestellt  wurden. 
Die  drei  ersten  dieser  »Constitutionen«  bezogen  sich  auf  das  Pre- 
digen. Artikel  1  und  2  verfügte,  es  dürfe  niemand,  der  nicht 
ohnehin  das  Recht  dazu  besitze,  ohne  Genehmigung  des  Bischofs 
vor  dem  Volke  predigen ;  und  diese  Genehmigung  wurde  möglichst 
erschwert.  Der  dritte  Artikel  regelte  die  Art  und  Weise  des 
Predigens :  jeder  solle  so  predigen,  wie  es  die  Zusammensetzung 
seiner  Zuhörerschaft  erfordere,  also  vor  Geistlichen  über  Fehler 
der  Geistlichen,  vor  Laien  über  deren  Sünden;  hiemit  sollten  die 
öffentlichen  Rügen  wider  die  Sünden  der  Geistlichen  abgestellt 
werden,  welche  die  Lollarden  in  ihre  Predigten  einfliessen  zu 
lassen  pflegten.  Im  4.  Artikel  wurden  auf  das  Aussprechen  un- 
kirchlicher Lehren  über  die  Sakramente  Strafen  gesetzt.  Da- 
gegen sollte  durch  Artikel  (5  und  7  die  wiclifitische  Literatur 
unter  Schloss  und  Riegel  gelegt  werden :  Art.  6  :  kein  Buch  oder 
Traktat  von  Wiclif  oder  jemand  sonst  darf  fortan  in  Schulen 

1    Constitutiones  Thomae  Arunde!,  Wilkins.  Conc.  III,  314  —  319. 


Ts 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


oder  anderswo  gelesen  werden,  es  sei  denn  die  fragliche  Schritt 
von  den  Universitäten  geprüft,  vom  Erzbischof  approbirt.  und  im 
Namen  der  Universität  den  Buchhändlern  übergeben  worden,  um 
Abschriften  davon  machen  zu  lassen :  Zuwiderhandelnde  werde n 
als  Freunde  der  Ketzerei  bestraft.  Der  7.  Artikel  untersagte  so- 
gar Uebersetzung  biblischer  Texte  und  Bücher  in's  Englische  und 
das  Lesen  solcher  Uebersetzungen.  falls  sie  nicht  kirchlich  appro- 
birt seien,  bei  Strafe  des  grossen  Bannes  1  .  Durch  diese  Verord- 
nungen glaubte  man  der  weiteren  Ausbreitung  der  gefährlichen 
Grundsätze  Wiclif's  mittels  Wort  und  Schrift  einen  hinreichen- 
den Damm  entgegengestellt  zu  haben. 

III. 

Erzbischof  Thomas  Arn ndel  hielt  die  Reinigung  Englands 
von  den  Lollarden  für  seine  heilige  Pflicht  und  machte  sich  die- 
selbe zur  Lebensaufgabe2).  An  Erfolgen  dieses  Strebens  hat  es 
wahrlich  nicht  gefehlt.  Dessen  ungeachtet  war  es  ihm  vorbe- 
halten, in  hohen:  Alter  und  im  letzten  is.  Jahre  seiner  Amts- 
führung als  Primas  noch  die  Entdeckung  zu  machen,  dass  es 
ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sei.  die  Glaubenseinheit  in  der 
Landeskirche  wieder  herzustellen,  wenn  nicht  gegen  diejenigen 
Grossen  des  Reichs  mit  vollem  Ernst  eingeschritten  werde. 


1)  Const.  VII:  Statu intus  —  et  ordinamus ,  ut  nemo  deinceps  aliquem 
t  ex  tum  s.  scripturae  aucioritate  situ  in  linyuam  Anylicanam  vel  aliam 
transferat  per  riant  libri,  libelli  mit  tractutus :  nec  leyatur  aliquis  Jiujus- 
modi  Uber,  libellus  aut  tractutus  jam  novit  er  tempore  dicti  Joannis  Wycliff. 
sire  ritra,  compositum  aut  imposterum  rontponendus ,  in  parte  vel  in  toto. 
publice  vel  occulte,  sub  tnajoris  excommunicationis  pbna ,  quousque  per  loci 
diöcesunum  —  ipsa  translatio  fuerit  approbata.  Qui  contra  fecerit,  ut  fautor 
Iiaeresis  et  error  is  —  puniatur. 

2  Er  bekannte  dies  offen  im  Verhör  mit  Wilhelm  Thorpe,  dem  er 
am  Schluss  sagte:  Bee  this  thiny  well  knowne  to  thee ,  that  (iod   as  I  tcote 

knoiv^  well,  hath  called  nie  ayaine  aus  der  Verbannung  s.  III.  Kap.  1. 
S.  .">(>  and  brouyht  nie  into  this  fand,  for  t<>  dcsfmie  thee  and  the  falsa  seef 
that  thou  ort  of;  as  by  (iod,  I  s  Ii  all  pursue  you  so  narroicly,  that 
I  s  1t  all  not  teure  a  slip  of  you  in  this  land.    Rramination  of  W. 

Thorpe,  bei  FoXK,  III,  Ä8fi 


Die  Gönner  der  Lollarden  unter  den  Herren. 


7«) 


welche  den  Lollarden  durch  ihre  Gunst  und  mächtigen  Schutz 
Vorschub  leisteten  1  .  Es  waren  ihrer  /war  nicht  mehr  so  viele, 
wie  in  früheren  Jahren.  Einige  von  den  Männern,  welche  nach 
Wiclif's  Tod  als  Gönner  uud  Führer  der  Lollarden  hervor- 
ragten, waren  inzwischen  gestorben  .  z.  B.  der  Gral  von  Salis- 
bury;  Sir  John  Pec che  aus  Warwickshire  war  schon  1386  ge- 
storben, und  andere  waren  seit  dem  Anfang  des  XV.  Jahr- 
hunderts, wo  Kirche  und  Staat  sich  gegen  die  Lollarden  die  Hand 
reichten,  rückwärts  gegangen,  so  Sir  Lewis  Clifford,  der  schon 
bei  Lebzeiten  Wiclif's,  und  seit  seinem  Tode  treu  zu  der  Re- 
formpartei gestanden  hatte  :  bei  ihm  scheint  bald  nach  der  Thron- 
besteigung Heinrich's  IV.  eine  Wendung  eingetreten  zu  sein, 
wenigstens  hat  er  schon  1402  eine  Anzahl  Grundsätze  der  Lollar- 
den dem  Erzbischof  Arundel  denuncirend  mitgetheilt2  ;  er  starb 
übrigens  bereits  1404.  Dennoch  fehlte  es  selbst  nach  dem  ersten 
Jahrzehent  des  XV.  Jahrhunderts  noch  nicht  an  Rittern  und 
Herren,  welche  man  glaubte  beugen  zu  müssen.  Koch  war  der 
Plan,  die  Universität  Oxford  für  das  römische  Kirchensystem 
zurückzuerobern,  nicht  vollständig  durchgeführt,  als  man  schon 
anfing,  auf  einen  der  Grossen  des  Reichs,  weil  er  ein  Führer  der 
Lollarden  sei.  zu  zielen:  das  war  im  Jahre  1410.  Man  kam  aber 
nicht  so  schnell  zum  Ziele,  wie  bei  der  Universität.  Denn  diese 
war  als  Gesammtkörperschaft,  wie  in  ihren  einzelnen  Gliederun- 
gen, den  Collegien.  eine  kirchliche  Stiftung  und  der  Landes- 
kirche einverleibt,  von  den  kirchlichen  Oberen  mehr  oder  weniger 
abhängig.  Aber  bei  einem  grossen  Herrn,  der  durch  bedeutenden 
Grundbesitz  so  w  ie  durch  Verdienste  um  den  Staat  fest  gewurzelt 
und  einflussreich  war,  konnte  man  erst  nach  harten  Kämpfen  und 
bedeutenden  Erschütterungen,   und  nur  mit  Anwendung  der 


1  Die  Convocation  vom  Sommer  beschloss  neben  anderem:  quasi 
pro  impossibili ,  scissuram  tunicae  Domini  inconsutilis  reformare,  nisi  prius 
certi  mag nates  regni,  auetores,  fautores ,  protectores ,  defensores  et  reeepto- 
res  hör  um  haereticorum,  qui  dicuntur  Lollardi,  essen  t  rigide  reprehensi,  ac,  si 
opus  fuerit,  per  censuras  ecclesiae,  una  cum  in  cocatione  brachii  secu- 
laris,  a  suis  deeiis  revocati.    Wilkins,  III,  3>53. 

2  Walsingham,  Hist.  anglicana,  II,  2ö:;. 


so 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


aussersten  Gewalt,  nach  einer  Reihe  von  Jahren  1417  zum 
Ziele  gelangen. 

Sir  John  0 1  d  e  a  s  1 1  e  0 1  d  e  a  s te  1 1  war  ein  ganzer  Ritter, 
persönlich  streitbar  und  tapfer,  ein  tüchtiger  Feldhauptmann, 
aber  aueh  ein  ^yeiser  Rathgeber  und  ein  gewandter  Hormann, 
gütig  gegen  die  Armen,  aber  von  scharfer  Zunge  und  unnach- 
giebig gegenüber  den  Hochfahrenden :  er  war  ein  Anhänger 
Wiclif's.  dem  er  seine  Erweckuug.  und  die  Anleitung  zur 
Gottesfurcht  und  zum  Trachten  nach  der  Heiligung  verdankte  l) . 
Seitdem  war  er  auch  ein  Freund  und  Schutzherr  der  Lollarden. 
Arme  und  fromme  Leute  nannten  ihn  nur  den  guten  Lord 
Cobham.«  Der  tapfer«'  junge  Ritter  hatte  sich  nämlich  vermählt 
mit  Lady  Johanna .  der  letzten  Erbin  des  altehrw  ürdigen  Ge- 
schlechtes der  Cobham ;  kraft  ihrer  Rechte  Würde  er  Besitzer  von 
Couling  Castle  in  Kent  und  sass  als  Lord  Cobham  im  Oberhause. 
Uebrigens  war  er.  ungeachtet  seiner  Sympathie  für  die  Lollarden. 
zu  denen  er  selbst  zählte.  Heinrich  IY.  ergeben,  und  stand  hoch 
in  dessen  Gunst.  Der  König  erzeigte  ihm  einen  besonderen  Be- 
weis seines  Vertrauens  dadurch,  dass  er  ihm  ein  Commando  bei 
den  Hülfstruppen  anwies,  die  er  im  Herbst  141  1  dem  Herzog  von 
Burgund  zusandte,  um  dem  König  Karl  zu  Hülfe  zu  kommen, 
der  in  Paris  von  den  Armagnaken  bedrängt  wurde  2  .  Auch  dem 
Prinzen  von  AVales  scheint  er  nahe  gestanden  zu  haben:  da--  et 
aber  jemals  ein  Genosse  seiner  Ausschweifungen  gewesen  sei.  ist 
nicht-  anderes  als  eine  böswillige  Verleumdung :i  .  Ks  ist  viel- 
mehr sicher,  dass  der  Kitter.  seitdem  er  erwachsen  war.  die 
Gnade  Gottes  höher  schätzte  als  die  Gunst  seines  Königs  oder 
gar  die  Vertraulichkeit  eines  leichtsinnigen  Prinzen,  von  dem  ihn 
schon  der  Unterschied  des  Alters  trennte.  Sir  John  Old Castle 
war  entschlossen,  Christo  nachzufolgen,  und  liebte  die  Predigt 

I  In  einem  Verhör  vor  dem  Erzbischof  bekannte  er  selbst  einmal : 
■Was  den  tugendhaften  Mann  Wiclif  anlangt,  dessen  Urtheile  Ihr  so  höch- 
lich verwerfet,  so  spreche  ich  meinestheils  vor  Gott  und  Menschen  aus,  dass 
ich  selbst,  ehe  ich  seine  verachtete  Lehre  kennen  lernte,  niemals  mich  der 
Sünde  enthalten  habe.«   Foxk,  Acts  and  Mon.  III,  S32.    ed.  Townsend  . 

2)  Pauli,  Gesch.  von  England,  V,  47  f.    Foxk,  III.  3181 

:t   Pauli,  V  s|  f. 


Lord  C'ohham. 


8  I 


ilcs  Wortes  Gottes,  wie  er  denn  in  denjenigen  Gegenden,  wo 
seine  Besitzungen  lagen,  in  den  Sprengein  der  Bischöfe  von  Lon- 
don und  ivoehester,  so  wie  im  Bisthum  Hereford.  Rekeprediger 
ohne  bischöfliche  Genehmigung  aussandte.  Den  Predigten  dieser 
Männer  pflegte  er  persönlich  beizuwohnen,  und  trat  dabei  Den- 
jenigen, welche  Widerspruch  zu  erheben  Lust  hatten,  nachdrück- 
lich entgegen.  Er  selbst  pflegte  seine  eigene  Ueberzeugung  offen 
auszusprechen,  mochte  sie  auch  in  wichtigen  Punkten  von  der 
katholischen  Kirchenlehre  abweichen,  z.  B.  über  Abendmahl. 
Beichte  und  Schlüsselgewalt,  über  Bilderverehrung  und  Wall- 
fahrten. Wurden  Mitglieder  der  Partei  von  der  Kirehengewalf 
bedroht,  so  scheute  er  sich  nicht  sie  mit  seinem  Ansehen  und 
Kinfluss  nach  Kräften  zu  schützen. 

Deshalb  war  er  begreiflich  der  Hierarchie  ein  Dorn  im  Auge. 
Allein  es  fehlte  längere  Zeit  an  Muth  oder  an  Gelegenheit  und 
Verwand,  den  mächtigen  und  in  der  Gunst  seines  Königs  hoch 
stehenden  Mann  persönlich  und  unmittelbar  anzutasten.  Anfangs 
wagte  man  sich  nur  an  seinen  Kaplan,  Namens  Johann,  welcher 
jedenfalls  unter  dem  Schutze,  vielleicht  sogar  im  Gefolge  des 
Kitters.  an  mehreren  Orten  im  Sprengel  von  Kochester,  nament- 
lich in  den  Kirchen  zu  Hoo,  Halsto  und  Cowling.  als  Reise- 
prediger  ohne  bischöfliche  Erlaubniss  aufgetreten  war.  Diese 
( b  tschaften  gehören  sämmtlich  zur  Grafschaft  Kent.  und  liegen 
auf  einer  Halbinsel,  welche  nördlich  von  der  Themsemündung, 
südlich  von  dem  Medway  begrenzt  ist;  in  Cowling.  jetzt  Cooling. 
stand  die  Burg  des  Lord  Cobham.  während  der  Familiensitz  des 
Geschlecktes,  Cobham  selbst,  nicht  ganz  2  Meilen  westlieh  davon 
lag.  Der  Er/bischof  Hess  im  Jahr  1410  den  genannten  Kaplan 
zur  Verantwortung  vorladen,  und  belegte  die  Kirchen,  in  welchen 
derselbe  zu  predigen  pflegte,  mit  dem  Interdikt,  übrigens  ohne 
auch  nur  ein  Wort  der  Rüge  wider  den  Lord  selbst  laut  werden 
zu  lassen  1  . 

1  Mandat  des  Krzbischofs .  vom  3.  April  1410,  Wilkins  .  Cour.  III, 
329  sq.  Das  verfügte  Interdikt  über  die  Kirche  zu  Cowling  wurde  jedoch 
schon  2  Tage  darauf  für  3  Tage  suspendirt,  damit  in  der  genannten  Kirche 
die  Trauung  des  Ritters  Thomas  Broke  Brooke  mit  der  Tochter  und 
Erbin  von  Lady  Cobham  vollzogen  werden  könne.  Wilkins,  III,  330  sq. 
Lechler  ,  Wiclif.  II.  R 


S2 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


Etwas  näher  ging-  man  ihm ,  nachdem  Heinrieh  IV.  am 
20.  März  1413  gestorben  war,  in  demselben  Jahr  zu  Leibe,  wie- 
wohl auch  jetzt  nur  in  der  Weise,  dass  man  über  ein  Buch,  das 
in  seinem  Besitze  gewesen  war,  Untersuchung  anstellte ,  und 
dessen  Verbrennung  verfügte.  Es  fand  sich  nämlich  unter  an- 
deren als  ketzerisch  zur  Anzeige  gekommenen  und  verurtheilten 
Büchern  auch  eine  Handschrift  vor,  die  dem  Lord  Cobham 
angehörte.  Man  hatte  sie  noch  ungebunden  bei  einem  Bürger  von 
London  angetroffen,  der  den  Auftrag  hatte ,  das  Exemplar  noch 
mit  Malereien  ausschmücken  zu  lassen.  Der  Mann  wohnte  in 
Paternoster rowe,  einem  Quartier,  das  also  schon  damals .  wie 
noch  jetzt,  ein  vorzugsweise  buchhändlerisches  gewesen  zu  sein 
scheint.  Man  fand  für  gut,  bevor  die  Bücher  kraft  Urtheils  des 
geistlichen  Gerichts  verbrannt  wurden,  die  anstössigsten  Sätze,  die 
darin  standen,  in  Gegenwart  des  Lords  Cobham  selbst,  welcher 
eigens  dazu  befohlen  worden  war,  vor  dem  König,  Heinrich  V. , 
nebst  mehreren  Prälaten  und  grossen  Herren  im  Geheimen  Cabinet 
zu  Kensington  vorzulesen  *■) .  Der  König  äusserte  seinen  Abscheu 
vor  diesen  Sätzen,  und  der  Lord  versicherte ,  er  habe  bis  jetzt 
noch  nicht  weiter  als  zwei  Seiten  in  dem  Buche  gelesen,  erklärte 
jedoch  auf  Befragen,  dass  er  die  Verurtlieilung  der  fraglichen 
Schrift  als  gerecht  anerkenne.  Das  waren  lauter  blos  vorbe- 
reitende Schritte.  Indessen  schien  ein  Doppeltes  vorläufig  er- 
reicht zu  sein.  Man  hatte  durch  Mittheilungen  aus  dem  Buche, 
dessen  Titel  nicht  angegeben  ist,  den  König  einigermaassen 
gegen  den  Lord  gestimmt.  Und  die  Erklärung,  welche  Lord 
Cobham  mündlich  über  jene  Schrift  abgegeben  hatte.  Hess 
hoffen,  dass  derselbe  bei  weiterem  Vorgehen  gegen  ihn  sieh 
gleichfalls  nachgiebig  beweisen  "werde.  Nun  entschloß«  man  sich, 
gegen  seine  Person  selbst  Schritte  zu  thun. 

Auf  der  Convocation,  welche  am  26.  und  folgenden  Juni 
1413  tagte,  wurde  von  Seiten  der  Geistlichkeit  die  Anschuldigung 
gegen  Sir  John  Olcastle  erhoben,  dass  er  Irrlehren  hege,  ja 
öffentlich  kund  gebe,  ferner  dass  er  Reiseprediget  solcher  Irr- 
lehren beherberge,  unterhalte,  beschütze  und  aussende;  es  erging 

1    In  interiori  canura  rrf/is  apud  Kcui/mjton ,  WlI.KlNs,  III,  329.  <VM). 


Die  ersten  Schritte  gegen  Lord  Cobham. 


83 


deshalb  die  förmliche  Aufforderung  an  den  Erzbisohof  Thomas 
Vrundel  von  Canterbury.  dass  er  gegen  den  genannten  Herrn  eine 
Untersuchung  eröffnen  möge,  und  veranstalten,  dass  er  sich  vor 
dem  Primas  und  den  Prälaten  persönlich  verantworte.  Das  schien 
jedoch  dem  Erzbischof  nicht  räthlich.  wegen  des  vertrauten  Ver- 
hältnisses, welches  bis  jetzt  zwischen  dem  König  und  Lord 
Cobham  statt  gefunden  hatte.  Er  hielt  es  für  geboten,  sich  zu- 
nächst an  den  König  selbst  zu  wenden.  Der  Erzbischof  begab 
sich,  in  Begleitung  sänimtlicher  Bischöfe  und  im  Gefolge  einer 
grossen  Anzahl  von  Geistlichen,  nach  dem  Landsitz  Heinrich  s  V.. 
Kensington,  trug  dem  König  die  vom  Klerus  angebrachten  Klagen 
wider  den  Lord  vor,  und  erbat  sich  ehrerbietigst  den  Rath  des 
Königs.  Dieser  dankte  der  Geistlichkeit  für  den  Schritt,  den  sie 
gethan,  und  erbat  sich,  aus  Rücksicht  auf  den  Mann,  der  bis  jetzt 
sein  Vertrauen  genossen  habe,  so  wie  auf  den  Ritterstand,  dem 
derselbe  angehöre,  dass  er  selbst  in  eigener  Person  vorerst  allein 
mit  ihm  verhandeln  dürfe.  Er  Avolle  sich  bemühen,  den  Ritter  auf 
gelinde  und  schonende  Weise  von  dem  Irrthum  seines  Weges 
zurückzubringen:  sollte  jedoch  dieser  Versuch  scheitern,  so  würde 
er  ihn  der  geistlichen  Gewalt  zur  Bestrafung  übergeben,  und  ihr 
zu  diesem  Behufe  den  weltlichen  Arm  zur  Verfügung  stellen. 
Die  niedere  Geistlichkeit,  deren  Vertreter  von  einem  ziemlich 
fanatischen  Geiste  beseelt  waren ,  äusserte  sich  wenig  zufrieden 
mit  der  Wendung,  welche  die  Sache  zu  nehmen  schien.  Allein 
der  Erzbischof  sanimt  den  Prälaten  willigte  gerne  ein.  Er  er- 
kannte, dass  auf  jeden  Fall  etwas  gewonnen  sei :  entweder  ge- 
linge es  dem  König,  den  Lord  umzustimmen  und  zur  Nachgiebig- 
keit zu  bewegen;  dann  sei  ja  der  Zweck  erreicht;  bleiben  aber 
die  Versuche  des  Königs  ohne  Erfolg,  so  werde  derselbe  der- 
niaassen  verstimmt  werden,  dass  man  desto  schonungsloser  und 
mit  desto  stärkerer  Beihülfe  der  Regierung  zu  kirchlichen  Maass- 
regeln schreiten  könne  l) . 

Heinrich  V.  gab  sich  nun  alle  Mühe,  den  Lord  auf  andere 
Gesinnungen  zu  bringen.  Aber  ohne  allen  Erfolg:  derselbe  be- 
harrte  fest  auf  seiner  Ueberzeugung,  die  er  durchaus  nicht  ver- 


1    Wilkins.  III.  X>2,  vgl.  353. 


6* 


84 


ßuchlll.    Kap.  -1.  III. 


leugnete.  Endlich  zog  der  König  andere  Saiten  auf.  und  ertheifre 
ihm  im  August  U13  im  Schlosse  zu  Windsor  einen  höchst  un- 
gnädigen ja  leidenschaftlichen  Verweis  wegen  seines  »Eigen- 
sinns«. Die  Folge  war.  dass  der  Lord  sich  eigenmächtig  vom  Hof- 
lager entfernte.  Er  begab  sich  sofort  auf  seine  Burg  Cowling- 
castle  in  Kent.  und  befestigte  dieselbe. 

Nun  setzte  der  König  den  Erzbischof  von  der  Erfolglosigkeit 
seiner  Bemühungen  in  Kenntniss.  und  forderte  ihn,  wie  er  even- 
tuell versprochen  hatte,  auf.  kraft  der  kirchlichen  Rechte  nun- 
mehr schleunigst  gegen  den  Lord  einzuschreiten.  Zugleich  erging 
aber  auch  eine  königliche  Proklamation  vom  24.  August  J41o. 
wodurch  die  Predigten  der  Lollarden  und  das  Anwohnen  bei  den- 
selben unbedingt  verboten  wurden .  auch  alle  königlichen  Be- 
amten Befehl  erhielten,  solche  Reiseprediger  und  deren  Zuhörer 
und  Gönner  zu  verhaften  1  . 

Der  Erzbisehof  schickte  sofort  einen  Sendboten  mit  einer 
schriftlichen  Vorladung,  in  Begleitung  eines  königlichen  Beamten. 
Namens  Johann  Butler .  nach  Cowling.  Allein  der  Lord  nahm 
die  schriftliche  Vorladung  nicht  an;  die  Ueberbringer  derselben 
durften  nicht  einmal  seine  Burg  betreten.  Der  Besitzer  erklärte 
laut,  dass  er  keinem  geistlichen  Richter  die  Befugniss  zugestehe, 
ihn  vorzufordern.  Jetzt  wurde  eine  Vorladung,  auf  den  11.  Sep- 
tember, an  dem  Portal  der  Kathedrale  zu  Kochester,  was  nur 
drei  englische  Meilen  von  Cowling  entfernt  ist.  öffentlich  ange- 
schlagen. An  diesem  Termin  erwartete  ihn  der  Erzbischof  in  der 
Schlosskapelle  zu  Leeds  in  Kent.  wo  er  damals  residirte  :  aber  ver- 
gebens. Nun  sprach  der  Erzbischof  wegen  beharrlichen  Unge- 
horsams den  Bann  aus  über  Lord  Cobham.  Ueberdies  lud  er 
ihn.  wegen  dringenden  Verdachtes  der  Ketzerei,  auf  den  23.  Sep- 
tember v<»r  seinen  geistlichen  Gerichtshof  unter  der  Drohung, 
dass  man  den  weltlichen  Arm  gegen  ihn  anrufen  würde. 

Bald  daraufkam  dm-  Edelmann  in  das  Staatsgefängnis  s.  Ol) 
er  auf  Befehl  des  Königs  verhaftet  wurde,  oder,  was  nicht  un- 
wahrscheinlich ist.  sich  von  freien  Stücken  dem  König  stellte,  das 

I    Ky.MER.  Fudcra  —  et  rujuscunque  (jvm-ris  Acta  pub/ini,  cd.  1.  T.  IX. 
1720.  EbL  16  sq. 


Vernehmuno:  Lord  Cobham's  am  23.  Sept.  1413. 


wissen  wir  nicht.  So  viel  aber  ist  gewiss,  dass  der  Befehlshaber 
des  Towers.  Sir  Robert  Morley.  Sonnabend  den  23.  Septeni- 
i »er.  den  Angeschuldigten  dem  Erzbischof  im  Kapitelsaale  der 
st.  Paulskirche  vorgefühlt  hat.  Dieser  hielt  ihm  vor.  was  bisher 
gegen  ihn  angebracht  worden  sei,  und  wie  er  sich  der  Verant- 
wortung seither  entzogen  habe,  erklärte  sieh  jedoch  bereit  den 
lediglich  wegen  Widersetzlichkeit  über  ihn  verhängten  Bans  unter 
Umständen  wieder  aufzuheben.  Allein  der  Lord  verstand  sich 
durchaus  nicht  dazu,  um  Absolution  zu  bitten.  Wohl  aber  bat  fl- 
uni die  Erlaubniss,  sein  Glaubensbekenntniss  vortragen  zu  dürfen 
er  hatte  dasselbe  in  englischer  Sprache  aufgesetzt,  und  las  es  nun 
öffentlich  vor.  Dieses  Glaubensbekenntniss  klingt  einerseits  so 
versöhnlich,  dass  es  sich  der  römischen  Kirchenlehre  möglichst 
nähert,  ist  aber  andererseits  so  freimüthig  und  würdig  abgefasst. 
dass  es  den  Eindruck  wahrer  Gottesfurcht  und  eines  edlen  männ- 
lichen Mürbes  macht,  und  jedem  Unbefangenen  unwillktihrlich 
Achtang  abnöthigt.  Er  spricht  sich  darin  nur  über  vier  Stücke 
ans,  nämlich  über  das  heil.  Abendmahl  und  die  Busse,  über  Bil- 
der und  Wallfahrten  1  .  Der  Erzbischof  nahm  Rücksprache  darüber 
mit  seinen  Beisitzern,  den  Bischöfen  von  London  Und  Winchester, 
nebst  mehreren  Doctoren  der  Theologie  und  Rechtsgelehrten.  In 
Folge  dessen  eröffnete  er  dem  Angeschuldigten,  dass  in  seiner 
schriftlichen  Auseinandersetzung  manches  Gute  und  Hechtgläubige 
sich  vorfinde  :  er  forderte  jedoch  eine  genauere  unumwundenere 
Aussprache  über  einige  Fragen,  namentlich  betreffend  die  Wand- 


I  FOXE  III,  :C24  f.  gibt  ein  Glaubensbekenntniss,  welches  Lord  C ob- 
ham  dem  König  hatte  einreichen  wollen,  der  es  jedoch  nicht  annahm.  Das 
apostolische  Glaubensbekenntniss  geht  voran.  Dann  folgt  eine  ausführliche 
Darlegung  von  der  Dreieinigkeit  und  von  Jesu  Christo,  dem  Gottmenschen, 
nicht  ohne  einfließen  zu  lassen,  dass  Christus  »das  einige  Haupt  der  Kirche« 
ist;  ferner  die  Lehre  von  der  Kirche,  den  Sakramenten,  insbesondere  vom 
h.  Abendmahl  und  von  Gottes  Wort.  —  Von  diesem  umfassenderen  Be- 
kenntniss  ist  aber  wohl  zu  unterscheiden  dasjenige  kürzere  Bekenntniss, 
welches  der  lütter  vor  dem  geistlichen  Gerichtshof  verlesen  und  diesem 
sofort  eingereicht  hat.  Dasselbe  ist  in  der  Conciliensammlung  von  Wn.- 
kins  III,  354  f.  in  alt-englischer  Sprache  urkundlich  abgedruckt,  während 
Foxe  dasselbe  III.  :c>(>  t*.  in  der  Sprache  des  XVI.  Jahrhunderts  wiedergibt. 


86 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


lung  im  heil.  Abendmahl  und  die  Ohrenbeichte.  Lord  Cobham 
verweigerte  indess  jede  weitere  Erklärung  und  beharrte  bei  dieser 
Weigerung  zu  wiederholten  Malen,  ungeachtet  dem  Primas  alles 
daran  lag  ihn  zu  gewinnen,  und  er  die  freundlichsten  Worte  der 
Ermahnung  an  ihn  richtete ,  sich  der  schonendsten  Formen  be- 
diente. Namentlich  weigerte  sich  der  Angeschuldigte,  die  vom 
Papst  und  den  Prälaten  aufgestellten  Entscheidungen  über  Lehr- 
fragen als  bindend  anzunehmen,  und  deren  Vollmacht  zu  Lehr- 
bestimmungen anzuerkennen.  Dessen  ungeachtet  wurde  dem 
Ritter  Bedenkzeit  bis  Montag  den  25.  September  gegeben1),  und 
ein  Papier  eingehändigt,  auf  welchem  in  englischer  Sprache  die 
römische  Kirchenlehre  über  die  Wandlung  im  heil.  Abendmahl 
und  die  Ohrenbeichte,  über  den  Papst  als  Stellvertreter  Christi 
und  die  Notwendigkeit  der  Wallfahrten  verzeichnet  und  sodann 
Fragen  in  Hinsicht  der  einzelnen  Punkte  vorgelegt  waren. 

Am  25.  September  fand  ein  nochmaliges  Verhör  vor  dem 
Erzbischof,  den  beiden  vorhin  genannten  Bischöfen  von  London 
und  Winchester,  so  wie  dem  Bischof  von  Bangor  statt,  während 
eine  Anzahl  Doctoren,  worunter  auch  der  Carmeliter-Priör  Tho- 
mas Netter  von  Waiden ,  als  sachverständige  Beiräthe  zugegen 
waren.  Die  Sitzung  wurde  dieses  Mal  im  Dominikanerkloster  zu 
Ludgate  in  London  gehalten.  Der  Angeschuldigte  wurde  aber- 
mals durch  den  Befehlshaber  des  Towers,  Sir  Robert  Morley. 
vor  den  geistlichen  Gerichtshof  gestellt.  Der  Erzbischof  forderte 
ihn  nochmals  auf.  um  die  Absolution  der  Kirche  zu  bitten.  Allein 
der  Ritter  erwiederte :  »Nein,  das  werde  ich  wahrlich  nicht  thtra  . 
denn  ich  habe  noch  nie  gegen  Euch  gesündigt,  deswegen  thue  ich 
es  nicht!«  Mit  diesen  Worten  kniete  er  auf  den  Fussboden  nieder, 
hob  seine  Hände  auf  gen  Bimmel  und  sprach:  »Ich  bekenne  dir. 
du  lebendiger  ewiger  Gott,  dass  ich  in  meiner  schwachen  Jugend 
dich  schwer  beleidigt  habe,  o  Herr,  mit  Stolz,  Zorn.  Begierden 

1)  In  den  Akten  bei  WlLKINS  III,  .io.*)  ist  »»Montag  der  20ste  Septem- 
ber genannt;  was  unter  allen  Umständen  irrig  ist,  denn  im  Jahr  14KJ  fiel 
der  20te  September  nicht  auf  einen  Montag  sondern  auf  den  Mittwoch; 
ferner  war  das  erste  Verhör  am  Sonnabend  nach  Matthäustag,  den  2.'isten 
gewesen.  In  Fasriru/i  zizaniorum  442,  so  wie  bei  WAL9INGHAM,  11,294  und 
Foxe,  III,  .520  ist  der  2öste  September  richtig  genannt. 


/weites  Verhör  Lord  Qobham's. 


s7 


und  Ueppigkeit.  Molen  Menschen  habe  ich  Leides  angethan  in 
meinen)  Grimm,  und  viel  andere  schreckliche  Sunden  begangen; 
guter  Herr,  ich  bitte  dich  um  Erbarmen!«  Bei  diesen  Worten  stand 
er  unter  Thränen  wieder  auf.  und  rief  den  Umstehenden  mit  mäch- 
tiger Stimme  zu:  »  Seilet,  zuteil  Leute,  seht,  wegen  Uebertretung 
von  Gottes  Gesetz  und  seiner  grossen  Gebote  haben  sie  mich 
noch  nie  verflucht;  aber  um  ihrer  eigenen  Gesetze  und  Ueberlie- 
ferungen  willen  handeln  sie  höchst  grausam  mit  mir  und  anderen 
Leuten !  Deswegen  werden  beide ,  sie  und  ihre  Gesetze ,  laut 
Gottes  Verheissung,  vollkommen  vernichtet  werden  Der  Erz- 
bischof  schritt  sodann  zu  dem  Verhör,  befragte  den  Angeschuldig- 
ten über  seinen  Christenglauben  und  forderte  eine  Antwort  auf  die 
ihm  schriftlich  vorgelegten  Punkte.  Im  Laufe  dieses  Verhörs  legte 
Lord  Co  bh  am  ein  freimüthiges,  unumwundenes  Bekenntniss  ab 
über  die  Lehre  von  der  Wandlung  im  heil.  Abendmahl,  Uber 
Ohrenbeichte.  Kreuzeszeichen,  Schlüsselgewalt  des  Papstes  und 
der  Prälaten.  Zum  Beispiel  scheute  er  sich  nicht  auszusprechen. 
Pom  sei  das  ächte  Nest  des  Antichrist,  und  aus  jenem  Neste  kämen 
alle  Schüler  desselben :  Prälaten.  Priester  und  besitzende  Mönche 
seien  der  Leib,  die  Bettelmönche  der  Schwanz,  der  Papst  aber  das 
Haupt  des  grossen  Antichrist.  In  diesem  Zusammenhang  sagte  er 
seinen  Richtern ,  mit  Bezug  auf  Christi  Wort  an  die  Pharisäer. 
Matth.  23.  13:  »Ihr  lasset  der  Wahrheit  Gottes  nicht  den  freien 
Lauf,  und  lasset  sie  nicht  lehren  durch  Gottes  treue  Diener, 
aus  Furcht,  sie  möchten  euere  Bosheit  rügen :  wohl  aber  duldet 
ihr.  dass  durch  Schmeichler,  die  euch  in  eurem  Unrecht  aufrecht 
erhalten,  das  gemeine  Volk  jämmerlich  verführt  wird2;.«  Einmal 
breitete  er  die  Arme  aus.  und  rief  den  beim  Verhör  Anwesenden 
laut  zu :  »Diejenigen,  welche  mich  richten  und  mich  verurtheilen 
wollen,  werden  euch  und  sich  selbst  verführen  und  in  die  Hölle 
bringen  :  hütet  euch  vor  ihnen3) !«  Hernach  fiel  er  wieder  auf  seine 
Knie,  und  betete  für  seine  Feinde  und  Verfolger  um  Vergebung4  . 


1  Foxe,  III,  330. 

2  Foxe,  III,  333  f. 

3  WiLKIXs,  III,  35(3. 

4  Foxe,  III,  338. 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


Da  Lord  Cobham  durchweg*  seiner  Ueberzeugung-  treu  blieb,  und 
auf  jeden  Vorhalt  seinem  Richter  und  verschiedenen  assistirenden 
Doctoren  mit  Geistesgegenwart  und  rnerschrockenheit  antwortete, 
so  wurde  schliesslich  das  Urtheil  gefällt,  welches  im  Oktober  1413 
von  den  Bischöfen  und  Pfarrern  in  allen  Gemeinden  verkündigt 
werden  musste.  Dasselbe  ging  dahin,  dass  Sir  John  Oldcastle. 
Lord  Cobham  für  einen  verderblichen  Ketzer  erklärt,  nebst  allen 
seinen  Gesinnungsgenossen  und  Helfern  in  den  Rann  gethan  und 
dem  weltlichen  Gericht  übergeben  wurde  1  . 

Der  Angeschuldigte  wurde  in  den  Tower  zurückgeführt,  und 
blieb  noch  geraume  Zeit  daselbst  gefangen.  Der  wiederholt  er- 
wähnte Befehlshaber  des  Towers.  Sir  Robert  Morlev.  wies  ihm 
das  Zimmer  des  Grafen  von  Warwiek.  Thomas  von  Beauchamp 
an.  das  stattlichste  und  bequemste  Gelass.  welches  in  jener  Zeit 
für  Gefangene  zur  Verfügung  stand.  Während  nun  Lord  C  o b h  a  in 
jenes  Gelass  bewohnte,  fing  das  Volk  an.  dasselbe  Cobham 
Tower  zu  nennen,  ein  Name.  Weicher  heute  noch  an  jenein  Zim- 
mer haftet2  .  —  Merkwürdigerweise  blieb  die  Kirche  auf  halbem 
Wege  stehen.  Das  ürtheil  war  gefällt:  Lord  Cobham  sollte  als 
verderblicher  Ketzer,  über  welchen  endgültig  der  Bann  verhängt 
war.  dem  weltlichen  Gericht  überliefert  werden.  Es  fehlte  nur 
noch  an  der  Vollziehung.  Aber  die  Strafe  des  Verbrennens  wurde 
an  dem  Lord  vorerst  nicht  vollzogen.    Vielleicht  fürchtete  man. 

1  Das  letzte  Verhör  bei  Wilkins,  Oonei  III,  355  —  357,  Faxcicnli  ziza- 
nierum  ed.  Shirley.  L858.  112  ff.  Noch  ausführlicher,  aber  aus  urkund- 
lichen Quellen  geschöpft  ist  die  Denkschrift  über  die  Verfolgung  und  den 
Märtyrertod  des  Lords,  welche  im  Reformationszeitalter  der  gelehrte  Johann 
Ii  ALE  unter  dem  Titel  herausgab:  Brefc  CHrohycle  concernymj  the  Exatni- 
nation  and  Death  of  the  Bles.sed  Martyr  of  Christ  Sir  Johann  Oldecattell 
the  Lorde  Cnhham  IÖ44.    Aus  dieser  Schrift  hat  Foxe,  Acte  and  Man.  III. 

— .'14s  das  Meiste  wieder  abdrucken  lassen.  —  Der  papistische  Geschieht- 
schreiber  Linoarü ,  Ilist.  of  England,  V.  •">  meint,  anlangend  das  letzte 
Verhör,  das  benehmen  Cobham's  sei  ebenso  anmaassend  und  höhnisch  ge- 
wesen ,  als  das  seiner  Richter  mild  und  würdevoll.  Hin  Urtheil .  welches 
mit  den  officiellen  Akten  aus  der  Feder  von  Gegnern  .  wie  wir  dieselben 
bei  Wilkins  lesen,  wenig  übereinstimmt. 

2  William  Hepworth  Dixox,  Her  3/a/estt/s  Toicer.  Tauchnüz- Aus- 
gabe.   Leipzig  ls<i9.  Ts. 


Lord  Cobham  wieder  auf  freiem  Fuss. 


durch  Hinrichtung  eines  Edelmannes  auf  dem  Scheiterhaufen  den 
-anzen  Adelstand  zu  beleidigen.  Jedenfalls  wirkte  zum  Aufschub 
auch  Rücksicht  auf  den  König-  mit.  Ferner  mochte  der  Erzbischof 
hoffen,  die  Aussicht  auf  den  Feuertod  werde  den  Ritter  schließ- 
lich zu  einem  Widerruf  treiben.  Thatsache  ist.  dass  dein  Ge- 
fangenen eine  Bedenkzeit  von  10  Tagen  gewährt  wurde  1  . 

Gegen  das  Ende  dieser  Frist  gelang  es  dem  Ritter  ans  dem 
Tower  zu  entkommen.  Ein  Londoner  Lederhändler.  Wilhelm 
Fisher  rückte  mit  einer  Schaar  entschlossener  Bürger  in  einer 
dunkeln  ( >ktobernacht.  vordem  Feiertag  Simonis  und  Judae.  vom 
27.  zum  28.  Oktober  1413  vor  den  Tower:  sie  erzwangen  sich  den 
Zugang  zu  dem  >  Beauehamp-Thurm« .  befreiten  den  beliebten 
Helden  und  zogen  sich  zurück,  ohne  verfolgt  zu  werden,  und  ge- 
leiteten ihn  zu  seiner  städtischen  Wohnung  auf  Smithneid.  Gegen 
drei  Monate  hielt  sich  Lord  Cobham  in  der  Stadt  auf.  ohne  dass 
ihm  jemand  etwas  zu  Leide  that.  Der  König-  selbst  ergriff  während 
dieser  Frist  keine  thatlichen  Maassregeln  gegen  ihn2). 

Allein  dem  Erzbischof  war  alles  daran  gelegen,  den  König- 
gegen  den  Helden  aufzubringen,  und  zum  Handeln  zu  8 tackeln. 
Die  Lollarden  selbst  boten  ihm  (Telegenheit  dazu,  und  arbeiteten 
ihrem  eigenen  Verderben  entgegen.  Es  ist  begreiflich,  dass  das 
Entkommen  des  angesehenen  Fahrers  die  ganze  Partei  ebenso 
ermuthigte .  wie  sie  durch  die  drohenden  Maassregeln  gegen  ihn 
t  i  sch  reckt  und  erbittert  worden  war.  Einigen  Angaben  zufolge 
haben  sie  Geld  und  Waffen  unter  sich  vertheilt  und  einen  bestimm- 
ten Tag  zum  Losschlagen  verabredet:  es  soll  der  Plan  ge- 
wesen sein  .  den  König  und  seinen  Bruder  zu  Eltham .  unweit 
(ireenwich  .  einem  beliebten  Landsitz  der  englischen  Könige  in 
den  letzten  Jahrhunderten  des  Mittelalters,  wo  der  Hof  die  Weih- 
nachtszeit verlebte,  zu  überfallen.  Heinrich  V.  war  davon  benach- 
richtigt, und  begab  sich  ganz  in  der  Stille  in  seinen  Palast  bei 
Westminster.  Nun  sollen  die  Lollarden  vom  Lande  sich  verab- 
redet haben,  in  der  Nacht  auf  den  7.  Januar  1414  sich  auf  dem 

1  Walsingiiam .  Hist.  amß.  II,  296,  quadraginta  dies,  nach  Kiley's 
kritischer  Erörterung,  während  die  bisherigen  Abdrücke  quinquagitita  haben 

2  W.  H.  Dixon,  a.  a.  O.  so. 


90 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


Felde  St.  Giles,  nordwestlich  von  London,  zu  sammeln,  und  durch 
Zuzug  aus  der  Stadt  verstärkt  loszubrechen  gegen  Krone  und 
Adel,  Prälaten  und  Mönche.  Sie  seien  der  Meinung  gewesen,  der 
Kitter  Sir  John  Oldcastle  werde  sich  an  ihre  Spitze  stellen.  Allein 
der  König  besetzte  nach  Mitternacht  das  Feld,  und  Hess  die  Thore 
von  London  schliessen,  damit  zu  den  von  den  Grafschaften  her 
sich  sammelnden  Haufen  kein  Zuzug  aus  der  Stadt  stossen  könne. 
Einige  Zuzügler  fielen  im  Dunkel  den  Vorposten  der  königlichen 
Truppen  in  die  Hände  :  auf  die  Frage,  wohin  sie  wollten,  ant- 
worteten sie :  »zum  Lord  Cobham« ;  sie  wurden  fest  genommen ; 
und  da  die  Kunde  sich  verbreitete,  der  König  selbst  sei  mit  Be- 
Avaffheten  in  der  Nähe,  so  flüchteten  sich  die  zusammengelaufenen 
Banden.  Doch  wurden  »sehr  viele«  ergriffen  und  in  die  Gefäng- 
nisse geworfen :  ihrer  39  wurden  in  einem  summarischen  Process 
schuldig  befunden,  und  als  Hochverräther  am  24.  Januar  auf 
St.  Gilesfield  theils  gehangen  theils  verbrannt,  sowohl  Laien  als 
Priester;  genannt  werden  uns  nur  vier,  ein  Ritter  Sir  Roger 
Act on,  Browne,  ein  Prediger  Beverley,  und  ein  reicher 
Brauer  aus  Dunstaple,  Wilhelm  Murlee. 

Was  ist  Thatsächliches  an  diesem  angeblichen  Aufstands- 
versuch der  Lollarden  ?  Der  Bericht,  welchen  uns  ausgesprochene 
Feinde  der  Partei,  wie  der  Mönch  von  Sanct  Albans,  Walsing; - 
ham,  geben,  trägt  den  Stempel  der  Verdächtigung  und  Ueber- 
treibung  im  Wege  feindlicher  Gerüchte  an  sich ;  da  ist  immer  von 
dem  die  Rede,  was  man  sich  sagte ,  was  man  hörte,  was  Plan 
gewesen  sein  soll  u.  s.  w.  Dazwischen  stehen  freilich  auch  Rede- 
formen, welche  die  Sachen  als  faktisch,  die  Hingerichteten  als 
überwiesen  hinstellen  *) .  Hochverrätherischc  Pläne  wurden  natür- 
lich auch  von  der  Regierung  als  erwiesen  angenommen  und  kate- 
gorisch behauptet2).  Geschichtschreiber  von  römischen  Grund- 
sätzen haben  das  alles  für  baare  Münze  angenommen  3  .  Allein 


I   Walsingham,  U.  297—300. 

2)  Der  Köni^  sagte  in  einer  Proklamation  vom  Li.  Januar  1414  unter 
anderem:  mortem  uostnun  — falso  et  proriitoric  inuujimnwnint.  RTMER,  Fo- 
ri eru.  IX,  S!>  f. 

:»   Li  NO  ARD.  Hist.  of  England,  V.  <>  f. 


Die  angebliche  Verschwörung. 


91 


es  ist  wohl  zu  erwägen,  dase  die  mit  dem  Spruch  beauftragten 
Geschworenen  schon  am  dritten  Tage,  den  10.  Januar  1414,  mit 
ihrem  Urtheil  über  die  Thatfrage  fertig  gewesen  sind,  eine  Frist, 
in  welcher  ein  thatsächlich  begründetes  Urtheil  über  so  viele  Per- 
sonen unmöglich  gefällt  werden  konnte.  Damit  wollen  wir  jedoch 
nicht  sagen,  dass  alles  nur  bodenlose  Erdichtung  und  Verleum- 
dung gewesen  sei.  Thatsache  ist  jedenfalls,  dass  in  der  Nacht 
vom  6.  bis  7.  Januar  ein  Zusammenlaufen  auf  St.  Gilesfield 
statt  gefunden  hat.  Aber  wer  die  Urheber  und  Anstifter  der  Sache 
gewesen,  liegt  völlig  im  Dunkeln.  Da  mehrere  Kleriker  betheiligt 
waren,  so  liegt  der  Gedanke  nahe,  dass  die  Hierarchie  selbst  nicht 
unbetheiligt  gewesen  sei  und  im  Stillen  gehetzt  haben  möge  1  . 

Die  ganze  angebliche  Verschwörung  wurde  indessen  auf  Lord 
C  o b  h a m '  s  Rechnung  gesetzt.  Die  königliche  Proklamation  vom 
11.  Januar  1414  war  gegen  ihn  gerichtet,  sie  war  nichts  anderes 
als  ein  Steckbrief  wider  ihn  :  1000  Mark  wurden  als  Preis  für  den- 
jenigen ausgesetzt,  der  ihn  gefangen  einliefern  würde.  500  Mark 
für  jeden,  der  sichere  Kunde  über  ihn  geben  könnte  u.  s.  w. 2  . 
Fragen  wir  aber  nach  einem  Beweise  seiner  Schuld,  so  bleibt 
man  uns  die  Antwort  schuldig.  Dass  der  Ritter  in  jener  Nacht  bei 
dem  Hergang  zugegen  gewesen  sei  oder  auch  nur  in  der  Nähe  sich 
befunden  habe ,  behaupten  auch  seine  erbittertsten  Gegner  nicht. 
Und  dass  er  der  intellektuelle  Urheber  gewesen  sei.  dafür  gibt  es. 
ausser  den  angeblichen  Aussagen  verhafteter  Theilnehmer  an  dem 
Handel,  gar  keine  Zeugnisse.  Wann  der  Ritter  seine  städtische 
Wohnung  verlassen  hat,  ist  völlig  unbekannt.  Sein  Aufenthalt 
blieb  lange  verborgen,  während  man  ihm  nachspürte  und  er 
selbst,  nebst  einigen  anderen,  von  der  Amnestie,  welche  der  bei 
weitem  grössten  Anzahl  der  Verhafteten  zu  Theil  wurde,  ausdrück- 
lich ausgenommen  war :$  .   Die  wichtigste  Folge  der  räthselhaften 


1  Am  gründlichsten  und  unparteiischsten  haben  Turner,  II,  471  f. 
und  Pauli  .  Gesch.  von  England,  V,  S(>  ff.  die  dunkle  Sache  erörtert. 

2  RYMEE,  Födcra,  IX,  $9  f. 

3  Bei  RYMER,  IX,  119  f.  und  129  f.  stehen  zwei  sogenannte  Amne- 
stiedekrete, das  erste,  an  die  Vicegrafen  sämmtlicher  Bezirke  gerichtet,  vom 
\S.  Marz  1414,  das  zweite  vom  20.  Mai.    Das  erstere  ertheilt  der  Form  nach 


92 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


Empörnng-sversnche  war.  dtass  bei  dem  König*  nunmehr  keinerlei 
Rücksicht  und  Schonung  mehr  obwaltete.  Von  dieser  veränderten 
Lage  der  Dinge  machte  die  Hierarchie  sofort  Gebrauch.  Zwar 
Thomas  Arundel  starb  am  20.  Februar  1414  in  Folge  eines 
Schlaganfalls.  Allein  dem  Mann  .  welchen  seine  Verehrer  als 
einen  unüberwindlichen  Kampfer,  als  den  hochragenden  Thurm 
der  anglikanischen  Kirche  rühmten1  .  folgte  auf  dem  erzbischüf- 
lichen  Stuhl  der  Bischof  von  St.  Davids  in  Wales.  Heinrich 
Chichely,  ein  Kirchenmann,  welcher  an  fanatischer  Verfol- 
guugssucht  seinem  Vorgänger  nichts  nachgab.  Unter  ihm  erging 
sofort  ein  königliches  Statut,  worin  auf  den  Antrag  der  nun  völlig 
römisch-gesinnten  Universität  Oxford,  und  nach  Dnrchberathnng 
inmitten  der  Convocation  und  des  Parlaments,  angeordnet  wurde. 
I .  dass  von  jetzt  an  jeder  Staatsbeamte  bei  seinem  Amtsantritt  ins- 
besondere auch  dazu  eidlich  verpflichtet  werden  solle,  Ketzereien 
unterdrücken  zu  helfen .  und  den  Bischöfen  bei  V erfolgung  der 
Lollarden  an  die  Hand  zu  gehen:  2.  dass  die  Güter.  Schlösser 
und  Besitzungen  aller  Personen,  welches  Standes  sie  seien,  die 

einer  Anzahl  von  Verhafteten  Begnadigung .  setzt  aber  mehrere  Ausnah» 
men  ;  und  es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  das  Hauptaugenmerk  auf  diejenigen 
gerichtet  ist,  welche  von  der  Amnestie  ausgeschlossen  werden.  Es  sind  da 
mit  Namen  aufgeführt:  John  Oldcastel.  Chivaler;  Thomas  Talbot, 
Chiv;  Kicardus  Colfox ;  Will.  Parciimvxer  ;  Robertos  Shexe,  Cle- 
ricus;  Thom.  DrayTOX,  rerfor  ccc/estac  de  Drai/ton;  Joh.  Ho  PER ;  Thom. 
Sekxes;  Thom.  Cleyxe;  Thomas  EsTON,  mercerm  Kramer  Londo- 
niae  et  Keys.  —  Die  andere  Urkunde  ist  ein  wirkliches  Amnestiedekret 
für  2!)  Personen  .  welche  namentlich  aufgeführt  sind ;  nicht  weniger  als  7 
von  ihnen  führen  den  Titel  als  capcUani  oder  o.lerici\  die  übrigen  waren, 
wie  es  scheint,  lauter  Personen  vom  Bürgerstand,  theils  aus  London,  theils 
aus  den  Grafschaften  Leicester,  Sussex,  Bedford  und  York. 

1  Walsixgiiam  ,  llist.  anglieanu,  II,  5M)0:  em tnentissima  tttrris  tccl«- 
niae  Anglicanae  et  pugil  invtetus.  Der  Erzbischof  starb  an  einem  Zungen- 
schlag, in  Folge  dessen  er  toi  ausserordentlicher  Geschwulst  der  Zunge 
mehrere  Tage  vor  seinem  finde  weder  etwas  schlingen  noch  ein  Wort  reden 
konnte';  deshalb  sagten  die  Leute.  Gott  habe  seine  Zunge  gebunden,  zur 
Strafe  dafür,  dass  er  durch  seine  ^Constitutionen«  vom  Jahr  Mos  die  Zun- 
gen der  Prediger  gebunden  habe.  Nach  Thomas  Gascoignes  Bericht,  hu 
IUctin,mrinm  tlwoUujicum  Mx.  s.  F()XE  .  .Irfs  III.  4(1-1.  LSWIH  .  Life»/ 
I!ri/ti>>'(f   l'raonrh.    |S'2o.   p.  |S. 


Lord  Cobhams  Verhör  vor  dem  Parlament. 


83 


von  geistlichen  Gerichtshöfen  der  Ketzerei  schuldig  erkannt  wor- 
den seien,  vom  König  confiscirt  werden  sollen.  Bemerkenswert!] 
ist  hiebet,  dass  unter  den  Gönnern  und  Förderern  der  Lollarden 
namentlich  auch  die  Abschreibe*  ihrer  Bücher  ausdrücklich  er 
wähnt  werden 1  . 

Erst  im  Jahre  1417  gelang  es.  den  lauge  vergebens  gesackten 
Lord  Cobbam  in  Wales  zu  entdecken.  Im  Herbste  dieses  Jahres 
wurde  er  in  der  Herrschaft  Powis  von  Sir  Eduard  Charlton  und 
dessen  Leuten  nach  tapferer  Gegenwehr,  wobei  ihm  ein  Weih,  das 
sich  heim  Kampfe  betheiligte,  mit  einem  Schemel  ein  Bein  ent- 
zweischlug, gefangen  genommen.  Er  wurde  sofort  in  einem  Trag- 
sessel  nach  London  gebracht.  Nun  wurde  ihm  vor  dem  Parlament, 
das  seit  dem  10.  November  versammelt  war.  derProcess  gemacht. 
Das  Haus  der  Gemeinen  erhob  die  Anklage.  Am  14.  December 
wurde  er  von  den  Lords  vernommen,  insbesondere  wurde  ihm  das 
Protokoll  vom  Januar  1414  vorgelesen,  wonach  er  wegen  Be- 
theiligung an  der  Zusammenrottung  in  St.  Giles  als  Ketzer  und 
Höchverräther  erkannt  und  geächtet  worden  war.  Als  ihm  das 
Wort  ertheilt  wurde,  um  sich  zu  verantworten,  ging  er  auf  die  ihm 
vorgehaltenen  Anklagen  gar  nicht  ein.  sondern  wies  nur  auf  Gottes 
Barmherzigkeit  hin.  dem  allein  die  Vergeltung  zustehe.  Da  fiel 
ihm  der  Oberrichter  in  die  Kede  und  gebot  ihm  sich  auf  dasjenige 
zu  beschränken,  w  as  ihm  vorgehalten  worden  sei.  Nun  antwortete 
der  Kitter  nach  kurzem  Besinnen :  »Mir  ist  es  ein  geringes,  dass 
ich  von  euch  gerichtet  werde,  oder  von  einem  menschlichen  Tage« 
1.  Kor.  4.  :\  .  Schliesslich  lautete  das  Urtheil  dahin,  dass  er  als 
Hochverräther  gehängt  und  als  Ketzer  verbrannt  werden  solle, 
l  ud  dieses  l  rtheil  wurde  buchstäblich  an  ihm  vollzogen :  er  wurde 
auf  eine  Schleife  gelegt,  als  wäre  er  der  abscheulichste  Verräther 
an  der  Krone .  und  so  vom  Tower  durch  die  Stadt  hinaus  nach 
der  Ebene  St.  Giles  geschleppt.  Hier  angekommen,  wurde  er  von 
der  Schleife  herabgenommen,  worauf  er  auf  die  Knie  fiel  und  den 
allmächtigen  Gott  anflehte,  seilten  Feinden  zu  vergeben.  Sodann 
erhob  er  sich,  und  ermahnte  die  versammelte  Menge,  dem  Gesetze 
Gottes,  wie  es  in  der  Bibel  geschrieben  ist.  zu  folgen  und  sich  in 


l    Wilkins,  Com.  III.  :{5b  —  :i6u. 


94 


Buch  III.    Kap.  2.  III. 


alle  Wege  vor  solchen  Lehrern  in  Acht  zu  nehmen,  von  denen  sie 
sehen,  dass  sie  im  Leben  und  Wandel  Christo  zuwider  seien. 
Dann  wurde  er  in  der  Mitte  zwischen  zwei  Galgen  an  Ketten  auf- 
gehängt, und  ein  Scheiterhaufen  unter  ihm  angezündet,  so  dass 
er  von  unten  auf  langsam  eingeäschert  wurde.  So  lange  Leben  in 
ihm  war,  pries  er  Gott  und  befahl  seine  Seele  in  Gottes  Hände. 
So  starb  der  an  Rang  in  der  Gesellschaft,  aber  auch  an  sittlicher 
Würde  und  christlichem  Math  hervorragendste  Mann  unter  den 
Wiclifiten,  mit  einer  Statthaftigkeit  ohne  Furcht  und  Tadel,  als 
Märtyrer.  Die  Anklage  des  Hochverrates  war  nicht  im  mindesten 
begründet  und  erwiesen,  seine  Hinrichtung  war  ein  Justizmord 1  . 

1  Walsingham ,  Hist.  angl.  II,  327  f.  Foxe,  III,  541—  544.  vgl. 
Pauli,  Gesch.  v.  England  V,  147.  —  Foxe  erwähnt,  dass  Oldcastle  ge- 
sagt haben  solle ,  er  werde  enden  wie  Elias ;  und  fügt  bei ,  Elias  sei  in 
einem  feurigen  Wagen  zur  Unsterblichkeit  geführt  worden ;  so  sei  Lord 
Cobham  erst  in  Ketten  am  Galgen  emporgehoben,  dann  rings  von  Flam- 
men umgeben  worden  ,  gleichsam  in  einem  feurigen  Wagen  zum  Himmel 
gegangen,  a.  a.  O.  543.  Das  gehört  wohl  zu  der  Guirlande  von  Sagen,  mit 
denen  das  Lebensbild  Cobham' s  von  Freund  und  Feind  umschlungen 
wurde.  Von  gegnerischer  Seite  kam  jedenfalls  das  Gerücht,  er  habe  den 
bei  der  Execution  anwesenden  Sir  Thomas  Espington  gebeten,  seiner 
Partei  Hülfe  zu  gewähren  und  Frieden  zu  vermitteln,  wenn  er  Lord  Cob- 
ham am  dritten  Tage  auferstehe;  oder  er  habe  im  Verhör  vor  den  Lords 
erklärt,  keinen  von  ihnen  als  Richter  anzuerkennen,  da  sein  Lehensherr, 
Richard  IL,  bei  den  Schotten  noch  lebe;  Walsingiiam  ed.  Riley,  II.  328. 
Das  letztere  sollte  als  Beleg  dienen  für  den  Hochverrat h  .  das  erstere  für 
die  Irrlehre  und  Schwärmerei  des  Mannes.  Die  bemerkenswerthesten  Dich- 
tungen in  Beziehung  auf  seinen  Charakter  sind  jedoch  die  folgenden :  I  In 
religiöser  Hinsicht  ist  ihm  ein  Widerruf  untergeschoben  worden,  welcher 
sicher  nie  von  ihm  geleistet  worden ,  noch  als  Zumuthung  von  Seiten  der 
Prälaten  in  seine  Hände  gekommen  ist ;  die  Formel  kann  vielmehr  nur  den 
/weck  gehabt  haben ,  die  Bevölkerung  irre  zu  führen  und  dem  Einrluss 
seines  Vorgangs  zu  wehren;  das  Schriftstück  findet  sich  in  Waiden'« 
Faseiculi  zizaniorum,  cd.  Shirley,  114-  116,  vgl.  Fox  f..  III.  339  f.  2  In 
sittlicher  Hinsicht  wurde  sein  Charakterbild  entstellt,  indem  das  Gerücht 
ihn  zu  einem  Genossen  des  Leichtsinns  und  der  Ausschweifungen  Hein- 
rich's  V.  als  Prinzen  von  Wales  machte.  Dieses  Zerrbild  der  geschicht- 
lichen Persönlichkeit  hat  sogar  Shakspeare  anfänglich  festgehalten;  denn 
in  dem  ersten  Entwurf  zu  König  Heinrich  IV.,  dem  zweiten  Theil .  wurde 
die  unter  dem  Namen  Sir  John  Falsta ff  bekannte  Figur  unter  dem  Namen 
Sir  John  Oldcastle  aufgeführt.  Später  erkannte  der  Dichter,  dass  er  hie- 
mit  eine  Unbill  an  einem  ehrwürdigen  Mann  und  seinem  Gedächtniss  be- 


Fortgang  der  Inquisition  gegen  die  Lollarden. 


95 


IV. 

Von  dieser  erschütternden  Katastrophe  aus  gehen  wir  noch 
einmal  zurück,  um  das  Wesen  und  Leben  der  Lollarden  seit  dein 
Jahr  1410.  und  die  Schicksale  der  Partei  selbst  in's  Auge  zu  fassen. 

Seitdem  Heinrich  Chichely  den  erzbischöflichen  Stuhl  von 
Canterbury  bestiegen  hatte  1414; ,  wurde  die  Inquisition  wieder 
lebhafter  betrieben:  die  geistlichen  Gerichtshöfe  luden  viele  Perso- 
nen wegen  Verdachts  wiclifitischer  Denkart  vor  sich,  die  theils  zum 
Widerrufe  genöthigt,  theils.  wo  dieser  nicht  zu  erzielen  war,  durch 
Todesstrafe  unschädlich  gemacht  wurden.  Der  neue  Erzbischof 
ordnete  auf  der  Convocation  von  1416  an,  dass  sämmtliche  Bi- 
schöfe und  Archidiaconen  in  der  ganzen  Kirchenprovinz  minde- 
stens zweimal  im  Jahr  in  jedem  Decanatsbezirke  nach  Personen, 
welche  der  Ketzerei  verdächtig  seien,  sorgfältige  Nachforschung 
anstellen,  und  in  jeder  Kirchfahrt,  welche  im  Ruf  stehe,  dass 
Ketzer  darin  wohnen,  drei  oder  mehr  Männer  von  unbescholtenem 
Ruf  eidlich  dazu  verpflichten  sollen.  Anhänger  von  Irrlehren,  In- 
haber verdächtiger  Schriften  u.  s.  w.  schriftlich  anzugeben,  damit 
gegen  dergleichen  Leute  die  Untersuchung  eingeleitet  werden 
könne  1  . 

Aber  schon  das  Jahr  zuvor  war  gegen  einen  Londoner  Bür- 
ger eine  Untersuchung  geführt  worden,  die  mit  dem  Scheiter- 
haufen endigte.  Dieser  Process  ist  um  so  merkwürdiger,  als  wir 
aus  dem  umfangreichen  Protokoll 2  den  ganzen  Lebenslauf  des 
Mannes  einigermaassen  kennen  lernen.  Sein  Name  war  Johann 
Cla  y  don.  er  war  ein  ungelehrter  Mann,  der  nicht  einmal  lesen 


gangen  habe.  Jetzt  vertauschte  er  nicht  nur  den  Namen  Oldcastle  mit 
dem  Namen  Falstaff,  sondern  scheute  sich  nicht  eine  Art  Widerruf  und 
Ehrenrettung  zu  Gunsten  des  geschichtlichen  Sir  John  Oldcastle  dem 
Epilog  des  Stücks  einzuverleiben,  in  den  Worten: 

0  Idcastle  died  a  martyr,  and  this  nämlich  Falstaff  is  not  the  man. 
Vgl.  W.  H.  Dixon,  Her  Mujesty's  Tower,  Leipzig  1S69.  75  f.  Der  papisti- 
sche Geschichtschreiber  Englands,  Lingard,  hat  jedoch  daran  festgehalten, 
dass  Sir  John  Oldcastle  das  historische  Urbild  des  Falstaff  sei,  V,  3  ff. 

1  Wilkins,  Conc.  III,  378. 

2  a.  a.  0.  371  -375. 


91  i 


Buch  III.    Kap.  2.  IV. 


konnte,  übrigens  wohlhabend,  da  er  mehrere  Dienstboten  gleich- 
zeitig im  Haushalt  hatte:  er  betrieb  das  Gewerbe  eines  Kürsch- 
ners, und  war  in  die  Kirchengemeinde  St.  Anna  bei  Aldrychgate 
in  London  eingepfarrt.  Der  Mann  hielt  zwanzig-  Jahre  lang  treu 
und  eifrig-  zu  den  Lollarden ;  er  war  deswegen  schon  L395  unter 
der  Amtsführung  des  Bischofs  Richard  Braybrookc  in  London 
verhaftet  worden,  und  hatte  2  Jahre  auf  Conwaycastle  in  Nord- 
Wales,  sodann  3  Jahre  im  Fleet-Gelangniss  zu  London  gesessen. 
Schliesslich  widerrief  er  alle  Irrlehren  vor  dem  Lord-Kanzler 
Johann  Searle,  und  wurde  in  Folge  dessen  unter  Heinrich  IV. 
im  Jahr  1400  wieder  auf  freien  Fuss  gesetzt.  Allein  im  Jahre 
1413  wurde  er  wegen  einer  angeblich  ketzerischen  Aeusserung 
angebracht  und  vor  ein  geistliches  Gericht  vorgeladen :  er  sagte 
diesmal  vor  dem  Erzbischof  von  Canterbury ,  Thomas  A  r  u  n  d  e  1. 
allen  Ketzereien  öffentlich  und  feierlich  ab,  und  gab  das  Ver- 
sprechen, mit  allen  der  Ketzerei  verdächtigen  Leuten  sich  nie 
mehr  einlassen  zu  wollen.  Nun  aber  entdeckte  man  bei  ihm  zwei 
Jahre  später  Schriften  in  englischer  Sprache :  und  schon  dieser 
Umstand  war  verdächtig  genug,  um  seine  abermalige  Verhaftung 
durch  den  Mayor  von  London  zu  begründen,  der  zugleich  jene 
Bücher  mit  Beschlag  belegte.  Am  17.  August  1415  wurde  er  in 
dem  Kapitelsaal  der  St.  Paulskirche  vor  den  Erzbischof  und  meh- 
rere Bischöfe  vorgeführt,  und  in  Gegenwart  mehrerer  Gelehrten 
und  vieler  Zuhörer  vernommen,  theils  über  seine  Vergangenheit, 
theils  über  die  Bücher,  theils  über  seinen  Umgang  mit  Personen, 
die  der  Ketzerei  verdächtig  seien.  Claydon  bekannte  ohne 
Rückhalt,  dass  die  vorgezeigten  Bücher  ihm  gehörten,  leugnete 
auch  keineswegs,  dass  er  sich  öfters  aus  denselben  habe  vorlesen 
lassen,  und  dass  er  ihren  Inhalt  für  wahr  und  gut  und  zu  seinem 
Seelenheil  dienlich  halte.  Die  Bücher  wurden  durch  einen  Aus 
schuss  von  Gelehrten  geprüft,  nach  dem  Gutachten  derselben 
als  ketzerisch  erkannt  und  zum  Verbrennen  verurtheilt.  Den 
Mann  selbst  anlangend,  wurde  durch  die  Aussagen  ehemaliger 
Diener.  Arbeiter  und  Lehrlinge  sein  Umgang  mit  ausgemachten 
Lollarden  festgestellt,  lieber  ihn  selbst  fällte  der  geistliche  Ge- 
richtshof schliesslich  das  Ürtheil,  dass  er  ein  rückfälliger  Ketzer 
sei:  als  solcher  müsse  er  »dem  weltlichen  Arm  überlassen«. 


Polemik  gegen  die  Lollarden. 


97 


d.  h:  er  solle  verbrannt  werden.  Dieses  Urtheil  wurde  an  ihm 
auf  Smithtield  in  London  in  der  gewöhnlichen  Weise  vollzogen, 
d.  h.  man  band  den  Unglücklichen  mit  Ketten  an  einen  Pfahl, 
legte  Reissbuschel  im  Kreise  um  ihn  her  und  zündete  diese  an, 
so  dass  er  hei  lebendigem  Leibe  verbrannt  und  eingeäschert 
wurde. 

Indessen  mögen  die  Kirchenoberen  doch  gefühlt  haben,  dass 
die  Flammen  der  Scheiterhaufen  und  das  ganze  Verfahren  mit 
Hülfe  der  Staatsgewalt  doch  nicht  hinreiche .  um  das  Lollarden- 
thum  mit  Erfolg  niederzuhalten.  Daher  die  wiederholten  Bemü- 
hungen, auf  die  Ueberzeugung  zu  wirken,  und  die  öffentliche 
Meinung  zu  Gunsten  des  römischen  Kirchensystems  umzustim- 
men. Im  Jahre  1401  schrieb  ein  Franziskaner,  Namens  Wilhelm 
Hutler.  im  Namen  seines  Ordens  gegen  das  Bibellesen  in  der 
Volkssprache .  in  dein  Sinne :  »die  Prälaten  dürfen  nicht  zuge- 
ben, dass  jeder  Einzelne  nach  Belieben  die  heilige  Schrift  in  la- 
teinischer Sprache  lese;  denn  das  ist  schon  für  Viele  die 
Veranlassung  geworden,  dass  sie  in  Irrthümer  oder  gar  in  Ketze- 
reien verfielen :  es  ist  also  nicht  rathsam ,  dass  jeder ,  wo  und 
wann  er  nur  will,  sich  dem  eifrigen  Studium  der  Schrift  widme.« 
Es  scheint ,  dass  der  Mönch  aus  dem  Verbote  des  beliebigen  Le- 
sens in  der  Vulgata  einen  Schluss  zog,  der  die  Uebersetzungen 
der  Bibel  in  die  Volkssprache  als  noch  weit  gefährlicher  hin- 
stellte 1  .  Um  dieselbe  Zeit  hielt  ein  anderer  Bettelmönch  Na- 
mens Scillius  bei  dem  St.  Paulskreuz,  in  Gegenwart  des  Bi- 
schofs von  London ,  eine  Predigt  gegen  die  Uebersetzungen  der 
Bibel  in  die  Landessprache ;  aber  mit  wrenig  Erfolg ,  denn  diese 
Predigt  erregte  starken  Widerspruch  bei  vielen  Zuhörern,  welche 
von  dem  Prediger  mit  Anwendung  von  Apostelgesch.  13,  10) 
sagten:  »0  du  voll  aller  List  und  Schalkheit,  wTarum  suchst  du 
den  Bischof  vom  wahren  Glauben  abzuwenden  2  ?« 


1  Usserii  Bist,  dogmatica  vontrocersiae  —  de  soripturis  et  sacris  ver- 
nactUis.  —  Auctario  locuphtavit  Henricus  AVharton  ,  Lond.  1690.  40. 
p.  163.  Eine  Handschrift  dieser  unseres  Wissens  noch  nie  gedruckten 
Abhandlung  von  Scillius  befindet  sich  angeblich  in  der  Bibliothek  des 
Mertoncollegiums  in  Oxford  unter  Nr.  143. 

2^  a.  a.  O. 

Lechler,  Wiclif.  II.  7 


98 


Buch  III.    Kap.  2.  IV. 


Ueberhaupt  mögen  sowohl  die  Controverspredigten  als  et- 
waige Streitschriften  gegen  die  wiclifitische  Partei  nicht  viel 
ausgerichtet  haben ,  während  bei  dieser  selbst  das  Interesse  für 
Schriften  in  der  Muttersprache  ein  sehr  j  reges  und  lebendiges 
war.  Je  strenger  und  beharrlicher  die  Kirchengewalt  seit  dem 
Jahr  1400  den  öffentlichen  Vorträgen  der  Lollarden  entgegen- 
trat ,  was  zuletzt  Erfolg  haben  musste ,  desto  werthvoller  wurde 
der  Besitz  von  Büchern,  die  wenigstens  einigen  Ersatz  gewähr- 
ten. Vor  allem  hielt  man  sich  an  die  englische  Bibel.  Und  es 
ist  Thatsache ,  dass  unter  den  in  England  heute  noch  vorhande- 
nen Handschriften  der  Wiclif  sehen  Bibelübersetzung  mindestens 
25  aus  dem  gegenwärtigen  Zeitraum  stammen ,  sei's  dass  sie  die 
ganze  Bibel ,  sei's  dass  sie  nur  einzelne  Theile  derselben  umfas- 
sen l) .  In  Folge  der  ergriffenen  Maassregeln  gingen  die  grösseren 
öffentlichen  Versammlungen  der  Lollarden  und  die  Vorträge  der 
Reiseprediger  nach  und  nach  ein.  Mit  dem  Ende  dieses  Zeit- 
raums hörten  die  christlichen  Volksversammlungen  vor  den 
Reisepredigern,  wie  es  scheint,  ganz  und  gar  auf.  Das  war  ein 
nicht  unbedeutender  Erfolg  für  die  römische  Kirche.  Denn  eben 
damit  nahm  auch  die  raschere  Ausbreitung  evangelischer  Gesin- 
nung, zu  welcher  jene  Versammlungen  gemischter  Massen  ge- 
dient hatten ,  ein  Ende.  Die  Sache  selbst  war  hiemit  natürlich 
noch  keinesweges  vernichtet,  sie  nahm  nur  eine  andere  Form 
an :  sie  wurde  mehr  in  die  Stille  zurückgedrängt ,  erhielt  sich 
nur  unter  den  Einverstandenen ,  und  konnte  nur  noch  in  kleinem 
Maasstab  und  innerhalb  häuslicher  Kreise  neue  Bekenner  ge- 
winnen, während  das  Wachsen  der  Partei  nach  aussen  namhaft 
beschränkt  war.  Die  Lollarden  sahen  sich  genöthigt.  nur  noch  in 
engeren  Familienkreisen  und  in  eigentlichen  Conventikeln  sich 
mit  Gleichgesinnten  zusammenzufinden ,  um  sich  biblisch  zu  er- 
bauen. Und  in  demselben  Maasse,  in  welchem  die  volkreichen 
grossen  »Versammlungen«  ein  Ende  nahmen  und  die  kleinen  »Con- 
ventikel«  als  einiger  Ersatz  an  die  Stelle  jener  traten  -  ,  stieg  der 


1)  Wycltfßte  Versions  of  the  Bible,  Vol.  I.  in  der  bibliographischen 
Einleitung. 

2)  In  der  königlichen  Proklamation  vom  21.  August  1413  sind  beide 


Eifer  gegen  die  Schriften  der  Lollarden. 


99 


Werth  der  Schriften  von  wiclifitischem  Geist  für  die  Freunde 
derselben.  Wir  sehen  das  z.  B.  an  dem  Eifer  des  oben  erwähnten 
Glaydon,  sich  in  den  Besitz  eines  Buches  zu  setzen ,  aus  wel- 
chem er,  da  er  selbst  des  Lesens  nicht  kundig  war,  sich  vorlesen 
lassen  konnte.  Er  Hess  deshalb  ein  Buch,  das  er  hoch  schätzte, 
und  von  dem  wir  nur  so  viel  wissen,  dass  es  unter  anderem  eine 
bei  Hosfaldowne  (Hothfield  in  Kent  ?)  seiner  Zeit  gehaltene  Pre- 
digt enthielt ,  mit  gewiss  namhaften  Kosten  von  einem  Bücher- 
schreiber Johann  Grimm  auf  Kalbsleder  schön  abschreiben  und 
in  Leder  binden l) .  Aus  diesem  Buche  liess  er  sich,  wie  wir  aus 
den  Zeugenaussagen  erfahren ,  an  Sonn  -  und  Feiertagen  regel- 
mässig vorlesen.  Einer  seiner  Diener ,  Johann  Fülle r,  machte 
den  Vorleser;  somit  konnte  dieser  Mann  in  dienendem  Stande 
lesen,  während  der  Herr  selbst,  ein  Bürger  und  Geschäftsmann 
der  Hauptstadt,  nicht  lesen  konnte.  Letzterer  hielt  das  Buch  so 
hoch ,  dass  er  einmal  äusserte ,  er  wollte  lieber  dreimal  so  viel 
bezahlen,  als  ihn  das  Buch  gekostet  habe,  denn  dasselbe  ent- 
behren 2) .  Dieser  Eifer  der  Lollarden  für  ihre  Erbauungsschrif- 
ten in  englischer  Sprache  machte  natürlich  die  Kirchenmänner 
desto  argwöhnischer  in  Betreff  der  wiclifiti sehen  Literatur ,  und 
desto  begieriger,  solcher  Schriften  habhaft  zu  werden.  Die  Uni- 
versität Oxford  hat,  nachdem  der  bekannte  Umschwung  des 
Geistes  in  ihr  bewirkt  worden  war,  im  Jahr  1414  beantragt, 
die  Regierung  möge  sämmtliche  moderne  Bücher  und  Traktate, 
welche  seit  Ausbruch  der  Papstspaltung  in  englischer  Sprache 
erschienen  seien,  hauptsächlich  Ueber Setzungen  ins  Eng- 
lische ,  einziehen  lassen  und  ihren  Besitzern  so  lange  entziehen, 
bis  sie  durch  unverdächtige  Männer  approbirt  sein  würden 3) . 


Arten  von  Versammlungen,  sowohl  die  congregationes  als  die  conventicula 
neben  einander  erwähnt,  Rymer,  Födera,  IX,  46  f. 

1)  WlLKINS,  III,  372. 

2)  a.  a.  O  373. 

3)  Unter  den  46  Reformanträgen  handelt  der  44ste  de  Anglicatione 
librorum.  Er  lautet:  Quia  divers&rum  librorum  et  tractatuum  incompetens 
et  inepta  translatio  stmpliees  idiotas  doctrinis  variis  et  peregrinis  abducit, 
placeat  regiae  majestati  statuere,  quod  libri  et  tractatus  novelli  ab  ortu  schis- 
tnatis  Anglicati  conßscari  valeant  et  eorum  possessoribus  subtrahi,  donee 

7* 


100 


Buch  III.    Kap.  2.  IV. 


Ohne  Zweifel  hing  mit  diesem  Antrage  zusammen,  dass  der 
Erzbischof  von  Canterbury,  Heinrich  Chichely,  in  einer  »Con- 
stitution« vom  I.  Juli  1416  befahl ,  es  solle  nicht  blos  Solchen 
nachgespürt  werden,  welche  heimliche  Conventikel  besuchen 
und  Anhänger  von  Irrlehren  seien,  sondern  auch  Leuten,  welche 
englische  Bücher  besitzen 1  .  Das  königliche  Statut  vom  Jahr 
1414  befahl  den  Beamten,  namentlich  den  Richtern,  nebst  an- 
deren Gönnern  und  Verfechtern  der  Lollarden  auch  communes 
escrivers  de  tieux  tels)  livers  zu  verhaften  2  .  Also  von  allen 
Seiten  wurde  besondere  Wachsamkeit  in  Betreff  wielifitischer 
Schriften  und  Uebersetzungen  angerathen,  beziehungsweise  be- 
fohlen. 

Fragen  wir,  welche  Gedanken  in  diesem  Zeitraum  die  Par- 
tei am  lebhaftesten  und  tiefsten  beschäftigten,  so  geben  meh- 
rere Urkunden  die  Antwort  darauf :  die  Akten  über  das  Verhör 
mit  Wilhelm  Sautre  und  Johann  Purvey,  welche  durch  die 
Hierarchie  veröffentlicht  wurden,  die  Aufzeichnungen  über  das 
Verhör  mit  Wilhelm  T  h  o  r  p  e  und  später  mit  Sir  John  0 1  d  c  a  s  1 1  e, 
welche  in  englischer  Sprache  von  Seiten  ihrer  Glaubensgenossen 
selbst  verbreitet  wurden.  Ausserdem  gibt  das  Büchlein  :  »Die 
Leuchte«,  welches  in  diesem  Zeitraum  von  einem  ungenannten 
Lollarden  verfasst  worden  ist.  manchen  Aufschluss.  Die  Schrift: 
»The  Lanthorn  of  Light«  oder  »Lanier ne  of  Light«,  gehört  diesem 
Zeitraum  an:  denn  sie  kann  nicht  vor  dem  Jahr  Uno  verfasst 
sein,  da  sie  Anspielungen  auf  das  Verbrennen  von  Lollarden 
enthält:  ja  es  scheint  die  Constitution  des  Erzbischofs  Arundcl 
vom  Jahr  1408  darin  berührt  zu  sein  :  ist  dem  so,  dann  könnte  das 
Buch  erst  nach  1408  geschrieben  sein:  andererseits  ersehen  wir 
aus  den  Akten  des  Ketzerprozesses  wider  Clay den .  dass  das 


per  sciolos  non  suspectos  ipsorum  in  linf/uatn  maternam  tränst atio  approbetur. 
Wilkins,  III,  'M)h.  Der  Termin,  vom  Ausbruch  des  Schisma  an  PI378  .  ist 
nicht  übel  gewählt,  denn  von  jener  Epoche  an  haben  die  Aussprachen  Wi- 
clif's  eine  principiellere  Wendung  genommen  und  eine  rücksichtslosere 
Haltung  gezeigt. 

1)  sire  libros  suspectos  in  lingita  nilf/ari  Anglicana  ennscriptos  habentes. 
Wilkins,  III,  m, 

2)  a.  a.  O.  III,  »59. 


Der  wiclititische  Traktat :  »Die  Leuchte« 


101 


Büchlein  damals  bereits  bekannt  und  als  Erbanungslmch  beliebt 
war  1  :  folglich  ist  es  vor  dem  Jahr  1  U5  verfasst.  Der  Titel  ist 
gewählt  im  Hinblick  auf  Psalm  1  \W.  105  ;  Dein  Wort  ist  meines 
Kusses  Leuchte,  und  ein  Licht  auf  meinem  AYege  .  so  wie  auf 
Sprüche  Salom.  b\  23:  »Das  Gebot  ist  eine  Leuchte,  und  das 
Gesetz  ein  Licht2  .  Das  Buch  hat  den  Zweck,  in  der  Verfol- 
gungszeit  die  Gläubigen  zur  Beständigkeit  in  Geduld  und  Gottes- 
furcht zu  ermuntern.  Durch  das  Ganze  geht  ein  apokalyptischer 
(reist,  sofern  der  Gegensatz  zwischen  Christ  und  Antichrist,  zwi- 
schen der  wahren  und  der  falschen  Kirche .  der  Blick  auf  das 
letzte  Gericht  und  auf  die  Ewigkeit  allenthalben  die  Gedanken 
beherrscht,  auch  die  Offenbarung  Johannis  dem  Verfasser  stets 
vorschwebt.  Derselbe  gründet  sich  allewege  auf  die  Bibel,  macht 
aber  auch  von  den  Werken  der  Kirchenväter,  z.  B.  des  Hilarius, 
Augustin  und  Hieronymus,  des  heil.  Bernhard  und  anderer,  fleis- 
sigen  und  glücklichen  Gebrauch.  Thatsache  ist.  dass  dieses  Buch 
in  mehr  als  einem  Charakterzug  mit  den  Aeusserungen  Walter 
Brüte  's  8.  oben  Buch  III.  Kap.  1..  8.  31  f.  harmonirt:  mög- 
licher Weise  könnte  dieser  der  Verfasser  sein3  . 

Bei  Vergleichung  dieser  mehrfachen  Aufstellungen  lallt  uns. 
ungeachtet  grosser  Mannigfaltigkeit  im  Einzelnen,  eine  merk- 
würdige Einheit  und  Harmonie  der  Grundgedanken  ins  Auge. 


1  Wilkins,  III.  37:t.  Einer  von  den  Zeugen  wird  befragt,  ob  er  kenne 
qnendam  libellum  sire  tractatuni  —  vulgariter  nuncupatitm  The  lauter ne 
of  light. 

2  Am  Schluss  des  1 .  Kapitels  d.  h.  des  Prologs  heisst  es :  There- 
fore.  in  this  ttme  of  hideous  darkness,  some  seek  the  Lautem  of  Light, 
of  ichiche  spähe  the  prophet  PsaL  119:  Lord,  thy  word  is  a  läutern  to  my 
feet. 

:>  Das  Büch  erhielt  sich  in  Abschriften  bis  zur  Zeit  der  Reformation, 
und  wurde  von  einem  Buchdrucker  Robert  R edman n  ,  der  von  1523  bis 
1540  das  Geschäft  trieb,  ohne  Jahreszahl,  aber  vielleicht  noch  vor  dem  Jahr 
1530  herausgegeben.  Xach  dieser  überaus  selten  gewordenen  ersten  Aus- 
gabe wurde  unter  Benützung  einiger  Handschriften .  auszugsweise  und  in 
modernisirtem  Englisch .  ein  neuer  Abdruck  von  der  Religious  Traut  So- 
ciety gegeben  in  der  Sammlung  British  Reformers ,  nämlich  in  demjenigen 
Band,  welcher  den  Titel  führt:  H'ritings  and  Examinations  of  Brate,  Thorpe, 
Cobhani  —  —  irith  the  Lanier n  of  light,  S.  139  —  1  ^S.  Das  Ganze  zerfällt 
in  13  Kapitel. 


102 


Buch  III.    Kap.  2.  IV. 


Möglich  ist  es  allerdings,  dass  die  Verschiedenheit  zum  Theil  auf 
Rechnung  der  Mittel,  durch  welche  wir  sehen,  d.  h.  der  klerika- 
len Schriftführer  bei  den  geistlichen  Gerichtshöfen ,  beziehungs- 
weise der  Berichterstatter,  zu  schreiben  ist.  Dennoch  haben  wir 
Grund ,  die  Ursache  der  Abweichungen  in  der  Eigenthümlich- 
keit  der  Wortführer  unter  den  Lollarden  selbst  zu  suchen.  Denn 
für  die  Treue  der  papistischen  Berichterstatter  zeugt  z.  B.  die 
wesentliche  Uebereinstimmung  zwischen  den  beiden  Prozessenr 
in  welchen  Sautre  1399  vor  dem  Bischof  von  Norwich,  und 
1401  vor  dem  Erzbischof  vernommen  worden  ist;  denn  die  10- 
Sätze,  welche  dem  Angeschuldigten  das  erste  Mal,  und  die  8,  die 
ihm  später  vorgehalten  worden  sind ,  verhalten  sich  so  zu  ein- 
ander, dass  sie  sich  zwar  nicht  vollständig  decken,  aber  doch 
einen  und  denselben  Grundcharakter  tragen.  Sie  sind  nämlich, 
um  von  der  zweiten  Reihe  auszugehen,  1 — 4  wider  die  Vereh- 
rung des  Kreuzes ,  5  gegen  die  Verehrung  der  Engel ,  6  gegen 
Wallfahrten ,  7  gegen  das  Horensingen ,  8  wider  die  Lehre  von 
der  Wandlung  gestellt l) ;  sämmtliche  Sätze  handeln  also  vom 
Gottesdienst  überhaupt  und  von  verschiedenen  Handlungen  des 
Kultus.  Umfassender  ist  allerdings  der  Gesichtskreis ,  welchen 
die  im  gleichen  Jahr  1401  von  Johann  Purvey  widerrufenen 
Lehren  umschreiben2^  ;  denn  diese  befassen  sich  mit  folgenden 
Gegenständen:  1)  Wandlung,  2)  Ohrenbeichte,  3)  Priesterthum 
aller  Erwählten3)  ,  4)  dass  die  Schlüsselgewalt  durch  heiligen 
Wandel  bedingt  sei ,  5)  Verpflichtung  jedes  Ordinirten  zum  Pre- 
digen des  Worts,  6)  Gelübde  der  Ehelosigkeit,  7)  dass  Papst 
Innocenz  III.  und  das  Concil  zu  Lyon  soll  heissen  »Lateranconcil 


1  WlLKINS.  III.  255. 

2  WlLKINS,   III.   2110—  262. 

3)  a.  a.  O.  261.  Art.  III:  Qitod  omnis  hörno  sanctus  et  praedesti- 
natus  «<l  vitam  aetemam,  etiamsi  rit  laicus,  est  verus  presbyter  et  aaeer- 
dos,  ordinatus  a  Deo  ad  ministrandum  omnia  sacramenta  necessaria  homi- 
nihus  ad  salutem,  licet  nullus  alius  episc  opus  unquam  ei  manus  im- 
ponat.  —  Omnis  vcro  sanctus  prcsbyt  er  rcf  sacerdos  J)ci  rcracitcr  est 
episcopus  et  praelatus  atque  curatus  fidelium.  Et  qaicu/n/ue  est  magis 
humilis  et  melius  implet  nfßcium  sacerdotis ,  Uli  eerits  est  papa  sreun- 
dttni  ordinuti<mcm  dirinam,  licet,  quis  ilh  sit,  mundo  jtenitus  ignoretur. 


Ansichten  der  Lollarden  in  diesem  Zeitraum. 


103 


von  1215«  sich  durch  Sanktionimng  der  Lehre  von  der  Wand- 
lung der  Ketzerei  schuldig  gemacht  haben.  Diese  Sätze  sind  sehr 
mannigfaltigen  Inhalts:  sie  bewegen  sich  theils  um  das  Lehrstück 
von  den  Sakramenten,  theils  um  die  Rechte  und  Pflichten  des 
geistlichen  Amtes.  Dessen  ungeachtet  tragen  sie  alle  einen  ge- 
meinsamen Charakterzug :  sie  halten  die  evangelische  Frei- 
heit hoch1). 

Wieder  eine  andere  Physionomie  haben  die  15  Sätze,  welche 
durch  einen  Ausschuss  von  Theologen  aus  den  bei  dem  Londoner 
Bürger  Clayd on  vorgefundenen  Schriften,  namentlich  aus  der 
Lau 'ferne  of  light  ausgezogen,  und  in  ihrem  Gutachten  als  ketze- 
risch beurtheilt  worden  sind2).  Diese  haben  nämlich  vorzugs- 
weise mit  dem  Begriff  der  Kirche  zu  thun  und  mit  Fragen  der 
Kirchenverfassung.  Allerdings  finden  sich  darunter  auch  Sätze 
über  das  Sakrament  des  Altars ,  über  Ablass  ,  Bilder  und  Wall- 
fahrten  Nr.  11.  13.  15).  Allein  die  meisten  bewegen  sich  doch 
um  die  geistlichen  Aemter  in  ihren  Abstufungen :  Papst ,  Erzbi- 
schöfe  und  Bischöfe ,  Priester  und  Bettelorden ,  und  zwar  immer 
so,  dass  das  Antichristliche  daran  gerügt  wird ;  der  Verfasser  be- 
zeichnet dasselbe  mit  merkwürdiger  Freimüthigkeit  und  schnei- 
dender Schärfe ,  ganz  im  Geiste  Wiclif's  selbst.  Andererseits 
scheint  jedoch  eine  Milderung  einzutreten  in  den  Grundsätzen 
über  das  Priesterthum  und  die  Pflicht  zu- predigen:  während 
Purvey  allen  Erwählten  priesterliche  Würde  und  Beruf  zuer- 
kannte .  schreibt  der  dritte  Satz  aus  Lanterne*  of  light  blos  den 
gläubigen  Priestern,  d.  h.  den  Ordinirten  das  Recht  zum  Pre- 
digen des  Wortes  Gottes  zu ,  so  zwar ,  dass  dieses  Recht  durch 
bischöfliche  Willkühr  weder  von  Hause  aus  bedingt  sei  noch  durch 
dieselbe  nachträglich  beschränkt  werden  dürfe.  Indessen  ist  zu 
beachten,  dass  Purvey,  genau  betrachtet,  doch  nur  einen  theo- 
retischen Satz  aufstellt,  welchem  nicht  sofort  praktische  Folge 
gegeben  werden  niuss :  hiernach  ist  der  Standpunkt  Beider  noch 
nicht  als  ein  wesentlich  abweichender  anzusehen.  Bemerkens- 
werth erscheint  in  Hinsicht  auf  die  maassgebenden  Grundbegriffe 


I    a.  a.  Ü.  Art.  II:  evangelii  libertßs. 
2)  Wilkin.s,  III,  374.   Foxe.  III,.  532  f. 


104 


Buch  III.    Kap.  2.  IV. 


der  fünfte  Satz ,  welcher  betont ,  dass  die  Kirche  die  Sammlung 
der  gläubigen  Seelen  ist,  welche  ihren  Glauben  beständig 
halten  in  Wort  und  That:  demgemäss  wird  vorangestellt,  dass 
kein  Verworfener  ein  Glied  der  Kirche  ist .  sondern  nur  ein  sol- 
cher ,  der  schliesslich  selig  werden  wird *) .  Und  es  liegt  in  der 
Natur  der  Sache:  je  strenger  die  Merkmale  und  Bedingungen 
der  Zugehörigkeit  zur  Kirche  Christi  gefasst  werden,  desto  mehr 
Rechte  müssen  an  die  Mitgliedschaft  geknüpft  werden ;  während 
auf  der  anderen  Seite  gerade  die  Weite,  mit  welcher  im  römisch- 
katholischen  Lehrbegriff  das  Wesen  der  Kirche  selbst  gefasst 
wird,  dazu  geführt  hat ,  die  eigentlichen  Rechte  geistlichen  Prie- 
sterthums den  Laien  abzusprechen,  und  dieselben  als  ausschliess- 
liches Monopol  dem  Klerus  zuzuweisen. 

Wir  finden  demnach,  ungeachtet  individueller  Mannigfaltig- 
keit, eine  unverkennbare  Einheit  des  Geistes  bei  den  Lollarden  in 
diesem  Zeitraum.  Der  Grundzug  ist  eine  gediegene  Gottesfurcht, 
welche  durch  religiöse  Innerlichkeit  und  sittlichen  Ernst  sich  aus- 
zeichnet, zumal  wenn  wir  die  Neigung  zur  Aeusserlichkeit  in  An- 
dachtsübungen und  »Verdiensten«  bei  den  Römisch-gesinnten  in 
Betracht  ziehen.  Der  Begriff  der  Kirche,  als  der  Gemeinschaft  aller 
Erwählten,  welche  in  rechtschaffenem  Glauben  und  in  der  Liebe 
beharren  bis  ans  Ende,  ist  der  Exponent  dieser  Innerlichkeit  und 
Werthschätzung  des  sittlichen  Kerns  im  Christen.  Und  diesen  Be- 
griff von  der  Kirche  halten  die  Lollarden,  wie  wir  gesehen  haben, 
einer  wie  der  andere  fest:  ist  er  doch  ein  Grundgedanke  Wiclif's 
selbst  gewesen.  Die  Betonung  des  Priesterthums  aller  Erwählreu 
und  Gläubigen,  im  Gegensatz  zu  dem  vermeintlichen  Monopol  der 
Hierarchie,  ist  nur  eine  Folge  aus  dem  erwähnten  Kirchenbegriff. 
Wenn  die  Lollarden  gegen  die  Heilsnothwendigkeit  der  Ohren- 
beichte sich  erklären.  Wallfahrten  zu  Bildern  und  Verehrung  der- 
selben misbilligen,  auf  das  Horensingen  nicht  viel  halten,  so 

1)  Art.  V :  Quod  nullU8,  jprae8Cttus  nach  Wiclif's  Sprachgebrauch; 
no  reprobate,  bei  Foxe,  III,  533  est  metnbrum  eccletiae .  sed  aolum 
talis,  qui  ßnaHtvr  est  mlvaiidus,  cum  ecclena  non  eit  oMud  qua  tu  congre- 
gatio  fidelium  animarum,  quac  Beroant  et  $erwbufU  ßmuliter ßdem  H 
charitatem  tmn  opere  quam  sermone.   AVilkinn  III,  374. 


»Des  Ackermanns  Gebet«. 


105 


stehen  diese  und  ähnliche  Ansichten  in  wesentlichem  Zusammen- 
hang mit  den  zuerst  genannten  Grundsätzen.  Dagegen  sind  sie 
alle  darüber  einverstanden,  dass  die  Predigt  von  Gottes  Wort  das 
noth wendigste  und  fruchtbarste  Stück  des  christlichen  Gottes- 
dienstes sei,  und  dass  Gottes  Wort  unseres  Fusses  Leuchte  und 
ein  Licht  auf  unserem  Wege  sein  solle!  Schliesslich  erwähnen 
wir  noch  den  Kampf  gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung  im  heil. 
Abendmahl,  welchen  wir  bei  allen  denjenigen  finden,  die  in  jener 
Zeit  vor  kirchliche  Gerichtshöfe  geladen  und  wegen  Irrlehre  in 
Untersuchung  gekommen  sind.  Das  war  stets  der  stärkste  Vor- 
wurf, welcher  ihnen  von  den  Prälaten  gemacht  wurde.  Er  ist 
zugleich  ein  sichtbares  Zeichen  davon .  dass  ihre  Denkart  von 
Wiclif  herstammt. 

Am  wenigsten  ausgeprägt  ist  die  eigenthümlich  Wiclif  sehe 
Lehrweise  in  einer  Yolksschrift  von  altenglischer  Mundart,  welche 
trotz  alle  dem  dieser  Zeit  und  der  Wi clif  sehen  Schule  angehört. 
Es  ist  dies  »Des  Ackermanns  Gebet«,  auch  wohl  »Des  Acker- 
manns Klage«  benannt ;  der  erstere  Titel  scheint  der  ursprüngliche 
und  ächte  zu  sein.  Die  Schrift  trägt  einen  stark  polemischen  Zug 
an  sich,  sie  ist  eine  Art  Strafpredigt  für  den  römisch-katholischen 
Klerus,  vom  Papst  an  bis  zu  den  Priestern  und  Mönchen.  Dass 
diese  interessante,  lebendig  und  ausserordentlich  volksmässig 
abgefasste  Schrift  wirklich  ein  Gewächs  an  dem  Wiclif 'sehen 
'Stammbaum  ist.  ergibt  sich,  meines  Erachtens,  vor  allem  aus  dem 
Umstand,  dass  sie  der  Abeiidmahlslehre  W  i c  1  i f '  s  huldigt.  Zwar 
bekämpft  sie  den  Begriff  der  Wandlung  nicht  direkt  und  aus- 
drücklich, und  verwirft  eher  den  Begriff  des  Mess Opfers .  be- 
kennt sieh  jedoch  positiv  zu  dem  aus  dem  Lehrbegriff  des  »evan- 
gelischen Doctors«  uns  wohl  bekannten  Satze  :  das  Abendmahl  ist 
da-  Sakrament  des  Leibes  Christi  in  Gestalt  von  Brod  und 
W  ein.  zum  Gedächtniss  unseres  Herrn  Jesus  Christ« J) .  Ausser- 
dem trägt  des  Ackermanns  Gebet«  in  seiner  Werthschätzung  von 
Gottes  Wort,  nebst  der  Leberzeugung.  dass  die  Predigt  des  Worts 
der  Kern  des  geistlichen  Amtes  sei.  so  wie  in  einer  Menge  spe- 


1  The  saerament  o  f  his  bodie  in  forme  of  bread  and  icyne,  in  ntind 
of  Our  /ord  Jesu  Christ.    FOXE,  II,  734. 


106 


Buch  III.    Kap.  2.  IV. 


cieller  Züge  positiver  und  negativer  Art  das  Gepräge  des  W  i  - 
c  Ii  fachen  Geistes  an  sich.  Das  Verlangen  nach  Gotteserkennt- 
niss  für  Alle  ist  herrlich  ausgedrückt  in  einer  der  vielen  Gebets- 
stellen, in  welche  die  Rede  (dem  Titel  gemäss;  immer  wieder  aus- 
läuft. Es  wird  dort  Klage  darüber  geführt,  dass,  wenn  ein  Laie 
das  Volk  Gottes  in  der  Wahrheit  seines  Wortes  unterweisen  wolle, 
wozu  er  durch  das  Gebot  der  Liebe  verpflichtet  sei,  die  Priester 
ihm  dies  untersagen  und  ihn  dafür  ins  Getangniss  werfen.  Nun 
fährt  er  fort:  »Und  so,  o  Herr,  haben  Diejenigen ,  welche  den 
Schlüssel  der  Erkenntniss  besitzen,  die  Wahrheit  deiner  Lehre 
mit  vielen  Riegeln  verschlossen  und  vor  deinen  Kindern  verbor- 
gen. Aber,  o  Herr,  sintemal  deine  Lehre  vom  Himmel  herab  ge- 
kommen ist,  so  ist  es  unsere  Hoffnung,  dass  sie  durch  deine  Gnade 
diese  Riegel  zerbrechen  und  sich  deinem  Volke  zeigen  wird,  um 
beide  den  Hunger  und  Durst  der  Seele  zu  stillen.  Und  dann  wird 
kein  falscher  Hirte  noch  Miethling  dein  Volk  ferner  betrügen.  Denn 
kraft  deines  Gesetzes  schreibe  ich .  wie  du  einst  verheissen  hast, 
dass  sie  alle  vom  letzten  bis  zum  ersten  deinen  Willen  kennen 
sollen,  und  wissen,  wie  sie  dir  gewisslich  immerwährend  gefallen 
mögen 1  .« 

1  Foxe,  II,  73H.  Es  ist  eines  der  vielen  Verdienste  von  Foxe,  dass 
er  diese  Schrift  vollständig  und  zugleich  treu  genug  in  ihrer  alterthümlichen. 
Sprache  hat  abdrucken  lassen,  in  der  Ausgabe  von  Townsend  1843.  Tl. 
72S  —  747.  Die  Ansicht  freilich,  dass  das  Büchlein  schon  c.  1300  geschrie- 
ben sei,  ist  nach  meiner  Ueberzeugung  irrig.  Denn  dasselbe  ist  sicher  erst 
nach  dem  Jahr  1  LOO  verl'asst :  rinden  sich  doch  unverkennbare  Anspielungen 
auf  die  Verfolgungszeit,  welche  erst  mit  jenem  Jahr  begonnen  hat.  nament- 
lich auf  das  Verbrennen  einzelner  angeblicher  Ketzer.  Einmal  sagt  der 
Verfasser,  S.  738  bei  Foxe  :  »O  Herr,  wie  können  sie  sich  herausnehmen 
jemand  zum  Tode  zu  verurtheilen  weil  er  ihre  Gesetze  bricht?  Denn  für 
die  Uebertretung  deines  Gesetzes  legen  sie  den  Leuten  Busse  auf  oder  ver- 
zeihen ihnen  und  nehmen  sich  ihrer  an  .  so  oft  sie  sich  auch  vergehen. 
Aber,  o  Herr,  wenn  jemand  ihre  Gesetze  einmal  übertritt  oder  gegen  die- 
selben spricht,  so  kann  er  nur  ein  einzigesmal  Busse  thun  ,  und  nachher 
wird  er  verbrannt.«  Und  an  einer  anderen  Stelle  heisst  es:  »»Wahrlich, 
o  Herr,  ich  glaube,  wenn  du  jetzt  in  der  Welt  wärest  und  lehrtest,  wie 
du  einst  gethan  ,  du  würdest  getödtet  werden!«  S.  735.  Der  Titel 
scheint  laut  einer  gewissen  Stelle  in  der  That  »Des  Ackermanns  Gebet«, 
nicht  »Des  Ackermanns  Klage«  gewesen  zu  sein;  die  Worte  lauten  S.  T.5.; 


Rückblick  auf  die  Zeit  von  1 H85  —  1417 


107 


Uebcrblicken  wir  den  bisherigen  Verlauf  der  wiclifitischen 
Bewegung  in  England,  so  unterscheidet  sich  der  erste  Zeitraum 
(1385—1399  von  dem  zuletzt  behandelten  1400—1417  dadurch, 
d;iss  während  des  ersteren  die  Bewegung  in  jeder  Beziehung  im 
Wachsen  begriffen  war.  Die  Lollarden  wurden  der  Masse  nach  im- 
mer ansehnlicher,  und  in  Betracht  der  inneren  Kräfte  verfuhren  sie 
bereits  aggressiv  und  offensiv,  in  der  Hoffnung,  eine  durchgreifende 
Reform  des  kirchlich  -  politischen  Wesens[  durchsetzen  zu  können. 
Die  Petition  an  das  Parlament  vom  Jahr  1395  stellt  den  Höhe- 
punkt der  Bewegung  dar.  Allein  die  Aussicht  auf  einen  Erfolg 
im  Grossen  und  Ganzen  verschwand,  nach  der  Thronbesteigung 
des  Hauses  Lancaster.  in  dem  zweiten  Zeitraum  seit  1399  völlig. 
Die  Lollarden  wurden  in  eine  defensive  Stellung  zurückgedrängt 
durch  die  vereinigte  Kraft  der  Kirche  und  des  Staates.  Dieses 
Zurückdrängen  war  mit  dem  tragischen  Ausgang  des  »guten  Lord 
Cobham<  vollendet  und  besiegelt,  so  dass  die  Partei  auf  den 
Wunsch,  ihre  Grundsätze  im  Grossen  und  Ganzen  verwirklicht  zu 
sehen,  verzichten  musste.  Von  da  an  waren  die  Lollarden  nicht 
mehr  eine  Partei  in  der  Kirche  von  England,  welche  darnach 
strebte,  ihre  Lehren  und  Prinzipien  zur  Anerkennung  zu  bringen. 
Vielmehr  waren  sie  jetzt  in  eine  Sektenexistenz  hinausgedrängt, 
und  mussten  sich  damit  begnügen,  wenn  nur  im  Stillen  und  Ver- 
borgenen einzelne  Familien  als  Bibelfreunde  fortbestanden,  wenn 
einzelne  Seelen  gewonnen  und  aus  dem  herrschenden  Verderben 
gerettet  wurden. 

Hiemit  hing  ein  anderer  Punkt  zusammen.   In  der  Persön- 

0  Herr,  es  ist  unsere  Hoffnung,  dass  du  eben  so  bald  erhören  wirst  eines 
Ackermanns  Gebet  [a  ploicman  prayer) ,  wenn  er  deine  Gebote  hält, 
als  du  erhören  wirst  das  Gebet  eines  Mannes  aus  dem  Kloster,  wenn  auch 
der  Ackermann  nicht  so  viel  Silber  für  sein  Gebet  bekommen  kann  .  als 
Klosterleute.«  Johann  Bale  hat  im  Reformationsjahrhundert  die  Vermu- 
thung  aufgestellt,  dass  Sir  John  Oldcastle  das  Büchlein  verfasst  oder 
wenigstens  verbreitet  habe;  es  fehlt  indes  an  jedem  urkundlichen  Anhalt 
für  diese  Hypothese.  Foxe  selbst  hat  gut  daran  gethan  zu  sagen:  »den 
Namen  des  gottseligen  Mannes,  der  das  Buch  verfasst  hat,  kenne  ich  nicht.« 
II.  727.  Der  bekannte  Uebersetzer  der  Bibel  im  XVI.  Jahrhundert,  Wil- 
helm Tindal,  hat  auch  dieses  Büchlein,  wie  manches  andere  Zeugniss  der 
Wahrheit  aus  älterer  Zeit,  im  Druck  ausgehen  lassen. 


10S 


Buch  III.    Kap.  2.  IV 


lichkeit  Wiclif's  hatten  wir  ein  christlich  -  religiöses .  ein  wis- 
senschaftlich-theologisches und  ein  politisch -nationales  Element 
unterschieden.  Das  bedeutungsvollste  und  nachhaltigste,  das  zu- 
kunftvollste war  ohne  Zweifel  das  christlich  -  religiöse  Element. 
Allein  dasselbe  war  mit  den  beiden  anderen  Elementen  zu  einem 
einheitlichen  Charakter  verschmolzen.  Im  Laufe  der  Zeit  und  mit 
dem  Fortgang  der  von  Wiclif  ausgehenden  Entwicklung  musste 
sich  das  christlich-religiöse  Element  von  der  Mischung  mit  den 
übrigen  Elementen  lösen  und  sich  nach  und  nach  rein  heraus- 
arbeiten. Das  geschah  am  ehesten  in  Bezug  auf  das  wissenschaft- 
lich-theologische Element.  Dieses  trat  theils  von  selbst  zurück, 
in  dem  Maasse,  wie  das  Leben  mit  seinen  Bedürfnissen  und 
Kämpfen  die  Gemüther  und  die  sittliche  Kraft  in  Anspruch  nahm ; 
theils  wurde  es  durch  die  Maassregeln  der  Hierarchie  gegen  die 
Universität  Oxford  mit  Gewalt  zurückgedrängt.  Schwerer  hielt 
es,  das  politisch  nationale  Element  von  dem  christlich-religiösen 
abzulösen.  Namentlich  weil  die  Anhänger  Wiclif's  aus  höheren 
Schichten  der  Gesellschaft  wesentlich  mit  die  Träger  einer  poli- 
lisch-nationalen  Stimmung  und  Reformgesinnung  waren.  Wäh- 
rend der  letzten  15  Jahre  des  XIV.  Jahrhunderts  wurden  die 
Lollarden  allgemein  als  eine  kirchlich-politische  Partei  be- 
trachtet, und  das  nicht  mit  Unrecht,  wie  der  Inhalt  jener  Petition 
an  das  Parlament  vom  Jahr  1395  beweist.  Und  noch  im  zweiten 
Jahrzehent  des  XV.  Jahrhunderts  dienen  die  Schicksale  Sir  John 
Oldcastle's  und  die  gegen  ihn  erhobenen  Anschuldigungen  wenig- 
stens als  Beleg  dafür,  dass  die  Lollarden  in  den  Augen  ihrer 
Gegner  noch  als  eine  kirchlich-politische  Opposition,  ja  als  eine 
politische  Umsturzpartei  dastanden.  Allein  von  der  Katastrophe 
Lord  Cobham's  an  betrachten  selbst  Gegner  die  Lollarden  nicht 
mehr  als  eine  politische  Partei,  sondern  nur  noch  als  eine  »ketze- 
rische Sekte«,  wie  sie  sich  ausdrücken,  mit  andern  Worten  als 
eine  lediglich  kirchlich-religiöse  Partei.  Somit  ist  von  diesem 
Zeitpunkt  an  die  Lösung  des  christlich-religiösen  Clements  von 
dem  politisch -nationalen  eine  rollbrachte  und  anerkannte  That- 
sache. 

Hiemit  steht  noch  ein  weiterer  Umstand  im  Zusammenhang. 

Anfangs  waren  die  Lollarden  in  demselben  Ma;is>e.  in  welchem  sie 


Rückblick. 


109 


als  eine  zugleich  politische  Partei  erschienen,  auch  als  eine  ledig- 
lich englische  Erscheinung  anfgefasst  und  behandelt  worden,  ohne 
einen  Hinblick  auf  das  Ausland,  auf  die  abendlandisch  römische 
Kirche  im  Ganzen.  Demgemäss  hatten  auch  ausländische  Kir- 
chenmänner, abgesehen  von  Rom  selbst,  wenig  Notiz  genom- 
men von  den  englischen  Lollarden.  Das  wurde  jetzt  auf  einmal 
anders. 


Drittes  Kapitel. 

Johann  Hus  und  die  hussitische  Bewegung. 


I. 

Es  war  das  früheste  Zeichen  von  einer  europäischen  Be- 
deutung WicliTs,  dass  seine  Lehre  auf  dem  Continent  eine  von 
den  hauptsächlichsten  Triebfedern  einer  grossartigen  Bewegung 
geworden  ist.  Wir  meinen  die  hussitische  Bewegung  in  Böhmen, 
deren  Wellenschlag  man  ein  Menschenalter  lang  durch  alle  Län- 
der der  abendländischen  Kirche  hin  empfunden  hat. 

Wie  hing  es  zusammen,  dass  gerade  in  Böhmen  und  Mähren 
der  Wiclifsche  Geist  gezündet  hat?  Die  früheste  Veranlassung 
zu  einem  Verkehr  zwischen  England  und  Böhmen  gab  die  Ver- 
mählung Richard  s  IL  mit  der  böhmischen  Prinzessin  Anna  im 
Jahre  1382.  Anna  war  die  Tochter  des  Kaisers  und  zweiten 
Luxemburgischen  Königs  von  Böhmen,  Karl's  IV.,  und  seiner  vier- 
ten Gemahlin ,  Elisabeth  von  Pommern ;  sie  war  in  Prag  am 
11.  Mai  1366  geboren.  Ihr  Vater  starb  am  29.  November  1378: 
zwei  Jahre  später  warb  die  Regentschaft  in  England  für  den  noch 
minderjährigen  König  Richard  IL  um  ihre  Hand.  Als  der  eng- 
lische Gesandte  Sir  Simon  Burley  in  Prag  ankam,  war  England 
für  Böhmen  noch  ein  ziemlich  unbekanntes  Land.  Die  Mutter, 
die  verwittwete  Kaiserin  Elisabeth,  schickte  deshalb  mehrere 
Herren,  insbesondere  den  Herzog  Primislaus  von  Tesehen  nach 
England,  um  zu  erforschen,  was  es  für  ein  Land  sei.  und  even- 
tuell den  Ehevertrag  abzuschliessen.  Die  Vermählung  selbst 
wurde  indes  um  einige  Jahre  verschoben,  theils  weil  die  Prin- 


Anna  von  Luxemburg,  Königin  von  England. 


11  J 


/A'ssin  noch  sehr  jung  war.  theils  weil  im  Frühjahr  1381  der  eng- 
lische Bauernaufstand  ausbrach.  Erst  am  Ende  des  genannten 
Jahres  kam  die  Prinzessin  in  England  an,  und  Mitte  Januars  1382 
wurde  die  Vermählung  im  Westminsterpalast  gefeiert.  Und  auf 
Ihren  dringenden  Wunsch  wurde  zur  Feier  ihrer  Krönung  eine 
allgemeine  Amnestie  erlassen,  was  ihr  den  Ehrennamen  eintrug : 
»die  gute  Königin  Anna«1  .  Wiclif  selbst  rühmt  sie  einmal  um 
deswillen,  weil  sie  das  Evangelium  in  drei  Sprachen  besitze: 
böhmisch,  deutsch  und  lateinisch2).  Er  beruft  sich  auf  diese 
Thatsache  zur  Rechtfertigung  seiner  Uebersetzung  der  Bibel  in's 
Englische.  Hiernach  scheint  es,  als  habe  die  Vermählung 
Kichard's  II.  mit  der  böhmischen  Prinzessin  zunächst  eine  Wir- 
kung auf  England  ausgeübt.  Allein  bald  trat  eine  Wendung 
ein.  und  der  angeknüpfte  Verkehr  zwischen  England  und  Böhmen 
übte  eine  breite  und  tiefe  Wirkung  auf  Böhmen.  Das  war ,  wie 
es  scheint,  zwar  nicht  mehr  bei  Wiclif 's  Lebzeiten  der  Fall3  . 
sicher  aber  schon  in  dem  ersten  Jahrzehent  nach  seinem  Tode, 
und  wohl  noch  vor  dem  Ableben  der  »guten  Königin  Anna«, 
welche  schon  im  Sommer  1394  (am  7.  Juni)  gestorben  ist. 

Der  geistige  Verkehr  zwischen  beiden  Ländern  war  dadurch 
bedingt,  dass  Prag  seit  dem  Jahre  1348  eine  Universität  besass. 
So  kam  es,  dass  Studenten  von  Prag  nach  England  gingen,  um 
an  der  nächst  Paris  berühmtesten  Theologenuniversität,  Oxford, 
zu  studiren.  Dort  wurden  sie  mit  den  am  Schlüsse  des  XIV.  Jahr- 
hunderts daselbst  im  Schwange  gehenden  Wiclif  sehen  Gedanken 
gesättigt,  und  brachten  dieselben,  nebst  Abschriften  einzelner 
Bücher  und  Traktate  des  berühmten  Meisters  in  ihre  Heimath 
zurück.   Der  erste,  von  welchem  wir  wissen,  dass  er  diese  Bahn 


1)  Agnes  Strickland,  Lifes  of  the  Queens  of  England.  Lond.  1845. 
II,  3.61  ff.   Const.  Hoefler,  Anna  von  Luxemburg,  Wien  1871.  35  f. 

2)  De  triplici  uineulo  amoris ,  am  Schlüsse  des  2.  Kapitels,  Ms.  1337, 
der  Wiener  Hof-  und  Staatsbibliothek,  f.  26.  Col.  2  u.  3.  Hus  führt  diese 
Stelle  in  seiner  Streitschrift  gegen  den  Engländer  Stokes  vollständig  an, 
Joannis  HüS  Hist.  et  Monumenta,  1558.  f.  CVIII,  2. 

3)  Palacky,  Gesch.  v.  Böhmen,  III,  1,  1S9  f.  behauptet  zwar,  dass 
schon  bei  Wiclif  s  Lebzeiten  einige  seiner  Werke  nach  Prag  gebracht  wor- 
den seien,  allein  einen  Beleg  dafür  hat  er  nicht  beizubringen  vermocht. 


112 


Buch  III.   Kap.  :S.  I. 


eingeschlagen  hat.  ist  der  bekannte  Hieronymus  von  Prag. 
Er  reiste,  wahrscheinlich  schon  im  Jahre  1396,  nach  England, 
studirte  einige  Jahre  in  Oxford,  und  brachte  Abschriften  mehre- 
rer theologischer  Bücher  von  Wiclif,  die  er  dort  abgeschrieben 
hatte,  mit  nach  Prag  zurück.  Wir  wissen  dies  aus  seiner  eigenen 
Aussage  vor  dem  Concil  zu  Constanz:  am  27.  April  141  ö  hat  er 
im  Laufe  des  Verhörs  auf  den  Vorhalt,  dass  er  in  Böhmen  und 
anderswo  Irrlehren  und  Bücher  Wie lif's  bekannt  gemacht  habe, 
unter  anderem  geantwortet :  »Das  bekenne  ich,  dass  ich  in  meinen 
Jugendjahren  aus  Lernbegierde  nach  England  ging,  und  weil  ich 
von  Wiclif  hörte,  dass  er  ein  Mann  von  gründlichem  und  aus- 
gezeichnetem Geiste  gewesen,  seinen  Dialog  und  Trialog.  von 
denen  ich  Handschriften  erlangen  konnte,  abschrieb  und  mit  nach 
Prag  brachte  1  .«  —  Uebrigens  ist  Hieronymus  von  Prag  sicher 
nicht  der  erste  böhmische  Student  gewesen .  welcher  von  Prag 
nach  Oxford  ging.  Denn  es  ist  glaubhaft  bezeugt,  dass  man  in 
Prag,  noch  ehe  man  theologische  Schriften  von  Wiclif  kennen 
lernte,  bereits  philosophische  Bücher  von  ihm  hatte:  und  diese 
sind  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ebenso  wie  jene  persönlich 
mit  gebracht,  vermuthlich  auch  von  Böhmen  in  Oxford  abge- 
schrieben worden,  so  wie  Hieronymus  einige  theologische  Werke 
Wiclif  s  wahrend  seines  Aufenthaltes  in  Oxford  selbst  abgeschrie- 
ben hat.  Dazu  kommt  ein  positives  Zeugniss :  Hu  s  selbst  bekennt 
in  seiner  Streitschrift  gegen  den  Engländer  Stokes.  dass  er  und 
andere  Mitglieder  der  Prager  Universität  seit  20  und  mehr  Jahren 
Bücher  von  Wiclif  gehabt  und  gelesen  haben2'.  Dies  fuhrt, 
da  die  genannte  Schrift  im  Jahr  1411  verfasst  ist.  bis  auf  das 
Jahr  1391  zurück,  ja  auf  ein  Paar  Jahre  vorher.  Somit  dürften 
schon  seit  dem  Ende  der  achtziger  Jahre  des  XIV.  Jahrhunderts 
junge  Böhmen  nach  Oxford  gewandert  sein,  um  dort  zu  studiren. 
was  um  so  wahrscheinlicher  ist,  als  damals  Königin  Anna  noch 
am  Leben  war.    Diese  Sitte  erhielt  sicli  auch  im  XV.  Jahrhundert 

1  Von  DKR  Hardt,  Corpus  uetorum  et  decretorum  Comtuntiensis  Cou- 
rt/ii.  Iö99.  Vol.  IV,  f.  63fr. 

2)  Joanm'n  Hits  II  ist.  et  Monumenta  (von  hier  an  einfach  als  Jo. 

Htis  Opera  citirt'  I,  Nte*. 


Geistiger  Verkehr  zwischen  Böhmen  und  England. 


»13 


noch  geraume  Zeit  fori;  das  letzte  Beispiel  finde  ieh  im  Jahre 
1407.  Denn  zwei  böhmische  Studenten  haben  am  1 .  Februar  1407 
die  Revision  der  Abschrift  eines  Werkes  von  Wielif  in  Oxford 
selbst  vollendet :  sie  hiessen  Nicolaus  F  a  u  1  f  i  s  c  h  und  Georg  von 
Knienitz.  Es  war  das  bedeutungsvolle  B  in  •  Ii  Von  der  Wahr- 
heit der  heil.  Schrift«,  welches  diese  beiden  Studenten  abschrie- 
ben, durchsahen  und  sodann  nach  Prag  mitbrachten  ») .  So  kamen 
mit  der  Zeit  immer  neue  Werke  Wielif  9  nach  Böhmen,  wurden 
stach  im  Lande  selbat  abgeschrieben,  zum  Theil  sogai  in?a  Tsche- 
chische  übersetzt  2  .  Es  ist  eine  Thatsacke.  dass  die  Verbreitung 
der  Schriften  Wielif  s  in  Böhmen  während  des  letzten  Jahr- 
zehe nts  vom  XIV.  und  des  ersten  vom  XV.  Jahrhundert  zu  der 
reformatorischen  Bewegung,  an  deren  Spitze  Hus  stand,  wesent- 
lich beigetragen  hat/ 

Allerdings  sind  die  Gedanken  und  Kräfte,  welche  von  Wi- 
elif ausgingen,  nur  ein  Element  neben  anderen  gewesen,  welche 
der  hussirischen  Bewegung  zu  Grunde  lagen.  Welches  waren  die 
anderen  bewegenden  Kräfte?  Sie  sind  theils  kirchenamtlicher, 
theils  freier  sittlich  religiöser  Art. 

Eine  k  i  r  c  bliche  Gesinnung  beseelte  in  aehtungswerthester 
Weise  den  trefflichen  Erzbischof  von  Prag.  Ernst  Arnest  von 


1  In  der  Handschrift  1294  Denis  CCCCV)  der  Wiener  Hofbibliothek, 
De  reritate  s.  <scripturäe,  auf  der  letzten  Seite,  steht  am  Schluss  des  Buches 
fol.  1 11*.  Col.  2.  folgende  Bemerkung  am  Rande:  Correctm  gnaviter  anno 
Domini  14(»7  in  vigilia  parißcationis  S.  Maria*  Oxonii  per  Sicolaum 
Faulfiss  et  Georg  ium  de  Kn  y  eh  niez. 

2)  Hus  selbst  hat  Wielif  s  Trialogus  für  den  Markgrafen  Jost  Jodo- 
cus  von  Mähren  137(5—1411)  und  andere  Edelleute  abgeschrieben  .  und 
zum  Besten  anderer  Laien  und  sogar  Frauen  ins  Tschechische  übersetzt. 
Vgl.  das  Sendschreiben  an  die  Hussiten  von  dem  Karthäuserprior  Stephan 
in  Mähren,  bei  Pez  ,  Thesaurus  aneedotorum  ,  Vol.  IV.  Pars  2,  f.  527.  Eine 
Handschrift,  welche  von  Hus'  eigener  Hand  geschrieben  ist,  und  fünf  philoso- 
phische Traktate  Wielif 's  umfasst,  befindet  sich  auf  der  königlichen  Biblio- 
thek zu  Stockholm,  seitdem  sie  nüt  vielen  anderen  am  Ende  des  30jährigen 
Krieges  von  den  Schweden  aus  Böhmen  weggeschleppt  worden  ist.  Die 
Handschrift  wurde,  wie  die  Schlussbemerkung  beweist,  im  Jahre  1398  be- 
endigt; es  ist  dasselbe  Jahr,  in  welchem  Hieronymus  von  Prag  aus  England 
zurückgekehrt  war.  Vgl.  Dudik  .  Forschungen  in  Schweden  für  Mähren  s 
Geschichte.  Brünn,  1852.  S.  19S  ff. 

Lechler  ,  Wielif.  II.  $ 


114 


Buch  III.    Kap.  3.  L 


Pardubitz.  Er  war  der  erste  Erzbischof  von  Prag .  Den  ersten 
Bischof  hatte  Böhmen  im  Jahr  973  bekommen .  in  Rethmar, 
welcher  zuvor  Domherr  zu  Magdeburg-  gewesen  war,  und  jetzt 
Bischof  von  Prag  wurde,  während  das  Land  früher  zum  Sprengel 
von  Regensburg  gehörte.  Als  aber  Böhmen  Könige  aus  dem 
Hause  Luxemburg  bekam,  wussten  diese  es  durchzusetzen,  dass 
das  Land  von  der  Kirchenprovinz  Mainz  abgetrennt,  und  das  Bis- 
thum Prag,  welches  nebst  Olmütz  unter  dem  Erzbischof  von  Mainz 
gestanden  hatte,  zum  selbständigen  Erzbisthum  erhoben  wurde. 
Durchgeführt  und  verwirklicht  wurde  dies  durch  Karl  I.,  als  er 
noch  Markgraf  war,  nachdem  sein  Vater,  König  Johann,  der 
Luxemburger,  die  Emancipation  Prags  von  der  Metropolitangewa Ir 
zu  Mainz  schon  eine  Zeit  lang  erstrebt  hatte.  Als  das  Ziel  end- 
lich erreicht  war,  bedeutete  es  zugleich  Losreissung  der  böh- 
mischen Kirche  von  der  deutschen  *| . 

Der  erste  Erzbischof  von  Prag,  der  genannte  Ernst  von  P  a  r- 
dubitz,  war  ein  Mann  von  apostolischer  Gesinnung,  ein  ganzer 
Kircheninann ,  ein  gewissenhafter  treuer  Oberhirte.  Er  erkannte 
es  für  seine  Amtspflicht,  sobald  die  Lostrennung  von  xMainz  ver- 
wirklicht war.  seiner  neu  begründeten  Kirchenprovinz  einerseits 
alle  guten  Vorschriften  und  Einrichtungen,  welche  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  in  der  Mainzer  Erzdiöcese  begründet  worden  waren, 
gleichsam  zur  Ausstattung  zu  geben,  andererseits  mit  jenem  Erbe 
alles  dasjenige  zu  verbinden,  was  frühere  böhmische  Synoden 
Zweckmässiges  beschlossen  hatten.  Zu  diesem  Behufe  veranstal- 
tete er  vom  Jahr  1349  an  mehrere  Synoden.  Auf  diesem  wurden 
Beschlüsse  gefasst,  welche  zur  äusseren  Ordnung  und  inneren 
Förderung  des  kirchlichen  Lebens  in  der  Kirchenprovinz  dienen 
und  Mißständen  steuern  sollten  '2  .  Es  galt  nicht  allein,  der  herren- 
losen Willkühr  des  grundbesitzenden  Adels,  welcher  die  Würde 


I  Palacky.  Gesch.  von  Böhmen,  II,  2.  2f>4  ff.  SeiiLEsixoEK,  Gesch. 
Böhmens,  18l>9.  249.    Bergek,  Joh.  Hus  und  K.Sigmund,  IsTl.  9  tf. 

2)  Concilia  Pragensia ,  1463—1413,  von  C.  Höfler,  in  Abhandlun- 
gen der  kön.  böhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften.  Prag,  ls»12.  ]'>. 

V.  Folge,  12.  Bd.  1—  8,  vgl.  XXIV  ff.    Vgl.  Hefele  ,  Conciliengesehichte, 

VI.  1SÜ7.  S.  :>94  ff. 


Reformbemühungen  des  Erzbischofs  Ernst  von  Prag. 


1 15 


und  Freiheit  clor  Kirche  bedrohte,  Schranken  zu  setzen,  sondern 
auch  die  Disciplin  innerhalh  des  Klerus  selbst  mit  Strenge  zu 
handhaben.  Mehrere  Anordnungen  wurden  getroffen,  welche 
darauf  hinzielen,  die  überaus  verweltlichte  und  entsittlichte  Pfarr- 
geistlichkeit im  Lande  zur  Ehrbarkeit  und  würdigem  Wandel 
zurückzuführen.  Zu  diesem  Behuf  wurden  die  Archidiaconen 
aufgefordert,  die  Kleriker  anzuhalten,  dass  sie  alle  L'nehrbarkeit 
meiden,  keine  Concubinen  halten,  keine  Sehenken  besuchen,  das 
Karten-  und  Würfelspiel  unterlassen,  keine  Waffen  tragen 
sollen  u.  s.  w.  1  .  Was  die  Amtsführung  betrifft,  so  mahnten  die 
Concilien  zur  Gewissenhaftigkeit  in  Erfüllung  der  pfarramtlichen 
Pflichten  Uberhaupt:  insbesondere  drangen  sie  darauf,  dass  die 
Pfarrer  ihre  (xemeindeglieder  das  Vater  Unser,  den  apostolischen 
Klauben  und  die  in  grossen  wie  die  6  kleinen  Gebote 2  in  der 
Volkssprache  lehren  sollten3  .  Man  kann  der  Meinung  sein,  die 
Ansprüche  in  Betreff  christlicher  Erkenntnis*  der  Gemeinden 
seien  doch  recht  bescheiden  gewesen,  wenn  man  sich  damit  be- 
gnügte .  dass  die  Leute  den  Text  der  Gebote  .  des  Glaubens  und 
Vater-Unsers  in  ihrer  Muttersprache  auswendig  lernten :  denn 
von  Predigten  in  tschechischer  Sprache  ist  hiebei  keine  Rede. 
Allein  es  ist  doch  kein  geringes  Zeichen  von  Ansprüchen  an  das 
geistliehe  Amt.  dass  wenigstens  ^o  viel  Unterweisung  der  Ge- 
meindeglieder in  ihrer  Muttersprache  gefordert  wurde.  Diese  Be- 
mühungen blieben  auch  nicht  fruchtlos :  die  böhmische  Geistlich- 
keit hob  sich  in  sittlicher  Hinsicht. 

Alter  wenn  von  oben  herab  durch  den  Erzbischof  und  durch 
Provincial-Coneilien  der  sittlichen  Verderbtheit  des  Klerus  und 
seiner  Pflichtversanmniss  von  Amts  wegen  gesteuert  wurde  so 
war  hiedurch  das  Streben  nach  Reform  des  kirchlichen  Lebens 
überhaupt  gerechtfertigt,  mochte  dasselbe  auch  von  anderer  Seite 
ausgehen  und  noch  höhere  Ziele  sich  setzen. 

1)  a.  a.  O.  3  und  ö. 

2  Vielleicht  sind  die  6  Werke  der  Barmherzigkeit  gemeint,  vgl.  Geff- 
ken  ,  Der  Bildercatechismus  des  XV.  Jahrhunderts  und  die  catechetischen 
Hauptstücke,  Leipzig,  ls5ö.  -R  20  ff. 

3}  Hoefler  .  CoticiUa  Pragensia.  S.  3. 


116 


Buch  III.    Kap.  3.  I. 


Solche  freie  Reformbestrebungen  sittlich-reli- 
giöser Art  gingen  in  den  letzten  Jahrzehenten  vor  dem  öffent- 
lichen Auftreten  H  u  s '  e  n  s  von  einigen  Mitgliedern  der  Geistlich- 
keit aus,  welche  nicht  von  Amts  wegen  zum  Eingreifen  in  weitere 
Kreise  berufen  waren,  sondern  nur  durch  Ueberzeugung  und  Ge- 
wissen sich  dazu  gedrungen  fühlten.  Es  sind  dies  diejenigen 
Männer,  welche  man  »die  Vorläufer  von  Hus«  zu  nennen  pflegt : 
Konrad  von  Waldhausen,  Militsch  von  Kremsier,  Matthias  von 
Janow. 

K  o  n  r  a  d ,  genannt  nach  dem  Dorfe  W  a  1  d  h  a  u  s  e  n  in  Ober- 
östreich,  wo  er  geboren  war1),  trat  in  den  Orden  der  regulirten 
Augustiner-Chorherren,  empfing  1349  die  Priesterweihe,  und 
arbeitete  geraume  Zeit  in  seinem  Heimathlande  Oestreich,  vor- 
züglich zu  Wien,  theils  mit  Unterricht  theils  mit  dem  Predigt- 
amte beschäftigt.  Der  ausgebreitete  Ruf,  welchen  er  sich  dort 
als  Volksprediger  erworben  hatte,  gab  die  Veranlassung,  dass  ihn 
Kaiser  Karl  IV.  durch  Vermittlung  einer  einflussreichen  Persön- 
lichkeit vom  böhmischen  Adel,  des  Herrn  von  Rosenberg,  nach 
Böhmen  berief,  was  entweder  im  Jahre  1360  oder  1362  geschah. 
Konrad  erhielt  als  Pfründe  die  Pfarrstelle  zu  Leitmeritz,  hielt  sich 
jedoch  während  dieser  Zeit  meist  in  Prag  auf,  wo  er  in  der  Gallus- 
kirche, oder  weil  das  ihm  zuströmende  Volk  in  der  Kirche ,  so 
gross  sie  auch  war,  doch  nicht  Raum  genug  fand,  auf  dem  freien 
Platze  vor  der  Kirche  zu  predigen  pflegte.  Im  Jahre  1364  wurde 
ihm  das  erste  Pfarramt  in  Prag  übertragen,  das  der  Teynkirchc 
am  grossen  Ring  in  der  Altstadt.  Als  Konrad  am  S.  December 
1369  starb,  befand  er  sich  noch  im  Besitz  dieser  Stelle. 

Konrad  war  aber  kein  Nationalböhme  sondern  ein  Deutscher. 

1)  In  seiner  Verantwortung  auf  die  Anklagepunkte,  die  gegen  ihn  vor- 
gebracht wurden,  bezeichnet  er  sich:  Eyo  Conradus  in  Walthausen,  profcssus 
ordinw  S.  Augustini  canonicorum  regularium,  in  Leithmeritz  Pragensis  diif- 
cesis  ph-banus  'Leutpriester)  etc.  Hoefler,  Geschichtschreiber  der  hus.  Be- 
wegung, II,  22.  Aus  dieser  Selbstbezeichnung  ergibt  sich,  dass  es  will* 
kührlich  ist,  den  Mann  »Waldhauser«  zu  nennen,  als  wäre  dies  sein  Fa- 
milienname gewesen,  wenn  auch  Matthias  von  Janow  ihn  Conradus 
Wolthausar  nennt,  s.  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III.  L.  1  *>  1 . 
Anm.  19(1. 


Konrad  von  Waldhausen. 


1  17 


Dessen  unbeachtet  übte  er  eine  ausgebreitete  und  tiefgehende 
Wirkung  durch  die  öffentliche  Predigt.  Denn  er  war  ein  strenger 
Bussprediger,  beseelt  von  aufrichtiger  Gottesfurcht  und  Gewissen- 
haftigkeit. Es  war  ihm  darum  zu  tliun  seine  eigene  Seele  zu 
retten;  eben  deshalb  wollte  er  es  nicht  so  weit  kommen  lassen, 
»dass  das  Blut  der  Seelen  von  ihm  gefordert  werden  könnte« 
Hesekiel  33.  S  .  Demgemäss  strafte  er  ohne  Rückhalt  die  im 
Schwange  gellenden  Sünden  der  Prager,  zumal  der  wohlhaben- 
den und  vornehmen  Stände,  ihren  Hochmuth,  ihre  Habsucht  und 
Ueppigkeit.  Und  merkwürdig,  je  strenger  er  die  herrschenden 
Sünden  rügte,  desto  zahlreicher  strömte  das  Volk  seinen  Predig- 
ten zu.  Seine  Busspredigten  bewirkten  viel  Gutes :  Wucherer 
erstatteten  ungerecht  erworbenes  Geld  den  Beschädigten  wieder  : 
leichtfertige  junge  Männer .  vor  deren  Zudringlichkeiten  die  an- 
ständigsten Bürgerstöchter  nicht  sicher  gewesen  waren,  wurden 
erweckt  und  änderten  ihren  Lebenswandel ;  Frauen  thaten  den 
übertriebenen  Schmuck,  ihre  kostbaren  Schleier,  mit  Gold  und 
Perlen  besetzte  Kleider  ab  und  legten  einfache  Kleidung  an. 
Aber  nicht  blos  den  Gemeindegliedern,  sondern  auch  den  Bettel- 
mönchen hielt  er  ihre  Sünden,  Habsucht  Simonie  und  Erb- 
schleicherei vor.  Um  den  geordneten  Weg  einzuschlagen,  machte 
Konrad  dein  Erzbischo.f  Ernst  Anzeige  von  einigen  Fällen  dieser 
Art  mit  der  Aufforderung,  dagegen  einzuschreiten.  Als  aber  die- 
ser entgegnete,  die  Bettelorden  hätten  ihre  eigenen  Oberen  und 
seien  exemt.  so  blieb  ihm  nichts  anderes  übrig,  als  gegen  jene 
Misbräuehe  in  der  Predigt  Zeugniss  abzulegen.  Das  that  er  denn 
seit  dem  Decemher  1363,  und  »spannte  den  Bogen  des  Wortes 
Gottes  stärker  gegen  sie  an«.  Das  machte  um  so  mehr  böses 
Blut,  als  bei  den  Bettelmönchen  ohnehin  schon  um  deswillen  Neid 
und  Eifersucht  sich  regte,  weil  bei  dem  Zuströmen  des  Volks  zu 
den  Predigten  des  Augustiner-Chorherrn  ihre  Klosterkirchen  sich 
leerten.  Kein  Wunder,  dass  sie  böse  wurden,  und  auf  jede  Weise 
Konrad  zu  verdächtigen  und  zu  verketzern  suchten.  In  dieser 
Hinsicht  erwähnen  wir  nur  das  Eine,  dass  die  von  Seiten  der 
Augustiner-Eremiten  von  St.  Thomas  erhobenen  Anschuldigungen 
gegen  Konrad  sich  gar  nicht  auf  Lehre  und  Glaubensartikel,  son- 
dern lediglich  auf  Punkte  der  sittlichen  Ordnung  und  Diseiplin 


* 


118 


Buch  III.    Kap.  3.  I. 


bezogen.  Daraus  ergibt  sieh  mittelbar,  dass  er  nicht  die  Lehre 
sondern  nur  die  Sitten  zu  reformireii  strebte  1  . 

Während  Konrad  der  deutsehen  Nation  angehörte,  war 
Mi  Ii  t  seh  Milic  aus  Kreinsier  in  Mähren,  ein  Tscheche,  der  in 
der  That  die  ganze  Gefühlserregung  und  sittliche  Gluth  der  Na- 
tion in  sich  trug.  Als  Konrad  von  Waldhausen  durch  seine  Volks- 
predigten Aufsehen  machte,  war  Militsch  bereits  Archidiaconus 
und  Domherr  an  der  erzbisehöflichen  Kathedrale  auf  dem  Hrad- 
schin  zu  Prag,  stand  aber  gleichzeitig  bei  dem  Konig  von  Böhmen, 
Kaiser  Karl  IV..  in  hohen  Ehren  und  Würden,  als  Geheimschreiber 
und  Unterkanzler.  Aber  weder  Ehren  und  Würden  noch  Ein- 
künfte vermochten  ihn  zu  fesseln.  Bei  Visitationsreisen,  welche 
er  als  Archidiaconus  zu  machen  hatte,  verzichtete  er  auf  die  ge- 
setzliehe Entschädigung  von  Seiten  der  Pfarrer,  und  bestritt  die 
Kosten  aus  eigenen  Mitteln.  Er  gab  sich  einem  asketischen  Leben 
hin.  und  trug  ein  rauhes  härenes  Hemd  auf  blossem  Leibe.  Alles 
das  genügte  ihm  indes  nicht,  sein  Leben  erschien  ihm  immer 
noch  zu  weltlich.  Im  Herbst  L>63  entsagte  er  allen  seinen  Ein- 
künften. Würden  und  Aemtern.  um  in  Annuth  und  Demuth,  mit 
Verkündigung  des  Evangeliums,  Christo  nachzufolgen.  Unge- 
achtet der  fromme  Erzbischof  Ernst  ihn  bitter  ungerne  [verlor, 
verliess  er  Prag  und  begab  sich  aufs  Land,  in  ein  Städtchen  an 
den  Westmarken  Böhmens.  Bischof-Teinitz,  um  als  Kaplan  des 
dortigen  Pfarrers  sich  in  der  Seelsorge  und  im  Predigen  zu  üben. 
Ein  halbes  Jahr  später  kehrte  er  nach  Prag  zurück,  und  fing  an. 
ohne  eine  geistliche  Pfründe  inne  zu  haben,  in  böhmischer 
Sprache  zu  predigen.  Anfangs  hatte  er  nur  wenige  Zuhörer. 
Es  war  etwas  neues,  dass  er  in  der  Volkssprache  predigte ;  das 


]j  Unter  den  sämmtlich  ungedruckten  Werken  Konrad  s  gibt  die  reich- 
haltigste Ausbeute  für  die  Biographie  und  Charakteristik  des  Mannes  seine 
Verteidigungsschrift  gegen  die  Anschuldigungen  von  Seiten  der  Kettel- 
mönche vom  Jahr  1M4,  betitelt  Apologia,  Eine  Handschrift  derselben  be- 
findet sich  im  Besitze  des  böhmischen  Museums  zu  Prag.  Vgl.  Kranz  Pa- 
LACKY,  Geschichte  von  Böhmen,  III,  l.  Prag,  lvl">.  HiJ  —  M>4.  Nkandkh, 
Allgem.  Gesch.  der  christl.  Religion  u.  Kirche,  X.  Aufl.  Gotha.  ls."iü.  H,  2. 


Militsch  von  Kremsier. 


119 


schien  des  Evangeliums  nicht  würdig  zu  sein  1  .  Aber  Militsch 
Hess  sich  nicht  irre  machen  und  seine  Beharrlichkeit  wurde  mit 
Erfolg  gekrönt:  nach  und  nach  wuchs  die  Zahl  seiner  Zuhörer 
derniaassen.  dass  er  an  Sonn-  und  Festtagen  zweimal,  zuweilen 
drei-  bis  fünfmal,  in  verschiedenen  Kirchen  predigen  musste. 
Indessen  begnügte  er  sich  nicht  mit  der  Predigt  in  tschechischer 
Sprache:  vor  Gelehrten  und  studirenden  predigte  er  lateinisch.; 
und  am  auch  der  deutschen  Bevölkerung  dienen  zu  können,  lernte 
er  noch  in  seinem  Alter  deutsch,  und  predigte  nun  auch  in  deut- 
scher Sprache. 

Seine  Predigten  voll  frommer  Innigkeit  und  sittlicher  Energie 
hatten  wohl  noch  grösseren  Erfolg,  als  die  des  Konrad  von  Wald- 
hausen. Ks  ging  eine  Erweckung  von  ihm  aus.  zumal  unter  den 
Jungfrauen  und  Frauen,  aber  auch  unter  Männern.  Der  in  die 
Augen  fallendste  Beweis  von  der  Wirkung  seiner  Predigten  war, 
da ss  öffentliche  Dirnen  sich  bekehrten  und  den  Weg  des  Lasters 
verliessen.  Er  brachte  einzelne  bei  rechtschaffenen  Hausfrauen 
als  Dienstboten  unter,  auch  gelang  es  ihm  andere  zu  verheirathen  : 
die  übrigen  sammelte  er  in  Wohnungen  die  unter  seiner  Oher- 
aufsicht standen.  Nachdem  die  Häuser  des  Lasters  leer  geworden 
waren,  und  ein  verrufenes  Quartier.  Venedig  genannt  Benatky). 
gesäubert  war.  schenkte  Karl  IV.  dasselbe  an  Militsch.  Dieser 
Hess  sämmtliche  Hauser  niederreissen.  und  baute  auf  diesem 
Grund  und  Boden  nebst  einigen  angrenzenden  Baustellen,  die  er 
ankaufte,  einen  beträchtlichen  Häusercomplex.  zu  einer  Magda- 
lenenstiftung .  die  den  Namen  »Klein- Jerusa leim*  statt  »Klein- 
Venedig«  erhielt,  und  mehreren  Hunderten  gebesserter  Frauen 
zur  Wohnung  diente. 

Uebrigens  war  Militsch  keineswegs  ein  Mann  der  blossen 

1  Der  Biograph  in  Balbin's  Miscel lauen  .  IV.  Buch.  2.  Theil,  S.  45 
sagt :  propter  incongntentiam  vulgaris  sermonis.  Dies  deutet  Palacky  a.  a. 
Q.  L65.  Anm.  197,  und  nach  ihm  Xeaxder  a.  a.  O.  7(>b,  auf  die  minder 
reine  Aussprache  des  Tschechischen ,  einen  angeblich  mährischen  Accent. 
Allein  das  dürfte  in  den  Worten  schwerlich  liegen;  ich  glaube  eher,  dass 
darin  die  Ansicht  ausgedrückt  ist.  die  ^gemeine  Volkssprache«,  d.  h.  das 
Tschechische,  sei  an  sich  nicht  angemessen  zum  Ausdruck  so  heiliger 
Wahrheiten,  also  zur  Predigt  überhaupt. 


120 


Buch  III.    Kap.  3.  I. 


Praxis.  Er  forschte  unermüdlich  in  der  Schrift  und  suchte  Licht 
über  die  Gegenwart  und  ihre  Gebrechen,  über  die  Zukunft  und 
was  dem  Reiche  Gottes  bevorstehe,  in  Gottes  Wort,  zumal  in  den 
Propheten  des  Alten  Bundes,  in  den  Reden  des  Erlösers  von  den 
letzten  Dingen  und  in  der  Offenbarung  Johannis.  Er  überzeugte 
sich,  dass  der  Grundfehler  der  Zeit  in  den  weissagenden  Worten 
Jesu  gezeichnet  sei:  »Weil  die  Ungerechtigkeit  wird  überhand 
nehmen,  wird  die  Liebe  in  Vielen  erkalten«  Matth.  24.  12  .  Er 
sah  die  Ungerechtigkeit  vorzugsweise  in  der  herrschenden  Si- 
monie, in  dem  Kauf  und  Verkauf  der  Sakramente,  in  Misbrauch 
des  Reichthums  und  Versäumnis«  der  Mildthätigkeit  gegen  die 
Armen.  Der  »Greuel  der  Verwüstung«  stehe  bereits  an  heiliger 
Stätte  Matth.  24.  15  .  und  der  Antichrist  sei  nicht  erst  zukünftig, 
sondern  bereits  gegenwartig.  Es  sei  höchste  Zeit,  dass  der  Papst 
selbst  dies  erkenne,  und  Hand  anlege  um  das  Unkraut  Irrlehrer. 
Heuchler  und  Schismatiker  auszuraufen,  die  Kirche,  mit  Hülfe 
eines  allgemeinen  Concils.  auf  den  Weg  des  Heils  zurückzuführen, 
und  den  Antichrist  zu  überwinden  durch  das  Blut  des  Lammes 
und  durch  siegreiche  Verbreitung  des  Wortes  Gottes. 

Offenbar  lag  dem  Militsch  die  Besserung  der  Kirche  innigst 
am  Herzen,  aber  die  Reform  sollte  von  oben,  durch  den  Papst 
und  ein  Concil  in's  Werk  gesetzt  werden  :  dabei  waren  seine 
Reformgedanken  getragen  von  einer  apokalyptischen  Anschauung 
und  mystischen  Denkart. 

Militsch  wollte  seine  mystisch-apokalyptischen  Gedanken 
unmittelbar  in  s  Leben  führen.  Im  Jahre  1367  ging  er  nach  Rom, 
am  seine  Anschauung  von  der  Gegenwart  und  Zukunft  dem  Papste 
Belbßt  mitzutheilen.  Als  Militsch  dort  auf  die  beverstehende 
Ankunft  Urban  s  V.  von  Avignon  lange  warten  niusste.  veröffent- 
lichte er  seine  Ansicht,  dass  der  Antichrist  schon  gekommen  sei 
durch  einen  Anschlag  an  dem  Portal  der  Peterskirche.  Dafür  lies* 
ihn  der  [nquisitor  von  Rom  einkerkern;  allein  sobald  Urban  V. 
ankam  Oktober  1368  .  wurde  Militsch  auf  freien  Fuss  gesetzt, 
von  einem  Cardinal  sogar  ausgezeichnet.  Uebrigens  wurde  er  von 
da  an  zurückhaltender  mit  seinen  Gedanken  VOlü  Antichrist. 

Nach  Prag  zurückgekehrt ,  predigte  er  mit  noch  grösserem 
Eifer  als  bisher,  und  arbeitete  mit  voller  Kraft  an  der  Besserung 


Militsch  von  Kremsier 


121 


der  Sitten ;  zugleich  diente  er  Tausenden  als  Beichtvater  und  Ge- 
wissensrath, unterwies  und  bildete  junge  Kleriker,  während  er 
seinen  eigenen  Haushalt  immer  dürftiger  und  enthaltsamer  ein- 
richtete. Bei  all*  dieser  Strenge  gegen  sich  seihst  war  Militsch 
stets  heiter  und  liebenswürdig.  Sein  Schüler  Matthias  von  J  a  n  o  w 
behauptet,  es  habe  niemand  mit  ihm  sieh  unterhalten  oder  verhan- 
deln können,  ohne  von  seiner  Liebenswürdigkeit  hingenommen 
ei  sein  und  getröstet  von  ihm  wegzugehen  1  . 

Nach  dem  Tode  Konrad's  von  Waldhausen  1369  wurde 
dessen  Pfarramt  an  der  Teynkirche  Militsch  übertragen,  der 
nun  in  dieser  Kirche  täglich  deutsch  predigte  und  für  Hebung  der 
Frömmigkeit  und  Sittlichkeit  bis  1372  mit  Erfolg  wirkte.  Es 
regte  sich  zwar  Neid  und  Eifersucht  gegen  ihn.  zumal  von  Seiten 
der  Geistlichkeit 2  .  Allein  der  Erzbischof  0 1  s  c  h  k  o  von  Wlaschim 
und  Kaiser  Karl  IV.  schützten  ihn.  Nun  wandten  sich  seine  Geg- 
ner direkt  an  den  päpstlichen  Hof  nach  Avignon.  um  ihn  dort 
auf  Grund  von  12  Punkten,  die  man  herausgehoben  hatte,  un- 
kirchlicher Gesinnung  anzuklagen.  In  der  That  wTurde  man  in 
Prag  am  lo.  Januar  1374  durch  mehrere  Bullen  Gregors  XI. 
überrascht,  welche  an  den  Kaiser,  den  Erzbischof  von  Prag  so 
wie  an  die  Bischöfe  von  Olmtitz,  Breslau  und  Krakau  gerichtet 
waren,  und  eine  strenge  Rüge  über  jene  Artikel  enthielten. 
Militsch  selbst  blieb  im  Bewusstsein  seiner  Unschuld  ganz  ruhig. 
Als  jedoch  der  Prager  Inquisitor  auf  Grund  der  Bullen  eine  Unter- 
suchung gegen  ihn  einleitete,  appellirte  Militsch  an  die  päpst- 
liche Kurie,  und  reiste  in  der  Fastenzeit  1374  nach  Avignon.  Dort 
gelang  es  ihm.  allen  Verdacht  gegen  seine  Gesinnung  zu  besei- 
tigen.   Es  überfiel  ihn  aber  eine  Krankheit,  an  der  er.  noch  ehe 


1  Xullus  erat.  —  qtti  cum  ipso  habebat  loqui  vel  ayere.  qui  amorem  et 
gratiam  atque  suavitatem  Spiritus  ab  ipso  tum  hauriret .  mdlusque  non  eou- 
solatus  ab  eo  recedebat.  Aus  Reyulae  V.  et  N.  Testament*,  MS.,  PALACKY 
a.  a.  O.  III.  1.  169. 

2  Konrad  von  Waldhausen  war  von  den  Bettelmönchen  angefeindet 
worden.  Militsch.  wie  es  scheint,  hauptsächlich  von  der  Pfarrgeistlich- 
keit; wenigstens  weiss  Palacky.  ungeachtet  er  behauptet,  Militsch  sei  von 
den  Bettelorden  noch  schlimmer  angefeindet  worden,  ah  Konrad.  a.  a.  (). 
ITi).  keinen  urkundlichen  Beleg  dafür  anzuführen. 


J22 


Buch  III.    Kap.  :>.  I. 


ein  förmliches  Urtheil  in  seiner  Sache  gelallt  worden  war,  am 
29.  Juni  1374.  starb.  Die  12  Artikel,  welche  gegen  ihn  als  Be- 
weis unkirchlicher  Denkart  geltend  gemacht  wurden,  betreifen 
sämmtlich  nicht  die  Lehre,  sondern  nur  das  kirchliche  Leben, 
sittliche  Grundsätze  und  Gegenstände  der  Kirchenverfassung1). 
Denn  selbst  die  Ansicht,  dass  der  Antichrist  bereits  zur  Welt  ge- 
kommen sei  (Art.  1  .  ist  nicht  ein  Lehrsatz  im  eigentlichen  Sinn. 
Bemerkenswerth  ist  aber  die  Empfehlung  des  häufigen  Genusses 
der  Communion  Art.  4  und  5),  sofern  Militsch  bereits  die  Auf- 
merksamkeit auf  das  heil.  Abendmahl  gelenkt  hat:  ein  Umstand, 
welcher,  wenn  auch  entfernt,  mit  dem  späteren  Kampfe  der 
Hussiten  für  den  Laienkelch  zusammenhängt. 

Ein  treuer  und  pietätsvoller  Schüler  des  Militsch  war 
Matthias  von  Janow.  Er  scheint  während  seiner  Studienzeit 
zu  Prag  durch  Militsch  erweckt  worden  zu  sein,  und  sich  sofort 
an  ihn  angeschlossen  zu  haben.  Allein  noch  vor  dessen  Tode 
begab  er  sich  nach  Paris,  um  dort  seine  Studien  fortzusetzen :  er 
promovirte  auch  daselbst,  weshalb  man  ihn  in  Böhmen  später  nur 
den  »Pariser  Magister«  nannte.  Am  1.  April  1381  erhielt  er  von 
Urban  VI.  die  Anwartschaft  auf  die  nächste  zur  Erledigung 
kommende  Domherrnstelle  in  Prag:  und  kraft  der  betreffenden 
Bulle  wurde  er  am  12.  Oktober  desselben  Jahrs  als  Domherr  der 
St.  Veitskathedrale  auf  dem  Hradschin  aufgenommen.  Erzbischof 
Johann  von  Jenstein,  der  einst  in  Paris  sein  Studiengenosse 
gewesen  war,  ertheilte  ihm  Vollmacht,  an  seiner  Stelle  Beichte  zu 
hören.  Und  diese  Stellung  als  Domherr  und  Beichtvater  an  der 
Kathedrale  behielt  er  bis  zu  seinem  Tode,  der  ihn  noch  in  den 
besten  Mannesjahren,  am  30.  Nov.  1394  ereilte.  Während  kon- 
r  a  d  und  Militsch  als  beliebte  Prediger  eine  ausgebreitete  Wirk- 
samkeit im  Grossen  durch  Wort  und  That  übten,  hat  Matthias 
vielmehr  in  stiller  Weise  und  im  Kleinen  gewirkt,  theils  durch 
Privat-SeelßOrge  und  Gewissensrath  an  denjenigen,  welche  seiner 
sittlichen  Leitung  sich  anvertrauten,   rheils  durch  theologische 

I  Die  Artikel  hat  am  vollständigsten  Jordan.  Vorläufer  des  llusiten- 
thums.  S.  M)—  U;  aus  einer  Handschrift  der  Präger  Domkapitelsbibliothek, 
unter  J.  Nr.  40,  mitgetheilt. 


Matthias  von  Janow. 


Schriften,  in  denen  er  die  Ergebnisse  seines  Forschen«  in  Gottes 
Wort  und  seines  Nachdenkens  über  das  Reich  Gottes  und  die 
Fragen  des  Heils  niederlegte.  Er  hat  verschiedene  Abhandinngen, 
w  elche  in  den  Jahren  1388  bis  1392  allmählich  entstanden  wa- 
ren,  gesammelt  lind  zu  einem  Ganzen  geordnet.  Der  Gresammt- 
gegenstand  dieser  Traktate  ist  das  wahre  und  falsche  Chri- 
st e  n  t  h  u  m  1  . 

Matthias  von  Janow  ist  bei  seinem  Nachdenken  über  die 
Kirche  Christi,  ihren  dermaligen  Stand  und  ihr  endliches  Ziel, 
augenscheinlich  von  der  unlängst  ausgebrochenen  und  bereits 
chronisch  gewordenen  Papstspaltung  ausgegangen.  Er  erkannte 
darin  ein  Zeichen  vorhandener  Verderbnis*  der  Kirche  .  welche 
nur  durch  Wiedergeburt  und  sittliche  Erneurung  gehoben  werden 
könne.  Daher  ging  sein  ganzes  Streben  auf  eine  Reform  der 
Kirche,  wie  dies  bei  vielen  wackeren  Männern  seines  Zeitalters 
der  Fall  war.  Ihr  gemeinsamer  Ausgangspunkt  war  das  Schisma 
und  w  as  damit  zusammenhing,  ihr  Zielpunkt  die  Kirclienreform. 

J  Neben  einer  Homiliensammlung  und  einem  Traktat  über  die  Gebote 
Christi  ist  die  umfangreichste  und  bedeutendste  Schrift  des  Magister  Pa- 
risiensis  diejenige,  welche  den  Titel  führt:  Regit' ae  veietis  et  novi  testa- 
menti.  Dieses  Werk  ist  noch  nie  vollständig  im  Druck  erschienen,  wohl  aber 
sind  Theile  desselben  mit  Unrecht  unter  den  Werken  von  Hus  als  Schriften 
desselben  gedruckt  worden,  namentlich  der  Traktat  De  abominatione  in  loco 
saneto,  welcher  im  III.  Buch  die  letzte  Stelle  einnimmt.  Derselbe  steht  in 
der  Sammlung  der  Werke  von  Johann  Hus,  Nürnberg  IS5s.  Vol.  I.  f.  376,  1 
bis  471.2  unter  dem  Namen  von  Hus.  mit  dem  Titel:  De  saeerdotum  et 
monachorum  abhorrenda  abominatione  desolationis  in  ecelesia  Christi.  Auch 
noch  einige  kleinere  Stücke,  welche  auf  diesen  Traktat  folgen,  z.  B.  De 
umtäte  ecclesiae  et  sehümate,  De  mysteYio  iniquitatis  antichristi.  gehören  dem 
Matthias  von  Janow  an,  vgl.  Palacky.  Gesch.  v.  Böhmen.  III.  1.  175  f. 
J.  P.  Jordan.  Die  Vorläufer  des  Husitenthums  in  Böhmen.  Leipz.  1846. 
S.  :>>.  Eine  Schrift,  welche  wie  Palacky,  Die  Gesch.  des  Hussitenthums 
und  Prof.  C.  Höfler,  1*>()S.  S.  2.  Anm.  eröffnet  hat.  aus  seiner  eigenen  Fe- 
der geflossen  und  nur  besonderer  Umstände  wegen,  mit  seiner  Bewilligung, 
von  Jordan  unter  dessen  Namen  veröffentlicht  ist.  Das  grosse  Werk 
Janow  's  ist  aber  selbst  in  Handschriften  nirgends  mehr  vollständig 
anzutreffen  ,  wiewohl  es  sich  aus  mehreren  Handschriften  zusammenstellen 
Hesse.  Es  umfasst  fünf  Bücher,  welche  je  in  eine  Anzahl  Traktate  zerfal- 
len; die  letzteren  sind,  wie  es  scheint,  unabhängig  von  einander  entstan- 
den, sie  sind  wieder  in  Distinktionen.  und  diese  in  Kapitel  getheilt. 


124 


Buch  III.    Kap.  :?.  L 


Aehnlich  wie  noch  Jahrzehente  später  bei  den  informatorischen 
Concilien. 

Vor  allem  musste  sich  "Matthias  fragen,  worin  die  Ursache 
der  gegenwärtigen  Spaltung  liege,  und  welches  die  Tragweite 
dieses  Uebels  sei.  Seine  Antwort  darauf  lautet :  Die  Spaltung  hat 
ihren  Grund  nicht  in  der  Liebe  zu  Christo  Jesu  und  seiner  Kirche, 
sondern  in  der  Selbstliebe  und  Weltliebe  1  .  Indessen  sind  da- 
durch nicht  die  Heiligen  und  Erwählten,  welche  die  eine  Kirche 
und  eine  Einheit  in  Christo  Jesu  bilden,  gespalten  und  von  einan- 
der getrennt  worden :  die  Spaltung  gereicht  auch  nicht  zum  Scha- 
den der  Kirche  Christi,  welche  seines  Geistes  Fülle  hat,  sondern 
dient  vielmehr  dazu,  dass  die  Scheinchristen,  welche  mehr  den 
Glanz  dieses  Lebens  als  den  gekreuzigten  Jesus  lieb  haben,  klarer 
erkannt  werden.  Durch  solche  Spaltung  ist  der  Leib  des  Anti- 
christ, welcher  bisher  fest  geschlossen  war.  getheilt  und  in  Ver- 
wirrung gebracht,  nicht  aber  Christi  Leib,  d.  h.  die  Gemeinde  der 
Heiligen.— In  diesen  wenigen  Sätzen  sind  schon  einige  bedeutsame 
Grundlinien  gezogen  :  der  Begriff  der  Kirche  als  der  Sammlung 
der  Auserwählten,  der  Gegensatz  zwischen  wahrer  und  falscher 
Kirche  Leib  Christi .  und  Leib  des  Antichrist  .  und  die  unter- 
scheidenden Merkmale  beider.  Wo  Christi  Geist  waltet,  und  man 
»Jesum  den  Gekreuzigten«  lieb  hat.  da  ist  die  Gemeinde  der  Hei- 
ligen, die  wahre  Kirche.  Wo  man  sich  selbst,  die  Welt  und  was 
in  der  Welt  ist.  lieb  hat,  da  ist  die  »Gemeinde  der  Roßhaftigea« 
[eoclesia  malig nantium,  Ps.  <>4.  3,  nach  der  Vulgata  .  die  falsche 
Kirche,  die  Sammlung  der  Fleischlichgesinnten  und  Heuchler,  der 
Leib  des  Antichrist.  Der  stete  Hinblick  auf  den  Widerchrist  ist 
ein  Erbtheil,  welches  Matthias  von  seinem  geistlichen  Vater 
Militsch  Uberkommen  hat  und  beharrlich  verwendet.  Dieser 
Grundgedanke  hängt  mit  dem  apokalyptischen  Zug  und  der  Rich- 
tung auf  die  letzten  Dinge  zusammen,  die  Janow  mit  Militsch 
gemein  hat. 

Besonderer  Beachtung  werth  ist  der  Umstand,  dass  Matthias 


1  Nun  ex  eo  schisnxi  hoc  factum  est.  quod  dt/exissettt  Christum  Jesum 
et  ipsius  ecclesiani,  sed  ex  eo,  quin  se  i/>sos  nmavernnt  et  hunc  inun- 
dum.    Hei  Jordan  a.  a.  ().  <>»;. 


Grundgedanken  des  Matthias  von  Janow. 


125 


vdii  Janinv  Jeaum  »den  Gekreuzigten«  zu  nennen  liebt.  Er 
thut  das  so  häufig,  dass  wir  nicht  umhin  können,  eine  bewusste 
Absicht  darin  zu  suchen.  Indem  er  den  gekreuzigten  Heiland, 
nicht  den  erhöheten  König*  und  Herrn  in  den  Vordergrund  stellt, 
betont  er  das  Werk  der  Versöhnung,  und  deutet  indirekt  an. 
das  wahre  Christenthum  könne  ohne  aufrichtige  Demuth  nicht 
bestehen. 

Prägen  wir  aber  nach  den  Mitteln  und  Wegen  der  Re- 
form, welche  der  «Pariser  Magister«  ins  Auge  fasst.  so  bestehen 
dieselben  theils  im  »Ausreuten  aller  der  Pflanzen,  die  der  himm- 
lische Vater  nicht  gepflanzt  hat«  Matth.  15.  L3  .  theils  in  Zu- 
rtickführung  der  Kirche  Christi  zu  ihren  einfachen  und  gesunden 
Anfängen  1  .  Demnach  hat  die  von  Janow  erstrebte  Reform  so- 
wohl eine  negative  als  eine  positive  Seite.  Die  Pflanzen,  welche 
ausgereutet  werden  sollen,  sind  die  menschlichen  Erfindungen 
und  Satzungen.  Verpflichtungen  und  Gebote,  welche  je  mehr  und 
mehr  vervielfacht  und  verschärft  worden  sind,  und  welche  die 
Seelen  vom  Kern  christlicher  Frömmigkeit  und  Sittlichkeit  abge- 
lenkt, zerstreut  und  veräusserlicht  haben.  Durch  diese  Men- 
schengebote,  Lehren  und  Ceremonien  wird  die  Christenheit  be- 
lastet und  überbürdet :  sie  müssen  von  Grund  aus  zerstört  und 
beseitigt  werden,  und  die  Zeit  ist  nahe,  wo  dies  erfolgen  wird. 
Eben  damit  werden  die  Seelen  zu  dem  Herrn  selbst  umkehren, 
und  er  allein  wird  wieder  hoch  stehen  in  ihrer  Verehrung2  . 

Wir  sehen,  wie  in  Janow' s  Gedanken  beides  zusammen- 
hängt, ein  formales  und  ein  materiales  Prinzip,  die  Werthschätzung 
der  heil.  Schrift  gegenüber  menschlichen  Ueberlieferungen ,  und 


1  Charakteristisch  und  bündig  spricht  sich  Janow  so  aus:  Quapropter 
apud  nie  decretwn  habeo  ,  quod  ad  reformandam  pacem  et  unionent  in  uni- 
versitate  christiana  expedit  omnem  plantationem  illam  eradicare,  et  abbreviare 
Herum  verbum  super  terram  et  r  educere  Christi  Jesu  ecclesiam  ad  sua 
primördia  salubria  et  eompendiosa,  quanto  paucioribus  et  apostolicis 
mandatis  reservatis.   MS.  bei  Jordan,  69. 

1  Omnia  praenotata  opera  hominum,  cerimoniae  et  traditiones  funditus 
destruentur  et  cessabunt ,  et  exaltabitur  dominus  solus  et  unicum  cer- 
bton  ipsius  manebit  in  aeternuni;  et  tempus  Hlud  jam  instat,  in  quo  illa  eva- 
ctiabuntur.  a.  a.  O.  70. 


126 


Euch  III.    Kap.  3.  f 


die  Erhebung  Jesu  als  des  einigen  Mittlers  und  Horts  unseres 
Heils.  So  sei  z.  B.  durch  kirchliche  Verordnungen  und  Synodal- 
beschlüsse verfügt  worden .  man  solle  den  Gemeinden  die  Vereh- 
rung der  Heiligenbilder  und  Reliquien  in  der  Predigt  empfehlen, 
und  die  Leute  ja  nicht  darüber  tadeln,  wenn  sie  zu  solchen  Noth- 
helfern  ihre  Zuflucht  nehmen.  Dadurch  werden  aber  die  Leute 
von  der  Anbetung  Gottes  im  Geist  und  in  der  Wahrheit  abge- 
lenkt, zur  Beeinträchtigung  der  Ehre  Christi  und  zu  abgöttischem 
Wesen  verleitet1  .  Nun  aber  gehört  alles  der  Art.  die  Empfeh- 
lung gewisser  Heiligenbilder,  die  Erhebung  neuer  Reliquien,  die 
glänzende  Ausstattung  der  Kirchen  und  des  Kultus .  zumal  der 
Messen,  in  die  Gattung  dessen  was  widerchristlich  ist.  Glei- 
chermaassen  ist  jeder  Christ,  sei  er  auch  ein  Priester  oder  Minich. 
wenn  er  sich  und  das  Seine  sucht.  Ehrenstellen  und  Einkommen 
erstrebt,  ein  Glied  des  Antichrist.  Je  höher  aber  ein  Solcher  an 
kirchlichen  Würden  steht,  ein  um  so  grösserer  Widerchrist  ist  er 
dann'2  .  Lud  gerade  solche  Leute.  Scheinheilige  und  Heuchler, 
verdächtigen  und  verfolgen  jeden  treuen  Christen .  wie  einen 
»Beghardem<  oder  Ketzer,  wie  einen  Heuchler  oder  Narren :  na- 
türlich, denn  »der  Greuel  der  Verwüstung  an  heiliger  Stätte  * 
möchte  nicht  entlarvt  sein,  und  feindet  eben  deshalb  etwas  ande- 
res als  einen  Greuel  an  3  . 

Alle  diese  Pflanzen .  die  Gott  nicht  gepflanzet  hat .  müssen 
und  werden  ausgebeutet  werden.  Christus,  und  nicht  der  Wider- 
christ.  muss  obsiegen;  er  wird  in  seinen  treuen  Zeugen  und 
Nachfolgern  allmählich  hervortreten,  seine  auserwählten  Prediger 
mit  seinen)  ( i  ei  st  erfüllen,  damit  sie  in  seinem  Reich  alle  Aerger- 


1  Vgl.  die  von  Jordan,  "s —  So  mitgetheilten  Aeusserungen  über  die 
Verehrung  der  Heiligenbilder,  s.  B.  :  Quae  quam  sint  jternicinsa  rudi  po- 
pulo  christiano  et  camßli,  quis  non  intelligit ,  8%  contemplettir .  quod  pn- 
pu/us  plebejus  modernus  domini  Jesu  spiritum  notl  habens  ad  spintualia 
nequaquum  ralet  mente  iemts  e'erari .  sed  —  —  CorporaUä  tantum  appre- 
cint  etc. 

2  Hei  Jordan.  74  — Ts. 

3  a.  a.  O.  "4  :  Ecce  hodie  ipsamet  ubominatio  desolatitmis  proprio  se- 
drns  in  templo .   ne  tauten  ipsa  esse  abvminatio  reve/etur .  ßnyit  aham  abo- 

tninationem  etc. 


Die  Prinzipien  des  Matthias  von  Janow 


127 


aisse  beseitigen.  Es  scheint,  als  habe  Matthias  von  Janow 
die  Ausrottung  der  widerchristlichen  Gesinnungen .  Lehren  und 
Satzungen  hauptsächlich  von  der  positiven  Verbreitung  ächter 
christlicher  Frömmigkeit  erwartet.  Und  diese  findet  er  in  der 
Verehrung  und  Liebe  zu  Jesu  Christo,  in  der  Nachfolge  Jesu  des 
Gekreuzigten.  Die  Kirche  ist  ihm  nichts  anderes  als  »die  Familie 
Jesu  .  worin  Christi  Geist  waltet  und  Liebe  zu  ihm  die  Seelen 
erfüllt.  Um  deswillen  ist  auch  die  Bibel  eines  treuen  Hirten 
liebster  Umgang,  süssester  Trost  und  sicherstes  Licht.  In  dieser 
Beziehung  ist  das  Bekenntniss  des  Matthias  bezeichnend,  wenn 
er  seinen  Grundsatz,  hauptsächlich  von  der  Bibel  und  nur  massig 
von  den  Aussprüchen  der  Kirchenlehrer  Gebrauch  zu  machen, 
unter  anderem  mit  seinen  persönlichen  Erlebnissen  begründet: 
sie  ist  es.  die  ich  von  meiner  Jugend  an  lieb  gehabt,  und  meine 
Freundin  und  Braut  genannt  habe.  — Ich  gestehe,  sie  ist  von 
meiner  Jugend  an  bis  an  mein  Alter  nicht  von  mir  gekommen, 
weder  auf  dem  Wege  noch  im  Hause .  weder  bei  der  Arbeit  noch 
in  der  liuhe :  und  bei  jeder  Ungewissheit  in  irgend  einer  Frage 
habe  ich  stets  in  der  Bibel  und  durch  sie  einen  befriedigenden 
und  hellen  Aufschluss  und  Trost  für  meine  Seele  gefunden ;  in 
jeder  Unruhe.  Verfolgung  und  Traurigkeit  nahm  ich  allenthalben 
meine  Zuflucht  zur  Bibel.  —  und  sie  begegnete  mir  stets  wie  eine 
geehrte  Mutter,  ihre  Tröstungen  erfreuten  meine  Seele.  —  Des- 
halb habe  ich.  während  die  meisten,  wie  ich  bemerkte,  immer 
und  allenthalben  Reliquien  und  Gebeine  verschiedener  Heiligen 
bei  sich  trugen  .  zu  ihrem  Schutz  und  besonderer  Andacht  hal- 
ber, meinestheils  vorgezogen,  die  Bibel  als  meine  Erwählte,  als 
Keisegenossin  immer  mit  mir  zu  führen .  und  allenthalben  zur 
Seite  zu  haben  zu  meiner  Verteidigung  und  bleibendem  Trost 
auch  in" Widerwärtigkeit 1  .«  Allerdings  bekennt  Janow.  dass  er 
anfänglich  die  Bibel  nicht  verstanden  und  deshalb  auch  nicht  zu 
sehätzen  gewusst  habe  ;  erst  als  es  dem  Herrn  Jesu  gefiel  ihn  zu 
erwecken,  und  wie  einen  Brand  aus  dem  Feuer  zu  retten,  sei  er 
arm  und  zerknirscht  geworden,  habe  sich  zitternd  zu  Gottes  Wort 
gewendet  und  angefangen  die  Wahrheit  der  heil.  Schrift,  die  in 


1   Bei  Jordan.  SO  — 62. 


!2S 


Buch  III.    Kap.  3,  I. 


allen  Stücken  in  Erfüllung  gehen  müsse,  zu  bewundern  Dann 
habe  Jesus  der  Gekreuzigte  nach  seiner  Güte  ihm  das  Ohr  geöff- 
net, so  dass  er  die  Schrift  verstehen  gelernt,  wie  sie  auf  die  Ge- 
genwart passe ,  und  wie  der  geweissagte  Greuel  der  Verwüstung 
an  heiliger  Stätte  weit  und  breit  gar  fest  und  hoch  stehe.  Nun 
habe  ein  starkes  und  doch  süsses  Feuer  sein  Herz  ergriffen,  und 
dieses  brenne  um  so  heller ,  je  mehr  er  im  Gebete  zu  Gott  und 
dem  gekreuzigten  Jesus  sich  erhebe  und  ihm  diene  *) . 

Wahre  Christen  sind  nach  Janow  nur  diejenigen,  welche 
Jesu  dem  Gekreuzigten  treu  nachfolgen,  und  das  Kreuz  der 
Schmach ,  der  Niedrigkeit  Armuth  und  Einfalt  liebe»  .  hingegen 
Reichthum ,  Ehren  und  Genüsse  der  Welt  mannhaft  verachten 2) . 
Ihrer  sind  wenige,  wie  der  Trauben  bei  der  Nachlese.  Wo  sind 
sie  zu  finden?  Durchaus  nicht  zumeist  unter  den  Priestern,  Mon- 
chen  und  Lehrern,  sondern  eher  unter  den  Kleinen  im  Volk, 
d.  h.  unter  den  Laien;  denn  ihres  Hochmuths  und  ihrer  Heu- 
chelei wegen  hat  Gott  die  Weisen  und  Klugen  dieser  Welt  ver- 
worfen und  sein  Heil  desto  reichlicher  den  Kleinen  geoffenbart 
und  verliehen.  Dem  gemäss  sind  Frauen  insgemein  empfäng- 
licher für  die  Gaben  Jesu  Christi,  als  Männer.  Denn  diese  sind 
sich  ihrer  natürlichen  Gaben  und  Kräfte  bewusst.  wissen  sich 
nicht  zu  demüthigen ,  und  die  Schmach  Christi  zu  tragen ;  errei- 
chen sie  je  etwas  in  geistlichen; Dingen,  so  schreiben  sie  es  selbst- 
gefällig ihrem  eigenen  Bemühen  zu,  und  erweisen  sich  somit 
nicht  gläubig  an  den  Herrn  Jesum  Christum.  Deshalb  verlässt 
Gott  und  der  Herr  Jesus  solche  Männer,  und  überträgt  seine 
Schätze  meist  den  Frauen :  denn  »er  hat  erwählt  was  schwach  ist, 
um  zu  Schanden  zu  machen,  was  stark  ist.«  Demgemäss  stehen 
in  dieser  Zeit  Frauen ,  Jungfrauen  und  Wittwen  auf,  thun  recht- 
schaffen Busse,  eilen  zu  den  göttlichen  Sakramenten  und  reimen 
das  Himmelreich  den  Männern  weg,  welche  mit  der  Eitelkeit 
dieser  Welt  beschäftigt  sind,  während  Frauen  die  Pracht  und 
Ergötzlichkeit  der  Welt  verlassen,  je  mehr  und  mehr  reich  wer- 

lj  De  sucerdotum  et  monachorum  carnalium  abominationv .  c.  Tl.  in  HüS 
u.  Hieronymus  Werken,  Nürnb.  155S.  Vol.  I,  'M>*,  2t. 
2   a.  a.  O.  c.  TS.  f.  461,  1. 


Matthias  von  Janow  für  häutige  Communion. 


129 


den  an  Liebe  Jesu  Christi,  unaufhörlich  an  das  denken,  was  des 
Herrn  ist.  und  Offenbarungen.  Weissagungen  und  Heimsuchun- 
gen von  Christo  zahlreich  und  dankbar  empfangen.  In  diesen 
und  anderen  Stücken  werden  gegenwärtig  Frauen  hundertmal 
mehr  bereichert,  als  irgend  welche  Männer  oder  auch  Priester1  . 

Aus  dem  allem  ergibt  sich  deutlich,  dass  Janow  weit  ent- 
fernt ist  ,  in  Betreff  des  inneren  Lebens  einen  angeblichen  Vor- 
sprang des  klerikalen  Standes  vor  den  Geraeindegliedern  an- 
zuerkennen; im  Gegentheil  behauptet  er  acht  evangelisch  und 
reiorniatorisch  das  allgemeine  Priesterthum  der  Gläubigen. 

Für  das  wichtigste  Gnadenmittel  erkennt  Janow  das  heilige 
Abendmahl.  Erlegt,  nach  dem  Vorgang  seines  Lehrers  Mi - 
litseh.  ganz  besonderen  Werth  auf  häufiges  Communiciren  (cre- 
bra  communio  .  ja  er  hält  tägliche  Theilnahme  an  der  Communion 
t'iir  einen  Beweis  der  grössten  Andacht  und  tiefsten  Frömmig- 
keit- .  Ks  gibt  kein  Thema,  auf  das  er  mit  mehr  Vorliebe  immer 
wieder  zurückkäme;  es  gibt  aber  auch  kaum  einen  Grundsatz, 
der  ihm  mehr  verübelt  worden  wäre  als  dieser.  Die  Communion 
ist  ihm  das  fruchtbarste  Mittel  des  Wachsthums  im  geistlichen 
Leben,  denn  sie  dient  zur  Aneignung  Christi.  Eben  deshalb  be- 
dürfen die  Anfänger  im  Christenthum ,  die  Schwachen,  diejeni- 
gen, welche  ihre  Unwürdigkeit  aufrichtig  fühlen,  des  Sakramen- 
tes am  allermeisten.  Wer  hingegen  sich  für  würdig  hält,  der  ist 
gerade  recht  unwürdig,  denn  er  ist  voll  Hochmuths  und  Schein- 
heiligkeit. 

Uebrigens  war  Janow  weit  entfernt  die  Leute  zur  Theil- 
nahme am  heil.  Abendmahl  zu  nöthigen.  Er  wünschte  vielmehr 
das  freie  selbsteigene  Verlangen  nach  dieser  Seelenspeise  zu 
wecken.  Dann  aber  nahm  er  sich  derjenigen  Gemeindeglieder 
nachdrücklich  an.  welche  die  tägliche  Communion  verlangten. 


1)  De  regulis  V.  et  Xovi  Test.  Lib.  I.,  bei  Jordan,  ti2  folg.  Matthias 
erwähnt  hier  namentlich  die  »ruhmvolle  Jungfrau  Hildegard  und  die  heilige 
Brigitta«,  spricht  auch  von  anderen  würdigen  Frauen,  die  er  in  Paris  und 
Uom,  in  Nürnberg  und  noch  mehr  in  Prag  persönlich  kennen  gelernt  habe. 

2  In  der  zuletzt  angeführten  Stelle  wird  von  gottseligen  Frauen  na- 
mentlich hervorgehoben,  continuis  devotionibus  sujnere  gaudiose  sacra- 
mentum  altaris  singulis  diebus. 

Lechler,  Wiclif.  II.  9 


130 


Buch  III.    Kap.  3.  I. 


Er  vertheidigte  sowohl  die  Sitte  an  sich  als  diejenigen  Personen, 
welche  jenes  Verlangen  kund  gaben,  gegen  Bedenken ,  die  da- 
gegen erhoben  wurden.  In  Gemässheit  seiner  Ueberzeugung  von 
dem  allgemeinen  Priesterthum  aller  wahrhaft  Gläubigen  erwähnt 
er  insbesondere ,  dass  fromme  Genieindeglieder  an  Empfänglich- 
keit für  die  Gnadengabe  des  heil.  Abendmahls  hinter  den  Prie- 
stern keinesweges  zurückstehen.  Dass  Janow  hiebei  auf  die 
Vollständigkeit  des  Sakraments  einen  Werth  gelegt .  und  für  die 
Laien  auch  den  Kelch  gefordert  habe ,  lässt  sich  nicht  durch  ein 
einziges  Wort  von  ihm  nachweisen 1  .  Auch  würde,  da  sein  Drin- 
gen auf  die  häufige  Communion  in  einigen  Provincialconcilien  zur 
Sprache  gekommen  und  misbilligt  worden  ist 2) ,  sicher  auch  die 
Forderung  des  Laienkelchs  beanstandet  worden  sein,  falls  er  sie 
wirklich  gestellt  hätte.  Nur  so  viel  ist  gewiss,  dass  Janow.  nach 
dem  Vorgang  von  M  i  1  i  t  s  c  h ,  die  häufige .  wo  möglich  tägliche 
Communion  der  Gemeindeglieder  empfohlen  hat.  Dieser  Punkt 
führte  nur  mittelbar  auf  die  spätere  hussitische  Forderung  des 
Laienkelchs,  erstlich  insofern,  als  die  Aufmerksamkeit  auf  die 
Communion  überhaupt  hingelenkt  wurde,  zum  anderen  insofern, 
als  Janow  insbesondere  das  allgemeine  Priesterthum  der  Gläu- 
bigen betonte ;  und  gerade  dies  war  einer  der  Quellpunkte  jenes 
hussitischen  Grundsatzes. 

Es  liegt  am  Tage,  dass  Matthias  von  Janow  in  die  Fuss- 
tapfen seines  Lehrers  M  i  1  i  t  s  c  h  getreten  ist .  sofern  er  die  Ver- 
derbniss  der  Kirche  seiner  Zeit  unter  den  Gesichtspunkt  des  sich 
offenbarenden  Antichrist  gestellt .  und  als  das  fruchtbarste  Mittel 


1)  Die  Worte,  welche  Neander,  Kirchengesch.  II,  TOS.  Anm  4.  3.  Aufl. 
als  kategorischen  Grundsatz  auffasst .  haben  lediglich  nur  historische  Trag- 
weite. 

2)  Laut  Mittheilung  von  Palacky,  Gesch.  v.  Böhmen,  III,  J.  170  er- 
wähnt Janow  in  der  zweiten  Kecension  seines  Werkes  De  reynlis  V,  ft 
N.  T.f  I.  Buch,  selbst,  dass  die  Prager  Provincialsynode  vom  Oktober  1388 
beschlossen  habe,  Laien  seien  nicht  öfter  als  einmal  im  Monat  zur  Commu- 
nion zuzulassen.  Und  auf  dem  Provincialconcil  des  Jahres  1389  wurde  Janow 
zu  dem  Anerkenntniss  bewogen,  dass  Laien  nicht  zur  täglichen  Commu- 
nion zu  ermahnen  seien;  den  Satz  von  der  Heilsamkeit  der  häufigen 
Communion  zu  misbilligen  wurde  ihm  nicht  zugemuthet.  Vgl.  HoEFLEB, 
Conci/iu  Prarjensia,  in  Abb.  d.  k.  böhm.  Ges.  der  Wiss.  1862.  S.  37  foj£ 


Matthias  von  Janow  und  Militsch. 


131 


geistliches  Wachsthums,  sittlicher  Stärkung-  zum  Kampfe  die 
häufige  Communion  der  Gemeindeglieder  empfohlen  hat.  Indes 
hat  Janow  einige  Schritte  weiter  gethan  als  Militsch,  indem 
er  durch  die.  4  Jahre  nach  des  letzteren  Tod  ausgebrochene  Papst- 
Bpaltung  zu  desto  ernsterem  Nachdenken  über  die  Ursachen  des 
Uebels  und  über  die  Mittel  der  Heilung  geführt  wurde.  Während 
Militsch  immer  noch  an  eine  Reform  von  oben,  durch  den  Papst 
selbst  dachte,  ist  Janow  davon  zurückgekommen.  Das  Schisma 
selbst  half  ihm  zur  Lossagung  von  diesem  Standpunkt.  Er  that 
schon  tiefere  Blicke  in  das  widerchristliche  Wesen,  welches  weit 
und  breit  im  Schwange  ging.  Zugleich  erkannte  er  klarer  als 
seine  Vorgänger,  dass  der  Anschluss  an  Christum  den  Gekreuzig- 
ten, als  den  einigen  Herrn  (im  Gegensatz  zu  der  Heiligenvereh- 
rung .  dass  die  sittliche  Gemeinschaft  mit  Christo  und  die  Nach- 
folge in  seinem  Wandel  das  wahre  Heilmittel  für  alle  Schäden 
der  Seele  und  der  gesammten  Kirche  sei :  damit  hing  bei  ihm 
der  Grundsatz  zusammen,  dass  menschliche  Satzungen.  Erfin- 
dungen und  Ceremonien  zurückzustellen  seien ,  dass  die  Kirche 
zu  den  einfachen  Anfängen  der  apostolischen  Zeit  zurückgeführt 
werden  müsse. 

In  allen  diesen  Gedanken  liegen  bedeutsame  Grundlinien 
für  die  Reform  der  Kirche ,  Keime ,  welche  theils  durch  Johann 
Hus,  theils  ein  Jahrhundert  später  durch  die  deutsche  Reforma- 
tion zur  Entwicklung  gebracht  worden  sind.  Ja  man  kann  Ne- 
ander  mit  gutem  Grunde  zustimmen,  wenn  er  urtheilt,  Hus  sei 
eher  zurückgeblieben  hinter  Matthias  von  Janow,  als  dass  er 
über  ihn  hinausgegangen  wäre  1  . 

AI  »er  auch  abgesehen  von  den  bisher  erwähnten  drei  Män- 
nern ,  hat  es  in  den  letzten  Jahrzehenten  des  XIV.  Jahrhunderts 
in  Böhmen .  zumal  in  Prag  selbst ,  auch  sonst  nicht  gefehlt  an 
Personen .  welche .  wenn  auch  nicht  so  tief  und  vielseitig  wie 
J  a  n  o  w .  doch  wenigstens  in  einzelnen  Stücken  gegen  gewisse 


1)  Kirchengeschichte,  II.  777  3.  Aufl.  .  Xeaxder  hat  die  eingehendste 
Darstellung  der  Gedanken  Janow's  gegeben.  Ihm,  nebst  Palacky  und 
Jordan,  folgt  Krümmel,  Gesch.  der  böhm.  Reformation  im  XV.  Jahrhun- 
dert.  Gotha  1S6G.  72— lüu. 

9* 


132 


Buch  III.    Kap.  '6.  I. 


Lehren  und  Gebräuche  der  katholischen  Kirche  oppouirten  und 
einzelne  Reformen  befürworteten.  Auf  dem  Prager  Provincial- 
concil  1389  mussten  nebst  Janow  zwei  sonst  nicht  bekannte 
Kleriker ,  ein  Priester  Jakob  und  ein  gewisser  Andreas  einzelne 
Aeusserungen  wider  die  Verehrung  der  Jungfrau  Maria  und  ande- 
rer Heiligen,  auch  gegen  die  Verehrung  von  Reliquien  und  Heili- 
genbildern widerrufen  *) .  Ausserdem  werden  noch  einige  Theolo- 
gen und  Prediger  genannt,  z.  B.  Matthäus  von  Krokow  in  Pom- 
mern, ein  Doctor  der  Theologie  in  Prag,  der  1410  als  Bischof 
von  Worms  starb ,  Johann  von  Bor,  Doctor  der  Rechte ,  Wen- 
zel Rohle,  Pfarrer  zu  St.  Martin  in  der  Altstadt,  Johann  von 
Stjekna,  ein  Cistercienser,  1373 — 1405.  Den  letzteren  rühmt 
Hus  als  trefflichen  Prediger  und  betrachtet  ihn  offenbar  als  einen 
Mann  der  Opposition ,  wie  das  auch  ein  Gegner  von  Hus  thut, 
Magister  Andreas  von  Böhmischbrod ,  in  einer  Stelle,  wo  er  den- 
selben einem  Militsch  und  Konrad  von  Waldhausen  zur.  Seite 
stellt2).  Magister  Wenzel  Rohle  sprach  sich  im  Frühling  1393, 
während  des  Prager  Jubeljahrs,  gegen  die  Ablässe  aus,  welche 
durch  Geldopfer  und  Wallfahrten  aus  einer  Kirche  in  die  andere 
erworben  werden  sollten ,  er  nannte  sie  geradezu  Betrügereien  . 
Der  Dr.  von  Bor  schrieb  gegen  die  Bettelmönche.  Und  Matthias 
von  Krokow  ist  durch  seine  wenn  auch  erst  später  abgefasste 
freimüthige  Rüge  wider  die  »Unsauberkeiten  der  römi- 


1)  Hoefler,  Concilia  Prayensia,  Prag  ]Mi2.  38  folg. 

2)  Hus  nennt  ihn  in  einer  Predigt  Joannes  St ekna  velut  tuba  resomms 
praedicator  eximius,  Werke  von  Hus,  Nürnb.  1558,  II,  412  und  Andreas 
de  Broda  erwähnt  gegen  Hus  1414:  ab  emtiquis  temporibus  Milicius, 
Cowradus,  Sezekna  et  alü  quam  plwimi  contra  clericos  praedieaverunt;  eine 
Stelle,  aus  deren  Misverstand  der  Irrthum  geflossen  ist,  dass  man  Conrad 
und  Stjekna  fast  drei  Jahrhunderte  lang  für  eine  Person  gehalten  hat. 
Vgl.  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  l.  182.  Anm.  Jordan,  a.  a.  0. 
S5.  2. 

.'i;  Chromeon  Universitatis  Pragensis ,  in  Hoefler,  Geschichtschreiber 
der  hussitischen  Bewegung,  I.  Wien  1 856.  14.  Die  Meinung,  dass  der  Pre- 
diger durch  Drohungen  des  Königs  von  seinen  Aeusserungen  wider  den 
Ablass  abgebracht  worden  sei  (Krümmel,  Gesch.  der  böhm.  Reformation 
I8<if>.  I0:j;  ist  irrig;  sie  beruht  auf  einem  Druckfehler  bei  Hoefler,  a.  a.  O.: 
minis  statt  mimus. 


Johann  Hus. 


133 


sehen  Kurie«  bekannt.  Die  Quelle  dieser  Schäden  glaubte  er 
in  dem  päpstlichen  Absolutismus  entdeckt  zu  haben  1  . 

Beweis  genug,  dass  in  jener  bewegten  Zeit  kurz  vor  und 
bald  nach  dem  Ausbruche  der  Papstspaltung  auch  in  Böhmen  viel 
geistige  Bewegung  und  unerschrockene  Rüge  kirchlicher  Mis- 
stände  Platz  griff,  sodass  ein  Janow  keineswegs  isolirt  stand, 
wenn  auch  kaum  ein  anderer  von  seinen  Zeit-  und  Volksgenossen 
so  tiefe  Blicke  in  die  Wirklichkeit  gethan  hatte  und  die  Sachen  so 
vielseitig  zu  prüfen  vermochte  als  er  selbst. 

II. 

Johann  Hus  hat  die  reformatorischen  Kräfte  und  evangeli- 
schen Gedanken,  welche  schon  seit  Jahrzehenten  in  Böhmen  hei- 
misch waren,  in  sich  vereinigt,  und  zugleich  die  Wiclif 'sehen 
Lehren .  welche  vom  Ausland  her  nach  Prag  verpflanzt  wurden, 
sich  angeeignet.  Dazu  kam .  dass  die  Angelegenheit  der  Kir- 
chenreforni  durch  ihn  vollends  eine  Nationalsache  der  Tschechen 
wurde. 

Johann  Hus.  ursprünglich  Johann  von  Husinetz  genannt 2  . 
ist  in  dem  Marktflecken  Husinetz  am  Fusse  des  Böhmerwaldes, 
unweit  der  Moldauquelle  und  der  bayerischen  Grenze,  am  6.  Juli 


1  De  squaloribus  romanae  curiae,  bei  Walch  ,  Monimenta  medii  aevi, 
Vol.  I.  fasc.  1.  Die  Schrift  ist  sicherlich  nicht  eine  schon  13S4  gehaltene 
Synodalrede  Palacky  a.  a.  O.  III,  1,  282.  Anm.',  denn  sie  erwähnt  unter 
den  »modernen  Häretikern«  namentlich  auch  »Hussiten«  (Hoefler,  Con- 
eilia  Pragensia ,  Einleitung  LVII )  ,  ist  vielmehr  mit  Gieseler  in  die  Re- 
gierungszeit Papst  Bonifacius  IX.  (1389  -  1403  zu  setzen.  Ueber  Matthäus 
und  seine  Schrift  berichtet  eingehend  ÜLLMANN ,  Reformatoren  vor  der  Re- 
formation 1£66.  I,  279  ff. 

2)  Laut  des  Liber  decanorum  Facultatis  pltilosophicae  Univ.  Prag.,  in 
Monument a  Historien  Universitatis  Pragensis,  I,  1,  1830  heisst  Hus,  ehe  er 
zum  Magister  promovirt  war,  immer  nur  Jo.  Hussynecz,  Husr.inecz, 
Hussenicz  u.  s.  w.  2s(i.  309.  Es  scheint,  er  hat  erst  seitdem  er  Magister 
geworden  4396),  angefangen,  sich  Joannes  Hus  zu  schreiben,  wiewohl  er 
auch  nachher  noch  hie  und  da  sich  Jo.  de  Hussynecz  schreibt,  z.  B.  1401, 
S.  368.  vgl.  das  Facsimile  in  Tafel  1.  des  genannten  Bandes.  Ja  selbst 
noch  im  XVI.  Jahrhundert  (1563)  wird  er  a.  a.  O.  Band  I,  2.  376.  mag. 
Joannes  Hus.y'necius  genannt. 


134 


Buch  III.    Kap.  3.  EL 


1369.  im  Todesjahre  KonracTs  von  Waldhausen .  geboren1).  Er 
stammte  aus  dem  eigentlichen  Volke  tschechischer  Nationalität, 
indessen  waren  seine  Eltern  verhältnissmässig  wohlhabend.  Seine 
Studien  machte  Hus  auf  der  Universität  Prag,  dort  promovirte 
er  1393  zum  Baccalaureus  der  freien  Künste,  1394  zum  Bac- 
calaureus  der  Theologie,  und  wurde  1396  Magister  der  freien 
Künste :  Doctor  der  Theologie  ist  er  niemals  geworden .  so  we- 
nig als  später  Melanchthon.  Zwei  Jahre  nachdem  er  Magi- 
ster geworden,  1398,  fing  er  an  Vorlesungen  an  der  Universität  zu 
halten.  Welche  Achtung  er  inmitten  dieser  gelehrten  Körperschaft 
sich  zu  erwerben  wusste,  davon  legt  die  Thatsache  Beweis  ab, 
dass  er  in  raschem  Laufe  verschiedene  Funktionen  und  Ehren- 
ämter an  der  Universität  erlangte:  schon  139S  wurde  er  zum 
Examinator  für  die  Bewerber  um  das  Baccalaureat  von  Seiten  der 
böhmischen  Nation  erwählt,  drei  Jahre  später,  15.  October  1401, 
zum  Decan  der  philosophischen  Facultät:  und  im  October  1402 
wurde  er  sogar  Rector  der  Prager  Universität,  und  bekleidete 
diese  höchste  Würde  derselben,  nach  damaliger  Sitte  ein  Halbjahr 
lang,  bis  Ende  April  1403  2  . 

Durch  seine  Stellung  an  der  Universität  hatte  Johann  Hus 
etwas  voraus  vor  denjenigen  Männern .  welche  vor  ihm  für  Re- 
form der  Kirche  gearbeitet  hatten:  Konrad,  Militsch  und  Mat- 
thias von  Janow  waren  sämmtlich  in  klerikalen  Aemtern  gestan- 
den .  und  hatten  keine  amtliche  Wirksamkeit  an  der  Universität 
gehabt.  Dem  Magister  Hus  war  aber  ebendeshalb  nicht  allein 
ein  bedeutsamer  Wirkungskreis  geöffnet .  sondern  auch  vermöge 
der  Regel :  docenclo  disa'mus ,  ein  fruchtbares  Mittel  der  eigenen 
Fortbildung  gegeben.  Wir  zweifeln  keinen  Augenblick  daran, 
dass  gerade  die  Vorlesungen.  Disputationen,  Prüfungen  und  an- 
dere akademische  Akte,  zu  denen  Hus  nun  berufen  war.  für  ihn 


1    Das  Jahr  hat  C.  Hoefler  in  »Mittheilungen  des  Vereins  f. 

Gesch.  der  Deutschen  in  Böhmen«,  1STÜ.  S.  90.  Anm.  angezweifelt.  Indes 
scheint  die  Bemerkung  des  Petrus  Codicillus,  worauf  er  sich  stützt,  nicht 
den  ersten  Römerzug  Karls  IV.,  sondern  seine  zweite  Romfahrt  1368  im 
Auge  zu  haben.  Und  darnach  würde  die  Geburt  Husens  in  dieses  Jahr 
nicht  1B69]  fallen. 

2]  Mouumentu  historica  Universitatis  Pratensis,  I,  1.  S.  :MÜ. 


Johann  Hus  als  Universitätslehrer. 


I 

135 


Veranlassung  wurden,  sich  in  die  'philosophischen)  Schriften 
Wie  Ii  f  "s,  die  ihm  schon  seit  einigen  Jahren  bekannt  waren, 
immer  mehr  zu  vertiefen.  Ja  wir  glauben  die  ganz  specielle  Ver- 
umthung  wagen  zu  dürfen ,  dass  er  seine  ersten  Vorlesungen  an 
der  Hand  Wiclif scher  Abhandlungen  gehalten  habe.  Es  ist  That- 
sache,  dass  Hus  im  Jahr  1398  angefangen  hat,  Vorlesungen  zu 
halten,  welche  jedenfalls  philosophische  Gegenstände  betrafen. 
Weiter  erlaubten  die  Satzungen  der  Prager  philosophischen  Fa- 
cultät  jedem  Baccalaureus  nur  nach  Heften  eines  Magisters 
von  Prag,  Paris  oder  Oxford  zu  lesen,  während  ein  Magister 
überdem  das  Recht  hatte ,  selbständige  Vorträge  zu  halten  *) .  Da 
nun  die  jetzt  in  Stockholm  befindliche  Handschrift  von  fünf  philo- 
sophischen Abhandlungen  Wiclif 's  gerade  auch  im  Jahr  1398 
von  Hus  selbst  geschrieben  ist2),  so  liegt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  er  diese  Abschrift  bei  seinen  ersten  philosophischen  Vorle- 
sungen benützt  haben  dürfte.  Dazu  kommt,  dass  der  gelehrte 
Berichterstatter  bezeugt,  jener  Codex  zu  Stockholm  habe  ganz  die 
Form  der  um  jene  Zeit  üblichen  akademischen  Hefte. 

So  viel  ist  gewiss,  dass  Hus  die  philosophischen  Schriften 
Wiclif 's  gekannt  und  mit  Vorliebe  studirt  hat,  ehe  er  dessen 
theologische  Schriften  kennen  lernte.  Und  es  ist  keinem  Zweifel 
unterworfen,  dass  er  dem  philosophischen  Realismus  Wiclif  s 
zugethan  war,  bevor  er  sich  mit  den  Gedanken  theologischer 
Reform  durchdrang,  welche  er  aus  Wiclif  sich  aneignete.  Die 
theologischen  Schriften  Wiclif  s  lernte  er  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  nicht  vor  dem  Jahr  1400,  vielleicht  erst  1402  kennen  3  . 
Allein  die  tiefere  Wirkung  derselben  auf  Gemüth  und  Gewis- 
sen des  Johann  Hus  war  noch  durch  andere  Verhältnisse  mit 
bedingt. 

Wir  haben  Grund  anzunehmen,  dass  im  Lauf  der  männlichen 
Jahre  eine  Erweckung  in  ihm  vorgegangen  ist.  Einerseits  war  er 


1  Monum.  hist.  Univ.  Pragensis,  I,  1.  S.  41.  u.  50.  Satzung  vom  20. 
April  1367. 

2  Dtdik,  Forschungen  in  Schweden  für  Mährens  Geschichte,  Brünn 
1S52.  19S  ff. 

6  Vgl.  Palacky,  Die  Geschichte  des  Hussitenthums ,  2.  Aufl.  Prag 
18^8.  115  folg. 


136 


Buch  III.    Kap.  3.  EL 


als  Student  von  einer  unbedingten  Devotion  beseelt  gegen  die 
Gebräuche  und  Gnadenschätze  der  römischen  Kirche;  denn  wir 
hören,  dass  er  zur  Zeit  des  Prager  Jubeljahrs  1393  in  die  Peters- 
kirche auf  dem  Wyschehrad  zur  Beichte  ging ,  die  letzten  4  Gro- 
schen ,  die  er  besass .  dem  Beichtiger  gab ,  und  die  vorgeschrie- 
benen Processionen  mitmachte,  um  des  Ablasses  theilhaftig  zu 
werden.  Ein  Ausfluss  überschwänglicher  Andacht,  den  er  später 
bereut  hat,  wie  er  auf  der  Kanzel  offen  bekannte 1  .  Andererseits 
konnte  mit  dieser  katholisch  devoten  Stimmung  sich  ganz  wohl 
vertragen  eine  gewisse  Neigung  zu  leerem  Zeitvertreib  (z.  B.  mit 
Schachspiel;  und  eine  eitle  Vorliebe  für  Luxus  in  der  Kleidung, 
wie  Hus  in  einem  Anfangs  October  1414,  vor  der  Abreise  nach 
Constanz  an  einen  geliebten  Schüler ,  Magister  Martin,  geschrie- 
benen Briefe,  offen  bekennt2).  Aus  dieser  Beichte  man  kann  die 
Aeusserung  wohl  so  nennen )  lässt  sich  ersehen ,  wie  streng  er 
jetzt  über  sich  selbst  urtheilte. 

Uebrigens  war  Hus  von  jeher  beseelt  von  einer  redlichen 
Wahrheitsliebe ;  sagt  er  doch  selbst  in  einem  akademischen  Akte, 
es  sei  ihm  nicht  um  hartnäckige  Behauptung  seiner  einmal  ge- 
fassten  Ansicht .  sondern  um  die  Wahrheit  zuthun:  er  habe, 
von  der  ersten  Zeit  seines  Studiums  an.  sich  das  zur  Kegel  ge- 
macht, so  oft  er  in  irgend  einem  Punkt  eine  richtigere  Ansicht 
vernehme,  von  seiner  früheren  Ansicht  mit  Freuden  und  demüthig 
abzugehen  8) .  Demgemäss  hat  er  auch  die  unbedingte  Verehrung 
vor  dem  Papst,  welche  er  früher  gehegt  hatte,  aufgegeben,  als 
ihm  ein  helleres  Licht  aus  der  heil.  Schrift  und  eine  vollere  fir- 
kenntniss  von  dem  Leben  und  Wandel  des  Erlösers  aufging 4) . 

1  Chronicon  Universitatk  Pragensis,  bei  HoEFLER ,  Geschichtschreiber 
der  hussit.  BeAvegung.  I,  15. 

2)  Documenta  Mar/.  Joannü  Hus  —  ed.  Palacky,  Prag  1869.  74  folg 
Der  Brief  ist  nicht  erst  im  Kerker  in  Constanz,  sondern  noch  in  Prag  ge 
schrieben,  auch  nicht  an  den  Prediger  der  Bethlehemskapelle,  Hawlik,  ge- 
richtet, wie  Böhringer,  Vorreformatoren,  II,  108.  und  Krümmel.  Gesch. 
der  böhm.  Ref.,  104.  angeben;  der  letztere  verbessert  übrigens  145.  Anm.  f 
unbewusst  sich  selbst. 

3)  Werke  von  Hus,  1558;  I,  106,1. 

4)  In  der  böhmischen  Postille,  s.  Nowotny,  J.  Uns  Predigten.  Gör- 
litz 1855,  2.  01:  »O  die  betrügen  sich,  die  vor  dem  Papste  niederfallen, 


Stiftung  der  ßethlehemskapelle  in  Prag 


l$7 


Suchen  wir  dem  Zeitpunkt  und  dem  ursäehlichen  Zusammen- 
hang dieser  Erweekung  und  Wandlung',  die  in  Hus  vorgegan- 
gen ist.  näher  nachzuspüren,  so  werden  wir  auf  den  Moment  ge- 
führt .  wo  er  das  Predigtamt  an  der  Bethlehemskapelle  in  Prag 
übernahm .  und  zu  diesem  Behufe  die  Priesterweihe  empfing. 
Denn  er  selbst  nennt  in  jener  brieflichen  Aeusserung  gerade  den 
Empfang  der  Priesterwürde  als  den  Zeitpunkt,  vor  welchem  er 
mehr  Zeit,  als  recht  war.  dem  Schachspiel  gewidmet  und  dadurch 
sich  selbst  und  andere  zum  Zorn  gereizt  habe  1  .  Wir  kommen 
hiemit  auf  das  Jahr  1402.  und  finden,  dass  Hus  gerade  durch 
das  Predigtamt  an  jener  Kapelle  innerlich  gefördert  und  persön- 
lich erweckt  worden  ist.  Wie  hing  das  zusammen  ? 

Im  Jahre  1391  bestimmte  ein  vermöglicher  Prager  Kaufmann 
Namens  Kreuz  ein  ihm  gehöriges  Grundstück  innerhalb  des 
Pfarrsprengels  der  Kirche  Philippi  und  Jacobi  in  der  Altstadt 
Prag  zu  einer  Kapelle  der  unschuldigen  Kindlein,  welche  den 
Namen  Bethlehem  führen  sollte.  Sodann  stiftete  Johann  von 
M  ü  1  h  e  i  m  .  aus  Pardubitz  gebürtig .  Kitter  und  königlicher  Rath, 
am  24.  Mai  1391,  die  Fundation  zu  einem  geistlichen  Amt  an  der 
Bethlehemskapelle  wodurch  er  das  Patronatrecht  erwarb  .  und 
zwar  mit  der  Bestimmung,  dass  der  Kaplan  capellarius ,  auch 
rector  genannt  .  welcher  ein  Weltgeistlicher  sein  müsse .  ledig- 
lich nur  das  Predigtamt  zu  verwalten  habe ,  aber  in  böhmischer 
Sprache  :  das  Messelesen  solle  ganz  seinem  gewissenhaften  Er- 
messen anheimgestellt  bleiben.  Erzbischöfliche  und  königliche 
Bestätigung  dieser  Stiftung  wurde .  so  weit  nöthig.  eingeholt  und 
ertheilt-  .  Später,  im  Jahr  1396.  stiftete  Kaufmann  Kreuz  einen 
Altar  der  heil.  Margaretha.  Catharina  u.  s.  w..  und  eine  Pfründe, 
deren  Inhaber  an  diesem  Altar  Messe  lesen  sollte :  und  so  scheint 

und  alles  für  gut  halten  Avas  er  thut .  wie  ich  es  auch  für  gut  hielt, 
als  ich  die  heil.  Schrift  und  das  Leben  meines  theuren  Heilan- 
des noch  nicht  kannte. 

1  Documenta  ed.  Palacky,  74 :  Proh  dolor  ante  sacerdotium  meuin 
libenter  et  saepe  schacos  htsi  etc. 

2)  Monumetüa  Uhiversituhs  Pragmsi*,  TL,  l.  Codex  diplomaticus ,  Nr. 
24.  85.  S.  297  —  3öS.  Diese  Sammlung  enthält  überhaupt  nicht  weniger  aK 
14  Urkunden,  welche  sich  auf  die  Bethlehemskapelle  beziehen. 


138 


Buch  III.    Kap.  3.  II. 


es  in  der  That,  als  sei  Kreuz  ein  unbedingter  Anhänger  des  gan- 
zen römisch-katholischen  Kultus  gewesen l) .  Hingegen  Mü  lh  e  i  in 
stand,  laut  seiner  Stiftungsurkunde,  ganz  anders.  Nicht  als  hätte 
er  irgendwie  einer  bewussten  Opposition  gegen  das  in  der  Kirche 
Bestehende  gehuldigt.  Wohl  aber  legte  er  ausdrücklich  auf  die 
Predigt  des  göttlichen  Worts  einen  ganz  ausserordentlichen 
Werth ,  und  hielt  sie  für  die  den  Seelen  nützlichste  Funktion  in 
der  Kirche;  ferner  lag  ihm  daran,  dass  gerade  dem  Volk  die 
Erquickung  durch  die  Predigt  zu  Theil  werden  möchte,  und 
dass  ihm  das  Wort  Gottes  in  seiner  Muttersprache  gepredigt 
werde«.  Darum  vermisste  er,  ungeachtet  die  schon  damals  kir- 
chenreiche Stadt  Prag  viele  Gotteshäuser  besass,  doch  eine  vor- 
zugsweise der  Predigt  dienende  Stätte ,  indem  die  Kirchen  zu 
so  vielen  anderen  heiligen  Handlungen  bestimmt  seien.  Ferner 
beklagte  Mülheim  als  unangemessen ,  dass  die  Prediger,  zumal 
wenn  sie  tschechisch  predigen ,  auf  Hausandachten  und  Conven- 
tikel  angewiesen  seien.  Um  also  die  Predigt  überhaupt  zu  för- 
dern und  dem  »gemeinen  Volk«  zu  dem  erquickenden  Brode  der 
Predigt  des  Worts  zu  helfen  die  Kapelle  hiess  Bethlehem,  Haus 
des  Brodes ,  ein  Name ,  auf  welchen  der  Stifter  selbst  Nachdruck 
legte),  verpflichtete  er  den  Kaplan,  an  allen  Kirchentagen  früh 
und  nach  Tische,  in  der  Advents-  und  Fastenzeit  nur  früh  zu 
predigen  für  das  »gemeine  Volk«  in  der  Landessprache;  doch 
möge  er  die  Leute  nicht  zu  lange  hinhalten ,  damit  sie  in  ihren 
Parochialkirchen  noch  zum  Gottesdienst  kommen  können 2) .  Nach 
alle  dem  scheint  Johann  von  Mülheim  einer  von  denjenigen  ge- 
wesen zu  sein,  in  welchen  der  Geist  von  Volkspredigern  wie 
K  o  n  r  a  d  und  M  i  1  i  t  s  c  h  •  nachwirkte ,   und  die  Liebe  zu  der 


1]  a.  a.  0.  Nr.  35.  S.  329  —  334. 

2  a.  a.  O.  S.  301.  304.  Interessant  ist  die  Bemerkung  Mülheim's 
über  die  tschechischen  Prediger :  Praedicantes  ipsi,  specialiter  vulgaris  Boe- 
mici  eloquii,  plerumque  per  domos  et  latebras  cogunttir ,  quod  non  congruit, 
divagar i ,  quemadmodum  saepius  notabiliter  est  compertum.  Während  man, 
als  Militsch  tschechisch  zu  predigen  anfing,  von  incongruentia  vulgaris 
st-rmonis  sprach,  s.  üben  S.  110.  Anm.,  fand  Mülheim  nun  schon  etwas  un- 
angemessenes darin,  dass  Prediger  in  der  Volkssprache  sich  genöthigt  sahen, 
in  Conventikeln,  statt  in  Kirchen,  tschechisch  zu  predigen. 


Wachsendes  Nationalgefühl. 


1:19 


Predigt  und  Gottes  Wort,  die  Matthias  von  Janow  geweckt 
und  genährt  hatte ,  zur  That  gereift  ist.  Dazu  kommt  der  aus- 
schliesslich nationale  Charakter,  den  die  Stiftung  Mülheim 's 
an  sich  trägt.  Als  Militsch  anfing  böhmisch  zu  predigen,  war 
dies  eine  Neuerung,  welche  noch  vielfache  Misbilligung  fand, 
.letzt  erlangte  die  Stiftung  einer  Kapelle  und  Pfründe  für  böh- 
mische Predigt  selbst  von  Seiten  des  erzbischöflichen  Ordinaria- 
tes ohne  den  mindesten  Anstand  die  erforderliche  Genehmigung. 
Militsch  war  weit  davon  entfernt  gewesen,  ausschliesslich 
tschechich  predigen  zu  wollen;  das  Predigtamt  an  der  Bethle- 
hem skapelle  aber  wurde  ausnahmslos  zu  tschechischer  Predigt 
verpflichtet.  Wir  sehen,  das  Nationalgefühl  hatte  in  den  25  Jah- 
ren, seit  Militsch  erstmals  als  tschechischer  Prediger  aufgetre- 
ten war,  namhafte  Fortschritte  gemacht.  War  doch  auch  der 
l  instand  ein  Beweis  nationalen  Interesses ,  dass  Mülheim  drei 
Mapstern  des  Carlscollegiums  böhmischer  Nation  die  Befug- 
niss  ertheilte,  in  Gemeinschaft  mit  dem  Bürgermeister  der  Alt- 
stadt, ihm  als  Collator  des  Predigtamts  an  der  Bethlehemskapelle 
einen  Dreiervorschlag  zu  machen,  aus  dem  er  selbst  dann  den 

Kaplan«  ernennen  wolle. 

Im  Jahr  1402  resignirte  der  Magister  Stephan  von  Kolin 
freiwillig  auf  das  Pfarramt  an  der  Bethlehemskapelle.  Nun  prä- 
sentirte  der  Collator  Johann  von  Mülheim  den  [Johann  Hus  zum 

Reetor  und  Pfarrer«  der  Bethlehemskapelle,  und  der  Erzbischof 
bestätigte  ihn  *) .  Diese  Ernennung  ist  von  der  nachhaltigsten  Be- 
deutung geworden  für  Hus'ens  innere  Entwickelung,  für  die  Stadt 
Prag,  und  für  ganz  Böhmen.  Denn  durch  den  übernommenen  Be- 
ruf zur  Predigt  und  Gottes  Wort  verpflichtet,  durch  seine  Stel- 
lung aller  liturgischen  Handlungen  und  pfarramtlichen  Geschäfte 
überhoben,  als  tschechischer  Prediger  so  recht  an  das  Volk  selbst 
gewiesen,  hat  sich  Hus  in  das  Wort  Gottes  immer  mehr  vertieft; 
und  während  eine  andächtige  Gemeinde  sich  um  ihn  sammelte, 
ist  er  selbst  im  Glaubensleben  gewachsen  und  erstarkt.  Auch 
das  Studium  der  theologischen  Schriften  Wiclif's,  dem  er  sich 

1  a.  a.  0.  Nr.  50.  S.  397  folg.  Urkunde  vom  14.  März  1402,  ausgestellt 
vom  Prager  Generalvicar. 


140 


Buch  III.    Kap.  :i.  II. 


seit  einigen  Jahren  widmete,  hat  erst  mittels  dieses  Predigtamts 
einen  fruchtbaren  Boden  bei  Hus  gefunden. 

Es  war  keineswegs  ein  einseitig  gelehrtes  und  wissenschaft- 
liches Interesse,  sondern  ein  Drang  des  frommen  Herzens  und  des 
Gewissens,  welches  ihn  zu  Wiclif  hinzog,  ihm  für  dessen  Ge- 
danken den  Sinn  öffnete,  und  ihn  für  Wiclif 's  Reformbestre- 
bungen begeisterte 1  . 

Wir  gedenken  nicht,  die  ganze  Laufbahn  von  Johann  Hus 
Sehritt  vor  Schritt  zu  verfolgen ;  es  genügt ,  die  Hauptumrisse 
derselben  anzudeuten,  da  für  uns  hier  der  Schwerpunkt  darauf 
liegt,  wie  sich  der  Lehrbegriff  und  die  kirchliche  Gesinnung  von 
Johann  Hus  zu  dem  Lehrbegriff  und  der  kirchlichen  Stellung 
Wiclif  s  verhält. 

Während  Hus,  seit  seiner  Erweckung,  im  Kern  der  theolo- 
gischen Denkart  und  kirchlichen  Gesinnung  sich  gleich  blieb, 
fand  in  der  praktischen  Verwerthung  derselben  mit  der  Zeit 
eine  Wandlung  bei  ihm  statt,  welche  durch  die  äusseren  Verhält- 
nisse bedingt  war.  In  dem  ersten  Stadium  stand  er  nicht  in 
Opposition  gegen  das  Kirchenregiment,  vielmehr  hoffte  er  eine 
Reform  mit  Hülfe  seiner  Oberen  und  durch  sie  bewirken  zu 
können.  Im  zweiten  Stadium  musste  er  diese  Hoffnung  auf- 
gaben, und  arbeitete  für  eine  Kirchenreform  in  Opposition  gegen 
das  Kirchenregiment.   Den  Wendepunkt  bildete  das  Jahr  J  HO. 

Das  erste  Stadium  erstreckte  sich  vom  Jahr  1402 — 1410. 
Da  fehlte  es  zwar  auch  nicht  an  mannigfachen  Kämpfen,  theils 
wissenschaftlicher  Art,  an  der  Universität,  theils  sittlicher  Art. 
im  Predigtamt  und  im  kirchlichen  Leben.  Dessen  ungeachtet  war 
die  Stellung  von  Hus  in  mehr  als  einer  Hinsicht  günstig  genug. 
M  in  Wirken  verhältnissmässig  harmlos,  in  keiner  Weise  opposi- 
tionell. Selbst  die  Disputationen  über  Wiclif sehe  Sätze  waren 

1,  Ein  taboritischer  Chronist  des  XV.  Jahrhunderts.  Nicolaus  von  Pel- 
hrimow,  bezeugt,  dass  »die  JJüehcr  des  evangelischen  Doctors,  Magister 
Johann  Wiclif,  dem  seligen  Magister  Johann  Hub,  wie  mehrere  glaub- 
würdige Männer  aus  seinem  eigenen  Munde  wissen ,  die  Augen  geöffnet 
haben,  während  er  sie  las  und  wieder  las  nebst  etlichen  die  ihm  anhin- 
gen« u.  s.  w.  bei  HOEFLEB,  Geschichtschreiber  d.  hussit.  Bewegung.  11, 


Johann  Hus  in  seinem  Wirken. 


14  1 


anfänglich  kaum  dazu  angethan,  die  Ruhe  von  Hus  und  seine 
harmlose  Arbeit  zu  beeinträchtigen.  Wenigstens  hat  die  erste 
Erörterung  der  Art,  welche  am  28.  Mai  1403  statt  fand,  nur  die 
Folge  gehabt,  dass  der  Vortrag  gewisser  Sätze,  welche  Wiclif 
thcils  wirklich  angehörten,  theils  ihm  nur  beigelegt  waren,  an 
der  Universität  untersagt  wurde1).  Ja  als  fünf  Jahre  später  die- 
selben 45  Sätze  nochmals,  inmitten  der  Magister,  Baccalaureen 
und  Studenten  von  der  »böhmischen  Nation«  zur  Sprache  kamen 
20.  Mai  1408  .  wurde  in  Folge  der  Verwendung  von  Hus,  das 
frühere  Verbot  nur  mit  der  Beschränkung  gut  geheissen,  es  solle 
kein  Mitglied  der  »böhmischen  Nation«  jene  Artikel  in  einem 
ketzerischen,  irrigen  oder  anstössigen  Sinne  vortragen 
oder  vertheidigen.  Allerdings  wurde  zugleich  verfügt,  dass 
fortan  kein  Baecalaureus  über  Wiclif 's  Dialogus ,  Trialogus 


J  Das  amtlich  beglaubigte  Protokoll  über  jene  Verhandlung  in  Pa- 
lacky  ,  Documenta  Joannis  Hus  vitam  —  illustrantia ,  Prag  1869.  327  — 
331.  HoEFLERj  Concilia  Pragensia,  1862.  43—46.  Es  ergibt  sich  daraus, 
dass  zwei  Mitglieder  des  Domkapitels  zu  Prag,  der  erzbischöfliche  Officiaf. 
Johann  Kbel.  und  Wenzel ,  Archidiaconus  von  Bechin,  im  Namen  des  Ka- 
pitels der  erzbischöfliche  Stuhl  war  damals  unbesetzt1  dem  Rector  der  Uni- 
versität zwei  Reihen  von  angeblich  Wiclif 'sehen  Artikeln  eingereicht  hatten, 
über  welche  Beschluss  zu  fassen  wäre.  Die  erste  Reihe  besteht  aus  den  24 
Artikeln  welche  von  dem  Provincialconcil  zu  London  im  Mai  1382  theils  als 
ketzerisch,  theils  als  irrig  verworfen  worden  waren,  s  oben  Buch  II.  Kap.  8. 
IV.  Die  zweite  Reihe  umfasst  21  Artikel,  welche  ein  Prager  Magister, 
Johann  Hübner,  ein  Schlesier  von  Geburt,  aus  Wiclif  s  Schriften  aus- 
gezogen hatte.  Der  damalige  Rector,  Walther  Harrasser,  berief  sämmt- 
liche  Magister  der  Universität  auf  d.  28.  Mai  1403  in  das  Carlscdlegium.  In 
der  Verhandlung  beschränkte  sich  Hus  selbst  und  Nicolaus  von  Leite- 
rn i  sc  hl  auf  die  Frage  von  der  Aechtheit  der  Artikel,  und  beschuldigten 
Hübner,  dieselben  unrichtig  ausgezogen,  dem  Wiclif  untergeschoben  zu 
haben,  wobei  Hus  äusserte,  solche  Fälscher  von  Büchern  verdienten  mit 
mehr  Recht  den  Feuertod,  als  die  zwei  Männer,  Berlin  und  Wlaska,  welche 
jüngst  wegen  Waarenfälschung  in  Safran  zu  Prag  verbrannt  wrorden  waren. 
Documenta,  178.  Hingegen  Stanislaus  von  Znaim  ging  auf  den  Inhalt 
der  Artikel  selbst  ein  und  vertheidigte  sie  so  lebhaft,  dass  einige  ältere 
Doctoren  Anstoss  daran  nahmen,  und  die  Sitzung  verliessen  (Hus  Werke, 
1558.  Responsio  ad  scripta  Sfanislai  de>Znoyma,  I,  265,  2).  Die  Mehrheit 
beschloss  endlich,  dass  der  Vortrag  jener  Artikel  an  der  Universität  verpönt 
werden  sollte   Documenta  331). 


142 


Buch  III.    Kap.  3.  II. 


oder  De  Eueharistia  Vorlesungen  halten  dürfe,  und  dass  niemand 
eine  These,  welche  sich  auf  Wiclif's  Lehre  und  Schriften  be- 
ziehe, zum  Gegenstand  einer  Disputation  machen  solle1  .  Die 
Anregung  zu  diesem  Akte  war  zwar  von  dem  erzbischöflichen 
Domkapitel  ausgegangen ;  aber  die  Entscheidung  der  Frage  über 
die  Geltung  gewisser  Wiclif'schei\ Sätze  war  doch  der  Autono- 
mie akademischer  Körperschaften  anheimgegeben  ;  und  hin  erhall) 
der  Universität  schwebte  die  Sache  nur  zwischen  den  Parteien  an 
dieser  selbst.  Die  Ergebnisse  waren  beide  Male  nicht  der  Art. 
dass  H  u  s  durch  dieselben  in  seiner  Lehrfreiheit  oder  sonstigen 
Wirksamkeit  beengt  worden  wäre. 

Von  grösstem  Belang  war  in  Betracht  des  kirchlichen  Lebens 
der  Umstand,  dass  Johann  Hus  das  volle  Vertrauen  des  Erz- 
bisch ofs  genoss .  W  o  1  fr a m  von  Sc  h  k  w  o  r  e  t z ,  war  am  2 .  Ma i 
1402  gestorben.  Nach  langer  Erledigungszeit  wurde  der  erz- 
bischöfliche Stuhl  Ende  des  Jahres  1403  mit  Dr.  Sbynko.  oder 
Sbynjek  Sajitz  von  Hasenburg  besetzt.  Er  stammte  aus 
einem  adeligen  Geschlechte  Böhmens,  und  war  zuvor  Propst  zu 
Melnik  gewesen.  Bisher  hatte  er  nicht  gerade  für  das  Reich 
Gottes  gelebt,  besass  auch  sehr  wenig  theologische  Erkcnntniss. 
war  aber  frei  von  hierarchischen  Vorurtheilen  und  Bestrebungen, 
den  kirchlichen  Mißbrauchen  abhold,  ein  Feind  des  Aberglaubens. 
Seine  Würde  übernahm  er  mit  dem  Vorsatz,  strenge  Zucht  zr, 
üben  und  das  kirchliche  Wesen  zu  bessern.  Er  schenkte  Hus 
sein  ganzes  Vertrauen,  ernannte  ihn,  nebst  Stanislaus  vonZnaim. 
zum  Synodalprediger,  und  forderte  ihn  auf.  so  oft  er  irgend  einen 
Mangel  oder  Misbrauch  im  kirchlichen  Leben  in  Erfahrung  bringe, 
die  Sache  ihm.  dem  Erzbischof,  persönlich  oder,  falls  er  abwesend 
sein  sollte,  brieflich  zur  Kenntniss  zu  bringen  -  . 

Da  er  sieh  nun  auf  die  Zustimmung  seines  Erzbischofs  ver- 
lassen konnte,  so  hat  Hus  in  seinen  Synodalpredigten  um  so 
rückhaltloser  und  nachdrücklicher  gesprochen.    Er  schärft  den 


I]  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen.  III.  I.  221  folg. 

2)  In  einem  Schreiben  an  Erzbischof  Sbynko.  vom  Juli  1408,  erinnert 
Hu 8  denselben  an  den  Auftrag,  welchen  derselbe  in  prinripio  restri  regi- 
minis  ihm  ertheilt  habe,  s.  Palacky,  Documenta,  1869.  )5. 


Johann  Hus  als  Synodalprediger. 


143 


Amtsbrüdern  jeden  Kaiiges  ihre  Pflichten  hinsichtlich  der  Amts- 
treue und  des  sittlichen  Wandels  nachdrücklich  ein.  wobei  er 
nicht  unterlässt,  auch  den  Erzbischof  selbst  zu  erinnern,  dass  er 
schuldig-  sei.  der  Geistlichkeit  gegenüber  die  Zucht  streng  zu 
handhaben,  selbst  mit  Gefahr  des  eigenen  Wohls  l) .  Aber  er  be- 
schränkt sich  keineswegs  auf  positive  Vermahnungen,  die  noch 
verhältnissmässig  harmlos  erscheinen  mochten.  Vielmehr  rügt  er 
ausdrücklich  und  freimüthig  mit  der  Schärfe  eines  Censors,  der 
um  die  Ehre  Gottes  eifert,  und  dem  es  um  das  Beste  der  Kirche 
Christi  zu  thun  ist,  die  Fehler,  Sünden  und  Laster  der  Geistlichen 
und  Mönche  bis  zu  den  Prälaten  hinauf,  den  geistlichen  Hoch- 
nmth.  die  hierarchische  Herrschsucht,  den  schnöden  Geldgeiz. 
Habsucht,  Erbschleicherei  und  Aussaugung  des  Volks,  Schenken- 
besuch und  Trunksucht,  Unkeuschheit  und  Hurerei.  Es  sind 
scharfe  Strafpredigten,  die  Johann  Hus  jedesmal  bei  Eröffnung 
der  böhmischen  Provincialconcilien  dem  Klerus  seines  Landes 
gehalten  hat.  Die  Rüge  bezieht  sich  durchweg  auf  Gesinnung. 
Leben  und  Wandel  der  Geistlichen,  nicht  auf  die  Lehre2'.  Aber 
diese  Synodalpredigten  sind  allerdings  der  Art.  dass  Kleriker, 
welche  sich  getroffen  fühlten,  dem  freimüthigen  Redner  begreif- 
lich todfeind  werden  mochten. 

Abgesehen  von  der  Funktion  eines  Synodalpredigers,  be- 
nutzte Johann  Hus  den  Einfluss,  welchen  er  auf  den  Erzbischof 
hatte .  dazu,  dem  um  sich  greifenden  Aberglauben  entgegen- 
zuwirken .  In  der  Kirche  zu  W  i  1  s  n  a  c  k .  unweit  der  untern  Elbe . 
bei  Wittenberge,  befand  sich  eine  angeblich  wunderthätige  Reli- 
quie des  Blutes  Christi.  Da  man  viel  von  wunderbaren  Heilungen 
durch  das  heilige  Blut  erzählte,  so  wallfahrtete  das  Volk  nicht 
nur  aus  benachbarten  Landschaften,  sondern  auch  aus  weiter 
Ferne,  aus  Polen.  Ungarn  und  Siebenbürgen,  nicht  minder  aus 
dem  skandinavischen  Norden  dorthin.  Auch  aus  Böhmen  fehlte 


1)  Hus'ens  Werke  1558.  II,  26,  2. 

2)  Einige  der  Synodalpredigten  sind  uns  in  den  Werken  von  Hu*> 
^Nürnberg  155S;  II,  25  ff.  erhalten;  übrigens  sind  nicht  alle  die  9  Predig- 
ten ,  welche  dort  als  conciones  synodicae  zusammengedruckt  sind ,  sondern 
nur  die  4  ersten,  wirkliche  Synodalpredigten. 


144 


Buch  III.    Kap.  3.  II. 


es  nicht  an  zahlreichen  Pilgern,  die  nach  Wilsnack  gingen.  Nicht 
geringe  Bedenken  wurden  laut  gegen  die  Sache,  und  Erzbischof 
Sbynjek  beauftragte  eine  Commission  von  drei  Magistern,  unter 
denen  Hus  sich  befand,  mit  Erörterungen  über  die  Wunder, 
welche  sich  in  Wilsnack  ereignet  haben  sollten 1  .  Die  Ver- 
nehmung derjenigen  Personen .  an  welchen  angeblich  Wunder 
geschehen  waren,  ergab,  dass  es  nichts  als  Lug  und  Trug  war ; 
einem  Knaben  sollte  durch  das  Blut  von  Wilsnack  der  kranke 
Fuss  geheilt  worden  sein :  der  Fuss  war  vielmehr  schlimmer  ge- 
worden. Zwei  erblindete  Frauen  waren  angeblich  wieder  sehend 
geworden:  sie  gestanden,  dass  sie  zwar  böse  Augen  gehabt,  aber 
niemals  erblindet  gewesen  seien,  u.  s.  w.  Auf  Grund  dieser  Er- 
hebungen und  nach  dem  Rathe  der  Commission  erliess  der  Erz- 
bischof auf  dem  Provineialconcil  des  Sommers  1 405  ein  Mandat, 
woniach  alle  Prediger  mindestens  einmal  des  Monats  ihren  Ge- 
meinden das  Verbot  der  Wallfahrten  »zum  Blut  von  Wilsnack« 
bekannt  machen  und  einschärfen  sollten  '-  ;  bei  Strafe  des  Banns 
sollte  niemand  mehr  sich  unterstehen,  nach  Wilsmick  zu  pilgern. 

Zur  scholastisch-wissenschaftlichen  Begründung  und  sitt- 
lich religiösen  Rechtfertigung  dieser  Verordnung  schrieb  Hus. 
jedenfalls  im  Einverständniss  mit  dem  Erzbischof,  vielleicht  sogar 
auf  dessen  ausdrücklichen  Wunsch,  seine  Abhandlung :  »Dass  alles 
Blut  Christi  verklärt  sei.«  Die  Spitze  dieser  Schrift  ist  gegen  das 
Vorgeben  gerichtet,  als  könne  das  wahre  Blut  des  Erlösers  gegen- 
wärtig irgendwo  örtlich  vorhanden  sein,  sichtbar  erscheinen. 
Wunder  verrichten  u.  s.  w.  Hus  stellt  den  Satz  auf,  wo  man  der- 
gleichen heut  zu  Tage  behaupte,  beruhe  es  entweder  auf  liigen- 

1  Wir  wissen  dies  aus  der  eigenen  Erklärung  von  Johann  Hus  in 
einer  Schrift,  die  er  1405  oder  1400  geschrieben  haben  muss,  De  omni  san- 
f/uine  Christi  glorißcato ,  Werke  von  Hus  1  ">5S  ,  I,  151,  2 — 162,2.  J'ltiam 
fuimus  tres  Jlar/istri  deputati  per  dominum  Archiepiscopum  ad  examinandam 
homittes,  de  qnibus  praedicabant  fuisse  facta  miracula.  f.  161,  2. 

2)  Concilia  Pragetisia,  von  C.  Hoefler,  1862,  47.  Erst  seit  Veröffent- 
lichung dieser  Concilienakten  lässt  sich  der  Zeitpunkt  genau  und  sicher 
bestimmen  (15.  Juni  1405;,  wahrend  der  genaue  und  vollständige  Inhalt 
des  Mandats  nach  wie  vor  aus  der  Schrift  Hus'ens,  De  sunguin,  Christi 
etc.  f.  102,  2.  zu  ersehen  ist. 


Maassregeln  der  Zucht  und  Reform. 


145 


haften  und  eigennützigen  Vorspiegelungen,  auf  Priesterbetrug 1 
oder  gar  auf  teuflischen  Kräften :  nur  im  Sakrament  des  Altars 
sei  Christi  Leib  und  Blut  wahrhaftig  und  wirklich,  aber  un- 
sichtbar, gegenwärtig.  Nur  ein  Gedanke  möge  noch  aus 
dieser  Schrift  herausgehoben  werden,  weil  er  von  Belang  und  von 
reformatorischem  Charakter  ist ,  nämlich  die  Wahrheit,  dass  es 
ein  Beweis  von  Kleinglauben  ist,  wenn  man  noch  der  Wunder 
bedarf,  ein  wahrer  Christ  habe  nicht  nöthig,  Zeichen  und  Wunder 
zu  suchen,  er  solle  sich  nur  beständig  auf  die  Schrift  stützen  : 
wenn  die  Priester  fest  stünden  im  Evangelium  Christi,  und  dem 
Volk  Lieber  die  Worte  Christi  kund  thäten,  als  fehlerhafte  Wun- 
der, dann  würde  der  treue  Erlöser  die  Priester  selbst  und  das 
Volk  von  dem  bösen  Weg  der  Sünde  und  Lüge  abführen  2  . 

Jenes  Verbot  wider  die  Wallfahrten  zum  heil.  Blut  nach 
Wilsnack  war  übrigens  nur  eine  Maassregel  unter  vielen,  welche 
Erzbischof  Sbynjek  zur  Abstellung  von  Misbräuchen  und  zur 
Besserung  des  kirchlichen  Wesens  durch  die  Provincialsynoden 
fassen  Hess.  Das  war  ganz  im  Sinne  vonHus.  Es  waren  Maass- 
nahmen  sittlicher  Zucht,  es  war  eine  Reform  von  oben,  dass  auf 
den  Prager  Synoden  im  Jahr  1405  und  den  folgenden,  die  Ab- 
wesenheit mancher  Prälaten ,  Pfarrer  und  Seelsorger  von  ihren 
Gemeinden  untersagt,  das  Visitationswerk  in  geordneten  Gang 

1  Hus  führt  eine  ziemliche  Anzahl  von  Fällen  an,  wo  dergleichen  Vor- 
spiegelungen, bei  denen  es  auf  Opfer  und  Gaben  und  Stiftungen  der  Gläu- 
bigen abgesehen  war,  entdeckt,  Priester,  welche  sich  dabei  betheiligt  hatten,, 
entlarvt  und  zur  Strafe  gezogen  worden  waren;  und  das  nicht  nur  in  Böh- 
men selbst,  sondern  auch  in  der  Diöcese  Krakau,  in  Ungarn,  in  Bologna, 
f.  160,  2.  hil.  I.  —  Noch  im  Jahre  1475  eiferte  ein  Doctor  der  Universität 
Erfurt ,  Johann  von  Dorsten  ,  gegen  die  häutigen  Wallfahrten  nach  Wils- 
nack:  »solch'  Laufen  bedeute  nichts  Gutes;  es  sei  ein  Zeichen,  dass  das 
Volk  an  einer  schlimmen  geistlichen  Seuche  kranke.«  Hogel'sche  Chronik, 
bei  Kampschulte,  Die  Universität  Erfurt.  1858.  i  [7. 

1  a.  a.  O.  15V  '1 .  Nullus  vefus  Christianus  eichet  signa  in  ßde  Sita 
quaerere ,  sed  constanter  quiescere  in  scriptura.  —  Indigentes  mira- 
eulis  sunt  modicae  fidei.  —  KU.  2:  Revera  si  saeerdotes  starent  in  consilio 
Christi  evangelico,  et  nota  facerenf  cerba  Christi  populo  potius  quam  mendosa 
miracula,  tunc  pius  salvator  averteret  /jjsos  saeerdotes  et  populum  a  via  mala 
scilicet  peccati  et  mendacii  etc. 

Lechleb.  Wiclif.  II.  jfl 


1 16 


Buch  III.    Kap.  3;  II. 


gesetzt,  dem  Schenkenbesuch,  dem  leichtfertigen  und  unzüchtigen 
Leben  vieler  Kleriker  nachdrücklich  gewehrt  wurde. 

Allein  seit  dem  Jahre  1408  wendete  sich  das  Blatt.  Es  trat 
eine  Abkühlung  zwischen  dem  Erzbischof  Sbynjek  und  Hus 
ein;  bald  wurde  das  Verhältniss  ein  gespanntes,  und  im  Jahr  1409 
kam  es  zum  Bruch  zwischen  beiden.  Im  Jahr  1408  reichte  die 
Geistlichkeit  der  Hauptstadt  und  der  Erzdiöcese  Prag  eine  Be- 
schwerde wider  Hus  beim  Erzbischof  ein,  und  bat  um  dessen 
Schutz,  weil. Hus  in  öffentlichen  Predigten  in  der  Bethlehems- 
kapelle sich  Aeusserungen  erlaube,  welche  die  Geistlichkeit  an- 
schwärzen, sie  der  Verachtung  und  dem  Hass  des  Volks  preis 
geben.  Er  habe  z.  B.  am  16.  Juli  1407  behauptet,  ein  Pfarrer, 
der  für  Taufe,  Beichte,  Abendmahl,  für  Glockengeläute,  Begräb- 
niss  u.  s.  w.  Gebühren  eintreibe,  namentlich  von  den  Armen,  sei 
ein  Ketzer  r.  Hus  hat  angesichts  dieser  Beschwerde  sich  zwar 
vertheidigt  und  zu  rechtfertigen  gesucht2) :  aber  dessen  unge- 
achtet hat  ihn  der  Erzbischof  der  Funktion  eines  Synodalpre- 
digers enthoben. 

In  dieselbe  Zeit  fällt  vermuthlich  das  Schreiben,  worin  Hus 
sich  bei  dem  Erzbischof  für  einen  Geistlichen  verwendet,  welcher 
als  Ketzer  verhaftet  und  verbannt  werde ,  während  er  sich  nichts 
habe  zu  Schulden  kommen  lassen,  sondern  nur  der  Predigt  des 
Evangeliums  sich  mit  ganzer  Kraft  gewidmet  habe.  Das  bezog 
sich  auf  Nicolaus  von  Welenowitz,  genannt  Abraham,  einen 
Priester  an  der  Heiligengeistkirche  zu  Prag.  Das  Schreiben  geht 
aus  einem  sehr  ernsten  Ton,  und  lautet  fast  wie  die  Ansprache 
eines  Seelsorgers .  der  einem  seiner  Beichtkinder  das  Gewissen 
schärft;  es  steht  genau  auf  der  äussersten  Linie  dessen,  was  ein 
Priester  seinem  Oberen  gegenüber  sich  gestatten  durfte.  Denn 
Hus  rügt  es  offen,  dass  der  Erzbischof  die  eifrigsten  und  frömffi- 


1)  Die  Beschwerdeschrit't  s.  bei  Hoeflkk,  Geschichtschreiber  der  hussit. 
Bewegung,  II,  Wien  lSüö.  14.'{  ff.  Palacky,  Documenta,  lstü».  I5ß  ff.,  mit 
besserem  Text. 

2j  Hoefler,  a.  a.  ü.  145  —  153.  Palacky,  a.  a.  0.  155 — 1  (>.'<.  Ite- 
spoitsio  Muyistri  Hus.  Wahrscheinlich  hat  Hus  aus  dieser  Veranlassung 
auch  die  Abhandlung  herausgegeben:  Quaesti"  <lc  grgt/undo  clero  pro  <-<»<- 
cione,  Werke  von  Hus,  I55S.  f.  149,  1 — 153,  2. 


Verhandlungen  über  Neutralität  zwischen  beiden  Päpsten.        J  4  7 


sten  Priestor  rarfolge,  hingegen  freches  und  ausschweifenden 
Leuten  volle  Freiheit  lasse  1  . 

Am  Ende  des  Jahres  war  es  bereits  so  weit  gekommen,  das- 
der  Erzbischof  in  einem,  sowohl  in  lateinischer  als  in  tschechischer 
.Sprache  an  den  Kirchenthüren  angeschlagenen  Patent  Hus  als 
einen  ungehorsamen  Sohn  der  Kirche  öffentlich  brandmarkte,  und 
ihm  alle  priesterlichen  Handlungen  in  seinem  Sprengel  untersagte. 
Hus  remonstrirte  hiegegen  in  bescheidenem  aber  festem  Ton.  in- 
dem er  sich  zu  rechtfertigen  suchte  und  dem  Erzbischof  zu  ver- 
stehen gab.  dass  er  sich  übereilt  und  ihm  Unrecht  gethan  habe2  . 
Es  handelte  sich  hiebei  keineswegs  um  die  Lehre,  sondern  um 
eine  lediglich  kirchlich-politische  Frage. 

Alle  Versuche .  die  ärgerliche  Papstspaltung  beizulegen, 
waren  mißglückt:  eine  persönliche  Vereinbarung  zwischen  dem 
Papste  vim  Avignon.  Benedict  XIII..  und  dem  Papste  von  Rom. 
Gregor  XII..  war  im  Jahre  1407  nicht  zu  Stande  gekommen.  Da 
schien  vollständige  Neutralität  zwischen  beiden  Päpsten  der  ein- 
zige Weg  zu  sein,  welcher  übrig  bliebe.  Frankreich  erklärte  im 
Mai  140V  dass  es  beiden  Päpsten  den  ferneren  Gehorsam  ver- 
weigere, lud  die  übrigen  Staaten  zum  Anschluss  an  die  Neutralität 
ein .  und  forderte  die  beiderseitigen  Cardinalscollegien  auf.  je 
ihren  Papst  zu  verlassen  und  zur  Herbeiführung  der  kirchlichen 
Einigung  gemeinsam  zu  handeln.  In  der  That  vereinigten  sich 
die  ( Ordinale  beider  Obedienzen  im  Juni  zu  Livorno,  und  schrie- 
ben im  Juli  14()S.  zum  Behufe  der  Beilegung  des  Schisma,  ein 
allgemeines  Concil  nach  Pisa  aus.  auf  den  März  1409. 

König  Wenzel  von  Böhmen  entschloss  sich  nun,  dem  Wunsch 
derCardinäle  entgegenzukommen,  dem  römischen  Papst  Gre- 
gor XII.  die  Obedienz  zu  entziehen,  und  mit  seinen  Ländern  die 
Neutralität  zwischen  beiden  Päpsten  zu  beobachten.  Demgemäss 
forderte  er  den  Erzbiseaol  auf.  über  Annahme  der  Neutralität 


1)  Das  Schreiben  ist  das  erste  in  der  Sammlung  von  Palacky  .  Docu- 
menta, Prag  1S69.  'S  folg. 

2  a.  a.  ().  ")  tt'.  Nr.  2.  Hoefeer  .  Geschichtschreiber  der  hussit.  Be- 
wegung, H,  168  ff.) .  Mehrere  Punkte  in  diesem  Schreiben  werden  durch 
ein  späteres  Schreiben  von  Hus  an  das  Cardinalscollegium  (3,  Sept.  1411) 
erst  vollends  klar. 

10* 


14*  Buch  III.    Kap.  3.  II. 

mit  der  Geistlichkeit  zu  berathen,  verlangte  auch  von  der  Uni- 
versität einen  Beschluss  in  diesem  Sinne.  Allein  Erzbischof 
Sbynjek  und  der  grösste  Theil  des  Klerus  behauptete,  den  ein- 
mal angelobten  Gehorsam  gegen  Gregor  XII.  nicht  brechen  zu 
können.  Bei  der  Universität  kam  ein  einhelliger  Beschluss  nicht 
zu  Stande :  von  den  4  Nationen,  in  welche  die  Körperschaft  sich 
theilte,  war  nur  die  böhmische  Nation  für  die  Neutralität,  die  drei 
übrigen  Nationen  widersprachen.  Unter  diesen  Umständen  wagte 
es  der  Rector,  Magister  Henning  von  Boltenhagen  nicht, 
einen  Beschluss  zu  formuliren,  der  dem  Wunsch  des  Königs  zu- 
widerlief1) .  Bei  der  Verhandlung  im  Schoosse  der  Universität  hat 
offenbar  Hus  einen  maassgebenden  Einfluss  auf  die  Mitglieder 
der  böhmischen  Nation  geübt.  Deshalb  erliess  der  Erzbischof  eine 
öffentliche  Rüge  wider  ihn  und  sämmtliche  Magister,  welche  für 
die  Neutralität  gestimmt  hatten.  Es  scheint,  dass  lediglich  nur 
Hus  mit  Namen  erwähnt  war.  Dies  war,  wie  Hus  3  Jahre  später 
urtheilt,  der  Anfang  aller  der  Anklagen  und  Beschwerden,  welche 
von  Seiten  der  Hierarchie  nach  und  nach  gegen  ihn  erhoben  wur- 
den 2j .  Und  doch  hat  Erzbischof  S  b  y  n j  e  k ,  nachdem  das  Concii 
zu  Pisa  am  5.  Juni  1409  beide  Päpste,  Gregor  XII.  und  Bene- 
dict XIII.,  abgesetzt  hatte,  schliesslich  Gregor  XII.  gleichfalls 
verlassen  und  den  neu  gewählten  Papst,  Alexander  V.,  anerkannt, 
2.  Sept.  1409),  was  ihm  Hus  mit  Recht  als  eine  Inconsequenz 
vorgerückt  hat. 

Was  die  Lehre  betrifft,  so  wurde  Hus  vordem  Jahr  1409 
von  den  kirchlichen  Oberen  niemals  direkt  und  persönlich  zur 
Verantwortung  gezogen.  Einige  andere  Männer,  wie  der  oben  ge- 
nannte Nicolaus  von  Wclen  ow  i  tz,  genannt  Abraham,  und  Ma- 
gister Matthias  von  Knin.  genannt  Pater,  kamen  wegen  angeb- 
licher Irrthümer  in  Untersuchung,  der  letztere  am  14.  Mai,  der 
erstere  am  30.  Juni  1  Ins  3  .  Abraham  wurde,  wie  gesagt,  schliess- 


1  Chronica»  Unic.  Pratensis,  hei  HoKl'LKR,  Geschichtschreiber  der 
hussit.  Bewegung,  I,  1H.    Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  I,  226  folg. 

2  Schreiben  von  Hus  an  das  Cardinalscollegium,  vom  Sept.  1111,  bei 
PALACKY,  Documenta,  1SÜ9.  21. 

:t  In  den  Monumenta  Univ.  Praycn.sis.  II,  I,  ist  die  Urkunde  vom  14.  Mai 
Mos.  Matthias  von  Knin  betr..  abgedruckt,  420—  424,  neuestens  wieder  in 


Die  Nationen  frage  an  der  Universität. 


Lieh  ausgewiesen,  Matthias  von  Knin  aber  musste  widerrufen. 
Nach  diesen  Maassregeln,  wodurch  die  Prager  Kirchenprovinz 
von  häretischen  Irrthtkmern  gereinigt  zu  sein  schien,  glaubte  Erz- 
bischof  Sbynjek  auf  dem  nächsten  Provincialconcil  am  Ib.  Juli 
I  108,  nach  dem  Wunsche  des  Königs,  öffentlich  erklären  zu  kön- 
nen, dass.  nach  sorgfältiger  Untersuchung  durch  die  cOmpetenten 
Behörden,  in  seinem  ganzen  erzbischöflichen  Sprengel  kein  Irr- 
lehrer oder  Ketzer  gefunden  worden  sei 1  .  An  diesem  öffentlichen 
Zeugniss  war  dem  König  Wenzel  darum  so  viel  gelegen,  weil 
er  fürchtete .  der  in  der  Christenheit  sich  verbreitende  Ruf.  dass 
in  Folge  seiner  Nachsicht  oder  gar  Begünstigung  die  Wiclif  sehe 
Ketzerei  in  Böhmen  einwurzle,  könnte  seiner  Anerkennung  als 
Kaiser  im  Wege  stehen.  Es  ist  indes  Thatsache.  dass  weder 
Bus  noch  Hieronymus  von  Prag  zu  dieser  Zeit  wegen  wicliti- 
tischer  Ansichten  irgendwie  in  Untersuchung  gezogen  worden  ist. 
Und  doch  war  sogar  der  König,  so  sehr  er  bis  dahin  Hus  be- 
günstigte, nicht  frei  von  dem  Gedanken,  dass  gerade  er  und  seine 
Geistesverwandten  das  Land  in  den  Verdacht  der  Irrlehre  ge- 
bracht haben. 

Aber  erst  eine  Katastrophe,  welche  weit  und  breit  Aufsehen 
machte,  warf  ein  grelles  Licht  auf  Hus  und  seine  Partei.  Das 
theologische  und  kirchliche  Parteiwesen  in  Prag  hatte  sieh  bald 
genug  mit  der  Nationalitätsfrage  verwickelt.  Deutsche  und  böh- 
mische Magister  an  der  Universität  vertrugen  sich  nicht  immer 
gut  mit  einander.  Die  Deutschen  bildeten  die  überwiegende 
Mehrzahl  in  der  Körperschaft,  und  überstimmten  die  Böhmen. 
Das  empfanden  die  letzteren,  auf  ihrem  eigenen  Grund  und  Bo- 
den, in  ihrer  Hauptstadt,  als  eine  Unbill,  als  einen  Schimpf, 
aber  auch  als  einen  ökonomischen  Nachtheil.  Schon  im  Jahre 
1384  hatte  der  Umstand  Irrungen  und  Auftritte  an  der  Universität 

Palacky  ,  Documenta,  1869,  :i:>b  fi".,  es  ist  jedoch  mit  keinem  "Worte  ge- 
sagt, welches  die  Irrlehre  sei,  die  derselbe  abschwören  muss.  Nur  aus 
der  Universitätschronik  von  Prag,  Hoefler,  Geschichtschreiber  der  hussit. 
Bewegung,  I,  IS,  ist  ersichtlich,  dass  der  «Pater«  beschuldigt  wurde  der 
Wiclif  sehen,  hehre  zu  huldigen,  dass  im  Abendmahl  nach  der  Consekration 
das  Brod  Brod  bleibe. 

1   Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III.  1,  223  iL,  vgl.  220  folg. 


I  50 


Buch  III.    Kap.  3.  II. 


veranlasst,  dass  die  Collegiatstellen  im  Karlscollegium  und  im 
Wenzelscollegium  thatsächlich  zu  einem  Monopol  der  deutschen 
Magister  geworden  waren.  Die  Streitigkeit  wurde  damals  durch 
den  König  und  seine  Räthe,  unter  Beirath  des  Erzbischofs  dahin 
geschlichtet,  dass  die  Hälfte  der  Stellen  den  Böhmen  zu  Theil 
werden  sollte1^.  Neuerdings  war  nun  König  WenzeFs  Wunsch, 
in  Sachen  der  Papstspaltung  die  Neutralität  Böhmens  durch- 
zusetzen, an  dem  Widerstand  der  bayrischen,  polnischen  und 
sächsischen  Nation  der  Universität  gescheitert,  während  die  böh- 
mische Nation  sich  willfährig  bezeigt  hatte.  Darnach  konnte  man 
erwarten,  dass  die  Krone  geneigt  sein  würde,  die  Rechte  inner- 
halb des  Universitätskörpers  auf  eine  den  Tschechen  günstige 
Weise  zu  ordnen.  Allein  vorderhand  überwog  bei  Wenzel  das 
Gefühl  des  Unmuthes  gegen  den  Wortführer  der  Tschechen. 
Noch  im  Anfang  des  Jahrs  1 409  versprach  er  den  Vertretern  der 
bayrischen ,  polnischen  und  sächsischen  Nation .  sie  bei  ihren 
Rechten  an  der  Universität  zu  schützen .  während  er  H  u  s . 
Hieronymus  und  einigen  andern  Magistern  der  böhmischen 
Nation  einen  höchst  ungnädigen  Verweis  dafür  ertheilte.  dass 
sie  ihm  Verdruss  bereitet  und  das  Land  in  ein  schiefes  Licht  ge- 
bracht hätten2'.  Dessen  ungeachtet  gewann  im  Gemüthe  des 
Königs  bald  eine  andere  Stimmung  die  Oberhand.  Dazu  half  der 
gelehrte,  beim  König  wohl  angeschriebene  und  mit  Hus  befreun- 
dete Herr  Nicolaus  von  Lobkowitz.  Obernotar  des  böhmi- 
schen Bergwesens,  der  in  Kuttenberg,  einer  damals  blühenden 
I)  rgstadt.  wo  sich  der  Hof  eben  aufhielt,  von  Amts  wegen 
wohnte.  Eine  französische  Gesandtschaft,  welche  in  Sachen  der 
Neutralität  in  Kuttenberg  erschien,  kam  gerade  zur  rechten  Zeit 
Man  stellte  dem  Könige  vor.  der  Umstand,  dass  jede  der  :>  aus- 
wärtigen Nationen  an  der  Universität  eine  Stimme,  und  Böhmen 


I    Ch/'onicoH  Unir.  Pratensis,  bei  Hoeflkr.  Geschichtsehreiber,  I.  I.'l  folg. 

1  Laut  Aussage  des  Doctor  Johann  Nas,  der  bei  der  Audienz  in  Kut- 
tenberg östlich  von  Prag  zugegen  gewesen  war,  vor  dem  Concil  zu  Con- 
stanz.  Vox  der  Hardt,  Acta  Concilii  Const.  Vol.  IV,  :U2;  noch  genauer 
bei  Mladenowitz,  Palackt,  Documenta,  1869.  2s->. 

3    Die  Urkunde  bei  V.m.acky,  Documenta.  IMÜ».  :M7  folg. 


Die  Nationen  an  der  Universität  Prag. 


151 


selbst  auch  nicht  mehr  als  eine  Stimme  habe,  beruhe  nur  auf 
neuerer  Anmaassung ,  nicht  auf  einer  ursprünglichen  Satzung. 
Ferner,  an  der  Pariser  Universität,  die  doch  nach  KaiTs  IV.  Ab- 
sicht in  allen  Stücken  das  Vorbild  und  Muster  der  Prager  sein 
sollte,  habe  die  französische  Nation  die  Stimmenmehrheit.  Dem- 
gemäss  glaubte  der  König  zu  einer  Verfügung  berechtigt  zu  sein, 
welche  die  billigen  Ansprüche  des  Landes  befriedigen  und  ihm 
sofort  die  Zustimmung  der  Universität  zu  der  Neutralität  zwischen 
den  beiden  Päpsten  sichern  würde.  Am  18.  Januar  1409  erliess 
er  ein  Dekret  'an  Rector  und  Universität  mit  dem  gemessenen 
Befehl .  dass  die  böhmische  Nation  bei  allen  Wahlen  und  Hand- 
lungen der  Universität  Prag  nach  dem  Vorgang  der  Pariser  und 
italienischen  Universitäten  drei  Stimmen  also  die  3  auswärtigen 
Nationen  zusammen  nur  eine  Stimme  haben  sollten.  Schon  vier 
Tage  darauf  folgte  das  königliche  Mandat  (22.  Jan.  1409).  wor- 
nach  niemand  im  Königreich,  weder  geistlichen  noch  weltlichen 
Standes,  von  jetzt  an  Gregor  XII.  als  Papst  anerkennen  und  ihm 
Gehorsam  leisten  dürfe  1  . 

Weil  diese  Entscheidung  in  Sachen  der  Universität  von  tief- 
greifenden Folgen  gewesen  ist.  so  wurde  später  und  bis  auf  den 
heutigen  Tag  vielfach  die  Berechtigung  derselben  erörtert. 

Wie  verhält  es  sich  1.  mit  der  damaligen  Behauptung  der 
Böhmen,  dass  die  3  auswärtigen  Nationen  nicht  kraft  ursprüng- 
licher Stiftung,  sondern  nur  vermöge  neuerer  Anmaassung  je  eine 
Stimme  hätten  ?  Dieselbe  ist  nur  halb  wahr.  Thatsache  ist  blos 
das  eine,  dass  jene  Vertheilung  der  Stimmen  unter  die  Nationen 
in  den  vorhandenen  Stiftungsur  künden  allerdings  nicht  aus- 
drücklich verfügt  und  ausgesprochen  ist.  Daraus  folgt  aber  noch 
keineswegs,  dass  jene  Einrichtung  erst  späteren  Datums  gewesen, 
oder  gar  dass  sie  erst  in  den  letzten  Jahrzehenten  vor  1409  durch 
Anmaassung  der  auswärtigen  Nationen  in  Uebung  gekommen  sei. 
Die  Differenz  vom  Jahr  1 384  beweist  deutlich ,  dass  schon  ge- 
raume Zeit  vorher  das  Stimmenverhältniss  ganz  das  gleiche  ge- 
wesen sein  muss .  wie  in  den  ersten  Jahren  des  XV.  Jahrhun- 
derts.   Auch  die  alten  Satzungen  über  die  Reetorwahl  zeugen 


I    Palacky,  Documenta',  :>4^  folg 


152 


Buch  III.    Kap.  3.  II. 


deutlich  genug-  für  die  Ursprünglichkeit  jenes  Stimmenverhält- 
nisses ,  sofern  darin  bestimmt  ist,  dass  »jede  von  den  4  Nationen, 
in  welche  die  Universität  getheilt  ist,  einen  Wahlmann  beauf- 
tragen solle«,  u.  s.  w.  r) .  Es  scheint  nach  allem,  als  ob  bald  nach 
Stiftung  der  Universität  1 348 ) ,  nämlich  sofort  bei  der  ersten 
Eintheilung  ihrer  Mitglieder  in  jene  4  Nationen,  das  Stimmen- 
verhältniss  (vermuthlich  durch  einen  Vertrag  zwischen  den  Ma- 
gistern und  Doctoren  der  neuen  Universität)  so  fixirt  worden  sei. 
dass  jede  Nation  der  andern  gleichberechtigt  sein,  jede  als  eine 
Kurie  gelten  und  jede  eine  Stimme  führen  solle. 

2.  Ist  die  Behauptung  thatsächlich  richtig,  dass  an  der 
Pariser  Universität,  welche  gleichfalls  in  4  Nationen  getheilt  war. 
und  deren  Einrichtungen  als  Muster  der  Prager  Universität  dien- 
ten, die  französische  Nation  drei  Stimmen  hatte  ?  Auch  dies  ist 
nur  halb  wahr.  Denn  die  Pariser  Universität,  wenigstens  die 
Artisten-Facultät,  war  in  die  französische ,  normannische,  picar- 
dische und  englische  Nation  getheilt;  und  jede  von  diesen  war 
den  übrigen  .gleichberechtigt,  die  »französische«  Nation  hatte  auch 
nur  eime  Stimme,  wie  die  drei  andern;  ja  sie  fühlte  sich  dadurch 
beeinträchtigt,  dass  sie ,  obwohl  für  sich  allein  so  zahlreich  als 
die  drei  andern  zusammengerechnet,  doch  nicht  mehr  als  eine 
Stimme  zu  führen  hatte2).  Nur  dann  konnte  man  behaupten,  in 
Paris  habe  die  »gallische  Nation«  drei  Stimmen .  wenn  man  die 
»normannische  und  die  picardische  Nation«  mit  der  »französischen 
zusammen  unter  dem  Begriff  »gallische  Nation«  vereinigte:  und 
das  Hess  sich  ja  eben  so  gut  vertheidigen,  als  der  in  Prag  neue 
Sprachgebrauch,  wornach  man,  im  Gegensatz  zu  der  »böhmischen 
Nation«,  von  der  »deutschen  Nation«  zu  reden  anfing  und  unter 
dieser  die  »bayrische,  polnische  und  sächsische  zusammen  be- 


ll Statuta  Umversttatis  Pratensis,  ed.  Diu  rieh  <>t  Spirk,  Prtg  1848. 
in  Mo)i.  Univ.  Prag.,  Tom  III.  S,  l,  vgl.  K». 

2  Tiiurot,  De  sorganisation  de  Venseignement  dans  (universite  de  Pa- 
ris au  moyen-age,  Paris  1S50.  (9  fg.  31.  —  Mit  Recht  behaupten  die  .'f  Natio- 
nen in  ihrer  remonstrirenden  Eingabe  vom  (I.  Februar  140!»,  dass  in  Paris 
nicht  dasjenige  bestehe,  was  im  Mandat  angegeben  war.  P ALACK Y,  Docu- 
menta, 351.  • 


Entscheidung  in  der  Nationen  trage. 


gritf1  .  Ks  scheint  in  der  That,  als  habe  man  jene  Behauptung 
vermöge  eines  willktihrlichen,  von  dem  in  Universitätssachen 
hergebrachten  Sprachgebrauch  abweichenden  Sinnes  plausibel  zu 
Baches  gewusst.  Dies  erklärt  sich  allerdings  durch  das  erstar- 
kende Nationalgefühl  der  Tschechen,  ohne  dass  man  nörhig  hat. 
dem  Johann  Hus  und  seiner  Partei  bewusste  Lüge,  Vorspiege^ 
lang  u.  dgl.  vorzuwerfen  -  . 

Die  Bittschrift  der  auswärtigen  Nationen  an  den  König,  vom 
<>.  Februar  1409  ,  worin  sie  gegen  das  ergangene  Mandat  Ein- 
sprache erhoben  und  um  Zurücknahme,  wenigstens  Modifikation 
der  Entscheidung  baten,  blieb  ebenso  erfolglos  wie  alle  späteren 
Versuche  zur  Güte  und  Aussöhnung.  An  der  Universität  kam 
durch  den  Streit  der  Nationen  alles  in  Stockung.  Als  nun  der 
König  aus  eigener  Vollmacht  einen  Rector  ernannte,  und  am 
9,  Mai  Auslieferung  der  Akten,  des  Siegels  und  der  Schlüssel  der 
Universität  erzwang,  begann,  in  Clemässheit  einer  im  voraus  ein- 
gegangenen gegenseitigen  Verpflichtung  zwischen  den  Mitgliedern 
der  polnischen,  bayrischen  und  sächsischen  Nation,  die  Aus- 
wanderung. Tausende  von  deutschen  Doctoren.  Magistern  und 
Studenten  verliessen  Prag3  .  und  die  Mehrzahl  derselben  gründete 


1  natio  teutonica  —  natio  Bohemica  —  natio  Gallica,  in  dem  könig- 
lichen Mandat  vom  18.  Jan.  1409 ,  bei  Palacky  ,  Documenta,  1869.  347. 
Mit  Absicht  vermeiden  die  3  Nationen  in  ihrer  Denkschrift  den  Ausdruck 

deutsche  Nationen«,  welchen  Palacky  a.  a.  O.  350  und  352  in  den  Ueber- 
schriften  besser  vermieden  hätte.  —  Dadurch  berichtigt  sich  der  Irrthum 
Krümmel  s,  Gesch.  d.  böhm.  Kef.  1S60.  156.  Anm. 

2  Wie  Hoefler  thut,  Mag.  Johann  Hus,  1S(>4.  221  ff. 

3  Die  Zahl  der  ausgewanderten  Lehrer  und  Studirenden  wird  von  böh- 
mischen Chronisten  bis  auf  20,000  und  noch  höher  angegeben.  Aeneas 
Sylvius  erzählt,  dass  an  einem  Tage  über  2000  Prag  verlassen  und  dass 
diesen  nicht  lange  hernach  bei  3000  .gefolgt  seien,  Hist.  Boh.  c.  35,  wor- 
nach  die  Gesammtzahl  sich  doch  auf  c.  5000  belaufen  hätte.  Das  sind  aber 
entschieden  fabelhafte  Ziffern.  Drobisch  hat  auf  Grund  der  urkundlich 
feststehenden  Zahl  jährlicher  Promotionen  zu  Baccalaureen  und  Magistern, 
mittels  sinnreicher  Combination  als  wahrscheinlich  erwiesen,  dass  Prag  in 
seiner  Glanzperiode  etwa  4000  ,  um  das  Jahr  1409  aber  wenig  über  2500 
Studirende  gezählt ,  ferner  dass  die  ausgewanderten  Studirenden  höchstens 

der  akademischen  Bevölkerung  betragen  haben,  wornach  etwa  2000  aus- 
gewandert und  500  geblieben  sein  mögen.  Beiträge  zur  Statistik  der  Univ. 


154 


Buch  III.    Kap.  3.  III. 


mit  Zustimmung  des  Papstes  und  der  Landesherren  die  Fniversität 
m  Leipzig  2.  Dec.  1409  1  . 

III. 

Die  Auswanderung  der  deutschen  Magister  und  Scholaren 
aus  Prag  war  ein  folgenschweres  Ereigniss.  Das  Deutschthum  in 
Böhmen  erlitt  dadurch  einen  furchtbaren  Stoss.  Prag  wurde  nun 
thatsächlich  eine  particularistische.  national-tschechische  Univer- 
sität, statt  dass  es  bisher  eine  Universität  von  wenn  nicht  euro- 
päischem so  doch  gesammtdeutschem  Charakter  gewesen  war. 
Erster  Rector  der  tschechisirten  Universität  wurde  im  Oktober 
1 409 i  Johannes  H  u  s :  galt  er  doch  als  der  Träger  jener  nationa- 
len Ideen,  welche  einen  bedeutenden  Erfolg  erlangt  hatten.  Nun 
aber  waren  an  der  Universität  gerade  deutsche  Magister  die 
Haupt-Gegner  der  tschechischen  Reformpartei  sammt  ihren  wi- 
clifitischen  Sympathieen  gewesen.  Mit  dem  Abzug  der  Deutschen 
war  also  auch  der  Damm  durchbrochen,  welcher  den  Strom  bis- 
her aufgehalten  hatte.  Von  da  an  überfluthete  der  vom  National- 
gefühl getragene  und  mit  wiclifi tischen  Gedanken  gesättigte  Zug 
zur  Kirchenreform  Stadt  und  Land.  Die  hussitische  Partei  hatte 
die  Oberhand.  Hus  selbst  befand  sich  auf  dem  Höhepunkt  seines 
nationalen  Ruhms  und  Einflusses.  Bei  Hofe  stand  er  in  Gunst, 
hatte  er  doch  dem  König  Wenzel  die  Neutralität  zwischen  den 
Päpsten  durchsetzen  helfen:  und  die  Königin  Sophie  hörte  ihn.  als 


Leipzig  innerhalb  der  ersten  14()  Jahre,  Verhandlungen  der  Ges.  d.  Wiss. 
zu  Leipzig  1849.  I,  69  ff.   bes.  93  —  92  . 

1  Die  in  Leipzig  neu  gegründete  Universität  betrachtete  sich  nicht  etwa 
als  eine  blose  Kolonie ,  sondern  vielmehr  als  die  allein  rechtmässige  Fort- 
setzung der  Prager  Universität.  Sie  nahm  mit  wenigen  Aenderungen  die 
Prager  Statuten  an,  und  theilte  sich  in  die  \  Nationen  der  Meissner,  Sach- 
sen ,  Bayern  und  Polen,  also  mit  Ausnahme  der  Böhmen,  an  deren  Stelle 
die  Meissner,  als  Landeskinder,  traten,  dieselben  Nationen,  in  welche 
die  Prager  Universität  getheilt  gewesen  war.  Die  Gleichberechtiguno  der 
l  Nationen  war  in  der  landesherrlichen  Stiftungsurkunde  gewährleistet.  Erst 
im  Jahr  f83fl  wurde  das  Nationenwesen  an  der  Leipziger  Universität,  nach- 
dem es  im  Laute  voller  1  Jahrhunderte  sich  völlig  überlebt  hatte  .  aufge- 
hoben.   Vgl.  OERSDORF,  Beitrag  zur  Gesch.  der  Univ.  Leipzig.  1869.  1  fl". 


Anfeindungen  wider  Hus. 


I 55 


Prediger  gar  gerne.  Bei  dem  Volk  war  er  hoch  geachtet  und 
überaus  beliebt. 

Um  so  dringender  erschien  der  Hierarchie  die  Notwendig- 
keit, gerade  jetzt  der  freisinnigen  Bewegung-  ein  Ziel  zu  setzen, 
solle  es  nicht  zu  spät  werden.  Das  war  aber,  angesichts  der 
öffentlichen  Meinung  in  Prag  und  in  Böhmen  überhaupt,  nicht 
ganz  unbedenklich.  So  lange  der  Erzbischof  dem  von  der  Synode 
zu  Pisa  erwählten  Alexander  V.  den  Gehorsam  versagte,  also  den 
vom  grössten  Theil  des  Abendlandes  anerkannten  Papst  noch 
nicht  für  sich  hatte,  waren  alle  seine  Maassregeln  gegen  Hus  wie 
ein  Schlag  in  s  Wasser.  Er  beauftragte  nämlich  seinen  Inquisitor, 
den  Dr.  der  Theologie  Moritz.  Untersuchung  anzustellen  über  ge- 
wisse Anschuldigungen  wider  Hus.  als  trage  er  Irrlehren  vor 
und  halte  aufregende  Predigten.  Die  einzelnen  Punkte  waren 
zum  Theil  dieselben,  welche  schon  1408  von  Geistlichen  der  Stadt 
und  Diöcese  Prag  eingereicht  worden  waren  s.  oben  S.  146  : 
doch  waren  mehrere  neue  Anschuldigungen  beigefügt.  Das  erste 
.Mal  hatte  es  Bich  fast  nur  um  solche  Reden  von  Hus  gehandelt, 
welche  der  I  Geistlichkeit  an  Ort  und  Stelle  zu  nahe  träten,  sie  der 
Habsucht,  der  Simonie  beschuldigten.  Nur  vorübergehend  war 
ein  Ausdruck  seiner  Verehrung  für  Wiclif  erwähnt  worden, 
.letzt  ging  man  weiter  und  behauptete,  Hus  habe  in  Privat- 
eres] »rächen  die  Ehre  der  römischen  Kirche  angetastet  und  sogar 
ausgesprochen,  dass  in  Rom  der  Antichrist  Fuss  gefasst  habe. 
Ferner  brachte  man  vor.  Hus  errege  durch  seine  Predigten  Streit 
zwischen  Deutschen  und  Böhmen :  zugleich  stellte  man  eine  Mehr- 
zahl von  Aeussernngen  zusammen,  worin  Hus  den  Wiclif  als 
einen  frommen  und  rechtgläubigen  Lehrer  gepriesen  habe  1  . 

Der  Erzbischof  beauftragte  seinen  Inquisitor,  bei  Gelegenheit 
der  Erörterung  über  diese  Punkte,  von  Hus  zugleich  Rechenschaft 


1  Palacky,  Documenta,  164 — KJ9.  Bemerkenswerth  ist  die  Klage  ge- 
gen Hus  .  quod  per  suam  praedicationem  suscitat  inter  Teutonicos  et  Bohe- 
mos  contentionem,  S.  1  <iS.  Der  Ausdruck  ist  der  Art,  dass  er  nach  dem 
Abzug  der  Deutschen  von  der  Prager  Universität  sicher  viel  stärker  und 
prägnanter  gefasst  worden  sein  würde.  Demgemäss  möchten  wir  annehmen, 
dass  die  Beschwerde  wider  Hus  jedenfalls  noch  vor  dem  9.  Mai  1409  ein- 
gereicht worden  sei. 


156 


Buch  III.    Kap.  &  III. 


zu  fordern  Uber  die  Berechtigung  zum  feierlichen  Gottesdienst  in 
der  Bethlehemskapelle  und  zur  Predigt  vor  Zuhörern  aus  allen 
Parochien  der  Stadt. 

Von  dem  Erfolg  der  Untersuchung  ist  nicht  das  mindeste 
bekannt.  Auch  die  schriftliche  Verantwortung  von  Hus,  welche 
den  einzelnen  Artikeln  angehängt  ist.  wurde,  wie  sich  aus  sichern 
Zeichen  ergibt,  erst  5  Jahre  später  verfasst.  ehe  er  die  Reise  nach 
Constanz  zum  Concil  antrat1).  Wohl  aber  haben  fünf  junge  Män- 
ner von  Hus'  Partei  eine  Appellation  wider  den  Erzbisehof  beim 
päpstlichen  Stuhl  eingereicht:  und  diese  blieb  nicht  ganz  ohne 
Erfolg,  denn  Erzbischof  S  b  y  n  j  e  k  wurde  in  Folge  dessen  vor  die 
römische  Kurie  geladen,  um  sich  zu  verantworten 2  . 

Inzwischen  veränderte  sich  die  Lage  durch  Unterwerfuni:  des 
Erzbisehofs  von  Prag,  im  Einverständniss  mit  seinem  ganzen  Kle- 
rus so  wie  mit  dem  Bischof  von  Olmütz,  unter  Alexander  V..  ein 
Ereigniss,  das  am  2.  Sept.  1409  statt  fand.  Begreiflich  hat  der 
mit  einer  umfangreichen  Kirchenprovinz  neu  gewonnene  Kirchen - 
fürst  von  jetzt  an  bei  dem  Papst  geneigtes  Gehör  gefunden.  Der 
Erzbischof  wandte  sich  jetzt  an  Alexander  V.,  um  bei  seinem  Ein- 
schreiten gegen  Hus  und  dessen  Partei  sich  mit  der  päpstlichen 
Auktorität  zu  decken.  Seine  Abgeordneten,  der  Domherr  ,1  i  n o  e  Ii 
und  der  Franziskaner  Jaro  sl  aw ,  Bischof  von  Sarepta  in  partibm 
und  Inquisitor,  stellten  Alexander  V.  persönlich  vor.  dass  in  Prag 
selbst,  in  ganz  Böhmen  und  Mähren  Irrlehren,  welche  von  W  iclif 


I    PALACKY  a.  a.  ().  KU.  Anm. 

1  a.  a.  0.  7$3.  (Worte  einer  böhmischen  Chronik  :  citattis  est  lhnu 
Archiepiscopus  a  Wiöleßstis  romanam  curiam  sie  .  Die  Thatsache  ist  nun  aber 
auch  durch  eine  Urkunde  vollkommen  bestätigt,  worin  der  Erzbischof  seilet 
bekennt,  dass  er  in  Folge  jener  Appellation  vor  die  römische  Kurie  vorge- 
laden worden  sei  ad  Sedem  apostolicam  frivole  a ppcllaates.  Nos  ad  eandeut 
sedem  apostolicam  citari  procuraverant ,  in  statuta  synodalia  vom  16.  Juni 
1410  (nicht  140!),  wie  HoEFLEB  hat  ,  in  CoHcilia  JPragenata,  Hokfi.kk.  Ab- 
handlungen der  böhm.  Ges.  der  Wissenschaften,  Prag  1862.  S.  (»4.  Yer 
muthlich  war  der  Termin  der  Vorladung  auf  den  S.  December.  nicht  das 
Datum  derselben,  wie  die  Worte  lauten.  Wenigstens  möchte  ich  verum  - 
then,  dass  die  Anklage,  und  wohl  auch  die  Vorladung  von  Seiten  der  Kurie, 
vor  dem  Beitritt  des  Krzbischofs  zu  der  Obedienz  Alexanders  V.  statt  ge- 
funden habe 


Untersuchung  wider  Hus. 


ir>7 


stammen,  sich  verbreitet  hätten.  Es  sei  hohe  Zeit,  dem  Uebel  zu 
steuern :  und  ein  unentbehrliches  Heilmittel  würde  das  Verbot 
aller  Predigten  ausserhalb  der  Dome.  Stifts-.  Pfärr-  und  Kloster- 
kirchen sein  1 , .  In  Folge  dieser  Vorstellung  erliess  Papst  Alexan- 
der V.  unter  dem  20.  Dec.  1409  eine,  wie  man  sagte,  mittels 
Bestechung  erschlichene-  Bulle  an  den  Erzbischof,  worin  er 
gang  im  Vorbeigehen  alle  gegen  denselben  anhängig  gemachten 
Appellationen  und  Processe  cassirte,  und  ihn  wegen  seiner  bisheri- 
gen Thätigkeit  gegen  Irrlehren  belobte.  Zugleich  beauftragte  und 
bevollmächtigte  er  den  Erzbischof,  unter  dem  Beirath  von  4  Doc- 
torcn  der  Theologie  und  2  Doctoren  des  kanonischen  Rechts,  kraft 
apostolischer  Auktorität  gegen  die  Verbreitung  von  Irrlehren  ein- 
zuschreiten ,  Widerruf  derselben  und  Ablieferung  Wi c Ii f  scher 
Schriften  zu  erzwingen,  auch  das  Predigen  an  anderen  Orten,  als 
wo  das  Recht  dazu  herkömmlich  sei,  zu  untersagen:  selbst 
Appellationen  an  den  apostolischen  Stuhl  sollten  in  diesem  Fall 
nichtig  sein :s  . 

Die  Bulle  kam  angeblich  erst  Anfangs  März  1409  nach  Prag, 
wenigstens  wurde  sie  nicht  früher  als  am  Sonntag  Judica,  den 
9.  März,  veröffentlicht4).  Sie  fand  , aber  lebhaften  Widerspruch. 
Hus  selbst,  überzeugt,  dass  Alexander  V»  falsch  berichtet  worden 
sei.  appellirte  sofort  an  den  besser  zu  unterrichtenden  Papst5  . 
Das  ignorirte  der  Erzbischof  einfach,  weil  durch  die  Bulle  jede 
etwaige  Appellation  im  voraus  für  ungültig  erklärt  war.  Er  setzte 
als  Commissar  des  Papstes  kraft  der  päpstlichen  Bulle  einen  Aus- 
schuss  von  6  Doctoren  nieder,  um  die  Angelegenheit  zu  prüfen, 


1  Das  lässt  sich  aus  der  sofort  erwähnten  Bulle  mit  Sicherheit  ent- 
nehmen. 

2  Hus  hat  dies  in  ölfentlicher  Predigt  behauptet,  im  II.  Buch  seiner 
tschechischen  Predigten ;  die  Stelle  lautet  in  lateinischer  Uebersetzung :  Papa 
Alexander  V.  pecunia  aeeepta  bullam  edidit  etc.  Palacky,  Documenta. 
7  24.  vgl.  716;  IM*. 

3  Palacky,  Documenta,  374  ft'. 

4  Chromeon  Bohemicum  Lipsiense,  a.  a.  O.  733.  Vgl.  Palacky,  Gesch. 
von  Böhmen,  III,  1.  S.  247  ff. 

5  Hus  selbst  schreibt  noch  in  Constanz ,  am  ls.  Juni  1415:  appella- 
reram  ad  ipsum  Alexandrum  pro  meliert  in  forma  tione.  Palacky,  Docu- 
menta, 231. 


158 


Buch  III.    Kap.  3.  III. 


und  befahl,  bei  Strafe  des  Kirchenbanns,  alle  Schriften  Wi- 
clif s ,  binnen  einer  bestimmten  Frist,  zum  Behuf  der  Prüfung 
an  die  erzbischöfliche  Schatzkammer  einzuliefern.  Hus  war  rasch 
entschlossen.  Er  überbrachte  einige  der  Wiclif 'sehen  Schriften, 
die  er  besass.  dem  Erzbischof  persönlich,  und  ersuchte  denselben 
zugleich,  wenn  er  einen  Irrthum  darin  entdecken  sollte,  ihm  den- 
selben zu  bezeichnen ;  dann  wolle  er  sich  öffentlich  von  solchem 
lossagen 1  .  Andere  folgten  seinem  Vorgang,  und  so  wurden  im 
Ganzen  über  200  Bände  eingeliefert.  Der  verordnete  Ausschuss 
von  4  Doctoren  der  Theologie  und  2  Doctoren  des  kanonischen 
Rechts  gab  sein  Gutachten  dahin  ab.  dass  die  vorgelegten  Bücher 
Wiclif 's  offenbare  Irrlehren  und  Ketzereien  enthalten.  Auf  Grund 
dieses  Gutachtens  fällte  Erzbischof  Sbynjek  das  Urtheil.  wel- 
ches er  auf  dem  Prager  Provincialconcil  am  16.  Juni  1410  ver- 
öffentlichte: die  eingelieferten  Bücher  sollen,  weil  sie  offenbare 
Irrthümer  und  Ketzereien  enthalten,  verbrannt  werden:  alle  übri- 
gen Bücher  von  Wiclif,  die  noch  nicht  eingereicht  seien,  sollen 
gleichfalls  »zum  Behuf  der  Prüfung«  ausgeliefert  werden  kraft  der 
Bulle  Alexander's  V.2).  Auf  demselben  Concil  erliess  der  Erz- 
bischof ein  Verbot  bei  Strafe  des  Kirchenbanns,  gegen  alles  Pre- 
digen in  Kapellen  oder  sonstigen  Orten  ausser  den  Kathedral- 
und  Stiftskirchen .  Pfarr-  und  Klosterkirchen;  sogar  päpstliche 
Privilegien,  welche  etwa  ergangen  wären,  sollten  nicht  davor 
schützen  '-  . 

Gegen  dieses  Verfahren  erhob  sich  der  lebhafteste  Wider- 
spruch. Noch  am  Vortag  des  Synodalbeschlusses,  den  15.  Juni, 
hielt  die  Universität  eine  Versammlung,  worin  beschlossen  wurde, 
sich  gegen  die  vom  Erzbischof  und  seinem  Kapitel  angeordnete 
Verbrennung  Wiclif 'scher  Bücher  zu  erklären:  zumal  in  der 
kurzen  Frist  zwischen  Finliefernng  der  Bücher  und  Fällung  des 
Urtheils  eine  gehörige  Prüfung  derselben  unmöglich  habe  vwge- 


1  Diesen  Vorgang  erzählte  Hus  zu  seiner  Verteidigung  in  dem  zwei- 
ten öffentlichen  Verhör  zu  Constanz  am  7.  Juni  1415,  s.  VON  DER  Hardt, 
Com.  Const.  Vol.  IV,  310,  und  Palacky,  Docum.  2M). 

2,   Concilia  Prayensia  ed.  HöKFLKR,  L.862,  65  folg. 
a.  a.  O.  67. 


Verwendung  für  Hus 


uoinnien  werden  können1  .  Hiemit  begnjigte  sich  jedoch  Hus 
selbst  nicht.  Er  legte  in  Verbindung  mit  dem  Magister  Zdislaus 
von  Zwierzeticz  und  (>  anderen  Freunden,  zugleich  im  Namen 
vieler  anderer  Universitätsmitglieder  und  Männer  vom  Adel  und 
Bürgerstand,  in  der  Bethlehemskapelle  einen  ausführlichen  Pro- 
rest und  förmliche  Appellation  an  Papst  Johann  XXIII.  ein.  so- 
wohl gegen  den  Befehl,  die  Wi  c Ii f  sehen  Bücher  zu  verbrennen, 
als  gegen  das  Verbot  der  Predigt  in  Kapellen.  Der  Protest  gegen 
das  Bücherdekret  stützte  sich  insbesondere  darauf,  es  sei  ein  Un- 
sinn .  Schriften  über  Logik.  Mathematik.  Naturwissenschaft. 
Philosophie  u.  dgl..  welche  mit  Glaubensartikeln  nichts  zu  thun 
hätten,  zu  verbrennen:  habe  doch  der  Apostel  Paulus  und  die 
Kirche  jeder  Zeit  Schriften  von  Heiden  und  Irrlehrern  studirt,  um 
sie  zu  benützen,  zu  widerlegen  u.  s.  w.  Zugleich  machte  der 
Protest  geltend,  das  Verfahren  des  Erzbischofs  ermangle  aller 
Rechtskraft,  weil  es  auf  ein  Mandat  Alexanders  V.  gestützt  sei. 
welches  durch  den  bereits  vor  Erlass  des  Dekrets  erfolgten  Tod 
des  Papstes  erloschen  sei  -  . 

Die  Universität  hatte  sich  sofort  nach  Fassung  ihres  oben 
erwähnten  Beschlusses  an  König  Wenzel  gewandt.  Und  auf 
dessen  Verwendung  verschob  der  Erzbischof  die  Vollziehung 
seiner  bereits  gefällten  und  veröffentlichten  Sentenz  bis  dahin, 
dass  Markgraf  Jost  von  Mähren  nach  Prag  kommen  würde 3  . 

Da  indes  die  Ankunft  des  Markgrafen  sich  verzögerte, 
schritt  man  zum  Vollzuge.  Das  Ketzergericht  wider  die  Bücher 
Wie  Iii"  s  wurde  in  Scene  gesetzt:  am  16.  Juli  Hess  der  Erz- 


1  Jo.  Hus.  Opera,  Nürnberg  155s.  I.  Uli'-.  Palacky,  Documenta. 
393.  Hier  ist  der  14.  Juni  als  Tag  der  Universitätsversammlung  genannt, 
während  in  einer  anderen  Urkunde.  Palacky  a.  a.  O.  386,  der  15.  Juni 
bezeichnet  wird. 

2  Hus.  Opera,  L558.  I.  91,  1  und  2.  Palacky,  Documenta  31.  Jo. 
Uns.  osT  —  396.  Ks  beruht  auf  Verwechslung  zwischen  einem  Akt  der  Uni- 
versität  am  14.  Juni  und  dem  Akt  des  Hus  und  seiner  6  Freunde,  am 
15.  Juni,  wenn  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  1.  S.  250.  und  ihm 
folgend  Boehrixger,  Vorreformatoren,  II,  180  obige  Gedanken  sämmtlich 
von  der  Universität  ausgesprochen  werden  lässt. 

3  Chronicon  Universitotis  Pragensis  bei  Hoeflek  ,  Geschichtschreiber 
der  hussit.  Bewegung.  I,  21  cf.  II,  tST. 


Buch  III.    Kap.  :i.  III. 


bischof  in  Gegenwart  seine«  Domkapitels  und  einer  grossen  Menge 
von  Priestern,  in  dem  Hofe  des  erzbischöflichen  Palastes  auf  dem 
Hradschm  die  ausgelieferten  Bücher  von  Wiclif  es  waren  über 
200  Bände,  zum  Theil  kostbar  eingebunden  unter  lautem  Tedeum 
und  Glockengeläute  verbrennen. 

Zwei  Tage  später,  am  lb.  Juli,  sprach  der  Erzbischof  feier- 
lich den  Bann  aus  über  Hus  und  seine  Freunde,  welche  sich  der 
Appellation  vom  15.  Juni  angeschlossen  hatten  oder  ferner  sich 
anschliessen  würden.  Die  Excommunication  musste  in  allen  Kir- 
chen des  Sprengeis  von  Prag  verkündigt  werden  1  . 

Der  Erzbischof  glaubte  die  ganze  Opposition  vollständig  nie- 
dergeschmettert und  die  öffentliche  Meinung  eingeschüchtert  zu 
haben :  denn  er  hatte  die  äussersten  Maassregeln  ergriffen,  diente 
ihm  doch  die  römische  Kurie  selbst  zum  Rückhalt.  Allein  wäh- 
rend er  am  Ziel  zu  sein  glaubte,  stand  er  erst  am  Anfang.  Denn 
die  Maassregeln,  die  er  getroffen  hatte,  reizten  nur,  und  empörten 
diejenigen,  welche  auf  Hus  ens  Seite  standen.  Die  Parteien  tra- 
ten sich  ungleich  schroffer  als  bisher  gegenüber.  Und  die  Auf- 
regung ergriff  selbst  die  untersten  Schichten  der  Bevölkerung. 
Man  bot  dem  Erzbischof  Trotz  und  höhnte  ihn ;  Spottlieder  wur- 
den auf  den  Strassen  gesungen.  Studenten  sagten  von  ihm:  »Er 
hat  Wiclif  s  Bücher  verbrannt.  —  aber  nicht  alle  !  wir  haben  noch 
sehr  viele,  und  bringen  immer  noch  mehr  zusammen  zum  Ab- 
schreiben. Er  soll's  uns  nur  noch  einmal  befehlen!  dann  wird  er 
sehen,  ob  wir  ihm  gehorchen.  Ja  er  muss  uns  sogar  die.  welche 
er  uns  verbrannt  hat.  ersetzen2  '  l  ud  auf  den  (bissen  hörte  man 
öffentlich  singen  : 

>Shj/njek.  Bischof.  ^LBC Schüler, 

hat  Bücher  verbrannt. 

Weiss  nicht,  teas  darin  stehf'A.'>> 


I  Chron.  Cni/  tr*.  Prutj.  bei  Hoeflkr  ,  Geschichtschreiber.  I,  21: 
(ßntntH  appellantes  eaai  udhaerentibus  Sbynko  archiepiscopus  exeommunieavit 
cum  (»nnihus ,  qui  lihros  NM  reposuerunt.  Den  Krlass  vom  IS.  Juli  I4ti 
hat  Palacky,  Documenta  M.  Joannis  Hm,  :i97  ft'.  vollständig  mitgetheilt. 

2)  Stephan  us,  Karthäuserprior  von  Dölau.  Anti-Husum  c.  o"  .  bei 
Yy:/..  Thesaurus,  T.  IV,  2.  f.  tö*. 

t    a    a.  O.  c.  Id.  t  H7. 


Verhöhnung  de>  Erzbisehofs,  Thätlichkeiten. 


101 


oder  auch  so : 

»Sbi/njek  hat  Bücher  verbrannt, 
Zdenjek  hat  sie  angezündet, 
zur  Schande  der  Tschechen. 
Wehe  allen  treulosen  Pfaffen  1  /« 

Allein  man  begnügte  sich  nicht  mit  Witz  und  Spott.  Es  kam 
zu  Thätlichkeiten:  als  der  Erzbischof  am  22.  Juli,  dem  Feiertag- 
Maria  Magdalena  das  Hochamt  hielt,  sah  er  sich  durch  einen  Auf- 
lauf in  der  Kirche  genöthigt,  mit  nahezu  40  Klerikern,  die  ihn 
umgaben,  sich  vom  Altar  zurückzuziehen.  Noch  schlimmer  ging 
es  an  demselben  Tage  in  der  Stephanskirehe  in  der  Neustadt  zu  ; 
dort  wurde  der  Prediger ,  als  er  »lästerte«,  d.  h.  wohl  den  erz- 
bischöflichen  Bann  wider  Hus  und  Genossen  von  der  Kanzel  ver- 
kündigte, von  6  Männern  mit  gezückten  Schwertern  überfallen 
und  beinahe  umgebracht2  .  Solche  Vorfälle  erschreckten  die 
Pfarrer  dermaassen,  dass  sie  fortan  nicht  mehr  wagten,  den 
Bann  wider  Hus  zu  verkündigen.  Natürlich  liess  es  die  bischöf- 
liche Partei  auch  ihrerseits  nicht  an  Thätlichkeiten  fehlen. 

Unter  solchen  Umständen  musste  die  Regierung  Maassregeln 
ergreifen  um  der  Aufregung  zu  steuern  und  den  Landfrieden  zu 
wahren.  König  Wenzel  verbot  das  Singen  von  Spottversen  bei 
Todesstrafe 3  .  dem  Erzbischof  aber  legte  er  auf.  dass  er  die 
Eigenthümer  der  verbrannten  Bücher  für  ihren  Verlust  entschä- 
dige :  und  als  dies  nicht  geschah .  verfügte  er  Sperrung  der  Ein- 
künfte gegen  ihn  und  die  bei  der  Bücherverbrennung  und  dem 
Bann  wider  die  Appellanten  betheiligten  Kleriker 4  . 

Es  kam  nun  alles  darauf  an .  welche  Stellung  Hus  und  die 
ihm  Gleichgesinnten  einnehmen  würden.  Sie  Hessen  sich  aber  in 
keiner  Weise  einschüchtern.  In  ihrer  Protestation  und  Appella- 
tion hatten  sie  den  Grundsatz  ausgesprochen :  »dass  man  in  Din- 


1)  Anonymi  invectiva  contra  Husitas.  bei  Hoefler,  Geschichtschreiber 
der  hussit.  Bewegung.  I.  622. 

2  Chronik  der  Prager  Univ.,  bei  Hoefi.er.  Geschichtschreiber,  I,  21. 

3  Antihussus  von  Stephanus  aus  Dolan .  bei  Pez  Thesaur.  IV, 
2.  c.  IG.  f.  417. 

4)  Universitätschronik  bei  Hoefler,  I,  22  :  Hex  Wenceslaas  arrestavit 
censits  clericorum. 

Lechler,  Wiclif.  II.  1 1 


162 


Buch  III.    Kap.  3.  III. 


gen.  welche  zur  Seligkeit  nothwendig  seien,  Gott  mehr  gehorchen 
müsse,  als  den  Menschen1)«.  Diesem  gemäss  handelten  sie  jetzt. 
Ungeachtet  des  am  18.  Juli  ausgesprochenen  Banns,  trotz  dem 
Synodalverbot  wider  das.  Predigen  in  Kapellen,  ungeachtet  der 
Yerurtheilung  von  1 8  Wiclif sehen  Schriften ,  schritten  Hus  und 
seine  Freunde  mannhaft  und  unerschrockenen  Muthes  vorwärts. 
Hatten  sie  doch  gegen  das  Urtheil  des  Erzbischofs  Protest  ein- 
gelegt und  an  den  Papst  appellirt.  Und  sie  hofften  um  so  getro- 
ster auf  eine  günstige  Entscheidung,  als  die  städtischen  Obrig- 
keiten von  Prag ,  mehrere  Barone  des  Landes ,  ja  selbst  König 
Wenzel  und  Königin  Sophie  sich  für  ihre  Sache  verwendeten. 
Zunächst  trat  Hus  nebst  einigen  andern  Gelehrten  an  der  Uni- 
versität zur  Yertheidigung  von  Werken  und  Traktaten  W  i  c  1  i  f '  s 
auf .  welche  in  dem  Synodalurtheil  für  ketzerisch  erklärt  worden 
waren.  Hus  selbst  vertheidigte  am  27.  Juli  Wiclif 's  Buch  De 
trinitate,  Jacob  von  Mies  am  28".  Juli  dessen  »Decalog«.  Simon 
von  Tissnow  am  29.  Wiclif 's  Traktat  De  probationibus  pro- 
positionum,  Prokop  von  Pilsen  am  31.  Juli  den  Traktat  De  ideis. 
und  Zdislaw  von  Wartenberg  und  Zwierzeticz  am  6.  August 
den  Traktat  De  Universalibus  realibus2).  Das  waren  aber  keines- 
wegs rein  wissenschaftliche  Erörterungen  für  einen  engen  aka- 
demischen Kreis  ,  sondern  Reden  an  Gebildete  überhaupt,  worin 
alle  Fragen  des  Tages  mit  Nachdruck  und  Freimüthigkeit  be- 
sprochen wurden.  Wenigstens  zeigt  dies  der  betreffende  Vortrag 
von  Hus  deutlich  genug3).  Und  wir  möchten  deshalb  Palacky 
nicht  beistimmen ,  wenn  er  meint,  diese  Vorträge  hätten  für  den 
ferneren  Gang  der  Ereignisse  keine  Bedeutung  gehabt4).  Zu- 
gleich hielt  Hus,  nach  wie  vor,  in  der  Bethlehemskapelle,  deren 
Pfarrer  er  war,  Predigten  in  böhmischer  Sprache,  vor  einer  un- 
geheuren Menschenmenge.   Der  Ton,  in  dem  er  sprach,  wurde 


1)  Deo  est  maejis  oh  ed  im  dum  quam  hominibus  in  Iiis  quae  sunt  necessa- 
ria  ad  salutem.  PALACKY,  Documenta ,  395. 

2)  Die  akademische  Ankündigung  dieser  Disputationen  resp.  Vorträge 
ist  noch  vorhanden,  s.  Palacky,  Documenta,  399  folg. 

3)  Actus pra  defensione  lihri  Joannis  Wide  f  de  Trinitate,  s.  in  Jo.  Hus, 
Optra,  15öS.  f.  105»  —  I OT*. 

1    Gesch.  von  liöhmen,  III,  1.  255. 


Verwendung  für  Hus. 


163 


immer  kühner  und  aufregender.  Die  versammelte  Gemeinde  ant- 
wortete ihm  je  und  je  mit  zustimmenden  Worten:  durch  die  An- 
sprachen des  Predigers  und  den  Widerhall  aus  der  Gemeinde 
wuchs  die  beiderseitige  Entschlossenheit  und  Zuversicht.  Wenn 
II us  dem  Schreiben  des  letztverstorbenen  Papstes  Alexander  V. 
an  den  Erzbisehof  widersprach  und  behauptete  ,  er  kenne  keinen 
Böhmen,  der  ketzerisch  sei.  so  antwortete  ihm  das  ganze  Volk 
-Erlügt,  erlügt!«  (nämlich  der  Papst) .  Und  als  Hu  s  erwähnte, 
dass  er  gegen  die  Befehle  des  Erzbischofs  an  den  jetzigen  Papst 
appellirt  habe,  und  fragte :  »Wollt  ihr  euch  mir  anschliessend  so 
antwortete  die  ganze  Versammlung  böhmisch:  »Ja.  wir  schliessen 
uns  an1  !«  Endlich  ging  der  Prediger  so  weit  auszurufen  :  »Es 
thäte  wahrlich  Noth.  dass  wir .  ganz  wie  im  Alten  Bunde  Mose 
befohlen  hat.  uns  ein  Schwert  umgürteten  und  Gottes  Gesetz 
rertheidigten 2  . 

Ks  fehlte  eine  Zeit  lang  nicht  an  günstigen  Zeichen.  Als  im 
August  1410  ein  Nuntius  Johann's  XXIII.,  Antonio  von  Monte 
Cätino,  in  Prag  anlangte,  um  die  Erhebung  desselben  auf  den 
päpstlichen  Stuhl  der  Regierung  förmlich  kund  zu  thun.  verhan- 
delte diese  mit  ihm  über  die  streitige  Angelegenheit.  Und  als 
der  Nuntius  sich  auf  die  Heimreise  begab,  nahm  er  eigenhändige 
Schreiben  des  Königs  und  der  Königin  mit,  sowohl  an  den  Papst 
als  an  das  Cardinalscollegium,  ferner  Schreiben  mehrerer  Grossen 
des  Landes  so  wie  von  Seiten  der  Bürgermeister  und  des  Raths 
der  Altstadt,  welche  sich  sämmtlich  für  Hus  und  seine  Sache 
verwendeten.  Der  König  führt  mit  lebhafter  Entrüstung  Klage 
über  das  Verfahren  des  verstorbenen  Papstes  und  über  die  Krän- 
kung, welche  seinem  Reich  durch  die  Anschuldigung  der  Ketzerei 
zugefügt  worden,  und  begehrt  Cassation  der  gefällten  Sentenz 
gegen  die  Schriften  W  i  c  1  i  f '  s .  und  des  Verbots  der  Predigt  aus- 
serhalb der  Kloster-  und  Pfarrkirchen.    Die  Königin  ihrerseits 


1  Wir  kennen  diese  Hergänge,  zum  Theil  wortgenau,  aus  einer  gegen 
Hus  gerichteten  Eingabe  an  Papst  Johann  XXIII.,  welche  Cardinal  von 
Colonna  seinem  Schreiben  an  Erzbischof  Sbynjek  als  Inserat  einverleibt 
hat,  bei  Palacky,  Monumenta,  404  folg. 

2)  a.  a.  O.  405. 

11* 


164 


Buch  III.   Kap.  3.  III. 


bittet  mit  besonderer  Wärme  und  Dringlichkeit  ausdrücklich  für 
die  Bethlehemskapelle,  zu  der  sie  persönlich  sich  zu  halten 
pflegte.  Die  Barone  von  Kr a war  machen  gegen  das  Verbot 
der  Predigt  ausserhalb  der  Pfarr-  und  Klosterkirchen  geltend, 
was  denn  mit  den  Schlosskapellen  des  Adels  werden  solle .  wo 
oft  gepredigt  werde?  oder,  wie  man  denn  im  Felde  Gottes  Wort 
hören  könne,  wo  es  am  notwendigsten  sei?  Und  der  Magistrat 
von  Prag  Altstadt  beruft  sich  auf  sein  wohlerworbenes  Collatur- 
recht  zu  einer  der  Predigerstellen  an  der  Bethlehemskapelle 1] . 
Und  es  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  in  allen  diesen  Schreiben  auf 
die  Predigt  des  göttlichen  Worts  ein  ganz  besonderer  Nach- 
druck gelegt  wird. 

Allein  das  kam  alles  zu  spät.  Der  Erzbischof  hatte  den 
neuen  Papst  bereits  für  sich  gewonnen.  Kaum  war  die  Protesta- 
tion und  Appellation  von  Hus  und  Genossen,  vom  25.  Juni,  an 
den  Papst  abgeschickt,  so  gingen  Abgesandte  des  Erzbischofs 
nach  Bologna,  um  dem  dort  weilenden  Johann  XXIII.  die  Sache 
in  dem  angemessenen  Lichte  darzustellen.  Der  Papst  beauf- 
tragte den  Cardinal  Otto  von  Colonna  (nachmals  Martin  V.) ,  mit 
Untersuchung  und  richterlicher  Entscheidung  des  Processes.  Und 
dieser  gab  schon  am  25.  August  1410  die  Entscheidung  dahin, 
dass  die  eingelegte  Appellation  zurückgewiesen,  das  bisherige 
Verfahren  des  Erzbischofs  von  Prag,  auf  Grund  des  Mandats  von 
Alexander  V.,  bestätigt,  und  der  Erzbischof  bei  Strafe  der  Inter- 
diction ,  Suspension  und  schliesslich  Excommunication ,  angewie- 
sen wurde,  gegen  Hus  und  Genossen,  nötigenfalls  unter  An- 
rufung des  weltlichen  Arms,  weiter  zu  verfahren2  .  Zugleich 
scheint  ein  Befehl  an  Hus  ergangen  zu  sein,  sich  persönlich  zur 
Verantwortung  vor  der  päpstlichen  Kurie  einzufinden  ; 

Allein  auch  diese  Schritte  führten  nicht  zum  Ziel.  Die  Auf- 
regung stieg  nur  immer  höher.   Selbst  die  Regierung .  weit  ent- 

1)  Nicht  weniger  als  S  dieser  Schreiben  gibt  Palacky  in  Doamiettf«, 
S.  409  —  415. 

2)  Die  Urkunde  des  Cardinais  Colonna  vollständig  bei  Palacky,  Mo- 
nwneiita,  p.  401 — 4<>V 

'S  Die  Vorladung  Hus'ens  zur  päpstlichen  Kurie  steht  nicht  in  diesem 
Erlass.    Sie  erging  wahrscheinlich  durch  den  Erzbischof. 


Verhandlungen  an  der  Kurie. 


165 


fernt,  ihren  Arm  der  Hierarchie  zu  leihen,  trat  noch  entschlosse- 
ner und  nachdrücklicher  als  bisher  für  Hus  ein  und  der  Kurie 
entgegen.  Mit  unverholener  Entrüstung  schrieb  König  Wenzel 
unter  dem  30.  September  an  den  Papst  und  den  Cardinal  Co- 
lonna,  und  forderte,  dass  der  Process  gegen  Hus  niederge- 
schlagen und  den  streitenden  Parteien  Stillschweigen  auferlegt 
werden  möge.  Die  Kapelle  Bethlehem  solle  bei  ihren  Rechten 
beladen,  die  Vorladung  an  H u s  cassirt  werden,  man  möge  ihn 
in  Böhmen  vernehmen  u.  s.  w. x) .  In  demselben  Sinn  instruirte 
der  König  seinen  Bevollmächtigten  am  päpstlichen  Hofe,  den 
Doetor  der  Rechte,  Johann  Naas2).  Zu  gleicher  Zeit  schickte 
Hus  seinen  Freund,  Mag.  Jesenitz,  als  seinen  Anwalt  nach 
Bologna. 

Alles  umsonst !  Das  einzige ,  was  der  König  erreichte  ,  war, 
dass  der  Papst  statt  Colonna's  vier  andere  Cardinäle,  an  deren 
Spitze  Franz  Z  abare  IIa  und  Ludwig  Brancaccio  standen, 
zu  Comniissaren  in  dem  Process  gegen  Hus  ernannte3).  Die 
Folge  hievon  war  jedoch  blos,  dass  die  Sache  auf  die  lange 
Bank  geschoben  wurde ,  ohne  den  Urteilsspruch  des  Cardinais 
Colonna  vom  25.  August  1410  zu  cassiren  oder  zu  bestätigen. 
Somit  wurde  in  Folge  jener  Sentenz  am  Sonntag  Oculi,  den 
1.").  März  1411  in  allen  Kirchen  von  Prag,  mit  Ausnahme  von 
zweien,  deren  Pfarrer  sich  dessen  weigerten,  der  Bann  gegen 
Johann  Hus  feierlich  verkündigt4) .  Da  ferner  die  Bürgermeister 
und  Stadträthe  der  Altstadt ,  Neustadt  und  Kleinseite  von  Prag 
die  auf  Befehl  des  Königs  mit  Beschlag  belegten  Grundstücke 
und  Einkünfte  des  Erzbischofs,  einiger  Domherren  und  Kleriker, 
ungeachtet  der  Eröffnungen  Seiten  des  Erzbischofs,  nicht  frei 
gaben,  so  verhängte  letzterer  im  Mai  auch  über  sie  den  Bann5). 


1)  Palacky  a.  a.  O.  422  ff.  Auch  die  Königin  sprach  sich  in  einem 
Schreiben  an  den  Papst  und  in  einem  zweiten  an  das  Cardinalscollegium  mit 
auffallender  Schärfe  aus. 

2)  a.  a.  O.  425  folg. 

3)  Hefele,  Conciliengeschichte,  VII,  1.  44. 

4)  Chronica»  Bohemie,  bei  Hoefler,  Geschichtschreiber,  I,  12. 

5  Das  Mandat  des  Erzbischofs  Sbynjek,  vom  2.  Mai  1411,  aus  dem 
Archiv  des  Prager  Domkapitels,  bei  Palacky,  Documenta,  429  ff. 


166 


Buch  III.   Kap.  3.  III. 


Und  als  selbst  dies  nicht  half,  belegte  er  schliesslich  die  Stadt 
Prag  mit  dem  Interdikt. 

Er  harte  die  äussersten  Mittel  angewandt,  die  ihm  zur  Ver- 
fügung standen.  Und  doch  sah  er  nicht  den  mindesten  Erfolg. 
Bann  und  Interdikt  wurden  ignorirt :  H  u  s  setzte  die  Predigten  in 
der  Bethlehemskirche  fort ,  als  wäre  nichts  geschehen.  In  vielen 
Kirchen  der  Stadt  gingen  Messen  und  andere  Gottesdienste  ihren 
gewöhnlichen  Gang.  Die  Kluft  zwischen  der  Hierarchie  und  der 
Bevölkerung  wurde  nur  noch  breiter  und  tiefer.  Die  Staatsre- 
gierung trat  dem  Domkapitel  offen  entgegen :  mehrere  Pfarrer, 
welche  das  Interdikt  beobachteten .  mussten  Prag*  verlassen .  die 
Kirchenschätze  des  Doms  wurden  in  die  Festung  Karlstein  ge- 
schafft. Der  Erzbisehof  Sbynjek  war  aufs  äusserste  bloss- 
gestellt. 

Diese  Erfahrung  scheint  ihn  schliesslich  gebeugt  zu  haben. 
Er  gab  den  Vorstellungen  einer  vermittelnden  Partei  Gehör  und 
verstand  sich  Anfangs  Juli  1411  zu  einem  Ausgleich,  der  durch 
dieselben  Staatsmänner  angebahnt  wurde,  welche  um  diese  Zeit 
ctie  Aussöhnung  zwischen  den  beiden  rivalisirenden  Brüdern  Kö- 
nig Wenzel  und  Sigismund  von  Ungarn  zu  Stande  gebracht 
hatten.  Am  3.  Juli  hatten  die  Unterhandlungen  den  Erfolg, 
dass  die  streitenden  Parteien ,  einerseits  der  Erzbisehof  mit  dem 
auf  seiner  Seite  stehenden  Klerus,  andererseits  Johann  Hus  mit 
seinem  Anhang,  sich  einem  von  König  Wenzel  zu  ernennenden 
Schiedsgericht  im  voraus  unterwarfen 1  .  Dieses  Schiedsgericht 
wurde  sofort,  unter  dem  Vorsitz  des  Kurfürsten  Rudolph  III.  vmi 
Sachsen-Wittenberg  aus  dem  Hause  Ascanien  ,  des  siebenburgi- 
schen  Grafen  Stibor  ( als  Bevollmächtigten  von  Sigismund  ,  und 
des  Obersthofmeisters  Baron  Latzek  von  Krawar  aus  Mähren, 
aus  3  Prälaten  und  1  weltlichen  Grossen  und  Beamten  gebildet. 
Und  schon  in  drei  Tagen  kam  man  mit  den  Unterredungen,  an 
denen  auf  Seite  der  Appellanten  Hus  selbst,  Simon  von  Tiss- 
now,  damaliger  Kector  der  Universität.  Markus  von  Königgrätz 


1  Die  notarielle  Doppelurkunde  hierüber  s.  hei  P.m.acky.  Documenta 
434—437. 


Ausgleichs  versuch . 


107 


und  Stephau  von  Paletz  Theil  nahmen,  so  weit,  dass  bereits  am 
(>.  Juli  der  Schiedsspruch  gefällt  werden  konnte.  Derselbe  ging 
dahin,  dass  theils  zwischen  dem  König  und  dem  Erzbischof,  theils 
zwischen  dem  Erzbischof  und  Hus  nebst  Anhang,  mittels  bei- 
derseitiger Concessionen ,  eine  Vereinbarung  bewerkstelligt  wer- 
den sollte1).  Der  Schwerpunkt  des  Ausgleichs  lag  darin,  dass 
sämmtliche  Differenzpunkte  der  Entscheidung  der  Kurie  entzo- 
gen, vielmehr  innerhalb  des  Landes  selbst  durch  gegenseitige 
Zugeständnisse  geschlichtet  werden  sollten.  Insbesondere  wurde 
dem  Erzbischof  der  Entwurf  eines  Schreibens  an  den  Papst  vor- 
gelegt, worin  er  aussprechen  sollte,  er  habe,  im  Laufe  der  Unter- 
suchung, in  Prag  und  in  Böhmen  nebst  Mähren  überhaupt  keine 
Ketzerei  gefunden ,  sich  auch  mit  Hus  und  der  Universität  durch 
Vermittlung  des  Königs  vollkommen  verständigt;  demgemäss 
enthielt  das  vorgeschlagene  Schreiben  schliesslich  die  Verwen- 
dung des  Erzbischois  bei  Johann  XXIII.  für  Zurücknahme  aller 
vom  heil.  Stuhl  ergangenen  Censuren,  auch  der  persönlichen 
Vorladung  des  Magister  Hus  vor  die  Kurie2). 

Allein  der  Ausgleich  ist  doch  nicht  zu  Stand  und  Wesen  ge- 
kommen. Zwar  Hus  ging  alles  ein,  was  ihm  zugemuthet  wurde; 
und  das  konnte  er  um  so  mehr,  als  der  ganze  Vergleich  ihm  über- 
aus günstig  war.  Am  1.  September  stellte  er  sich  im  Carolinum 
vor  Rector  und  Universitätsversammlung,  und  verlas  eine  von 
ihm  schriftlich  aufgesetzte  Erklärung,  welche  theils  ein  positives 
(Tlaubensbekenntniss ,  theils  die  Ablehnung  mehrerer  gegen  ihn 
erhobener  Anschuldigungen  enthielt.  Diese  Erklärung  wurde  auf 
sein  Ansuchen  notariell  beglaubigt,  und  mit  dem  Universitätssie- 
gel versehen  1  .  Unter  demselben  Datum  liess  Hus  ein  mit  dieser 
Erklärung  fast  buchstäblich  gleichlautendes  Schreiben  an  Papst 


1  Der  Schiedsspruch,  so  weit  er  den  Erzbischof  einerseits  und  die 
königliche  Regierung  andererseits  betraf,  a.  a.  O.  4:57  —  44<>.  im  tschechi 
sehen  Original,  mit  lat.  Uebersetzung. 

2  a.  a.  0.  441  folg.  Das  Schreiben  ist  sicherlich  nicht  von  Sbynjek 
selbst  aufgesetzt,  wie  Boehrixger,  Vorreformatoren.  II,  216,  und  Krüm- 
mel, Gesch.  der  böhm.  Ref.  im  XV.  Jahrhundert,  S.  229  annehmen,  son- 
dern ihm  fertig  vorgelegt,  so  dass  er  nur  seine  Unterschrift  geben  sollte. 

3)  bei  Hoei-'LER.  Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewegung,  I,  1(54—  168. 


163 


Buch  III.    Kap.  3.  III. 


Johann  XXIII.  abgehen1  .  Vermuthlich  stammt  aus  derselben 
Zeit  auch  ein  Schreiben  an  das  Collegium  der  Cardinäle .  worin 
Hus  deren  Verwendung  dafür  nachsucht,  dass  ihm  erlassen 
werde,  sich  persönlich  vor  der  Kurie  zu  stellen2  .  Allein  der 
Erzbischof  trat  fast  um  dieselbe  Zeit  von  der  Vereinbarung  zu- 
rück, und  erklärte  unter  dem  5.  September  in  einem  Schreiben 
an  den  König ,  er  könne  seiner  Ehre  und  des  Gewissens  halber 
das  ihm  zugemuthete  Schreiben  an  den  Papst  nicht  erlassen.  Er 
beschwert  sich  über  vielfache  Verletzungen  des  im  Juli  geschlos- 
senen Abkommens  von  Seiten  gewisser  Priester ,  welche  Irrleh- 
ren und  Lästerungen  wider  die  Kirche  vortrügen,  von  Seiten  der 
Prager  Einwohnerschaft,  welche  mit  Schmähschriften,  selbst  mit 
Thätlichkeiten  sich  gegen  ihn  vergehe :  ja  er  gibt  deutlich  genug 
zu  verstehen ,  der  König  selbst  bezeige  sich  parteiisch  für  seine 
Gegner  und  wider  ihn  selbst.  Deswegen  sehe  er  sich  genöthigt. 
sich  an  den  König  von  Ungarn ,  Sigismund  ,  •  zu  wenden 3  .  Der 
Erzbischof  hatte  inzwischen  Prag  verlassen  und  befand  sich  in 
diesem  Augenblick  bereits  auf  der  Reise  nach  Ungarn  zu  Leito- 
mischl,  unweit  der  mährischen  Grenze.  Unterwegs  befiel  ihn 
aber  eine  schwere  Krankheit,  der  er  am  28.  September  zu  Press- 
burg in  Ungarn  erlag. 

Der  Tod  des  Erzbischofs  Sbynjek,  von  welchem  Hus  an- 
fangs begünstigt,  später  gemaassregelt  worden  war,  bildet  in  dem 
Verlauf  der  hussitischen  Bewegung  einen  gewissen  Ruhepunkt. 
bei  dem  wir  anhalten,  um  einen  orientirenden  Rückblick  zu  thun. 

Es  ist  unverkennbar,  dass  von  dem  Zeitpunkt  an,  wo  Johann 
Hus  vom  Erzbischof,  beziehungsweise  von  der  päpstlichen  Kurie, 
der  Begünstigung  von  Irrlehren  beschuldigt  wurde,  Schriften 
Wiclif's  der  Angelpunkt  gewesen  sind,  um  den  sich  alles  drehte. 
Von  dem  Standpunkt  des  Jahres  1411  aus  angesehen,  stellte  sieh 
alles  Frühere  nur  als  Vorspiel  dar.  Anfänglich  hatte  Hus  in 
vollem  Einverstiiiidniss  mit  seinem  Erzbischof,  gewisserma&sseri 
als  dessen  Sprecher,  nämlich  als  wohlbestellter  Synodalprediger, 


1  Palacky,  Documenta,  IS  — 20. 

2  Palacky  a.  a.  0.  20  folg. 
3]  a.  a.  0.  143  tf". 


Der  Wiclifismus  als  Angelpunkt  der  böhmischen  Bewegung.  169 


für  straffe  Zucht  und  Sittenreform  inmitten  der  Geistlichkeit  gear- 
beitet. Als  die  ersten  Beschwerden  wider  ihn  beim  Erzbischof  Ge- 
hör fanden  im  Jahr  14()b  .  galten  dieselben  der  scharfen  sittlichen 
Kritik  wider  einzelne  Geistliche,  welche  sich  Hus  in  Predigten 
erlaubt  hatte.  Die  ersten  Andeutungen  von  Irrlehre,  welche  die 
Gegner  von  Hus  sich  erlaubten  1409).  standen  im  Zusammen- 
hang mit  Ausdrücken  der  Verehrung-  für  Wiclif .  welche  ihm  ver- 
dacht wurden.  Endlich  kam  die  vom  Erzbischof  erwirkte  papst- 
liche Bulle  Alexander  s  V.  (März  1410),  mit  der  Vollmacht,  gegen 
die  Verbreitung  von  Irrlehren  einzuschreiten  und  die  Auslieferung 
W i c  1  i  f  scher  S  c  h  r i  f t  e  n  zu  erzwingen.  Das  Verbot  der  Predigt 
in  Kapellen  ging  nur  nebenher.  Jetzt  handelte  es  sich  um  die 
Vollziehung  des  den  W i c  1  i f-Büchern  gedrohten  Ketzergerichts. 
Dieses  wird  ungeachtet  der  dagegen  eingewendeten  Appellation, 
des  Protestes  von  Universitätsmitgliedern,  trotz  der  Verwendung 
von  Seiten  des  Königs,  wirklich  vollzogen. 

Nun  folgten  die  Nachwirkungen  dieses  Aktes  :  Erregung  des 
Volks.  Kegierungsmaassregeln  zur  Erhaltung  des  Landfriedens, 
akademische  Vorträge  zur  Vertheidigung  der  verurtheilten  und 
verbrannten  Bücher  von  Wiclif,  kühne  aufregende  Predigten, 
nachdrückliche  Vorstellungen  des  Hofes,  des  Adels,  des  Prager 
Magistrats  bei  der  päpstlichen  Kurie,  um  Cassation  der  Sentenz 
und  Niederschlagung  des  Processes  zu  erlangen.  Alles  umsonst ! 
Die  Appellation  wird  vom  Papst  zurückgewiesen,  im  Gegentheil 
weiteres  Verfahren  anbefohlen.  Der  Bann  wird  über  Hus,  das 
Interdikt  über  Prag  verhängt !  Der  vereinbarte  Ausgleich,  wor- 
nach  der  Erzbischof  amtlich  erklären  sollte,  er  wisse  in  Böhmen 
und  Mähren  nichts  von  Irrlehren,  ist  zuletzt  durch  den  Rücktritt 
Sbynjek's  von  der  Vereinbarung  hinfällig  geworden.  Kurz, 
der  Mittelpunkt  von  alle  dem  ist  der  Wiclifismus  ge- 
wesen. Das  ergibt  sich  aus  den  amtlichen  Urkunden,  die  wir  zu 
Grunde  gelegt,  mit  Evidenz. 

Diese  Thatsache  wird  auch  von  einer  andern  Seite  her  be- 
stätigt. 

Ein  gelehrter  Karthäuserprior  zu  Dolan  bei  Olmütz  die 
Karthause  führte  den  Klosternamen  »Maria  im  Thal  Josaphat« 
welcher  am  7.  Juni  1421  gestorben  und  einer  von  den  eifrigsten 


ITi» 


Buch  III.   Kap.  3.  III. 


Gegnern  der  hnssitischen  Partei  gewesen  ist.  weshalb  er  der 
-Hnssitenhammer«  genannt  wurde,  gab  im  Jahr  1411  eine  Streit- 
schrift heraus,  an  der  er  seit  dem  Jahre  140S  gearbeitet  hatte. 
Das  Buch  führt  den  Titel:  »Weizenmark  oder  AntiWikleff« '), 
und  ist  dem  oben  erwähnten  Generalvicar  des  Erzbischofs  Sbynjek 
von  Prag.  Johann  von  Kbel  um  deswillen  gewidmet,  weil  der- 
selbe sowohl  in  Predigten  als  durch  Maassregeln  kirchlicher  Dis- 
ciplin  die  Irrlehrer  bekämpfe.  Die  Veranlassung  dieses  Werkes 
war.  laut  der  Dedication.  dass  der  Prior  erfuhr,  es  hätten  »gewisse 
Magister  von  der  Wiclifitenpartei .  nachdem  sie  fremde  Länder 
durchstreift,  nun  auch  in  Böhmen  und  Mahren  Fürstenhöfe,  Hör- 
säle und  Lehrstühle,  das  Volk  beiderlei  Geschlechts,  ja  auch 
Klöster  und  sogar  die  stillen  abgelegenen  Zellen  der  Karthäuser 
mit  den  heulenden  Tönen  ihrer  verderblichen  Posaune  erfüllt2) .« 
Stephan  bekennt,  dass  er  anfänglich,  als  er  erzählen  hörte,  dass 
Einige  in  ihren  Vorlesungen  die  Schriften  Wie lif's  benutzten, 
Wiclif  selbst  als  entschuldbar  angesehen  habe:  seitdem  er 
aber  zufällig  dessen  Trialogus  in  die  Hand  bekommen,  sei 
ihm  erst  klar  geworden,  dass  der  Mann  einer  teuflischen  Ketzerei 
huldige 3  .  Und  dass  solch  ein  »Erzketzer  mit  seinen  gegen  Chri- 
stum und  die  Kirche  gerichteten  Lehren«  von  eingeborenen  B  ö  h  - 
in  e  n  mit  Hochschätzimg  aufgenommen  worden,  dass  man  für  ihn 
öffentlich  und  im  geheimen  mit  allen  Kräften  wirke,  seine  Trak- 
tate verbreite  u.  s.  w..  das  schmerzt  ihn  ganz  ausserordentlich, 
um  der  Ehre  Böhmens  willeu.  welches  von  alten  Zeiten  her  bis 
jetzt  von  Irrlehren  rein  gewesen  sei,  aber  in  der  Gegenwart  bei 


1  Den  Abdruck  dieser  Schrift  verdanken  wir  dem  gelehrten  Bene- 
diktiner aus  Kloster  Mölk,  Bernhard  Pez,  f  1735,  welchen  man  den  »öst- 
reichischen  Mabillon«  genannt  hat.  Er  hat  die  Schrift  des  Karthäusers 
Stephan  im  IV.  Band  seines  'Thesaurus  Anecdotorum  novissimus,  Pars  2, 
f.  150  —  359  veröffentlicht,  nach  einer  Handschrift  der  Karthause  von  01- 
mütz.  Das  Buch  zerfällt  in  4  Bücher,  deren  erstes  und  viertes  vom  Sakra- 
ment des  Altars,  namentlich  von  der  Wandlung  handelt,  -während  das 
/.weite  die  Kirchenverfassung,  insbesondere  das  Mönchthum  und  die  Bet- 
elorden, das  dritte  den  römischen  Primat  und  das  Kirchengut  gegen  Wi- 
clif vertheidigt. 

1    bei  Pkz,  Thesaurus  Anecdotorum,  Vol.  IV,  2,  15u  tf". 

3'  a.  a.  O.  Buch  I.   Kap.  !>.  f.  10* 


Der  Karthäuserprior  Stephan  gegen  Wiclif. 


IT] 


den  Deutschen  und  andern  Nationen  in  den  übelsten  Ruf  komme  !) . 
In  der  Umgebung  des  eifrigen  Priors  machten  die  Schriften  Wi- 
clif s  lebhaftes  Aufsehen.  Erzählt  er  doch  selbst  von  einem 
Traumgesicht,  welches  einem  Manne .  dessen  Namen  und  Stand 
der  Verfasser  zwar  kennt  aber  nicht  ausdrücklich  nennt,  erschie- 
nen sei:  Die  Lektüre  des  Trialogus  von  Wiclif.  insbeson- 
dere dessen  Erörterungen  Iber  das  Sakrament  dtjs  Altars,  griffen 
den  Ungenannten  dermaassen  gemüthlieh  an .  dass  ihm  die  Be- 
trübniss  über  die  der  heiligen  Kirche  widerfahrene  Unbill  schlaf- 
lose Nächte  bereitete.  Als  er  nun  einmal  gegen  Morgen  mit 
zurückgeneigtem  Haupte  ruhte,  war  es  ihm,  als  dringe  Wiclif 
in  das  Zimmer  ein .  knirschend  vor  Zorn,  und  stürze  nicht  blos 
mit  Worten  des  Vorwurfs,  sondern  auch  mit  fürchterlichen  Strei- 
chen auf  ihn  zu.  während  viele  Personen  rings  umher  sassen.  Er 
weicht  zurück  vor  dem  Erzürnten  :  bei  einer  Wendung  rückwärts 
erblickt  er  eine  dreizackige  Mistgabel  auf  dem  Fussboden :  diese 
ergreift  er.  und  versetzt  damit  dem  Gegner  einen  so  wuchtigen 
Schlag  auf  den  Kopf,  dass  derselbe  niederstürzt.  Nun  schlägt  er 
ihm  das  Gehirn  aus  und  bringt  ihn  um.  Da  preisen  die  Zuschauer 
Gott :  dem  Sieger  aber,  der  über  seinen  Todtschlag  selbst  er- 
schrocken ist.  wird  zu  seinem  Trost  gesagt :  »Fürchte  dich  nicht ! 
die  Ermordung  dieses  Menschen  wird  dir  keine  Schuld  zuziehen 2  ! 
Ferner  erwähnt  Stephan,  er  habe  bestimmte  Kunde  davon  erlangt, 
dass  in  Böhmen  und  Mähren  viele  Personen,  sogar  in  Klöstern, 
durch  die  Schriften  Wiclif "8  zum  Wanken  gebracht  und  irre 
geworden  seien :  andererseits  spricht  er  mit  grossem  Wohlgefallen 
davon,  dass  ein  gutgesinnter  Mann,  ein  Magister  der  freien 


1  a.  a.  O.  I.  c.  7.  f.  1 S4.  vgl.  II,  c.  2.  f.  213:  nefaria  dietamina. 
quae  in  orbe  terrurum  liinc  inde  discurrunt  scripta  per  chartuias .  was 
offenbar  auf  die  weite  Verbreitung  Wiclif  scher  Flugschriften  anspielt. 
Aus  ersterer  Stelle  ergibt  sich,  dass  der  Verfasser  von  einem  wannen  tsche- 
chischen Patriotismus  beseelt  war,  und  dass  er  völlig  ebenso  wie  Hus  selbst 
auf  den  bis  dahin  unverletzten  Ruf  vollständiger  Rechtgläubigkeit  der  Böh- 
men pochte. 

2  a.  a.  O.  f.  246  folg.  P.  II,  c.  12.  Stephan  erwähnt,  diese  Vision,  von 
der  er  ein  grosses  Aufheben  macht  und  die  er  allegorisch  deutet .  sei  nur 
3  Tage  vor  dieser  Aufzeichnung  dem  Ungenannten  geworden. 


172 


Buch  III.    Kap.  III. 


Künste,  der  aber  jetzt  dieser  akademisches  Würde  entsagt  habe 
und  in's  Kloster  gegangen  sei.  eine  scharfe  Streitschrift  offenbar 
wider  W  i  e  l  i  f  verfasst  habe  1  . 

Es  ist  bemerkenswerth.  dass  der  Verfasser  in  dieser  Streit- 
schrift niemals  bestimmte  Personen  als  Anhänger  Wiclif  s  nam- 
haft maeht.  insbesondere  den  Johannes  Hus  nicht  ein  einziges 
Mal  erwähnt.  Er  hat  nur  mit  Wiclif  selbst  zu  thun .  aber  so 
unmittelbar,  dass  seine  Polemik  in  der  Regel  in  eine  persönliche 
Apostrophe  an  den  seit  einem  vollen  Menschenalter  Verstorbenen 
übergeht.  Einmal  fühlt  er  denn  doch,  dass  er  sich  dafür  ent- 
schuldigen müsse,  wenn  er  zu  häufig  und  mit  allzu  starker  Er- 
regung gegen  W iclif  und  Genossen  sich  ausspreche :  allein  er 
könne,  als  treuer  Sohn  der  Kirche,  zu  den  ungerechten  Schmähun- 
gen des  Mannes  wider  die  Kirche  nicht  stille  schweigen2  .  Stephan 
kennt  recht  wohl  den  Scharfsinn  und  die  dialektische  Meister- 
schaft Wiclif  s.  worin  er  unvergleichlich  und  unwiderstehlich 
gewesen  sei 3  ;  auch  blickt  durch  alle  Polemik  die  Erinnerung  an 
dessen  anerkannte  Frömmigkeit  durch,  wenn  er  behauptet.  Wi- 
clif sei  erst  in  späten  Jahren  satanisch  gesinnt  geworden,  das 
Sprichwort  sei  an  ihm  in  Erfüllung  gegangen : 

»Jung  war  er  engelgleich,  wird  Satan  gleich  in  dem  Alter«4  . 
Der  mönchische  Polemiker  entwirft  ein  abschreckendes  Bild  von 
Wiclif.  dem  er  sündlichen  Hoehmurh  und  völlige  Gottlosigkeit5 
aber  auch  lieblose  Gesinnung  und  mörderische  Tücke  Schuld 
gibt6  .  Er  ruft  seinen  Lesern  zu:  »Wachet  und  betet,  und  wisset, 
dass  in  diesem  Menschen  und  seinen  ruchlosen  Schritten  euer 
Widersacher,  der  Teufel,  umhergeht  wie  ein  brüllender  Löwe  und 
suchet,  wen  er  verschlinge  7  !«  Er  meint.  Wiclif  sei  in  weit  \  er- 


1  a.  a.  0.  220.  P.  II.  c.  1. 

2  a.  a.  0.  200.  ?.  I.  C.  U>. 
:*)  a.  a.  0.  218.  P.  II.  c.  4. 

4   Impletur  in  tr,  qttod  dieifw: 

»AngeKcus  Juvenis  senibus  sathanizat  in  annis*. 
a.  a.  O.  252.  P.  II,  c.  8. 

5)  a.  a.  O.  172.  17:t.  P.  I,  c.  :« :  JuT.  P.  II.  c.  !. 

6)  a.  a.  O.  232.  24:<.  P  II.  c.  S.  11. 

7    nach  I  Pt'tri  :>.  V  a.  a.  ().  191.  P.  1.  c.  8. 


Der  Wiclifismus  in  Böhmen. 


dammlioherer  Weise,  als  Judas  Iseharioth.  ein  Verräther  Christi 1  , 
ja  er  werfe  sich  in  seiner  Anmaassung  zu  einem  Widerchristen 
auf  2  ;  kein  Wunder,  dass  er  ihn  als  verflucht  und  der  Verdamm- 
niss  anheimgefallen  behandelt  . 

Das  Dasein  dieser  Streitschrift  und  ihr  ganzer  Inhalt,  zu- 
sammengenommen mit  dem  leidenschaftlich  erregten,  je  zuweilen 
auch  spöttischen  Ton  der  Erörterung4  ,  beweist  hinlänglich,  dass 
bei  der  Bewegung  der  Geister,  welche  in  den  Jahren  1408 — 1411 
Böhmen  und  Mähren  ergriffen  hatte,  der  Wiclifismus  zu  Grunde 
lag.  Jedenfalls  hatte  Hus  diese  Schrift  des  Priors  Stephan  im 
Auge,  als  er  in  dem  zu  seiner  Rechtfertigung  bestimmten  Brief  an 
den  Karthäuserconvent  zu  Dolan  vom  Jahr  1412  dem  Prior  na- 
mentlich vorhielt,  er  fälle  in  seinem  Buche  ein  verdammendes  Ur- 
theil  älter  Wiclif's  Person,  während  derselbe  doch  längst  vor 
Gottes  Richterstuhl  stehe,  anstatt  dass  er  sich  auf  ein  Urtheil  über 
Wie  Ii  f '  8  A  e  u  s  s  e  r  u  n  g  e  n  beschränken  sollte 5  . 
• 

IV. 

Vor  der  Hand  war  eine  erwartungsvolle  Pause  eingetreten. 
Als  aber,  unter  dem  Nachfolger  Sbynjek's,  dem  Erzbischof  Albik 
von  Unitschow.  welcher  bisher  königlicher  Leibarzt  gewesen  war, 
die  Wellen  wieder  hoch  gingen,  schien  es,  als  hätte  die  neue  Be- 
wegung keinen  Zusammenhang  mit  der  bisherigen,  und  gar  keine 
Beziehung  zum  Wiclifismus. 

Papst  Johann  XXIII.  rief  im  Herbst  1411  die  Christenheit  zu 
einem  Kreuzzug  auf  wider  den  König  Ladislaw  von  Neapel,  wel- 
cher eine  Hauptstütze  des  Gegenpapstes  Gregor  XII.  war  und  zu- 

1)  a.  a.  O.  193.  P.  I,  c.  9. 

2   qui  —  Antiehristum  te  constituis,  a.  a.  O.  269.  P.  III,  c.  1. 
3)  a.  a.  O.  304.  329.  P.  III,  c.  11;  P.  IV,  c.  329. 

4  Einmal  spottet  er  sogar  über  die  gichtischen  Leiden  des  Mannes,  in 
einer  Apostrophe,  worin  er  Wiclif  um  deswillen  verhöhnt,  weil  er  bei  sei- 
nem von  Gicht  gelähmten  Körper  es  mit  den  starken  Helden,  den  heiligen 
Vätern,  aufgenommen  habe,  II,  c.  3:  quis  te  fascinavit,  ut  — podagrico 
corpore  tuo  —  fortitudinem  ss.  Patrum  —  nitaris  dejicere?  214. 

5)  Palacky,  Documenta,  1869.  31  folg. 


174 


Buch  III.    Kap.  3.  IV. 


gleich  nach  der  Herrschaft  über  ganz  Italien  trachtete.  Zu  diesem 
Behuf  erliess  er  zwei  Bullen,  die  eine  vom  9.  September  an  alle 
Bischöfe  und  Prälaten,  die  andere  vom  2.  Dec.  1411  an  seine 
Hauptcommissare  für  Betreibung-  des  Kreuzzugs1  .  Der  Papst 
befahl  in  allen  Kirchen  feierlich  zu  verkündigen .  dass  König 
Ladislaw  und  alle  seine  Anhänger  im  Bann  seien,  und  forderte 
alle  Fürsten.  Prälaten  und  Gläubigen  zum  Kreuzzug  wider  die- 
selben auf,  mit  dem  Versprechen,  dass  allen,  welche  den  Kreuz- 
zug selbst  mitmachen  oder  ihn  nach  Kräften  unterstützen  würden, 
dieselbe  Vergebung  der  Sünden  gewährt  werde,  wie  sie  den 
Kreuzfahrern  in  s  heilige  Land  vom  heiligen  Stuhl  geschenkt 
worden  sei. 

Im  Mai  1412  erschien  in  Prag  einer  der  päpstlichen  Haupt- 
commissare, der  Passauer  Dechant  Wenzel  Tiem,  mit  den  beiden 
Bullen.  Er  erhielt  vom  König  und  Erzbischof  unbedenklich  die 
Erlaubniss .  die  Bullen  bekannt  zu  machen  und  Gelder  zu  dem 
Kreuzzuge  zu  sammeln.  Nun  wurden  mit  grossem  Pomp  Kreuz*- 
und  Ablasspredigten  gehalten,  und  im  Dom,  in  der  Teynkirche 
und  auf  dem  Wyschehrad  Opferkästen  aufgestellt,  um  die  Spen- 
den der  Gläubigen  aufzunehmen 2  . 

Diese  Dinge  erregten  aber  die  tiefste  sittliche  Entrüstung. 
Zwar  hatte  der  Erzbischof,  um  den  Schein  eines  Geldgeschäfts  zu 
beseitigen,  verboten  im  Beichtstuhl  Taxen  aufzuerlegen 3  .  Auch 
trat  die  theologische  Facultät,  unter  Stephanus  Paletz  als  Decan. 
dafür  ein,  dass  die  Päpste  Sündenvergebung  und  Ablass  verleihen 
könnten,  wie  sie  denn  seit  hundert  und  mehr  Jahren  mancherlei 
Ablässe  ertheilt  und  Jubeljahre  eingeführt  hätten:  auch  könne 
der  Papst  in  Xothfällen  die  Gläubigen  zum  Schutz  der  römisches 
Kirche  aufrufen4).  Allein  Hus  und  seine  Gesinnungsgenossen 
erhoben  dessen  ungeachtet  ihre  Stimme  öffentlich  auf  Kanzeln  und 
Kathedern  gegen  die  Ablassprediger,  die  Vertheidiger  des  Kreuz - 


1    Batd«  Bullen  abgedruckt  in  Hus,  Opera,  1558.  I,  171  ff. 

%   Hefelk,  Conciliengeschichte,  VII,  l.  4S. 

Natürlich  unterliess  Hus  seinerseits  nicht,  sich  auf  diesen  Erlass  zu 
berufen,  bei  Palacky,  Documenta,  p.  451  :  »Quod  populus  in  confessionüMt 
non  fa.rcfnr.« 

1    a.  a.  ().  4"i(i.  Urkunde  A.  am  Schlüsse. 


Hus  gegen  den  Ablas*  zu  Gunsten  eines  Kreuzzugs 


175 


zugs  und  Ablasses,  ja  gegen  den  Papst  selbst,  weil  er  hiemit 
widerehristlieh  handle. 

Insbesondere  kündigte  Hus  durch  mehrfache  öffentliche  An- 
schläge eine  Disputation  an.  welche  am  7.  Juni  im  grossen  Saale 
des  Carolinum  öffentlich  gehalten  werden  solle  über  die  Frage : 
>ob  es  nach  dem  Worte  Christi  gestattet  sei,  und  zur  Ehre  Gottes, 
zum  Heil  des  christlichen  Volkes  und  zum  Besten  des  Reichs  diene, 
die  Bullen  des  Papstes  über  den  Kreuzzug  gegen  König  Ladislaw 
von  Apulien  und  dessen  Anhänger,  vor  den  Gläubigen  zu  befür- 
worten 1  ?«  Es  war  vorauszusehen,  dass  diese  Disputation  die  Auf- 
regung nur  noch  steigern  würde.  Deshalb  wandte  sich  die  theo- 
logische Facultät  an  den  Erzbisehof.  und  Hess  ihn  durch  zwei 
Doctoren  der  Theologie  als  ihre  Abgeordneten  auffordern,  die 
Disputation  zu  untersagen2  .  Allein  dieselbe  kam  dessen  unge- 
achtet zu  Stande,  und  fand  zahlreiche  Betheiligung  von  Seiten  der 
Doctoren .  Magister  und  Studenten.  Indessen  hatte  die  theo- 
logische Facultät  durch  öffentliche  Anschläge  wenigstens  allen 
Baccalaureen  der  Theologie  bei  Strafe  untersagt,  gegen  die  Bullen 
des  Papstes  zu  disputiren3  .  Hus  selbst  war  zwar  ebenfall* 
Baccalaureus  der  Theologie  (seit  1394).  allein  er  Hess  sich  durch 
das  Verbot  der  theologischen  Facultät  nicht  abschrecken :  er  beriet 
sich,  dieser  Facultät  gegenüber,  darauf,  dass  ja  der  Erzbischof  in 
seinem  Erlasse  selbst  gewisse  Schranken  gezogen  habe  in  Hinsicht 
der  Bullen,  durch  die  Weisung,  erstens,  nicht  sowohl  das  Kreuz 
zu  predigen  als  das  Evangelium,  und  zweitens,  im  Beichtstuhl 
keine  Taxen  aufzuerlegen.  Was  bei  dieser  Disputation  verhandelt 
worden,  lässt  sich  am  sichersten  ersehen  aus  der  einige  Zeit  nach 
dem  Akt  bearbeiteten  und  veröffentlichten  Schrift  von  Hus4  .  Es 


1}  Jo.  Hus.  Opera,  I,  155s.  f.  174  —  1S9. 
2   Palacky.  Documenta,  449. 
■i   a.  a.  O.  450.  vgl.  451. 

4    Opera.  I,  155s.  f.  174  ff.   Die  Abhandlung  heisst  im  Titel:  Quae- 

stio  M.  Joannü  Hus  disputata  de  indulgentiis  etc.;  in  der  Ueber- 

schrift  der  einzelnen  Blätter:  Disputatio  adv.  indulgentias  papahs;  und 
am  Schluss :  Determ  i nat  i o  qw.iestionis  de  indulgentiis.  Die  Form  ist  ganz 
und  gar  scholastisch,  allein  der  Inhalt  ist  an  vielen  Stellen  überaus  frisch, 
ursprünglich  und  warm. 


176 


Buch  III.    Kap.  3.  IV. 


sind  zwei  Fragen,  mit  denen  er  sieh  darin  befasst :  die  Frage  vom 
Alibis*  selbst  und  die  von  dem  Kreuzzug.  Was  die  letztere  Frage 
anbelangt,  so  zieht  Hus  die  Berechtigung  »des  weltliehen  Arms«, 
d.  h.  des  Staates.  Kriege  zu  führen,  keineswegs  in  Abrede:  aber 
mit  grüsstem  Nachdruck  behauptet  er.  dass  der  Papst,  oder 
irgend  ein  Bischof,  im  Namen  der  Kirche  nie  und  nimmermehr 
das  Schwert  ergreifen  und  Krieg  führen  dürfe,  am  allerwenigsten 
weltlicher  Herrschaft  oder  irdischer  Schlitze  wegen.  Hat  doch 
Christus  seinen  Jüngern,  als  sie  für  ihn  selb  st  mit  dem  Schwert 
dreinschlagen  wollten,  gesagt:  »lasset  sie  doch  so  ferne  machen U 

Luc.  "22.  49  f.  Und  als  Petrus  das  Schwert  zog.  hat  Christus 
ihm  zugerufen:  stecke  dein  Sehwert  in  die  Scheide!«  Ferner, 
als  Jacobus  und  Johannes  Lust  hatten.  Feuer  vom  Himmel  fallen 
zu  lassen  auf  einen  Marktflecken  der  Samariter .  weil  dieselben 
sich  geweigert  hatten  Jesum  aufzunehmen,  hat  er  sie  gefragt: 

wisset  ihr  nicht,  welches  Geistes  Kinder  ihr  seid  h  Hätte  doch 
der  Papst,  sammt  seinen  Cardinälen.  den  Erlöser  selbst  gefragt: 
Herr  willst  du .  so  regen  wir  alle  Menschen  auf  zur  Vernichtung 
des  Ladislaw  und  Gregors  XII.  sammt  ihrem  Anhang!  Dann 
würde  er  ihnen  zur  Antwort  gegeben  halten  :  Ihr  wisset  nicht, 
welches  Geistes  Kinder  ihr  seid,  dass  ihr  so  viele  Seelen  ver- 
derben wollt  mit  Bannen.  Verdammen  und  Tödten !  Warum  folget 
ihr  nicht  meinem  Vorgang,  der  ich  meinen  Jüngern  verboten  habe. 
<<»  grausam  wider  diejenigen  zu  eifern,  welche  mich  verwarfen, 
und  für  die.  welche  mich  kreuzigten,  gebetet  habe :  Vater  vergib 
ihnen,  denn  sie  wissen  nicht,  was  sie  thun.«  Will  der  Papst  seine 
Feinde  überwinden,  so  folge  er  Christo  nach .  dessen  Statthalter 
er  sich  nennt,  bete  für  seine  Feinde,  spreche  :  »mein  Reich  ist  nicht 
vmi  dieser  Welt  .  segne  die  ihm  fluchen;  dann  wir^der  Herr  ihm 
eine  Weisheit  geben,  der  seine  Widersacher  nicht  werden  wider- 
stehen können  u.  s.  w. 1  . 

Diejenige  Frage  indessen,  auf  welche  Hus  in  dieser  Abhand- 
lung am  meisten  eingeht,  ist  die  über  den  Ablass  selbst.  Er 
fuhrt  aus.  dass  jeder  Priester  die  Schlüsselgewalt  habe,  insbeson- 
dere die  Vollmacht  Sünden  zu  vergeben,  aber  lediglich  nur  unter 

1    a.  a.  0.  f.  I7«l  — 47» 


Hu«  gegen  den  Abla^-s  zu  Gunsten  eines  Kreuzzugs.  177 

der  Bedingung  wirklicher  Reue  und  Busse,  niemals  unbedingt, 
und  in  keinem  Falle  gegen  Geld  und  Gut,  denn  das  sei  Simonie. 
I  insonst  habt  ihr's  empfangen,  umsonst  gebet  es  auch!«  habe  der 
Erlöser  gesagt.  Auch  diejenige  Sündenvergebung,  welche  der 
Papst  verkündigt,  ist  beschränkt  und  durch  reumiithige  Gesinnung 
derer  bedingt,  welchen  die  Vergebung  ertheilt  wird.  Kann  doch 
der  Papst,  wenn  ihm  nicht  etwa  eine  göttliche  Offenbarung  darüber 
/u  Theil  wird,  von  keinem  Menschen  wissen,  ob  er  erwählt  sei 
zur  Seligkeit:  und  wer  das  nicht  ist.  dem  kann  der  Ablas«  nicht 
zur  Seligkeit  helfen  in  Widerspruch  zu  der  ewigen  Verordnung 
Gottes1  .  Teberhaupt  ist  alle  und  jede  Vollmacht  des  Papstes 
bedingt  durch  seinen  demüthigen  Gehorsam  und  seinen  Wandel 
nach  dem  Vorbilde  Christi.  Der  Satz  aber,  dass  der  Papst  nicht 
irren  könne,  ist  nicht  nur  falsch,  sondern  auch  gotteslästerlich, 
denn  sonst  wäre  er  sündlos  wie  Christus.  Hat  doch  Petrus  selbst 
noch  nach  der  Ausgiessung  des  heil.  Geistes  geirrt.  Gal.  2'2!. 
Auch  möge  man  ja  nicht  geltend  machen  :  »die  Oberen.  Prälaten, 
Klerus.  Mönche  und  Volk  billigen  die  Kreuzzugsbullen  des  Pap- 
stes: also  ist  es  eine  Thorheit.  solch  einer  Menge  zu  widerspre- 
chen!« Nicht  immer  hat  die  Mehrheit  Hecht  gehabt:  sonst  hätten 
die  400  Baalspriester  dem  einen  Elias  gegenüber  Becht  haben 
müssen.  Viele  sind  berufen,  wenige  sind  auserwählt.  Wer  weise 
ist.  fragt  zuerst  was  die  Schrift  sagt,  und  hält  sich  festiglich 
an  dieses!  Gott  weiss,  ob  es  jetzt  mehr  Kinder  des  Vaters  der 
Lüge  gibt,  als  Kinder  der  Wahrheit  3  .  Ein  Jünger  Christi  muss 
mit  wachsamem  Geiste  die  Bullen  des  Papstes  prüfen :  stimmen 
sie  mit  Christi  Gesetz,  so  darf  er  ihnen  keineswegs  entgegen- 
treten ;  findet  er  aber  etwas  dem  Gesetze  Christi  Widersprechen- 
des darin,  so  soll  er  standhaft  auf  Christi  Seite  stehen  gegen 
jene.  Denn  das  Wort  Hiob  9.  12:  »wer  will  zu  ihm  sagen:  was 
machest  du  ?«  betrifft  nicht  den  Papst,  sundern  Den.  der  keinen 
über  sich  hat.  und  der  nicht  irren  kann :  aber  wer  ist  der,  wenn 
nicht  Gott?  welcher  gepreiset  ist  in  Ewigkeit.  Amen4  . 

1  a.  a.  O.  174.  1. 

2  a.  a.  O.  isT;  1. 

3  a.  <a.  O.  1S.T.  1  u.  2. 
-1  a.  a.  O.  189,  1. 

Lechleb  ,  Wiciif.  II.  •  12 


178 


Buch  III.    Kap.  3.  IV. 


Es  lässt  sich  nicht  verkennen  ,  wie  viel  Aehnlichkeit  die 
Grundgedanken  dieser  Abhandlung'  haben  mit  WicliTs  Lehre. 
Schon  die  maassgebende  Bedeutung  des  göttlichen  Worts,  oder, 
wie  Hus  mit  Wiclif  zu  sagen  pflegt,  »des  Gesetzes  Christi«  ist 
beiden  gemeinsam.  Ferner  die  centrale  Stellung,  welche  Hus. 
nach  Wiclif 's  Vorgang,  dem  Vorbilde  Christi  gibt;  ein  Grund- 
satz, welcher  der  ganzen  Lehrauffassung  ein  überwiegend  sitt- 
liches Gepräge  aufdrückt.  Weiter  der  Kirchenbegriff,  wornach 
die  Kirche  nichts  anderes  ist  als  die  Gesammtheit  der  Erwählten. 
Wir  brauchen  nicht  näher  daraufhinzuweisen,  dassHus,  ange- 
sichts des  Kreuzzuges  .  zu  dem  Johann  XXIII.  aufforderte .  ganz 
dieselbe  Stellung  einnimmt  und  dieselben  Gründe  geltend  macht, 
wie  Wiclif  in  den  Jahren  1382  und  1383,  als  Bischof  Spencer 
von  Nor  wich  jenen  unseligen  Kreuzzug  gegen  die  Anhänger 
Clemens  VII.  zu  Gunsten  Papst  Urban's  VI.  vorbereitete  und 
ausführte  1  .  Mit  einem  Wort,  die  neue  Bewegung,  welche  durch 
die  Kreuzbullen  Johann's  XXIII.  veranlasst  war,  schien  aussei- 
aller Beziehung  zum  Wiclifismus  zu  stehen :  in  der  That  und 
Wahrheit  war  sie  in  Hus  selbst  wirklich  nur  eine  Folge  seines 
Wiclifismus.  Und  seine  Gegner  von  der  theologischen  Facultät 
erkannten  das.  wie  wir  sehen  werden,  ganz  richtig. 

Die  Disputation  am  7.  Juni  1412  war  lebhaft  genug.  Den 
Baccalaureen  der  Theologie  hatte  die  Facultät  jede  thätige  Theil- 
nahme  daran  verboten.  Wohl  aber  traten  mehrere  Doctoren  der 
Theologie  gegen  Hus  auf.  Die  Ehre  des  Tages  trug  übrigens 
nicht  Hus  selbst  davon,  der  ebenso  maassvoll  als  fest  auftrat, 
sondern  sein  Freund,  Magister  Hieronymus  von  Prag,  der  mit 
Begeisterung  und  Feuer  redete,  und  die  Studenten  dermaassen 
hinriss,  dass  der  den  Vorsitz  führende  Reetor  sie  kaum  zu  be- 
schwichtigen vermochte.  Nach  dem  Schluss  des  Aktes  begleite- 
ten mehr  Studenten  den  Hieronymus  als  den  Hus  bi*  zu  seiner 
Wohnung  -  . 


1)  s.  oben  Buch  II.  Kap.  8. 

2  Der  Hergang  laut  des  Berichts  eines  Augenzeugen  in  einer  tschechi- 
schen Chronik;  s.  den  Auszug,  in  der  Uebersetzung  von  Jungmann,  bei 
HOEVLSE,  Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewegung,  III,  231  folg. 


Demonstrationen. 


179 


Das  war  eine  Demonstration  in  akademischen  Kreisen.  Bald 
folgte  eine  Kundgebung  von  derberer  Art,  unter  Betheiligung  des 
Volks.  Ein  bei  Hofe  gern  gesehener  Edelmann,  Herr  Wokvon 
Waldstein  (Woksa  veranstaltete  einen  grossen  Aufzug,  in 
dessen  Mitte  öffentliche  Dirnen  auf  einem  Wagen  sassen.  welche 
die  päpstlichen  Bullen  um  den  Hals  gebunden  auf  der  Brust  tru- 
gen :  voraus  und  dahinterher  eine  Menge  Leute  mit  Schwertern 
und  Knütteln.  Der  Zug  stellte  sich  vor  den  erzbischöflichen  Palast 
auf  der  Kleinseite,  ging  dann  über  die  Moldaubrücke  und  durch 
die  ganze  Altstadt,  bis  zu  dem  Marktplatz  der  Neustadt.  Dort 
wurde  ein  Scheiterhaufen  errichtet,  die  Bullen  darauf  gelegt,  und 
öffentlich  verbrannt.  Das  Ganze  sollte  offenbar  die  Antwort  sein 
auf  das  Verbrennen  der  W.iclif 'sehen  Bücher  vor  2  Jahren1). 

König  Wenzel  war  weit  entfernt ,  den  Herrn  von  Waldstein 
dieses  Vorgangs  wiegen  zur  Strafe  zu  ziehen ;  derselbe  stand  nach 
wie  vor  fest  in  seiner  Gunst.  Nur  für  die  Zukunft  glaubte  er  ähn- 
lichen Auftritten  vorbeugen  und  den  Landfrieden  sichern  zu 
müssen.  Deshalb  befahl  er  den  Magistraten  der  verschiedenen 
Stadttheile  von  Prag,  jede  öffentliche  Beleidigung  des  Papstes 
und  jeden  Widerstand  gegen  die  Bullen  bei  Todesstrafe  zu  ver- 
bieten. In  Folge  dessen  kam  es  am  11.  Juli  wirklich  zu  einer 
öffentlichen  Hinrichtung.  Sonntag  den  10.  Juli  hatten  drei  junge 
Leute  aus  den  niedern  Ständen ,  Namens  Johann ,  Martin  und 
Stasek,  sich  unterfangen,  in  verschiedenen  Kirchen  während  des 
Gottesdienstes  den  Predigern  laut  zu  widersprechen,  und  zu  be- 
haupten, der  Ablass  sei  Lug  und  Trug.  Sie  wurden  verhaftet, 
und  als  sie  zu  Widerruf  und  Reue  sich  nicht  bewegen  Hessen, 
vom  Rath  der  Altstadt  Montag  den  1 1 .  Juli  zum  Tode  verurtheilt. 
Zwar  zog  man  auf  die  Verwendung  von  Hus ,  und  aus  Besorgniss 
vor  der  Aufregung  des  Volks,  für  einen  Augenblick  glimpfliche 
Saiten  auf:  dessen  ungeachtet  wurde  noch  am  gleichen  Tage  die 
Enthauptung  der  drei  jungen  Männer  in  aller  Eile  vollzogen  *] . 
Es  hatte  sich  doch  eine  beträchtliche  Volksmenge  dazu  gesammelt. 


1  Vgl.  die  1416  dem  Concil  zu  Constanz  eingereichte  Klageschrift  wi- 
der König  "Wenzel,  bei  Palacky,  Documenta,  640. 

2  s.  Notiz  aus  der  Chronik  des  Franziskaners  Benesch,  a.a.O.  73<>. 

J2* 


180 


Buch  III.    Kap.  3.  IV. 


Allein  diese  war  weit  entfernt,  einen  Versuch  zu  gewaltsamer  Be- 
freiung der  Verhafteten  zu  machen.  Die  Stimmung  war  vielmehr 
eine  zu  gleichem  Leiden  entschlossene.  Nach  der  Hinrichtung 
brachte  eine  Frau  weisse  Leintücher ,  um  die  Leichen  darein  zu 
wickeln.  Magister  Johann  von  Jitschin  nebst  einer  Schaar  Stu- 
denten ergriff  die  Leichen,  und  trug  sie  unter  lautem  Gesang  des 
Märtyrerliedes :  »Isti  sunt  sanctk  v\  in  förmlicher  Procession  nach 
der  Bethlehemskapelle,  wo  sie  unter  Hus  ens  Mitwirkung  mit 
grosser  Andacht  beerdigt  wurden2  .  Sie  galten  als  Märtyrer. 
Die  Gegner  aber  nannten  jetzt  Bethlehem  spottweise  nur  «die 
Kapelle  zu  den  drei  Heiligen«. 

Inzwischen  machte  die  theologische  Facultät  Umtriebe  gegen 
Hus.  Nicht  nur,  dass  sie  aus  Anlass  des  Ablasstreites  die  schon 
1403  von  der  Universität  verbotenen  45  Artikel  von  Wiclif  aufs 
neue  verurtheilte ,  und  6  neue  Artikel  von  Hus  als  irrthümlich 
misbilligte  :{j .  Hiezu  war  die  Facultät  unstreitig  formell  befugt. 
Allein  sie  ging  weiter  und  suchte  durch  Vermittlung  des  Magistrats 
den  König  zum  Verbot  des  Vortrags  jener  Artikel  so  wie  der 
freien  Predigt  zu  veranlassen.  Das  erstere  Verbot  bewilligte 
König  Wenzel,  das  letztere  verweigerte  er.  Aber  auch  durch 
das  königliche  Verbot,  welches  am  16.  Juli  auf  dem  Rathhause 
der  Altstadt  bekannt  gemacht  wurde,  Hess  Hus  sich  nicht  ab- 
halten, die  Wiclif'schen  Sätze  im  theologischen  Hörsaale  des 
Carolinum  öffentlich  zu  vertheidigen. 

Andererseits  machte  die  Prager  Diarrgeistlichkeit  den  Ver- 
such, Johann  XXIII.  zum  thatkräftigen  Einschreiten  gegen  Uns 
und  seine  Partei  aufzustacheln.  Sic  thaten  das  mit  Umgehung 
des  Erzbischofs,  durch  ihren  Anwalt.  Micha[el  von  Deutsch- 
te od  später  Michael  de  Causis  genannt),  mittels  einer  Vor- 
stellung, worin  sie  darlegten,  dass  Hus  bereits  {Uber  zwei  Jahre 


1)  Ks  ist  das  die  erste  Antiphone  der  zweiten  Vesper  im  Commune  j>:u- 
rium  inarti/rum  des  röm.  Breviers. 

2)  Nach  einer  tschechischen  Chronik,  s.  tXOEFLEB  .  (ieschichtschreiher 
der  hussit.  Bewegung,  III,  233. 

3  Diese  0  Artikel  hei  Palacky  .  Documenta,  4M.  B.  heziehen  sich 
sämmtlich  auf  die  .Disputation  vom  7.  Juni  und  auf  Hus  ens  [dahin  gehö- 
rige Sl  reitschritt. 


Johann  XXIII.  handelt  gegen  Hus. 


181 


im  Kirchenbann*1  sei.  die  verurtheilten  Sätze  von  Wiclif  öffent- 
lich lehre,  und  neuerdings  den  päpstlichen  Ablass  gegen  König 
Ladißlaw  angreife :  er  habe  seine  verderblichen  Schriften  darüber 
in  Böhmen  und  Mähren.  Ungarn  und  Polen  verbreitet1). 

Die  letzten  Ereignisse  bewirkten  eine  Scheidung  innerhalb 
der  grossen  Hussitenpartei.  Männer  wie  Stanislaus  von  Znaim, 
Stephan  von  Paletz  und  andere,  sämmtlich  Tschechen  und  bisher 
in  dem  Reformbestreben  und  in  der  Opposition  mit  Hus  einig, 
besannen  sich,  standen  still,  und  gingen  von  da  an  rückwärts : 
sie  wurden  bald  die  heftigsten  Gegner  Hus 'ens,  der  sie  dafür 
als  »Krebse«  can&risantes  verhöhnte. 

Papst  Johann  XXIII.  handelte  in  Folge  der  bei  ihm  ange- 
brachten Denunciation  rasch,  nahm  den  Process  Hus'ens  dem 
Cardinal  Ludwig  Brancaccio  ab  und  beauftragte  den  Cardi- 
naldiacon  Peter  von  Sant  Angelo,  sofort  gegen  Hus  ohne  alle 
Schonung  vorzugehen.  Dieser  befahl,  in  allen  Kirchen  Prags  den 
über  Hus  verhängten  Kirchenbann  zu  verkündigen:  falls  er 
2o  Tage  darnach  noch  in  seinem  Trotz  beharre,  so  solle  an  Sonn- 
und  Festtagen  in  allen  Kirchen  mit  Anzünden  und  Auslöschen 
der  Lichter  Bann  und  Acht  über  ihn  ausgesprochen  werden :  dann 
dürfe  ihm  niemand  mehr  Speise.  Trank,  Herberge  gewähren,  ein 
Wort  gönnen  u.  s.  w.:  jeder  Ort.  wo  er  weile,  solle  unter  dem 
Interdikte  stehen2  .  Zugleich  erging  der  Befehl  an  alle  CHäu- 
bigett,  Hus  persönlich  gefangen  zu  nehmen  und  dem  Erzbischof 
oder  dem  Bischof  Johann  von  Leitomischl  auszuliefern,  die 
Bethlehemskapelle  aber  dem  Erdboden  gleich  zu  machen. 

Die  Umstände  waren  äusserst  bedrohlich:  König  Wenzel 
Hess  die  Sachen  gehen,  wie  sie  wollten :  die  Rathsmitglieder  in 
der  Altstadt  waren  meist  Deutsche  und  gegen  Hus  gestimmt. 
Mit  ihrem  Vorwissen  rückten  am  Prager  Kirchweihfeste,  den 
2.  October.  eine  Menge  deutscher  Bürger  vor  die  Bethlehems- 
kapelle, während  Hus  eben  predigte,  um  den  Gottesdienst  zu 
stören  und  sich  Hus  ens  zu  bemächtigen.  Der  Plan  wurde  jedocli 


1  Supplicatio  citri  etc.,  bei  Palacky,  Documenta,  480  folg. 
2)  a.  a.  O.  481  —  484. 


182 


Buch  III.    Kap.  3.  IV. 


durch  die  Entschlossenheit  der  versammelten  Gemeinde  vereitelt. 
Auch  das  Vorhaben,  die  Kapelle  selbst  zu  zerstören,  kam  vorerst 
nicht  zur  Ausführung ,  weil  treue  Böhmen  sich  demselben  nach- 
drücklich widersetzten  *) .  Um  so  ungehinderter  gingen  die  mei- 
sten Pfarrer  in  Prag  vor  mit  Beobachtung  des  aus  päpstlichem 
Auftrag  verhängten  Interdikts :  der  Gottesdienst  hörte  auf,  den 
Lebenden  wurden  die  Sakramente  verweigert,  den  Todten  das 
kirchliche  Begräbniss.  In  Folge  dessen  verbreitete  sich  in  der 
Bevölkerung  eine  Aufregung,  welche  den  König  bewog,  Hus 
auffordern  zu  lassen ,  dass  er  eine  Zeit  lang  Prag  verlasse :  er 
selbst  wolle  die  Beilegung  des  Streits  und  seine  Aussöhnung  mit 
der  Geistlichkeit  möglichst  betreiben. 

Hus  fügte  sich  dem  hohen  Wunsch,  und  begab  sich  im  De- 
cember  1412  freiwillig  in's  Exil,  nachdem  er  eine  Denkschrift 
veröffentlicht  hatte ,  worin  er  von  der  ungerechten  Verfolgung 
und  dem  Bann  Seitens  der  Kurie  an  Christum,  als  den  gerechten 
Richter  appeüirte 2) . 

Der  König  hielt  Wort.  Er  bemühte  sich  unermüdlich  den 
böhmischen  Kirchenstreit  beizulegen,  theils  um  das  Exil  von  Hus 
zu  beendigen,  theils  um  den  guten  Ruf  des  Landes  in  kirchlicher 
Hinsieht  zu  retten.  Zuerst  berieth .  vor  Weihnachten  1412.  die 
höchste  Landesbehörde  nebst  den  Bischöfen  von  Olmütz  und  Lei- 
tomischl,  über  die  Mittel  und  Wege  den  Streit  zu  schlichten. 
Man  kam  überein ,  zu  diesem  Zweck  eine  P  r  o  v  i  n  c  ialsy nod e 
zu  halten.  Diese  kam  am  6.  Februar  1413  in  Prag  zu  Stande. 
Beide  Parteien  reichten  bei  der  Synode  ihre  Gutachten  ein  über 
die  Herstellung  des  Friedens ,  in  Form  von  Denkschriften :  die 
theologische  Facultät  in  einer  doppelten  Urkunde,  deren  eine  die 
Gründe  des  bestehenden  Gegensatzes  erörtert .  während  die  an- 
dere Vorschläge  macht  über  die  Bedingungen  .  unter  welchen 
eine  Versöhnung  bewirkt  werden  könne  1  .  Andererseits  gab  11  as 


1  s.  Auszüge  aus  der  tschechischen  Postille  Hus'ens.  bei  Palacky. 
Documenta,  7 19  folg. ,  lat.  Uebers.  727  folg.  Nr.  H>. 

2  Appeü&Ho,  bei  Palacky,  Documenta,  Hi4  —  166. 

:i  Beide  Denkschriften  sind  sowohl  in  lateinischer  als  in  tschechischer 
Sprache  in  Palacky's  Urkundensammlung  abgedruckt,  die  erstcre  S.  17.">  ff. 
und  IM)  IT.,  die  letztere  S.  4M>  ff.  und  4ss  ff. 


Ausgleichsversuche  ■ 


183 


-eine  Vorschläge  kurz  und  bündig  ein1,  wahrend  Magister 
Jakob  von  Mies  J  a  c  o  b  e  11  u  s  sieh  mit  unumwundenster  Frei- 
mütlrigkeit  aussprach2'  .  Nun  aber  folgten  Repliken  und  Streit- 
schriften von  beiden  Seiten3; .  Das  Gutachten  der  theologischen 
Facultät  lief  darauf  hinaus  :  hinsichtlich  der  3  Hauptpunkte,  um 
die  es  sich  handle,  müsse  sich  jedermann  in  Böhmen  den  Grund- 
sätzen der  römischen  Kirche  unbedingt  fügen  :  wer  das  schlecht- 
hin verweigere,  solle  des  Landes  verwiesen  werden.  Hingegen 
H  u  s  schlägt  eine  wirkliche  Verhandlung  und  Untersuchung  vor 
über  die  Anschuldigung  der  Irrlehre,  die  wider  ihn  erhoben 
worden  war ;  falls  der  Beweis  wider  ihn  nicht  erbracht  werden 
könnte,  so  möge  König  und  Erzbischof  bei  Strafe  verbieten,  dass 
irgend  jemand  einen  andern  für  einen  Ketzer  oder  Irrlehrer  er- 
kläre u.  8.  w.  Und  Jakob  von  Mies  meint,  man  müsse  sich  vor 
allem  darüber  klar  werden,  was  für  eine  Art  Frieden  und  Ein- 
tracht man  meine,  oh  den  weltlichen  Frieden  oder  den  Frieden 
in  Christo  Jesu,  nämlich  dass  die  Gläubigen  ein  Herz  und  eine 
Seele  seien  in  Beobachtung  des  Gesetzes  Christi ,  in  schrift- 
niäs^iger  Lehre  und  schriftmässigem  Wandel.  —  Man  war  viel 
zu  weit  aus  einander,  als  dass  eine  Versöhnung  hätte  können 
zu  Stand  und  Wesen  kommen.  Die  Synode  blieb  vollständig 
fruchtlos. 

Dessen  ungeachtet  machte  König  Wenzel  unmittelbar  nach 
dem  Schluss  der  Synode  einen  anderweiten  Ausgleichsversuch. 
Er  ernannte  eine  Commission  von  vier  Mitgliedern,  denen  er  Voll- 
macht ertheilte  alle  zur  Herstellung  der  Eintracht  dienenden  Mit- 
tel zu  ergreifen.  Die  Mitglieder  waren  Erzbischof  Albik  und 
der  Decan  Jakob  vom  Wyschehrad  einerseits ,  der  Propst  an  der 
Allerheiligenkirche .  Zdenjek  von  Labaun,  und  Hus'ens  ver- 
trauter Freund ,  Pfarrer  zu  St.  Michael  in  der  Altstadt,  damals 


1  a.  a.  O.  491  folg. 
1   a.  a.  0.  493  folg. 

3  Replik  einiger  hussitischen  Magister  gegen  die  Denkschriften  der 
theol.  Facultät  a.  a.  0  495  ff.  Gutachten  des  Bischofs  von  Leitomischl  über 
die  Vorschläge  von  Hus  a.  a.  O.  501  ff.  —  Selbst  die  reformatorische 
Hauptschrift  von  Hus:  De  ecelesia  ist  durch  jene  Prager  Synode  ver- 
anlasst. 


184 


Buch  III.    Kap.  :..  IV. 


zugleich  Rector  der  Universität.  Christaini  von  Praehatitz  anderer- 
seits. Diese  Commission  brachte  es  durch  Androhung  hoher  Geld- 
strafen und  der  Verbannung  aus  Böhmen  dahin,  dass  die  Vertreter 
beider  Parteien  sich  ihrem  Schiedsspruch  im  voraus  unterwarfen. 
Es  waren  dies  Stephan  von  Paletz.  Peter  und  Stanislaw 
von  Znaim.  Johannes  Eliae  einerseits.  Magister  Jesenitz  als 
Sachwalter  für  Hus  andererseits.  Allein  sobald  die  Verhandlung 
den  Dingen  näher  trat .  stiess  man  auf  Differenzen  .  welche  sicli 
durch  unbestimmte  Formeln  nicht  verhüllen  Hessen.  So  zerschlu- 
gen sich  denn  die  Verhandlungen,  indem  die  Doctoren  Paletz 
und  Stanislaw  nach  dem  zweiten  Tage  nicht  mehr  erschie- 
nen1 .  Das  nahm  König  Wenzel  sehr  ungnädig  auf.  er  ver- 
bannte sie  aus  seinem  Reich,  und  befahl  der  Universität,  sie 
auszustossen  und  zu  ihren  Präbenden  und  Collegiatwürden  an- 
dere Doctoren  zu  präsentiren 2  .  Nun  war  die  römisch-katho- 
lische Partei  an  der  Universität  geschwächt  und  eingeschüch- 
tert. Ein  halbes  Jahr  später  folgte  eine  Maassregel,  wodurch 
auch  im  städtischen  Regiment  das  bisherige  Uebergewicht  der 
römischen  Partei  gebrochen  wurde:  die  Rathsherren  der  Altstadt 
Prag  waren  bis  jetzt  grössten  Theils  Deutsche .  und  demnach 
Gegner  des  Hussitismus  gewesen.  Das  wurde  seit  dem  21.  Oct. 
1413  anders,  indem  König  Wenzel  die  Parität  zwischen  Deut- 
schen und  Tschechen  im  Magistratscollegiuni  einführte 3  .  Durch 
alle  diese  Maassregeln  wurde  wenigstens  die  Ruhe  in  der  Haupt- 
stadt gesichert.  Die  sittliche  Kluft  zwischen  den  Parteien  konnte 
durch  solche  Maassnahmen  natürlich  nicht  ausgefüllt  werden. 

Hus  selbst  musste  inzwischen  in  seinem  halb  freiwilligen 
Exile  bleiben.  Aber  seine  Entfernung  von  Prag  diente  unerwar- 
teter Weise  nur  dazu,  seine  Sache  innerlich  zu  fördern  und  seine 
Partei  selbständiger  zu  mache».  Er  führte  mit  seinen  Prager 
Freunden  einen  sehr  lebhaften  Briefwechsel,  und  seine  Briefe 
sind  so  herzinnig  und  seelenvoll,  so  tröstlich  und  voll  freudiger 

1)  Ein  vertraulicher  Bericht  an  die  theologische  Facultät  über  die  Con- 
ferenz,  aus  der  Feder  des  ])r.  Stephan  von  Palet/,  ist  bei  Palackv, 
Docum.  507  ff.  abgedruckt. 

2   Das  Patent  a.  a.  O.  ölo  folg. 

Palackv.  Geschichte  von  Böhmen.  III.  I.  S.  2!>'<  folg. 


Hus  im  Exil. 


185 


Griaubenszuversieht ,  das»  sie  nicht  rörfehien  konnten  tiefen  und 
nachhaltig  stärkenden  Eindruck  zu  machen  1  .  Es  ist  eine  rüh- 
rende väterliche  Liebe .  eine  wahrhaft  apostolische  Salbung  und 
Kraft  in  diesen  Schreiben,  sei  es.  dass  Uns  zur  Treue  gegen  das 
Evangelium  ermuntert,  insbesondere  seine  liebe  Bethlehemska- 
pelle dem  Schutze  der  Gläubigen  empfiehlt,  sei's  dass  er  zum 
Ernst  in  der  Heiligung  malmt,  angesichts  der  Wiederkunft 
Christi  und  des  jüngsten  Gerichts,  sei's  dass  er  zur  Geduld  und 
Standhaftigkeit  unter  Verfolgungen  und  Leiden  vermahnt.  Aber 
nicht  nur  Briefe .  sondern  auch  ausführliche  Werke .  z.  B.  seine 
Hauptschrift  De  ecclesia,  hat  Hus  gerade  während  der  Müsse 
geschrieben ,  die  ihm  seiu  Exil  darbot.  Er  hielt  sich  theils  auf 
der  Burg  Kozihradek.  lOgeogr.  Meilen  südlich  von  Prag,  theils 
auf  der  Burg  Krakowetz  unweit  Prag  auf.  predigte  vor  den  Schaa- 
ren ,  die  zu  ihm  strömten .  trat  auch  da  und  dort  in  Marktflecken 
und  Dürfern  als  Reiseprediger  auf.  Somit  hatte  das  Exil  nach 
mehr  als  einer  Seite  hin  bedeutende  Folgen  für  Hus  und  seine 
Sache:  seine  Lehre  gewann  eine  grössere  Verbreitung  im  Lande, 
seine  Partei  erlangte  einen  von  der  Hauptstadt  unabhängigen 
Stützpunkt  südlich  von  Prag,  in  der  Gegend  des  spateren  Ta- 
bor:  und  in  Prag  selbst  wurde  die  Partei,  von  der  Vertretung  und 
Leitung  durch  Hus  selbst  unabhängig,  selbständiger  als  bisher. 

Inzwischen  war  die  hussitische  Sache  bei  der  römischen 
Kurie  wiederum  auf  die  Tagesordnung  gesetzt  und  im  Januar 
1413  auf  einem  »Generaleoncil«  zu  Rom  nach  Maassgabe  des  Gut- 
achtens einer  Commission  von  Cardinälen .  Bischöfen  und  Docto- 
ren.  gewisse  Schriften  von  Wie  Ii  f.  namentlich  sein  Dialog. 
Trialogus  u.  s.  w. .  als  Irrthümer  enthaltend,  endgültig  verur- 
theilt  worden.  Alle  Bischöfe  wurden  angewiesen  nach  diesen 
Büchern  fahnden  und  sie  verbrennen  zu  lassen.  Wolle  jemand 
das  Andenken  von  Wie  Ii  f  in  Schutz  nehmen,  so  möge  er  sich 
binnen  9  Monaten  vor  dem  apostolischen  Stuhle  stellen  2  . 


t).  Palacky  bringt  in  d|n  Documenta  15  Briefe  von  Hus  aus  dem 
Exil .  theils  an  seinen  Freund  Christann  von  Prachatitz  .  theils  an  die  ihm 
zugethanen  Einwohner  von  Prag  im  Ganzen,  S.  :J4— 66-. 

2  Palacky,  Docum.  4li"  ff.  Scharfe  Glossen  über  diese  Urkunde,  an- 
geblich von  Hus.  aber  in  keinem  Falle  von  ihm  selbst  verfasst ,  s.  a.  a. 


1S6 


Buch  in.    Kap.  3.  V. 


Uebrigens  hat  dieses  Dekret  schlechthin  keine  Wirkung:  ge- 
habt. Um  so  tieler  hat  das  Coneil  zu  Constanz  eingegriffen. 

V. 

Die  seit  137S.  also  bereits  35  Jahre  lang  bestehende  Spal- 
tung der  abendländischen  Christenheit  zwischen  zwei .  ja  seit 
dem  Concil  zu  Pisa  zwischen  drei  Päpsten .  ein  ganz  unerträg- 
licher und  empörender  Nothstand .  beschäftigte  seit  mehr  denn 
einer  Generation  die  besten  Männer  allenthalben  aufs  angelegent- 
lichste. Man  erkannte,  dass  die  Ursachen  des  Uebels  in  einer 
allgemeinen  Entartung-  der  Christenheit  lagen,  und  dass,  um  die 
Einheit  bleibend  wiederherzustellen,  dem  Uebel  gründlich  abzu- 
helfen, eine  Reform  der  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern«  nö- 
thig  sei.  Und  das  stand  fest,  diese  gründliche  Reform  könne  nur 
durch  eine  allgemeine  Kirchenversammlung  zu  Stande  gebracht 
werden. 

Sigismund.  König  von  Ungarn  und  römischer  König,  war 
es.  der  den  Papst  Johann  XXIII.  endlich  so  weit  brachte,  dass 
im  October  1413  die  Berufung  eines  allgemeinen  Concils  nach 
Constanz  auf  den  1.  November  1414  zwischen  Kirche  und  Reich 
vereinbart  werden  konnte  1  . 

Damals.  Ende  des  Jahres  1413.  dachte  kaum  jemand  daran, 
dass  neben  den  grossen  Zeitfragen.  Reform  an  Haupt  und  Glie- 
dern und  Wiederherstellung  der  kirchlichen  Einheit,  auch  der 

().  170  folg.  Pai.ac  kv.  Gesch.  v.  Böhmen.  III.  1.  303  meint,  in  dieser  Bulle 
seien  die  bekannten  45  Artikel  von  Wiclif  aufs  neue  verdammt  worden. 
Dies  ist  nicht  ganz  richtig,  denn  die  Urkunde  handelt  nicht  mit  einem 
Wort  von  bestimmten  Artikeln,  sondern  lediglich  von  Werken  und  Trak- 
taten Wiclif's. 

1  Unter  dem  31.  October  141:4  war  nach  mehrwöchentlichen  Verhand- 
lungen eine  Vereinbarung  über  Zeit  und  Ort  des  zu  berufenden  Concils 
/wischen  König  Sigismund  einerseits  und  ^rei  Commissaren  des  Papstes 
andererseits  zu  Viglud  im  Bisthum  C'omo  zu  Stande  gekommen :  die  notarielle 
Urkunde  darüber  ist  erstmals  gedruckt  bei  Palacky.  Dorum.  515  tf.,  wäh- 
rend die  Vollmacht  von  Johann  XXIII.  für  seine  Bevollmächtigten,  zwei 
C  ardinäle  und  Manuel  Chn  soloras.  a.  a.  O.  513  folg.  gegeben  ist. 


Die  hussitische  Sache  und  das  Coucil. 


IST 


Huseitismus  auf  die  Tagesordnung  des  Coneils  gesetzt  werden 
könnte.  Allein  im  August  1414  war  man  darüber  an  maassgeben- 
der  Stelle  bereits  im  Reinen.  Zu  wissen,  wie  das  gekommen  ist 
und  wer  dazu  mitgewirkt  hat .  wäre  von  nicht  geringem  Belang. 
Allein  wir  haben  darüber  keine  positive  Kunde.  Indessen  will 
es  mir  scheinen,  als  dürfte  der  Umstand,  dass  ausserhalb  Böh- 
mens, selbst  in  ausserdeutschen  Landen,  die  öffentliche  Auf- 
merksamkeit sich  der  hussitischen  Frage  mehr  und  mehr  zu- 
wandte, schwer  in  die  Wagschaale  gefallen  sein  und  dazu  geführt 
haben,  die  Sache  zur  Entscheidung*  vor  das  Concil  zu  bringen. 
Tbatsache  ist.  dass  man  seit  dem  Jahr  1413  auf  fremden  Univer- 
sitäten die  Studenten  von  Prag  als  mit  Irrlehren  angesteckt  an- 
sah, vor  ihnen  warnte  und  Böhmen  als  ein'e  Heimath  der  Ketzerei 
in  üblen  Ruf  brachte  1  .  Jedenfalls  aber  war  der  Umstand  von 
noch  grösserer  Bedeutung-,  dass  die  Pariser  Universität  sich  ge- 
mässigt fand,  dem  Erzbisehof  von  Prag  das  Gewissen  zu  schär- 
ten und  ihn  aufzufordern .  dass  er  den  in  seinem  Sprengel  um 
sich  greifenden  Irrlehren  beharrlicher  und  nachdrücklicher  als 
bisher,  nötigenfalls  unter  Anrufung  des  weltlichen  Arms,  steuern 
möge  2  .  Dieses  Schreiben  beantwortete  Erzbisehof  Konrad  von 
Vechta  einige  Monate  später  unter  dem  2.  August  mit  einer  auf- 
fallend kurzen  Erwiederung ,  des  Inhalts,  er  werde  auch  in  Zu- 
kunft, wie  schon  bisher,  allen  Fleiss  anwenden,  um  Irrthümer 
auszurotten.  Allein  schon  nach  wenigen  Wochen  erwiederte  Ger- 
son, er  wünsche  nur.  dass  der  Herr  Christus  den  Erzbischof  in 
seinem  Vorhaben  bestärke ;  zugleich  übersandte  er  ihm  einige 
Sätze  aus  Hu  s'ens  Buch  »Von  der  Kirche«,  die  er  selbst  ausgezogen 
und  mit  kurzem  Hinweis  auf  ihre  Falschheit  versehen  hatte  1 


1  Schon  am  8.  Juli  1413  richtete  der  Ilector  der  Prager  Universität, 
Dr.  Malenitz,  ein  Schreiben  an  die  Universität  Wien,  worin  er  sich  dar- 
über beschwerte,  dass  gewisse  Doctoren  daselbst,  namentlich  Johann  Sy- 
bart,  Prager  Studenten,  welche  nach  AVien  kamen,  der  Ketzerei  ange- 
schuldigt und  gemaassregelt  hätten;  vgl.  Pai.acky.  Documenta.  512  folg. 

2  Das  Schreiben  von  Gerson,  als  Kanzler  der  Universität  und  als 
Decan  der  theologischen  Facultät  zu  Paris,  datirt  27.  Mai  1414,  bei  Pa- 
i.acky, Dorum.  ö23  ff.,  vgl.  Schwab,  Gerson  57 v 

3  a.  a.  O.  526  ff.,  vgl.  f85  ff. 


188 


Buch  III.    Kap.  ;>.  V. 


In  gleichem  Sinne  schrieb  an  den  Erzbischof  von  Pfcag  in  densel  - 
ben Tagen  auch  der  Cardinal  Erzbischof  von  Rheims  1  . 

Wenn  so  von  allen  Seiten  auf  die  angeblichen  Ketzereien 
in  Böhmen  mit  Fingern  gewiesen  wurde,  so  lässt  sich  begreifen, 
dass  König  Sigismund,  der  überhaupt  das  Concil  in's  Leben 
gerufen  hat,  die  Ueberzeugung  gewinnen  musste ,  die  kirch- 
lichen Wirren  in  Böhmen  seien  von  einer  europäischen  Bedeu- 
tung, und  würden  am  besten  gleichfalls  von  dem  Concil  ge- 
schlichtet werden. 

Als  er  nun  mit  Hus  direkt  verhandeln  und  ihm  den  Wunsch 
aussprechen  Hess,  dass  er.  zur  Beilegung  des  Kirchenstreits  und 
zur  Ehrenrettung  Böhmens,  sich  vor  dem  Concil  in  Constanz  stal- 
len möge,  ging  Hus  sofort  darauf  ein:  war  er  doch  jederzeit 
bereit  gewesen  sich  zu  verantworten :  ja  er  hatte  stets  nichts 
sehnlicher  gewünscht  als  sich  öffentlich  und  vollständig  verthei- 
digen  zu  können.  Schon  vor  dem  Provincialconcil  in  Prag  am 
27.  August  wünschte  er  sieb  zu  rechtfertigen.  Daher  begab  er 
sich  nach  Prag  und  machte  am  Vortag .  den  26.  August,  durch 
Maueranschläge  in  lateinischer  und  tschechischer  Sprache  be- 
kannt, er  sei  bereit  vor  dem  Erzbischof  und  der  böhmischen 
Convocation  Red'  und  Antwort  zu  stehen :  wer  ihn  der  Ketzerei 
beschuldigen  wolle ,  möge  sich  dazu  melden  und  seine  Anklage 
beweisen  .  andern  Falls  aber  die  gegen  ihn  beantragte  Strafe 
selbst  erleiden  '2  .  Zum  Provincialconcil  erhielt  Hus  am  27.  Au- 
gust natürlich  keinen  Zutritt.  Er  constatirte  diese  Thatsachr 
gleichfalls  durch  öffentliche  Anschläge  mit  dem  Bemerken,  dass 
niemand  als  Kläger  wider  ihn  aufgetreten  sei ;  er  selbst  werde 
sich  aber  vor  dem  Concil  in  Constanz  stellen:  wer  ihn  einer 
Ketzerei  bezüchtigen  wolle,  möge  es  dort  thun  *  .  Indessen  hat- 
ten einige  der  böhmischen  Barone  in  einer  Versammlung  der 
Grossen  des  Reichs,  am  30.  August,  dem  Erzbischof  die  Präge 
vorgelegt,  ob  er  dessen  gewiss  sei.  dass  Hus  irgend  eines  [fr- 


1  a.  a.  0.  528  ff. 

2  Die  Anschläge  s.  bei  Palacky.  Documenta,  *>*>  ff. 

3  a.  a.  O.  (*>s  folg.,  vgl.  die  Urkunde  seines  Sachwaltors,  Johann  von 
Jesenitz  .  welcher  Einlas*  für  ihn  begehrt  hatte,  240  folg. 


Hus  ontschliesst  sich  tum  Concil  zu  reisen. 


189 


Thums  oder  einer  Ketzerei  sieh  schuldig  gemacht  habe?   Der  Erz 
hisehof  Conrad  verneinte  «lies  und  fügte  bei,  er  seinerseits  gebe 
ihm  keine  Schuld,  wohl  aber  der  Papst:  vor  dem  seile  er  sich 
reinigen.  Hierüber  stellten  die  Barone,  zwei  Herren  von  Wasen- 
berg und  einer  von  Kunstat.  ein  urkundliches  Xeugniss  aus  1  . 

König  Sigismund  Hess  durch  Vermittelnng  zweier  Hof- 
leute  dem  Johann  Hus  freies  Geleite  anbieten,  l  ud  dieser  er- 
klärte sieh  schriftlich  bereit,  nach  Constanz  zu  kommen,  indem 
er  sieh  nur  den  königliehen  Schutz  zur  Reise  und  dazu  ausbat, 
dass  er  vor  dem  Concil  selbst  seinen  Glauben  in  öffentlichem  Ver- 
hör bekennen  und  verteidigen  dürfe.  Er  werde  sich  nicht 
scheuen .  den  Herrn  Christum  zu  bekennen  und,  wenn  es  sein 
solle,  für  sein  wahres  Gesetz  den  Tod  zu  erleiden2  .  So  schickt 
er  sieh  an.  die  Reise  anzutreten  und  vor  dem  Concil.  dieser  Ver- 
tretung der  gesummten  abendländischen  Kirche,  sein  Bekenntniss 
abzulegen.  Die  Katastrophe  rückt  heran. 

Zwar  verzögerte  sich  die  Ausfertigung  der  Urkunde  über  das 
freie  Geleite,  und  Hus  trat  die  Reise  nach  Constanz  in  der  That 
an.  ehe  er  dieselbe  in  Händen  hatte.  Er  hat  den  Geleitsbrief  erst 
am  5.  November  erhalten,  nachdem  er  bereits  in  Constanz  ange- 
kommen war.  Jedoch  hatten  drei  Herren  aus  Böhmen  von  Sei- 
ten König  Sigismund  s  den  Auftrag  erhalten,  für  die  Sicherheit 
Husens  auf  der  Reise  und  während  des  Concils  Sorge  zu  tragen, 
nämlich  Johann  von  Chlum,  genannt  Kepka.  Wenzel  von  Duba 
auf  Lestno.  und  Heinrich  von  Chlum  auf  Latzenbock,  auch  ein- 
fach Latzenbock  genannt.  Hus  bestellte  sein  Haus,  in  der 
Ahnung,  dass  er  in  den  Tod  gehe,  und  machte  sein  Testament  in 
Form  eines  Briefs  an  einen  lieben  Schüler  Namens  Martin,  wel- 
chen er  diesem  versiegelt  mit  dem  Ersuchen  übergab,  ihn  nicht 
eher  zu  öffnen,  als  bis  er  sichere  Kunde  von  seinem  Tode  würde 
erhalten  haben.  Die  Warnungen  und  Ermahnungen,  welche  er 
dann  mit  wahrhaft  väterlicher  Zärtlichkeit  dem  jungen  Mann  er- 
theilt.  aber  auch  die  Beichte,  welche  er  selbst  vor  ihm  ablegt, 


1  a.  a.  O.  531  folg.,  vgl.  die  Relation  von  Mladenowitz,  ebendaselbst 
239  folg. 

2  Schreiben  an  König  Sigismund,  vom  J.  Sept.  1414.  a.  a.  O.  69  ff. 


100 


Buch  III.    Kap.  3.  V. 


sind  in  hohem  Grade  rührend 1) .  Und  vollends  der  Abschiedsbrief 
an  alle  ihm  verbundenen  Freunde  in  Böhmen,  Männer  und  Frauen, 
welchen  er,  bereits  auf  der  Reise  begriffen,  in  tschechischer 
Sprache  abgefasst  hat,  worin  er  sie  vermahnt  und  tröstet,  und 
voll  Todesahnung  sie  um  ihre  treue  Fürbitte  angeht,  dass  er  fest 
und  beharrlich  bleiben,  sich  wohl  verantworten  und  den  Tod  ohne 
arge  Furcht  erdulden  möge ,  ist  vom  wärmsten  Hauche  reiner 
Frömmigkeit  und  von  acht  apostolischer  Salbung  durchzogen2). 
Auch  seine  Freunde  konnten  sich  zum  Theil  banger  Ahnungen 
nicht  erwehren.  Ein  polnischer  Schuster,  Andreas  mit  Namen, 
nahm  mit  den  Worten  Abschied  von  ihm :  »Gott  sei  mit  Dir !  ich 
meine.  Du  werdest  nicht  wieder  kommen.  Lieber,  treuer  und 
standhafter  Ritter  Herr  Johannes,  möge  der  himmlische  König, 
nicht  der  ungarische,  Dir  des  Himmels  Lohn  geben  für  Deine  Treue 
und  Bemühung,  die  Du  an  mich  wendest!«  Worte,  an  welche 
Hus  noch  in  den  letzten  Wochen  vor  seinem  Tode  sich  zu  seinem 
eigenen  Trost  erinnert  hat 3; . 

Am  11 .  Oktober  1414  reiste  Hus  ab  in  Begleitung  der  Barone 
Wenzel  von  D  u  b  a  und  Johann  von  Ohlum:  der  dritte,  unter 
dessen  Schutz  er  gehen  sollte,  Heinrich  Lätzen  bock,  stiess  erst 
in  Constanz  zu  ihnen.  Von  gelehrten  Freunden  befanden  sich  in 
Hus  'ens  Gesellschaft  Magister  Johann  von  R  e  i  n  s  t  e  i  n ,  Pfarrer 
zu  Janowitz,  einem  Städtchen  im  Patronate  des  Herrn  von  Ohlum 4  . 
Peter  von  Mladenowitz,  Sekretär  in  Diensten  desselben  Barons, 
und  mehrere  Andere.  Mla  denowitz  fing  schon  damals  an  ge- 
naue Aufzeichnungen  über  alle  Vorgänge  zu  machen,  und  die  ein- 
schlagenden Urkunden  zu  sammeln 5) . 


t)  a.  a.  O.  74  folg. 
2,  a.  a.  O.  71  ff. 

:;    a.  a.  ü.  111;  wir  haben  hier  die  Worte  in  böhmischer  Sprache. 

1  Johann  von  Hein  stein  war  früher  vom  König  Wenzel  zn  Un- 
terhandlungen  mit  der  Kurie  verwendet  worden.  Daher  seine  Bekannt- 
schaft mit  den  Cardinälen ,  vermöge  der  er  den  Zunamen  »der  Cardinal« 
erhalten  zu  haben  scheint.  Dieser  Name  wurde  mit  der  Zeit  so  stehend, 
als  wäre  er  sein  wirklicher  Zuname ,  vgl.  Palacky  ,  Gesch.  von  Böhmen, 
III,  1.  326 i  Anm.  4:Jf>.  Aehnlich  wie  der  Name  de  Causis  für  Michael  von 
Deutschbrod  üblich  wurde,  s.  unten  S.  193. 

5)  Diese  Denkschrift  hat,  schriftstellerisch  betrachtet,  gar  keinen,  als 


Hus  auf  dem  Wege  nach  Constanz. 


1<)I 


Sie  nahmen  ihren  Weg  über  Sulzibach.  Hersbruck  und  Ntirn- 
b©fg.  Die  Erfahrungen  auf  der  Reise  waren  geeignet  ein  Vor* 
artheil,  welches  sich  seit  Jahren  bei  Hus  festgesetzt  hatte,  voll* 
ständig  zu  entwurzeln  und  sein  Nationalgeftihl  zu  berichtigen.' 
Als  er  im  Jahre  1410  von  Papst  Johann  XXIII.  zur  Kurienach 
Bologna  vorgeladen  wurde,  fürchteten  seine  Freunde,  dass  er 
unterwegs  seinen  Gegnern  in  die  Hände  fallen  könnte  ;  und  dabei 
dachte  man  vorzugsweise  an  die  Deutschen,  welche  seit  der 
Katastrophe  an  der  Prager  Universität  von  Hass  und  Rachgefühl 
gegen  ihn  erfüllt  seien.  Und  von  da  an  stand  es.  wie  aus  mehre  - 
ren sehriftstellerischen  und  brieflichen  Aeusserungen  erhellt,  bei 
ihm  fest .  dass  in  deutschen  Landen  Misstimmung  und  bittere 
Feindschaft  gegen  seine  Person  herrsche 1  .  Um  so  grösser  war 
seine  LFeberraschnng,  als  er  bei  der  Reise  durch  die  deutschen 
Lande  nirgends  eine  Unannehmlichkeit  zu  erfahren  hatte  und 
nicht  einen  einzigen  Menschen  fand,  der  gegen  ihn  feindselig  ge- 
sinnt war  -  .  Im  Gegentheil  wurde  er  allenthalben  gut  aufge- 
nommen, an  manchen  Orten  sogar  mit  besonderer  Aufmerksam- 
keit empfangen.  Das  hatte  seinen  Grund  vielfach  in  der  Neugier, 
weil  man  wusste.  dass  Hus  vor  dem  Concil  erscheinen  müsse,  und 
sein  Name  in  Aller  Munde  war.  Aber  vielfach  begegnete  er  auch 
einem  tieferen  Interesse  für  die  Sache  und  seine  Lehre.  Denn  in 
grösseren  Städten  Hess  er  Anschläge  in  deutscher  und  lateinischer 
Sprache  an  den  Kirchthüren  machen,  worin  er  kund  that,  dass  er 
nach  Constanz  reise,  um  von  seinem  Glauben  Rechenschaft  abzu- 
legen, er  sei  gewillt,  seinen  Glauben  bis  zum  Tode  zu  bekennen  . 
wer  ihn  eines  Irrthums  bezichtigen  wTolle .  möge  dies  vor  dem 
Concil  thun  ,  dort  werde  er  ihm  Rede  stehen:  und  diese  Anschläge 

Materialiensammlung  einen  unschätzbaren  Werth.  So  lange  die  böhmischen 
Hussiten  den  Todestag  von  Johann  Hus  als  kirchlichen  Feiertag  begingen, 
pflegte  man  dabei  einen  Auszug  aus  Mladenowitz  vorzulesen.  Die  Denk- 
schrift selbst  hat  Palacky,  Docum.  237  —324  veröffentlicht. 

1)  Vgl.  De  ecclesia  c.  20  21  in  Opp.  Hussi  155S.  I,  244,  2  folg.:  est 
mihi  distantia  longa  (von  Prag  nach  Rom  ,  inimicis  teutonicis  un- 
d  ique  circumsepta. 

2  Von  Nürnberg  aus  schreibt  er  am  neunten  Reisetag  unter  anderem : 
scitote.  quod  nulluni  adhuc  sensi  in  im  ic  um. 


192 


Buch  III.    Kap.  3.  V. 


fanden  Beifall ;  er  Hess  sich  in  Unterredungen  mit  den  Bürgern 
ein,  und  diese,  ja  selbst  Geistliche,  erklärten  sich  befriedigt.  Die 
beiden  adligen  Begleiter  aber  machten  es  sich  zur  Aufgabe,  Zeug- 
hiss  von  seiner  Schuldlosigkeit  abzulegen,  wo  sie  nur  konnten  1  . 
Zum  Beispiel  in  der  oberschwäbischen  Reichsstadt  Biberach  be- 
theiligte sich  Johann  von  Ohlum  an  der  Unterredung  mit  den 
Priestern  und  Klerikern  so  lebhaft,  dass  es  in  der  Stadt  hiess,  das 
müsse  ein  Doctor  der  Theologie  sein  ;  weshalb  ihn  H  u  s  von  da  an 
scherzweise  nur  den  »Doctor  von  Biberach«  nannte2  .  Dagegen 
machte  Hus  schon  unterwegs,  noch  mehr  aber  in  Constanz  selbst, 
die  Erfahrung,  dass  die  Feindschaft  gegen  ihn  nirgends  ärger  sei, 
als  bei  seinen  eigenen  Landsleuten  5  .  Diese  Thatsachen  machten 
einen  tiefen  Eindruck  auf  ihn.  Sie  hatten  die  Wirkung,  dass  die 
nationalen  Vorurtheile.  von  denen  Hus  bisher  befangen  gewesen 
war,  durch  das  Leben  selbst  widerlegt  und  abgethan  wurden, 
dass  seine  Gesinnung  der  partikularistischen  Schranken  entledigt 
und  er  selbst  auf  die  Höhe  einer  ökumenischen  Denkart  gehoben 
wurde 4) . 

In  der  That  wandten  die  Gegner  Hus  ens  unter  dem  böh- 
mischen Klerus  alle  erdenkliche  Mühe  an,  um  die  Anklage  wider 
Hus  zu  begründen  und  eine  Verurtheilung  von  Seiten  des  Concils 
vorzubereiten.  Sie  konnten  sich  hiebei  darauf  stützen,  dass  ja 
Hus  selbst  öffentlich  aufgefordert  habe,  Anschuldigungen  auf 
Irrlehre ,  falls  man  solche  gegen  ihn  erheben  wollte .  auf  dem 

1)  Mladenowitz ,  Relatio,  bei  Palacky,  Docum.  245. 

2)  »Doctoralü  de  Pibrachu  im  53.  und  54.  Brief,  bei  Palacky,  S.  93  ff., 
vgl.  die  Bemerkung  vor  dem  53.  Briefe,  S.  !>3. 

3)  Conßteor  ergo,  quod  non  est  inimicitia  ad  me  major,  quam  a  regni- 
colis  Iiohemiae  a.  a.  O.  70. 

4  Palacky  sagt,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  1.  310  folg.:  »Die  grosse 
Aufmerksamkeit,  die  das  Volk  ihm  —  erwies,  überraschte  ihn,  dessen 
schwache  Seite  eben  die  Sucht  nach  dem  Beifall  der  Menge 
war;«  -  »Hus  rühmte  sich,  bei  allen,  mit  denen  er  mündlich  verhandelt, 
Beifall  geerntet  zu  haben.«  Mir  scheint  die  Sache,  pragmatisch  betrachtet, 
anders  zu  liegen;  die  Nachrichten,  welche  Hus  selbst  in  seinen  Briefen 
von  diesen  Reiseerlebnissen  gibt ,  machen  .  im  Zusammenhang  gefasst,  auf 
mich  einen  ganz  anderen  Kindruek,  niimlich  den,  welchem  ich  oben  Worte 
gegeben  habe. 


Die  böhmischen  Gegner  Husens  in  Co n stanz. 


Concil  vorzubringen.  Man  ging  mit  allseitiger  Ueberlegung  und 
juristischer  Erfahrung  zu  Werke.  Alle  diejenigen,  welche  voraus- 
sichtlich als  Belastungszeugen  auftreten  konnten,  wurden  noch 
in  Böhmen  vorgeladen,  beeidigt  und  zu  Protokoll  vernommen,  um 
ihre  Aussagen  vordem  Concil  verwenden  zu  können.  Hus  selbst 
erhielt  durch  einen  vertrauten  Freund  Kunde  hievon,  noch  ehe  er 
die  Heise  nach  Constanz  antrat;  ja  er  bekam  eine  Abschrift  des 
notariellen  Protokolls,  und  fügte  demselben  seine  Gegenbemer- 
kungen bei J) . 

In  Constanz  selbst  erwiesen  sich  am  thätigsten  gegen  Hus 
zwei  seiner  Landsleute,  die  wir  bereits  kennen,  nämlich  Michael 
von  Deutschbrod  ,  und  Stephan  Paletz.  Der  erstere ,  früher 
Pfarrer  zu  St.  Adelbert  in  Prag,  war  schon  1412,  im  Auftrag  der 
Prager  Pfarrgeistlichkeit,  an  den  päpstlichen  Hof  gereist,  um  dort 
gegen  Hus  zu  arbeiten  2  .  Er  war  inzwischen  von  Johann  XXIII. 
zum  Sachwalter  in  Glaubenssachen  [procurator  de  causis  fidei) 
ernannt  worden  :  daher  pflegte  ihn  Hus  und  seine  Partei  seither 
nur  Michael  de  Causis  zu  nennen3  .  Bald  kam  D.  Stephan  von 
P  al e t  z  nach ,  und  schloss  sich  zu  gemeinsamem  Handeln  an 
Michael  an.  Paletz  war  von  Jugend  auf  ein  Freund  und  Ge- 
sinnungsgenosse von  Hus  gewesen  :  erst  im  Jahr  1412  nahm  er 
eine  andere  Wendung,  trat  schliesslich  völlig  zur  päpstlichen 
Partei  Uber,  und  wurde  der  bitterste  Feind  und  Verfolger  von 
Hus.  Nun  arbeiteten  Michael  und  Stephan  mit  vereinten  Kr.äften 
dahin,  die  Grundlagen  zur  Anschuldigung  wider  Hus  zu  formu- 
liren,  und  zugleich  maassgebende  Mitglieder  des  Concils  gegen 
ihn  einzunehmen.  Namentlich  wandten  sie  sich  an  die  einfluss- 
reichsten Cardinäle  und  Prälaten,  an  Doctoren  der  Theologie, 
Dominikaner  und  andere  Mitglieder  aus  Mönchsorden,  um  sie 


1]  Es  ist  dies  das  Aktenstück,  betitelt :  Depositiones  testium  contra  M. 
J.  Hus.  abgedruckt  bei  Hoefler  ,  Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewe- 
gung, I,  192  —  203,  und  bei  Palacky,  Bocum.  174  —  185. 

2;  s.  oben,  c.  3.  IV.  S.  ISO  folg. 

'<\   Es  ist  ein  -wunderlicher  Einfall  von  Berger,  Johannes  Hus  und 
König  »Sigmund,  Augsburg  1S71  ,  S.  117.  Anm.  1,  der  Titel  sei  in  dem 
Munde  von  Hus  als  eine  Art  Spitzname  gemeint,  etwa  »Processmichel« ! 
Lechleb.  Wiclif.  II.  13 


194 


Buch  III.    Kap.  3.  V. 


gegen  Hus  zu  stimmen.1).  Dabei  bedienten  sie  sich  verschie- 
dener Zusammenstellungen  angeblicher  Irrlehren,  welche  zum 
Theil  auf  Auszügen  aus  seinen  Werken  beruhten 2; . 

Inzwischen  musste  Hus  diesen  Umtrieben  seiner  Gegner  mit 
gebundenen  Händen  zusehen.  Er  war  am  3.  November  in  Con- 
stanz  angekommen  und  unter  grossem  Zulauf  des  Volks  in  seine 
Herberge  gelangt,  die  er  bei  einer  guten  Frau  Namens  Fida 
nahm.  Johann  von  Chlum  nennt  sie  eine  »zweite  Wittwe  von 
Sarepta«3).  Sogleich  am  Tage  nach  der  Ankunft,  am  4.  Novem- 
ber, hatten  die  beiden  Herren  von  Chlum,  Johann,  genannt 
Kepka,  und  Heinrich,  genannt  Lätzen  bock,  eine  Audienz 
bei  Johann  XXIII.;  sie  meldeten  ihm,  dass  der  Magister  Hus 
angekommen  sei,  und  verwendeten  sich  für  ihn,  dass  er  nicht  be- 
einträchtigt werden  möge.  Sie  erhielten  in  der  That  die  befrie- 
digendsten Zusicherungen  :  Hus  möge  sich  beruhigen,  der  Papst 
wolle,  angesichts  des  von  König  Sigismund  ihm  ertheilten  sicheren 
Geleites,  den  Process  gegen  ihn  vor  der  Hand  ruhen  lassen.  Der 
Papst  suspendirte  das  Interdikt  und  den  über  Hus  verhängten 
Bann,  schickte  aber  am  9.  November  den  Bischof  von  Constanz 
mit  dessen  Official  und  einem  päpstlichen  Juristen  zu  Hus.  mit 
der  Forderung,  er  möge,  um  Aufsehen  und  Aergerniss  zu  ver- 
meiden, nicht  zum  Hochamt  kommen,  und  bis  zur  Ankunft  des 
Königs  keinen  Schritt  thun ;  im  übrigen  könne  er  sich  in  Constanz 
vollkommen  frei  bewegen4  .  Hus  ging  diese  Verabredung  ein. 
musste  sich  also  vollkommen  stille  halten.    Er  blieb  stets  in 


1)  Hus  selbst  erzählt  das  von  Michael  im  ersten  Brief  aus  Constanz. 
d.  4.  Nov.  1414,  bei  Palacky  ,  Docurn.  11  ,  Johann  Cardinalis  in  dem 
Briefe,  welcher  vom  10.  Nov.  aus  Constanz  datirt  ist,  a.  a.  O.  7!)  folg.,  am 
Schluss.   Vgl.  die  Relation  von  Mladenowitz,  a.  a.  0.  246  folg. 

2)  Eine  derartige  Zusammenstellung  von  Michael  s.  bei  Palacky,  Do- 
curn. 194  ff.  Eine  andere,  von  Palet/  bearbeitet,  mit  Erwiderungen  von 
Hus  selbst,  a.  a.  O.  204  ff. 

3)  In  einem  Briefe  an  Hus  im  Kerker,  bei  Palacky,  Docum.  96.  Das 
Haus,  Paulsgasse  .'*2S,  steht  noch,  und  ist  durch  ein  Brustbild  Husens  in 
Stein  ausgezeichnet. 

4)  Am  vollständigsten  wird  dies  von  Johann  Cardinalis  berichtet 
a.  a.  O.  SO;  vgl.  den  Brief  von  Hus  S.  79  und  den  Bericht  von  Mlade- 
nowitz S.  240. 


Hus  in  Haft  genommen. 


195 


seiner  Wohnung,  und  benutzte  die  Zeit  nur  am  sich  auf  seine 
Verantwortung  vot  dem  Concil  vorzubereiten,  während  die  Gteg- 
ner  ungehindert  und  unermttdet  zu  seinem  Verderber  arbeiteten. 

Allein  die  Zeit,  wo  Hus  sieh  auf  freiem  Kusse  befand,  ging, 
ehe  er  volle  vier  Wochen  in  Constanz  war,  zu  Ende.  Seine  Geg- 
ner konnten  es  nicht  ruhig-  mit  ansehen,  dass  es  ihm  völlig  unbe- 
nommen blieb,  seine  Grundsätze  auszusprechen  und  zu  verbreiten. 
Auf  einmal  verbreitete  man  das  Gerücht,  er  habe  einen  Versuch 
gemacht,  heimlieh  aus  der  Stadt  zu  entweichen:  woran  kein 
wahres  Wort  war 1  .  Dessen  ungeachtet  wurde  dasselbe  benützt. 
CUn  die  Notwendigkeit  seiner  Verhaftung  zu  begründen.  Und 
am  2s.  November  wurde  er.  nicht  nach  einem  Beschluss  des  Con- 
eiU.  sondern  lediglich  auf  Befehl  des  Papstes  und  der  Cardinäle. 
verhaftet. 

Mittwoch  den  28.  November  erschienen  um  die  Mittagsstunde 
in  seiner  Herberge  die  Bischöfe  von  Augsburg  und  Trient  in  Be- 
gleitung des  Bürgermeisters  von  Constanz .  angeblich  um  den 
Magister  vor  den  Papst  und  seine  Cardinäle  zur  Audienz  zu  ge- 
leiten. Da  entgegnete  Johann  von  Chi  um  in  sehr  erregtem  Ton. 
er  selbst  sei  vom  König  für  die  persönliche  Sicherheit  von  Hus 
verantwortlich  gemacht,  und  vor  der  Ankunft  des  Königs  dürfe, 
kraft  seines  ausdrücklichen  Willens  in  Hus'ens  Sache  nichts 
vorgenommen  werden:  man  möge  sich  wohl  hüten  der  Ehre  des 
Königs  zu  nahe  zu  treten!  Indessen  war  Hus  selbst  vom  Tisch 
aufgestanden  und  erwiderte,  er  sei  zwar  nicht  dazu  gekommen, 


1  Mladenowitz  erwähnt  das  Gerücht  umständlich  und  stellt  jede  Be- 
gründung desselben  glaubhaft  in  Abrede.  Vgl.  die  eingehende  Prüfung  des 
ausschliesslich  nur  von  Ulrich  Richental  vertretenen  Berichts,  als  wäre 
der  Versuch  wirklich  gemacht,  bei  W.  Berger,  Joh.  Hus  und  König  Sig- 
mund, 1871.  119  folg.  Anm.  Ein  Umstand,  welcher  gegen  die  Glaubwür- 
digkeit der  Richental'schen  Erzählung  spricht,  ist  doch  von  Berg  er  über- 
sehen worden,  ich  meine  die  mit  dem  Charakter  des  Herrn  von  Latze n- 
bock  völlig  unvereinbare  Rolle,  welche  dieser  in  der  Sache  gespielt  haben 
soll.  Diesen  Umstand  macht,  wie  ich  nachträglich  sehe,  auch  PäLACKY, 
Die  Gesch.  des  Hussitenthums.  2.  Aufl.  1S6S.  S.  105  geltend.  Dass  das 
Gerücht  von  dem  Fluchtversuch  völlig  grundlos  und  dass  es  von  den  Geg- 
nern in  Umlauf  gesetzt  war,  erkennt  selbst  Hefele  ,  Conciliengesch.  VII. 
h  TO  an. 

13* 


196 


Buch  III.    Kap.  3.  V. 


um  mit  den  Cardinälen  zu  verhandeln,  sondern  um  sieh  vor  dem 
ganzen  Concil  zu  verantworten;  dessen  ungeachtet  sei  er  auf 
das  Ersuchen  der  Cardinäle  bereit  augenblicklich  zu  kommen 
und  Red'  und  Antwort  zu  geben:  aber  eher  wolle  ersterben  als 
die  erkannte  Wahrheit  verleugnen.  Man  nahm  ihn  beim  Wort, 
und  er  verliess  das  Haus,  um  nicht  mehr  dahin  zurückzukehren ; 
von  der  Wirthin,  welche  voll  banger  Ahnung  und  in  Thranen 
war.  verabschiedete  er  sich,  indem  er  sie  segnete :  er  bestieg  ein 
Pferd  und  wurde  nebst  Herrn  von  Ohlum  in  das  bischöfliche 
Palais  geleitet,  wo  der  Papst  seine  Wohnung  hatte. 

Hier  waren  die  Cardinäle  versammelt,  und  es  wurde  ihm 
eröffnet,  man  wolle  ihn  darüber  vernehmen,  wie  es  sich  mit  den 
mancherlei  Irrthümern  verhalte,  die  er  angeblich  in  Böhmen  ver- 
breitet habe.  Hus  erwiederte.  er  wolle  liebersterben,  als  an 
einem  Irrthum  festhalten :  sobald  man  ihm  einen  Irrthum  nach- 
weise, so  sei  er  in  Demiith  bereit  ihn  aufzugeben.  Diese  Er- 
klärung wurde  mit  Wohlgefallen  aufgenommen.  Indessen  ent- 
fernten sich  die  Cardinäle  und  Hessen  Hus  mit  Herrn  von 
Chi  um  unter  militärischer  Bedeckung  allein. 

Erst  Nachmittags  4  Uhr  versammelten  sich  die  Cardinäle 
wiederum  in  dem  Palais  des  Papstes.  Diesmal  fanden  sich  die 
böhmischen  Feinde  Husens  ein.  namentlich  Pa  1  etz  und  Michael 
de  Causis:  aber  auch  seine  Freunde  Johann  von  Reinstein  und 
Peter  von  Mladenowitz.  Nach  einigen  Stunden  waren  die  Car- 
dinäle übereingekommen .  was  mit  Hus  geschehen  sollte:  der 
Haushofmeister  des  Papstes  meldete  Herrn  von  Ohlum,  er  könne 
nach  Hause  gehen.  Magister  Hus  aber  müsse  dableiben.  Da 
ging  Ohlum,  in  höchster  Entrüstung,  dass  man  unter  dem  Ver- 
wand einer  gütlichen  Conferenz  den  Magister  gefangen  genom- 
men hatte,  stracks  auf  den  Papst  zu.  und  machte  ihm.  angesichts 
der  Cardinäle.  den  Vorwurf  des  Wortbruehs.  wobei  er  ihm  seine 
Erklärung  vom  5.  November  wörtlich  vorhielt:  er  wolle  seine 
Stimme  laut  erheben  wider  alle,  welche  das  freie  Geleite  des 
Königs  gebrochen  hätten.  Der  Papst  hatte  nur  Worte  der  Ent- 
schuldigung ,  und  eröffnete  dem  böhmischen  Baron  im  Vertrauen, 
dass  die  Cardinäle,  mit  denen  er  bereits  auf  gespanntem  Fusse 
stand,  ihm  den  Gefangenen  aufgedrungen  hätten.  Noch  denselben 


Bemühungen  Hus  wieder  auf  freien  Fuss  zu  setzen. 


197 


Abend  wurde  H  as  in  die  Wohnung-  eines  Domherrn  von  Constanz 
gebracht,  liier  wurde  er  8  Tage  lang  von  Bewaffneten  bewacht. 
Nachher  versetzte  man  ihn  6.  Dec.  in  das  Dominikanerkloster, 
das  auf  einer  Insel  im  Bodensee .  dicht  bei  der  Stadt  lag.  und 
wies  ihm  ein  finsteres,  unmittelbar  an  eine  Kloake  stossendes 
Gelass  als  Gefängniss  an.  Das  war  ein  ungesunder  Aufenthalt: 
kein  Wunder,  dass  Hus  darin  erkrankte1). 

Johann  von  Chi  um  hielt  Wort.  Er  that,  was  er  konnte,  um 
seinen  Schützling  wieder  zu  befreien.  Er  erhob  sofort  laute  Klage 
wider  den  Papst  und  die  Cardinäle,  dass  sie  den  Magister  Johann 
Hus  in  Haft  genommen  hätten,  ungeachtet  des  ihm  bewilligten 
freien  Geleites:  wies  die  königliche  Urkunde  Grafen  und  Herren. 
Bischöfen  des  Concils  und  ansehnlichen  Bürgern  der  Stadt  vor. 
Als  das  alles  vergeblich  war.  erhob  er  am  24.  December  wider 
diese  Verletzung  der  Reichsgewalt,  Protest  durch  Anschlag  an 
den  Thüren  der  Domkirche  zu  Constanz 2  . 

Es  kam  alles  darauf  an.  ob  König  Sigismund  seine  und 
des  Reichs  Ehre  und  Vollmacht  zu  retten  gewillt  und  stark  genug 
war.  Allein  da  war  viel  Geschrei  und  wenig  Wolle.  Als  er  durch 
Herrn  von  Ohlum,  noch  auf  der  Reise  nach  Constanz,  Nachricht 
erhielt  von  der  Verhaftung  Husens,  flammte  er  auf.  gab  Be- 
fehl. Hus  auf  freien  Fuss  zu  setzen  und  drohte,  seinen  Kerker 
erbrechen  zu  lassen.  Indess  das  waren  Worte  und  nicht  Thaten. 
Und  als  er  in  der  heiligen  Nacht  vom  24  —  25.  Dec.  in  Constanz 
angekommen  war.  Hess  er  zwar  in  mehreren  Verhandlungen  mit 
den  Cardinälen  und  Prälaten  des  Concils  seinen  ganzen  Unniuth 
fühlen  über  die  ihm  widerfahrene  Kränkung,  ja  er  verHess  mehr 
als  einmal  die  Conferenz  in  vollem  Zorn;  einmal  ging  er  sogar 
aus  der  Stadt,  als  wollte  er  das  Coneil  sich  selbst  überlassen. 
Aber  das  war  mehr  Affekt  als  Entschlossenheit  des  Willens  -  . 


1)  Der  ausführliche  Bericht  über  diese  Vorgänge  von  Mladenowitz 
bei  Palacky,  Docum.  247 —  252. 

2;  Den  Wortlaut  des  Protestes  gibt  Mladenowitz  a.  a.  O.  253  folg. 

3;  Laut  der  eigenen  Mittheilung  K.  Sigismund  s  in  einem  tschechischen 
Schreiben  an  die  hussitischen  Barone  von  Böhmen  d.  Paris  21.  März  1416, 
bei  Palacky,  Docum.  699  ff.,  lat.  Uebers.  612. 


19$ 


Buch  III.    Kap.  3.  V. 


Als  man  ihm  entgegnete,  das  Recht  der  Kirche,  einen  Häretiker 
nach  Kirchengesetzen  zu  richten,  könne  durch  das  Recht  des 
Königs,  einen  Unterthanen  zu  schützen,  nicht  aufgehoben  werden, 
und  seine  Drohung  Constanz  zu  verlassen,  damit  beantwortete, 
dann  werde  das  Concil  auseinander  gehen,  wenn  er  dessen  recht- 
mässige Wirksamkeit  hindern  wolle :  so  war  er  mit  seiner  That- 
kraft  zu  Ende.  Denn  es  lag  ihm  alles  an  der  Fortdauer  des  Con- 
cils,  das  ja  wesentlich  sein  Werk  war.  Somit  verzichtete  er  auf 
ferneren  Widerstand,  und  liess  seit  dem  1.  Januar  1415  dem 
Process  gegen  Hu s  seinen  Lauf).  Hus  blieb  gefangen,  wenn 
auch  nur  in  Untersuchungshaft.  Aber  damit  war  sein  Schicksal 
im  Grunde  bereits  entschieden. 

Am  4.  December  1414  hatte  der  Papst  zur  Voruntersuchung 
über  Hus  einen  Ausschuss  von  3  Bischöfen  bestellt,  den  Patriar- 
chen Johannes  von  Constantinopel,  und  die  Bischöfe  Johann  von 
Lübeck  und  Bernhard  von  Citta  di  Castello  im  Kirchenstaat. 

Diese  luden  sämmtliche  Belastungszeugen  vor  sich  und  ver- 
nahmen dieselben,  nachdem  sie  zuvor  zu  Hus  in  das  Gefängnis» 
geführt  worden  waren,  um  in  seiner  Gegenwart  beeidigt  zu  wer- 
den. Das  geschah,  ungeachtet  Hus  eben  damals  sehr  krank 
war,  mit  nicht  weniger  als  15  Zeugen  an  einem  Tage.  Hus  bat 
um  einen  Anwalt  zu  seiner  Vertheidigung  und  zur  Verantwortung 
angesichts  der  Zeugen,  unter  welchen  mehrere  seine  persönlichen 
Feinde  waren,  z.  B.  Stephan  Paletz.  Das  wurde  ihm  anfänglich 
zugesagt,  nachträglich  aber  abgeschlagen,  weil  es  rechtswidrig 
sei :  einem  der  Ketzerei  Verdächtigen  dürfe  niemand  beistehen 2) . 

Sobald  Hus  sich  etwas  besser  befand,  legten  ihm  die  ge- 
nannten Commissare  ein  Schriftstück  zur  Verantwortung  vor, 
worin  42  Punkte  zusammengestellt  waren,  die  ihm  zur  Last  ge- 
legt wurden.  Die  Zusammenstellung  war  eine  Arbeit  von  Stephan 
Paletz.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Artikel  1 — 'M  stutzt 
sich  auf  Auszüge  aus  Hus'ens  Streitschrift  »über  die  Kirche«. 


I)  Von  der  Hardt,  Acta  ConciUi  Comt.  IV,  :*2. 

2  Mladeno  witz  bei  Palacky  ,  Docum.  252  folg.  Vgl.  die  an  sieh 
völlig  glaubwürdige  Angabe  von  Hus  selbst  in  einem  Briefe  an  Herrn 
von  Chi  um,  bei  P ALACK  Y,  Docum.  68. 


Der  Laienkelch. 


199 


Die  letzten  Artikel  3S — 42  nehmen  Bezug  auf  einige  andere 
Streitschriften  und  auf  Aeusserungen  von  ihm  in  Predigten,  Brie- 
ten und  dergleichen  1  .  Hus  verfasste  sofort  eine  Verantwortung, 
worin  er  die  ihm  schuld  gegebenen  Punkte  der  Reihe  nach  buch- 
stäblich aufführt,  und  jeden  Punkt  sofort  beleuchtet.  Zum  Theil 
beweist  er,  dass  die  angeblichen  Irrlehren  vielmehr  Wahrheiten 
seien,  indem  er  sie  aus  der  heil.  Schrift,  auch  wohl  aus  Kirchen- 
vätern wie  Augustin,  Gregor  dem  Grossen,  oder  aus  späteren 
hoch  geachteten  Lehrern  wie  Bernhard  von  Clairvaux,  Grossetete 
iLincolniensis)  und  Anderen  begründet.  Bei  anderen  Punk- 
ten weist  er  nach,  dass  man  seine  eigenen  Aussprüche  ungenau 
wiedergegeben,  verstümmelt  oder  mit  Zusätzen  versehen,  aus 
dem  Zusammenhang  gerissen  und  entstellt  habe 2) . 

Während  die  von  Paletz  vorbereitete  Grundlage  der  An- 
klage wider  Hus  vorzüglich  seine  Ansichten  von  Kirche  und 
Hierarchie  zum  Gegenstand  hat.  kam  von  Böhmen  her  ein  neuer 
Punkt  hinzu,  welchen  man  begierig  ergriff  und  gegen  Hus  ver- 
werthete.  Magister  Jakob  von  Mies,  um  seiner  kleinen  Statur 
willen  gewöhnlich  Magister  Jakobell  genannt,  ein  vertrauter 
Freund  von  Hus  und  seit  dessen  Abreise  der  namhafteste  unter 
»einen  Anhängern  in  Prag,  fing  am  Ende  des  Jahrs  1414  an,  die 
Spendung  des  heil.  Abendmahls  unter  beiderlei  Gestalt,  die 
Gewährung  auch  des  Kelchs  an  alle  Communicanten,  lehrhaft  zu 
vertheidigen  in  einer  akademischen  Disputation] ,  und  schritt  so- 
fort, im  Einverständniss  mit  einer  grossen  Anzahl  von  Freunden 
H  u  s  ens  zur  praktischen  Verwerthung  dieser  Lehre ,  zur  wirkli- 
chen Spendung  des  Kelchs  an  die  Laien  communio  sub  utraque). 


I  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  1.  331,  gibt  an,  die  Schrift  ent- 
halte 44  Punkte.  Dies  heruht  auf  der  Zählung  von  Mladenowitz,  welche 
aber  eine  ungenaue  ist  und  von  ihm  selbst  als  eine  nur  beiläufige  bezeich- 
net wird:  »articulos  ferc  44«,  bei  Palacky,  Docum.  254.  Die  Urkunde 
selbst  a.  a.  0.  2<)4  ff.  enthält  nur  42  Punkte.  Böhringer  a.  a.  O.  417, 
Krümmel  a.  a.  0.  472  zählen  41  Artikel. 

2]  Das  in  mehr  als  einer  Hinsicht  belangreiche  Schriftstück  ist  voll- 
ständig erhalten  und  aus  dem  Bericht  von  Mladenowitz,  zu  dessen  Bei- 
lagen es  gehört ,  so  wie  nach  einer  Wiener  Handschrift  in  Palacky' s  Do- 
cnncnta,  2U4  — 224  abgedruckt. 


200 


.    Buch  III.    Kap.  3.  V. 


Bald  wurde  in  mehreren  Kirchen  der  Hauptstadt  regelmässig 
der  Kelch  mit  gespendet.  Fortan  wurde  der  Kelch  das  spre- 
chende Sinnbild  der  Partei.  Das  Einschreiten  des  erzbischöflichen 
Ordinariats  war  fruchtlos:  Jakob  von  Mies  stellte  sich,  als  er 
vorgeladen  wurde ,  war  aber  weit  entfernt,  irgend  eine  Weisung 
anzunehmen ;  selbst  der  Kirchenbann  richtete  nichts  aus,  man  bot 
ihm  offen  Trotz.  Allein  die  Hussiten  in  Prag  waren  über  die  neue 
Frage  vom  Kelch  unter  einander  selbst  nicht  einig.  Um  so  mehr 
kam  darauf  an,  wie  Hus  sich  aussprechen  würde  1  .  Er  that  dies 
in  einem  kurzen  Aufsatz,  den  er  zu  Constanz  schrieb,  als  er  sich 
noch  auf  freiem  Fusse  befand,  und  in  mehreren  Briefen 2  .  Seine 
Ansicht  geht  zwar  nicht  dahin,  dass  es  geradezu  Pflicht  und 
heilsnoth wendig  sei,  das  heil.  Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt 
zu  spenden  und  zu  gemessen,  wohl  aber  dahin,  dass  es  erlaubt 
und  heilsam  sei.  das  Abendmahl  auch  unter  der  Gestalt  des  ge- 
segneten Kelchs  zu  empfangen  3) .  Nachdem  er  dies  theologisch 
begründet  hatte,  verwies  er  in  Briefen  wiederholt  auf  diese  Ab- 
handlung4 ).  Zugleich  forderte  er  vom  Gefängniss  aus  seine 
Freunde  in  Constanz  auf,  dahin  zu  wirken,  dass  durch  eine  Bulle 
die  Spendung  des  Kelchs  denjenigen  zugelassen  werde,  welche 
ihn  aus  Andacht  begehren5  .  Einen  anderen  Ton  schlug  Hus  an, 
nachdem  das  Concil  am  15.  Juni  1415  die  Communion  unter 
beiderlei  Gestalt  geradezu  verboten  hatte.  Das  erschien  ihm  als 
ein  grossartiger  Wahnwitz :  das  heisse  ja  die  Gewohnheit  und  das 
Herkommen  über  Gottes  Wort,  über  die  Einsetzung  Christi  und 
das  Handeln  der  Apostel  stellen.  Nun  bat  er  auch  den  Prediger 
an  der  Prager  Bethlehemskapelle,  Hawli k.  um  Gottes  willen, 
dem  Jak  ob  eil  nicht  ferner  entgegenzutreten,  damit  nicht,  zur 


1)  Johann  von  Chi  um  bat  in  einem  an  Hus  im  Gefängniss  gerichte- 
ten Brief  um  seine  Entscheidung ,  quia  fratrum  adhuc  aliquahs  est  seissio, 
a.  a.  O.  %. 

2)  Nr.  51.  S.  91  ;  Nr.  TS.  S.  126;  Nr.  SO.  S.  12S  bei  Palacky  ,  Doc. 
3]  De  sanguine  Christi  sub  specie  Ptfftf  a  taicis  sumemlo,  Opp.  I.  Nürnb. 

155S.  42a  — 44a.  Das  Thema  des  Aufsatzes  ist  sprechend:  Vtrum  exp«~ 
diat  laicis  ßdeliltiis,  surnere  sanf/uittem  Christi  suh  sjx'cic  Ctttit 

4)  Nr.  51  u.  Nr.  TS  bei  Palacky.  Doc.  91.  126. 

5)  a.  a.  ü.  91, 


Die  Katastrophe  Johanna  XX11I. 


Freude  des  bösen  Feindes,  eine  Spaltung  unter  den  Gläubigen 
einreisse  1  . 

Die  Forderung  des  Laienkelchs  und  die  utraquistische  Com- 
nmnion  war  ein  neuer  Zielpunkt  für  die  Angriffe  auf  Hu s  und 
seine  Partei.  Die  Sache  war  aber  nicht  die.  dass  jetzt  erst  eine 
Lehrfrage  in  Angriff  genommen,  die  Reform  auf  den  christlichen 
Lehrbegriff  ausgedehnt  wurde  2  ;  denn  schon  bisher  war  die 
Lehre,  insbesondere  der  Kirchenbegriff,  streitig.  Vielmehr  griff 
hiemit  die  Reform  in  das  Gebiet  des  Kultus  ein.  wahrend  sie 
bisher,  ausser  der  Lehre,  nur  die  Verfassung  und  das  kirchliche 
Leben  berührt  hatte.  Immerhin  diente  die  neue  Streitfrage  dazu, 
die  Gegensätze  zu  verschärfen. 

Inzwischen  schien  die  Katastrophe  mit  Johann  XXIII.  eine 
für  das  Schicksal  von  Hus  günstige  Wendung  herbeizuführen. 

Die  Hauptaufgabe  des  Concils  war.  die  Papstspaltung  zu 
heben  und  die  Einheit  der  Kirche  wiederherzustellen.  Die  Reform 
an  Haupt  und  Gliedern  bildete  nur  ein  Mittel  zu  jenem  Zweck. 
Nun  gelangte  das  Concil  zu  der  Ueberzeugung .  dass  alle  drei 
Päpste,  und  in  erster  Linie  Johann  XXIII..  abdanken  müssten. 
Dieser  erklärte  sich  hiezu  geneigt,  unter  gewissen  Bedingungen. 
Bald  aber  suchte  er  wieder  Ausflüchte,  und  schliesslich  entwich 
er  am  20.  März  verkleidet  aus  Constanz.  Alle  seine  Diener  ver- 
liessen  ebenfalls  die  Stadt,  somit  überlieferten  auch  die  bisherigen 
Wächter  über  Hus  die  Schlüssel  zu  seinem  Gefängniss  am  Palin- 
tag  24.  März  dem  König  Sigismund.  Nun  konnte  dieser  sein 
gegebenes  Wort  ohne  Schwierigkeit  einlösen  und  seine  Ehre 
retten ;  er  durfte  nur  den  Befehl  geben.  Hus  in  Freiheit  zu  setzen. 
Hus  selbst  gab  sich  zwar  in  diesem  entscheidungsvollen  Augen- 
blicke keinen  sanguinischen  Hoffnungen  hin .  doch  hielt  er  e> 
wenigstens  für  möglich,  dass  ihn  der  König  auf  freien  Fuss 
setze  1  .  Desto  eifriger  verwendeten  sich  ohne  Zweifel  die  böh- 
mischen Barone,  welche  sich  in  Constanz  befanden,  für  seine  Frei- 


1  Brief  Nr.  78.  8.  126;  Nr.  80.  S.  12v 

2  Wie  Palacky.  Ge*ch.  von  Böhmen.  III.  1.  folg.  da-  Yerhäl: 
niss  auftasst. 

3  59ster  Brief,  S.  100  bei  Palacky.  Docum 


202 


Buch  III.    Kap.  3,  V. 


lassung.  Hatten  doch  schon  einige  Wochen  zuvor  die  Stände  von 
Böhmen  und  Mahren,  als  sie  in  Meseritz  versammelt  waren,  sich 
mit  einem  sehr  freimüthigen  Schreiben  in  tschechischer  Sprache 
an  Sigismund  gewandt  und  ihn  bei  seiner  königlichen  Ehre  auf- 
gefordert, den  Mann,  welchem  unter  frecher  Misachtung  des  von 
ihm  feierlich  zugesagten  Schutzes,  schreiendes  Unrecht  geschehen 
sei.  aus  seinem  Kerker  zu  befreien  l) .  Andererseits  befürchteten 
die  fanatischen  Gegner  sehr  ernstlich,  dass  Hus  bei  dieser  Ge- 
legenheit ihren  Händen  entrissen  werden  könnte2). 

Allein  die  anfängliche  Entrüstung  Sigismunds  über  die  von 
Seiten  der  Cardinäle  ihm  zugefügte  Beleidigung  war  längst  ver- 
gessen. Andererseits  war  ihm  das  Concil  desto  werther  geworden, 
je  kräftiger  es  die  Sache  der  Einigung  angriff.  Um  so  weniger  kam 
es  ihm  bei,  in  den  bereits  eingeleiteten  Process  gegen  Hus  seiner 
Seits  einzugreifen.  Im  Gegentheil,  er  besprach  sich  gerade  mit 
den  Vätern  des  Concils  über  die  Frage,  was  mit  Hus  geschehen 
sollte.  Und  in  Gemässheit  des  ihm  von  dieser  Seite  ertheilten 
Rathes  übergab  er  den  Gefangenen  an  demselben  Tage,  wo  die 
Schlüssel  zu  dessen  Kerker  in  seine  Hand  gelegt  worden  waren, 
dem  Bischof  von  Constanz.  Dieser  Hess  ihn  schon  die  Nacht 
darauf  in  sein  Schloss  Gottlieben  am  Rhein,  5  4  Stunden  unter- 
halb Constanz,  im  Canton  Thurgau  gelegen,  bringen;  Hus  erhielt 
das  oberste  Geschoss  in  dem  westlichen  Schlossthurm  zu  seinem 
Gefängniss. 

Hier  blieb  er  vom  24.  März  bis  zum  5.  Juni.  73  Tage  lang. 
Er  war  im  bischöflichen  Schloss  übler  daran,  als  im  Dominikaner- 
kloster. Seine  Wärter  im  Kloster  hatten  ihm  mit  der  Zeit,  unter 
dem  Einfluss  seiner  vornehmen  Freunde  aus  Böhmen,  immer  mehr 
zugelassen :  er  hatte  Briefe  schreiben  .  hie  und  da  selbst  Besuch 
von  Freunden  anneinnen  dürfen.   Auf  Gottlieben  dagegen  wurde 

1  a.  a.  O.  524  ff. 

2  Vgl.  den  Brief  eines  Ungenannten,  aus  Constanz,  vom  '2.  April  141"». 
a.  a.  O.  541. 

.5  Nicht  weniger  als  ltf  Briefe  aus  seinem  Gefängniss  im  Dominika- 
nerkloster sind  bis  jetzt  bekannt  Nr.  14  — :>0  bei  Palacky  a.  a.  0.  — 
Mio  ,  aus  den  10  Wochen  der  Gefangenschaft  in  Gottlieben  nicht  ein  ein- 
ziger. 


Böhmische  Herren  gegen  das  Verfahren  mit  Hus.  203 

§ 

er  in  einem  isolirten  Thurme  im  obersten  Stockwerk  eingesperrt ; 
bei  Tage  musste  er  an  den  Füssen  Fesseln  tragen,  bei  Nacht 
wurde  er  mit  den  Händen  an  die  Wand,  wo  sein  Bette  stand, 
angekettet,  und  von  allem  Verkehr  mit  seinen  Freunden  abge- 
schnitten 1  . 

In  Folge  der  Entweichung  Johanns  XXIII.  war  nicht  blos 
die  von  ihm  verfügte  Gefangenschaft,  sondern  auch  die  von  ihm 
ertheilte  Vollmacht  an  die  drei  Commissare  zur  Voruntersuchung 
gegen  11  us  hinfällig  geworden.  Nun  beauftragte  das  Concil  am 
'>.  April  III")  vier  neue  Commissare:  die  zwei  Cardinäle  Peter 
d'Ailly ,  Erzbischof  von  Cambray,  und  Wilhelm  von  Cordiano, 
Erzbißchof  von  Florenz,  den  Bischof  von  Dole  und  den  Abt  von 
Citeaux.  Von  den  Verhören,  welche  diese  Prälaten  mit  Hus  auf 
der  Burg  Gottlieben  anstellten,  ist  aber,  weil  sie  ganz  im  Ge- 
heimen statt  fanden,  und  Hus  selbst  keine  Briefe  schreiben 
durfte,  lediglich  nichts  bekannt. 

Aber  eben  diese  Heimlichkeit  des  Verfahrens  und  die  nun- 
mehr strengere  Haft  gab  den  Freunden  von  Hus  in  Böhmen  und 
Mähren,  ja  selbst  einigen  Polen,  neuen  Grund  zu  lauten  Be- 
schwerden. Man  konnte  bereits  deutlich  genug  sehen,  wenn  man 
überhaupt  sehen  wollte .  dass  das  Verfahren  der  Kirche  und  des 
Reiches  wider  Hus  in  dessen  Heimath  von  seinen  Stammes-  und 
Gesinnungsgenossen  weit  und  breit  bitter  empfunden  wurde  und 
eine  tiefe  Erregung  der  Gemüther  verursachte.  Insbesondere 
machte  sich,  wie  schon  seither,  der  tschechische  Adel  in  Böhmen 
und  Mähren  zum  Sprecher  dieser  Gefühle.  Am  8.  Mai  verfassten 
zehn  Barone  der  Starkgrafschaft  Mähren ,  zu  Brünn  versammelt, 
eine  abermalige  Vorstellung  an  König  Sigismund.  Sie  klagten 
nicht  mehr  blos  über  die,  trotz  des  freien  Geleites,  widerrechtlich 
erfolgte  Verhaftung  des  Hus,  sondern  nunmehr  auch  über  die 
unbillige  und  erbarmungslose  Härte ,  womit  er  in  Gottlieben  be- 
handelt werde,  so  wie  über  die  Heimlichkeit  des  Verfahrens  mit 
ihm:  sie  forderten,  dass  er  aus  dem  Kerker  entlassen  und  öf- 
fentlich verhört  werde2).    Und  Sonntag  den  12.  Mai  unter- 


1  Vgl.  Mladenowitz  a.  a.  O.  255. 

2  Bei  Palacky  a.  a.  O.  -347  ff. 


204  Buch  III.    Kap.  3.  V. 

• 

zeichneten  und  lintersiegelten  nicht  weniger  als  250  Freiherren. 
Ritter  und  Edellente  aus  Böhmen  und  Mähren  in  Prag  eine  ähn- 
liche Denkschrift  an  König  Sigismund,  welche  in  nachdrück 
licherem  Tone  nicht  allein  Freilassung  des  Magisters  fordert, 
sondern  auch  begehrt .  dass  derselbe  nicht  mehr  unbefugter 
Weise  .  zur  Sehmach  der  böhmischen  Nation  angeklagt  werde, 
vielmehr  auf  freiem  Fusse  in  die  Heimath  zurückkehren  dürfe  1  . 
Diese  Eingabe  war  von  einem  Schreiben  begleitet  an  die  böhmi- 
schen und  mährischen  Hofbeamten  des  Königs .  worin  diese  um 
ihre  kräftige  Verwendung  für  denselben  Zweck  angegangen  wur- 
den 2  .  Die  letzteren  hatten  übrigens  nicht  nöthig .  erst  von  der 
Heimath  aus  gemahnt  zu  werden.  Nur  einen  Tag  später,  als  die 
eben  erwähnten  Schreiben  in  Böhmen  unterzeichnet  wurden,  am 
13.  Mai,  überreichten  die  in  Constanz  anwesenden  Herren  vom 
böhmischen  Adel.  Wenzel  von  Duba.  Johann  von  Ohlum, 
Heinrich  von  Lätzen  bock  u.  s.  w..  in  Gemeinschaft  mit  meh- 
reren Baronen  aus  Polen .  in  einer  Conferenz  von  Deputirten  der 
vier  Nationen  des  Concils  deutsche,  englische,  französische  und 
italienische  .  welche  in  dem  Franziskanerkloster  gehalten  wurde, 
eine  Eingabe .  worin  sie  über  die  trotz  der  königlichen  Zusage 
und  ohne  Verhör  vorgenommene  Verhaftung  und  bisherige  Be- 
handlung von  Hus  Klage  führten  und  Abhülfe  begehrten.  Ueber- 
dies  besehwerten  sich  die  Herren  aus  Böhmen  für  sich  allein, 
dass  Gegner  der  böhmischen  Nation  verleumderische  Gerüchte 
beim  Concil  verbreifet  hätten,  z.  B.  dass  iu  Böhmen  das  Sakra- 
ment des  Blutes  Christi  in  Flaschen  umhergetragen  werde,  und 
dass  Schuster  Beichte  hören  und  das  heil.  Abendmahl  spenden. 
Man  möge  solchen  Verleumdern  keinen  Glauben  schenken .  viel- 
mehr sie  namhaft  machen,  damit  man  sie  Lügen  strafen  könne  ' 

Es  ist  nicht  dieses  Orts .  näher  darauf  einzugehen ,  wie  der 
Bischof  Johann  von  Leitomischl  den  letzten  Theil  der  Beschwerde 


1  a.  a.  ().  550  ti. 

2  a.  a.  0.  Ö54  folg. 

•\  Die  Eingabe  s.  bei  von  der  Hardt.  Contimit.  Omuäium,  Vol.  IV. 
188  folg..  richtiger  in  dem  Bericht  van  Mla  den  o  witz .  der  dieselbe  ver- 
tagst hatte,  bei  Palacky  a.  a.  0.  256  ff. 


Beschlüsse  über  Wieiii'. 


205 


sofort  auf  sich  bezog,  und  sich  zur  Beantwortung  derselben  eine 
Trist  ausbat.  wie  er  sodann  in  der  Deputationssirzmig  am  16.  Mai 
die  erwähnten  Aussagen  theils  zu  begründen  suchte,  theils  sie  je 
gemacht  zu  haben  bestritt 1  .  Die  Verhandlung  über  den  Haupt- 
Gegenstand  der  Beschwerde  führte  zu  keinem  Erfolg.  Das  Ende 
dieser  Reden  und  Gegenreden  war.  dass  am  3 I.Mai  der  Patriarch 
von  Antiochien  eröffnete,  man  werde  von  Seiten  des  Concils  unter 
keinen  Umständen  Hus  auf  freien  Fuss  setzen,  sollten  auch  tau- 
send Bürgen  für  ihn  einstehen  wollen :  was  übrigens  das  Gesuch 
um  öffentliches  Verhör  anbelange .  so  werde  man  demselben  ent- 
sprechen'- . 

Noch  ehe  diese  Verhandlungen  statt  fanden,  hatte  das  Concii 
die  seit  1403  oft  erwähnten  45  Artikel  von  Wiclif  verdammt  und 
ihn  selbst  für  einen  bis  an  sein  Ende  unverbesserlich  gebliebenen 
Ketzer  erklärt.  Das  geschah  bereits  am  4.  Mai  1415  in  der  Sten 
Plenarsitzung  des  Concils  .  nachdem  schon  in  der  5ten  Sitzung, 
am  (>.  April,  die  Vorbereitung  und  Berichterstattung  in  Sachen  Wi- 
clif's  und  seiner  Lehre  denselben  Commissaren  aufgetragen  wor- 
den war.  welche  mit  der  Voruntersuchung  Hus  selbst  anlangend 
beauftragt  wurde.  Ein  sprechender  Beweis  davon,  dass  das  Con- 
cii den  Process  wider  Hus  und  die  Frage  über  Wiclif  für  con- 
nex  und  untrennbar  ansah3).  In  der  6ten  Sitzung  am  17.  April 
1415  hatte  man  den  Commissaren  Beschleunigung  des  Berichts 
an's  Herz  gelegt  *) .  Endlich  kam  es  in  der  Sten  Sitzung,  Sonn- 
abend den  4.  Mai  zur  Verlesung  und  Annahme  der  Sentenz  des 
Concils  über  Wiclif.  Das  Urtheil  lautete  dahin,  dass  im  gegen- 
wärtigen Zeitalter  Johann  Wiclif  der  Hauptführer  in  dem  Kampf 
wider  das  Christenthum  und  die  heilige  Kirche  gewesen  sei5). 
Demgemäss  wird  die  Verurtheilung  seiner  Bücher,  vorzüglich 
des  Dialogs  und  des  Trialogs.  welche  von  Seiten  der  Universitä- 

lj  s.  Palacky,  Docum.  25S  ff.,  vgl.  264  folg. 

2  Das  Nähere  in  dem  Bericht  von  Mladenowitz,  bei  Palacky  a.  a. 
0.  260  ff.  266  —  270. 

3)  Von  der  Hardt,  Concii.  Conti.  Vol.  IV.  f.  99  folg. 
4   a.  a.  O.  IV,  118. 

5]  a.  a.  O.  IV,  153.  Maxsi,  XXVII,  632:  Nosiris  —  temporibus  vetus 
ille  —  hostis  ttova  certamina  suscitavit;  quorum  dnx  et  princeps  extitit 
quondam  Johannes  W icl e  ff  pseudo-christianvs  etc. 


:>i>6 


Buch  III.    Kap.  3.  V 


teil  Oxford  und  Prag*,  der  Erzbischöfe  von  Canterbury.  York  und 
Prag,  sowie  des  römischen  Concils  vom  Jahre  1412  ausgespro- 
chen war,  bestätigt;  insbesondere  werden  die  45  Artikel,  auf 
Grund  erneuerter  Prüfung  durch  eine  Anzahl  Mitglieder  des  ge- 
gegenwärtigen  Concils ,  wegen  ihres  theils  irrthümlichen  .  theils 
förmlich  ketzerischen,  theilweise  anstössigen  oder  revolutionären 
Inhalts  [temerarios  et  seditiosos)  misbilligt.  verurtheilt  und  ver- 
boten1); Wiclifs  Bücher  und  Traktate  sollen,  wie  das  Concil 
zu  Rom  entschieden  habe ,  öffentlich  verbrannt  werden.  Aber 
man  hatte  nicht  genug  an  dem  Urtheil  über  Lehren  und  Schrif- 
ten; das  Concil  glaubte  auch  das  Andenken  Wiclifs  für  immer 
brandmarken  zu  sollen,  indem  man  über  ihn  selbst,  im  Laufe  des 
dreissigsten  Jahres  nach  seinem  Tode ,  das  Urtheil  fällte ,  er  sei 
notorisch  ein  hartnäckiger  Ketzer  gewesen,  und  als  solcher  im 
Kirchenbann  gestorben.  Daher  schliesslich  die  Anordnung,  dass 
Leib  und  Gebeine  des  Mannes,  falls  sie  von  Leibern  anderer 
Gläubigen  sich  unterscheiden  Hessen ,  ausgegraben  und  fern  von 
einer  kirchlichen  Begräbnisstätte  weggeworfen  werden  sollen 2  . 

1)  Von  der  Hardt  hat  zwei  Gutachten  mit  Kritiken  über  die  45  Ar- 
tikel, ein  kürzeres  III,  f.  168  —  211,  und  ein  ausführlicheres  f.  212  —  335, 
veröffentlicht.  Beide  sind  jedenfalls  in  Constanz  ausgearbeitet  worden.  — 
In  den  Concilsakten  ist  neben  den  45  Artikeln  wiederholt  auch  von  2t in 
Artikeln  die  Rede,  welche  aus  den  Schriften  Wiclifs  ausgezogen,  geprüft 
und  verworfen  worden  seien,  a.  a.  0.  152  —  156.  Das  Urtheil  über  diese 
Sätze  wurde,  weil  die  französische  Nation  noch  keine  Kenntniss  von  den- 
selben erhalten  hatte  a.  a.  O.  191),  bis  zur  nächsten  Sitzung  vertagt  und 
in  der  Oten  Sitzung  am  13.  Mai  nachgeholt.  Diese  260  Artikel  haben  sich 
jedoch,  wie  von  der  Hardt  IV,  156  bemerkt,  in  keiner  von  den  ihm  zu- 
gänglichen Urkunden  vorgefunden.  Es  waren  das  ohne  Zweifel  dieselben 
Sätze,  über  welche  im  Jahr  1412  die  Universität  Oxford  ein  verwerfendes 
Urtheil  gefällt  hat.  Diese  Vermuthung  finde  ich  bestätigt  durch  das  Zeug- 
niss  des  Abgeordneten  der  Wiener  Universität  bei  dem  Concil,  Petrus 
von  Pulka,  Doctors  der  Theologie,  dass  diese  Artikel  von  den  Englän- 
dern zur  Sprache  gebracht  worden  seien  [et  alios  seil,  aj-ticulos  260  altatoi 
2>rr  Angiicos) ,  im  Archiv  für  Kunde  östreichischer  Geschichtsquellen,  XV. 
1856.  S.  22,  Abhandlung  von  Fr.  Firnhaber,  Petrus  de  Pulka,  Abgesandter 
der  Wiener  Universität  am  Concilium  zu  Constanz,  S.  1  folg.  Die  Artikel  fin- 
den sich  (aber  nicht  260,  sondern  267  an  der  Zahl  abgedruckt  bei  WlLKINS, 
Cone.  Mdgnac  lirit.  III,  339 — 349  und  bei  Orth.  Gratiüs,  Fuscic.  n-mm 
BXpet.  et  fug.   15Ü5.  f.  133  folg. 

2   a."  a.  ().  IV.  155  -  157. 


Das  Dekret  des  Concfls  über  Wiclif. 


207 


Das  ist  eine  entsetzliche  Höhe  fanatischer  Gesinnung!  Dreis- 
sig  Jahre  nach  der  Beerdigung  die  wenigen  Reste .  welche  etwa 
die  Verwesung  überdauert  haben,  ihrer  Ruhestätte  entreissen, 
und  weit  von  kirchlicher  Begräbnissstätte  entfernt  hinwerfen 
jactarf  —  das  war  ein  Gedanke  und  Befehl,  wie  er  bis  da- 
hin in  der  Concilien-  und  Ketzergeschichte  selten  vorgekommen 
war1  .  Ferner,  die  Behauptung,  Wiclif  sei  als  Häretiker  im  Kir- 
chenbann gestorben,  ist  das  gerade  Gegentheil  der  geschicht- 
lichen Wahrheit :  niemals  ist  bei  seinen  Lebzeiten  von  einem 
Bischof  oder  einem  Concil  die  Excommunication  über  Wiclif 
verhängt  worden  :  er  war  bis  an  sein  Lebensende  im  vollen  Besitz 
kirchlicher  Ehre,  und  in  ungestörter  Uebung  kirchlicher  Rechte 
und  pfarramtlicher  Pflichten  geblieben.  Somit  ist  jener  Satz  in 
dem  gefällten  Urtheil  eine  notorische  Unwahrheit!  Trotz  alle 
dem  fand  die  vorgeschlagene  Sentenz  bei  der  Abstimmung  inner- 
halb des  Plenums  der  grossen  Kirchenversammlung  einhellige 
Annahme,  das  heisst,  der  Präsident  und  die  Vorsitzenden  der 
vier  Nationen  gaben  zu  dem  Entwurf  der  Sentenz,  mit  allem 
was  darin  gesagt  war.  ihr  Pia c et 2  . 

Je  maassloser  das  Verdammungsurtheil  lautete,  welches  über 
Wiclif,  seine  Person  und  seine  Lehren,  gefällt  worden  war. 
desto  trauriger  gestaltete  sich  die  Aussicht  für  Hus  selbst.  Galt 
er  doch,  und  nicht  mit  Unrecht,  für  einen  Anhänger  Wiclif 's, 
»des  Hauptanführers  der  Häretiker  in  dem  vorangegangenen  Zeit- 
alter«. 

Am  31.  Mai  wurde  festgesetzt,  dass  Johann  Hus  am  5.  Juni 
in  einer  öffentlichen  Sitzung  des  Concils  verhört  werden  solle.  Zu 
diesem  Behuf  wurde  der  Gefangene  an  diesem  Tage  aus  der  Burg 
Gottlieben  nach  Constanz  in  das  Franziskanerkloster  gebracht, 
wo  er  fortan  die  letzten  Wochen  verlebte.  Zwei  Tage  vorher  war 
der  abgesetzte  Papst  Johann  XXIII. ,  nunmehr  wieder  Balthasar 


1  Ich  kenne  nur  einen  ähnlichen  Fall:  Peter  Johann  von  Olivi, 
f  1297  ,  wurde  auf  Befehl  Johannis  XXII.  1316—1334  ausgegraben,  und 
die  Ueberreste  verbrannt  —  falls  der  Befehl  vollzogen  worden  ist,  s.  Oudix 
De  scriptoribus  eccl.  III,  586. 

2)  a.  a.  O.  157:  Responderunt  omnes,  et  prima  Ostiensis,  deinde  natio- 
num  Praesidentes,  quod  placeret,  et  approbaverunt  omnia  praedicta. 


20S  Buch  III.    Kap.  3.  VI. 

Gossa  genannt,  in  demselben  Schloss  Gottlieben  eingebracht  wor- 
den .  so  da ss  einige  Tage  lang  in  demselben  Gebäude  beide  als 
Gefangene  sieh  befanden  1  ,  der  fromme  Prager  Magister  und  der 
gewesene  »heilige  Vater«,  welchen  die  öffentliche  Meinung  jetzt 
als  einen  »eingefleischten  Teufel«2  verabscheute.  Vor  §tark  5 
Monaten  hatte  der  letztere  als  Papst  den  Befehl  gegeben,  Hus  zu 
verhaften :  nun  war  er  selbst  gerichtet ,  des  Pontificats  entsetzt, 
and  in  Haft.  Der  Unterschied  war  nur  der,  dass  dem  Johann 
Hus  seine  Freunde  mit  innigster  Anhänglichkeit,  Verehrung  und 
Treue  zugethan  blieben .  auch  im  Kerker  und  bis  zum  Scheiter- 
haufen :  während  dem  gestürzten  Papste  alle  bisherigen  Verehrer 
und  Freunde  den  Rücken  wandten  und  nicht  einmal  auf  sein  An- 
suchen eingingen,  mit  ihm  einen  Briefwechsel  zu  seinem  Trost 
anzuknüpfen ;;  . 

VI. 

Hus  wurde  endlich ,  wie  er  ursprünglich  begehrt  und  wie- 
derholt gefordert  hatte .  vor  dem  versammelten  Concil  in  öffent- 
licher Sitzung  verhört,  und  das  nicht  blos  einmal,  sondern  an 
3  Tagen.  Mittwoch  den  5.  Juni  fand  das  erste  öffentliche  Verhör 
im  Refectorium  des  Franziskanerklosters  vor  einer  überaus  voll- 
zähligen Versammlung  der  in  Constanz  anwesenden  Kirchentur- 
sten  und  Mitglieder  des  Concils  statt.  Noch  ehe  Hus  vorgeführt 
wurde,  kam  die  Anklageakte  zur  Verlesung,  ferner  die  Aussagen 

I  Es  ist  irrig,  wenn  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  1.  346,  und 
ihm  nach  Boeiirixger,  Kirche  Christi,  II,  4.  2.  S.  43l>  und  Krümmel, 
Gesch.  der  böhm.  Kef.  50S,  annehmen,  Johann  XXIII.  sei  erst  am  5.  Juni 
nach  Gottlieben  gebracht  worden  ,  so  dass  er  Hus'ens  Stelle  daselbst  ein- 
nahm. Aus  den  bei  VON  DER  Hardt,  IV,  29(i  gegebenen  Urkunden  ergibt 
sich  mit  Sicherheit,  dass  Johann  XXIII.  schon  am  3.  Juni  daselbst  ange- 
kommen ist.  Dies  hat  denn  auch  Hefele,  Conciliengesch.  VII,  I.  141  rich- 
tig erkannt.  Nur  nimmt  er  an,  Hus  sei  aus  Gottlieben  nach  Constanz  zu- 
rückgeführt worden .  ehe  Balthasar  Cossa  in  dem  Schlosse  untergebracht 
wurde,  vgl.  dagegen  v.  D.  Hardt,  IV,  806. 

i  Von  der  Hardt.  IV,  H>7. 

'■>   Von  dkk  Hardt.  IV.  . 


Hus  ens  erstes  öffentliches  Verhör,  •">.  Juni  141">. 


209 


der  Belastungszeugen  und  die  aus  seinen  Schritten  angeblich  aus- 
_e/.ogenen  Sätze,  die  aber  zum  Theil  nicht  treu  wiedergegeben 
waren. 

Sobald  Hus  in  die  Versammlung  eingeführt  worden  war. 
Legte  man  ihm  sein  Buch  »Von  der  Kirche«  und  seine  Streitschrif- 
ten wider  Paletz  und  Stanislaus  von  Znaim  .  von  ihm  eigen 
bündig  geschrieben1  .  mit  der  Frage  vor.  ob  er  diese  Schriften 
als  die  seinigen  anerkenne.  Hus  sah  sich  die  Handschriften  ge- 
nau an.  bekannte  sich  zu  ihnen,  erklärte  sich  jedoeli  bereit,  falls 
man  ihm  beweise,  dass  etwas  irriges  oder  verkehrtes  darin 
stehe,  dasselbe  zu  verbessern.  Hierauf  verlas  man  die  aus  seinen 
Schriften  ausgesogenen  Sätze  und  die  Zeugenaussagen.  Als  aber 
der  Magister  auf  einzelne  Punkte  eingehen  und  sieh  vertheidigen 
wollte  .  schrien  viele  zugleich  auf  ihn  hinein;  suchte  er  nachzu- 
weisen, dass  man  in  den  Auszügen  gewisse  Ausdrücke  von  ihm 
misdeutet  habe .  so  hiess  es :  »Lass  deine  Sophisterei ,  und  ant- 
worte ja  oder  nein !«  Berief  er  sich  auf  Aussprüche  von  Kirchen- 
vätern, so  riefen  viele:  «Das  gehört  nicht  hieher I«  Sehwieger. 
so  >agten  andere:  »Nun  schweigst  du!  das  ist  ein  Zeichen,  dass 
du  wirklich  diese  Irrthümer  hegest  2  !«  Er  blieb  bei  all  dieser 
Leidenschaftlichkeit  und  Aufregung  der  Versammlung  ruhig  und 
muthvoll .  und  scheute  sich  nicht,  sobald  er  wieder  zum  Worte 
kam .  mit  lauter  Stimme  zu  bemerken  :  »Ich  dachte,  dass  in  die- 
sem Concil  mehr  Anstand.  Frömmigkeit  und  Zucht  sein  würde!« 
Darauf  erwiederte  der  Präsident,  Johann  von  Brogni .  Cardinal- 
Bisehof  von  Ostia  .  gewöhnlich  nach  seinem  ersten  Bisthum  Car- 
dinal von  Viviers  genannt :  »Was  sagst  du?  im  Schloss  hast  du 
eine  demüthigere  Sprache  geführt!«  Hus  gab  ihm  zur  Antwort: 
Weil  dort  niemand  auf  mich  hineinschrie ;  hier  aber  schreit  ihr 


1  Die  Freunde  von  Hus,  Johann  von  Chlum  und  Wenzel  von  Duba, 
hatten, diese  Handschriften,  im  Interesse  seiner  Vertheidigung ,  den  Abge- 
sandten des  Königs,  Pfalzgraf  Ludwig  von  Heidelberg  und  Burggraf  Fried- 
rich von  Nürnberg,  eingehändigt,  und  diese  hatten  die  Bücher  dem  Concil 
zur  Einsicht  dargeliehen.  So  berichtet  Mladenowitz  bei  Palacky  .  Do- 
rn m.  275. 

2  Mladenowitz  bei  Palacky,  Docwn.  27ö  folg. 

Lkchlek,  Wiclif.  II.  14 


210 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


alle1)!«  Man  fühlte,  dass  man  sich  eine  Blosse  gegeben  habe, 
und  erkannte,  dass  die  Verhandlung-  so  zu  keinem  Ziele  führen 
könne.  Deshalb  wurde  die  Sitzung  geschlossen  und  auf  Freitag 
den  7.  Juni  vertagt. 

Bei  dem  zweiten  öffentlichen  Verhör,  am  7.  Juni, 
gleichfalls  im  Eefectorium  des  Franziskanerklosters,  benahm  sich 
die  Versammlung  anständiger  und  maassvoller :  wohnte  doch  Kö- 
nig Sigismund  selbst  der  Verhandlung  bei.  Es  war  sowohl  in 
seinem  Namen  als  in  dem  des  Vorsitzenden  Cardinais  bekannt 
gemacht  worden,  dass  jeder,  der  sich  erlaube  in  Geschrei  auszu- 
brechen, aus  dem  Saale  gewiesen  werden  solle  2  . 

Die  Grundlage  der  Vernehmung  bildeten  an  diesem  Tage 
gewisse  Artikel,  welche  angeblich  von  Zeugen  bestätigt  waren 
und  theils  Hus'ens  Buch  »Von  der  Kirche«,  theils  Vorgänge 
in  Prag  seit  dem  Jahre  1408  betrafen  3  .  Man  kam  hiebei  beson- 
ders auf  sein  Verhältniss  zu  Wic  lif  zu  reden.  Dass  er  Wiclif's 
Angriff  gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung  im  heil.  Abendmahl 
sich  angeeignet  habe,  bestritt  Hus  beharrlich.  Hess  sich  auch 
durch  Cardinal  Peter  d  Ailly  und  einige  englische  Doctoren 
nicht  werfen ,  welche  aus  seinem  realistischen  Standpunkt  in  der 
Philosophie  beweisen  wollten .  dass  er  folgerichtig  die  Wandlung 
verneinen  und  das  Bleiben  des  Brodes  auch  nach  der  Consekra- 
tion  behaupten  müsste.  Die  Vertheidigung  Hus'ens  machte  doch 
solchen  Eindruck ,  dass  einer  von  den  englischen  Doctoren  im 
Concil  selbst  aussprach .  diese  philosophischen  Fragen  gehörten 
nicht  zur  Sache,  und  Hus  sei  in  Betreff  des  heil.  Abendmahls 


1  Hefele  a.  a.  O.  155  verlegt  diese  Aeusserungen  in  das  zweite  Ver- 
hör, wohin  sie,  bei  dem  ruhigeren  Verlaute  desselben,  weniger  passen,  als  in 
das  erste.  Hus  selbst  berichtet  in  einem  tschechisch  geschriebenen  Briet 
an  seine  Freunde  in  Böhmen  vom  27.  Juni.  a.  a.  O.  137  ff.,  dass  er  obigem 
Tadel  Worte  gegeben,  »als  er  zum  erstenmal  vor  dem  Concil  gestanden', 
aber  schon  in  einem  Briefe  vom  Tage  des  ersten  Verhörs,  vom  5.  Juni,  be- 
richtet er  seinen  in  Constanz  anwesenden  Freunden  von  dem  Hergang  nicht 
ohne  Freudigkeit,  a.  a.  O.  104  folg.,  vgl.  107. 

2)  Den  letzteren  Umstand  erwähnte  Hus  selbst  im  Laufe  seiner  Ver- 
nehmung, laut  Mladenowitz  Bericht,  a.  a.  O.  282; 

3  Die  Artikel,  mit  Hus'ens  später  dazwischen  geschriebenen  Erwie- 
derungen, gibt,  nach  Mladenowitz.  Palackv  a.  a.  O.  230*—  234. 


Zweites  Verhör  Husens.  7.  Juni  141").  211 

rechtgläubig 1  .    Ferner  hatte  sieh  Hus  darüber  zu  verantworten, 
dass  er  gegen  die  Verurtheilung  der  45  Artikel  in  Prag  opponirt 
habe.    Er  betonte  in  Betreff  dieses  Vorhalts,  dass  er  für  seine 
Person  keinen  der  genannten  Sätze  hartnäckig  behauptet,  son- 
dern nur  der  Verurtheilung  wider  dieselben  in  Bauseh  und  Bogen 
und  ohne  Beweis  sieh  widersetzt  habe.    Als  ihm  aber  von  Seiten 
des  Coneils  auch  Schuld  gegeben  wurde .  dass  er  tiefe  Verehrung 
für  Wie  Iii"  s  Person  geäussert  habe ,  zog-  er  keineswegs  in  Ab- 
rede, dass  er  Wieiii'  für  einen  frommen  Mann  halte,  und  wenn 
er  auch  keine  Gewissheit  habe,  dass  er  selig  geworden  sei.  doch 
nur  wünschen  könne,  dass  seine  Seele  einmal  dahin  gelangen 
möge,  woWiclif's  Seele  sei.    Ein  Bekenntniss .  worüber  man 
im  Cond]  nur  lachte  und  den  Kopf  schüttelte  -  .    Höchst  bezeich- 
nend für  den  Geist  der  Versammlung  ist  auch  der  Umstand.  das§ 
man  dem  Hus  aus  seiner  Appellation  vom  Papst  an  den  Herrn 
C  hristum  einen  Vorwurf  mächte;  und  als  er  laut  bekannte,  es 
gebe  gar  keine  gerechtere  und  wirksamere  Appellation .  als  die 
an  den  Herrn  Christum .  der  ja  der  höchste  Richter  sei  und  der 
gerechteste  und  mächtigste  dazu .  empfing  man  diese  aus  treuem 
frommem  Christenherzen  kommende  Erklärung  mit  hellem  Geläch- 
ter3 .   Offenbar  erschien  es  den  Vätern  des  Coneils  als  die  gut- 
müthige  Selbsttäuschung  eines  Schwärmers,  dass  der  arme  Magi- 
ster vom  Papst  an  Christiis  appellirte .  als  an  das  höchste  und 
wahrhaftige  Haupt  seiner  Kirche.    Ferner  wurde  ihm  vorgehal- 
ten.  dass  er  die  Zerwürfnisse  an  der  Prager  Universität .  sowie 
die  Gewalttätigkeiten,  welche  in  der  Hauptstadt  gegen  Prälaten 
und  Kleriker  vorgefallen  seien,  verschuldet  habe,  und  dergleichen. 
Er  lehnte  indes  jede  persönliche  Schuld  an  diesen  Vorfällen  ab 
und  berief  sich  auf  Thatsachen,  welche  beweisen  sollten,  dass 
sowohl  der  Abzug  der  Deutschen  von  der  Universität  als  die  Un- 
bill .  welche  einzelnen  Klerikern  widerfahren  sei .  noch  ganz  an- 
dere Ursachen  gehabt  hatten.  Schliesslich  kam  zur  Sprache,  dass 
Hus  früher,  wo  er  versicherte .  ganz  freiwillig  zum  Concil  ge- 


1  a.  a.  ü.  276  folg. 

2  a.  a.  0.  280. 

3  a.  a.  O.  2S1. 

14* 


212 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


kommen  zu  sein,  darauf  gepocht  habe,  dass  weder  König  Wenzel 
noch  König  Sigismund  im  Stande  gewesen  sein  würde,  ihn  wider 
seinen  Willen  zur  Reise  nach  Constanz  zu  zwingen.  Hus  erwie- 
derte .  dem  sei  in  der  That  also :  er  habe  so  viele  und  grosse 
Herren  für  sich .  dass  diese  ihn  auf  ihren  Burgen  vollkommen  zu 
schützen  in  der  Lage  gewesen  wären.  Und  dies  bestätigte  auf  der 
Stelle  Herr  von  Ohlum,  der  bei  der  Verhandlung  zugegen  war, 
in  Betreff  seiner  eigenen  Person  und  seiner  Freunde  unter  dem 
böhmischen  Adel.  Cardinal  dAilly  und  nach  ihm  der  römische 
König  Sigismund  schlössen  die  Verhandlung  mit  Vermahnun- 
gen  an  Hus,  er  möge  sich  nur  demüthig  und  vollständig  unter- 
werfen und  sich  dem  Concil  auf  Gnade  und  Ungnade  ergeben, 
statt  hartnäckig  und  rechthaberisch  zu  bleiben.  Darauf  gab  Hus 
wiederum  die  Erklärung  ab,  er  sei  ganz  von  freien  Stücken  hieher 
gekommen,  und  nicht  in  der  Absicht,  irgend  etwas  hartnäckig  zu 
vertheidigen.  vielmehr  in  aller  Demuth  sich  eines  Besseren  beleh- 
ren zu  lassen,  falls  man  ihm  nachweise,  dass  er  in  irgend  einem 
Stücke  geirrt  habe  1  . 

Die  Sitzung  wurde  geschlossen  und  auf  den  8.  Juni  vertagt. 
Da  fand  denn  in  demselben  Saale  des  Franziskanerklosters  das 
dritte  und  entscheidende  Verhör  statt,  wiederum  in  Gegen- 
wart König  Sigismunde  und  der  böhmischen  Barone  Johann 
von  Chlu  in  und  Wenzel  von  Duba,  so  wie  des  Peter  von  Bf  la- 
den ow.it  2.  Man  las  nicht  weniger  als  39  Sätze  vor.  welche 
theils  aus  Husens  Buch  »Ueber  die  Kirche«  26  Punkte  .  theils 
aus  seinen  Streitschriften  wider  Paletz  7)  und  wider  Stanis- 
laus von  Znaim  6  ausgezogen  waren.  In  seiner  Verantwortung 
darüber  war  Hus  in  der  Lage,  mehrere  derselben  aus  dem  Grund 
abzulehnen,  weil  sie  dem,  was  er  selbst  ausgesprochen  hatte, 
nicht  vollkommen  entsprachen:  während  er  solche  Sätze,  die  er 
als  die  seinigen  anerkannte,  zu  begründen  und  zu  vertheidigen 
bemüht  war.  Man  kam  hiebei  auf  seine  Lehre  von  der  Kirche, 
also  auf  den  Schwerpunkt  der  Sache  zu  sprechen.  Ks  stellte  sich 
deutlich  heraus,  dass  den  Vätern  des  Concils  nichts  anstössiger 
und  grundstürzender  erschien,  als  die  Behauptung  von  Hus, 


I    a.  a.  O.  281  —  284. 


Drittes  Verhör  Hus  ens,  8<  Juni  141"». 


213 


(lass  lediglich  nur  die  Erwählten  wahre  Mitglieder  der  Kirche 
Christi  seien,  und  dass  demnach  nur  wer  sittlich  in  der  Nach- 
folge Jesu  wandelt,  ein  wahrer  Christ.  Priester  u.  s.  w.  sei:  hie- 
hei  ergriffen  Cardinal  d'Ailly  und  andere  Prälaten  begierig  den 
Schein,  dass  dieser  Grundsatz  von  Hus  auch  die  Monarchie  be- 
drohe, und  machten  Sigismund  darauf  aufmerksam .  der  die 
Verhandlung  nicht  regelmässig  verfolgte  ,  vielmehr  in  diesem 
Augenblick  in  einer  Unterhaltung  über  Hus  mit  zwei  anderen 
Fürsten  begriffen  war  und  zum  Fenster  hinaussah  1  .  Höchst 
ärgerlich  war  man  über  den  letzten  Satz,  der  aus  der  Schrift 
wider  Stanislaus  von  Znaim  gezogen  war:  die  apostolische 
Kirche  sei  vortrefflich  gewesen  ohne  Papstthum ;  möglicherweise 
könne  man  auch  jetzt .  und  bis  an  s  Ende  der  Welt .  das  Papst- 
thum  entbehren.  Da  bemerkte  ein  Engländer,  Stokes.  nicht 
mit  Unrecht,  Hus  betrete  hiemit  ganz  und  gar  den  Pfad  YVi- 
clif's.  und  habe  gar  nicht  nöthig.  sich  seiner  Schriften  und 
Lehren  zu  rühmen,  seine  Lehren  seien  vielmehr  Wiclifs 
Lehren2  . 

Zum  Schluss  der  Sitzung  stellte  der  Cardinal  Erzbischof  von 
Cambray,  d'Ailly,  dem  Johann  Hus  die  Wahl  frei:  entweder 
sich  dem  Concil  vollständig  zu  fügen .  dann  werde  man  schonend 
mit  ihm  verfahren,  oder  einzelne  seiner  Sätze  festzuhalten  und  zu 
\ *e rtheidigen.  wozu  man  ihm  ferneres  Gehör  geben  würde:  allein 
dieser  Weg  dürfte  für  ihn  gefährlich  werden.  Der  Magister  ant- 
wortete, er  sei  hieher  von  freien  Stücken  gekommen,  nicht  in  der 
Absicht,  irgend  etwas  hartnäckig  zu  vertheidigen,  vielmehr,  falls 
er  irgend  etwas  in  mangelhafter  Weise  aufgestellt  haben  sollte, 
sich  vom  Concil  unterweisen  zu  lassen :  indessen  bitte  er  um  fer- 
neres Gehör,  damit  er  seine  Meinung  in  Betreff  der  ihm  vorgeleg- 
ten Sätze  deutlicher  machen  und  aus  den  Kirchenvätern  begrün- 
den könne :  sollten  seine  Gründe  aus  Vernunft  und  Schrift  nicht 
zureichend  sein,  so  wolle  er  der  Unterweisung,  auch  der  Zurecht- 
\\  eisung  und  Entscheidung  des  Coneils  —  letzteres  fügte  er  aus- 
drücklich hinzu,   als  ersterer  Ausdruck,   weil   dem  Ansehen 


1  Mladenowitz  bei  Palacky.  Bocu.m.  299  folg 

2  a.  a.  O.  :}(>7  folg. 


214 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


des  Coneils  minder  entsprechend  und  vorbehaltsvoll,  beanstandet 
wurde  —  sich  aufrichtig  und  demüthig  unterwerfen. 

Diese  Erklärung  nahm  Cardinal  d '  A  i  1 1  y  für  die  geforderte 
bedingungslose  Unterwerfung,  und  eröffnete  ihm  nun.  dass  ein 
Ausschuss  des  Coneils  von  gegen  60  Doetoren  aus  Vollmacht  des 
Coneils  entschieden  habe:  Hus  solle  1  bekennen,  in  den  Sätzen 
die  er  bisher  behauptet,  geirrt  zu  haben:  2  diesen  Sätzen  für 
alle  Zukunft  eidlich  entsagen :  3)  dieselben  öffentlich  widerrufen : 
4  das  Gregentheil  dieser  Sätze  künftig  annehmen.-  behaupten  und 
verkündigen. 

Da  erwiederte  Hus  mit  aller  Ehrerbietung,  er  sei  bereit  dem 
Concil  Gehorsam  zu  leisten  und  sich  weisen  zu  lassen :  aber  er 
bitte  um  Gottes  willen ,  man  möge  ihn  nicht  zwingen  Sätze  abzu- 
schwören ,  die  er  niemals  aufgestellt  habe ,  die  ihm  —  Gott  sei 
sein  Zeuge  —  niemals  in  den  Sinn  gekommen  seien,  namentlich 
den  Satz ,  dass  im  heil.  Abendmahl  nach  der  Consekration  das 
Brod  als  Stoff  noch  bleibe.  Sätze,  welche  er  wirklich  aufgestellt 
habe,  wolle  er,  wenn  man  ihn  eines  Besseren  belehre,  demüthig 
widerrufen.  Aber  wenn  er  sämmtliche  ihm  Schuld  gegebenen 
Sätze,  unter  denen  viele  ihm  mit  Unrecht  zugeschrieben  worden, 
abschwören  sollte ,  so  würde  er  eine  Lüge  begehen  und  sich  die 
ewige  Verdammniss  zuziehen  :  das  gehe  wider  sein  Gewissen ! 

Diese  herzbewegende  Aussprache,  der  man  den  Ernst  des 
Gewissens  anfühlt,  fand  keine  gute  Statt.  Man  hatte  für  das  An- 
liegen des  Gewissens  eben  so  wenig  Verständniss  und  Mitgefühl 
als  für  die  Zuversicht  christlicher  Frömmigkeit,  welche,  gegen- 
über Papst  oder  Concil,  an  den  Herrn  Christum  selbst  appellirte. 
Die  meisten  nahmen  die  Sache  oberflächlich  und  dachten  wie 
Sigismund ,  der  leichtfertig  sagte :  »Höre  Hus.  warum  willst 
du  nicht  alle  irrthümlichen  Sätze  abschwören,  von  denen  du  be- 
hauptest,  dass  die  Zeugen  sie  wahrheitswidrig  dir  beigelegt 
haben  ?  Ich  wollte  doch  alle  Irrthümer  abschwören :  daran)  DM186 
ich  doch  nicht  irgend  einen  früher  gehegt  haben!.  Und  der  Car- 
dinal Franz  von  Za  bare  IIa.  Erzbischof  von  Floren/.,  versprach 
Hus  eine  wohl  bemessene  Abschwörungsformel  vorzulegen;  dann 
möge  er  erwägen,  was  er  thun  wolle.  Unversehens  war  man  wie- 
der mitten  in  der  Streitunterredung  drin,  wobei  der  eine  Mann 


Drittes  Verhör.  8».  Juni  141*». 


215 


dem  ganzen  zahlreichen  Concil  gegenüber  stand.  Insbesondere 
hielten  ihm  seine  Gegner  aus  Böhmen  diesen  und  jenen  Vorgang 
aus  Prag  vor :  wogegen  englische  Mitglieder  des  Concils  zur 
Sprache  brachten,  dass  Hus  eine  Urkunde  der  Universität  Ox- 
ford, welche  ein  rühmliches  Zeugnis«  für  WicHf  enthielt,  in 
einer  Predigt  vorgelesen  und  das  Siegel  vorgezeigt  habe,  was 
Hu  s  allerdings  bestätigte:  er  gab  an.  dass  zwei  Studenten  die 
Urkunde  aus  Oxford  mitgebracht  hätten  1  . 

Als  eine  Pause  eingetreten  war.  nahm  Dr.  Stephan  Palet/, 
das  Wort,  um  zu  betheuern.  dass  er  bei  der  Anklage  wider  Hus 
nicht  aus  fanatischem  Eifer  oder  persönlichem  Hass  gehandelt 
habe,  sondern  nur  um  seinem  Doctoreide  nachzukommen:  offen- 
bar eine  Aeusserung.  welche  sein  eigenes  Gewissen  beschwich- 
tigen sollte.  Auch  Michael  de  Causis  schloss  sich  an  dieses  an. 
H  u  s  antwortete  gelassen :  »loh  stelle  mich  vor  Gottes  Gericht : 
er  wird  mich  und  Euch  mit  Gerechtigkeit,  wie  wir's  verdienen, 
richten ! « 

Hierauf  nahm  der  Erzbischof  von  Kiga.  Johann  von  Wallen- 
rod; den  Gefangenen  in  Empfang  und  führte  ihn  in  seine  Ge- 
fängnisszelle zurück.  Beim  Vorübergehen  drückte  ihm,  noch  im 
Kefectorium.  Johann  von  Chi  um  die  Hand,  und  richtete  tröstende 
Worte  an  ihn.  Wie  wohl  ihm  dieses  Zeichen  treuer  Liebe  getban. 
bezeugt  Hus  in  einem  Brief  an  seine  Freunde  in  Oonstanz  mit  den 
Worten  Wie  lieb  war  mir  der  Händedruck  des  Herrn  Johann, 
der  sieh  nicht  gescheut  hat  mir  Armen  die  Hand  zu  geben,  einem 
so  \  erstossenen.  gefesselten  Ketzer,  auf  den  alle  hineingeschrieen 
hatten  2  !  < 

reberschauen  wir  den  Gang  aller  drei  Verhöre  noch  einmal, 
so  müssen  wir.  was  Hus  betrifft,  zugestehen,  dass  die  Limitation, 
welche  er  bei  einzelnen  ihm  vorgehaltenen  Sätzen  anbrachte, 
nicht  von  entscheidendem  Belange  war.  Somit  hatte  er  keinen 
Grund,  die  Anerkennung  derartiger  Sätze  als  der  seinigen  zu 
verweigern.    Allein  die  Mehrzahl  der  ihm  Schuld  gegebenen 


1  Mladenowitz  bei  Palacky,  Docutp.  313.  Vgl.  über  die  Urkunde 
selbst  und  die  Frage  ihrer  Aechtheit  oben  Buch  III.  Kap.  2.  S.  69  folg. 

2  a.  a.  O.  110. 


2tB 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


Punkte  war  wirklich  der  Art.  dass  er  sie  entweder  mit  vollem 
Recht  ablehnen  oder,  falls  sie  die  seinen  waren,  sie  als  berechtigt 
und  in  Wahrheit  gegründet  behaupten  konnte.  Ersteres  war  der 
Fall  mit  seiner  angeblichen  Opposition  gegen  die  Lehre  von  der 
Wandlung,  letzteres  mit  seiner  Appellation  an  Christum  und 
mit  dem  Satz,  dass  Christus  allein,  nicht  Petrus,  das  Haupt  der 
Kirche  sei. 

Das  Concil  aber  hat  in  Sachen  Hus  ens  ganz  und  gar  nicht 
sachgemäße,  unparteiisch  und  gerecht  gehandelt.  Das  endgültige 
Urtheil  stand  schon  vor  dem  Beginn  des  ersten  öffentlichen  Ver- 
hörs fest,  und  die  Vernehmung  des  Angeschuldigten  war  mehr 
nur  Schein.  Seine  Verantwortung  redlich  zu  prüfen,  zeigte  sich 
irgend  eine  Geneigtheit  auf  keiner  Seite.  Nicht  einmal  in  unter- 
geordneten Punkten  Hess  man  seine  Rechtfertigung  gelten,  weder 
sachlich  noch  persönlich.  Von  Unbefangenheit  und  wirklichem 
Uechtsgefühl  bemerken  wir  nicht  eine  Spur. 

Nach  dem  letzten  Verhör  war  die  Verurtheilung  des  H  u  s 
zum  Feuertode  für  das  Concil  sowohl  als  für  ihn  selbst  zweifellos 
zumal  König  Sigismund  nach  seiner  Abführung  aus  dem  dritten 
Verhör  sich  über  seine  Strafbarkeit  unumwunden  ausgesprochen, 
ja  vor  der  Annahme  eines  etwaigen  Widerrufs  gewarnt  hatte : 
er  machte  kein  Hehl  daraus,  dass  politische  Rücksichten  für  ihn 
dabei  maassgebend  seien :  er  hoffte .  das  Strafgericht  an  H  n  s 
würde  die  Neigung  zu  Irrlehren  in  Böhmen  und  sonst  zu  dämpfen 
imStande  sein  1  .  Hus  selbst  gab  sich  keiner  Täuschung  mehr 
hin.  Seine  Briefe  bezeugen  unverkennbar,  dass  er  seiner  Ver- 
urtheilung und  Hinrichtung  gewärtig  war  -  :  trägt  doch  sein  Briet- 
weehsel  von  da  an  den  Stempel  des  Abschieds  und  eines  letzten 
Willens  an  sieh.  Dass  man  ihn  dessen  ungeachtet  noch  ganze 
1  Wochen  im  Kerker  Hess,  hatte  seinen  Grund  unstreitig  in  den 
Bemühungen,  ihn  doch  noch  zum  Widerruf  zu  bewegen.  Man  legte 
ihm  eine  Widernifßformel  vor,  welche  doch  eroigermaassen  darauf 
berechnet  war.  seinen  geäusserten  Bedenken  gerecht  zu  werden. 

I    Mladenowitz  a.  a.  ().  M  l  folg. 

2)  Scriptum  in  rineutü,  in  expectat  ion  r  rotnhustinms.  schlii'sst  ein 
Hillet  an  Mag.  Ohristann  von  Prachatitz.  a.  a.  (>.  129. 


Aussichten  für  Hus. 


217 


Allein  Hus  erklärte,  dass  er  auch  in  dieser  Fassung; den  Wider- 
ruf zu  leisten.  Gewissens  halber  sieh  weigern  müsse:  denn  er 
würde  hiemit  doeli  1  viele  Wahrheiten  verwerfen.  2  einen  Mein- 
eid begehen  (durch  das  indirekte  Bekenntniss.  Irrthtimer  gehegt 
zu  haben,  die  ihm  ferne  gelegen  seien  .  3  vielen  frommen  Seelen 
einen  Anst* »ss  geben.  Das  unbekannte  Ooncilsmitglied.  welches 
in  dieser  Angelegenheit  schriftlich  mit  Hus  verhandelte,  gab  sich 
zwar  redlieh  Mühe,  ihn  zur  Annahme  der  Formel  zu  bestimmen, 
aber  freilich  nicht  ohne  die  acht  römische  Hinweisung  darauf, 
dass  die  etwaige  Schuld  nicht  auf  seinem,  sondern  auf  seiner 
Oberen  Gewissen  lasten  würde,  ein  Gedanke,  auf  den  sich  Hus 
schlechterdings  nicht  einlies»  1  .  Und  das  war  auch  in  der  That 
die  innerste  und  gewichtigste  Frage,  bei  welcher  es  sich  ent- 
scheiden musste.  ob  Hus  der  Mann  sei  oder  nicht,  die  evan- 
gelische Wahrheit  zu  vertreten.  Entweder  das  eigene  Gewissen 
fremdem  Gewissen  unterordnen,  sei  dies-  auch  das  der  Gesammt- 
kirche  in  ihrer  Vertretung  durch  ein  Concil .  oder  dem  eigenen 
Gewissen  unbedingt  und  schlechthin  folgen.  —  das  war  jetzt  die 
Frage  für  Hus.  wie  später  für  Luther  in  Augsburg  vor  Cajetan. 
in  Worms  vor  Kaiser  und  Reichstag,  wie  für  die  evangelischen 
Keichsstände  in  Speier  1529.  wie  neuestens  für  Bischöfe.  Priester 
und  Gemeindeglieder  der  römischen  Kirche  angesichts  des  Dogma 
von  dem  unfehlbaren  Lehramt  des  Papstes.  Und  das  ist  das 
Grosse  an  Hus.  dass  er.  bei  aller  Demuth  und  Kindlichkeit,  bei 
allem  Mistrauen  gegen  sich  selbst,  doch  sich  nicht  imponiren  liess 
durch  die  Einmüthigkeit  eines  grossen  Concils.  sammt  all'  der 
Fülle  von  Geist.  Gelehrsamkeit  und  kirchlicher  Auktorität.  die 
es  in  sich  schloss .  dass  er  lieber  die  Schmach,  für  einen  hart- 
näckigen Ketzer  zu  gelten,  ja  selbst  den  Feuertod  auf  sich  nahm, 
als  die  Befleckung  seines  Gewissens  durch  einen  Widerruf,  der 
wider  die  Wahrheit  ging. 


1)  s.  die  Briefe  Nr.  74  —  77,  bei  Palackv  .  Dorwn.  121 — J 24.  Der 
Prälat,  welcher  diese  Briefe  mit  Hus  wechselte,  ist  nicht,  wie  von  der 
Hardt.  IV,  329  und  andegre  meinen,  der  Cardinalbischof  von  Ostia.  Johann 
von  Brogni,  damals  Präsident  des  Concils.  sondern  irgend  ein  anderer,  viel- 
leicht ein  Ordensprälat:  vgl.  Lexfaxt.  Histoire  du  Conci/e  de  Cnnstattc- 
1714.  40.  S.  231  folg.  Hefei-E.  Conciliengesch.  VII.  1.  lsf,9.  S.  1S4  folg. 


21$ 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


Man  gab  sich  alle  erdenkliche  Mühe,  bei  wiederholten  Be- 
suchen .  die  man  ihm  in  seinem  Gelangniss  machte ,  seine  Be- 
denken zu  widerlegen  und  sein  Gewissen  zu  beschwichtigen. 
Man  stellte  ihm  vor.  es  sei  in  der  That  sittlich  unbedenklich,  ja 
es  sei  Pflicht  und  sogar  verdienstlich .  sich  der  Entscheidung 
der  heiligen  Kirche  zu  unterwerfen,  gesetzt  auch  man  sei  in  der 
That  schuldlos  1  .  Ein  Engländer  wies  ihn  ausdrücklich  darauf 
hin.  dass  in  seiner  Heimath  alle  Doctoren,  welche  im  Verdacht 
wiclifitischer  Ansichten  gestanden  seien,  einer  nach  dem  andern 
sich  zum  Widerruf  verstanden  hätten2  .  Allein  Hu s  erwiederte 
regelmässig  :  »Versetze  dich  doch  in  meine  Lage  !  was  würdest  du 
rhun.  wenn  du  überzeugt  wärest,  einen  gewissen  Irrthum  niemals 
gehegt  zu  haben,  und  man  würde  dir  zumuthen.  ihn  abzuschwö- 
ren?*' Dann  hatte  keiner  den  Muth,  kurz  und  gut  zu  antwor- 
ten :  -Ich  würde  dessen  ungeachtet  abschwören!  <  Selbst  Stephan 
Paletz.  einer  seiner  erklärtesten  Gegner  und  Ankläger,  wurde 
bis  zu  Thränen  gerührt,  als  Hus  ihn  sogar  um  Verzeihung  bat, 
wenn  er  ein  Wort  des  Vorwurfs  gegen  ihn  gebraucht  habe,  und 
ihm  an's  Herz  redete  -  .  Freilich  in  der  Sache  wurde  dadurch 
nichts  geändert. 

Die  persönliche  Herzensstellung  von  Hus.  wie  sie  aus  seinen 
Briefen  seit  dem  letzten  Verhör  vom  8.  Juni  zu  ersehen  ist.  kann 
jedes  unbefangene  Christengemüth  nur  für  ihn  stimmen.  Man 
muss  ihn  wahrhaft  hoch  achten  und  lieb  gewinnen.  Seinen  per- 
sönlichen Widersachern.  Anklägern  u.  s.  w.  verzeiht  er.  ja  er 
bittet  sie  um  Verzeihung  und  bittet  für  sie  in  seinem  Gebet4  . 
Wer  so  acht  christliche  Fein  des  liebe  zu  üben  vermag,  der  be- 


1  Am  lehrreichsten  in  dieser  Beziehung  ist  Husens  Mittheilung  im 
M.  Brief  bei  P ALACK Y,  Docum.  135  folg.,  vgl.  Nr.  61.  S.  102  folg. 

2  Vgl.  a.  a.  O.  S.  136. 

:<    Vgl.  Nr.  82.  u.  S4.  a.  a.  0.  I2<>.  VMS. 

4  So  namentlich  für  Michael  de  Causis,  welcher  weniger  Her/  zeigte, 
als  Paletz,  und  mit  gefühlloser  Feindseligkeit,  ja  mit  triumphirender 
Freude  an  Husens  Verderben  arbeitete.  Gerade  deshalb  sagt  Hus  von 
ihm:  »der  arme  Mann!"  a.  a.  Ü.  I2i>.  Im  Hinblick  auf  Jugendfreunde,  die 
jetzt  seine  Todfeinde  geworden  ,  sagt  er  im  Schreiben  an  die  Universität 
Prag  If/noscat  Ulis  Dem  omnipotens,  quin  uesciunt,  quid  J'aciunt;  pro  qui- 
bt44  xinvero  cordc  oro.  ut  parrat  Ulis.  Kp.  87.  S.  142. 


Die  letzten  Briefe  von  Hus. 


219 


thätigt  sicher  auch  eine  herzliche  Liebe  gegen  seine  Freunde. 
Vorzüglich  Leuchtet  Hus 'ens  tiefgefühlte  Dankbarkeit  aus  allen 
diesen  Brieten  hervor  für  alle  Liebe  und  Treue,  die  man  ihm  er- 
zeigt hatte,  namentlich  für  die  mannhafte,  wahrhaft  ritterliche 
Beständigkeit  und  sittliche  Tapferkeit  der  Herren  und  Freunde, 
die  ihn  nach  Constanz  begleitet  hatten  und  die  hier,  bei  aller 
Schmach  und  Gefahr,  in  welcher  Hus  sieh  befand,  unverrückt  zu 
ihm  standen.  In  Briefen  an  Johann  von  Chi  um  allein,  oder  an 
ihn  und  Wenzel  von  D  u  b  a  .  in  mehreren  Schreiben  an  seine 
Freunde  in  der  Heimath,  strömt  sein  Herz  über  von  Dank  und 
Segenswünschen  für  jene  Manner .  und  von  Ermahnungen .  sie 
hoch  zu  halten  und  ihnen  ja  nichts  geschehen  zu  lassen.  Da- 
gegen geht  es  ihm  nahe,  dass  Paletz  einmal,  bei  einer  Be- 
sprechung im  Gefängniss.  angesichts  der  Commissare  des  Concils, 
über  alle  diejenigen,  welche  einst  in  Prag  Hus  ens  Predigten  ge- 
hört hatten,  das  Urtheil  fällte,  sie  seien  im  Irrthum  begriffen  1  . 
In  alle  dem  aber  steht  ihm  nicht  das  persönliche  Interesse,  seinet- 
halben  oder  seiner  Freunde  wegen,  im  Vordergrund,  sondern  die 
Ehre  Christi  und  seine  Wahrheit,  und  eben  damit  das  unver- 
letzte Gewissen  und  ewige  Heil  für  sich  und  die  Seinen.  Daher 
die  herzandringenden  seelsorgerliehen  Vermahnungen  zu  reinem 
Wandel  in  den  Geboten  Gottes  und  der  Nachfolge  Christi,  zu 
unverrücktem  Festhalten  an  «Gottes  Gesetz«,  und  zum  Bleiben  im 
Dienste  Christi,  der  ein  liebevoller  Herr  sei  und  den  Seinen  über 
Bitten  und  Verstehen  vergelte. 

lieber  das  Coneil  freilich  lauten  seine  Aeusserungen .  seit 
dem  letzten  Verhör,  wo  die  Hoffnung  auf  ein  gerechtes  Verfahren 
völlig  geschwunden  war.  lütter  und  absprechend.  Er  klagt  über 
Simonie  und  Geiz.  Hoehmuth  und  Heuchelei  des  Concils.  Unfehl- 
bar sei  dasselbe  wahrlich  nicht:  habe  es  doch  vor  allem  in  Papst 
Johann  XXIII.  sich  geirrt:  dem  habe  es  mit  Kniebeugung  seine 
Verehrung  bezeugt  und  ihn  als  den  allerheiligsten  betitelt ; 
schliesslich  habe  es  denselben  als  einen  Mörder.  Knabenschänder, 
Simonisten  und  Häretiker  verurtheilt  und  abgesetzt  -  .  Und  diese 


!    a.  a.  O.  m. 

2   Briefe  Nr.  7*.  u.  $3.  S.  125.  134  folg. 


220 


Buch  III.    Kap.  3 .  VI. 


Thatsache  habe  eine  Tragweite»  welche  weit  über  jede  persönliche 
Frage  hinausreicht :  wo  sei  nun  die  Doktrin  geblieben,  dass  der 
Papst  das  Haupt  und  das  Herz  der  Kirche  sei.  die  unversiegbare 
Quelle  aller  Auktorität  und  geistlichen  Vollmacht?  Jetzt  sei  die 
glaubige  Christenheit  ohne  einen  Papst,  habe  nur  Jesum  Christum 
zu  ihrem  Haupt  und  Herz  und  zur  Quelle  aller  Geistesgaben  und 
Gnaden1).  Auch  seine,  des  Hu s,  Schriften  anlangend  habe  das 
Concil  augenscheinlich  mehrfach  geirrt,  indem  es  Sätze  aus  den- 
selben unrichtig  ausgezogen,  verkürzt  und  sonst  entstellt  oder  mit 
Unrecht  verworfen  habe.  Hus  sieht  in  all' dieser  intellektuellen 
und  sittlichen  Verkehrtheit  die  arge  List  und  Bosheit  des  Anti- 
christs  und  den  »Greuel  der  Verwüstung  an  heiliger  Stätte« 2  . 
Aber  weit  entfernt,  in  Folge  dieser  apokalyptischen  Anschauung 
der  Sachlage  verzagt  zu  werden,  fordert  er  seine  Freunde  auf  nur 
muthig  fortzufahren :  er  meint,  die  Väter  des  Concils  werden 
auseinanderflattern  wie  Schmetterlinge,  und  wenn  der  Winter 
kommt,  einsehen,  was  sie  im  Sommer  gemacht  haben:  was  sie 
beschlossen  haben,  werde  so  dauerhaft  sein  wie  Spinnweben. 
Dagegen  hat  er  die  Zuversicht.  Gott  werde  stärkere  Männer,  als 
er  sei.  geben,  welche  die  Bosheit  des  Widerchrists  besser  an  den 
Tag  bringen  und  für  die  Wahrheit  des  Herrn  Jesu  Christi  ihr 
Leben  hingeben  werden  ;'  . 

Das  sind  weissagende  Blicke  und  Zukunftsahnungen  ge- 
wesen .  welche  durch  den  Erfolg  zum  Theil  rasch  in  Erfüllung 
gingen.  Was  das  Constanzer  Concil  an  Hus  selbst  begangen, 
fand  seine  Vergeltung  in  den  Hussitenkriegen,  und  wurde  schon 
durch  das  Basler  Concil.  so  gut  es  noch  möglich  war.  wieder  gut 
gemacht.  Die  Reformbemühungen  des  Constanzer  Concils  wurden 
ganz  zu  Wasser.  Und  die  stärkeren  Kämpfer  wider  den  Anti- 
christ brachte  das  XVI.  Jahrhundert. 

Für  seine  eigene  Person  aber  hoffte  Uns  einzig  und  allein 
auf  Gottes  Gnade  und  Beistand.   Wenn  er  nach  dem  ersten  Ver- 


1  a.  a.  O.  125. 

2  In  einem  tschechisch  geschriebenen  Briete,  laut  der  lat.  Ueberaetzung 
l'rofecto  jatn  malitia,  nequitin  HC  titrpitudo  Antichrist i  in  jmjni  afiisoxc  <•"//- 
eilii  participibUB  jKitcfacta  est  etc.  a.  a.  O.  135. 

:*  a.  a.  ().  134  folg.  139. 


Husens  Stimmung  nach  den  drei  Verhören. 


221 


iiür  seinen  Freunden  Bericht  erstattete  und  der  Meinung  war,  es 
halte  ihm  nicht  an  Muth  und  Freudigkeit  gefehlt,  so  sieht  er  darin 
eine  Gnadengabe  des  allmächtigen  Gottes  1  .  Und  beim  Gedanken 
an  das  was  ihm  noch  bevorstehe,  getraut  er  sieh  nicht  mit  Petrus 
zu  sagen:  »ich  werde  mich  nimmermehr  an  Christo  ärgern«:  doch 
hofft  er  zu  Christo  Jesu,  bei  der  Wahrheit  zu  beharren  bis  an  den 
Töd2  .  Er  ist  wohl  willig  im  Geist,  alter  vergisst  auch  nicht: 
das  Fleisch  ist  schwach« ;  und  da  dient  es  ihm  recht  zum  Tröste, 
dass  selbst  der  Erlöser  in  seiner  letzten  Nacht  gesprochen  hat: 
»meine  Seele  ist  betrübt  bis  an  den  Tod.!«  Wenn  er  am  Gestade 
des  gegenwärtigen  Lebens  stehend«,  in  der  Aussicht  auf  eine 
grauenhafte  Todesart,  dennoch  der  Krone  des  Lebens  entgegen- 
sieht, so  thut  er  dies  nie  in  blindem  Selbstvertrauen,  sondern  stets 
in  demttthigem  Hoffen,  dass  der  erbarmungsreiche  Gott,  der  ihm 
bisher  beigestanden,  ihn  in  seiner  Gnade  erhalten  werde  bis  zum 
Tod.  dass  der  Herr  Christus  nach  seinem  Erbarmen  ihn  bei  seinem 
bisherigen  Vorhaben  festhalten  werde :5  .  Zu  diesem  Behuf  ersucht 
er  alle  Freunde  zu  Constanz  und  in  der  Heimath  um  ihre  Für- 
bitte 1  .  Ja  auch  auf  die  Fürbitte  der  Heiligen  im  Himmel  hofft 
er:  denn  in  diesem  Stücke  weicht  Hus  von  dem  Gemeinglauben 
der  Kirche  seiner  Zeit  nicht  ab5  .  Aber  man  sieht  ihm  ins  Herz 
hinein,  wenn  in  demselben  Schreiben  an  seine  Freunde  in  Con- 
stanz. worin  er  der  Fürbitte  des  Täufers  Johannes  sich  getröstet, 
die  Betrachtung  über  das  Leiden  in  der  Nachfolge  Jesu  auf  ein- 
mal übergeht  in  das  innige  Gebet,  welches  wörtlich  wiedergegeben 
zu  werden  verdient: 

o  frommer  Herr  Christus!  ziehe  uns  schwache  dir  nach, 
denn  wenn  du  uns  nicht  ziehest,  so  können  wir  dir  nicht  folgen: 
gib  einen  starken  (-eist,  der  willig  sei:  und  wenn  das  Fleisch 

1  a.  a.  O.  104.  Ep.  6tf. 

2  a.  a.  O.  103.  Ep.  62. 

3  Ep.  85.  S.  140;  Ep.  84.  S.  137. 

4  Ep.  73.  S.  120.  Ep.  ST.  S.  143.  Ep.  »1.  8.  14S. 

5  Am  Vortag  des  Festes  Johannis  des  Täufers,  23.  Juni,  schliesst  er 
einen  Briet' mit  der  Erinnerung  daran,  dass  Johannes,  weil  er  die  Schlech- 
tigkeit gerügt,  im  Gefängniss  enthauptet  worden,  und  fährt  fort :  qui  digxe- 
tur  orare  pro  nobis  dominum  Jesum  Chris'nm.  Amen. 


-222 


Buch  III.    Kap.  :i.  VI 


schwach  ist.  so  lass  deine  Gnade  vorangehen,  begleiten  und  fol- 
gen: denn  ohne  dich  können  wir  nichts  tliun.  am  wenigsten  uni 
deinetwillen  in  einen  grausamen  Tod  gehen.  Gib  willigen  Geist, 
ein  unerschrockenes  Herz,  rechten  Glauben,  festes  Hoffen,  voll- 
kommene Liebe ,  dass  wir  um  deinetwillen  geduldig  und  mit 
Freuden  unser  Leben  dran  geben!  Amen." 1  . 

Dieses  Gebet  und  alle  die  Fürbitten  der  Freunde  haben  Er- 
hörung gefunden.  Bei  den  erschütternden  Scenen  der  letzten 
Tage,  zumal  bei  der  öffentlichen  Verurtheilung  und  Degradation, 
und  zuletzt  auf  dem  Scheiterhaufen  ist  das  feste  Gottvertrauen, 
die  unverrückte  Treue,  die  gelassene  Würde  und  die  siegreiche 
Christengeduld  des  Mannes  herrlich  an  den  Tag  getreten.  — 

Am  1.  Juli  schrieb  Hus  eine  Erklärung  für  das  Concil  nie- 
der, worin  er  so  weit  als  möglich  demselben  entgegenkam  2  .  In 
Folge  dessen  machte  man  am  5.  Juli  einen  letzten  gütlichen  Ver- 
such :  vier  Bischöfe  im  Namen  des  Concils,  und  die  Herren  Wen- 
zel von  Duba  und  Johann  von  Ohlum  aus  Auftrag  König  Sigis- 
munde, begaben  sich  in  das  Franziskanerkloster,  um  Hus  noch 
einmal  zu  fragen,  ob  er  an  den  oft  erwähnten  Sätzen  aus  seinen 
Büchern  festzuhalten  oder  sie  zu  widerrufen  gewillt  sei.  Johann 
von  Chlum  sprach  wie  ein  Ehrenmann,  indem  er  Hus  bat.  falls 
er  sich  in  irgend  einem  der  Punkte,  die  man  ihm  vorwerfe,  schul- 
dig fühle,  doch  ohne  Scheu  zu  widerrufen,  wenn  er  sich  aber  nicht 
schuldig  wisse,  nur  ja  nicht  wider  sein  Gewissen  zu  handeln, 
sondern  auf  der  erkannten  Wahrheit  bis  an  den  Tod  zu  bestehen. 
Darauf  wiederholte  Hus  die  schon  oft  abgegebene  Erklärung, 
dass  er  gern  widerrufen  wolle,  wenn  man  ihn  eines  Irrthums 
überweise;  man  möge  ihn  nur  durch  bessere  Sehriftbeweise.  als 
seine  eigenen,  widerlegen,  dann  werde  er  sofort  widerrufen.  Da 
er  im  Wesentlichen  dieselbe  Erklärung  auch  gegen  einen  der  ab- 
gesandten Bischöfe  wiederholte,  so  war  der  Versuch  zur  (Mite 
auskragen. 

Sonnabend  den  »>.  Juli  sehritt  man  in  feierlicher  öffentlicher 
Plenarsitzung  des  Concils  der  löten  .  im  Dom  zu  Constanz,  unter 


r  Kp.  82.  s.  m. 

2)  Mansi,  Conri/iortnn  novo  et  ampUss.  coHectio.  Vol    XXVII,  TH4. 


Hus  verurtheilt,  H.Juli  1 4 1  "> .  223 

dem  Vorsitz  des  Cardinalbisehofs  von  Ostia.  Johann  von  Brogni, 
im  Beisein  des  Königs  Sigismund,  zur  Fällung  des  Urtheils  Uber 
i  1  n  s .  das  sofort  auch  vollzogen  wurde.  Der  Bischof  von  Lodi 
hielt  eine  kurze  Predigt  über  die  Pflicht  jede  Kotzerei  in  der 
Kirche  auszurotten,  während  Hus  vor  einem  Gertiste  kniete  und 
betete .  auf  welchem  ein  Holzstock  mit  dem  Messornat  behängt 
war.  Als  die  Sache  von  Hus  an  die  Reihe  kam.  wurde  ein  Be- 
rieht über  seinen  Process  von  Anbeginn  an  verlesen.  Man  kam 
an  die  aus  seinen  Schriften  ausgezogenen  Sätze  1  .  Hier  erhob 
Hus  gleich  gegen  den  ersten  Einsprache  und  wollte  seinen  Satz, 
richtig  limitiren.  Allein  man  entzog  ihm  das  Wort.  Er  bat  um 
Gottes  willen  .  man  möge  ihm  Gehör  geben .  damit  nur  die  Zu- 
hörer nicht  glauben,  er  habe  Irrlehren  vorgetragen.  Als  man  ihm 
dessen  ungeachtet  Stillschweigen  auterlegte,  fiel  er  auf  die  Knie 
und  hob  die  gefalteten  Hände  stille  gen  Himmel.  Wiederholt  ver- 
suchte er  sich  zu  rechtfertigen,  aber  vergebens.  Mit  lebhafter 
Entrüstung  widersprach  er.  als  ihm  wovon  bisher  keine  Kede 
gewesen  war  vorgeworfen  wurde .  er  habe  sich  für  die  vierte 
Person  in  der  Gottheit  ausgegeben 2  !  Bei  Erwähnung  des  Um- 
standes.  dass  er  an  Christum  appellirt  habe,  was  ihm  als  verdam- 
menswerther  Irrthum  ausgelegt  wurde,  antwortete  er  mit  feuri- 
gem Eifer:  »Herr  Gott!  siehe,  nun  verdammt  dies  Concil  gar  dein 
Thun  und  Gesetz  als  einen  Irrthum .  da  du  doch  selbst  deine 
Sache  deinem  Vater  als  dem  gerechten  Richter  anheimgestellt 
hast,  uns  zum  Vorbild,  wenn  wir  schwer  bedrängt  werden!« 
Auch  den  Umstand  erwähnte  er  nochmals  öffentlich  und  laut, 
dass  er  sich  von  freien  Stücken  vor  dem  Concil  gestellt  habe,  im 
Besitz  eines  Geleitbriefes  von  dem  hier  gegenwärtigen  König,  um 
Rechenschaft  al »zulegen  von  seinem  Glauben. 

Nun  wurde  das  Strafurtheil  der  Synode  über  seine  Schriften 
und  seine  Person  durch  einen  italienischen  Bischof  verkündigt. 
Auch  hiebei  erhob  Hus  gegen  einzelne  Punkte  laute  Einsprache: 


1  Vgl.  die  Erörterung  Hefele's  über  die  am  (i.  Juli  zur  Sprache  ge- 
kommenen Sätze,  Conciliengesch.  VII,  1.  194  folg.  204  folg. 

2  Dass  dies  auf  feindseliger  Consequenzenmacherei  beruhte,  gesteht 
Hefele,  Conciliengesch.  VII.  1.  199.  151  folg.  Anm.  4.  bereitwillig  zu. 


224 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


z.  ß.  da  seine  sämmtlichen  Bücher,  weil  sie  der  Ketzerei  ver- 
dächtig seien .  zur  Verbrennung  verurtheilt  wurden .  protestirte 
er:  man  liabe  nicht  ein  Wort  in  seinen  Büchern  des  Irrthums 
überwiesen,  und  seine  tschechischen  Bücher  habe  das  Concil 
nicht  einmal  gesehen!  Als  er  selbst  für  einen  hartnäckigen 
Ketzer  erklärt  wurde,  widersprach  er  erst  laut:  niemals  sei  er 
hartnäckig  gewesen  u.  s.  w.;  dann  fiel  er  auf  die  Knie  und  be- 
tete still,  mit  dem  Blick  nach  oben:  endlich  betete  er  laut  um 
Vergebung  für  alle  seine  Feinde,  falsche  Zeugen  u.  s.  w.  Bei 
diesem  ergreifenden  Gebet  wussten  viele  Kirchenfürsten  nichts 
Besseres  zu  thun  als  Blicke  des  Unwillens  auf  Hus  zu  werfen 
•  •der  ihn  auszulachen! 

Das  l'rtheil  war  gesprochen  und  öffentlich  verkündigt.  Die 
Vollziehung  folgte  auf  der  Stelle.  Hus  musste  das  Gerüste  be- 
treten .  und  wurde  mit  dem  vollen  Ornat  eines  Messpriesters  be- 
kleidet, um  sofort  feierlich  entkleidet  und  des  Priesterthums  ent- 
setzt zu  werden.  Zuvor  wurde  aber  noch  eine  Aufforderung  zum 
Widerruf  an  ihn  gerichtet.  Diese  beantwortete  er  mit  einer  herz- 
bewegenden Ansprache  an  die  versammelte  Gemeinde,  des  In- 
halts, er  könne  Gewissens  halber  nicht  widerrufen,  um  nicht 
angesichts  Gottes  ein  Lügner  zu  werden  .  gegen  Gottes  Wahrheit 
zu  Verstössen,  endlich  allen,  denen  er  gepredigt,  und  anderen 
treuen  Predigern  des  Wortes  Gottes  ein  Aergerniss  zu  geben. 

Man  schritt  sofort  zu  seiner  Entkleidung  und  Degradation  als 
Priester,  unter  den  herkömmlichen  Verwünschungen  bei  jedem 
einzelnen  Theil  dieses  furchtbaren  Aktes,  worauf  Hus  antwor- 
tete .  er  lasse  sich  diese  Lästerungen  demüthig  und  willig  gefal- 
len, um  unseres  Herrn  .Jesu  Christi  willen.  Nachdem  ihm  endlich 
auch  die  Tonsur  vernichtet  worden  war.  lautete  der  Spruch  :  Nun 
hat  die  Kirche  alle  kirchlichen  Rechte  von  ihm  genommen,  sie 
hat  nichts  weiter  zu  thun.  Er  werde  dem  weltlichen  Arm  über- 
gebend Dann  sagten  sie:  »Deine  Seele  geben  wir  dem  Teufel 
anheim!«  Hus  aber  schlug  die  Hände  zusammen  und  erwiederte 
mit  einem  Blick  zum  Himmel:  »Und  ich  gebe  sie  dem  frommen 
Herrn  Jesu  Christo  anheim!«  Nun  setzten  sie  ihm  eine  ellenhohe 
l'apiermütze  auf,  mit  der  Umschrift:  hic  est  ltaeresiareha .  und 
einem  Bild ,  worauf  drei  Teufel  um  eine  Seele  streiten  und  an  ihr 


Hus  verbrannt  »i.  Juli  141ö. 


zerren.  Hus  sagte  darauf:  »Mein  Herr  Jesus  hat  eine  viel  här- 
tere Dornenkrone  um  meinetwillen  zum  schmählichsten  Tode  ge- 
tragen .  da  will  ich  armer  Sünder  diese  viel  leichtere,  aber  fluch- 
volle demüthig  tragen  um  seines  Namens  und  seiner  Wahrheit 
willen!«  Die  vielen  kurzen  Aeusserungen  von  Hus  bei  dieser 
öffentlichen  Schlussverhandlung  sind  meist  so  treffend,  so  muth- 
voll.  demüthig  und  fromm,  dass  an  ihm  in  der  That  die  Ver- 
heissung  erfüllt  ist :  Es  soll  euch  zu  der  Stunde  gegeben  werden, 
was  ihr  reden  sollt  Matth.  10,  19,1). 

Auf  des  Königs  Befehl  nahm  Pfalzgraf  Ludwig  den  Verur- 
theilten  an  eich .  und  übergab  ihn  dem  Magistrate  der  Stadt  zur 
Hinrichtung  durch  s  Feuer.  Das  Concil  fuhr  ruhig  in  seiner  Tages- 
ordnung fort.  Hus  aber  wurde  aus  der  Kirche  geführt.  Auf  dem 
Kirchhof  vor  dem  Dom  war  man  eben  daran  seine  Bücher  zu  ver- 
brennen. Er  lächelte  nur .  sagte  aber  den  Umstehenden,  sie  mö- 
gen nur  nicht  glauben .  dass  er  wirklich  wregen  Irrlehren  sterben 
müsse  Diese  seien  ihm  mit  Unrecht  Schuld  gegeben  worden  von 
persönlichen  Feinden  und  falschen  Zeugen. 

Der  Richtplatz  befand  sich  zwischen  Stadtmauer  und  Graben, 
auf  dem  »Brühl« .  einer  Wiese .  nach  dem  Schlosse  Gottlieben  zu 
gelegen.  Dort  angekommen,  kniete  Hus  nieder,  und  betete  laut, 
mit  heiterer  Miene:  »Erbarme  dich  mein,  oGott!  Auf  dich  hab' 
ich  gehoffet.  Herr!  In  deine  Hände  befehle  ich  meinen  Geist!« 
u.  drgl.  Als  ihm  zugerufen  wurde ,  er  solle  aufstehen,  erhob  er 
sieh,  und  sprach  laut  und  vernehmlich:  «Herr  Jesu  Christe.  die- 
sen grauenhaften  schmachvollen  Tod  will  ich  von  wegen  deines 
Evangeliums  und  der  Predigt  deines  Wortes  demüthig  und  ge- 
duldig ausstehen!«  Hierauf  entkleideten  ihn  die  Henker  und 
banden  seine  Hände  rückwärts  mit  Stricken  und  seinen  Hals  mit 
einer  Kette  an  eine  starke,  in  den  Grund  gespiesste  Diele :  seine 
Füsse  standen  auf  einem  Holzbündel,  und  rings  um  ihn  her  wurde 
Holz  mit  Stroh  untermischt  bis  zur  Kinnhöhe  aufgeschichtet. 


I)  Hus  hatte  an  diese  Verheissung  geglaubt,,  als  er,  noch  in  seinem 
ersten  Kerker,  an  Chlum  schrieb:   Vos  etiam  —  adsitis  et  audiatis ,  quid 
dominus  Jesus  Christus  —  meus  procurator  et  advocatus  et  Judex  gratiosis- 
simus,  dabit  in  os  meum  etc.   Ep.  49,  bei.  Palacky  ,  Docum.  88. 
Lechler,  Wiclif.  II.  15 


226 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


Die  Vorbereitungen  waren  beendigt.  Ebe  nun  das  Feuer 
angezündet  wurde,  richtete  der  Reichsmarschall  von  Pappenheini 
nebst  dem  Pfalzgrafen  Ludwig  noch  einmal  die  Ermahnuni;  an 
Hus,  er  möge  doch  sein  Leben  retten  durch  Widerruf  dessen, 
was  er  einst  gepredigt  und  behauptet  habe.  Da  antwortete  er. 
den  Blick  zum  Himmel  gerichtet ,  mit  lauter  Stimme :  »Gott  ist 
mein  Zeuge,  dass  ich  dasjenige,  was  mir  falsche  Zeugen  Schuld 
gaben,  niemals  gelehrt  und  gepredigt  habe :  vielmehr  war  meine 
Hauptabsicht  bei  meiner  Predigt  und  allen  anderen  Handlungen 
und  Schriften  nur  darauf  gerichtet ,  die  Menschen  von  der  Sünde 
zu  bekehren.  Und  in  der  Wahrheit  des  Evangeliums,  welche  ich 
geschrieben,  gelehrt  und  gepredigt  habe,  will  ich  heute  mit  Freu- 
den sterben!«  Da  schlugen  die  Herren  die  Hände  zusammen  und 
traten  zurück.  Nun  zündeten  die  Henker  den  Holzstoss  an.  Der 
Magister  aber  fing  an  mit  heller  Stimme  zu  singen :  »Christe,  du 
Sohn  des  lebendigen  Gottes,  erbarme  dich  unser!  Christe.  du 
Sohn  des  lebendigen  Gottes ,  erbarme  dich  mein ! «  Als  er]  aber 
weiter  sang :  »der  du  geboren  bist  aus  Maria  der  Jungfrau«,  da 
schlug  ihm  die  Flamme  in's  Gesicht ,  so  dass  man  nur  noch  die 
Lippen  und  sein  Haupt  sich  bewegen  sah ;  nach  kurzer  Qual  war 
er  lautlos  verschieden.  — 

Die  Henkersknechte  thatendas  ihrige,  damit  der  entseelte  Leib 
völlig  eingeäschert  würde  und  auch  nichts  von  seinen  Gebeinen 
übrig  bliebe.  Selbst  die  Kleidungsstücke,  welche  man  ihm  vor  der 
Hinrichtung  abgenommen  hatte ,  wurden  auf  Befehl  des  Reichs- 
marsehalls,  der  den  Henkern  eine  Entschädigung  dafür  ver- 
sprach, ins  Feuer  geworfen;  nur  damit  die  Böhmen  nichts  von 
ihm  mehr  finden  und  mitnehmen  könnten,  was  sie  vielleicht  spä- 
ter als  Reliquie  eines  Märtyrers  verehren  möchten.  Eben  deshalb 
wurde  schliesslich  alle  zurückgebliebene  Asche  sorgfältig  gesam- 
melt, selbst  die  Erde  von  der  Richtstätte  ziemlich  tief  ausgehoben, 
auf  einen  Karren  geladen,  nachdem  unweit  des  Platzes  vorbei- 
fliessenden  Rhein  gefahren  und  ins  Wasser  geschüttet.  — 

Hus  war  der  vereinigten  geistlichen  Auktorität  und  welt- 
lichen Macht  unterlegen.    Aber  weder  das  ökumenische  Concil. 
welches  eine  Vertretung  und  Cnncentration  der  gesummten  abend 
ländischen  Christenheit  war.  noch  die  Schrecken  des  Feuertod« 


Die  Todesstrafe  wegen  Ketzerei. 


227 


hatten  ihn  zu  beugen  oder  zubrechen,  innerlich  zu  überwinden 
vermocht.  Em  Erliegen  siegen,  das  war  sein  Loos.  Die  unUber- 
windliche  Macht  des  Gewissens,  die  überlegene  Stärke  des  im 
(Hauben  an  den  gekreuzigten  Heiland  wurzelnden  Charakters  ist 
selten  so  rein  und  leuchtend,  so  gewinnend  und  erschütternd  vor 
aller  Welt  an  den  Tag  getreten,  wie  in  Hus.  Daher  die  tiefe, 
welthistorische  Wirkung,  welche  seine  Gewissenstreue  und  Cha- 
rakterstarke Jahrhunderte  hindurch  geübt  hat.  — 

In  Betreff  der  Rechtsfrage  sind  noch  zwei  Punkte  zu  be- 
leuchten: die  über  Hus  verhängte  Tode s strafe  wegen  Ketze- 
rei, und  das  von  König  Sigismund  gewährte  freie  Geleite. 

Was  die  Todesstrafe  für  Hus  als  angeblichen  Häretiker 
betrifft,  so  ist  kein  Zweifel,  dass  dieselbe  mit  dem  Richtmaass 
nicht  der  Gegenwart ,  sondern  seinerzeit  zumessen  und  nach 
oem  damaligen  Recht  und  den  Rechtsbegriffen  seiner  Zeit  zu 
beurtheilen  ist.  Und  nach  letzterem  Maasstab,  wie  ihn  Hus 
selbst  nicht  nur  kennt,  sondern  auch  vollständig  anerkennt,  stand 
es  fest,  dass  einen  der  Irrlehre  überwiesenen  und  darin  hart- 
näckig beharrenden  Mann  die  Todesstrafe  mit  Fug  und  Recht 
treffe  *).  Die  Frage  ist  nur,  ob  Hus  wirklich  einer  Irrlehre  über- 
wiesen worden  ist?  Und  wir  antworten  entschieden  :  nein!  Die 
nach  damaligen  Begriffen  gravireudste  Anklage,  als  ob  Hus. 
nach  W  i  c  1  i  f '  s  Vorgang ,  die  Lehre  von  der  Wandlung  bestrit- 
ten hätte,  war  faktisch  nicht  erwiesen  worden  und  konnte  nicht 
erwiesen  werden.  Seine  persönliche  Verehrung  vor  Wiclif  war 
nicht  dazu  angethan,  als  Beweis  der  Ketzerei  zu  gelten.  Sein 

  ß 

1  In  einem  öffentlichen  Anschlag  vom  30.  August  14J4  in  tschechi- 
scher Sprache  sagte  er.  laut  der  lateinischen  Uebersetzung  bei  Palacky, 
Documenta,  69:  Quodsi  ullius  hacresis  convictus  ero,  non  recuso  haere- 
tici  pönas  dare.  Vgl.  Docum.  07:  Quodsi  in  quo  errore  vel  haeresi  de- 
prehendar,  non  recuso  quin  ut  errans,  ut  haereticus ,  pönas  dem.  Und  in 
einem  lateinischen  Anschlag  vom  26.  August  erklärte  er  sich  bereit  zur  Ver- 
antwortung gegen  jedermann;  nur  möchten  diejenigen,  welche  ihn  hart- 
näckiger Irrlehre  zu  beschuldigen  gedächten,  sich  darauf  gefasst  machen, 
falls  sie  den  Beweis  wider  ihn  zu  führen  nicht  im  Stande  sein  sollten, 
ihrerseits  die  Strafe  der  Wiedervergeltung  auf  sich  zu  nehmen,  d.  h.  mit 
dem  Tode  bestraft  zu  werden,  a.  a.  0.  (5*>. 

15* 


228 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


Kirchenbegriff  und  was  daraus  im  Einzelnen  sich  ergeben  mochte, 
konnte  theils  um  deswillen  nicht  für  häretisch  erklärt  werden, 
weil  er  auf  Augustin  beruhte ,  theils  weil  ein  kirchlich  sanktio- 
nirtes  Lehrstück  von  der  Kirche  damals  überhaupt  noch  nicht 
existirte.  Somit  bleibt  nichts  übrig  als  die  Thatsache,  dass  Hus 
eine  Besserung  des  kirchlichen  Wesens  nicht,  wie  das  Concil, 
durch  die  kirchliche  A u k t o r i t ä t  herbeiführen  wollte,  vielmehr 
sich  auf  die  Schrift  und  auf  sein  Gewissen  stützte.  Dass  aber 
diese  Gesinnung  nach  damaligem  Recht  eine  todeswürdige  Ketze- 
rei gewesen  sei,  lässt  sich  sicher  nicht  erweisen1;  .  Und  das  Con- 
cil zu  Constanz  hatte  um  so  weniger  das  moralische  Recht  zu 
solchem  Urtheil,  als  es  fast  in  einem  Athem  über  offenbar  un- 
sittliche und  rechtswidrige  Grundsätze  wie  die  Jean  Petit' s  von 
der  Zulässigkeit ,  ja  Pflichtmässigkeit  des  Tyrannenmords  von 
Seiten  der  Unterthanen  mit  wohl  überlegter  Schonung  und  diplo- 
matischer Vorsicht  geurtheilt  hat 2) . 

Zum  andern  ein  Wort  über  das  sichere  Geleite,  wel- 
ches König  Sigismund  dem  Magister  Johannes  Hus  gewährt 
hatte.  Ueber  diese  Angelegenheit  ist  neuestens  mehr  Licht  ver- 
breitet worden 3) .  Früher  hat  man  fast  ausschliesslich  nur  an  den 
Geleits b rief  gedacht,  welchen  Hus  allerdings  erst  in  Constanz 


1)  Die  Rechtfertigung  des  Concils  und  seines  Verfahrens  wider 
Hus,  welche  Hefele,  Conciliengesch.  VII,  1.  210  folg.  versucht  hat, 
kommt  einestheils  auf  eine  blosse  Entschuldigung  der  Väter  des  Con- 
cils hinaus,  anderntheils  auf  die  Anschuldigung  wider  Hus,  dass  er 
mit  seinem  Schriftprinzip  und  dem  Prinzip  der  Subjektivität  (>  ein  »wahrer 
^»rläufer  des  Protestantismus«  gewesen  sei. 

2  Das  Urtheil  des  Concils  wurde  in  derselben  Sitzung,  wo  auch 
Hus  verurtheilt  worden  war,  und  während  dieser  zum  Scheiterhaufen  ge- 
führt wurde,  am  (>.  Juli  1415  gefällt,  aber  absichtlich,  ohne  Petit  selbst 
zu  nennen,  s.  von  der  Hardt,  Ti  IV,  439  folg.,  vgl.  Hefele  a.  a.  O.  181. 
Mit  gutem  Grunde  hat  Gerson  in  einer  Predigt  über  das  Gebot:  »Du 
sollst  nicht  tödten«,  vor  dem  Concil  am  1*.  October  1415  erinnert,  dass 
man  Sätze  Wiclif's,  welche  weit  weniger  anstössig  seien,  z.  B.  das  Volk 
könne  seine  Gebieter ,  wenn  sie  lasterhaft  seien ,  zurechtweisen  ,  verdammt 
habe,  während  Petit  dem  Unterthan  sogar  erlaube,  seinen  tyrannische 
Herrscher  zu  tödten  u.  s.  w.  Vgl.  Schwab,  Joh.  Gerson,  009  folg.  bes.  t\Tl. 

3  Durch  Wilhelm  Rercjkr,  Johannes  Hus  und  König  Sigmund,  Augs- 
burg 1  ST  I . 


Das  freie  Geleite  und  König  Sigismund. 


am  5.  November  1414  in  die  Hand  bekommen  hat :  und  davon 
allein  spricht  er  selbst ,  wenn  er  wiederholt  betont ,  er  habe  sine 
sähe  conductu  die  Reise  zum  Concil  gemacht 1  .  Allein  es  ist  zu 
unterscheiden  zwischen  »lebendigem«  und  »todtem  Geleite«.  Und 
die  böhmischen  Barone,  welche  im  ausdrücklichen  Auftrag  des 
Königs  den  Magister  von  Prag  nach  Constanz  begleiteten,  um  ihn 
im  Nothfall  zu  beschützen,  bildeten  das  »lebendige  Geleite« 
für  ihn.  Schon  damit  allein  war  das  königliche  Wort  zum  Schutze 
seiner  Person  gegen  Unbill  und  Gewalt  verpfändet.  Ferner  ist 
zu  unterscheiden  zwischen  politischem  und  gerichtlichem  Geleite. 
Dasjenige  Geleite,  welches  König  Sigismund  dem  Hu s  gewährte, 
hat .  kraft  des  Wortlauts  der  betreffenden  Urkunde ,  vergli- 
chen mit  ähnlichen  Geleitsbriefen  aus  dem  XIV — XVI.  Jahrhun- 
dert .  allerdings  nicht  die  Bedeutung  eines  gerichtlichen  (proces- 
sualischen  .  sondern  eines  politischen  Geleites;  mit  andern  Wor- 
ten, es  schützte  H  u  s  nicht  gegen  eventuelle  Verurtheilung  und  — 
Hinrichtung  als  Ketzer2  .  So  hat  Hus  selbst,  so  haben  auch  seine 
Freunde,  die  böhmischen  Herren,  den  Geleitsbrief  aufgefasst. 

Allein  was  geschah?  Am  28.  November  wurde  Hus,  auf 
Befehl  des  Papstes  und  der  Cardinäle .  vor  einer  Verurtheilung. 
ja  noch  vor  einem  Verhör,  eiligst  in  Haft  genommen.  Und  das 
war  allerdings  unvereinbar  mit  dem  sicheren  Geleite.  König  Si- 
gismund selbst  sah  es  im  ersten  Augenblick  so  an .  und  war  über 
dieses  Verfahren  geradezu  entrüstet,  als  er  am  24.  December  in 
Constanz  ankam :  und  es  gab  einige  leidenschaftliche  Scenen 
zwischen  ihm  und  den  Cardinälen.  Allein  schliesslich  opferte  er 
Hus  'ens  Freiheit  und  seine  eigene  Ehre  und  des  Reiches  Würde 
der  Existenz  des  Concils.  an  welchem  ihm  alles  gelegen  war. 
Nochmals:  die  Verhängung  der  Haft  über  Hus  war  ein  Bruch 
des  vom  König  gewährten  sicheren  Geleites3  .  Und  indem  Sigis- 


I  z.  B.  Ep.  ,  bei  Palacky,  Documenta  ,  S.  73  in  der  lat.  Ueber- 
setzung  aus  dem  Tschechischen. 

■1  Berger  a.  a.  O.  105  folg.  177—  208.    Vgl.  Hefele  a.  a.  0.  220  ff. 

:>  Hefele  a.  a.  O.  222  gesteht  zu,  dass  die  Verhaftung  vor  jeglichem 
Verhör  eine  Geleitsverletzung  gewesen  wäre,  '-wenn  nicht  Hus  durch  sein 
eigenes  Benehmen  solche  Maassregel  nöthig  gemacht  hätte."  Aber  was  hat 


23(1 


Buch  III.    Kap.  3.  VI. 


mund  sich  die  Gefangenschaft  des  Magisters  vom  1.  Januar  1415 
an  gefallen  Hess,  hat  er  dem  Concil  gegenüber  geradezu  eine  mo- 
ralische Niederlage  auf  sich  genommen  1  .  Es  hat  ihm  nichts  ge- 
holfen, dass  das  Concil  in  seiner  19ten  Sitzung  vom  23.  September 
1415  ein  Dekret  annahm  über  das  freie  Geleite ,  dahin  gehend, 
dass  durch  ein  solches  der  competente  kirchliche  Richter  nicht 
gehindert  werden  dürfe,  Untersuchung  über  den  Betreffenden  an- 
zustellen und  im  Falle  hartnäckiger  Verweigerung  des  Widerrufs 
ihn  zu  bestrafen.  Denn  dieses  Dekret  hatte  keineswegs  die  Ab- 
sicht, Sigismunde  Ehre  zu  retten,  vielmehr  nur  die  Befugniss  der 
Kirche  festzustellen,  auch  selbst  in  dem  Fall  mit  dem  Process 
und  eventuell  mit  Strafe  vorzugehen .  wenn  dem  Angeschuldigten 
ein  sicheres  Geleite  ertheilt  worden  sein  sollte 2  .  — 


er  denn  gethan,  wodurch  diese  Maassregel  nöthig  wurde?  Hätte  er  einen 
Fluchtversuch  gemacht,  so  liesse  sich  eine  Untersuchungshaft  eher  rechtfer- 
tigen. Allein  Hefele  hält  jene  Angabe  selbst  für  ein  grundloses,  von  den 
Gegnern  verbreitetes  Gerücht,  a.  a.  O.  To:  Wohl  aber  erinnert  er,  Hus 
habe,  trotz  des  ausdrücklichen  päpstlichen  Verbots,  in  seiner  Wohnung  täg- 
lich Messe  gelesen  und  Anreden  an  Neugierige  gehalten;  s.  ebendaselbst. 
Hingegen  S.  64  hat  Hefele  selbst  erzählt,  Johann  XXIII.  habe  gestattet, 
dass  jedermann  mit  Hus  ungehindert  verkehren  dürfte.  Und  was  das  Messe- 
lesen betrifft,  so  besagen  die  von  Hefele  angezogenen  Worte  des  Car- 
dinalis  von  Keinstein,  Docum.  80,  ganz  etwas  anderes,  nämlich  im  Gegen- 
theil  Suspension  des  Interdikts  und  Banns;  was  der  Papst  Hus  hatte 
untersagen  lassen,  war  blos  sein  Erscheinen  beim  Hochamt.  Somit  lag  in 
der  That  keine  Thatsache  vor,  wodurch  seine  Verhaftung  irgendwie  sich 
hätte  rechtfertigen  lassen. 

1  So  urtheilt  selbst  Berger  a.  a.  0.  138. 

2  Von  der  Hardt,  T.  IV,  521  folg.  Ein  zweites  Dekret,  welches  VON 
der  Hardt  auf  das  erste  folgen  lässt ,  ist  allerdings  unächt ,  wenigstens 
fehlt  demselben  jedes  Placet  von  Seiten  des  Concils.  Vermuthlich  war 
dasselbe  nur  ein  Entwurf,  eingebracht  von  einem  kaiserlich  gesinnten 
Mitglied  des  Concils,  statt  dessen  aber  das  erste  Dekret  Annahme  gefun- 
den hat.  Dieses  unächte  Dekret  bezieht  sich  ausdrücklich  auf  Hus  und  den 
von  Sigismund  ihm  ertheilten  Geleitsbrief,  und  hat  die  Absieht,  den  König 
und  sein  Verfahren  in  Sachen  Husens  und  des  ihm  gewährten  sichern  Ge- 
leites zu  rechtfertigen.  In  diesem  Punkte  treten  wir  HEFELE  a.  a.  (). 
227  folg.  vollständig  bei.  Wenn  aber  derselbe  Gelehrte  urtheilt,  GlESELSB 
•habe  sich  gegen  die  Synode  und  gegen  die  Wahrheit  gröblich  versündigt 
dadurch,  dass  er  den  Schluss  des  ersten  Dekrets  einfach  wegliess.,  s.  Lehr- 
buch der  Kirchengesch.  Bd.  II.  Abth.  4.  S.  41s  Anm.,  so  müssen  wir  denn 


Hieronymus  von  Prag  und  Hus. 


231 


Nur  in  zweiter  Linie,  begleitend  und  nachfolgend,  kann  das 
Schicksal  des  Freundes  von  Hus,  Hieronymus  von  Prag,  in 
Betracht  kommen.  Hieronymus  stand  an  Geistesgaben  und 
ausgebreitetem  Einfluss  eher  über  Hus,  aber  an  Seelenadel,  Cha- 
rakter und  frommer  Herzensstärke  entschieden  unter  ihm ;  und 
darauf  gerade  beruht  die  Macht  der  Persönlichkeit  von  Hus, 
und  die  Wirkung  seines  Todes.  Während  Hus  in  Folge  der  Auf- 
forderung und  unter  Zusicherung  des  Schutzes  von  Seiten  König 
Sigismunde  sich  entschlossen  hatte  die  Reise  zum  Concil  zu  unter- 
nehmen, begab  sich  Hieronymus  unberufen,  ja  trotz  der  aus- 
drücklichen Warnung  Hus'ens1),  nach  Constanz.  Die  muthige 
Begeisterung  schlug  rasch  um,  er  entwich  in  aller  Stille  aus  Con- 
atanz,  und  trat  den  Heimweg  an.  Unterwegs  erkannt  und  fest- 
genommen, wurde  er  auf  Verlangen  des  Concils  nach  Constanz 
zurückgeführt,  aber  in  Ketten.  Vom  23.  Mai  1415  an  blieb  er 
Jahr  und  Tag  in  der  Gefangenschaft  des  Concils.  Ein  vorläufiges 
Verhör  war  an  dem  genannten  Tage  mit  ihm  vorgenommen  wor- 
den. Aber  erst  nachdem  Hus  hingerichtet  war,  fand  man  Zeit, 
sich  mit  Hieronymus  ernstlich  zu  befassen.  In  öffentlichen 
Verhören  und  Privatunterredungen  seit  dem  19.  Juli  arbeitete  man 

doch  entgegnen,  dass  der  Zusatz :  nee.  sie  promitt  entern ,  cum  alias  fecerit 
quod  in  ipso  est,  ex  hoc  in  aliquo  remansisse  obliyatum ,  ausschliesslich 
nur  in  zwei  Handschriften  der  Concilsakten  sich  findet,  und  deshalb  von 
dem  Herausgeber  der  Akten,  von  der  Hardt,  nur  mit  Reserve  und  in 
Parenthese  gegeben  worden  ist.  Die  Leipziger  Handscnrift,  von  dem  Ab- 
geordneten der  Universität  zum  Concil,  Theol.  Dr.  Wyse  (Weise  geschrie- 
ben, gibt  die  Stelle  allerdings  in  so  gleichmässigem  und  gleichzeitigem  Zuge, 
dass  darnach  allein  ein  Zweifel  über 'die  Aechtheit  der  Worte  nicht  auf- 
kommen könnte.  Indes  ist  der  Inhalt  des  Zusatzes:  dass  der  Fürst, 
welcher  einen  Geleitsbrief  ausgestellt  habe,  falls  er  was  in  seiner  Macht 
steht  für  den  Betreffenden  gethan,  dadurch  nicht  weiter  gebunden  sei,  — 
sachtfeh  der  Art,  dass  er  eine  nothwendige  Ergänzung  zu  dem  Dekret  in 
keinem  Falle  bildet,  im  Gegentheil  dem  Schlüsse  desselben  nur  äusserlich 
angeheftet  scheint.  Somit  hat  Gieseler  sich  keineswegs  gegen  die  Wahr- 
heit versündigt,  vielmehr  der  Wahrheit  gehuldigt,  indem  er  den  durch 
äussere  Zeugnisse  nur  einseitig  gestützten  und  innerlich  ungerechtfertigten 
Zusatz .  auf  welchen  Hefele  mindestens  ein  allzugrosses  Gewicht  legt 
a.  a.  O.  227  und  237  ,  stillschweigend  weggelassen  hat. 
1    Documenta,  ed.  PalaCKT,  ep.  50.  S.  90. 


232 


Buch  III.   Kap.  o.  VI. 


darauf  hin,  ihn  zum  Widerruf  zu  bewegen.  Und  der  arme  Mann, 
durch  mehr  als  dreimonatliche  zum  Theil  harte  Gefangenschaft, 
durch  Entbehrung  und  Krankheit  gebeugt,  von  Todesfurcht  ange- 
fochten .  nach  Freiheit  schmachtend,  erklärte  am  10.  September 
widerrufen  zu  wollen;  er  that  dies  am  Ilten  wirklich,  in  einer 
geschlossenen  Versammlung  der  vier  Nationen  im  Dom.  und  wie- 
derholte seinen  Widerruf  in  einer  noch  rückhaltloseren  Fassung, 
die  man  ihm  inzwischen  vorgeschrieben  hatte .  in  öffentlicher 
Session  des  Concils  am  23.  September,  indem  er  sich  von  allen 
durch  das  Concil  verurtheilten  Sätzen  Wiclif's  und  Hus  ens 
feierlich  lossagte  {) . 

Es  war  gelungen  den  Mann  zu  beugen.  Allein  je  mehr  man 
die  Consequenzen  zog  aus  dem  was  er  erklärt  hatte,  und  in  ihn 
drang,  an  König  Wenzel  und  die  Königin  von  Böhmen,  an  die 
Universität  Prag  und  an  das  böhmische  Volk  in  demselbeu  Sinne 
zu  schreiben,  in  welchem  er  wenigstens  einen  Brief  an  Herrn 
von  Krawar  bereits  am  12.  September  aufgesetzt  hatte2  .  desto 
mehr  scheint  ihn  Reue  über  seine  That  angewandelt  zu  haben : 
er  verweigerte  jeden  ferneren  Brief  in  der  verlangten  Richtung, 
und  nun  nahm  der  Process  gegen  ihn  erst  recht  seinen  Anfang. 
Die  Schilderung,  welche  einer  von  den  Vätern  des  Concils.  Pog- 
gio.  von  dem  Auftreten  und  der  Verantwortung  des  Hierony- 
mus am  23.  und  26.  Mai  1416  entworfen  hat3  .  macht  ganz  den 
Eindruck,  als  habe  der  Angeschuldigte  erst  jetzt,  nachdem  er  von 
dem  Widerruf  endgültig  zurückgetreten  war.  die  volle  Freudig- 
keit des  guten  Gewissens  und  eine  unüberwindliche  Siegeskraft 
erlangt.  Alle  Versuche,  ihn  wieder  herumzubringen,  scheiterten. 
Und  am  3  0.  Mai.  nachdem  er*  in  öffentlicher  Session  als  rück- 
fälliger Ketzer  verurtheilt  worden  war.  ging  er  mit  heiterer  Stirn 
und  munterem  Angesicht  zum  Tode.  Als  der  Holzstoss  auge- 
zündet wurde,  stimmte  er  ein  Kirchenlied  an.  und  sprach  Worte 
des  Gebets,  bis  Feuer  und  Rauch  seine  Stimme  erstickten 4  .  Die 


1]  Die  Formel  des  Widerrufs  s.  bei  vox  der  Hardt.  IV.  103  ff.  Vgl. 
Hkfkle.  Conciliengesch.  VII,  1.  ISS  folg. 
2    Palacky.  Documrntn.  59S  folg. 
:*   a.  a.  ().  I>24  ff. 

4   a.  a.  O.  6». 


Hubens  Lehre:  seine  Prinzipien 


233 


ungetrübte  Freudigkeit  und  heldenmüthige  Standhai'tigkeit.  zu  der 
Hieronymus  sich  schliesslich  ermannt  hatte,  machten  wenig- 
stens einigermaassen  gut.  was  er  durcli  vorübergehende  Schwäelie 
und  Abfall  verdorben  hatte.  — 

Wenn  aber  das  Concil  der  Meinung  war.  mit  dein  Ketzer- 
gericht über  Hus  und  Hieronymus  die  böhmische  Reform- 
bewegung erstickt  zu  haben,  so  war  das  ein  grossartiger  Irrthun). 
Die  Verbrennung  der  beiden  Männer  hat  die  Flamme  des  Hussitis- 
nius  erst  recht  entzündet. 

VII. 

Wir  wenden  uns  zu  einer  möglichst  bündigen  Zeichnung  der 
Gedanken  von  Hus.  unter  vergleichendem  Hinblick  auf  die 
Lehre  Wiclif's,  um  das  gegenseitige  Verhältniss  zwischen  bei- 
den so  genau  als  möglich  zu  erkennen.  Hiebei  beschränken  wir 
uns  absichtlich  auf  die  r  e  f  o  r  m  a  t  o  r  i  s  c  h  e  n  Lehr -  Gedanken 
Hus  ens .  und  sehen  von  demjenigen  ab,  was  er  mit  der  Kirchen- 
lehre und  der  scholastischen  Theologie  seiner  Zeit  gemein  hat. 
und  dessen  ist  ja  in  der  That  nicht  wenig  1  . 

Seine  reformatorischen  Gedanken  aber  haben,  wie  die  Ellipse, 
einen  doppelten  Angelpunkt:  einmal  »Christi  Gesetz«  d.  h. 
Gottes  Wort,  die  heil.  Schrift:  sodann,  die  wahre  Kirche 
Christi.  Man  kann  sagen,  sein  Formalprinzip  ist:  »das  Gesetz 
Christi«,  sein  Materialprinzip  ist:  die  wahre  Kirche.  Und  beide 
gehören  zusammen,  sie  sind  innerlich  und  wurzelhaft  mit  einan- 
der verwachsen. 

Wir  finden  genug  Aeusserungen  von  Hus,  aus  denen,  für 
sich  allein  genommen,  der  Schluss  gezogen  werden  könnte,  das 
e  r  s  t  e  r  e  .  nämlich  Gottes  Wort,  sei  der  alleinige  Mittelpunkt 
seines  christlichen  Denkens,  Strebens  und  Lebens  gewesen.  Schon 
in  der  Schrift  Vom  Blute  Christi,  aus  dem  Jahr  1405,  macht  er 
geltend,  ein  rechtschaffener  Christ  habe  gar  nicÄ  nöthig  Zeichen 

1  Dass  Hus  »in  einer  Keine  von  dogmatischen  und  kirchlichen  Punk- 
ten —  den  Altgläubigsten  beigezählt  werden  kann« ,  bestätigt ,  als  unver- 
werflicher Zeuge.  Hefele  a.  a.  0.  217.  Vgl.  Duex,  Nicolaus  von  Cusa. 
I.  1847.  36.  59. 


234  Buch  III.    Kap.  3.  VII. 

und  Wunder  zu  suchen ,  er  habe  bei  der  Schrift  Beruhigung  zu 
fassen :  ferner  spricht  er  den  Grundsatz  aus :  wenn  die  Priester 
dem  Volk  lieber  C hristi  Worte  als  fehlerhafte  Wunder  kund 
thun  wollten,  so  würde  der  Erlöser  beide,  Priester  und  Volk,  vom 
bösen  Wege  der  Lüge  und  Sünde  abbringen.  Opera  I.  158 2. 
161  2.  In  dem  frühesten  Briefe,  den  man  bis  jetzt  von  ihm- kennt, 
aus  dem  Jahre  1408,  liegt  ihm  die  Predigt  des  Evangeliums,  die 
assidua  praedieatio  ,  die  pia  evangelizatio ,  allerdings  in  Verbin- 
dung mit  wahrer  Nachfolge  Christi ,  vor  allem  am  Herzen : 
der  ganze  Brief  hat  keinen  anderen  Zweck,  als  dem  Erzbisch of 
die  Fürsorge  für  treue  Prediger  und  für  die  Verkündigung  des 
Evangeliums  an's  Herz  zu  legen  *) .  Und  in  dem  allerletzten  Briefe, 
den  er  nur  eine  Woche  vor  seinem  Tode  geschrieben  hat  29.  Juni 
1415  sagt  er  von  seinen  Fesseln,  er  trage  sie  »um  des  göttlichen 
Gesetzes  willen«,  und  richtet  in  den  Schlusszeilen  die  Ermahnung 
an  den  Priester  Hawlik  an  der  Bethlehemskirche:  »predige 
Gottes  Wort!«  Er  bittet  alle  seine  Freunde  in  Böhmen,  dass  sie 
beständig  bleiben  mögen  bei  Gottes  Wahrheit2).  In  einem  von 
den  Schriftchen,  die  er  zu  Constanz  verfasst  hat.  beschreibt  er 
seine  Lebensaufgabe,  im  Anschluss  an  das  Bekenntniss  des  Apo- 
stels Paulus  Ap.  Gesch.  26,  22,  mit  den  Worten .  »Ich  stehe  mit 
Hülfe  Gottes  bis  auf  den  heutigen  Tag,  und  bezeuge  Grossen  und 
Kleinen .  und  sage  nichts  ausser  dem .  was  dasGesetz  unseres 
Herrn  Jesu  Christi  lehrt.  —  —  Ich  habe  gewünscht  und 
wünsche  noch,  mein  armes  Leben  für  Christi  Gesetz  daran  zu 
geben,  von  dem  ich  glaube,  dass  es  in  allen  seinen  Theilen  von 
der  heil.  Dreieinigkeit  gegeben  sei:  und  ich  glaube,  dass  dasselbe 
wahr  ist  und  ausreichend  zur  Rettang  des  Menschengeschleehts 1  . 
Und  noch  ehe  der  Holzstoss  angezündet  wurde,  erklärte  er  laut, 
da ss  er  bei  der  Wahrheit  des  Evangeliums  .  die  er  in  Schrif- 
ten, Predigten  und  Lebten  vorgetragen,  beständig  bleiben  und 
freudig  sterben  wolle  1  . 

1  Documenta  •!<>.  Urs.  ed.  Palacky,  '■'<  folg. 

2  a.  a.  ü.  147  folg. 

'■>  ]>e  fidei  sitae  eluc+datione,  Opp.  Nürnb.  I55&.  I.  ls'-\ 

I  Bericht  des  Mladenowiti,  Dorum.  323. 


Hubens  Lehre  :  seine  Prinzipien. 


Andererseits  ist  der  Angelpunkt  seines  Dichtens  und  Trach- 
tens die  wahre  Kirche.  Die  Synodalpredigten,  welche  11  us 
uns  Auftrag  des  Erzbischofs  vom  Jahr  1 404  an  hielt,  und  welche 
vorwiegend  den  Charakter  von  Strafpredigten  ttber  die  Versäum-: 
rrisse  und  Uebertretnngen,  Unsitten  und  Laster  der  Geistlichkeit 
an  sich  tragen,  arbeiten  auf  sittliche  Reinigung  und  Hebung  der 
Kirche  hin.  Sein  Auftreten  gegen  die  Wallfahrten  zum  »heiligen 
Blute  von  Wilsnack«  hatte  keinen  anderen  Zweck,  als  die 
Kirche  von  Aberglauben .  Priesterbetrug  und  Mißbrauchen  zu 
säubern  1  .  Das  war  noch  die  Zeit,  wo  er  eine  Reform  und  sitt- 
liche Bebung  der  Kirche  im  Einverständniss  mit  seinen  Oberen 
erstrebte  und  hoffte.  Aber  auch  nachmals,  wo  er  eine  opposi- 
tionelle Stellung  einnahm  gegen  den  Erzbischof.  gegen  die  päpst- 
liche Kurie  selbst,  ja  zuletzt  gegen  ein  allgemeines  Concil,  blieb 
es  das  höchste  Ziel  seiner  Arbeiten  und  Kämpfe,  die  Zurück- 
t'iihrung  der  Kirche  zum  rechtschaffenen  Gehorsam,  zur  Nach- 
folge Christi  und  zur  gewissen  Hoffnung  des  ewigen  Lebens  in 
seinem  Theile  zu  fördern  -  .  Und  überschauen  wir  seine  sämmt- 
lichen  Schriften,  namentlich  seine  Streitschriften,  so  springt  die 
Thatsache  in  s  Auge,  dass  dieselben  ihren  gemeinsamen  Mittel- 
punkt in  der  Lehre  von  der  Kirche  haben. 

In  Gemässheit  dieser  Vorbemerkungen  glauben  wir  festhalten 
zu  dürfen,  dass  Christi  G  e  s  e  t  z  und  die  w a  h  r  e  Kirch  e  Christi 
die  beiden  Angelpunkte  des  reformatorischen  Denkens  und  Stre- 
bens von  Hus  gewesen  sind.  Diese  beiden  Punkte  stehen  aber 
bei  ihm  nicht  atomistisch  neben  einander,  sondern  er  setzt  sie  in 
einen  inneren  Zusammenhang  und  in  wesentliche  Rückwirkung 
aufeinander.  Wenn  Hus  in  seiner  Hauptschrift  »Von  der  Kirche 
angesichts  der  Anschuldigungen  seiner  Gegner  sagt.  «Es  ist 
nicht  die  Absicht  unserer  Partei,  das  Volk  vom  wahren  Gehorsam 

)    s.  oben  8.  143  ff.,  vgl.  Opera  Susi,  I,  154^  ff. 

2)  De  .sufficientia  ler/i.s  Christi.  Opp.  I,  45:  Super  om/tia  desidero  hono- 
rem Bei,  profectum  eanetäe  ecclesiae  etc.  Laut  Bericht  des  Mlade- 
nowitz,  bei  Palacky,  Dochw.  33$  sagte  Hus  in  den  letzten  Minuten  vor 
dem  Anzünden  des  Feuers,  es  sei  seine  principalis  intentio  bei  seinem  Pre- 
digen, Handeln  und  Schreiben  gewesen,  die  Menschen  wo  möglich  von  den 
Sünden  abzubringen. 


236 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


abzubringen,  sondern  zu  bewirken,  dass  das  Volk  einig  sei.  vom 
Gesetze  Christi  einmüthig  geleitet  werde  und  sich  nicht  durch 
widerchristliche  Satzungen  von  Christo  scheiden  lasse« 1  ,  so 
.deutet  er  an.  dass  der  Gehorsam  gegen  Gottes  Wort  auch  den 
wahren  kirchlichen  Gehorsam,  das  rechte  kirchliche  Leben  be- 
dinge. Und  hiemit  harmonirt  vollkommen  sein  letztes  Bekennt- 
niss.  als  er  bereits  an  den  Pfahl  gebunden  war.  sofern  er  darin  zu 
erkennen  gibt,  es  sei  mit  all  seiner  Predigt  des  Evangeliums,  sei- 
nen Schriften  u.  s.  w.  darauf  abgesehen  gewesen,  die  Leute  von 
den  Sünden  abzubringen. 

Treten  wir  diesem  doppelten  Grundgedanken  naher,  vorerst 
dem  Grundsatz,  dass  »Christi  Gesetz«  maassgebend  sein  solle. 

H  u  s  bekennt  sich  von  früh  an  wiederholt  und  nachdrücklich 
zu  dem  Grundsatz ;  »Christi  Gesetz«  d .  h .  die  Offenbarung 
Gottes  im  N.  T..  wie  sie  durch  Christum  zur  Zeit  seines  Erden- 
lebens und  der  Apostel  gegeben  worden 2) .  ist  unbedingt  maass- 
gebend und  vollständig  genügend  um  das  Christenleben  zu  regeln, 
die  Kirche  zu  regieren  und  zur  Seligkeit  zu  führen.  Nicht  als  ob 
die  heil.  Schrift  die  einzige  Quelle  der  Wahrheit  wäre.  Er  er- 
kennt ausser  unmittelbarer  göttlicher  Offenbarung  auch  Sinnes- 
wahrnehmung oder  Erfahrung,  und  Vernunft  oder  geregelte  Denk- 
arbeit als  Quellen  der  Wahrheit  an 3  .  Aber  in  Sachen  des  Glau- 
bens und  der  Seligkeit  ist  die  heil.  Schrift  mit  unbedingter  und 
allein  unfehlbarer  Auktorität  begabt ;  denn  Christus  ist  der  beste 
Lehrer  und  der  höchste  Richter,  Daraus  folgt,  dass  man  weder 
etwas  ab  noch  etwas  zuthun  darf.  Vielmehr  ist  jeder  Christ  ver- 
pflichtet, jede  Wahrheit  zu  glauben,  welche  der  heil.  Geist  in  der 
Schrift  niedergelegt  hat,  und  dem  Gesetze  Christi  unbedingten 
Gehorsam  zu  leisten.  Anders  verhält  es  sieh  mit  Aussprüchen 
der  Heiligen  oder  mit  Bullen  der  Päpste ;  diesen  ist  kein  Mensch 


1)  De  ecc'esia,  c.  17.  Opp.  I,  2A\K 

2  Was  er  unter  «Christi  Gesetz«  verstehe,  definirt  er  in  dem  eigens 
der  Lehre  von  der  Genügsamkeit  der  heil.  Schrift  gewidmeten  Traktat:  De 
sufficienti«  /er/is  Christi  ad  ref/e/idam  ecc7esici)n  (zu  Constanz  1414  verfasst  , 
Opp.  I.  4(i':  Voco  autem  letfem  Christi  evanffeUcam  leyem  a  Christo  pro  tem- 
pore .sitae  riationis  et  Apostohrum  expositattt. 

'S    Resjionsio  ad  srrij)ta  Stam'sl  ii,  I,  265s. 


Husens  Lehre:  von  Gottes  Wort. 


237 


an  und  für  sich  Glauben  schuldig,  es  sei  denn  sie  sprechen  etwas 
aus.  was  aus  der  Schritt  geschöpft  oder  mittelbar  auf  die  Schrift 
gegründet  ist.  Der  heil.  Schrift  darf  man  wieder  den  Glauben 
versagen  noch  ihr  widersprechen,  denn  Gott  kann  weder  selbst 
irren  noch  irre  führen:  wohl  aber  darf  man  zuweilen  päpstlichen 
Bullen  den  Glauben  versagen  und  ihnen  widersprechen :  denn 
der  Papst  und  seine  Kurie  kann  irren  und  irre  leiten,  ihn 
leitet  irre  der  Gewinn  und  er  selbst  irrt  durch  Unwissenheit1). 

Die  Gegner  erkannten  wohl,  dass  dieses  Schriftprinzip  mit 
dem  römischen  Prinzip  der  kirchlichen  Auktorität  unvereinbar 
sei.  Daher  machten  sie  ihm  und  seiner  Partei  einen  doppelten 
Vorwurf: 

1.  er  erkenne  ausschliesslich  der  heil.  Schrift  richterliches 
Ansehen  zu.  und  verkenne  deshalb  die  Auktorität  der  allgemeinen 
Kirche  und  der  heiligen  Väter  und  Kirchenlehrer: 

2.  er  deute  die  Schrift  nach  seinem  eigenen  Kopf  und  Be- 
lieben, anstatt  die  Auslegung  der  Kirche  zu  befolgen  -  . 

Allein  Hus  entgegnet,  beide  Vorwürfe  seien  unbegründet: 
1 .  er  verkenne  das  Gewicht  der  Kirche  und  der  Kirchenväter 
nicht,  verehre  vielmehr  alle  Concilien.  Dekrete  und  Dekretalen, 
alle  Gesetze,  Canones  und  Bullen,  —  so  weit  sie  unmittelbar  oder 
mittelbar  mit  Gottes  Gesetz  harmoniren 3  .  In  der  That  beruft  sich 
H  u  s  in  seinen  Schriften  ausserordentlich  oft  auf  Kirchenväter  wie 
Augustin,  Gregor  den  Grossen  und  andere,  auf  den  heil. 
Bern  h  a  r  d .  Thomas  von  Aquino,  Robert  G  r  o  s  s  e  t  e  t  e  u .  s .  w . 

2.  erwidert  Hus.  er  habe  nicht  die  Absicht,  die  heil.  Schrift 
anders  auszulegen  als  nach  demjenigen  Sinn,  den  der  heil.  Geist 
fordert  und  die  heil.  Kirchenlehrer,  welchen  der  heil.  Geist  das 
Verständnis  verliehen  hat.  darlegen4  . 

1)  De  ecclesia  c.  S.  Opp.  I,  2091.  Vgl.  De  fidei  suae  ehicidationc,  Opp. 
I,  492:  Sacra  scriptum  facti  certitudinem  inf all  ibi  lern. 

2  Vgl.  das  Gutachten  der  Prager  theol.  Facultät  vom  6.  Febr.  1413, 
bei  P ALACK Y ,  iJocum.  476:  Quidam  de  clero  regni  Bohemiae  —  solam 
scriptura  m  s.  —  pro  judice  habere  volentes  i —  scripiuram  secundum 
capita  sua  interpretantur  etc. 

3  De  ßdei  sitae  elucidatione,  Opp.  I,  461. 

4  De  ecclesia  c.  16.  Opp.  I,  2271. 


21*8 


Buch  III.   Kap.  3.  VII. 


Dieses  Sehriftprinzip  nun,  wie  es  Hus  geltend  macht,  ist 
unstreitig- von  Wie  Ii  f  entlehnt,  der  es  zuerst  aufgestellt,  indem 
er  zwischen  »Gottes  Gesetz«  und  jeglicher  anderweitigen  Auktori- 
tät  eine  scharfe  und  prinzipielle  Linie  zog.  Allerdings  hat  Wi- 
clif  die  ausschliesslich  und  unbedingt  maassgebende ,  »unend- 
liche« Auktorität  der  Schrift  ausführlich  begründet,  abgeleitet  und 
vertheidigt,  während  Hus  dieselbe  nur  sich  aneignet,  festhält  und 
in  Schutz  nimmt.  Nicht  den  Grundsatz  selbst,  sondern  nur  eine 
Folge  desselben,  nämlich  den  Satz,  dass  die  heil.  Schrift  zur 
Regelung  der  Kirche  genugsam  sei,  führt  Hus  mit  umständlichem 
Beweise  aus 1  . 

Der  zweite  reformatorische  Grundgedanke  von  Hus  ist: 
die  wahre  Kirche.  Seine  Glaubenslehre  sowohl  als  sein  sitt- 
liches Streben  bewegt  sich  um  diesen  Angelpunkt. 

Wie  verhält  es  sich  mit  seiner  Lehre  von  der  Kirche?  Sie 
ist  keimartig  eingeschlossen  in  der  Definition  des  Begriffs : 
oKirche  ist  die  G e  s a m m t h e i t  der  Erwählte n . «  Darin  liegt, 
wie  wir  bei  der  Lehre  Wiclif's  sahen,  einmal  der  ewige  Grund 
der  Kirche,  nämlich  die  göttliche  Gnadenwahl ;  zum  andern  eine 
ideale ,  nicht  empirische  Anschauung  der  Kirche ,  aus  welcher 
ganz  andere  Begriffe  von  Haupt  und  Gliedern  der  Kirche  sich 
ergeben,  als  diejenigen,  welche  gemeinhin  galten.  Doch  ist  nicht 
zu  übersehen,  dass  alle  diese  Folgerungen  nicht  unbedingt  und 
auf  den  ersten  Blick  gezogen  werden  mussten.  Es  ist  Tliar- 
sache,  dass  Hus  diesen  Begriff  der  Kirche,  der  ursprünglich  von 
Augustin  aufgestellt  ist,  von  Anfang  an  vorausgesetzt  und  aus- 
gesprochen bat,  schon  zu  einer  Zeit,  wo  er  von  jedem  Gedanken 
an  Opposition  gegen  Hierarchie  und  Papstthum  weit  entfernt  w  ar. 
In  einer  Ansprache,  die  er  als  Synodalprediger  Namens  des  Erz- 
bischofs  im  Jahr  1405  an  die  versammelte  Geistlichkeit  der  Trä- 
ger Kirchenprovinz  gehalten  hat,  definirt  er  bereits  ecclesia  als 
praedestinatorum  universitas2).    Diesen  Begriff  combinirt  er  da- 

1)  Dt  suJficientHt  legi*  Christi  ad  regendam  ecelesiam,  Opp.  I.  11-— l^1. 
Vgl.  Schwabe,  Ueber  die,ref'ormatorische  Theologie  des  Joh.  Hus,  Denk- 
schrift des  ev.  Prediger -Seminariums  in  Friedberg.  Friedb.  1862.  115  ff. 
FRIEDRICH,  Die  Lehre  des  Johann  Hus.    Kegensburg  ISI>2.  U2  H'. 

2    Opp.  II,  2Si. 


Husens  Lehre;  von  der  Kirche. 


selbst  mit  der  bei  den  Scholastikern  beliebten  Dreiteilung : 
ecclesia  militans,  dormiefis,  triumphaus.  in  der  Art.  dass  erster« 
die  Menge  der  Erwählten,  so  lange  sie  auf  Erden  pilgern,  die 
mittlere  die  Erwählten  im  Fegefeuer,  die  dritte  die  Erwählten 
in  der  himmlischen  Heimath  umfasst.  Von  der  Eintheilung  der 
Kirche  auf  Erden  in  Klerus,  Herren  und  Arbeiter  oder  Volk, 
welche  Hus  mit  seinem  Zeitalter  gemein  hat.  sehen  wir  hier 
ganz  ab. 

Seit  dem  Jahr  1410  zieht  Hus  die  Consequenzen.  welche  in 
jenem  Kirchenbegriff  an  sich  liegen,  die  ihm  aber  früher  nicht 
bewusst  waren.  Er  hat  dieselben  in  mehreren  Streitschriften, 
namentlich  in  seiner  reformatorischen  Hauptschrift  De  ecclesia 
vom  Jahr  I  1 1 3 .  entwickelt  und  seinen  Widersachern  gegenüber 
vertheidigt. 

Der  Augustinisehe  Kirchenbegriff,  welchen  Hus  unzweifel- 
haft von  Wiclif  überkommen  hat,  fasst  die  Kirche  als  die  Ge- 
sammtheit  der  Erwählten,  und  schliesst  hiemit  alle  diejenigen 
aus.  welche  nicht  aus  Gnaden  zur  ewigen  Seligkeit  erwählt  sind, 
die  Vorhergesehenen  [praesciti  ,  wie  Hu  s  nach  Wiclif 's ,  aber 
nicht  Augustinus  Vorgang  sich  auszudrücken  pflegt.  Eben  damit 
ist  aber  eine  Unterscheidung  gegeben,  welche  schon  August  in 
macht,  nämlich  zwischen  dem  wahren  und  dem  nur  schein- 
baren oder  gemischten  Leibe  Christi  [corpus  Domini  verum  ac 
simulatum  s.  permixtum  .  Alle  Gerechten  vom  Anfang  der  Welt 
an  .  alle  aus  Gnaden  zur  Seligkeit  Erwählten,  sind  Glieder  am 
Leibe  Christi,  wirkliche  Glieder  der  Kirche;  alle  übrigen 
nicht,  wenn  sie  auch  erweckt  und  bekehrt  sind  und  sittlich  gut 
wandeln,  so  dass  sie  Kinder  Gottes  scheinen  undheissen;  aber 
das  Beharren  bis  ans  Ende  fehlt  ihnen,  schliesslich  gehen  sie 
doch  verloren,  denn  sie  sind  eben  nicht  von  Ewigkeit  erwählt, 
sondern  vorhergesehen1).  Die  Mitgliedschaft  an  dem  wahren 
Leibe  Christi,  an  der  wahren  Kirche,  wurzelt  in  der  ewigen  Gna- 
denwahl;  demgemäss  lässt  sie  sich  nicht  mit  Sicherheit  aus- 
machen, in  keinem  Fall  an  irgend  einem  äusseren  Merkmal  er- 
kennen.  Niemand  kann  von  sich  selbst  oder  von  irgend  einem 


1    De  ecclesia  e.  4  u.    :  Praedestinati  sunt  nwmhru  corporis  mystiei. 


240 


Buch  III.   Kap.  3.  VII. 


andern  gewiss  wissen,  ob  er  ein  Erwählter,  also  ein  wirkliches 
Glied  der  Kirche  sei;  er  kann  das  immer  mir  vernmthen  und 
hoffen;  aber  eben  so  wenig  kann  man,  ohne  eine  besondere  Offen- 
barung- Gottes,  von  jemand  kategorisch  behaupten,  dass  er  durch 
Gottes  Vorhersehen  von  der  Seligkeit  ausgeschlossen  und  ewig 
verdammt  sei l) .  Indessen  gibt  es  doch  gewisse  Kennzeichen,  aus 
welchen  jemand  mit  Wahrscheinlichkeit  schliessen  kann,  dass  er 
von  Gott  erwählt  sei,  nämlich  1.  Andacht  beim  Hören  und  Freude 
beim  Verstehen  der  Worte  Gottes;  2.  williges  und  freudiges  Voll- 
bringen guter  Werke;  3.  Abscheu  vor  Sünden;  4.  Schmerz  und 
Zerknirschung  wegen  früher  begangener  Sünden 2) .  Diese  Kenn- 
zeichen sind  lauter  innere  Stimmungen  und  sittlich-religiöse 
Gesinnungen.  Demgemäss  sind  auch  diejenigen  Unterscheidungs- 
zeichen, mit  Hülfe  deren  über  andere  ein  Urtheil  dahin  gefällt 
werden  kann,  dass  sie  Erwählte  und  Kinder  Gottes  seien,  ledig- 
lich sittlicher  Art,  so  dass  wenigstens  negativ  aus  dem  mit  der 
Nachfolge  Jesu  unvereinbaren  Wandel  eines  Menschen  der  Schluss 
sich  ziehen  lässt,  dass  er  kein  Erwählter  sei. 

Das  alles  ist  von  grosser  Tragweite.  Denn  es  folgt  daraus, 
dass  äussere  Mitgliedschaft  an  der  Kirche,  ja  selbst  Aemter  und 
Würden  in  derselben,  keine  Bürgschaft  dafür  bieten,  dass  die  be- 
treffenden Personen  nur  überhaupt  wirkliche  Mitglieder  der  wah- 
ren Kirche  seien.  Kann  doch  jemand  in  der  Kirche  sein,  ohne 
dass  er  von  der  Kirche  ist;  wer  aber  von  der  Kirche  ist,  der  ist 
auch  i n  der  Kirche 3) .  Wer  hingegen  nur  i  n  der  Kirche,  nicht  von 
ihr  ist,  der  gleicht  der  Spreu  unter  dem  Korn  auf  der  Tenne,  dem 
Unkraut  in  dem  Waizenacker  ein  Bild,  das  schon  August  in 
anwendet,  In  Joh.  Ev.  Tract.  VI,  12). 

Dazn  kommt  noch  ein  weiterer  Gesichtspunkt.  Diejenigen, 
welche  in  der  Kirche  sind  und  doch  nicht  wahrhaft  zur  Kirche 
Christi  gehören,  sind  in  Wahrheit  Glieder  der  falschen  Kirche  des 
Widerchrists,  und  stammen  sittlich  vom  bösen  Feinde.  Uns 


1    De  tribus  dttbiis,  Opp.  I,  1691. 

2)  Expücatio  in  II.  ep.  Petri   zu  1,  9  folg.),  Opp.  II,  180«. 

3)  De  Bedeutet,  C.  'S  :  Aliud  est  esse  de  ecclesia,  aliud  esse  in  eeele- 
.sia;  nach  1.  Joh.  2,  1<>.  Opp.  I,  IM*. 


Husens  Lehre:  sein  Kirchenbegritt*. 


241 


unterscheidet,  und  weist  darauf  hin.  dass  erst  am  jüngsten  Ge- 
richt Christus  scheiden  wird,  wie  ein  Hirte  die  Schate  von  den 
Böeken  scheidet.  Derzeit  sind  alle  unter  einander  gemengt,  die 
Gemeinde  der  Heiligen  und  die  der  Bösen  und  Verworfenen,  die 
Heerde  der  Schafe  und  die  der  Bücke:  und  doch  sind  sie  im  Kern 
und  Wesen  zwei  grundverschiedene  Dinge  1  .  Die  Sünde  übt  eine 
bindende  und  eine  trennende  Kraft  aus:  sie  bindet  die  Glieder  des 
Satans,  und  sie  trennt  dieselben  von  der  Gemeinschaft  der  Seligen  : 
wie  die  Wärme  chemisch  gemischte  Grundstoffe  löst  und  Itc- 
wirkt, dass  das  Wahlverwandte  sich  sucht  und  verbindet,  aber 
auch  Fremdartiges  sich  scheidet  und  räumlich  trennt  2  . 

Gehen  wir  auf  den  einfachen  Begriff  der  Kirche  als  »Ge- 
-ammtheit  der  Erwählten«  zurück,  so  ist  es  die  Gnadenwahl 
(rottes  um  Christi  willen,  welche  dabei  vorausgesetzt  ist.  Darin 
liegt  ferner  die  Wahrheit,  w  elche  als  ein  Grundgedanke  bei  H  u  s 
immer  wieder  zur  Sprache  kommt:  Christus  ist  der  Grund,  auf 
den  die  Kirche  gebaut  ist:  Christus  das  Haupt,  das  alleinige  Haupt 
seiner  Kirche  von  je  her.  Die  Gnadenwahl  ist  das  Band,  wodurch 
die  Kirche  als  der  Leib  mit  Christo  als  dem  Haupt  verknüpft 
ist  1  .  Die  streitende  Kirche  auf  Erden  ist  mit  Christo  als  dem 
Haupte  verbunden  :  eines  anderen  Hauptes  neben  ihm  bedarf  die 
Kirche  nicht,  er  ist  ihr  alleiniges  und  allgenugsames  Haupt4  . 
Ind  jedes  Mitglied  der  wahren  Kirche  auf  Erden,  jeder  Erwählte 
ist  auch  ein  Glied  an  dem  Leibe  Christi,  und  mit  ihm  als  dem 
Haupte  innerlich  und  wesentlich  verbunden.  Während  die  durch 
Cottes  ewiges  Voraussehen  zur  Verdammniss  bestimmten  schliess- 

1  De  ecclesia,  c.  1.  Tina  est  ecclesia  haedorum  et  altera  avium,  una 
ecclesia  saitctorum  et  aliß  reproborum  etc.  Opp.  I,  1901.  c.  0.  S.  2U51  ff. 
Ecclesia  saneta  catho/ica  —  ecclesia  malignantium ;  ecclesia  Christi  —  si/tia- 
yoga  Satanae. 

2  a.  a.  O.  2052. 

3  üesjwnsio  ad  scripta  Stephani  Paletz,  Opp.  I,  257 1 :  Junctura  corpo- 
ris ecclesiae  et  Christi  capitis  —  cjratia  praedestinationis. 

4)  De  ecclesia,  c.  4.  S.  202'2.  So  Ins  Christus  est  caput  universalis  eccle- 
siae. c.  15.  S.  2242:  Christus  est  caput  sufficientissimum,  sicut  proba- 
vit  per  trecentos  annos  et  amplius,  quando  prosperata  est  sua  ecclesia. 
Lechlee,  Wiclif.  II.  ](j 


242 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


lieh  Glieder  an  einem  Leibe  sind,  dessen  Haupt  der  Teufel  ist 1  . 
Dieser  Dualismus  wird  nun  streng  durchgeführt.  Hus  unter- 
scheidet wahrhaftige  Christusverehrer  von  falschen  Christen2  : 
er  weiss  nicht  blos  von  einer  christlichen  Geistlichkeit,  sondern 
auch  von  einer  widerchristlichen  Geistlichkeit ;v ,  welche  nur  ver- 
derblich wirken  kann  4) . 

Es  fällt  sofort  in's  Auge,  was  dieser  Dualismus  zu  bedeuten 
hat.  Damit  jedoch  die  Schroffheit  desselben  nicht  allzu  auffallend 
erscheine,  erinnern  wir  auch  hier,  wie  schon  oben  bei  Wiclif 
selbst5),  an  die  Thatsache,  dass  sogar  ein  Papst  wie  Gregor  VII. 
ganz  eben  so  zwischen  »Gliedern  Christi«  und  »Gliedern  des  Teu- 
fels oder  des  Antichrist«  zu  unterscheiden  pflegte.  Nur  dass  Hus . 
nach  Wiclif  s  Vorgang,  diesen  Dualismus  vom  Standpunkt  der 
Opposition  gegen  die  Romanisten  kehrte,  während  Hildebrand 
ihn  vom  Standpunkt  Rom's  aus  gegen  die  Opposition  verwerthete. 

Die  Begriffe  vom  Papstthum,  seiner  Notwendigkeit  und  Be- 
rechtigung, von  der  kirchlichen  Vollmacht  und  der  entsprechenden 
Pflicht  des  Gehorsams  u.  s.  w.,  gestalteten  sich  dem  Bisherigen 
entsprechend.  Doch  dürfte  es  nicht  überflüssig  sein,  hier  zu  er- 
innern, dass  Hus,  ebenso  wie  Wiclif  selbst,  nur  allmählich  und 
Schritt  vor  Schritt  zu  diesem  Standpunkt  gelangt  ist,  den  er  am 
vollsten  und  entschiedensten  in  seiner  Schrift  vom  Jahr  1413  De 
ecclesia  dargelegt  hat.  Stanislaus  von  Znaim  und  Stephan 
von  Paletz  stellten  die  Behauptung  auf,  dass  der  Papst  das 
Haupt  und  die  Körperschaft  der  Cardinäle  der  Leib  der  römischen 
Kirche  sei ,  und  dass  jener  als  Nachfolger  des  Apostelfürsteil 


1)  a.  a.  O.  c.  5.  S.  2ü5a  sollte  heissen  203a)  :  Praesciti  sunt  final  iter 
membTtt  diaboli.  c.  6.  S.  205a:  Ecclesia  malignantium  est  corpus  diti- 
boli,  cujus  ipse  est  caput. 

2)  veraces  ehr  istico  lae ,  a.  a.  O.  c.  11.  S.  217'-. 

'.\  a.  a.  O.  c.  15.  p.  2201 :  Hie  oportet  considerare  sectam  oleri  duplicem, 
scilicet  der  um  Christi  et  clerum  Antiehristi.  Clerus  Christi  quietatut  in  suo 
capite  Christo  ac  suis  legibus,  clerus  vero  Antiehristi  —  innititur  legibus  hu~ 
manis  et  legibus  Antiehristi,  et  tarnen  palliatar  esse  clerus  Christi  et  eeele- 
siae.  Zugleich  ein  abermaliger  Beweis,  wie  sehr  die  Grundbegriffe  »Christi 
Gesetz«  und  »wahre  Kirche«  bei  Hus  in  einander  greifen. 

4)  a.  a.  O.  c.  11.  clerus  pestifer. 

5   Buch  II.  Kap.  7. 


Hus  ens  Lehre :  Kirche  und  Papst 


24:'» 


Petrus,  diese  als  Nachfolger  des  Apostelcollegiums  die  Vollmacht 
kirchlichen  Regimentes  und  letzter  Entscheidung*  in  allen  Lehr- 
fragen  besitzen  u.  s.  w.  1  .  Dieser  Theorie  gegenüber  führt  Hus. 
in  Gemässheit  obiger  Grundbegriffe,  folgendes  aus  : 

1  Nicht  der  Papst  ist  das  Haupt  der  allgemeinen  Kirche, 
sondern  Christus  allein  ist  dieses  Haupt-  .  Wenn  irgend  ein  Christ 
neben  Christo  das  Haupt  der  allgemeinen  Kirche  wäre,  so 
müsste  er  entweder  selbst  Christus  sein  oder  über  Christo  stehen. 
Ist  doch  nicht  einmal  Petrus  oder  Paulus  die  beiden  »römischen 
Apostel«  .  geschweige  irgend  ein  anderer  Christ  ausser  Christo, 
der  Grund  oder  das  Haupt  der  Kirche 3  . 

2  Lediglich  nur  dann,  wenn  er  in  Christi  Fusstapfen  einher- 
geht und  nach  Christi  Gesetz  wandelt,  apostolisch  lebt  und  lehrt, 
ist  der  Bischof  von  Rom  Christi  Stellvertreter,  des  Ap.  Petrus 
Nachfolger  und  Inhaber  des  »apostolischen  Stuhles«.  Hingegen 
ein  Papst,  der  Christo  zuwider  lebt,  heisst  gemeiniglich  ein  Wider- 
christ 4J:  in  diesem  Fall  steht  »der  Greuel  der  Verwüstung  an  hei- 
liger Stätte« 5  .  Wenn  der  Papst  die  Lehre  der  Apostel  hintan- 
setzt, so  ist  er  nicht  »apostolisch«,  sondern  »pseudoapostolisch' (i  ; 
zum  Beispiel  ein  habsüchtiger  und  geiziger  Papst  ist  ein  Stellver- 
treter des  Judas  Ischarioth,  der  den  Heiland  verkauft  hat.  Eben- 
so ist  das  Cardinalscollegium  entweder  der  wahre  oder  der 
nur  scheinbare  Leib  der  römischen  Kirche :  jenes,  wenn  sie  den 
Aposteln  nachfolgen  in  Lehre  und  Leben :  dieses,  wenn  sie  un- 
apostolisch leben  und  lehren 7  . 

3  Demgemäss  ist  die  päpstliche  Vollmacht  und  die  ent- 
sprechende Pflicht  kirchlichen  Gehorsams  eine  durchaus  be- 
dingte, gemessene  und  beschränkte.  Es  gibt  da  keine  Pflicht 
unbedingten  und  blinden  Gehorsams.  Päpstliche  Gebote  sind  nur 
dann  zu  befolgen,  wenn  sie  im  Gesetze  Christi  gegründet  sind: 


1)  Palacky,  Docmn.  47 5  folg.,  vgl.  De  Ecclesia,  c.  13.  Opp.  I,  219- ff. 
2}  De  ecclesia,  c.  7.  S.  20S1.  c.  12  u.  13.  S.  220»  ff. 
3)  a.  a.  O.  c.  4.  9. 

4  a.  a.  O.  c.  13.  S.  220». 

5  a.  a.  O.  c.  16.  S.  2291. 

6  a.  a.  O.  c.  IS.  S.  2341. 

7  a.  a.  O.  c.  14.  S.  223'  ff. 

1(3* 


244 


Buch  III.    Kap.  M.  VII. 


lauten  sie  demselben  zuwider,  so.  gilt  es,  ihneu  muth vollen  Wider- 
stand zu  leisten,  so  wie  der  Bischof  von  Lincoln  einst  dem  Papst 
Innocenz  IV.  ').  Dann  ist  es  sogar  Pflicht,  trotz  päpstlichem  Ver- 
bot und  Bann.  Christi  Befehl  zu  befolgen,  z.  B.  das  Evangelium 
zu  predigen,  wie  Hus  selbst  gethan  hat2  .  Und  um  dessen  ge- 
wiss zu  sein,  ob  die  päpstlichen  Erlasse  schriftgemäss  sind,  ist 
der  Untergebene,  und  nicht  blos  der  Kleriker  sondern  auch  der 
Laie,  verpflichtet  und  berechtigt,  die  Vorschriften  seines  Oberen 
zu  prüfen :v .  Auch  die  kirchlichen  Censuren  und  Zuchtmittel,  als 
Suspension,  Bann  und  Interdikt,  haben  nur  insofern  Gültigkeit, 
als  sie  dem  Willen  Gottes  und  der  Verfügung  des  höchsten  Oberen, 
Jesu  Christi,  entsprechen ;  kein  Vorgesetzter  soll  jemand  in  den 
Bann  thun,  es  sei  denn  er  wisse  zuvor,  dass  derselbe  von  Gott 
gebannt  sei.  Sonst  dienen  diese  Mittel  der  Disciplin  nur  dazu, 
den  Klerus  zu  erhöhen  und  dem  Widerchrist  den  Weg  zu  berei- 
ten4 .  Einer  angemaassten  Gewalt  widerstehen  heisst  aber  nicht 
der  Ordnung  Gottes,  sondern  dem  Misbrauch  der  Gewalt  wider- 
stehen 5  . 

4.  Der  Bischof  von  Rom  stand  ursprünglich  den  übrigen  Bi- 
schöfen an  Vollmacht  und  Würde  gleich.  Erst  300  Jahre  nach 
Christo  hat  ihn  Kaiser  Constantin  durch  seine  Schenkung  über 
andere  Bischöfe  gestellt  und  ihm  päpstliche  Vollmacht  verliehen (i  . 
Letztere  ist  im  Laufe  der  Zeit  noch  gesteigert  worden.  Nachdem 
aber  ein  Jahrtausend  seit  Christi  Geburt  verflossen  war.  ist  der 
Teufel  los  geworden;  seit  dieser  Zeit  ist  z.  B.  das  Interdikt  erst 
aufgekommen  und  in  immer  erweitertem  Maasse  angewandt  wor- 


1,  a.  a.  O.  c.  17  ff.  Opp.  I,  'l'.io2.  241-,  vgl.  llefutatio  dicH  oeto  docto- 
torum,  2932. 

2   De  ecclesia,  c.  21.  Opp.  I,  2442  ff. 

3)  a.  a.  O.  c.  19.  S.  239«:  »Unde  e&aminare  debet  diacretus  subditm 
praecepUt  praepositi,  quando  videtur  declinare  a  lege  Christi  rel  sua  regiila. 
Non  emm  quilibet  praepositus  est  incorrigibiti». 

4)  a.  a.  O.  c.  22  folg.  S.  2492,  251«  folg.,  vgl.  c.  10.  215«. 
5]  a.  a.  O.  c.  11.  S.  21 7*  folg. 

('»  Hierin  liegt  deutlich  die  folgenreiche  Ueberzeugung,  dass  das  Papst- 
thum nicht  göttliche  Stiftung,  sondern  eine  menschliche  Institution  sei,  nicht 
göttliches  Recht,  sondern  nur  menschliches  Kecht  für  sich  habe. 


Husens  Lehre:  Kirche  und  Papst. 


den.  der  Widerchrist  bat  es  jetzt  aufs  höchste  getrieben.  Gott 
kann  aber  das  vom  Kaiser  verliehene  Privilegium  des  Papstes 
auch  wieder  aufheben  und  die  Kirche  zur  ursprünglichen  Gleich- 
heit der  Bischöfe  zurückführen.  Und  das  wird  um  so  notwen- 
diger, als  die  verderbliche  Spaltung  der  Kirche  zwischen  nun- 
mehr drei  Päpsten  ihre  Ursache  eben  in  jener  Schenkung  Con- 
stanrins  und  dem  durch  ihn  verliehenen  Vorrecht  des  Papstes 
hat 1  .  Kleriker  sollen  durch  Aufdecken  der  Sünden  und  Schäden, 
und  durch  unerschrockene  Predigt  des  Worts  und  Gesetzes  Christi 
zur  Besserung  helfen.  Fürsten  und  Herren,  als  die  das  Schwert 
von  Gott  haben;  sollen  die  Feinde  Gottes  strafen,  auch  die  Bos- 
heit des  Klerus  züchtigen .  die  Kirche  reinigen .  böse  Priester, 
welche  den  Tempel  entweihen,  austreiben,  wie  Christus  Käufer 
und  Verkäufer  aus  dem  Tempel  getrieben  hat2  .  Insbesondere 
mögen  sie  gewissenlosen  Klerikern  die  Kirchengüter  entziehen 
und  sie  dadurch  züchtigen  und  bessern  3  . 

War  das  letztere  erklärtermaassen  ein  Grundsatz  von  Wi- 
elif  zu  dem  sich  Hus  offen  und  rückhaltlos  bekannte,  so  ist 
nicht  minder  Husens  ganze  Lehre  von  der  Kirche,  wie  sie  in 
ihren  Umrissen  so  eben  gezeichnet  wurde,  durchweg  von  Wiclif 
her  überkommen,  wenn  auch  dessen  Name  hiebei  nicht  ausdrück- 
lich genannt  wird.  Es  ist  Thatsache.  dass  die  sämmtlichen 
uiaass^ebenden  Begriffe  und  Anschauungen  von  Wiclif  ausge- 
sprochen sind,  so  dass  nur  die  jedesmalige  Ausführung  Husens 
Kigenthum  ist 1  .  Aber  auch  die  Begründung  und  Beweisführung 
für  die  Hauptsätze  richtet  sich  nicht  selten  nach  Wiclif 's  Vor- 

l    a.  a.  O.  c.  15.  Opp.  I,  224*  ff.  c.  23;  S.  2521.  c.  ll>.  S.  23U*. 
1    Contra  occultum  adversarium,  Opp.  I,  1352  ff. 

■>>  De  ablatione  temporalium  a  clericis.  Verteidigung  eines  Wiclif '- 
sehen  Satzes),  Opp.  I,  1172  ff. 

4  In  der  Hauptsache  hat  dieses  Verhältniss  einer  der  bedeutendsten 
gelehrten  Gegner  von  Hus  richtig  erkannt.  Der  Karthäuserprior  Stephan 
von  Dolan  sagt  in  seinem  »Sendschreiben  an  die  Hussiten«  vom  Jahr  141". 
bei  Pez  ,  Thesaurus  aneedotorum,  IV,  2.  003.  c.  12:  Magister  vester  Hus 
fahrieavit  et  conßnxit  sihi  ex  libris  et  intentione  —  Wikleff  —  tractatum, 
quem  appeUavit  de  Ecelesia  ,  plenum  eontemptu  universalis  s.  Matris 
Ecc-esiae. 


246 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


gang.  Seine  Kenntnis?  von  Grossetete  nnd  dessen  Opposition 
wider  Innocenz  IV.  verdankt  Hus  nachweisbar  den  Schriften 
Wiclif's:  auch  die  kirchengeschichtliche  Anschauung  von  den 
drei  ersten  Jahrhunderten,  vom  Aufschwung  des  Papstthums  an- 
geblich durch  Constantin  s  Schenkung,  so  wie  von  dem  Loswerden 
Satan  s  nach  Verfluss  des  ersten  Jahrtausends  seit  Christo,  ist  un- 
streitig von  W  i  c 1  i  f  auf  Hus  vererbt.  Wenn  N  e  an  de  r  urtheilt, 
dass  bei  Hus,  vermöge  seiner  vorherrschend  praktischen  Rich- 
tung ,  keine  so  schroffen  und  harten  Aussprüche  über  die  Leug- 
nung aller  Freiheit  sich  finden  wie  bei  Wiclif  l),  so  beruht  dies 
auf  Irrthum  und  ungenügender  Kenntniss  Wiclif's. 

Ehe  wir  zu  der  Sakramentslehre  von  Hus  übergehen,  möge 
eine  andere  Frage  berührt  werden. 

Nämlich  was  die  Heilsordnung  anlangt,  so  gehen  die  An- 
sichten der  Gelehrten  weit  aus  einander.  Die  einen  urtheilen. 
Hus  lehre  von  der  Rechtfertigung  durch  den  Glauben  voll- 
kommen protestantisch 2  :  die  andern  behaupten .  seine  Recht- 
fertigungslehre sei  vollkommen  römisch-katholisch  3  .  Hätten  die 
ersteren  Recht,  so  würde  Hus  einen  bedeutenden  Fortschritt  über 
Wiclif  hinaus  in  der  Richtung  auf  die  Lehre  der  deutschen  Re- 
formation gemacht  haben,  wahrend  wir  ihn  bisher  ganz  in  W  i  - 
clif  s  Fusstapfen  treten  sahen.  Wie  verhält  es  sieh  damit  ? 

Nach  sorgfältiger  Prüfung  müssen  wir  dem  katholischen  Ge- 
lehrten Friedrich  Recht  geben  und  zugestehen,  dass  Hus  nicht 
die  evangelische  sondern  die  römisch-katholische  Lehre  von  der 
Rechtfertigung  vorträgt.  Sobald  man  einerseits  die  hier  einschla- 
genden Fragen  klar  unterscheidet ,  andererseits  die  betreffenden 
Aeusserungen  von  Hus  im  Zusammenhang  fasst,  kann  man 
unseres  Erachtens  nur  auf  das  genannte  Ergebniss  kommen.  Es  ist 
wahr,  wir  finden  bei  Hus  einzelne  Sätze,  welche,  isolirt  für  sich 

1  Allgem.  Gesch.  der  christl.  Keligion  und  Kirche.  3.  Autt.  1856.  II, 
Vjf>.  Ebenso  ist  die  Meinung  Schwabe's,  Denkschrift.  Friedberg  1M»2. 
S.  7,  dass  Hus  die  Lehre  von  der  Gnadenwahl,  »in  gemilderter  Form«, 
von  Wicli f  entlehnt,  unzutreffend. 

2  Schwabe,  a.  a.  ().  115  ff.;  ihm  folgt  Krümmki..  Gesell,  der  böhm. 
Reformation,  3S7  ff. 

Friedrich,  die  Lehre  des  Joh.  Hus.  8.  70. 


Husens  Lehre:  von  der  Rechtfertigung. 


247 


genommen,  wie  acht  evangelische  Sätze  klingen,  z.  B.:  »Christus 
allein  ist  der  Mensch,  welcher  für  die  Menschheit  die  Seligkeit 
grundlegend  verdient« :  ferner :  »Niemand  wird  durch  das  Gesetz 
sondern  nur  durch  den  Glauben  au  Christum  gerechtfertigt«; 
oder :  »Gottes  Gnade  wird  nicht  durch  euer  Verdienst  erworben, 
sondern  frei  geschenkt« 1  .  Allein  man  lasse  sich  nicht  durch  den 
Schein  täuschen!  Der  erste  Satz  ist  ein  Stück  der  Lehre  vom 
Werke  Christi,  nicht  von  der  Heilsordnung.  Der  zweite  betrifft 
allerdings  die  Lehre  von  der  Heilsordnung,  gehört  aber  zu  dem 
Consensus  zwischen  dem  römischen  und  evangelischen  Lehr- 
begriff. Der  dritte  Satz  endlich  tritt  blos  der  Ansicht  entgegen, 
dass  der  Mensch  durch  sein  sittliches  Verhalten  und  Streben  die 
zur  Bekehrung  erforderliche  Gnadengabe  verdienen  könne, 
keiuesweges  aber  dem  Satze,  dass  der  Christ  im  Gnadenstande 
fähig  sei,  durch  eigene  Werke  das  ewige  Leben,  die  Seligkeit  zu 
verdienen.  Diesem  letzteren  Satze  tritt  Hus  mit  allen  den 
Aussprüchen,  auf  welche  man  sich  beruft  und  berufen  kann,  so 
wenig  entgegen,  dass  er  sich  vielmehr  zu  demselben  öfters  be- 
kennt, und  zum  Theil  gerade  im  Zusammenhang  mit  Aeussenm- 
gen .  welche  vollkommen  evangelisch  klingen ,  den  Begriff  des 
Verdienstes«  voraussetzt.  Wenn  Hus  in  der  IX.  Predigt  un- 
mittelbar vor  der  so  eben  angeführten  Sentenz  ausspricht :  »der 
Herr  Christus  ist  der  Grund  des  ganzen  Verdienstes  der  Glieder 
seiner  Kirche« 2) .  so  ist  ja  klar  wie  der  Tag,  dass  der  Begriff  eines 
wirklichen  Verdienstes  nicht  beseitigt,  sondern  im  Gegentheil 
festgehalten  und  vorausgesetzt  ist.  Der  Begriff  vom  Verdienst 
im  Gnadenstande,  oder  die  Annahme,  dass  der  durch  Gottes  un- 
verdiente Gnadenwirkung  erweckte  und  bekehrte  Sünder  nun- 
mehr mit  Hülfe  der  Gnade  Gottes  durch  Christum  im  heil.  Geist 
so  zu  handeln  im  Stande  sei.  dass  er  das  Wohlgefallen  Gottes 
und  schliesslich  das  ewige  Leben  wirklich  verdiene,  diese  An- 
nahme hat  in  Hus  'ens  Denkart  und  Frömmigkeit  so  tiefe  Wurzeln 


1  Scrmo  IX.  Opp.  II,  5iA  Explicatio  in  Ps.  IIS.  S.  2S6-\  Explicatio 
M  I.  ep.  Petri  c.  1.  13.  II.  155». 

2  Opp.  II,  50'2:  Christas  dominus  noster  est  basis  tottus  meriti  mem  ■ 
hrnrum  ecclesiae. 


24s 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


getrieben,  dass  ich  mir  getrauen  mochte,  in  jedem  Abschnitt,  wo 
Hus  die  Rechtfertigung  durch  den  Glauben  allein  zu  bezeugen 
scheint  ,  den  acht  römisch-katholischen  Begriff  des  Verdienstes 
nachzuweisen.  Ein  einziges  Beispiel  statt  vieler:  Krümmel  be- 
ruft sich  auf  die  Erörterung  Hus  ens  über  Jae.  2,  21  ff.,  und 
betont  insbesondere  die  Worte:  »Der  Glaube,  durch  welchen 
Abraham  zuvor  gerecht  war,  führte  ihn  zu  den  Werken,  welche 
ohne  Glauben  nicht  verdienstlich  sein  würden :  denn  ohne  Glau- 
ben ist  es  unmöglich  Gott  zu  gefallen«  u.  s.  w.  r  .  Aber  Hus  be- 
hauptet ja  in  eben  diesen  Worten,  dass  die  Werke  des  Gläubigen 
in  der  That  »verdienstlich«  seien.  Es  ist  in  allen  Auslas- 
sungen Hus  ens  über  Gnade.  Glauben  und  Werke  in  der  That 
nichts  zu  entdecken,  was  der  römisch-katholischen  Lehre  von  der 
Heilsordnung  widersprechen  würde.  Insbesondere  ist  seine  An- 
schauung von  der  Heilsordnung  der  Art,  dass  sie  mit  der  Lehre 
Wiclif's2)  sich  vollständig  deckt,  nicht  aber  so  gestaltet,  dass 
sie  über  Wiclif  hinausginge  und  dass  man  sagen  dürfte.  Hus 
stehe  »ganz  entschieden  auf  dem  Grunde  der  evangelisch-prote- 
stantischen Rechtfertigungstheorie  - 

In  dem  Lehrstück  von  den  Sakramenten  wurde  Hus  von 
seinen  Gegnern  beschuldigt,  er  wolle  nicht  glauben,  dass  die  Lehre 
Wiclif's  von  den  sieben  Sakramenten  falsch  und  unkatholisch 
sei.  Allein  diese  Aeusserung  selbst  ist  augenscheinlich  mit  Vor- 
sicht ausgedrückt;  sie  besagt  nicht,  dass  Hus  sich  gegen  die 
Kirchenlehre  von  der  Siebenzahl  der  Sakramente  erklärt  habe, 
sondern  nur.  dass  er  die  Ansicht  Wiclif's  von  den  7  Sakramen- 
ten nicht  für  irrthümlich  halte.  Es  hat  auch  in  der  That  den 
Anschein,  als  habe  Hus  in  diesem  Punkte  Wiclif's  Urtheil  sieh 
nicht  angeeignet,  nämlich  seine  Kritik  über  die  in  der  scholasti- 
schen Wissenschaft  seiner  Zeit  angenommene  Satzung  von  der 


1  Ej-plictitio  in  cp.  Jacob i ,  Opp.  II,  133*:  opera,  quue  höh  cssoit 
meritoria  sine  Jide  etc. 

2  s.  III.  Huch.  Kap.  7.  VIII. 

•1  Krümmel,  a.  a.  O.  389,  Wir  finden  nachträglich,  dass  wir  in  die- 
sem Urtheil  mit  RlTSCHL ,  Die  christl.  Lehre  von  der  Rechtfertigung  und 
Versöhnung,  1^1^70.  119,  zusammentreffen. 


Husens  Lehre :  von  den  Kakramenten 


249 


Siebenzabl  der  Sakramente,  welche  ja  kirchliche  Sanktion  erst 
1  139  durch  das  Concil  zu  Florenz  erhalten  hat. 

Wohl  aber  hat  er  sich  erlaubt,  in  Betreff  des  >P>  uss- Sa  kra- 
me nts*.  die  Ansicht  geltend  zumachen,  dass  unter  den  gemeinig- 
lich angenommenen  drei  Stücken  der  Busse :  contritio  cordis,  c<>n- 
fessio  oris,  satirfactio  operis.  das  mittlere,  nämlich  das  mündliche 
Sundenbekenntniss,  die  Beichte,  nicht  schlechthin  nothwendig  sei. 
dass  vielmehr  schon  das  Bekenntniss  des  Herzens  hinreichend 
sei 1  .  Das  war  nicht  etwa  eine  neue  und  gewagte  Ansieht:  hatte 
doch  Richard  von  St.  Victor  und  der  »Magister  der  Sentenzen* 
Peter  der  Lombarde,  selbst  sieh  in  diesem  Sinne  ausgespro- 
chen2 .  Und  zuletzt  hatte  noch  Wiclif  sich  entschieden  auf 
diese  Seite  gestellt.  Doch  das  war  von  keiner  Bedeutung  im 
Vergleich  mit  der  Frage  über  die  Heils  Wirkung  der  Sakra- 
mente überhaupt  und  die  Bedingtheit  derselben  durch  den  Gna- 
denstand  des  sie  verwaltenden  Priesters. 

Die  Gegner  bezichtigten  Hus,  er  habe  behauptet.  das> 
jeder  Priester  nur  wenn  er  in  der  Gnade  steht,  die  Consekration 
im  Sakrament  des  Altars  wirklich  vollziehen  oder  die  Absolution 
im  Buss-Sakrament  gewähren  könne :  ein  Priester .  der  in  einer 
Todsünde  steht,  könne  nichts  ausrichten,  weder  wirklich  absei - 
viren  noch  in  der  Consekration  die  Wandlung  zu  Stande  brin- 
gen:!  .  Hus  selbst  hat  aber  beharrlich  erklärt,  es  sei  ihm  nie- 
mals beigekommen.  die  Wirksamkeit  sakramentaler  Handlungen, 
wenn  sie  von  einem  sittlich  unwürdigen  Priester  verrichtet  wer- 
den, zu  verneinen4  :  die  göttliche  Segensmacht  wirke  durch  einen 
guten  und  einen  bösen  Priester .  nur  verrichte  der  letztere  den 

1)  De  trihns  dttbife,  Opp.  I,  J(>S2.  109". 

2)  Auf  liichard  beruft  sich  in  dieser  Frage  Hus,  De  eedetsia,  c.  10. 
Opp.  I,  214- folg.:  auf  den  Lombarden,  De  trihits  dubiis.  I.  1682. 

3  Depositiones  testium  1414,  bei  Palacky,  Dorum.  175,  ferner  quod 
existens  in  mortali  peccato  presbyter  non  absolvit,  178,  vgl.  ISO.  1S4. 

4  In  dem  Schreiben  an  Papst  Johann  XXIII  vom  1.  Sept.  erklärt  Hie 
verschiedene  gegen  ihn  erhobene  Beschuldigungen  für  grundlos,  namentlich 
auch  die.  als  habe  er  gelehrt,  ein  Priester,  welcher  mit  einer  Todsünde  be- 
haftet ist.  könne  die  Consekration  in  der  Messe  nicht  bewirken:  fetke  sei', 
defemnt,  quod  doenerim  pojtulunt  ,  quod  sacerdo*  in  peccato  vtorta'i  7ion  con- 
ßcit.   Palacky.  Dorum.  S.  19. 


250 


Buch  III.    Kap.  :;.  VII. 


Dienst  Jesu  Christi  auf  sittlich  imwtiidige  Weise  und  zu  seiner 
eigenen  Verdammniss  l).  Nach  diesen  Aeusserungen,  denen  noch 
eine  ganze  Anzahl  ähnlicher  an  die  Seite  gestellt  werden  kön- 
nen2), lässt  sich  nicht  wohl  daran  zweifeln,  dass  Hus  keines- 
wegs behauptet  hat ,  die  Heilswirkung  der  Gnadenmittel  sei  von 
der  sittlichen  Würdigkeit  und  dem  Gnadenstande  des  dieselben 
verwaltenden  Priesters  abhängig .  und  ein  Sakrament,  wenn  es 
durch  einen  unwürdigen  Diener  der  Kirche  gespendet  werde .  sei 
aller  Heils  Wirkung  baar  und  ledig.  Wir  sind  in  dieser  Frage  un- 
serer Sache  um  so  gewisser,  als  wir  oben3  nachgewiesen  haben, 
dass  auch  Wie  Ii  f  die  objektive  Heilskraft  der  Sakramente  in 
der  That  nicht  (wie  gewöhnlich  angenommen  wird  von  der  sub- 
jektiven Würdigkeit  des  dieselben  verwaltenden  Priesters  abhän- 
gig gedacht  hat.  Und  Hus  hat  sich  in  seinen  hier  einschlagenden 
Aeusserungen  an  Wiclif  fast  wörtlieb  angeschlossen1 . 

Anlangend  insbesondere  die  Lehre  vom  heil.  Abendmahl, 
so  wurde  Hus  einer  doppelten  Irrlehre  bezichtigt:  1  er  bekämpfe 
die  Lehre  von  der  Wandlung ,  2  er  fordere  die  Spendung  unter 
beiderlei  Gestalt. 

Der  letztere  Punkt  war,  wie  wir  oben  gesehen"*  .  ursprüng- 
lich nicht  von  Hus  selbst,  sondern  von  seinem  Freunde  in  Prag. 

1)  Verum  est.  quod  dixi  et  dico,  quod  non  potest  sacerdos  existens  in 
mortali  peccato  dbsolvere  alium  <l  i g  n  <■  sive  meritorie.  Docum.  184  in  der 
Beantwortung  jener  Zeugenaussagen.  Vgl.  Responsio  ad  scripta  Stephani 
Paletz,  Opp.  I,  250 1 :  Minister  ille  malus  et  pestifer  non  baptisat  —  non 
consecrat  dif/ue.  sed  indif/ne  in  sui  da  mnationem  exercet  niinisteriuui 
Jesu  Christi. 

2)  Vgl.  Schwabe,  Denkschrift,  35 ff.  Friedrich,  Lehre  des  Joh.  Hus, 
104  ff. 

Ii   Buch  II.  Kap.  7. 

4    Z.  B.  WlCLIF,  De  Eeelesia.  c.  JJ>  's.  oben;:  Praeseitus  —  habet  

ad  s  ii  i  damnati<niem  et  eeelesiae  utilitatem  certa  officia.  Vgl.  Hus,  Resp. 
ad  9CT.  Paletz:  Minister  malus  in  sui  dam  n  a  t  io  n  em  exercet  miuisti-rium 
Jesu  Christi.  Demnach  ist  die  Ansicht  Palacky's,  Gesch.  von  Böhmen,  III, 
I.  Iiis  insoweit  begründet,  als  er  anerkennt,  Hus  habe  den  Satz,  dass  die 
Sakramente  im  Fall  ihrer  Spendung  durch  einen  mit  einer  Todsünde  be- 
hafteten Priester  ihre  Heilkraft  verlieren,  »von  jeher«  verworfen;  Palacky 
irrt  nur  darin,  dass  er  voraussetzt,  das  sei  ein  Satz  Wiclif  s  gewesen. 

:»   III.  Kap.  t,  V.  S.  199  ff. 


Hus  ens  Lehre  :  vom  heil.  Abendmahl. 


25 1 


Magister  Jakob  von  Mies,  in  Anregung  gebracht  worden. 
Bus  befand  sich  bereits  in  Constanz.  als  »Jakobeil  anfing, 
den  Laienkelch  lehrhaft  zn  vertheidi^en  und  sofort  auch  -  den 
Kelch  regelmässig  zu  spenden.  Und  Hus  hatte  sich  nur  erst  auf 
Anregungen  von  der  Heimath  aus  theils  brieflich,  theils  eigens  in 
einem  Aufsatz  über  die  Frage  ausgesprochen  1  .  Er  that  dies  Im- 
merhin in  einer  maassvollen  Weise.  Nur  dass  es  erlaubt  und 
heilsam  sei,  das  heil.  Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt  zu  spen- 
den und  zu  gemessen .  nicht  dass  dies  zum  Heil  nothwendig  und 
Pflicht  sei,  sprach  und  führte  er  aus.  Und  als  das  Concil  am 
15.  Juni  1415  die  Kelchentziehung,  welche  bisher  blos  kirchlicher 
Brauch  gewesen  war.  zum  Kirchengesetz  erhob  und  den  Prie- 
stern die  Communion  unter  beiderlei  Gestalt  bei  Strafe  des  Banns 
untersagte2  .  sprach  sich  Hus  nachdrücklicher  über  die  Sache 
aus.  Aber  es  erscheint  bezeichnend  für  seine  christliche  Denkart, 
du ss  er  hiebei  weniger  auf  die  Vollständigkeit  des  Sakramentes 
selbst,  als  auf  die  maassgebende  Auktorität  der  Bibel  den  Nach- 
druck legt.  Er  ist  eben  darüber  entrüstet,  dass  man  das  Her- 
kommen über  die  Wahrheit,  über  Christi  Einsetzung  und  das 
Verfahren  der  Apostel  setze.  Es  ist  demnach  viel  mehr  das  An- 
sehen des  göttlichen  Wortes  und  sein  Formalprinzip,  als  die  Voll- 

1,  De  sanguine  Christi  sub  specie  vini  a  laicis  sumendo,  Opp.  I,  421  —  44 :. 
Eine  Abhandlung,  worin  die  Sache  ganz  in  scholastischer  Weise,  durch  An- 
führung einer  Menge  Zeugnisse  von  Kirchenvätern  und  mittelalterlichen 
Doctoren  erörtert  wird,  von  dem  Erlass  Gelasius  I.  an.  der  im  kanoni- 
schen Rechtsbuch  steht,  worin  der  römische  Bischof  die  willkührliche  Ent- 
haltung vom  Kelch  verbietet,  und  die  »Theilung  des  Geheimnisses«  für  »eine 
grosse  Heiligthumsschändung«  (/runde  sacrtlegtum  erklärt.  Merkwürdig  ist. 
dass  das  Concil,  wohl  nicht  ohne  Absicht,  gerade  den  analogen  Ausdruck 
anwendet,  wenn  es  in  seinem  sofort  anzuführenden  Dekret  die  Behauptung 
als  einen  Irrthum  [errmwtm  verwirft,  dass  die  Beobachtung  des  Brauchs 
oder  Gesetzes  der  Kelchentziehung  heiligthumsschänderisch  oder  unerlaubt 
sei  {sacrileg  um  aut  Ulicitum  .  Nebenbei  gesagt,  ist  das  eine  kleine  Illu- 
stration zu  der  angeblichen  Unfehlbarkeit  päpstlichen  Lehramtes,  wenn  ein 
ökumenisches  Concil  die ,  wie  es  scheint ,  ex  cathedra  erfolgte  Entscheidung 
eines  älteren  Bischofs  von  Rom  für  »irrig«  erklärt. 

2)  Maxsi,  CoHcih'orum  növa  collectio .  XXVII,  727  ff.  V.  d.  Hardt. 
IV.  333  folg. 


252 


Buch  III.    Kap.  :;.  VII. 


ständigkeit  des  Sakramentes  selbst,  was  ihm  hiebei  im  Vorder- 
gründe steht  1  . 

Der  andere  Punkt,  dass  Hus  angeblich  die  Lehre  von  der 
Wandlung  bekämpfe,  ist  ein  in  hohem  Grade  zweifelhafter. 
Denn  Hus  selbst  hat  vom  ersten  Augenblick  an,  wo  der  Vorwurf 
auftauchte,  als  ob  er  die  Wandlung  bestreite,  bis  zu  seiner  Ver- 
urtheilung  und  Hinrichtung  beharrlich  verneint,  dass  er  das  je 
gethan  habe ,  er  hat  sich  im  Gegentheil  zu  der  Kirchenlehre  von 
der  Wandlung  bekannt.  Andererseits  haben  ihm  seine  Ankläger 
und  seine  Richter,  nämlich  das  Concü  zu  Constanz.  Schuld  gege- 
ben .  dass  er  denn  doch  die  Lehre  von  der  Wandlung  angegriffen 
habe.  Ja  selbst  bis  auf  den  heutigen  Tag  huldigen  viele  Gelehrte, 
und  nicht  blos  Katholiken,  sondern  auch  Protestanten,  dieser  An- 
sicht-.  Während  andere  Forscher,  sowohl  protestantischer  als 
römisch-katholischer  Confession,  anerkennen,  dass  Hus  in  die- 
sem Punkte  in  der  That  nicht  in  Wiclif's  Fusstapfen  getre- 
ten sei?)*; 

Prüfen  wir  die  Ansicht  Palm  kv  s.  welche  wegen  seiner  an- 
erkannten Gründlichkeit  als  Forscher  für  viele  andere  bestim- 
mend gewesen  ist.  Sie  besteht  aus  folgenden  zwei  Sätzen  : 
l  Hus  habe  nach  dem  Prager  Universitätsakt  vom  2s.  Mai 
1403,  dessen  Rrgebniss  war,  dass  die  bekannten  45  Wielif v 


1  Laut  der  zwei  Briefe  Nr.  7^  u.  8$,  bei  Palagky,  Docum.  S.  128. 

2  Auf  protestantischer  Seite  hat  PALACKY,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  1. 
107  feig,  den  Ton  angegeben,  indem  er  behauptete,  Hus  sei  durch  Wiclif's 
Schriften^  in  seinem  Glauben  an  die  Wandlung  wenigstens  schwankend  ge- 
worden ,  und  habe  erst  seit  dem  Jahr  140.'*,  wo  die  Prager  Universität  4."> 
Artikel  Wiclif's  verurtheilte ,  sich  von  Wiclif's  Abendmahlslehre  ent- 
schieden losgesagt.  Dieser  Ansicht  ist  von  protestantischen  Gelehrten  bei- 
getreten Oscar  JaeüKR,  John  Wycliff'e ,  IS54.  84;  während  BoEHBINGEK 
wenigstens  für  möglich  hält,  dass  Hus  bis  zum  Jahre  1 4 1  ö  in  Betreff  der 
begrifflichen  Fassung  der  Abendmahlslehrc  geschwankt  habe.  —  Auf  rö- 
misch-kathelischer  Seite  eignete  sich  V.  HELFEST ,  Hus  und  Hieronymus. 
185:*.  66,  jene  Ansicht  mit  Zuversicht  an,  während  Hoeflkk,  Magister  Joli 
Hus.  1S.")4.  1  Sö ,  wenigstens  so  viel  KU  verstehen  gibt,  Hus  sei  in  diesrm 
Stücke  zweideutig  gewesen. 

:t  Protestantischerseits  Nkaxdkk,  Kirchengeschirhte.  ■>.  Aull.  1856.  II, 
£04.  A.  4.  ScilWABK ,  Denkschrift  1862.  S.  I  II  ff.  .  katholischerseits  am 
rückhaltlosesten  Hkfki.K,  Conciliengeschichte  VII,  I.  S.  .11. 


Husens  Lehre:  von- der  Wandlung.  I  2.~>)> 


sehen  Sätze  verpönt  wurden,  die  Lehre  Wiclif's  vom  heiligen 
Abendmahl  d.  h.  seine  Opposition  gegen  die  Lehre  von  der 
Wandlung  bestimmt  verworfen  und  verleugnet:  2  vor  diesem 
Zeitpunkt  sei  er  in  Betreff  der  Lehre  von  der  Wandlung,  »wie  es 
seheint" .  mit  sieh  selber  nicht  ganz  einig  gewesen,  und  habe  sieb 
in  dieser  Hinsicht  wenigstens  schwankend  erwiesen.  Diese  bei- 
den Sätze  spricht  übrigens  Palacky  selbst  nicht  mit  gleicher 
Zuversicht  aus :  den  ersten  stellt  er  mit  kategorischer  Bestimmt- 
heit hin .  den  letzteren  drückt  er  hypothetisch  aus  und  will  ihn 
nur  als  wahrscheinlich  gelten  lassen:  »wenn  bis  dahin  Hus 
mir  sich  selbst,  wie  es  scheint,  nicht  ganz  einig  gewesen 
w  ar  .  u.  s.  w.  Und  dieser  Unterschied  im  Ausdruck  ist  einer  von 
den  vielen  Belegen  der  Gewissenhaftigkeit  und  Genauigkeit  dies 
berühmten  Gresöhichtschreibers.  Der  erstere  Satz  lässt  sich  in 
der  Unit  nicht  anfechten.  Palackv  macht  a.  a.  0.  Anm.  256 
mit  feiner  Beobachtung  darauf  aufmerksam .  dass  in  den  Depnsi- 
tt'ones  testium  alle  Angaben  über  Husens  nicht  orthodoxe  Aeusse- 
rungen  in  Betreff  der  Lehre  von  der  Wandlung  in  den  Zeitraum 
vor  1403  zurückreichen.  Wir  halten  die  Thatsache  allerdings  für 
nachgewiesen  und  urkundlich  sichergestellt,  dass  Hus  wenigstens 
nach  dem  Jahr  1403  niemals  die  Lehre  von  der  Wandlung  in 
Zweifel  gezogen  oder  angegriffen  hat.  Die  Frage  ist  nur  die:  ob 
Hus  vor  dem  genannten  Zeitpunkt  diese  Lehre  bestritten  oder 
wenigstens  geschwankt  habe  in  Hinsicht  derselben  /  Will  man 
diese  Frage  bejahen,  so  kann  man  lediglich  nur  auf  die  Aussagen 
seiner  Ankläger  und  einiger  von  diesen  benannter  Belastungs- 
zeugen sieb  stützen.  Allein  da  steht  dann  die  Thatsache  vollstän- 
dig im  Wege,  dass  vor  dem  Jahr  1412  auch  die  Gegner  von  Hus 
niemals  seine  Abendmahlslehre  beanstandet  haben.  Wir  haben 
urkundliche  Kenntniss  von  zwei  Beschwerden  wider  Hus.  welche 
.vor  dem  genannten  Jahre  beim  Erzbischof  von  Prag  angebracht 
worden  sind,  die  eine  im  Jahre  1408,  die  andere  1409  >).  Beide 
umfassen  eine  Reihe  von  Punkten.  Die  erste  Beschwerde  richtet 
sieb  hauptsächlich  dagegen,  dass  Hus  in  seinen  Predigten  die 


1)  Bei  Palacky,  Documenta,  153  ff.  164  ff.  Vgl  oben  S.  146.  156. 


254  Buch  III.    Kap.  ä.  VII. 

Achtung  vor  der  Geistlichkeit  untergrabe.  Nur  nebenbei  kommt 
zur  Sprache,  dass  Hus  eine  tiefe  Verehrung  vor  Wi c Ii f  bezeuge, 
und  der  habe  doch  eine  notorische  Irrlehre  über  das  Sakrament 
des  Altars  autgestellt.  Nun  ist  aber  wohl  zu  beachten,  dass  die 
Ankläger  sich  sehr  wohl  gehütet  haben  auszusprechen,  dass  Hus 
selbst  die  Wiclif  sehe  Irrlehre  vom  heil.  Abendmahl  sich  ange- 
eignet habe.  Sie  begnügen  sich  damit,  den  Wink  zu  geben,  dass 
Reste  dieser  Wiclif1  sehen  Irrlehre  bei  vielen  in  Prag  noch  vor- 
handen seien  l) .  Die  zweite  Reihe  berührt  in  der  That  auch  an- 
gebliche Irrlehren  von  Hus.  insbesondere  die  Behauptung,  dass 
ein  sittlich  schlechter  Priester  die  Sakramente  heilskräftig  zu 
spenden .  und  die  Consekration  im  Abendmahl  zu  verrichten 
nicht  vermöge'2  .  Aber  davon,  dass  Hus  die  Wandlung  bezwei- 
felt habe  .  hören  wir  weder  in  diesem  Zusammenhange  noch  an- 
derswo in  beiden  Urkunden  auch  nur  ein  Wort.  Im  Gegentheil 
setzen  die  Ausdrücke .  welche  an  obiger  Stelle  gebraucht  sind 
conficere  vener abile  corporis  Christi  sacramentum  den  her- 
kömmlichen Begriff  von  der  Wandlung  positiv  voraus.  Wenn  es 
nun  wirklich  gegründet  wäre,  dass  Hus  vor  dem  Jahre  1403,  an- 
langend die  Lehre  von  der  Wandlung  sich  in  einem  Sehwanken 
befundeivhabe.  dass  er  aber  von  da  an  Wiclif  s  Opposition  ge- 
gen diese  Lehre  entschieden  Krisbilligt  habe,  so  sollte  man  den- 
ken, die  Gegner  würden  eher  vor  1403  oder  wenigstens  in  den 
nächsten  Jahren  darauf,  als  erst  9  — 10  Jahre  später.  1412  ff. 
sieh  darüber  aufgehalten  haben,  dass  Hus  die  Wandlung  betref- 
fend nicht  vollkommen  rechtgläubig  gelehrt  habe.  Nun  taucht 
aber  diese  Anschuldigung,  wenn  ich  recht  sehe,  überhaupt  er>t- 
male  im  Jahr  1112  auf.  Michael  von  Deutsch-Brod  war  es.  der 
in  geiner  an  Papst  Johann  XXIII.  eingereichten  Klageschrift  wir 

1,  Doeum.  J 54 .  Hus  macht  in  seiner  Erwiederung  a.  a.  O.  161  folg. 
darauf  aufmerksam ,  wie  hinterlistig  die  Fassung  dieses  Theils  der  Klage- 
schrift sei.  Er  verlangt  deshalb ,  sie  mögen  diejenigen  Männer  namhaft 
machen,  bei  welchen  angeblich  Reste  von  Wiclif  8  Abendmahlslehre  sich 
finden.  Wer  kann  glauben,  dass  Hus  in  dieser  Weise  den  Fehdehand- 
schuh hingeworfen  haben  würde .  wenn  er  sich  nicht  schuldlos  gewusst 
hätte? 

2    Dncum.  !*>.">. 


Husens  Lehre  :  Von  der  'Wandlung 


dei  Uns  im  Jahr  l  112  zuerst  erwähnte,  derselbe  habe  in  Predig- 
ten) welche  er  in  der  Bethlehemskapelle  gehalten,  unter  anderen 
Irrlehren  auch  die  vorgetragen,  dass  nach  der  Consekration  der 
Hostie  auf  dem  Altar  natürliches  Brocl  bleibe  1  .  Genauer  sowohl 
in  Betreff  des  Zeitpunktes  als  des  Wortlautes  der  angeblichen 
Aeusserungen  von  Uns  ist  die  Zeugenaussage  des  Pfarrers  von 
St.  Clemens  in  Prag,  Johann  Protiwa2}.  Derselbe  gibt  an. 
Uns  habe  ungefähr  im  Jahr  1309  in  einer  Gesellschaft  beim 
Pfarrei'  der  Michaelskirche  in  der  Altstadt,  im  Laufe  des  Ge- 
sprächs die  Meinung  geäussert,  dass  nach  der  Consekration  im 
Abendmahl  das  Brod  zwar  Christi  Leib  werde,  aber  doch  sub- 
stantiell Brod  bleibe.  Allein  Hu s  erklärt  die  Worte,  worauf  es 
hiebei  ankommt,  in  seinen  Bemerkungen  zwischen  den  Linien, 
für  lügenhaft.  Die  Aussage  eines  anderen  Zeugen .  des  Predigers 
Benesch,  hat  darum  kein  Gewicht,  weil  er  zugestandenermaas- 
sen  nicht  selbst  Ohrenzeuge  der  fraglichen  Predigt  von  Hus  ge- 
wesen war.  sondern  nur  durch  einen  Dritten  davon  gehört  hatte3  . 
Zu  einem  dritten  Zeugniss  des  Klerikers  Paul  bemerkt  Hus: 
so.  wie  dieser  vorgibt,  könne  er  sich  gar  nicht  ausgedrückt  ha- 
ben, denn  derselbe  rede  von  einer  tschechischen  Predigt,  die  Hus 
gehalten:  und  für  die  scholastischen  Kunstausdrücke,  deren  er 
sich  bedient  haben  solle,  gebe  es  in  der  böhmischen  Sprache  gar 
keine  angemessenen  Worte4  .  Endlich  sind  einige  Zeugenaus- 
sagen der  Art.  dass  Hus  erwiedert.  man  habe  biblische  und 
sonst  unansrössige  Worte,  deren  er  sich  bedient,  verdreht  und 
misdeutet:  spreche  doch  der  Erlöser  selbst:  »ich  bin  das  Brod 
des  Lebens  .  und  der  Apostel  Paulus  sage :  »das  gesegnete  Brod. 
welches  wir  brechen-' .  u.  s.  w.  Sollten  indes  diese  Entgegnun- 
gen von  Hus  auf  jemand  den  Eindruck  machen,  als  seien  sie  zum 
Theil  leere  Ausflüchte .  so  erinnere  ich  an  die  feierliche  Betheue- 
rung,  welche  Hus  in  seinem  dritten  und  letzten  Verhör  vor  dem 


1  Docum.  101)  folg. 
2)  a.  a.  O.  174  folg. 
3;  Docum.  179. 

4)  a.  a.  O.  :  JSece  quam  intricatv  iste  mentitur:  primo,  quia  nee  acci- 
dens  nec  st/bjectu  m  potest  in  Bohemico  pertinenter  exprimi. 


250 


Buch  III.    Kap.  3.  VII 


Cofieil,  am  S.  Juni  14  15.  abgelegt  hat,  indem  er  um  Gottes  willen 
bat  ihn  nicht  zu  einer  Lüge  zu  zwingen,  indem  man  ihn  nöthigen 
wolle  gewisse  Artikel  abzuschwören .  »von  denen  ich  —  Gott  ist 
mein  Zeuge  und  mein  Gewissen  —  nichts  weiss ,  indem  Zeugen 
gegen  mich  Dinge  aussagen,  die  mir  nicht  einmal  je  in  den  Sinn 
gekommen  sind,  namentlich  dass  nach  der  Consekration  im  Sa- 
krament des  Altars  materielles  Brod  bleibe1).«  Diese  Worte  ma- 
chen doch  auf  jedes  unbefangene  Gemitth  einen  Eindruck  wie 
das  Bekenntniss  eines  gottesfürchtigen  Gewissens,  mit  einem 
Worte  den  Eindruck  reiner  Wahrheit.  Auch  noch  in  der  feier- 
lichen Session  in  der  Domkirche,  am  6.  Juli,  seinem  Todestage, 
hat  Hus  noch  einmal  aufs  nachdrücklichste  bezeugt,  er  habe 
niemals  dafürgehalten,  noch  gelehrt,  noch  gepredigt,  dass  im 
Sakrament  des  Altars  nach  der  Consekration  noch  materielles 
Brod  bleibe 2  .«  Als  er  auf  dem  Hinrichtungsplatze  angekommen 
und  bereits  an  den  Pfahl  gebunden ,  mit  Holzbüscheln  und  Stroh 
umgeben  war,  und  das  letzte  mal  zum  Widerruf  aufgefordert 
wurde,  erwiederte  er  laut:  »Gott  ist  mein  Zeuge ,  dass  ich  das- 
jenige, was  mir  fälschlich  zugeschrieben  wird,  was  falsche  Zeu- 
gen mir  beigemessen  haben,  niemals  gelehrt  noch  gepredigt 
habe«  u.  s.  w. 3  .  Das  bezog  sich  ganz  unzweifelhaft  in  erster 
Linie  mit  auf  seine  angebliche  Bestreitung  der  Lehre  von  der 
Wandlung.  Solchen  heiligen  Versicherungen  gegenüber,  welche 
angesichts  des  Todes  abgelegt  sind,  müsste  man  doch  die  über- 
wältigendsten Beweise  für  das  Gegentheil  haben,  wenn  man  jene 
Betheurungen  Lügen  strafen,  und  trotz  des  stets  wiederholten 
nunquam,  auch  nur  das  behaupten  wollte ,  Hus  sei  mindestens 
in  früheren  Jahren  eine  Zeit  lang  schwankend  gewesen  zwischen 
der  römischen  Kirchenlehre  von  der  Wandlung  und  WicliTs 
Opposition  gegen  dieselbe. 

Allein  wir  sind  keineswegs  nur  darauf  angewiesen  abzu- 
wägen .  wie  viel  Bedeutung  solchen  Aeusserungen  \<m  Hus. 
worin  er  gewisse  Aussagen  von  Zeugen  und  Gegnern  in  Abrede 

1  Dorum.  309* 

2  a.  a.  0.  318. 
:i   a.  a.  O.  '.m. 


Husens  Lehre  :  von  der  Wandlung. 


257 


zog,  beizumessen  sein  dürfte.  Diesen  Verneinungen  gegenüber 
können  wir  im*  vielmehr  auf  seine  Bejahungen  und  positiven 
Ausführungen  berufen.  Und  da  die  Meinung  aufgestellt  worden 
ist.  Hus  habe  vor  dem  Jahre  1403  in  Betreff  der  Lehre  von  der 
Wandlung  geschwankt,  so  ist  es  doppelt  erwünscht,  dass  wir  eine 
Schrift  aus  seiner  Feder  vom  Jahr  zuvor  zu  Rathe  ziehen  können. 
Ks  ist  dies  sein  Traktat  »Vom  Leibe  Christi«,  aus  dem  Jahr 
I  102  1  .  eine  Lehr-  und  Streitschrift,  gerichtet  gegen  solche, 
welche  nicht  anerkennen  wollten ,  dass  Christus  selbst  das  Brod 
ist  Job.  0 :  »Ich  bin  das  Brod  des  Lebens,  das  wahrhaftige  Brod^ 
u.  s.  w.  .  und  welche  behaupteten,  der  Leib  Christi  werde  in  der 
Gommunion  gebrochen,  zerkaut,  mit  Händen  betastet,  leiblich  ge- 
lben. Diese  beiden  Sätze  gehörten  einer  und  derselben  Partei 
an.  sie  bildeten  die  negative  und  die  positive  Seite  einer  und  der- 
selben Anschauung2  .  Und  Hus  tritt  beiden  Punkten  entgegen, 
am  ausführlichsten  allerdings  dem  zweiten  positiven  Satze ,  wel- 
cher eine  krasse,  roh  sinnliche  Vorstellung  befürwortete.  In  der 
letzteren  Polemik  liegt  offenbar  der  Schwerpunkt  des  ganzen 
Aufsatzes.  Die  Gegner  stützten  sich  theils  auf  dasjenige  Abend- 
mahlsbekenntniss .  welches  dem  Berengar  von  Tours  im  Jahr 
1059  aufgeni ithigt  worden  war,  als  eine  kirchlich  maassgebende 
Lehrurkunde  ,  theils  auf  die  im  Schwange  gehende  volksmässige 
Vorstellung  und  Ausdrucks  weise  von  der  Communion  :  »Ich  habe 
Christi  Leichnam  gesehen«  und  dergleichen.  Allein  Hus  be- 
kämpft diese  sinnliche  und  krasse  Auffassung,  indem  er .  unter 
häufiger  Berufung  auf  Kirchenväter  wie  Augustin,  Hiero- 


1)  Tractatus  de  corpore  Christi,  Opp.  I,  1631 — 167*.  Die  Abfassungs- 
zeit dieser  Abhandlung  lässt  sich  genau  bestimmen,  weil  Hus  in  einem 
späteren  Aufsatz.  De  sacramenio  corporis  et  sanguinis  domint,  den  er  zu 
Constanz  1415  geschrieben  hat,  selbst  angibt,  er  habe  den  ersteren  Traktat 
im  ersten  Jahr  seiner  Priesterwürde  und  seines  Predigtamtes  geschrieben, 
Opp.  1,  392.  Wenn  er  hier  beifügt:  qui  fuit,  ut  aestimo,  annus  Domint 
1401,  so  hat  er  sich  mit  seiner  beiläufigen  Schätzung  um  ein  Jahr  gestos- 
sen;  denn  wir  wissen,  dass  er  erst  am  14.  März  1402  als  Prediger  an  der 
Bethlehemskapelle  eingewiesen  worden  ist. 

1   Es  sind  das  nicht  zweierlei  Leute  und  zweierlei  Ansichten ,  wie 
Schwabe,  in  der  Friedberger  Denkschrift  1S62.  133,  angenommen  hat. 
Lechleb.  Wiclif.  II.  17 


25S 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


nymus  und  Gregor  den  Grossen,  und  auf  Scholastiker  wie 
den  Lombarden  und  Thomas  von  Aquino  (in  seiner  Mess-Sequenz 
Lau  da  Sion  .  ausführt,  dass  im  Abendmahl  Christi  Leib  nur 
mit  dem  Glauben,  nicht  mit  den  leiblichen  Sinnen  des  Auges, 
des  Gefühls,  des  Geschmacks  wahrgenommen,  nur  geistig,  nicht 
leiblich  genossen  werde;  dass  Brechen,  Kauen  und  Verdauen, 
Sehen  und  Betasten  nur  von  den  sichtbaren  Zeichen  ( species  . 
Brod  und  Wein,  nicht  vom  verklärten  Leib  und  Blut  Christi 
selbst  ausgesagt  werden  könne.  Daraus  könnte  jemand  aller- 
dings schliessen,  Hus  huldige  in  diesem  Aufsatz  denn  doch  der 
Ansicht,  dass  beim  heil.  Abendmahl  ein  ausschliesslich  nur  gei- 
stiger und  geistlicher  Genuss  des  Leibes  und  Blutes  Christi  statt- 
finde, er  verneine  die  wahre  Gegenwart  des  Leibes  und  Blutes, 
also  auch  die  Wandlung,  stehe  somit  in  der  That  auf  Wie  Ii  fs 
Seite  und  sei  der  Lehre  von  der  Wandlung  abgeneigt.  Dem  ist 
jedoch  nicht  so.  Hus  bekämpft  allerdings  eine  roh  sinnliche 
Vorstellung  vom  Abendmahlsgenuss ,  aber  er  hält  dessen  unge- 
achtet an  der  wirklichen  Gegenwart  des  Leibes  und  Blutes  Christi 
im  heil.  Abendmahl  unbedingt  fest  ,  und  setzt  sogar  die  sanktio- 
nirte  Kirchenlehre  von  der  Wandlung  unverkennbar  als  richtig 
voraus.  Zu  wiederholten  Malen  verwendet  er  arglos ,  als  könnte 
es  gar  nicht  anders  sein,  den  Begriffsapparat,  welcher  dem 
scholastischen  Dogma  von  der  Wandlung  eigenthümlich  ange- 
hört1  .  Im  ersten  Theile  des  Traktats  beantwortet  Hus  unter 
den  Einwendungen  der  Gegner  auch  den:  »Wenn  Christus  das 
Brod  sei,  so  sei  er  materielles  Brod.  aus  Mehl  gebacken,  und 
nicht  durch  Wandlung  geworden,  non  transsubstantiatus2  .« 
Er  entgegnet,  die  Folgerung  sei  falsch,  bekennt  sich  somit  in- 
direkt zu  dem  Begriff  transsubstantiatio.  Und  im  zweiten  Theile 
der  Abhandlung  findet  sich  eine  andere  Erörterung,  bei  welcher 
er  nicht  nur  abermals  den  Begriff :  panis  prtus  t  r  a  //  s s  u  b  s  tan- 
t iatus  anwendet,  sondern  auch  mit  den  zum  Lehrkreis  von  der 


1)  Nicht  etwa  «nur  einmal«,  wie  Schwabe  meint,  Denkschrift.  135. 
Anm.  'MHi ,  sondern  mehrmals  erkennt  Hus  indirekt  die  Transsubstantia- 
tion  an. 

2)  üpp.  I,  163*. 


Hus  ens  Lehre :  von  der  Wandlung. 


259 


Wandlung  integrirend  gehörigen  Correlatbegriffen  aceidens  und 
subjectum.  accidentia  sine  subjecto  arbeitet 1  .  Ferner  ist  die  nach 
patristischen  Vorgängen  wiederholt  geltend  gemachte  Idee  des  pa- 
nis  super substantialis  Uebersetzung  des  aoro;  snouaio;  in  der  Wer- 
ten Bitte  offenbar  um  deswillen  erwähnt .  weil  sie  die  Vorstel- 
lung von  dem  Akt  der  Wandlung  transsubstantiatio  voraussetzt. 

Nach  alle  dem  können  wir  nicht  mit  Böhringer  sagen. 
Hus  lasse  in  diesem  Traktat  die  Frage  der  Transsubstantiatiou 
im  Unbestimmten 2  ;  müssen  vielmehr  darauf  bestehen .  dass  er 
fiese  Lehre  positiv  voraussetzt.  Denn  darauf  kann  doch  gar 
nichts  ankommen,  ob  das  Substantivum  transsubstantiatio  ge- 
braucht wird,  da  doch  das  Verbum  wiederholt  auftritt,  wenn 
auch  im  Particip  des  Passivs.  Auch  betont  Hus  selbst  in  dem 
kurzen  Traktat  vom  Frühjahr  1415  »Ueber  das  Sakrament  des 
Leibes  und  Blutes  Christi«,  er  habe  in  jenem  Traktat  (von  1402 
sich  dazu  bekannt .  dass  auch  ein  mit  Todsünde  behafteter  Prie  - 
ster  wirksam  consekrire .  obgleich  sich  selber  zum  Schaden  und 
Gericht  3  .  Und  der  Begriff  confieere  et  consecrare,  den  er  hier 
mehrmals  gebraucht,  setzt  selbst  wieder  die  Lehre  von  der  Wand- 
lung voraus.  Zum  Beweise,  dass  Hus  selbst,  der  doch  der  beste 
Ausleger  seiner  eigenen  Worte  sein  muss.  seine  frühere  Schrift 
so  auffasst.  als  sei  er  zu  jener  Zeit  derselben  Ansicht,  auch  hin- 
sichtlich der  Wandlung  gewesen .  wie  dermalen ,  wo  er  ganz  un- 
zweifelhaft diese  Lehre  vorträgt  und  sich  zu  ihr  bekennt. 

Somit  sind  wir  zu  der  Erkenntniss  gelangt,  dass  Hus  zu 
keiner  Zeit  seines  Lebens  die  Lehre  von  der  Wrandlung  im  heil . 
Abendmahl  bekämpft,  und  nicht  einmal  in  den  Jahren  vor  1403 
darin  gesehwankt  hat.  Wir  glauben  zur  Bestärkung  dieses  Er- 
gebnisses uns  auch  auf  den  Prior  der  Karthause  zu  Dolan .  Ste- 
phan, berufen  zu  können.  Dieser  hat  im  Jahr  1412  eine  ziem- 
lich ausführliche  Streitschrift  wider  Hus  unter  dem  Titel  Anti- 
Hussus  ausgearbeitet4  .  worin  er  auf  verschiedenen  Punkten. 

1   a.  a.  O.  166'. 

2)  Kirche  Christi,  II,  4.  2.  S.  568. 
3}  Opp.  I,  392. 

4  AntiHussus,  bei  Pez,  Thesaurus  Anecdotorum  novissimus,  Vol.  IV. 
P.  2.  363  —  430,  in  18  Kapiteln.  Im  5ten  Kap.  fol.  382  nennt  der  Verfasser 


260 


Buch  III.    Kap.  :>.  VII 


z.  B.  anlangend  das  Papstthum,  die  Notwendigkeit  der  Ohren- 
beichte  u.  s.  w.,  Hus  entgegentritt,  aber  nicht  mit  einer  Silbe 
erwähnt,  dass  Hus  in  Hinsicht  der  Wandlung  nicht  rechtgläu- 
big sei. 

Ein  einziger  Umstand  ist  geeignet .  noch  einen  Zweifel  rege 
zu  erhalten,  nämlich  die  Thatsaehe .  das*  doch  mehrere  Zeugen 
ausgesagt  und  diese  Aussage  beschworen  haben.  Hus  habe  die 
Lehre  von  der  Wandlung  angefochten  und  behauptet,  auch  nach 
der  Consekration  bleibe  das  gesegnete  Brod  immerhin  Brod.  Man 
fragt  sich :  wie  ist  das  möglich .  wenn  doch  ganz  und  gar  nichts 
an  der  Sache  war  ? 

Wir  können  uns  jene  Anschuldigung  wider  Hus  nicht  anders 
erklären,  als  aus  der  Thatsaehe.  dass  zu  der  Zeit .  wo  Wielif 's 
Schriften  und  Lehren  in  Prag  bekannt  und  beliebt  Avurden.  in 
der  That  auch  seine  Abendmahlslehre  und  sein  Kampf  gegen  das 
Dogma  von  der  Wandlung  bei  namhaften  Gliedern  der  hussiti- 
schen  Partei  Anklang  gefunden  hat.  Da  nun  anerkanntermaas- 
sen  Hus  der  Führer  und  Sprecher  der  Partei  war,  so  setzte  man 
voraus  und  konnte  sich's  nicht  anders  denken,  als  er  selbe!  habe 
sich  die  Ansichten  Wielif  s.  wie  in  anderen  wichtigen  Fragen, 
so  auch  in  diesem  Lehrstück,  angeeignet.  Wie  sollten,  sagte  man 
<\ch  .  seine  Freunde  dazu  kommen .  dieser  Irrlehre  sich  anzu- 
schliessen.  wenn  Hus  selbst  an  die  Wandlung  glaubt? 

Nun  war  zu  der  Zeit,  wo  die  Schriften  Wiclif's  in  Prag 
Aufsehen  machten,  auf  der  Schwelle  des  XV.  Jahrhunderts.  Hus 
immer  noch  einer  von  den  jüngeren  Gelehrten.  Unter  den  älteren, 
welche  sich  für  Wielif  interessirten.  waren  Ni  c  o  1  a  u  s  von  Lci- 
t  o  m  i  s  c  h  1 .  Stanislaus  von  Z  n  a  i  m  und  Stephan  von  P  a  1  e  t  ;  z 
die  namhaftesten.  Nicolaus,  ein  Mann,  welcher  mindesten.^ 
15  Jahre  älter  war  als  Hus,  —  er  bekleidete  im  Jahr  1391  .  als 
Hus  noch  studirte .  bereits  das  Kectorat  der  Universität  —  vr&r 
ein  eifriger  Verehrer  Wiclif's.    Bei  der  Disputation  am  '28.  Mai 


selbst  das  Jahr  1412  als  dasjenige,  in  welchem  man  stehe.  Das  Buch  ist 
dem  Dr.  der  Theologie  Stanislaus  von  Znaim  gewidmet^  es  ist  durch  den 
kurzen  Aufsatz  von  Hus  veranlasst,  welcher  betitelt  ist  De  iribua  duhiia 
facti«  in  Holomutz   Olmütz  ,  Opp.  1,  1072— 


Hus  ens  Lehre :  von  der  Wandlung. 


261 


1403  trat  er  nebst  Hus  und  in  gleicher  Richtung  mit  diesem 
j-vii  die  Yerurtheilung  der  4r>  angeblich  Wie  Ii  t" sehen  Sätze 
auf1  .  Hingegen  Stanislaus  von  Znaim.  den  Hus  als  seinen 
ehemaligen  Lehrer  mit  aufrichtiger  Dankbarkeit  erwähnt 2  .  war 
jedenfalls  derjenige ,  welcher  am  feurigsten  auf  Wi e  1  i  f  s  Oppo- 
sition gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung  eingegangen  ist  und 
Anhänger  dafür  geworben  hat.  Hus  selbst  berichtet  darüber  in 
einem  Briefe  vom  Jahr  1413  an  seinen  Freund  Christann  von 
I'rachatitz:  »Ich  weiss  gewiss .  dass  Stanislaus  die  Ansicht 
gehabt  und  sehriftlich  kund  gegeben  hat.  dass  das  Brod  bleibe: 
et  hat  auch  an  mich  die  Frage  gerichtet .  noch  ehe  die  Irrungen 
ihren  Anfang  nahmen,  ob  ich  seine  Ansicht  theilen  wollte.»  Später 
hat  er  die  Sache  abgeschworen  —  und  eidlich  versichert,  dass  er 
den  betreifenden  Traktat  nicht  verfasst  habe *) . 

Hus  führt  in  seiner  Streitschrift  gegen  Stanislaus  eine 
Stelle  an  aus  des  letzteren  Commentar  zum  vierten  Buch  der  Sen- 
tenzen des  Lombarden .  wo  sein  ehemaliger  Lehrer  sich  auf  die 
Auktorität  Wiclif's  für  seine  Sätze  über  das  Abendmahl  beruft 
und  ihn  als  einen  »tiefen  Theologen  und  Philosophen«  rühmt,  hin- 
gegen diejenigen  für  kurzsichtige  Leute  erklärt ,  welche  ihn  ver- 
ketzern und  die .  welche  seine  Schriften  lesen .  anschwärzen 4  . 

Bei  der  Disputation  am  2S.  Mai  1403  opponirten  Nico  laus 
von  Leitomischl  und  Hus  gegen  die  Yerurtheilung  der  Wi- 
elif  sehen  Sätze  nur  unter  dem  formalen  Gesichtspunkt,  indem 
sie  die  Aechtheit  der  fraglichen  Artikel  bezweifelten:  während 
Stanislaus  auf  den  Inhalt  der  Sätze  einging  und  dieselben 
saehlich  vertheidigte .  ohne  Zweifel  auch  diejenigen,  welche  vom 
Abendmahl  handelten 5  .  Nicht  ohne  Grund  hat  eine  in  den  Pra- 
ger l'niversitätswirren  entstandene,  von  einem  Deutschen  ver- 
faßte Parodie  der  Messe  eine  Art  Stammbaum  des  Hussitismus. 


1    s.  oben  Kap.       II.  8.  141.  Anm. 

2)  Opp.  I,  265 1 :  Stanislaus  magister  meus  — ,  a  quo  in  suis  exercitiis 
et  actibus  scholasticis  multa  bona  didici. 

V,  Docum.,  ed.  Palacky,  Epp.  Nr.  27.  S.  56. 
4)  Responsio  ad  scripta  Stanislai,  Opp.  I,  267  \. 

ö  Es  sind  dies  die  drei  ersten  unter  den  schon  zu  London  13S2  ver- 
urtheilten  Wiclif  sehen  Artikeln,  Docum.  32S. 


262 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


als  Seitenstück  zu  der  Genealogie  Jesu,  Matth.  1,  entworfen, 
worin  Stanislaus  als  der  erste  Stammvater,  und  Hus  selbst  erst  als 
der  vierte  in  der  Linie  erscheint :  »Stanislaus  zeugete  den  Peter 
von  Znaim,  Peter  von  Znaim  zeugete  den  Paletz,  und  Paletz 
zeugete  Hus1).« 

Wenn  nun  derjenige  Mann,  welcher  im  Anfang  als  der  Spre- 
cher und  Führer  der  wiclifi tischen  Partei  in  Prag  angesehen 
wurde,  insbesondere  auch  in  Betreif  der  Lehre  von  der  Wandlung 
die  Ansichten  Wiclif's  vertrat,  so  wird  begreiflich,  wie  man 
mehr  denn  zehen  Jahre  später,  wo  Hus  an  der  Spitze  der  Partei 
stand,  durch  eine  Art  optischer  Täuschung  dazu  geführt  wurde 
vorauszusetzen,  dass  auch  er  die  Lehre  von  der  Wandlung  be- 
kämpft habe.  Allein  wir  wissen,  dass  dem  nicht  so  war.  Hus 
hat  niemals  Wiclif's  Opposition  gegen  die  Lehre  von  der  Wand- 
lung sich  angeeignet. 

Das  ist  aber  eine  Thatsache,  bei  der  wir  der  Frage  nicht  aus- 
weichen können :  wie  kommt  das  *?  Wir  haben  doch  Hus  als  einen 
Verehrer  und  treuen  Schüler  Wiclif's  kennen  gelernt.  Er  hat 
seine  theologischen  Grundgedanken  von  niemand  anders  als  von 
Wiclif  überkommen.  Hus  als  Theologe  und  als  Reformfreund, 
steht  unleugbar  auf  den  Schultern  von  Wiclif.  Nun  aber  ist  der 
Protest  gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung  die  Seele  des  Sinnens 
und  Trachtens  von  Wiclif  in  den  vier  letzten  Jahren  seines  Le- 
bens gewesen.  Und  seine  Anhänger  in  England  vom  Ende  des 
XIV.  Jahrhunderts  an,  das  ganze  XV.  Jahrhundert  entlang  bis 
zu  der  Schwelle  der  englischen  Reformation,  haben  diesen  Protest 
stetig  fortgeführt.  Woher  kommt  es  denn,  —  müssen  wir  uns 
fragen,  dass  Hus  diesen  charakteristischen  Zug  Wiclif scher 
Lehre  und  Reformgesinnung  stillschweigend  fallen  Hess,  und  im 


1)  Hus  selbst  gedenkt  jener  blasphemischen  Parodie  des  Stammbau- 
mes Christi,  ResjJonsio  ad  scripta  Stephant  Fitletz,  Opp.  I,  2552.  Jedenfalls 
ist  Stephan  von  Dolan  im  Irrthum,  wenn  er  behauptet,  Hus  sei  unter 
den  Prager  Magistern  von  Anfang  an  der  erste  und  einzige  gewesen ,  der 
Wiclif's  Schriften  mit  Freuden  aufgenommen,  gelesen  und  studirt .  und 
andere  zum  Lesen  und  achtungsvollen  Studiren  derselben  beredet  habe, 
ungeachtet  andere  ihn  dringend  davor  warnten.  Epistola  ad  Hussitas,  Pars 
secunda,  c.  I,  Pez,  Thesaurus  anecdotorum,  IV,  2.  527. 


Hus  ens?  Lehre :  von  der  Wandlung. 


263 


(ieirentheil  die  Lehre  von  der  Wandlung  von  Anfang  an  bis  zu 
seinem  Ende  festhielt  ? 

Sollte  der  Beweggrund  etwa  der  gewesen  sein,  dass  Hus 
durch  die  Aufbietung  kirchlicher  Lehrauktorität ,  Zucht  und 
Macht,  welche  noch  gegen  Wiclif  selbst  um  dieser  Lehre  wil- 
len verfügt  worden  war ,  sich  hätte  einschüchtern  lassen  ?  Aber 
Hus  war  nicht  der  Mann  dazu,  der  blossen  Gewalt  einen  Einfluss 
auf  seine  christliche  Ueberzeugung  und  sein  Bekenntniss  einzu- 
räumen. Wie  nachdrücklich  rügt  er  es  an  seinen  ehemaligen 
Freunden  und  Parteigenossen,  einem  Stanislaus  von  Znaim 
und  Stephan  Paletz,  dass  sie  sich  haben  einschüchtern  las- 
sen, so  dass  sie  aus  standhaften  Verfechtern  der  Wahrheit  sich  in 
Schmeichler  der  Kurie  und  der  Papstmacht  verwandelt  haben. 
Furcht  und  Rücksichten ,  niedere  persönliche  Beweggründe  sind 
es  in  keinem  Fall  gewesen,  welche  in  dieser  Frage  für  Hus 
maassgebend  waren. 

Es  war  gewiss  nur  reine  Ueberzeugung  und  sachliche  Prü- 
fung, welche  ihn  bestimmte,  der  Opposition  Wiclif  s  gegen  die 
Kirchenlehre  von  der  Wandlung  nic  ht  beizutreten.  Hus  ist  sich 
bewusst,  der  Lehre  Wiclifs  ganz  unabhängig  gegenüber  zu  ste- 
hen,  und  keinen  seiner  Sätze  darum  anzunehmen,  weil  Wiclif 
ihn  aufgestellt  hat,  sondern  darum,  weil  die  heil.  Schrift  oder  die 
Vernunft  ihn  bezeugt,  aber  auch  einen  Irrthum,  den  Wiclif  etwa 
vorgetragen  haben  sollte ,  eben  so  wenig  von  ihm  als  von  irgend 
einem  anderen  Lehrer  sich  aufdringen  zu  lassen  1  .  Bei  alle  dem 
können  wir  jedoch  nicht  bezweifeln ,  dass  die  kirchlichen  Censu- 


1)  Responsio  ad  scripta  Stephani  Paletz,  Opp.  I,  2641 :  Nec  mihi  pla- 
ret,  quod  iste  Doctor  Paletz)  in  mala  signißcatione  vocat  nos  Wiglefi- 
stas.  Ego  tu  im  fateor,  quod  sententias  vereis,  quas  M.  Joannes  Wigleff, 
sacrae  theologiae  professor  posuit,  teneo,  uon  quia  ipse  dicit ,  sed  quia  di- 
cciis  ?  scriptura  vel  ratio  infallibilis  dicit.  Si  autvm  aliquem  errorem  po- 
sucrit.  nec  ipsum  nec  quemeunqae  alium  intendo  in  errore  quantumlibct  mo- 
dice  imitari.  Aehnlich  spricht  sich  Hus  schon  im  Jahr  1412  in  seinem 
Schreiben  an  den  Karthäuser-Convent  zu  Dolan  ,  Docum.  32,  aus  :  er  sei 
nicht  gewillt  irgend  einem  schriftwidrigen  Irrthum  zu  huldigen,  non  dico, 
si  Wiklef,  sed  nec  si  angeht*  de  eölo  desceiideret ,  et  a/iter,  quam  scriptura 
doeuit.  doceret. 


264 


Buch  III.    Kap.  8*.  VII. 


ren.  welche  über  Wiclif  um  seiner  Abendmahlslehre  willen  ver- 
hängt worden  waren,  immerhin  Eindruck  auf  Hu s  gemacht  ha- 
ben. In  der  Weise  nämlich,  dass  er.  weil  die  Censuren  erfolgt 
waren,  um  so  mehr  zu  sachlicher  Prüfung  der  Wiclif sehen 
Gedanken  vom  Abendmahl  veranlasst  wurde.  Die  Folge  war. 
dass  er  dieselben  fallen  Hess .  während  er  die  übrigen  Grundge- 
danken Wiclif  s,  weil  sie  ihm  biblisch  und  vernunftgemäss 
erschienen ,  sich  aneignete  und  mit  seinem  innersten  Wesen  ver- 
schmolz. 

Wir  haben  vorhin  angedeutet,  dass  Hus  als  Theologe  und 
als  Mann  der  Kirchenreform,  auf  Wiclif  s  Schultern  stand.  Was 
er  mit  letzterem  gemein  hat,  das  ist  die  Anerkennung  der  allein 
maassgebenden  Auktorität  der  heil.  Schrift  und  sein  Begriff  von 
der  Kirche  :  die  wahre  Kirche  ist  die  Gesammtheit  der  Erwähl- 
ten. Demnach  ruht  bei  ihm,  so  gut  wie  bei  Wiclif,  die  Kirche 
auf  dem  ewigen  Grund  der  göttlichen  Gnadenwahl.  Die  Ueber- 
zeugung,  dass  die  wirkliche  Gliedschaft  an  der  Kirche ,  als  dem 
Leibe  Christi,  nicht  durch  irgend  ein  äusseres  Merkmal  erkennbar 
und  bedingt  sei ,  dass  selbst  Amt  und  Würde  in  der  Kirche  keine 
Bürgschaft  dafür  biete  ,  dass  jemand  in  Wahrheit  der  Kirche  an- 
gehöre :  alle  diese  gewichtigen  Gedanken  von  reformatorischer 
Tragweite  theilt  Hus  mit  Wiclif.  Mit  ihm  zieht  er  eine  grosse 
Scheidungslinie  zwischen  der  wahren  Kirche  Christi  und  der  fal- 
schen Kirche  des  Widerchrists ,  zwischen  Gliedern  Christi  und 
Gliedern  des  Satans,  zwischen  dem  cforus  Christi  und  einem 
clerus  Antichristi.  Demgemäss  hat  Hus  eben  so  wie  Wiclif. 
einen  ganz  anderen  Begriff  von  kirchlicher  Auktorität  und  kirch- 
lichem Gehorsam,  als  die  zu  seiner  Zeit  herrschende  Ansicht. 
Wie  Wiclif  beim  Anfang  der  grossen  Papstspaltung,  so  hat 
Hus  beim  Ende  derselben  eine  innere  Emancipation  vom  Papst- 
thum  erlangt.  Er  theilt  mit  jenem  die  Anschauung  von  der  Ge- 
sammtentwicklung  der  christlichen  Kirche  :  dass  der  päpstliche 
Primat  über  die  Kirche  auf  Verleihung  durch  den  Staat  berate 
auf  der  »Schenkung«  Kaiser  Constantin's  .  dass  die  Kirche  da- 
durch verweltlicht  worden  und  gesunken  sei.  dass  vollends  seit 
dem  XI.  Jahrhundert  »der  Teufel  los«  sei.  u.  s.  w.  Endlich  har- 
monirt  Hus  mit  Wiclif  in  der  Ueberzeugnng,  dass  eine  Reform 


Hus  und  Wiclif.  Vergleichung  ihrer  Lehre.  26.") 

der  Kirche  dringend  nothwendig  sei.  und  in  der  Ansicht,  dass  die 
Mittel  und  Wege  solcher  Reform  in  anhaltender  und  treuer  Pre- 
digt des  Worts,  in  Züchtigung  und  Besserung  des  Klerus  durch 
Fürsten  und  Herren,  in  Aufhebung  des  päpstlichen  Vorrechts  und 
Wiederherstellung  der  ursprünglichen  Gleichheit  zwischen  den 
Bisehöfen  zu  finden  seien. 

Genug  Züge,  welche  eine  geistige  Familienähnlichkeit  beider 
Männer  erkennen  lassen.  Es  ist  aber  nicht  blos  eine  Aehnlich- 
keit  wie  zwischen  Brüdern .  sondern  wie  zwischen  Vater  und 
Sohn.  Wiclif  und  Hus  stehen  einander  nicht  parallel,  sondern 
der  letztere  stammt  so  zu  sagen  in  absteigender  Linie  von  dem 
ersteren  ab;  sein  Gedankenkapital  ist  von  Wiclif  ursprünglich 
errungen,  und  er  selbst  hat  es  gleichsam  ererbt,  freilich  nicht 
ohne  eigene  Arbeit  des  Studiums,  der  Prüfung,  wohl  auch  inneren 
Kampfes.  Dass  aber  Wiclif  der  Meister  und  Hus  der  Schüler 
ist.  das  lässt  sich,  abgesehen  davon,  dass  letzterer  fast  um  ein 
halbes  Jahrhundert  jünger  ist.  und  abgesehen  von  vielfachen 
ausdrücklichen  Bekenntnissen  desselben,  sachlich  erweisen  durch 
Vergleichung  zwischen  ihren  Lehren.  . 

Beide  Männer  legen  das  Schriftprinzip  zu  Grunde .  und  er- 
kennen der  heil.  Schrift  die  höchste  entscheidende  Auktorität  zu. 
Aber  der  Unterschied  ist  doch  ein  mehrfacher :  einmal  hat  Wi- 
clif diesen  Grundsatz  offenbar  allmählich  erarbeitet  und  mühsam 
kämpfend  errungen,  während  Hus  ihn  überkommen  hat  und  ihn 
nur  festzuhalten  uud  geltend  zu  machen  nöthig  fand.  Und  weil 
dem  so  war.  so  hat  Wiclif  das  Schriftprinzip,  welches  für  ihn 
ein  Neues  war.  und  den  Werth  einer  selbständigen  Errungen- 
schaft hatte,  vielseitig  begründet,  systematisch  abgeleitet .  um- 
ständlieh vertheidigt.  Ist  doch  sein  grosses  Werk  »Von  der  Wahr- 
heit der  heil.  Schrift«  nichts  anderes  als  eine  ausführliche  Ver- 
theidigung  und  Beleuchtung  des  Schriftprmzips.  Wie  viel  leichter 
hatte  es  Hus  in  dieser  Beziehung !  Er  hatte  das  Schriftprinzip 
von  Wiclif  Uberkommen,  er  ist  der  Jünger,  und  jener  der  Mei- 
ster. Allerdings  hatte  schon  Matthias  von  Janow  die  Schrift 
höher  gestellt  als  alle  menschlichen  Ueberlieferungen 1  und 


1    s.  oben  Buch  III.  Kap.  '.S.  I.  8.  127  folg. 


266 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


Satzungen.  Allein  Hus  ist  in  diesem  Stucke  nicht  durch  Janow, 
sondern  durch  Wiclif  s  Vorgang  bestimmt  worden.  Das  ergibt 
sich  mit  Zuverlässigkeit  aus  der  unleugbaren  Thatsache ,  dass 
Hus  den  ganzen  Begriffsapparat,  mit  welchem  er  in  diesem 
Lehrstück  arbeitet,  in  der  That  mit  Wiclif  gemein  hat,  nicht 
aber  mit  Matthias  von  Janow  ').  Ferner  hat  Wiclif  den  Grund- 
satz von  der  allein  maassgebenden  Auktorität  der  Schrift  mit  prin- 
zipieller Schärfe  geltend  gemacht  und  geradezu  behauptet : 
die  Schrift  hat  unendliche  Auktorität .  deswegen  muss  man  sich 
rein  an  sie  halten:  während  Hus  niemals  mit  solch  schneiden- 
der Schärfe  sein  Schriftprinzip  entwickelt.  Endlich  hat  Wi- 
clif auch  in  der  Auslegung  des  Wortes  Gottes  die  Befugniss 
kirchlicher  Tradition  zu  massgebendem  Einfluss  folgerichtig  ab- 
gelehnt, und  dagegen  gefordert,  dass  wir  uns  durch  den  heiligen 
Geist  den  Sinn  der  Schrift  sollen  eröffnen  lassen ,  oder ,  was  auf 
dasselbe  hinauskommt,  dass  wir  lernen  müssen  Schrift  durch 
Schrift  erklären2).  Da  macht  Hus  viel  eher  eine  Einräumung, 
wenn  er  versichert,  er  wolle  die  Schrift  nicht  anders  auslegen, 
als  wie  der  heilige  Geist  an  die  Hand  gibt  und  wie  die  heiligen 
Kirchenlehrer,  denen  der  heilige  Geist  das  Verständniss  verliehen 
hat.  sie  erklären3  . 

Den  zweiten  Grundgedanken .  dass  die  wahre  Kirche  nichts 
anderes  sei  als  die  Gesammtheit  der  Erwählten,  hat  Hus  eben- 
falls mit  Wiclif  gemein,  und  er  hat  ihn,  unseres  Erachtens. 
nicht  von  Janow.  bei  dem  wir  ihn  allerdings  gleicherweise 
finden,  sondern  vielmehr  von  W  i  c  l  i  f  überkommen.  Dafür  spricht 


1  Schon  die  Namen  sind  in  dieser  Beziehung  charakteristisch.  Der 
stereotype  Lieblingsbegriff'  von  Hus  ist  hier  lex  Christi;  und  diesen  hat  er 
tinfach  von  Wiclif  angenommen,  während  Janow  der  mannigfaltigsten 
Bezeichnungen  sich  bedient  :  Veritm.  divina  scriptunu  s.  veritas,  Bihha, 
cerbtim  Jesu .  re.rbu  Dei  riri,  Dei  summt  praeeepta ,  wohl  auch  einmal  lex 
a  Jesu  promulgata;  aber  der  ausgeprägte  Begriff  lex  Christi  ist  ihm  fremd. 
Kerner  sind  die  Gedanken  von  der  Genügsamkeit  des  »Gesetzes  Christi« 
/.ur  Regierung  der  Kirche,  von  der  alles  übertreffenden  Wirkungskraft 
der  Schrift  u.  s.  w.  speeifisch  Wiclif'scher  Art. 

2  s.  oben  II.  Buch.  Kap.  7.  III. 
:t   s.  oben  S.  2."i7. 


Hus  und  Wiclif,  Vergleichung  ihrer  Lehre. 


267 


entscheidend  der  Umstand ,  dass  das  correlate  Begriffspaar :  Er- 
wählte und  Vorhergesehene .  welches  bei  Hus  zu  den  Elementen 
«k's  Lehrstücks  von  der  Kirche  zählt,  von  Janow  nicht  entlehnt 
sein  kann,  weil  es  diesem  selbst  noch  fremd  ist,  sondern  nur  von 
Wiclif.  dem  dasselbe  vollständig-  geläufig  ist.  während  der  Be- 
griff praesciti  nicht  etwa  von  beiden  unabhängig  aus  Augustin 
geschöpft  sein  kann.  Seinen  ganzen  Kirchenbegriff,  mit  allem, 
was  daraus  fliesst.  verdankt  Hus  keinem  anderen  als  Wiclif, 
Und  doch  lässt  sich  auch  auf  diesem  Gebiete  christlicher  Lehre 
ein  charakteristischer  Unterschied  zwischen  beiden  nicht  verken- 
nen. Bei  Wiclif  steht  jener  Kirchenbegriff  in  einem  grossarti- 
gen Zusammenhang  mit  seiner  ganzen  Anschauung  von  Gott  und 
göttlichen  Dingen .  von  der  Welt  und  der  göttlichen  Weltregie- 
rung .  von  der  Sinnenwelt  und  Geisterwelt .  von  den  Allgemein- 
heiten u.  s.  w.  Insbesondere  ist  keinem  Zweifel  unterworfen. 
das<  Wiclif  s  Lehre  von  der  Gnadenwahl  nicht  anthropologisch 
durch  Sündenfall  und  allgemeine  Sündhaftigkeit,  wie  bei  Augu- 
st in  .  sondern  theologisch  begründet  ist.  Hingegen  bei  Hus  fin- 
den wir  denselben  Kirchenbegriff,  ohne  dass  dessen  tiefere  spe- 
culative  und  theologische  Wurzel  irgendwie  zu  Tage  tritt.  Ganz 
das  Verhältniss .  wie  es  zwischen  Meister  und  Jünger  in  der  Na- 
tur der  Sache  liegt. 

In  dem  Glaubenssatz:  Christus  allein  der  Mittler  zwi- 
schen Gott  und  Menschen,  ist  Hus  mit  Wiclif  einig.  Der  Unter- 
schied ist  nur  der,  dass  letzterer  diese  ächt  evangelische  Wahr- 
heit mit  vollkommener  Stärke  und  Freudigkeit  der  Ueberzeugung. 
scharf  und  rückhaltslos  geltend  gemacht  und  wenn  wir  von  der 
Kechtfertigungslehre  absehen  folgerichtig  durchgeführt  hat.  ins- 
besondere gegenüber  der  Verehrung  und  Anrufung  der  Heiligen. 
Während  Hus  lange  nicht  mit  der  Schärfe  und  Entschiedenheit 
den  gemeinsamen  Grundgedanken  bis  in  seine  Consequenzen  ver- 
.  folgt,  insbesondere  von  der  Anrufung  der  Heiligen  und  dem  Ver- 
trauen auf  ihre  Fürbitte  und  Verwendung  niemals  sich  losge- 
sagt hat1  . 


1  Er  spricht  sich  zwar  dahin  aus,  dass  ein  Christ  nicht  an  die  Jung- 
frau  Maria  oder  an  irgend  einen  Heiligen  glauben  dürfe .  sondern  nur  an 


268 


Buch  III.    Raffe  3.  VII. 


In  der  Lehre  von  den  Sakramenten  ist  Hus  an  Schärfe 
und  Rückhaltslosigkeit  der  Kritik  ebenfalls  hinter  W  i  c  1  i  f  zurück- . 
geblieben.  Das  freimüthige  Urtheil  desselben  über  die  Siebenzahl 
der  Sakramente  hat  er  sich  anscheinend  nicht  angeeignet  \) .  Dass 
Hns  anlangend  die  Unabhängigkeit  der  Heilswirkung  jedes  Sa- 
kramentes von  dem  Gnadenstande  des  Priesters,  der  dasselbe  ver- 
waltet, von  Wiclif  abgewichen  sei2  ,  beruht,  wie  oben  nachge- 
wiesen, auf  Irrthnm 3  .  Dagegen  hat  er  die  Opposition  Wiclif's 
gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung  niemals  getheilt.  sondern  ist 
in  diesem  belangreichen  Punkte  der  Kirchenlehre  treu  geblieben. 

Anlangend  die  praktisch  einschneidenden  Fragen  der  Kir- 
chenverfassung steht  Hus  insofern  auf  Wiclif's  Standpunkt,  als 
er  das  angebliche  göttliche  Kecht  des  Papstthums  auf  den  Primat 
in  der  Kirche  entschieden  verneint.  Nur  begnügt  sich  Hus  bei 
der  Frage,  was  denn  werden  solle,  damit,  dass  die  ursprüngliche 
Gleichheit  der  Bischöfe  unter  sich  wiederhergestellt  werden  möge ; 
ein  Ideal,  das  allerdings  weiter  geht  als  die  episcopalistische  Mehr- 
heit des  Concils  zu  Constanz.  welche  sich  den  Primat  des  Papstes 
gefallen  Hess,  aber  demselben  nur  feste  Schranken  ziehen  wollte, 
um  den  Absolutismus  der  Kurie  für  immer  zu  beseitigen.  Aber 
bei  alle  dem  ist  Hus  hinter  den  Gedanken  und  Zielen  Wiclif's 
doch  um  ein  Beträchtliches  zurückgeblieben .  sofern  dieser  weit 
davon  entfernt  war.  sich  mit  der  Gleichheit  unter  den  Bischöfen 
zu  begnügen,  vielmehr  Gleichheit  unter  den  Priestern  forderte 
Denn  Wiclif  behauptete,  dass  die  apostolische  Kirche  einen 
Stufenunterschied  zwischen  Presbytern  und  Bischöfen  gar  nicht 
gekannt  habe,  stellte  sich  vor.  dass  die  Erhebung  des  Episkopat> 


den  dreieinigen  Gott,  De  ßdei  suae  elucidatione ,  Öpp.  I,  491.  Allein  in 
derselben  Schrift  richtet  er,  gegen  den  Schluss,  I,  512,  dennoch  eine  Für- 
bitte für  seine  Gegner  an  die  »reinste  Jungfrau,  die  Wiederherstellerin  des 
menschlichen  Geschlechts«,  und  sagt  von  ihr  weiterhin ,  sie  sei  »die  Mittle- 
rin« und  »die  Ursache  der  ganzen  Erlösung  aller,  die  da  selig  werden«! 
Vergl.  einen  der  letzten  Briefe,  Nr.  S2 ,  Docitm.  131  am  Schluss,  s.  oben 
VI.  S.  221. 

1,  s.  oben  S.  24S  folg. 

2  HoEHRiXGER,  Kirche  Christi,  II,  4,  Vorreformatoren.  2.  S.  tiü4. 

3  s.  oben  S.  24<)  folg. 


Hus  und  Wiclif.  Yergleichung  ihrer  Lehre. 


269 


über  das  Priesteramt  erst  eine  Folge  der  (vermeintlichen  Schen- 
kung Constantin's  gewesen  sei :  weshalb  er  offenbar  der  Ansicht 
ist.  dass  die  Superiorität  der  Bisehöfe  über  die  Priester  eben  so 
gut  wie  der  Supremat  des  Bischofs  von  Korn  über  die  andern  Bi- 
schöfe wieder  abgestellt  werden  müsse.  Abermals  ein  Punkt, 
worin  der  Vorgänger  ungleich  kühner  und  entschlossener  vorge- 
drungen ist  als  der  Nachfolger. 

Fassen  wir  zusammen,  so  ist  Hus  allerdings  nicht  ein  ur- 
kräftiger .  schöpferischer .  originaler  Geist  wie  W  ieli f ,  und  als 
Denker  weder  spekulativ  angelegt,  noch  von  systematischem  Ta- 
lent. Auf  dem  Gebiete  theologischen  Denkens  ist  Wiclif  ein 
königlicher  Geist,  von  einer  angeborenen  Geistesmacht  und  einer 
durch  unermüdete  Geistesarbeit  verwirklichten  Hegemonie  .  Aväh- 
rend  Hus  als  ein  Stern  zweiter  Grösse  erscheint,  und  sich  wie 
ein  Planet  um  Wiclif  als  seine  Sonne  dreht;  beide  freilich 
schwingen  sich  um  die  Centraisonne,  welche  Christus  selber  ist. 
Ferner.  Hus  ist  nicht  ein  Charakter,  wie  Wiclif.  doppelt 
gehärtet  und  scharf  wie  Stahl,  eine  innerlich  starke  Natur,  unbe- 
dingt gerade  aus  gehend .  ohne  nach  rechts  oder  links  sich  umzu- 
sehen .  nur  seiner  Ueberzeugung  folgend  und  diese  bis  zu  den 
äussersten  Consequenzen  folgerichtig  und  thatkräftig  durchfüh- 
rend, seis  auch  zuweilen  mit  einer  Schroffheit  und  Herbe,  welche 
verletzt  und  Anstoss  gibt.  Im  Vergleich  mit  Wiclif  ist  Hus 
vielmehr  eine  weiche  Persönlichkeit,  eine  zart  besaitete  Seele, 
mehr  empfänglich  und  passiv  geartet .  als  zu  selbstthätigem  Ein- 
greifen und  heldenmüthigem  Erobern  berufen.  Aber  damit  ist 
nicht  gesagt,  dass  er  ein  Schwächling,  eine  charakterlos  nachgie- 
bige Persönlichkeit  gewesen  sei.  Mit  Weichheit  und  Zartheit  der 
Seele  kann  sich  recht  wohl  eine  sittliche  Zähigkeit  vereinigen, 
eine  unwandelbare  Treue,  eine  unbeugsame  Festigkeit,  welche 
eben  in  dieser  Verbindung  einen  liebenswürdig  gewinnenden  Ein- 
druck macht,  ja  die  reinste  Achtung  und  Verehrung  erringt.  Dazu 
kommt  die  sittliche  Reinheit  und  L  neigennützigkeit  des  Mannes, 
der  eine  fast  asketische  Strenge  gegen  sich  selbst  übte,  seine 
aufrichtige  Gottesfurcht,  zarte  Gewissenhaftigkeit  und  herzliche 
Frömmigkeit,  wobei  es  ihm  ganz  und  gar  nicht  um  sich  selbst 
und  die  eigene  Ehre ,  sondern  vor  allem  um  die  Ehre  Gottes  und 


270 


Buch  III.    Kap.  3.  VII. 


seines  Heilandes ,  nebenbei  aber  auch  um  die  Ehre  seines  Vater- 
landes und  den  unverletzten  Ruf  rechtgläubiger  Frömmigkeit 
seines  Volkes  zu  thun  war.  An  redlichem  Eifer  für  Gottes  Ehre 
und  die  Sache  Jesu  Christi  standen  beide  Männer,  Wiclifund 
Hus,  einander  gleich;  nur  war  dieser  Eifer  bei  Wiclif  von 
feuriger,  männlicher,  thatkräftiger  Art,  bei  Hus  von  stillerglü- 
hender Wärme ,  von  fast  weiblicher  Zartheit ,  von  inniger  Treue 
und  Ausdauer.  Und  dieses  bei  aller  Weichheit  doch  bis  zum 
schauerlichsten  Tode  unerschrockene  Herz,  diese  unüberwind- 
liche, ja  alle  Widerwärtigkeit  weit  überwindende  Geduld  des 
Mannes  in  seinem  Bekenntniss  der  evangelischen  Wahrheit  hat 
ihm  die  Gemüther  erobert  und  den  nachhaltigsten  Eindruck  auf 
seine  Zeit  und  die  Nachwelt  gemacht.  Wenn  Wiclif  überwie- 
gend ein  Verstandesmensch  war,  so  ist  Hus  überwiegend  ein 
Mann  des  Gemüthes  gewesen,  nicht  eines  genialen  Gemüthes  wie 
Luther,  wohl  aber  eines  tiefen,  innigen,  milden  Gemüthes. 
Ferner,  wenn  Wiclif  beseelt  war  von  einem  mächtigen,  ent- 
schlossenen, männlichen,  thatkräftigen  Willen,  so  war  Hus 
erfüllt  von  einem  treuen,  innigen,  ausdauernden  Willen.  Ich 
möchte  sagen:  Wiclif  war  ein  Mann  Gottes,  Hus  war  ein 
Kind  Gottes:  aber  beide  waren  Helden  in  Gottes  Heersehaar. 
jeder  nach  der  Gabe ,  die  ihm  der  Geist  Gottes  verliehen  hatte . 
und  in  jedem  von  beiden  erzeigten  sich  die  Gaben  des  Geistes 
zum  gemeinen  Nutzen  (I.  Korinth.  12,  11.  7)  .  Mit  dem  Maasse 
des  Geistes  gemessen,  war  Hus  allerdings  einem  Wiclif  nicht 
ebenbürtig:  Wiclif  ist  bei  weitem  der  Grössere,  er  überragt 
nicht  nur  andere  Männer,  sondern  auch  selbst  einen  Hus  um 
eines  Hauptes  Länge.  Aber  dessen  ungeachtet  war  Johannes 
Hus,  was  den  Charakter  anbetrifft,  um  seiner  reinen,  edlen  Per- 
sönlichkeit willen,  seiner  gewissenhaften  Frömmigkeit  und  seiner 
im  Leiden  und  Erliegen  sieghaften  unverbrüchlichen  Treue  we  - 
gen ein  durchaus  würdiger  Nachfolger  Wiclif  's,  ein  würdiger 
Vertreter  des  evangelischen  Schriftprinzips  und  der  die  Ehre 
Christi  hochhaltenden,  furchtlosen  und  treuen  Reformgesinnung 
Wiclif's.  auf  dem  Continent. 


VIII. 

Nachdem  wir  Hus  selbst,  seine  Persönlichkeit ,  Lehre  und 
Leben,  in  Beziehung  auf  Kirchenreform,  vorzüglich  mit  einem 
Rückblick  auf  Wie  Ii  f  uns  vergegenwärtigt  haben,  werfen  wir 
noch  einen  Blick  auf  den  Beginn  der  hussiti sehen  Bewe- 
gung. Es  gilt  hier  nicht  dieselbe  an  und  für  sich  zu  verfolgen, 
sondern  nur  das  Reformelement,  was  in  ihr  lag,  zur  Erkenntniss 
zu  1  »ringen,  und  diese  Aufgabe  kann  nicht  gelöst  werden .  ohne 
das  Verhältniss  zu  bestimmen,  in  welchem  die  Bewegung  zu  Hu* 
und  W iclif  selbst  gestanden  ist. 

Schon  die  Verhaftung  und  Einkerkerung  Husens  in  Con- 
stanz  erregte  in  Böhmen  und  Mähren  ein  peinliches  Aufsehen. 
Vornehm  und  gering,  reich  und  arm  war  entrüstet,  dass  ma  ihn 
ohne  vorgängiges  Verhör  und  Urtheil,  kraft  eines  Gewaltstreichs  • 
trotz  dem  königlichen  Schutzbrief,  in  den  Kerker  geworfen  habe. 
Man  ahnte  ein  Unglück  für  das  Land  und  für  König  Sigismund,  den 
Erben  der  römischen  Krone ,  »falls  dem  gerechten  Mann .  der  mit 
einem  solchen  Briefe  versehen  ist,  etwas  widerfahren  sollte. 
Daher  wandten  sich  die  Stände  von  Böhmen  und  Mähren  in 
einem  Schreiben  vom  Januar  oder  Februar  1415  an  König  Sigis- 
mund, und  forderten  ihn  auf  durchzusetzen,  dass  Hus  wieder  auf 
freien  Fuss  gesetzt  und  dass  ihm  freies  öffentliches  Verhör  ge- 
währt werde1).  Die  grossen  Herren  wussten  sich  zu  massigen, 
und  suchten  Abhülfe  durch  diplomatische  Schreiben.  Aber  ihre 
Hintersassen  und  die  Masse  der  Bevölkerung  Hessen  schon  jetzt 
ihren  Uninuth  in  Gewalttätigkeiten  aus.  Es  kam  da  und  dort  zu 
ärgerlichen  Auftritten,  zu  Aufläufen  sogar  in  Kirchen,  und  zur 
Mishandlung  von  Klerikern.  Daher  wandte  sich  Erzbisehof  Con- 
rad von  Prag  am  6.  März  1415  an  den  Oberstburggrafen  zu  Prag. 
Tschenjek  von  Wessel  auf  Wartenberg ,  und  bat  ihn ,  weil  man 

1  Palacky  j  Documenta .  ö:>4  ff.  Das  Schreiben*  ist  in  tchechischer 
Sprache  verfasst :  in  der  lateinischen  Uebersetzung  ist  bemerkenswert!!  die 
Aeusserung,  Hus  sollte  sich  öffentlich  vor  dem  Concil  verantworten  dür- 
fen, wie  er  palam  et  sine  metu  legem  divinum  pr  aedicav  it.  Wir  haben 
hier  den  Begriff  »Gottes  Gesetz« ,  welchen  Hus  mit  Wiclif  gemein  hat. 


272 


Buch  III.    Kap.  a.  VIII. 


wohl  wusste,  dass  er  an  der  Spitze  der  hussitisch  gesinnten  Ba- 
rone stehe ,  den  Unordnungen  zu  steuern  und  seine  Anhänger 
zu  beruhigen,  damit  es  nicht  am  Ende  bis  zum  Blutvergiessen 
komme  1  . 

Das  Unglück  war  aber  schon  nicht  mehr  abzuwenden.  Si- 
gismund that  nichts,  um  sein  Wort  zu  halten,  seine  fürstliche 
Ehre  zu  retten  und  Hus  auf  freien  Fuss  zu  setzen.  Und  das  Con- 
oil  trieb  einem  Auto  da  fe  entgegen.  Dieser  Gang  der  Dinge 
machte  sich  in  Böhmen  und  Mähren  fühlbar :  die  Stimmung  ver- 
schlimmerte sich  immer  mehr.  Wir  können  das  deutlich  messen, 
wenn  wir  die  beiden  Schreiben  des  böhmischen  und  mährischen 
Adels  an  König  Sigismund  vom  8.  und  12.  Mai  1415  mit  dem 
früheren  Schreiben  vom  Januar  oder  Februar  vergleichen.  Die 
späteren  Schreiben  sind  durchweg  um  einen  Ton  höher  gestimmt : 
das  Zeugniss,  welches  die  Barone  für  Hus  ablegen,  ist  fühlbar 
wärmer  und  begeisterter;  die  Beschwerde  über  das  gegen  ihn 
eingeschlagene  Verfahren  lautet  lebhafter;  insbesondere  klagen 
sie  mit  unverholener  Entrüstung  über  die  Härte  und  Grausam- 
keit, womit  er  jetzt  in  Gottlieben  behandelt  werde  ;  die  Zu- 
muthungen an  König  Sigismund  sind  mit  mehr  Nachdruck  und 
Dringlichkeit  ausgesprochen 2) . 

Aber  alle  -  diese  offenen  Aussprachen  und  wohlgemeinten 
Warnungen  blieben  unbeachtet.  Das  Concil  schritt  Anfang  Juni 
zu  den  öffentlichen  Verhören.  Und  am  6.  Juli  folgte  das  End- 
urtheil,  und  dessen  Vollziehung  durch  den  »weltlichen  Arm«. 

Als  die  Nachricht  von  Hus  ens  Verbrennung  und  von  der 
unerschütterlichen  Standhaftigkeit ,  womit  er  in  den  Tod  gegan- 
gen war,  nach  Böhmen  und  Mähren  gelangte ,  machte  sie  allent- 


1  Docttm.  536  folg.:  Quidam,  ut  melius  nostis,  dei  timore  postposito, 
ecc/esias  et  personas  ecclesiasticas  invadentes  et  blasphemiam  committentes,  in 
vilipendium  censurae  ecclesiasticae  nefanda  et  scandalosa  committere  prae- 
sumpserunt.  Aber  schon  im  Eingang  des  Schreibens  erwähnt  der  Erzbischof, 
was  vollends  in  der  Zukunft  bevorstehen  dürfte :  law  quasi  per  amnes  di- 
strietas  particulares  fide/ium  ehristianorum  sanguinis  tffutio  ex- 
pectatiur.  Wir  sehen,  wie  gross  auf  klerikaler  Seite  die  Besorgniss  bereits 
geworden  war. 

2  Vgl.  oben  V.  S.  2(>:J  folg.  Doeum.  547  ff.  550  ff. 


Die  Stimmung  in  Böhmen. 


273 


halben  einen  ungeheuren  Eindruck.  Man  stand  vor  einer  vollen- 
deten Thatsaelie.  Die  hierarchische  und  klerikale  Partei  fand 
in  derselben  eine  tiefe  Befriedigung  und  lebhafte  Ermunterung. 
Die  reformfreundliche  und  nationale  Partei  war  für  einen  Augen- 
blick wie  niedergeschmettert.  Darauf  folgte  aber  ein  tief  gehen- 
des unheimliches  Grollen.  Der  böhmische  Patriotismus  sah  in 
Uns  den  reinsten  Vertreter  und  tapfersten  Vorkämpfer  tschechi- 
schen Volksthums.  Und  den  hatte  man  nicht  nur  erbarmungslos 
eingekerkert,  seine  Lehre  als  häretisch  verurtheilt,  sondern  sogar 
als  einen  Erzketzer  verbrannt !  Damit  war  der  tschechischen  Na- 
tion .  der  slawischen  Rasse  ein  Schandfleck  angehängt,  welcher 
nur  mit  Blut  abgewaschen  werden  konnte.  War  doch  Hus  nicht 
nur.  um  seine  persönliche  Rechtgläubigkeit  zu  beweisen,  sondern 
auch  um  den  christlichen  Ruf  seines  Vaterlandes  zu  retten,  nach 
Oonstanz  gegangen.  Seine  Verurtheilung  erschien  als  Parteilich- 
keit, seine  Verbrennung  als  Justizmord.  So  verband  sich  die 
Entrüstung  verletzten  Rechtsgefühls  mit  religiösem  Fanatismus 
und  mit  dem  patriotischen  Groll  über  die  Beschimpfung  der  na- 
tionalen Ehre.  Lauter  Elemente,  welche  in  ihrem  Zusammen- 
wirken die  Folge  hatten,  dass  die  Hussitenkriege  mit  dem  Feuer 
eines  Rassenkampfes  und  den  Leidenschaften  eines  Bürgerkrie- 
ges zugleich  die  Greuel  eines  Religionskrieges  vereinigten. 

Es  kam  jedoch  nicht  so  rasch  zu  einem  Ausbruch.  Wiewohl 
es  an  Ereignissen,  welche  die  Flamme  schürten,  nicht  fehlte.  Am 
8.  Juli  1415.  zwei  Tage  nach  Hus'ens  Tod,  von  dem  man  in 
Prag  unmöglich  schon  Nachricht  haben  konnte,  richtete  die  Uni- 
versität Prag  eine  lebhafte  Beschwerde  an  den  Landeshauptmann 
von  Mähren.  Latzek  von  Kr a  war.  Es  war  nämlich  am  29.  Juni 
ein  ehemaliger  Prager  Student  von  der  hussitischen  Partei,  Na- 
mens Johannes,  nach  Olmütz  gekommen,  dort  aber  verhaftet, 
verhört,  gefoltert,  verurtheilt  und  als  Ketzer  verbrannt  worden, 
—  alles  binnen  eines  halben  Tages !  Und  doch  war  derselbe  als 
ein  frommer  junger  Mann  von  sittlich  reinem  Wandel  und  auf- 
richtigem Eifer  für  Gottes  Gesetz  1  .  hoch  geachtet.   Aber  auch 


1)  verus  zelator  legis  Dei,  Palacky,  Docum.  502.  Wenn  der  Kector 
der  Universität  zwei  Zeilen  nachher  auch  den  Landeshauptmann  selbst  legis 
Lechlek,  Wiclif.  II. 


274 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


hier  spielt  die  Hauptrolle  das  verletzte  Nationalgefühl.  Nicht 
blos  die  Universität  schien  durch  jene  That  biossgestellt,  sondern 
jener  Vorgang  war  »ein  unauslöschlicher  Schandfleck  des  Volks 
von  Böhmen  und  Mähren  und  der  ganzen  slawischen  Sprache« 
Kasse  1  . 

Kein  Wunder,  wenn  bald  nach  dem  Eintreffen  der  Nachricht 
von  Hus'ens  Feuertod  in  Böhmen  und  Mähren  da  und  dort  wilde 
Ausbrüche  der  Volkswuth  sich  ereigneten.  In  Prag  selbst  wurden 
die  Wohnungen  einiger  Pfarrer,  welche  man  als  H  u  s  ens  Feinde 
ansah,  demolirt.  mehrere  Geistliche  theils  erstochen  theils  in  die 
Moldau  gestürzt :  das  Palais  des  Erzbischofs  auf  dem  Hradschin 
wurde  förmlich  belagert,  so  dass  er  selbst  mit  knapper  Noth  sein 
Leben  rettete.  Und  auf  dem  Lande  wurden  römisch  gesinnte 
Pfarrer  von  den  Grundherren  verjagt  und  durch  hussitisehe  Prie- 
ster ersetzt 2) . 

Da  nun  König  Wenzel  die  Sachen  gehen  liess .  wie  sie  gin- 
gen, während  die  Königin  Sophie  sich  für  die  Verehrer  von  Hus 
eben  so  offen  erklärte  wie  ehmals  für  ihn  selbst,  so  nahmen  die 
königlichen  Würdenträger  und  Räthe.  welche  grösstentheüs  1ms- 
sitisch  gesinnt  waren,  das  Heft  in  die  Hand.  Sie  entschlossen 
sich  den  Gefühlen  und  Wünschen  des  Volks  auf  gesetzlichem 
Wege  Geltung  zu  verschaffen,  eben  damit  aber  den  Landfrieden 
zu  bewahren  und  Ausbrüche  der  Rache  und  Versuche  der  Selbst- 
hülfe für  die  Zukunft  abzuseimeiden.  Man  berief  einen  grossen 
Landtag  auf  Anfang  Sept.  1415  nach  Prag.  Derselbe  wurde  von 
böhmischen  und  mährischen  .ständen  ausserordentlich  zahlreich 
besucht.  Gleich  die  erste  Handlung  des  Landtags  war  ein  feier- 
licher Protest  an  das  Concil  zu  Constanz  gegen  Hus  ens  Yer- 
urtheilung  und  Hinrichtung,  in  einem  offenen  Schreiben  vom 
2.  September,  welches  in  sehr  nachdrücklichein  Ton  abgefasst 
war  und  von  45  böhmischen,  24  mährischen  Baronen  sofort  un- 


dei  zelator  praecipuus  nennt,  so  fällt  der  bereits  gäng  und  gäbe  gewor- 
dene Begriff  »Gottes  Gesetz«  sofort  in's  Auge. 

1)  Daher  werden  die  Urheber  jenes  Ketzergerichtes  zweimal  ausdrück- 
drücklich  als  inimici  gentis  nostrac  bezeichnet. 

2)  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  III,  1.  370  ff. 


Protest  des  Adels  in  ßöhmen  und  Mähren. 


27.") 


fceneichnet  wurde.  Das  Schreiben  wurde  nachher  in  den  einzel- 
nen Kreisen  von  Böhmen  und  Mähren  in  Umlauf  gesetzt  und  noch 
von  einer  grossen  Menge  Herren  unterzeichnet,  so  dass  acht 
gleichlautende  Schreiben  mit  den  Unterschriften  und  Siegeln  von 
452  .Magnaten,  Baronen  und  Herren  abgesandt  werden  konnten. 

Das  Schreiben  enthält  theils  Protest,  theils  Willenserklä- 
rung. Der  Protest  ist  ein  doppelter:  er  betrifft  theils  Hus  per- 
sönlich, theils  das  ganze  Land.  Böhmen  und  Mähren.  Nach  Con- 
statirung  der  Thatsache,  dass  das  Coneil  »deu  ehrwürdigen  Magi- 
ster« Johann  Hus.  ohne  dass  er  geständig  oder  rechtskräftig  über- 
wiesen war.  verurrheilt  und  hingerichtet  habe,  wird  ein  überaus 
ehrenvolles  Xeugniss  für  denselben  mit  ausserordentlicher  Wärme 
abgelegt:  er  sei  ein  durchaus  guter,  frommer,  sittlich  tadelloser 
Mann  gewesen,  welcher  »das  evangelische  Gesetz«  in  Lehre.  Pre- 
digt und  Schrift  treulich  vorgetragen,  durch  Wort  und  Wandel 
zum  Frieden  und  zur  Nächstenliebe  vermahnt,  aber  niemals  einen 
Irrthum  oder  Ketzerei  behauptet  und  Aergerniss  gegeben  halte. 
Nebenbei  wird  auch  Hieronymus  von  Prag  rühmlich  erwähnt, 
und  constatirt.  dass  man  ihn  unverhört  und  ohne  dass  er  gestän- 
dig oder  überwiesen  sei.  eingekerkert  und  vielleicht  jetzt  eben- 
falls umgebracht  habe.  Diesem  persönlichen  Protest  schliesst 
sich  sofort  ein  Protest  an  im  Namen  des  »allerchristlichsten  Kö- 
nigreichs Böhmen«  und  der  »hochberühmten  Markgrafschaft  Mäh- 
ren :  beide  seien  vor  dem  Coneil  verschiedener  Irrlehren  und 
Ketzereien  angeschuldigt  worden:  das  sei  eine  schreiende  Unbill, 
beide  Länder  haben  von  jeher  der  römischen  Kirche  unverbrüch- 
liche Anhänglichkeit  und  aufrichtigen  Gehorsam  bewiesen.  Da- 
her erkläre  man  mit  gutem  Gewissen  öffentlich  jeden,  wer  er 
auch  sei  —  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Königs  Sigismund.  — 
der  da  behaupte,  es  gebe  Irrlehren  und  Ketzereien  in  Böhmen 
und  Mähren,  für  einen  Lügner,  einen  Verräther  dieser  Länder, 
ja  für  den  schlimmsten  Ketzer  and  für  ein  Teufelskind.  Doch 
stelle  man  die  Vergeltung  all"  dieser  Unbill  Gott  dem  Herrn 
anheim. 

Diesem  doppelten  Protest  folgte  die  W  i  1 1  e  n  s  e  r  k  1  ä  r  u  u  g : 
man  behalte  sich  vor.  die  Sache  bei  dem  künftigen  Papste  weiter 
zu  verfolgen.  Diesem  werde  man  in  allem  was  erlaubt  und  sittlich 

IS*  V 


276 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


recht .  der  Vernunft  und  dem  Gesetze  Gottes  gemäss  ist,  gebüh- 
renden Gehorsam  leisten,  behalte  sich  aber  unter  allen  Umstän- 
den vor.  Christi  Gesetz  und  seine  demüthigen  und  standhaften 
Prediger  furchtlos  und  ohne  Rücksicht  auf  entgegenstehende 
Menschensatzungen,  bis  zur  Vergiessung  des  Blutes  zu  verthei- 
digen  und  zu  schützen. 

Dem  Proteste  schloss  sich  demnach  unmittelbar  ein  Programm 
für  die  Zukunft  an,  ein  aufrichtig  und  entschlossen  gefasstes 
evangelisches  Programm1).  Allein  so  bedeutungsvoll  diese  Kund- 
gebung war,  so  lag  doch  in  derselben  genau  betrachtet  nur  ein 
Bekenntniss  zu  der  Lehre  und  Sache  von  Hu s.  nicht  aber  eine 
That.  Man  schritt  aber  sofort  auch  zu  einer  entsprechenden  That. 

Nur  drei  Tage  später,  am  5.  September  1415.  unterzeichneten 
dieselben  Barone  aus  Böhmen  und  Mähren,  welche  die  Adresse  an 
das  Concil  erlassen  hatten .  eine  Urkunde ,  worin  sie  zum  Behuf 
gleichmässigen  und  gemeinschaftlichen  Handelns  in  Sachen  der 
Religion  ein  Schutz-  und  Trutzbündniss  unter  sich  aufrichteten. 
An  die  Spitze  desselben  wurde  ein  Triumvirat  gestellt,  bestehend 
aus  den  Herren  Tschenj  ek  von  Wessel  auf  Wartenberg,  Oberst- 
burggraf von  Prag,  Latzek  von  Krawar,  Landeshauptmann 
von  Mähren,  und  Botzek  dem  älteren  von  Podjebrad,  Gross- 
vater des  nachmaligen  utraquistisehen  Königs  von  Böhmen .  Ge- 
org von  Podjebrad,  also  zwei  Barone  aus  Böhmen  und  einer  aus 
Mähren.  Der  Herrenbund  verpflichtete  sich  gegenseitig,  auf  sei- 
nen Besitzungen  die  freie  Predigt  des  Wortes  Gottes  zu  schirmen, 
ferner  kirchliche  Verfügungen  und  Urtheile  des  künftigen  Papstes 
oder  irgend  eines  Bischofs  in  Böhmen  und  Mähren  lediglieh  nur 
in  so  weit  anzuerkennen  und  durchzuführen,  als  sie  dem  Willen 


1)  In  dem  Schreiben,  das  lateinisch  gefasst  ist,  D<>cum.  580  ff.,  wird 
schon  in  Betreff  Husens  die  lex  evangelica ,  allerdings  in  Verbindung  mit 
expositio  sanctorum  doctorum  ah  ecchsia  approbatorum  oder  sanctorum  patrttm 
instituta,  mehr  als  einmal  betont.  Aber  ganz  besonders  nachdrücklich  ziehen 
die  Barone  eine  scharfe  Grenzlinie  für  ihren  künftigen  Gehorsam  gegen 
Kirche  und  Papst,  indem  sie  ihn  ausdrücklich  auf  diejenigen  Verfügungen 
beschränken,  welche  rationi  et  legi  dicitntr  consona  seien,  und  Rieh 
positiv  vorbehalten,  die  lex  Jesu  Christi  ipsiusque  —  humiles  et  con- 
stantes  pr  u  e d icat  o res  unbedingt  in  Schutz  zu  nehmen. 


Der  hussitische  Herrenbund. 


277 


Gottes  und  der  heiligen  Schrift  gemäss  sein  würden.  Andernfalls 
solle  die  Prager  Universität,  nämlich  der  Rector  und  die  Docto- 
ren  der  Theologie,  als  Schiedsrichter  anerkannt  werden.  Sollten 
schriftwidrige  Excommunicationen  und  Maassregelungen  versucht 
werden,  so  versprach  man  sich  gegenseitige  Hülfe  und  Schutz. 
Der  Vertrag  wurde  vorerst  auf  sechs  Jahre  geschlossen  1  . 

Das  war  ein  kühner  Griff,  ein  praktischer  Schritt  von  unge- 
meiner Tragweite.  Der  hussitische  Bund  bildete  eine  Art  Ne- 
benregierung .  einen  Staat  im  Staate .  freilich  nur  zu  kirchlichen 
Zwecken  ,  aber  unvermeidlich  auch  mit  politischen  Folgen.  Das 
evangelische  Schriftprinzip,  wie  es  Hus  von  Wie  Ii  f  überkom- 
men hatte,  wurde  hiemit  zum  Panier  eines  zahlreichen  und  mäch- 
tigen Herrenbundes  erhoben,  wie  es  von  demselben  ein  paar  Tage 
zuvor  als  Bekenntnis^  dem  Concil  gegenüber  ausgesprochen  wor- 
den war  2  .  Beachtenswerth  erscheint  hiebei  der  Umstand,  dass 
den  Baronen  der  Begriff  einer  tschechischen  Landeskirche  vorzu- 
schweben scheint  ,  indem  sie  mit  einer  absichtlichen  Betonung 
aussprechen,  dass  sie  lediglich  nur  von  Seiten  derjenigen  Bischöfe, 
»welche  in  Böhmen  und  Mähren  unsere  Vorgesetzten  sind«,  Ver- 
fügungen annehmen  und  gelten  lassen  wollen.  Ausserdem  liegt, 
wie  Palacky  mit  Recht  bemerkt  hat3  ,  etwas  vollkommen  Neues 
in  dem  Schiedsrichteramte  in  Kirchenfragen,  welches  die  Barone 
der  Prager  Universität .  d.  h.  dem  Rector  und  den  Doctoren  der 
Theologie  zuerkennen.  Uebrigens  handelten  dieselben  auch  hierin 
folgerichtig .  indem  sie  der  theologischen  Facultät  nicht  ein  un- 
beschränktes Schiedsrichteramt  ertheilten .  sondern  über  dersel- 


1  Dorum.  590  ff.  Vgl.  die  deutsche  Uebersetzung  der  Urkunde,  deren 
Original  tschechisch  ist,  bei  Helfert,  Hus  und  Hieronymus,  1853.  An- 
hang, 30()  ff. 

2)  Verbum  Dei  secundum  sacras  Ute  ras  praedicari ,  ist  der 
Zweck ;  verbum  dei  et  ejus  lex,  oder  lex  dei  ejusque  sacra  scriptura  wird  als 
maassgebende  Norm  anerkannt  ;  und  dabei  ist  bemerkenswerth ,  dass  von 
einem  nebenbei  maasgebenden  Ansehen  der  Kirchenväter,  wovon  das  Schrei- 
ben an  das  Concil  zweimal  spricht ,  in  der  ganzen  Bundesurkunde  keine 
Spur  vorkommt. 

3    Gesch.  von  Böhmen.  III,  t.  377. 


i 


278 


Buch  III.    Kap.  ä,  VIII. 


ben  »Gottes  Gesetz  und  seine  heilige  Schrift«  für  das  Richtmaass 
erklärten  1  . 

Es  war  nicht  ursprünglich  die  Absicht  gewesen,  einen  hus- 
sitischen  Sonderbund  und  eine  Nebenregierung  zu  bilden.  Man 
hatte  sich  redlich  bemüht ,  den  König  zum  Beitritt  zu  bewegen : 
dann  würden  die  Bundesbeschlüsse  Landesgesetze  geworden 
sein.  Allein  dazu  Hess  sich  König  Wenzel  denn  doch  nicht 
bewegen.  Somit  blieb  den  Baronen,  wollten  sie  nicht  ihre 
Ueberzeugung  und  Gewissensfreiheit  zum  Opfer  bringen ,  nichts 
anderes  übrig,  als  das  Schutz-  und  Trutzbündniss  einfach  unter 
sich  zu  schliessen. 

Natürlich  blieb  die  Gegenpartei  auch  nicht  müssig.  Sie  hielt 
am  1.  October  eine  Versammlung  beim  Erzbischof  Conrad  auf 
seiner  Herrschaft  Böhmisch  -  Brod ,  und  vereinigte  sich  ebenlalls 
zu  einem  Bunde,  dessen  Urkunde  nicht  mehr  vorhanden  ist.  Nur 
so, viel  weiss  man  davon,  dass  diesem  Bunde  14  Barone  beiger 
treten  sind,  also  eine  sehr  kleine  Zahl  im  Vergleich  mit  dem 
hussitischen  Herrenbunde.  Indessen  gehörten  dazu  mehrere  holte 
Landesbeamte  und  sonst  vornehme  Herren.  Die  Hauptsache  war 
aber ,  dass  König  Wenzel  selbst  nachträglich  und  zwar  öffentlich 
zu  erkennen  gab,  dass  er  diesem  Bunde  angehören  wolle.  Die 
Mitglieder  verpflichteten  sich  zu  unbedingtem  Gehorsam  ge- 
gen den  König,  die  römische  Kirche  und  das  Concil. 

So  standen  in  Böhmen  und  Mähren  nunmehr  zwei  Sonder- 
derbündnisse  von  Baronen  und  Herren  sich  gegenüber,  das  hus- 
sitisch-reformatorische  und  das  römisch-conservative.  Es  fragte 
sich,  ob  eine  Möglichkeit  sei,  den  Landfrieden  noch  zu  erhalten, 
oder  ob  man  unrettbar  dem  Bürgerkrieg  entgegentreibe. 

Die  Maassregeln,  welche  die  Hierarchie  ergriff,  waren  nur 
gar  nicht  dazu  angethan,  die  Gemüther  zu  beschwichtigen.  Es 
war  ein  entschiedener  Fehlgriff,  dass  das  Concil  zu  Constanz 
gerade  den  Bischof  von  Leitomischl .  Johann  den  Eisernen,  als 
ausserordentlichen  Legaten  mit  Vollmacht  und  Empfehlungen 


l  Docum.  594:  tri  Iii  sint  urhitri  sie  an  dum  li'f/cm  de%  fjttsqife  .<-"- 
er  am  scripturam. 


.Maassregeln  der  Kirche  gegfetl  die  Hussiten. 


279 


rtaöh  H< »Innen  schickte,  um  »die  Ketzerei  auszurotten1  «.  Bischof 
Johann  war  in  Böhmen  schon  vor  dem  Concil  als  Führer  der  anti- 
hussi tischen  Partei  in  dem  böhmischen  Klerus,  und  in  Constanz 
während  des  Concils  als  einer  der  fanatischsten  Gegner  Hus  ens 
ao%etreten2  .  Demnach  konnte  die  Ernennung  seiner  Person  zum 
Legaten  von  Seiten  des  Concils  die  hussitische  Partei  nur  erbit- 
tern. Ferner  waren  die  Erlasse,  zu  denen  das  erzbischöfliche 
Domkapitel  in  Prag-  sich  bewogen  fand,  nur  zu  sehr  geeignet  das 
Im'iut  zu  schüren.  Das  Kapitel  erliess  am  5.  Sept.  ein  scharfes 
Verbot,  bei  Strafe  des  Banns,  gegen  die  Spendung  des  Abend- 
mahls unter  beiderlei  Gestalt,  an  alle  Pfarrer  der  Diöcese ,  und 
am  Ib.  desselben  Monats  gegen  die  Zulassung  hussitischer  Reise- 
prediger  praedicatores  cagi)  zu  Predigten  und  anderen  Anits- 
vei •richrungen  innerhalb  der  einzelnen  Parochiem  an  sämmtliche 
Decane  und  Pfarrer8  .  Aber  noch  mehr  trug  zur  Steigerung  der 
Leidenschaften  das  Interdikt  bei,  welches  der  Dechant  und  das 
Domkapitel  am  1.  November  1415  über  die  Hauptstadt  verhängte 
und  Jahre  lang  aufrecht  erhielt.  Es  half  nichts,  dass  eine  tsche- 
chische Bürgerversammlung  sich  mit  einer  Beschwerde  über  das 
Interdikt  an  die  Bürgermeister  von  Prag  wandte.  Die  Bürger- 
meister ersuchten ,  wie  es  scheint,  den  König  um  sein  Einschrei- 
ten. Aber  selbst  der  König  erreichte  mit  seiner  Verwendung 
nicht  das  geringste.  Das  Domkapitel  antwortete  mit  Gegenbe- 
scliwerden.  und  wusste  Gründe  genug  anzuführen,  aus  denen 
das  Interdikt  nicht  aufgehoben  werden  dürfe4'. 

1  Die  Vollmacht,  Docum.  .V74  ff.  ;  eine  Empfehlung  an  Jdhann  von 
Neuhaus,  Obersthofmeister  in  Prag,  a.  a.  O.  572  ff.  und  bei  Hoefler,  Ge- 
schichtschreiber d.  hussit.  Bewegung,  II,  2s2  folg.;  ferner  eine  Empfehlung 
an  die  Geistlichkeit  in  Prag  selbst  und  in  dem  bischöflichen  Sprengel  von 
Prag,  Docum.  578  folg. 

2  Hus  selbst  hat  ihn  in  einem  seiner  letzten  Briefe,  Docum.  138  folg. 
als  einen  von  den  Männern  bezeichnet,  welche  am  meisten  gegen  ihn  ge- 
hetzt haben. 

3  Docum.  ")!)5  folg.  (iOO  folg. 

4  Die  Vorstellung  der  tschechischen  Bürgerversammlung,  Documenta. 
B04  ff.;  die  Erwiederung  des  Domkapitels  an  die  königlichen  Käthe,  a.  a.  O. 
606  ff.;  beide  Urkunden  sind  im  Original  tschechisch. 


280 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


Nun  aber  kam  dazu,  dass  das  Concil  Ernst  zu  machen  drohte. 
Am  24.  Februar  1416  beschloss  es,  die  452  Barone  und  Herren 
aus  Böhmen  und  Mähren ,  welche  die  Adresse  an  das  Concil  vom 
2.  September  1415  unterzeichnet  und  mit  ihren  Siegeln  versehen 
hatten,  vorzuladen,  um  ihnen  den  Process  zu  machen.  Und  unter 
dem  27.  März  1416  erliess  das  Concil  ein  Schreiben  an  die  Ba- 
rone von  dem  antihussitischen  Sonderbund,  um  diese  zu  thatkräf- 
tiger  Unterstützung  des  Legaten ,  Johann  von  Leitomischl .  auf- 
zumuntern und  einen  Kreuzzug  gegen  Böhmen  in  Aussicht  zu 
stellen  1  .  Mit  alle  dem  vermochte  man  die  tschechischen  Hussi- 
ten  nicht  einzuschüchtern.  Als  aber  vollends  auch  Hierony- 
mus von  Prag  am  30.  Mai  verurtheilt  und  verbrannt  worden 
war,  blieb  schlechterdings  keine  Aussicht  auf  Versöhnung  der 
Parteien  mehr  übrig.  Daher  Hess  das  Concil  seinerseits  nun  jede 
Rücksicht  fallen.  Hat  es  sich  doch  zu  einer  bis  dahin  unerhörten 
Maassregel  entschlossen,  indem  es  die  Universität  Prag  mit  einer 
Art  von  kirchlichem  Verruf  belegte,  alle  ihre  Privilegien,  moch- 
ten sie  vom  Papst  oder  einem  Bischof,  vom  Kaiser  oder  irgend 
einem  Fürsten  verliehen  sein,  ausser  Kraft  setzte,  und  sännnt- 
liche  Universitätsakte  und  Promotionen  in  allen  Facultäten  für 
nichtig  erklärte2).  Wenn  vollends  einer  der  angesehensten  und 
gemässigtsten  Theologen  des  Concils.  D.  Gerson,  in  seiner  aus 
Auftrag  der  Versammlung  geschriebenen  Beleuchtung  der  Frage 
über  die  Communion  unter  beiderlei  Gestalt ,  kein  Hehl  daraus 
machte,  dass  es  seines  Erachtens  der  Würde  des  Concils  mehr 
entsprechen  würde,  gegen  die  Hussiten  den  römischen  König 
anzurufen,  damit  er  die  Sache  mit  dem  weltlichen  Arm  verfolge, 
statt  einen  literarischen  Kampf  zu  führen,  zumal  das  Concil 


1)  Dorum.  (>1 5  ff". 

2,  Die  Urkunde  vom  Jahr  1417,  aber  ohne  Datum,  s.  bei  Hoefler. 
Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewegung,  II,  237  ft'.  Das  Concil  verhehlt  nicht, 
dass  man  mit  Aufhebung  der  Universität  umgegangen  sei,  aber  schliess- 
lich sich  mit  Suspension  auf  Zeit  begnügt  habe.  Bezeichnend  für  das 
kirchliche  Rechtsgefühl  ist,  dass  man  sich  ohne  weiteres  befugt  glaubte, 
auch  solche  Privilegien  zu  suspendiren  ,  welche  von  Kaisern  oder  Köni- 
gen, nicht  von  kirchlichen  Behörden,  verliehen  waren. 


Das  Concil  und  die  Reform 


28 1 


bereits  das  Urtheil  gefallt  habe1  :  so  sieht  mau.  wie  man  in 
Constanz  jetzt  gesinnt  war. 

Dennoch  erlebte  das  Concil  einen  Kreuzzug  gegen  die  Hus- 
siten  nicht  mehr.  Nachdem  es  die  grosse  Papstspaltung  glücklich 
geheilt  und  die  Einheit  der  abendländischen  Kirche  vollständig 
wiederhergestellt  hatte .  blieb  nur  noch  eine  doppelte  Aufgabe  zu 
lösen  übrig :  die  Wahl  eines  einheitlichen  Papstes  und  —  die  Re- 
form der  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern.  Nachdem  aber  die  Mit- 
glieder romanischer  Nationalität.  Italiener.  Spanier  und  Franzo- 
sen, mit  Einschluss  selbst  so  eifriger  Reformfreunde  wie  Cardinal 
d  Ailly  und  D.  Gerson.  die  Priorität  der  Papstwahl  durchge- 
setzt hatten,  während  die  Mitglieder  germanischer  Nationalität. 
Deutsche.  Skandinavier  und  Engländer,  unter  Zustimmung  der 
Slawen  Böhmen2  und  Polen  und  der  Magyaren .  mit  König  Si- 
gismund an  der  Spitze,  die  Reform  zuerst  auf  die  Tagesordnung 
hatten  setzen  wollen :  wurde  die  Papstwahl  wirklich  in  erster 
Linie  vorgenommen.  Am  II.  November  1417  wählten  die  Ver- 
trauensmänner des  Concils .  in  Gemeinschaft  mit  den  in  Constanz 
anwesenden  Cardinälen  den  Cardinal  Otto  von  Colonna  zum  Papst, 
der  zum  Andenken  an  den  Tag  seiner  Wahl  den  Namen  Martin  V. 
annahm.  Nun  sollte  die  Reform  an  die  Reihe  kommen.  Allein 
es  war  zu  spät.  Die  redlichen  Reformfreunde  aus  den  romani- 
schen Nationen  mussten  sich  bald  genug  überzeugen,  dass  der 
König  und  die  deutsche  Nation  Recht  gehabt  hatten,  als  sie  dafür 
stimmten :  erst  die  Reform .  und  dann  den  Papst !  Aus  der  Re- 
form durch  das  Concil  ist  nichts  geworden.  Es  wurde  Martin  V. 
nicht  schwer,  gute  Gründe  für  die  Vertagung  der  Reform  geltend 
zu  machen :  die  Aufgabe  sei  zu  gross,  als  dass  man  sie  übereilen 


1   Von  der  Hardt,  III.  776. 

2)  Nicht  am  wenigsten  dringlich  für  die  Reform  sprachen  sich  gerade 
die  tschechischen  Concilsmitglieder  aus.  Zum  Beispiel  der  Prager  Inquisitor. 
Dr.  Marik  Mauritius  ,  hielt  am  9.  Mai  1417  eine  Rede  im  Concil  für 
die  Priorität  der  Reform  vor  der  Papst  wähl,  wobei  er  unter  anderen  Grün- 
den hiefür  auch  den  geltend  machte,  nur  durch  Venvirklichung  der  Re- 
form werde  man  den  Argwohn  aus  der  "Welt  schaffen,  als  hätte  das  Concil 
den  Hus  nur  darum  verurtheilt .  weil  er  die  Simonie  scharf  gerügt  habe. 
V.  d.  Hardt,  I.  870. 


28*2 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


dürfe :  jedes  Land  habe  seine  »berechtigten  Eigenthümlichkei- 
ten« ,  die  man  durch  eine  allgemeine  und  gleichmässige  Reform 
nicht  nivelliren  dürfe :  überdies  habe  das  Concil  zu  Constanz  be- 
reits in's  vierte  Jahr  gedauert,  es  könne  nicht  füglich  ohne  Scha- 
den für  den  kirchlichen  Dienst  und  die  Gemeinden  noch  länger 
tagen  1  .  Somit  begnügte  sich  der  Papst  mit  dem  Schein  statt  der 
Sache,  traf  mit  den  einzelnen  »Nationen«  auf  dem  Concil  Separat- 
Vereinbarungen .  und  vertagte  die  allgemeine  Reform :  d.  h.  er 
befolgte  die  strategische  Maxime:  dwide  et  impera.  Am  22.  April 
1418  hat  er  das  Concil  wirklich  aufgelöst. 

Aber  noch  vorher  hatte  der  neue  Papst  die  Angelegenheit  der 
Hussiten  in  die  Hand  genommen.  Am  22.  Februar  1418  erliess 
er  mehrere  Bullen  und  Schreiben,  worin  er  die  vom  Concil  in  der 
hussitischen  Sache  ergriffenen  Maassregeln  bestätigte,  die  Hussi- 
ten ermahnte  in  den  Schoos  der  Kirche  zurückzukehren  .  die  hart- 
näckigen mit  dem  Bann  belegte  und  alle  kirchlichen  und  staat- 
lichen Auktoritäten  aufforderte,  gegen  sie  einzuschreiten 2  . 

Zugleich  gab  sich  König  Sigismund  alle  Mühe,  seinen 
Bruder  Wenzel  dahin  zu  bringen,  dass  er  endlich  gegen  die  Hus- 
siten nachdrücklich  einschreite.  Zu  diesem  Behuf  setzte  das 
Concil  24  Artikel  fest  über  das  hiebei  einzuhaltende  Verfahren. 
Wenzel  sollte  sich  eidlich  verpflichten .  I)  die  römische  Kirche 
bei  ihren  Hechten  zu  schützen,  insbesondere  den  Kirchen  alle 
(xüter.  die  ihnen  weggenommen  worden,  zurückzuerstatten,  dem 
Prager  Dom  seine  Reliquien  und  Schatze  zurückzugeben ;  2  die 
vertriebenen  Geistlichen  in  ihre  Pfründen  wieder  einzusetzen : 
^  die  Prager  Tniversität  wieder  auf  römisch-katholischen  Fuss 
zurückzuführen:  1  den  hussitischen  Kultus  abzustellen  ;das 
Reisepredigerwesen  sollte  unterdrückt,  das  Singen  hussitiseher 
Lieder  allenthalben  verboten,  alle  hussitischen  Schriften  ver- 
brannt werden  .  .">  Die  hussitischen  Bündnisse  sind  aufzu- 
lösen. 6  Die  bedeutendsten  unter  den  hussitischen  Lehrern  so 
wie  diejenigen  Geistlichen,  welche  auf  der  Burg  Lipnitz  urdinirt 


1  Nach  Platina.  Vita  Martini  V.  bei  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen. 
III.  I    404  folg.  Anm.  60»! 

2  Von  der  Hardt.  IV.  15)8—1531 


Könif;  Wenzel  und  die  Hussiten. 


wurden,  sind  anzuhalten,  dass  sie  sich  zur  Verantwortung  vor 
dem  päpstlichen  stuhle  stellen.  Aber  alle  Hussiten  müssen  zur 
Abschwörung  ihrer  [rrthtimer  gezwungen,  die  hartnäckigen 
ernstlich  gestraft  werden:  jeder  der  den  Uns  oder  Hierony- 
mus für  einen  Heiiiiren  erklärt,  soll  als  rückfälliger  Ketzer  zum 
Feuertod  verurtheilt  werden  u.  s.  w.  1  . 

Allein  König  Wenzel  war  immer  noch  nicht  geneigt;  solche 
energische  Maassregeln  zu  ergreifen.  Bis  endlich  König  Sigis- 
mund, auf  der  Rückreise  nach  Ungarn,  am  4.  December  141S 
von  Passau  aus  einen  sehr  nachdrücklichen  Brief  an  seinen 
Bruder  sehrieh,  des  Inhalts:  wenn  König  Wenzel  nicht  Ernst 
mache,  die  hussitischen  Irrungen  in  seinem  Reiche  zu  unter- 
drücken, so  werde  er  um  seine  Krone  kommen:  denn  die  ganze 
Christenheit  werde  sieh  dann  zu  einem  Kreuzzug  gegen  Böh- 
men erheben.  Wenn  es  aber  so  weit  komme,  so  habe  Wen- 
zel es  lediglich  sich  selbst  und  seiner  Pflichtvergessenheit  zu- 
zuschreiben -  . 

Das  wirkte.  Seit  Anfang  Februar  14 Hl  schritt  der  König  zu 
einzelnen  Verwaltungsmaassregel» ,  welche  den  vom  Concil  vor- 
geschriebenen Artikeln  entsprachen.  Der  Dr.  Johann  Jesenitz. 
um  dessen  willen  zunächst  das  Interdikt  am  1.  Nov.  1415  über 
Prag  Verhängt  worden  war.  musste  für  immer  Prag  meiden,  die 
vertriebenen  römischen  Priester  wurden  in  ihre  Pfarrstellen  wie- 
der eingesetzt.  Nun  war  aber  die  Bevölkerung  von  Prag  über- 
wiegend hussitisch  gesinnt.  Daher  hatten  diese  Maassregeln,  so 
wie  der  Umstand ,  dass  die  zurückgekehrten  katholischen  Pfarrer 
ihre  Kirchen  neu  weihten  u.  s.  w  ..  eine  nicht  geringe  Aufregung 
zur  Folge.  Es  kam  zu  Aufläufen  in  der  Stadt.  Daraufhin  wurden 
auf  den  2r>.  Februar  Deputirte  der  Bürgerschaft  vor  die  Käthe  des 
Königs  vorgeladen,  um  die  Eröffnung  zu  vernehmen,  dass  der 
König  den  Hussiten  drei  Kirchen  in  der  Stadt  zu  ihrem  Gottes- 

1)  Dies  sind,  in  etwas  bessere  logische  Ordnung  gebracht,  die  Haupt- 
punkte der  24  Artikel .  welche  das  Concil  zu  Constanz  formulirt  hat ,  um 
das  gegen  die  Hussiten  zu  beobachtende  Verfahren  zu  regeln  j  vgl.  Von 
der  Hardt,  IV.  1514. 

2   Docum.  682  ff. 


2s4 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


dienst  anweisen  lasse.  Allein  das  empfand  man  nicht  als  eine 
Concession,  sondern  als  eine  Beschränkung.  Daher  versuchte 
man,  durch  Bitten ,  Vorstellungen  und  Gewalt  wieder  mehr  Kir- 
chen zu  erlangen.  Ein  Hauptzankapfel  wurden  aber  die  Schu- 
len. Wenn  auch  die  Kirchen  an  römischgesinnte  Priester  abge- 
geben werden  mussten,  so  verweigerte  die  Gemeinde  ihre  Kirch- 
schulen  an  die  Pfarrer  abzutreten,  weil  nicht  die  Pfarrer,  sondern 
die  Gemeinde  diese  Schulen  unterhalte.  Nun  aber  konnten  die 
katholischen  Pfarrer  auf  den  Unterricht  der  Jugend  nicht  ganz 
verzichten ,  sie  wiesen  ihre  n  Schülern  Glockenthürme  und  der- 
gleichen Lokale  zun  Unterricht  an.  So  gab  es  denn  bei  einer 
und  derselben  Kirche  zweierlei  Schüler ,  katholische  und  hussi- 
tische;  jene  sangen  lateinisch,  diese  tschechisch.  Das  konnte 
ohne  fortwährende  Reibungen  nicht  abgehen.  Manchmal  misch- 
ten sich  die  Bürger  in  den  Streit  zwischen  den  beiden  Parteien 
unter  den  Schülern.  Es  kam  zu  Schlägereien,  Verwundungen 
und  Todtschlägen  1  . 

Die  Schwenkung ,  welche  der  König  seit  Anfang  des  Jahres 
1419  gemacht  hatte,  war  natürlich  auch  für  seine  Umgebung  von 
Folgen.  Die  eifrigsten  Hussiten  konnten  nicht  wohl  länger  am  Hofe 
bleiben.  So  trennten  sich  jetzt  vom  königlichen  Hofe  zwei  Män- 
ner, die  bisher  hoch  in  der  Gunst  Wenzel's  gestanden  waren,  der 
eine  ein  Staatsmann,  der  andere  ein  Kriegsheld:  jener  war  Ni- 
colaus  von  Pistna,  königlicher  Burggraf  auf  Hus  und  Pracha- 
titz,  dieser  Johann  Zizka  (sprich:  Schischka  von  Trotznow,  ein 
Mann  vom  niedern  Landadel ,  der  nur  einige  kleine  Besitzungen 
hatte,  aber  im  Kriegshandwerk  ergraut  war.  Beide  wurden  all- 
mählich Volksführer  auf  hussitischer  Seite.  Bald  war  es  dem 
König  Wenzel  nicht  mehr  gemüthlich  in  Prag.  Er  begab  sich 
auf  ein  von  ihm  selbst  erbautes  Schloss  »Wenzelstein.«  Als  er 
aber  dort  Nachricht  erhielt  von  den  Vorfällen  in  Prag,  wo  am 
30.  Juli  eine  hussitische  Procession  in  der  Neustadt  beim  Rath- 
hause aufgehalten  und  verhöhnt  worden  war.  worauf  die  fana- 

1  Nach  der  interessanten  Mittheilung  aus  dem  Chronicon  Prnvopii  im 
Wittingauer  Archiv,  bei  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen,  III,  1.  413t 
Anm.  -V22. 


Charakter  der  hussitischen  Bewegung. 


2S5 


ttatrte  Menge  unter  Johann  Zizka's  Führung  das  Rathhans 
stürmte,  und  sieben  Rathsherren  zu  den  Fenstern  hinausstürzte, 
die  sofort  auf  der  Strasse  umgebracht  wurden:  da  gerieth  er  in 
die  leidenschaftlichste  Aufwallung.  In  Folge  derselben  wurde 
sein  Geniüth  verdüstert,  voll  Mistrauens  und  Schwermuth:  ein 
Schlagfluss  lähmte  seine  linke  Seite,  und  am  16.  August  1419 
starb  er  in  Folge  eines  zweiten  Schlaganfalls.  Und  noch  im  glei- 
elien  Jahre  brach  der  Bürgerkrieg  aus,  wenigstens  in  seinen 
ersten  Vorspielen. 

Anstatt  nun  die  äusseren  Ereignisse  zu  verfolgen,  wenden 
wir  uns  zum  innere  n  C  h  a  r  a k  t  e  r  der  hussitischen  Bewegung. 

Vor  allem  wurde  das  pietätsvolle  G-edächtniss  des  Johann 
Hus  selbst  von  der  ganzen  Partei  heiliggehalten.  Sein  Todes- 
tag, der  6.  Juli,  wurde  unstreitig  schon  in  den  ersten  Jahren,  und 
so  fortan,  wie  der  Feiertag  eines  Heiligen  und  Märtyrers,  began- 
gen .  Er  hiess  Pam at k a  m  i  s t r  a  J a n a  Hu si .  Gedächtnisstag 
des  Magisters  Johann  Hus:  und  noch  am  Ende  des  XVI.  Jahr- 
hunderts hielt  die  Bevölkerung  von  Prag  so  streng  auf  die  Feier 
dieses  Tages .  dass  der  Abt  des  Klosters  Emmaus  in  Prag ,  Paul 
Horsky .  um  deswillen  aufs  ärgste  verfolgt  und  bedroht  wurde, 
weil  er  einmal  an  dem  Tage  des  Hus ,  als  wäre  es  ein  Werktag, 
im  Weinberg  hatte  arbeiten  lassen  1  .  Geistliche  Beredtsamkeit. 
Dichtkunst,  Malerei  wetteiferten,  den  Magister  als  einen  Heiligen 
zu  ehren  2j .   Wie  viele  Hoch-Altäre  in  Pfarrkirchen  Böhmens  und 


1  llichard  Andre e,  Tschechische  Gänge,  Bielefeld  u.  Leipzig  IS72.  131. 

2  Das  hussitische  Cantionale  der  Stadt  Prag  aus  dem  Jahr  1572. 
jenes  Kleinod  der  Universitätsbibliothek  daselbst,  enthält  ein  tschechisches 
Kirchenlied  auf  Hus,  fol.  364a  und  folg..  während  die  genannte  Seite  mit 
Miniaturen  prachtvoll  geschmückt  ist:  die  Initiale  zeigt  die  Enthauptung 
Johannis,  der  untere  Hand  Husens  Flammentod  mit  vielen  Figuren,  worun- 
ter Michael  de  Causis  mit  einem  gelungenen  Fuchskopf  (nicht  einem 
Eselskopf,  wie  Hanslick,  Gesch.  der  Prager  Univ. -Bibl.  1 S 5 1 .  627  folg.  be- 
hauptet ;  der  rechtseitige  Hand  enthält  medaillon-artig  über  einander  Wi- 
clif,  wie  er  Feuer  schlägt,  unter  ihm  Hus,  wie  er  die  Kohle  anzündet, 
noch  tiefer  unten  Luther,  die  hellleuchtende  Fackel  schwingend!  Diese 
Trilogie  von  Medaillons  zeigt  sinnbildlich  die  Mission  der  drei  Männer,  der 
beiden  Vorläufer  und  des  Reformators  selbst.  —  Von  den  Miniaturen  eines 
Cantionale  von  Leitmeritz  aus  den  Jahren  1511  — 1517.  und  zwar  merk- 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


Mährens  im  XY.  Jahrhundert  mit  den  Bildnissen  des  Hus  und 
Hieronymus  geschmückt  waren .  wird  «ich  nicht  mehr  ausma- 
chen lassen.  Von  vielen  weiss  man  es  positiv.  Die  Begeisterung 
für  Hus  war  so  gross,  dass  ihn  —  so  behauptet  wenigstens  ein 
damaliger  Gegner  —  die  Partei  nicht  nur  als  Gelehrten  über  alle 
Doctoren,  sondern  auch  als  Märtyrer  über  alle  Märtyrer  erhob: 
laut  desselben  Gewährsmanns  hat  bei  der  Todtenfeier  für  Hus. 
welche  in  der  Bethlehemskapelle  zu  Prag  gehalten  wurde,  der 
hussitische  Prediger  ausgesprochen,  ausschliesslich  nur  Christi 
Passion  könne  dem  Leiden  des  Johannes  Hus  gleichgestellt 
werden  1  . 

Dessen  ungeachtet  war  es  nicht  ihre  Meinung,  den  Magister 
zu  ihrem  Herrn  und  Meister  zu  erheben,  sondern  Christus  allein 
sollte  ihr  Meister  sein ;  den  »Magister«  ehrten  sie  nur  als  einen 
evangelischen  Prediger«,  treuen  Lehrer  und  frommen  Diener 
Christi.  Unter  diese  Gesichtspunkte  stellt  ihn  der  ungenannte 
Theologe,  dessen  Predigt  zu  Hus  ens  Gedächtnisstage  wir  noch 
besitzen-'.    Das  Jahr,  dem  diese  Predigt  angehört,  ist  freilich 

würdigerweise  nicht  der  Brüderschaft  vom  tschechischen  .  sondern  der  vom 
lateinischen  Kirchengesang,  gibt  uns  theils  Julius  Lippert  Nachricht.  Ge- 
schichte der  Stadt  Leitmeritz  in  »Beiträge  zur  Gesch.  Böhmens«,  Abth.  III. 
S.  :*<K5  folg.),  theils  Hoefler,  Mag.  Jon.  Hus,  Iis.  Anm.  95.  Darnach  ist 
das  kolossale  Gesangbuch  des  lateinischen  Liferatenchors  der  genannten 
Stadt  auf  den  Hus-Tag,  *i.  Juli,  mit  zwei  Miniaturen  geschmückt,  deren 
jede  die  Grösse  des  ganzen  Pergamentblattes  ( eine  böhmische  Elle  und  •"> 
Zollhoch,  12  Zoll  breit;  einnimmt.  Das  eine  Bild  stellt  Husens  Verantwor- 
tung vor  dem  Concil  dar,  das  andere  seine  Verbrennung,  und  auf  dem 
oberen  Theile  des  Bildes  seinen  Eingang  in  die  Seligkeit,  indem  ihn  Engel 
zum  Himmel  emportragen,  in  die  ausgebreiteten  Arme  Gottes  des  Vaters. 

t)  Stephan  von  Dölau.  Epistola  od  Hussitas,  bei  Pez,  Tketaunis 
auecd.  IV,  2.  521.  Femer  stammt  die  Angabe  gleichfalls  aus  der  Feder 
eines  Gegners,  ist  jedoch  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Hussiten  sagten, 
Hus  habe  mehr  ausgerichtet  und  grössere  Wunder  gethan  .  als  Petrus  oder 
Paulus,  denn  die  Apostel  hätten  nur  leiblich,  Hus  aber  geistlich  Wunder 
gethan.    Uocum.  637. 

2,  Opera  II,  .'WO1  —  'MW-.  Dass  die  Predigt  nicht  schon  141")  gehalten 
sein  kann,  beweist  die  ausführliche  Beschreibung  des  Todes  von  Hierony- 
mus. Uebrigens  spricht  der  Prediger  auch  von  des  letzteren  Verbrennung 
nicht  in  einer  Weise ,  dass  man  den  Eindruck  bekäme  .  das  Ereignis*,  sei 
noch  sehr  neu  gewesen. 


Oesinnung  der  Hussiten. 


287 


nicht  genannt :  sie  stammt  wohl  eher  aus  dem  Jahre  1 41 7  ais  1 41  6, 
in  keinem  Fall  aus  dem  Jahre  1415.  Nun  aber  spricht  der  Unge- 
nannte von  Hus  wohl  mit  reinster  Verehrung  für  Beinen  Cha- 
rakter und  seine  wahrhaft  fromme  ,  aufopfernde  Arbeit  an  dem 
Seelenheil  seiner  Nebenmenschen,  jedoch  nicht  in  einem  Tone, 
als  stellte  er  ihn  über  alle  anderen.  Wird  doch  nicht  nur  Hiero- 
nymus von  Prag  Hus  an  die  Seite  gestellt,  sondern  auch  noch 
»fünf  selige  Brüder  in  Christo  .  nämlich  die  drei  »einfachen,  got- 
resfürchtigen  Männer«,  welche  am  11.  Juli  1412  in  Prag  enthaup- 
tet' .  und  die  zwei,  welche  am  29.  Juni  1415  inOlmütz  verbrannt 
wurden  -  .  Der  Redner  ist  evangelisch  besonnen  genug,  um  zu 
tagen:  »Wir  habenden  frommen  Glauben .  dass  diese  aus  dem 
Tode  zum  Leben  übergegangen  sind,  wollen  uns  aber  ihrer  nicht 
eitel  rühmen  .  sondern  verleugnen  das  ungöttliche  Wesen  und  die 
weltlichen  Lüste,  und  züchtig,  gerecht  und  gottselig  leben  in  die- 
ser Welt .  uns  nicht  verführen  lassen  durch  Lehren  .  welche  dem 
rechten  Glauben  fremd  sind  alienis  afideeaihölica  doctrinis  .  und 
in  einem  neuen  Leben  wandeln,  damit  wir  mit  der  triumphirenden 
Kirche .  mit  diesen  und  allen  andern  seligen  Märtyrern  einst  uns 
ewig  freuen  dürfen.  Dazu  helfe  uns  der.  welcher  ist  der  Weg, 
die  Wahrheit  und  das  Leben3]!«  Demnach  begreifen  wir  die 
Thatsache.  welche  jenem  zeitgenössischen  Kritiker  nur  als  eine 
wunderliche  Inconsequenz  erschien .  dass  diese  Leute  den  Namen 
»WiclefiteiiM  und  »Hussiten«  ablehnten,  während  sie  doch  die 
Lehren  und  Vorschriften  eines  Wiclif  und  Hus  mit  hoher  Ver- 
ehrung annahmen  und  sie  wie  Heilige  ehrten  und  feierten4  .  Sie 
waren  sich  eben  bewusst.  gute  »katholische«  Christen  zu  sein  und 

L  s.  oben  Kap.  'S.  IV.  S.  179. 

2)  s.  oben  Kap.  3.  VIII.  S.  273  folg. 

3  Opp.  II.  363* 

4  Stephanus  von  Dolan,  Epistola  ad  Hussitas.  Pars  V.  c.  52.  Pez. 
Thes.  aneed.  Vol.  IV.  2.  706:  Valde  miramur  de  robis,  cur  denominationeth 
a  vestris  auetoribus,  videlicet  Wikleff  et  Hus,  vobis  imjiositam  erubescendo 
refugiatis ,  cum  cobis  dicitur  Wicleffitae  vel  Hus  sitae ,  cum  eorundem 
doctrinas  et  traditas  regulas  pro  summo  gradu  sequamun,  et  eosdem  contra 
totius  s.  matris  ecclesiae  Decretum  —  beatißcetis,  et  quasi  sanetor um  ho- 
minum  memoriam  celebretis. 


2Ss 


Buch  III.    Kap.  o.  VIII. 


sein  zu  wollen .  nicht  aber  Menschenknechte  und  nicht  eine 
Sekte  .  Schätzte  man  doch  anHus  gerade  das  so  hoch,  dass 
er  ein  »rechtgläubiger«  Mann  eaiholicm  gewesen  und  »^katho- 
lisch« d.  h.  acht  kirchlich  gelehrt  habe  1  .  Sie  empfanden  ja  ge- 
rade das  als  eine  unverantwortliche  Unbill .  die  dem  Lande  an- 
gethan  werde,  dass  man  es  der  Irrlehre  und  Ketzerei  zeihe.  Sie 
wollten  ja  Katholiken  bleiben :  nur  wünschten .  verlangten  und 
hofften  sie  eine  Reform  der  katholischen  Kirche .  der  »heiligen 
Mutterkirche  < .  wie  sie  mit  redlicher  Herzensmeinung  zu  sagen 
pflegten. 

Sehen  wir  aber  näher  zu.  so  bemerken  wir  sofort,  dass  unter 
den  Hussiten  selbst  gewisse  Verschiedenheiten  an  den  Tag  traten 
und  sich  je  mehr  und  mehr  geltend  machten.  Die  ersten  Spuren 
dieser  Unterschiede  lassen  sich  bereits  im  Jahr  1416  beobachten. 
Vollkommen  einig  war  man  über  den  Grundsatz .  dass  Gottes 
Gesetz«,  d.h.  die  heilige  Schrift,  anlangend  die  Glaubenswahr- 
heiten, sittlichen  Vorschriften  und  kirchlichen  Einrichtungen,  die 
höchste  Auktorität  besitze .  dass  also  die  Kirchenreform .  zu  der 
man  entschlossen  war.  nach  Maassgabe  der  heil.  Schrift  bewirkt 
werden  müsse.  Allein  bei  der  Anwendung  und  Ausführung  kam 
bald  zum  Vorschein,  dass  das  Schriftprinzip  in  verschiedenem 
Sinne  gefasst  wurde.  Die  Einen  Hessen  ausschliesslich  nur  das- 
jenige als  wahr  und  kirchlich  berechtigt  gelten,  was  ausdrück- 
lich durch  »Gottes  Gesetz«  bezeugt  und  vorgeschrieben  sei:  die 
Anderen  billigten  alle  diejenigen  Lehren  und  Einrichtungen  der 
bestehenden  Kirche,  welche  der  heiligen  Schrift  nicht  zuwider- 
liefen. Eine  prinzipielle  Divergenz,  welche  folgerichtig  durch- 
geführt, zu  vielfachen  Abweichungen,  ja  Gegensätzen  führen 
musste.  Zugleich  eine  Differenz,  welche  der  reformirten  und 
der  lutherischen  Auffassung  des  Schriftprinzips  merkwürdig 
gleicht.  Sie  entspricht  aber  auch  einem  gewissen  Unterschiede, 
den  wir  schon  zwischen  Wiclif  und  Hus  bemerkt  haben,  sofern 
jener  den  Einfluss  der  Tradition  auf  Auslegung  und  Verständniss 


1    Adresse  der  tschechischen  Barone  an  das  Concil  vom  2.  Sept.  1415: 

quod  tp.se  M.  Joannes  Uns  fuit  wr  utique  bonus  Justus  etc  atholicus  

hos  et  suhditos  nostros  cutholice  doruit.    Docum.  5S2. 


Verschiedenheit  innerhalb  der  hussitischeti  Partei. 


289 


der  Schrift  ablehnt ,  während  Ilus  die  Schritt  nicht  anders  aus- 
legen will,  als  wie  die  heiligen  Väter  sie  verstanden  haben1).  Ich 
finde,  dass  schon  im  Jahr  1416  Magister  Ohristann  von  Pra- 
ohatitz  sich  des  oben  erwähnten  Unterschiedes  bewnsst  war:  , 
denn  er  hält  dem  hussitischen  Prediger  Koran  da  in  Pilsen  vor, 
dass  er  und  seine  Gesinnungsgenossen  um  alle  menschlich  erfun- 
denen Ceremonien  und  Kirchengebräuche  sich  nichts  kümmern, 
und  kirchliche  Gebräuche,  »welche  der  heil.  Schrift  nicht  zuwider- 
laufen«, geringschätzen  und  nicht  verrichten  lassen2  .  Die  Sache 
erschien  auch  bereits  den  hussitischen  Baronen  und  Schutzherren 
der  Partei  befremdlich.  Wenigstens  erwähnt  Prachatitz,  dass 
jüngst  Herr  Tschenjek  von  Wartenberg  die  älteren  Magister 
zusammenberufen  und  eine  scharfe  Rüge  an  solche  Pfarrer  ge- 
richtet habe  .  »welche  die  Rathschläge.  Aussprüche  und  Schriften 
der  Magister  hintansetzen  und  ihrem  eigenen  Kopfe  folgen.«  Mit 
Besonnenheit  Stellte  die  Prager  Universität  am  25.  Jan.  1417  die 
Kegel  auf:  »In  Dingen,  worüber  die  heil.  Schrift  keine  bestimm- 
ten Aussprüche  enthält,  soll  die  Sitte  des  Volkes  Gottes  und 
das  Herkommen  als  Gesetz  gelten3).«  Allein  das  einmal  auf- 
getauchte Prinzip  hatte  seinen  Fortgang.  Und  im  Jahr  1418  fand 
eine  hussitische  Synode  zu  Prag  statt  e.  28.  September),  welche 
der  eingerissenen  Uneinigkeit  zu  steuern  suchte ,  und  zu  diesem 
Behuf  23  Punkte  feststellte.  Unter  diesen  befindet  sich  an  zweiter 
Stelle  der :  »Es  möge  sich  niemand  herausnehmen  zu  behaupten, 
man  dürfe  nur  dasjenige  glauben  und  festhalten ,  was  ausdrück- 
lich in  der  heil.  Schrift  ausgesprochen  ist:  allerdings  sei  jede 


l)  s.  oben  Kap.  3.  VII.  S.  237  folg. 

2   Der  Brief,  Docum.  033  ff.,  ist  um  deswillen  von  höchstem  Interesse, 
weil  er,  wenn  ich  nicht  irre,  das  früheste  Zeugniss  vom  Auftauchen  der 
jenigen  Differenz  unter  den  Hussiten  ist,  welche  später  mit  dem  Namen 
Taboriten  und  Utraquisten  oder  Kelchner  bezeichnet  wurde.  Der 

Briefsteller  schildert  Männer ,  qui  suadent  nullas  cerimonias  et  cccle- 

siasticos  ritus  humanitus  inventos  curare,  sed  potiits  in  cuneiis  ecclesiae  pri- 
mitivae  ritibus  se  eonformare.  Nachher  stellt  er  dem  Koran  da  vor:  Omnes 
et  singulos  ritus  ecclesiasticos  sacrae  scripturae  non  contrarios  pa- 
rumpendis,  nec  per  te  nec  per  alium  adimptere  pirmittis. 

3)  Docum.  65Ü. 

Lechlek,  Wiclif.  II.  19 


290 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


zu  unserem  Heil  dienende  Wahrheit  in  der  heil.  Schrift  nieder- 
gelegt, aber  nicht  gerade  in  offener,  direkter  und  ausdrücklicher 
Weise.«  Mit  diesem  Prinzip  hängen  ferner  die  unter  Nr.  14  — 16 
stehenden  Sätze  zusammen,  nämlich  14:  man  solle,  laut  des 
Zeugnisses  der  heil.  Schrift,  denjenigen  Vorschriften  und  Satzun- 
gen der  Kirche  Gehorsam  leisten,  welche  vernünftig  sind,  zu 
Christi  Gesetz  hinleiten,  und  dem  Gesetze  Gottes  in  keiner  Weise 
zuwiderlaufen ,  noch  der  Sittlichkeit  im  Wege  stehen ;  15:  man 
solle  bei  den  Aussprüchen  und  Lehren  der  Kirchenväter,  welche 
in  der  heil.  Schrift  gehörig  gegründet  sind,  stehen  bleiben  und 
sich  von  ihnen  nicht  leichtfertig  lossagen ;  16:  »alle  Ceremonien 
und  Gebräuche  der  Kirche,  welche  Gottes  Gesetz  unterstützen, 
die  Kirche  zieren  und  bei  den  Gläubigen  gute  Sitten  befördern, 
sind  zu  beobachten ,  so  lange  nicht  etwas  besseres  an  ihre  Stelle 
tritt1  . 

Es  fällt  in  die' Augen,  dass  diese  doppelte  Auffassung  des 
Schriftprinzips  einer  verschiedenen  Reformgesinnung  entspricht : 
die  hussitische  »Convocation«  oder  Synode  vertritt  die  oonserva- 
tive  Reform,  ihre  Gegner  die  radikale  Reform2, .  ähnlich  wie  im 
XVI.  Jahrhundert  die  deutsch-lutherische  Reformation  und  die 
schweizerische  Reform  sich  gegenübertraten. 

Gerade  der  radikalen  Reform  und  dem  radikal  gefassten 
Schriftprinzip  tritt  der  gelehrte  Polemiker  aus  der  Karthause  zu 
Dölau,  der  Prior  Stephan,  entgegen,  wiewohl  er  sämmtliche 
Hussiten  im  Auge  hat.  wenn  er  behauptet,  es  sei  Unsinn,  den 
gegenwärtigen  Zustand  der  Kirche  zu  dem  Stand  und  Brauch  der 
Urkirche  zurückführen  zu  wollen:  habe  doch  schon  in  der  apo- 

1)  Docum.  GTT  ff.  Nr.  2.  S.  67$:  Nemo  audent  dicere ,  q»od  solum  ea 
sunt  credenda  pro  ßde  aut  aliter  ienenda ,  quae  sunt  ex  p  res  so,  in  samt 
Script  u  ra  et  explicite  posita.  14.  8.  680:  Constitutionibus  ecclesiae  — 
mamidnctivis  ad  legem  Christi  et  legem  dei  null  ate  nus  impu  gn  ant  i- 
hus  —  est  ex  testimonio  s.  scripturae  obediendnm. 

2)  Den  Begriff  der  Radikalreform  drückt  die  Prager  Universität  in  einem 
Schreiben  vom  2ö.  Januar  1417  Docum.  054  ff.  Hoefleh,  Geschichtschrei- 
ber der  hussit.  Bewegung,  II,  254  ff.)  treffend  aus :  Mas  l>cnedictioncs  cum 
a'iis  laudabilibus  ecclesiarum  cerimoniis  funditus  ev  eitere  et  destruere 
nituntur  et  eontendunt. 


Verschiedenheit  in  der  Reformgesinnung. 


291 


stolischen  Kirche  Paulus  die  Körinthier  über  die  rechte  Art  des 
Herrnmahls  belehren  müssen;  sei  doch  die  urchristliche  Güter- 
Gemeinschaft  bei  veränderten  Verhältnissen  auch  abhanden  ge- 
kommen ;  und  zur  Zeit  der  Apostel  habe  es  noeh  keine  Pfarrer 
gegeben  und  keine  Abstufungen  der  Hierarchie ,  sondern  blos  Bi- 
schöfe und  Diaconen ;  diese  Einrichtungen  seien  aber  unter  der 
Leitung  des  heiligen  Geistes  durch  Gottesmänner .  welche  der 
Apostel  Nachfolger  waren,  eingeführt  worden,  und  haben  demge- 
niäss  göttliche  Anordnung  für  sieh  1  . 

Die  verschiedene  Auffassung  des  Sehriftprinzips  hatte  bedeu- 
tende Folgen  für  Glaubenslehre,  Sittenlehre.  Kultus  und  Kirchen- 
ordnung. Am  rasehesten  wurden  von  der  radikalen  Hussitenpartei 
die  Consequenzen  gezogen  auf  dem  Gebiete  des  Kultus.  Im  Felde 
der  61  au  bensieh  re  ist  derjenige  Punkt,  welcher  am  frühesten 
in  An gri ff  genommen  wurde,  die  römische  Lehre  vom  Fege- 
feuer. Schon  im  Jahr  1416  gibt  Christann  von  Prachatitz 
dem  Pfarrer  Koranda  zu  verstehen .  er  gehöre  zu  denjenigen, 
welche  behaupten,  es  gebe  kein  Fegefeuer2,.  Eben  dieselbe  An- 
sicht bekämpfen  Rector  und  Doctoren  der  Prager  Universität  in 
der  Erklärung  vom  25.  Januar  1417  5  und  die  Prager  Synode 
vom  September  1418.  Die  letztere  stellt  positiv  den  Satz  auf 
»Das  Fegefeuer  für  die  Seelen  der  Erwählten  nach  diesem  Leben 
ist  anzunehmen,  denn  alle  heiligen  Lehrer,  von  Dionysius  an  ! 
bis  zu  den  letzten,  sprechen  sich,  übereinstimmend  mit  der  Schrift, 
dafür  aus4  .  <  Ferner  ergibt  sich  aus  den  Erklärungen  derselben 
Synode,  duss  die  radikal  gesinnten  Hussiten  auch  die  Lehre  von 
der  Fürbitte  und  Mittlerschaft  der  Heiligen  im  Himmel  in  Frage 
gestellt .  und  der  letzten  Oelung  den  sakramentlichen  Charakter 
abgesprochen  habend  .   Endlich  gehört  hieher  auch  der  interes- 

.1)  Epistola  ad  HussHas,  Pars  quinta,  c.  39.  Pez,  Thes.  anecd.  669  folg. 

2)  qui  suadent ,  purgatorium  non  esse.  Dornum  634. 

3)  Docum.  655. 

4;  Docum.  GTS.  Nr.  3.  vgl.  655:  Cum  sancta  maire  ecdesia,  nohiscum  et 
cum  sanctis  doctoribus  —  conßteamini  j)ost  ha?ic  vitam  ignem  purga- 
torium et  usque  ad  extremum  dient  judicii  duraturum. 

5  Docum.  679.  Nr.  6,  und  680.  Nr.  12.  Ein  Wink  in  Betreff  des  Glau- 
bens an  die  Heiligen  findet  sich  aber  auch  schon  in  dem  Brief  an  Ko- 
randa, suffragia  sanctorum  non  advertere.  a.  a.  O.  634. 

19* 


292 


Buch  III.   Kap.  3.  VIII. 


sante  Umstand ,  dass  derselbe  Bruchtheil  der  Hussitenpartei  gel- 
tend gemacht  hat,  ein  Priester,  welcher  sich  einer  Todsünde  schul- 
dig mache,  könne  weder  taufen  noch  die  Weihe  im  heil.  Abend- 
mahl vollziehen,  noch  sonst  irgend  ein  Sakrament  heilskräftig 
und  mit  göttlicher  Vollmacht  verwalten.  Die  Synode  stellt  dem 
gegenüber  mit  Kecht  den  Grundsatz  auf,  welchen  sie  bündig  und 
sententiös  so  ausdrückt:  »Priester  ist  der  Name  eines  Amtes, 
nicht  einer  sittlichen  Beschaffenheit1).« 

In  allen  diesen  Lehrfragen  sind  die  radikal  gesinnten  Hus- 
siten  über  Hus  selbst  hinausgegangen,  und  im  letzterwähnten 
Punkte  sogar  über  Wiclif2),  während  ihre  Kritik  des  Sakra- 
ments der  letzten  Oelung  und  ihre  Misbilligung  des  Glaubens  an 
die  Mittlerschaft  der  Heiligen  wenigstens  einen  Anlehnungspunkt 
bei  Wiclif  hatte 3). 

Die  Ansichten  der  radikalen  Hussiten  griffen  insofern  in  die 
christliche  Sittenlehre  ein,  als  sie,  anlangend  die  Lehre  vom 
Buss-Sakrament,  die  den  Beichtenden  in  der 'Regel  auferlegten 
»Busswerke«  :  Gebete,  Fasten,  Kasteiungen,  Almosen  u.  dgl.  miß- 
billigten ,  weil  es  zur  Reue  und  Busse  hinlänglich  sei ,  von  den 
Sünden  zu  lassen 4) .  Sodann  aber  ist  von  Belang  der  Umstand, 
dass  diese  Ultra's  der  Hussiten  den  Eid  schlechterdings  für  un- 
erlaubt erklärten  und  die  Todesstrafe  verwarfen.  Der  Grundsatz, 
dass  man  »in  keinem  Falle  schwören«  dürfe ,  war  ohne  Zweifel 
ein  Ausfluss  ihres  strikten  Schriftprinzips 5) .   Während  die  Ver- 


1  Docum.  079.  Nr.  9.  Der  angeführte  Satz  lautet :  Sacerdos  enim  nottieii 
est  officii,  non  meriti. 

2  s.  oben  Kap.  3.  VII.  S.  249  folg. 

3  Einer  von  den  ältesten  Freunden  von  Hus,  der  aber  sein  Leben 
lang  mit  Kom  nie  brechen  wollte  und  mit  am  conservativsten  gesinnt  War, 
Magister  Johann  von  Pribram,  sagt  in  einer  später  verfassten  ,  aber  nur 
handschriftlich  vorhandenen  Schrift  von  sich  selbst:  Contra  Wide  ff  ab 
annis  fere  viginti  in  Praga  publice  praedieavi ,«  quando  omnes  ha  er  es  es 
et  error  es  de  sacranientis  et  sacr  amenta  Hb  us  tunc  et  ttsque  nunc 
currentes  a  Wicleff  et  sua  doctrina  tanquam  a  fönte  haustos  et 
tractos  patenter  declaravi.  Bei  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  IV,  1. 
440.  Anm. 

1    Docum.  079  folg.  Nr.  II. 
5)  Docum.  079.  Nr.  7. 


Die  radikale  Partei  in  ihrem  Kultus. 


293 


werfung  der  Todesstrafe  kaum  im  Buchstaben  der  Schrift  ihre 
Wurzel  haben  konnte1  .  eher  in  der  Berührung  mit  anderen  Op- 
positionsparteien des  kirchlichen  Mittelalters. 

Die  vielseitigste  und  breiteste  Entfaltung  hat  das  Schriftprin- 
zip  der  radikal  gesinnten  Hnssiten  in  Sachen  des  Kultus  ge- 
funden. Erwähnt  doch  selion  Christann  von  Prachatitz  im 
Briet'  an  Ko  ran  da  eine  ganze  Anzahl  von  Verneinungen  gegen- 
über der  katholischen  Kultusordnung,  neben  einer  einzigen  posi- 
tiven Neuerung,  die  er  höchlich  misbilligt2  .  Die  Neuerungen  im 
Kultus  waren  zum  Theil  nichts  anderes  als  die  praktischen  Fol- 
gen der  Kritik,  welche  man  an  der  Lehre  übte :  war  es  mit  der 
Fürsprache  und  Mittlerschaft  der  Heiligen  nichts,  so  inusste 
auch  die  Verehrung  derselben,  besonders  der  Jungfrau  Maria, 
beseitigt  werden.  Ein  Punkt,  welchem  die  gemässigten  Hussiten 
nur  in  so  weit  ihre  Zustimmung  gaben,  als  sie  einräumten,  man 
müsse  sich  allerdings  vor  einer  maasslosen  Verehrung  der  Heili- 
gen hüten,  weil  der  Blick  stets  auf  Christum  zuerst  und  vorzüg- 
lich gerichtet  sein  müsse  und  von  ihm  nicht  abgelenkt  werden 
dürfe  3  .  Ferner .  weil  man  die  Lehre  vom  Fegefeuer  verneinte, 
so  fielen  natürlich  auch  die  Seelenmessen .  Gebete  und  Almosen 
für  Seelen  im  Fegefeuer  weg4  .  Andere  Dinge  folgten  direkt  aus 
dem  einseitigen  Schriftprinzip,  z.  B.  die  unbedingte  Verwerfung 
der  Bilder  in  den  Kirchen,  wobei  es  zu  bilderstürmerischen  Auf- 
tritten kam  "'  .  Aus  dem  Schreiben  der  Prager  Universität  vom 
25.  Januar  1417  erhellt  klar .  dass  die  Gegenpartei  sich  auf  das 
Schriftwort  vermuthlich  auf  das  »zweite  Gebot«  reformirter  Zäh- 
lung stützte 6  .  Die  gemässigte  Partei  war  auch  in  diesem  Stücke 
besonnener :  sie  erklärte ,  man  könne  Bilder  in  der  Kirche  dul- 
den ,  nur  dürften  sie  nicht  der  Art  sein .  dass  sie  die  Seelen  zer- 


1    Docum.  679.  Nr.  8. 

2)  a.  a.  O.  634 :  »Salve  regina«  non  cantare,  reliquias  sanetorum  incer- 
tas  sterqxitinio  pr (ff teere,  imagines  denique  eorum  igni  comhurere  etc. 

3)  Docum.  679.  Nr.  6. 

4]  a.  a.  O.  67S.  Nr.  4.  5.  . 

5)  a.  a.  O.  634:  imagines  eorum  igni  comburerc. 

6)  a.  a.  O.  655:  Asserimt,  quamvis  false,  quod  habere  Christi  et  saneto- 
rum imagines  fegi  dei  repugnaret. 


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Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


streuen ;  in  keinem  Falle  dürfen  sie  mit  Lichteranzünden,  Knien 
und  Niederfallen  verehrt  werden;  sie  sollen  vielmehr  nur  zur 
Darstellung  der  heiligen  Geschichte  dienen,  um  die  Einfältigen  in 
ihrer  Andacht  zu  fördern !) .  Es  war  eine  begreifliche  Abneigung 
gegen  Aberglauben  und  unbiblisches  Ceremonienwesen,  wenn  die 
strenge  Hussitenpartei  von  Reliquien  gar  nichts  wissen  wollte, 
auf  die  Weihen  von  Kirchenge räthen ,  von  Kerzen  und  Palmen, 
Taufwasser  und  Salz  ,  Eiern  und  Käse ,  auf  Räuchern,  Bespren- 
gen, Glockenlauten  und  alle  möglichen  Ceremonien  nichts  hielt2) . 
Andererseits  ist  es  wirklich  merkwürdig ,  wie  die  Universität  in 
ihrem  Ausschreiben  alle  diese  Ceremonien  ausnahmslos  und  un- 
bedingt in  Schutz  nimmt  .  Bei  der  Neigung  zu  einem  einfachen 
geistigen  Gottesdienst  auf  Seiten  der  hussitischen  Linken  um  es 
parlamentarisch  auszudrücken)  ist  es  kein  Wunder,  dass  dieselbe 
die  Messe  von  einer  Menge  traditioneller  Zuthaten  zu  entladen, 
zu  vereinfachen  und  auf  die  Communion  zurückzuführen  strebte4) . 
In  Betreff  des  heil.  Abendmahls  bemerken  wir  aber  nicht  blos 
Verneinungen,  sondern  dreierlei  neue  Positionen.  Einmal  die 
unbedingte  Forderung  der  Communion  unter  beiderlei  Ge- 
stalt. In  diesem  Punkte  waren  jetzt  alle  Hussiten  einig.  Am 
JO.  März  1417  hat  die  Universität  Prag  eine  wohl  erwogene, 
inaassvolle  aber  feste  Erklärung  für  das  Recht  und  die  Pflicht  zur 
Spendung  des  Abendmahls  in  beiderlei  Gestalt,  wie  ein  Bekennt- 
niss ,  abgegeben5).  Zum  andern  stimmten,  wie  es  scheint, 
beide  hussitische  Parteien  in  der  Empfehlung  häufiger 
Communion  überein.  Das  war  noch  ein  Erbstück  von  Militsch 
und  dem  »Pariser  Magister«  Matthias  von  Janow.  Der  Kar- 
thäuserprior von  Dolan  hält  den  Hussiten  vor:  »Ihr  treibet  zum 
täglichen  Empfang  des  Sakraments  unter  beiderlei  Gestalt  Bauern 
und  Bäuerinnen  ,  rohe  und  mit  ihrer  landwirtschaftlichen  Arbeit 


1    Dorum.  680  folg.  Nr.  20. 

2)  Dorum.  096  u.  680.  Nr.  10.  JT. 

3)  Docvm.  655  folg. 

1    Darauf  dtutet  wenigstens  der  1^.  Punkt  unter  den  Beschlüssen  der 
Convocation«  vom  Sept.  1418  in  Prag,  Docum.  680.  Vgl.  636:  JRtiatn  ex  rm 
tnissas  communicant  popuhim,  conflctcHtes  so.'um  ilictis  quU)Usdam  orotiontbits» 
5)  Oj  era  Hm,  II,  3641. 


Kindercommunion  bei  den  Hussiten. 


295 


beschäftigte,  eben  deshalb  aaeh  zerstreute  und  andachtslose  Leute. 
Denket  doch,  Avas  der  Apostel  sagt:  der  Mensch  prüfe  sich  selbst, 
und  also  esse  er  von  diesem  Brod  und  trinke  von  diesem  Kelch1  !« 
Nun  aber  rinde  ich  keine  Spur  von  Vorstellungen  oder  gar  Vor- 
würfen, welche  die  gemässigte  Partei  der  radikalen  Hussitenpartei 
in  Betreff  der  häufigen  Communion  gemacht  hätte.  Folglich  müs- 
sen beide  Bruchtheile  darüber  vollkommen  einig  gewesen  sein. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  dritten  Punkte:  der  Kinder- 
communion. Im  Jahr  I41(>  machte  Christann  von  Pracha- 
titz  dem  Hairer  Koran  (La  einen  Vorwurf  daraus,  dass  er  klei- 
nen Kindlein«  die  noch  nicht  schlingen  können  und  nichts  von  der 
Sache  wissen,  das  Sakrament  des  Altars  unter  beiderlei  Gestalt 
reiche  -  .  Hingegen  Stephan  von  Dolan  erwähnt  wenigstens-, 
dass  die  Hussiten  behaupten,  alle  Christen,  nicht  nur  Mann  und 
Frau  .  s< >ndern  sogar  sieb  e  n j  ä  h  r  i  g  e  K i  n  d  e r  müssten  Christi 
Leib  und  Blut  unter  beiden  sichtbaren  Gestalten  von  Brod  und 
Wein  empfangen,  sonst  könnten  sie  nicht  selig  werden 3) .  Das 
Genaueste  erfahren  wir  jedoch  darüber  im  ersten  Artikel  der 
Convocationsbeschliisse  vom  September  J  4 1 S .  Es  wird  hier  der 
Grundsatz  aufgestellt,  dass  kleinen  Kindern  nach  der  Taufe 
Christi  Lei!)  und  Blut  gespendet  werden  solle  ,  jedoch  mit  Vor- 
sicht :  sei  das  Kind  nicht  gesund  und  nicht  fähig  es  zu  empfangen, 
so  müsse  man  mit  der  Communion  zuwarten:  sei  dasselbe  aber 
dazu  fähig,  so  solle  man  ihm  ein  ganz  kleines  Stückchen  von  der 
geweihten  Hostie  in  den  Mund  geben  und  diesen  eine  kurze  Weile 
schliessen.  nachher  aber  einen  Tropfen  vom  Blute  Christi  auf  den 
Finger  nehmen  und  ein  oder  zweimal  in  den  Mund  bringen4). 

Es  muss  demnach  zwischen  der  Abfassung  des  Briefs  an 
K o r a n d a  1 41  (V  und  der  Convocation  von  Prag  (Sept.  1418; 
bei  den  gemässigten  Hussiten  ein  Meinungswechsel  in  Betreff  der 


\    Epistola  ad  Hussitas,  Pars  V.  c.  50.  Pez,  Thcs.  a/teedot.  IV,  2.  699. 

2)  Docum.  634.  Auch  erwähnt  Christann,  dass  Baron  Tschenjek 
bestimmt  erklärt  habe,  er  werde  durchaus  nicht  dulden,  dass  man  den  klei- 
nen Kindern  unmittelbar  nach  der  Taufe  die  Communion  reiche.  635. 

3)  Episto1,!  ad  Hussitas,  Pars  V.  c.  2.  Pez  .  The»,  aneedot.  IV,  2.  570. 
4    Docum.  678.  Nr.  1 . 


296 


Buch  III.    Kap.  :\.  VIII. 


Kindercommunion  eingetreten  sein  :  anfänglich  war  dieselbe  aus- 
schliesslich nur  bei  dem  radikalen  Bruchtheil  üblich  1  .  bei  der 
gemässigten  Fraktion  der  Hussiten  war  sie  eine  offene  Frage ; 
hingegen  zur  Zeit  der  Convocation  ist  sie  von  Seiten  der  Gemäs- 
sigten bereits  angenommen.  Yerniuthlieh  war  sie  inzwischen 
Sitte  geworden,  und  wird  jetzt  erst  gutgeheissen  und,  unter  ge- 
wissen Vorsichtsmaassregeln,  —  denn  auf  diesen  und  den  Wor- 
ten discrete  commumeandi  liegt  offenbar  der  Schwerpunkt  des 
Artikels  —  als  kirchliches  Recht  sanktionirt.  Möglicherweise  hat 
in  Folge  der  Disputation  zwischen  Simon  von  Tissnow  und 
Jakob  von  Mies  (1417)  die  Universität  eine  Entscheidung  über 
die  Frage  und  zu  Gunsten  der  Kindercommunion  gegeben2  . 
Doch  dem  sei  wie  ihm  wolle,  eine  »berechtigte  Eigentüm- 
lichkeit« der  Hussiten  war  die  Kindercommunion  analog  der  Kin- 
dertaufe nicht,  wohl  aber  eine  wunderliche  Verirrung,  zumal  an- 
gesichts ihres  Schriftprinzips.  Denn  einen  Schriftgrand  dafür 
hatten  sie  sicherlich  nicht  und  konnten  ihn  nicht  haben.  Wohl 
aber  wies  der  Polemiker  von  Dölau  mit  Recht  auf  des  Apostels 
Wort:  »Der  Mensch  prüfe  sich  selbst,  und  also  esse  er  von 
diesem  Brod  und  trinke  von  diesem  Kelch!«  1.  Korinth.  11,  28. 

Ganz  anders  ist  darüber  zu  urtheilen .  dass  die  radikalen 
Hussiten  Schriftverlesung,  Gebete  u.  s.  w.  bei  der  Messe  in  ihrer 
Muttersprache  vornahmen,  wogegen  die  gemässigte  Partei 
nur  so  viel  zugestand .  dass  Evangelium  und  Epistel  tschechisch 
gesungen  werde  ;  alles  übrige  aber  sollte  lateinisch  bleiben  1  .  Es 
scheinen  demnach  »Taboriten«  um  diesen  späteren  Namen  zu 
gebrauchen  gewesen  zu  sein,  welche  der  Prior  Stephan  im 
Auge  hat.  wenn  er  sagt :  »Mit  einer  bisher  neuen  und  unerhör- 
ten Frechheit  singet  und  leset  ihr  die  Messen  in  böhmischer 
Sprache,  und  dabei  helfen  euch  eure  Frauen  singen1  Der- 


1)  Uebrigens  ist  bemerkenswerth  ,  dass  Magister  Christann  sich  über 
die  kSchrit'tmässigkeit  der  Sitte  ziemlich  schwankend  äussert .  gegen  den 
Schluss  seines  Briefes  an  Koranda  ,  Doc.  635, 

2  Docitm.  613  ff. 

3  Nr.  19  unter  den  Beschlüssen  der  Convocation  .  Dorum.  *>M>. 

4  Epist.  ad  Hussitas.  Pars  III.  c.  8.  556; 


Kirchenordnung  der  radikalen  Hussiten. 


297 


selbe  erwähnt  anderswo  tschechische  Gesänge,  welche  man  im 
Volk  verbreite  x) . 

Endlich  ist  zu  erwähnen,  dass  die  extreme  Partei  nicht  nur 
die  katholischen  Fastenzeiten,  sondern  auch  die  kirchlichen  Feste 
Marien-  und  Aposteltage  und  andere  Feiertage  von  Beiligen, 
seihst  hohe  Feste  .  und  sogar  den  Sonntag  beseitigte,  während 
die  besonnene  Partei  sie  beibehielt  und  durch  Berufung  auf  den 
Brandl  der  Urkirche  so  wie  auf  die  Zeugnisse  der  Kirchenväter 
rechtfertigte  2  .  Der  letztere  Punkt  erinnert  wieder  lebhaft  an  das 
Verhältnis»  zwischen  der  radikal  aufräumenden  Weise  der  Refor- 
mirten  und  dem  kirchlich  conservativen  Zug  der  lutherischen  Re- 
formation des  XVI.  Jahrhunderts. 

Was  schliesslich  die  K irchen Ordnung  betrifft,  so  ging 
die  radikale  Partei  allerdings  ganz  demokratisch  nivellirend  vor: 
man  erkannte  das  Vorrecht  des  Priesterstandes  auf  kirchliche 
Verrichtungen  nicht  mehr  an.  sondern  gestand  einfachen  Laien, 
ja  selbst  Frauen  die  Befugniss  zu,  das  Wort  Gottes  zu  predigen. 
Schon  im  Jahr  1416  constatirt  ein  Bruchstück,  dass  auf  der  Burg 
Kozi.  so  wie  in  der  Stadt  Austie  an  der  Luschnitz,  einfache 
Laien  gepredigt  und  in  Privathäusern  sogar  Beichte  gehört  ha- 
ben .  In  demselben  Jahre  kam  es:  laut  glaubhafter  Mittheilung 
des  Priors  Stephan,  in  Prag  selbst  vor.  dass  eine  Frau  pre- 
digte. Unser  Gewährsmann  erzählt  den  Hergang  anschaulich  ge- 
nug :  Ein  hussitischer  Prediger  hatte  so  eben  seine  Predigt  been- 
digt und  kam  von  der  Kanzel  herab.  Da  begab  sich  sofort  eine 
Frau,  mit  einem  Buch  in  der  Hand,  auf  die  Kanzel.  Sie  schlug 
ihr  Buch  auf.  und  hielt  nun  eine  Predigt,  welche  die  Gemeinde 
mit  um  so  grösserer  Aufmerksamkeit  anhörte .  je  ungewöhnlicher 
der  Vorgang  war:  selbst  der  Prediger  von  vorhin  hörte  ihr  an- 
dächtig zu 4  .  Der  römisch  gesinnte  Polemiker  betrachtet  das  als 


1  cantiones  vulgari  Bohemico  impertinentissime  co?iflctas,  Pars.  V. 
c.  2.  370. 

2  Nr.  21  u.  22  der  Beschlüsse  vom  Sept.  141S.  Dorum.  681. 

3  JDoeum.  037. 

4}  Epistohi  ad  Hussitas ,  Pars  I.  c.  4.  519.  Das  Sendschreiben  ist  im 
October  1417  vollendet,  und  der  Verfasser  sagt,  der  Vorfall  habe  sich  »ver- 
gangenes Jahr«  ereignet. 


298 


Buch  III.    Kap.  3.  VIII. 


eine  Entweihung  des  Heiligthums ,  denn  das  sei  der  Weisung  des 
Apostels  zuwider :  mulier  taceat  in  ecclesia  x) !  Er  wirft  den  Hussi- 
ten  vor :  »ihr  machet  aus  Frauen  Lehrerinnen  und  Doctorinnen.«  Es 
war  noch  ein  geringes ,  dass  hussitische  Frauen  als  Schriftstelle- 
rinnen auftraten.  Derselbe  Gewährsmann  erzählt  uns,  dass  die- 
selbe hussitische  Frau ,  von  deren  Predigt  er  berichtet  hat ,  eine 
Schrift  in  tschechischer  Sprache  zu  Ehren  des  Magister  Hus,  wie 
es  scheint  noch  zu  dessen  Lebzeiten,  verfasst  habe,  voll  Schmä- 
hungen auf  Papst  und  Cardinäle,  Prälaten  und  Geistlichkeit,  aber 
auch  voll  von  Berufungen  auf  die  Bibel  und  Auslegungen  aus 
derselben ;  ja  selbst  an  Citaten  aus  Kirchenvätern  fehle  es  nicht. 
Er  selbst  besass  ein  Exemplar  des  Traktats  von  stark  fünf  Bo- 
gen), und  er  macht  mehrere  Mittheilungen  daraus2 ). 

Aus  dem  loten  Artikel  unter  den  Beschlüssen  der  Convoea- 
tion  von  1418  Jässt  sich  mit  Sicherheit  abnehmen,  dass  die  ex- 
treme Partei  überzeugt  war,  selbst  die  Consekration  beim  heiligen 
Abendmahl  sei  nicht  durch  die  Priesterweihe  bedingt .  ein  from- 
mer Laie  sei  ebenfalls  befugt  zu  consekriren 3) .  Es  geht  aus  der- 
selben Gesinnung  hervor ,  wenn  die  radikale  Partei  auch  davoi 
nichts  wissen  wollte ,  dass  nur  in  geweihten  Räumen ,  Kirchen. 
Kapellen  u.  s.  w.  Gottesdienst  gehalten,  nur  an  gewTeihten  Altä- 
ren Messe  gelesen  und  communicirt  werden  dürfe.  Das  wurde 
offen  in  Predigten  ausgesprochen *) .  Und  man  handelte  demge- 
mäss :  man  taufte  in  Teichen  und  Bächen ,  und  hielt  Messen  in 
,  Scheunen,  z.  B.  in  einer  Scheune  der  Burg  Kozi5  .  Der  Prior 
Stephan  erwähnt  mit  sichtbarem  Grauen  die  «verfluchte  Neue- 
rung«, dass  die  Hussiten ,  wenn  die  Gläubigen  die  Kirchen  rat 


1)  a.  a.  O.  c.  'A. 

1  a.  a.  O.  Pars  I.  c.  4.  .-)I9.  Pars  II.  c.  5  und  <>.  534  —  54&  Die  An- 
nahme, dass  die  Schriftstellerin  und  die  Predigerin,  s.  oben,  eine  und  die- 
selbe Person  gewesen  seien,  beruht  auf  dem  Umstand,  dass  Stephan,  dem 
wir  beide  Notizen  verdanken,  wo  er  auf  die  Schriftstellerin  zu  reden  kommt, 
an  die  Erwähnung  jener  Predigt  anknüpft  :  mentorabor  sie  nmlivris  prav- 
dictae. 

'.})  Docum.  079:  Nemo  (lebet  auf  potest  radiär  ist  iam  con/icere,  quantum- 
Cltnque  nanctus  fuerit,  ai.si  sacerdos  ad  hoc  dcjmtatns  et  ordinatas. 
I    Docum.  tYM'i. 
5)  a.  a.  O.  ii'Mi  folg. 


Die  Unterschiede  innerhalb  der  hussitischen  Partei. 


209 


ihnen  verschliessen .  die  Comnumion  in  Scheunen  und  Ställen 
feiern  ')  ■ 

Wenn  die  Lltrapartei  feste  Besoldungen  von  Priestern  miß- 
billigte^, so  gab  das  freilieh  noeh  keine  Gewähr  für  wirkliche 
üneigennützigkeit  ihrer  »evangelischen  Priester-.  Wenigstens 
glicht  Ohristann  von  Prachatit/  von  hussitischen  Pseudo- 
prie>tern  .  welche  von  Annuth  predigen,  aber  die  Einkünfte  der 
Kirche  ohne  Arbeit  verzehren  wollen,  und,  wenn  man  ihnen  nicht 
genug  gebe,  reichere  Kirchen  aufsuchen,  angeblich  weil  sie  auch 
Anderen  das  Evangelium  predigen  müssten  1  . 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  den  Unterschied  zwischen  den 
beiden  Sehattirungen  der  grossen  hussitischen  Gesammtpartei, 
und  fassen  die  einzelnen  Züge  eines  kirchlichen  Conservatisnms 
zusammen .  die  wir  bei  der  gemässigten  Richtung  gefunden  ha- 
ben, so  müssen  wir  unwillkührlich  daran  denken,  wie  Hus  selbst 
sein  Leben  lang  ein  guter,  rechtgläubiger  Christ,  ein  treues  Glied 
der  »katholischen  Kirche«  hat  sein  wollen,  und  wie  nachdrücklich 
die  Männer  seiner  Partei  auf  die  Ehre  Böhmens  als  eines  stets 
rechtgläubigen  Landes,  gehalten  haben.  Und  von  dem  Gesichts- 
punkte des  gemässigten  Hussitismus  aus.  wie  er  1-115 — 1419  ge- 
genüber den  feurigen  Männern  von  der  Linken  sich  ausgebildet 
hat.  können  wir  nur  sagen,  jenes  Bewusstsein  Hus  ens  war  in  der 
That  redlich  und  aufrichtig. 

Die  aus  einander  gehenden  Riebtungen  hatten  bereits  ihre 
Sprecher.  Vertreter  und  Führer  gefunden.  Sie  mussten  auch  ihre 
örtlichen  Mittelpunkte  bekommen.  Man  bedurfte  überdies  kurzer 
bezeichnender  Namen  und  Stichworte.  An  der  Spitze  der  gemäs- 
sigten Partei  besass  Baron  Tschenjek  von  Wartenberg  einen 
maassgebenden  Einfluss,  den  man  namentlich  in  dem  Sehreiben 
Obristann's  von  Prachatitz  an  Koranda  zu  fühlen  bekommt. 
Unter  den  Gelehrten  dieser  Seite  sind  zu  nennen  Jakob  von 
Mies  Jokobell  .  Johann  von  Je  Benitz ,  Johann  von  Reinstein 
der  .Cardinal'  .  Christann  von  Prachatitz.  Simon  von 


I    Kpis'ola  ad  Kussitas,  Pars  V.  c.  3.  5T(>. 

2:  Vgl.  den  entgegenstehenden  Artikel  23  der  Convccaticn,  Locum.  6S1. 
•T  Dornum.  635. 


300 


Buch  III.    Kap.  :i.  VIII. 


Tis n (my  und  andere.  Schon  der  Umstand,  dass  der  hussitische 
Herrenbund  den  jeweiligen  Reetor  und  die  theologische  Fa- 
cultät  von  Prag  zu  »Schiedsrichtern  nach  Maassgabe  von  Gottes 
Gesetz v  bestellte,  konnte  nicht  verfehlen,  der  Universität,  ja 
auch  der  Stadt  Prag .  ein  entscheidendes  Gewicht  innerhalb  der 
Partei  zu  geben.  Die  hussitische  Adelspartei  stand  grösstentheils 
auf  dieser  Seite :  das  gab  der  gemässigten  Fraktion  eine  aristo- 
kratische Färbung.  Die  Universität  Prag  mit  ihrem  Schiedsrich- 
teramt drückte  ihr  ein  Gepräge  von  Wissenschaft  und  Bildung 
auf.  Die  kirchlich  conservative  Reform,  welche  Husens  Seele 
gewesen  war .  gab  diesem  Bruchtheil  der  Partei  ihren  conservativ 
katholischen  Zug. 

Auf  der  andern  Seite  standen  einige  fanatische  Geister .  wie 
jener  Prager  Magister  Johann  von  Jitschin,  der  einst  am 
11.  Juli  1412  rasch  entschlossen  und  kühn  die  Leiber  der  drei 
enthaupteten  Jünglinge  in  andächtiger  Processiun  zur  Bethle- 
hemskapelle geleitet  hatte1  .  Xicolaus  von  Pistna.  Johann 
Zizka  von  Trotznow  und  andere.  Zu  dieser  Seite  gehörten 
manche  Bürger  in  kleinen  Städten,  und  das  Landvolk.  Dieser 
Theil  der  Hussitenpartei  war  demokratisch,  radikal,  ja  fanatisch 
gesinnt,  sowohl  in  religiösen  als  in  politischen  Dingen. 

Beide  Fraktionen  bekamen  ihre  örtlichen  und  socialen  Mit- 
telpunkte. Prag  war  von  Anfang  an  Stützpunkt  und  Centram  des 
vornehmeren  .  gebildeteren .  gemässigten  Theils.  Die  radikale 
Seite  erlangte  mit  der  Zeit  einen  Mittelpunkt  in  derjenigen  Ge- 
gend* südlich  von  Prag,  in  welcher  Hus  selbst  während  seines 
freiwilligen  Exils  1412 — 1414  die  meiste  Zeit  zugebracht  hatte. 
Anfangs  war  das  Städtchen  Austi  an  der  Luschnitz  dieser  Mit- 
telpunkt. Als  aber  kraft  eines  königlichen  Befehls  vom  Februar 
1419  die  römiseh-gesinnten  Geistlichen  wieder  in  ihre  Pfarreien 
eingesetzt  wurden  und  die  hussitischen  Geistlichen  von  Austi 
weichen  mussten .  hielten  letztere  im  Sommer  1419  mit  den  bei 
ihnen  zusammenströmenden  Volksmassen  Gottesdienste  unter 
freiem  Himmel  auf  einem  benachbarten  Hügel,  welchen  sie 


1    ■.  oben  Kap.  3.  IV.  S.  180. 


Tabor. 


»den  Berg-  Tabor  nannten.  Aus  den  gottesdienstlichen  Ver- 
sammlungen wurden  grossartige  religiöse  Volksfeste,  aus  dem 
Schauplatz  derselben,  seit  1420.  eine  feste  Stadt,  Tabor.  Daher 
stammt  der  noch  später  für  die  Ultra's  der  Hussiten  üblich  ge- 
wordene Name  »Taboriten.«  Die  andere  Partei,  deren  religiöser 
Schwerpunkt  in  der  Conimunion  unter  beiderlei  Gestalt,  d.  h.  in 
dem  Laienkelche  lag,  wurden  anfänglich  die  »Präger«  genannt, 
weil  die  Hauptstadt  ihr  Stützpunkt  war ,  später  die  »Calixtiner« 
oder  Kelchner. 


Viertes  Kapitel. 

Die  englischen  Lollardeu,  tou  der  Hinrichtung  Lord 
Col)ham*s  Ms  zum  Ende  der  blutigen  Verfolgung. 
(1417—1431). 


I. 

Wir  wenden  uns  vom  Continent  wieder  nach  England.  Ver- 
gegenwärtigen wir  uns  den  bisherigen  Gang  der  wi e Ii fi tischen 
Bewegung  in  kurzen  Zügen. 

Johann  von  W  i  c  1  i  f  hatte  den  Grund  gelegt  und  einen  mäch- 
tigen, vielseitigen  Einfluss  auf  die  Nation  geübt.  In  dem  ersten 
Zeitraum  nach  seinem  Tode  von  1384  — 1399)  sahen  wir  die 
Bewegung  im  Wachsen  begriffen .  sofern  die  Gesinnungsgenossen 
Wiclif  s  der  Zahl  nach  rasch  zunahmen,  kühn  vordrangen  und 
aggressiv  verfuhren,  in  der  Hoffnung,  eine  Reform  des  Kirchen- 
wesens in  ganz  England  durchsetzen  zu  können.  Allein  im  Jahre 
1399  wurde  Eichard  II.  vom  Thron  gestürzt.  Anstatt  des  Hau- 
ses Plant agenet  kam  das  Haus  Lancaster  zur  Regierung. 
Von  diesem  Augenblick  an  war  die  Aussicht  auf  einen  raschen 
Erfolg  im  Grossen  und  Ganzen  verschwunden.  Im  zweiten  Zeit- 
raum ,  vom  Jahr  1399 — 1417.  sahen  sich  die  Lollardeu  in  eiue 
defensive  Stellung  gedrängt  und  durch  die  nun  mit  der  Hierarchie 
verbündete  Staatsgewalt  mit  allen  Mitteln  verfolgt.  Mit  dem  tra- 
gischen Ende  des  Lord  Cobham  war  die  Partei  der  Lollar- 
den  endgültig  zurückgewiesen  und  niedergeworfen.  Von  diesem 
Augenblick  an  musste  sie  auf  die  Hoffnung  verzichten .  ihre 
Grundsätze  in  England  durchgeführt  zu  sehen.  Dies  ist  der 
Stand  der  Dinge  an  dem  Punkte,  wo  wir  den  Faden  der  engli- 


Zurücktreten  des  wissenschaftlichen  und  politischen  Element:«..  3lK 


sehen  Kirchengeschichte  wieder  aufnehmen.  Die  Lollarden  muss- 
ten  von  jetzt  an  sich  mit  einer  Sektenexistenz  begnügen,  und  froh 
■ein,  wenn  sie  nur  bestehen  konnten  und  wenn,  wie  sie  immerhin 
hofften ,  durch  ihre  Thätigkeit  im  Stillen  und  Verborgenen  ein- 
zelne Seelen  von  dem  herrschenden  Verderben  gerettet  wurden. 

Biemit  hängt  zugleich  ein  anderer  höchst  charakteristischer 
Umstand  zusammen.  In  der  Persönlichkeit  Wiclif's  war  mit 
dem  christlich-religiösen  Element  ein  *  Usrn^chaftlieh-theologi- 
<cii<^  und  ein  politisch-nationales  innigst  verbunden  gewesen. 
Seine  eigene  innere  Entwickelung  hatte  aber  den  Gang  genom- 
men, dass  die  politischen  Motive  mehr  und  mehr  zurücktraten, 
und  das  kirchlich-religiöse  Element  das  entschiedene  Ueberge- 
wicht  bekam.  Denselben  Gang,  den  wir  in  der  Entwickelung  des 
Führers  beobachtet  haben  .  nahm  auch  die  von  ihm  ausgegangene 
Bewegung  im  Ganzen.  Das  christlich-religiöse  Element  in  der- 
selben musste  sich  aus  der  Mischung  mit  dem  seientifischen  und 
politischen  Element  nach  und  nach  lösen  und  sich  rein  heraus- 
arbeiten. Dies  ist  die  innerste  Bedeutung  der  Ereignisse,  welche 
vom  Tode  Wiclif's  an  bis  zum  Jahr  1431  vor  sich  gegangen 
sind.  Die  Ausscheidung  des  wissenschaftlich-theologischen  Ele- 
mentes erfolgte  am  raschesten:  die  Maassregeln  der  Hierarchie 
gegen  die  Universität  Oxford  brachten  es  allmählich  dahin ,  dass 
Männer  der  theologischen  Wissenschaft  sich  von  der  wiclifiti- 
schen  Partei  entfernten  1  .  Andererseits  nahm  das  Leben  selbst  mit 
-einen  Arbeiten  und  Kämpfen  die  Gemüther  der  Lollarden  der- 
maassen  in  Anspruch .  dass  sie  sich  von  der  wissenschaftlichen 
Arena  allmählich  zurückzogen. 

Ungleich  schwerer  war  die  Ausscheidung  des  Politisch-Na- 
tionalen aus  der  ursprünglich  gemischten  Reformgesinnung.  In 
den  letzten  1(3  Jahren  des  XIV.  Jahrhunderts  galten  die  Lollar- 
den als  eine  kirchlich -politische  Partei.  Und  wenn  wir  nur 
ihre  Bittschrift  an  das  Parlament  vom  Jahre  1394  ansehen,  so 

1)  Das  drückte  in  den  Verhandlungen  mit  Hus.  im  Juni  1415.  ein  eng- 
lisches Mitglied  des  Concils  zu  Constanz  so  aus :  In  Anglia  ömnes  magistri. 
—  qni  suspecti  fuerunt  de  opinionc  Wicleff,  omnes  seotndum  ordinent  er 
mandato  archiepiscopi  ahjuraverunt.  Docum.  b.  Palacky,  S.  136. 


304 


Buch  III.    Kap.  4.  I. 


müssen  wir  gestehen  .  jene  Ansicht  war  nicht  ohne  Grund.  Aber 
noch  im  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts  stand  die  Sache  nicht  we- 
sentlich anders.  Insbesondere  beweis't  die  Geschichte  0 ld Cast- 
le' s3  dass  noch  im  zweiten  Jahrzehent  dieses  Jahrhunderts  die 
Lollarden  als  eine  kirchlich -politische  Oppositionspartei  angese- 
hen wurden.  Das  wird  anders  seit  Lord  Cobham's  Fall.  Vom 
Anfang  des  gegenwärtigen  Zeitraums  an  werden  die  Lollarden 
nicht  mehr  als  eine  politische  Partei .  sondern  ausschliesslich  nur 
als  eine  religiöse  Partei,  d.  h.  als  eine  Sekte  behandelt.  Die 
Lösung  vom  politischen  Element  ist  eine  vollbrachte  Thatsache, 
und  wird  allerseits  anerkannt.  Und  wodurch  war  diese  Wirkung 
herbei  geführt  ?  Hauptsächlich  durch  die  furchtbaren  Verfolgun- 
gen, welche  von  der  vereinigten  Kirchen-  und  Staatsgewalt,  un- 
ter der  neuen  Dynastie  Lancaster.  gegen  die  Lollarden  ver- 
fügt und  vollzogen  worden  waren.  Man  hatte  sie  vernichten  und 
unterdrücken  wollen.  Das  war  allerdings  nicht  erreicht.  Aber 
was  die  Menschen  gedachten  böse  zu  machen ,  das  hat  (^ott  der 
Herr  gut  gemacht.  Er  hat  die  Wiclifiten  durch  die  schweren 
Leiden  geläutert .  er  hat  durch  das  Feuer  der  Verfolgungen  die 
politischen  Parteigedanken  wie  Schlacken  ausgeschieden,  und 
das  Metall  kirchlich-religiösen  evangelischen  Lebens  rein  dar- 
gestellt. 

Damit  hängt  indess  noch  eine  beachtenswerthe  Erscheinung 
zusammen.  Früher  wurden  die  Lollarden  in  demselben  Maasse. 
in  welchem  sie  als  eine  kirchlich-politische  Partei  erschienen, 
auch  als  eine  national  englische  Genossenschaft  angesehen ;  man 
dachte  gar  nicht  an  das  Ausland,  wenn  man  sich  mit  ihnen  be- 
schäftigte. In  dem  jetzigen  Zeitraum  ist  das  anders  geworden. 
Der  Blick  ist  erweitert :  man  fasst  die  Lollarden  als  eine  euro- 
päische Erscheinung  auf.  man  hat  ihre  ökumenische  Bedeutung 
erkannt.  Dazu  hatte  der  Hussitismus  und  das  Concil  von  Con- 
stanz  beigetragen.  Durch  diese  Kirchen  Versammlung  war  die 
grosse  langwierige  Papstspaltung  glücklich  gehoben  und  die 
abendländische  Christenheit  wieder  unter  einem  Papste,  Mar- 
tin V.  1417 — 1431)  vereinigt  worden.  Die  unter  dem  Schisma 
ungefähr  40  Jahre  lang  unterbrochene  kirchliche  Einheit  war 
wiederhergestellt ;  eben  damit  war  die  wechselseitige  Kenntniss- 


Die  Lollardea  gewinnen  europäische  Bedeutung. 


305 


nähme  und  das  gegenseitige  Aufeinanderwirken  der  verschiedenen 
Landeskirchen  und  christliehen  Nationen  des  Abendlandes  wie- 
der in  Gang  gebracht  worden.  Und  durch  das  Auftreten  von  Hus 
auf  dem  Concil,  als  einem  kirchlich  -politischen  Congress  Euro- 
pl 's.  durch  die  Verhandlung  und  Vernrtbeilnng  seiner  Sache  vor 
den  Abgeordneten  aller  abendländischen  Landeskirchen  hatte  die 
hnssitische  Sache .  in  der  man  nur  einen  Schbssling  vom  Baume 
des  W'iclifisnuis  erkannte,  aller  Augen,  auch  in  England,  auf  sich 
gezogen.  Die  weitere  Entwicklung  der  hussitischen  Angelegen- 
heit in  Böhmen  und  Mähren  wurde  mit  Spannung  verfolgt.  Kein 
Wunder .  dass  man  in  England  die  Partei  der  Lollarden  jetzt 
unter  einem  umfassenderen  Gesichtspunkt  ansah,  und  in  ihnen 
eine  Erscheinung  von  keineswegs  nur  partikularistischem,  exclu- 
siv  englischem  Interesse,  sondern  von  europäischer,  ökumenisch- 
kirchlicher Bedeutung  erkannte. 

Treten  wir  nun  den  Ereignissen  und  dem  Stande  der  Dinge 
in  dem  Zeitraum  von  1417  an  näher,  so  ergibt  sich  auf  den  ersten 
Blick,  dass  die  18  Jahre  lang  systematisch  fortgesetzten  Maassre- 
geln der  Hierarchie  und  des  Staates  denn  doch  bedeutende  Erfolge 
gehabt  haben.  Auf  der  Universität  Oxford  entdecken  wir  indem 
gegenwärtigen  Zeitraum  keineSpur  mehr  von  wiclifitischer  Ge- 
sinnung. Allein  wir  sehen  auch  kein  Zeichen  wissenschaftlichen 
Lehens  innerhalb  der  Universität.  Die  Hierarchie  hat  das  Spiel 
gewonnen,  aber  sie  hat  das  geistige  Leben  getödtet.  Im  Jahre 
142o  kam  der  gelehrte  Italiener  und  Humanist  Poggio  Brac- 
ciolini.  vordem  Mitglied  des  Concils  zu  Constanz .  nach  Eng- 
land. Da  konnte  er  sich  nicht  genug  wundern  über  die  an  den 
hrittischen  Universitäten  herrschende  Unwissenheit,  Roheit  und 
barbarische  Wortklauberei:  er  urtheilt.  wirkliche  Gelehrte  und 
Freunde  der  Wissenschaft  seien  nur  sehr  wenige  hier  zu  finden  *) . 

Ferner ,  die  bisherigen  Verfolgungen  im  Lande  waren  vor- 
zugsweise gegen  die  wie  Ii  fit  i  sehen  Reiseprediger  gerichtet 
gewesen.  Denn  diese  hatten  bei  der  Beweglichkeit  ihrer  wan- 
dernden Propaganda .  bei  dem  lebhaften  Anklang .  den  sie  an 


1)  PoGGio,  Epistolae,  ed.  1S32.  43.  Aus  seinem  Brief  über  das  Ende  des 
Hieronymus  von  Prag  haben  wir  oben  Kap.  3.  VI.  S.  232  einiges  mitgetheilt. 
Lechler  ,  Wiciif.  II.  20 


Buch  III.    Kap.  4.  I. 


vielen  Orten  fanden  .  bei  der  weiten  Ausbreitung,  welche  sie  der 
biblischen  Lehre  verschafften .  die  Besorgnisse  der  papistischen 
Geistlichkeit  in  hohem  Maasse  erregt.  Nun  aber  hatte  man  die 
Forderung  aufgestellt .  dass  jeder  Reiseprediger  sich  über  eine 
bischöfliche  Legitimation  hiezu  ausweisen  müsse,  und  man  be- 
stand darauf  mit  Consequenz  und  Nachdruck;  gegen  Prediger, 
welche  ohne  bischöfliche  Vollmacht  da  oder  dort  aufzutreten  wag- 
ten, verfuhr  man  mit  rücksichtsloser  Strenge :  ihre  Zuhörer  wur- 
den durch  Strafen  eingeschüchtert;  denjenigen  gegenüber,  welche 
solche  Vorträge  begünstigten  und  in  Schutz  nahmen .  übte  man 
eine  peinliche  Wachsamkeit.  Alle  diese  Mittel  zusammengenom- 
men mussten  die  Lollarden  zuletzt  ängstlich  und  überaus  vorsich- 
tig machen.  Und  so  finden  wir  denn  in  dem  laufenden  Zeitraum 
nur  noch  ganz  vereinzelte  Spuren  von  wiclifi tischen  Reisepre- 
digern; zum  Beispiel  im  Jahr  1422  kam  ein  Kaplan  Wilhelm 
White  ^Whyte)  in's  Verhör  vor  der  Convocation,  weil  er  ohne 
bischöfliche  Vollmacht  zu  Tenterden  ( Ten  t  er  ton,,  einem 
Städtchen  in  der  Grafschaft  Kent,  gepredigt  hatte J) . 

Wohl  aber  treten  jetzt  römisch-gesinnte  Reiseprediger  auf. 
indem  die  Päpstlichen  ihre  Gegner  mit  den  eigenen  Waffen  der- 
selben zu  schlagen  versuchen.  Solch  ein  papistischer  Reisepredi- 
ger war  Wilhelm  Lindwood  (Lyndewode)  ;  er  erhielt  im  Jahr 
1417  von  Erzbischof  Chichely  Vollmacht.  Vorträge  und  Predig- 
ten in  lateinischer  und  englischer  Spractte ,  vor  der  Geistlichkeit 
und  dem  Volke  in  beliebigen  Orten  der  ganzen  Kirchenprovinz 
Canterbury  zu  halten  2) .  Dieser  Mann  war  seit  Jahren  einer  der 
eifrigsten  Kämpfer  gegen  die  Lollarden,  spielte  auch  vermöge 
seiner  Kenntniss  des  Kirchenrechts  (er  war  Doctor  beider  Rechte 
schon  geraume  Zeit  eine  Hauptrolle  als  Untersuchungsrichter  bei 
vielen  Ketzerprocessen :  er  war  Ofticial  bei  dem  erzbischöflichen 
Gerichtshof  in  London  und  öfters  Sprecher  des  Unterhauses  der 
Convocation;  15  Jahre  später  wurde  er  sogar  Geheimsiegelbe- 
wahrer3); und  im  Jahr  1438  empfahl  ihn  Heinrich  VI.  dem  Papst 


1)  Wilkins,  Concilia  Magnae  Britanniae,  III,  404. 

2)  WlLKINS,  Concilia  Magnae  Britanniae,  III.  389. 

3)  a.  a.  O.  521. 


Wiclifitische  Conventikel. 


307 


Bttgen  IV  bei  der  bevorstehende]]  Besetzung  des  Bisthums  He- 
reford  1  . 

Wenn  übrigens  die  Bischöfe  meinten .  mit  der  wiclifi tischen 
frei  se  p  r e  digt  sei  auch  die  Partei  der  Lollarden  verschwun- 
den .  so  haben  sie  sich  gar  sehr  getäuscht.  Die  Sache  blieb  die- 
selbe, nur  die  Erscheinungsform  hatte,  angesichts  der  Gewalt, 
sich  verändern  müssen.  An  die  Stelle  der  grossen  Volksversamm- 
lungen, welche  sich  vormals  um  die  Reiseprediger  geschaart  hat- 
ten, sind  kleine  Vereine,  Conventikel  getreten.  So  wird  1 42T> 
einem  Pfarrer.  Robert  Hoke,  und  1423  einem  Laien ,  Wilhelm 
Harvev  von  T  enter  den  vorgeworfen,  dass  sie  conventicuta 
occulta  der  Lollarden  besucht,  beziehungsweise  geleitet  hätten2). 
Der  englische  Polemiker  jenes  Zeitalters,  Thomas  Netter  von 
Waiden,  berichtet  uns,  dass  die  Lollarden  die  Kirchengebäude 
herabsetzten  und  ihre  eigenen  Gottesdienste  in  Häusern  hielten, 
und  zwar  möglichst  in  versteckten  Häusern;  besonders  gern 
wählten  sie  zu  diesem  Behuf  einsame  Bauernhütten  an  den  Feld- 
marken zwischen  mehreren  Dorfschaften.  Das  geschah  vermuth- 
lieh  aus  doppeltem  Grunde :  sie  waren  dort  einestheils  vor  Ent- 
deckung eher  gesichert,  anderntheils  konnten  die  Einverstandenen 
aus  mehreren  Orten  sich  dort  leichter  zusammenfinden.  Derselbe 
Gewährsmann  erwähnt  aber  auch,  dass  die  Lollarden,  in  Ermang- 
lung geeigneter  Wohnhäuser ,  sogar  in  Höhlen  und  Gruben  ihre 
Conventikel  hielten  3). 

Abgesehen  von  Conventikeln  und  persönlichen  Zusammen- 
künften, war  zum  Behuf  der  Erbauung  der  Bibelfreunde  das  Mittel 

1)  a.  a.  O.  532  feig. 

2)  Wilkins,  Com.  III,  435.  494.  Dem  Pfarrer  Hoke  wurde  insbeson- 
dere vorgehalten ,  er  habe  mit  Männern  und  Frauen ,  welche  der  Irrlehre 
verdächtig  waren,  Scholas  et  conventiculas  gehalten 

3)  Thomas  Waldensis,  Doctrinale  antiquitatum,  Venet.  1571.  Vol.  III. 
Tit.  XVII.  257.  Tit.  XX.  268.  Schon  den  Waldensern  wurde  nachgesagt, 
dass  sie  heimlich  und  in  Winkeln,  in  Kammern,  Scheunen  und  Ställen  pre- 
digten und  Gottesdienst  hielten,  Refutatio  errorum,  quibus  Waldenses  disti- 
nentur,  in  Btbl.  max.  Pottum,  Lugd.  1077.  Vol.  XXV.  302.  Auch  Hussiten 
und  böhmische  Brüder  bekamen  den  Spottnamen  »Gr  üben  heimer« ,  weil 
sie  vor  Verfolgungen  in  Einöden  flüchteten. 

20* 


308 


Buch  III.    Kap.  4.  1. 


der  Schrift  zwar  schwierig-  genug,  aber  doch  nicht  unmöglich 
gemacht.  Abschriften  von  Wiclifs  Uebersetzung  eines  bibli- 
schen Buches  oder  mehrerer  Bücher  heiliger  Schrift .  ferner  von 
Traktaten  über  religiöse  Fragen .  waren  bei  den  Einverstandenen 
in  Umlauf,  und  dienten  zur  Erbauung  und  zur  Bestärkung  in 
der  Wahrheit  zur  Gottseligkeit.  Bei  den  bischöflichen  Verhören 
kommen  öfters  Exemplare  von  biblischen  Büchern  in  englischer 
Uebersetzung.  und  sonstige  »häretische^  Schriften,  theils  in  eng- 
lischer theils  in  lateinischer  Sprache  zum  Vorschein.  Der  bereits 
genannte  Laie  Wilhelm  Harvey  gesteht,  dass  er  verschiedene 
Bücher  der  heil.  Schrift  in  der  Volkssprache  gelesen  habe.  Bei 
einem  Londoner  Kaplan  Johann  Calle  entdeckte  man  ein  engli- 
sches Evangelienbuch,  schön  geschrieben,  mit  dem  Titel :  »Buch 
des  neuen  Gesetzes.«  Und  der  Kaplan  Ralph  Mungyn  besass 
zugestandenermaassen  12  Jahre  lang  Wiclifs  Trialogus .  seine 
Evangelien  und  mehrere  seiner  englischen  Traktate 1  .  Auch  wur- 
den fortwährend  neue  Schriften  wiclititischen  Inhalts  verlasst. 
z.  B.  von  den  Pfarrern  Robert  Hoke  und  Thomas  Drayton. 
dem  Kaplan  Wilhelm  White  und  Anderen.  Ein  ausführlicher 
Traktat  über  das  Gebet  und  wider  die  Anrufung  der  Heiligen, 
von  Magister  Wilhelm  Tailor  in  lateinischer  Sprache  ausgear- 
beitet, ist  dem  bischöflichen  Protokoll  über  das  mit  demselben  im 
Jahr  1422  vorgenommene  Verhör  einverleibt2). 

Ferner  ist  schon  die  Thatsache  allein  doch  nichts  weniger  als 
ein  Zeichen  von  abnehmender  Kraft  des  evangelischen  Geistes  in 
der  englischen  Kirche ,  dass  immer  mehr  Mitglieder  der  Pfarr- 
geistlichkeit in  den  Reihen  der  Lollarden  angetroffen  werden. 
Schon  bisher  war  allerdings  die  Zahl  der  Kleriker  unter  der  Par- 
tei verhältnissmässig  nicht  gering  gewesen.  Doch  waren  diesel- 
ben meistens  Männer  in  untergeordneter  und  abhängiger  Stel- 
lung, Kaplane  und  Hülfspriester.  Auch  in  dem  gegenwärtigen 
Zeitabschnitt  kommen  mehrere  dergleichen  vor,  z.  B.  Wilhelm 
Brown.  Johann  Calle,  Ralph  Mungyn,  Ralph  Owtrede, 
Wilhelm  Tailor,  Wilhelm  White.  Richard  Wyche.  Hin- 

1  Wilkins,  Conc.  III,  494.  498. 

2  a.  a.  O.  III,  435.  407  —409. 


Pfarrer  als  Wiclititen. 


300 


gegen  von  jetzt  an  kommen  auffallend  viele  Hauptpfarrer  in  Ver- 
dacht wicliritischer  Denkart  und  in  Untersuchung  wegen  Irrlehre. 
Wir  erwähnen  namentlich  den  wiederholt  genannten  Robert 
Hoke.  Rector  der  Pfarrkirche  Braybrooke  in  der  Herrschaft 
Horthampton  1425  .  Thomas  Drayton,  Rector  der  Pfarrkirche 
/u  Sinne.  Diöcese  Canterburv  1425  .  Richard  Monk,  Pfarrei 
von  Chesham.  Robert.  Rector  der  Pfarrkirche  Heggeley,  Graf- 
schaft Lincoln.  Wenn  ein  solcher  Mann  sich  seinem  Pfarramt 
wirklich  mit  Eifer  für  die  evangelische  Wahrheit  und  für  das  Heil 
der  Seelen  widmete,  so  ist  gar  nicht  abzusehen,  wie  weit  sich  der 
Kreis  seines  Wirkens  ausdehnen  mochte,  auch  ohne  dass  er  irgend 
einen  Versuch  als  Reiseprediger  wagte. 

Dazu  kommt  ein  anderer  gewichtiger  Umstand.  Je  mehr  die 
Hierarchie  die  ausserordentlichen  Formen,  Mittel  und  Wege  ver- 
pönte und  versperrte,  je  mehr  man  sich  auf  das  Geleise  der  ge- 
regelten Thätigkeit  und  des  Amtes  angewiesen  sah ,  desto  elasti- 
scher wurde  durch  den  Druck  von  aussen  die  zurückgedrängte 
Kraft  evangelischer  Ueberzeugung,  und  desto  kühner  strebte  sie 
Innerhalb  der  aufgedrungenen  Schranken  sich  mit  der  That  zu 
offenbaren  im  Thun  und  Lassen.  Daher  kommt  es  jetzt  zum 
ersten  Male  vor.  dass  wieliütiseh  gesinnte  Priester  ihre  Ueberzeu- 
gung bethätigten  durch  grundsätzliche  Enthaltung  von  gottes- 
dienstlichen Handlungen,  die  wider  ihr  Gewissen  gingen. 

Der  Bischof  von  Lincoln.  Philipp  R  e  p  p  i  n  g  t  o  n .  vormals  an 
der  Universität  Wiclif's  Freund,  nunmehr  Verfolger  seiner  An- 
hänger, musste  die  Beobachtung  machen,  dass  in  der  Stadt  Lin- 
coln selbst,  seinem  Bischofssitze,  mehrere  Priester  am  Fronleich- 
namsfest und  dem  Sonntag  darauf  der  Procession.  welche  von 
einer  Kirche  der  Vorstadt  zu  der  Kathedrale  sich  hinauf  bewegte, 
sic  h  nicht  anzuschliessen  pflegten.  Er  fand  sich  dadurch  im  Jahr 
1419  bewogen,  sänimtliehen  angestellten  Stadtgeistlichen  streng 
einzuschärfen .  dass  sie  die  Procession  in  priesterlichem  Ornate 
mitzumachen  hätten,  unter  Bewilligung  eines  4ütägigen  Ablasses 
für  Geistliche  und  Gemeindeglieder,  falls  sie  sich  dabei  betheilig- 
ten 1  .  Es  ist  zwar  in  dem  Erlasse  selbst  von  den  Beweggründen. 

1)  WffcKörsf,  Owe.  III,  39(5. 


:U0 


Buch  III.    Kap.  4.  L 


aus  welchen  jene  Kleriker  sieb  von  der  Procession  ferne  hielten, 
nichts  näheres  gesagt:  allein  es  ist  doch  an  sich  wahrschein- 
lich, dass  wiclifi  tische  Ueberzeugimgen  vom  heil.  Abendmahl, 
und  von  der  dem  lebendigen  Gott  allein .  nicht  einer  Monstranz, 
schuldigen  Anbetung  zum  Grunde  lagen.  Zugleich  lässt  das  Ver- 
sprechen des  Ablasses  für  die  »Gläubigen«,  d.h.  für  Laien,  und 
die  tadelnde  Bemerkung,  jene  Unterlassung  sei  ein  gefährlicher 
Vorgang  für  Andere,  vermuthen.  dass  jene  Zurückhaltung  einiger 
Geistlichen  bei  der  Gemeinde  Anklang  gefunden  haben  mag. 
Einigermaassen  ähnlich  ist  die  Thatsache.  dass  Pfarrer  Robert 
Hoke  in  Braybrook,  gleichen  Bisthums,  zwei  Jahre  nach  ein- 
ander je  am  Charfreitag  dem  Kreuze  die  übliche  Verehrung  für 
seine  Person  als  Priester  nicht  bezeugt  hat .  und .  als  die  ganze 
Gemeinde  seinem  Vorgang  folgend  ruhig  in  den  Kirchenstühlen 
sitzen  blieb ,  diese  Unterlassung  gebilligt  hat 1 } .  Das  waren  le- 
diglich Enthaltungen  von  gewissen  herkömmlichen  Kultusakten. 
Aber  noch  in  ganz  anderer  Weise  bethätigten  jetzt  einzelne  Wi- 
clifiten  ihre  Ueberzeugimgen .  Thomas  von  W  aide  n  theilt  un- 
ter anderem  Folgendes  als  hinlänglich  bezeugt  mit :  Ein  gewisser 
Wilhelm  mit  dem  Zunamen  Jakob  [William  James  ^  .  ein 
Mann  von  tüchtiger  Gelehrsamkeit  und  edler  Beredtsanikeit.  habe 
einmal  Sonntags  in  einer  Hauptkirche  dem  Hochamt  beigewohnt : 
als  aber  die  Hostie  zur  Anbetung  emporgehoben  wurde ,  habe  er 
sich  umgedreht,  so  dass  er  dem  Altar  den  Kücken  zukehrte,  dann 
aber  die  Hände  aufgehoben ,  und  seine  Augen  auf  eine  ausge- 
zeichnet schöne  Frau  gerichtet,  mit  den  Worten,  er  schaue  (i<»tt. 
den  er  anbete,  in  ihr  klarer  an.  als  in  der  aufgehobenen  Hostie H  . 

1  Er  hat  bekannt:  thut  on  O'ood  Friday  —  neyther  I  in  myn  owen 
own,  persona ,  ner  noon  of  tnyne  owen  parishens,  by  tny  teil  and  suß'raunce 
dide  no  worship  aecoustnmed  to  bee  done  that  day  in  all  Itoly  cherche  to 
ihe  crosse.  WiLKixs,  Conc.  IM.  vgl.  et  quod  parochiani  tut  non  aaorarent, 
seä  in  sedilibus  suis  mancrent  absque  adorafionc,  approbmti. 
2)  Vgl.  Wilkins,  Conc.  307. 

:t,  Doetrinale  antiqu.  Jidei,  Vol.  II.  c.  2ü.  f.  47.  Aehnliches  hören  wir 
von  einem  gewissen  Nicclaus  Canon  von  Eye  in  Suftolk:  er  sei  einmal  am 
Fronleichnamsfeste,  während  des  Hechamts,  als  bei  der  Elevation  alles  nie- 
derkniete ,  hinter  einen  Pfeiler  getreten .  habe  dem  Hochaltar  den  Rücken 


Priesterehe. 


311 


Der  Berichterstatter  erklärt  das  ohne  weiteres  für  Wahnwitz; 
und  wir  sind  weit  entfernt,  eine  solche  Demonstration,  welche  das 
an  der  Anbetung:  der  Hostie  genommene  Aergerniss  ausdrücken 
will ,  in  Schutz  zu  nehmen .  da  sie  ans  Frivole  streift.  Indessen 
scheint  uns  diese  Anekdote,  deren  geschichtliche  Glaubwürdig- 
keit keiner  triftigen  Einrede  unterliegt,  bezeichnend  als  ein  Beleg 
davon,  wie  manche  Lollarden  jener  Zeit  ihre  Glaubensansicht, 
wenn  auch  in  verfehlter  Weise,  an  den  Tag  zu  legen  suchten. 

Höchst  merkwürdig  ist  ferner  die  Thatsache,  dass  ein  gewe- 
sener Kaplan  Wilhelm  Weiss  Whyte.  Willelmus  cognomento 
Albus  nennt  ihn  Waiden  seine  von  W  i  c  1  i  f  überkommene 
Ueberzeugung  von  dem  göttlichen  Recht  der  Priesterehe  prak- 
tisch bethätigte.  Nachdem  er  durch  die  Lektüre  von  Wiclif's 
Schritten  erweckt  worden  war.  gab  er  seine  einträgliche  Pfründe 
auf,  um  sein  Leben  desto  ungehinderter  nach  dem  Willen  Gottes 
einrichten  zu  können.  Gewiss  waren  dem  Entschluss .  dieses 
Opfer  zu  bringen .  schwere  Gewissenskämpfe  vorhergegangen, 
vermöge  des  Conflikts  zwischen  der  übernommenen  Amtspflicht 
und  der  gewissenhaften  persönlichen  Ueberzeugung.  Jedoch 
machte  White,  auch  nach  Niederlegung  seines  Amtes,  von  sei- 
ner priesterlichen  Befugniss  noch  fleissigen  Gebrauch:  er  be- 
nützte jede  Gelegenheit,  um  zu  lehren  und  zu  unterweisen ,  den 
Seelen  zu  dienen  und  Christi  Ehre  zu  fördern.  Insbesondere  ver- 
t'asste  er  mehrere  Volksschriften,  deren  eine  Thomas  von  Wai- 
den in  Bandes  gehabt  hat  und  eitirt 1  .  Dieser  Mann  nun  hat  unter 
anderem  auch  in  Betren0  der  Ehe  Grundsätze  sich  angeeignet  und 
öffentlich  ausgesprochen,  des  Inhalts:  Christus  habe  allen  drei 
Ständen  der  Christenheit,  dem  Lehrstande  so  gut  als  dem  Nähr- 
stande, die  Ehe  zur  Pflicht  gemacht:  diese  Vorschrift  Christi  habe 
der  Widerchrist  von  Papst  nebst  seinen  Rathgebern .  erst  nach- 
dem der  Teufel  um  das  Jahr  1000  los  geworden,  zum  sittlichen 
Schaden  der  Priesterschaft,  zu  nichte  gemacht.  Der  Mann  be- 
gnügte sich  indessen  nicht  mit  der  grauen  Theorie  :  er  schritt 

zugewendet  und  diejenigen  verspottet .  welche  dem  Sakrament  ihre  Vereh- 
rung bezeigten.  Foxe,  Acts  and  3Ion.  III,  599. 
1    Doctrinale,  Vol.  III.  f.  292. 


312 


Buch  III.    Kap.  4.  I. 


selbst  zur  Ehe  mit  einer  gxrttesfürchtigen  Jungfrau  Namens 
Johanna ,  und  erklärte  es  für  eine  arge  Verkehrtheit,  dass  man 
ein  Ehelosigkeitsgesetz .  welches  von  Gott  niemals  gegeben  wor- 
den sei,  halte,  dagegen  das  Geschenk  der  Ehe,  welehes  Gott 
selbst  verliehen  habe,  wegwerfe1  .  So  wagte  es  dieser  Mann, 
ungeachtet  seines  priesterlichen  Standes ,  doch  in  die  Ehe  zu  tre- 
ten, indem  er  den  Priestercölibat  als  eine  lediglich  menschliche 
Satzung,  ja  als  eine  geradezu  widerchristliche  und  sittlich  ver- 
derbliche Institution  .  grundsatzlich  verwarf.  Und  merkwürdiger 
Weise  hat  Thomas  von  Waiden,  dem  wir  diese  ganze  Nach- 
richt über  seinen  Zeitgenossen  verdanken,  kein  Wort  des  Vor- 
wurfs gegen  diese  thätliche  Durchbrechung  einer  für  das  ganze 
päpstlich  -  lrierarchische  System  so  wichtigen  Ordnung,  wie  der 
Priestercölibat  war. 

Dieser  gewesene  Priester.  Wilhelm  White,  stand  um  seiner 
Frömmigkeit  und  christlichen  Wandels  willen  bei  den  Lollarden. 
die  ihn  kannten ,  in  höchster  Achtung .  so  dass  sie  viel  auf  seine 
Fürbitte  hielten:  eine  gewisse  Margarethe  Wright  äusserte  nach 
seinem  Märtyrertode  :  wenn  es  Heilige  gäbe,  zu  denen  man  beten 
könnte,  so  wollte  sie  lieber  zu  ihm  beten,  als  zu  irgend  einem 
andern.  Seine  Frau  Johanna  folgte  schon  früher  nach  Kräften 
seinem  Vorgang:  sie  verbreitete  die  Lehre  und  bestärkte  viele 
Leute  in  der  Wahrheit :  diese  Bemühungen  setzte  sie  auch  nach 
ihres  Ehegatten  Tod  fort .  nicht  ohne  durch  den  Bischof  von  Nor- 
wich  mit  Kirchenstrafen  belegt  zu  werden  -  . 

Derselbe  Wilhelm  White  suchte  die  evangelische  Wahrheit, 
wie  er  sie  erkannte,  auch  in  Betretf  der  heiligen  Zeiten  und  Feste 
im  Leben  durchzuführen,  indem  er  das  Volk  lehrte,  es  seiden 
Gläubigen  erlaubt .  an  Sonntagen  und  Festen .  welche  die  Kirche 
eingeführt  hat.  selbst  an  den  höchsten  Festen .  zu  arbeiten  und 
leibliche  Geschäfte  zu  vollziehen;  nur  knechtische  Arbeiten  seien 
unerlaubt.  Ueberdies  wurde  ihm  nachgesagt,  er  habe  den  (Grund- 
satz aufgestellt:  »Jeder  Tag  ist  zu  feiern,  da  wir  im  Geiste  leben  : 
jeder  Tag  ist  Sonntag,  jeder  Tag  ist  Osterfest  oder  Pfingsten. 

1  Doctrmmk,  HL,  121. 

2  Johann  Foxe,  Acts  and  Monuttwnts.  ed.  Townsend,  III.  ">1H . 


Die  Lollarden  um  1420  folg. 


313 


gleichwie  die  Engel  im  Himmel  jeden  Tag  gleichmäßig  feiern1).« 
Hier  steht  die  wiclifitische  Ansicht  allerdings  in  Gefahr,  abwei- 
send von  Wiclif's  persönlicher  Lehre,  in  einen  falschen  Spiri- 
tualismus auszulaufen.  Während  die  Verwerfung  der  Bilder  und 
Reliquien  ihrerseits  in  fanatische  Bilder  stürm  erei  überzugehen 
droht,  falls  die  Aeusserung  thatsächlich  gegründet  ist.  welche 
Thomas  von  Wa  1  den  einigen  Wiclifiten  in  den  Mund  legt :  Wenn 
ich  den  Leib  jenes  Petrus  oder  Antoninus  hätte .  so  wollte  ich  ihn 
mit  Feuer  verbrennen  2  !« 

Kurz,  die  wiclifitische  Partei  war  in  dem  gegenwärtigen  Zeit- 
raum, noch  in  den  zwanziger  Jahren  des  XV.  Jahrhunderts,  kei- 
neswegs unterdrückt  und  ausgerottet,  wie  manche  Gelehrte  sich 
vorstellen3  .  bn  Gegentheil ,  sie  war  noch  recht  zahlreich  .  und 
dabei  innerlich  kräftig  und  muthvoll.  Hat  doch  der  Erzbisehof 
von  Canterbury.  Heinrich  Chichely.  das  im  Juli  1428  eröff- 
nete Provinzialconcil  zu  London  insbesondere  auch  in  der  Absicht 
berufen,  damit  »die  Irrlehren  und  Irrlehrer,  welche  in  ungewöhn- 
lichem Maasse  überhandnehmen«,  entkräftet  und  ausgerottet  wer- 
den möchten4  .  Es  stand  so.  dass  die  Wiclifiten  selbst  anfingen 
geltend  zu  machen,  dass  sie  ungeachtet  aller  Verfolgungen  von 
Seiten  der  Bischöfe  und  aller  Verleumdungen  und  Ränke  von 
Seiten  der  Bettelmönche  und  anderer  falschen  Christen .  seit  be- 
reits 40 — 50  Jahren  immer  noch  bestehen  und  nicht  haben  unter- 
drückt werden  können ;  sie  beriefen  sieh  auf  diese  notorische 
Thatsache  als  einen  Beweis  dafür,  dass  ihre  Sache  von  Gott  sei"  . 
Dieses  Bewusstsein  wird  ergänzt  durch  eine  angebliche  Prophe- 
zeiung, dahin  gehend,  die  Sekte  der  Lollarden  werde  in  einem 
gewissen  Sinne  vernichtet  werden .  dessen  ungeachtet  werde  sie 


1    Thom.  WALDES,  Doetrinale,  III.  c.  140.  f.  252. 
2]  Doetrinale,  III.  c.  137.  f.  249:  Qu i dam  clamant  et  ruf/iunt:  si  höhe- 
rem corpus  illius  Petri  auf  Antonini,  igne  concremarem. 

3)  Vgl.  Leo,  Lehrbuch  der  Universalgeschichte,  II,  373  Anm. 

4  Wilkixs.  Cone.  UJ,  493:  ob  errorum  et  haeresium  ac  haereticorum . 
plus  solito  inval  eseentium  destruetionem  et  enervationem. 

5  Thomas  von  WALDES  führt  diese  Aeusserungen  buchstäblich  an, 
Doetrinale ,  II,  doctrina,  XI.  fol.  S. 


3 14 


Buch  JH.    Kap.  4.  II. 


zuletzt  die  Oberhand  haben  und  den  Sieg'  über  alle  ihre  Feinde 
gewinnen  1  . 

II. 

Zu  dem  Behuf,  die  Lehre  der  Lollarden  in  diesem  Zeit- 
raum kennen  zu  lernen ,  stehen  uns ,  abgesehen  von  einer  grossen 
Zahl  einzelner  Sätze,  welche  bei  Gelegenheit  bischöflicher  Unter- 
suchungen diesem  oder  jenem  Angeschuldigten  vorgehalten  wur- 
den .  zwei  kurze  Urkunden  aus  der  Feder  von  Wiclifiteii  zu  Ge- 
bote ,  woraus  wir  ihre  Gedanken  einigermaassen  im  Zusammen- 
hang ersehen.  Wir  meinen  das  Glaubensbekenntuiss  des  Thomas 
Bagley  und  den  oben  erwähnten  Aufsatz  Wilhelm  Tailor's 
Uber  das  Gebet  überhaupt,  insbesondere  über  die  Anrufung  der 
Heiligen. 

Beginnen  wir  mit  den  isolirten  Sätzen,  so  kommen  in  der 
Untersuchung  wider  den  Pfarrer  Bobert  Hoke  vier  Sätze  vor,  die 
aus  Büchern,  welche  er  besass,  herausgehoben  wurden : 

1  Wenn  es  in  eines  Priesters  Macht  stünde ,  Gottes  Leib  zu 
machen  (offenbar  das  conficere  in  der  Mess-Terminologie; .  so  wäre 
er  im  Stande  das  in  seiner  Art  schlechteste  Ding  zu  seinem  Gott 
zu  machen  :  denn  das  Sakrament  des  Altars  ist  unvollkommener 
in  seiner  Art,  als  Pferde-  oder  Rattenfutter,  und  das  Sakrament 
im  Kelch  ist  ungleich  unvollkommener  als  Gift; 

2  die  Pharisäer  der  Jetztzeit ,  als  Mönche,  Nonnen.  Dom- 
herren, Bettelmönche  und  alle  anderen  von  der  Kirche  anerkannten 
Privatreligionen,  sind  Glieder  des  Teufels,  und  nicht  des  allmäch- 
tigen Gottes; 

3  die  Beichte  vor  dem  Priester  ist  nicht  zum  Seelenheil 
nothwendig,  sondern  eine  vom  Teufel  eingeführte  List: 

4)  weltliehe  Herren  sind  durch  Gottes  (leset/,  verpflichtet,  alle 
Dinge  als  Gemeingut  zu  behandeln 2  . 

1)  Dies  beruht  auf  der  Aussage  eines  Belastungszeugen.  Wilhelm 
Wright,  in  einer  Unter.-.uchung  vom  Jahr  1429  gegen  mehrere  Lollarden 
vor  dem  Bischof  von  Norwich,  s.  Joh.  Foxe,  Acts  and  Mon.  III,  597. 

2i  Wilkixs  ,  Cour.  III,  l-'t".  in  einer  englisch  gegebenen  Widerrufs- 


Grundsätze  der  Lollarden. 


315 


Angenommen  .  diese  Sätze  seien  uns  in  ächter  und  unver- 
änderter Gestalt  Uberliefert,  was  nicht  über  allen  Zweifel  erhaben 
ist.  so  unterscheiden  sieli  die  drei  ersten  Sätze  von  anderen  ähn- 
licher Art  durch  die  Derbheit  ihrer  Passung  und  durch  einen  ge- 
wissen fanatisch  gesteigerten  Ton.  Der  vierte  Satz  ist  insofern 
ächt  wiclifitischer  Herkunft,  als  Wie  Ii  f  selbst  sieh  mit  dem 
Wesen  und  den  Bedingungen  rechtschaffenen  Besitzes  viel  be- 
schäftigt hat.  Allein  der  hier  gewählte  Ausdruck  macht  auf  den 
ersten  Anblick  den  Eindruck  des  Communismus .  obwohl  der  Satz 
nur  die  sittliche  Pflicht  der  Besitzenden  behauptet,  nicht  das 
Recht  der  Besitzlosen  auf  das  Privateigenthum  Anderer.  Letz- 
teres liegt  dagegen  in  einer  Aeusserung.  welche  dem  Ralph 
Mungy  n  von  einigen  Zeugen  zugeschrieben,  von  ihm  selbst  aber 
in  Abrede  gezogen  wurde:  »Wenn  jemand  in  Noth  wäre,  so  dürfte 
er  von  den  Gütern  Anderer  nehmen,  und  er  würde  damit  keine 
Sünde  thun :  in  diesem  Sinne  sollten  die  Güter  allen  gemein 
sein 

Während  wir  hier  nur  einige  aus  dem  Zusammenhang  geris- 
sene, möglichst  schroff  gefasste  Sätze  vor  uns  haben ,  ist  uns  von 
Thomas  Bagley.  einem  Pfarrer  zu  Maunden  in  der  Grafschaft 
Essex,  ein  ziemlich  zusammenhängendes  Glaubensbekenntniss  er- 
halten. Dasselbe  beginnt  mit  einem  Satze  über  die  göttliche 
Dreieinigkeit  aus  dem  Athanasiamim .  fährt  weiter  fort  im  An- 
schluss  an  das  apostolische  Bekenntniss .  und  erklärt  sich  ferner 
über  das  Sakrament  des  Altars .  über  Wallfahrten  und  Bilderver- 
ehrung.  Die  erste  Eigenthümlichkeit  besteht  darin ,  dass  in  den 
Artikel  des  Apostolicum  von  der  Kirche  die  praedestinatianische 
Definition  eingeschoben  ist  :  credo  etiam  ecelesiam  s.  catholicam. 
quae  est  numerus  )>  r  a  c  d  <>  si  i  itatorum.  Was  die  Sakramente 
betrifft,  so  erkennt  Bagley  alle  sieben  Sakramente  der  römischen 
Kirche  an,  und  misbilligt  nur  ihren  Misbrauch.  namentlich  zur 
Gewinnsucht.  Eben  so  maassvoll  und  vorsichtig  erklärt  er  sich 
im  besonderen  über  (bis  Sakrament  des  Altars,  so  wie  endlich 


t'ormel,  welche  dem  Angeschuldigten  auferlegt  wurde  .  that  lords  /empöre// 
been  ho  den  by  the  lato  of  Ciod  to  have  all  t hinge  in  couimun. 

J)  WlLKINS.  Conc.  III,  501.  et  illo  modo  debeiwnt  bona  esse  communic . 


316 


Buch  III.    Kap.  4.  IL 


über  Heiligenbilder  und  Pilgerfahrten.  Ueberhaupt  erscheint  das 
Ganze  als  das  Erzeugniss  eines  durchaus  nicht  leidenschaftlichen 
und  fanatischen ,  vielmehr  besonnenen  und  gemässigten  Geistes, 
der  sich  an  das  Bestehende  so  viel .  als  Gewissens  halber  möglich 
ist,  anschmiegt.  Aber  eben  um  dieses  sittlichen  Maasses  willen, 
das  wir  in  seinen  Erklärungen  erkennen ,  hat  es  um  so  mehr  zu 
bedeuten ,  dass  dieser  Mann  sogar  vor  seinen  geistlichen  Richtern 
sich  unverholen  auf  Wie  Ii  f  beruft ,  als  auf  einen  Lehrer,  dem  er 
mehr  Glauben  schenke  wie  einem  Hieronymus ,  Augustin ,  Gregor 
oder  Ambrosius  den  vier  grossen  Kirchenlehrern  des  Abend- 
landes): er  fügt  hinzu,  er  glaube,  dass  Wiclif,  obgleich  er 
'seiner  Zeit  wegen  Irrlehren  und  Ketzereien  von  der  Kirche  ver- 
urtheilt  worden  sei,  dennoch  im  Himmel  höher  stehe,  als  der 
heilige  Thomas  von  Canterbury  (Thomas  B ecket  1  . 

Die  umfangreichste  und  zugleich  innerlich  bedeutendste  Er- 
klärung eines  Lollarden  aus  diesem  Zeitraum  ist  der  Aufsatz  von 
Wilhelm  Tailor  Tailour;  über  das  Gebet.  Derselbe  ist  der 
Form  nach  eine  briefliche  Antwort  auf  das  Schreiben  eines  Do- 
minus T.  .  der  über  das  Gebet,  insbesondere  unter  Berufung  auf 
mehrere  Aussprüche  von  Kirchenlehrern,  seine  Bedenken  gegen 
Tailor' s  Ansicht  eröffnet  hatte2).  Der  Verfassen*  widerlegt  nun 
jene  Einwendungen  und  vertheidigt  seine  Ansicht.  Er  begnügt 
sich  jedoch  nicht  damit,  die  geltend  gemachten  Bedenken  aufzu- 
lösen ,  wobei  er  insbesondere  auf  die  gegen  ihn  angerufenen  Aus- 
sprüche der  Kirchenväter  eingeht,  sondern  führt  im  zweiten  Theik 
seines  Sehreibens  (welches  freilich  mehr  Abhandlung  als  Brief 
ist  auch  positive  Zeugnisse  von  Kirchenvätern,  namentlich  von 
Augustin,  für  sein  Thema  auf.  Dieses  besteht  nämlich  in  fol- 
genden Sätzen:  Jedes  Gebet,  welches  eine  Bitte  um  ein  Uber 
natürliches  Gnadengut  enthält,  ist  ein  Akt  der  Anbetung;  ein 

1  Wilkixs,  Cime.  Öl,  ">lö  folg.  Die  letzten  Worte  lauten:  O+edidtt 
dictum  Wicliff  per  ecelesiam  propter  errores  et  haereßea  alias  tfamnatUtH 
altins  residere  IN  cblo,  quum  Ixatum  Tliomam  Cont. 

2  Der  Aufsatz  ist  in  den  Processakten  gegen  Tailor  abgedruckt  bei 
Wilkixs,  Conc.  III,  407  —  40!).  Auch  führt  ihn  Thomas  von  Waiden 
unter  dem  Titel  De  orandis  satictis,  als  lihellus.  (/nein  edidit  (t'ai/le/mas  cogn&- 
mento  Sartor   d.  h.  Schneider,  =  tailor'  an,  Doefrina/e.  III.  2 1 7 - . 


Tailor  s  Aulsatz  vom  Gebet. 


solcher  gebührt  aber  einzig'  und  allein  Gott  selbst,  und  keinem 
Geschöpfe ;  somit  ist  ein  solches  Gebet  an  Gott  allein  zu  richten. 
Dies  ist  allerdings  ein  acht  wiclifitischer  Satz.  Allein  die  Aus- 
führung desselben  in  dem  vorliegenden  Traktat  ist  der  Art.  das? 
sie  theils  hinter  der  Schriftwahrheit  zurückbleibt  ,  theils  über  die- 
selbe hinausgeht.  Ein  Zurückbleiben  hinter  dem  richtigen  Maasse 
der  Schriftwahrheit  ist  es  offenbar,  wenn  Tailor  Gebete  an  die 
Beiligen  insoweit  gestattet,  als  man  sie  um  ihre  Fürbitte  anruft, 
und  wenn  er  einräumt,  dass  die  Fürbitten  und  Verdienste  der  Hei- 
ligen sowohl  den  Lebenden  als  den  Todten  zu  gute  kommen.  Auf 
der  andern  Seite  aber  geht  der  Verfasser  über  das  Maass  der  Bibel- 
wahrheit hinaus,  wenn  er  dem  Grundsatze ,  dass  nur  Gott,  und 
kein  Geschöpf,  angebetet  werden  solle,  auch  die  Wendung  gibt, 
dass  an  Jesum  Christum,  den  Gottmenschen,  kein  Gebet  gerichtet 
werden  dürfe  1  .  Diese  Verneinung  verträgt  sich  mit  der  Schrift- 
lehre von  der  Person  Christi  und  mit  neutestamentlichen  Anrufun- 
gen des  erhöhten  Erlösers  eben  so  wenig,  als  jene  Bejahung  mit 
dem  alleinigen  Verdienste  Christi. 

Die  papisti  scheu  Inquisitoren  hätten  immerhin  denken  kön- 
nen, es  stehe  manches  gut  Römische  in  dem  Aufsatze  von  Tailor. 
Allein  derselbe  Mann  hat  sich ,  abgesehen  von  diesem  Traktate, 
doch  auch  zu  Ansichten  bekannt  wie  die  folgenden: 

«Die  bürgerliche  Herrschaft  ist  so  unvollkommen,  dass  sie  sich 
mit  der  priesterlichen  Vollkommenheit  unmöglich  verträgt;  in 
keinem  Falle  hat  Christus  gewollt,  dass  die  Priester  der  Kirche 
in  solcher  Weise  herrschen  sollen. 

Die  Art.  wie  die  Bettelmönche  betteln,  ist  in  alle  Wege 
schädlich  und  verflucht. 

Wer  dem  Kreuz  oder  einem  Heiligen  opfert,  begeht  eine  Ab- 
götterei. 

Wiewohl  einige  der  genannten  Sätze  von  der  allgemeinen 
Kirchenversammlung  zu  Constanz  verworfen  und  verdammt  wor- 


1  Er  beruft  sich  hiefür  auf  das  Vater  Unser:  Christus  sie  Orariß  doeuit 
diseipulos  suos:  Pater  noster  etc.  Ubi  docetur ,  cui  ßdeles  debent  orationes 
suas  dtrigere,  h.  e.  Ueo,  sub  rat  tone  qua  Dens  est  et  Dominus,  et  non  S'tb 
ratione  humanitatis.  Der  Erlöser  habe  nicht  beten  gelehrt:  »Unser  Jesu, 
oder  unser  Christus,  unser  Heiland"  u.  s.  w. 


Buch  III.    Kap.  4.  Iii 


den  sind,  so  sind  sie  dessen  ungeachtet  wahrhaft  rechtgläubig 
und  durch  das  Gesetz  des  Herrn  Jesu  Christi  bestätigt 1  .« 

Allein  in  den  Augen  der  Inquisitoren  waren  diese  Sätze  aller- 
dings entschieden  ketzerisch. 

Um  aber  nachzuweisen,  dass  auch  in  diesem  Zeitraum  der 
von  Wie  Ii  f  so  klar  und  entschieden  aufgestellte  Grundsatz  werbt) 
solo«  den  Lollarden  ins  Herz  geprägt  blieb,  möge  neben  dem 
Schluss  des  letzterwähnten  Satzes  vonTailor.  welcher  die  h. 
Schrift  als  die  höchste  Auktorität  anführt,  noch  einer  von  den- 
jenigen Sätzen  Erwähnung  finden,  welche  im  Jahr  1428  ein  Lon- 
doner Priester.  Thomas  G ar  e n  t  e  r,  vor  dem  Erzbischof  widerrufen 
hat.  Es  sind  vier  Sätze ,  die  er  vorgetragen  zu  haben  gesteht, 
aber  nunmehr  schriftlich  widerruft : 

I  »Derjenige,  welchen  die  Christen  Papst  nennen,  ist  nicht 
Papst  noch  Gottes  Statthalter  auf  Erden,  sondern  der  Antichrist: 

2)  nach  der  Consekration  in  der  Messe  bleibt  Brod  und 
Wein,  und  ist  nicht  verwandelt  in  Christi  Leib  und  Blut; 

3)  es  ist  nicht  gut,  auf  Pilgerfahrten  zu  gehen:  besser 
bleibt  man  zu  Hause ,  denn  es  ist  doch  nur  Holz  und  Stein .  was 
sie  suchen: 

4)  keine  Schrift  ist  rechtgläubig  und  heilig  ausser  derjenigen, 
w eiche  in  der  Bibel  enthalten  ist2);  von  den  Legenden  und 
Lebensbeschreibungen  der  Heiligen  hielt  ich  nichts ,  und  die 
Wunder .  welche  von  ihnen  geschrieben  stehen ,  hielt  ich  für  un- 
wahr.« 

Wir  haben  an  den  verschiedenen  Erklärungen  von  Lollarden 
eine  Reihe  von  Thatsachen  vor  uns,  aus  denen  sich  sowohl  Ein- 
heit als  Mannigfaltigkeit  der  Auffassung  und  Lehre  ergibt.  Die 
Einheit  besteht  vor  allein  in  dem  Hochhalten  der  Bibel,  als 
des  »Gesetzes  Gottes«,  welchem  das  letzte  Wort  und  das  schlecht- 
hin entscheidende  Gewicht  gebührt:  ferner  in  der  Misbilligung 
des  römischen  Heiligenkultus  mit  allem  Avas  darum  und  daran 
ist.  als  Wallfahrten  and  dergleichen;  sodann  in  der  Wie  Ii  f  - 

I,  WlLKINS,  Conc.  III,   1 1 0  folg« 

2)  /  Uelde  noo  tefiptur  Catholyk  no'  hotyf  hui  oonhj  (hat  ys  conteineil 
in  the  Bible.    WlLKINS,  Conc.  III,  502. 


Wiclifitasche  Grundsätze. 


sehen  Abendinahlslehre,  wornaeh  die  Wandlung  verneint 
wird.  Auf  der  andern  Seite  bekommen  wir  den  Bindruck,  dass 
zwischen  den  als  Lehrer  und  Schriftsteller  unter  den  Lollarden 
dieser  Zeit  hervorragenden  Männern  eine  bedeutende  Verschie- 
denheit obgewaltet  habe,  indem  die  einen  gemässigter  und 
besonnener  verfuhren,  und  sieb  der  Kirchenlehre  so  weit  als 
möglich  näherten  und  anschlössen .  während  andere  eine  schrof- 
fere Haltung-  einnahmen,  und  sich  derber  auszusprechen  liebten. 
Es  liegt  indes  in  der. Natur  der  Sache,  dass  den  argwöhnischen 
und  spähenden  Gegnern  und  Richtern  vornämlich  die  polemischen 
Spitzen  und  die  scharfen  Kanten  ins  Auge  fielen.  Wir  sind  dem- 
nach kaum  berechtigt,  uns  von  der  christlichen  Anschauung  und 
Lehre  sogar  der  kühnsten  unter  jenen  Männern  ein  Bild  lediglich 
auf  Grund  der  ihnen  vorgehaltenen  Anschuldigungen  zu  entwer- 
fen. Ks  wird  immerhin  anzunehmen  sein .  dass  im  Leben  selbst, 
auch  bei  den  schroffsten  Lollarden  dieses  Zeitraums .  weit  mehr, 
als  nach  diesen  von  gegnerischer  Seite  aufgenommenen  und  er- 
haltenen Papieren  zu  vermuthen  wäre ,  eine  Richtung  positiver 
biblischer  Gottesfurcht  und  Frömmigkeit  vorwaltend  gewiesen  sei. 

III. 

Diese  Gesinnungen  und  Lehren  hat  die  Hierarchie  auch  in 
dem  gegenwärtigen  Zeitraum  mit  allen  Mitteln  zu  dämpfen  und 
auszurotten  für  ihre  Pflicht  gehalten.  Wenn  irgend  möglich, 
suchte  man  die  Personen,  welche  im  Rufe  standen  Lollarden  zu 
sein,  zum  Widerrufe  zu  bewegen.  Und  das  ist  nicht  selten  gelun- 
gen, z.  B.  im  Jahr  1419  bei  zwei  K aplanen .  Ralph  Owtrede 
und  Wilhelm  Brown:  dies  war  der  erste  Fall  von  Inquisition 
gegen  Lollarden  seit  dem  Jahr  1417.  von  welchem  wir  in  der 
reichhaltigen  Sammlung  von  Wilkins  urkundliche  Nachricht 
haben1).  Ein  dritter.  Richard  Wiche  Wyche  .  ebenfalls  Ka- 
plan, hatte  schon  vor  diesem  Zeitraum  seines  Glaubens  wegen 
viel  erduldet  :  einmal  war  er  vom  Bischof  von  Durhain  der  Ketze- 
rei schuldig  gefunden  und  Jahre  lang  im  Norden  verhaftet  gewe- 

1)  Cond  ha  M.  Brit.  III,  :*94  folg. 


320  Buch  III.    Kap.  4.  III. 

sen :  sodann  hatte  man  ihn  nach  London  gebracht  und  hier  frei- 
gelassen. Allein  nun  wurde  er  wegen  neuen  Verdachts  wiederum 
eingezogen,  im  Fleet-G-efängniss  eingesetzt ,  und  zur  Verantwor- 
tung vor  die  Convocation  gestellt ,  aber ,  ohne  dass  es  zu  einer 
Entscheidung  kam  ,  wieder  zur  Haft  gebracht  l) .  Vermuthlich  ist 
er  noch  lange  in  Gefangenschaft  geblieben:  zuletzt  ist  er  doch 
noch  verbrannt  worden,  aber  das  geschah ,  wie  es  scheint,  erst  im 
Jahr  1431.  Ueberhaupt  sind  nicht  wenige  wegen  Verdachts  wi- 
clifitischer  Denkart  gefangen  gehalten,  zum  Theil  Jahre  lang. 
Zum  Beispiel  der  oben  genannte  Priester  Thomas  Garenter.  der 
Pfarrer  Robert  H  o  k  e ,  Wilhelm  James,  Richard  M  o  n  k ,  Pfar- 
rer von  Chesham,  der  Pfarrer  Robert  vonHeggeley,  Wilhelm 
White  -  .  Allein  der  Widerruf,  zu  welchem  mancher  durch  die 
Tortur  oder  durch  Todesfurcht  gebracht  wurde ,  verhalf  erst  nicht 
immer  zur  Freiheit.  Zwar  der  Arzt,  Magister  Wilhelm  James, 
welcher  im  Jahre  1420,  nach  mehrjähriger  Gefangenschaft .  die 
»Ketzerei«  abschwor,  erlangte  seine  Freiheit  insoweit  wieder,  dass 
er  innerhalb  der  Marken  einer  erzbischöflichen  Besitzung ,  Maid- 
stone in  Kent.  wohnen ,  unter  Aufsicht  des  Haushofmeisters  sich 
mit  jedermann  unterreden  und  seine  ärztliche  Kunst  wieder  aus- 
üben durfte  3  .  Der  wiederholt  erwähnte  Robert  Hoke,  Pfarrer 
von  Braybrooke  im  Bisthum  Lincoln,  galt  als  ein  eifriger  Förderer 
des  Lollardenthums  ;  er  war  zuerst  im  Jahr  1405,  sodann  wieder 
im  Jahre  1414  in  Untersuchung  gekommen  und  hatte  am  18.  Oc- 
tober  jenes  Jahres  widerrufen.  Im  Jahre  1425  lenkte  sich  jedoch 
abermals  der  Verdacht  auf  ihn  ,  und  er  wurde  vom  6.  Juni  an  zu 
London  vom  Erzbischof  und  mehreren  Bischöfen  verhört.  Schliess- 
lich verstand  er  sich  dazu ,  eine  ihm  vorgelegte  Widerrufserklä- 
rung in  englischer  Sprache  öffentlich  vorzutragen:  Sonntag  den 
21.  Juli  hat  er  den  ihm  auferlegten  Widerruf  »bei  dem  hohen 
Kreuz«  auf  dem  St.  Paulskirchhofe  zu  London  öffentlich  vorgetra- 
gen, worauf  er  seiner  Haft  wieder  entlassen,  aber  in  sein  Pfarr- 
amt vorerst  noch  nicht  wieder  eingesetzt  wurde:  doch  wurde  ihm 


1    a.  a.  0.  394. 

■1  Wilkixs,  Coiic.  III,  502  folg.  434.  31)7.  49s.  4M  folg.  404. 
3   a.  a  ü.  397. 


Standhattigkeit  einzelner  Lollarden. 


321 


die  Aussicht  eröffnet ,  wenn  er  sich  eine  Zeit  lang  »gut«  gehalten 
haben  würde,  in  sein  Pfarramt  zu  Braybrook  wieder  eingesetzt  zu 
werden1  .  Auch  der  Pfarrer  Thomas  Drayton  zu  Snave  in 
Kent.  unweit  der  Küste  des  Kanals,  welcher  schon  1414  in  den 
gegen  Lord  Cobham  und  Genossen  angestrengten  Hochverraths- 
process  verwickelt  gewesen 2  ,  und  wegen  Verdachts  der  Ketzerei 
von  Comraissaren  des  Bischofs  von  Lincoln  vernommen  worden 
war.  kam  im  Jahr  1425  wegen  vielfachen  Umgangs  mit  Lollar- 
den, namentlich  mit  Wilhelm  Tailor,  so  wie  wegen  Theilnahme 
an  ihren  Conventikeln,  aufs  neue  in  Untersuchung,  wurde  jedoch, 
nachdem  er  sich  zum  Widerruf  verstanden,  wieder  freigelassen3). 

Allein  viele  konnten  selbst  durch  Widerruf  ihre  Freiheit 
nicht  erkaufen.  Robert,  Pfarrer  zu  Heggeley,  und  Wilhelm 
Harvey  von  Tenderden  widerriefen  zwar  sowohl  vor  der  Con- 
vocation  als  auch  vor  einer  zahlreichen  Versammlung  von  Geist- 
lichen und  Gemeindegliedern  in  der  St.  Paulskirche  zu  London  im 
Jahre  1428,  wurden  aber  dessen  ungeachtet  zu  lebenslänglicher 
Baft  verurtheilt ,  welche  nur  durch  Begnadigung  von  Seiten  des 
Erzbischofs  sollte  abgekürzt  werden  dürfen4). 

Uebrigens  hat  es  auch  in  diesem  Zeitraum  nicht  an  solchen 
gefehlt,  welche  eine  unerschütterliche  Treue  gegen  die  er- 
kannte Wahrheit,  und  bewundernswürdige  Standhaftigkeit  be- 
wiesen. Wir  finden  sogar  Frauen  in  dieser  Zahl,  so  Katharina 
von  Dertford,  genannt  Spynnester,  eine  Frau,  in  deren  Woh- 
nung sich  die  Gesinnungsgenossen  aus  ihrer  Gegend  geraume  Zeit 
hindurch  zu  versammeln  pflegten.  Das  war  lange  unentdeckt  ge- 
blieben. Endlich  fiel  sie  im  Jahre  1428  dem  Ketzergericht  in  die 
Hände.  Allein  sie  verstand  sich  durchaus  nicht  zu  den  Erklä- 
rungen .  welche  man  in  Betreff  der  Lehre  von  der  Wandlung  so 
wie  der  Bilderverehrung  und  Wallfahrten  von  ihr  verlangte ;  sie 
blieb  vielmehr  bei  den  Worten  des  apostolischen  Glaubens- 
bekenntnisses und  der  Zehn  Gebote  stehen ,  als  worin  allein  sie 


1  AYilkixs.  Conc.  III, 

2)  s.  oben  B.  III.  Kap. 

3)  Wilkins,  Conc.  III, 
4  a.  a.  ü.  494. 

Lechlee.  Wiclif.  II. 


434  — 43S. 

2.  III.  S.  91.  Anm.  3. 
434-  436. 


322 


Buch  in.   Kap.  4.  III. 


unterwiesen  sei,  musste  aber  dafür  in  langwieriger  Gefangen- 
schaft büssen  l) .  Auch  der  mehrerwähnte  Priester  Ralph  M  u  n  - 
gyn  wurde  im  gleichen  Jahre  wegen  beharrlicher  Verweigerung 
des  Widerrufs  zu  lebenslänglichem  Gefängniss  verurtheilt,  und 
der  Erzbischof  sollte  nur  mit  Zustimmung  eine*  Provinzialconcils 
in  Zukunft  etwa  eine  Milderung  eintreten  zu  lassen  befugt  sein  2; . 

Aber  selbst  mit  dem  Märtyrertode  haben  manche  ihre  Ueber- 
zeugung  besiegelt .  von  denen  wenigstens  einige  näher  bekannt 
sind. 

Wilhelm  T  a  i  1  o  r  .  den  wir  bereits  kennen .  galt  so  sehr  als 
ein  Haupt  der  Lollarden.  dass  ihn  der  Polemiker  Thomas  Netter 
von  Waiden  haeresiarcKa  eorum  betitelt3  .  Er  war  Magister 
und  Priester;  14  Jahre  lang,  seit  dem  Jahre  1405.  war  der  von 
Erzbischof  Arundel  wegen  beharrlichen  Nichterscheinens  ver- 
hängte Bann  auf  ihm  gelegen .  als  er  vor  dem  Nachfolger .  Erz- 
bischof Chichely,  sich,  wie  es  scheint,  von  freien  Stücken 
stellte.  Er  erschien  am  12.  Februar  1419  vor  dem  Erzbischof  in 
seinem  Bibliotheksaal  zu  Lambeth  als  Büssender,  und  verstand 
sich  zu  der  ihm  auferlegten  Busse.  Am  14.  Februar  musste  er 
in  der  grossen  Kapelle  zu  Lambeth  vor  dem  Erzbischof  sein  Be- 
kenntniss  ablegen  und  um  Absolution  bitten:  er  legte  Priester- 
rock und  Kapuze  ab .  kniete  vor  dem  Erzbischof.  der  eine  Ruthe 
in  der  Hand  hielt .  nieder  und  musste  warten,  bis  der  Busspsalm  ; 
»Gott  sei  mir  gnädig«  Ps.  51  .  unter  dem  Respondiren  mehrerer 
Geistlichen,  nebst  einigen  Gebeten  gesprochen  war.  Hierauf  er- 
hielt er  die  Absolution,  jedoch  unter  der  Bedingung,  dass  öf 
seinen  Widerruf  und  das  Gelöbniss .  sich  aller  Gemeinschaft  mit 
Irrlehrern  künftig  enthalten  zu  wollen,  auch  vor  der  Convocatimi 
Öffentlich  und  feierlich  wiederhole.  Aber  noch  vor  dem  Mai  des 
Jahres  1421  wurde  er  vom  Bischof  zu  Worcester  verhaftet,  weil 
er  in  Bristol  und  der  Umgegend  dieser  Stadt  abermals  Irrlehren 
vorgetragen  habe.  Er  widerrief  nun  vor  der  Convocation  die  ihm 
Schuld  gegebenen  Sätze .  worauf  ihm  zur  Strafe  der  -  Beleidigung 


1   a.  a.  O.  493. 

2]  a.  a.  O.  4U7  — 5i»2. 

3    DoctrinalH,  II.  f.  U. 


Der  Process  gegen  Wilhelm  Tailor. 


323 


Gottes  und  Verachtung-  der  Kirche«  lebenslängliche  Haft  auferlegt 
wurde  :  wegen  bezeugter  Reue  wurde  er  jedoch  sofort  gegen  Bürg- 
schaft frei  gelassen.  Dessen  ungeachtet  erscheint  er  schon  im 
Februar  1422  zum  dritten  Mal  als  Beklagter  vor  einem  geistlichen 
Gerichtshof,  diesmal  in  London :  denn  er  hatte,  trotz  seines  dop- 
pelten Widerrufs  aufs  neue  »Irrlehren«  vorgetragen :  der  lateini- 
sche Aufsatz  über  das  Gebet ,  von  welchem  wir  oben  Kenntniss 
genommen,  diente  als  Beleg  hiefür.  Nun  erstattete  ein  Ausschuss 
von  Doctoren  der  Theologie  aus  den  Bettelorden ,  unter  denen 
auch  Thomas  von  Waiden  sich  befand,  ein  Gutachten  über 
diesen  Traktat :  sie  erkannten  den  Aufsatz  für  ketzerisch.  Ueber 
die  Rechtsfrage  wurden  mehrere  Doctoren  der  Rechte,  unter 
denen  Wilhelm  Lind  wo  od  genannt  wird,  befragt.  Diesmal 
bezeugte  Tailor  vollkommene  Festigkeit:  er  bekannte  sich  im 
letzten  Verhöre  zu  den  meisten  der  Sätze,  die  ihm  vorgehalten 
wurden ,  und  beharrte  unwandelbar  dabei.  Daher  fällte  der  bi- 
sehöfliche Gerichtshof  am  27.  Februar  das  Urtheil,  dass  er  als 
rückfälliger  Ketzer  aller  priesterlichen  Ehre  und  Würde  entkleidet 
und  sodann  dem  weltlichen  Gericht  überlassen  werden  solle.  Am 
1 .  März  wurde  die  Degradation  in  der  Paulskirche  feierlich  voll- 
zogen, und  am  2.  März  wrurde  er  auf  Smithfield  verbrannt *) . 

Vom  Jahr  1422  an  ist  es  still  zugegangen.  Das  hing  ohne 
Zweifel  mit  dem  Regierungswechsel  zusammen.  Im  Jahr  1422 
war  Heinrich  V.  gestorben.  Der  Thronerbe  Heinrich  VI.  war 
noch  nicht  völlig  ein  Jahr  alt ,  als  sein  Vater  starb.  Und  die 
Regentschaft,  bestehend  aus  den  Oheimen  des  jungen  Prinzen,  den 
Herzogen  Johann  von  Bedford  und  Humphrey  von  Glocester. 
hatte  keinen  Grund,  sich  in  kirchliche  Dinge  viel  einzumischen. 
Wir  hören  Jahre  lang  nichts  von  Ketzerverbrennungen.  Auch 
selbst  von  Ketzerprocessen  überhaupt  berichten  die  vorhandenen 
Urkunden  wenig.  Aber  auf  einmal  geht  es  wieder  an .  im  Jahre 
1428.  Der  Anstoss  dazu  war,  wie  es  scheint,  von  Rom  ausge- 
gangen. 

Nachdem  schon  drei  Kreuzzüge  gegen  die  Hussiten  in  Böh- 


1)  Wilkins,  Conc.  III,  404  —  413.  Thom.  Wald.,  Doctrinale  II,  f.  9; 
III,  204  folg.  Foxe.  Acts  cmd  Monum.  III,  5S1  feig. 

21* 


324 


Buch  III.    Kap.  4.  III. 


inen  und  Mähren  mit  Niederlagen  geendigt  hatten ,  betrieb  Papst 
Martin  V.  1426  einen  neuen  Kreuzzug  gegen  die  Böhmen.  An  die 
Spitze  desselben  wollte  er  einen  englischen  Prälaten,  der  ein  Prinz 
von  Geblüt  war,  stellen.  Heinrich  von  Beaufort,  Bischof  von 
Winchester,  Grossoheim  des  jungen  Königs  Heinrich  VI.  und 
Oheim  der  beiden  Herzoge,  und  Mitinhaber  der  Regentschaft,  war 
einer  der  reichsten  und  mächtigsten  Prälaten  seiner  Zeit ,  er  galt 
zugleich  als  ein  erfahrener  Staatsmann.  Im  Jahr  1414  hatte  er, 
auf  einer  Pilgerreise  nach  Jerusalem  begriffen ,  der  Kirchenver- 
sammlung in  Constanz  beigewohnt.  Nun  ernannte  ihn  der  Papst 
zum  Cardinal  und  am  18.  März  1427  zum  apostolischen  Legaten 
für  Deutschland ,  Böhmen  und  Ungarn ,  erth eilte  ihm  auch  aus- 
gedehnte Vollmachten  l) .  Allein  das  neue  grosse  Kreuzheer  wurde 
Anfang  August  bei  Tachau  in  die  Flucht  geschlagen.  Aber  Papst 
Martin  arbeitete  nur  desto  eifriger  für  eine  neue  Unternehmung 
und  erliess  an  alle  Bischöfe  in  den  verschiedenen  Landeskirchen 
den  Befehl ,  in  Gemässheit  eines  Beschlusses  von  Constanz ,  den 
Zehenten  zur  Aufstellung  eines  Heeres  gegen  die  Hussiten  zu  er- 
heben. Am  18.  Januar  1428  erliess  er  den  Befehl,  jeden  ersten 
Sonntag  eines  Monats  bei  allen  Kirchen  feierliche  Bittgänge  für 
Bekehrung  und  Niederwerfung  der  Ketzer  (Hussiten)  mit  100- 
tägigem  Ablass  für  alle  Theilnehmer  an  diesen  Processionen  zu 
veranstalten 2 j.  Und  am  18.  März  erging  ein  apostolisches  Schrei- 
ben an  den  Cardinallegaten  Heinrich ,  um  alle  Christen  aufzufor- 
dern, dass  sie  zur  Ausrottung  der  »Wicclyfisten,  Hussiten«  und  an- 
derer Ketzer  mithelfen  sollten 3) . 

Ausserdem  erschien  ein  päpstlicher  Nuntius,  Kunz  von 
Z wolle,  in  England,  gab  in  der  Convocation  Nachricht  über  die 
» Bedrängniss  der  Kirche  Christi  und  die  Verfolgung  der  Gläubi- 
gen durch  die  Ketzer  in  Böhmen«,  und  drang  auf  Gewährung  der 
angesonnenen  Kirchensteuern  für  Bekämpfung  der  Hussiten  von 
Seiten  der  Prälaten  und  Geistlichkeit  Englands  1  .    Durch  die 


1)  Vgl.  Palacky,  Gesch.  von  Böhmen,  IV,  2.  437  ff. 
2;  WlLKlNS,  Conc.  III,  491  folg. 

3  a.  a.  O.  493.  490. 

4  a.  a.  O.  511  folg. 


Wielifs  Gebeine  verbrann* 


ganze  Agitation .  welche  von  Rom  ausging  und  zunächst  nur  die 
Hussiten  im  Auge  hatte .  wurde  auch  in  England  der  Eifer  gegen 
die  Lollarden  neu  entzündet.  Jedenfalls  werden  die  päpstlichen 
Nuntien.  Kunz  von  Zwolle  und  Magister  Jakob,  nicht  versäumt 
haben .  den  englischen  Prälaten  das  Inquisitionsgewissen  auch  in 
Betreu0  ihrer  Landsleute  zu  schärfen.  Wir  sehen  hier  deutlich  die 
oben  erwähnte  Rückwirkung  der  europäischen  Verhältnisse  auf 
den  Gang  der  wiclifitischen  Bewegung  in  England. 

Jedenfalls  hing  es  mit  den  Kreuzzügen  gegen  die  Hussiten 
zusammen ,  dass  Martin  V.  dem  Bischof  von  Lincoln  .  Richard 
Fleming,  im  Jahr  1427  die  Pflicht,  den  Constanzer  Beschluss  in 
Betreff  der  Ueberreste  Wielifs1)  endlich  zu  vollziehen,  neu 
einschärfte.  Warum  war  denn  jener  Synodalbeschluss  nicht  be- 
folgt worden  ?  Wir  können  uns  diesen  Umstand  nur  daraus  er- 
klären, dass  derjenige  Mann,  welcher  zur  Zeit  des  ökumenischen 
Concils  den  bischöflichen  Stuhl  von  Lincoln  einnahm ,  Philipp 
Repington,  ungeachtet  er  jetzt  ein  Verfolger  der  Lollarden  war, 
doch  Christ  und  Mann  genug  war .  um  jenes  schmähliche  Verfah- 
ren gegen  die  Ueberreste  seines  ehemaligen  Freundes  nicht  auf 
sich  nehmen  zu  wollen.  Und  als  er  im  Mai  1420  resignirte.  waren 
bereits  5  Jahre  seit  jener  Entscheidung  der  Synode  von  Constanz 
verstrichen.  'Dieselbe  war  verschollen  und  blieb  es.  bis  der  Papst 
selbst  daran  mahnte.  Nun  konnte  Bischof  Fleming  nicht  umhin, 
die  unbegreifliche  Sentenz  des  Constanzer  Concils  zu  vollziehen, 
und  Wielifs  Gebeine  in  Lutterworth  ausgraben  zu  lassen,  wor- 
auf man  sie  verbrannte  und  die  Asche  in  s  Wasser  warf. 

Die  Hauptsache  aber  war  die  Verfolgung  der  jetzt  lebenden 
Lollarden.  Gleich  nach  Eröffnung  der  Convocation  am  9.  Juli 
142S  erklärte  Erzbischof  Chicheley  für  eine  Hauptaufgabe  die- 
ses Provinzialconcils  »die  Ruhe  der  Kirche  und  Erhaltung  des 
Glaubens,  die  Entkräftung  und  Ausrottung  der  Irrlehrer  und 
Ketzer,  welche  in  unerhörtem  Maasse  überhand  nehmen2 )«.  Und 
als  im  November  die  Convocation.  nach  ihrer  Vertagung,  wieder  zu- 
sammentrat, erklärte  er.  es  sei  dringendes  Bedürfniss.  dass  schleu- 


1}  Beschluss  vom  4.  Mai  1415,  s.  oben  B.  III.  Kap.  3.  V.  S.  206  folg 
2   Wilkins.  Coric.  III.  493. 


326 


Buch  III.    Kap.  4.  III. 


nige  Maassregeln  gegen  die  Ketzer  ergriffen  würden,  denn  die  Bos- 
heit nehme,  wenn  man  nicht  einschreite ,  Tag  für  Tag  zu J) .  Es 
wurde  ein  Ausschuss  gewählt,  um  Vorschläge  in  dieser  Beziehung 
zu  machen.  Im  Namen  des  Ausschusses  trug  später  der  uns  schon 
bekannte  Official  des  Erzbischofs,  Wilhelm  Lind  wo  od,  die  Vor- 
schläge, über  die  man  sich  geeinigt  hatte,  vor.  Unter  diesen  Vor- 
schlägen befand  sich  auch  der :  es  wäre  gut ,  wenn  die  Bischöfe 
Lollarden ,  welche  zum  Gefängniss  verurtheilt  seien ,  an  Klöster 
überweisen  könnten,  um  in  denselben  ihre  Strafzeit  auszuhalten. 
Allein  die  Vertreter  der  Mönchsorden  erklärten  auf  der  Stelle,  das 
sei  eine  so  unerhörte  Zumuthung,  dass  sie  erst  genau  zusehen 
müssten,  ob  nicht  eine  Beeinträchtigung  ihrer  Privilegien  darin 
liege.  Sie  forderten  deshalb  Bedenkzeit,  und  erhielten  solche  bis 
März  nächsten  Jahres.  Die  Sache  war  und  blieb  vertagt2} . 

Aber  ohne  die  Entscheidung  über  die  neuen  Vorschläge  abzu- 
warten, schritt  die  Convocation  sofort  zur  Vorladung,  Vernehmung 
und  Aburtheilung  mehrerer  Lollarden.  Unter  diesen  befand  sich 
Johann  Jourdelay,  die  oben  genannte  Katharina  von  Dert- 
ford,  der  Pfarrer  Robert  von  Heggeley,  Wilhelm  Harvey, 
Johann  Calle.  Vor  der  Vertagung  ermahnte  der  Erzbischof  seine 
» hochwürdigen  Brüder«  eindringlich,  sie  möchten  in  der  Zwi- 
schenzeit möglichst  eifrig  gegen  die  Lollarden  einschreiten;  in 
der  nächsten  Session  sollten  sie  dann  Bericht  darüber  erstatten 3) . 

Dieser  Aufforderung  ist  der  Bischof  von  Norwich  mit  besonde- 
rem Eifer  nachgekommen.  Er  war  es,  der  schon  im  Sept.  1428  den 
Priester  Wilhelm  White  in  Norwich  verbrennen  lassen,  und  auch 
dessen  Ehefrau  Johanna  in  strenge  Untersuchung  genommen4). 

Bei  der  an  Martini  1428  wieder  zusammengetretenen  Con- 
vocation wurden  Ralph  Mungyn,  Thomas  Gar  enter  und  Ri- 
chard Monk  in  Untersuchung  gezogen.  Und  so  ging  die  Verfol- 
gung die  nächsten  Jahre  stetig  fort.  Im  Jahre  1430  wurde  un- 
mittelbar nach  der  feierlichen  Krönung  des  erst  9jährigen  Königs, 


l]  a.  a.  O.  495. 

2   WlLKINS,  Cotic.  III,  495  folg. 
3)  a.  a.  O.  494. 

4;  Foxe,  Acts  and  Mon.  III,  5b(i  folg.  591. 


Verfahren  der  Convocation  gegen  die  Lollarden.  H27 

Heinrich  VI. ,  gleichsam  zur  Erhöhung  der  Festlichkeit,  ein  Lon- 
doner Gewef bsmann ,  Richard  Hoveden.  welcher  durch  keine 
Vorstellungen  und  Drohungen  von  seiner  Ueberzeugung  abzubrin- 
gen gewesen  und  als  Lollarde  verurtlieilt  worden  war.  unweit  des 
Towers  verbrannt 1  .  Und  im  Jahre  1431  starben  zwei  Männer 
den  Flammentod  als  Wiclifiten.  Der  eine  war  ein  Priester.  Tho- 
mas Ba  gl  ey,  Pfarrer  von  Mundon  Maunden  in  Essex:  dieser 
wurde  während  der  Fastenzeit  in  Smithfield  bei  London  ver- 
brannt2' .  Der  andere  war  angeblich  ein  geborener  Böhme.  Paul 
Craw.  welcher  demnach  den  Wiclititismus  mit  seinem  ursprüng- 
lichen Hussitisnuis  eombinirt  haben  müsste.  Er  wurde  auf  Befehl 
des  Bischofs  von  St.  Andrews  in  Schottland  verhaftet ,  und  weil 
er  gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung,  die  Ohrenbeichte  und  die 
Verehrung  der  Heiligen  sich  beharrlich  erklärte,  der  weltlichen 
Gewalt  überliefert  und  in  der  Stadt  St.  Andrews  verbrannt  3  . 

Mit  dem  Jahre  1431  haben,  so  weit  sich  aus  den  überliefer- 
ten Urkunden  und  sonstigen  Nachrichten  ersehen  lässt.  die  bluti- 
gen Verfolgungen  wider  die  Lollarden  ihr  vorläufiges  Ende  ge- 
funden. Deshalb  nehmen  wir  gerade  dieses  Jahr  als  den  End- 
punkt des  gegenwärtigen  Zeitraums  an. 

IV. 

Wir  haben  indes  noch  eine  bemerken swerthe  Erscheinung 
dieses  Zeitraums  ins  Auge  zu  fassen.  Es  ist  dies  die  als  Quelle 
unserer  Kennrniss  schon  wiederholt  benutzte  grosse  scholasti- 
sche Streitschrift  wider  Wiclif  und  die  Lollarden. 
von  Thomas  von  Waiden.  Dieses  polemische  Werk  verdient 
um  so  mehr  eine  eingehende  Besprechung,  je  weniger  dasselbe 
bekannt  ist. 

Ueber  die  Persönlichkeit  des  Verfassers  können  wir 
Folgendes  mittheilen.  Thomas  Wal  den  sis.  eigentlich  Tho- 


1)  a.  a.  0.  59S  folg. 

2    WlLKINS,  Conc.  III,  515  folg. 

3^  Hetherington  ,  History  ofthe  Chatreh  of  Scotland ,  30  folg.  nennt 
das  Jahr  1432,  Foxe,  Acts  III,  600  folg.  das  Jahr  1431. 


328 


Buch  III.   Kap.  4.  IV. 


mas  Netter  von  Saffron- Waiden,  einem  Städtchen  im  nordwest- 
lichen Theile  der  Grafschaft  Essex ,  mag  um  das  Jahr  1,380  ge- 
boren sein.  Er  trat  in  den  Bettelorden  der  Carinelitermönche  und 
wurde  1414  Provincial  seines  Ordens  für  England.  Man  zog  ihn 
als  anerkannt  tüchtigen  Doctor  der  Theologie  zu  vielen  Verhand- 
lungen bischöflicher  Gerichte  mit  Lollarden  bei.  z.  B.  zu  den  Ver- 
hören mit  Lord  C  ob  harn,  Wilhelm  Tailor  und  anderen1,.  Fer- 
ner hat  er  den  Concilien  zu  Pisa  1409  und  zu  Constanz  angewohnt, 
dem  letzteren  als  Beauftragter  des  Königs  Heinrich  V.  Dieser 
hatte  ihn  zum  Beichtvater  erwählt  und  zu  seinem  Geheiinschreiber 
ernannt.  Den  Sohn,  Heinrich  VI.,  begleitete  er  zur  Krönung  nach 
Frankreich,  starb  aber  am  3.  November  1431  zu  Rouen. 

Von  seinen  zahlreichen  Werken  war  geraume  Zeit  nur  das 
eine  gedruckt,  worüber  wir  Bericht  zu  erstatten  im  Begriffe 
stehen.  Erst  im  Jahr  1858  hat  der  verewigte  Walter  Shirley 
ein  Sammelwerk  unter  dem  Titel  Fasciculi  zizaniorym  heraus- 
gegeben, welches  eine  Menge  Urkunden  zur  Geschichte  Wie lif 's 
und  seiner  Anhänger  enthält  und  ohne  Zweifel  von  niemand  an- 
derem als  Thomas  Netter  zusammengestellt  ist.  Das  hier  zu 
besprechende  Werk  aber  hat  den  Titel :  Doctrinale  antiquitatum 
fidei  ecclesiae  catholicae,  »Lehrbuch  der  Alterthünier  des  Glaubens 
der  katholischen  Kirche«. 

Die  Abfassungszeit  dieses  Werkes  lässt  sich  nach  Maass- 
gabe des  Inhalts  ziemlich  genau  bestimmen.  Der  erste  Band  ist 
nämlich  dem  Papst  Martin  V.  gewidmet,  und  der  zweite  König 
Heinrich  V.  Da  nun  der  genannte  Papst  im  Jahre  1417  gewählt 
worden,  der  König  im  Jahre  1422  gestorben  ist.  so  kann  der  erste 
Band  nicht  vor  dem  Jahr  1417  geschrieben,  und  der  zweite  nicht 
später  als  im  Jahr  1422  vollendet  sein.  Im  II.  Bande  spricht  der 
Verfasser  unter  anderem  auch  von  den  Untersuchungen  gegen  die 
Lollarden  Wilhelm  White  und  Wilhelm  Tailor:  nun  haben 
diese  ebenfalls  im  Jahr  1422  statt  gefunden:  einmal  sagt  Netter 
sogar,  »während  er  dieses  diktire,  sei  ein  Haupt  der  Wiclifiten, 
Tailor,  verurtheilt  und  hingerichtet  worden« 2  :  dies  geschah  aber 


1  Wilkins,  Couc.  III,  355.  409, 
2)  Docfrhtah  II.  f.  9. 


Das  polemische  Werk  des  Thomas  Netter  von  Waiden. 


329 


am  2.  März  1422,  folglich  mnss  der  II.  Theil  gerade  in  diesem 
Jahre  geschrieben  worden  sein.  Hingegen  lässt  sich  aus  der  Bulle 
Papst  Martin  s  V.  vom  S.  August  1427  ersehen,  dass  der  III.  Theil 
damals  noch  in  der  Arbeit  war:  wir  dürfen  also  annehmen,  dass 
etwa  im  Jahre  1428  dieser  vollendet  worden  und  das  Werk  com- 
plet  erschienen  ist. 

Die  Geschichte  des  Buches  nach  seiner  Vollendung  ist 
lehrreich.  Als  die  deutsche  Reformation  begann,  erwachte  auf 
römischer  Seite  ein  lebhaftes  Interesse  für  das  Doctrinale,  man 
fand  in  demselben  eine  reich  ausgestattete  Rüstkammer  zum 
Kampfe  gegen  den  Protestantismus.  Und  so  wurde  das  Werk 
vom  Jahr  1521 ,  also  ungefähr  von  dem  100jährigen  Jubiläuni 
seines  ersten  Erscheinens  an,  nicht  weniger  als  dreimal  im  XVI. 
und  später  noch  einmal  im  XV ULI.  Jahrhundert  im  Druck  heraus- 
gegeben. Es  erschien  zuerst  in  Paris:  ein  Professor  an  der  dor- 
tigen Universität,  selbst  Carmeliterprior ,  war  der  Herausgeber 
dieser  grossen  Leistung  eines  ehemaligen  Ordensgenossen.  Merk- 
würdiger Weise  kam  der  zweite  Band ,  sogar  auch  der  dritte,  vor 
dem  ersten  heraus,  der  IL  1521.  der  III.  1523,  der  I.  1532.  Der 
zweite  Band  behandelt  nämlich  die  Lehre  von  den  7  Sakramenten, 
und  es  seheint  mir  fast,  als  habe  man  in  Paris  mit  der  Ausgabe 
desselben  im  Jahr  1521  eine  indirekte  Antwort  geben  wollen  auf 
Luther's  reformatorische  Schrift  De  captwitate  babylonica. 
welche  ebenfalls  die  Sakramentslehre  behandelte.  Im  Jahr  1523, 
als  der  III.  Band  erschien,  gab  die  Sorbonne  die  Erklärung  ab. 
das  Buch  sei  sehr  nützlich  und  verdiene  herausgegeben  zu  wer- 
den, weil  es  zur  Widerlegung  der  lutherischen  Irrlehren  sehr 
viel  beitrage1  .  —  Eine  zweite  Ausgabe,  wenigstens  des  IL  und 
III.  Bandes,  erschien  1566  zu  Salamanca.  Die  dritte,  voll- 
ständige Ausgabe  (welche  wir  selbst  benützten  und  citiren)  er- 
schien 1571  in  drei  starken  Foliobänden  in  Venedig.  Auch  sie 
wurde,  wie  die  erste  in  Paris,  durch  einen  Carmeliter  besorgt, 
nämlich  durch  Johann  Baptist  Rubeo,  der  eine  Art  Scholien  in 
Gestalt  von  Randbemerkungen  beifügte .  welche  nicht  selten  auf 


1)  quandoquidem  ad  enervandas  Lutheranas  calumuias  atque  haerese-i 
—  plurimmn  conducit. 


330 


Buch  in.    Kap.  4.  IV. 


Luther  und  die  deutsche  Reformation  ausdrücklich  hinweisen. 
Fast  zwei  Jahrhunderte  später.  1757 — 59.  erschien  noch  eine 
Werte  Ausgabe .  von  T.  Bonaventura  B 1  a  n  c  i  o  1 1 i  durchgesehen 
und  mit  Noten  erläutert. 

Fassen  wir  zusammen:  es  sind  im  Reformationsjahrhundert 
allein  binnen  50  Jahren  drei  Ausgaben  des  Doctrinale  er- 
schienen .  die  erste  in  Frankreich .  die  zweite  wenn  auch  nicht 
complete  in  Spanien,  die  dritte  in  Italien,  also  gerade  in  den  drei 
romanischen  Ländern,  wo  die  bereits  Boden  fassende  Reformation 
durch  die  jesuitisch-päpstliche  Reaction  unterdrückt  worden  ist. 
Man  konnte  das  Werk  des  englischen  Polemikers  aus  dem  XV. 
Jahrhundert  gegen  Wiclif  und  die  Lollarden,  sehr  gut  gegen  die 
Protestanten  gebrauchen.  Das  bekennt  auch  die  epistola  mmcu- 
patoria  im  III.  Bande  der  Venetianer  Ausgabe  aufrichtig:  Ecclesia 
opus  habet  fide .  prudentia  et  auetoritate  —  quibus  adcersus  Wi- 
rJetistarum.  etqui  ex  Ulis  nati  sunt.  Lu  1  h  era  norum 
haeresin  permciosissimam  defensa  sarta  teetaque  maneat.  Und  in 
der  Einleitung  zum  I.  Bande  bezeugt  der  Franziskaner  Andreas 
Vega .  dass  dieses  Werk  Allen,  welche  gegen  die  neuen  Ketzer- 
häupter schrieben .  zur  Fundgrube  gedient  habe.  Ich  finde  in  der 
That .  dass  der  grösste  unter  den  römischen  Polemikern  gegen  die 
evangelische  Lehre.  Robert  Bell  arm  in.  den  Thomas  Waldensis 
zu  wiederholten  Malen  als  seinen  Vorgänger  anführt.  — 

Nur  noch  zwei  Bemerkungen  drängen  sich  hiebei  auf.  1  Die 
Thatsache .  dass  die  Römischen  Xetter's  Werk  zur  Polemik 
gegen  die  Reformation  des  XVI.  Jahrhunderts  so  ausnehmend 
brauchbar  gefunden  haben,  ist  ein  indirektes  aber  unverwerfliches 
Zeugniss  für  den  ächt  evangelischen  Charakter  der  Wiclif  sehen 
Bewegung  und  für  ihre  innere  Verwandtschaft  mit  der  Reforma- 
tion. 2  Der  Umstand,  dass  das  voluminöse  Doctrinale  von 
Seiten  der  Päpstlichen  so  oft  herausgegeben  worden .  ist  für  uns 
Protestanten .  namentlich  für  England  selbst ,  immerhin  beschä- 
mend ,  sofern  für  die  Herausgabe  der  Werke  Wiclif  s  selbst  bis 
auf  den  heutigen  Tag  noch  nicht  so  viel  geschehen  ist .  als  römi- 
scherseits  für  Thomas  von  Waiden,  den  Polemiker  gegen  Wiclif 
und  dessen  Anhänger. 

Die  Gesinnung  und  Absicht  des  Verfassers  lässt  sich  aus 


Thomas  Netter  von  Waiden. 


331 


seiner  Widmung  an  Martin  V.  so  wie  ans  der  Vorrede  erkennen. 
In  ersterer  äussert  er .  die  Häretiker .  gegen  die  er  schreibe,  seien 
unstreitig  »Vorläufer  des  Antichrist?^:  Wiclif  selbst  sei,  ver- 
glichen mit  den  Ketzern  früherer  Jahrhunderte .  der  allerfurcht- 
barste.  in  ihm  habe  gleichsam  »der  Abgrund  eine  Stimme  von  sich 
gegeben«.  Dessen  ungeachtet,  meint  er.  solle  man  England  nicht 
etwa  darum  ansehen .  dass  es  einen  solchen  Gegner  des  Glaubens 
erzeugt  habe.  Jedes  Land  habe  sein  Unkraut.  Und  England  habe 
im  Vergleich  mit  anderen  Ländern  gerade  «die  allerchristlichsten 
Fürsten ,  Geistlichen  und  Bürger«  gehabt :  seit  seiner  Bekehrung 
zum  Christenthum  sei  kein  Angehöriger  des  Landes  als  Ketzer  er- 
funden worden 1  :  und  neuestens  habe  Heinrich  V.  bei  seinem 
Regierungsantritt  gegen  die  wiclifitischen  Ketzer  mit  solchem  Er- 
folge das  Panier  erhoben .  dass  viele  von  ihnen  ergriffen  und  auf- 
gerieben, andere  aus  dem  Lande  geflüchtet  seien.  Nun  erst  wen- 
det sich  der  Verfasser  an  den  Papst  und  ruft  ihm  zu :  »Heiliger 
Vater,  was  Du  thust.  das  thue  bald !  Dein  Eintritt  in  den  Aposto- 
lat  war  ein  Sieg  über  das  verruchte  Ungeheuer  der  Kirchenspal- 
tung. Fahre  darin  fort,  damit  der  Fortgang  den  Schweif  der  alten 
Schlange.  Ketzerei,  abhaue,  welche  vor  mehr  denn  60  Jahren  aus 
wiclifirischer  Quelle  hervorgebrochen  ist  und  die  Kirche  entstellt 
bat!3  —  In  der  Vorrede  bezeichnet  Thomas,  mit  einer  Anspie- 
lung auf  1.  Sam.  17,  sich  selbst  als  einen  zweiten  David,  welcher 
den  Goliath  der  Jetztzeit.  Wiclif,  im  Namen  Gottes  bekämpfe  : 
»So  viele  Anhänger  Wiclif  s  stehen  in  Schlachtordnung,  und 
fordern  die  Kirche  zum  Kampfe  heraus,  brüsten  sich,  und  halten 
jenen  Philister,  ihr  Sektenhaupt  Wiclif,  als  wäre  er  ein  Goliath 
von  riesenmässiger  Wissenschaft,  für  den  streitbarsten  Helden 
wider  ganz  Israel .  gegen  den  sie  einen  Augustin .  Hieronymus 


1  Dieser  Gedanke  erinnert  lebhaft  an  das  einniüthige  Pochen  der  Böh- 
men .  vom  König  an  und  den  Baronen  des  Reichs  bis  auf  den  Prior  von 
Dolan  und  Hus  selbst,  auf  die  von  jeher  unversehrte  Rechtgläubigkeit 
des  Landes. 

2  Hit  einer  gelehrten  Schmeichelei  deutet  der  Verfasser  das  Wort  Apo- 
kal.  4.  12:  qui  cicerit  faciam  ewn  c  olum  nam  in  domo  dei  mei,  auf  Mar- 
tin V.,  der  aus  dem  Hause  Colon  na  stammte,  und  weissagt  ihm  den  Sieg 
über  die  Ketzerei. 


332 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


und  andere  Kirchenväter,  als  ungelehrte  Leute,  zurücksetzen. 
Noch  jetzt  ruft  er  in  seinen  Schriften  und  in  seinen  Gliedern .  die 
er  als  Lehrer  seines  Irrthums  hinterlassen  hat.  den  Heerschaaren 
Israels,  den  Lehrern  und  Geistlichen  der  Kirche,  zu:  »Wählet 
einen  Mann  aus  eurer  Mitte ,  der  zu  mir  herabkomme  zum  Zwei- 
kampf :  schlägt  er  mich,  so  wollen  wir  eure  Knechte  sein ;  schlage 
ich  ihn ,  so  sollt  ihr  uns  dienen ! «  Heute  noch  hören  die  Männer 
aus  Israel ,  die  katholische  Kirche ,  das  Wort  des  Philisters ,  und 
furchten  sich  sehr  davor.  Ich  kann  die  Lästerung  nicht  ertragen, 
und  sage  den  Bischöfen  und  dem  Klerus,  meinem  König  und  dem 
Volk :  »Es  entfalle  Keinem  das  Herz  um  deswillen !  ich .  euer 
Knecht ,  will  hingehen  und  mit  dem  Philister  streiten  !  Christus, 
mein  Erlöser,  weiss  es,  dass  nicht  Stolz  und  Selbstvertrauen  mich 
dazu  treibt;  sondern  ich  hoffe  auf  meinen  Herrn  Jesum,  und 
spreche  in  seinem  Namen  zu  dem  Philister  :  Du  kommst  zu  mir 
mit  Schwert  und  Schild,  mit  Arglist,  falscher  Schriftauslegung 
und  sophistischen  Worten ;  ich  aber  komme  zu  dir  im  Namen  des 
Herrn  Zebaoth ,  mit  der  lauteren  Schrift  Christi  und  mit  der  Aus- 
legung aller  Gläubigen  und  Heiligen  der  Kirche,  die  du  heute  ge- 
höhnet hast !  Der  Streit  ist  des  Herrn,  und  er  wird  euch  in  unsere 
Hände  geben x)  l « 

Die  Gliederung  des  Ganzen  ist  die,  dass  es  in  6  Bücher 
zerfällt.  Der  I.  Band  enthält  vier  Bücher,  1.  »von  Gott  und  Chri- 
stus«, genauer:  von  Gott,  vom  Menschen,  von  Christus:  2.  von 
dem  Leibe  Christi,  der  Kirche  und  deren  Gliedern  (a.  Petrus  und 
der  Primat;  b.  katholische  Kirche,  Klerus  und  Hierarchie,  Kirche 
und  Staat);  3.  Mönchthum:  4.  Bettelorden,  Klostergüter  u.  s.  w. 
Der  II.  Band  enthält  das  5.  Buch :  von  den  Sakramenten,  im  All- 
gemeinen und  im  Einzelnen.  Der  III.  Band  umfasst  das  0.  Buch : 
de  sacramentalibus ,  mit  einer  Menge  Fragen ,  welche  den  Kultus 
betreffen.  Die  Anordnung  ist  nicht  gerade  streng  logisch .  auch 
fehlt  es  nicht  an  zahlreichen  Wiederholungen. 

Aber  das  müssen  wir  dem  Polemiker  lassen :  es  ist  ihm  um 
die  Prinzipien  zu  thun  gewesen.  Er  eröffnet  jeden  Band  mir 


1)  Doctrinale,  ed.  Venet.  1571.  Vol.  I.  f.  lb  folg. 


Thomas  von  Waiden  über  das  Schriftprinzip. 


333 


grandlegenden  Erörterungen ,  bevor  er  auf  die  einzelnen  Lehr- 
stücke eingeht.  Vorzugsweise  beleuchtet  er  dasjenige,  was  wir 
das  formale  Prinzip«  nennen,  nämlich  den  Grundsatz  Wiclif's, 
da ss  lediglich  die  h.  Schrift,  nicht  aber  die  Kirche  mit  ihrer 
Ueberlieferung,  Lehre  und  Auktori tat,  darüber  entscheide .  was 
Wahrheit  sei.  Hier  handelt  es  sich  also  um  die  Centrailehre  des 
Protestantismus  gegenüber  dem  Katholicismus :  verbö  Solo  '  Tho- 
mas von  Waiden  stellt  als  »Grundlehre  Christi  gegen  die  Wiclifi- 
ten«  die  Warnung  voraus:  »Hütet  euch  vor  dem  Sauerteig  der 
Pharisäer,  und  vornämlich  vor  derjenigen  Ketzerlehre,  welche  die 
wiclifitischen  Lollarden  nach  Kräften  befolgen,  indem  sie  in  Wort 
und  Schrift  behaupten,  sich  an  die  h.  Schrift  zu  halten  und  ledig- 
lieb  ihr  in  allem  zu  folgen l) .«  Sie  verwerfen,  was  der  Papst  oder 
die  Kirche  sagt,  falls  diese  es  nicht  aus  der  Schrift  beweisen.  — 
Darauf  entgegnet  Thomas :  »Von  jeher  haben  alle  Ketzer  ihre 
Irrthümer  aus  der  Schrift  zu  beweisen  gesucht.  Der  Teufel  selbst 
liat  gegen  den  Glauben  nie  anders  als  mit  Hülfe  der  Schrift  ge- 
stritten. Der  Verfasser  bekennt  in  der  Vorrede,  es  sei  ihm  schau- 
erlich dabei  zu  Muthe,  dass  Wiclif  bei  jeder  Beweisführung 
den  Christenglauben  halbire  (fidem  christianoriim  —  dimidiat), 
indem  er  die  Schrift  angeblich  anerkenne,  aber  den  nicht  ge- 
schriebenen Glauben  der  allgemeinen  Kirche,  welchen  Christus, 
auch  der  Apostel  Paulus,  überliefert  hat,  hintansetze2).  Aller- 
dings könne  die  Kirche  für  sich  allein  einen  Glaubensartikel  nicht 
begründen.  Dessen  ungeachtet  sei  die  Ueberlieferung  unentbehr- 
lich neben  der  Schrift,  einmal  um  zu  der  richtigen  und  authen- 


l,  Doctrinale,  I,  f.  2a:  se  scripturas  sacras  teuere,  et  nude  eas  sequi  et 
probate  per  omnia. 

2  Thomas  erwähnt  als  Thatsache,  dass  die  Wiclifiten  in  Zimmern  und 
Schenken  ausposaunen :  »Der  heilige  evangelische  Doctor  bringt  le- 
diglich nur  Evangelisches  vor,  und  verschmäht  die  Erklärungen  der 
Bettelmönche  und  die  unnützen  Gesetze  der  kaiserlichen  Kleriker«  I,  2b. 
Und  im  III.  Bande,  f.  2  mahnt  er:  Du  Mensch  Gottes,  meide  vor  allem  die 
häretischen  Wiclifiten,  welche  lehren,  solas  Christi  praeeeptiones  in  scri- 
pturis  expressas  a  ßdelibus  adimplendas ,  quas  Witcleff  nomine  »legum 
Dein,  ut  secretius  fallat,  edisserit  —  cetera  omnia  recusantes,  quia  tradi- 
tiones  sunt  ho  min  um. 


334 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


tischen  Auslegung  der  h.  Schrift  zu  gelangen  deshalb  beruft  er 
sich  auf  die  Auslegung  der  Kirchenväter .  um  den  Schein  einer 
willkürlichen  und  erzwungenen  Deutung  zu  vermeiden .  wenn  er 
gegen  Wiclif  einen  Schriftbeweis  führen  will 1  .  zum  andern,  um 
Glaubensartikel,  welche  nicht  ausdrücklich  in  der  Schrift  stehen, 
dadurch  zu  begründen.  Denn  welche  Bibelstelle  hat  die  Gläubi- 
gen gelehrt  das  Zeichen  des  Kreuzes  zu  machen .  bei  der  Taufe 
das  Salböl  zu  gebrauchen«  u.  s.  w.  Ohne  zu  ahnen,  wie  schwach 
dieser  Beweis  ist ,  fährt  Thomas  hierauf  fort :  »Siehe  da  die  Ehr- 
furcht vor  apostolischen  Ueberlieferungen.  welche  sie  nicht  in  der 
Schrift  mitgetheilt  haben .  und  denen  doch  eben  so  gut  wie  den 
geschriebenen  gleich  fromme  Verehrung  und  Uebung 
gebührt'2;!«  Und  so  kommt  durch  eine  Hinterthür  die  Tradition 
wieder  herein .  und  ist  auf  einmal  der  Schrift  gleichgestellt  an 
Auktorität.  —  Wobei  nicht  unbeachtet  zu  lassen  ist.  dass  Thomas 
fast  dieselben  Worte  braucht,  wie  130  Jahre  später  das  Concil  zu 
Trient. 

Auch  auf  andere  grundlegende  Punkte  kommt  Thomas  in 
seinen  Prolegomen a  zu  sprechen.  Er  rügt  mit  Schärfe  die 
angebliche  Selbstüberhebung  der  Lollarden  wegen  ihrer  religiösen 
Erkenntniss  und  der  Glaubwürdigkeit  ihres  Meisters,  vermöge 


1)  Thomas  erklärt  es  für  eine  Anmaassung,  dass  Wiclif  glaube,  er 
allein  habe  den  Sinn  des  Herrn  lauter  und  ächt  aus  der  Bibel  geschöpft. 
Er  wirft  im  Gegentheil  ihm  und  seinen  Anhängern  vor,  dass  sie  die  Schrift 
falsch  auslegen ,  und  in  Gemässheit  ihrer  verkehrten  persönlichen  Ansicht 
verstehen ;  sie  wollen  angeblich  nicht  dulden ,  dass  man  auf  Christum  und 
seinen  rechtmässigen  Grund  1.  Kor.  :j  baue  Gold,  Silber,  Edelsteine,  hal- 
ten aber  sich  selbst  für  befugt,  darauf  zu  bauen  Holz,  Heu,  Stoppeln,  in 
Lollardenbüscheln  ,  die  bereits  an  allen  Ecken  der  Kirche  mit  Reisig  ver- 
brannt sind.  Vol.  III,  2  folg.  —  Die  Wiclif iten  machten,  angesichts  der 
katholischen  Berufung  auf  die  Einstimmigkeit  der  Kirchenlehrer,  geltend, 
die  Uebereinstimmung  Vieler  verdiene  nicht  immer  Beifall,  sonst  hätten  die 
Juden  Recht  gehabt  Jesum  zu  tödten,  auch  hätten  sonst  die  500  Baals- 
priester den  Elias  überwunden.  Darauf  entgegnet  Thomas:  »aber  es  ist 
doch  ein  Unterschied  zwischen  der  Versammlung  der  Apostel  und  der  Ver- 
sammlung der  Pharisäer;  und  Jenen  muss  man  glauben!«  I,  2h. 

2)  quibuü  acque  ut  scriptis  pur  n'tits  dehc'ur  et  ptetutis  affv- 

ctuH.  i,  iio. 


Thomas  von  Waiden  über  die  Prinzipien.  335 

deren  seine  Lehre  Glauben  verdiene.  »Jene  thörichten  und  unge- 
bildeten Lollarden ,  sagt  er.  wollen  etwas  gelten  bei  den  Laien, 
und  setzen  gläubige  Männer  herab,  denen  sie  doch  nicht  die 
Schuhriemen  auflösen  dürften!  Sie  rühmen  Wiclif  wegen  seiner 
Wissenschaft  und  wunderbaren  Kenntniss  von  »Gottes  Gesetz  :  ja 
sie  behaupten,  die  Katholischen  verstehen  weder  ihren  Meister 
noch  ihre  Bücher.«  —  Das  glaube  ich  wohl,  antwortet  Thomas, 
einen  Stammler  versteht  niemand  besser  als  ein  Stammler  1  .  — 
Ferner  beleuchtet  er  die  Empfehlung  für  Wiclif.  seine  Lehre 
und  Partei,  welche  von  dem  anerkannt  guten  Inhalt  seiner  Schrif- 
ten, seinem  reinen  und  edlen  Charakter,  und  der  sittlich  ernsten 
Richtung  seiner  Predigten  hergenommen  zu  werden  pflegte.  »Man 
hört  sie  sagen :  0  wie  kann  der  ein  Häretiker  sein  ?  er  predigt  so 
heilig,  bekämpft  die  Sünden,  lässt  die  h.  Schrift  zum  Worte  kom- 
men, und  verkündigt  Christum 2) ! «  Die  Entgegnung  des  papisti- 
schen Polemikers  ist  schwach ,  sie  lautet :  »Versteht  sich !  wenn 
ein  Ketzer  nicht  Christum  predigte ,  dann  könnte  er  nicht  unter 
dem  Namen  Christi  Christen  irre  führen!«  Es  ist  sicherlich  für 
die  Geschichte  von  Belang,  dass  dieser  systematische  Gegner  der 
Wiclifiten  auf  das  Lob  für  Wiclif 's  reinen,  ehrlichen  und  demü- 
thigen  Charakter  aus  dem  Munde  seiner  Verehrer,  nichts  anderes 
zu  sagen  weiss,  als:  seine  Sanftmuth  und  Demuth  müsse  doch 
erheuchelt  sein,  denn  seine  Schriften  seien  so  herb  und  derb.  Der 
Polemiker  hat  nicht  ein  Wort,  um  den  sittlichen  Carakter  Wi- 
clif'8  oder  seiner  späteren  Anhänger  wirklich  in  Frage  zu  stel- 
len; ein  Stillschweigen,  welches  unter  solchen  Umständen  ziem- 
lich einem  Zeugniss  f  ü  r  deren  Charakter  gleich  kommt. 

Die  Lollarden  beriefen  sich  mit  Nachdruck  auf  die  Thatsache. 
dass  doch  Wiclif  bei  seinen  Lebzeiten  niemals  von  der  Kirche 
als  Ketzer  verurt heilt  worden  sei!  Thomas  räumt  ohne 
weiteres  ein ,  dass  dies  eine  bei  Hoch  und  Niedrig  in  der  recht- 
gläubigen Kirche  verbreitete  Ansicht  sei.  Allein  er  erinnert  da- 
gegen an  das  Londoner  Provinzialconcil  vom  Jahr  13S2,  und  mit 


1;  Doctrinale,  I,  3  fulg.,  III,  6. 

2  a.  a.  O.  I,  4.:  (J  iste  quomodo  haereticus  estf  sancte  L>raedicat,  vitia 
impugnat,  scnptttras  ss.  interst  ri*,  Christum  annuntiat! 


336 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


noch  stärkerer  Betonimg  auf  das  »Verdammungsurtheil«,  welches 
die  ökumenische  Kirchenversammlung  zu  Constanz  in  aller  Form 
Uber  seine  Person  gefällt  habe 1  .  Auch  erwähnt  Netter  aufrich- 
tig, dass  die  Lollarden  zu  seiner  Zeit  sich  auf  das  langjährige 
B  e  s  t  e  h  e  n  ihrer  Partei  beriefen ,  und  diese  Thatsache  als  einen 
Beweis  dafür  ansahen,  dass  ihre  Sache  von  Gott  sei  [vgl.  Apostel- 
geschichte 5.  38  folg.) 2).  —  Die  Antwort  lautet,  das  Alter  könne 
bei  dieser  Sekte  so  wenig  etwas  beweisen  als  bei  dem  Muhameda- 
nismus,  der  noch  viel  länger  bestehe. 

So  viel  von  den  Prolegomena.  Gehen  wir  auf  die  Haupt- 
1  ehren  selbst  über,  welche  Thomas  Netter  polemisch  erörtert. 

Es  sind  vorzüglich  zwei  Lehren ,  mit  denen  er  sich  am  ange- 
legentlichsten beschäftigt:  Wiclif's  Kirchenbegriff  und  sein 
Sakramentsbegriff.  Alles  andere  scheint  von  untergeordnetem 
Werthe  zu  sein.  Zum  Beispiel  im  ersten  Buche  kritisirt  er  zwar 
Wiclif's  Lehre  von  Gott,  ferner  seine  Anthropologie  und  Chri- 
stologie.  In  ersterer  Hinsicht  beschuldigt  er  ihn  eines  Pantheis- 
mus ,  der  die  Freiheit  Gottes  und  des  Menschen  verneine ;  anlan- 
gend die  Anthropologie  erhebt  er  Einsprache  gegen  W  i  c  1  i  f  s  in  der 
Schrift  gegründete  Unterscheidung  zwischen  Seele  und  Geist .  als 
sei  dies  ein  gefährlicher  Irrthum  (! ) ;  bei  der  Christologie  müht  er 
sich  vergebens  ab,  irgend  eine  Irrlehre  bei  Wiclif  aufzuspüren; 
dann  geht  er  aber,  ohne  die  Lehre  von  der  Erlösung  und  Ver- 
söhnung (die  auch  Wiclif  lediglich  vorausgesetzt  haf  irgendwie 
zu  erörtern,  im  zweiten  Buche  mit  desto  mehr  Sorgfalt  und  Eifer 
auf  die  Lehre  von  der  Kirche  ein,  wobei  ihm  der  Primat  Petri 
und  des  Papstes  das  Hauptaugenmerk  ist. 


1)  JDoctrmale,  II,  5  folg.  In  Betreff'  des  Concils  von  1382  ist  jedoch 
nicht  zu  vergessen,  dass  dasselbe  blos  eine  Anzahl  Sätze  von  Wiclif 
verworfen,  nicht  aber  ihn  selbst  für  einen  Ketzer  erklärt  hat,  was  sehr 
zweierlei  ist. 

%  SectCtm  suam  per  hoc  esse  a  Deo,  qnia  stat;  stetit,  itiquiunt,  jam  cir- 
eiter  qnadraginta,  quinquaginta  atmis ;  nee  persecutionibns  episeoporiun ,  nec 
fratrum  aut  aHarum  pseudo  potent  calumniis  obrui  aut  muchinationibus  dis- 
solvi.  II,  S:  Die  Ziffer  40  Jahre  führt,  da  das  II  Buch  1422  geschrieben 
ist,  auf  das  Jahr  1383  zurück,  die  Ziffer  50  auf  das  Jahr  1372. 


Thomas  von  Waiden  über  das  Wesen  der  Kirche. 


Gegen  Wie  Iii  s  Grundsatz,  Christus  allein  sei  das  Haupt 
der  Kirche,  und  man  könne  nicht,  ohne  Christo  ZU  nahe  ZU  treten, 
einen  Menschen  das  Haupt  der  Kirche  nennen,  —  beruft  sieh 
Themas  auf  die  Grundstelle  Matth.  16.  Und  wenn  Wiclif  ge- 
gen den  angeblichen  Primat  des  Apostels  Petrus  erinnert.  Paulus 
sei  doch  laut  Gal.  2  nicht  unter  Petrus  gestanden,  so  will  der 
Polemiker  den  Fuchs  aus  seiner  Grube  treiben«  und  gerade  aus 
dieser  Stelle  beweisen,  dass  Paulus  ja  vorzugsweise  mit  Petrus 
nicht  sowohl  mit  Jacobus  oder  Johannes)  verhandelt  habe,  denn 
seine  eigene  Vollmacht  sei  von  Petrus  abhängig  gewesen  [a  quo 
»teure  praedicandi  ec  angeln  tota  Pauli  pendebat  auetoritas) ,  wo- 
für er  sich  auf  die  Auslegung  des  Hieronymus  stützt.  Er  schliesst 
dann  mit  dem  Ausrufe:  »Siehe  wie  Wiclif  geradezu  gelogen 
hat!«  u.  s.  w.  ') . 

Auch  an  der  Berufung  des  Paulus  zum  Missionswerk  unter 
den  Heiden,  Apostelgesch.  14,  will  Thomas  die  Abhängigkeit  des 
Paulus  von  Petrus  erweisen,  indem  er  frischweg  voraussetzt, 
Petrus  habe  den  Paulus  zum  Apostel  der  Heiden  ordinirt2). 
Fanmal  ruft  er  dem  Wiclif,  weil  er  die  Apostel  alle  an  Aukto- 
rität  einander  gleichstellt,  entrüstet  zu:  »Was  machest  du,  Wi- 
clif.' wenn  du  die  Ordnung  aufhebst,  so  hebst  du  die  Kirche 
auf3  U  Er  meint:  »alle  Apostel  sind  der  Grund,  aber  nächst 
Christo  ist  Petrus  der  Grund  der  Gründe,  und  der  ganzen  Kirche 
Grund4  .« 

Thomas  erkennt  wohl,  dass  bei  Wiclif  alles  an  dem 
Grundbegriff  von  der  Kirche,  als  der  Gesammtheit  der  Erwähl- 
ten, hängt,  wobei  das  Hauptgewicht  auf  der  unsichtbaren  Seite 
liegt.  Er  selbst  geht  hingegen,  ächt  römisch,  von  der  Kirche  als 
Anstalt  aus:  das  Reich  Gottes  sei  gleich  einem  Netze,  darin 
allerlei  Gattung  gefangen  wird.  Er  erinnert  gegen  Wiclif 's 
Kirchenbegriff,  es  seien  weder  alle  Erwählten  in  der  Kirche 
z.  B.  die  noch  nicht  Geborenen),  noch  alle  Verdammten  aus- 


1;  Doctrinale,  I,  139  —  145. 

2  a.  a.  O.  I,  145. 

S]  a.  a.  O.  I,  142. 

4  a.  a.  O.  I.  155. 

Lechlrb ,  Wiclif.   IJ.  •)♦? 


338 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


serhalb  derselben.  Man  sieht  sofort ,  er  weiss  die  Wurzel  des 
Wiclif  sehen  Kirchenbegriffs  nicht  zu  würdigen1).  Eben  des- 
halb fehlt  es  ihm  an  jedem  Verständniss  für  die  aus  dieser  Grund- 
anschauung von  der  Kirche ,  in  Verbindung  mit  dem  Grundsatze 
von  dem  souveränen  Ansehen  des  Wortes  Gottes,  fliessende  Ver- 
wahrung gegen  Majoritätsentscheidungen  auf  Concilien.  Tho- 
mas führt  aus  einer  Predigt  Wiclif 's  folgende  Worte  an, 
welche  unwillkürlich  an  die  Protestation  zu  Speier  im  Jahre 
1 529  erinnern :  »Da  viele  von  denen .  welche  zu  einem  Concile 
der  Neuzeit  strömen,  meist  thörichte  und  unwissende  abtrünnige 
Leute  sind ,  so  wäre  das  ein  gotteslästerliches  Gesetz  oder 
Kegel,  dass  man  bei  der  Entscheidung  der  Mehrheit  stehen 
bleiben  und  ihr  Glauben  schenken  müsse2).«  Allein  seine  Erwi- 
derung beweist ,  dass  er  die  Tragweite  dieses  Gedankens  nicht 
begriffen  hat. 

Natürlich  ist  ihm  auch  das  allgemeine  Priesterthum  der 
Gläubigen,  welches  Wiclif  anerkennt,  ein  Dorn  im  Auge.  Er 
kann  sich  nicht  vorstellen ,  dass  e  i  n  ungelehrter  Mann  durch 
Gottes  Gnade  solle  mehr  Gutes  ausrichten  können ,  als  viele 
graduirte  Männer  in  Schulen  oder  Collegien.  Auch  kann  er  sich 
nicht  genug  darüber  verwundern,  dass  Wiclif  jedem  Christen 
das  Recht  zu  predigen  zuerkenne:  auch  Purvey  wolle  in  einem 
Traktate  beweisen ,  dass  »des  Königs  Kriegsleute«  und  alle  gläu- 
bigen Laien,  ja  sogar  Frauen  predigen  dürfen,  wenn  sie  wollen3  . 
Thomas  hat  sich  bemüht,  die  Quelle  letzterer  Ansicht  der  Lollar- 
tten  nämlich  dass  auch  Frauen  predigen  dürften  u.  s.  w.  bei 
Wiclif  selbst  aufzuspüren,  und  glaubt  in  der  That  einen  Aus- 
spruch desselben  entdeckt  zu  haben,  welcher  zum  Stützpunkt  für 
jenen  Grundsatz  geworden  sei.  Er  theilt  die  Stelle  aus  Wiclif  4 
Schrift  De  papa  c.  9  vollständig  mit:  dieselbe  macht  jedoch  mehr 


1    DoctrinaJe,  I,  157  folg.;  II,  c.  1 3  —  1 6 . 

2)  a.  a.  O.  I,  217:  Cum  multi  eoneurrentes  ad  modermim  eoneil  iun 
sunt  vi  phirimum  apostatae  stolidi  et  ir/nari,  hla  sphema  foret  lex  vel  re 
f/ula,  quae  dietaret,  quod  generaliter  st  und  um  est  et  credendum  judicii 
mujoris  partis. 

3   a.  a.  O.  I,  .'{52.  372.;  vgl.  II,  203. 


Thomas  von  Waiden  über  das  allgemeine  Priesterthum. 


339 


den  Eindruck  einer  doktrinären  dialektischen  Erörterung,  als  eines 
praktisch  gemeinten  Ausspruchs.  ludessen  meint  Thomas  von 
Waiden  doch :  »Ich  möchte  glauben,  dass  hauptsächlich  aus  die- 
ser Stelle  seine  Anhänger  eine  Gewähr  dafür  entnommen  haben. 
Frauen  zu  Priestern  zu  ordiniren.  welche  Messen  und  andere 
Sakramente  verwalten,  die  Schrift  vorlesen  und  in  den  Gemein- 
schaften der  Lollarden  predigen  r .«  Wie  wenig  zuverlässig  übri- 
gens diese  ganze  Angabe  sein  mag.  lässt  sich  nach  der  Aus- 
drucksweise einer  anderen  Stelle  ermessen :  » Seine  Anhänger 
haben,  wie  die  gemeine  Sage  geht  \at  publica  fama  canit  , 
hier  in  der  Stadt  London  einmal  ein  junges  Mädchen  angewiesen, 
an  Festen  uud  Sonntagen  ihnen  das  Abendmahl  zu  cousekriren. 
—  Siehe  da  eine  profane  Priesteriu  aus  dem  Lollardenpriester- 
stande!«  Ueberhaupt  erscheint  ihm  der  ganze  Begriff  »evange- 
lischer Freiheit«,  welchen  Wiclif  aufstellt,  als  ein  nicht  nur  auf 
kirchlichem  Boden,  sondern  auch  auf  sittlichem  Gebiete  schlecht- 
hin auflösender,  grundstürzender  Gedanke :  ein  Urtheil.  welches 
er  nur  durch  die  rücksichtsloseste  Consequenzenmacherei  zu  be- 
gründen vermag2). 

Ein  anderer  Gegenstand .  welchen  der  Polemiker  beleuchtet, 
ist  das  Kirchen  gut.  Besoldungswesen  und  was  damit  zu- 
sammenhängt. Thomas  beklagt  sich  bitter  darüber,  dass  die 
Lollarden  hinter  allen  möglichen  Einrichtungen  der  Kirche.  Kult- 
verschönerungen  u.  dgl.  immer  nur  Habsucht  und  Herrschsucht 
der  Klerisei  wittern.  Er  behauptet,  sie  stellen  dem  Volk  in  Pre- 
digten und  Schriften  häufig  vor,  dass  alle  schönen  Gebräuche  und 
Sitten ,  welche  die  Kirche  zur  Ehre  Gottes  im  Gottesdienst  und 
bei  den  Sakramenten  eingeführt  hat,  nach  Habsucht  der  Prälaten 
und  Ehrgeiz  der  Priester  schmecken.  Daher  lehren  sie  das  Volk 
Feste  und  Kirchenschmuck  geringschätzen,  und  deuten  alles,  was 
die  Erfahrung  der  Heiligen  unter  Gottes  Eingebung  eingerichtet 
hat.  um  den  Gottesdienst  zu  verschönern,  auf  Habsucht  der  Kle- 
riker3 .  Wenn  andererseits  die  Lollarden  daraufhinweisen,  dass 


1  Boctrmale.  III.  lU*>. 

2  a.  a.  O.  III,  45. 

3  a.  a.  O.  III.  «5. 


22* 


340 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


ihre  Reiseprediger  poor  priesU  hatte  sie  Wie  Iii*  genannt  un- 
besoldet seien  und  sich  ihrem  Beruf  unentgeltlich  widmen .  so 
bestreitet  der  Karmeliterprovinzial  die  Thatsache  selbst.  Er  erin- 
nert theils  an  die  reichlichen  Colleeten .  welche  in  ihren  Conven- 
tikeln  zur  Belohnung-  der  Prediger  gesammelt  werden ,  theils  an 
die  ansehnlichen  Summen,  welche  von  einzelnen  Gönnern  der 
Partei  freiwillig  zum  Jahresgehalt  eines  Reisepredigers  ausge- 
setzt worden  seien .  theils  an  eine  wohlgespickte  Kasse .  welche 
vor  längerer  Zeit  in  ihrem  Verstecke  zufällig  aufgefunden  wor- 
den sei.  und  aus  welcher  solchen  Predigern,  die  nicht  einem  Bet- 
telorden angehörten,  wenn  sie  an  einem  Sonntage  beim  St.  Pauls- 
kreuz in  London  auftraten,  eine  ansehnliche  Belohnung  ausbezahlt 
worden  sei 1  . 

Mit  Recht  hat  Wiclif  auf  den  Charakter  und  Wandel 
des  Geistlichen  grossen  Werth  gelegt.  s<>  dass  er  urtheilte, 
»man  müsse  seinem  Wandel  mehr  Glauben  schenken .  als  der 
Tinte  und  den  Papieren  eines  Bischofs2«.  Der  Gegner  aber  be- 
nützt den  Schein  wir  haben  B.  II.  K.  7.  XII.  gesehen,  es  ist  nur 
Schein  als  ob  Wiclif  den  Gnadenmitteln,  wenn  sie  durch  sitt- 
lich tadelnswerthe  Personen  gespendet  werden,  alle  Heilskraft 
abspreche.  Er  weiss  die  ihm  gewordene  günstige  Stellung  auszu- 
beuten und  erklärt  es  für  eine  Unbill,  welche  allen  Sakramenten 
angethan  werde  generalis  injuria .  quae  cuneta  sacramenta  con- 
cemit  .  wenn  man  in  Zweifel  ziehe,  ob  Christus  bei  Verwaltung 
des  Sakramentes  einem  Priester  Beistand  leiste,  dessen  Wandel 
dem  Leiten  Christi  zuwider  ist.  Er  erklärt  es  für  einen  Donati- 
stischen [rrthum,  wenn  man  solchen  Priestern  die  Gläubigen  ab- 
wendig mache.  Zwar  gibt  er  zu.  es  sei  besser,  wenn  das  Sakra- 
ment durch  einen  frommen  Mann  gespendet  werde,  nämlich  besser 
für  den  Spendenden  selbst,  nicht  für  das  Sakrament.  Allein  er 
beharrt  darauf,  gemäss  dem  Begriffe  des  Sakraments  als  eines 
objektiven  Gnadenmittels:  dass  Gott  beim  Sakrament  mit  jedem 
rechtmässig  dazu  eingesetzten   ad  hoc  rite  instituto)  Priester 

1  Doctrinule,  I.  370, 

2  a.  a.  U.  II,  210;  Plus  dabei  eredi  operibtu,  9*uun  ntrtumnio  rd  c/mr- 

//*  tfistopi. 


Thomas  von  Waiden  Uber  die  Sakramente. 


341 


mitwirke,  sollte  er  auch  den  schlimmsten  Lebenswandel  führen; 
dass  der  heilige  Wandel  eines  Klerikers  zum  Wesen  des  Sakra- 
mentes nichts  dazu  thue.  und  seine  Schlechtigkeit  von  demselben 
nichts  davon  tlme :  und  dass  dem  Sakramente  nur  im  Falle  der 
Spendung  durch  einen  frommen  Priester  eine  Wirkung  beilegen, 
so  viel  heisse  als  sein  Vertrauen  auf  Menschen  setzen  1  . 

Wiclif  \s  evangelische  Ansicht  vom  geistlichen  Amte  macht 
dem  mönchischen  Apologeten  Roms,  wie  sich  von  selbst  versteht, 
ziemlich  zu  schaffen.  Während  jener  die  Identität  von  Presbyter 
und  Bischof  in  der  apostolischen  Zeit  behauptet,  will  dieser  die 
rollständige  Gliederung  der  Hierarchie  als  apostolisch  nachwei- 
sen2 .  Während  jener  den  Ueberfluss  an  Klerikern  tadelt,  er- 
scheint er  dem  Polemiker  nur  wie  ein  zweiter  Pharao .  welcher 
das  männliche  Geschlecht  im  Volke  Gottes  ausrotten  und  nur  die 
Töchter  übrig  lassen  will3)«.  Dass  Thomas  die  staatlichen  Vor- 
rechte und  die  Macht  des  Klerus,  den  Cölibat  und  dergleichen  in 
Schutz  nimmt,  versteht  sich  von  selb>t. 

Die  ausführliche  Abhandlung  über  die  Sakramente,  im 
zweiten  Bande,  befasst  sich  am  angelegentlichsten  mit  der  Messe  : 
theils  weil  dieselbe  an  sich  der  Herzpunkt  der  römischen  Kirche 
und  ihres  Kultus  ist.  theils  weil  Wiclif 's  Angriffe  am  häufig- 
sten und  entschiedensten  gegen  die  Messe .  vorzüglich  gegen  die 
Lehre  von  der  Wandlung  mit  ihren  Consequenzen  gerichtet  wa- 
ren. Thomas  von  Waiden  hält  es  für  seine  Pflicht,  sowohl  die 
Lehre  von  der  Wandlung  als  den  Opferbegriff  und  die  Kelchent- 
ziehung zu  vertheidigen.  die  letztere  gegenüber  den  »Prager  Wi- 
clifiten 4  fi .  Er  rechtfertigt  die  Kirchenlehre  mit  Hülfe  der  be- 
kannten scholastisch  metaphysischen  Gründe,  wirft  hingegen 
Wiclif  vor.  er  reisse  auf  unnatürliche  Weise  aus  einander,  was 


1  Doctrinale .  I,  187;  Q,  15.  23.  269.  Wir  haben  oben  Kap.  7.  XII. 
erinnert,  dass  Thomas  von  Waiden  in  diesem  Punkte  durch  die  Aukt<  - 
rität  des  Constanzer  Concils  sich  leiten  lässt.  welches  dem  Wiclif  eint 
Ansicht  beigemessen  hatte,  die  wir  bei  ihm  selbst  nicht  gefunden  haben. 

2)  a.  a.  O.  I,  f.  320;  II.  c.  110. 

3)  a.  a.  O.  II,  201. 

4    Wichvistae  Pragense.s,  II.  140. 


342 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


untrennbar  zusammengehöre ,  nämlich  das  Sakrament  auf  Erden 
und  den  Leib  Christi  selbst 1  . 

In  dem  dritten  Bande,  welcher  »von  den  S  a  k  r  a  m  e  n  t  a  1  i  e  n« 
handelt,  d.  h.  von  dem  Ritus  und  den  Kultushandlungen, 
die  theil weise  zur  Modalität  der  römischen  Sakramente  gehören, 
erscheint  uns  dasjenige  weniger  bemerkenswerth ,  was  der  Ver- 
fasser zur  Rechtfertigung  sämmtlicher  Ordnungen  und  Aus- 
schmückungen des  Kultus  gegen  die  Kritik  Wiclif's  und  seiner 
Anhänger  beibringt,  als  dasjenige,  was  er  in  Betreff  des  Gebets 
erörtert :  denn  hier  kommt  er  wieder  auf  prinzipielle  Dinge  zu 
sprechen. 

Thomas  führt  mehrere  Aeusserungen  Wiclif's  an,  welche 
dahin  gehen,  dass  dasjenige  Gebet,  welches  in  frommem  Leben 
und  Wandel  bestehe,  mehr  WTerth  habe,  als  das  Beten  im  Herzen 
oder  mit  dem  Munde.  Ferner  constatirt  er  die  Thatsache ,  dass 
auch  die  Lollarden  das  thätige  Leben  hoch  stellten  und  das  Beten 
mit  Herz  und  Mund  fast  gar  nicht  gelten  Hessen 2) .  Wiclif  hatte 
augenscheinlich  eine  wirkliche  Schattenseite  der  mittelalterlichen 
Frömmigkeit  im  Auge,  und  bekämpfte  das  Krankhafte  einer  von 
der  praktischen  Sittlichkeit  absehenden  Hochschätzung  des 'äusse- 
ren Kultus.  Der  Gegner  ersieht  sofort  seinen  Vortheil  und  weiss 
die  Blossen,  die  sich  Wiclif  hiebei  gegeben  hat,  klug  zu  be- 
nutzen. Er  schickt  sich  zur  Verteidigung  des  Gebetes  im  enge- 
ren Sinn  an,  und  besteht  darauf,  dass  dieses  zu  einem  guten 
christlichen  Leben  eben  so  gut  erforderlich  sei  als  die  Werke,  ja 
dass  gerade  das  Gebet  erst  tüchtig  mache  zu  guten  Werken ;  — 
lauter  Wahrheiten,  die  Wiclif  nicht  bestritten  hatte,  und  die  er 
ihm  gegenüber  gar  nicht  zu  vertreten  brauchte.  Ja  er  nimmt 
sogar  die  kühne  Wendung ,  Wiclif  vorzuwerfen,  er  neige  sich 
zum  Pelagianismus  hin,  sofern  er  einen  frommen  Wandel  dem 

1)  Doctrinale,  II,  36:  Pessime  separat  Witcleff,  quac  Christus  uohiit  esse 
conjuneta,  ponens  sacramentum  in  terra,  et  corpus  nusquam  secund/i/n 
substäritiam  nisi  in  patris  dextera. 

2  a.  a.  0.  III,  15:  Wiclecistae  vitam  operosam  magnißcant  et  omnein 
orationem  mentis  et  oris  ab  tfUS  nierito  praescindentes  fix  ttllam  esse  con- 
sent iunt. 


Thomas  von  Waiden  über  das  Gebet. 


Beten  vorziehe,  durch  welches  doch  Gottes  Gnade  erst  erlangt 
werde.  In  dieser  günstigen  Stellung  gebehrdet  er  sich  ganz,  als 
wäre  er  eigentlich  der  Anwalt  der  Gnade,  gegenüber  Wiclif. 
welcher  durch  seine  proprio,  justitia  vitae  das  Verdienst  der 
Werke  geltend  zu  machen  scheine  und,  wie  dort  der  betende 
Pharisäer,  voll-Selbstvertrauens  sei1).  Dass  aber  diese  Streiche 
in  die  Luft  gehen,  und  dass  der  mönchische  Scholastiker  das 
wirkliche  Verhältnis  für  einen  Augenblick  geradezu  umgekehrt 
hat,  ist  leicht  zu  bemerken.  Er  ist  überhaupt  gewandt  genug, 
seinen  Vortheil  wahrzunehmen.  Zum  Beispiel  weil  die  Wiclifiten 
gegen  Bilder  in  Kirchen  protestiren,  so  macht  er  ihnen  einen  ein- 
seitigen Spiritualismus  zum  Vorwurf :  »Wenn  sie  blos  durch  Un- 
sichtbares über  das  unsichtbare  Wesen  Gottes  sich  unterwei- 
sen lassen  wollen,  so  müssen  sie  allem  Sinnlichen  den  Rücken 
kehren2  .« 

Zur  C h a r a  k t e r i s t i  k  der  Stellung ,  welche  Thomas  Net- 
ter von  Waiden  als  Polemiker  und  Apologet  einnimmt,  fügen 
wir  noch  folgende  Bemerkungen  hinzu. 

1  Er  nimmt,  wie  oben  berührt,  bei  seinen  Beweisführungen 
aus  der  Bibel  regelmässig  die  Auslegungen  der  Väter  zu  Hülfe; 
so  zwar .  dass  seine  Erörterung  öfters  zu  einem  blossen  Aneinan- 
derreihen von  Ansprüchen  der  Kirchenväter  wird,  als  Ambrosius, 
Augustin.  Hieronymus,  Cassiodor.  Dionysius  des  Areopagiten ; 
aber  auch  Scholastiker  wie  der  Lombarde  und  Männer  wie  Bern- 
hard von  Clairvaux  sind  seine  Auktoritäten. 

2  Er  ist  darauf  bedacht,  die  Vorgänger  Wiclif's  und 
die  Gewährsmänner  seiner  »Ketzereien«  nachzuweisen,  z.  B.  Par- 
teien wie  die  Manichäer.  Donatisten,  Pelagianer 3; ;  aber  auch  ein- 
zelne Männer  wie  Berengar  von  Tours .  Wilhelm  von  St.  Amour, 
Richard  von  Armagh.  Den  ersteren  bezeichnet  Thomas  als  Wi- 


1  Doctrinale  II.  c.  3  — S.  f.  16  —  30. 

2  a.  a.  O.  III,  f.  277 1 :  Si  per  sola  invisibilia  volunt  de  dei  invisibili- 
bus  instrui  Wiclecistae,  necesse  est  seorsum  in  hac  carne  perctpere  discipli- 
nam,  et  per  hoc  alienari  a  sensibits. 

3}  a.  a.  O.  I,  f.  IST;  III,  c.  4. 


Buch  III.    Kap.  I-  IV 


clif's  Meister  in  der  Abendmahlslehre1  .  Wilhelm  als  seinen 
Vorgänger  in  der  Opposition  gegen  die  Bettelmönche  -  .  ebenso 
auch  den  Erzbischof  von  Armagh 3)  . 

3)  Die  Art  und  Weise,  wie  Wiclif  selbst  beurtheilt 
wird,  ist  eine  sehr  gemischte.  Einerseits  verfährt  der  in  Inqui- 
sitionsprocessen  heimische  Polemiker  höchst  leidenschaftlich  und 
fanatisch:  er  erklärt  Wiclif  und  seine  Verehrer  für  Wölfe  im 
Schafspelz  und  für  Götzendiener 4) ,  ihn  selbst  aber  für  den  Feind 
der  Sakramente  in  der  Jetztzeit 5) .  Er  erklärt  die  Ketzerei  W  i  - 
clif's  für  die  Hure,  mit  welcher  der  Teufel  sich  verlobt  habe, 
um  durch  sie  als  eine  zweite  Eva  auszurichten ,  was  er  für  sieb 
allein  zu  bewirken  nicht  vermochte ,  nämlich  die  Unvorsichtigen 
in  einen  bösen  Schlaf  zu  versenken 11  . 

Andererseits  ist  jedoch  Thomas  auch  nobel  genug ,  um  den 
Gegner  besonnen,  gerecht  und  anerkennend  zu  behandeln.  Schon 
das  ist  ein  Zeichen  nicht  nur  von  Gründlichkeit  sondern  auch  von 
Gerechtigkeitsliebe,  dass  er  Wiclif 's  Schriften  in  der  Regel 
sorgfältig  citirt,  oft  ganze  Stellen  aus  denselben  und  darunter  sehr 
derbe  Auslassungen  gegen  den  Papst,  wörtlich  einrückt.  Er  macht 
namentlich  fleissigen  Gebrauch  von  dem  Trialogus  [z.  ß.  1. 
96.  210;  II,  5:  III,  237)  nebst  dem  »Supplement«  dazu  I,  210  . 
Ferner  hebt  er  öfters  Stellen  aus  seinen  Predigten  heraus:  ausser- 
dem benützt  er  Wiclif  s  Schriften  Von  der  Bergpredigt.  Vom 
Pfarramt  [De  officio  pastorali,  z.  B.  II,  203.  211),  Von  Christus 
und  dem  Antichrist.  Vom  Papst  u.  s.  w.  Einmal  findet  er  sich 
veranlasst,  seine  Gewohnheit  wörtliche  Citate  anzubringen  zu 
rechtfertigen;  es  geschehe  das ,  um  den  Vorwurf  abzuschneiden, 
als  ob  er  etwas  anderes  unterschiebe  oder  die  Sachen  in  einem 
anderen  Sinn  auffasse,  als  Wi clif's  Meinung  gewesen:  des- 
wegen führe  er  Wiclif  s  eigene  Worte  an  und  bezeichne  die 


I,  Doetrinale  II.  f.  34:  Berengar iusf  mattster  tuus. 

2  a.  a.  O,  I.  f.  242.  485:  magister  ac  paedagogus  tuus,  vgl.  f,  528. 

3  a.  a.  ü.  I,  \Y).  vgl.  II,  1872. 

4)  a.  a.  0.  I,  368;   II,   doctrifia    12.  —  III.  280:    thtemonrs  adorat  in 

suorutn  phanUtsmatum  idolis. 

•")  a.  a.  ().  II,  11  :  Möderau*  hosfin  sfWWHnentot'tttn. 

6  a.  a.  O.  III,  V,. 


Charakter  der  Polemik  des  Thomas  von  Waiden. 


345 


Stolle,  wo  sie  zu  lesen  seien  *) .  Ja  er  macht  sogar  einen  kritischen 
Unterschied  zwischen  Wiclif  selbst  und  seinen  Anhängern,  und 
zwar  stets  zu  Gunsten  des  Meisters.  Er  rügt  z.  B.  »die  ungeheure 
Uebertreibung  in  gewissen  wiclifitischen  Traktaten ,  welche  be- 
haupten, dass  Christen,  um  Gott  anzurufen .  kein  anderes  Gebet, 
nach  Inhalt  und  Wortfassung,  brauchen  dürften,  als  das  Vater 
Unser  weil  dieses  Christus  selbst  entworfen  und  zum  Gebrauch 
überliefert  habe,  indem  er  sprach:  »so  betet:  Unser  Vater«  u.  s.  w. 
Bierauffährt  Thomas  also  fort:  Diese  Verkehrtheit  habe  ich  in 
ihrem  Meister  nicht  gelesen;  ich  finde  vielmehr,  dass  er  auch 
andere  Gebete  zulässt.  wegen  der  Mannigfaltigkeit  des  Betens.« 
Er  meint,  die  Lollarden  seien  vielleicht  erst  durch  die  Gründe 
ihren  katholischen  Gegner,  nach  Wiclif  a  Tode,  auf  jenen 
Standpunkt  hingedrängt  worden .  indem  man  gegen  sie  geltend 
machte,  dass  nach  ihren  eigenen  Grundsätzen  alles  was  nicht 
positiv  und  ausdrücklich  in  der  Bibel  nachweisbar  ist.  zu  verwer- 
fen sei ;  da  hätten  sie  dann .  um  nicht  dieses  Fundamentalprinzip 
ihres  Meisters  in  Abrede  stellen  zu  müssen,  sich  auf  jene  Ansicht 
von  der  alleinigen  Berechtigung  des  Vater  Unsens  zurückgezogen  -  . 

Aehnlich  verfährt  Thomas  in  Betreff  der  Priesterehe. 
Ks  geht  die  Sage,  schreibt  er  einmal.  Wiclif  habe  die  Ehelosig- 
keit der  Geistlichen  getadelt :  ich  bekenne  jedoch ,  in  seinem 
Büchern  öfter  gefunden  zu  haben,  dass  er  die  Keuschheit  der 
Geistlichen  und  der  Ehelosen  gelobt  hat.  Indes  ist  der  üble  Ge- 
ruch von  seiner  schmutzigen  Sekte .  welcher  in  Betreff  der  Vor- 
gänge in  ihren  Conventikeln  zu  Tage  kommt,  dazu  angethan,  den 
Urheber  selbst  anzuklagen.  Endlich  fand  ich  jedoch  eine  Ver- 
anlassung zu  jener  ihrer  Meinung  in  seinen  Schriften ,  indem  in 
seinem  Buche  Vom  Pfarramt  c.  29  geschrieben  ist:  »Die  Ehe. 
welche  ihnen  nach  Christi  Gesetz  erlaubt  ist,  hassen  sie  wie  Gift, 
und  nach  weltlicher  Herrschaft .  die  ihnen  von  Christo  untersagt 
ist.  greifen  sie  gar  zu  gierig  . 

1    DoctriiKile,  II.  -l :  Ipsa  rerba  ejus  producentur  in  medium  cum  un- 
notatione  I oc  orum . 
1   a.  a.  O.  III,  34. 

'S)  a.  a.  O.  II,  211.  Noch  im  letzten  Kapitel  des  Werkes  III,  f.  295 
versichert  der  Verfasser:  »Die  hartnackigen  Schüler  übertreffen  noch  den 


346 


Buch  III.    Kap.  4.  IV. 


Aber  auch  abgesehen  von  dem  Verhältniss  zwischen  W  i  c  1  i  f 
selbst  und  seinen  späteren  Anhängern ,  weiss  Netter  auch  die 
Abweichungen ,  welche  zwischen  einzelnen  Lollarden  unter  sich 
statt  fanden,  in  einer  Weise  sich  zu  Nutze  zu  machen ,  welche  an 
die  Taktik  moderner  römischer  Polemiker  gegen  den  Protestan- 
tismus lebhaft  erinnert.  Er  sagt  einmal :  »Ohne  Zweifel  betet  die 
wiclifitische  Sekte,  welche  die  Bilder  verdammt,  in  den  Götzen- 
bildern ihrer  Einbildung  Dämonen  an.  Und  weil  die  Gebilde  ver- 
schiedener Personen  verschieden  sind,  so  ist  die  nothwendige 
Folge,  dass  es  fast  eben  so  viele  Ketzereien  bei  ihnen  gibt,  als 
Köpfe  von  Dichtenden.  Das  bestätigt  auch  die  Erfahrung  bei  den 
Wiclifiten ,  wo  der  Eine  die  Priester  lehrt  eine  Frau  zu  nehmer , 
der  Andere  sich  zu  enthalten.  Der  Eine  erklärt  die  Eucharistie 
für  Brod,  der  Andere  nicht.  Der  Eine  lässt  Bilder  zu,  der  Andere 
schätzt  sie  gering  *) . 

Es  ist  unverkennbar,  Thomas  Netter  von  Waiden  hat  Wi- 
clif's  Werke  und  Standpunkt  förmlich  studirt.  Und  in  dieser 
Hinsicht  steht  er  entschieden  über  allen  seinen  Vorgängern  in  der 
Polemik  gegen  Wiclif  und  die  Lollarden.  Er  kennt  sie  recht 
wohl,  wenigstens  den  Wilhelm  Woodford,  den  er  sogar  einmal 
rühmlich  anführt,  als  den  »andächtigen  Bruder  und  Magister  Wil- 
helm in  seinem  Buche  gegen  den  Trialogus  2;«.  Stellen  wir  eine 
Vergleichung  zwischen  den  Leistungen  beider  an ,  so  können  wir 
Folgendes  feststellen : 

1)  Woodford  hat  sich  dem  Inhalt  und  der  Form  nach  ledig- 
lich an  diejenigen  Sätze  Wi  clif 's  gehalten,  welche  von  der  Lon- 
doner Synode  im  Jahre  1396  verworfen  worden  waren;  während 
Netter  von  Waiden  die  Werke  Wiclif 's  in  einem  weiten  Um- 
fange durchforscht  hat,  und  dieselben  in  seinem  Werke  selb- 
ständig und  methodisch  kritisirt. 

2)  Das  Büchlein  Woodford's  ermangelt  zwar  nicht  aller 
guten  und  gesunden  Gedanken,  ist  aber  im  Ganzen  genommen 


Wahnwitz  ihres  Gewährsmanns,  und  behaupten,  es  dürften  in  den  Kirchen 
beim  Gottesdienste  keine  Lichter  brennen«  u.  s.  w. 

1)  Doctrinale,  III,  280. 

2)  Doctrinale,  II,  IST:  devötus  f rater  et  magister  Guilehnus  in  l Uro  suo 
contra  Trialogum  (dito. 


Thoraas  von  Waiden  verglichen  mit  Wilhelm  Woodford.  347 

doch  von  geringem  Gehalt.  Hingegen  das  grosse  Werk  des  Tho- 
mas von  Waiden  tritt  in  der  schweren  Rüstung  scholastischer 
Gelehrsamkeit  auf ;  dasselbe  hat  mitunter  tüchtige  Beiträge  zur 
Kritik  über  Wiclif  geliefert,  und  ist  nicht  ohne  guten  Grund  zu 
einer  Fundgrube  der  späteren  römischen  Polemik  gegen  die  Re- 
formation des  XVI.  Jahrhunderts  geworden. 

3)  Während  Wilhelm  von  Woodford  es  fast  ausschliesslich 
mit  Wiclif  selbst  zu  thun  hat,  wenigstens  nur  nebenbei  seine 
Anhänger  berührt,  beschäftigt  sich  Thomas  mit  den  Lollarden 
in  einem  sehr  bedeutenden  Maasse,  und  zwar  so,  dass  er  an- 
deutet ,  sie  seien  über  ihren  Meister  theilweise  noch  hinausgegan- 
gen. Dieser  Umstand  erklärt  sich  hauptsächlich  aus  der  vor- 
gerückten Zeit,  denn  seit  dem  Büchlein  Woodford's  waren  25 
Jahre  vergangen. 

4  Diese  Thatsache,  nebst  dem  Lebensgange  Netter's  be- 
dingt endlich  auch  den  Unterschied,  dass  letzterer  offenbar  einen 
weiteren  Blick  besitzt,  einen  europäischen  Horizont  umfasst ,  und 
neben  den  Wirteßstae  nostrates  oder  Lollardi  auch  die  Wicleß- 
stae  Pragenses,  die  böhmischen  Hussiten  berücksichtigt ,  während 
der  Franziskaner  Wilhelm  die  Lollarden  als  eine  partikulari- 
stisch  englische  Erscheinung  ansieht. 

Eine  gerechte  Würdigung  und  billige  Anerkennung  der  bibli- 
schen Erkenntniss  und  der  berechtigten  Reformbestrebungen  W  i  - 
c  1  i  f  s  und  der  Lollarden  im  Grossen  und  Ganzen  finden  wir  frei- 
lich bei  dem  späteren  Polemiker  so  wenig  als  bei  dem  früheren. 
Deshalb  ist  auch  nicht  daran  zu  denken ,  dass  das  Werk  des  Kar- 
meliterprovinzials  auf  die  Partei  der  Lollarden  selbst  irgend  einen 
Einfiuss  geübt  haben  könnte.  Das  hat  der  Verfasser  selbst  sich 
auch  nicht  eingebildet.  Er  bekennt  ja  in  seinem  Vorwort  aufrich- 
tig, er  habe  nur  den  Zweck,  »die  erwählten  Brüder  zu  bewahren 
dass  sie  nicht  auch  kommen  an  diesen  Qrt  der  Qual !« 


Fünftes  Kapitel. 

Vom  Ende  der  blutigen  Verfolgung  bis  zum  Anfang 
der  englischen  Reformation. 
(1431  —  1535). 


I. 

Mit  dem  Jahre  1431  tritt  in  England,  was  die  Lollarden  be- 
trifft ,  eine  Pause  ein.  Wir  hören  nichts  mehr  von  Hinrichtungen, 
welche  »Glaubensakte«  sein  sollten,  ja  nicht  einmal  von  Processen 
vor  den  geistlichen  Gerichtshöfen  gegen  Wiclifiten.  Die  englische 
Hierarchie  scheint  nur  mit  'den  Angelegenheiten  der  Gesammt- 
kirche,  namentlich  mit  dem  Concil  zu  Basel  und  mit  den  Hussiten 
beschäftigt  zu  sein.  Am  20.  August  1432  erliess  der  Erzbischof 
von  Canterbury,  Chichely,  in  Gemässheit  einer  Aufforderung 
des  Concils  von  Basel ,  eine  Verordnung ,  um  Gebete  und  Mess- 
opfer für  die  Bekehrung  der  Böhmen  anzuordnen.  Und  im  Jahre 
1433  fasste  die  Convocation  der  Kirchenprovinz  Canterbury  meh- 
rere Beschlüsse  hinsichtlich  des  Basler  Concils,  vornämlich  in 
Sachen  der  Hussiten.  Man  sprach  sich  mit  Entschiedenheit  gegen 
jede  Concession  der  Kirche  an  dieselben  aus ,  so  lange  sie  darauf 
beharren  würden ,  die  Auktorität  der  Kirche  gering  zu  schätzen  : 
denn  das  sei  eben  das  Prinzip  aller  Irrlehren  und  Ketzereien  1  . 
Wenn  man  diese  Verhandlungen  der  englischen  Provinzialsynode 
liest,  so  muss  man  nur  darüber  staunen,  wie  ganz  ohne  eine  Ah- 
nung davon,  dass  England  selbst  sehr  nahe  dabei  betheiligt  sei. 


1)  Wilkixs.  Concilia  M.  Brit.  III,  öl 0  folg.  V21  folg 


Ende  der  Verfolgung. 


349 


die  Sache  der  Hussiten  als  eine  schlechthin  ausländische  und  voll- 
ständig- fremde  behandelt  wird. 

Zwar  im  Jahre  1435  finden  wir  in  einem  Beschluss  der  Con- 
\  ocation  über  den  regelmässigen  Gebrauch  eines  gewissen  Bann- 
fluches, unter  anderen  Sündern  auch  heretikes  .  "Lollar des  <nul 
fmitors  of  kern  (them)  genannt:  aber  in  welcher  Umgebung?  Vor- 
her gehen  Brandstifter  und  Leute ,  welche  Simonie  oder  Kirchen- 
rauh  begehen,  und  unmittelbar  nachher  kommen  »berüchtigte 
Diebe  und  Käuber 1  « !  Die  Art ,  wie  hier  die  Lollarden  genannt 
sind,  macht  viel  mehr  den  Eindruck  einer  altherkömmlichen  stereo- 
typen Phrase  als  den  einer  Aussprache ,  welche  der  Versammlung 
durch  die  frische  Erfahrung  und  das  Bedürfniss  der  Gegenwart 
abgenothigt  ist. 

Wollten  wir  jedoch  aus  der  Thatsache .  dass  das  englische 
Kirchenregiment  nicht  nur  Jahre,  sondern  Jahrzehnte  lang  mit  den 
Lollarden  nichts  mehr  amtlich  zu  thun  hat,  sofort  den  Schluss 
ziehen ,  dass  dieselben  in  der  That  verschwunden ,  also  in  der 
römisch-katholischen  Kirche  vollständig  aufgegangen  seien,  so 
wäre  das  eine  übereilte  und  trügliche  Folgerung.  Denn  einmal 
ist  das  Schweigen  der  kirchenamtlichen  Urkunden  und  der  Chro- 
niken noch  lange  kein  wirklicher  Beweis  für  das  Nichtvorhanden- 
sein einer  kirchlichen  Erscheinung:  sagt  doch  ein  bekanntes 
Sprüchwort:  stille  Wasser  sind  tief!  Zum  Ander n  ist  es  an  und 
für  sich  gar  nicht  denkbar,  dass,  nachdem  erst  noch  im  Jahre 
1431  und  in  den  nächst  vorhergegangenen  Jahren  bis  1428  zurück 
mehrere  Männer  als  Lollarden  in  Untersuchung  gekommen ,  zum 
Theil  sogar  verbrannt  worden  sind ,  unmittelbar  darauf  die  ganze 
Partei  oder  Sekte  sammt  und  sonders  sollte  verschwunden  sein. 
Vielmehr  ist  es  an  sich  psychologisch  wahrscheinlicher .  und  lässt 
sich  auch  nach  vielfachen  anderweitigen  Erfahrungen  auf  religiö- 
sem Gebiete  weit  eher  erwarten,  dass  eine  religiöse  Gesinnung 
und  Denkart ,  welche  trotz  heftiger  und  blutiger ,  systematisch 
geleiteter  Verfolgungen,  schon  über  ein  halbes  Jahrhundert  ihr 
Dasein  gefristet ,  von  Zeit  zu  Zeit  sogar  einen  neuen  Aufschwung 
genommen  hatte .  durch  Gewaltmittel  zwar  in  den  Hintergrund 


I    WlLKINS,  Com.  M.  B.  III,  524. 


350 


Buch  III.    Kap.  5.  I. 


gedrängt,  aber  nicht  ganz  und  gar  vernichtet  werden  konnte. 
War  das  offene  Bekenntniss  verpönt .  so  zog  es  sich  in  die  Stille 
des  Herzens  zurück .  und  das  Feuer  der  Begeisterung  brannte  in- 
wendig mit  desto  stärkerer  Gluth.  Ohnehin  war  es  schlechthin 
unmöglich,  der  Gesinnung,  die  man  bedrohte,  alle  Luft  zu  ent- 
ziehen ,  die  gegenseitige  Mittheilung  und  Aufmunterung  zwischen 
Einverstandenen  in  vertrautester  Heimlichkeit,  vollständig  zu  ver- 
wehren. Zum  Dritten  kommen  doch  auch  positive  Thatsachen 
zum  Vorschein,  welche  das  stetige  Fortbestehen  der  Lollarden. 
das  wir  laut  des  Bisherigen  voraussetzen  müssen,  wirklich  bestä- 
tigen. Eine  dieser  Thatsachen  besteht  darin,  dass  in  dem  Jahr- 
zehent  von  1430 — 1440  eine  grosse  Menge  von  Abschriften  der 
englischen  Bibelübersetzung  von  Wiclif.  theils  einzelne 
Bücher,  theils  grössere  Partien  umfassend,  gefertigt  worden  sind. 
Und  fast  im  gleichen  Maasse  finden  wir  dergleichen  Abschriften 
aus  dem  Jahrzehent  von  1440 — 1 450 1  .  Wenn  heute  noch,  nach 
420-  440  Jahren,  aus  den  Jahren  1430—1440  ungefähr  30  Hand- 
schriften, und  aus  den  Jahren  1440 — 1450  nahezu  20  dergleichen 
Abschriften  in  England  sich  vorfinden .  so  sind  wir  gewiss  zu  der 
Annahme  berechtigt ,  dass  noch  beträchtlich  mehr  Abschriften  in 
jenen  beiden  Zeiträumen  geliefert  worden  sind.  Und  diese  Bibel- 
handschriften in  der  Muttersprache  haben  ihr  Publikum  gehabt. 
Ihr  Dasein  allein  ist  schon  ein  sicherer  Beweis  dafür,  dass  damals 
in  England  wiclifitische  Bibelsitte  und  wohl  auch  ein  entsprechen- 
des Bibelleben  gewaltet  hat.  — 

Eine  zweite  Thatsache .  welche  das  Fortbestehen  einer  star- 
ken wiclifitischen  Strömung  positiv  bezeugt,  besteht  in  der  Ver- 
ehrung, welche  einem  als  »Ketzer«  hingerichteten  Lollarden  wie 
einem  Heiligen  von  vielen  Seiten  gewidmet  wurde.  Am  15.  Juli 
1 440  erliess  die  Regierung  Heinrich  s  VI.  an  die  Sheriffs  in  sünimt- 
lichen  Grafschaften  den  Befehl,  im  Namen  des  Königs  bekannt  zu 


1.  Vgl.  die  Einleitung  zu  Wyclißte  Versions  of  the  Bible,  Vol.  I.  Auch 
einige  Handschriften  von  englischen  Predigten  Wiclif  s  aus  der  Mitte  des 
XV.  Jahrhunderts  verzeichnet  der  Herausgeber,  Thomas  Arnold  .  Select 
mglish  works  of  John  IVyclif,  Vol.  I.  Oxf.  ls«9.  Introd.  XVIII  folg.  Nr. 
O.  und  J. 


Verehrung  des  hingerichteten  Richard  Wiche, 


:;:,] 


machen,  dass  fortan  niemand  mehr,  bei  Strafe  als  Ketzer  ver- 
urtheilt  zu  werden,  zu  dem  Platze,  wo  Richard  Wiche  hin- 
gerichtet worden  war ,  pilgern  oder  Opfer  hinschicken ,  oder  ihm 
seine  Verehrung-  bezeugen  dürfe  l) .  Die  Verordnung  selbst  lässt 
keinen  Zweifel  darüber  aufkommen,  dass,  nachdem  der  gewesene 
Kaplan  Richard  Wiche  von  dem  Bischof  von  London,  Robert 
Braybrooke  (wahrscheinlich  im  Jahre  1431)  als  »rückfälliger 
Ketzer«  verurtheilt  und  degradirt,  und  sodann  auf  königlichen  Be- 
fehl durch  die  Obrigkeiten  von  London  auf  Towerhill  verbrannt 
worden  war  2  .  viele  Leute  bei  dem  Glauben  blieben,  der  Mann  sei 
durchaus  kein  Ketzer  gewesen,  sondern  habe  als  ein  guter,  ge- 
rechter und  heiliger  Mann  gelebt,  sei  auch  als  solcher  gestorben. 
Ja  man  erzählte  sich  sogar  von  Wundern,  welche  er  nach  seinem 
Tode  gewirkt  habe.  Und  nun  wurde  es  Sitte,  ihn  als  einen  Heili- 
gen zu  verehren.  Die  Leute  pilgerten  zu  der  Stätte,  wo  er  ver- 
brannt worden  war ,  und  verrichteten  ihre  Andacht  daselbst.  Und 
aus  dem  Umstand,  dass  die  königliche  Verordnung  vom  15.  Juli 
1440  an  die  Oberbeamten  sämmtlicher  Grafschaften  erging,  lässt 
sich  entnehmen,  dass  Wallfahrten  von  Lollarden  rings  um  die 
Hauptstadt  aus  weiten  Entfernungen  Sitte  geworden  waren.  Diese 
Verehrung  eines  Mannes  wie  eines  Heiligen ,  der  von  Kirche  und 
Staatsgewalt  als  Ketzer  verurtheilt  und  auf  dem  Scheiterhaufen 
verbrannt  worden  war,  beweist  unleugbar,  dass  im  englischen 
Volk  noch  in  dem  Jahrzehent  von  1430 — 1440  die  wiclifitische 
Gesinnung  überaus  stark  vertreten  war.  Jedenfalls  betrachtete 
man  den  auf  dem  Scheiterhaufen  verbrannten  Richard  Wiche 
als  einen  Märtyrer ,  und  man  hatte  um  so  mehr  Grund  zur  Hoch- 
achtung für  ihn,  als  er  ein  ehrwürdiger  Veteran  war  aus  der 
Blüthezeit  des  Lollardenthums,  und  ein  Mann,  der  einst  als  Reise- 
prediger in  vielen  Gauen  von  England  gewirkt  hatte 3) . 


1    Die  königliche  Verordnung  bei  Foxe,  Acts  and  Mon.  III,  703. 

2)  Der  Zeitpunkt  seiner  Hinrichtung  ergibt  sich  aus  der  Urkunde  nicht. 
Foxe  verlegt  ihn,  aber  ohne  positiven  Grund,  ungefähr  in  das  Jahr  1439. 
Was  die  früheren  Erlebnisse  des  Mannes  betrifft ,  so  ist  zu  vergleichen  oben 
Kap.  4.  III.  S.  319. 

3  Dafür  spricht  selbst  der  Wortlaut  der  königlichen  Verordnung,  welche 
den  Mann  folgendermaassen  charakterisirt ;:  Richard  Wiche,  late  clerk, 


Buch  III.    Kap.  :».  1. 


Um  das  Jahr  1440  wurde  in  England  päpstlicher  Ablass  ver- 
kündigt und  Ablassbriefe  wurden  in  Fülle  angeboten,  so  dass 
die  Leute  sagten  :  »Rom  kommt  jetzt  vor  unsere  Thür!«  Aber  man 
hörte  auch  ganz  anders  sprechen.  Andere  sagten:  »Die  römische 
Kirche  ist  jetzt  die  grosse  Hure,  denn  sie  gibt  sich  jedem  preis, 
der  Geld  gibt!«  Die  römischen  Abhisshändler  gingen  nämlich  so 
weit,  dass  sie  für  ein  Essen,  für  einen  Trunk  Wein  oder  Bier 
ii.  s.  w. ,  den  Ablass  gaben1  .  Sollte  es  gewagt  sein  zu  ver- 
muthen,  dass  die  letztere  Aeusserung.  welche  apokalyptischen 
Ton  und  sittlichen  Abscheu  zu  erkennen  gibt .  aus  Lollardenkrei- 
sen stammte '? 

Zu  den  bisher  angeführten  Umständen  treten  gegen  das  Ende 
der  vierziger  Jahre  eine  Reihe  von  Thatsachen  aus  dem  Leben 
eines  merkwürdigen  Kirchenmannes  jener  Zeit,  des  Dr.  Regi- 
nald Pecock.  Dieser  Mann  hat  ein  bedeutendes  Werk  gegen 
die  Lollarden  geschrieben,  welches  glücklicherweise  auf  uns  ge- 
kommen ist.  Und  dieses  Buch  ist  nicht  etwa  eine  blosse  gelehrte 
Stilübung  gewesen .  welche  sich  auf  eine  damals  bereits  der  Ge- 
schichte anheim  gefallene  Sekte  und  Lehre  bezogen  hätte.  Sondern 
es  handelte  sich  um  ein  praktisches  Bedürfniss  der  Gegenwart, 
um  Berichtigung  und  Widerlegung  von  Ansichten  und  Gesinnun- 
gen ,  welche  bei  einer  beträchtlichen  Partei  in  der  anglikanischen 
Landeskirche  herrschend  waren.  Diese  Thatsache  beweist  schon 
an  und  für  sich,  abgesehen  von  dem  näheren  Inhalt  des  fraglichen 
Werkes,  dass  in  jenem  Zeitpunkt,  vor  der  Mitte  des  XV.  Jahr- 
hunderts ,  die  Lollarden  in  England  noch  keineswegs  verschwun- 
den waren,  vielmehr  eine  nach  Zahl  und  innerer  Bedeutung  immer 
noch  iinsehnliche  Partei  bildeten. 

ir/io  hcretofore,  long  si/tec  licnticalhj  did  hold,  teach  and  publicly  preach 
certain  heresies  and  erroneous  opinions  in  m<t>i;/  places  within  our  realm  of 
England .  —  Vermuthlich  war  es  niemand  anders  als  eben  dieser  Richard 
Wiche,  welcher  im  Jahr  1410  mit  Hus  correspondirte.  vgl.  PALACKY,  /)>>- 
cum.  12  ff .  Der  Name  heisst  hier  zwar  Wichewitze ;  allein  die  beiden  letz- 
ten Silben  sind  zweifellos  tschechische  Zuthat,  wodurch  Patroinjmica  gebil- 
det werden  und  woraus  zahllose  slawische  Ortsnamen  entstanden  sind. 

1)  Nach  einer  Stelle  aus  Thomas  Gascoigxe's  Dictionariinn  theoJogÜMtn, 
welche  Johann  Wolf  in  den  Lectiones  memoruhilrs  IßttO.  Vol.  I.  f.  ST.'t  folg. 
mitgetheilt  hat. 


Reginald  Pecoct. 


Es  ist  auch  nicht  eine  isolirte  literarische  Erscheinung, 
welche  unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nimmt.  Das  ganze 
praktische  Leben  Pecock's  war  in  gewissem  Sinne  der  Arbeit 
an  den  Lollarden  gewidmet.  Grund  genug,  uns  seine  Persönlich- 
keit, sein  Leben  und  Wirken  zu  vergegenwärtigen  *) . 

Reginald  Pecock2),  zu  deutsch  Reinhold  Pfau,  war  aus 

1  Pecock  ist  seit  der  Reformation  mehrfach  Gegenstand  genauerer 
Aufmerksamkeit  gewesen.  Bereits  im  Reformationsjahrhundert  hat  John 
Foye  die  Blicke  der  Protestanten  auf  ihn  gelenkt ,  schon  in  der  ersten 
Ausgabe  seines  später  so  gross  und  berühmt  gewordenen  Werkes :  Com- 
meniarxi  verum  in  ecclesia  (jestarum  maximarumque  —  persecutionum .  Strass- 
burg  1554.  Er  gab  darin  nicht  nur  eine  kurze  Nachricht  über  Pecock, 
sein  Leben  und  seine  Schriften  157  — 172  ,  sondern  auch,  im  An- 
hang, 199  —  203,  einige  Auszüge  aus  denselben.  —  Gegen  das  Ende  des 
XVII.  Jahrhunderts  hat  der  gelehrte  Sammler  Heinrich  "Whartox  einen 
Aufsatz  von  Pecock  theilweise  im  Druck  herausgegeben:  A  Treatise  pro- 
üiftg  Scripture  fo  he  the  Book  of  Faith.  Lond.  1688.  4°.  Der  Herausgeber 
wollte  damit  nachweisen ,  dass  die  Kirche  im  XV.  Jahrhundert  nicht  die 
Tradition,  sondern  die  Schrift  als  die  Nonn  des  Glaubens  anerkannt  habe. 
—  Im  XVIII.  Jahrhundert  bearbeitete  Johann  Lewis,  der  verdiente  Bio- 
graph Wiclif's  als  Nachtrag  zu  seinem  Leben  Wiclif's  vom  Jahr  1720 
an  bis  1725  eine  Lebensbeschreibung  Pecock' s,  die  jedoch  erst  1742  im 
Druck  erschien  unter  dem  Titel:  The  Life  of  the  leamed  and  right  reve- 
rend  Reynohl  Pecock.  Lond.  1742.  8.  Eine  neue  Auflage  ist  1S20  in  Ox- 
ford  erschienen ;  letztere  citiren  wir.  Auch  bei  Lewis,  wie  bei  Wharton. 
ist  das  protestantisch  polemische  Interesse  beträchtlich  stärker  als  das  ge- 
schichtliche. Doch  hat  Lewis  zuerst  erkannt,  dass  Pecock's  Schriften  eine 
schätzbare  Quelle  sind  für  unsere  Kenntniss  von  den  Wiclifiten  im  XV.  Jahr- 
hundert ,  und  von  der  Controverse  zwischen  ihnen  und  der  römisch-katho- 
lischen Kirche  damaliger  Zeit.  —  Im  gegenwärtigen  Jahrhundert  hat  der 
Verfasser  des  gegenwärtigen  Werkes  in  der  Zeitschrift  für  historische  Theo- 
logie 1S54,  2.  168— Ä53i  dritter  Theil  von  »Wiclif  und  die  Lollarden«  u.  s.  w.; 
grossentheils  nach  damals  noch  ungedruckten  Handschriften  in  Cambridge 
und  Oxford,  Beiträge  zur  Kenntniss  Pecock's  gegeben.  Inzwischen  ist 
das  interessanteste  Werk  des  Mannes,  betitelt  The  Repressor,  von  Chur- 
chill BABINGTON  in  Cambridge,  vollständig  herausgegeben,  London  1S60, 
in  2  Bänden  8°.  Die  Ausgabe,  welche  mit  einer  gründlichen  Einleitung  zur 
Lebensgeschichte  und  den  Schriften  Pecock's  versehen  ist,  bildet  einen 
Theil  der  werthvollen  Sammlung  von  Urkunden  und  Schriftstellern  zur 
Geschichte  Grossbritanniens  und  Irlands  im  Mittelalter  ,  welche  seit  185s 
auf  Staatskosten  im  Druck  erscheint. 

2}  Die  Schreibung  des  Namens  schwankt  in  den  Handschriften  zwischen 
Pecock,  Pecok,  Pecokke;  die  moderne  Schreibart  ist  Peacock. 

Lechler,  Wiclif.  II.  23 


354 


Buch  III.    Kap.  5.  I. 


Wales  gebürtig.  Das  ist  alles .  was  wir  über  seine  Herkunft  wis- 
sen. Zeit  und  Ort  seiner  Geburt  sind  nicht  überliefert.  Er  muss 
etwa  1395  geboren  sein,  denn  1417  wurde  er  schon  Fe/low  eines 
College  in  Oxford .  hatte  also  bereits  ausstudirt .  und  das  führt 
auf  jenes  Datum.  Dass  er  aus  dem  Fürstenthum  Wales  stammte, 
ergibt  sich  aus  der  Provisionsbulle  Papst  Eugen' s  IV.  vom  Jahr 
1444.  w  elche  seine  Erhebung  zum  Bischof  von  St.  Assaph  enthält, 
und  ihn  als  presbyter  Menevensis  diöcesis  d.  h.  als  Angehörigen 
des  Sprengeis  von  St.  Davids,  bezeichnet.  Noch  deutlicher  er- 
hellt jener  Umstand  aus  der  Angabe  seines  Zeitgenossen  D.  Tho- 
mas Gaseoigne.  ~  1457.  der  von  ihm  sagt:  Waüicus  orxgine 
fuit 1  .  Er  studirte  zu  Oxford .  im  Oriel-CoUege .  welches  in  den 
dreissiger  und  vierziger  Jahren  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts 
als  ein  Hauptsitz  des  Puseyismus  angesehen  wurde.  Am  30.  Oc- 
tober  1417  erlangte  Pecock  eine  Stelle  als  Fellow  in  demselben 
Collegium.  Die  niederen  kirchlichen  Weihen  erhielt  er  am  21 .  De- 
cember  1419  durch  Richard  Fleming.  Bischof  von  Lincoln, 
unter  welchem,  wie  zu  Wiclif's  Zeit.  Oxford  damals  noch  stand. 
Im  Februar  und  März  1420  folgte  die  Weihe  zum  Diacon  und  zum 
Priester.  Bald  darauf  promovirte  er  zum  Baccalaureus  der  Theo- 
logie und  erlangte  an  der  Universität  den  Ruf  hoher  Gelehrsam- 
keit und  Wissenschaft.  Im  Jahr  1425  wurde  er  an  den  Hof  be- 
rufen :  Prinz  Humphrey  Plantagenet .  Herzog  von  Glocester.  wel- 
cher bei  der  Minderjährigkeit  Heinrich  s  VI.  nebst  seinem  Bru- 
der .  Herzog  Johann  von  Bedford .  und  seinem  Oheim .  Heinrich 
von  Beaufort .  die  Regentschaft  führte .  ein  Freund  der  Wissen- 
schaft und  Gönner  der  Gelehrten,  wandte  ihm  seine  Gunst  zu, 
und  blieb  ihm  bis  an  sein  Ende  1447  stets  wohlgewogen.  Ihm 
verdankte  er  auch  seine  Beförderung  zu  einer  ansehnlichen  geist- 
lichen Stelle  in  der  Hauptstadt. 

Kurz  vorher  hatte  Sir  Richard  Whit tington,  der  welt- 
berühmte mehrmalige  Lordmayor  von  London .  die  St.  Michaels- 
kirche in  der  City  restauriren  lassen ,  und  sich  entschlossen .  ein 


1  Dictionan'inn  theohxjienm .  HS.  in  Lincoln-College,  Oxford:  der  be- 
treffende Abschnitt  ist  daraus  abgedruckt  bei  Babington.  Reprcssor .  II. 
621  folg. 


Lebensgang  Pecocks. 


355 


zu  dieser  Pfarrkirche  gehöriges  College  nebst  einem  Hospital 
für  Arme  zu  stiften :  das  College  war  für  einen  Vorstand  Ma- 
ster .  welcher  zugleich  Reetor  (Hauptpfarrer]  der  Michaels- 
kirche war,  und  für  vier  Fellows  bestimmt,  welche  zugleich  als 
Kaplane  an  der  Kirche  dienten,  während  im  Hospital,  welches 
OstHcfa  an  das  College  stiess .  13  Arme  Aufnahme  fanden  1  .  Nun 
wurde  Pecock  am  19.  Juli  1431  zum  Meister  dieses  Stifts  und 
zum  Reetor  der  Kirche  ernannt.  In  dieser  Stellung  hat  er 
13  Jahre  in  London  zugebracht2  .  Dieses  Pfarramt  in  der  Haupt- 
stadt, welche  von  jeher  ein  Hauptsitz  des  Wiclifitenthums  ge- 
wesen war .  brachte  ihn  in  persönliche  Berührung  mit  Lollarden  ; 
und  er  erzählt  selbst  davon:  »Ich  habe  oftmals  und  geraume  Zeit 
mit  den  verständigsten  und  unterrichtetsten  Leuten  von  diesem 
Schlage,  welche  der  Kirche  zuwider  sind,  gesprochen,  mit  Leu- 
ten, welche  als  Führer  unter  ihnen  gelten,  und  sie  haben  mich 
lieh  gewonnen  dafür,  dass  ich  ihre  Beweise  und  Beweggründe 
geduldig  anhören  mochte,  ohne  ihnen  Vorwürfe  zu  machen3  .« 
Während  dieser  Londoner  Amtsführung  hat  er  jedenfalls  auch  die 
meisten  seiner  Bücher  geschrieben. 

Allein  Pecock  gelangte  noch  zu  höheren  Würden  in  der 
Kirche.  Herzog  Humphrey .  sein  mächtiger  Gönner .  wusste  ihn 
durch  Empfehlung  beim  Papste  zu  einem  Bisthum  zu  befördern. 
Am  22.  April  1444  erliess  Eugen  IV.  die  Provisionsbulle,  kraft 
der  er.  seiner  Gelehrsamkeit,  reinen  Charakters  und  Wandeis. 
seiner  Umsicht  und  anderer  Vorzüge  halber,  zum  Bischof  von  St. 
Assaph  in  Flintshire .  Nord- Wales,  ernannt  wurde.  Der  Erz- 
bischof  von  Canterbury,  Johann  Stafford,  ertheilte  ihm  in  seiner 
Kapelle  zu  Croyden  die  Bischofsweihe;  auch  erhielt  er  jetzt  die 
theologische  Doctorwürde. 


1)  DUGDALE .  Monasticum  anglieanum.  a  new  edition  —  hy  J.  Caley, 
H.  E Iiis  and  Ree.  B.  Bandinei,  Vol.  VI.  3.  73S.  Lond.  1S30.  Das  Hos- 
pital oder  Pfründnerhaus  besteht  heute  noch. 

2;  Er  erwähnt  seinen  Aufenthalt  im  Whittington-College  zu  London, 
Repressor,  I,  112. 

3  In  einer  Stelle  des  I.  Theils  vom  Book  of  Faith.  welche  Lewis  232. 
Anm.  aus  der  Handschrift  mittheilt. 

23*  • 


356 


Buch  III.    Kap.  5  I. 


Bereits  nach  sechs  Jahren  wurde  er  zu  einem  ansehnlicheren 
Bisthum .  dem  von  C  h  i  c  h  e  s  t  e  r  im  Süden  Englands .  befördert. 
Allein  Hofränke  und  politische  Parteiungen .  verbunden  mit  An- 
stössen,  welche  Pecock  als  Theologe  und  Schriftsteller  gegeben 
hatte,  führten  zu  seinem  Sturz.  Hier  sei  nur  so  viel  im  voraus 
bemerkt:  es  wurde  1457  ein  förmlicher  Ketzerprocess  gegen  den 
Bischof  eingeleitet .  in  Folge  dessen  er  sich  zum  öffentlichen 
Widerruf  bewegen  Hess :  nun  wurde  er  aus  dem  Hause  der  Lords 
ausgestossen ,  nachher  seines  bischöflichen  Amtes  entsetzt  und  in 
ein  Kloster  gesperrt ,  wo  er  gestorben  ist .  man  weiss  nicht  wann 
und  nicht  wie.  Aber  so  viel  ist  gewiss:  er  fiel  als  ein  Opfer  der 
Lehre  von  der  Unfehlbarkeit  der  Kirche ! 

Wenden  wir  uns.  nach  diesem  flüchtigen  Blick  auf  das  tragi- 
sche Schicksal  des  Mannes  ,  zu  seinem  Denken  und  Wirken  .  um 
zu  erkennen,  welchen  Standpunkt  er  einnahm,  insbesondere  aber 
—  was  der  Zweck  unserer  Erörterung  ist  —  um  den  Stand  der 
wiclifitischen  Sache  durch  ihn  kennen  zu  lernen. 

Hiebei  zieht  vor  allem  eine  Predigt  unsere  Aufmerksamkeit 
auf  sich,  welche  Pecock,  noch  als  Bischof  von  St.  Assaph,  im 
Jahre  1447  beim  St.  Paulskreuz  in  London  gehalten  hat. 

Auf  dem  Kirchhofe  der  St.  Paulskirche .  der  Kathedrale  von 
London,  war  im  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  ein  ansehnlicher 
Kaum  mit  einem  Bleidache  überdeckt,  ohne  durch  Wände  ge- 
schlossen zu  sein:  auf  dem  Dache  stand  ein  hohes  Kreuz:  im 
Innern  war  eine  Kanzel  angebracht.  Der  Bau  war  schon  1299 
zum  Behuf  der  Predigt  geweiht  worden,  später  verfallen,  und  erst 
1 425  wieder  hergestellt  worden.  Hier  beim  St.  Paulskreuz  (//>>/</ 
üftecem,  oder  apud  altam  crucem  m  cometerio  S.  Pauli  hatten 
Predigten  und  kirchliche  Akte,  auch  Widerrufe  und  dergleichen, 
die  grösstmogliche  Oeffentlichkeit  und  Feierlichkeit 1  .  Eine  Pre- 
digt »am  Kreuz«  hatte  die  mächtigste  Anziehungskraft  für  die  grosse 
Menge.  Noch  im  XVI.  Jahrhundert  bemühten  sich  hochgestellte 
Personen  irgend  einen  berühmten  evangelischen  Kedner  für  Pre- 

1  Hier  hatten  die  wiclifitischen  Kaplane,  Thomas  Garenter  und  Ri- 
chard Monk  1428  ihren  Widerruf  erklären  müssen.  Wilkins,  Conc.  III, 
502.  Vgl.  451.  1.V7.  516  u.  s.  w. 


Verstimmung  des  Volks  gegen  die  Bischöfe. 


:r>7 


d  igten  am  Kreuze«  zu  gewinnen1  .  Bier  war  es  auch,  wo  Pecock 
1117  eine  Predigt  hielt,  welche*  grosses  Aufsehen  machte  und. 
nach  der  Meinung  mancher  Leute.  Unheil  stiftete. 

Der  freisinnige  und  aufgeklärte  Bischof  sprach  vom  bi- 
schöflichen Amt.  Er  ging  darauf  aus.  einerseits  gewissen- 
hafte Bedenken  zu  lösen .  andererseits  voreiligen  Tadel  und  un- 
begründete Vorwürfe  zurückzuweisen.  Es  war  ihm  nicht  unbe- 
kannt, dass  manche  seiner  Amtsbrüder  sich  Gewissensskrupel 
darüber  machten,  ob  sie  nicht  eigentlich  die  heilige  Pflicht  hätten, 
dem  Volk  in  ihrem  Sprengel  zu  predigen  und  schon  um  deswillen 
in  demselben  ihren  wesentlichen  Wohnsitz  zu  nehmen .  während 
sie.  der  Sitte  und  den  obwaltenden  Verhältnissen  gemäss,  anders- 
wo sieh  aufhielten.  Und  diese  Skrupel  konnten  einem  gottes- 
fürchtigen  Mann,  zumal  wenn  es  mit  ihm  zum  Sterben  kam. 
grosse  Noth  machen.  Solche  Zweifel  und  Bedenken  glaubte  Pe- 
cock lösen  zu  können  und  zu  sollen.  Andererseits  hörte  man 
aber  auch  leichtfertige  und  absprechende  Urtheile  fällen:  Bi- 
schöfe, welche  nicht  selbst  predigten,  oder  anderweitiger  Pflich- 
ten wegen  (z.  B.  wegen  Staatsämtern)  von  ihren  Diöcesen  ab 
wesend  waren  .  begegneten  nicht  selten  grosser  Misstimmung  und 
kränkender  Herabsetzung .  so  dass  ihr  persönliches  Ansehen  und 
ihr  amtlicher  Einfluss  gelähmt  wurde.  Und  es  war  gerade  die 
wiclifitische  Partei  im  englischen  Volke .  welche  über  die  Geist- 
lichkeit überhaupt  ungehalten  war.  weil  sie  die  Predigt  des 
Worts  zu  sehr  hintansetzte .  insbesondere  aber  über  die  Bischöfe, 
weil  man  begreiflicher  und  berechtigter  Weise  ihnen  die  Schuld 
davon  beimass .  dass  die  Pfarrgeistlichkeit  und  der  niedere  Kle- 
rus zu  wenig  predigte.  Hatte  doch  seiner  Zeit  Erzbischof  Arun- 
de 1  von  Canterburv.  um  der  wiclifitischen  Reisepredigt  zu  steu- 
ern, alle  Reiseprediger  einer  strengen  Controle  unterworfen,  ja 
die  Predigt  überhaupt  mit  Ungunst  und  einem  gewissen  Mistrauen 
behandelt.  Natürlich  waren  die  Lollarden  in  Pecock  s  Zeit,  als 
die  Oppositionspartei  in  der  Kirche .  darüber  unzufrieden .  dass 
die  Bischöfe  nicht  in  eigner  Person  predigten,  oder  wenn  sie  je 
eine  Predigt  hielten,  nicht  recht  predigten,  überhaupt  ihr  Amt. 


1    Willmot.  Bishop  Jeremy  Taylor,  2.  ed.  1S4S.  4(>  folg. 


358 


Buch  III.   Kap.  5.  I. 


leicht  nahmen,  ihren  Sprengel  hintansetzten  u.  s.  w.  Es  mochte 
wohl  vorkommen,  dass  sogar  römisch  denkende  Leute,  falls  sie  von 
ernster  Gesinnung  beseelt  waren ,  solche  Urtheile  fällten ;  haupt- 
sächlich aber  gingen  letztere,  und  in  schonungsloser  Schärfe,  von 
den  Lollarden  aus ;  überdies  mochten  viele  in  der  grossen  Menge, 
ohne  gerade  zu  den  Lollarden  zu  gehören ,  in  den  Ton  des  Un- 
muths  einstimmen ,  welchen  diese  zuerst  angegeben  hatten.  Wir 
wissen  aus  dem  Bericht  eines  dem  Bestehenden  so  ergebenen, 
streng  römischen  Mannes  wie  Dr.  Gascoigne,  eines  Zeitgenos- 
sen von  Pecock,  es  stand  so,  dass  das  Volk  sich  nicht  scheute, 
öffentlich  auf  der  Strasse  gegen  die  Bischöfe  zu  murren  und  zu 
sprechen:  »Wehe  euch,  ihr  Bischöfe,  die  ihr  so  reich  seid,  die  ihr 
es  gerne  habt,  wenn  man  euch  Herren  Lords  nennt  und  vor 
euch  auf  die  Knie  niederfällt ,  die  ihr  mit  einem  Gefolge  von  vie- 
len prächtigen  Pferden  ausreitet ,  aber  nichts  thun  möget  für  die 
Rettung  der  Seelen  durch  die  Predigt  des  Worts!«  Ferner 
hörte  man  sagen  :  »Entweder  sie  verstehen  nichts  vom  Predigen, 
weil  sie  viel  zu  sehr  in  weltliche  Geschäfte  und  sinnliche  Er- 
götzungen verwickelt  sind ,  oder  sie  können  nicht  aufrichtig  pre- 
digen ohne  gegen  Sünden  zu  zeugen,  deren  sie  sich  selbst  schul- 
dig wissen ;  und  wenn  sie  je  predigen ,  so  handeln  sie  nicht  von 
guten  Werken ,  welche  sie  ja  selber  nicht  thun ,  sondern  verspot- 
ten und  bewitzeln  diejenigen,  welche  sich  eine  Pflicht  daraus 
machen,  solche  Werke  zu  thun,  oder  schätzen  sie  wenigstens 
nicht1)!«  Und  über  den  Handel  mit  Kirchenämtern,  über  die 
Summen ,  die  dafür  an  die  Kurie  gezahlt  wurden ,  auch  über  die 
Abwesenheit  der  Bischöfe  von  ihren  Kathedralkirchen  und  Spren- 
gein sind  auf  den  Concilien  zu  Constanz  und  Basel  so  laute  Kla- 
gen geführt ,  zum  Theil  Beschlüsse  zur  Abstellung  solcher  Uebel- 
stände  gefasst  worden,  dass  das  Echo  davon  in  allen  Landes- 
kirchen zu  hören  sein  musste.  Namentlich  war  England  dabei 


1  Thomas  Gascoigne,  in  einer  Stelle,  welche  Lewis  IS  folg.  an- 
führt. Diese  Stimmen  des  Volkes  um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  erin- 
nern lebhaft  an  die  Gedanken,  -welche  am  Ende  des  XIV.  in  der  Volks- 
dichtung Plowmtuis  Tale  ausgesprochen  sind;  vgl.  oben  Buch  III.  Kapi- 
tel 1.  II.  S.  39  folg. 


Verstimmung  des  Volkes  gegen  die  Bischöfe. 


359 


betheiligt.  Hier  hatten  schon  ein  starkes  Jahrhundert  zuvor, 
unter  der  kräftigen  Regierung  Eduard  s  III. .  Krone  und  Parla- 
ment Hand  in  Hand  die  Rechte  und  Interessen  des  Landes  gegen- 
über der  Kurie  und  ihren  Kreaturen  mit  ihrer  Anmaassung  und 
Habsucht  gewahrt,  und  deshalb  Provisionen  und  Annaten  und  die 
Abwesenheit  der  nominellen  und  finanziellen  Stelleninhaber  von 
ihren  Amtssitzen  als  in  einander  geschlungene  Uebel  bekämpft. 
Das  wirkte  immer  noch  nach.  Im  Zeitalter  Pecock's  war  es  in 
England  eine  gemeine  Rede  geworden:  es  seien  drei  Dinge,  wel- 
che in  England  einen  Mann  zum  Bischof  machen ,  nämlich  der 
Wille  des  Königs,  der  Wille  des  Papstes  oder  des  römischen  Hofs, 
und  eine  Masse  Geld,  an  den  römischen  Hof  bezahlt,  d.  h.  meh- 
rere tausend  Pfund  englischen  Geldes ,  welche  hier  zu  Lande  an 
die  Lombarden  Bankiers  gegen  Wechsel  ausbezahlt  werden; 
und  dadurch  verarme  das  Königreich  1  !  Derselbe  Gewährsmann, 
dem  wir  diese  Mittheilungen  verdanken,  constatirt  auch,  dass  vor 
Heinrich  VI.  die  Könige  von  England  zu  Beichtvätern  in  der  Re- 
gel solche  Theologen .  welche  kein  Kirchenamt  bekleideten ,  ge- 
wählt haben,  z.  B.  Heinrich  V.  den  Dr.  Thomas  von  Waiden:  da 
haben  dann  die  Bischöfe  sich  ihrem  Amte  widmen  können.  Allein 
unter  Heinrich  VI.  1422 — 1460  sei  das  anders  geworden.  Da 
sei  z.  B.  der  Bischof  von  Norwich,  Walter  Hart  aus  CornwalL 
Beichtvater  der  Königin  gewesen ,  und  habe  sich  am  Hofe  auf- 
gehalten .  während  andere  Prälaten  hohe  Staatsämter  annahmen 
und  dadurch  ihrem  Kirchenamte  entzogen  wurden:  der  Erz- 
bisehof von  Canterbury ,  Johann  Stafford  1443 — 1452  .  sei 
Kanzler  von  England  geworden,  der  Bischof  von  Chichester, 
Adam  Mole y n s  der  unmittelbare  Vorgänger  Pecock's  in  dem 
genannten  Bisthum  ,  Geheimsiegelbewahrer.  Andere  Bischöfe 
pflegten .  ohne  durch  Staatsämter  behindert  zu  sein ,  dennoch  aus 
anderen  willkürlichen  Beweggründen  sich  nur  selten  in  ihrem 


1)  Buchstäblich  aus  Gascoigxe,  Dictionarium  theo/.  MS.  I,  438,  beim 
Wort  Episcopus,  s.  bei  Lewis,  Pecock,  22.  Derselbe  Gewährsmann  sagt  in 
einer  Stelle,  welche  Babington,  Einl.  zum  Repressor,  XXXI.  Anm.  3  mit- 
theilt: Ab  anno  Christi,  in  quo  fui  natus  1403  ,  non  novi  promotos  esse  in 
ecclesia,  qui  sciunt.  possunt  et  solent  debito  modo  animabus  prodesse. 


360 


Buch  III.    Kap.  5.  I. 


Sprengel  aufzuhalten.  So  wird  von  Johann  K e in p  .  welcher  zu- 
erst Bischof  von  Rochester  .  dann  von  London .  hierauf  Erzbisehof 
von  York  und  zuletzt  1452 — 1453  von  Canterburv  gewesen  ist. 
berichtet,  dass  er  während  der  10 — 12  Jahre,  wo  er  Erzbischof 
von  York  war .  im  Ganzen  nur  einige  Wochen  lang  sich  in  seiner 
Diöcese  aufgehalten  habe,  in  der  Stadt  York  aber  nur  etliche  Tage 
oder  gar  nicht ;  die  übrige  Zeit  habe  er  theils  in  London  .  theils 
in  der  Grafschaft  Kent  aus  der  er  gebürtig  war  .  oder  sonstwo 
in  England  zugebracht.  Der  Bischof  von  Salisbury .  Wilhelm 
Askew.  welcher  Heinrichs  VI.  Beichtvater  war  und  stets  am 
Hofe  blieb,  wurde  zuletzt  in  seiner  Diöcese  vom  Pöbel  umge- 
bracht, der  ihn  zuvor  noch  ln'diivte  und  schmähte,  mit  den  Worten  : 
Der  Kerl  hat  immer  beim  König  gelebt  und  ist  sein  Beichtvater 
gewesen .  und  hat  nicht  in  seinem  Sprengel  bei  uns  gewohnt  noch 
Gastfreundschaft  geübt;  deshalb  muss  er  um  s  Leben  kommen ! 
Ferner  werden  uns  mehrere  Männer  genannt .  welche  in  jenem 
Zeitalter .  ohne  persönlich  würdig  zu  sein  und  ohne  kirchenord- 
nungsmässige  Wahl,  nur  auf  dem  Wege  päpstlicher  Provision  zn 
hohen  Kirchenwürden  in  England  gelangten,  z.  B.  Wilhelm 
Boothe.  Bischof  von  Coventry  1447.  nachher  Erzbischof  von 
York.  1452;  Georg  Nevil,  welcher  vom  Papste  zum  Bischof  von 
Exeter  befördert  wurde .  als  er  erst  23  Jahre  alt  war :  während 
Erzbischof  Lushborough  von  Rouen  im  Jahre  143s  durch 
päpstliche  Yerleihung  nebenbei  das  Bisthum  Ely  in  England  er- 
hielt. Kurz,  es  wird  uns  auf  glaubhafte  Weise  versichert,  dass 
'  damals  um  die  Mitte  des  XV*  Jahrhunderts  in  England  durch 
Abwesenheit  der  Prälaten  und  Pfarrer  von  ihren  Amtssitzen  und 
Gemeinden,  durch  Anhäufung  von  mehreren  Pfründen  in  einer 
Hand .  durch  Aneignung  von  Einkünften  der  Pfarrstellen  an  Stif- 
ter und  Klöster,  durch  Aemterhandel .  Beförderung  ungelehrter 
und  sittlich  unwürdiger  Männer  und  andere  Misbräuche  ähnlicher 
Art.  die  Seelsorge  so  gut  wie  vernichtet  und  das  kirchliche  Wesen 
überhaupt  gründlich  zerrüttet  gewesen  sei 1  . 

Das  waren  die  Früchte  einer  50jährigen  Keaction ,  welche 

1)  Durchweg  aus  Gascoignks  handschriftlichem  Dictionarium  theo1. 
nach  den  Mittheilun^en  von  Lewis.  1  ^  —  22. 


Kirchlicher  und  wissenschaftlicher  Verfall  Englands. 


unter  der  Dynastie  baneaster  durch  vereinigte  Kräfte  der  Hierar- 
chie und  der  Staatsgewalt,  alle  evangelischen  Gedanken  und 
Elefctrmhestrebungen  der  wtclifitischen  Partei  auszulöschen  und  zu 
vernichten  bemüht  gewesen  war.  Uns  letztere  Ziel  hatte  man 
allerdings  nicht  zu  erreichen  vermocht.  Die  Lollarden  standen 
immer  noch  auf  dem  Plan,  mit  ihrem  Schriftprinzip,  ihrer  kirch- 
lichen Opposition  und  ihren  Reformgedanken.  Wohl  aber  hatte 
man  es  zu  einer  grenzenlosen  Zerrüttung  des  kirchliehen  Lebens 
und  zu  einer  verrotteten  Prälatur  und  Klerisei  gebracht.  Und  es 
ist  nicht  eine  oppositionelle  Partei,  welche  diesen  Jammer  zur 
Sprache  bringt,  sondern  ein  vollkommen  unverwerflicher  Zeuge, 
ein  ganz  päpstlich  gesinnter  und  streng  römisch-orthodox  denken- 
der Mann.  Thomas  Gascoigne,  welcher  mehrere  Jahre  1443— 
1115  als  Kanzler  an  der  Spitze  der  Universität  Oxford  gestan- 
den ist. 

Ueberdies  wird  dieses  Zeugniss  in  schlagender  Weise  bestä- 
tigt durch  klägliche  Vorstellungen .  welche  schon  im  Jahre  143S 
von  beiden  Universitäten,  Oxford  und  Cambridge,  in  ähnlichen  und 
Gast  gleichzeitigen  Eingaben  an  die  Frühjahrsconvocation  durch 
den  damaligen  Kanzler  von  Oxford.  Richard  Carpent er.  per- 
sönlich überreicht  worden  sind,  zugleich  mit  einem  Schreiben 
Heinrich's  VI. ,  an  welchen  sich  beide  Universitäten  schon  das 
Jahr  zuvor  gewendet  hatten.  Beide  klagen  über  Zurückgehen  und 
Verfall.  Oxford  sagt,  in  früheren  Zeiten  seien  viele  Tausende 
von  Studirenden  dort  gewesen,  jetzt  seien  keine  tausend  mehr 
da.  Es  möge  zum  Theil  die  Verarmung  des  Königreichs,  in  Folge 
von  Kriegen,  Miswachs  und  Theuerung.  daran  Schuld  sein.  Aber 
ein  Hauptgrund,  aus  welchem  so  wenige  Lust  haben,  die  Univer- 
sität zu  beziehen .  liege  unbedingt  in  dem  Mangel  an  Aussicht  auf 
Belohnung  des  Fleisses ,  des  Studiums  und  der  Tugend  durch 
Ehren,  Würden  und  Aemter.  Dadurch  werde  alle  Freudigkeit 
gelähmt.  Es  sei  Thatsache.  dass  die  unterrichtetsten  und  be- 
rühmtesten Männer .  welche  billig  und  von  Rechts  wegen  beför- 
dert und  zu  höheren  Würden  der  Kirche  erhoben  werden  sollten, 
einfach  bei  Seite  geschoben  werden ,  so  dass  sie  am  Ende  ohne 
irgend  eine  Belohnung  ihres  Studiums  ihre  Tage  schliessen  müs- 
sen, während  einfältige  Leute .  ohne  alle  wissenschaftliche  Bil- 


362 


Buch  III.    Kap.  5.  I. 


dung,  befördert  werden.  Es  sei  tief  zu  beklagen,  dass  der  Wein- 
berg des  Herrn  Zebaoth  so  unverständigen  und  ungelehrten  Wein- 
gärtnern zur  Bearbeitung  übergeben  werde.  Die  Bischöfe  mögen 
doch  zuerst  des  Glaubens  Genossen  versorgen ,  nämlich  diejeni- 
gen, welche  ihre  Lichter  brennend  in  den  Händen  tragen  und 
durch  Sittlichkeit  und  Wissenschaft  sich  empfehlen.  Und  die 
Universität  Cambridge  spricht  sich  theilweise  fast  noch  stärker 
aus.  Sie  scheut  sich  nicht  zu  sagen,  die  Kirche  sei  derzeit  unge- 
lehrten Führern  anheimgegeben,  deren  zuchtloser  Wandel  anderen 
zum  Aergerniss  werde ,  und  deren  Blindheit  sie  in  die  Grube  der 
Irrlehren  und  Ketzereien  führe.  »Dieser  Art  —  heisst  es  weiter  — 
sind  heutzutage  die  Pfarrer ;  und  da  den  wissenschaftlich  eifrigen 
kein  Vorzug  zu  Theil  wird,  so  ist  es  kein  Wunder,  wenn  die  Ehre 
der  Kirche  täglich  abninfnit  und  ihre  Auktorität  verachtet  wird l) .« 

Der  Entschluss ,  angesichts  so  schreiender  Uebelstände  sich 
zum  Vertheidigen  des  Bestehenden  aufzuwerfen ,  erforderte  einen 
kühnen  Muth.  Und  den  besass  Dr.  Pecock.  Er  war  zwar  nicht 
gewillt ,  wirkliche  Misbräuche  in  Schutz  zu  nehmen ,  sondern  nur 
den  voreiligen  und  leidenschaftlichen  Urtheilen,  welche  »das  Kind 
mit  dem  Bade  ausschütteten«,  entgegenzutreten.  Dass  er  aber  die 
Absicht  hatte ,  theils  die  gewissenhaften  Bedenken  der  Einen  zu 
lösen,  theils  den  leidenschaftlichen  und  maasslosen  Tadel  der 
Andern  zurückzuweisen,  beruht  nicht  auf  blosser  Vermuthung, 
sondern  auf  seinem  eigenen  Bekenntniss  ,  das  er  nachträglich  zur 
Rechtfertigung  des  Schrittes,  den  er  gcthan,  ablegte 2) . 

In  der  Predigt,  die  er  1447  beim  St.  Paulskreuz  hielt,  stellte 
Pecock  folgende  Sätze  auf: 


]  Diese  höchst  interessanten  Denkschriften  sind  in  der  Conciliensamm- 
lung  von  Wilkins,  III,  52S  —  530  vollständig  abgedruckt.  —  Vgl.  hiemit 
die  Bemerkung  von  Gascoigne,  welche  oben  S.  359  in  der  Anm.  ge- 
geben ist. 

2)  In  einer  Eingabe  an  den  Erzbischof,  worin  er  seine  Predigt  recht- 
fertigt, Handschrift  117  der  Bodleianischen  Bibliothek  in  Oxford,  f.  11  — 13, 
unter  dem  falschen  Titel:  Abrenuntiatio ,  abgedruckt  von  Babing  ton  un- 
ter dem  Titel:  Abhrcviatio  Reginalde  Pecock,  im  Rcpressor ,  II,  (»15  folg. 
erwähnt  Pecock  drei  Motive,  von  denen  er  sich  habe  leiten  lassen;  vgl. 
Wiclif  und  die  Lollarden  in  Zeitschrift  für  hist.  Theol.  1^54.  177  folg. 


Pecocks'  Sätze  vom  bischöflichen  Amt. 


363 


1)  Niemand  kann  beweisen,  dass  ein  Bischof  als  solcher  ver- 
pflichtet sei,  in  eigener  Person  dem  gemeinen  Volke  seines  Spren- 
geis zu  predigen. 

2  Bischöfe  sollten  sich  selbst  nicht  für  verpflichtet  halten,  in 
eigener  Person  dem  Volk  ihres  Sprengeis  zu  predigen  ,  sofern  sie 
Bischöfe  sind  über  die  Pfarrgeistlichen ;  sondern  sie  sollten  dafür 
halten,  dass  sie  frei  seien  von  dieser  Amtslast. 

3  Bischöfe  als  solche  sollen  eine  reichere  Kenntniss  der 
christlichen  Religion  besitzen  in  Gegenständen,  worüber  unter- 
geordnete Pfarrgeistliche  zu  predigen  und  zu  lehren  haben ,  und 
eine  grössere  Wissenschaft .  um  schwierige  Fragen  lösen  zu  kön- 
nen, als  untergeordnete  unmittelbare  Seelsorger  zu  haben  brauchen. 

4  Bischöfe  haben  Vollmacht  das  Werk  der  Predigt  zu  üben 
und  wieder  aufzugeben,  wann  es  ihnen  beliebt,  gleichwie  sie 
diese  Vollmacht  in  Betreff  jedes  anderen  Werks  der  Seelsorge 
auch  haben:  nur  dass  sie  dadurch  nicht  an  einem  besseren  Werke 
ihrer  eigentlichen  Amtspflicht  gehindert  werden. 

5  Bischöfe  können  aus  verschiedenen  Gründen  sich  von 
ihrem  Sprengel  entfernen  und  ausserhalb  desselben  ihren  Wohn- 
sitz nehmen,  auf  unschuldbare,  ja  verdienstliche  Weise. 

6)  Es  kann  ein  nützlicheres  Werk  an  den  Seelen  der  Christen 
getrieben  werden,  als  das  der  Predigt. 

7  Weder  der  Papst ,  noch  die  Bischöfe  von  England  machen 
sich  damit  der  Simonie  schuldig ,  dass  sie  ihr  Bisthum  vom  Papst 
durch  Provision  erhalten  und  dem  Papst  die  »ersten  Früchte«  ihres 
Bisthums  entrichten 1  . 

Alle  7  Sätze  haben  zu  ihrem  Gegenstand  das  bischöfliche 
Amt:  die  Sätze  1 — 4  und  6 2  handeln  von  den  Amtsverrichtun- 
gen, der  5te  von  dem  Aufenthalt  des  Bischofs,  der  7te  von  seinem 
Gelangen  ins  Amt.   In  Betreff  der  Amtsobliegenheiten  ist  Pe- 


1  Wir  haben  hier  die  sieben  Sätze  so  kurz  und  bündig  wie  möglich, 
aber  in  der  Sache  getreu  wiedergegeben.  Das  Original  s.  bei  Babixgtox, 
Repressor,  616  folg. 

2  Lewis,  Pecock,  43  folg.  stellt  die  6te  und  5te  These  um.  und  bringt 
dadurch  in  die  Keine  eine  bessere  logische  Ordnung.  Allein  wir  folgen  dem 
Original,  da  die  Ordnung  der  Sätze  bei  Lewis,  wie  es  scheint,  lediglich 
auf  dem  persönlichen  Erachten  des  modernen  Verfassers  beruht. 


Buch  III.    Kap.  5.  I. 


cock's  Grundgedanke,  wenn  auch  nicht  mit  runden  Worten  aus- 
gesprochen, kein  anderer  als  der:  das  bischöfliche  Amt  ist  nicht 
Kirchend iens t.  sondern  Kirchenleitnng,  Kirchenregiment, 
nicht  unmittelbare  Seelsorge  an  dem  Volk  (den  Gemeinden  ,  son- 
dern Oberaufsicht  und  Leitung ,  zunächst  über  die  Pfarrer .  Seel- 
sorger und  Prediger  selbst.  Eben  deshalb  ist  nicht  das  Pre- 
digtamt die  eigentliche  und  unmittelbare  Pflicht  des  Bischofs 

(1  und  2  ,  obwohl  er  das  Recht  und  die  Vollmacht  dazu  aller- 
dings ebenfalls  besitzt  (4  .  Dazu  kommt  aber  nach  ihm  noch 
ein  anderer  Grund :  es  gibt  etwas  für  die  Seelen  nützlicheres  und 
nöthigeres  als  die  Predigt  'Satz  6).  nämlich  die  religiöse  Un- 
terweisung; deshalb  muss  ein  Bischof  sich  durch  ausgebreitete 
und  gründliche  Erkenntniss  und  Wissenschaft  auszeichnen ,  um 
schwierige  Fragen  lösen  und  die  ihm  untergebenen  Geistlichen  in 
Betreff  ihrer  Predigt  und  Unterweisung  richtig  leiten  zu  können 

Satz  3  .  Der  allerletzte  Satz  vertheidigt  die  päpstlichen  Provi- 
sionen und  die  Entrichtung  des  ersten  Jahreseinkommens  an  den 
Papst  gegen  den  Vorwurf  der  Simonie.  Der  5te  Satz  nimmt  die 
zeitweilige  Abwesenheit  eines  Bischofs  von  seinem  Amtssitze  die 
non-residence  in  Schutz  ,  erklärt  sie  wenigstens  nach  Umständen 
für  erlaubt,  ja  pflichtmässig. 

Der  Form  nach  sind  die  Sätze  eigentliche  Thesen,  Streit- 
sätze,  kategorische  Behauptungen,  ohne  Begründung  und  Beweis. 
Man  sieht  ihnen  auf  den  ersten  Blick  an ,  dass  der  Verfasser  ent- 
gegenstehende Ansichten  bei  einigen  Zeitgenossen  voraussetzt 
und  bekämpft.  Die  7  Sätze  waren  natürlich  nicht  in  dieser  Fas- 
sung vorgetragen  worden:  es  war  ja  eine  Predigt,  die  Pecock 

am  Kreuze«  gehalten  hat.  Er  hat  nur  nachträglich  die  Anschauun- 
gen, von  welchen  er  in  der  Predigt  ausgegangen  war,  in  die  Form 
von  Thesen  gegossen,  weil  jene  Anschauungen  lebhaften  Wider- 
spruch erregt  hatten.  Die  Einen  behaupteten,  sie  seien  ihrem 
Inhalte  nach  falsch,  ja  ketzerisch:  die  Andern  meinten  wenig- 
stens, sie  seien  sophistisch  gefasst  und  enthalten  ungeeignete 
Begriffe1  .   Das  kam  ihm  selbst  jedenfalls  höchst  anerwartet; 

1)  Laut  der  eigenen  Angabe  Pecock  s  in  seiner  Zuschritt  an  den 
Brzbiaohofj  »,  Bamngton,  Repressm-,  II,  6f5. 


Wirkung  der  Predigt  Pecock's 


365 


denn  er  soll  zu  einem  Bekannten,  Namens  Cha  pmann.  gesagt 
haben,  seine  Ansicht  würde  die  Folge  haben,  dass  hinfort  nie- 
mand mehr  über  die  Bisehöfe  murren  oder  lästern  würde :  er  habe 
bewiesen .  dass  Bischöfe  nicht  schuldig  seien  zu  predigen  oder 
Seelsorge  zu  treiben ,  wie  das  Volk  meine ,  sondern  die  Seelsor- 
ger zu  beaufsichtigen  1  .  Da  aber  seine  Predigt  doch  Anstoss 
gegeben  hatte,  so  überreichte  Pecock  Abschriften  obiger  Sätze 
in  englischer  Sprache  an  einige  bedeutende  Männer,  mit  denen  er 
befreundet  war,  z.  B.  an  den  Bischof  von  Norwich  und  Beichtvater 
der  Königin,  Walter  Hart,  den  Bischof  von  Chichester  und  Ge- 
heimsiegelbewahrer, Adam  Mol eyns,  und  einen  Dr.  der  Theo- 
logie, Vincenz  Clemens.  Der  letztere  war  ein  päpstlicher  Ein- 
nehmer in  England,  ein  geborener  Römer;  die  Bischöfe  befanden 
sieh  beide  in  dem  Fall,  nicht  in  ihrer  Diöcese  zu  residiren, 
während  der  eine  von  ihnen,  Walter  Hart,  durch  päpstliche 
Provision  sein  Bisthum  erlangt  hatte.  Die  Auswahl  der  Per- 
sonen war  also  gut  getroffen :  die  drei  Herren  hatten  gewiss  ihre 
Freude  an  den  Thesen.  Allein  Pecock  war  bereit .  dieselben 
gegen  jedermann  zu  vertheidigen.  Er  reichte  dem  Erzbischof. 
Johann  Stafford,  eine  schriftliche  Verantwortung  ein,  worin  ei- 
serne 7  Sätze  mittheilte,  sich  über  die  Beweggründe  aussprach, 
aus  denen  er  seine  Ansicht  öffentlich  kund  gegeben  habe,  und 
den  Primas  ersuchte,  von  Amts  wegen  bekannt  zu  machen,  dass. 
wer  den  Sätzen  widersprechen  wolle,  mit  seiner  Entgegnung  her- 
ausrücken möge,  damit  der  Verfasser  antworten  könne.  Sollte 
sich  niemand  stellen,  so  möge  der  Erzbischof,  nachdem  der  Ver- 
fasser die  Sätze  vor  ihm  vollständig  begründet  haben  werde, 
öffentlich  erklären,  dass  die  Sätze  wahr,  richtig  und  nicht  sophi- 
stisch seien.  Zugleich  spricht  er  seine  Ueberzeugung  aus ,  dass 
seine  Thesen  gewiss  keine  Beeinträchtigung  der  Predigt  zur 
Folge  haben  würden :  vielmehr  werden  die  Predigten  vom  Volk 
nur  desto  fleissiger  besucht  werden  und  desto  reichere  Frucht 
bringen 2) . 

1  Laut  der  Mittheilung  von  Gascoigne  in  seinem  Theologischen 
Wörterbuch«,  woraus  Lewis  14.  diesen  Auszug  gibt. 

2  Abbreviatio  Reginalde  Pecock,  erstmals  abgedruckt  von  Babington 


366 


Buch  III.    Kap.  5.  I. 


Der  Standpunkt,  den  Pecock  einnahm,  lässt  sich  aus 
den  Thesen  selbst  unschwer  erkennen. 

1)  Er  ist  conservativ,  denn  er  will  das  Bestehende  im 
kirchlichen  Wesen  aufrecht  erhalten ,  insbesondere  Angriffen  und 
Vorwürfen  gegenüber ,  die  gegen  bestehende  Einrichtungen  und 
Bräuche  gemacht  wurden,  in  Schutz  nehmen. 

2)  Pecock  ist  zugleich  doktrinär  geartet:  denn  indem  er 
die  Predigt  des  Worts  nicht  als  in  erster  Linie  den  Seelen  nöthig 
und  nützlich  anerkennt,  sondern  auf  Unterweisung ,  Erkenntniss 
und  Wissenschaft  einen  grösseren  Nachdruck  legt  *) ,  verräth  er 
eine  lehrhafte,  einseitig  intellektualistische  Richtung. 

Nehmen  wir  zu  den  Thesen  selbst  vollends  die  Begründung 
und  Beweisführung  hinzu ,  welche  der  Verfasser  für  die  Thesen 
im  Einzelnen  gibt,  so  bemerken  wir  noch  einige  charakteristische 
Züge,  welche  von  grossem  Belange  sind2). 

3)  Pecock  zeigt  nicht  blos  eine  lehrhafte ,  sondern  eine  in 
der  That  rationalistische  D  e  n k  u  n  g  s  a  r  t.  Er  geht  nämlich 
von  dem  Grundsatz  aus,  jede  Wahrheit  müsse ,  wolle  man  sie 
gründlich  erkennen ,  auf  den  ursprünglichen  Boden  ,  auf  dem  sie 
erwächst,  zurückgeführt  werden.  Nun  gebe  es  vier  Gattungen 
von  Wahrheiten ,  also  auch  vier  Fundamente  und  Prinzipien  der 
Wahrheit :  historische  Wahrheiten  haben  ihr  Fundament  in  einer 
geschichtlichen  Urkunde ,  juridische  Wahrheiten  in  positiver  Ge- 
setzgebung, Glaubenswahrheiten  in  der  heil.  Schrift,  und  philo- 


im  Anhang  zum  Repressor ,  II,  6]  5  folg.  In  seiner  Schrift:  »Fortsetzung 
des  Donat«,  constatirt  Pecock  sechs  Jahre  später,  dass  seither  kein  Gelehrter 
eine  Entgegnung  wider  die  Sätze  gegeben  habe,  s.  Babington,  Intro- 
duction  XVII.  Anm. 

1)  Vgl.  seinen  Satz,  der  an  Deutlichkeit  nichts  zu  wünschen  übrig  lü^st 
Praedicatio  non  est  actus  p)erf cctissimus ,  qui  potest  circa  christianorum  ani- 
mas  per  suos  curatos  impendi,  quod  docere  est  actus  perf  ectior  quam 
praedicare. 

2]  Die  Notizen,  auf  welche  wir  uns  hier  stützen,  sind  von  Babington 
leider  nicht  mit  zum  Abdruck  gebracht  worden ,  ungeachtet  sie ,  wie  er  in 
der  Einleitung,  S.  LXXIV.  selbst  bemerkt,  sich  unmittelbar  an  die  »Abbrt- 
viatio«  in  der  gleichen  Handschrift  anschliessen.  Wir  geben  das  im  Text 
folgende  auf  Grund  unserer  Benützung  der  Oxforder  HS.  selbst  vom 
Jahre  1840. 


Standpunkt  Pecock': 


367 


sophische  Wahrheiten  in  dem  Urtheil  der  Vernunft.  Angewandt 
auf  religiöse  und  kirchliehe  Dinge,  so  hat  Christus  solche  Ein- 
richtungen, welche  unsere  Vernunft,  sich  selbst  überlassen,  nicht 
erkennen  und  feststellen  kann ,  geoffenbart;  hingegen  alles  das- 
jenige, zu  dessen  Auffindung  und  Feststellung  die  menschliche 
Vernunft  sich  erheben  kann,  und  was  zu  wissen  oder  einzurich- 
ten doch  zum  Heil  der  Seele  nothwendig  ist ,  hat  Christus  nicht 
selbst  geoffenbart  oder  festgesetzt ,  sondern  zu  finden  und  zu  be- 
stimmen der  Klugheit  seiner  Kirche  überlassen. 

Der  letztere  Satz  enthält  eine  ganz  merkwürdige  Mischung : 
er  verräth  einerseits  eine,  ich  möchte  sagen,  »hochkirchli che« 
Gesinnung,  sofern  heilsnoth wendige  Dinge  (necesmria  ad 
scdutem  animarum  der  freien  EntSchliessung  und  Festsetzung 
der  Kirche  überlassen  sein  sollen.  Damit  wird  offenbar  die 
Vollmacht  der  Kirche  ungemein  hoch  gestellt ,  höher  als  sich  ver- 
antworten lässt.  Denn  sowohl  die  römische  als  die  evangelische 
Kirche  trägt  die  Ueberzeugung  in  sich ,  dass  alles  Heilsnothwen- 
dige  durch  die  Offenbarung  Gottes  gesetzt  und  entschieden  sei ; 
sie  unterscheiden  sich  blos  in  der  Beantwortung  der  beiden  Fra- 
gen: 1)  was  ist  heilsnothwendig  und  was  nicht ?  2  welches  ist 
die  Quelle  der  Offenbarung ,  die  Schrift  allein  oder  die  Tradition 
neben  der  Schrift  ? 

xVuf  der  andern  Seite  liegt  in  obigem  Satze,  wenn  auch  noch 
nicht  klar  herausgearbeitet,  eine  rationalistische  Gesinnung. 
Denn  nicht  allein  der  unbedingten  Auktorität  der  Kirchenväter 
tritt  der  Verfasser  indirekt  entgegen,  —  das  wäre  noch  nicht 
rationalistisch,  sondern  nur  gut  protestantisch l) ,  —  sondern  er  ist 
auch  entschieden  der  Meinung ,  dass  die  Vernunft  Wahrheiten  zu 
finden  und  festzustellen  vermöge,  welche  zum  Seelenheil  geradezu 
nothwendig  sind.  Hiemit  dehnt  er  das  Gebiet  dessen,  worüber 
das  judiciumr rationis  zu  entscheiden  hat,  in  einem  Maasse  aus, 
welches  sich  nur  als  rationalistisch  bezeichnen  lässt.  Dieses  Ur- 


1)  MS.  117  der  Bodleianischen  Bibliothek  in  Oxford,,  fol.  132:  Dicta 
sanctorum  non  sunt  tantae  auctoritatis,  quin  liceat  dicere  contrarium  in  Jus 
quae.  non  sunt  per  s.  scripturam  determinata. 


368 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


theil  lässt  sich  jedoch  erst  aus  dem  grösseren  Werke  Pecock's. 
m  dem  wir  sofort  übergehen,  vollständig  klar  machen. 

II. 

Pecock  ging  auf  dem  Wege,  den  er  mit  seiner  Predigt  »am 
Kreuz«  betreten  hatte ,  ungeachtet  des  Widerspruchs .  der  gegen 
ihn  erhoben  wurde,  weiter  fort.  Rechtfertigung  und  Verteidi- 
gung des  kirchlich  Bestehenden,  zumal  gegenüber  der  Opposition 
von  Seiten  der  Lollarden ,  und  zwar  Rechtfertigung  durch  Beleh- 
rung und  Beweisführung .  und  Beweisführung  vornämlich  durch 
Vernunftgründe  als  Gegengewicht  gegen  den  Schriftbeweis  der 
Lollarden,  das  war  die  Hauptaufgabe,  welche  er  sich  stellte.  Er 
erfüllte  sie  theil*  persönlich  als  Prediger,  in  seinem  Bisthum 
St.  Assaph ,  theils  und  hauptsächlich  als  Schriftsteller  vorzüglich 
durch  Schriften .  welche  auf  Leser  aus  dem  Volk  berechnet  und 
deshalb  englisch  verfasst  waren. 

Die  für  unsern  Zweck  lehrreichste  Frucht  dieser  Bestrebun- 
gen Pecock  s  ist  ein  Werk,  welches  er  im  Jahr  1449  vollendet 
zu  haben  scheint,  das  jedoch  erst  4  —  5  Jahre  später  veröffentlich.* 
wurde  1  .  Dasselbe  hat  den  Titel:  Bepressor,  »Der  Bekämpf  er 
übertriebenen  T  a  d  e  1  s  wider  die  Geistlichkeit2  ! 

J  Evsteres  Datum  ergibt  sich  aus  dem  Buch  selbst  ,  sofern  der  Verf. 
von  dem  englisch-französischen  Kriege  S.  517,  Ausg.  von  Babington, 
sagt,  er  währe  schon  34  Jahre ;  letzteres  aus  einer  Stelle  in  Pecocks  Book 
of  Faith,  s.  Babington' s  Einleitung,  XXII.  Anm. 

2  Einfach  Rcpressor  betitelt  das  Buch  ein  Gegner  Pecock' s,  der 
Augustinermöneh  Johann  Bury,  in  seinem  »Salomonsschwert« .  abgedruckt 
im  Anhang  des  Repr ossär,  567  ff.  ,  insbesondere  571  :  intuens  librum  ejus, 
quem  Repressorem  voeßt.  Der  vollständige  englische  Titel  ist:  The  R  e - 
presser  of  over  myehe  =  too  mach  wyting  '=  blaming  the  clergie.  Die 
einzige  Handschrift  des  Buches  befindet  sich  auf  der  Universitätsbibliothek 
zu  Cambridge,  unter  der  Bezeichnung:  K.  k.  IV.  2(5.  Sie  bildet  einen  Fo- 
lioband, über  2(K)  Seiten  stark  ,  in  zwei  Columnen  sorgfältig  und  gut  ge- 
schrieben. Am  Schlüsse  steht  von  einer  späteren  Hand  die  Bemerkung: 
exhibit.  coratn  Duo  in  capella  sua  apud  Lambith  XI.  Novembr  anno  Domini 
1457.  Demnach  ist  dies  dasselbe  Exemplar,  welches  in  dem  Process  wider 
Bischof  Pecock  dem  Erzbischof  Bourchier  überliefert  worden  ist.  Aus 
dieser  Handschrift  hat  Churchill  Babington,  Baccalaureus  der  Theologie 


Pccock's  Repressor. 


369 


Wie  schon  der  Titel  zu  erkennen  gibt  und  der  vollständige 
Inhalt  des  Buches  bestätigt,  ist  dasselbe  eine  Apologie  der  rö- 
misch-katholischen Kirche,  ihrer  Lehren,  ihres  Kultus  und  ihrer 
Verfassung.  Die  Partei,  mit  welcher  Pecock  hier  zu  thun  hat, 
und  deren  »übertriebenen  Tadel«  er  zurückweisen  will,  nennt  er 
entweder  die  »Laienpartei«  oder  die  »Bibelmäntier« ,  mit  einem 
Wort,  es  sind  die  Lollar  den;  das  Hesse  sich  auf  indirektem 
Wege  evident  erweisen,  wenn  wir  auch  nicht  zum  Ueberfluss  auf 
eine  Stelle  hinweisen  könnten ,  wo  der  Verfasser  selbst  diesen 
Namen,  als  den  üblichen,  anführt1). 

Das  Ganze  zerfällt  in  fünf  Theile ;  der  erste  behandelt  die 
Prinzipienfragen .  die  vier  übrigen  erörtern  einzelne  Hauptstücke 
des  kirchlichen  Wesens. 

Im-ersten  Theil  kommt  das  Schriftprinzip  der  Lcllarden  aus- 
führlich zur  Sprache .  während  andererseits  das  rationalistische 
Prinzip  Pecock 's  klar  zu  Tage  tritt.  Aus  beiden  Gründen  glau- 
ben wir  etwas  länger  bei  diesem  ersten  Theil  verweilen  zu  sollen. 

Schon  das  Vorwort  ist  äusserst  charakteristisch.  Das- 
selbe geht  aus  von  der  Ermahnung  des  Apostels  Paulus, 
2.  Timoth.  4.  2:  »Weise  zurecht,  bitte  und  tadle  mit  aller  Geduld 
und  Lehre!«  Er  bemerkt,  das  habe  der  Apostel  allerdings  an 
Timotheus  geschrieben ,  welcher  ein  Bischof  gewesen  sei ,  und 
nicht  ein  Laie  :  allein  Paulus  spreche  in  diesen  Worten  nicht  von 
amtlicher  Rüge  eines  Oberen  gegenüber  dem  Untergebenen ,  son- 
dern von  Vorstellungen ,  die  auch  ein  Untergebener ,  selbst  ein 
Laie,  seinem  Vorgesetzten  gegenüber  machen  dürfe ;  der  Apostel 


und  Fellow  von  St.  Johns-Collcge  in  Cambridge,  das  Buch  herausgege- 
ben, mit  Einleitung  und  Nachträgen,  als  einen  Theil  der  Sammlung:  Be- 
rum britannicaram  medii  aevi  seriptores  oder  Chronicles  and  memorials  of 
Great  Britain  u.  s.  w.  London  1SG0  in  2  Bänden.  Da  mir  im  Juni  1S40  die 
Benützung  der  genannten  Handschrift  in  Cambridge  freundlichst  gestattet 
worden  war  'die  Abhandlung:  »Wiclif  und  die  Lollarden«,  Zeitschrift  f.  hist. 
Theol.  1S54,  gibt  S.  179 — 217  ausführliche  Mittheilungen  daraus),  so  kann 
ich  hiemit  öffentlich  das  Zeugniss  ablegen,  dass  Babing  ton  sich  als  sach- 
kundigen Herausgeber  erwiesen  hat ,  und  den  Text  sorgfältig  und  richtig 
wiedergibt. 

1  Repressor,  I,  S.  12S:  tho  erring  persoones  of  ihe  la\j  peple  iohiclie 
hen  clepid  [cdlled)  Loll ardis  I.  Theil.  20.  Kapitel  . 

Lechlek,  Wiclif.  II.  24 


370 


Buch  III.    Kap.  5.  Ii. 


gebe  hiemit  eine  Belehrung  über  die  Art  und  Weise,  wie  man 
solche  Vorstellungen  erheben  dürfe.  Nun  nehmen  sich  viele  in 
einem  Eifer  mit  Unverstand,  heraus .  die  Geistlichkeit  der  Kirche 
Gottes  in  Rede  und  Schrift  offen  und  scharf  zu  tadeln  und  ihr 
vorzuwerfen ,  sie  habe  sich  durch  einige  Einrichtungen  verschul- 
det. Und  in  Folge  dieser  Vorwürfe  sei  viel  Unwille.  Verwirrung 
und  Spaltung  entstanden .  welche  bei  vielen  Leuten  schon  Jahre 
lang  fortdauern. 

Solchen  übereilten  Tadlern  nun  sagt  der  Verfasser  das  apo- 
stolische Wort :  »Weise  zurecht ,  bitte  und  tadle  mit  aller  Geduld 
und  Lehre!«  d.  h.  wenn  du  lehren  und  beweisen  kannst,  dass 
das .  was  du  tadelst ,  wirklich  ein  Fehler  und  eine  Uebertretung 
sei.  so  tadle  mit  Einsicht  und  mit  Geduld;  kannst  du  das  aber 
nicht  beweisen:  so  solltest  du  schweigen  und  nicht  tadeln.  Ja  die 
voreiligen  Tadler  hindern  eben  dadurch  die  Wirkung  selbst  der 
weisen  und  wohl  überlegten  Vorstellungen .  welche  sie  zu  andern 
Zeiten  der  Geistlichkeit  machen1).  Der  Verfasser  möchte  nun 
durch  Rechtfertigung  einer  Anzahl  kirchlicher  Einrichtungen, 
welche  mit  Unrecht  getadelt  werden,  etwas  dazu  beitragen,  dass 
Gott .  um  seiner  Liebe  und  Güte  willen .  bei  dem  gemeinen  Volk 
aufhören  lasse  solchen  unweisen  und  voreiligen  Tadel  gegenüber 
der  Geistlichkeit ,  nebst  den  Uebeln,  die  daraus  entspringen.  Zu 
diesem  Zwecke  schreibe  er  das  gegenwärtige  Buch  in  der  Sprache 
des  gemeinen  Volkes ,  klar,  offen  und  kurz.  Schliesslich  versi- 
chert er  jedoch,  er  sei  nicht  gewillt,  solche  Handlungen  der 
Geistlichkeit .  um  deren  willen  dieselbe  wirklich  brüderliche  Zu- 
rechtweisung verdient,  zu  entschuldigen  oder  zu  vertheidigen;  im 
Gegentheil  bitte  er  sie  in  Rede  und  Schrift  »mit  aller  Geduld  und 
Lehre«,  dass  die  Geistlichkeit  dieselben  aufgeben,  verlassen  und 
bessern  wolle 2  . 

Der  erste  Theil  des  Werkes  erörtert,  wie  gesagt,  die 


1)  Ein  Zugeständniss ,  welches  von  Aufrichtigkeit  zeugt  und  den  Lol- 
larden  theilweise  Kecht  gibt,  da  ja  gewisse  Vorstellungen,  die  sie  erheben, 

als  wij  8  and  discr ete  and  Weel  avisid  —  tust  U  n  di r  n  y  ni  1/  ny  t.v 

anerkannt  werden.  S.  3. 

2    Repressor,  I,  S.  1 — 4. 


Grundsätze  der  Lollarden  nach  Pecock. 


371 


Prinzipien.  Pecock  bemerkt,  fast  alle  Irrthümer,  in  welchen 
viele  von  der  Laienpartei 1  befangen  sind,  und  vermöge  deren 
sie  sich  zu  ungerechtem  Tadel  gegen  die  Geistlichkeit  hinreissen 
lassen,  beruhen  auf  drei  Ansichten  oder  Grundsätzen,  die  er  eben 
deshalb  zuerst  uinzustossen  und  zu  widerlegen  versucht,  in  der 
Ueberzeugung .  dass.  sobald  der  Beweis  geführt  wäre,  diesel- 
ben seien  unwahr  und  nichtig,  sofort  alle  übrigen  Meinungen, 
welche  darauf  gebaut  sind ,  nothwendig  ebenfalls  hinfällig  wer- 
den müssten. 

Die  drei  Grundsätze  der  Lollarden  sind  folgende : 

I.  Keine  Einrichtung  ist  als  Gottes  Gesetz  anzuerkennen, 
sie  gründe  sich  denn  auf  die  heil.  Schrift. 

IL  Das  rechte  Schrift verstä ndniss  wird  jedem  Chri- 
sten zu  Theil,  welcher  demüthig  im  Geist  und  willig  ist.  die 
Schrift  richtig  zu  verstehen. 

III.  AVer  zu  diesem  Schriftverständniss  gelangt  ist,  soll  sich 
nicht  davon  ablenken  lassen  durch  anderweitige  Schrift- 
oder Vernunftgründe. 

Der  Beleuchtung  und  Widerlegung  dieser  drei  Grundsätze, 
vornämlich  des  ersten,  ist  der  ganze  erste  Theil  gewidmet. 

Der  erste  Grundsatz  bildet  eigentlich  das  Schriftprinzip 
der  Lollarden.  Pecock  selbst  macht  darauf  aufmerksam,  dass 
eine  Differenz  innerhalb  der  Partei  insofern  besteht,  als  die  Einen 
unter  ihnen  ausschliesslich  nur  das  Neue  Testament,  die  Andern 
aber  nebenbei  auch  das  Alte  Testament,  soweit  nicht  das  Neue 
etwas  daran  geändert  habe ,  als  maassgebend  anerkennen.  Von 
dem  Grundsatz  im  allgemeinen  aber  versichert  er ,  sie  halten  so 
fest  und  kühn  an  demselben,  dass  sie,  so  oft  ein  Geistlicher  irgend 
eine  Ordnung  behauptet,  die  ihnen  nicht  zusagt,  auch  wenn  sie 
offenbar  in  der  Vernunft  und  dem  natürlichen  Sittengesetz  begrün- 
det ist.  sofort  fragen:  »worauf  gründest  du  es  in  der  heiligen 
Schrift?«  Und  wenn  sie  nicht  hören,  wo  es  in  der  heil.  Schrift 
bezeugt  ist.  so  verachten  sie  es  und  lassen  es  nicht  als  Got- 
tesdienst und  als  Gottes  Sittengesetz  gelten.  Diesen  Grundsatz 
stützen  sie  auf  das  Wort  Christi  Matth.  22:  »Ihr  irret,  indem  ihr 


1)  manie  of  the  la\j  partie.  I,  5. 

24* 


372 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


die  Schrift  und  die  Kraft  Gottes  nicht  kennet!«  und  auf  die  Stelle 
Joh.  5 :  »Suchet  in  der  Schrift ,  denn  ihr  meinet ,  ihr  habet  das 
ewige  Leben  darinnen,  und  sie  ist's  die  von  mir  zeuget!« 

Um  nun  dieses  Prinzip  der  Lollarden  zu  widerlegen,  geht 
Pecock  Kap.  2  — 15  ganz  nach  der  beliebten  scholastischen  Me- 
thode zu  Werke:  er  führt  zuerst  Kap.  2 — 10  einen  positiven  Ge- 
genbeweis, sucht  sodann  Kap.  11  und  12  die  Schriftbeweise  der 
Gegner  für  ihren  Grundsatz  zu  entkräften,  und  beantwortet  end- 
lich Kap.  13 — 15  noch  einige  Einwendungen,  welche  die  Lollar- 
den etwa  ihm  entgegen  halten  könnten. 

Da  uns  hier  die  Lollarden  wichtiger  sind,  als  ihr  Gegnerr 
dessen  Standpunkt  für  uns  nur  mittelbar  von  Belang  ist,  so  gehen 
wir  sofort  auf  die  Schriftbeweise  der  Lollarden  für  ihr  eigenes 
Schriftprinzip  ein.  Pecock  erwähnt  ausser  den  oben  genannten 
Aussprüchen  Christi,  deren  Beweiskraft  er  verneint,  noch  drei 
Texte,  aufweiche  die  Partei  sich  stütze.  Der  erste  steht  1.  Ko- 
rinth.  14,  38  und  lautet  hier:  »Ist  jemand  unwissend,  so  wird  er 
unerkannt  sein.«  Diese  Worte  verstanden  die  Wiclifiten  zu  Pe- 
cock's  Zeit  so:  wenn  jemand  die  Bibel  nicht  kenne,  oder  sich 
nicht  alle  Mühe  gebe  die  Bibel  kennen  zu  lernen,  so  werde  er  von 
Gott  nicht  für  einen  von  den  Seinen  erkannt  werden.  Und  hieran 
knüpft  der  Bischof  eine  Mittheilung,  welche  für  uns  neu  und  nicht 
uninteressant  ist.  Er  bemerkt  nämlich :  »Weil  sie  sich  Muhe  ge- 
ben ,  die  Bibel ,  namentlich  das  Neue  Testament ,  Wort  für  Wort 
auswendig  zu  lernen,  so  geben  sie  sich  einen  eigenthümlichen 
Namen  und  nennen  sich  selbst  »erkannte  Leute«,  als  ob  alle 
anderen  ausser  ihnen  Unbekannte  wären.  Und  wenn  einer  von 
ihnen  mit  einem  andern  unter  ihnen  von  einem  dritten  Manne 
spricht,  so  pflegt  der  Hörende  zu  fragen:  »Ist  er  ein  erkannter 
Mann?«  Bekommt  er  die  Antwort:  »ja,  er  ist  ein  erkannter  Mann«, 
so  steht  alles  gut,  es  hat  keine  Gefahr  mit  jenem  zu  verkehreu  ; 
lautet  aber  die  Antwort:  »nein,  er  ist  kein  erkannter  Mann«,  dann 
ist  es  gefährlich,  mit  demselben  recht  vertraulich  umzugehen  1  . 


1)  Rcpressor,  P.  I.  c.  11.  S.  ö:j.  knowen  man,  knmcnn  mm,  lauten  die 
Ausdrücke.  Es  ist  merkwürdig,  dass  wir  DU  Jahre  später,  im  Anfang  des 
XVI.  Jahrhunderts .  vor  dem  Beginn  der  Reformation ,  bei  den  englischen 


Das  Schriftprinzip  der  Lollarden  nach  Pecock 


373 


Der  zweite  Text,  aufweichen  sieh  die  Lollarden  für  ihr 
Schriftprinzip  beriefen,  war  das  Wort  2.  Korinth.  \.  3:  »Ist  unser 
Evangelium  verdeckt .  so  ist  es  denen  verdeckt,  die  verloren  ge- 
hen« u.  s.  w.  Daraus  folgerten  sie.  dass  jeder,  der  ein  Kind  der 
Seligkeit  ist.  den  wahren  Sinn  der  heil.  Schrift  bald  verstehe, 
wenn  er  nur  aufmerke.  Und  Pecock  bemerkt  hiebei.  dass  die 
Lollarden  alle  erkannten  Leute«  für  Kinder  der  Seligkeit  oder 
nahe  der  Seligkeit  hielten  children  of  saUacioun  or  neighe  fo  $al* 
cacioxii  .  Ein  Umstand,  welcher  offenbar  mit  dem  acht  wiclifiti- 
schen  Begriff  von  der  Kirche,  als  der  Gemeinschaft  der  Erwähl- 
ten, zusammenhängt. 

Der  dritte  Text  ist  Off.  Joh.  22,  1S  folg.:  -Ich  bezeuge 
allen  die  da  hören  die  Worte  der  Weissagung  dieses  Buches  S  so 
jemand  zusetzt,  so  wird  Gott  zusetzen  auf  ihn  die  Plagen«  u.  s.  w. 
Unter  dem  »Buch  der  Weissagungen«  verstanden  sie  das  N.  T. 
oder  die  ganze  Bibel ,  und  zogen  den  Schluss  aus  diesem  Zeug- 
nis*, dasv  man  der  heil.  Schrift  keine  Auslegungen.  Erklärun- 
gen u.  dgl.  beifügen,  sondern  bei  dem  reinen  Bibelwort  bleiben 
solle 1  . 

Die  Kritik  dieser  Schriftbeweise,  beziehungsweise  Auslegun- 
gen .  welche  Pecock  sofort  anschliesst .  können  wir  füglich  bei 
Seite  lassen.  Doch  mag  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  er  jenen 
Leuten  zum  Vorwurf  macht,  sie  rühmten  sich  ihrer  Bibelkenntniss 
und  erhöben  sieh  in  ihren  Gedanken  über  andere  Leute .  welche 
nicht  so  viel  wie  sie  in  der  Bibel  lesen.  Studiren  und  lernen'2  . 
Nachdem  Pecock  die  Schriftbeweise  der  Lollarden  für  ihr 
Schriftprinzip  ausführlich  geprüft  hat.  kommt  er  im  13.  Kapitel 
auf  ihr  Bibellesen  überhaupt  zu  sprechen,  und  findet  einen 
nicht  sowohl  exegetischen  als  psychologischen  Grund  ihres 

"Wiclifiten  denselben  Namen  wiederfinden,  s.  unten  Abschnitt  IV  dieses  Ka- 
pitels. Während  die  "NValdenser  des  XV.  Jahrhunderts,  laut  des  Zeugnis- 
ses von  Peter  von  Pilichdorf,  Contra  sectam  Wahlensiuni ,  in  U?>"tn- 
theca  max.  Patrmn ,  Lyon  1677.  Band  XXV,  2S1  sich  ebenfalls  »die  Kun- 
den«, und  ihre  römischen  Gegner  »die  Fremden«  zu  nennen  pflegten, 
vgl.  fol.  308. 

1)  Repressor,  I.  S.  54  folg. 

2   a.  a.  O.  S.  59.  Vgl.  62  folg. 


374 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


Schriftprinzips  in  dem  Reiz,  den  das  Bibellesen  an  sich  schon 
habe.  Hören  wir  ihn  selber  reden. 

»Ein  Hauptgrund,  warum  die  von  der  Laienpartei,  welche 
die  Bibel  oder  das  N.  T.  in  ihrer  Muttersprache  gebrauchten,  die 
erste  Meinung  (den  I.  Grundsatz)  gefasst  haben,  ist  der,  dass 
das  Lesen  in  der  Bibel ,  namentlich  in  den  geschichtlichen  Thei- 
len  des  A.  und  des  N.  Testaments ,  sehr  ergötzlich  und  süss  isty 
die  Leser  zur  Andacht  und  zur  Liebe  Gottes  hinzieht,  und  von 
der  Liebe  und  Zuneigung  zur  Welt  abzieht,  wie  ich  davon  Erfah- 
rung gemacht  habe  bei  solchen  Lesern  und  ihrer  Stimmung.  Und 
weil  ihnen  nun  dieses  Lesen  so  lieblich ,  so  anziehend  und  zu 
besagtem  Zwecke  so  dienlich  war ,  so  kam  ihnen  der  Gedanke, 
Gott  habe  die  Bibel  gemacht  zu  Nutzen  des  Menschen,  nach  sei- 
nem äussersten  Vermögen  und  Verstehen,  um  sein  Leben  zu  ord- 
nen; und  deshalb  müsse  die  Bibel  (oder  das  N.  T.  alles  enthal- 
ten, was  von  Christen  im  Dienste  Gottes  gethan  werden  soll,  ohne 
dass  es  einer  anderen  Lehre  dazu  bedürfe.  Ja  ich  habe  selbst 
sagen  hören :  » dass  nie  ein  Mann  geirrt  hat  beim  Lesen  und  Stu- 
diren in  der  Bibel,  noch  irgend  jemand  irren  kann  beim  Lesen  in 
der  Bibel,  und  zwar  aus  dem  besagten  Grunde« :  obwohl  es  kein 
Buch  in  der  Welt  gibt ,  das  einem  Menschen  leichter  Veranlas- 
sung zum  Irren  werden  kann,  als  die  Bibel l) .« 

Pecock  meint  schliesslich,  der  Fehler  liege  darin,  dass  die 
Leute  sich  durch  Neigung ,  und  nicht  durch  Vernunft  leiten  las- 
sen, ähnlich  wie  die  Frauen. « 

Im  13 — 15ten  Kapitel  beantwortet  Pecock  zwei  Einwen- 
dungen, welche  die  Gegner  ihm  etwa  machen  könnten.  Die 
erste  besteht  darin,  dass  die  menschliche  Vernunft,  laut  der  Er- 
fahrung ,  in  ihren  Urtheilen  oft  irre  gehe :  somit  könne  Gott 
nicht  gewollt  haben .  dass  die  Vernunft  unsere  Richtschnur  in 
Handlungen  unseres  Dienstes  gegen  Gott  sein  solle.  Der  zweite 
Einwurf  geht  davon  aus,  die  heil.  Schrift  sei  schon  darum  ehr- 
würdig und  schätzbar,  weil  durch  sie  und  von  ihr  die  ganze  Kirche 
Gottes  ihren  (Hauben  empfängt;  deshalb  scheine  es.  dass  Gott 


I    Repreaeor,  I,  S.  (»<>  folg. 


Das  Schrif'tprinzip  der  Lollarden  nach  Pecock. 


375 


sie  nicht  der  Vernunft  untergeben  oder  an  die  Vernunft  gewiesen 
haben  werde,  um  ausgelegt  und  richtig  verstanden  zu  werden. 

Pecock's  Anwort  auf  die  erste  Einwendung  kann  hier  füg- 
lich übergangen  werden.  Dem  zweiten  Einwurf  aber  begegnet  er 
mit  der  Bemerkung :  wenn  die  heilige  Schrift  höher  zu  schätzen 
ist  als  die  Vernunft,  so  sei  das  nur  der  Fall  in  blossen  Glau- 
be 11  s  Wahrheiten  .  die  ausschliesslich  in  der  heiligen  Schrift  und 
nicht  in  der  Vernunft  begründet,  aber  auch  keine  sittlichen  Vor- 
schriften sind,  z.B.  Dreieinigkeit.  Menschwerdung  Gottes ,  Auf- 
erstehung der  Todten  u.  s.  w.  1  . 

Im  Anschlags  hieran  fährt  er  fort:  »Ich  erinnere  alle  Welt 
an  eine  Wahrheit.  Wenn  es  keine  Geistlichen  gäbe,  die  in  Lo- 
gik. Moralphilosophie  und  Theologie  tüchtig  bewandert  und  reif- 
lich geübt  wären ,  um  Schrifttexte  richtig  auszulegen  und  gebüh- 
rend verstehen  zu  lehren .  oder  wenn  es  zwar  solche  gäbe,  aber 
die  Laienpartei  wollte  auf  deren  Lehre  nicht  achten,  sondern 
nur  ihrem  eigenen  Witz  trauen  und  sich  lediglich  auf  Bibeltexte 
stützen,  so  würden,  behaupte  ich.  in  den  Seelen  der  Laien  so 
viele  verschiede  n  e  M  e  i  n  u  n  g  e  n  aus  Anlass  von  Schriftwor- 
ten über  den  sittlichen  Wandel  des  Menschen  entstehen,  dass  alle 
Welt  dadurch  beunruhigt  wäre  und  dass  die  Menschen  in  Betreff 
ihres  Dienstes  gegen  Gott  nicht  besser  zusammenstimmen  wür- 
den, als  Hunde  auf  einem  Marktplatze,  wenn  jeder  den  andern  an 
der  Haut  packt.  Denn  der  Eine  würde  einen  Text  so  verstehen, 
ein  Anderer  anders .  und  der  Dritte  auf  die  dritte  Weise.  —  Und 
wenn  alsdann  kein  Richter  vorhanden  wäre .  um  zu  entscheiden 
zwischen  denen,  welche  so  verschiedener  Meinung  sind,  so  würde 
ihr  Streit  kein  Ende  nehmen .  bis  es  zum  Kampf  und  Krieg  und 
Gefechte  käme :  dann  würde  aller  Wohlstand  und  Gnade  schwin- 
den .  und  keine  ihrer  Meinungen  würde  dadurch  in  irgend  einem 
Punkte  gestärkt  oder  bestätigt  werden. 

In  der  That  hat  auf  diese  Weise  und  aus  der  genannten  Ur- 
sache die  klägliche  und  beweinenswerthe  Zerstörung  der  würdigen 
Stadt  und  Universität  Prag  und  des  ganzen  Königreichs  Böh- 
men sich  ereignet,  wie  ich  hievon  hinlänglich  unterrichtet  bin. 


1)  Repressor.  I,  S3. 


376 


Buch  III.    Kap.  5.  IL 


Und  jetzt .  nach  der  Verwüstung  des  Königreichs .  sind  die  Leute 
froh,  sich  wieder  zu  dem  katholischen  Glauben  und  der  allgemei- 
nen Lehre  der  Kirche  wenden  zu  können,  und  bauen  nun  in  ihrer 
Arniuth  wieder  auf,  was  niedergebrannt  und  zerstört  war,  und 
keine  ihrer  Meinungen  kann  gedeihen.  Denn  Christus  in  seiner 
Prophezeiung  hat  Recht:  »jedes  Reich,  wenn  es  mit  ihm  selbst 
uneins  wird,  das  wird  wüste.«  Gott  wolle  um  seiner  Gnade  und 
Erbarmung  willen  England  behüten,  dass  es  nicht  in  gleiche 
Verwirrung  gerathe  *) ! 

Doch  um  mich  von  hier  aus  wieder  an  unsere  Bibel  män- 
ner  zu  wenden,  so  bitte  ich  euch,  saget  mir:  wenn  unter  euch  ein 
Meinungsstreit  entstanden  ist,  weil  jeder  von  euch  sich  aufsein 
eigenes  Studium  der  Bibel  allein  verlässt,  was  für  ein  Richter 
kann  dafür  nachgewiesen  werden  auf  Erden,  ausser  der  Ver- 
nunft ?  Und  wer  wird  dann  wohl  die  Vernunft  besser  oder  eben 
so  gut  gebrauchen  und  handhaben  als  diejenigen  Männer,  welche 
auf  jene  Kunst  so  viel  Arbeit  verwendet  haben  ?  Und  das  sind  die 
besagten  Geistlichen.  Darum,  ihr  Bibelmänner,  kraft  des  Ge- 
sagten ,  das  ihr  nothwendig  zugeben  müsst,  kraft  der  Erfahrung, 
die  ihr  habt  von  der  Verwirrung  in  Böhmen,  und  auch  von  der 
gegenwärtigen  Verwirrung  und  Meinungsverschiedenheit  unter 
euch  selbst  in  England,  wornach  einige  unter  euch  Doctor- 
h  ä  n  d  1  e  r  ( Boctour-mongers)  genannt  werden ,  andere  M  e  i  n  u  n  g  - 
h  a  1 1  e  r  ( Opinioun-holders),  und  einige  n  e  u  t  r  a  1  sind  Neutralu  . 
so  dass  von  einer  so  anmaassenden  Spaltung  zu  hören,  ein  Greuel 
für  andere  Leute  und  eine  Schande  für  euch  selbst  ist :  machet 
nur  jetzt  euch  selbst  Vorwürfe  darüber,  dass  ihr  nicht  schon  bis- 
her anerkannt  habt  ,  die  Vernunft  und  ihr  Urtheil  habe  ein  s<» 
grosses  Interesse  an  Gottes  Gesetz  und  an  der  Auslegung  der 
heil.  Schrift,  als  ich  behauptet  und  bewiesen  habe.  Und  daran 
könnt  ihr  auch  hinlänglich  merken,  dass  ihr  nöthig  habt  euch  bei 
unterrichteten  Geistlichen  Raths  zu  erholen,  ungeachtet  ihr  euch 
euer  Leben  lang  mit  der  Bibel  allein  Mühe  geben  und  darin  for- 
schen wolltet.  Lud  furchtet  euch  nur  vor  den  Folgen,  welche  die 
Böhmen  aus  gleicher  Ursache  und  Verkehrtheit  betroffen  haben! 


1    RcpreHHor,  I,  85  folg.    P.  I,  c.  lo\ 


Das  Schriftprinzip  der  Lollarclen  nach  Pecock.  377 

Fürchtet  euch  vor  denselben  Folgen  um  so  mehr,  als  Christus 
verkündigt  hat,  dass  sie  überall  eintreten  werden ,  wo  Spaltung 
und  Uneinigkeit  fortdauert.  — 

Ferner  hüte  dich .  einen  Geistlichen  anzunehmen .  zu  wählen 
und  zu  beurtheilen,  als  sei  er  für  dich  geeignet  schon  um  des- 
willen, weil  er  einen  Dootorhut  tragt,  oder  weil  er  ein  berühmter 
und  beliebter  Prediger  auf  der  Kanzel  ist.  oder  weil  er  ein  grosser 
Schwätzer  aus  Bibeltexten  oder  Kirchenvätern  ist1),  bei  Festen 
oder  andern  Versammlungen.  — 

Ich  weiss  wohl .  dass  das  Predigtamt  zur  Vermahnung  und 
Erinnerung  sehr  dienlich  ist.  aber  gewiss  eignet  es  sich  nicht  so 
gut  zur  besten  Belehrung2).  —  Viele  Männer,  welche  nie  mehr 
gelernt  haben  in  Schulen  als  ihre  Grammatik,  können  Texte  aus- 
wendig, und  können  mit  ►Sprüchen  und  Geschichten.  Parabeln 
und  Gleichnissen  ganz  prächtig  predigen .  zum  Wohlgefallen  und 
zum  Nutzen  der  Leute,  und  erscheinen  eben  deshalb  als  sehr 
weise.  AVenn  man  sie  aber  in  einem  dieser  Texte.  Parabeln  und 
anderer  Predigtstücke  recht  prüfen  wollte,  so  würden  sie  nicht  im 
Stande  sein  irgend  eines  von  diesen  Stücken  zu  vertheidigen  und 
zu  behaupten ,  oder  den  wahren  Sinn  eines  einzigen  unter  ihnen 
befriedigend  auszulegen.  —  So  gewiss  die  Sonne  scheint  an  einem 
Sommertage,  so  gewiss  ist  die  Nichtbeachtung  dessen,  was  ich  so 
eben  erinnert  habe  .  eine  Hauptursache  geworden  von  der  heillos 
verderbten  Schule  der  Ketzerei  unter  den  Laien  in  England, 
welche  noch  nicht  Uberwunden  ist3  .  Und  deshalb,  um  etwas 
Gott  gefälliges  zu  thun,  Gott  zu  dienen  und  zum  geistlichen  Nut- 
zen meiner  Mitchristen  etwas  beizutragen .  auch  aus  Furcht  vor 
Gott .  um  nicht  etwas,  das  mit  grossem  Nutzen  gesagt  werden 
könnte .  aus  Furcht  vor  Verleumdung  mündlich  oder  schriftlich 
zurückzuhalten .  schreibe  und  äussere  ich ,  was  ich  so  eben  ge- 
äussert habe.  Sollte  jemand  anders  von  mir  urtheilen.  so  nehme 
er  sich  in  Acht  vor  Dem.  welcher  uns  beide  darüber  richten  wird! 


.   1    a  greet  and  thikkc  rafeler  out  of  textis  etc.  a.  a.  O.  I,  SS. 
2)  Ein  Satz,  der  in  die  Gedankenreihe  der  Thesen  von  1447  gehört, 
s.  oben  S.  3b3. 

3  the  wickidli  enfectid  scole  of  heresie  among  the  lag  peple  of  Yng- 
ond,  ich  ich  is  not  ghif  comjwrid.  Repr.  I,  S9. 


373 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


Aber  wollte  Gott ,  der  König  von  England  gäbe  sich  so  viel 
Mühe ,  sein  Land  von  der  besagten  heillosen  Schule  und  von  an- 
deren Uebelständen  zu  erobern  und  zu  reformiren,  als  um  die  Er- 
oberung der  Normandie  und  Frankreichs!  Vielleicht  würde  er 
alsdann  mehr  Dank  und  Lohn  davon  haben ,  wenn  er  einst  heim- 
kommt zu  dem  König  der  Seligkeit ,  und  einen  edleren  Duft  wür- 
digen Ruhmes  unter  allen  Fürsten  der  Welt  und  den  würdigen 
Pairs  des  Himmels ,  als  er  davon  tragen  wird  von  seiner  vielen 
Mühe  und  den  Kosten,  welche  er  an  die  weltliche  Eroberung 
Frankreichs  gewendet  hat 1  . « 

Wir  haben  bisher  dasjenige  bei  Seite  gelassen,  was  Pecock 
für  sein  eigenes  Prinzip  geltend  macht ,  indem  wir  in  erster  Linie 
berücksichtigen,  was  er  aus  dem  Munde  der  Lollarden  beigebracht 
hat,  theils  für  ihr  eigenes  Schriftprinzip,  theils  gegen  Pecock 's 
Ansicht.  Denn  diese  Partie  der  Schrift  bietet  für  die  Kenntniss 
der  Lollarden  j euer  Zeit  (Mitte  des  XV.  Jahrhunderts)  unmittel- 
bar einige  werthvolle  Beiträge. 

Allein  wir  müssen  nun  doch  noch  in  Kürze  berücksichtigen, 
was  Pecock  Kap.  2— 10  vorträgt,  um  dein  wiclifi  tischen  Schrift- 
prinzip seine  positive  Anschauung  entgegenzusetzen.  Und  dies 
um  so  mehr ,  als  auch  diese  Partie  über  die  Lollarden  Licht  zu 
verbreiten  geeignet  ist. 

Er  stellt  der  Reihe  nach  13  Hauptsätze  auf,  verweilt  jedoch, 
entwickelnd  und  begründend,  bei  dem  ersten  verhältnissmässig 
länger  Kap.  2—6),  und  erörtert  die  übrigen  12  Kap.  7—10) 
mehr  nur  kursorisch.  Dies  ist  in  der  That  insofern  sachgemäss, 
als  die  13  Sätze  keineswegs  auf  gleicher  Linie  stehen:  sind  doch 
mehrere  darunter  genau  betrachtet  nur  Folgesätze  oder  erklären- 
der Natur. 

Satz  1.  ist  folgenden  Inhalts :  Es  stellt  der  heil.  Schrift 
nicht  zu.  sie  ist  auch  nicht  dazu  von  Gott  verordnet,  irgend  eine 
Wahrheit  oder  Pflicht  zu  gründen,  welche  die  natürliche  Ver- 
nunft des  Menschen  zu  finden  und  zu  erkennen  vermag. 

Ganz  in  steifer  logisch-demonstrativer  Form,  auf  die  er  über- 
haupt grosse  Stücke  hält,  führt  Pecock  seinen  Beweis  für  diesen 

1]  ]{<>i))'eswr,  I,  88  —  !•<>. 


Pecock  über  Vernunft  und  Schrift. 


379 


Satz.  Der  Langen  Rede  kurzer  Sinn  ist  der:  Sittliche  Wahr- 
heiten in  Betreff  dessen,  was  Gott  von  dein  Menschen  fordert, 
sind  nicht  ausschliesslich  auf  die  heil.  Schrift  gegrün- 
det; denn  die  menschliche  Vernunft  lehrt  dieselben  ebenfalls. 
Zum  Beispiel  die  Pflicht,  Gott  über  alles  zu  lieben,  demttthig 
zu  sein  vor  Gott,  die  Pflicht  der  Massigkeit  u.  s.  w.  kann  aus 
der  Vernunft  eben  so  gut  erkannt  werden  als  aus  der  heil. 
Schrift.  Haben  doch  heidnische  Philosophen ,  ohne  göttliche 
Offenbarung,  auf  dem  Wege  des  Nachdenkens  jene  Pflichten  er- 
kannt. Und  ehe  dem  Volk  Israel  irgend  ein  positives  Gesetz  ge- 
geben wurde,  waren  die  Menschen  zu  den  sittlichen  Pflichten  ver- 
bunden, welche  sie  durch  das  natürliche  Sittengesetz  keimen 
lernten.  Als  dann  das  mosaische  Gesetz  gegeben  wurde,  blieben 
alle  jene  uralten  Vernunftgesetze,  neben  dem  positiven  Gesetze 
Gottes  aber  gerichtliche  und  gottesdienstliche  Ceremonien,  den 
Juden  immer  noch  auferlegt.  Und  Christus  hat  keine  Gesetze 
widerrufen,  ausser  den  mosaischen  Gesetzen  über  gerichtliche 
Ceremonien  und  über  die  Sakramente  des  A.  T..  und  hat  auch 
selbst  kein  positives  Gesetz  gegeben  ausser  dem  über  die  N.  T. 
Sakramente:  somit  bleibt  den  Christen  bis  jetzt  das  gesammte 
natürliche  Sittengesetz  nebst  dem  positiven  Gesetz  der  neuen 
Sakramente  Christi  auferlegt.  Und  jenes  natürliche  Sittengesetz, 
welches  für  uns  Christen  immer  noch  Geltung  hat ,  ist  nicht  auf 
die  heil.  Schrift  des  A.  oder  des  N.  Testaments  gegründet,  son- 
dern in  die  Seelen  der  Menschen  mit  Gottes  Finger  eingeschrie- 
ben. Ferner  sagt  Pecock  :  Das  blosse  Erinnern ,  Ermahnen. 
Einschärfen  setzt  die  Kenntniss  dessen ,  was  in  Erinnerung  ge- 
bracht wird,  u.  s.  w.,  offenbar  voraus.  Nun  ist  das  meiste,  was  die 
heil.  Schrift  thut,  ein  Erinnern,  Ermahnen  u.  s.  w. ;  sie  fordert 
den  Menschen  auf,  demttthig,  geduldig  zu  sein  und  so  fort,  ohne 
zu  lehren,  was  Demuth  und  Geduld  ist.  Also  kann  man  von 
einer  solchen  Tugend  nicht  behaupten,  sie  sei  auf  die  heil.  Schrift 
gegründet. 

Aus  dem  1.  Satz  leitet  Pecock  folgenden  Nebensatz  ab :  »So 
oft  in  der  heil.  Schrift  ein  Punkt  des  natürlichen  Gesetzes  ge- 
schrieben steht ,  ist  derselbe  noch  eigentlicher  in  dem  Buch  der 
Menschenseele  geschrieben  als  in  dem  äusseren  Buch  von  Perga- 


380 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


ment.  Und  falls  irgend  ein  anscheinender  Widerspruch  stattfindet 
zwischen  den  Worten,  welche  in  dem  äusseren  Buch  der  heil. 
Schrift  geschrieben  sind,  und  dem  Urtheil  der  Vernunft,  wie  es  in 
des  Menschen  Seele  und  Herz  geschrieben  ist :  so  müssen  die 
äusserlich  geschriebenen  Worte  nach  dem  Urtheil  der  Vernunft 
ausgelegt  und  gedeutet  und  mit  demselben  in  Uebereinstimmung 
gebracht  werden :  nicht  aber  darf  das  Urtheil  der  Vernunft  nach 
der  Bibel  ausgelegt  und  gedeutet  werden,  so  dass  es  in  Ueberein- 
stimmung mit  der  äusseren  Schrift  in  der  Bibel  oder  irgendwo 
sonst  ausser  der  Bibel  in  Uebereinstimmung  gebracht  wird.«  Das 
letztere  ist  nun  der  Grundsatz  des  Rationalismus  vom  reinsten 
Wasser,  so  klar  und  unverhohlen  ausgesprochen .  dass  es  sich 
lohnt,  die  Worte  Pecocks  im  Original  zu  geben1  . 

Pecock  liebt  es.  seine  Gedanken  etwas  breitspurig  auszu- 
führen, in  mannigfaltigen  Wendungen  zu  wiederholen .  nament- 
lich auch  plastisch  und  je  zuweilen  drastisch  einzukleiden.  Dem- 
gemäss  lässt  er  auf  die  Erörterung  in  wissenschaftlicher  Form 
noch  eine  Verdeutlichung  im  Bilde  folgen : 

»Saget  mir.  guter  Herr,  und  gebt  Antwort  darauf:  Wenn 
Leute  vom  Lande  zur  Sommersonnenwende  nach  London  Baum- 
zweige vom  Bischofswald  und  Blumen  vom  Felde  bringen ,  und 
sie  Bürgern  von  London  ablassen ,  um  ihre  Häuser  damit  zu 
schmücken  :  sollen  dann  Leute  von  London .  welche  diese  Zweige 
und  Blumen  bekommen ,  sagen  und  dafür  halten,  dieselben  seien 
aus  den  Fuhrwerken  erwachsen,  welche  sie  nach  London  gebracht 
haben .  und  diese  Fuhrwerke  oder  die  Hände  der  Ueberbringer 

1  Repressor,  P.  I.  Kap.  5,  Ausg.  von  Babington,  I,  25  folg.:  WKartne 
euere  and  ichere  euere  in  Holi  Scripture  Ott  out  of  Holi  Scripture  he  writen 
eny  point  or  eny  gouemaunce  of  the  seide  latce  of  kinde ,  it  is  niore  rer- 
rili  writen  in  the  hook  of  mannt*  soule  than  in  the  outward  hook  af  par- 
cheinyn  or  of  velym.  And  if  eny  setnyng  discorde  he  hitwixe  the  worais 
writen  in  the  outward  hook  of  Holi  Scripture  and  the  down  of  resoun, 
writen  in  tnannis  soule  a)id  herte:  the  wordis  so  writen  w  ithoutforth 
ouf/hten  he  expoton  ed  and  he  interpretid  and  hrouf/ht  forto  accorde 
with  the  doom  of  resoun  in  thilk  mater ;  and  the  doom  of  resoun  out/hte 
not  forto  he  expowned,  r/losid,  interpretid,  and  hrouf/hte  for  to  accorde  with 
the  seid  outward  uriting  in  Holi  Scripture  of  the  Bihle  or  oughwhei'e  ellis 
out  of  the  liihle. 


Pecock  über  Vernunft  und  Schrift. 


381 


seien  Grund  und  Fundament  jener  Zweige  und  Blumen?  Gott 
verhüte,  dass  so  wenig  Witz  in  ihren  Köpfen  sei:  Wahrlich  wenn 
Christas  und  seine  Apostel  jetzt  in  London  lebten,  und  Zweite 
vom  Bischofswald  und  Blumen  vom  Felde  nach  London  brächten 
und  den  Leuten  überlieferten,  dass  sie  ihre  Häuser  damit  auf- 
putzen könnten  zur  Erinnerung-  an  St.  Johannes  den  Täufer  und 
an  die  Weissagung,  dass  viele  sich  seiner  Geburt  freuen  werden  k) : 
so  dürften  dennoch  die  Leute  von  London .  welche  diese  Zweige 
und  Blumen  erhielten,  nicht  sagen  und  denken,  sie  seien  aus 
Christi  und  der  Apostel  Händen  gewachsen :  denn  Christus  und 
die  Apostel  würden  ja  hiemit  nichts  anderes  thun.  als  was  Andere 
auch  thun  könnten.  Sondern  die  Empfänger  müssten  glauben,  die 
Zweige  seien  aus  den  Aesten  gewachsen ,  auf  denen  sie  im  Bi- 
schofswalde  gestanden  sind,  und  die  Aeste  seien  aus  Stämmen 
gewachsen,  und  die  Stämme  aus  der  Wurzel,  und  die  Wurzel  aus 
dem  sie  umgebenden  Erdboden:  so  dass  weder  das  Fuhrwerk, 
noch  die  Hände  der  Ueberbringer,  noch  diese  Ueberbringer  selbst 
die  Gründe  oder  Fundamente  dieser  Zweige  sind.  Und  ebenso  ist 
das  Feld  die  Grundlage  jener  Blumen,  und  nicht  die  Hände  derer, 
welche  sie  gesammelt  haben,  noch  jene  Ueberbringer.  Und  glei- 
chermaassen  verhält  es  sich  mit  den  Gegenständen .  Sätzen  und 
Wahrheiten  des  natürlichen  Gesetzes,  worin  fast  das  ganze  Gesetz 
Gottes  für  Christen  aufgeht,  mit  Ausnahme  der  Sakramente  Chri- 
sti :  dasselbe  das  natürliche  Sittengesetz  liegt  offen  zu  Tag.  und 
wächst  auf  seinem  eigenthümlichen  Grund  und  Boden .  dem  Feld 
der  Menschenseele ;  da  kommt  eine  Wahrheit  aus  einer  andern, 
und  diese  aus  der  dritten  und  so  fort  bis  zu  den  Grundwahrheiten 
in  der  Moralphilosophie,  gerade  so  wie  das  Reis  aus  dem  Zweige 
wächst,  der  Zweig  aus  dem  Ast.  der  Ast  aus  dem  Stamm  und  der 
Stamm  aus  der  Wurzel.   Und  so  stand  es  nahezu  mit  diesem  gan- 

1  Diese  Festsitte  vom  Johannisfeiertag  am  24.  Juni  ist  in  London  un- 
ter Heinrich  VIII.  abgestellt  worden.  In  Oxford  hat  sie  sich  bis  in  die 
vierziger  Jahre  unseres  Jahrhunderts  insofern  erhalten ,  als  der  erste  Hof 
des  von  Johannitern  gestifteten  Mag dalen- College  am  Johannisfeiertage  rings 
mit  grünen  Zweigen  umsteckt  wurde ;  Jahrhunderte  lang  wurde  auf  einer 
alten  steinernen  Kanzel  im  Hofe  an  diesem  Tage  eine  Predigt  gehalten. 
Knie  well,  Reiseskizzen,  I,  293. 


382 


Buch  III.    Kap.  5,  II. 


zen  Naturgesetz .  ehe  es  irgend  eine  Schrift  des  A.  oder  des  N. 
Testamentes  gab:  und  es  wäre  so  gewesen,  wenn  alle  diese 
Schriften  verbrannt  wären.  Demnach  muss  jeder  Verständige 
zugeben,  dass  keine  von  den  Wahrheiten  des  Naturgesetzes  in 
der  Bibel  ihren  Grund  hat ,  sondern  in  dem  Wald  des  natürlichen 
Gesetzes ,  welchen  Gott  in  des  Menschen  Seele  pflanzt ,  wenn  er 
ihn  zu  seinem  Bilde  macht .  Und  aus  diesem  Walde  von  Wahr- 
heiten können  Wahrheiten  und  Sätze  genommen  und  zu  offener 
Erkenntniss  ihres  Entdeckers  und  anderer  Menschen  gebracht 
werden ,  wiewohl  nicht  ohne  vieljähriges  Bemühen  und  Studiren. 
Und  dazu  dienen  Kenner  der  Moralphilosophie,  welche  derzeit 
Gottesgelehrte  heissen,  gerade  wie  Forstmänner  und  andere  Leute 
dazu  dienen,  Zweige  herabzuhauen  für  sich  selbst,  und  um  sie 
Bürgern  von  London  zu  überliefern  zur  Verschönerung  ihrer 
Häuser 1  .« 

Pecock  begnügt  sich  nicht  mit  dieser  hinlänglich  ausgemal- 
ten Vergleichung.  Er  kleidet  seinen  Gedanken  noch  in  ein  zwei- 
tes und  drittes  Bild  ähnlicher  Art,  und  zieht  dann  den  Schluss : 
»Da  es  sich  so  verhält,  dass  alle  Wahrheiten  des  natürlichen  Ge- 
setzes, welche  Christus  und  seine  Apostel  lehrten,  vor  ihrem  Leh- 
ren und  Schreiben  vorhanden  gewesen  sind  und  vorher  geschrie- 
ben waren  in  dem  ehrwürdigsten  inneren  Buch  des  Urtheils  der 
Vernunft,  welches  alle  äusseren  Bücher  übertrifft  am  Nutzen  für 
den  Menschen  um  Gott  zu  dienen2):  so  folgt  noth wendig,  dass 
keine  von  den  besagten  Wahrheiten  begründet  ist  auf  die  Worte 
oder  Schriften  Christi  oder  der  Apostel ,  sondern  in  dem  besagten 
inneren  kostbaren  Buch  und  Schreiben ,  das  in  des  Menschen 
Seele  liegt  ;  und  aus  dieser  inneren  Schrift  können  durch  Bemü- 
hung und  Studium  von  Gelehrten  mehr  Sätze  und  Wahrheiten 
und  Ordnungen  des  natürlichen  Sittengesetzes  und  des  Gesetzes 
über  Gottes  Dienst  genommen  werden ,  als  die  grosse  St.  Pauls- 
kirche in  London  zu  fassen  vermöchte!" 

Was  die  übrigen  »Hauptsätze«  oder  Wahrheiten  anbelangt, 

1)  Repressor,  P.  1.  Kap.  G.  S.  28  —  30. 

2)  a.  a.  O.  I,  31 :  Thilk  soletnpnest  inward  book  or  intcarä  writing  of 
resounis  dootn  passing  alte  outward  bookis  in  praßte  tu  msn  for  to  wstms  God. 


Pecock  über  Vernunft  und  Schrift. 


welche  Pecock  unter  Nr.  2  — 13  zum  positiven  Gegenbeweis 
wider  das  Schriftprinzip  der  Lollarden  aufstellt,  so  mag  in  aller 
Kürzt'  nur  so  viel  davon  hier  bemerkt  werden. 

Die  heil.  Schrift  ist  von  Gott  dazu  bestimmt,  einem  doppelten 
Zwecke  zu  dienen : 

1  Gla  üben  s  Wahrheiten  zu  begründen,  d.  h.  Wahrheiten 
zu  bezeugen,  welche  die  Vernunft  an  und  für  sich,  ohne  göttliche 
Offenbarung,  zu  entdecken  und  kennen  zu  lernen  vollständig 
ausser  Stande  ist.  und  das  sind  theils  Wahrheiten,  »wrelche  keine 
Gesetze  sind  .  z.  B.  die  Dreieinigkeit,  die  Menschwerdung  Got- 
tes, die  Lehre  von  der  Schöpfung,  die  Geschichte  des  Lebens 
Jesu,  die  Lehre  von  der  zukünftigen  Auferstehung ;  theils  Wahr- 
heiten, welche  Gesetze  sind.  z.  B.  dass  jeder  getauft  wer- 
den, dass  jeder  das  heil.  Abendmahl  empfangen  solle1).  Sofern 
die  Schritt  solche  Wahrheiten  gründet,  ist  sie  für  den  Christen 
unentbehrlich. 

2  Der  andere  Zweck,  zu  welchem  die  heil.  Schrift  von  Gott 
verordnet  wurde  .  ist,  sittliche  Wahrheiten  (nicht  zu  grün- 
den, sondern  zu  bezeugen  und  vermahnend  vorzutragen, 
welche  in  dem  natürlichen  Sittengesetz  moral  luve  of  linde 
gegründet  sind,  und  welche  die  menschliche  Vernunft  für  sich 
allein  finden  und  erkennen  kann. 

Pecock  beschrankt  jedoch  die  Vernunft  nicht  auf  sittliche 
Wahrheiten,  behauptet  vielmehr,  dass  sie  auch  gewisse  Glau- 
benswahrheiten ohne  Hülfe  der  Offenbarung  und  der  heiligen 
Schrift  rinden  und  erkennen  könne,  z.  B.  dass  ein  Gott  ist,  dass 
er  alle  Kreaturen  aus  nichts  gemacht  hat;  ferner,  dass  der 
Mensch  zu  dem  Zwecke  geschaffen  ist,  mit  Gott  vereinigt  zu 
werden  durch  Erkenntniss,  Liebe  und  Gehorsam  u.  s.  w.  Und 
zu  diesen  Wahrheiten,  meint  er.  könne  die  Vernunft  gelangen 
vermöge  so  einleuchtender  Beweise,  dass  die  so  erlangte  Er- 
kenntniss ausreichend  sei  um  den  Willen  des  Menschen  zu  regie- 
ren und  zu  bewegen  zum  innern  Erwählen  und  äusseren  Han- 
deln in  Gemässheit  jener  Erkenntniss.  Solche  Erkenntniss  sei 
allerdings  nicht  eine  demonstrative .  sondern  nur  eine  wahr- 


1    JRepressor,  I.  S.  35.  39.  S3. 


384 


Buch  III.   Kap.  5.  II. 


scheinliche ;  aber  auch  der  auf  die  heil.  Schrift  sich  stützende 
Glaube  besitze  keine  über  die  blosse  Wahrscheinlichkeit  hinaus- 
gehende Stärke ,  um  unser  Leben  und  unsern  Wandel  vor  Gott 
zu  regeln ') . 

Vergleicht  man  die  beiden  Complexe  von  Wahrheiten,  so  ist 
nach  Pecock  der  Inbegriff  sittlicher  Wahrheiten,  welche  die 
menschliche  Vernunft  selbst  finden  kann ,  weit  umfassender  und 
reicher  als  der  Inbegriff  der  nur  durch  Offenbarung  und  mit  Hülfe 
der  heil.  Schrift  zugänglichen  Wahrheiten.  Ja  er  ist  der  Meinung, 
dass  sittliche  Pflichten,  z.  ß.  die  der  Mässigkeit,  Demuth,  Ge- 
duld u.  s.  w.,  »im  natürlichen  Gesetz  durch  die  Vernunft  zehnfach 
vollständiger  gelehrt  werden  als  in  der  Bibel2)«.  Freilich  hat  er 
dabei  wissenschaftliche  Erörterungen  im  Auge,  »Bücher  in  der 
Moralphilosophie«,  wie  er  sie  nennt,  u.  s.  w.  Diese  hält  er  nicht 
nur  für  nützlich,  sondern  auch  geradezu  für  unentbehrlich.  Aus 
diesem  Grunde  räth  er  den  »Personen  von  der  Laienpartei«,  Geist- 
liche hochzuschätzen ,  welche  in  der  Moralphilosophie  tüchtig  be- 
wandert sind;  und  denjenigen,  welche  nicht  im  Falle  sind  die 
persönliche  Unterweisung  solcher  Männer  zu  gemessen,  empfiehlt 
er  wiederholt,  und  nicht  ohne  ein  bedeutendes  Maass  von  Selbst- 
bewusstsein,  seine  eigenen  Werke,  z.  B.  »Donat  der  Christenreli- 
gion«  und  wie  sie  alle  heissen. 

Das  Beste  sei,  meint  Pecock,  wenn  man  die  heil.  Schrift  in- 
nerhalb ihres  Bereiches  gelten  lasse ,  so  dass  sie  die  Grenzen  des 
natürlichen  Gesetzes  nicht  überschreite  und  dessen  Recht  nicht 
beeinträchtige;  andererseits  aber  müsse  auch  das  natürliche  Ge- 
setz sich  innerhalb  seiner  Grenzen  halten  und  dürfe  sich  nicht 
anmaassen  etwas  zu  gründen ,  was  der  heil.  Schrift  zukommt, 
sondern  beide  müssen  freundnachbarlich  bei  einander  wohnen  :!  . 

Aber  in  dieser  Beziehung,  scheint  es  ihm.  machen  die  »Bibel- 
männer«.  d.  h.  die  Lollarden,  einen  grossen  Fehler.   Sie  wollen 


1  Represner,  I,  S.  41  folg. 

2  lteprtssor ,  P.  I.  Kap.  7.  13(1.  II.  S.  34:  Whiehe  all*  Inn  tauyht  in 
tltc  lawe  of  kinde  bi  doom  of  resoun  tnore  füllt  thun  thei  bai  rc/icrvid 
in  Holt  Soriptut'6  bi  tenfßld  and  more.   Vgl.  S.  14  iulg. 

a.  a.  ().  I,  70:  thut  euereither  of  hetn  neig hb out ly  dwellc  biridis 
thß  otlier  of  lu-nt. 


Pecock  über  das  Schriftprinzip  der  »Bibelmänner«. 


385 


nicht  einräumen,  dass  irgend  eine  Handlung  und  Ordnung  Gottes 
Gtetetz  sei  und  zum  Dienste  Gottes  gehöre,  sie  sei  denn  auf  die 
heil.  Schrift  gegründet,  als  ehrten  sie  Gott  desto  mehr, 
je  höher  sie  die  heil.  Schrift  priesen;  während  Gott 
unmöglich  geehrt  werden  kann  durch  Unwahrheit.  Wenn  jemand 
aus  der  heil.  Schrift  oder  aus  irgend  einer  Kreatur  in  Himmel  und 
Erde  mehr  macht,  als  der  Wahrheit  gemäss  ist.  so  kann  das  Gott 
nur  misfallen.  Falls  jemand  sich  gegen  Gott  zu  versündigen 
fürchtet ,  wenn  er  sich  aus  der  Bibel  zu  wenig  macht,  so  frage 
ich,  warum  fürchtet  er  sieh  nicht  davor,  die  innere  Schrift 
des  natürlichen  Gesetzes  zu  wenig  zu  schätzen,  welche 
Gott  selbst  in  die  Menschenseele  geschrieben  hat .  als  er  sie  zu 
seinem  Bilde  machte  1  " 

Pecock  verwahrt  sieh  übrigens  ausdrücklich  gegen  die  Vor- 
aussetzung, als  ob  er  es  für  unerlaubt  hielte,  dass  Laien  in  der 
Bibel  lesen,  studiren  und  lernen  unter  Beihülfe  und  mit 
dem  Rathe  weiser  und  gelehrter  Geistlichen  und  mit 
Genehmigung  ihres  Vorgesetzten,  des  Bischofs;  sondern 
seine  Absicht  sei  blos,  den  Dünkel  derjenigen  Laien  zu  rügen  und 
zu  dämpfen,  welche  wähnen,  dass  sie  durch  ihr  fleissiges  Bibel- 
lesen allein  zur  grössten  Einsicht  gelangen  könnten 2  . 

Bisher  haben  wir  den  ersten  Grundsatz  der  »Bibelmänner«, 
welchen  Pecock  theils  direkt  theils  indirekt  bekämpft,  mit  an- 
dern Worten  das  Schriftprinzip  derselben  in's  Auge  gefasst. 

Der  zweite  Grundsatz,  wie  ihn  Pecock  fasst,  bezieht 
sich  auf  die  Erfordernisse  des  richtigen  Schriftverständ- 
nisses. Die  Meinung  der  Lollarden  ist  nämlich:  jeder  Christ, 
welcher  demüthig  im  Geist  ernstlichen  Willens  ist,  die  heil. 
Schrift  gebührend  zu  verstehen,  werde  den  wahren  Sinn  der 
Schrift  ohne  Fehl  und  Mangel  finden ,  wo  er  auch  lesen  und  stu- 
diren möge ,  selbst  in  der  Offenbarung  Johannis ;  und  je  demü- 
thiger  er  sei ,  desto  eher  werde  er  zu  dem  wahren  und  richtigen 
Verständniss  dessen  gelangen,  was  er  in  der  Bibel  lese.  —  Es  ist 
hiebei  besonders  zu  beachten,  dass  die  Lollarden  ausdrücklich 


1)  Repressor,  I,  S.  51  folg. 
Z)  a.  a.  O.  I,  S.  KT. 
Lechlee,  Wiclif.  II.  25 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


auch  auf  Frauen  diesen  Grundsatz  ausdehnten.  Wir  sehen  die 
Tragweite  des  »allgemeinen  Priesterthums«,  welchem  sie,  ohne 
es  so  zu  nennen ,  huldigten  1  j .  Als  S  ehr i f t b e w ei  s  für  diesen 
Grundsatz  beriefen  sie  sich  auf  Bibelworte  wie  Jesa.  Öt>.  2:  »Wen 
anders  soll  ich  ansehen,  als  einen  kleinen  armen  Mann,  gebrochen 
im  Herzen  und  zitternd  bei  meinen  Worten  /«  laut  der  altengli- 
schen Uebersetzung )  ;  ferner  Jak.  4,6:  »Gott  widerstehet  den 
Hoffärtigen,  aber  den  Demuthigen  gibt  er  Gnade«:  Jesaia  57,  15: 
»Dass  Gott  der  ewiglich  wohnet ,  bei  einem  demüthigen  und  zer- 
knirschten Geiste  wohnet ,  auf  dass  er  erquicke  den  Geist  demü- 
thiger  Menschen  und  das  Herz  zerknirschter  Menschen2).« 

Dieser  Grundsatz  ist  insofern  überaus  charakteristisch,  als  er 
ganz  auf  die  Ethik  Wiclif 's  sich  gründet;  derselbe  erkennt  den 
Hochmuth  für  die  Ursünde,  und  die  Demiith  für  die  Grundtugend, 
die  Wurzel  aller  übrigen  Tugenden,  ja  für  die  Wurzel  christlicher 
Frömmigkeit:  je  demüthiger  einer  ist,  desto  näher  ist  er,  nach 
Wiclif,  bei  Christo  selbst3).  Wenn  demnach  die  Lollarden  in 
Pecock's  Zeit  Demuth  für  das  Haupterforderniss  richtigen 
Schriftverständnisses  ansahen,  'so  sind  sie  im  allgemeinen  Wi- 
clif's Grundgedanken  treu  geblieben.  Aber  Wiclif  hat  auch 
im  besonderen  gerade  für  die  Auslegung  der  Schrift  demüthige 
Gesinnung  gefordert 4) . 

Pecock  hat  für  diesen  Gedanken  kein  Organ.  Er  hat  ver- 
schiedene Einreden  gegen  denselben;  die  gewichtigste  ist  aber 
jedenfalls  die:  Schriftauslegung  sei  eine  Verstandessache,  gut 
und  heilig  zu  sein  aber  sei  eine  Sache  des  Willens  und  der  Gesin- 
nung; der  sittlich  fehlerhafte  Mensch  könne  einen  helleren  Ver- 
stand und  ein  richtigeres  Schriftverständniss  haben  als  der  tugend- 

I  In  einer  späteren  Stelle,  Kap.  20  des  I.  Theils,  Bd.  I.  S.  er- 
wähnt Pecock  uisdrücklich ,  dass  namentlich  die  Frauen  der  Lollarden 
sich  durch  die  Bibel  so  weise  machen,  dass  sie  keine  Handlung  als  tugend- 
haft anerkennen ,  die  sie  nicht  ausdrücklich  in  der  Bibel  rinden ;  er  meint . 
»sie  führen  eine  sehr  hochmüthige  Sprache  in  Betreff  der  Geistlichen,  und 
rühmen  sich,  wenn  sie  in  ihrer  muthwilligen  Laune  und  in  ihren  eigenen 
Häusern  sind/  zu  disputiren  gegen  Geistliche.« 

2)  Mepreaaor,  I,  S.  0  folg. 

.5   s.  Buch  II.  Kap.  7.  VIII. 

4)  nSenaua  auctoris  hum  i Itter  indurjanihm«,  oben  Buch  II.  Kap.  7.  III. 


Das  Wiclif  sehe  Schriftprinzip  der  Lollarden  nach  Pecock.  387 


hatte  Mann  1  .  Um  hier  den  »dritten  Grundsatz«  als  von  gerin- 
gerem Belang  zu  übergehen,  fügen  wir  sofort  den  »vierten  bei. 
welchen  Pecock  nachträglich  erwähnt ;  denn  dieser  steht  im  innig- 
sten Zusammenhang  mit  dem  »zweiten« ;  er  lautet  so :  Wenn  jemand 
nicht  nur  demüthig  ist.  sundern  auch  das  ganze  »Gesetz  Gottes«, 
so  weit  es  ihn  angeht,  erfüllt,  so  werde  er  das  wahre  Verständ- 
niss  der  heil  Schrift  erlangen,  obgleich  ihn  niemand  lehrt 
ausser  Gott;  hingegen  diejenigen  Menschen,  welche  nicht  treu 
nach  Gottes  Gesetz  wandeln,  werden  nicht  zu  dem  wahren  Ver- 
ständniss  der  heil.  Schrift  gelangen,  wenn  sie  auch  alle  ihre  na- 
türliche Kraft  und  Fleiss  daran  wenden ,  nebst  der  Beihülfe  und 
dem  Rath  anderer  Personen  ihres  gleichen.  Nun  aber  leben,  wie 
es  ihnen  scheint,  die  Bischöfe  und  Archidiakonen,  Doctoren  und 
andere  Geistliche  sämmtlich  ausserhalb  »Gottes  Gesetz«:  deshalb 
glauben  sie.  dass  kein  Bisehof,  Doctor  u.  s.  w.  das  wahre  und 
gebührende  Schriftverständniss  erlange;  darum  wTollen  sie  auch 
keinem  Bischof  und  sonstigen  Geistlichen  Glauben  schenken; 
sondern  sie  schenken  nur  derjenigen  Lehre  Glauben,  w  elche  sie 
unter  sich  selbst  finden  durch  Studiren  in  der  Bibel  allein.  Denn 
von  sich  selbst  allein  glauben  sie ,  dass  sie  sich  in  einem  wah- 
ren gläubigen  Leben  in  Gemässheit  des  Gesetzes  Gottes  be- 
linden- . 

Wenn  Bischof  Pecock  gerade  diese  Ansicht  für  »höchst  ge- 
fahrlich und  der  Widerlegung  bedürftig«  hält 3  ,  so  kann  uns  das 
freilich  nicht  Wunder  nehmen.  Er  glaubt  sie  jedoch  leicht  wider- 
legen zu  können,  indem  er  gegen  sie  aufführt  »die  grösste  Ge- 
wissheit, welche  in  unserem  Wissen  möglich  ist,  nämlich  die 
Erfahrung«;  es  sei  Thatsache  der  Erfahrung,  und  er  selbst, 
der  Bischof,  habe  durch  sorgfältiges  Nachforschen  die  vollkom- 
mene Gewissheit  davon  erlangt,  dass  unter  denjenigen,  welche 
diese  »vierte  Ansicht  haben .  einige  sich  finden ,  welche  unter 
ihnen  selbst  und  anderen  Nachbarn  als  ausschweifende  Leute, 
als  Diebe  bekannt  sind.  Ja  gerade  solche,  welche  unter  ihnen  in 


1)  Repressor,  I,  IS.  92  folg.,  bes.  94. 

2   a.  a.  O.  I,  S.  102  folg. 

3)  a.  a.  Ü.  I,  S.  S.  Kap.  Anfang,  I.  S.  102. 


388 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


recht  grossem  Ansehen  stehen  im  Lehren .  waren  solche  und  sind 
solche,  wie  Pecock  zweifellos  zu  erweisen  sich  getraue1). 

Nachdem  Pecock  im  I.  Theil  die  Prinzipien  erörtert  hat. 
geht  er  in  den  übrigen  4  Theilen  auf  die  Rechtfertigung  mehre- 
rer Hauptstücke  des  kirchlichen  Wesens  ein,  welche  von  den  Lol- 
larden  seiner  Zeit  beanstandet  wurden.  Nach  dem  ursprünglichen 
Plan2)  beabsichtigte  er  11  Punkte  zur  Sprache  zu  bringen:  1  den 
Gebrauch  von  Bildern  in  Kirchen ,  2)  die  Wallfahrten .  3  den 
Grundbesitz  des  Klerus.  4  die  Stufen  der  Hierarchie  nebst  dem 
Primat  Petri  und  des  Papstes ,  5)  die  kirchliche  Gesetzgebung, 
welche  vom  Papst  und  Episkopat  ausgeht ,  fr)  die  Mönchsorden. 
T  die  Verdienste  der  Heiligen  und  ihre  Anrufung .  8  den  kost- 
baren Schmuck  der  Kirchen.  9  die  Anbetung  der  Hostie.  10  den 
Eid.  1 1   die  Todesstrafe  und  die  Kreuzzüge. 

In  der  Ausführung  hat  jedoch  der  Verfasser  die  ö  letzten 
Punkte  nicht  erörtert,  sie  vielmehr  sämmtlich  in  einem  Kapitel, 
dem  15ten  des  V.  Theils.  abgethan.  unter  Verweisung  auf  andere 
seiner  Schriften.  Er  hat  offenbar  gefühlt,  die  Erörterung  der 
6  ersten  Punkte  sei  schon  allzu  breit  gerathen.  und  das  Buch 
könnte  »den  meisten  vom  gemeinen  Volke  zu  theuer  werden  1 

Ueberscliauen  wir  jedoch  nach  dem  ersten  Plan  die  1 1  Punkte, 
so  springt  in  die  Augen ,  dass  sie  sicli  sämmtlich  auf  Fragen  des 
Kultus  oder  der  Verfassung  und  des  kirchlichen  Rechts  beziehen, 
nämlich  1  und  2.  7  —  9  auf  den  Kultus,  3  —  Ö .  Ii)  und  11  auf 
Kirchenverfassung  und  Recht.  Kein  einziger  dieser  Punkte  ist 
lediglich  Sache  des  Dogma :  nur  zwei  greifen  wenigstens  mit  in 
die  Glaubenslehre  ein,  Nr.  7,  sofern  es  sich  um  das  Verdienst 
der  Heiligen .  Nr.  9.  sofern  es  sich  um  die  zu  Grunde  liegende 
Abendmahlslehre  handelt.  Aus  der  kurzen  Erörterung  dieses  Ge- 
genstandes,  und  der  Abneigung  jener  Partei  gegen  die  Messe4' 
ist  leicht  abzunehmen,  dass  die  Opposition  Wiclifs  gegen  die 
Lehre  von  der  Wandlung  um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts 
noch  keineswegs  ausgestorben  war. 

1;  Repressor,  I.  S.  103. 

2)  a.  a.  O.  Vorwort  I.  S.  4.  Kap.        S.  110  folg. 

3)  a.  a.  O.  II,  5G2. 

4)  a.  a.  O.  II,  5ü:j. 


Die  Lollarden  über  Bild  und  Schrift. 


389 


Es  wird  wenigstens  einige  nicht  zu  verachtende  Ausbeute 
geben,  wenn  wir  von  den  im  II — Vten  Tlieile  folgenden  Erörte- 
rungen Kenntniss  nehmen.  Denn  Pecock  hat  die  Lollarden. 
ihre  Ansichten  und  Gedanken  dermaassen,  ich  möchte  sagen, 
studirt.  dass  er  zu  unserer  Kenntniss  derselben  manchen  dan- 
kenswerthen  Beitrag  zu  geben  vermochte. 

Im  II.  Buch  werden  die  zwei  ersten  Punkte  besprochen, 
nämlich  Bilder  und  Wallfahrten;  und  da  man  gerade  zu 
berühmt  gewordenen  Bildern  pilgerte ,  so  steht  beides  in  solchem 
inneren  Zusammenhang,  dass  auch  bei  Pecock  öfters  beide  Kul- 
tusfragen in  einander  fliessen.  Da  uns  hier  die  Lollarden  selbst 
direkt  interessiren  und  Pecock' s  Ansichten  nur  indirekt,  so 
übergehen  wir  zunächst  die  ausführliche  positive  Rechtfertigung 
des  Gebrauchs  der  Bilder ,  welche  der  Verfasser  in  erster  Linie 
versucht 1  .  und  wenden  uns  zu  den  Gründen  und  Einwendungen 
der  Lollarden  gegen  Bilder ,  die  der  Bischof  der  Reihe  nach  auf- 
führt und  beantwortet.  Unter  diesen  befinden  sich  mehrere,  die 
allerdings  von  Belang  sind. 

Jene  »Laien«  machten  geltend,  Bilder  und  Pilgerfahrten  seien 
durchaus  nicht  nothwendig,  um,  wie  deren  Vertheidiger  beton- 
ten, das  Volk  an  die  Wohlthat  Christi  und  seine  Passion,  an  den 
frommen  Wandel  der  Heiligen  zu  erinnern ;  es  gebe,  meinten  sie, 
geeignetere  Mittel ,  solche  Dinge  in  Erinnerung  zu  bringen ,  na- 
mentlich Schriften.  Und  wenn  man  ihnen  erwiederte,  Bilder  seien 
gerade  die  »Bücher  der  Ungelehrten«,  weil  nun  einmal  doch  nicht 
alle  Männer  und  Weiber  lesen  können ,  was  in  Büchern  geschrie- 
ben ist:  so  gaben  die  Lollarden  zur  Antwort,  man  sollte  ver- 
ordnen, dass  alle  Männer  und  Weiber  in  ihrer  Jugend 
lernen  sollten,  Geschriebenes  in  ihrer  Mutter  spräche 
zu  lesen;  dann  würde  nicht  blos  besagtes  Gute  der 
Erinnerung  daraus  entspringen,  sondern  zugleich 
auch  manches  andere  Gute2).   -Der  gelehrte  Bischof  be- 


1  Repressor,  II.  Kap.  2  -  S.  Band  I.  S.  136  —  190. 

2  a.  a.  O.  I.  S.  192:  It  myghte  be  ordeyned  that  alle  nien  and 
wommeti  in  her  jongthe  schulden  leeme  forto  rede  writingis  in  the 
langage  in  which  thei  schulden  lyue  and  dweJle;  and  thanne  therbi  schulde 


390 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


merkt  hiezu  nicht  ohne  einiges  Kopfschütteln .  sie  machen  sich  in 
Folge  dessen  nicht  viel  ans  jener  Erwiederung. 

Aber  wir  können  nicht  anders  als  jenen  Gedanken  der  engli- 
schen Lollarden  in  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  mit  Verwun- 
derung begriissen.  Wir  sehen  darin  die  erste  Idee  obligatorischen 
Leseunterrichts .  mit  andern  Worten .  die  Forderung  der  Volks- 
schule, und  zwar  mit  Schulzwang,  aufdämmern.  Offenbar  hat  ihr 
eigener  Drang  nach  biblischer  Erkenntniss  und  die  Befriedigung, 
welche  ihnen  selbst  das  Bibellesen  gewährte  .  sie  auf  den  Gedan- 
ken geführt,  diese  Wohlthat  und  die  Fähigkeit  sich  seil  ist  zu 
unterrichten,  könnte  und  —  sollte  billig  allen  — Männern  und 
Frauen  —  zugänglich  gemacht  werden.  Wir  constatiren  die 
Thatsache.  dass  der  für  die  Geschichte  des  Unterrichts  ,  ja  für 
die  Kulturgeschichte  überhaupt  belangreiche  Gedanke  eines  obli- 
gatorischen Leseunterrichts  für  die  Jugend  beiderlei  Geschlechts 
zuerst  bei  den  englischen  Lollarden  erwacht  ist.  und  zwar  im  in- 
nigsten Zusammenhang  mit  ihrer  kirchlichen  Opposition .  insbe- 
sondere mit  ihrem  Bibelleben. 

Ferner  erinnerten  sie :  wenn  Bischöfe .  Priester  und  Geist- 
liche .  welche  durch  die  Laien  dazu  mit  Gütern  bedacht  worden 
sind,  den  Laien  so  oft  und  so  viel  predigen  wollten,  als  sie  von 
Amts  wegen  schuldig  sind ,  so  würden  die  Laien  an  diejenigen 
(Tegenstände .  welche  durch  Bilder  und  Pilgerfahrten  in  Erinne- 
rung gebracht  werden  sollen,  so  hinlänglich  erinnert  werden,  dass 
sie  Bilder  und  Wallfahrten  gar  nicht  mehr  nöthig  hätten.  Des- 
wegen ist  es  nicht  vernünftig  und  passend,  dass  die  Nachlässig- 
keit der  so  wohl  besoldeten  Bischöfe .  Priester  und  Kleriker  ge- 
duldet wird  und  fortdauert,  wodurch  den  Laien  Mühe  und  Kosten 
gemacht  werden  mit  Pilgerreisen  u.  s.  w.  . 

Ein  anderer  Einwand,  den  die  Lollarden  gegen  Bilder  erho- 
ben war  der:  jeder  lebende  Mensch  sei  ein  besseres  und  vollkom- 
meneres Bild  Christi  und  jedes  Heiligen,  als  ein  todter  Stock  und 
Stein,  vom  Bildhauer  bearbeitet  und  mit  Gold  und  Gemälden  ge- 
schmückt l) . 

rome  forth  not  oonli  tJtis  seid  goml  of  rememhrauncing.  hu*  tut/du'  o/hir  ffood 
ii  /so  ther  teith. 

1    Itrpressor,  Bd.  1,  192  folg. 


Die  Lollarden  über  Bilder  und  Wallfahrten. 


391 


Ausserdem  verfehlten  sie  nieht  auf  Schriftworte  sich  zu  be- 
rufen, wie  Joh.  4.  24  von  den  wahren  Anbetern,  die  den  Vater 
im  Geist  und  in  der  Wahrheit  anbeten  u.  s.  w. :  sie  erinnerten, 
dass  Bilderdienst  zu  Götzendienst  führe ;  denn  wenn  man  andäch- 
tig zu  einem  Gegenstand  bete .  so  mache  man  daraus  einen  Gott, 
und  solche  Gebete  werden  sowohl  von  Geistlichen  als  vom  Volke 
an  das  Kreuz  gerichtet  in  wirklich  üblichen  und  sanetionirten 
Gebeten  und  Hymnen,  z.  B. : 

O  crux,  ace  spes  uitica! 

Hoc  passionis  tempore 
pÜ8  adauge  yratiatn 

rcisque  dele  crimina  ! 

Am  Charfreitag  sei  es  gewöhnlich,  dass  die  Leute  in  demüthigster 
Geberde  zum  Kreuze  kriechen  auf  den  Knien,  und  dem  Kreuz 
andächtig  opfern,  und  die  Füsse  des  Kreuzes  küssen:  offenbar 
nehmen  sie  dag  Kreuz  für  ihren  theuersten  Herrn  selbst1  . 

Es  ist  kein  Zweifel,  die  Lollarden  der  damaligen  Zeit  ver- 
warfen den  Gebrauch  von  Bildern  in  Kirchen  unbedingt  und 
mit  vollkommener  Entschiedenheit.  Sie  gingen  in  diesem  Stücke 
über  Wiclif  hinaus ,  der  nur  gegen  den  Misbrauch  der  Bilder, 
nicht  gegen  jeden  Cfebrauch  derselben  gewesen  war  und  nur  ein- 
geschärft hatte  .  man  müsse  sich  vor  dem  unter  dem  Honig  ver- 
borgenen Grift  in  Acht  nehmen,  d.  h.  vor  abgöttischer  Verehrung 
des  Bildes  selbst  anstatt  des  Abgebildeten 2  . 

Wie  Pecpck  sich  zu  der  Bilderfrage  stellt,  sei  nur  kurz 
erwähnt.  Er  ist  weit  entfernt  die  kostbare  Ausschmückung  der 
Bilder,  die  ihnen  dargebrachten  Opfer,  die  Erweisung  göttlicher 
Ehre  in  Schutz  zu  nehmen.  Er  räumt  sogar  ein.  dass  Bilder, 
wenn  sie  unvermeidlich  zum  Götzendienst  gebraucht  werden  .  ja 
wenn  auch  nur  mehr  Böses  als  Gutes  aus  ihrem  Gebrauch  her- 
vorgeht, zerbrochen  werden  dürfen.  Allein  heut  zu  Tage  liege 
die  Gefahr .  das  Bild  als  Gott  anzusehen  und  zu  verehren .  nicht 
so  nahe  :  das  thue  doch  niemand  mehr .  wenn  er  die  Kindheit 
hinter  sich  hat  und  nicht  ein  wirklicher  Narr  ist.    Ferner  erinnert 

1  Repressor,  I.  207. 

2  s.  oben  Buch  II.  Kap.  T.  X. 


392 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


er.  Hören  und  Lesen  seien  zwar  nützlich .  aber  die  Anschauung 
von  Bildern  wirke  doch  lebendiger .  anregender  una  eindrucks- 
voller als  das  Lesen  vieler  Bände.  Wenn  in  London  10.000  Bü- 
cher mehr  über  Leben  und  Passion  der  heil.  Katharina  wären, 
als  bereits  dort  sind,  so  würden  sie  die  Stadt  doch  nicht  in  dem 
Grade  an  das  heilige  Leben  der  Katharina  und  ihre  jetzige  Herr- 
lichkeit erinnern,  als  die  jährliche  Wallfahrt  des  Volks  zu  dem 
Collegium  der  heiligen  Katharina  bei  London  an  der  Vigilie  des 
St.  Katharinentages  24.  Nov.  1  . 

Auch  über  die  Wallfahrten  hatte  Wiclif  selbst  mit 
maasshaltender  Vorsicht  sich  ausgesprochen.  Er  hat  sie  nicht  an 
sich  und  unbedingt  gemisbilligt.  aber  auch  nicht  positiv  gebilligt, 
indem  er  der  Ansicht  war,  diejenigen,  welche  einen  solchen  Got- 
tesdienst verrichten,  •könnten  sich  in  der  Zeit,  die  sie  darauf  ver- 
wenden, besser  beschäftigen,  begehen  also  mindestens  eine  Un- 
terlassungssünde2  .  Die  Lollarden  in  Pecocks  Zeit  eigneten 
sich  Wiclif  s  Gedanken  insoweit  an.  als  sie  gleichfalls  geltend 
machten ,  man  könnte  wohl  etwas  besseres  thun  als  Wallfahrten 
unternehmen:  in  der  Zeit,  die  man  darauf  verwende,  und  mit  den 
Kosten,  die  man  daran  rücke,  könnte  man  viel  thun.  was  ein  bes- 
serer Gottesdienst  wäre,  nämlich  arme  Leute  besuchen,  Unweise 
lehren .  in  Andachtsbüchern  und  andern  Büchern  geistlicher  Un- 
terweisung fleissig  studiren.  Es  sei  also  ein  übler  Tausch .  wenn 
man  so  viele  Mühe  und  Kosten  an  Bilder  und  Wallfahrten 
wende  3j .  Im  übrigen  scheinen  diese  Lollarden  sich  unbedingt  und 
entschieden  gegen  Pilgerfahrten  ausgesprochen  zu  haben.  Dem- 
nach sind  sie  auch  in  Betreff  der  Wallfahrten,  wie  der  Bilder, 
über  Wiclif  selbst  hinausgegangen. 

Uebrigens  ist  Pecock  besonnen  genug,  um  seine  Recht- 
fertigung der  Bilder  und  Pilgerfahrten  mit  der  allgemeinen  Be- 
merkung zu  schliessen  :  der  Gebrauch  solcher  sichtbaren  Zeiehen 
sei  zwar  gut  und  nützlich,  wenn  er  mit  Andacht  und  mit 
Verständniss  dessen,  was  die  Zeichen  bedeuten,  verbunden 

1)  Repressor,  I.  S.  215. 

2   s.  oben  Buch  II.  Kap.  7.  X. 

.1    Repressor,  I.  S.  195. 


Die  Lollarden  über  das  Kirchengut. 


393 


ist.  zumal  für  Leute,  welche  Gottes  Wort  nicht  lesen  oder  die  Pre- 
digt nicht  hören  können :  dessen  ungeachtet  wünschte  er  nicht,  dass 
man  solche  sichtbare  Zeichen  immer  suche:  denn  man  würde 
dann  eine  bessere  Uebung  versäumen  und  eine  Zeit  verschwen- 
den .  welche  man  besser  zum  Hören  oder  Lesen  von  Gottes  Wort 
anwenden  würde.  »Denn  wie  die  Sonne  an  Helle.  Heiterkeit  nnd 
Wohlthun  den  Mond,  und  eine  grosse  Fackel  ein  kleines  Kerzen- 
licht übertrifft,  so  übertrifft  das  Lesen  und  Hören  des  Wortes 
Gottes,  d.  h.  die  Beschäftigung  mit  hörbaren  Zeichen,  die 
uns  Gott  gegeben  hat.  an  Klarheit  der  Unterweisimg,  an  Hei- 
terkeit der  Ergötzung  daran .  und  im  Wohlthun  zur  Stärke  im 
Thun  und  Leiden  für  Gott  beim  Halten  seines  Gesetzes,  jede 
mögliche  Uebung  in  Betreff  sichtbarer  Zeichen,  welche  von 
Menschen  erfunden  sind1  «.  Eine  Erklärung,  bei  welcher 
die  Lollarden  immerhin  Beruhigung  fassen  konnten ,  da  hiemit 
anerkannt  war.  dass  die  Bilder  im  Kultus  lediglich  von  Men- 
schen erfunden  seien,  während  die  Bibel  Gottes  Geschenk  und 
Gabe  sei ,  mit  andern  Worten .  dass  eben  doch  Gottes  Wort  über 
alles  gehe. 

Der  dritte  Punkt,  welchen  Pecock  beleuchtet  und  in 
Schutz  nimmt,  ist  das  Kirchengut.  Diesem  ist  das  ganze 
IH.  Buch  I.  275  —  II,  415  gewidmet.  Wir  erfahren,  dass  die 
Lollarden  gegen  alles  Kirchengut ,  gross  oder  klein ,  sich  erklär- 
ten, indem  sie  unter  anderem  geltend  machten: 

1)  Die  Frucht  der  reichen  Ausstattung  der  Kirche  sei  Stolz, 
l  eppigkeit.  Simonie  und  andere  Sünden:  also  sei  der  Baum 
nichts  nütze,  denn  »wie  die  Frucht,  so  der  Baum«. 

2)  Christus  hat  die  Kirche  weder  selbst  mit  Gütern  ausge- 
stattet noch  solches  für  die  Zukunft  befohlen :  also  ist  das  Kir- 
chengut nicht  zuträglich  der  Geistlichkeit  oder  dem  andern  Theil 
der  Kirche. 

3)  Als  Constantin  der  Grosse  den  Papst  Silvester,  der  ihn 
getauft  hatte .  mit  reichen  Ländereien  ausstattete,  habe  man  die 
Stimme  eines  Engels  in  der  Luft  gehört :  »Heute  ist  Gift  ausge- 

1)  Kepressor,  I.  S.  273  folg. 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


gössen  worden  in  die  Kirche  Gottes« ,  also  sei  Ausstattung  des 
Klerus  mit  unbeweglichen  Gütern  unrecht  und  übel. 

Das  sind  allerdings  acht  wiclifi tische  Gedanken  und 
Gesinnungen.  Auf  Pecock's  Widerlegung  dieser  Gründe  des 
näheren  einzugehen,  ist  nicht  dieses  Orts.  Nur  einige  wenige 
Punkte  dürften  hier  der  Erwähnung  werth  erscheinen. 

Erstlich,  dass  Pecock,  anlangend  obigen  dritten  Punkt  bei 
ihm  Punkt  4  ,  eine  ausführliche  Widerlegung  der  Sage  des  Mit- 
telalters versucht,  als  ob  Constantin  der  Grosse  die  römische 
Kirche  mit  liegenden  Gütern  ausgestattet  habe  1  .  Er  führt  aus 
Eusebius  und  anderen  Quellen  den  Beweis ,  dass  Constantin  we- 
der von  Silvester,  noch  in  Pom ,  sondern  von  Bischof  Eusebius  in 
Nikomedien  getauft  worden  sei :  und  damit  hange  die  angebliche 
Ausstattung  pragmatisch  zusammen.  Er  zeigt,  dass  erst  die  frän- 
kischen Herrscher  im  VIII.  Jahrhundert,  Pipin  und  Karl  der 
Grosse ,  und  später  die  Markgräfin  Mathilde  den  Grund  gelegt 
haben  zu  dem  grossen  Landbesitz  der  Päpste2^  u.  s.  w.  Kurz, 
Pecock  emancipirt  sich  durch  historische  Kritik  von  einer  der 
Papstfabeln  des  Mittelalters3)«,  an  welche  Wiclif  noch  ganz 
naiv  geglaubt  hatte.  Und  ich  linde  keine  Spur  davon,  dass  Pe- 
cock die  fast  ein  Jahrzehent  ältere  Untersuchung  von  Laurentius 
Valla,  De  ementifa  Constantini  donatione  aus  dem  Jahr  1440, 
gekannt  hätte.  Er  scheint  vielmehr  ganz  unabhängig  von  diesem 
auf  dasselbe  Ergebniss  gekommen  zu  sein 4) . 

Zum  andern  glauben  wir  nicht  unerwähnt  lassen  zu  sollen, 
was  Pecock  gegenüber  der  von  Wiclif  selbst  nachdrücklich 
und  wiederholt  geltend  gemachten .  und  von  den  späteren  Lollar- 
den  getheilten  Ansicht ,  die  Seelsorger  bedürften  keiner  liegenden 
Güter,  sondern  sollten  nur  auf  freiwillige  Gaben  der  Gemeinden 


1)  Das  12te  und  das  ISte  Kapitel  des  III.  Theils,  in  Babington  s  Aus- 
gabe Bd.  II,  3&Ö  —  :*W>-  i«t  dieser  Untersuchung  gewidmet. 
21  RepresHor,  II,  3q9.  363. 

:{  Vgl.  DoELLINGER ,  die  Papstfabeln  des  Mittelalters,  2.  Aufl.  1863. 
S.  Iii  ff. 

I  Babington  ist ,  wie  ich  sehe  Tntred.  XXX.  Anm.  I  ,  derselben 
Ansicht. 


Die  Lollarden  über  Kirchengüter  und  Kenten. 


angewiesen  sein,  erinnert.  Er  macht  die  gewiss  nicht  unbegrün- 
dete Bemerkung:  »Wie  sollte  jemand  so  kühn  sein,  einen  Beruf, 
der  ihn  nährt,  zu  verlassen  und  ein  Seelsorger  für  andere  zu  wer- 
den, es  sei  denn,  er  hätte  ein  förmliches  Recht  daranf,  seinen  Le- 
bensunterhalt von  seinen  Pfarrkindern  zu  erhalten,  so  dass  er 
nicht  von  ihrem  guten  Willen  abhängt.  Wäre  er  Mos  von  ihrem 
Witz  und  Willen  abhängig,  so  würde  die  Mehrzahl  von  ihnen  ge- 
wiss öfter  als  sie  sollten  ans  Schwäche  ihm  böse  werden  wegen 
seiner  Rügen  und  Zurechtweisungen :  und  dann  würden  sie  gerade 
einem  gewissenhaften  und  treuen  Pfarrer  ihre  Opfer,  Zehenten  und 
Zahlungen  vorenthalten .  falls  dieselben  ganz  und  gar  auf  Frei- 
willigkeit gestellt  wären  1  . 

Bin  dritter  Punkt  besteht  darin,  dass  laut  Pecock's  Bericht 
einige  v<»n  der  wie  Ii  fi  tischen  Partei  zwar  den  Grundsatz  ein- 
räumen, dass  Priester  und  andere  Kleriker ,  ohne  mit  Schrift  und 
Vernunft  in  Conflikt  zu  kommen,  mit  liegenden  Gütern  ausgestat- 
tet werden  dürften,  damit  sie  ihr  geistliches  Amt  desto  besser 
versehen  könnten:  aber  sie  beharren  dann  um  so  mehr  auf  der 
Ansieht,  dass  diese  Güter  solchen  Bischöfen.  Priestern  und 
Klerikern,  welche  dieselben  mißbrauchen,  mit  Fug  und  Recht 
entzogen  werden  dürften,  so  dass  sie  »depossedirt«  unpossessyd 
würden  und  doch  in  ihren  Aemtern  blieben.  Ferner  fand  auch 
die  Meinung  Vertreter:  wenn  ein  Bischof.  Priester  oder  Kleriker 
seines  Amtes  nicht  gehörig  warte  gegenüber  dem  Volk,  über  das 
er  gesetzt  sei .  so  könne  dieses  Volk  mit  Fug  und  Recht  die  Ze- 
henten und  Opfer,  Reuten  und  sonstige  Zahlungen  vorenthalten, 
mit  denen  besagte  Kleriker  für  sieh  und  ihre  Nachfolger  ausge- 
stattet seien  -  . 

Dieser  Theil  der  Lollarden  gab  also  das  Prinzip  zu .  dass 
Ausstattung  von  Kirchenämtern  mit  liegenden  Gütern  an  sieh 
berechtigt  sei.  hielt  aber  zeitweilige  Entziehung  sei's  der  Kir- 
chengüter selbst .  sei's  gewisser  Einkünfte  des  Amtes  für  berech- 
tigt im  Falle  des  Misbrauehs  der  Kirchengüter  oder  mangelhafter 
Pflichterfüllung  von  iSeiten  der  Amtsinhaber:  in  diesen  Fällen 

  V 

1  Repressor,  II,  391  feig. 

2  a.  a.  O.  II.  386  folg 


396 


Buch  III.    Kap.  5.  II 


war  die  Meinung" .  wie  es  scheint,  dass  nur  der  schuldige  Mann 
für  seine  Person  durch  jene  Maassregel  gestraft  werden  sollte. 
Dass  Pecock  auch  diese  Modifikation  und  Einschränkung  des 
viel  weiter  gehenden  ersten  Grundsatzes  mit  Eifer  bekämpft,  lässt 
sich  zum  voraus  erwarten.  Gegen  den  Schluss  des  III.  Theils 
erwähnt  er  noch,  dass  »ein  Gelehrter«  in  Wahrheit  ein  Häretiker 
die  erstere  Meinung  l)  dahin  ermässigt .  dass  er  sagt .  wenn  die 
Geistlichkeit  regelmässig  und  habituell  ihre  Ausstattung  mit  lie- 
genden Gründen  misbraucht.  könne  und  solle  dieselbe  recht- 
mässiuerweise  dieser  Ausstattung  beraubt  werden  durch  die 
weltlichen  Herren,  sonst  aber  nicht 2  ! 

Es  kann  kaum  ein  Zweifel  darüber  aufkommen .  dass  der 
Mann,  welchen  Pecock  meint,  Wiclif  selber  ist.  wie  dies  auch 
der  Herausgeber  des  Repressor  in  der  Anmerkung  zu  dieser  Stelle 
kategorisch  behauptet.  Auffallend  ist  hiebei  nur,  dass  der  Bi- 
schof seinen  Namen  nicht  nennt,  wiewohl  er  in  einer  Stelle  des 
V.  Theils  wenigstens  ein  »Buch  von  Wiclif«  nennt3  . 

Der  vierte  Gegenstand,  welchen  Pecock  in  der  ersten 
Hälfte  des  IV.  Theils,  Kap.  1 — 5)  4  erörtert,  ist  die  Hierarchie 
mit  ihrer  ganzen  Stufenleiter  bis  hinauf  zum  päpstlichen  Primat. 
Er  beschreibt  dieselbe  in  der  Kürze  und  referirt  dann  thatsäch- 
lich  :  »Diese  ganze  Einrichtung  und  Verfassung  des  Klerus  halten 
und  erklären  einige  von  den  Laien  für  nichtig  und  vom  Teufel 
und  Antichrist  eingeführt,  so  dass  sie  haben  wollen,  alle  Priester 
sollen  auf  einer  und  derselben  Stufe  sein  und  keiner  von  ihnen 
solle  über  dem  anderen  stehen.  Sie  wollen,  dass  unter  den 
Western  Diakonen  sein  sollen,  aber  sonst  keine  Ordnungen. 
Stände  oder  Grade  mehr  im  Klerus  überhaupt.  Und  weil  die 
vorhin  erwähnten  Stände  und  Grade  über  den  Priestern  sind, 
so  verleumden  und  schelten  sie  die  Geistlichkeit,  heissen  den 
Papst  Antichrist  und  alle  unter  ihm  stehenden  Stände  über  den 


1  welche  Repressor,  II,  S.  3S<>  erwähnt  ist. 

2  Rcpressor,  II,  413. 

'S  a.  a.  O.  II,  501  :  M  it  is  open  in  the  book  of  Wiclijf  and  of  othere 
htwg  of  Jus  sect. 

1  *a.  a.  0.  II,  416  —  452. 


Die  Lollarden  über  das  Mönchthum. 


397 


Priestern  Glieder  des  Antichrists  ri.«  Eine  Anschauung,  die  wir 
bei  Wielif  selbst  vollständig  so  gefunden  haben,  die  Bich  somit 
Iiis  auf  die  Zeit  Pecocks.  nahezu  7<>  Jahre  nach  Wielif  s 
Tode,  bei  seiner  Partei  unverändert  fortgeerbt  hat.  Was  Pecock 
dagegen  erinnert,  insbesondere  auch,  was  er  für  den  Primat  des 
römischen  Bisehofs  geltend  macht,  lassen  wir  billig  bei  Seite. 

Einen  fünften  Punkt  bespricht  er  in  der  zweiten  Hälfte  des 
IV.  Theils.  Kap.  b' —  9 2 \  nämlich  die  kirchliche  Gesetzge- 
bung durch  Papst  und  Episkopat a) .  Die  Lollarden  erinnerten 
nämlieh.  das  seien  eben  Menschensatzungen,  und  Gott  tadle  und 
verwerfe  in  der  heiligen  Schrift  N.  Testaments  ausnahmslos  alle 
Menschensatzungen :  aus  diesen  komme  auch  nichts  gutes,  wohl 
aber  viel  Sünde  und  Schade:  überdies  seien  einige  unter  jenen 
kirchliehen  Satzungen  und  Verordnungen  geradezu  wider  Gottes 
Gesetz  und  Befehl4  . 

Der  seeliste  Gegenstand,  welchen  Pecock  gegen  die  wi- 
elif irische  Opposition  in  Schutz  nimmt,  zugleich  der  letzte ,  den 
er  im  V.  Theil,  Kap.  1  — 15  noch  ausführlich  behandelt,  ist  das 
Mönch thum.  Er  erwähnt  mit  aller  Aufrichtigkeit.  das<  einige 
unter  den  Laien«  die  Mönchsorden  tadeln  wegen  ihrer  Verschie- 
denheit und  Neuheit,  aber  auch  den  Vorwurf  erheben,  dass 
sie  einige  Satzungen  und  Ordnungen  haben,  welche  der  Liebe, 
und  somit  dem  Gesetze  Gottes  zuwider  seien ;  ferner  schreiben 
sie  die  Stiftung  und  Erhaltung  aller  solchen  religiösen  Orden  dem 
bösen  Feind  und  dem  Antichrist  zu .  nennen  sie  ein  Teufelswerk 
u.  s.  w. 5  .  Er  gibt  uns  zugleich  in  ausführlicher  Weise  Rechen- 
schaft von  allen  den  Gründen,  aus  der  Schrift  und  Vernunft, 
selbst  aus  den  Weissagungen  der  heiligen  Hildegard  von  Bingen 


1  Repressor,  II,  S.  416  folg. 

2  a.  a.  O.  II.  S.  452  —  475. 

'.S  Diesen  ganzen  Punkt  hat  sowohl  Lewis,  %ife  of  Pecock,  Oxf.  1  S2ü. 
S.  S3  folg.  95  folg.,  als  der  Verfasser  des  gegenwärtigen  Werkes  in  »Wiclif 
und  die  Lollarden«,  Zeitschrift  für  hist.  Theol.  1S54.  214  folg.  übersehen,, 
was  erklärlich  und  entschuldbar  ist,  weil  der  Repressor  damals  noch  nicht 
im  Druck  erschienen  war. 

4)  Repressor,  II,  S.  46.*i  folg.,  vgl.  452. 

5^  a.  a.  0.  V,  Kap  1  ;  Band  II.  S.  47b. 


39S 


Buch  III.    Kap.  5.  II. 


geschöpft,  welche  von  den  Lollarden  gegen  die  Klöster  und  Orden 
geltend  gemacht  wurden'  .  Seine  Erwiederungen  zur  Rechtfer- 
tigung des  Mönchthums  in  seinen  mannigfaltigen  Gestalten;  ins- 
besondere auch  der  Bettelmönche,  sind  hier  nicht  von  Belang.  Nur 
so  viel  mag  Erwähnung  linden,  dass  der  bischöfliche  Apologet  un- 
befangen genug  ist  zuzugeben,  dass  durch  das  Bestehen  einer  so 
grossen  Menge  von  Mönchsorden  einiger  Schaden  und  Nachtheil 
entstehe,  doch  meint  er,  in  keinem  Falle  so  viel,  als  die  Beseiti- 
gung derselben  Schaden  stiften  würde.  Er  stellt  auch  nicht  in 
Abrede,  dass  in  jedem  Mönchsorden,  abgesehen  von  den  drei 
Grundgelübden.  Keuschheit.  Armuth  und  Gehorsam .  die  vorge- 
schriebenen Beschäftigungen .  Beten.  Gottesdienst  und  beschau- 
liches Leben .  aber  auch  Studiren  und  Lernen  bedeutender  Ver- 
besserungen fähig  seien  :  daraus  folge  aber  nicht,  dass  die  Orden 
selbst  durchaus  verkehrt  und  unfruchtbar  seien  2  .  Zur  Rechtfer- 
tigung derselben  im  allgemeinen  entwickelt  er  mit  Rücksicht  auf 
sein  eigenes  Vaterland  und  Zeitalter  folgenden  Gedanken :  Man 
nehme  alle  die  Mönche  aus  Engkmd  weg,  welche  gegenwärtig 
da  sind  und  in  Klöstern  gewesen  sind  in  England  während  der 
letzten  mehr  als  30  Jahre,  wo  beständig  grosser  Krieg  fortdauerte 
zwischen  England  und  Frankreich,  und  lasse  dann  sehen,  was 
aus  den  Leuten  geworden  wäre  in  diesen  Jahren,  wenn  sie  nicht 
ins  Kloster  gegangen  wären.  Lnssr  sehen  .  wie  sie  gelebt  haben 
würden  und  was  für  Männer  sie  gewesen  sein  würden:  ob  sie 
nicht  geworden  wären  .  wie  fast  alle  anderen  Männer  in  diesen 
:'>4  Wintern  in  England  gewesen  sind:  sie  würden  entweder  be- 
trügerische Gewerbsleute,  oder  unbarmherzige  Processmänner  und 
meineidige  Geschworene  geworden  sein,  oder  Soldaten,  gedungen 
nach  Prankreich,  viel  Blut  zu  vergiessen.  ja  Seelenmord  zu  be- 
gehen auf  ihrer  eigenen  und  auf  französischer  Seite.  —  Dagegen 
kann  niemand  finden,  das<  diese  Personen,  ><>  lauge  sie  im  Klo- 
ster lebten,  s<>  viel  Sünden,  wie  eben  aufgezählt,  und  deren  sie 
sich  sonst  schuldig  gemacht  haben  würden ,  begangen  haben. 

1,  JRejiressor  II,  477  folg.  die  Schrift  gründe,  502  folg,  die  Vernunft  grün  de, 
483  folg.  die  Berufung  auf  Hildegard. 
2   a.  a.  ().  II.  123  folg.  :>:<:>  folg. 


Pecock  s  Donat. 


399 


Daraus  folgt  aber  noth wendig,  dass  die  Mönchsorden  in  England 
höchst  ansehnliche  und  nützliche  Hecken  und  Wehre  gewesen 
sind  diese  34  Jahre  laug,  um  so  viele  Personen  einzuschliessen. 
zu  bewahren  .  einzuhegen  und  zu  warnen  vor  so  viel  grösseren 
Sünden,  in  welche  sie  würden  verfallen  sein,  wenn  diese  Mönchs- 
orden nicht  gewesen  wären 1  . 

III. 

Pecock  hat  sich  jedoch  nicht  ausschliesslich  in  seinem  Buch 
.  The  Repvessor  mit  der  wiclifitischen  Partei  beschäftigt,  sondern 
nachher  noch  andere  Schriften,  gleichfalls  in  englischer  Sprache 
verfasst.  welche  Volksschriften  sein  sollten,  und  mehr  oder  min- 
der direkt  zur  Verständigung  der  Laien,  beziehungsweise  zu  ihrer 
Versöhnung  mit  der  römisch-katholischen  Kirche,  ihrer  Geistlich- 
keit und  ihren  Ordnungen,  zu  dienen  bestimmt  waren 2) . 

So  in  einem  gewissen  Sinne  sein  »Donat«.  eine  Art  Elemen- 
tarunterricht im  Christenthum  3  .  Der  von  dem  Namen  des  alt- 

1]  Repressor  II,  S.  516  folg. 

2)  Ueber  Pecock 's  Schriften  überhaupt  vgl.  meine  Abhandlung:  Wicht 
und  die  Lollarden,  Zeitschr.  f  hist.  Theol.  1S54,  241  folg.  und  Babington, 
Introd.  LXI— LXXXIII. 

3  Die  einzige  Handschrift  dieses  Büchleins  befindet  sich  im  Besitz  der 
Bodleianischen  Bibliothek  in  Oxford,  Nr.  916,  auf  Pergament,  klein  40; 
sie  umfasst  100  Blatt,  und  ist  zwar  mit  Abkürzungen,  aber  sonst  höchst 
sorgfältig  und  leserlich  geschrieben.  Auszüge  aus  dieser  Handschrift  von 
Richard  James  finden  sich  in  einer  Papierhandschrift  derselben  Bibliothek. 
James  Manuscript  Nr.  14,  p.  49 — 79.  Der  gelehrte  Johann  Lewis  im 
vorigen  Jahrhundert  hat  sich  durch  den  Eingang  des  Buchs,  worin  Pecock 
auf  sein  umfassenderes  Werk  Rule  of  Christian  Religion  Bezug 
nimmt ,  indem  er  olfenbar  blos  die  ersten  Worte  ansah  und  nicht  weiter 
las,  dermaassen  irre  führen  lassen ,  dass  er  glaubte  und  in  seinem  Life 
of  Pecock,  Aufl.  1820.  S.  220  folg.  referirte,  die  Bodleianische  Bibliothek 
besitze  eine  schöne  Handschrift  von  Pecock  s  Ru'e  of  ehr.  Rel. ;  er  be- 
schreibt sofort  gerade  die  oben  genannte  Handschrift  und  meint,  der  Donat 
sei  nur  in  der  Abschrift  von  James  vorhanden,  welche  in  Wahrheit  nur 
Auszüge  aus  demselben  enthält.  Diese  Irrung  hat  Babington  in  seiner 
Einleitung  zum  Repressor,  S.  LXI  folg.  bemerkt,  nachdem  ich  schon  1854 
in  der  Zeitschrift  f.  hist.  Theol.  S.  235  die  Sache  in  s  Klare  gebracht  hatte. 
Wenn  jedoch  Babington  nicht  nur  sagt,  der  Donat  sei  noch  nie  gedruckt 


400 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


römischen  Grammatikers  Donatus  herstammende  Titel  war  im 
Mittelalter  für  Schulgrammatiken  üblich  geworden  und  entspricht 
unserem  deutschen:  »Fibel«.  Der  Verfasser  selbst  erklärt  den 
Titel  so ,  das  Buch  verhalte  sich  zu  der  vollständigen  Kenntniss 
von  Gottes  Gesetz  wie  der  gewöhnliche  Donat  zu  der  vollständigen 
Kenntniss  der  Grammatik :  in  dem  Buche :  »Regel  der  Christen- 
religion«  seien  die  Gegenstände  weitläufig  behandelt .  das  gegen- 
wärtige Büchlein  nebst  seinem  Anhang  [the  vFoletcer«  herto) 
solle  zur  Einleitung,  zur  Wiederholung  und  zur  Erleichterung  des 
Verständnisses  der  t>Mtde  of  Christian  religiom  dienen.  Um  der 
Volksmässigkeit  und  Fasslichkeit  willen  ist  die  dialogische  Form 
gewählt :  es  ist  ein  Gespräch  zwischen  Vater  und  Sohn  ;  der  Sohn 
fragt,  der  Vater  antwortet. 

Das  Büchlein  handelt  im  I.  Theil  methodisch  1  vom  Men- 
schen, 2)  von  Gott.  Der  II.  Theil,  welcher  erst  nachträglich, 
zur  Rechtfertigung  des  I.,  beigefügt  worden  ist.  zeigt,  dass  im 
ersten  Theil  bereits  mitenthalten  seien  die  12  Artikel  des  Glau- 
bens, die  7  Todsünden  und  die  7  Haupttugenden,  die  7  Gaben  des 
heil.  Geistes  und  die  7  Sakramente,  die  10  Gebote  und  die  evan- 
gelischen Rathschläge,  kurz  die  im  Mittelalter  bekannten  Haupt- 
stücke  christlicher  Unterweisung.  Der  Schluss  handelt  vom  Gebet 
und  der  Betrachtung.  Da  jedoch  diese  Schrift  sich  nicht  direkt 
mit  den  Lollarden  zu  schaffen  macht .  sondern  nur  positiv  den 
Grund  zur  christlichen  Erkenntniss  legen  will,  so  halten  wir  uns 
bei  derselben  nicht  länger  auf.  gehen  vielmehr  zu  seinem  »Buch 
vom  Glauben«  über,  welches  einige  weitere  Aufschlüsse  über 
die  Lollarden  und  das  Verhältniss  Pecock's  zu  denselben  gibt. 

Das  Buch,  welches  Pec ock  selbst  im  Repressor  anführt1  . 
hat  den  Titel  The  book  of  Faith,  und  ist  wie  sein  Donat  in  ein 
Gespräch  zwischen  Vater  und  Sohn  eingekleidet,  indeni  der  Sohn 
Prägen  und  Zweifel  vorlegt,  der  Vater  dieselben  beantwortet  und 
löst.  Der  I.  Theil  handelt  von  den  angemessensten  Mitteln,  die 
Lollarden  mit  der  Kirche  auszusöhnen;  der  11.  Theil  beantwortet 

worden,  sondern  auch,  er  sei  noch  nicht  viel  benützt  worden  um  Pecotk's 
Ansichten  zu  erörtern,  so  ist  das  aus  dem  Umstand  erklärlich,  dass  ihm  der 
deutsche  Aufsatz  unbekannt  war. 

I    Hejrrrssor  II.  S.  564    a  book  ekpid  The.  book  of  fvith. 


Pecocks  »Buch  vom  Glauben« 


101 


die  Frage,  was  die  Richtschnur  des  c.laubens  sei.  ob  die  Schrift, 
»der  die  Kirche,  oder  die  Vernunft 1  . 

In  dem  I.  Theil  bekennt  Peeock  aufrichtig,  dass  diese- 
Buch  aus  dem  Wunsche  hervorgegangen  sei,  die  »Laienkinder« 
der  Kirche  für  den  Gehorsam  wieder  zu  gewinnen,  welchen  sie  bei 
grosser  Seelengefahr  ihren  Geistlichen  zu  leisten  schuldig  sind. 
Kr  wolle  nämlich  solchen  Ungehorsamen  offen  entgegenkommen 
mittels  eines  von  den  Laien  selbst  sicher  zugegebenen  Grunds- 
atzes; und  dieser  ist  :  wir  sind  schuldig  einem  Sprecher  oder 
Lehrer,  welcher  allerdings  irren  kann,  so  lange  zu  glauben  und 
zu  folgen,  als  nicht  bestimmt  erkannt  ist.  dass  er  in  der  Sache 
wirklich  irrt. 

2.  Der  Verfasser  erkennt  wie  im  llepresxor  in  zwei  Ge- 
sinnungen die  Hauptursachen  der  Ketzerei  unter  den  Laien :  erst- 
iich  in  dem  übermässigen  Siehstützen  auf  die  Schrift,  zum 
andern  in  einer  Mißachtung  gegen  die  Entscheidungen  der  Kirche 
m  Glanbenssachen. 

Pecock  gibt  zu  verstehen,  es  würde  eine  Art  Muhame- 
danismus  sein .  wenn  man  dem  Christen  verwehren  wollte,  den 
Glauben,  der  ihm  zugemuthet  wird,  zu  prüfen.  Ja  bei  »der 
Sekte  der  Sarazeuen«  habe  der  böse  Feind  die  List  eingeführt, 
dass  sie  schlechthin  dagegen  eingenommen  sind,  irgend  einem 
Beweis  Gehör  zu  geben,  der  gegen  die  Sarazenensekte  und  für 
den  Christenglauben  spricht.  Jener  gottlose  Mann  Muhamed,  oder 

1  Die  einzige  Handschrift  dieses  Buchs  befindet  sich  in  der  Bibliothek 
des  Trinity-Colleye  in  Cambridge  jetzige  Bezeichnung  B.  14.  45.  Sie  ist 
auf  Pergament  in  S°  geschrieben,  leider  am  Schluss  jetzt  unvollständig, 
s.  Babingtox's  Beschreibung,  Introd.  LXVI.  folg.  Merkwürdiger  Weise 
hat  das  Buch  einen  falschen  Titel  von  späterer  Hand  ,  als  wäre  es  eine 
Sammlung  Predigten  von  Pecock:  Reyinald  Peucock,  Bppe  of  Chichester's 
Sermons  in  English.  Heinrich  Whartox  hat  unter  dem  Titel :  A  Treatise 
proviny  Scripture  to  be  the  Eule  of  Faith.  Writ  by  R.  Peacock.  Lond.  1688. 
4'"1  etwa  ein  Drittheil  des  Buchs  im  Druck  herausgegeben :  nämlich  nur 
den  II.  Theil,  so  weit  ihn  die  Handschrift  noch  enthält,  vollständig,  von 
dem  ersten  umfangreicheren  Theil  nur  Auszüge.  Aber  auch  dieses  Buch 
ist  so  selten  geworden,  dass  es  auf  den  grössten  Bibliotheken  Deutsch- 
lands vergebens  gesucht  wird  und  selbst  in  England  unter  die  seltenen 
Bücher  gehört.  Ich  gebe  einige  Mittheilungen  aus  einem  Exemplare,  das 
in  meinem  Besitz  ist. 

Lechlek,  Wiclif.  II.     m  26 


402 


Buch  III.    Kap.  5  III. 


irgend  ein  »Prälat  "  nach  ihm  hat  es  zu  einem  Theil  seines  Gesetzes 
gemacht,  dass  bei  Todesstrafe  niemand  irgend  eine  Erklärung 
oder  Beweisführung  gegen  seine  Sekte  auch  nur  anhören  dürfe.  — 
»Aber,  o  Herr  Jesu,  Gottmensch,  du  Haupt  deiner  Kirche  und 
Lehrer  des  Christenglaubens,  ich  flehe  deine  Gnade.  Erbarmung 
und  Liebe  dafür  an.  lass  diese  Gefahr  ferne  sein  von  der  Christen- 
heit und  von  jeder  Person  in  derselben !  Verhüte  du.  dass  dieses 
Gift  nie  in  deine  Kirche  gebracht  werde !  Und  wenn  du  zulassen 
solltest,  dass  es  je  einmal  eingeführt  werde,  so  bitte  ich.  lass  es 
rasch  wieder  ausgestossen  werden!  Gestatte,  ordne  und  walte 
du  vielmehr,  dass  das  Gesetz  und  der  Glaube,  welchen  deine 
Kirche  zu  irgend  einer  Zeit  festhält,  der  Prüfung  unterworfen  wer- 
den möge  und  dürfe,  ob  es  derselbe  wahre  Glaube  sei,  den  du 
und  deine  Apostel  gelehrt  haben,  oder  nicht,  und  dass  geprüft 
werde,  ob  er  hinlängliche  Zeugnisse  für  seine  Wahrheit  habe  oder 
nicht !  Sonst  könnte  dem  Glauben  widersprochen  werden :  und  es 
wäre  eine  Schmach  für  die  Christenheit,  einen  Glauben  für  den 
Grund  ihrer  Seligkeit  zu  achten,  von  dem  sie  nicht  dulden  wollte, 
dass  er  geprüft  werde,  ob  er  als  wahrer  Glaube  anerkannt  zu 
werden  verdiene  oder  nicht.  Es  wäre  eine  Schändlichkeit,  Christo 
zuzutrauen,  dass  er  seinem  Volk  einen  Glauben  gegeben  habe,  zu 
welchem  sein  Volk  alle  anderen  Völker  bekehren  solle,  ohne  dass 
er  gestatte,  dass  sein  Glaube  vollständig  geprüft  werde,  als  hätte 
er  seinen  Glauben  nicht  für  so  rein  und  irrthumsfrei  anerkannt, 
dass  er  durch  keine  Kraft  der  Gründe  und  Beweise  überwunden 
werden  könnte.  Darum,  allmächtiger  Herr,  verhüte  du,  dass  in 
deiner  Kirche  ein  solches  Gefangennehmen  des  Glaubens  sieh 
je  ereigne !« 

4.  Somit,  nieint  Pecock.  soll  die  Kirche  sieh  selbst  nicht 
dafür  halten,  als  könne  sie  mit  Vollmacht  und  Meisterschaft  je- 
mand lehren,  es  sei  denn,  dass  sie  sich  bewusst  ist.  eben  (Uesen 
Glauben  von  Gott  empfangen  zu  haben,  kraft  eines  Schlusses, 
welcher  besagt  :  »die  heil.  Sch  rift  bezeugt  und  verkündigt  diesen 
Satz!«  oder:  »die  heil.  Kirche  hat  von  der  Apostel  Zeit  an  bis 
jetzt  dies  stetig  als  Glaubenssatz  angenommen!«  «»der  »es  ist  zum 
Zeugniss  dafür  ein  Wunder  geschehen  !« 

5.  Daraus  ergibt  sieh  eine  Erinnerung  an  die  Geistlich- 


Pecock  über  Gewissensfreiheit. 


403 


kei  t.  Sie  geht  dahin;  die  Geistlichen  mögen  in  Erwägung  ziehen, 
dass  etwas  nicht  darum  ein  Glaubensartikel  ist.  weil  es  dafür 
ausgegeben  wird.  Im  Gegentheil.  deswegen,  weil  es  ein  Glaubens- 
artikel ist  und  als  solcher  hinlänglich  erwiesen  wird,  muss  es 
im  Glauben  angenommen  werden.  Die  Geistlichkeit  wird  am 
jüngsten  Tage  verdammt  werden,  wenn  sie  nicht  die  Menschen 
durch  klaren  Verstand  [eher  >rit  zur  Annahme  des  wahren  Glau- 
bens bringt,  anstatt  durch  Feuer.  Schwert  oder  Hängen ;  wiewohl 
nicht  in  Abrede  gezogen  werden  soll,  dass  letztere  Mittel  er- 
laubt seien .  vorausgesetzt .  dass  das  erstere  zuvor  angewendet 
worden  ist. 

.  6;  Während  Pecock  die  Geistlichkeit  warnt,  auf  die  Voll- 
macht der  Kirche  und  ihre  Lehrauktorität  zu  pochen,  schärft  er 
den  Laien  ein.  nicht  auf  ihr  persönliches  Urtheil  zu  pochen,  son- 
dern sich  der  Entscheidung  der  Kirche  zu  unterwerfen.  »Selbst 
wer  augenscheinlich  nachweisen  kann,  dass  die  Kirche  einen  ge- 
wissen Artikel  ohne  zureichenden  Grund,  ja  talschlich  glaubt, 
wftrde  vor  Gott  doch  vollkommen  entschuldigt  sein,  wenn  er  sich 
dessen  ungeachtet  der  Kirche  unterwirft.  Falls  die  Geistlichkeit 
ohne  dein  Wissen  und  Wollen  irrt,  so  schadet  dir  deine  Unter- 
werfung unter  die  Geistlichkeit  zweifelsohne  nichts,  im  Gegen- 
theil sie  nützt  dir  eben  so  viel,  als  wenn  sie  darin  nicht  irrere ! 
Was  willst  du  mehr?1  Gesetzt  ein  Ortsgeistlicher  lehrte  sein 
Pfarrkind  eine  grobe  Ketzerei  statt  eines  Glaubenssatzes,  so  wäre 
es  die  Pflicht  des  letzteren  diese  Lehre  anzunehmen ;  und  er  wäre 
hiebei  nicht  blos  entschuldbar  vor  Gott,  sondern  sein  Handeln 
wäre  sogar  verdienstlich  und  würde  ihm  ganz  so  belohnt  werden 
wie  der  Glaube  an  irgend  eine  Wahrheit:  ja  wenn  der  Mann  zur 
Verth eidigung  dieser  Lehre  sein  Leben  hingeben  würde,  über- 
zeugt, es  sei  die  Lehre  der  Kirche,  so  wäre  er  ein  »ächter  und 
gerechter  Märtyrer !  e 

Allerdings  acht  römisch-katholisch,  im  Sinne  des  Auktoritäts- 
systems.  wie  wir  es  jetzt  auf  die  höchste  Spitze  getrieben  sehen. 
Während  der  protestantische  Grundsatz  lautet :  »Es  ist  nicht  ge- 


1)  Book  of  faith  ed.  Wharton,  S.  IV.  Ts  not  this  ynoug  to  thee? 
what  inaist  thou  loke  \look>  aftir  eny  moref 

26* 


404 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


rathen.  etwas  wider  das  Gewissen  zuthun!«  and:  Du  bist  für 
deinen  Glauben  selbst  verantwortlich  vor  Gott«,  wird  hier  alles  auf 
die  Verantwortlichkeit  der  Seelsorgers,  der  Kirchenoberen  gestellt. 

Sagt  jemand :  Ich  habe  gelernt,  die  heil.  Schrift  sei  ein  so 
würdiger  Grund  des  Glaubens,  dass  kein  anderer  sie  an  Zuver- 
lässigkeit übertrifft:  deshalb  verdiene  ich  nicht  Tadel  sondern 
Lob.  wenn  ich  mich  nach  der  für  Glaubenssachen  von  Gott  ver- 
ordneten unübertrefflichen  Regel  richte,  und  demnach  meinen 
Glauben  aus  ihr  entnehme  —  so  gibt  das  Pecock  allerdings  zu. 
aber  nur  so  weit  es  sich  um  den  Glauben  handelt,  den  die  Schrift 
zu  lehren  hat. 

Im  II.  Theil  untersucht  Pecock.  was  das  ursprüngliche  und 
maassgebende  Fundament  des  Glaubens  the  Rule  of  Faith  sei. 
ob  die  Schrift  oder  die  Kirche  ? 

In  dem  Gespräch  zwischen  Vater  und  Sohn  legt  der  letztere 
die  Frage  selbst  vor.  indem  er  constatirt.  dass  gewichtige  Gründe 
für  beides  in  s  Feld  geführt  werden .  sowohl  für  die  höhere  Ur- 
sprünglichkeit der  Schrift,  als  für  die  maassgebende  Ursprünglich- 
keit der  Kirche.  Einerseits  werde  erinnert,  die  Kirche  selbst  be- 
rufe sich  ja  für  den  Glauben  auf  die  Schrift,  erkenne  somit  selbst 
die  Ursprünglichkeit  der  Schrift  an.  Andererseits  aber  gebe  es 
auch  Gründe  genug  dafür,  dass  die  Kirche  höher  srehe  und  in 
Betreff  der  Glaubenswahrheiten,  welche  in  der  heil.  Schrift  ent- 
halten sind,  grössere  Vollmacht  habe. 

Der  Vater  erklärt  sich  bereit,  die  angekündigten  Gründe  für 
die  höhere  Auktorität  der  Kirche  zu  hören  und  zu  beantworten. 

Nun  entwickelt  der  Sohn  dieselben  der  Keine  nach  :  z.  B.  die 
Schrift  sei  nicht  schlechthin  unentbehrlich :  die  Apostel  hätten, 
ohne  auch  nur  ein  Wort  zu  schreiben.  Andere  von  dem  Glaubens- 
inhalt vollständig  unterrichten  können:  die  von  den  Aposteln 
unterrichteten  Geistlichen  und  Laien  hätten  Andere  in  dem- 
selben Glauben  hinlänglich  unterweisen  können  :  und  so  hätte  es 
können  fortgehen  bis  auf  den  heutigen  Tag,  ohne  dass  Uber  den 
mündlich  fortgepflanzten  Glauben  eine  Schrift  verfasst  worden 
wäre.  In  diesem  Falle  hätte  der  Glaube  aller  Lernenden  seinen 
genügenden  Grund  lediglich  nur  in  der  Person  ihrer  Lehrer  ge- 
habt, und  durchaus  nicht  in  einer  Schrift.  Folglich  sei  die  Schrift 


Pecock  über  das  Verhältnis  zwischen  Schrift  und  Kirche.  405 


nicht  der  unentbehrliche  Glaubensgrund  für  solche  die  gläubig 
geworden.  Und  es  hätte  doch  im  Neuen  Bunde  eben  so  gut  können 
der  Fall  sein  als  im  Alten,  dass  der  Glaube  auf  mündlichem 
Wege,  durch  Erzählung  der  Eltern  am  Passafest,  mündlich  fort- 
gepflanzt worden  wäre.  Auch  gebe  es  Klöster,  in  welchen  gewisse 
Gebräuche  von  den  Stiftern  her  lediglieh  durch  mündliche  Ueber- 
lieferung  sich  erhalten.  Zweiter  Beweis:  Was  vorhin  nur  als 
möglich  angenommen  worden,  das  ist  auch  wirklich  der  Fall  ge- 
wesen. Christus  hat  seinen  Aposteln  befohlen :  »Gehet  hin  und  lehret 
alle  Völker,  indem  ihr  sie  taufet  auf  den  Xamen  des  Vaters  und 
des  >ohnes  und  des  heiligen  Geistes,  und  indem  ihr  sie  alles  halten 
lehret,  was  ich  euch  befohlen  habe.«  Diesen  Befehl  würden  aber 
die  Apostel  nicht  befolgt  haben,  wenn  sie  nicht  den  ganzen 
Glauben  mündlich  gepredigt  hätten.  Denn  der  ganze  Glaube,  so 
weit  er  unentbehrlich,  ist  in  dem  Evangelium  enthalten,  d.  h.  in 
der  Botschaft,  welche  Gott  in  die  Welt  gesandt  hat.  Folglieh 
haben  die  Apostel  wirklich  den  ganzen  Glauben  mündlich  in  zu- 
reichender Weise  gepredigt. 

Ein  anderer  Beweis  geht  aus  von  der  Einheit  der  Kirche. 
Die  Kirche  Christi  auf  Erden  ist  überall  und  allezeit  eine  und 
dieselbe.  Nun  sind  aber  in  der  apostolischen  Zeit  die  Apostel  von 
so  grosser  Würde  und  Auktorität  gewesen,  dass  sie  selbst  mehr 
als  die  von  ihnen  verfasste  Schrift,  der  Grund  des  Glaubens  waren. 
Daraus  folgt  aber,  dass  die  Kirche  von  der  Apostel  Zeit  bis  jetzt, 
die  doch  eine  und  dieselbe  ist  mit  der  damaligen  Kirche,  dem 
Christenglauben  mehr  als  die  Schrift  zur  Grundlage  dient. 

Ferner  geht  ein  Beweis  davon  aus.  dass  die  heil.  Schrift  der 
A  u  s  1  e  g  u  n  g  bedarf.  Was  aber  eines  Auslegers  oder  Dolmetschers 
bedarf,  das  steht  unter  diesem,  als  einem  Aufseher  und  einem 
Würdigeren.  Nun  sei  die  Geistlichkeit  Ausleger  der  heil.  Schrift, 
also  stehe  die  Geistlichkeit  in  der  Eigenschaft  eines  Aufsehers 
höher  als  die  Schrift. 

Endlich  wird  ausgegangen  von  dem  Artikel  des  apostolischen 
Glaubens:  »ich  glaube  der  allgemeinen  heil.  Kirche  auf  Erden. 
Was  die  Apostel  in  das  Glaubensbekenntniss  gesetzt  haben .  ist 
vmi  allen  Christen  für  wahr  zu  halten.  Es  ist  also  nothwendig. 
der  allgemeinen  heiligen  Kirche  auf  Erden  zu  glauben.  Das 


406 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


können  wir  aber  nur,  wenn  wir  der  Geistlichkeit  glauben,  denn 
sie  ist  der  Haupttheil  der  Kirche  auf  Erden :  insbesondere  müssen 
wir  ihr  glauben,  wenn  sie  bestimmt,  dass  irgend  etwas  als  Glau- 
bensartikel anzunehmen  sei,  selbst  in  dem  Falle,  wo  diese  Ent- 
scheidung der  heil.  Schrift  zuwiderlaufen  sollte. 

Diese  Beweisgründe  für  die  Superiorität  der  Kirche  der  heil. 
Schrift  beleuchtet  und  widerlegt  nun  der  Vater  gleichfalls  der 
Ordnung  nach. 

Anlangend  den  ersten  Beweisgrund  zeigt  er,  dass  eine  Lehre 
durch  blos  mündliche  Ueberlieferung,  ohne  in  einer  Schrift  nieder- 
gelegt zu  sein,  unmöglich  bestimmt,  fest  und  zuverlässig  erhalten 
werden  könne.  Er  beruft  sich  auf  ein  ihm  nahe  liegendes  Bei- 
spiel :  »Ich  glaube  in  der  That,  während  der  Zeit  des  40jährigen 
Krieges  zwischen  England  und  Frankreich  1  würden  nicht  leicht 
drei  oder  vier  Männer  in  dem  Bericht  über  die  Eroberung  einer 
Stadt  oder  Festung  in  Frankreich  oder  über  den  Verlauf  einer 
Schlacht  durchaus  übereinstimmen,  wenn  auch  jene  Männer  für 
ganz  zuverlässig  und  wahrhaftig  gehalten  würden,  und  jeder  ge- 
schworen hätte,  dass ,  was  er  erzählte  wahr  'sei .  und  dass  er 
selbst  Augenzeuge  gewesen.  Natürlich  würde  es  mit  dem  Bericht 
über  die  Thaten  und  Worte  Jesu  eben  so  gegangen  sein :  und  dass 
dem  wirklich  so  war,  bezeugt  Lukas  in  dem  Vorwort  zu  seinem 
Evangelium.  Somit  war  wegen  der  unvermeidlich  eintretenden 
allmählichen  Veränderung  und  Entstellung  mündlicher  Ueber- 
lieferung, die  schriftliche  Aufzeichnung  der  Evangelien,  überhaupt 
der  Schriften  Neuen  Testaments  unumgänglich  nothwendig.  Nicht 
ohne  Grund  beruft  sich  jede  Kirchenversammlung  und  jede  Geist- 
lichkeit, wenn  sie  den  Glauben  lehrt,  auf  die  heil.  Schrift.  Folg- 
lich muss  die  heil.  Schrift  ein  würdigerer  Grund  unseres  Glaubens 
sein,  als  die  Geistlichkeit  der  ganzen  Kirche  auf  Erden. 

Was  den  Beweis  aus  der  Einheit  der  Kirche  betrifft,  so  ent- 
gegnet der  Vater,  die  Kirche  der  Gegenwart  sei  mit  der  aposto- 
lischen nur  in  gewissem  Betrachte  eins,  nicht  aber  schlechthin, 

I  Im  Repres8or  zählte  Pecock  erst  34  Jahre  seit  dem  Anfang  des 
englisch-französischen  Krieges;  jetzt  40  Jahre.  Also  ist  das  Book  af  faiih 
ü  Jahre  später  geschrieben,  etwa  14ö.r». 


Pecock  über  Schrift  und  Kirche. 


K>7 


und  namentlich  nicht  in  ihrer  Beziehung  ZU  der  Schritt  :  denn  die 
ursprüngliche  Kirche  habe  die  Unterweisung  der  Apostel  und 
Evangelisten  genossen ;  die  jetzige  Kirche  habe  diese  nicht  mehr, 
sondern  suche  sie  durch  das  Lesen  in  den  Schriften  der  Apostel 
und  Evangelisten  zu  ersetzen. 

Die  Auslegung  anlangend  babe  die  Kirche  allerdings 
Vollmacht,  die  Schrift  auszulegen  und  zu  erklären ;  daraus  folge 
aber  nicht,  dass  die  Kirche  über  der  Schrift  stehe.  Durch  die 
Auslegung  werde  der  Schrift  nichts  genommen,  was  sie  zuvor  hat. 
und  nichts  gegeben,  was  sie  noch  nicht  hat:  es  werde  nur  an  den 
Tai;-  gebracht,  was  zuvor  im  Verborgenen  in  der  Schrift  gelegen 
war.  So  hat  zwar  die  Geistlichkeit  Vollmacht,  einfachen  Leuten 
zu  erklären,  welches  der  wahre  Sinn  der  heil.  Schrift  sei;  aber 
daraus  folgt  keinesweges .  dass  die  Geistlichkeit  vermöge  ihrer 
Hinsicht  würdiger  sei  als  die  heil.  Schrift  selbst,  dasjenige  zu 
begründen,  was  die  Schrift  selbst  begründet. 

Auf  Grund  dieser  und  ähnlicher  Erwägungen  wird  dann  die 
Frage  beantwortet :  ob  die  Gesammtkirche  oder  die  Geistlichkeit 
irgend  etwas  zu  einem  Glaubensartikel  machen  könne,  was  nicht 
an  sich  schon  ein  Glaubensartikel  gewesen  ist '?  Die  Antwort  ist 
eine  verneinende:  Kirche  und  Klerus  können  nicht  machen, 
dass  ein  Satz  wahr  oder  unwahr  ist :  sie  können  nur  kund  thun 
und  erklären,  was  existirt  und  Glaubenssache  ist.  Und  wenn  der 
Klerus  oder  die  Gesammtkirche  irgend  etwas  als  Glaubensartikel 
annimmt,  was  sie  nicht  als  schriftmässig  erweisen  kann,  so 
handelt  sie  übereilt  und  anmaasslich  1  . 

Demgemäss  bestreitet  Pecock  auch  die  gewöhnliche  römisch- 
katholische Annahme,  dass  die  Apostel  gewisse  Artikel 
ausser  der  heil.  Schrift  als  noth wendige  Glaubens- 
wahrheiten überliefert  haben  sollten,  mittels  mehrerer 
Gründe.  Nur  in  Hinsicht  solcher  Dinge,  welche  erst  lange  nach 
der  Apostel  Zeit  gethan  oder  gelehrt  worden  sind.  z.  B.  der 
Kanonisirung  von  Heiligen,  verhalte  es  sich  anders.  Damit  beab- 
sichtigt aber  die  Kirche  keineswegs  zu  entscheiden .  dass  es  ein 
Artikel  geoffenbarten  Glaubens  sei :   »Thomas  von  Canterbury 


1    Book  of  faith  II,  Kap.  5.  S.  XXXV. 


40S 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


(B ecket  ist  ein  Heiliger«  u.  s.  w..  sondern  die  Kirche  lässt 
nur  zu.  dass  solche  Männer  als  Heilige  verehrt  und  nachgeahmt 
werden,  gleichwie  die  Kirche  auch  nicht  entscheidet,  dass  die 
Schriften  eines  Ambrosius.  Augustinus.  Hieronymus  wahr  seien, 
sondern  nur  gestattet,  dass  man  sie  zum  Studiren.  Lesen  und 
Hören  benütze,  jedoch  mit  Vorbehalt  der  Freiheit  des  Urtheils. 
Er  fügt  hinzu :  »Ich  will  zwar  Wunder.  Offenbarungen  und  altes 
Herkommen  im  Schriftvers tändniss  nicht  davon  ausschliessen. 
etwas  zur  Begründung  beizutragen:  aber  an  und  für  sich  sind  sie 
doch  sehr  schwach,  um  den  Glauben  zu  begründen,  falls  er  nicht 
schon  anderweit  hinreichend  geprüft  und  erwiesen  ist.« 

Im  EL  Theil  des  »Buchs  vom  Glauben«  entscheidet  sieb 
Pecock  offenbar  für  die  Superiorität  der  heil.  Schrift  verglichen 
mit  der  Gesammtkirche  und  ihrem  Klerus.  Im  I.  Theil  hat  er 
zwar  der  Geistlichkeit  die  Pflicht  eingeschärft,  die  Glaubenswahr- 
heiten  überzeugend  zu  erweisen  :  aber  er  hat  doch  andererseits  der: 
Laien  zur  Pflicht  gemacht,  sich  der  Unterweisung  des  Geistlichen, 
der  Entscheidung  der  Kirche  zu  unterwerfen.  Somit  scheint  das 
Thema  des  IL  Theils  mit  den  Ausführungen  des  I.  Theils  nicht 
ganz  zu  stimmen.  Nur  lässt  sich  über  diese  Frage  um  deswillen 
nicht  endgültig  urtheileu.  weil  wir  den  I.  Theil  blos  aus  den 
wenigen  Auszügen  W  hat  ton '  s  kennen.  Und  es  wäre  unbedingt 
wünchenswerth  ,  dass  P  e  c  o  c  k '  s  »Buch  vom  Glauben«  voll- 
stand i g  herausgegeben  würde. 

Vergleichen  wir  aber  den  Grundgedanken  im  II.  Theil  des 
»Buchs  vom  Glauben«  mit  demjenigen  Grundgedanken,  wel- 
chen Pecock  im  L  Theil  des  llepressor  weitläufig  begründet 
hat  und  in  den  übrigen  Theilen  des  letzteren  Buchs  stets  voraus- 
setzt, so  ergibt  sich  Folgendes. 

Im  R  epress  o  r  geht  er  darauf  aus  die  Schranken  zu  ziehen, 
innerhalb  welcher  die  heil.  Schri  ft  niaassgebende  Geltung  hat : 
im  »Buch  vom  Glauben«  zieht  er  die  Schranken,  innerhall)  welcher 
die  Kirche  massgebende  Geltung  in  ( ilaubenssachen  hat.  Dort 
kommt  die  Kirche  zu  ihrem  Recht,  hier  kommt  die  Schrift  zu 
ihrem  Ansehen.  Zwischen  beidem  scheint  ein  Widerspruch  obzu- 
walten. Allein  der  Gegensatz  löst  sich,  wenn  wir  die  Sache  je  in 
dem  Zusammenhang,  worin  sie  steht,  in's  Auge  lassen.  Im  I.  Theil 


Pecock  im  »Repressor«  und  im  »Buch  vom  Glauben« 


409 


des  Represser  wird  das  Verhältnis*  der  Schrift  zur  Vernunft,  im 
II.  Theil  des  -Buchs  vom  Glauben«  das  Verhältnis*  der  Schrift 
zur  Kirche  und  Tradition  festgestellt.  Dort  streitet  der  Verfasser 
gegen  die  »Bibelmänner«,  welche  seines  Erachtens  die  Bibel  allzu 
hoch  stellten:  hier  hat  er  Kirchenmänner  im  Auge,  welche  die 
Vollmacht  der  Kirche,  die  Apostolicität  ihrer  Ueberlieferung  und 
die  Unfehlbarkeit  ihrer  Entscheidung  auf  eine  unhaltbare  und  das 
Ansehen  des  Wortes  Gottes  beeinträchtigende  Weise  geltend 
machten.  Uebrigens  wissen  wir  aus  dem  I.  Theil  des  »Buchs  vom 
Glauben«,  dass  Pecock  der  Kirche  und  Geistlichkeit  keineswegs 
zu  nahe  tritt,  ihr  vielmehr  die  persönliche  Verantwortlichkeit  des 
einzelnen  Gemeindegliedes  aufopfert.  Dessen  ungeachtet  ge- 
winnt es  den  Anschein,  als  habe  Pecock  in  der  Zwischenzeit  von 
sechs  Jahren  zwischen  der  Abfassung  beider  Schriften,  sich  doch 
den  »Bibelmännern  eher  etwas  genähert.  Auch  im  »Donata  glaube 
ich  einige  Annäherung  an  die  Ansichten  jener  zu  erkennen.  Es  ist 
doch  unleugbar  ein  anderer  Ton.  in  welchem  er  hier  von  Kloster- 
gelübden spricht,  als  dies  im  Repressor  geschehen  ist.  Im 
l) on  a  t  warnt  er  mit  Besonnenheit  und  treuer  Besorgniss  vor  über- 
eilter Uebernahme  solcher  Gelübde,  durch  welche  doch  Viele  schon 
in  Seelengefahr  gerathen  seien:  »Zwar  können  Gelübde  und  eid- 
liehe Verpflichtungen  zu  gewissen  Uebungen  nach  Umständen  von 
gewissen  Personen  wohl  übernommen  werden :  allein  ich  rathe 
doch  recht  ernstlich  und  herzlich  jedem  Mann  und  jeder  Frauens- 
person, recht  wohl  zu  überlegen,  was  für  Gelübde  sie  auf  sich 
nehmen,  nebst  dem  guten  Rathe  Solcher,  die  Erfahrung  davon 
haben,  wie  es  schon  Manchem  mit  seinem  Gelübde  ergangen  ist: 
auch  rathe  ich  ihnen,  sich  eine  geraume  Zeit  zur  Probe  zu  nehmen, 
ehe  sie  ihr  Gelübde  ablegen.  Wollte  Gott,  der  Kampf,  die  Gefahr, 
selbst  der  Fall  Etlicher  diente  Anderen  zur  Lehre  und  Warnung ! 
Schon  manches  Mal  ist  das  Gelübde  für  jemand  eine  Versuchung 
zu  grösserem  sittlichem  Uebel  geworden,  als  wenn  er  diese  Regel 
der  Enthaltsamkeit  nicht  auf  sieh  genommen  hätte:  zum  minde- 
sten hat  sie  ihn  von  beträchtlichem  Guten  abgehalten,  das  er  sonst 
hätte  thun  können  und  sollen  1  .« 


I    Donut  I.  Kap.  T.  Handschrift  S.  49  folg. 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


Da  steht  der  Mann  doch  etwas  anders  zur  Sache ,  als  im 
V .  Theil  des  Repressor,  wo  er  vielmehr  als  Apologet  des  Kloster- 
lebens aufgetreten  war1),  während  er  hier  wie  ein  Seelsorger  er- 
fahrenen Rath  ertheilt  und  vor  Seelengefahr  warnt. 

Wir  können  uns  in  der  That  nicht  wundern,  dass  Pecock's 
Verkehr  mit  den  Lollarden  und  die  Eigentümlichkeit  seines 
Geistes  ihm  von  Seiten  der  Kirche  selbst,  deren  Anwalt  er  war, 
schliesslich  Angriffe  zuzog.  Die  Billigkeit,  Milde  und  Unbefangen- 
heit, mit  welcher  er,  obgleich  katholischer  Bischof,  mit  kirch- 
lichen Oppositionsmännern  sich  in  Verkehr  einliess ,  mit  ihnen 
sogar  über  die  Vollmacht  und  die  Lehrbefugniss  der  Kirche  ver- 
handelte, die  Unfehlbarkeit  der  Kirche  in  Frage  zog,  einzelne 
Irrthümer  und  Misbräuche  im  kirchlichen  Wesen  zugestand,  seine 
rationelle  Prüfung  alles  Bestehenden,  seine  unablässigen  Be- 
mühungen für  Aufklärung  des  Volks,  neben  wirklichen  Fehlern 
und  Schwächen ,  —  alles  dieses  zog  ihm  erst  die  argwöhnische 
Aufmerksamkeit,  bald  das  Misfallen  strenger  Kirchenmänner,  den 
Neid  und  Hass  bigotter  und  beschränkter  Fanatiker,  endlich  die 
Maassregeln  seiner  Oberen  zu. 

Wir  wissen,  dass  schon  seine  Sätze  über  das  bischöfliche  Amt 
1447)  von  Manchen  für  falsch ,  ketzerisch ,  sophistisch  und  auf- 
regend erklärt  worden  waren ;  wodurch  er  sich  veranlasst  fand, 
dieselben  in  einer  Eingabe  an  den  Erzbischof  zu  vertheidigen. 
Aber  je  tiefer  er  sich  in  die  Controverse  mit  den  Lollarden  einliess, 
je  unverhohlener  sein  freisinniger  Geist  und  das  Streben  nach 
einer  Vermittlung  hervortrat,  desto  lauter  und  stärker  wurden  die 
Stimmen,  die  sich  gegen  ihn  erhoben.  Wir  können  das  messen 
andern  Tone,  den  er  in  seinem  Vorwort  zum  Donat  anschlägt. 
Wie  angelegentlich  versichert  er  da,  dass  es  weder  in  diesem  noch 
in  irgend  einem  andern  Buche,  das  er  jemals  lateinisch  oder  eng- 
lisch geschrieben  habe  oder  schreiben  werde,  seine  Absicht  sei, 
irgend  einen  Irrthuni  und  Ketzerei  oder  irgend  einen  giaubens- 
widrigen,  dem  Gesetze  Gottes  zuwiderlaufenden  Satz  zu  behaupten, 
zu  vertheidigen  oder  zu  begünstigen.  W  ie  ernstlich  bezeugt  er. 
falls  es  ihm  dennoch  aus  Unvorsichtigkeit  oder  Unwissenheit 

I    oben  Buch  III.  Kap.  6.  II.  S.  :i!>7  f. 


Verwahrungen  Pecock's 


Hl 


begegnen  sollte,  einen  Satz  der  Art  vorzutragen,  seine  Bereit- 
willigkeit, »solchen  Satz,  in  Unterwerfung  unter  die  Entscheidung 
seiner  Vorgesetzten,  demtithig  und  fromm  aufzugeben  und  zuriiek- 
ranehmen  !«  Er  fügt  bei,  jenes  sei  von  jeher  sein  Grundsatz  ge- 
wesen.  und  er  gedenke  nie  anders  zu  handeln,  mögen  auch  Auf- 
passer und  Verleumder  das  Gegentheil  denken  und  voreilig  und 
anbedachtsam  aussprengen.  —  Abgesehen  von  dieser  eventuellen 
Verwahrung  rindet  er  noch  zweierlei  Bemerkungen  für  nöthig 
I  eine  Entschuldigung  w  egen  etw  aiger  Unrichtigkeiten  in  seinen 
Schriften :  »AVenn  ich  nieine  Worte  so  zu  setzen  vermöchte .  dass 
kein  Vorwurf  gegen  dieselben  erhoben  und  keine  Unwahrheit 
daraus  gefolgert  werden  könnte,  so  besässe  ich  eine  Wundergabe, 
die  seit  Christi  Himmelfahrt  noch  nie  ein  Schriftsteller  gehabt 
hat1  .«  Dem  entspricht,  was  er  etwas  früher  sagt:  »Besser  bin 
ich  nicht,  als  der  heil.  Gregorius  wollte  Gott,  ich  wäre  den 
vierten  Theil  so  gut!  .  welcher  ungeachtet  seiner  heiligen  Ab- 
sichten und  seiner  Einsieht  so  viel  abgeneigte  Leute  fand,  die  seine 
Bücher  hinderten,  schmähten  und  zerstörten,  dass  er  wünschte,  kei- 
nes seiner  Bücher  sollte  vor  seinem  Tode  veröffentlicht  werden.  Ja 
selbst  nach  seinem  Tode  wurden  durch  solche  Leute  einige  dieser 
Bücher  verbrannt,  und  es  würden  ihrer  noch  mehr  verbrannt  wor- 
den sein,  wenn  nicht  Gottes  Hülfe  es  verhindert  hätte  2  .«  2  Die 
andere  Bemerkung  besteht  darin ,  dass  einige  seiner  Schriften, 
noch  ehe  er  die  letzte  Feile  daran  gelegt  habe,  von  Bekannten, 
denen  er  sie  im  Vertrauen  mitgetheilt,  eigenmächtig  und  voreilig 
veröffentlicht  worden  seien:  diese  Thatsaehe  habe  er  selbst  in 
einer  Predigt  in  der  St.  Paulskirche  öffentlich  zur  Sprache  ge- 
bracht3 . 

Pecock's  ( i  e  g  n  e  r  waren,  laut  der  Mittheilung  zweier  Zeit- 
genossen, die  beide  gegen  ihn  eingenommen  sind 4  .  theils  Bettel- 

1    Donat,  Handschrift  S.  ü. 
■l   a.  a.  0.  Handschrift  S.  ■>. 
:f   a.  a.  O.  Handschrift  8.  4. 

4  Thomas  Gascoigne,  im  »Theologischen  Wörterbuch«  und  Abt  Johann 
WHETHAMSTEBE ,  Narratio  de  Ii.  Pecockii  abjuratione .,  aus  denen  Lewis. 
Peeock.  J 2S — 190.  Auszüge  gibt. 


412 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


mönche.  wie  der  Augustiner-Eremite  Johann  Bury.  theils  Mit- 
glieder der  Universitäten  :  von  Oxford  z.  B;  Thomas  Eyburhall . 
welelier  Pecock's  Nachfolger  als  Vorstand  von  Whittingtm- 
Gottege  in  London  geworden  war.  und  Johann  Mi  1  vertun: 
von  Cambridge  Wilhelm  Miliin gt  on ,  Propst  von  Kings- 
College  und  Master  von  Olare-Hall.  und  Dr.  Hugo  Damlet. 
Master  von  Pembroke-Hall  und  andere.  Die  Universität  Cam- 
bridge stand  damals  vorzugsweise  im  Ruf  makelloser  Recht- 
gläubigkeit. In  dem  Stiftungsbriefe  des  Kmgs-CelUge  von 
Heinrich  VI.  war  ausdrücklich  festgesetzt,  dass  kein  Anhänger 
von  Wiclif  oder  Pecoek  darin  geduldet  werden  sollte1  .  Der 
genannte  M  illington  war  eben  Propst  dieses  College ;  er  hat 
immittelbar  nach  Pecoek  eine  Keine  Predigten  in  der  St.  Pauls- 
kirehe  zu  London  gehalten,  und  auf  der  Kanzel  öffentlich  ausge- 
sprochen, das  Königreich  England  werde  nie  dulden,  dass  die- 
jenigen gedeihen,  welche  Pecoek  begünstigen  und  unterstützen. 
Und  Hugo  Damlet.  Master  von  Pembroke-Hall,  soll  sich 
anheischig  gemacht  haben.  Pecoek  aus  seinen  eigenen  Schritten 
der  Ketzerei  zu  überführen.  Diese  und  andere  Männer  Liessen 
nicht  nach,  den  Bischof  von  Chichester  in  Predigten.  Vorlesungen 
und  Schriften  zu  verdächtigen  und  anzuschwärzen,  bis  endlich 
amtlich  Kenntniss  davon  genommen  wurde. 

Erzbisehof  von  Canterbury  war  damals .  nachdem  Johann 
Stafford  1452  und  dessen  Nachfolger,  Johann  Kemp,  schon 
1453  gestorben  war,  Thomas  Bourchier,  14o4 — I4S6.  Dieser 
liesfl  seinen  Suffiragan,  den  Bischof  von  Chichester.  vorladen,  mit 
der  Weisung .  diejenigen  seiner  Schriften,  gegen  welche  seither 
Bedenken  erhoben  worden  waren,  mitzubringen,  damit  sie  geprüft 
werden  könnten,  und  zwar  auf  Grund  einer  Constitution  des  Erz- 
bischofs  Ar un del  vom  Jahre  140S  gegen  ketzerische  Predigten. 
Lehren  und  Schriften  -  .    Schon  die  Vorladung  an  und  für  sieh 

1  Das  Kiiit/s-  Collegt  zu  Cambridge  wurde  am  12.  Febr.  1442  ge- 
stiftet. In  der  Stiftungsurkunde  steht  unter  anderem.  Itt'm  .sMtu'mus  .  . 
quod  (jui/ibef  scho'aris  ....  juret,  ijuod  non  fuvehit  npinioiiihus .  dam  mit  is 
erroribu.s  auf  haeresihus  Johannis  Wycklyfe,  lleginaldi  Pvacocke.  N0M 
a'icujus  aftmfm  kueretiel  etc.  ?gl.  Habinutox.  Introd.  XXXIV.  Anm.  1. 

2  Vgl.  Wilkins.  Conciiia  III.  314  i'olg. 


PrDoess  wider  Peccck. 


hatte  beträchtliche  folgen:  Pecock  s  bisherige  Gegner  traten 
jetzt  nachdrücklicher  auf  und  scheuten  sich  nicht  auf  den  Kanzeln 
auszusagen,  er  habe  durch  seine  Büchel'  Irrlehren  verbreitet,  an 
denen  er  hartnäckig- festhalte,  lieber  dieses  ehrenrührige  und  dem 
eingeleiteten  amtlichen  Verfahren  vorgreifende  Gebahren  hat 
Pecock  wahrscheinlich  beim  Krzbischof  Beschwerde  geführt. 
W  enigstens  erliess  dieser  am  22.  Oktober  1457  eine  Bekannt- 
machung, wodurch  alle  Geistlichen  und  Gelehrten,  die  wider 
Pecock' fl  Schriften  etwas  vorzubringen  hätten,  aufgefordert 
wurden  am  1  L  November  vor  dem  Erzbischof  zu  erscheinen  und 
ihre  Anschuldigungen  schriftlieh  einzubringen .  wogegen  bis  zum 
Austrag  der  Sache  alle  anderweitigen  Aeusserungen  zu  Ungunsten 
des  Lord  Bischofs  Reinhold  kraft  erzbischöflicher  Vollmacht  unter- 
sagt wurden  *) . 

Inzwischen  war  das  Parlament  in  Westminster  zusammen- 
getreten wahrscheinlich  gleichfalls  am  22.  Oktober  .  und  Pecock 
war.  als  Bischof  von  Chichester,  ebenfalls  erschienen.  Allein  die 
weltlichen  Lords  weigerten  sich  in  die  Verhandlung  einzutreten, 
so  lange  Pecock  der  Versammlung  angehöre.  Von  allen  Seiten 
erhoben  sich  Stimmen  gegen  ihn :  er  habe  in  englischer  Sprache 
Bücher  Uber  tiefe  Fragen  verfasst.  das  könne  nur  aufregend  wir- 
ken :  er  habe  die  alten  Kirchenlehrer  herabgesetzt .  ein  neues 
Glaubensbekenntniss  anstatt  des  apostolischen  gemacht  u.  s.  w. 

Die  Aufregung  wurde  so  gross,  dass  schliesslich  der  König 
reibst  einsehreiten  musste :  er  Hess  dem  Bischof  von  Chichester 
durch  den  Erzbischof  eröffnen,  er  möge  sich  zurückziehen.  Sofort 
verliess  Pecock  den  Sitzungssaal  und  London.  Er  war  aus  dem 
Hause  der  Lords  ausgestossen.  Der  bereits  erwähnte  Erlass  des 
Erzbischofs  erging,  wie  es  scheint,  in  Folge  dieser  Vorgänge, 
und  noch  am  gleichen  Tage  2' . 

Der  Martinitag.  1 1 .  Novemher  1457.  kam.  und  Dr.  Pecock 
erschien,  der  Vorladung  gemäss  .  in  dem  erzbischöflichen  Palast 
zu  Lambeth.  und  überreichte  dem  Erzbischof  in  der  Kapelle  neun 

1    Lewis,  Life  of  Pecock,  14*i. 

■1   Vgl.  Babingtox.  I,drod.  XXXVI.  folg. 


414 


Buch  III     Kap.  5.  III. 


seiner  Schriften  zum  Behuf  der  beabsichtigten  Prüfung  1  .  Mit  der 
Prüfung-  wurden  24  Doctoren  der  Theologie  beauftragt.  Das  Gut- 
achten, welches  sie  nach  einiger  Zeit  erstatteten,  ging  dahin,  diese 
Schriften  enthielten  viele  Irrthümer  und  Ketzereien.  Nachdem 
Pecock  sich  verantwortet  hatte  und  ihm  replicirt  worden  war. 
hielt  ihm  der  Erzbischof,  dessen  Beisitzer  die  Bischöfe  von  Win- 
chester, Lincoln  und  Rochester  waren,  Namens  Waynflete. 
Ched worth  und  Lowe,  am  28.  November  seine  angeblichen 
Irrthümer  vor.  und  liess  ihm  nur  die  Wahl  zwischen  öffentlichem 
Widerruf  und  der  Degradation  nebst  Auslieferung  an  den  welt- 
lichen Arm,  d.  h.  der  Verbrennung. 

Nach  einigem  Schweigen  in  tiefer  Bewegung  fasste  und  er- 
klärte Pecock  seinen  Entschluss  zu  widerrufen,  legte  auch  sofort 
ein  Bekenntniss  ab.  worin  er  alle  häretischen  Sätze  zurücknahm, 
welche  in  seinen  verschiedenen  Büchern  enthalten  seien.  Am 
3.  December  schwor  er  in  Lambeth  förmlich  die  Irrthümer  ab. 
welche  ihm  beigemessen  worden  und  verurtheilt  waren,  in  Gegen- 
wart des  Erzbischofs  und  jener  24  Doctoren2) .  Und  Tags  darauf. 
Sonntag  den  4.  December  1457.  musste  er  seinen  Widerruf  öffent- 
lich beim  St.  Paulskreuz  wiederholen.  Zwanzig  tausend  Menschen 
waren  hier  versammelt,  der  Erzbischof  nebst  mehreren  Bischöfen 
und  vielen  Klerikern  waren  zugegen.  Pecock  erschien  im  bischöf- 
lichen Ornat,  kniete  vor  dem  Erzbischof  nieder  und  las  die  ihm 
vorgeschriebene  Widerrufsforniel  in  englischer  Sprache  nur  die 
angeblichen  Irrlehren  selbst  waren  lateinisch  ausgedrückt  öffent- 
lich vor  !  . 

Nach  dieser  erniedrigenden  Scene  wurde  auf  dem  St.  Pauls- 
kirchhof  ein  Feuer  angezündet,  und  Pecock  selbst  übergab 
14  Bände  seiner  Werke  drei  in  Folio  und  elf  in  Quart  dem 
Henker,  der  sie  sofort  in  die  Flammen  warf:  als  sie  vor  seinen 


1)  Unter  den  überreichten  Schritten  befand  sich  laut  der  oben  S.  368  f. 
Anm.  erwähnten  Schlussnote  auch  die  in  Cambridge  (Univ.  Bibl.  noch  vor- 
handene Handschrift  des  lieprcfwor. 

1   Die  Formel  s.  bei  LEWIS  a.  a.  O.  160.  Anm. 

'.\  Wilkixs,  Cotic.  III,  576,  bei  Lewis  S.  100  folg..  so  wie  bei 
Babington,  Inirod.  XL VII.  folg. 


Pecock  widerruft. 


Augen  vom  Feuer  verzehrt  wurden,  rief  er  aus:  Mein  Stolz  und 
Anmaassung  haben  diesen  Jammer  und  Vorwürfe  über  mich  ge- 
1  »nicht«  !« 

So  schmählich  erniedrigte  sich  der  Mann,  aus  Schwäche  und 
Todesfurcht!  Ganz  anders  als  seiner  Zeit  Hu s.  hat  er  theüs  Sätze 
widerrufen,  die  er  niemals  behauptet  hatte,  z.  B.  es  sei  nicht 
beilsnoth wendig ,  an  den  heiligen  Geist  zu  glauben  (IL  Satz  . 
theüs  solche  Sätze,  von  deren  Wahrheit  er  gewiss  nach  wie  vor 
Überzeugt  war.  z.  B.  dass  die  allgemeine  Kirche  in  Glaubens- 
sachen irren  könne,  dass  die  Entscheidungen  eines  allgemeinen 
Ooncils  nicht  ohne  weiteres  für  wahr  zu  halten  seien,  dass  jeder- 
mann die  heil.  Schrift  in  ihrem  buchstäblichen  Sinne  verstehen 
dürfe  Satz  V.  VI.  VII  .  Er  scheint  in  der  That  so  befangen  und 
verwirrt  gewesen  zu  sein,  dass  er  kaum  mehr  wusste .  was  er 
selbst  gesagt  oder  nicht  gesagt  hatte. 

Der  Erzbischof  gab  dem  Widerruf  Pecoek's  alle  mögliche 
Publicitat.  Die  Universität  Oxford  veranstaltete  am  17.  Deeember 
eine  feierliche  Procession.  den  Kanzler  an  der  Spitze,  und  ver- 
brannte an  einem  Kreuzwege  alle  Exemplare  von  Pecoek's 
Schriften,  welche  in  Oxford  sich  vorgefunden  hatten.  Die  Feinde 
des  Mannes  triumphirten,  und  verhöhnten  ihn  nach  seinem  Sturze. 

Pecock  selbst  wurde  erst  nach  Canterbury.  dann  nach 
Maidstone  in  Kent  gebracht.  wo  der  Erzbischof  sich  in  seinem 
Schlosse  aufhielt.  Hier  war  es  auch,  wo.  nachdem  er  noch 
4  Monate  nach  dem  öffentlichen  Widerruf  als  Bischof  von  Chi- 
chester  anerkannt  worden  war.  die  Absetzung  vom  bischöflichen 
Amt  über  ihn  ausgesprochen  wurde.  Pecock  appellirte  zwar  an 
den  Papst,  und  wusste  durch  seine  Verbindungen  mit  der  Kurie 
eine  Bulle  auszuwirken,  die  seine  Wiedereinsetzung  befahl.  Allein 
der  Erzbischof  war  nicht  geneigt  sich  zu  fügen :  er  wandte  sich  an 
den  König.  Dieser  beauftragte  am  17.  Sept.  145S  einen  Bischof 
und  einen  Rechtsgelehrten .  ein  Gutachten  über  die  Rechtsfrage 
zu  geben.  In  Folge  dieses  Erachtens  versuchte  der  König  einen 
Mittelweg:  er  Hess  Dr.  Pecock  eine  angemessene  Rente  anbie- 
ten, falls  er  freiwillig  abdanken  wollte.  Ob  dies  erfolgte,  wissen 


I)  Laut  Gascoigne's  Mittheilung,  bei  Lewis  169,  Anm. 


416 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


wir  nicht.  Nur  so  viel  ist  gewiss,  dass  bald  darauf  das  Bistlium 
Chichester  einem  Andern  übertragen  wurde,  und  dass  Pecock 
seine  letzten  Tage  in  einem  Kloster  zubringen  musste,  in  der 
Abtei  Thorney  in  der  Grafschaft  Cambridge ;  dort  wurde  ihm  ein 
Zimmer  angewiesen,  das  er  nicht  verlassen  durfte ;  ausser  Bibel 
und  Psalter,  Brevier  und  Messbuch  erhielt  er  keine  Bücher,  eben 
so  wenig  Schreibmaterialien ;  40  Pfund  wurden  dem  Kloster  zu 
seinem  Unterhalt  angewiesen ,  vermuthlich  die  Summe ,  welche 
der  König  ihm  angeboten  hatte.  Pecock  mochte  immerhin  nahe- 
zu ein  Siebziger  sein.  Wie  lange  er  diese  klösterliche  Haft,  mit 
strenger  geistiger  Diät,  zu  ertragen  vermochte,  wann  und  wie  er 
gestorben  ist,  darüber  fehlen  uns  alle  Nachrichten. 

Pecock  ist  als  Opfer  seiner  Freisinnigkeit,  insbesondere 
seiner  Opposition  gegen  die  Lehre  von  der  Unfehlbarkeit  der 
Kirche  gefallen.  Das  ergibt  sich  aus  den  7  Sätzen,  welche  man 
als  irrthümlich  und  häretisch  verurtheilt  hat,  und  die  er  hat  wider- 
rufen müssen ;  denn  nicht  weniger  als  5  unter  denselben  beziehen 
sich  auf  den  KirchenbegriiF,  und  3  unter  den  letzteren  speciell  auf 
die  Unfehlbarkeit  der  Kirche.  Diese  seine  Opposition  steht  im 
Zusammenhang  mit  der  ganzen  E  i  g  e  n  t  h  ü  m  1  i  c h  k  e  i  t  des  Mann e s . 
Diese  können  wir  in  nichts  anderem  finden  als  in  dem  mächtigen 
Ueberwiegen  einer  klaren  Verständigkeit  in  ihm.  Eine  solche 
Geistesart  hat  ihre  Licht-  und  Schattenseite.  Beide  erkennen 
wir  auch  bei  Pecock.  Die  Lichtseite  besteht  in  der  Neigung 
und  Gewöhnung ,  alles  Gegebene ,  insbesondere  die  kirchlichen 
Lehren  und  Einrichtungen,  redlich  zu  prüfen  und  nichts  ungeprüft 
anzunehmen,  auch  Anderen  eine  redliche  Prüfung  zu  gestatten. 
Eine  Folge  hievon  war  einerseits,  dass  er  manche  Irrthümer  und 
Misbräuehe,  die  sich  in  die  Kirche  eingeschlichen  hatten,  erkannte  , 
wiewohl  er  das  Wesentliche  in  der  bestehenden  Kirche  recht- 
fertigen zu  können  glaubte.  Andererseits  hing  damit  zusammen, 
>lass  er  unhaltbare  Gründe  oder  gar  Gewalt  und  Schreckmittel, 
welche  man  gegen  die  Lollarden  in  Anwendung  brachte .  mis- 
billigte;  was  freilich  nicht  ausschliesslich  aus  seiner  intellektuellen 
Geistesart  hervorging,  sondern  zugleich  aus  seinem  Charakter 
sieh  erklärt,  aus  der  Gerechtigkeit,  dem  Billigkeitssinn  und  einer 
acht  Seelsorgerlrchen  Liebe  zu  den  Seelen,  einer  Liehe,  welche 


Die  Eigentümlichkeit  Pecocks. 


417 


sich  nicht  erbittern  lässt.  sich  nicht  der  Ungerechtigkeit  freuet, 
w"l)l  aber  der  Wahrheit",  einer  Liebe,  welche  »alles  hoffet« 

L  Kor.  13  .  Seine  klar  verständige  Geistesart  prägt  sich  theils 
darin  aus.  dass  er  die  heil.  Schrift  mit  nüchternem  Blicke  las, 
and  den  einfachen  Wortsinn  aller  mystischen,  überschwenglichen 
Deutung  weitaus  vorzog:  theils  offenbart  sie  sich  in  einem  für 
>eine  Zeit  höchst  merkwürdigen  und  seltenen  kritischen  Geist, 
den  er  z.  B.  in  der  tüchtigen  Untersuchung  über  die  unhistorische 
Sage  von  der  Schenkung  Constantin  s  bewährt  hat.  Aber  die  vor- 
waltende Verständigkeit  hat  auch  ihre  Schattenseite.  Wir 
sehen  dieselbe  in  seiner  schon  bei  der  Predigt  vom  Jahr  1447  her- 
vortretenden doktrinären  Richtung,  seiner  Liebhaberei  für  die 
hegriffliche  und  mit  logischen  Schlüssen  pedantisch  vorgehende 
demonstrative  Methode,  noch  mehr  aber  in  seiner  Ueberschätzung 
der  reinen  und  wohlbestellten«  Vernunft,  welche  er  für  den 
höchsten  Maasstab  aller  Wahrheit,  auch  in  göttlichen  Dingen,  an- 
sah,  so  dass  er  ihr  gegenüber  selbst  das  Wort  Gottes  ungebührlich 
herabsetzte .  die  Genügsamkeit  der  heil.  Schrift  in  Abrede  zog, 
und  sich  der  Ansicht  näherte,  dass  die  christliche  Wahrheit, 
wenigstens  in  Beziehung  auf  Sittlichkeit  und  Handeln,  ihren 
Grund  in  letzter  Beziehung  nicht  in  der  heil.  Schrift,  sondern  in 
der  Vernunft  habe1  .    Wir  haben  schon  aus  Pecocks  Predigt 


1  Diesen  Grundsatz  hat  einer  seiner  Gegner  ganz  richtig  als  »die  Wur- 
zel seines  ganzen  Uebels«,  d.  h.  als  das  Prinzip  aller  seiner  Irrthümer  er- 
kannt, den  Umstand  nämlich,  dass  er  in  der  Sittenlehre  die  Vernunft  mehr 
gelten  lasse  als  die  Schrift:  rationis  humanae  titulos  in  morum  direc- 
tione  scripturis  sacris  praefert.  Der  Augustiner  Johann  Bury  hat  in 
der  Dedication  seiner  Streitschrift  wider  P  e  c  o  c k  an  Erzbischof  B  ourchi  e  r 
dies  als  totius  sui  malt  radix  bezeichnet  .  S.  572  in  R&BINGTON's  Anhang 
zum  Repressor ,  wo  er  Auszüge  aus  Bury' 8  Schrift:  Gladius  Salomonis 
gibt  ,  S.  567 — 613.  Der  Titel  »Salomonsschwert«  ist  mit  Anspielung  auf 
den  drohenden  Schwerthieb  gewählt,  durch  welchen  König  Salomo  die 
richtige  Mutter  des  lebenden  Kindes  an  den  Tag  gebracht  habe;  so  will 
Verf.  durch  sein  Büchlein  erweisen,  welches  die  richtige  Mutter  der  »Tugend«, 
d.  h.  der  christlichen  Sittlichkeit  sei,  nämlich  »nicht  die  processsüchtige 
Vernunft,  sondern  die  fromme  Schrift«;  a.  a.  O.  572.  Bury  folgt  dem 
Gange  des  Repressor  und  widerlegt  in  42  Kapiteln  dessen  Grundsätze  über 
Vernunft  und  Schrift  in  der  Art,  dass  er  Pecock's  Ansicht  in  englischer 
Sprache  vorausschickt  und  dieselbe  sodann  in  lateinischer  Sprache  beleuchtet 
Lechler.  Wiclif.  II.  27 


418 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


vom  Jahr  1447  ersehen,  dass  er  einer  rationalistischen  Denkungs- 
art  huldigt.  Noch  mehr  liegt  dies  in  seinem  Repressor  am  Tage, 
so  zwar,  dass  er  die  »praktische  Vernunft«  (mit  Kant  zu  reden  . 
oder  »das  sittliche  Naturgesetz«  [tJie  moral  lawe  of  kinde .  wie 
Pecock  selbst  sagt)  für  die  eigentliche  und  ursprüngliche  Grund- 
lage christlicher  Sittlichkeit  hält,  der  heil.  Schrift  in  dieser 
Beziehung  nur  eine  sekundäre,  abgeleitete  Auktorität  zuerkennt 
und  bei  einem  etwaigen  Conflikt  zwischen  beiden  der  Vernunft 
(doom  of  resoun,  Judicium  rationis)  das  letzte  und  entscheidende 
Wort  lässt.  Insofern  müssen  wir  Pecock  als  einen  ächten  Ratio- 
nalisten gelten  lassen,  als  einen  Geist,  in  welchem,  wie  Nean- 
der  einmal  in  Betreff  des  Theobald  Thamer  sich  ausdrückt, 
bereits  »die  Reaktion  der  zur  Alleinherrschaft  hinstrebenden  Ver- 
nunft gegen  das  Positive«  hervortrat.  Nehmen  wir  zu  der  maass- 
gebenden  Auktorität,  welche  Pecock  dem  »natürlichen  Sitten- 
gesetze« zuerkennt,  ferner  hinzu,  welche  Wahrheiten  nach  ihm  die 
Vernunft  für  sich  allein  zu  erkennen  vermag,  z.  B.  dass  ein  Gott 
ist,  dass  der  Mensch  zu  dem  Zwecke  geschaffen  ist.  mit  Gott  ver- 
einigt zu  werden  durch  Liebe  und  Gehorsam  u.  s.  w.  1  :  so  können 
wir  einem  Warner  nicht  ganz  Unrecht  geben,  wenn  er  Pecock 
den  »ersten  deistischen  Schriftsteller  Englands«  genannt  hat2  . 
Wenigstens  glauben  wir  heute  noch  daran  festhalten  zu  müssen, 
dass  Pecock  eine  Art  »Vorläufer  des  englischen  Deismus«  ge- 
wesen sei  3j . 

Vergleichen  wir  Pecock  mit  seinen  Vorgängern  in  der 


und  widerlegt.  Er  betont  die  Auktorität  der  Bibel  als  höchster  Kichtschnur 
des  Glaubens  und  Lebens,  und  ihre  Unabhängigkeit  von  dem  natürlichen 
Sittengesetz.  Und  es  ist  merkwürdig  ,  dass  dieser  von  der  Hierarchie  be- 
günstigte Polemiker  gegen  einen  Mann  ,  dem  seine  Ueberzeugung  von  der 
Fehlbarkeit  und  der  beschränkten  Auktorität  der  Kirche  zum  Schaden  ge- 
reicht hat,  die  unvergleichliche  Würde  der  heil.  Schrift  retten  muss,  so  dass 
durch  eine  wunderbare  Verkettung  der  Umstände  der  Sprecher  römischer 
Orthodoxie  gegen  Pecock's  Ueberschätzung  der  praktischen  Vernunft, 
für  die  Genügsamkeit  der  heil.  Schrift  in  einer  Weise  kämpft,  die  einem 
Wiclif  hätte  müssen  Freude  machen! 

1)  s.  oben  Buch  III  Kap.  5,  II,  S.  oV*. 

2]  Kirchengeschichte  des  ls.  Jahrh.  lTöo. 

3    Geschichte  des  englischen  Deismus  1841,  S.  13  folg. 


Yergleichung  Pecjck's  mit  Woodford  und  Thomas  Netter.  419 


Apologetik  und  Polemik,  in  dem  theologischen  Kampfe  mit 
Wiclif  und  den  L ol lar de n ,  so  finden  wir  einige  belangreiche 
Ergebnisse.  1.  Woodford,  am  Ende  des  XIV.  Jahrhunderts, 
hatte  es  fast  ausnahmslos  nur  mit  Wiclif  selbst  und  dessen  An- 
sichten zu  thun  gehabt ,  und  die  Lollarden  nur  nebenbei  berührt ; 
Thomas  von  Waiden  dagegen,  im  ersten  Viertheil  des  XV.  Jahr- 
hunderts, hatte  sowohl  Wiclif  s  eigenen  Lehrbegriff  als  die  An- 
sichten seiner  Anhänger ,  der  Lollarden,  beleuchtet  und  bekämpft1). 
Pecock  nun,  in  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts,  hat  es  fast  aus- 
schliesslich nur  mit  den  Lollarden  zu  thun,  und  kommt  auf  Wic- 
lif selbst  nur  noch  so  zu  sprechen,  dass  er  ihn  flüchtig  berührt. 
Ein  Unterschied ,  welcher  einfach  durch  den  Fortgang  der  Zeit 
selbst  herbeigeführt  ist. 

2.  Der  erste  Polemiker,  Woodford,  hat  sich  an  eine  Reihe 
Sätze  Wiclif  s  gehalten,  welche  von  einer  Provinzialsynode  ver- 
urtheilt  waren,  und  im  übrigen  aus  dem  Trialogus  geschöpft. 
Thomas  Netter  von  Waiden  dagegen  hat  die  Werke  Wiclif  s 
in  einem  weiten  Umfang  durchforscht  und  seine  Ansichten  mit 
Sorgfalt  und  Treue  dargestellt.  Aber  auch  ihn,  geschweige  den 
Franziskaner  Woodford,  übertrifft  Bischof  Pecock  weit  durch 
die  eingehende  Aufmerksamkeit,  Unbefangenheit  und  Treue,  wo- 
mit er  die  Ansichten  der  Lollarden  darstellt  und  referirt.  Er  be- 
gnügt sich  nicht  damit ,  ihre  Sätze  und  Behauptungen  ohne  Ent- 
stellung und  Verzerrung  wiederzugeben,  sondern  er  geht  auch 
darauf  aus.  ihre  Gründe  und  Beweisführungen  aus  der  Bibel, 
aus  den  Vätern,  aus  der  Vernunft  vollständig  und  sorgfältig  zu 
entwickeln. 

3  Was  das  Urtheil  über  die  Gegner  betrifft,  so  haben  wir 
gefunden,  dass  Woodford  an  den  Sätzen  Wiclif  s,  die  er 
prüfte,  schlechterdings  nichts  Gutes  liess  und  nichts  Wahres  fand. 
Thomas  Netter  ist  wenigstens  hie  und  da  so  billig,  etwas  gelten 
zu  lassen;  ja  er  nimmt  einige  Male  die  Partei  Wiclif  s  gegen- 
über seinen  späteren  Anhängern.  Aber  Pecock  geht  entschieden 

1)  Vgl.  über  Woodford  Buch  III.  Kap.  1.  III.  S.  4">  ff.  ;  über  Thomas 
von  Waiden  Kap.  4.  IV.  S.  330  ff. 

27* 


420 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


noch  weiter  und  giebt  auch  den  Lollarden  seiner  Zeit  in  manchen 
nicht  unwichtigen  Dingen  Recht. 

4.  Damit  hangt  ein  weiterer  Umstand  zusammen,  nämlich  die 
Stellung  dieser  Männer  z u  dem  Bestehenden.  Und  in  die- 
ser Hinsicht  stehen  Woodford  und  Thomas  von  Waiden  auf 
gleicher  Linie.  Beide  glaubten  alles  in  der  Kirche  Bestehende 
in  Bausch  und  Bogen  rechtfertigen  und  gegen  die  wiclifitische 
Reformpartei  vertheidigen  zu  müssen.  Hingegen  Pecock  besitzt 
sowohl  die  Einsicht  als  den  sittlichen  Muth  und  die  Aufrichtigkeit, 
Irrthtimer  und  praktische  Misbräuche  in  der  Kirche  einzusehen, 
oifen  zu  gestehen  und  für  deren  Beseitigung  einzutreten,  wodurch 
er  bereits  zwischen. den  Lollarden  und  der  Kirche  eine  vermit- 
telnde Stellung  einnimmt. 

5.  Dieser  Punkt  steht  mit  einem  weiteren  in  wesentlicher 
Verbindung,  nämlich  damit,  dass  Pecock  nicht ,  wie  seine  bei- 
den Vorgänger,  hauptsächlich  und  fast  ausschliesslich  auf  der 
Tradition  und  der  Auktorität  der  Kirche  fusst.  um  wider  die  Geg- 
ner zu  streiten,  sondern  sich  theils  auf  die  heil.  Schrift,  theils 
und  mit  besonderer  Vorliebe  auf  die  Vernunft  und  Vernunft- 
gründe stützt. 

6 .  Fragen  wir  nach  dem  Leserkreise,  den  diese  Männer  im 
Auge  hatten,  so  ist  klar,  dass  nicht  nur  Woodford,  sondern  auch 
Thomas  Netter  gegen  die  Lollarden  geschrieben  haben,  im 
besten  Falle  über  sie  (so  wenigstens  Netter,,  aber  in  keinem 
Falle  für  sie.  vielmehr  für  katholisch-gläubige  Leser,  wie  letz- 
teres Thomas  ausdrücklich  sagt.  Darin  unterscheidet  sich  aber 
Pecock  von  beiden  ganz  wesentlich.  Er  hat  zwar  theilweise 
auch  gegen  die  Lollarden  geschrieben,  wohl  auch  über  sie; 
aber  vorzugsweise  schrieb  er  doch  für  sie,  indem  er  sich  Lollar- 
den als  Leser  dachte,  als  Käufer  seiner  Bücher  wünschte  und  sie 
aufzuklären,  zu  überzeugen  und  durch  Güte  und  Gründe  zu  ge- 
winnen, mit  der  Kirche  auszusöhnen  suchte  1  . 

1)  Er  sagt  ihnen  einmal  im  Book  of  faith  I.  Theil ,  s.  bei  Lewis, 
Pecock  224:  »Fraget  ihr,  wer  ich  denn  sei,  der  sich  hier  so  geschäftig 
gegen  euch  erzeigt ,  so  ist  es  in  Wahrheit  der  Mann,  welcher  zu  eurem 
geistlichen  Wohl,  zur  Beförderung  eurer  wahren  Erkenntniss  und  Besei- 
tigung des  Irrthums  mehr  gearbeitet  und  gethan  hat,  als  ihr  an  euch  selbst 
zu  thun  verstehet  und  vermöget.    Um  es  genauer  zu  sagen,  so  ist  es  der 


Woodford,  Thomas  Netter  und  Pecock 


421 


7.  Durch  den  Leserkreis  bestimmt  sich  auch  die  Sprache. 
Woodford  und  Thomas  von  Waiden  hatten  nur  katholische 
Leser,  und  vorzugsweise  Theologen.  Kleriker  und  Gelehrte  im 
Auge:  deshalb  schrieben  sie  lateinisch.  Ganz  anders  Pecock. 
Er  dachte  und  wünschte  sich  zwar  nicht  ausschliesslich  aber 
doch  wesentlich  auch  wiclifitisch  gesinnte  Laien :  deshalb  wählte 
er  für  solche  Volksschriften  die  » Laiensprache « .  wie  er  sich  aus- 
drückt, d.  h.  die  englische  Muttersprache.  Wiclif  selbst  und 
seine  Anhänger  hatten  vorzüglich  durch  den  Gebrauch  der  Mutter- 
sprache in  Predigten  und  Schriften  gewirkt  und  Eingang  gefun- 
den. Eben  deshalb  schrieb  Pecock  gleichfalls  englisch,  um 
durch  Entgegenkommen  auf  halbem  Wege  auch  in  Hinsicht  der 
Sprache  die  Gemüther  zu  gewinnen. 


Mann,  welcher  für  euch  und  für  alle  Laien  in  der  Laiensprache  in 
lay-mennys  langage)  folgende  Bücher  geschrieben  hat«  —  Aufführung  von 
neun  Büchern  —  »in  denen  ihr,  wenn  ihr  sie  fleissig  und  mit  sorgfältiger 
Aufmerksamkeit  leset,  —  so  grosse  Erkenntniss  der  Christenreligion  finden 
werdet,  dass  ihr  merket,  ihr  habt  euch  bisher  in  eurem  Vertrauen  auf  eure 
andern  Studien  und  dem  Bemühen  um  Erkenntniss  getäuscht.  Ihr  solltet 
euch  selbst  tüchtig  und  tugendhaft  züchtigen,  und  den  bisherigen  Stolz 
und  Anmaassung  ablegen,  womit  ihr  euer  "Wissen  in  Sachen  der  Christen- 
religion  dem  Wissen  der  Geistlichen  und  der  Kirche  bisher  vorgezogen  habt.«  — 
Und  bei  diesen  wohlgemeinten  Bemühungen  um  Unterweisung  der 
Lollarden  machte  sich  Pecock  immerhin  Hoffnung  auf  einigen  Erfolg. 
In  dieser  Hinsicht  sagt  er  einmal  im  »Donat«  II.  Kap.  11.  Handschrift, 
S.  153  Folgendes:  "Hätte  ich  vernünftigerweise  nichts  anderes  zu  erwarten, 
als  dass  die  Leute  hartnäckig  und  unbezwinglich  wären,  —  so  wollte  ich 
stille  sejn  und  an  mich  halten.  Da  ich  aber  nach  gewissen  Zeichen  etwas 
besseres  hoffen  kann,  so  denke  ich:  wenn  es  um  die  Leute  so  übel  steht, 
dass  sie  ihre  alten  Finsternisse  blindlings  lieber  haben  als  das  Licht,  aber 
es  nur  nicht  ganz  unmöglich  ist  sie  ,  wenn  auch  mit  einiger  Anstrengung, 
zurechtzubringen,  so  ist  es  desto  nothwendiger  dahin  zu  arbeiten,  dass  sie 
herauskommen,  zugleich  aber  auch  dass  Gott  Hand  anlege  und  in  ihnen 
wirke,  was  nicht  in  meiner  Macht  steht;  denn  was  bei  Menschen  unmöglich 
ist,  das  ist  bei  Gott  möglich.  Darum  muss  ich  in  meinem  Theile  wirken, 
und  was  in  dieser  Sache  mir  zukommt ,  das  will  ich  thun  ,  so  lange  jene 
Hoffnung  noch  in  mir  ist  ;  alles  übrige  aber  befehle  ich  Gott  und  stelle 
ihm  anheim,  dass  er  dabei  thue  was  ihm  wohlgefällt.«  —  Pecock  wünscht, 
dass  Leute  aus  dem  Volk  den  Repressor  kaufen;  im  letzten  Kapitel,  S.  562 
fa^st  er  sich  kurz,  »damit  nicht  die  Leute  vom  gemeinen  Volke  verhindert 
werden  die  Geldkosten  aufzubringen,  um  dieses  Buch  zu  erlangen." 


422 


Buch  III.    Kap.  5  III. 


S.  Die  Vorgänger  waren  ausschliesslich  oder  wenigstens  in 
überwiegendem  Maasse  streitend,  widerlegend,  negativ  verfahren. 
Hingegen  P  e  c  o  c  k  schlägt  einen  positiven  Weg  ein  :  er  will  un- 
terweisen, belehren,  überzeugen.  Und  in  dieser  Absicht,  verbun- 
den mit  dem  Umstände ,  dass  er  für  Leute  aus  dem  Volke  und  in 
ihrer  Muttersprache  so  schlicht  und  fasslich  als  er  konnte,  schrieb, 
hat  er  sich  zu  einem  Volksschriftsteller  gebildet,  so  weit  im  Mittel- 
alter davon  die  Rede  sein  kann. 

Fassen  wir  schliesslich  dasjenige  zusammen,  was  aus  Pe- 
cock's  Leben  und  Schriften  in  Beziehung  auf  die  wiclifi- 
tische  Partei  selbst  sich  ergeben  hat,  so  sind  es  folgende 
Thatsachen : 

1.  Der  ununterbrochene  Fortbestand  einer  wiclifitischen 
Partei.  Das  ganze  Leben  Pecock's,  wenigstens  die  Arbeit 
seiner  Mannesjahre,  ziemlich  seit  dem  Jahr  1431  (wo  er  das  Amt 
in  London  antraf  bis  zur  Zeit  seiner  Katastrophe,  nebst  den' 
Hauptschriften ,  die  der  fleissige  Mann  herausgegeben  hat ,  sind 
ein  vollgültiges  und  unwidersprechliches  Zeugniss  davon,  dass 
noch  vor  und  nach  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  die  Lollarden 
keineswegs  ausgerottet  oder  auch  nur  unterdrückt  waren,  son- 
dern als  eine  zahlreiche  und  ansehnliche  Partei  in  England  immer 
noch  fortbestanden. 

2.  Aber  in  welcher  Schichte  der  Gesellschaft,  in  welcher 
Klasse  der  Bevölkerung  linden  wir  die  wiclifitisehe  Partei  / 
Lediglich  nur  unter  den  Laien.  Dieser  Umstand  ergibt  sich  aus 
zahlreichen  Aeusserungen  Pecock's  zweifellos ,  insbesondere 
aus  den  ISamen,  mit  denen  er  sie  bezeichnet,  als:  »vieleNvon  der 
Laienpartei « ,  » die  Schule  der  Ketzerei  unter  dem  Laienvolk  von 
England«,  »Laienkinder  der  Kirche«,  »einige  vom  gemeinen 
Volk«  u.  s.  w.  Ich  kenne  nicht  eine  einzige  Stelle  von  Pecock . 
welche  bezeugte  oder  auch  nur  vermuthen  liesse .  dass  zu  seiner 
Zeit  Kleriker  und  Gelehrte  die  wiclifitisehe  Richtung  theilten. 
Wir  hatten  früher  gesehen,  dass  bis  zum  Jahr  1430  immer  noch 
einzelne  Pfarrer.  Kaplane,  Priester  und  Kleriker  selbst  Lollarden 
waren.  Die  Maassregeln  kirchlicher  Disciplin  in  Verbindung  mit 
staatlicher  Gewalt  hatten  demnach  besonders  in  dem  Jahrzehent 
von  1422  bis  1431  so  viel  Erfolg  gehabt,  dass  in  den  vierziger 


Ergebnisse  aus  Pecock  über  die  Wiclifiten. 


423 


Jahren  kein  einziger  Kleriker  mehr  dieser  Partei  angehörte.  Die 
Lollarden  waren  ans  dem  klerikalen  Stande  glücklich  verdrängt, 
vom  Klerus  abgeschnitten  und  völlig  in  die  Laienschaft,  in  die 
Gemeinden  herabgedrückt.  In  Folge  dessen  waren  die  Lollarden 
ausschliesslich  auf  Conventikel  unter  sich  selbst  angewiesen. 
Eine  unmittelbare  Folge  war  aber  selbstverständlich  auch  die, 
dass  die  Opposition  der  Lollarden  nunmehr  eine  Standessache 
wurde :  man  stand  der  ganzen  Klerisei  gegenüber ;  das  Lollarden- 
thum  brachte  ein  Tadeln  des  Klerus  mit  sich.  Laienpartei  und 
klerikale  Partei  standen  wider  einander.  —  Das  war  vor  1431 
niemals  der  Fall  gewesen.  —  Eine  andere  Frage  ist  die .  ob  die 
Lollarden  jetzt  nur  in  den  niedersten  Schichten  sich  vorfanden  ? 
Man  könnte  dies  daraus  schliessen .  dass  Pecock  für  die  Partei 
öfters  auch  den  Ausdruck  braucht:  » einige  yom  gemeinen  Volk« 
of  the  comoun  peple  .  Allein  es  wäre  voreilig,  wenn  man  diesen 
Ausdruck  pressen  und  daraus  folgern  wollte ,  dass  um  jene  Zeit 
nur  L^ngebildete  und  geringe  Leute  zu  den  Lollarden  gehört 
hätten.  Schon  der  Umstand  würde  dagegen  sprechen,  dass 
Pecock.  wie  in  hohem  Grade  wahrscheinlich  ist.  hauptsächlich 
in  London  die  Bekanntschaft  von  Lollarden  gemacht  hat  und  mit 
solchen  in  regelmässigen  Verkehr  getreten  ist.  Wenn  dem  so 
war,  dann  lässt  sich  kaum  annehmen,  dass  das  Personen  aus  den 
niedersten  Ständen  gewesen  sind :  viel  eher  waren  es  solche  Bür- 
ger der  Hauptstadt,  die  sich  eines  gewissen  Wolilstandes-erfreu- 
ten  und  einen  nicht  geringen  Grad  von  Bildung  besassen.  Wir 
wissen .  dass  Pecock  bei  seinen  Volksschriften  sich  vorzüglich 
auch  Lollarden  als  Leser  gedacht,  dass  er  sie  sich  als  Käufer  sei- 
nes Repres&or  gewünscht  hat.  Die  müssen  schon  dem  wohlhaben- 
deren Theile  der  städtischen  Bevölkerung  angehört  haben.  Noch 
gewichtiger  aber  fällt  in  die  Wagschaale  die  Thatsache.  dass  die 
Gedanken.  Gründe  und  Beweise,  welche  Pecock  aus  dem 
Munde  der  Wiclifiten  in  seinem  Repressor  zur  Sprache  bringt, 
einen  Grad  von  Bildung.  Kenntniss  und  Lektüre  verrathen.  wel- 
cher ganz  entschieden  auch  ein  gewisses  Maass  bürgerlichen 
Wohlstandes  voraussetzt. 

%.  Für  die  innere  Charakteristik  der  Lollarden  in 
P e c o e k ' s  Zeitalter  ist  schon  der  Name  o Bibelmänner«,  wel- 


424 


Buch  III.    Kap.  5.  III. 


chen  der  Bischof  nicht  selten  gebraucht,  bezeichnend.  Er  selbst 
gibt  zwar  diesem  Namen  einen  tadelnden  Beigeschmack :  aber  an- 
dererseits ist  Pecock  doch  ein  so  maassvoller  und  billiger  Gegner, 
dass  er  den  Lollarden  ohne  Rückhalt  das  Zeugniss  gibt,  welches 
wir  gern  vernehmen  und  als  ehrenvoll  anerkennen ,  sie  seien  in 
der  Bibel  ausserordentlich  bewandert ,  berufen  sich  stets  auf  die 
Bibel  als  die  alleinige  Richtschnur  und  Grundlage  christlichen 
Glaubens  und  Lebens  [the  Bible  oonli,  war  ihr  Wahlspruch  und 
fragen  stets  nach  Schriftbeweisen  u.  s.  w.  Diese  Thatsache  be- 
weist uns,  das  Wiclif 's  Schriftprinzip  bei  den  Lollarden  in  der 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  nicht  nur  in  der  Theorie  in  Geltung 
geblieben  war.  sondern  auch  im  Leben  treue  Uebung  und  Anwen- 
dung fand ,  vermöge  einer  bei  den  Lollarden  herrschenden  Bibel- 
sitte und  eines  fortgesetzten  Forschens  in  der  Schrift.  Hierin 
haben  wir  zugleich  den  sprechendsten  Beweis  für  die  stetig- 
fortdauernde  Wirksamkeit  und  den  Segen  der  Wiclif  sehen 
Bibelübersetzung.  Zugleich  constatiren  wir  die  Thatsache. 
dass  den  zahlreichen  und  zum  Theil  ausgedehnten  Bibelcitaten. 
an  welchen  Pecock's  Repressor  so  reich  ist.  durchweg  die 
Wiclif 'sehe  Uebersetzung,  und  zwar  in  ihrer  zweiten,  verbesser- 
ten Gestalt,  zu  Grunde  liegt,  so  dass  die  Abweichungen  von 
dem  Texte  derselben  nur  wenige  und  unerheblicher  Art  sind. 

4.  Abgesehen  von  dem  Schriftprinzip,  sind  die  übrigen  Unter- 
scheidungslehren der  Lollarden.  wie  sie  uns  aus  Pecock  s 
Schriften  entgegentreten,  wesentlich  dieselben,  die  wir  aus  frühe- 
ren Zeitaltern  der  wiclifitischen  Bewegung  kennen.  Der  Grund- 
satz .  dass  das  richtige  Schriftverständniss  nur  dem  D  e  m  ü  t  h  i  - 
gen  [?neek  zugänglich  sei,  hat  uns  bereits  gezeigt,  dass  die 
Lollarden  dieser  Zeit  ganz  noch  den  Grundansichten  W  iclif's 
huldigen ,  dass  Demuth  die  Wurzel  aller  christlichen  Gesinnung 
und  Tugend  sei :  und  diese  Ansicht  beruht  selbst  wieder  auf  der 
Wahrheit,  dass  Gottes  Gnade  in  Christo  der  Grund  unseres  Heils 
ist.  Ferner  fanden  wir  bei  den  Lollarden  Pecock's  die  alt- 
wiclifitische  Misbilligung  des  Heiligenkultus,  der  Bilder  und 
Wallfahrten,  nur  allerdings  in  einem,  verglichen  mit  Wie  Iii 
selbst,  gesteigerten  Maasse.  Sodann  die  Opposition  gegen  die 
Hierarchie,  den  päpstlichen  Primat,  den  Grundbesitz  des  Klerus. 


Ergebnisse  aus  Pecock  über  die  Wiciifiten 


425 


<lie  Mönchsorden,  wie  bei  Wiclif  und  seinen  Anhängern  in  frühe- 
rer Zeit.  Dass  auch  die  Opposition  gegen  die  Lehre  von  der 
Wandlung  im  heil.  Abendmahl  unvergessen  war.  ersehen  wir  aus 
der.  wenn  auch  von  Pecock  nur  kurz  erwähnten  Abneigung  der 
Partei  gegen  die  Messe  !).  —  Hier  möge  auch  an  die  von  Pecock 
bezeugte  Thatsache  nochmals  erinnert  werden,  dass  zu  seiner 
Zeit  die  Lollarden  sich  unter  einander  mit  dem  Namen  »er- 
kannte Leute«  (knoten  meri  zu  bezeichnen  und  von  andern 
Leuten  zu  unterscheiden  pflegten2.  Diese  Bezeichnung  haben 
wir  früher  nie  gefunden,  wohl  aber  werden  wir  sie  später  wieder 
antretfen  im  XVI.  Jahrhundert. 

5.  Was  den  sittlichen  Charakter  der  Lollarden  anbelangt,  so 
rügt  Pecock  vor  allem  ihre  Verstimmung  und  übertriebene,  un- 
gerechte Tadelsucht  gegenüber  der  Geistlichkeit :  das  ist  jedoch 
eine  Gesinnung,  welche  bei  einer  über  ein  halbes  Jahrhundert  ver- 
folgten und  gedrückten  Partei  nur  zu  erklärlich  und  entschuldbar 
erscheint.  Sonst  aber  legt  Pecock  der  Partei  im  Ganzen  keine 
sittlichen  Fehler  bei .  ausser  denjenigen,  die  eben  mit  jener  Ver- 
stimmung zusammenhängen.  Denn  wenn  er  mit  dem  Ton  der 
Aufrichtigkeit  und  erfahrungsmässigen  Sicherheit  von  groben 
Sünden  und  Ausschweifungen  einzelner  Lollarden  spricht3),  so 
ist  scharf  zu  beachten,  dass  er  dort  nicht  von  der  Partei  im  allge- 
meinen, sondern  ausdrücklich  nur  von  einer  Schattirung  in 
derselben  redet  und  behauptet,  dass  in  diesem  Bruchtheil  der 
Partei  einige  einen  ausschweifenden  und  unsittlichen  Wandel 
führen-*). 

Hiemit  sind  wir  bereits  auf  den  Punkt  geführt,  bei  wel- 
chem Pecock  unsere  Kenntniss  -von  den  Lollarden  vorzugsweise 
bereichert :  er  lehrt  uns  nämlich  gewisse  Meinungsverschie- 
denheiten und  Schattirungen  innerhalb  der  Partei  kennen, 
welche  bereits  mit  bestimmten  Namen  bezeichnet  wurden.  Die 
Einen  hiessen  »Doctorhändler«  [Doctour-mo/ujers  .  die  Andern 


1  s.  oben  II  dieses  Kapitels,  S.  3SS. 

2  s.  oben  Buch  III,  Kap.  5.  II,  S.  372. 

3  Repressor,  I,  S.  103.  s.  oben  Buch  III,  Kap.  5.  II,  S.  3ST  f. 

4}  a.  a.  O.  :  y  am  certißed  —  —  that  amonge  the  holders  of  this 
■same  IVe  opinioun  summe  ben  founde  u.  s.  w. 


426 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


»Meinungshalter«  Opinioim  -  hohlers) ,  eine  dritte  Partei  waren 
Neutrale1).  Was  die  eigentliche  Bedeutung  dieser  Namen  und 
welches  die  wirkliche  Verschiedenheit  unter  ihnen  war,  lässt  sich, 
bei  der  flüchtigen  Erwähnung  der  Sache,  nicht  ausmachen.  In 
Beziehung  auf  eine  Frage,  nämlich  die  des  Kirchengutes;  er- 
wähnt P  e  c  o  c  k  speziell  eine  nicht  ganz  unerhebliche  Meinungs- 
verschiedenheit unter  den  Lollarden.  Die  Einen  hielten  dafür, 
der  Besitz  von  liegenden  Gütern  in  den  Händen  der  Geistlichkeit 
sei  unbedingt  schriftwidrig  und  verwerflich.  Die  Andern  räumten 
ein.  dass  Priester  und  andere  Kleriker  mit  liegenden  Gütern 
rechtmässig  ausgestattet  sein  könnten ;  sie  behaupteten  nur ,  dass 
dieselben  ihnen  im  Fall  des  Mi sb rauch s  entzogen  werden 
dürften 2) . 

IV. 

Wir  haben  mit  Hülfe  von  Dr.  Pecock's  Schriften  die  Ge- 
schichte der  Lollarden,  allerdings  mehr  ihre  innere  als  ihre 
äussere  Geschichte,  bis  gegen  das  Jahr  1460  hin  zu  verfolgen  ver- 
mocht. Von  diesem  Zeitpunkt  an  fliessen  die  Quellen  für  die 
Geschichte  der  wiclifi tischen  Bewegung  wieder  spärlicher.  In- 
dessen sind  die  urkundlichen  Zeugnisse  doch  hinreichend,  um  die 
stetige  Fortdauer  einer  wiclifitischen  Gesinnung  in  England  Iiis 
zum  Schluss  des  XV.  Jahrhunderts ,  ja  bis  zur  englischen  Refor- 
mation hin  nachzuweisen.  Wenigstens  ist  kaum  eines  unter  den 
nächsten  Jahrzehenten ,  welches  nicht  wenigstens  eine  oder  die 
andere  Spur  vom  Vorhandensein  der  Lollarden  aufwiese. 

Im  Jahre  J 4(51  stürzte  Eduard  Graf  von  March,  Sohn  des 
Herzogs  Richard  von  York,  den  König  Heinrich  VI.  Damit  ge- 
langte das  Haus  York ,  oder  die  vierte  Linie  unter  den  Nachkom- 
men Eduard  s  III.,  auf  den  Thron,  nachdem  die  zweite  Linie,  die 
Laneasters  (die  rothe  Rose),  seit  1399  in  drei  Heinrichen.  Vater. 
Sohn  und  Enkel  Heinrich  IV..  V..  VI.)  regiert  hatte.  Eduard  [V. 
regierte  von  1461  —  1483. 

1)  lirpressor,  I,  &7- 

2   a.  a.  O.  II,  380.  vgl.  oben  II,  S.  395  i. 


Spuren  von  Wiclifismus  1 47(>  ff. 


427 


Im  Jahre  1470  gelangte  eine  Anzeige  an  die  Regierung-,  wor- 
nach  nicht  wenige  Mitglieder  der  Universität  Oxford  den  Ansich- 
ten Wiclif  s  und  Pecock's  zuneigten.  Die  Zusammenstellung 
ist  merkwürdig,  da  Pecock  sein  Leben  lang  gegen  die  Wiclifiten 
aufgetreten  war.  Allein  es  scheint,  man  sah  schon  damals  Pe- 
cock für  einen  halben  Wiclifiten  an.  In  Folge  jener  Anzeige  er- 
ging am  16.  Februar  1476  nach  Oxford  der  Befehl,  in  allen  Colle- 
gien  und  Hallen  nach  den  Schriften  beider  Männer  zu  forschen 
und  diejenigen ,  welche  etwa  den  Meinungen  derselben  anhangen 
sollten,  zu  bestrafen.  Die  Universität  berichtete  später,  man  habe 
einhellig  beschlossen,  die  besagten  Bücher  zu  verbrennen,  und 
dieser  Beschluss  sei  in  der  That  vollzogen  worden :  sollten  künf- 
tig Schriften  der  beiden  Männer  sich  vorfinden,  so  werde  man  es 
ebenso  halten.  Die  Männer  aber,  welche  den  Ansichten  Wiclif 's 
oder  Pecock's  beistimmten,  wurden  mit  dem  Bann,  mit  Aus- 
stossung  von  der  Universität  oder  mit  andern  Strafen  belegt ;  unter 
diesen  wird  ein  gewisser  Thomas  Smith  genannt,  der  später  vor 
dem  Könige  sich  vom  Verdacht  der  Ketzerei  reinigen  musste1). — 
Es  ist  überraschend ,  dass  auf  einmal  wieder  an  der  Universität 
Oxford  Spuren  von  Wiclifismus  auftauchen,  während  dieselbe  seit 
dem  zweiten  Jahrzehent  jenes  Jahrhunderts  gänzlich  davon  ge- 
säubert schien.  Wie  das  zusammenhängt,  lässt  sich  aus  Mangel 
an  Urkunden  nicht  wohl  ermitteln. 

Um  so  festeren  Boden  haben  wir  unter  den  Füssen  in  Betreff 
mehrerer  Personen,  welche  im  Jahr  1485  vor  dem  Bischof  von  Co- 
ventry  und  Lichfield  zur  Untersuchung  gekommen  sind ;  denn  hier 
kennen  wir  die  Anklagepunkte  speziell.  Nämlich  am  9.  März  jenes 
Jahres  sass  Bischof  Johann  Halse  (1 459 — 1490;  in  der  stattlichen 
St.  Michaelskirche  von  Coventry  zu  Gericht  über  verschiedene  Per- 
sonen, von  denen  acht  mit  Namen  verzeichnet  sind.  Dieselben  wa- 
ren, wie  es  scheint,  sämmtlich  Bürger  von  Coventry  selbst  was 
beiläufig  gesagt,  nur  etwa  drei  deutsche  Meilen  von  Lutterworth 
entfernt  liegt  .  und  hiessen  Johann  Blomstone.  Richard  Heg- 


1  Wood,  Historia  et  Antiquitäten  Univ.  Oxon.  I,  230,  bei  LEWIS, 
Pecock  216. 


428 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


harn.  Robert  Crowther,  Johann  Smith,  Roger  Brown.  Tho- 
mas Butler,  Johann  Falks  und  Richard  Hilm  an  Hilmin  1  . 

Es  ist  der  Mühe  werth  die  Anklagepunkte,  welche  in  Betreff 
jedes  Einzelnen  genau  formulirt  auf  uns  gekommen  sind,  in's  Auge 
zu  fassen,  denn  sie  dienen  dazu ,  den  Standpunkt  jener  Männer 
bestimmt  zu  fixiren.  Wir  lernen  dadurch  nicht  wenige  belang- 
reiche Dinge  kennen.  Einmal  waren  einige  von  ihnen  im  Besitz 
englischer 'Erbauungsmittel.  Richard  Hilman  besass 
nicht  nur  das  Vater  Unser,  den  Gruss  des  Engels  und  den  aposto- 
lischen Glauben  in  englischer  Sprache ,  sondern  auch  ein  eng- 
lisches Evangelien-  und  Epistelbuch  (Perikopenbuch) ,  von  dem  er 
sagte,  er  wolle  sein  Leben  darnach  einrichten,  und  dadurch  er- 
warte er  selig  zu  werden.  Ueberdies  sollte  er  gesagt  haben,  kein 
Priester  auf  der  Kanzel  spreche  besser  als  dieses  Buch.  Auch 
gegen  Roger  Brown  wurde  angebracht,  er  habe  einem  Dritten 
versprochen,  ihm  gewisse  ketzerische  Bücher  zu  zeigen,  falls  er 
ihm  schwöre,  nichts  davon  zu  verrathen  und  diesen  Büchern 
Glauben  zu  schenken.  Und  von  Johann  Smith  hören  wir  wenig- 
stens, dass  er  den  Grundsatz  ausgesprochen  habe,  jedermann 
sollte  von  Rechts  wegen  das  Vater  Unser  und  den  apostolischen 
Glauben  in  englischer  Sprache  auswendig  können.  Damit  hängt 
zusammen,  dass  Smith  die  Ansicht  äusserte,  wer  nur  eben  glaube 
wie  die  Kirche  gerade  glaube,  habe  keinen  guten  Glauben :  auch 
sei  es  nöthig  eine  geraume  Zeit  die  Schulen  zu  besuchen,  ehe  man 
zur  Erkenntniss  des  wahren  und  richtigen  Glaubens  gelangen 
könne.  Der  letztere  Gedanke  scheint  um  so  mehr  von  Belang 
zu  sein,  als  er  offenbar  an  den  Grundsatz  der  »Bibelmänner« 
Pecock's  in  Betreff  der  Schulen  anknüpft2].  Bei  weitem  das 
Wichtigste  finden  wir  bei  Richard  Hegham,  welchem  die  Ueber- 
zeugung  zugeschrieben  wird,  »dass  ein  Christ,  wenn  es  mit  ihm 
zum  Sterben  kommt,  auf  alle  seine  eigenen  Werke,  gute  und  böse, 
verzichten  und  sich  der  Erbarmung  Gottes  unterwerfen  solle*  . 


1)  Erzbischof  UsilER,  Historia  —  coiitrovcrsiae  —  de  scripturis  et  sacris 
vernaculis,  ed.  Wharton,  Lond.  1090.  4°.  173,  nennt  den  letzteren  Hilm  in. 
2;  s.  oben  Buch  III.  Kap.  5.  II,  S.  3S9  f. 

3;  that  a  Christian  man  bt'ing  at  the  point  of  death  .  shott.'d  renottnee 


Die  Lollarden  von  Coventry  J4b5. 


429 


Ein  Satz .  welcher  zwar  nicht  den  vollen  und  klaren  Ausdruck 
der  evangelischen  Wahrheit  von  der  Rechtfertigung  durch  den 
Glauben  allein  in  sich  fasst,  aber  dieser  doch  ganz  nahe  kommt. 
Die  Lehre  vom  Glauben  liegt  dann  in  dem  Satze,  welcher  dem 
Thomas  Butler  schuld  gegeben  wurde:  dass  kein  gläubiger 
Mensch  eine  Pein  für  irgend  eine  Sünde  auszustehen  habe  seit 
Christi  Tod,  weil  Christus  für  unsere  Sünden  gestorben  ist :  damit 
steht  ferner  der  Gedanke  in  Verbindung,  welcher  demselben  Manne 
zugeschrieben  wird :  »jeder,  der  im  Glauben  an  Christum  abscheide, 
werde  selig  werden,  wie  er  auch  gelebt  haben  möge.«  Das  letztere 
ist  allerdings  sehr  misverständlich  ausgedrückt:  möglich,  dass 
der  Gedanke  im  Munde  der  Ankläger  eine  andere  Fassung  er- 
halten hat.  als  in  Butler1  s  Aeusserung  selbst. 

Dogmatischer  Art  sind  ausserdem  einige  Aeusserungen. 
welche  sich  auf  die  Lehren  vom  Abendmahl,  von  der  Absolution 
und  vom  Fegefeuer  beziehen.  In  Betreff  der  Abendmahls - 
lehre  stimmen  die  referirten  Ansichten  nicht  ganz  überein.  Am 
weitesten  geht  der  Satz  Hilm  an 's ,  das  Sakrament  des  Altars  sei 
b  1  o  s  B  r  o  d  i  also  nicht  Christi  Leib) ,  und  die  priesterliche  Conse- 
kration  sei  nur  eine  Täuschung  des  Volks.  Während  Crowther 
nur  das  behauptet  haben  soll :  wer  das  Sakrament  des  Altars  in 
Todsünde  oder  ohne  Liebe  empfange ,  der  empfange  nichts  als 
Brod  und  Wein :  wobei  also  vorausgesetzt  ist,  dass  der  würdige 
Communikant  Christi  Leib  und  Blut  empfange.  Aus  der  Beschul- 
digung gegen  Brown,  er  habe  bei  der  Elevation  die  Hände  nicht 
aufgehoben  und  nicht  aufgeschaut,  ersehen  wir  nur.  dass  er  die 
Anbetung  der  geweihten  Hostie  verweigerte,  auch  wohl,  dass  er 
an  die  Wandlung  nicht  glaubte.  Interessant  ist,  dass  Johann 
Falks  fragte  :  warum  der  Priester,  wenn  er  Christi  Leib  zu  einem 
Kranken  bringt,  nicht  auch  Christi  Blut  mitbringe  ?  Ein  Gedanke, 
welcher  die  hussitische)  Forderung  der  Communion  unter  beider- 
lei Gestalt  in  sich  schliesst. 

Hinsichtlich  des  Buss-Sakraments  habe  Roger  Brown 
die  Notwendigkeit  der  Beichte  und  Genugthuung  in  Abrede 


all  his  own  works  good  and  ill,  and  submit  htm  to  the  mercy  of  God,  bei 
Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  133. 


43U 


Buch  III.   Kap.  5.  IV. 


gezogen,  und  nur  die  Zerknirschung-  des  Herzens  für  nothwendig 
erklärt,  während  Falks  die  priesterliche  Vollmacht  zur  Absolu- 
tion verneinte.  C  r o  w  t  h  e  r  und  Smith  die  Schlüsselgewalt  wenig- 
stens im  Zusammenhange  mit  einem  »Busshandel«  [market  of 
penance  verwarfen. 

In  der  Verneinung  eines  Fegefeuers  stimmen  Johann 
Blomstone,  Eoger  Brown  und  Thomas  Butler  vollkommen 
überein:  am  meisten  scheint  sich  der  letztere  mit  dieser  Lehre 
beschäftigt  zu  haben,  denn  von  den  fünf  Sätzen,  die  ihm  Schuld 
gegeben  wurden,  beziehen  sich  vier  darauf:  und  von  ihm  ist  auch 
die  positive  Erklärung,  es  gebe  nur  zwei  Wege,  den  zum  Himmel 
und  den  zur  Hölle.  —  In  dieser  Beziehung  sind  die  Lollarden  am 
Ende  des  XV.  Jahrhunderts  über  Wiclif  selbst  entschieden 
hinausgegangen,  und  haben  einen  Lehrsatz  der  AValdenser  ange- 
nommen1 .  obwohl  ohne  äusseren  Zusammenhang  mit  diesen. 

Die  Opposition  gegen  Bilder  und  Wallfahrten  theilen 
sie  fast  alle:  insbesondere  gefallen  sich  Blomstone .  Hegham. 
C  r  o  w  t  h  e  r  und  Falks  darin ,  auszusprechen ,  dieses  oder  jenes 
Bild  sei  nur  Stock  oder  Stein,  und  es  sei  Thorheit  zu  dem  Marien- 
bild von  Doncaster.  Walsingham  oder  im  Thurm  von  Coventry  zu 
pilgern:  das  helfe  einem  doch  nicht  in  den  Himmel  Blom- 
stone, Butler  . 

Ausserdem  wird  Brown  und  Falks  vorgeworfen.  dass  sie 
das  Fastengebot  gebrochen,  und  ersterein,  dass  er  alle  Abgaben 
an  Priester  für  weggeworfenes  Geld  erklärt  habe,  während  nur 
Blomstone  das  Papstthum  selbst  antastete,  indem  er  die  Ver- 
erbung der  Vollmacht  Petri  auf  dessen  Nachfolger  verneinte  2  . 

Die  Untersuchung  hatte  den  Erfolg,  dass  die  Angeschuldig- 
ten widerrufen  mussten .  worauf  ihnen  eine  Busse  auferlegt  und 
schliesslich  Absolution  ertheilt  wurde. 

Am  3.  April  14S8  kam  vor  demselben  Bischof  Johann  Halse 
eine  Frau  ins  Verhör  wegen  wiclifitischer  Lehren:  sie  war  aus 

1    Vgl.  Buch  I.  Kap.  1.  II,  S.  02. 

1  Foxe,  Acts  and  Man.  IV,  133  folg.,  jedenfalls  aus  dem  auch  von 
Erzbischof  Usher  benützten  bischöflichen  Archiv  von  Coventry.  WlLKTNA 
hat  die  Urkunde  nicht.  Vgl.  über  Coventry  Seebohm.  Oxford  Reformers, 
1869.  414  f. 


Die  Lollarden  von  Kvle  in  Schottland  14t>4. 


431 


der  Stadt  Ashburn  in  Derbyshire .  und  hiess  Margarethe  Goyt, 
Ehefrau  des  Jakob  Goyt  daselbst.  Es  wurde  ihr  Schuld  gegeben, 
sie  habe  gesagt:  Ij  das  was  die  Priester  bei  der  Messe  über  ihre 
Häupter  erheben,  sei  nicht  der  wahrhaftige  Leih  Christi,  sonst 
könnten  sie  es  nicht  so  leicht  brechen  und  schlingen:  denn 
Christi  Leib  habe  Fleisch  und  Bein,  nicht  so  das  was  die  Priester 
gemessen. 

'2.  Wenn  die  Priester  40  Hostien  für  einen  halben  Penny 
kaufen  und  dem  Volke  zeigen,  und  behaupten,  dass  sie  aus  jeder 
Hostie  Christi  Leib  machen,  so  thun  sie  nichts  anderes  als  dass 
sie  das  Volk  betrügen  und  sich  selbst  bereichern. 

3.  Gott  hat  im  Anfang  den  Menschen  geschaffen  und  gemacht : 
wie  ist  es  möglich,  dass  der  Mensch  im  Stande  sein  sollte.  Gott 
zu  machen  ? 

Man  sieht .  alle  drei  Sätze  beziehen  sich  auf  die  römische 
Abendmahlslehre  und  treten  dem  Begriff  der  Wandlung  entgegen, 
insbesondere  der  Selbstüberhebung  des  Geschöpfs  gegenüber  dem 
Schöpfer,  und  des  Priesterstandes  gegenüber  der  Gemeinde, 
welche  darin  liege:  es  sind  das  somit  acht  Wie  Ii  f  "sehe  Gedan- 
ken, wie  wir  denn  die  Opposition  gegen  die  römische  Lehre  von 
der  Wandlung  so  eben  auch  bei  den  Lollarden  von  Goventry 
gefunden  haben. 

Uebrigens  ist  auch  diese  Frau,  nachdem  sie  zum  Widerruf 
gezwungen  wurden,  mit  einer  Kirchenbusse  davongekommen  und 
sodann  frei  gesprochen  worden l] . 

Aber  sogar  in  Schottland  entdeckte  die  Hierarchie  zahl- 
reiche Lollarden.  Der  erste  Erzbischof  von  Glasgow.  Blacater, 
seheint  einen  besonderen  Eifer  darauf  verwandt  zu  haben.  Irr- 
lehrer aufzuspüren.  Auf  sein  Betreiben  wurden  im  Jahre  1494 
30  Personen  vor  den  Geheimen  Rath  vorgeladen,  und  unter  dem 
persönlichen  Vorsitz  König  Jakob  s  IV.  J4SS — 151S)  über  die 
gegen  sie  erhobene  Anschuldigung  der  Ketzerei  als  Lollarden 
verhört.  Es  regte  sich  in  einigen  Gauen  der  westlichen  Graf- 
schaften von  Schottland .  namentlich  in  der  Gegend  von  Kyle. 
Carrick  und  Cunningham .  eine  Verstimmung  wider  kirchliche 


1   Foxe,  Acts  und  Man.  IV,  135. 


432 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


Misbräuche.  welche  den  Bischöfen  Besorgniss  einflösste.  Man 
nannte  diese  Leute  nur  »die  Lollarden  von  Kyle«.  Unter  ihnen 
werden  besonders  namhaft  gemacht  Adam  Reid  von  Bars- 
kimming,  Georg  Campbell  von  Cessnock,  Andreas  Shaw  von 
Polkeinmet,  und  einige  Frauen  von  Stande,  die  Ladies  von  Stair 
und  P o  1  k  e  1 1  i  e .  Man  beschuldigte  sie.  dass  sie  die  Verehrung  der 
Jungfrau  Maria  und  anderer  Heiligen ,  den  Gebrauch  der  Bilder 
und  Reliquien  so  wie  die  Messe  verwerfen ,  und  verschiedene 
Dinge  für  Misbräuche  und  eigenmächtige  Anmaassungen  der  Prä- 
laten und  Priester  erklären  und  als  solche  misbilligen.  Das  sind 
in  der  That  lauter  Punkte,  welche  von  Wiclif  an  über  ein  Jahr- 
hundert lang  den  Lollarden  anstössig  waren;  insbesondere  sind 
es  Dinge,  gegen  welche  vorzugsweise  die  Opposition  der  »Bibel - 
männer«  um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  gerichtet  gewesen 
war.  Bei  der  Vernehmung  vor  dem  Geheimen  Rathe  scheint  de,r 
vorhin  in  erster  Linie  genannte  Adam  Reid  als  Sprecher  der 
Angeschuldigten  aufgetreten  zu  sein.  Wir  hören,  er  habe  mit  so 
viel  Geist,  Humor  und  Witz  geantwortet,  dass  er  den  Erzbischof 
vollständig  beschämte,  zum  nicht  geringen  Ergötzen  des  Königs. 
Schliesslich  entliess  Jakob  IV.  die  Leute  sämmtlich  auf  freiem 
Fusse,  indem  er  sie  nur  vor  Neuerungen  warnte  und  ihnen  die 
Ermahnung  mit  auf  den  Weg  gab .  künftig  bei  dem  Glauben  der 
Kirche  Beruhigung  zu  fassen.  Es  ist  eine  merkwürdige  That- 
sache,  dass  gerade  in  denselben  westlichen  Distrikten,  wo  im 
Jahre  1494  die  »Lollarden  von  Kyle«  auftraten,  einige  Jahrzehente 
später  die  Lehren  der  Reformation  die  freudigste  Aufnahme  und 
die  muthigsten  Vertheidiger  gefunden  haben  1  . 

Aber  im  gleichen  Jahr  wurden  auch  in  England  aufs  neue 


1)  "Wir  entnehmen  diese  Nachrichten  der  schottischen  Kirchengeschichte 
von  HETHERINGTON,  Hist.  of  the  Church  of  Scotland,  2  ed.  1842.  \V1  folg.. 
der  sich  auf  die  übereinstimmenden  Nachrichten  von  Knox  und  Spotts- 
wood stützt.  Allerdings  hält  Hetherington  selbst  die  Leute  nicht  für 
Wiclifiten,  sondern  vermuthet,  dieselben  seien  nur  ein  frischer  Schössling 
der  in  Schottland  einheimischen  Culdeer  gewesen ,  d.  h.  der  Anhänger 
eines  freieren  und  reineren,  altbiblischen  Christenthums.  Dass  diese  Hypo- 
these historisch  unbegründet  ist,  habe  ich  Zeitschrift  f.  hist.  Theol.  1854. 
254  f.  Anm  nachgewiesen. 


Lollarden  in  London  1494  fi". 


433 


Maassregeln  gegen  Lollarden  ergriffen.  Unter  dem  ersten  Tudor, 
Heinrich  VII.  (1485  — 1509),  begannen  die  Verbrennungen  der 
Ketzer  wieder,  und  zwar  in  London  selbst.  Am  28.  April  1494 
wurde  eine  80jährige  Frau,  genannt  Mutter  Young,  wegen  hart- 
näckigen Festhaltens  an  acht  Sätzen  von  Wiclif  (welche  uns  indes 
nicht  näher  genannt  wrerden  ,  auf  Smithfield  verbrannt.  Es  wird 
insbesondere  berichtet,  dass  sie  durch  die  drohenden  Worte  ihrer 
geistlichen  Richter  sich  nicht  habe  einschüchtern  lassen ;  sie  ant- 
wortete, sie  sei  so  gewiss  der  Liebe  Gottes  und  seiner  heil.  Engel, 
dass  sie  sich  vor  dem  Feuer  nicht  fürchte.  Und  in  den  Flammen 
selbst  rief  sie  zu  Gott,  dass  er  ihre  Seele  in  seine  heiligen 
Hände  nehmen  möge !  In  der  Nacht  nach  ihrer  Verbrennung  sei 
ihre  Asche  grösstenteils  weggeräumt  worden  von  Liebhabern 
der  Lehre,  für  wrelche  sie  gestorben  war l) . 

Derselbe  Chronist,  welcher  diese  Thatsache  als  Zeitgenosse 
aufgezeichnet  hat,  der  Londoner  Handelsherr  Robert  Fabian 
f  c.  15122),  erwähntauch,  dass  im  Jahr  1495  »viele  Lollarden« 
mit  Galgen  beim  Paulskreuz  haben  stehen  müssen«.  Es  war  ein 
Zeichen  der  Busse  und  eine  Kirchenstrafe ,  dass  sie  mit  einem 
Miniatur-Galgen  am  Halse  eine  Procession  mitmachen  oder  wäh- 
rend einer  Predigt  angesichts  der  Gemeinde  stehen  mussten. 
Sonntag  den  17.  Januar  1496  mussten  zwei  Männer,  deren  Namen 
aufbewahrt  sind,  Richard  Milderale  und  Jakob  Sturdy  bei 
dem  Bittgang]  um  die  Paulskirche  vorausgehen  mit  Galgen  am 
Halse,  und  nachher  während  der  Predigt  vor  dem  Prediger  stehen. 
Und  am  Sonntag  darauf  standen  schon  wieder  zwei  andere  Männer 
beim  Paulskreuz,  so  lange  die  Predigt  währte ;  der  eine  war  mit 
bemalten  und  beschriebenen  Papieren  behangen,  während  der 
andere  einen  Galgen  am  Halse  tragen  musste.  In  der  Fastenzeit 
war  ein  gewisser  Hugo  Glover  dazu  verurtheilt,  an  einem 
Passionssonntag  vor  der  Procession  mit  einem  Galgen  vorauszu- 
gehen :  und  als  nachher  eine  Predigt  beim  Paulskreuz  gehalten 
wurde ,  musste  er,  so  lange  die  Predigt  währte,  mit  dem  Galgen 


1)  Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  7,  nach  Robert  Fabian's  Chronik. 
2   Vgl.  über  Fabian's  Persönlichkeit  und  den  Werth  seiner  Chronik 
Pauli,  Gesch.  v.  England,  V,  696. 

Lechlek,  Wiclif.  II.  28 


434 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


an  seinem  Halse  dastehen.  Am  nächsten  Sonntag  waren  es 
nicht  weniger  als  vier  Männer ,  welche  auf  dem  Kirchhof  der 
Paulskirche  zur  Busse  so  dastehen  mussten,  während  die  Pre- 
digt gehalten  wurde.  Ausserdem  erwähnt  aber  der  Chronist, 
dass  viele  Bücher,  die  ihnen  gehörten,  vor  ihren  Augen  beim 
Kreuz  verbrannt  worden  seien.  Aus  dem  Jahre  1498  hören  wir 
sogar,  dass  ein  Priester,  dessen  Name  nicht  erwähnt  wird, 
als  Ketzer  verbrannt  worden  sei.  Anfangs  Mai  befand  sich  König 
Heinrich  VII.  zu  Canterbury  und  hörte  von  einem  Priester,  wel- 
cher so  hartnäckig  in  seinen  Ansichten  sei,  dass  alle  Bischöfe 
und  Gelehrten  nicht  im  Stande  seien  ihn  davon  abzubringen.  Da 
liess  er  den  Priester  vor  sich  selber  bringen  und  beredete  ihn 
schliesslich  zum  Widerruf;  dessen  ungeachtet  wurde  der  Mann 
unmittelbar  darauf  als  Ketzer  verbrannt.  Im  Jahre  1499  wurden 
13  Lollarden,  worunter  acht  Frauen  und  ein  Jüngling,  dazu  ver- 
urtheilt,  bei  der  Procession  auf  dem  St.  Paulskirchhof  Galgen  am 
Halse  zu  tragen1).  Auch  im  Jahre  1500,  wahrscheinlich  im  Mai 
oder  Juni,  wurde  in  Norfolk  ein  Mann  Namens  Babram,  und  in 
demselben  oder  im  folgenden  Jahre  am  20.  Juli  ein  ungenannter 
alter  Mann  auf  Smithfield  in  London  als  Ketzer  verbrannt 2) . 

In  Betreff  der  Matrone  Youn^  ist  ausdrücklich  bezeugt,  dass 
sie  Sätze  von  Wiclif  festgehalten  habe.  Die  Angeschuldigten 
von  Coventry  und  Ashburn  lassen  sich  an  ihren  Sätzen  als  Lollar- 
den erkennen.  Es  kann  kaum  ein  Zweifel  darüber  aufkommen, 
dass  auch  die  übrigen  nach  ihnen  Erwähnten  wegen  wiclifi ti- 
scher Ansichten  mit  Kirchenstrafen  belegt,  zum  Theil  gar 
verbrannt  worden  sind.  Somit  ist  die  Thatsache  constatirt,  dass 
in  den  letzten  Jahren  des  XV.  und  in  den  ersten  des  XVI.  Jahr- 
hunderts Untersuchungen  bischöflicher  Gerichtshöfe  und  Ver- 
hängung von  Kirchenstrafen  bis  zum  Feuertode  gegen.  Lollarden 
in  sehr  häufigen  Fällen  stattgefunden  haben. 


1)  Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  123. 

2)  Diese  Angaben  verdanken  wir  sämmtlich  der  Chronik  von  Hoheit 
Fabian,  aus  welcher  sie  in  Foxe's  Acts  and  Monuments ,  IV,  7  folg.. 
122  folg.,  vgl.  Anhang  710  folg.  (Ausg.  von  Townsend  1846),  aufge- 
nommen sind. 


Lollarden  zu  Amersham  1506. 


43;> 


Hiemit  harmouirt  bestätigend  die  Thatsache,  dass  von  den 
Handschriften  der  W  i  e  1  i  f sehen  Bibelübersetzung,  so  weit  sie  in 
England  heute  noch  vorhanden  sind,  ungefähr  zehn  aus  der  zwei- 
ten Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  stammen,  während  zwei  andere 
entschieden  der  spätesten  Zeit  desselben  Jahrhunderts  angehören. 
Und  da  diese  Handschriften  wahrscheinlich  nur  in  wiclifitischen 
Kreisen  gewünscht  und  gebraucht  wurden,  so  dient  diese  That- 
sache gleichfalls  dazu,  das  Vorhandensein  von  Lollarden  in  der 
zw  eiten  Hälfte  und  bis  zum  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  zu  be- 
urkunden. 

Aber  im  XVI.  Jahrhundert  häuften  sich,  insbesondere  vom 
Jahre  1506  an.  die  Fälle  erst  recht,  wo  Personen  männlichen  und 
weiblichen  Geschlechts  wegen  Bibellesens  oder  des  Besitzes  eng- 
lischer Uebersetzungen  von  biblischen  Büchern ,  wegen  Verwer- 
fung gewisser  Punkte  des  römisch-katholischen  Kultus  und  Kir- 
chenwesens, kurz  wegen  speeifisch  wiclifitischer  Dinge  zur  Anzeige 
gebracht,  zur  Verantwortung  gezogen,  theilweise  mit  Kirchen- 
strafen belegt, sogar  verbrannt  wurden.  Ganz  besonders  scheint 
sich  das  Städtchen  Amersham  in  der  Grafschaft  Buckingham,  da- 
mals noch  zum  bischöflichen  Sprengel  von  Lincoln  gehörig,  als 
ein  Sitz  des  Wiclifismus  hervorgethan  zu  haben.  Im  Jahre  1506 
fand  in  Amersham  eine  umfassende  Untersuchung  statt .  wobei 
mehr  denn  60  Personen  zu  Kirchenstrafen  verurtheilt  wurden, 
und  ein  Mann,  welcher  das  Haupt  des  Conventikels  gewesen  zu 
sein  seheint.  Wilhelm  Tylsworth ,  lebendig  verbrannt  wurde  : 
seine  eigene  Tochter  Johanna,  Ehefrau  eines  Johann  Clerk, 
wurde  gezwungen .  den  Holzstoss  selbst  anzuzünden ,  der  ihren 
Vater  einäscherte .  während  ihr  Gatte  mit  über  60  anderen  Per- 
sonen als  Büsser  anwohnen  musste.  Johann  Foxe  beruft  sich 
für  seinen  Bericht  von  jener  Execution  auf  Männer  und  Frauen  in 
Amersham.  welche  Augenzeugen  gewesen  waren  und  damals 
noch  lebten  als  er  schrieb:  zwei  davon  nennt  er  mit  Namen,  z.  B. 
den  Wilhelm  Page,  welcher  damals  selbst  in  Untersuchung  ge- 
nommen und  zu  einer  Kirchenstrafe  verurtheilt  worden  war 1  . 


1)  Foxe,  Acts  and  Man.  IV,  123  folg.  —  Auch  Usher,  Hist.  controv. 
de  scripturis  1690.  179,  berichtet  davon. 

2S* 


436 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


Unter  den  Angeschuldigten  befinden  sich  mehrere  Ehepaare: 
nur  von  einigen  mögen  die  Namen  genannt  werden,  weil  sie  in 
späteren  Jahren  wieder  vorkommen,  theils  ebenfalls  als  Lollar- 
den.  z.  B.  die  Brüder  Kobert  und  Richard  Bartlet,  Johann 
Phip,  theils  als  Denuncianten  gegen  ihre  ehemaligen  Glaubens- 
genossen, z.  B.  Thomas  Holmes.  Mehrere  unter  diesen  Leuten 
wurden  sonst  bestraft:  Robert  Bartlet  war  ein  reicher  Mann, 
man  confiscirte  seine  liegenden  Güter  und  sperrte  ihn  Jahre  lang 
in  das  Kloster  Ashridge  ein;  ihrer  30  wurden  zur  bleibenden 
Schmach  an  der  Wange  oder  dem  Kinnbacken  gebrandmarkt 
u.  s.  w.  Und  was  war  ihr  Vergehen?  Es  bestand  in  nichts  an- 
derem als  darin,  dass  sie  die  heil.  Schrift  zu  lesen  oder  zu  hören 
verlangten,  und  mehrere  Dinge  in  der  bestehenden  Kirche  für 
Aberglauben  und  Götzendienst  hielten. 

An  einem  der  nächsten  Tage  nach  jener  Execution  in  Amers- 
ham  wurde  in  der  Hauptstadt  der  Grafschaft ,  in  Buckingham 
selbst,  ein  Müller  Roberts  aus  Missenden,  einem  unmittelbar  bei 
Amersham  gelegenen  Dorfe,  verbrannt,  und  binnen  zwei  oder  drei 
Jahren  noch  zwei  Personen  in  Amersham.  Ein  anderer,  Vater 
Rogers  genannt,  wurde  14  Wochen  lang  in  einem  Gefängniss 
des  Bischofs  eingesperrt,  und  durch  Kälte.  Hunger  und  Zwangs- 
eisen dermaassen  mishandelt,  dass  er.  als  man  ihn  doch  wieder 
frei  Hess,  im  Rückgrat  gelähmt  war  und  nie  mehr  aufrecht  gehen 
konnte  1  .  Einer  von  denjenigen,  welche  in  Amersham  das  erste 
Mal  mit  einer  leichteren  Strafe  davon  gekommen  waren,  Thomas 
Chase,  ein  gottesfürchtiger  und  ehrenhafter  Mann,  zog  sich  spä- 
ter  abermals  den  Verdacht  wiclifitischer  Gesinnung  zu.  Er  wurde 
vorden  auf  seinem  Landsitz  Woburn .  unweit  Amersham,  woh- 
nenden Bischof  von  Lincoln  geführt  und  von  ihm  verhört.  Seine 
Krklärungen  scheinen  sehr  wenig  befriedigt  zu  haben:  deshalb 
wurde  er  im  Herrenhaus  des  Bischofs  in  ein  enges  Gelass  gesperrt, 
das  als  Gefängniss  diente.  Hier  wurde  er  öfters  mit  Hunger  ge- 
martert, mit  Ketten.  Hand-  und  Fusseisen  u.  s.  w.  belegt,  und 
am  Ende  ermordet.  Ks  wurde  zwar  das  Gerücht  verbreitet,  Chase 
habe  im  Gefängniss  sich  erhängt,  allein  das  Gelass  war  der  Art, 


1    FOXE,  Acts  aml  Mbn.  IV,  124. 


Maassregeln  gegen  Lollarden  1507.  437 

dass  ein  Mann  weder  aufrecht  darin  stehen  noch  bequem  liegen 
konnte ;  überdies  waren  dem  Unglücklichen  so  viele  Eisen  angelegt, 
dass  er  weder  Hand  noch  Fuss  regen  konnte !  Um  sein  Gedächt- 
niss  für  immer  zu  brandmarken ,  verscharrten  sie  seine  Leiche 
in  einem  Walde  an  der  Strasse  zwischen  Woburn  und  Klein- 
Marlow  1  . 

Aber  nicht  blos  in  dem  weitläufigen  Sprengel  von  Lincoln, 
sondern  auch  in  andern  Gegenden  von  England  tauchten  in  jenen 
Jahren  »Irrlehren«  auf.  denen  man  mit  aller  Macht  steuern  zu 
müssen  glaubte. 

Am  31.  März  1507  wurde  in  Norwich  ein  gewisser  Thomas 
Noris  als  Ketzer  verbrannt.  Und  im  Jahre  darauf  kam  in  Lon- 
don eine  Frau,  Elisabeth  Sampson,  in  Untersuchung  vor  dem 
bischöflichen  Gerichtshofe,  weil  sie  gegen  die  Verehrung  von 
Bildern,  gegen  Pilgerfahrten  zu  solchen,  und  gegen  die  Messe 
gesprochen  hatte.  Sie  hatte  von  den  Marienbildern  in  Wilsdon, 
Staines .  Crome  und  Walsingham  despektirlich  gesprochen  und 
gemeint ,  es  wäre  besser  für  die  Leute,  wenn  sie  daheim  blieben 
und  den  Armen  Almosen  gäben,  als  wenn  sie  Wallfahrten  mach- 
ten. Auch  sagte  sie,  die  geweihte  Hostie  sei  nicht  Christi  Leib, 
sondern  Brod,  denn  Christus  könne  nicht  im  Himmel  und  auf  der 
Erde  zugleich  sein.  Sie  wurde  zum  Widerrufe  genöthigt,  den  sie 
vor  dem  bischöflichen  Kanzler.  Wilhelm  Horsey,  ablegte'2  . 

In  Salisbury  Hess  der  Bischof,  ebenfalls  noch  unter  Hein- 
rich's  VII.  Regierung,  einen  Bürger  Lorenz  Ghest  erst  zwei 
Jahre  lang  gefangen  halten  und  schliesslich  verbrennen,  der  Messe 
wegen.  Als  er  bereits  an  dem  Pfahle  stand,  brachte  man,  um  ihn 
wankend  zu  machen,  seine  Ehefrau  und  seine  sieben  Kinder  vor 
ihn:  er  bat  jedoch  seine  Frau,  sich  zu  fassen  und  ihm  nicht  ein 
Hinderniss  in  den  Weg  zu  legen,  denn  er  sei  in  einem  guten  Lauf 
und  eile  seiner  Erlösung  zu.  Nun  wurde  das  Feuer  angelegt. 
Als  er  im  Brennen  war .  warf  ihm  einer  von  des  Bischofs  Leuten 
ein  brennendes  Stück  Holz  ins  Gesicht,  worüber  der  Bruder  von 


1)  Foxe,  Acts  and  Mon.  IV.  124  folg. 

2  a.  a.  O.  128.  auf  Grund  eines  Protokolls  im  Archive  des  Bisthums 
zu  London. 


43S 


Buch  III.   Kap.  5.  IV. 


Lorenz  G  h  e  s  t ,  welcher  dabei  stand ,  so  ausser  sich  war.  dass  er 
um  ein  kleines  den  Mann  erstach  *) . 

So  sind  noch  in  den  letzten  vier  Jahren  der  Regierung'  Hein- 
riche VII.  zahlreiche  Lollarden  zur  Entdeckung  und  Bestrafung* 
gekommen,  mehrere  von  ihnen  ausser  den  Genannten  auch  noch 
eine  Frau  in  Chipping-Sudbury.  deren  Namen  Foxe  nicht  mehr 
ermitteln  konnte  auch  verbrannt  worden.  Am  21.  April  1509 
starb  König  Heinrich  VII.  Und  da  sein  Erstgeborener.  Prinz 
Arthur,  schon  1502  gestorben  war,  so  bestieg  sein  zweiter  Sohn 
als  Heinrich  VIII.  den  englischen  Thron.  Der  Anfang  seiner  Re- 
gierung blieb  hinter  den  letzten  Jahren  der  Regierungszeit  seines 
Vaters  nicht  zurück  in  der  Verfolgung  der  »Ketzer«. 

Unter  den  Kirchenfürsten  that  sich  im  Eifer  wider  dieselben 
hervor  der  Bischof  von  London,  Richard  Fitz-James  1506 — 
1521,  ein  beschränkter  Eiferer.  Bei  ihm  kamen  allein  in  den  Jah- 
ren 1510  und  1511  nicht  weniger  als  24  Personen  zur  Anzeige, 
Männer  und  Frauen,  im  Jahre  1512  ein  Mann.  1517  zwei  Personen, 
1518  sechs  und  1521  vier  Personen,  deren  Namen  sämmtlich  aus 
dem  Archiv  des  genannten  Bischofs  von  Foxe  verzeichnet  sind 2) . 
Die  Anschuldigungen  bezogen  sich  theils  auf  die  Abendmahlslehre, 
insbesondere  auf  die  Lehre  von  der  Wandlung,  theils  auf  Bilder, 
Wallfahrten  und  Verehrung  der  Heiligen.  Bemerkenswerth  ist, 
dass  einer  Frau,  Namens  Johanna  John,  Ehefrau  von  Ludwig- 
John,  vorgeworfen  wird,  sie  behaupte.  Gott  habe  keine  heiligen 
Tage  zu  halten  befohlen  ausser  dem  Sabbattag.  und  deswegen 
habe  sie  keinen  gefeiert  ausser  diesem  ;  :  was  ohne  Zweifel  aus 
dem  Schriftprinzip  der  Lollarden  abgeleitet  war  und  als  ein  Vor- 
spiel der  puritanischen,  gegenwärtig  auch  anglikanischen  Lehre 
vom  Sonntag  und  den  heil.  Zeiten  zu  betrachten  ist.  Vorzüglich 
wurde  diesen  Personen  zum  Vorwurf  gemacht ,  dass  sie  gewisse 
Bücher  in  englischer  Sprache  gehabt  und  gelesen  haben,  welche 
dem  Glauben  der  römischen  Kirche  zuwiderlaufen,  als  die  vier 


1)  Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  12G  folg.  mit  Berufung  auf  mündliche 
Berichte  von  Augenzeugen. 
2  Foxe,  IV.  17:*— 178. 
3)  a.  a.  O.  176. 


LoHarden  in  England  1511. 


439 


Evangelien,  die  Briefe  Pauli  undJakobi,  die  Offenbarung:  Johannis, 
ferner  Wiclif's  Wichet  und  ein  Buch  über  die  zehn  Gebote  des 
allmächtigen  Gottes.  Schon  der  eine  Umstand,  dass  diese  Leute 
Wiclif's  »Pförtchen«  lasen,  seine  kleine  Volksschrift  gegen  die 
Lehre  von  der  Wandlung,  beweist  hinlänglich,  dass  sie  ächte 
Wiclifiten  waren. 

Man  begnügte  sich ,  die  der  Ketzerei  Verdächtigen  zum 
Widerrufe  zu  nöthigeii  und  mit  Kirchenstrafen  zu  belegen.  Allein 
wenn  sie  schwach  gewesen  waren  und  nach  der  Hand  doch  wieder 
auf  die  früheren  Ueberzeugungen  zurückkamen,  so  wurden  sie  als 
rückfällige  Ketzer  verurtheilt  und  dem  qualvollen  Feuertode  über- 
liefert. So  wurden  Wilhelm  S  w  e  e  t  i  n  g  und  Johann  B  r  e  w  s  t  e  r 
am  18.  Oktober  151t  zusammen  auf  Smithfield  verbrannt1).  — 
Im  Frühling  und  Sommer  desselben  Jahres  hatte  der  Erzbischof 
von  Canterbury.  Wilhelm  Warhain  1504  — 1532;,  sonst  ein 
milder  Herr,  mit  einer  Menge  Personen  seiner  unmittelbaren 
Jurisdiction ,  besonders  aus  Tenterden  in  Kent,  zu  thun ,  weil  sie 
gegen  die  Wandlung  in  der  Messe,  die  Noth wendigkeit  der  Taufe, 
Firmung  und  Ohrenbeichte,  gegen  die  Verehrung  der  Heiligen, 
gegen  Bilder  und  Wallfahrten  sich  erklärten.  Die  meisten  wurden 
zum  Widerruf  genöthigt,  aber  einige  auch  zum  Tode  verurtheilt2) . 

Damals  befand  sich  Erasmus  von  Rotterdam  zum  dritten 
Mal  in  England;  im  Herbst  1511  hielt  er  sich  in  Cambridge  auf. 
Sein  Freund,  der  königliche  Geheimschreiber  für  Latein,  Andreas 
Ammonius,  schrieb  an  ilin  nach  Cambridge,  das  Holz  sei  im 
Preise  gestiegen  in  Folge  der  täglichen  Ketzeropfer,  während 
immer  noch  neue  Ketzer  nachwachsen 3  ! 

Im  December  1514  kam  in  London  ein  Ereigniss  vor,  welches 
die  öffentliche  Meinung  aufs  tiefste  erregte  und  zuletzt  selbst  das 
Parlament  beschäftigte.  Ein  angesehener  und  wohlhabender  Ge- 
werbsmann und  Bürger  von  London.  Richard  Hun,  wurde  wegen 
Verweigerung  einer  Abgabe  an  einen  Pfarrer  in  einen  Process 
vor  dem  bischöflichen  Gerichtshofe  verwickelt.  Da  nun  die  Geist- 


1  Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  ISO.  vgl.  214  folg. 

2  Foxe,  a.  a.  O.  V,  (i47. 

3  In  der  Briefsammlung  des  Erasmus.  Opp.  Lugd.  Bat.  170$.  III,  f.  113. 


440 


Buch  III.    Kap.  5.  IV 


lichkeit  fürchtete,  er  könnte  den  Process  gewinnen  und  das  würde 
von  üblen  Folgen  sein,  so  wusste  die  bischöfliche  Inquisition  neben- 
bei einen  Ketzerprocess  gegen  ihn  anzustrengen.  Man  verhaftete 
ihn  und  warf  ihn  in  den  »Lollardenrhurnn<.  einen  Thurm  der  alten 
St.  Paulskirche.  Am  2.  December  1514  verhörte  ihn  Bischof 
Richard  Fitz-James  in  der  Kapelle  seines  Landsitzes  Fulham. 
Die  Anschuldigungen  gingen  nämlich  dahin,  er  habe  verbotene 
englische  Bücher  gehabt  und  fleissig  gelesen,  als  Episteln  und 
Evangelien,  auch  die  Apokalypse  in  englischer  Sprache.  Wiclif's 
verdammenswerthe  Werke,  u.  s.  w.;  ferner,  er  habe  behauptet,  die 
Zehnten  seien  nur  durch  die  Habsucht  der  Priester  verordnet. 
Bischöfe  und  Priester  seien  nur  Lehrer  aber  nicht  Erfüller  des 
Gesetzes  Gottes  u.  dgl.  Nach  der  Vernehmung  wurde  er  am  glei- 
chen Tage  wieder  nach  London  in  den  Lollardenthurm  gebracht. 
Am  Morgen  des  4.  December.  als  man  ihm  um  10  Uhr  sein  Früh- 
stück bringen  wollte,  fanden  ihn  die  Aufwärter  erhängt ,  mit  dem 
Angesichte  gegen  die  Wand.  Sofort  wurde  dem  bischöflichen 
Kanzler  H  o  r  s  e  y  Anzeige  gemacht :  er  kam  mit  einigen  Collegen 
in  das  Gefängniss  zur  Besichtigung  und  liess  nun  aussprengen. 
Hun  habe  sich  aus  Verzweiflung  erhängt. 

Allein  in  der  Stadt  hiess  es  sofort,  da  sei  gewiss  ein  heim- 
licher Mord  geschehen ,  und  unter  der  Bürgerschaft  verbreitete  sich 
eine  bedeutende  Aufregung.  Es  half  nichts,  dass  der  Bischof  nun 
erst  noch  13  neue  Irrlehren  aufstellte,  welche  Hun  angeblich  be- 
hauptet habe,  und  diese  am  nächsten  Sonntag  beim  St.  Paulskreuz 
bekannt  machen  liess,  auch  erst  nachträglich  am  16.  December 
eine  feierliche  Sitzung  des  kirchlichen  Gerichtshofes  hielt .  über 
den  seit  12  Tagen  todten  Mann  ein  Urtheil  fällte,  das  ihn  als  Ketzer 
erklärte1  und  seinen  Leichnam  der  weltlichen  Gewalt  ausant- 
wortete.  Als  vollends  wirklich  am  20.  December  der  Leichnam 
Hun's  auf  Smithfield  verbrannt  wurde,  wirkte  dieser  Akt  so 
wenig  abschreckend  oder  überzeugend,  dass  er  vielmehr  die  Ge- 
müther erst  recht  empörte  und  in  ihrem  Verdachte  bestärkte. 

Der  Todtensehauer  hatte  scheu  am  5.  und  6.  December  deu 


1)  Die  höchst  ausführliche  Sentenz,  von  einem  merkwürdigen  Wort- 
schwall, gibt  Foxk.  Acts  and  Mo».  IV.         folg.  Anm..  vollständig. 


Die  Untersuchung  über  die  Todesart  Ilichard  HunV 


141 


Leichnam  an  Ort  und  Stelle  besichtigt.  Der  Geheime  Rath  nahm 
sich  der  Sache  an  und  vernahm  die  Betheiligten,  selbst  Heinrich 
VIII.  wohnte  mehr  als  einmal  den  Sitzungen  bei.  Die  obersten 
Richter  leiteten  den  Process  ein,  und  erhoben  die  Anschuldigung 
auf  Mord  gegen  den  Kanzler  Dr.  Horsey.  den  Aufwarter  Karl 
Joseph  und  den  Glockenlauter  Johann  Spalding.  Indessen 
setzte  es  der  Bischof  von  London  mit  Hülfe  des  Cardinais  Wol- 
sey  durch,  dass  die  Anschuldigung  gegen  Dr.  Horsey  für  un- 
richtig erklärt  wurde ;  derselbe  wurde  sofort  auf  freien  Fuss  ge- 
setzt, verliess  London  und  durfte  sich  nie  mehr  in  der  Hauptstadt 
blicken  lassen.  Der  Ausspruch  des  Coroner  $  Todtenschauers 
von  London,  Thomas  Barn  well ,  nebst  seinen  24  Geschworenen, 
zusammengenommeil  mit  allen  Zeugenaussagen,  welche  noch  vor- 
handen sind,  lässt  in  der  That  keinen  Zweifel  übrig,  dass  Richard 
Hun  sich  nicht  selbst  erhängt  haben  kann,  sondern  dass  er  zu- 
erst erdrosselt  und  nachträglich  aufgehängt  worden  ist,  ferner  dass 
diese  Mordthat  von  dem  bischöflichen  Kanzler.  Dr.  Wilhelm  Hor- 
s  e  y .  dem  Aufwärter  Karl  Joseph  und  dem  Glockenlauter  Johann 
Spalding  in  Gemeinschaft  begangen  worden  ist1  .  Um  so  un- 
begreiflicher ist  es,  dass  der  König  in  den  Gang  der  Justiz  einge- 
griffen hat,  so  dass  der  Generalstaatsanwalt  jene  Verfügung  er- 
liess.  durch  welche  der  Kanzler  auf  freien  Fuss  gesetzt  wurde. 
Der  Criminalprocess  gegen  die  beiden  Mitschuldigen  desselben 
nahm  einen  schleppenden  Gang.  Deshalb  wandte  sich  die  ver- 
heiratbete Tochter  Hun's,  Margarethe  verehelichte  Waplod. 
in  einer  heute  noch  im  Staats-Archiv  vorhandenen  Bittschrift  '2 
an  den  Geheimsiegelbewahrer  mit  der  Beschwerde  über  Justiz- 
verzögerung und  der  Klage  ,  dass  sie  mit  ihrem  Ehemann  und 
sieben  Kindern  sich  in  Noth  befinde :  denn  das  ganze  nicht  un- 
bedeutende Vermögen  ihres  Vaters  war  confiscirt  worden.  Selbst 
das  Parlament  verwendete  sich  beim  König  für  die  Familie.  Die 
Folge  war  ein  königliches  Mandat,  wodurch  die  Restitution  des 


1)  Foxe  hat  Acts  and  Mon.  IV,  190  folg.,  vgl.  196  folg.,  das  Verdict  der 
gerichtlichen  Besichtigung,  und  192  folg.  die  Zeugenaussagen  urkundlich 
mitgetheilt. 

2)  s.  Anhang  zu  Foxe,  in  der  Ausg.  von  Townsend,  Vol.  IV.  725. 


442 


Buch  III.   Kap.  5.  IV. 


Vermögens  von  Hun  an  seine  Hinterlassenen  angeordnet  wurde. 
In  diesem  Befehl  ist  zugleich  ausgesprochen,  dass  Richard  grau- 
sam ermordet  worden  sei l) .  Das  Vermögen  von  Hun  betrug,  ab- 
gesehen von  Silberzeug  und  Juwelen,  die  für  jene  Zeit  höchst  be- 
trächtliche Summe  von  1500  Pfund  Sterling. 

Dieses  ganze  Ereigniss  hat  begreiflich  nicht  verfehlt,  einen 
lange  nachhaltenden  Eindruck  zu  machen  und  die  öffentliche  Mei- 
nung gegen  die  Geistlichkeit  gewaltig  in  Harnisch  zu  bringen. 

Im  Jahre  1515  scheint  das  Haus  von  Robert  Durd'ant  in 
Yvercourt  Grafschaft  Buckinghami  der  Sitz  eines  wiclifitischen 
Conventikels  gewesen  zu  sein.  Denn  wir  sehen  aus  den  Proto- 
kollen über  die  später,  theils  1518  theils  1521.  mit  ihm  vorge- 
nommenen Verhöre,  dass  er  »ein  grosses  Ketzerbuch  in  englischer 
Sprache«  besass,  welches  laut  der  Beschreibungen  nichts  anderes 
gewesen  sein  kann  als  eine  Handschrift  der  englischen  Bibelüber- 
setzung von  Wiclif.  Um  aber  die  Entdeckung  zu  verhüten  und 
der  Verfolgung  zu  entgehen,  kam  man  in  seinem  Hause  häufig  bei 
Nacht  zusammen,  und  las  mit  grosser  Begierde  etliche  Kapitel 
aus  den  Evangelien,  einen  Brief  des  Apostels  Paulus,  oder  auch 
wohl  den  bei  den  Stillen  im  Lande  damals  besonders  beliebten 
Brief  Jakobi,  welchen,  wie  uns  bezeugt  wird,  manche  von  den 
Liebhabern  des  Wortes  Gottes  vollkommen  auswendig  wussten  2  . 


I    Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  197  folg. 

2)  Usher  führt  in  seiner  Historia  —  controversiae  —  de  scriphtris 
11)00.  Si  ISO,  aus  dem  Archiv  des  Bischofs  Fitz-James  unter  anderem 
den  Vorhalt  an,  welchen  der  Kanzler  und  Generalvicar  Dr.  Ben  et  einem 
Richard  Butler  1 51 S  machte  .  Leg  ist i  in  magno  libro  haereseos  ejusdem 
Ro1).  Durdant  tota  iUa  nocte  capilula  quaedam  etc.  Vgl.  Foxe,  Acts 
IV,  220.  Ferner  wurden  Durdant  und  andere,  im  Jahre  1521  vom  Bischof 
Longland  von  Lincoln  darüber  zur  Verantwortung  gezogen,  dass  sie  am 
Hochzeitstage  der  Tochter  Durdant's  einen  Brief  des  Apostels  Paulus  in 
einer  Scheune  gelesen  hatten,  wobei  Durdant  denselben  warm  empfohlen 
und  gerühmt  habe,  Usher  a.  a.  0.  IM.  —  Das  Auswendiglernen  bibli- 
scher Bücher  war  um  so  mehr  am  Platz,  als  die  Abschriften  so  selten  und 
kostbar  waren:  ein  gewisser  Nicolaus  Beiward  zahlte  für  eine  Handschrift 
des  englischen  N.  Testaments  l  Mark  40  Pence  =  2  Pfd.  10  Schilling  s  Pf., 
was  nach  jetzigem  Geldwerth  mindestens  10  Pfd.  Sterling  betragen  würde. 
Bald  darauf  (1520  erschien  Tindals  englisches  N.  T.  im  Druck,  welches 
um      Schilling  2  Pf.,  d.  h.  ungefähr  um  1  '•_>,)  des  obigen  Preises  verkauft 


Leben  und  Wesen  der  Lollarden  im  XVI.  Jahrhundert. 


443 


Jahr  für  Jahr  kamen  Untersuchungen.  Verhöre,  Kirchenstra- 
fen  bis  zum  Scheiterhaufen  vor,  und  zwar  in  verschiedenen  Ge- 
genden von  England,  zu  einer  Zeit,  wo  die  deutsche  Reformation 
entweder  noch  nicht  begonnen  hatte  oder  wenigstens  in  Gross- 
Britannien  noch  von  niemand  beachtet  wurde.  Es  war  eine  reli- 
giöse Erweckung  aus  ureigenen  englischen  Quellen  entsprungen. 
Die  wiclifitische  Tradition  war  in  ununterbrochener  Linie  erhal- 
ten, sie  war  nte  ganz  erstorben.  In  manchen  Familien  hat  sie  sich 
erweislich  von  den  Voreltern  auf  Kind  und  Kindeskind  vererbt. 
Aber  seit  der  Wende  des  XVI.  Jahrhunderts  schlägt  die  alte  wicli- 
titische  Wurzel  neu  aus  und  treibt  frische  Schösslinge.  Seit  1506 
sind  die  jungen  Schösslinge  bereits  etwas  erstarkt.  Und  die  Winde 
der  Verfolgung  haben  ihr  Gedeihen  nur  befördert.  Es  ist,  als 
sollte  in  England  eine  Reformation  aus  dem  Schoosse  des  Bürger- 
timms und  Bauernstandes,  in  welchem  der  Wiclifismus  als  keim- 
kräftiger Same  bewahrt  worden  war,  geboren  werden.  Die  Leute 
hatten  die  Süssigkeit  des  Wortes  Gottes  geschmeckt,  wTie  es  ihnen 
W  i  c  1  i  f  in  ihrer  Muttersprache  gegeben  hatte.  Ein  glühender  Eifer, 
dasselbe  auszubreiten,  war  erwacht.  Prediger  hatten  sie  keine 
unter  sich,  biblische  Reiseprediger  gab  es  nicht  mehr.  Ihre  Stelle 
vertraten  nun  Leser;  einer  und  der  andere  werden  als  »grosse 
Leser «  gerühmt.  Statt  der  Reise  p  r  e  d  i  g  e  r  finden  wir  Reise  1  e  h  - 
rer  und  Reise  Sprecher  in  den  Conventikeln.  So  ein  Mann  wie 
Thomas  Chase,  Robert  C  o  s  i  n ,  wurde  unter  den  Eingeweihten 
mit  dem  Namen  »Doctor«  geehrt1).  Wie  ehemals  die  »armen 
Priester«,  die  Reiseprediger  der  Lollarden,  von  Ort  zu  Ort  gegan- 
gen waren  um  »Gottes  Gesetz«  zu  predigen,  so  wanderten  nun 
diese  stillen  Leute  von  Grafschaft  zu  Grafschaft;  sie  erkannten 
sich  unter  einander,  und  wo  ein  kleines  Häuflein  von  Liebhabern 
des  Wortes  Gottes  war,  da  versammelten  sie  sich  um  den  »Doc- 
tor«. In  der  Wohnung  eines  Wissenden,  aber  nicht  selten  nur  bei 


wurde  Lewis,  Pecock  '217  .  Weil  der  Preis  eines  geschriebenen  X.  Testa- 
ments, geschweige  einer  ganzen  Bibel,  für  Arme  ganz  unerschwinglich  war, 
so  cirkulirten  handschriftlich  in  der  Hegel  nur  einzelne  Bücher  der  Bibel, 
in  Form  von  Büchlein  und  Traktaten,  und  zwar  sämmtlich  in  der  AVic- 
lif 'sehen  Uebersetzung. 

1,  Foxe,  Acts  IV,  214. 


444 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


Nacht,  auch  wohl  in  einer  Scheune,  las  er  ihnen  vor  aus  den  eng- 
lischen Bibelbüchern,  die  er  mitgebracht,  einem  Evangelienbuch, 
einem  Jakobusbrief  u.  s.  w.,  oder  auch  aus  Wiclif's  Abend- 
mahlsbüchlein, dem  »Pförtchen«  {Wichet),  aus  dem  Buche  Wil- 
helm Thorpe's  und  anderen.  Es  war  eine  Begeisterung  und 
Opferfreudigkeit  in  jenen  Leuten,  die  uns  beschämen.  Wie  sassen 
sie  ganze  Nächte  beisammen ,  mit  Lesen  und  Hören  der  Bibel  be- 
schäftigt !  Sie  lernten  nicht  nur  die  zehn  Gebote,  den  apostolischen 
Glauben,  die  acht  Seligpreisungen  auswendig,  sondern  auch  ganze 
Bücher,  z.  B.  den  Jakobusbrief.  Wie  grosse  Kosten  wandten 
Leute,  denen  es  mitunter  recht  schwer  wurde,  daran,  ein  Büch- 
lein in  der  Muttersprache  zu  kaufen.  Es  kam  vor,  dass  einer  eine 
Wagenladung  Heu  für  eine  Handschrift  des  Jakobusbriefs  oder 
einen  Paulinischen  Brief  gab.  Die  Buchdruckerkunst  war  ja 
längst  erfunden ;  aber  für  Leute  dieser  Art  und  für  ihr  Bedürfniss 
schien  sie  noch  nicht  da  zu  sein.  Es  scheint  mir,  dass  sie  in  Eng- 
land erst  in  den  zwanziger  Jahren  jenes  Jahrhunderts  zu  Volks- 
schriften, Traktaten,  fliegenden  Blättern  verwendet  wurde.  In  dem 
Jahrzehent  zuvor  waren  jene  Bibelfreunde  im  englischen  Volk  noch 
an  Handschriften  gewiesen.  Die  waren  theuer  und  rar;  und  wie 
viele  gab  es,  die  lesen  konnten  ?  Dennoch  hat  in  jenen  Kreisen 
das  Wort  Gottes  sich  ausserordentlich  vervielfältigt,  gewiss  mehr, 
als  unter  einem  anderen  Volke  der  Christenheit  und  zu  irgend  einer 
anderen  Zeit  vor  Verbreitung  des  Bücherdrucks  der  Fall  gewesen 
ist.  Das  macht,  das  Evangelium  ist  auch  in  dieser  Hinsicht  eine 
»Kraft  Gottes«  gewesen  und  hat  wunderbare  Wirkung  gethan, 
wie  der  Apostel  Rom.  1,16  zunächst  freilich  in  einem  anderen 
Sinne  von  demselben  rühmt.  Ein  Nachbar  ermuntert  den  andern, 
sie  halten  ernste  Besprechungen  mit  einander ;  oft  drückt  ein  kur- 
zes Wort  einen  Stachel  in  ein  Herz,  den  dieses  nicht  mehr  los 
wird.  Und  die  sich  zusammengehörig  wissen,  üben  gegenseitige 
Zucht  und  sehen  darauf,  ob  sie  die  Gebote  Gottes  immer  noch 
halten,  wie  sie  ehedem  gethan  l).  Und  wie  haben  sie  sich  zu  Lie- 

1)  Foxe,  Acts  IV,  229.  In  einem  Verhöre  kommt  zur  Sprache, 
dass  einer  nach  seinem  Cousin  und  zwei  anderen ,  an  einem  dritten  Orte 
wohnenden,  gefragt  hat:  JIow  they  did?  ivhether  they  kept  the  laws  of  God, 
as  they  teere  tvont? 


Johann  Brown  von  Ashford  in  Kent. 


445 


beswerken  ermuntert,  wenn  z.  B.  einer  sagt,  das  sei  eine  richtige 
Pilgerreise,  die  Armen,  Schwachen  und  Kranken  besuchen,  denn 
»las  seien  die  wahren  Bilder  Gottes.  Wahrlich,  es  ist  etwas  von 
einer  neuen  Ausgiessung  des  heil.  Geistes  zu  spüren. 

Das  war  freilich  nicht  die  Meinung  des  englischen  Episkopats 
und  des  ganzen  Klerus.  Man  stiess  sich  an  der  Kühnheit  und 
dem  jezu weilen  schroffen  und  spöttischen  Wesen  der  Leute,  und 
erkannte  gefährliche  Ketzer  in  ihnen. 

Im  Frühjahr  1517  sassen  zwei  Männer  in  einem  Nachen,  der 
auf  der  Themse  von  London  herab  nach  Gravesend  fuhr,  auf  ei  n  em 
Brette  beisammen.  »Weisst  Du,  wer  ich  bin  ?«  fing  der  eine  an,  »Du 
sitzest  auf  meinem  Kleide!«  —  »Nein,«  antwortete  dieser.  —  »Ich 
bin  ein  Priester,  ich  bin  ein  Messpriester  und  singe  für  eine  Seele.« 
—  Nun  fragte  der  andere:  »Bitte,  wo  findet  Ihr  die  Seele,  wenn 
Ihr  zur  Messe  geht?«  —  »Das  kann  ich  Dir  nicht  sagen!«  antwor- 
tete der  Priester.  —  »Ich  bitte  Euch,  wo  lasst  Ihr  die  Seele,  wrenn 
Ihr  von  der  Messe  kommt?«  —  »Kann  Dir  das  nicht  sagen! «  — 
»Ihr  könnt  nicht  sagen,  wo  Ihr  sie  findet,  wenn  Ihr  zur  Messe  geht, 
und  nicht,  wo  Ihr  sie  lasset,  wenn  die  Messe  vorüber  ist!  wie 
könnt  Ihr  dann  die  Seele  haben  ?«  sagte  der  Mann.  —  »Gehe  Dei- 
ner Wege,«  rief  der  Priester,  »Du  bist  ein  Ketzer,  mit  Dir  will  ich 
schon  fertig  werden!«  —  Als  sie  an's  Land  kamen,  nahm  der 
Priester  zwei  Zeugen  mit  sich  und  eilte  stracks  zum  Erzbischof 
Warb  am.  Drei  Tage  später  schickte  man  nach  dem  Mann;  er 
hiess  Johann  Brown,  wohnte  zu  Ashford  in  Kent,  und  feierte 
eben  mit  einigen  Gästen  den  ersten  Ausgang  seiner  Frau  nach 
dem  Wochenbette.  Man  brachte  ihn  nach  Canterbury,  wo  er  40 
Tage  eingesperrt  wurde,  ohne  dass  seine  Frau  erfuhr,  wo  er  sei. 
Erst  als  man  ihn  nach  seinem  Wohnort  Ashford  brachte  und  dort 
in's  Gefängniss  legte,  erfuhr  es  seine  Frau  und  sass  die  ganze 
Nacht  bei  ihm.  Da  erzählte  er  ihr,  wie  man  ihn  behandelt  hatte, 
und  dass  man  ihn  zur  Tortur  mit  blossen  Füssen  auf  glühende 
Kohlen  gestellt  hatte,  so  dass  seine  Füsse  bis  an  die  Knochen 
verbrannt  waren  und  er  nicht  mehr  auftreten  konnte :  und  das  in 
Gegenwart  des  Erzbischofs  und  des  Bischofs  Fisher  von  Roche- 
ster! »Dessen  ungeachtet,«  sagte  er,  »will  ich  meinen  Herrn  nicht 
verleugnen ;  denn  wenn  ich  meinen  Herrn  verleugnete  in  dieser 


446 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


Welt,  so  würde  er  mich  dereinst  verleugnen!  Ich  bitte  Dich,  gute 
Elisabeth,  fahre  fort  wie  du  angefangen  hast ,  und  erziehe  deine 
Kinder  tugendhaft  und  in  der  Furcht  Gottes !«  Den  Tag  darauf 
wurde  Brown  verbrannt.  Er  ist  standhaft  geblieben,  seine  letz- 
ten Worte  waren  das  Gebet :  »In  deine  Hände  befehle  ich  meinen 
Geist,  du  hast  mich  erlöset,  o  Herr  der  Wahrheit ! «  Das  hat  die 
hinterlassene  Wittwe  Elisabeth  Brown  ihren  Kindern  oft  und 
viel  erzählt,  und  aus  dem  Munde  ihrer  Tochter  Alice  hat  Foxe 
seinen  Bericht  entnommen  ») . 

Am  29.  März  1518  wurde  auf  Smithfield  ein  unter  den  Lol- 
larden  sehr  einflussreicher  und  angesehener  Mann  verbrannt, 
welcher  schon  1511  vom  Bischof  Smith  zu  Lincoln  zum  Wider- 
ruf »ketzerischer«  Meinungen  genöthigt,  und  in  dem  Kloster  der 
heil.  Frideswida  zu  Oxford  eingesperrt  worden  war.  Er  hiess 
Thomas  Mann  und  war  ein  Reiselehrer  der  Lollarden,  der  von 
Ort  zu  Ort  reiste  und  sich  in  verschiedenen  Grafschaften,  als  Nor- 
folk, Suffolk,  Essex,  Middlesex,  Buckingham  und  Berkshire  ab- 
wechselnd aufhielt,  namentlich  einmal  geraume  Zeit  in  dem  mehr- 
erwähnten Amersham,  Grafschaft  Buckingham,  arbeitete.  In  den 
Verhören  wurde  ihm  nachgesagt,  er  habe  sich  gerühmt,  dass  er 
sammt  seiner  Frau  6  —  700  Menschen  zu  seiner  religiösen  Ueber- 
zeugung  bekehrt  habe,  wofür  er  Gott  danke2). 

Am  25.  Oktober  desselben  Jahres  wurde  Johann  St  ihn  an 
von  dem  Generalvikar  des  Bischofs  zu  London  als  ein  rückfälliger 
Ketzer  verurtheilt,  und  am  gleichen  Tage  den  Sheriffs  von  Lon- 
don ausgehändigt  und  auf  Smithfield  verbrannt.  Derselbe  war 
schon  im  Jahre  1507  vor  dem  Bischof  von  Salisbury  in  Unter- 
suchung gewesen,  weil  er  gegen  Bilderverehrung,  so  wie  gegen 
die  Lehre  von  der  Wandlung  gesprochen  hatte.  Damals  brachte 
man  ihn  zum  Widerruf.  Seitdem  aber  hatte  er  dieselben  Ansich- 
ten wieder  geäussert,  Wiclif's  Wichet  gelesen,  auch  dieses 
Büchlein  und  andere  Schriften  von  Wiclif  zur  Zeit  seiner  ersten 
Verhaftung  nicht  ausgeliefert ,  sondern  in  einer  hohlen  Eiche  ver- 
steckt und  später  mit  nach  London  gebracht.    Er  soll  gosagt 


1)  FOXE,  Acts  and  Monum.  IV,  181  folg.,  vgl.  Anhang  722  folg 

2)  a.  a.  O.  IV,  208  folg.,  213  folg. 


Verfolgungen  von  Lollarden  1 5 1  i»  folg. 


I  17 


Ilaben .  die  Kirchenlehrer  haben  die  Wahrheit  der  heil.  Schrift 
verkehrt  und  die  Bibel  nach  ihrem  eigenen  Sinn  ausgelegt,  des- 
wegen seien  sie  in  der  Hülle:  Wielif  aber  sei  ein  Heiliger  im 
Himmel,  und  sein  Buch  »das  Pförtchen«  sei  gut.  denn  darin  zeige 
er  die  Wahrheit 1  . 

Warum  wurden  aber  die  sieben  Märtyrer  von  Coventry  am 
4.  April  1519  in  einem  und  demselben  Feuer  mit  einander  ver- 
brannt? Hauptsächlich  aus  dem  Grunde,  weil  sie  ihre  Kinder 
das  Vater  Unser,  den  Glauben  und  die  zehn  Gebote  in  englischer 
Sprache  gelehrt  hatten.  Es  waren  sechs  Hausväter  vom  Hand- 
werkerstande und  eine  Wittwe.  Die  letztere  war  bereits  vorläufig 
entlassen,  als  der  bischöfliche  Amtsdiener  bei  ihr  ein  Rascheln  im 
Aermel  ihres  Kleides  vernahm  und  ein  Papier  entdeckte,  worauf 
das  Gehet  des  Herrn,  die  Artikel  des  Glaubens  und  die  zehn  Ge- 
bote in  englischer  Sprache  standen.  Und  dieses  Verbrechen  hat 
sie  dann  mit  dem  Feuertode  gebüsst 2; ! 

Unter  allen  englischen  Bischöfen  damaliger  Zeit  trat  als  der 
heftigste  Verfolger  der  Lollarden  der  Bischof  von  Lincoln.  D.  Jo- 
hann Longland,  auf.  Zwar  hatte  schon  einer  seiner  Vorgän- 
ger, Wilhelm  Smith  1495  — 1514,  scharfe  Massregeln  gegen 
die  »Ketzer«  genommen,  namentlich  1506  in  Amersham  Bucking- 
hamshire;  den  Wilhelm  Tyls  worth  verbrennen  lassen  und  viele 
Andere  zum  Widerrufe  gedrängt:  unter  ihm  war  Thomas  Chase 
von  Amersham  im  Gefängniss  umgebracht  worden.  Doch  hat  er 
auch  viele  von  denen,  welche  in  Untersuchung  genommen  waren, 
wieder  ruhig  nach  Hause  gehen  lassen  und  ihnen  die  Strafe  ge- 
schenkt. Ganz  anders  verfuhr  der  dritte  Nachfolger  von  Smith . 
Bischof  Longland,  der  am  20.  März  1521  den  Stuhl  von  Lin- 
coln bestieg  und  bis  zum  Jahre  1 547  inne  hatte.  Er  war  ein  Mann 
von  grausamer  Härte,  und  verfuhr ,  um  die  »Ketzerei«  gründlich 
auszurotten,  mit  Methode  und  nach  einem  gewissen  strategischen 
Plane. 

Er  fing  damit  an,  dass  er  einen  oder  zwei  von  denjenigen, 
welche  unter  Bischof  Smith  abgeschworen  hatten,  veranlasste. 


t)  Foxe,  Acts,  IV,  207  folg. 
2)  a.  a.  O.  IV,  557. 


448 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


kraft  ihres  damaligen  Eides,  nicht  allein  ihre  religiösen  An- 
sichten kund  zu  thun,  sondern  auch  alle  diejenigen  Personen  von 
ihrer  Verwandtschaft  und  Bekanntschaft  namhaft  zu  machen, 
welche  gleichfalls  widerrufen  hatten  oder  verdächtig  waren.  Und 
diese  mussten  wiederum  sich  aussprechen  und  alle  diejenigen 
anzeigen,  von  welchen  sie  etwas  wussten.  Dadurch  erweiterte 
sich  der  Kreis  der  Angeschuldigten  nach  allen  Richtungen,  und 
es  kam  eine  ungeheure  Menge  Männer,  Frauen  und  Jungfrauen 
in  Untersuchung :  so  dass  in  dem  grossen  Sprengel  von  Lincoln, 
welcher  damals  noch  die  jetzigen  Diöcesen  Oxford  und  Peter- 
borough  mit  umfasste.  binnen  der  Jahre  1521  und  1522  allein 
über  100  Personen  vor  den  bischöflichen  Gerichtshof  gezogen  wur- 
den. Man  erpresste  von  den  Beklagten  Angaben  selbst  gegen  ihre 
eigenen  Ehegatten  oder  Eltern,  Geschwister  und  nächsten  Anver- 
wandten. Namentlich  wurden  die  Angeschuldigten  über  ihre  Be- 
kanntschaft mit  einflussreichen  und  thätigen  Personen  ihrer  Ge- 
meinschaft inquirirt,  um  den  letzteren  auf  die  Spur  zu  kommen 
und  ihre  Wirksamkeit  lahm  zu  legen.  Diejenigen,  welche  ge- 
ständig waren,  mussten  widerrufen  und  abschwören,  und  wur- 
den sodann  entweder  mit  der  Auflage  gewisser  Busswerke  und 
Kirchenstrafen  entlassen,  oder  auf  eine  gewisse  Zeit,  zum  Theil 
lebenslänglich,  Klöstern  übergeben,  in  denen  sie  Hausarrest  be- 
kamen. Andere  hingegen  wurden,  als  rückfällige  Ketzer,  ver- 
urtheilt,  dem  weltlichen  Arm  übergeben,  und  endeten  ihr  Leben 
auf  dem  Scheiterhaufen.  Dies  war  das  Loos  des  Thomas  Ber- 
nard, Jakob  Morden,  Robert  Rave  und  Johann  Scrivener. 
Der  letztere  war  im  Jahre  1506  einer  von  denjenigen  gewesen, 
welche  unter  Bischof  Smith  widerrufen  hatten;  jetzt  wurden 
seine  eigenen  Kinder  gezwungen,  ihren  Vater  verbrennen  zu  hel- 
fen, wie  damals  die  Tochter  von  Tylsworth  das  Feuer  hatte 
anzünden  müssen,  das  ihren  Vater  verzehrte. 

Die  Vergehen  dieser  Leute  bestanden,  laut  der  bischöflichen 
Protokolle,  keineswegs  in  irgend  welchen  Unsittlichkeiten,  son- 
dern darin,  dass  sie  verbotene  Bücher  besassen,  die  sie  einander 
mitzutheilen  und  vorzulesen,  auch  wohl  auswendig  gelernte  stücke 
daraus  Anderen  herzusagen  oder  selbst  zu  lesen  und  vorlesen  zu  hö- 
ren pflegten.   Die  verpönten  Bücher  waren  aber  bei  weitem  in  den 


Anschuldigungen  wider  die  Lollarden  1521 


149 


meisten  Fällen  biblische  Bücher  in  englischer  Uebersetzung.  z.  B. 
die  Sprüche  Salomonis.  und  aus  dem  N.  T.  einzelne  Evangelien, 
die  Apostelgeschichte,  Briefe  Pauli,  katholische  Briefe,  vorzüglich 
der  Jakobusbrief,  die  Offenbarung  Johannis.  Ferner  legte  man 
ihnen  zur  Last,  dass  sie  ihre  Kinder  das  Vater  Unser  in  englischer 
Sprache  gelehrt  hatten,  und  dass  sie  selbst  das  Gebet  des  Herrn 
englisch  und  nicht  lateinisch  beteten ;  Einzelne  von  ihnen  gingen 
an  Feiertagen  nicht  zur  Kirche,  dagegen  besuchten  sie  sämmtlich 
ihre  Conventikel.  In  diesen  Conventikeln  waren  es  mitunter 
Frauen,  welche,  wenigstens  mit  Hersagen  aus  dem  Gedächtniss. 
das  Wort  führten.  So  wurde  unter  anderem  angegeben,  dass 
Alice  Colins,  die  Ehefrau  voji Richard  Colins  in  Burford,  ein 
gutes  Gedächtniss  habe  und  vieles  aus  der  Bibel  und  anderen 
guten  Büchern  hersagen  könne;  deshalb  habe  man,  wenn  ein 
Conventikel  dieser  Leute  in  Burford  gehalten  wurde .  gemeini- 
glich nach  ihr  geschickt,  damit  sie  ihnen  die  Erklärung  der  zehn 
Gebote  und  die  Briefe  Petri  und  Jacobi  auswendig  vortrage. 
Auch  die  Tochter  der  genannten  Eheleute,  Johanna  Colins, 
hatte  mit  ihren  Eltern  auswendig  gelernt  die  zehn  Gebote,  die 
sieben  Todsünden,  die  sieben  Werke  der  Erbarm ung,  die  fünf 
Sinne  Leibes  und  der  Seele ,  die  acht  Seligpreisungen  und  die 
fünf  Kapitel  des  Briefes  Jacobi  *) . 

Dass  sie  die  Wandlung  in  der  Messe  verneint  und  die 
Communion  für  ein  blosses  Gedächtniss  des  Versöhnungstodes 
Christi  erklärt  haben ,  wird  von  den  meisten  unter  ihnen  ange- 
geben. Die  Leute  drückten  sich  mitunter  auf  eine  sehr  drastische 
und  allerdings  verletzende  Art  aus.  So  ein  gewisser  Bartlet, 
den  ein  dritter  einmal  beim  Dreschen  antraf:  als  dieser  sagte: 
»Gott  helfe  euch,  Vater  Bartlet,  ihr  arbeitet  hart!«  erwiederte  der 
alte  Mann:  »Ja.  ich  dresche  Gott  den  Allmächtigen  aus  dem 
Stroh 2  !  «  Ausserdem  wiederholt  sich  so  und  so  oft,  dass  sie  die 
Verehrung  der  Heiligen  misbilligten,  Bilder  für  Stock  und  Stein 
und  für  todte  Dinge  erklärten :  Einzelne  wollten  die  Ohrenbeichte 
nicht  für  nothwendig  halten ;  Andere  erkannten  die  Ehe  nicht  als 


1   Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  208. 
2)  a.  a.  O.  IV,  222. 

Lechler,  Wiclif.  II.  29 


450 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


ein  Sakrament  au;  auch  kommt  vor,  dass  Etliche  sagten:  die- 
jenigen, welche  sterben,  kommen  stracks  entweder  in  den  Himmel 
oder  in  die  Hölle,  d.  h.  sie  leugneten  das  Fegefeuer  *) .  Das  waren 
lauter  wiclifitische  Grundsätze.  Dass  aber  diese  Ansichten  nicht 
selbständig  erst  aus  der  Bibel  entnommen  waren ,  sondern  wirk- 
lich auf  wiclifitischer  Ueberlieferung  beruhten,  ergibt  sich  zweifel- 
los aus  der  Thatsache,  dass  jene  Leute,  wie  von  mehreren  aus- 
drücklich bezeugt  ist,  ihre  Abendmahlslehre  aus  Wiclifs 
Wichet  geschöpft  hatten  und  dieses  Büchlein  theuer  und  werth 
hielten .  Auch  finde  ich ,  dass  sie  »das  Buch  von  Wilhelm  T  h  o  r  p  e « 
besassen 2) . 

Die  Angeschuldigten  waren  ihrer  Lebensstellung  nach  lauter 
ungelehrte  einfache  Handwerker  und  Landleute,  Bürger  in  kleinen 
Städten  oder  Bauern  auf  Dörfern  mit  ihren  Familien.  Sie  ge- 
hörten theils  der  Grafschaft  Buckingham  an,  indem  sie  in  der 
Stadt  Amersham,  in  Colnbrook  und  anderen  Orten  wohnten,  theils 
der  Grafschaft  Middlesex ,  nämlich  den  der  Grafschaft  Bucking- 
ham benachbarten  Städten  Uxbridge,  Staines  u.  s.  w.  Unter  der 
grossen  Zahl  heben  sich,  laut  der  Aussagen  und  Anzeigen,  als  vor- 
zugsweise thätig  und  eifrig  für  Ausbreitung  ihrer  Grundsätze  hervor 
Robert  Bartletund  sein  Bruder  Richard,  Richard  Colins  mit 
seiner  bereits  erwähnten  Ehefrau  Alice,  Johann  Littlepage  und 
sein  Bruder  Thurstan,  Frau  Alice  Har ding.  Es  ist  der  Er- 
wähnung werth,  dass  ein  gewisser  Wilhelm  Littlepage  be- 
kannte ,  den  apostolischen  Glauben  in  englischer  Sprache  von 
seiner  Grossmutter  gelernt  zu  haben ;  während  wir  in  Betreff  eines 
Robert  Colins  die  Angabe  finden,  dass  dessen  Vater  schon  vom 
Jahre  1480  an  »einer  von  dieser  Lehre«  gewesen  sei3).  Endlich 
taucht  in  diesen  Zeugnissen  mehr  als  einmal  der  Umstand  auf. 
dass  die  zu  der  wiclifitischen  Gemeinschaft  gehörigen  Personen 
sich  unter  einander  im  esoterischen  Kreise  «gute  Leute,  Gerechte, 
und  erkannte  Leute«  zu  nennen  pflegten  [a  good  man,  just-fast 
*  men,  a  known-man,  knoum-men) 4) ;  diese  Namen  dienten  ihnen  als 

1)  Foxe,  Acts  and  Mon.  IV,  243.  Vgl.  oben  S.  430. 

2)  a.  a.  O.  IV,  235.  24:j.  238. 

3)  a.  a.  O.  IV,  22S.  2117. 

4)  a.  a.  O.  IV,  221. 


Einwirkung  der  deutschen  Reformation  auf  England. 


451 


Erkennungszeichen.  Den  Namen  »erkannte  Leute«  oder  »Be- 
kannte« hal»en  wir  schon  bei  Pecock.  und  zwar  dort  zum  ersten 
Male  gefunden.  Es  ist  eines  von  den  Zeichen  stetiger  Fortpflan- 
zung einer  gewissen  lollardischen  Eigenart,  dass  wir  hier,  70 
Jahre  später,  immer  noch  denselben,  doch  nicht  so  ganz  auf  der 
Hand  liegenden  Namen  antreffen. 

Im  Jahre  1517  hatte  in  Deutschland  Luther  durch  seine 
Thesen  vom  Ablass  das  Signal  zur  Reformation  gegeben,  und 
bald  war  er  weiter  geführt  worden  zu  andern  reformatorischen 
Gedanken  und  Schritten.  In  England  verbreitete  sich  die  Kunde 
davon  nebst  Luthers  Schriften  allmählich,  und  das  Jahr  1521  ist 
in  Hinsicht  der  Bekanntschaft  Englands  mit  den  Anfängen  der 
deutschen  Reformation  als  eine  Epoche  anzusehen.  In  diesem 
Jahre  trat  Heinrich  VIII.  mit  seiner  Assertio  Septem  sacramen- 
torum  als  Kämpfer  gegen  Luther  und  als  »Vertheidiger  des  Glau- 
bens« auf.  Und  in  demselben  Jahre,  am  14.  Mai  1521,  erliess 
Cardinal  Wolsey  ein  Mandat  an  die  Bischöfe  des  Landes,  gegen 
die  »höchst  verderblichen,  schädlichen  und  ärgerlichen  Meinungen- 
Luthers,  worin  er  seine  Schriften  für  ketzerisch  erklärte  und 
deren  Auslieferung  bei  Strafe  des  Banns  befahl 1  .  Eine  könig- 
liche Verordnung  vom  21.  Oktober  1521  schärfte  allen  Obrig- 
keiten ein.  dass  sie  den  Bischöfen  bei  Aufspürung  und  Bestra- 
fung der  lutherisch  gesinnten  behülflich  sein  sollten.  Und  in  der 
That  sind  die  nächsten  zwölf  Jahre  voll  von  Verfolgungen  bis 
zum  Scheiterhaufen  und  Blutvergiessen.  Aber  diese  Gewaltmittel 
vermochten  nicht  Viele  abzuschrecken.  Die  evangelische  Wahr- 
heit verbreitete  sich  während  der  zwanziger  Jahre  immer  weiter 
in  England,  ungeachtet  der  Staat,  mit  der  Kirche  vereint,  sich  ihr 
in  den  Weg  stellte.  Unter  dem  Drucke  wuchs  nur  die  elastische 
Kraft  evangelischer  Gesinnung.  Evangelisch  gesinnte  Engländer 
im  Exil  arbeiteten  für  Verbreitung  evangelischer  Schriften  in  Eng- 
land. Antwerpen  wurde  der  Hauptstapelplatz  reformatorischer 
Literatur  für  Gross-Britannien.  Dort  Hess  Wilhelm  Ty  n  da  1  e  seine 
Uebersetzung  des  Neuen  Testamentes,  unter  dem  Pseudonym 
»Hotchyn«,  1526  drucken,  und  schickte  sie  seiner  Heimath  zu. 


l;  Wilkins,  Conti  ui  31.  Brit.  III,  690  folg. 

29* 


152 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


Hanseatische  Kaufleute  luden  die  Exemplare  auf  ihre  Schiffe 
und  versendeten  sie  nach  London.  Ein  frommer  Seelsorger,  Tho- 
mas Garret,  an  der  Allerheiligenkirche  in  Honey-Lane,  London, 
liess  die  Bücher  in  seiner  Wohnung  niederlegen  und  verkaufte  sie 
selbst  an  Laien,  Priester  und  Mönche.  So  kam  das  N.  Testament 
in  modernerer  englischer  Uebersetzung  in  viele  Hände  und  wurde 
vom  Volk,  doch  auch  von  Gebildeten  und  Studirten,  begierig  ver- 
schlungen. Dadurch  wurde  im  Volk  der  Grund  gelegt  zur  eng- 
lischen Reformation. 

Es  ist  nämlich,  wie  zuerst  Guizot1)  ausgesprochen  und  klar 
nachgewiesen  hat,  in  der  englischen  Reformation  eine  doppelte 
Bewegung  zu  unterscheiden,  die  von  oben  und  die  von  unten ;  die 
Reformation  von  oben,  aus  weltlichen  und  fleischlichen  Beweg- 
gründen entsprungen,  in  ihrem  Verfahren  tyrannisch  und  schwan- 
kend zugleich  ;  die  Reformation  von  unten,  in  der  Kraft  des  Glau- 
bens unternommen,  aus  sittlichen  Motiven  hervorgehend,  mit  Ver- 
achtung irdischer  Rücksichten  eifrig  und  folgerichtig  vorrückend. 

Allein  in  der  vom  Volk  ausgehenden  Reformationsbewegung 
sind  verschiedene  Elemente  wohl  zu  unterscheiden,  welche  zu- 
sammenwirkten und  in  ihrer  Vereinigung  jene  Reform  von  unten 
bildeten. 

In  politischer  und  socialer  Beziehung  war  Verstimmung, 
Aergerniss  und  Klage  über  die  Geistlichkeit  des  Landes,  über  ihre 
Unwissenheit,  Sittenlosigkeit,  Habsucht  und  Herrschsucht  so  weit 
verbreitet  und  eingewurzelt,  dass  nicht  nur  satirische  Dichter,  wie 
Johann  Skel ton,  Pfarrer  zu  Diss  in  Norfolk,  Bischöfe,  Priester 
und  Mönche  aufs  schärfste  und  unerschrockenste  geisselten2), 
sondern  auch  das  Unterhaus  Gesetze  beantragte  zur  Beschränkung 
der  Vorrechte  des  Klerus  und  zur  Schmälerung  seines  Einkom- 
mens (1527);  das  Oberhaus  stemmte  sich  zwar  dawider,  allein  die 
Bills  erlangten  schliesslich  doch  Gesetzeskraft.  Selbst  Prälaten 
konnten  sich  der  Einsicht  nicht  mehr  verschliessen,  dass  unerträg- 
liche Misstände  das  kirchliche  Wesen  drückten,  und  machten  einige 

1)  Guizot,  Geschichte  der  engl.  Staatsumwälzung  u.  s.  w.,  deutsch 
bearbeitet,  Paris  1827. 

2)  WlLLMOT,  Bishop  Jervmy  Taylor,  1848.  S.  15  folg. 


Englische  Humanisten. 


153 


Versuche  zur  Abhülfe,  wiewohl  erfolglos.  Der  Erzbischof  von 
York  schrieb  noch  1535  an  Thomas  Crornwell.  er  kenne  in  seiner 
Diöcese  keine  zwölf  Pfarrer .  die  im  Stande  wären  zu  predigen. 
Schon  am  2.  Januar  1517  hatte  Bischof  Fox  von  Winchester  in 
einem  Schreiben  an  Wolsey  eine  Reform  der  Kirche  gefordert. 
Der  Cardinal  beschloss,  um  seinen  Eifer  zu  bethätigen  und  seine 
Auktorität  als  päpstlicher  Legat  geltend  zu  machen,  1523  und 
1524  eine  allgemeine  Kirchenvisitation,  welche  vorzugsweise  der 
Geistlichkeit  galt.  Darüber  bezeugte  ihm  Bischof  Fox  seinen 
wärmsten  Beifall,  und  sprach  aus :  »Die  Reform  der  Geistlichkeit 
und  aller  kirchlichen  Dinge  wird  dem  Volke  gefallen ;  es  hat  sich 
schon  lange  darnach  gesehnt1).« 

Ein  zweites  Element,  welches  mit  eingriff,  war  das  wissen- 
schaftliche .  der  Humanismus  und  die  Reform  der  Theo- 
logie durch  Zurückgehen  auf  die  Bibel  und  ihren  Urtext.  Nach 
Italien,  wo  die  klassische  Literatur  wieder  erwacht  war,  wendeten 
sich  lernbegierige  junge  Männer  auch  aus  England,  ein  Tho- 
mas Linacre,  Wilhelm  Grocyn.  Johann  Col et.  Sie  ver- 
werteten nach  ihrer  Rückkehr  die  dort  erworbene  Bildung  zum 
Besten  der  Heimath.  Wilhelm  Grocyn  (f  1519)  lehrte  nachher 
in  Oxford  Griechisch,  und  war  der  erste  Engländer,  der  die  Un- 
ächtheit  des  »Areopagiten«  erkannte.  Johann  Colet  (f  1519)  hatte 
in  Italien  besonders  die  Neuplatoniker  studirt  und  las  in  Oxford 
seit  1496  mit  Beifall  über  die  paulinischen  Briefe.  Zum  Dechan- 
ten  der  Paulskirche  in  London  befördert  (1505  ,  wirkte  er  als  ein 
gesegneter  Prediger,  gründete  aber  auch  1510  aus  eigenen  Mitteln 
die  erste  klassische  Unterrichtsanstalt  im  Lande,  die  Paulsschule, 
welche  das  Vorbild  für  viele  andere  geworden  ist 2) .  Das  Studium 

1  STRYPE,  Ecclesiastical  Memorials ,  relating  to  Religion  and  the  Re- 
formation of  it.  1721.  Wir  benutzen  die  Oxforder  Ausgabe  aus  der  Claren- 
don-Presse 1832.  1,  71  folg.  Die  Ordnung  und  Verarbeitung  des  Gegebenen 
lässt  viel  zu  wünschen  übrig;  desto  schätzbarer  ist  der  urkundliche  Stoff 
selbst,  den  der  Herausgeber  theils  aus  Handschriften,  theils  aus  selten  ge- 
wordenen Druckschriften  gesammelt  und,  zum  Theil  in  besonderen  Urkun- 
denbänden, zum  Abdruck  gebracht  hat. 

2  Vgl.  das  treffliche  Werk  von  Fr.  Seebohm  :  The  Oxford  Reformers 
John  Colet,  Erasmus  and  Thomas  More.  2.  ed.  London  18(59. 


454 


Buch  III.    Kap.  5.  (IV, 


des  Griechischen  kam  an  den  Universitäten  auf.  Zwar  witterten 
darin  die  Aengstlichen  bereits  einen  Keim  der  Ketzerei.  Aber  der 
König  selbst  nahm  das  klassische  Studium  gegen  Verketzerungen 
in  Schutz.  In  Cambridge  war  es  der  gelehrte  Dr.  Robert  Barnes, 
der  vom  Jahre  1525  an  die  Jünglinge  ermunterte,  anstatt  der 
Scholastiker  lieber  die  Klassiker  zu  studiren .  Georg  S  t  a  f  f  o  r  d , 
Fellow  von  Pembrole-Hall.  war  der  Erste,  der  in  Cambridge, 
als  er  von  1524  an  vier  Jahre  lang  theologische  Vorlesungen  zu 
halten  beauftragt  war ,  nicht  über  die  »Sentenzen«  sondern  über 
die  Bibel  las.  Er  hat  bei  vielen  Studirenden.  z.  B.  bei  Hugo 
Latimer,  dem  späteren  Bischof  und  Märtyrer,  den  erstenGrund 
zu  evangelischer  Erkenntniss  gelegt 1  . 

Den  Kern  der  Bewegung  bildete  jedoch  das  religiöse  Ele- 
ment selbst.  Man  pflegt  die  unter  dem  englischen  Volke  seit  dem 
Anfang  der  zwanziger  Jahre  des  XVI.  Jahrhunderts  sichtbare  Er- 
weckung lediglich  von  aussen  herzuleiten,  und  ausschliesslich  auf 
Luther  und  die  Einwirkungen  der  deutschen  Reformation  zurück- 
zuführen. Dabei  übersieht  man  aber  einen  überaus  wichtigen 
GährungsstofT .  nämlich  die  Nachwirkungen  von  Wiclif.  Und 
hiemit  kommen  wir  auf  unser  eigentliches  Thema  zurück. 

Dass  der  altüberlieferte  Wiclifismus  zur  Anbahnung  der  eng- 
lischen Reformation  mitgewirkt  hat.  ergiebt  sich  aus  dem  Bisheri- 
gen. Dass  das  Lollardenthum  aber  auch  noch  in  den  zwanziger 
und  dreissiger  Jahren  entschieden  mitgeholfen  hat  zum  Wachsthum 
und  zur  Verbreitung  evangelischer  Gesinnung  in  England,  lässt  sich 
durch  Thatsachen  derjenigen  Jahre,  in  welchen  der  deutsche  und 
lutherische  Einfluss  im  Lande  schon  bedeutend  war,  einleuchtend 
und  unwidersprechlich  erweisen.  Besonders  lehrreich  sind  in  die- 
ser Beziehung  die  von  Johann  Strype  in  seinem  bereits  erwähnten 
Werk :  »Kirchliche  Denkschriften  zur  Geschichte  der  Religion  und 
der  Reformation  in  England«  mitgetheilten  Urkunden,  namentlich 
die  Akten  aus  dem  Archiv  des  Bisthums  London  über  die  von 
Bischof  Cuthbert  Tunstall  1522 — 153()  theils  persönlich, 
thcils  durch  seineu  Generalvikar  Gottfried  Wharton  im  Jahre 
I.V27  und  den  folgenden  vorgenommenen  Visitationen  und  (ie- 


I    Stuype,  Beel.  Jlemor.  I,  74  folg.  5<>s. 


Beförderung  evangelischen  Sinnes  durch  Wiclifiten. 


455 


rirhtsverhandlungen  1  .  Wir  ersehen  aus  diesen  Urkunden,  dass 
sowohl  in  der  Hauptstadt  selbst  als  in  der  zum  bischöflichen 
Spreugel  von  London  gehörigen  Grafschaft  Essex,  namentlich  in 
der  Stadt  Colchester,  eine  bedeutende  Anzahl  von  Gemeindeglie- 
dern seit  Jahren  und  Jahrzehenten  englische  Uebersetzungen  von 
biblischen  Büchern  in  Handschriften  besassen  und  sich  gemein- 
schaftlich aus  diesen  erbauten,  auch  die  Lehre  von  der  Wandlung 
im  Abendmahl,  die  Verehrung  von  Bildern,  die  Wallfahrten  und 
dergleichen  anstössig  fanden.  Bei  diesen  Leuten  stand  ein 'Mann 
Namens  Hacker,  auch  Ebb  genannt,  welcher  sechs  Jahre  in 
London  gewohnt  hatte  und  später  sich  in  Colchester  aufhielt,  in 
solchem  Ansehen,  dass  sie  ihn  nur  »Vater  Hacker«  nannten.  Dieser 
wurde  aufgegriffen,  und  man  setzte  ihm  im  Januar  und  Februar 
1527  dermaassen  zu,  dass  er  am  Ende  viele  seiner  Freunde  und 
Glaubensgenossen  in  London  und  in  Essex  angab :  ein  gewisser 
Thomas  Vincent,  der  vor  13  Jahren  also  c.  1513)  wegen 
Ketzerei  verbrannt  worden,  habe  ihn  in  diesen  Ansichten  unter- 
richtet, ihm  das  Evangelium  Matthaei  in  englischer  Sprache,  auch 
ein  Buch  von  den  zehn  Geboten  eingehändigt.  Ferner  bekannte 
Hacker,  ein  Schneider  von  Witham .  einem  Städtchen  in 
Essex.  Namens  Christoph  Ravens,  welcher  1511  vor  Bischof 
Fitz  -James  ketzerische  Meinungen  widerrufen  hatte,  habe  an- 
derthalb  Jahre  lang  regelmässige  Zusammenkünfte  mit  ihm  in 
seinem  Ravens  Hause  gehabt,  wobei  sie  sich  gegenseitig  unter- 
richteten :  mehrere  Diener  von  Ravens  seien  Leute  »von  dersel- 
ben Sekte*  gewesen.  Ueberhaupt  machte  Hacker  im  Ganzen 
20 — 30  Personen  von  Colchester  und  Umgegend  namhaft,  unter 
denen  sich  auch  Frauen  und  Jungfrauen  befanden.  Nächst 
Hacker  erscheint  Johann  Pykas,  ein  Bäcker  in  Colchester,  als 
ein  Haupt  der  kleinen  Gemeinschaft  am  Orte.  Er  war.  wie  er  im 
Verhöre  bekennt,  durch  seine  Mutter  mit  den  paulinischen  Brie- 
fen in  englischer  Sprache  bekannt  gemacht  worden :  dieselbe  hatte 
ihn  ermahnt,  nach  der  Regel  der  Evangelien  und  Episteln  zu 
wandeln,  hatte  ihn  auch  zu  der  Ansicht  vom  heil.  Abendmahl  ge- 
bracht, dass  blos  Brod  und  Wein,  und  nicht  der  wahre  Leib 


1)  Strype,  Eccl.  Memor.  I,  1,  113-134. 


456 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


Christidariii  sei.  Pykas  kannte  einen  gewissen  Robert  Best, 
welcher  den  ganzen  Brief  Jacobi  auswendig  wusste.  —  Ein  an- 
derer Mann,  Johann  Tyball  von  Bumpstead  in  Essex,  legte  im 
April  1 528  das  Geständniss  ab,  dass  er  acht  Jahre  lang  die  Evan- 
gelienbücher, so  wie  Briefe  Pauli  und  Petri  in  englischer  Sprache 
besessen  habe ;  durch  das  Lesen  eines  Kapitels  an  die  Korinther 
sei  er  zu  der  Ueberzeugung  geführt  worden,  dass  im  Sakrament 
des  Altars  nicht  der  wahre  Leib  Christi,  sondern  blos  Brod  und 
Wein  zum  Gedächtniss  des  Leidens  Christi  vorhanden  sei,  dass 
ein  Priester  keine  Macht  habe,  durch  Consekration  den  Leib 
Christi  zu  machen,  dass  vielmehr  jeder  Laie  die  Sakramente 
der  Kirche  so  gut  als  ein  Priester  spenden  könne.  Ferner  be- 
kannte Tyball,  dass  er  seinen  Seelsorger,  den  Pfarrer  Richard 
Fox  von  Bumpstead,  durch  Unterredungen  über  biblische  Bücher 
nebst  Gründen  und  Beweisen  allmählich  für  seine  eigene  Ueber- 
zeugung gewonnen;  im  Jahre  1527  habe  Pfarrer  Fox  in  seiner 
Gegenwart  aus  einem  Buche ,  genannt  the  Wichet,  vorgelesen1  . 

Bemerkenswerth  sind  mehrere  Züge,  welche  aus  diesen  und 
anderen  damit  zusammenhängenden  Verhören  hervorleuchten. 
Einmal  der  geschlossene  Verein,  die  innige  brüderliche  Gemein- 
schaft zwischen  jenen  Leuten,  welche  durch  die  gemeinsame 
Liebe  zu  Gottes  Wort,  aus  dem  sie  sich  erbauten,  verbunden 
waren.  Sie  nennen  sich  »Brüder  in  Christo«,  heissen  ihren  Verein 
»die  Brüderschaft«,  bezeichnen  sich  auch  als  die  »Erkannten 2 

Ferner  fällt  in  die  Augen,  dass  hie  und  da  eine  ununterbro- 
chene Fortpflanzung  wiclifitischen  Geistes  in  einer  und  derselben 
Familie  stattgefunden  hat.  ein  Umstand,  welcher  den  bischöfli- 
chen Richtern  selbst  auffallend  war.   Am  Schluss  einer  Urkunde 


1)  STRYPE,  EccI.  Mem.  1,  1.  S.  113  folg.  1/2.  S.  50  folg.  Dass 
Pfarrer  Fox  hernach  selbst  wieder  Andere  zum  Wiclifismus  bekehrt  hat. 
ergibt  sich  aus  Foxe,  Acts  and  Hon-  V,  40. 

2)  Thomas  Hempsted  von  Bumpstead  bekennt,  er  habe  von  seiner 
Frau  den  Glauben  ,  das  Vater  Unser  und  das  Ave  Maria  in  englischer 
Sprache  gelernt;  als  Pfarrer  Fox  und  Johann  Tyball  hörten,  dass  er  das 
gelernt  habe,  haben  sie  ihn  brothcr  in  Christ  und  a  knowne  man  genannt. 
STRYPE ,  a.  a.  O.  I,  1.  8.  27  folg.  123  folg.;  vgl.  12!»  a  kuownt  tcomtm 
und  of  the  brotherhood. 


Der  alt-wiclifitische  Geist  neu  erwacht. 


457 


über  den  Widerruf  des  Wilhelm  Boeher  .Butcher  .  eines  Wag- 
ners.  gleichfalls  aus  Bumpstead .  ist  die  Bemerkung  beigelügt: 
»Er  war  aus  verderbtem  Stamm  entsprossen,  denn  sein  Urgross- 
vatcr  war  wegen  Ketzerei  verbrannt  worden .  wie  man  sagt 1  .« 
War  der  Urgrossvater  wegen  Ketzerei,  d.h.  ohne  allen  Zweifel 
als  Lollarde  verbrannt  worden,  so  führt  uns  dies  bis  in  die  erste 
Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  zurück,  etwa  auf  die  Jahre  1420  bis 
1430,  also  eben  in  jene  Zeit,  wo  Verbrennungen  von  Lollarden 
noch  häutig  vorkamen.  Ist  doch  auch  in  Betreff  des  Robert  Colins 
aus  Buckinghamshire  1521  die  Angabe  gemacht,  dass  dessen 
Vater  seit  14SO  ein  Anhänger  jener  Lehre  gewesen  sei  - 

Endlich  ist  sehr  bedeutungsvoll  die  Thatsache .  und  sie  steht 
nicht  allein,  dass  ein  Pfarrer  durch  den  Einfluss  eines  bibelfesten 
und  frommen  Mitgliedes  seiner  Gemeinde  zu  evangelischer  Er- 
kenntniss  und  Ueberzeugung  geführt  worden  ist.  Wir  kannten 
eine  Zeit,  wo  studirte  und  gelehrte  Männer.  Priester.  Reiseprediger, 
das  englische  Volk  mit  Gottes  Wort  bekannt  machten,  eine  Zeit, 
wo  manche  Pfarrer  und  Seelsorger  für  die  wiclifitischen  Grundsätze 
eintraten  und  dieselben  verbreiteten.  Seit  1431  fanden  wir  den 
Wiclitisnms  in  die  Laienwelt  herabgedrückt,  und  nur  noch  in  den 
Gemeinden  vertreten,  aber  gar  nicht  mehr  im  geistlichen  Stande. 
Nim  aber  sehen  wir  die  christliche  Erkenntniss  sowohl  als  die  Be- 
geisterung in  den  wicMtischen  Gemeindekreisen  so  stark,  dass  sie 
selbst  Priestern  und  Pfarrgeistlichen  sich  mittheilte.  Der  alt-wiclifi- 
tische  Geist,  neu  erwacht  und  erstarkt  im  zweiten  Jahrzehent  des 
Reformationsjahrhunderts,  fasst  Personen  höherer  Stände  geistes- 
mächtig an.  Die  Reformation  von  unten  her.  wie  sie  im  dritten 
Jahrzehent  sich  entwickelt,  hat  offenbar  mit  eine  ftielifitisehe 
Wurzel. 

Aber  sie  hat  allerdings  auch  eine  Quelle  auf  dem  Continent. 
auf  deutschem  Boden,  in  der  lutherischen  Reformation.  Der  Un- 
tersehied  ist  nur  der:  die  ursprünglich  englische,  von  Wiclif  her 
stammende  Bibelkeuntniss  und  freie  religiöse  Gesinnung  hatte  in 

1)  Nota,  quod  iste  oritur  ex  Stirpe  vitiata  :  qnia  avus  patris  sui  erat  ob 
haeresin  concrematus.  >tt  dicitur.    Bei  Strype  a.  a.  0.  I.  "2.  S.  60. 
2]  s.  oben  S.  450. 


458 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


den  niederen  Ständen  des  englischen  Volks  ihren  wesentlichen 
Sitz  und  drang  nur  in  einzelnen  Fällen  aufsteigend  in  die  höheren 
Schichten  der  Gesellschaft  ein,  während  die  vom  Ausländ  her 
kommende,  durch  Schriften  der  deutschen  Reformatoren  erzeugte 
und  genährte  Bewegung,  mit  theologischer  Wissenschaft  und  dem 
Humanismus  innerlich  verknüpft,  zuerst  in  wissenschaftlichen 
Kreisen  Fuss  fasste,  dann  in  den  gebildeten  Ständen  des  Volkes 
sich  verbreitete,  und  nun  von  da  aus  allmählich  auch  in  die  nie- 
deren Schichten  der  Bevölkerung  eindrang.  Luther' s  Vorreden 
zu  einzelnen  biblischen  Büchern,  z.  B.  zum  Römerbrief,  seine 
Auslegung  des  Galaterbriefs;  seine  Schriften  von  der  babyloni- 
schen Gefangenschaft,  von  der  Freiheit  eines  Christenmenschen 
u.  s.  w.,  fanden  in  England  Verbreitung.  Ausserdem  wurden 
Schriften  von  Engländern,  welche  als  Schüler  der  deutschen  Re- 
formatoren zu  betrachten  waren,  Traktate  von  Wilhelm  Tyndale, 
z.  B.  über  den  Gehorsam  eines  Christenmenschen,  und  Auslegung 
der  Bergpredigt,  Barl ow 's  Gespräch  zwischen  Bauer  und  Edel- 
mann, Johann  Frith,  »Spiegel«  und  »Abendmahl«,  die  »Bitte  der 
Bettler«  von  Simon  Fish,  eine  Satire  über  die  Geistlichkeit, 
worin  die  Verarmung  des  Landes  als  Folge  der  maasslosen  Ver- 
mehrung der  Kleriker  und  Mönche  dargestellt  ist,  —  diese  und  an- 
dere Schriften  wurden  in  Antwerpen,  Cöln  oder  Hamburg  gedruckt 
und  nach  England  versendet.  Es  fehlte  nicht  an  Männern,  welche 
es  wagten,  selbst  mit  Lebensgefahr  Ballen  solcher  Bücher  zu 
landen  und  sodann  in  Stadt  und  Land  zu  verbreiten.  Zu  diesen 
gehörte  z.  B.  Richard  Bayfield,  welcher  1531  auf  Smithfield 
verbrannt  wurde,  und  der  schon  genannte  Thomas  Garret,  Pfar- 
rer in  London;  der  letztere  war  es,  der  1526  die  ersten  Bücher 
dieser  Art  nach  Oxford  brachte  und  dadurch  das  Werkzeug  einer 
evangelischen  Erweckung  auf  dieser  Universität  wurde.  Robert 
Necton  erfuhr  durch  Georg  Constantine .  dass  ein  gewisser 
Fish  gedruckte  Neue  Testamente  verkaufe;  er  verschaffte  sich 
mehrere  Exemplare  und  verbreitete  sie:  und  so  trieb  er  von  da 
an  theils  in  London,  tlieils  in  Colchester,  theils  in  der  Stadt  und 
dem  Sprengel  Norwich,  einen  Handel  mit  evangelischen  Büchern, 
wobei  er  aus  dein  X.  T.  vorzulesen  pflegte:  kurz.  Necton  wurde 
ein  eitriger  Bibelcolportenr ;  zuletzt  fiel  er  aber  der  römisch-ka 


Evangelische  Gesinnung  von  Deutschland  aus  genährt.  450 


tholischen  Geistlichkeit  in  die  Hände.  Diese  ergriff  zwar  strenge 
Gegenmaassregeln.  Im  Jahre  1521  hatte  Wolsey  Luthers 
Schriften  bei  Strafe  verboten;  152(5  dehnte  Tun  st  all,  Bischof 
von  London,  dieses  Verbot  noch  auf  andere  evangelische  Bücher 
aus:  im  Jahre  1529  erging  auf  Betreiben  der  Bischöfe  eine  könig- 
liche Proklamation  gegen  28  »Bücher  von  der  lutherischen  Sekte 
oder  Partei,  welche  nach  London  eingeführt  worden  sind«.  Allein 
die  Verbote  richteten  nichts  aus.  Es  fanden  sich  trotz  aller  Ge- 
fahren stets  Einzelne,  welche  entweder  allein  für  sich  oder  in 
heimlichen  Zusammenkünften  mit  Anderen  solche  Bücher  gierig 
verschlangen.  In  Cambridge  pflegten  die  Liebhaber  biblischer 
Wahrheit,  ein  Barnes1  ,  Bilney,  Coverdale,  La  t  im  er 
und  viele  andere  in  einem  Hause,  »das  weisse  Boss«  genannt,  zu- 
sammenzukommen, in  das  man  sowohl  von  Kings-  und  Queens- 
College  als  auch  von  St.  Johns  aus  durch  eine  Hinterthür  gelangen 
konnte.  Hier  studirten  sie  gemeinschaftlich  Schriften  der  deut- 
schen Reformatoren ;  man  nannte  sie  daher  nur  »die  Deutschen«. 
Andere  Freunde  des  Evangeliums,  welche  über  ein  grosses  Ver- 
mögen zu  verfügen  hatten,  verwendeten  einen  Theil  ihres  Ein- 
kommens dazu,  Gelehrten  wie  Wilhelm  Tyndale  und  dessen  Mit- 
arbeiter Wilhelm  Roy,  Jahresgehalte  auszusetzen  oder  wenigstens 
Wohnung  und  Kost  zu  gewähren.  So  der  achtbare  Londoner  Bürger 
Johann  Petit,  in  dessen  Geschäftsbüchern  nach  seinem  Tode  be- 
trächtliche Posten  unter  dem  Titel :  »Christo  geliehen«  angetroffen 
wurden.  Zu  diesen  gehörte  auch  der  edle  Londoner  Handelsherr 
Humphrey  Monmouth,  der  in  seinem  Testamente  anstatt  der 
üblichen  30  Seelenmessen,  30  Predigten  »zur  Ehre  Gottes  und 
zum  Dank  für  das  Versöhnungsopfer  Jesu  Christi «  anordnete ,  die 
von  den  ausgezeichnetsten  evangelisch  gesinnten  Predigern  Eng- 
lands in  derjenigen  Pfarrkirche  von  London,  in  die  er  selbst  ein- 
gepfarrt  gewesen,  gehalten  werden  sollten2  . 

Immerhin  dürfen  wir  über  diesen  von  der  deutschen  Refor- 
mation geweckten  Bestrebungen  das  Vorhandensein  alt- engli- 
sch er  Bibelkenntniss  und  evangelischer  Gesinnung  aus  wicli- 
  f 

1  s.  oben  S.  454. 

2  Strype,  a.  a.  O.  I,  2.  S.  4S7  folg.;  das  Testament  S.  3GS— 370. 


460 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


fitischein  Stamme  nicht  verkennen.  Das  alt-nationale 
Licht  verschmolz  mit  dem  neuen,  von  aussen  her  ange- 
zündeten. Die  alt-wielifitische  Geistesströmung-  floss  mit  der 
allerdings  mächtigeren  lutherischen  in  eins  zusammen,  und  er- 
goss  sich  dann  in  gemeinsamem  Bette. 

Im  Jahre  1527  reiste  der  uns  schon  bekannte  Johann  Tyball 
von  Bumpstead  in  Essex  mit  einem  Freunde.  Thomas  Hilles, 
nach  London.  Dort  gingen  sie  in  das  Augustinerkloster  zu  dem 
Bruder  Barons,  um  von  diesem  ein  englisches  Neues  Testament 
zu  kaufen.  Sie  führten  sich  bei  dem  Mönch  mit  den  Worten  ein. 
sie  hätten  gehört,  dass  er  ein  »guter  Mann«  sei  (offenbar  im  Sinn 
eines  Geheimnamens) ,  sie  möchten  seine  Bekanntschaft  machen 
und  ihn  um  seinen  Rath  im  Neuen  Testamente  bitten.  Der 
Augustinermönch  erwiederte,  er  begreife  schon,  dass  sie  »von  Mei- 
nungen angesteckt«  seien  [infected  with  opinions) ,  weil  sie  gerne 
ein  Neues  Testament  hätten.  Nun  rückten  die  Fremden  freier 
heraus  mit  der  Sprache.  Sie  eröffneten  dem  Mönche,  dass  ihr 
Ortspfarrer .  Richard  Fox,  infolge  ihrer  Bemühungen  auf  ihre 
Ansichten  eingegangen  sei,  und  dass  sie  hofften ,  ihn  bald  voll- 
ständig auf  ihrer  Seite  zu  haben.  Deshalb  baten  sie  den  Augusti- 
ner um  einen  Brief  an  Pfarrer  Fox,  worin  er  ihn  dazu  ermuntern 
möchte,  fortzufahren  wie  er  angefangen  habe.  Bruder  Barons 
sagte  ihnen  das  zu  und  versprach  ihnen  das  Schreiben  auf  den 
Nachmittag.  Im  ferneren  Laufe  der  Unterhaltung  zeigten  ihm  die 
Männer  aus  Essex  einige  alte  Bücher,  die  sie  besassen  jedenfalls 
Handschriften  ,  nämlich  die  vier  Evangelien  und  mehrere  Briete 
von  Paulus  und  Petrus  in  englischer  Sprache.  Der  Mönch  machte 
nicht  viel  daraus:  er  meinte,  verglichen  mit  dem  neuen  gedruck- 
ten Testament  seien  die  alten  nicht  werth,  dass  man  sie  nur  an- 
sehe; das  neue  sei  viel  reiner  englisch.  Hiemit  übergab  er  ihnen 
ein  gedrucktes  englisches  N.  Testament:  sie  bezahlten  3  Schillinge 
und  2  Pfennige  dafür:  übrigens  bat  er  sie,  das  Buch  recht  geheim 
zu  halten,  denn  es  sollte  ihm  leid  thun,  wenn  die  Sache  an  den 
Tag  käme.  Das  lateinische  Neue  Testament  aber  verglich  der 
Mönch  mit  einem  tönenden  Erz  und  einer  klingenden  Schelle. 
Des  Nachmittags  fanden  sich  die  Bibelfreunde  aus  Bumpstead 
wieder  ein,  am  den  Brief  an  ihren  Pfarrer  abzuholen,  Barons 


Vereinigung  alt-wiclifitischer  und  neu-evangelischer  Denkart.  461 


las  den  Brief  vor  und  händigte  ihnen  denselben  ein,  worauf  sie 
eich  von  ihm  verabschiedeten. 

Wir  kennen  diese  Geschiente  aus  dem  Protokoll  des  Verhörs, 
welches  Bischof  Tunstall  am  28.  April  1528  mit  Johann  Tyball 
vorgenommen  hat.  Dort  hat  der  Angeschuldigte  den  ganzen  Vor- 
gang ausführlich  erzählt x) .  Die  Erzählung  hat  ttir  uns  das  beson- 
dere Interesse,  dass  wir  darin  das  Zusammentreffen  der  alt- 
wiclifitischen  Gesinnung  mit  der  neu  reformatorischen  Richtung 
vor  uns  sehen.  Die  Männer  aus  der  Provinz  gehören  den  Lollarden 
an.  hingegen  der  Augustiner  in  der  Hauptstadt  zählt  zu  der  neuen 
»lutherischen«  Partei.  Die  Handschriften  biblischer  Bücher  in  der 
alten  wiclifitischen  Uebersetzung  einerseits,  und  das  gedruckte  eng- 
lische N.  Testament  von  Ty  ndale  andererseits  sind  gleichsam  die 
äusseren  Unterscheidungszeichen  der  beiderseitigen  Richtungen. 
Und  der  geringschätzige  Ton,  in  welchem  Barons  von  den  hand- 
schriftlichen Uebersetzungen  und  ihrem  veralteten  Englisch  spricht, 
geht  aus  dem  Gefühl  hervor,  dass  seiner  Partei  die  Zukunft  ge- 
höre. Nebenbei  ist  es  der  Erwähnung  nicht  unwerth,  dass  es  gerade 
ein  Augustinermönch  ist,  den  wir  hier  als  einen  warmen  Freund 
des  Wortes  Gottes  kennen  lernen,  während  auch  in  Cambridge  ein 
Augustinerprior,  Dr.  Barnes,  das  erste  Werkzeug  evangelischer 
Erweckung  auf  der  Universität  war :  ferner  kommen  einige  Mönche 
des  Augustinerklosters  Cläre  in  Suffolk  vor,  Thomas  Topley  und 
Wilhelm  Gardner,  welche  beide  durch  Pfarrer  Fox  von  Bump- 
stead  zu  wiclifitischen  Ansichten  bekehrt  worden  sind  2) .  Nehmen 
wir  dazu,  dass  der  deutsche  Reformator  selbst  ein  Augustiner- 
mönch gewesen,  dass  in  Antwerpen  in  den  Jahren  1521  folg.  das 
Augustinerkloster  der  Hauptsitz  evangelischer  Wahrheit  war3), 
so  können  wir  nicht  umhin,  an  Wiclif  s  Ahnung  einer  künftigen 
Reformation  der  Kirche  durch  Bettelmönche  uns  zu  erinnern 4) . 

Die  wiclifitische  Bibelkenntniss  und  Opposition  gegen  die 
römische  Kirche  ist  im  Laufe  der  zwanziger  und  dreissiger  Jahre 


1    Strype,  a.  a.  Ü.  I;  2.  S.  50  ff.  vorzüglich  54  —  56. 

2)  Foxe,  Acts  and  Man.  V,  40. 

3)  Rudelbach,  Christliche  Biographie  I,  252  folg. 

4)  s.  oben  Buch  II,  Kap.  7.  XI. 


462 


Buch  III.    Kap.  5.  IV. 


des  XVI.  Jahrhunderts  in  die  weit  stärkere  Strömung  der  von 
Deutschland  aus  in  England  erweckten  Reformbewegung  über- 
gegangen, ohne  jedoch  in  letzterer  aufzugehen  und  spurlos  zu  ver- 
schwinden. Vielmehr  hat  sich  die  scharfe  Schneide ,  der  glühen- 
de Eifer  und  die  sittliche  Kraft  Wiclif 's  und  der  Lollarden  in  den 
Puritanern  des  XVI.  und  XVII.  Jahrh.  erhalten,  welche  gewisser- 
maassen  als  die  Erben  wiclifitischen  Geistes  zu  betrachten  sind. 
Auf  der  andern  Seite  können  wir  kaum  daran  zweifeln ,  dass  die 
Eigenart  der  englischen  Reformation,  insbesondere  die  Abweichung 
der  anglikanischen  Kirche ,  wie  sie  unter  der  Königin  Elisabeth 
sich  gestaltet  hat,  von  dem  Geiste  W  i  c  1  i  f '  s ,  die  wesentlichste 
Ursache  von  der  Thatsache  geworden  ist,  dass  England  Jahr- 
hunderte lang  seinen  Wiclif  nicht  in  dem  Maasse  geschätzt  und 
gekannt  hat,  wie  es  hätte  thun  sollen.  Ein  Unrecht,  welches  erst 
in  neuester  Zeit,  bei  unbefangenerem  geschichtlichem  Blick,  gut 
zu  machen  versucht  wird. 


Sechstes  Kapitel. 

Die  Kirche  auf  dem  Continent  während  der  letzten 
hundert  Jahre  vor  der  Reformation. 
1419_1517. 


I. 

Indem  wir  den  Blick  auf  den  Continent  wenden .  nimmt  vor 
allem  die  hussitische  Bewegung  unsere  Aufmerksamkeit  in  An- 
spruch. Haben  doch  die  Hussitenkriege  reichlich  ein  Jahrzehent 
lang  nicht  nur  Deutschland,  sondern  ganz  Europa  in  eine  Auf- 
regung versetzt,  deren  Wellenschlag  bis  nach  Spanien  hin  zu 
spüren  war.  Und  wir  haben  um  so  mehr  Ursache,  wie  früher  Hus 
selbst,  so  auch  jetzt  noch  die  Hussiten  genau  ins  Auge  zu  fassen, 
als  die  Nachwirkungen  Wiclif's  ganz  unmittelbar  bei  denselben 
zu  bemerken  sind. 

Als  König  Wenzel  IV.  am  16.  August  1419  auf  »Wenzel- 
stein« gestorben  war.  machte  sich  in  Prag  der  mühsam  nieder- 
gehaltene Unmuth  über  den  Druck,  den  die  hussitischen  Sym- 
pathien der  Mehrheit  seit  Monaten  empfanden,  in  Gewalttätig- 
keiten gegen  die  verhasstesten  Klöster  und  gegen  schlechte  Häu- 
ser Luft.  König  Sigismund .  der  rechtmässige  Thronerbe,  war 
dem  römischen  Stuhle  völlig  ergeben ,  während  nur  die  Minder- 
heit im  Lande ,  Prälaten  und  Mönche ,  ein  Theil  des  Adels  und 
die  Deutsch-Böhmen  päpstlich  gesinnt,  hingegen  die  grosse  Mehr- 
heit der  Bevölkerung,  Ritter,  Bürger  und  Bauern,  die  Univer- 
sität und  ein  grosser  Theil  der  Pfarrgeistlichkeit  hussitisch  ge- 
sinnt war :  eben  deshalb  konnte  man  nichts  Gutem  entgegensehen. 
Hussitische  Volksversammlungen  auf  der  einen  Seite,  Rüstungen 


464 


Buch  III.'    Kap.  6.  I. 


der  Regierung  auf  der  andern  Seite  führten  zu  blutigen  Zusammen- 
gössen, bis  endlich  der  wirkliche  Bürgerkrieg  ausbrach. 

Auf  die  politische  und  kriegerische  Seite  dieser  Jahre  einzu- 
gehen, ist  nicht  dieses  Orts.  Desto  mehr  Interesse  bietet  uns  die 
religiöse  und  kirchliche  Seite.  Wir  haben  oben  gesehen1),  dass 
in  der  grossen  hussitischen  Gesammtpartei  schon  seit  dem  Jahr 
1416  verschiedene  Schattirungen  sich  gegen  einander  abhoben, 
eine  conservativere  und  eine  radikalere  Fraktion.  Je  drohendere 
Gewitterwolken  aufzogen,  je  schadenfroher  die  päpstlich  gesinn- 
ten bereits  jubelten :  »Jetzt  werden  die  hussitischen  und  wiclifi- 
tischen  Ketzer  zu  Grunde  gehen2)!«  desto  mehr  vertieften  sich 
manche  von  den  radikal  gesinnten  Hussiten  in  das  Wort  der 
Weissagung.  Sie  trösteten  sich  mit  der  Aussicht  auf  die  Wieder- 
kunft Christi.  Wenn  man  von  Kriegen  und  Kriegsgeschrei  hörte, 
so  sahen  sie  darin  die  Zeichen  des  jüngsten  Tages  und  hofften, 
dass  demnächst  Christus  wiederkommen ,  alle  Feinde  der  Wahr- 
heit ausrotten,  aber  seine  Auserwählten  retten  werde ;  wie  Lot  aus 
Sodom  sich  nach  Zoar  geflüchtet  habe ,  so  könne  man  jetzt  nach 
der  »Sonnenstadt«  Pilsen,  oder  nach  Saatz,  Laun,  Schlan  und 
Klattau  sich  retten.  Die  verstorbenen  Auserwählten  werden  auf- 
erweckt werden,  denn  die  erste  Auferstehung  sei  nahe,  und  dann 
werde  Christus  bis  zur  allgemeinen  Auferstehung  sein  Reich 
haben  auf  der  erneuten  Erde :  kein  Fürstenthum  und  keine  Herr- 
schaft ,  aber  auch  kein  Leiden  Christi  und  seiner  Glieder,  keine 
Unbill,  Streit  und  Aergerniss  werde  mehr  sein;  die  geschriebene 
Bibel  müsse  aufhören,  denn  Christi  Gesetz  werde  allen  in's  Herz 
geschrieben  sein 3) .  —  Solche  acht  chiliastische  Vorstellungen 
hat  laut  desselben  hussitischen  Gewährsmannes  der  talentvolle 


1  Buch  III.  Kap.  3.  VIII.  S.  288  ff. 

2  Der  utraquistische  Chronist  Lorenz  von  Brezowa  Breziiia  bei 
Höfler)  erwähnt,  Geschichtschreiber  der  hussit.  Bewegung  L  348:  vcri- 
tatü  aemidis  et  siynanter  Theutorncis  ridentibns  et  manibus  prae  gaudio 
platldentibUB  ac  dicentibus:  Jam  haeretici  Uli  Husitae  et  Wiklejistae  peribunt 
et  finem  hahcbunt. 

3)  Brezowa,  bei  HÖFLEB  I,  349  folg.  :  Sacerdotes  quidam  Thaborien- 
»ium  novüm  Christi  udvr/itwn  praedicaUant  popnlo  u.  s.  w.  Vgl.  die  Artikel 
I — 34  eben  daselbst,  S.  434  folg. 


Die  Ultra  s  unter  den  Hussiten. 


465 


junge  Priester  aus  Mähren,  Martin  Bauska,  genannt  Loquis, 
ferner  der  früher  erwähnte  Koranda  und  andere  in  der  Zeit  der 
grössten  Aufregung  nicht  ohne  Erfolg  verbreitet l) .  Aber  .selbst 
tlie  taboritische  Partei  unter  den  Hussiten  war  doch  nüchtern  ge- 
nug, diesen  schwärmerisch-apokalyptischen  Ausschreitungen  ent- 
gegenzutreten, man  hat  sie  sogar  auf  einer  taboritischen  Synode 
verurtheilt  -  .  Hingegen  derselbe  Martin  oder  Martinekj  Hauska 
scli ritt  auch  in  Hinsicht  der  Glaubenslehren  selbst  bis  zu  den 
kühnsten  Sätzen  fort :  er  bekannte  sich  zu  der,  wie  es  die  Hussiten 
nannten,  »pikardischen  Irrlehre« :) ,  dass  im  Sakrament  des  Altars 
nicht  der  wahre  Leib  und  das  wahrhafte  Blut  Christi  sei ,  son- 
dern blos  Brod  und  Wein,  und  diese  seien  auch  nur  b ei 'm  Ge- 
nus s  Zeichen  des  Leibes  und  Blutes  Christi 4  .  Diejenigen  welche 
seine  Lehre  annahmen  (es  sollen  ihrer  über  400  gewesen  sein), 
erzeigten  dem  Sakrament  keine  Verehrung  durch  Kniebeugung 
oder  sonst,  hielten  Aufbewahrung  der  geweihten  Hostie  für  ein 
Unrecht,  zerschlugen  Monstranzen  und  Kelche  u.  s.  w.  Die  tabo- 
ritischen Geistlichen  erbaten  sich  von  den  Prager  Magistern,  z.B. 
Jakobeil  und  P r i b r a m  ,  Rath,  wie  man  solchen  Irrthümern  mit 
Gründen  entgegentreten  möge,  und  baten,  gegen  die  neue  Sekte 
auch  in  der  Hauptstadt  auf  der  Hut  zu  sein.  Dagegen  wurde  am 
Sonntag  Laetare,  den  2.  März  1421,  auf  Anordnung  der  Universität 
und  des  Raths  in  allen  Kirchen  von  Prag  gegen  die  »grundstür- 
zende Ketzerei«  gepredigt,  was  jedoch  nicht  verhindern  konnte, 
dass  auch  in  Prag  viele  Gemeindeglieder  dieser  Sekte  beitraten. 
Ein  bibelfester  Bürger  von  Prag,  der  Schuster  Wenzel,  war  hier 


1  Brezowa,  bei  Höf ler  I,  :^JS  folg. 

2  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen  III,  2.  81. 

3  Die  Yermuthung  Palacky' s,  Geschichte  von  Böhmen,  III,  2.  228. 
Anm.,  dass  »Pikarden«  nichts  anderes  als  »Begharden«  seien,  ist  gewiss  zu- 
treffend, obgleich  Aeneas  Sylvius  den  Namen  von  der  Picardie  in  Frank- 
reich ableitet.  Begharden  und  Lollarden  waren  aber  Namen ,  welche  in 
der  Kegel  gleichbedeutend  gebraucht  wurden. 

4  qnud  in  sucramento  aitaris  non  sit  verum  corpus  Christi  et  ejus' 
sanguis,  sed  solnm  panis,  qtti  est  signtim,  so  tum  cum  sumitur,  corporis  et 
sanguinis  Christi.  Brezowa  bei  Höfler  I,  451  folg.  Diese  Ultrahussiten 
haben  also,  wie  ein  Theil  der  späteren  Lollarden,  die  Zwingli'sche  Abend- 
mahlslehre antieipirt. 

Lechlek  ,  Wielif.  11.  3(j 


466 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


das  Haupt  derselben ;  er  wurde  noch  im  gleichen  Jahre  verbrannt. 
Auch  Martinek  oder  Martin  Hauska  erlitt  am  21.  August  des- 
selben Jahres  in  Raudnitz  denselben  Tod  mit  Standhaftigkeit. 
während  der  hussitische  Chronist  Gott  preist,  dass  er  die  Wölfe, 
welche  seine  Heerde  angreifen  wollten,  zerrissen  und  vernichtet 
habe 1  .  Leichter  freilich  lässt  sich  begreifen,  dass  selbst  ein 
Zizka  gegen  Leute,  die  einer  grauenhaften  und  gottlosen  Schwär- 
merei huldigten,  so  dass  sie  zum  Theil  nackt  gingen,  weil  sie  an- 
geblich im  Stande  der  Unschuld  sich  befänden.  Unzucht  für 
Pflicht  und  die  Ehe  für  Sünde  hielten  u.  s.  w.,  schliesslich  einen 
Vertilgungskrieg  führte,  ihrer  50  auf  einmal  bei  Klokot  ver- 
brannte 2  u.  s.  w. 

Sehen  wir  aber  von  diesen  äussersten  Extremen  ab ,  so  stan- 
den sich  in  der  hussitischen  Gesammtpartei  die  Schattirungen  der 
»Präger«  und  der  »Taboriten«  gegenüber. 

Jene  erhielten  erst  später  den  Namen  Calixtiner  Kelchner 
oder  Utraquisten:  während  der  zwanziger  Jahre  heissen  sie  immer 
nur  die  Prayenses.  Ihre  Grundsätze  haben  sie  zum  ersten  Mal 
selbst  formulirt  und  veröffentlicht  im  Jahre  J  420.  Am  14.  Juli  hatte 
Zizka  das  unter  der  Führung  König  Sigismunde  selbst  zum  erstell 
Kreuzzug  wider  die  Hussiten  ausgerückte  feindliche  Heer  auf  dem 
Witkowberge  vor  Prag,  der  von  da  an  den  Namen  Zizkaberg  er- 
hielt, aufs  Haupt  geschlagen.  Da  wurde  der  König  geneigt  mit 
den  Böhmen  zu  unterhandeln.  Und  diese  vereinbarten  unter  ein- 
ander ihre  Forderungen,  welche  sie  vom  3.  Juli  bis  1.  August  in 
eine  endgültige  Fassung  brachten  und  sodann  in  Lateinischer 
tschechischer  und  deutscher  Sprache  überall  hin  versandten.  Diese 
vier  Prager  Artikel  waren  das  Programm  der  böhmischen 
und  mährischen  Hussiten.  Damals  waren  auch  die  Taboriten  da- 
mit einverstanden.  Obwohl  sie  vor  und  nach  noch  weitergingen, 


1)  Brezowa,  a.  a.  ü.  47s  folg. 

2  a.  a.  ü.  452  folg.  Man  nannte  diese  Schwärmer,  welche  ohne  Zwei- 
fel vom  Chiliasmus  aus  auf  ihre  Yerirrungen  gekommen  sind.  Adamiten 
oder  auch  Nikolai  teil,  angeblich  nach  einem  Bauer  Xiklas  ,  welcher  eine 
Hauptrolle  unter  ihnen  gespielt  haben  soll  Palacky,  Geschichte  von  Böh- 
men, IV,  1.  239  ,  wenn  nicht  etwa  letzterer  Name  von  den  »Xikolaiten«  der 
Apokalypse  2,  6.  14  folg.  hergenommen  ist. 


Die  vier  Artikel  der  »Präger* 


4(57 


.scheinen  sie,  den  Katholiken  gegenüber,  sich  mit  jenen  Grund- 
sätzen als  dem  Minimum  begnügt  zu  haben.  Die  »Prager«  aber 
fanden  alles  darin,  was  sie  begehrten.  Die  vier  Artikel  sind 
folgende : 

Erstens:  dass  Gottes  Wort  im  Königreich  Böhmen  frei 
und  ohne  Hinderniss  in  geordneter  Weise  von  den  Priestern  des 
Herrn  gepredigt  werde  Marc.  16.  Matth.  2b.  2.  Thessal.  3  ; 

Zweitens:  dass  das  Sakrament  des  heil.  Abend m  a  h  1  s 
unter  b  ei  derlei  Gestalt,  des  Brodes  und  Weines,  allen  gläu- 
bigen Christen,  die  nicht  durch  eine  Todsünde  dazu  untüchtig 
gemacht  sind,  frei  gereicht  werde,  nach  der  Einsetzung  Christi  : 

Drittens:  dass  die  weltliche  Herrschaft  und  die  irdischen 
Güter,  welche  der  Klerus  zum  Nachtheil  seines  Amtes  und  zum 
Schaden  des  weltlichen  Arms  inne  hat ,  ihm  genommen  und  die 
Geistlichkeit  zu  der  evangelischen  Richtschnur  und  einem  aposto- 
lischen Wandel  zurückgeführt  werde : 

V  i  c  r  t  e  n  s :  dass  alle  Todsünden,  vornämlich  die  öffentlichen, 
so  wie  andere  dem  Gesetze  Gottes  zuwiderlaufende  Unordnungen 
in  jedem  Stande  von  denjenigen,  welchen  das  zusteht,  rechtmässig 
und  vernünftig  verboten  und  abgestellt  werden  sollen  1  . 

Schliesslich  begehren  sie.  wenn  jemand  Böses  und  Schmäh- 
liches von  ihnen  aussage,  so  möge  man  ihm  keinen  Glauben 
schenken :  denn  ihre  Absicht  sei  keine  andere,  als  nach  Kräften 
dem  Herrn  Jesu  Christo  wohlzugefallen .  sein  Gesetz  und  seine 
Vorschriften  und  diese  vier  christlichen  Punkte  haee  puncto 
quatuor  catkolica  treulich  zu  befolgen  und  zu  erfüllen:  übri- 
gens seien  sie  stets  bereit  Unterweisung  nach  der  heil.  Schrift 
anzunehmen. 

Diese  vier  Artikel  der  »Prager«  stellen  die  Forderung  der 
freien  Predigt  des  Wortes  Gottes  voran .  also  das  Schriftprinzip, 
welches  Hu s  mit  Wiclif  gemein  hat:  indem  sie  die  »ordnungs- 
mässige  Predigt  durch  Priester«  betonen,  erklären  sie  sich  in- 

1,  BBEZOWA,  a.  a.  0.  I,  :isu  folg.  Beim  vierten  Punkte,  welcher  sitt- 
lichen und  disciplinellen  Inhalts  ist,  sind  nicht  nur  Unzucht  und  Trunk. 
Diebstahl  und  Todtschlag,  Meineid  und  Betrug,  sondern  auch  Gewinnsucht 
und  Wucher ,  in  Betreff  der  Geistlichkeit  aber  Simonie  und  alle  Stolge- 
bühren, so  wie  jederlei  Gelderpressung  aufgezählt. 

30* 


468 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


direkt  gegen  ein  praktisches  Geltendmachen  des  allgemeinen 
Priesterthums. 

Der  zweite  Artikel  fordert  das  Abendmahl  unter  beiderlei 
Gestalt,  protestirt  also  acht  hussitisch  gegen  die  römische  Kelch- 
entziehung, sagt  aber  stillschweigend  von  der  wiclifitischen  Oppo- 
sition gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung  sich  los. 

Der  dritte  Artikel  ist  wieder  ein  solcher,  den  die  Hussiten 
mit  Wiclif  gemein  oder  von  ihm  entlehnt  haben,  während  der 
vierte  Artikel  sich  eben  so  wohl  an  Wiclif  als  an  die  Prager 
Vorläufer  von  H  u  s ,  vorzüglich  einen  K  o  n  r  a  d  von  Waldhausen 
und  M  i  1  i  t  s  c  h  anlehnt . 

Was  man  römischerseits  dazu  sagen  konnte ,  das  hat  der  in 
Sigismunde  Lager  das  Kreuzheer  begleitende  päpstliche  Legat 
Ferdinand,  Bischof  von  Lucca,  in  einem  Schreiben  an  die  Prager 
vom  6.  Juli  1421  rückhalstlos  gesagt1).  — 

Für  die  vier  Artikel  suchten  die  Böhmen,  wo  es  irgend  mög- 
lich war,  Propaganda  zu  machen,  namentlich  in  Polen  und  Lit- 
thauen, wo  unter  den  stammverwandten  Slawen  viele  wenigstens 
für  die  Communion  unter  beiderlei  Gestalt  eingenommen  waren. 
Während  des  zweiten  Kreuzzuges  gegen  Böhmen  arbeiteten  bei 
König  Wladislaw  von  Polen  und  Witold  von  Litthauen  böh- 
mische Gesandte  für  Annahme  der  vier  Artikel,  wozu  jedoch  der 
König  von  Polen  sich  nicht  herbeiliess 2) . 

Dagegen  war  es  ein  grosser  Triumph  für  die  Hussiten,  als 
Erzbischof  Konrad  selbst,  nachdem  geheime  Unterhandlungen 
vorangegangen,  nach  Prag  kam  und  am  21.  April  1421  sich 
öffentlich,  wenn  auch  unter  einigen  Verwahrungen ,  für  die  vier 
Artikel  erklärte.  In  Prag  feierte  man  dieses  Ereigniss  mit  einem 
Te  JJeum  in  allen  Kirchen,  unter  dem  Geläute  der  Glocken,  wäh- 
rend die  Taboriten  wenig  davon  erbaut  waren  und  über  die  »Hei- 
lung des  antichristlichen  Thieres«  spöttelten3). 

Die  katholische  Christenheit  war  natürlich  voll  Entsetzens 
darüber.  Eine  Folge  dieses  Uebertritts  des  Primas  von  Böhmen 

1  PalaCKY,  Geschichte  von  Böhmen,  III,  2.  127  folg. 

2  a.  a.  0.  255. 

3  BEEZOWA,  bei  Höfler  I,  355. 


Noch  weiter  gehende  C'oncessionen  der  Prager. 


469 


war.  in  Gemässheit  des  dritten  unter  den  Präger  Artikeln .  die 
Säkularisation  der  vielen  und  reichen  erzbischöflichen  Herrschaf- 
ten in  Böhmen  1  . 

Uebrigens  waren  die  Prager  grossentheils  einer  Aussöhnung 
mit  Rom  sehr  geneigt,  und  machten  demgemäss  Concessionen. 
welche  noch  weiter  gingen,  als  man  nach  ihren  vier  Artikeln,  für 
■sich  genommen,  vorauszusetzen  berechtigt  wäre.  80  hat  auf  der 
hussitischen  Generalsynode  Böhmens  und  Mährens,  welche  im  Juli 
1  1*21  im  Karolinum  zu  Prag  gehalten  wurde,  am  7.  Juli  Magister 
Johann  von  Pribram  23  Artikel  vorgetragen,  welche  von  allen, 
die  Taboriten  ausgenommen,  angenommen  wurden2  .  Diese  Arti- 
kel gestehen ,  nächst  der  heil.  Schrift,  dem  apostolischen,  Nicä- 
nischen  und  Athanasianischen  Glaubensbekenntniss  und  allen 
Satzungen  des  christlichen  Alterthums  fortdauernde  Geltung  zu 
(Art.  2  .  wehren  allen  willkührlichen  Neuerungen  und  Abweichun- 
gen von  den  Vorschriften  des  Evangeliums  und  der  heil.  Väter 
Art.  5) .  behaupten  die  wahrhafte  Gegenwart  des  Leibes  und  Blu- 
tes Christi  im  heil.  Abendmahl  (6.),  fordern  Beibehaltung  des 
vollständigen  Ritus  der  Messe  (7),  die  sieben  Sakramente  (12), 
den  Priestercölibat,  die  Tonsur,  die  kanonischen  Gebetsstunden 
und  dgl.  (1 3  folg.  ,  sprechen  sich  aber  auch  für  die  Communion 
der  neugetauften  Kinder  aus  (20) . 

Als  nach  dem  grossen  Siege  der  Hussiten  bei  Aussig  (16.  Juni 
1  126  König  Sigismund  zu  einem  Vergleiche  geneigt  war,  kamen 
die  Prager  halbwegs  entgegen ;  wenigstens  Hessen  sich  Stimmen 
vernehmen,  welche  die  ehemalige  Bilderstürmerei  und  die  Ein- 
ziehung der  Kirchengüter  tadelten.  Die  Verehrung  von  Hus  und 
die  Communion  unter  beiderlei  Gestalt  war  das  einzige,  was  vom 
Hussitismus  noch  blieb,  aber  jeder  kühnere  Gedanke  wurde  zum 
mindesten  für  irrthümlich  oder  Aergerniss  gebend  erklärt.  So 
waren  namentlich  die  Magister  Christann  von  Praehatitz,  Peter 
von  M 1  a  d  e  n  0  w  i  t  z  und  Johann  P  r  i  b  r  a  m  gesinnt .  Der  letztere 
nennt  sich  selbst  »den  elendesten  Sünder,  jedoch  aller  Ketzereien, 


1  Nicht  weniger  als  17  solcher  Herrschaften  macht  Palacky  a.  a.  ü. 
218  folg.  Aura,  namhaft. 

2  BREZOWA,  bei  Hofier  I.  486  ff. 


470 


Buch  III.   Kap.  6.  I. 


zumal  der  wiclifi tischen  und  pikardischen  Irrlehre,  eifrigen  Verfol- 
ger1 «.  Inzwischen  fehlte  es  doch  auch  unter  den  Pragern  nicht 
an  solchen  Männern,  welche  es  höchlich  misbilligten,  wenn  Wic- 
lif  verketzert  wurde,  und  klar  genug  erkannten,  dass  man  dabei 
nicht  stehen  bleiben,  sondern  bald  auch  Hu  s  selbst  als  Irrlehrer 
bezeichnen  würde.  So  dachte  nicht  nur  der  Engländer  Peter 
Payne,  sondern  auch  eingeborene  tschechische  Hussiten  wie 
Jak  ob  eil  und  Magister  Johann  von  Rokyzana;  auch  der 
Chronist  Lorenz  von  Brezowa  that  sich  um  diese  Zeit  durch 
Opposition  gegen  die  rückschreitende  Richtung  Pribram's  her- 
vor. Um  diese  Differenz  zum  Austrag  zu  bringen,  wurden  zu 
Weihnachten  1426  an  der  Prager  Universität  öffentliche  Disputa- 
tionen gehalten.  Die  Hauptsprecher  waren  Magister  Johann  Pri- 
bram  einerseits,  Peter  Payne  nebst  Jakobe  11  und  Rokyzana 
andererseits2) .  Natürlich  wurde  der  Gegensatz  der  Ansichten  da- 
durch nicht  ausgeglichen,  er  trat  vielmehr  immer  wieder  an's 
Licht,  besonders  stark  1429.  Es  war  wiederum  Pribram,  der 
gegen  Wiclif  eiferte,  und  Peter  Payne,  der  für  seinen  verehr- 
ten Landsmann  und  Lehrer  muthig  eintrat.  Man  schritt  abermals 
zu  einer  Disputation.  Um  derselben  indes  einen  Erfolg  zu  sichern, 
vereinbarte  man  diesmal  im  voraus  ein  Schiedsgericht,  aus  acht 
Magistern  und  Theologen  bestehend.  Auf  Payne' s  Seite  waren 
Schiedsrichter  Magister  Johann  von.  Rokyzana,  Priester  Wenzel 
von  Drachow,  Peter  Njemetz  von  Saatz  und  Niklas  von  Pil- 
grani,  Bischof  der  Taboriten ;  die  Schiedsrichter  von  der  anderen 
Seite  kennt  man  nicht.  Die  Disputationen  fanden  von  Ende  Sep- 
tember an  im  Karolinum  statt  und  dauerten  volle  drei  Wochen. 
Der  Ausspruch  der  Schiedsrichter,  wie  er  am  20.  Oktober  ertheilt 
wurde,  ging  insbesondere  dahin,  dass  Pribram  den  Johann 
Wiclif  und  seine  Schriften,  aber  auch  Peter  Payne  und  dessen 
Schriften  nicht  mehr  verketzern  oder  schmähen  dürfe :  auf  der 
anderen  Seite  solle  auch  Peter  Payne  den  Magister  Pribram 

1  oi/u/unn  ha&0$um  et  praecipnc  Wiktefisticüe  ei  Picard icae 
liu<  nsis  sol  licitus  perm-cuto  r ,  bei  PALACKY,  Geschichte  von  Böhmen, 
III,  2.  423. 

2  Palacky.  a.  a.  O.  III,  2.  4*1  folg 


Die  Taboriten. 


171 


nicht  mehr  anfeinden  oder  verketzern.  Beide  sollen  die  Magister 
Hus  und  Jakobel  1  f  9.  August  1 429 !  nicht  verketzern,  son- 
dern als  rechtgläubig"  anerkennen.  Beide  Gegner  sollten  nur  un- 
ter Vorwissen  der  Schiedsrichter  und  nur  in  lateinischer  Sprache 
Streitschriften  gegen  einander  veröffentlichen :  bis  nächste  Pfing- 
sten sollten  sie  sich  jedenfalls  ruhig  verhalten .  wenn  bis  dahin 
eine  Verständigung  zwischen  ihnen  nicht  erzielt  sein  sollte  *) . 

Die  künstlichen  Dämme  halfen  nichts.  Noch  im  gleichen  Jahre 
gab  Pribram  die  heftigste  Streitschrift  heraus,  und  zwar  in 
tschechischer  Sprache,  worin  er  Wiclif  undPayne,  aber  auch 
alle  taboritischen  Priester  schmähte  und  verketzerte. 

Es  ist  eine  bezeichnende  Thatsache .  dass  die  prinzipiellen 
Verschiedenheiten  innerhalb  der  hussitischen  Gesaramtpartei  und 
innerhalb  der  Fraktion  der  Prager  insbesondere,  immer  wieder 
auf  Wiclif  zurückführen  und  auf  das  Urtheil,  das  über  ihn  gefällt 
wird.  Diese  Thatsache  beweist  unstreitig,  dass  nicht  nur  Hus 
selbst,  sondern  auch  der  spätere  Hussitismus  auf  Wiclif  fusst. 

Die  Taboriten  nannten  sich  selbst  »die  Eiferer  für  Gottes 
Gesetz2  «.  Zu  ihrer  Charakteristik  dienen  uns  Urkunden  aus  ver- 
schiedenen Jahren,  theils  von  gegnerischer  Seite,  theils  von  der 
Partei  selbst  ausgegangen.  Schon  am  5.  August  1420  überreichte 
die  Taboritengemeinde  den  Pragern  eine  Urkunde  in  zwölf  Arti- 
keln, worin  sie  insbesondere  auf  praktische  Durchführung  des 
dritten  und  vierten  unter  den  Prager  Artikeln  drangen,  aber  noch 
weiter  gingen  und  forderten,  dass  alles  »heidnische«,  d.  h.  römi- 
sche, und  »deutsche«  Recht  aufgehoben  werden,  dass  alles  nur 
nach  göttlichem  Rechte  gehen  solle  in  Verwaltung  und  Justiz ;  Klö- 
ster sollen  zerstört,  überflüssige  Kirchen  und  Altäre  so  wie  Bilder 
in  Kirchen  sollen  aufgehoben .  aller  Luxus  im  Gottesdienst  abge- 
than  werden 3) . 

.  Am  10.  December  des  gleichen  Jahres  fand  denn  in  einem 

1  Den  Schiedsspruch  haben  wir  in  der  Chronik  Pilgram's  ,  der  ja 
einer  von  den  acht  Obmännern  gewesen  war,  bei  Höfler  II,  595  folg. 

2  Brezowa,  bei  Höf ler  I.  3SS:  se  legis  Bei  telatores  appellantes. 
Der  Chronist  gehört  zu  den  Pragern,  erstattet  aber  einen  leidenschaftslosen, 
billigen  Bericht  über  die  Taboriten. 

3  Die  Artikel  bei  Brezowa  a.  a   O.  :iS">  folg. 


472 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


Privathause  zu  Prag  eine  Verhandlung  zwischen  Prag-er  Magistern 
und  einigen  Taboritenpriestern  statt.  Auf  Seiten  der  Prager  war 
Prokop  von  Pilsen,  damals  Rector  der  Universität.  Jakohell 
von  Mies.  Peter  von  M 1  a  d  e  no  w  i  tz  dabei  thätig.  von  den  Tabo- 
riten  war  Zizka  selbst  und  der  erwählte  Bisehof  Niklas  von  Pil- 
gram,  auch  Martinek  Hau ska .  der  damals  noch  nicht  als  Irr- 
lehrer galt,  zugegen.  Die  Prager  hatten  in  76  Punkten  alles  zu- 
sammengefasst .  was  nach  ihrer  Ansicht  Irriges  von  Taboriten- 
priestern gelehrt  worden  sei 1^ .  Im  Namen  der  Taboriten  bekann- 
ten sich  mehrere  angesehene  Laien  und  Priester  zu  den  Sätzen, 
welche  man  ihnen  vorgehalten  hatte,  an  denen  nur  hie  und  da  die 
Fassung  zu  beanstanden  sei.  Eine  Vereinigung  der  getrennten 
Parteien  wurde  durch  die  Verhandlung  nicht  erzielt,  doch  wurde 
die  gegenseitige  Duldung  für  eine  Zeit  lang  gesichert.  Allerdings 
haben  sich  aus  der  radikaler  gesinnten  und  eifriger  reformirenden 
Taboritenpartei  extreme,  mitunter  schwärmerische  Ansichten 
chiliastischer  und  communistischer  Art.  wie  wir  oben  gesehen, 
entwickelt.  Aber  diese  Extreme  wurden  bald  als  solche  erkannt 
und  abgestossen.  Sehen  wir  von  diesen  ab,  so  bestanden  die 
unterscheidenden  Grundsätze  der  Taboritenpartei  in  Folgendem : 

1.  Lediglich  nur  dasjenige,  was  ausdrücklich  in  der  heil. 
Schrift  steht,  ist  maassgebend  für  Lehre  und  Uebung  der  Kirche  ; 
alle  Schriften  und  Satzungen  der  Kirchenlehrer  sind  als  werthlos. 
ja  antichristlich  zu  verwerfen.  Eine  Auffassung  des  Sehriftprin- 
zips.  welche  wir  schon  seit  1416  beobachtet  haben  2  . 

2.  Die  Heiligen  sind  nicht  als  Mittler  und  Fürsprecher  bei 
Gott  anzusehen  und  anzurufen :; 

3.  Nur  laufe  und  Abendmahl  sind  Sakramente1  . 

4.  Wenn  ein  Priester  sich  in  einer  Todsünde  befindet,  so  hat 
er  \  <>u  Gott  keine  Vollmacht,  ein  Sakrament  zu  spenden. 

1  BreZOWA,  a.  a.  O.  L34  folg.  (er  gibt  72  Artikel  ;  PlLGRAM .  "bei 
Höfler  II,  4SS.    Vgl.  Palacky.  a.  a.  Ö.  189  folg. 

2)  a.  a.  0   440.  Nr.  58.  .V>— ">7.  Vgl.  oben  B.  III.  K.  ;t.  VIII.  S.  >ss  folg. 

3)  a.  a.  O.  441.  Nr.  65  folg. 

4)  Dies  ergibt  sich  mittelbar  aus  dem  41.  Satz  bei  BüESOWA,  a.  a.  (). 
\'V.) :  quod  /in/hfs  taetrdot  in  qüoewnfue  jn-rcato  mwjtoli  habtt  uudoritatmn 
a  Deo  conficiefidt  auf  baptizandi.  Auch  scheint  Nr.  54,  obwohl  von 
den  Pragern  ungeschickt  ausgedrückt,  denselben  Sinn  zu  haben. 


Grundsätze  der  Taboriten. 


:>.  Die  Wandlung  im  Abendmahl  wird  verworfen. 

6.  Ein  Fegefeuer  giebt  es  nicht1  . 

Diese  Punkte  betreffen  die  Glaubenslehre.  Bei  weitem  die 
meisten  aber  beziehen  sieb  auf  den  Ritus  im  Gottesdienst  und  auf 
die  kirchliche  Verfassung,  z.  B.: 

7.  Verwerfung  der  Bilder  nebst  Reliquien,  und  ihrer  Vereh- 
rung. 

8.  Vereinfachung  des  Gottesdienstes :  dahin  gehört  z.  B.  Be- 
seitigung vieler  Oeremonien  bei  Taufe  und  Abendmahl,  ferner  der 
vielen  Messen,  sofern  in  jeder  Kirche  an  einem  Tage  auch  nur 
eine  Messe  gehalten  werden  sollte2  .  Ferner  wurde  der  priester- 
liche Ornat  selbst  bei  der  Messe  beseitigt,  aber  auch  die  alther- 
kömmlichen Hymnen  und  Kirchengesänge. 

9.  Interessant  ist  und  kommt  im  Jahre  1420,  wenn  ich  nicht 
irre,  in  hussitischen  Kreisen  zum  ersten  Male  vor  der  Grundsatz, 
dass  ausser  dem  Sonntag  gar  kein  Fest  zu  feiern  sei:V.  Dieser 
puritanische  Grundsatz  war  sichtlich  nur  eine  praktische  Folge 
des  exklusiven  und  abstrakten  Schriftprinzips,  eben  so  gut  wie  das 
aus  Apostelgeschichte  15.  entnommene  Verbot  des  Genusses  von 
Blut  oder  vom  Fleisch  erstickter  Thiere  4] . 

10.  Aufhebung  des  Fastens  als  Busswerk,  so  wie  der  40tägi- 
gen  Fastenzeit 5  . 

1 1 .  Anbelangend  die  Kirchenverfassung  war  der  Grundsatz 
von  der  eingreifendsten  Bedeutung,  dass  die  Priester  der  Hussi-- 
ten  sich  selbständig  einen  Bischof  wählen  und  ordinären 
dürften  11  .  —  Dadurch  emancipirten  sich  die  Taboriten  völlig  von 
der  römisch-katholischen  Hierarchie.  Sie  hatten  dieser  Theorie 
gemäss  zu  der  Zeit,  wo  diese  Sätze  zur  Diskussion  kamen,  bereits 
gehandelt  und  den  Priester  Pilgram  (Pelhuimow  .  den  Verfasser 


1  Brezowa.  a.  a.  0.  Nr.  69. 

2  a.  a.  O.  Nr.  51. 

3]  Nr.  68,  a.  a.  O.  S.  441:  Quod  die  dominieo  excepto  nulla  alia 
festivitas  est  ex  aliquo  debito  eeclesiue  primitivae  a  ßdelibus  celebranda. 
4   Nr.  72  a.  a.  ü. 
5)  Nr.  62.  07. 

6  Nr.  64.  a.  a.  O.:  Quod  licet  quibuscioique  sacerdotibus  non  episcopis. 
pro  eorum  proprio  nutn  et  libito  episcopum  sibi  per  se  ordinäre. 


474 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


der  Taboritenchronik,  zum  Bischof  gewählt  und  geweiht:  wäh- 
rend die  Prager  sich  immer  noch  an  die  katholische  Hierarchie 
sittlich  gebunden  fühlten  und  herzlich  froh  waren,  als  im  Früh- 
jahr darauf  April  1421)  der  rechtmässige  Erzbisch of  von  Prag, 
Konrad,  sich  ihnen  anschloss,  so  dass  nun  für  Ordination  ihrer 
Priester  und  für  ordnungsmässiges  Kirchenregiment  gesorgt  war. 

12.  Jedenfalls  eine  Folge  des  allzu  stramm  gefassten  Schrift- 
prinzips war  es.  dass  die  Taboriten  gegen  den  Unterricht  im  La- 
teinischen und  in  der  Philosophie  waren  1  .  Auf  der  andern  Seite 
hing  dies  zugleich  mit  dem  Nationalitätsprinzip  zusammen,  vermöge 
dessen  sie  alles  Lateinische  in  Liturgie  und  'Hymnen  aus  ihrem 
Kultus  verbannten.  Daraus  folgt  aber  nicht,  dass  sie  Feinde  der 
Bildung  und  des  Unterrichts  gewesen  wären.  Im  Gegentheil,  die 
Taboritenpriester  unterrichteten  Knaben  und  Mädchen  in  ihrer 
Muttersprache  im  Lesen  und  Schreiben.  Daher  wurde  Lesen  und 
Schreiben  bei  ihnen,  selbst  bei  den  Frauen,  allgemein,  sie  benütz- 
ten es  aber  ihren  Grundsätzen  gemäss  vorzüglich  zum  Studium  der 
Bibel.  Noch  im  Jahre  1451  war  Aeneas  Sylvius  voll  Erstau- 
nens, als  er  bei  seinem  Besuche  in  Tabor  fand,  dass  kaum  eine 
Frau  zu  finden  war.  welche  nicht  aus  dem  A.  und  N.  Testament 
hätte  Rede  und  Antwort  geben  können :  er  schämte  sich  für  seine 
Landsleute,  die  italienischen  Priester,  welche  selbst  das  Neue 
Testament  nicht  ein  einziges  Mal  gelesen  hatten.  Bis  zu  jenem 
Zeitpunkt  waren  die  Taboriten  aber  auch  von  dem  anfänglichen 
Widerwillen  gegen  das  Lateinlernen  zurückgekommen.  Er  be- 
kam in  Tabor  Besuche  von  vielen  Bürgern,  welche  lateinisch 
konnten,  und  rühmte  es  den  Leuten  nach,  dass  sie  eine  Liebe  zur 
Wissenschaft  hätten 2  .  Somit  war  bei  den  Taboriten  erreicht, 
was  die  englischen  Lollarden  zu  Pecock's  Zeit  nur  als  einen 
Wunsch  und  als  ein  hohes  Ziel  sich  dachten,  dass  alle  Kinder 
müssten  lesen  lernen,  um  selbst  in  der  Bibel  forschen  zu  können s) . 

Die  beiden  Hauptfraktionen  der  grossen  hussitischen  Ge- 


ll Nr.  58,  Bkezowa,  a.  a.  O.  440 :  Qmd  omncs  veritatea  in  philo- 
KOphia  (-t  in  artibns  legis  Christi  proinotivtte  nttlh  unqunm  modo  sunt 
afhplectmtdae  rive  studmdae. 

2    I'alack y ,  Geschichte  von  Böhmen,  III,  2.  8.  IM.  863  folg. 
s.  oben  Buch  III.  Kap.  5.  II.  S.  980  folg. 


Wechselseitiges  Verhältniss  der  Prager  und  Taboriten. 


475 


sammtpartei,  die  conservativ  reformirende  oder  die  »Prager«,  und 
die  radikal  reformirende  oder  die  »Taboriten«,  standen  sich  bald 
in  einem  freundlicheren .  bald  in  einem  gespannten  Verhältnis« 
gegenüber,  reichten  sich  die  Hand  oder  bekämpften  sich  gegen- 
seitig, je  nachdem  die  politische  Lage  Böhmens  eine  gefährdete 
oder  gesichertere  war.  Zugleich  versteht  es  sich  von  selbst  und 
lägst  sich  auch  urkundlich  nachweisen,  dass  der  Unterschied  zwi- 
schen den  beiden  Schattirungen  kein  scharf  abgegrenzter,  viel- 
mehr ein  fliessender  war.  Mit  andern  Worten,  manche  unter  den 
Pragern  standen  ihrer  Denkart  nach  den  Taboriten  näher,  als 
einigen  von  ihrer  eigenen  Partei :  und  unter  den  Taboriten  gab  es 
Manner.  welche  innerlich  den  Pragern  näher  standen,  als  den 
Ultras  der  taboritischen  Partei.  Auch  kam  es  hie  und  da  vor. 
dass  jemand  von  der  einen  Seite  zu  der  andern  übertrat.  Zum 
Beispiel  der  Engländer  Peter  Payne.  welcher  am  13.  Februar 
1417  unter  die  Magister  der  Prager  Universität  aufgenommen 
worden  war.  hielt  lange  zu  den  Pragern;  als  aber  seine  der  Lehre 
Wie  Ii  f  's  treue  und  freiere  Richtung  in  Prag  immer  stärker  an- 
gefochten wurde,  ging  er  zu  den  »Waisen«,  schliesslich  aber  zu 
den  Taboriten  über  und  wurde  einer  ihrer  hervorragendsten  Leh- 
rer 1  .  Eine  gewisse  Mittelstellung  nahm  Zizka  ein.  Obwohl 
ursprünglich  Taborit  und  selbst  Mitgründer  von  Tabor.  hat  er 
(loch  nie  zu  den  Ultra's  der  Partei  gehalten,  sondern  den  Pragern, 
wenn  irgend  möglich,  die  Hand  gereicht.  Auf  Seite  der  Prager 
war  der  Priester  Johann,  einst  Prämonstratensermönch  zu 
Selau.  nunmehr  Pfarrer  bei  Maria-Schnee  in  der  Neustadt,  ein 
Mann  von  maassgebendem  Einfluss,  stets  zu  einer  Verständi- 
gung mit  den  Taboriten  geneigt.  So  bildeten  Zizka  und  Prie- 
ster Johann  eine  Mittelpartei,  weichein  den  Jahren  1420  bis 
1  122  das  Heft  in  der  Hand  hatte.  Nachdem  Priester  J o  h  a  n  n  von 
der  aristokratischen  Partei  in  Prag  am  9.  März  1422  hinterlistig 
ums  Leben  gebracht  worden  war,  löste  sich  sofort  das  Bündniss, 
welches  zwischen  der  Prager  und  Taboritenpartei  bestanden  hatte. 

Die  Zeit  der  Hussitenkriege  1420  —  143L  theilt  sich  in  zwei 
Perioden.   Während  der  ersten  sieben  Jahre  begnügten  sich  die 


1    Palackv,  Geschichte  von  Böhmen,  III,  2.  1S4.  42S. 


476 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


Hussiten  damit,  die  drei  Kreuzzüge,  welche  von  1420  an  gegen 
sie  unternommen  wurden,  zurückzuschlagen.  Vom  Jahre  1427 
an  ergriffen  sie  die  Offensive  und  trugen  den  Krieg  in  die  Länder 
ihrer  Feinde.  Diese  Kriege,  defensiv  und  offensiv,  hatten  von 
Seiten  der  Hussiten  immer  einen  doppelten  Zweck  zugleich,  einen 
religiösen  und  einen  politischen:  der  Religionskrieg  sollte,  wie 
ein  Duell,  die  religiöse  Ehre  Böhmens  retten,  den  Vorwurf  der 
Ketzerei  abwehren,  zugleich  aber  auch  das  politische  Interesse 
der  Tschechen  oder  der  slawischen  Rasse  gegenüber  den  Deutschen 
und  Ungarn  wahren.  Beides  ist  ausgesprochen  in  dem  Schreiben, 
welches  die  Prager  nach  der  Niederlage  König  Sigismunde  am 
Wyschehrad,  am  5.  November  1420  an  alle  Böhmen  in  tschechi- 
scher Sprache  erliessen.  Sie  erheben  darin  laute  Klage  wider 
Sigismund  und  fordern  ihre  Landsleute  auf,  sich  ihnen  anzu- 
schließen und  nicht  mehr  dem  König  beizustehen,  der  ein  Feind 
des  Landes  sei,  dasselbe  nur  verleumde  und  vernichten  wolle. 
Da  sagen  sie  unter  anderem :  »Daher,  lieben  Freunde,  ermahnen 
wir  euch  aus  Liebe  und  Mitgefühl,  dass  ihr  über  euch  selbst  und 
die  euch  stammverwandte  Nation  euch  erbarmen,  und  mit  uns 
dahin  arbeiten  möget,  dass  Gottes  Gesetz  in  allen  heilsamen 
Wahrheiten,  die  aus  der  heil.  Schrift  zu  beweisen  sind,  Frei- 
heit erlange,  ohne  die  Unterdrückung,  auf  welche  der  König 
mit  seinen  Helfershelfern  sinnt,  indem  er  uns  von  unserer  Selig- 
keit abbringen,  zu  seinem  in  Constanz  verkündigten  ketzerischen 
Glauben  bringen  und  zur  Verdammniss  führen  will.  Wenn  ihr 
trotz  alle  dem  es  mit  ihm  halten  wolltet,  —  so  müssten  wir  glau- 
ben, dass  es  auch  euch  um  die  Vertilgung  der  böhmischen 
Nation  zu  thun  sei,  und  müssten  uns  mit  Gottes  Hülfe  gegen 
euch  so  verwahren  wie  gegen  die  olfenbaren  Feinde  Gottes 
und  unserer  Nation1).«  Wie  in  dieser  öffentlichen  Urkunde 
Itcide  Zwecke,  der  religiöse  und  der  politisch  nationale,  verbun- 
den erscheinen,  so  war  in  der  Persönlichkeit  Zizkas  Beides 
untrennbar  eins.  »Gottes  Gesetz«  war  sein  Schlachtruf,  er  betrach- 
tete sich  als  Rächer  für  Gottes  Gesetz:  aber  er  griff  zu  den  Waf- 


1)  Das  Schreiben  in  der  Chronik  von  BlUSEOWA,  bei  Hofier  a.  a.  (). 
I,  425  folg.    Vgl.  Palackv,  Geschichte  von  Böhmen  III.  2.  I7.*>  folg. 


Die  Hussitenkriege. 


477 


fen.  wie  er  in  einem  Kriegsreglement  vom  Jahre  1 423  sagt, 
»nicht  blos  für  die  Befreiung  der  Wahrheit  des  Gesetzes  Gottes, 
sondern  insbesondere  auch  für  die  Befreiung  der  böhmischen  und 
slawischen  Nation  lj .« 

Im  Jahr  1427  erkannte  die  hussitische  Partei,  dass  man  durch 
noch  so  zahlreiche  und  entscheidende  Siege  in  der  Heimath  nicht 
zu  dem  Ziele  gelange,  Rom  zu  Concessionen  zu  drängen,  dass  man 
vielmehr  den  Krieg  über  die  Grenzen  Böhmens  hinaustragen 
müsse,  um  die  katholische  Christenheit  zu  Unterhandlungen  und 
zu  einem  Ausgleich  zu  bewegen.  Diese  Wendung  gab  der  hussi- 
tischen  Sache  der  taboritische  Feldherr,  Priester  Prokop  der 
Grosse.  Nun  machten  die  Parteien  der  Taboriten  und  der 
»Waisen«,  welche  jetzt  wieder  die  Hegemonie  in  der  hussitischen 
Bevölkerung  hatten,  Einfälle  in  die  rings  um  Böhmen  gelegenen 
deutschen  Länder,  und  zwar  so.  dass  die  Hussitenzüge  zuerst  nach 
Süd  and  Ost,  nach  Oestreich.  Schlesien  und  der  Lausitz  1427  . 
dann  nach  Ungarn  und  Schlesien,  Oestreich  und  Bayern  142b  . 
ferner  1429 — 30  abermals  in  die  Lausitz,  nach  Sachsen  und  nach 
Franken,  endlich  aufs  neue  nach  Schlesien  und  Ungarn  gingen 
und  allenthalben  Schrecken  verbreiteten.  Sie  kehrten  jedoch  von 
den  wiederholten  Einfällen  in  Feindesland  jedesmal  wieder  ruhig 
nach  der  Heimath  zurück.  Man  erkannte  deutlich  genug,  dass  es 
den  Hussitcn  nicht  um  Eroberung  und  Oberherrschaft  zu  thun  sei. 
sondern  blos  um  Religionsfreiheit  für  sich.  Und  je  vollständiger 
alle  die  Versuche,  sie  in  ihrer  Heimath  zu  überwältigen,  geschei- 
tert waren,  desto  mehr  sahen  sich  die  Gegner  darauf  angewiesen, 
einen  gütlichen  Ausgleich  zu  suchen2).  Im  Jahre  1429  schritt 
man  römischer  Seits  zum  ersten  Mal  zu  Unterhandlungen,  die  zu 
Pressburg  an  Sigismunde  Hofe  theils  im  April,  theils  im  Juni  statt 
fanden.  In  der  Zwischenzeit  hatte  ein  Landtag  zu  Prag  Ende 
Mai  theils  über  einen  Waffenstillstand,  theils  über  Anerkennung 
des  bevorstelienden  Concils  als  Schiedsgericht  verhandelt.  Was 
das  Concil  betrifft,  so  erklärten  sich  Ritter.  Städte  und  Gemein- 
den ,  »die  Gottes  Gesetze  anhingen« .  nach  dem  Gutachten  ihrer 

1  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen  III,  2.  361  folg. 

2  a.  a.  O.  IV,  1.  432.  472. 


47S 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


Magister  und  Priester  bereit  dasselbe  zu  beschicken,  unter  zwei 
Bedingungen :  l .  wenn  auf  dem  allgemeinen  Concil  auch  Grie- 
chen find  Armenier  erschienen,  die  das  Sakrament  unter  bei- 
derlei Gestalt  empfingen:  2.  wenn  man  auf  dem  Concil  sich  nach 
»Gottes  Gesetz«,  nicht  aber  nach  dem  Willen  des  Papstes  richten 
wolle,  und  wenn  nicht  der  Papst,  sondern  die  ganze  Christenheit 
daselbst  die  Macht  haben  werde,  das  Urtheil  zu  sprechen  1  .  Al- 
lein der  erste  Versuch,  eine  Verständigung  anzubahnen,  inislang: 
er  schien  nur  zeigen  zu  sollen,  wie  weit  noch  die  Kluft  und  wie 
entfernt  das  Ziel  sei.  Inzwischen  machten  die  Taboriten  neue 
Kriegszüge,  erst  nach  Schlesien  und  in  die  Lausitz,  sodann  nach 
Sachsen.  Thüringen  und  Franken.  Nachdem  aber  auch  der  letzte 
Versuch  eines  Kreuzzuges  gegen  die  Böhmen,  unter  Cardinal  Ju- 
lian Cesarini,  in  der  Schlacht  bei  Taus,  am  14.  August  1431 
schmachvoll  gescheitert  war.  trat  die  bedeutsamste  Wendung  in 
den  Stimmungen  ein.  Derselbe  Mann,  welcher  an  der  Spitze  des 
letzten  Kreuzzuges  gestanden  war.  Cardinal  Cesarini.  erkannte 
jetzt,  dass  nicht  in  der  Gewalt,  sondern  nur  in  der  Güte  und  Ver- 
söhnung das  Heil  zu  finden  sein  werde,  und  er  hat  diese  Ueber- 
zeugung  als  Präsident  des  Basler  Concils  mannhaft  und  thatkräi- 
tig  bethätigt. 

Das  Concil  erliess  unter  dem  H)  15.  Oktober  1431  eine 
förmliche  Einladung  an  die  Böhmen  in  einem  überaus  vorsichtig 
abgefassten  Schreiben,  um  nicht  mit  einem  Worte  die  Gefühle 
der  Hussiten  zu  verletzen.  Diese  verstanden  sich  aber  zur  Absen- 
dung  von  Bevollmächtigten  nach  Basel  erst,  nachdem  bei  den  Vor- 
verhandlungen in  Eger  mit  Abgeordneten  des  Concils,  im  Mai  1432. 
die  Bedingungen,  welche  sie  selbst  gestellt,  in  der  Hauptsache 
angenommen  worden  waren.  Der  entscheidendste  unter  diesen 
Punkten  war  der  7te.  nämlich  dass  auf  dem  Concil  in  der  Streit- 
frage »Gottes  Gesetz«  und  der  Vorgang  Christi,  der  Apostel  und 
der  ursprünglichen  Kirche,  sammt  den  Concilien  und  den  auf  jene 
sich  wirklich  stützenden  Kirchenlehrern  als  unparteiische  und 
unfehlbare  Richtschnur  dienen  solle*2  .    Ein  Grundsatz,  dessen 

I    Pai.acky,  a.  a.  ü.  47:>  folg..  bes.  177  folg. 
•1   ix.  a.  ü.  III.  46. 


Das  Basler  ConciJ  und  die  Hussiten. 


479 


Sehneide  freilich  durch  Erwähnung  der  Coneitien  und  der  Kir- 
chenväter sofort  wieder  abgestumpft  ist.  Nachdem  das  Concil 
selbst  die  Vereinbarungen  von  Eger  am  2u.  Juni  bestätigt  und 
die  geforderte  Sicherheit  bewilligt  hatte,  auch  zwei  Abgeordnete 
aus  Böhmen  zur  Recognoscirung  und  Vorbereitung  in  Basel  ge- 
wesen waren,  trat  die  Gesandtschaft  der  Hussiten  ihre  Heise  nach 
Basel  an .  sieben  Mitglieder  vom  Adel  und  Bürgerstand,  unter 
denen  Wilhelm  Kostka  von  Postupitz  der  hervorragendste  war. 
und  acht  Theologen.  Unter  den  letzteren  waren  die  namhaftesten 
Prokop  der  Grosse.  Johann  Rokyzana.  der  Engländer  Peter 
Payne,  der  schon  bisher  bei  den  Colloquien  in  Pressburg  und 
Krakau  eine  Hauptperson  gewesen,  undNiklas  Pilgram.  Bischof 
der  Taboriten  und  Chronist. 

Es  war  eine  in  der  Kirche  unerhörte  Begebenheit,  dass  ein 
allgemeines  Concil  sich  in  Unterhandlungen  mit  einem  ganzen 
Volke,  das  für  Kirchenreform  aufgetreten  war,  einliess,  die  Ab- 
geordneten desselben  wie  die  Gesandten  einer  gleichstehenden 
Macht  aufnahm  und  ihnen  das  freie  Wort  gab.  Dieses  welthisto- 
rische Ereigniss  lieh  dem  Reformgedanken  ein  Ansehen  und  gab 
ihm  eine  Ehre,  welche  unwillkürlich  tiefer  einwirkte  als  alles, 
was  bisher  für  kirchliche  Reform  gedacht,  gesprochen,  geklagt 
und  verhandelt  worden  war.  Schon  die  Reise  der  Gesandtschaft 
durch  die  deutschen  Gaue,  wo  sie  mit  Wohlwollen  und  Ehre  be- 
grübst wurden,  noch  mehr  die  öffentlichen  Verhandlungen  in  Basel 
selbst,  so  wie  der  Privatverkehr  der  Hussiten  mit  vielen  hervor- 
ragenden Mitgliedern  des  Concils  waren  von  nachhaltiger  Bedeu- 
tung. Vom  10.  Januar  1433  an  währten  die  Verhandlungen, 
welche  sich  um  die  bekannten  vier  Prager  Artikel  drehten,  von 
der  freien  Predigt  des  Wortes  Gottes .  der  Gommunion  unter  bei- 
derlei Gestalt,  der  weltlichen  Herrschaft  des  Klerus,  und  der  Sit- 
tenzucht 1  .  Die  hussitischen  Theologen  theilten  sich  in  die  Ar- 
beit, der  eine  nahm  diesen,  der  andere  jenen  Artikel  zu  seinem 
Thema.  Und  manches  kühne  schneidende  Wort  wurde  inmitten 
der  Versammlung  ungesehen!  ausgesprochen,  so  dass  die  Väter 
des  Concils  nicht  selten  murrten  und  knirschten,  z.  B.  als  Peter 


1)  s.  oben  S.  460  folg. 


ISO 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


Payne  aus  Anlass  des  Artikels  von  der  weltlichen  Herrschaft 
der  Geistlichen  eine  warme  Lobrede  für  Hus  und  Wiclif  ein- 
flocht. Es  kam  hie  und  da  zu  höchst  derben  und  heftigen  Aus- 
fallen der  Böhmen  und  zu  stürmischen  Scenen :  aber  sie  stützten 
sich  immer  auf  die  unzweideutigen  Vereinbarungen  von  Eger. 

Zu  einem  Ausgleich  gelangte  man  in  Basel  selbst  nicht.  Die 
Hoffnung  der  Hussiten ,  ihre  Lehre  werde  wenigstens  theihveise 
den  Beifall  des  Concils  finden,  so  dass  die  Kirche  im  Grossen  und 
Ganzen  sich  in  ihrem  Sinne  reformire.  fand  keine  Erfüllung.  Sie 
mussten  sich  das  bald  genug  selbst  sagen.  Und  die  Väter  des  Concils 
fanden  ihrerseits,  dass  keine  Aussicht  dazu  sei,  die  Böhmen  ganz 
zum  römischen  Wesen  zu  bekehren.  Man  sah.  dass  man  sich  zu 
wesentlichen  Concessionen  verstehen  müsse.  Aber  zu  bestimmten 
Abmachungen  waren  die  hussitischen  Abgeordneten  nicht  bevoll- 
mächtigt. Daher  wurde  verabredet,  dass  das  Concil  den  Böhmen, 
wenn  sie  zurückreisten ,  seinerseits  eine  Gesandtschaft  mitgeben 
solle,  um  in  Böhmen  selbst  die  Unterhandlungen  fortzusetzen. 
Bei  der  feierlichen  Verabschiedung  am  13.  April  1433  hielt  Pro- 
kop der  Grosse  noch  eine  Bede  voll  Freimüthigkeit .  worin  er 
die  Väter  des  Concils  aufforderte,  alle  erst  in  neuerer  Zeit  einge- 
führten sündlichen  Gebräuche  abzustellen  und  die  Kirche  zu  ihrer 
ursprünglichen  Einfachheit  und  Reinheit  zurückzuführen  :  sie  soll- 
ten weder  der  freien  Verkündigung  des  Wortes  Gottes,  noch  der 
Communion  unter  beiderlei  Gestalt  entgegentreten;  sie  möchten 
doch  aufhören.  Andersdenkende  zu  verdammen  und  zu  verfolgen, 
z.  B.  die  Waldenser,  die  doch  geordnete  und  ehrliche  Leute  seien: 
sie  sollten  dafür  sorgen,  dass  man  nicht  über  der  Menge  kirch- 
licher Verordnungen  Gottes  Gesetz  vergesse  Marc.  7.  8.) ;  nur 
allein  Gottes  Gesetz,  als  höchste  Kegel  und  Richtschnur  anerkannt, 
vermöge  der  Kirche  zu  der  erwünschten  Ruhe  und  Wohlfahrt  zu 
verhelfen  1  .  Wir  hören  demnach  in  diesem  wichtigen  Momente 
nicht  nur  acht  reformatorische  Gedanken  aussprechen,  sondern 
finden  darin  auch  mehrere  Wahrheiten,  welche  von  Wiclif  her- 
stammen, ein  halbes  .Jahrhundert  nach  seinem  Tode,  inmitten  eiues 


I    PALACRT,  Geschichte  von  Böhmen  III,  '5.  1<»2  i'olg. 


Die  ersten  Compactaten  H'i'i. 


4SI 


ökumenischen  Coneils  geltend  gemacht,  welches  die  gesammte 
abendländische  Christenheit  vertritt. 

Am  14.  April  reisten  die  hussitischen  Gesandten  nebst  zehn 
Legaten  des  Coneils  von  Basel  ab.  Unter  den  letzteren  befanden 
sich  zwei  Bischöfe,  mehrere  Prälaten  und  theologische  Schrift- 
steller: der  beliebteste  bei  den  Böhmen  war  Bruder  Johann  von 
Geilhausen  aus  dem  Kloster  Maulbronn.  Am  S.  Mai  kamen 
sie.  freudig  empfangen,  in  Prag  an.  Die  Abgeordneten  des  Con- 
eils verhandelten  mit  dem  böhmischen  Landtag  und  mit  einzelnen 
Mitgliedern  des  hussitischen  Adels .  brachten  aber  auch  noch 
nichts  zu  Stande.  Erst  nachdem  eine  zweite  Gesandtschaft  von 
Böhmen  nach  Basel  gekommen  und  eine  zweite  Gesandtschaft  des 
Coneils  nach  Böhmen  abgeordnet  worden,  gelang  es.  den  Aus- 
gleich mit  dem  böhmischen  Landtage  abzuschliessen :  Sonnabend 
den  3u.  November  1433  wurden  die  ersten  Compactaten  ge- 
schlossen. Sie  bestehen  darin,  dass  1.  die  Communion  unter 
beiderlei  Gestalt  allen,  die  sie  begehren,  gespendet  wer- 
den dürfe,  während  die  Concessionen  in  Betreff  2.  der  Sitten- 
zucht. 3.  der  freien  Verkündigung  des  Wortes  Gottes.  4.  der  welt- 
lichen Herrschaft  des  Klerus,  durch  kluge  Klauseln  so  gut  wie 
illusorisch  gemacht  sind. 

Mit  diesem  Ausgleich  waren  natürlich  nur  die  gemässigtsten 
und  conservativsten  unter  den  Pragern.  Pribram  und  seine  Par- 
tei, zufrieden  gestellt.  Um  so  weniger  befriedigten  sie  einen 
liokyzana.  geschweige  die  Waisen  und  Taboriten.  Die  Span- 
nimg zwischen  den  Schattirungen  der  hussitischen  Gesaumitpartei 
wurde  wieder  stärker,  bald  brach  der  Bürgerkrieg  aufs  neue  los. 
Und  in  der  grossen  Hussitensehlacht  bei  Böhmisch-Brod  und  Lipan. 
am  30.  Mai  1434.  wurden  die  Taboriten  und  Waisen  von  der  dem 
Ausgleich  günstigen  Adelspartei  entscheidend  geschlagen.  Beide 
Prokope,  der  Grosse  und  der  Kleine,  und  eine  grosse  Zahl  von 
Priestern  fielen  in  der  Schlacht.  Von  da  au  war  die  geistige  und 
politische  Macht  der  Taboriten  gebrochen.  Die  Partei  der  »Wai- 
sen« löste  sich  1434  ganz  auf:  die  meisten  derselben,  z.  B.  Peter 
Payne.  traten  den  Taboriten  bei.  andere  vereinigten  sich  mit 
Johann  Kokyzana.  Was  die  Differenz  zwischen  den  Pragern 
und  den  Taboriten  anlangt,  so  übertrugen  beide  Parteien  1434 

Lechleh,  Wifilif.  II.  31 


4S2 


Buch  III.    Kap.  6.  L 


dem  Magister  Peter  Payne  das  schiedsrichterliche  Urtheil.  Die- 
ser fällte  aber  sein  Urtheil  erst  2  Jahre  später,  1436,  und  zwar  in 
der  Eichtling,  dass  er  1.  für  Beibehaltung  der  7  Sakramente,  je- 
doch ohne  alle  Simonie,  2.  für  Anrufung  der  Heiligen,  3.  das  Fege- 
feuer und  4.  für  den  Gebrauch  des  Priesterornats  bei  der  Messe  sich 
aussprach.  Er  thut  dies  bei  allen  diesen  Punkten  in  der  Weise, 
dass  er  sich  auf  die  Erklärungen  von  Wiclif,  beziehungsweise 
von  Hus,  beruft1).  Allerdings  lag  das  schon  in  dem  Auftrag, 
der  ihm  als  dem  Schiedsrichter  ertheilt  war :  er  sollte  in  Gemäss- 
heit  der  Vereinbarungen  von  Eger  und  nach  den  Schriften  des 
Magister  Johann  Hus  wie  des  Johann  Wiclif  sein  Urtheil  fäl- 
len2). Immerhin  kann  dieses  Urtheil  in  sachlicher  Hinsicht  den 
Druck  der  Zeit  nicht  verleugnen.  Es  sagt  sich  von  ächt  taboriti- 
schen  und  —  ächt  wiclifitischen  Gedanken  los.  Die  Opposition 
gegen  die  Lehre  von  der  Wandlung,  welche  die  Taboriten  von 
Wiclif  überkommen  hatten,  war  schon  vor  dem  Compromiss 
fallen  gelassen. 

Allein  den  Taboritenpriestern  schien  das  denn  doch  eine  gar 
zu  weit  gehende  Nachgiebigkeit  zu  sein.  Sie  unterwarfen  sich  dem 
Schiedssprüche  nur  b  e  d  i  n  g  t  e  r  W  e  i  s  e ,  und  begründeten  ihre  Be- 
rechtigung dazu  durch  den  Umstand,  dass  Magister  Peter  Payne 
dem  Auftrag,  der  ihm  ertheilt  worden  war,  nicht  gerecht  geworden 
sei.  Sie  erklärten  sich  1.  in  Betreff  der  Sakramente  dahin,  dass  die 
7  Sakramente  nur  so  weit  beizubehalten  seien,  als  sie  in  ihrer 
Wesenheit  und  Reinheit  von  Christo  eingesetzt  seien.  2.  Die  Ver- 
wahrung in  Betreff  der  Anrufung  der  Heiligen  ist  schwach  und  bildet 
keineswegs  einen  Damm  gegen  das,  was  sie  abwehren  will.  Desto 
klarer  ist  3.  die  Erklärung  gegen  das  Fegefeuer,  indem  sie  nur  das 
Feuer  des  jüngsten  Gerichts  anerkennen ;  dieses  reinige  die  Seelen 
der  Gläubigen  vollends  von  allen  Befleckungen,  die  etwa  durch's 
Feuer  der  Trübsal  in  diesem  Leben  noch  nicht  abgethan  worden 
seien.  Eben  so  unumwunden  erklären  sie  sich  4.  über  den  Priester- 
Ornat:  »Kaiserliche  Priester,  welche  zur  Zeit  Constantin's  des  Grossen 

1)  Taboritenchronik  von  Pilgram.  bei  Höfler,  Geschichtschreiber 
der  hussitischen  Bewegung  II,  "05  folg.  Vgl.  Palacky  ,  Geschichte  von 
Böhmen  III,  3.  1S1  folg.  vgl.  175  folg. 

2)  Pilgrams  Taboritenchronik  a.  a.  O.  704. 


Erklärung  der  Taboriten.  483 

kaiserlichen  Schmuck  von  ihm  bekommen  haben,  dürfen  densel- 
ben bei  der  Messe  und  sonst  immerhin  anlegen :  hiugegen  Priester 
Christi  dürfen  dem  Kaiser  wiedergeben,  was  des  Kaisers  ist,  und 
dem  Vorgange  der  Apostel  folgen 1  .  Da  fühlt  man  doch  noch 
etwas  von  wiclititischem  Geist,  zumal  in  dem  Gegensatz  zwischen 
saeerdotes  caesarei  und  sacerdotes  Christi  u.  s.  w.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit stellt  der  taboritische  Chronist,  welcher  ja  selbst  Bischof 
der  Taboriten  war,  die  Lehren  der  «Prager  Magister«  und  der 
»Taboritischen  Priester«  in  23  Punkten  je  parallel  zusammen  und 
sagt  von  seiner  Partei :  »Wir  glauben  und  halten  dafür,  wie  wir 
auch  vordem  immer  geglaubt  und  dafür  gehalten  haben«  u.  dgl., 
80  dass  deutlich  zu  erkennen  ist.  er  will  nicht  blos  die  in  früheren 
besseren  Jahren  geltende  Taboritenlehre  geben,  sondern  die  auch 
nach  den  entscheidenden  Schlägen,  welche  die  Taboriten  als  poli- 
tische Partei  getroffen  hatten,  im  Zeitalter  der  Reaction  noch  fest- 
gehaltene Lehre  darstellen'2  .  Es  ergiebt  sich  daraus,  dass  die 
Taboriten  auch  jetzt  noch  die  Schriftwahrheit  und  sie  allein  für 
die  unbedingt  maassgebende  Richtschnur  erkannten,  während  die 
Prager  neben  der  Schrift  die  Kirche  des  Alterthums  als  Auktorität 
hinstellten3]  •  In  der  Lehre  vom  Abendmahl  und  den  Sakramen- 
ten überhaupt  Artikel  1—9  ist  noch  der  kritische  Geist  Wiclif's 
zu  spüren,  insbesondere  dessen  Opposition  gegen  die  Lehre  von 
der  Wandlung,  indem  als  taboritischer  Satz  nach  wie  vor  aufge- 
stellt wird :  Das  Brod  ist  und  bleibt  wahres  Brod,  mit  ihm  ist  aber 
in  der  Communion  anf  sakramentliche  und  reale  Weise  Christi  Leib 
verbunden,  der  für  uns  gegeben  ward ;  und  ebenso  verhält  es  sich 
mit  dem  Kelche 4  .  Ferner  wird  die  Pflicht  einer  Anrufung  der  Hei- 
ligen, die  römische  Lehre  vom  Fegefeuer  verneint,  die  Menge  von 
Heiligenfesten,  als  welche  der  Ehre  Christi  und  der  alleinigen 
Feier  seines  Gedächtnisses  zu  nahe  trete,  ohne  Rückhalt  misbil- 
ligt 5  .  Manche  der  Artikel  beziehen  sich  allerdings  nur  auf  ritu- 
elle Fragen  und  Gegenstände  der  Kirchenordnung. 


1)  Pilgram  s  Taboritenchronik,  bei  Höf ler  II.  TOT  folg. 

2]  a.  a.  O.  TU— T24. 

3,  Artikel  10,  a.  a.  O.  T16. 

4  Artikel  1,  a.  a.  O.  T12. 

5  Artikel  13.  14,  a.  a.  O.  TIS  folg.,  Art.  IT.  T20.    In  letzterer  Be- 

31* 


484 


Buch  III.   Kap.  6.  I. 


Inzwischen  war  der  Ausgleich  von  1433  zwischen  dem  Basler 
Concil  und  den  Hussiten.  genannt  die  » C  o  in  p  a  c  t  a  t  e  n « .  auf  dem 
Landtage  zu  Iglau  (5r.  Juli  1436  feierlich  bestätigt  und  mit  Ge- 
setzeskraft versehen  worden.  Die  Aussöhnung  mit  Rom  und  der  Ge- 
sammtkirche  des  Abendlandes  war  vollendete  Thatsache.  während 
den  Böhmen  die  Communion  unter  beiderlei  Gestalt  zugestanden 
und  garantirt  war.  Zugleich  wurde .  unter  gewissen  sichernden 
Bedingungen,  Sigismund  als  König  von  Böhmen  anerkannt,  so 
dass  er  jetzt  erst,  anstatt  17  Jahre  früher  (denn  sein  Bruder  Wen- 
zel war  1419  gestorben  ,  seines  Erbrechts  über  Böhmen  froh  wurde : 
das  hatte  er  sich  selbst  und  seiner  einstmaligen  Wortbrüchigkeit 
gegen  Hus  zuzuschreiben.  So  lange  Sigismund  regierte  (1436 
und  1437),  ergriff  er  nur  Maassregeln  der  Reaktion,  suchte  alles 
rückgängig  zu  machen,  was  in  den  letzten  Jahren  vereinbart  wor- 
den war,  beseitigte  hussitisch  gesinnte  Männer  aus  Staatsämtern 
und  ergriff  gegen  Rokyzana,  das  Haupt  der  Prager  Hussiten. 
welcher  schon  1435  in  Gemässheit  der  Compactaten  zum  Erz- 
bischof  von  Prag  gewählt  und  von  ihm  selbst  bestätigt  war.  solche 
Maassregeln ,  dass  dieser  sich  genöthigt  sah .  Prag  zu  verlassen 
(17.  Juni  1437).  Kurz  Sigismund  brachte  es  durch  gleiche  Wort- 
brüchigkeit, wie  einst  in  Constanz.  dahin,  dass.  als  er  am  9.  De- 
cernber  1437  starb,  schon  wieder  die  ärgste  Gährung  herrschte 
Sein  Nachfolger.  König  Albrecht,  starb  ehe  noch  zwei  Jahre  voll 
waren.  Und  unter  dem  ISjährigen  Interregnum,  das  nun  folgte, 
sind  die  Taboriten,  wie  1434  als  politische  Partei,  so  nun  auch 
als  Religionspartei  vollends  erloschen.  Im  Anfang  der  vierziger 
Jahre  hatte  man  noch  Verhandlungen  mit  ihnen  theils  angeboten 
(1441).  theils  wirklich  gepflogen  (1442  folg.'  1  :  insbesondere  fand 
im  Juli  1443  in  der  Pfarrkirche  zu  Kuttenberg  das  letzte  Reli- 
gionsgespräch  zwischen  Utraquisten  und  Taboritenpriestern  statt, 
unter  dem  Vorsitz  eines  Magisters  Wenzel  von  Drachow  von 
utraquistischer  Seite  und  des  englischen  Magisters  Peter  Payne 
von  taburitischer  Seite.  Auch  Niklas  Pilgram  .  der  »Taboriten- 

ziehung  ist  sogar  wörtlich  ein  Satz  Wiclifs,  s.  oben  B.  II,  Kap.  7.  X. 
ohne  ihn  selbst  zu  nennen ,  -wiederholt :  Videtur  —  catholicitm  dieere,  tot 
8anctorum  noritates   instituere,  IViclif    6880  tcmcrarium  etc. 

1)  Taboritenchronik  von  Pilgram.  bei  Hofler  II.  721  folg 


Erlöschen  der  Taboritenpartei. 


485 


bischof«,  was  seit  geraumer  Zeit  nur  noch  ein  Titel  war,  so  wie 
Wenzel  Koran  da  wohnten  dem  Colloquium  bei.  während  Magi- 
ster Rokyzana  und  Johann  von  Prior  am  die  namhaftesten 
.Sprecher  von  utraquistischer  Seite  waren.  Die  Verhandlungen 
galten  in  der  Hauptsache  der  Abendmahlslehre,  und  die  Taboriten 
blieben  auch  da  noch  bei  der  i  Wiclif  sehen)  Lehre  stehen ,  dass 
im  Abendmahl  Christi  Leib  sakramental  und  geistig  wirksam  und 
wahrhaft  gegenwärtig  sei,  aber  nicht  substantiell l) ,  was  die  Geg- 
ner, wie  ehemals,  für  eine  »pikardische«  Irrlehre  erklärten.  Ein 
Nachspiel  dieses  Religionsgesprächs  fand  auf  dem  Landtag  in 
Prag  im  Januar  1444  statt,  wo  schliesslich  die  Lehre  Rokyza- 
na s  und  der  übrigen  Prager  Magister  sanktionirt  und  die  der 
Taboriten  als  Irrlehre  verworfen  wurde 2) .  Von  da  an  traten  viele 
einzelne  Glieder  und  ganze  Gemeinden  der  taboritischen  Partei  zu 
den  Utraquisten  über,  und  das  um  so  mehr,  als  man  keine  Gewalt 
gegen  sie  anwandte.  Die  Taboriten  als  Religionspartei  verloren 
sich  um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  allmählich.  Sie  pflanzten 
sich  geistig  nur  in  den  »Brüdern  des  Gesetzes  Christi«  (der  Brü- 
derunität;  fort.  Und  mit  dieser  Zeit  nach  1444)  schliesst  auch 
die  Taboritenchronik  Pilgram's. 

Die  hussitische  Bewegung,  welche  auf  wiclifitischer  Basis 
ruhte,  hat  an  den  benachbarten  deutschen  Landen  unmöglich 
spurlos  vorüber  gehen  können.  Sie  hat  allerdings  vielfach  Anti- 
pathie erregt.  So  schon  in  Prag  1409,  als  sie  im  Bunde  mit 
tschechischen  Nationalitätsbestrebungen  den  Rechten  der  Deut- 
schen innerhalb  der  Universität  zu  nahe  trat,  und  den  Abzug  der 
deutschen  Magister  und  Studenten  von  Prag  veranlasste.  Das  war 
aber  alles  vergessen,  als  Hus  1414  zum  Concil  nach  Constanz 
reiste:  da  fand  er,  wie  wir  wissen,  weitaus  an  den  meisten  Orten 
eine  ihn  selbst  überraschende  Aufmerksamkeit  und  so  viel  Theil- 
nahme,  dass  sein  Vorurtheil,  als  ob  die  Deutschen  durchweg  seine 
Feinde  seien,  verging,  wie  der  Nebel  vor  der  Sonne.  Als  einige 
Jahre  nach  Hussens  Tode  die  Hussitenkriege  angingen  und  das 


r  Taboritenchronik.  a.  a.  O.  II,  74(3  folg.  Vgl.  Palacky,  Geschichte 
vjn  Böhmen  IV,  1.  9;i  folg. 

2)  Palacky,  a.  a.  O.  104  folg. 


486 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


eine  böhmische  Volk  einen  Kreuzzug  um  den  andern,  zu  dem  sich 
die  Gesammtkraft  Mitteleuropa^  verbündet  hatte,  siegreich  zu- 
rückschlug-, da  wuchsen  an  vielen  Orten  die  Sympathien  für  die 
hussitische  Sache.  Und  nur  als  die  Böhmen  seit  1427  die  Offen- 
sive ergriffen  und  den  Krieg  in  die  Nachbarländer  trugen,  fuhr 
ein  Schrecken  in  die  Gemüther,  so  dass  Furcht  und  Hass  gegen- 
über den  Hussiten  überhand  nahmen.  Dessen  ungeachtet  hat  ihr 
Eifer  für  «Gottes  Gesetz«  und  ihre  Thatkraft  für  Reform  des 
kirchlichen  Wesens,  in  dem  Zeitalter  der  grossen  Concilien .  wo 
alles  von  Reform  der  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern  sprach, 
und  doch  kaum  etwas  dafür  geschah,  tiefe  unverwischliche 
Eindrücke  im  deutschen  Volke  gemacht. 

Hussitische  Lehren  fand  man  im  XV.  Jahrhundert  an  den 
verschiedensten  Orten  in  Deutschland :  in  Schwaben  und  Franken, 
in  Bayern  und  Preussen. 

Ein  sächsischer  Edelmann,  Johann  Drandorf  'Drändorf  . 
auch  von  Schlieben  genannt,  hatte  sich  in  Prag  zum  Priester 
weihen  lassen.  Er  kam  nach  Weinsberg,  zu  einer  Zeit,  wo  der 
Bann  über  die  Stadt  vom  Bischof  zu  Würzburg  verhängt  war. 
und  forderte  die  Bürgerschaft  auf,  dem  Banne  zu  trotzen.  Um 
deswillen,  und  weil  er  zum  Genüsse  des  Abendmahls  unter  bei- 
derlei Gestalt  ermunterte,  wurde  er  in  dem  nahen  Heilbronn  ver- 
haftet, in  Heidelberg  vor  ein  Inquisitionsgericht  gestellt  und  als 
Ketzer  zum  Feuertode  verurtheilt,  den  er  zu  Worms  am  3.  Febr. 
1425  erlitt 1  .  Die  utraquistische  Lehre,  ferner  das  Schriftprinzip, 
zu  dem  er  sich  bekannt  hat.  und  eine  Anzahl  sonstiger  Punkte 
beweisen .  dass  er  hussitisch  gesinnt  war ,  während  die  Gering- 
schätzung des  Banns  vortrefflich  damit  stimmt.  —  Ein  Jahr  dar- 
auf starl)  gleichfalls  auf  dem  Scheiterhaufen  Peter  Turn  au  zu 
Speier. 

Um  die  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  verbreitete  ein  gewisser 
Johann  Müller  im  Fränkischen,  in  den  Städten  Windsheim  und 
Neustadt  an  der  Aisch,  in  Onolzbach  und  Rottenburg  an  der  Tau- 

1)  Kapp,  Nachlese  von  Urkunden  zur  Reformationsgeschichte  1730. 
III,  3  folg.,  bes.  13  folg.  :>»i  folg.  Kapp  gibt  das  ganze  Protokoll  des 
Inquisitionsprocesses,  der  mit  Drandorf  vorgenommen  wurde,  vgl.  Stalin, 
AVürttemb.  Geschichte  III,  42b.  Anm.  3. 


Verbreitung  hussitischer  Ansichten  in  Deutschland. 


4S7 


her  hussitische  Grundsätze :  er  hielt  im  Stillen  Conventikel  und 
fand  Anhang  bei  dem  gemeinen  Mann.  Als  Verfolgung  drohte,  ent- 
floh der  Meister,  aber  1 30  seiner  Anhänger  wurden  verhaftet,  nach 
Würzburg  geführt  und  dort  zum  Widerrufe  genöthigt 1  .  In  Bam- 
berg und  in  Regensburg  hielt  es  der  Rath  für  nothwendig .  allen 
Mannspersonen  über  12  Jahren  einen  Eid  gegen  die  hussitisehen 
Meinungen  abzunehmen2^.  Den  Schwaben  wirft  Papst  Eugen  IV. 
vor.  dass  sie  hussitisehen  Irrlehren  geneigt  seien :  das  ist  allerdings 
nicht  näher  bescheinigt,  aber  es  müssen  doch  Berichte  von  dort 
aus  in  Rom  vorgelegen  haben,  welche  jene  Thatsache  bezeugten. 

Um  das  Jahr  145S  starb  Friedrich  Reiser,  genannt  Tunauer. 
d.  h.  Donauer,  weil  er  zu  Deutach  an  der  Donau  geboren  war,  in 
Strassburg  auf  dem  Scheiterhaufen.  Er  hatte  anfänglich  einer 
frommen  Gemeinschaft  in  Strassburg,  vermuthlich  den  »Winke- 
lern« angehört.  Nun  gerieth  er  während  der  Hussitenkriege  ein- 
mal in  böhmische  Gefangenschaft,  lernte  die  hussitische  Lehre 
kennen,  bekehrte  sich  zu  derselben,  und  Hess  sich  zum  Priester 
weihen.  In  die  deutsche  Heimath  zurückgekehrt,  verkündigte  er 
hussitische  Grundsätze  in  geheimen  Versammlungen  zu  Würz- 
burg. Heilbronn,  Pforzheim,  Basel  und  Strassburg.  Insbesondere 
wird  erwähnt,  dass  er  von  der  Schenkung  des  Kaisers  Constanrin 
übel  redete.  Allein  in  Strassburg  wurde  sein  heimliches  Treiben 
durch  Dominikaner  entdeckt;  er  wurde  verhaftet,  im  Jahr  1457 
verhört,  und  das  Jahr  darauf  wirklich  verbrannt.  Viele  seiner 
Anhänger.  Männer  und  Frauen,  auch  eine  bejahrte  Handelsfrau, 
die  seine  Gönnerin  gewesen  war,  Anna  Weiler,  traf  die  gleiche 
Strafe,  während  andere  nur  des  Landes  verwiesen  wurden3). 

In  Bayern  machte  sich  der  Böklerbund  hussitischer  An- 
sichten verdächtig.  Und  in  Preussen  fand  der  Hochmeister 
für  nöthig,  die  Magistrate  mehrerer  Städte,  namentlich  der  Stadt 
Thorn.  auf  das  um  sich  greifende  Uebel  der  hussitisehen  Irrlehre 


1  Lorenz  Friess,  Historie  der  Bischöfe  zu  Würzburg  in  der  Samm- 
lung von  Ludewig,  Geschichtschreiber  des  Bischofthums  Wirzburg  1713. 
S.  S52  folg. 

2  Heinrich  Zschokke,  bayrische  Geschichte  n,  320. 

3)  Vgl.  UlXMANN,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  2.  Auflage  1S66. 
I,  311  folg. 


4S8 


Buch  III.    Kap.  6.  I. 


aufmerksam  zu  machen:  sie  möchten  darob  wachen,  dass  die  Irr- 
lehre sich  nicht  von  fremden  Landen  her  auch  in  Preussen  ein- 
schleiche 1  ! 

Es  lag  sehr  nahe ,  dass  dort  die  hussitischen  Gedanken  von 
Polen  aus  Eingang  fanden.  Ist  es  doch  eine  bemerkenswerthe 
Thatsache,  dass  in  der  hussitischen  Angelegenheit  von  frühe  an 
nicht  nur  das  Nationalgefühl  der  Tschechen,  sondern  auch  die 
slawische  Stammverwandtschaft  in  weiterem  Kreise  sich  erkenn- 
bar machte.  Schon  in  Constanz  haben  einige  Barone  aus  Polen 
in  Gemeinschaft  mit  den  adligen  Freunden  und  Gönnern  Hussens 
aus  Böhmen,  sich  für  Hus  beim  Concil  verwendet 2  .  Und  während 
der  Hussitenkriege  fand  die  hussitische  Sache  bei  Vielen  vom  pol- 
nischen Adel  lebhaften  und  unverhohlenen  Anklang,  zum  Theil 
gerade  bei  den  angesehensten  und  einflussreichsten  Männern 3  . 

Im  Jahr  1476  stand  in  dem  jetzt  badischen,  damals  bischöf- 
lich Würzburgischen  Dorfe  N  i  k  1  a  s  h  a  u  s  e  n  an  der  Tauber  ein 
Jüngling  aus  dem  Volke  auf,  welcher  als  Bauerknecht  bisher  Vieh 
gehütet,  aber  auch  als  Musikant  Geld  verdient  hatte.  Johann 
Beheim  oder  der  Böhme.  Er  fing  an  zu  predigen,  die  heilige 
Jungfrau  sei  ihm  auf  dem  Felde  bei  seiner  Heerde  erschienen 
und  habe  ihm  georYenbart,  es  sei  eine  Zeit  der  Heimsuchung,  wo 
Gottes  Zorn  der  Menschheit  drohe,  zumal  der  Priesterschaft.  Die 
geistliche  und  weltliche  Herrschaft  sei  verdorben :  die  weltlichen 
Herren  seien  Dränger  des  Volks,  sie  dürften  nicht  mehr  haben  als 
der  gemeine  Mann:  die  Fische  im  Wasser,  das  Wild  auf  dem  Felde 
sollten  Allen  gemein  sein,  Zölle,  Frohndienste,  Steuern  müssten 
aufhören.  Aber  auch  die  Zehnten  müssten  fallen,  mit  dem  Papst 
sei  es  nichts,  die  Geistlichen  seien  in  Geiz,  Hochmuth  und  Wohl- 
leben versunken,  sie  haben  zu  viele  Pfründen,  sie  sollten  nie  mehr 
denn  eine  haben.  Bessern  sie  sich  nicht  bald,  so  werden  sie  er- 
schlagen werden.  Den  Bann  achtete  er  für  nichts;  und  ein  Fege- 
feuer, sagte  er,  gebe  es  nicht. 

Als  die  Leute  zu  den  Predigten  des  Hirten  nicht  blos  aus  der 


Ii  Johann  Voigt,  Geschichte  Preussens  VII.  1*36.  S.  374  folg. 

.!   K  oben  Buch  III.  Kap.  3.  V.  S.  2(>4. 

:t   Palacky.  Geschichte  von  Böhmen  III,  3.  336  folg. 


Die  Relormconcilien. 


4b9 


Naehliarscliat't,  sondern  bald  auch  aus  entfernten  Gauen  von  *>üd- 
und  Mitteldeutschland  sehaarenweise  herzuströmteo  und  die 
schwärmerische  Aufregung  immer  höher  stieg,  schritt  die  Obrig- 
keit ein.  Der  Bischof  Rudolph  von  Würzburg  schickte  Reiter.  Hess 
den  Volksprediger  abführen  und  zuletzt  verbrennen  1  . 

Unter  obigen  Sätzen  sind  einige,  die  taboritischen  Ursprungs 
zu  sein  scheinen.  Ohnehin  stammte  der  Hirtenjüngling  wahr- 
scheinlich aus  Böhmen:  ein  Nürnberger  Chronist  Kreuzer  be- 
merkt: Ich  halt*  davor,  er  habe  es  von  der  Hussen  Jün- 
ger einem  empfangen  und  gelernet.« 

So  treten  uns  auf  deutschem  Boden  von  den  zwanziger  Jahren 
an  bald  da  bald  dort  Erscheinungen  entgegen,  welche  von  Sym- 
pathien mit  dem  Hussitismus  und  von  der  Aneignung  hussitischer 
Grundsätze  Zeugniss  geben. 

II. 

Aber  auch  abgesehen  von  der  hussitischen  Bewegung  und 
dem  Wellenschlag,  der  von  ihr  aus  durch  verschiedene  Gaue  ging, 
wirkten  Kräfte  genug  seit  dem  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts  auf 
Anbahnung  der  Reformation  hin. 

Vor  allem  die  Reformconcilien  in  der  ersten  Hälfte  des 
XV.  Jahrhunderts.  Die  drei  Concilien  zu  Pisa  1409,  zu  Constanz 
1414  folg.  und  zu  Basel  hatten  sämmtlich  ein  gedoppeltes  Ziel: 
Wiederherstellung  der  Kircheneinheit  des  Abendlandes  und  Re- 
form an  Haupt  und  Gliedern.  Das  erste  Concil  erreichte  weder 
das  eine  noch  das  andere  Ziel.  Das  zweite,  zu  Constanz,  ver- 
wirklichte endlich  die  Einheit  des  Papstthums  und  der  abend- 
ländischen Kirche ;  aber  vom  andern  Ziele  blieb  man  so  weit  ent- 
fernt wie  jemals.  Es  bewendete  in  dieser  Beziehung  beim  Streben 
und  bei  frommen  Wünschen.  Und  was  Papst  Martin  V.  durch 
Verhandlungen  mit  den  einzelnen  Nationen  ordnete,  war  sehr 
sächlicher  Art  und  rettete  nur  den  Schein  der  Reform.  Um  so 
mehr  hofften  alle  Wohlgesinnten,  als  endlich  ein  Concil  nach 
Basel  ausgeschrieben  war  (1424),  dass  dies  dritte  Concil  endlich 


1)  ÜLLMANN,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  I,  350  folg. 


490 


Buch  III.    Kap.  6.  IL 


die  Reform  der  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern  zu  Stand  und  We- 
sen bringen  würde.  Nur  machte  es  einen  sehr  üblen  Eindruck, 
dass  das  Concil  erst  in  sieben  Jahren  zusammentreten  sollte,  dass 
also  die  Reform  auf  so  lange  vertagt  war.  Ein  englischer  Prälat 
sprach  am  27.  November  1425  in  einer  Rede  vor  Martin  V.  und 
den  Cardinälen  unverhohlen  aus,  »wenn  nicht  baldige  Abhülfe 
erfolge,  so  werde  die  von  der  Kirche  versäumte  Reform  von  den 
weltlichen  Mächten  vorgenommen  werden  Als  das  Concil  (am 
25.  Juni  1431)  in  Basel  wirklich  eröffnet  worden  war,  in  der  ersten 
Sitzung  (14.  December)  Reform  cler-Kirche  an  Haupt  und  Gliedern 
für  seinen  Hauptzweck  erklärte,  und  allen  Versuchen  Papst 
Eugen's  IV.  es  aufzulösen  oder  wenigstens  zu  vertagen,  entschlos- 
sen widerstand  und  sich  mannhaft  behauptete,  da  erwachten  freu- 
dige Hoffnungen.  Man  sah  eine  bessere  Zeit  aufdämmern.  Die 
nach  Reform  hungernde  und  dürstende  Christenheit  sah  die  Er- 
füllung ihrer  theuersten  Wünsche  nahen.  Viele  zog  es  nach  Basel, 
ohne  dass  sie  von  Berufes  wegen  beim  Concil  sein  mussten.  Uni- 
versitäten sprachen  in  eigenen  Schreiben  ihre  Zustimmung  aus. 
Die  öffentliche  Meinung  fühlte  sich  gehoben  und  befriedigt. 

Als  aber  das  Concil  mit  der  Reform  Ernst  machte  und  am 
Haupte  begann,  die  Annaten  und  dergleichen  päpstliche  Einnah- 
men verbot,  da  hörte  beim  Papst  die  Gemüthlichkeit  auf.  Es 
kam  zum  Bruch  zwischen  Papst  und  Concil.  Eugen  IV.  stellte 
dem  Concil  zu  Basel  ein  Gegenconcil  zu  Ferrara  entgegen.  Das 
Concil  antwortete  mit  Suspension  des  Papstes  (24.  Januar  1438); 
darauf  folgte  die  Erklärung,  dass  er  abgesetzt  sei  (7.  Juli  1439); 
endlich  stellte  das  Concil  dem  Papst  Eugen  IV.  einen  Gegenpapst, 
Felix  V.  entgegen.  Nun  war  das  Schisma  wieder  da,  und  zwar 
durch  das  Reformconcil  selbst  geschaffen.  Dadurch  hat  das  Con- 
cil neue  Freunde  nicht  gewonnen,  wohl  aber  alte  verloren.  Die 
Staaten  schwankten  zwischen  den  beiden  Päpsten.  Deutschland 
erklärte  sich  neutral,  und  ging  hernach  zu  Eugen  IV.  über.  Die 
Hoffnungen,  welche  man  auf  das  Concil  von  Basel  gesetzt  hatte, 
waren  gesunken.  Das  Vertrauen  und  die  Sympathien  waren  da- 


1)  v.  Wessenbeug,  Die  grossen  Kirchenversammlungen  des  XV.  und 
XVI.  Jahrhunderts.  1S40.  II,  277.  283. 


Kirchliche  Reaction  seit  1450. 


491 


hin1  .  Als  das  Concil  in  nächtlicher  Sitzung  am  25.  Juni  144S 
die  Verlegung  nach  Lausanne  in  Wahrheit  die  Auflosung)  be- 
schloß, war  seine  sittliche  Kraft  und  seine  Macht  in  der  Christen- 
heit längst  gebrochen. 

So  war  auch  das  dritte  Concil  zu  Ende,  ohne  dass  die  Reform 
der  Kirche  erzielt  war.  Viel  Gutes  war  in  Basel  zu  diesem  Behufe 
beschlossen  worden,  aber  man  hatte  das  Werk  nicht  in  grossem 
Stil  und  nicht  prinzipiell  genug  angefasst.  Dieses  Scheitern  dreier 
Ooncilien  nach  einander,  welche  doch  die  leuchtendsten  Zierden 
der  Kirche,  die  edelsten  Charaktere  in  sich  schlössen,  war  eine 
Thatsache  von  der  schmerzlichsten  Bedeutung.  Und  dies  um  so 
mehr,  als  die  Päpste  von  da  an  in  der  ganzen  zweiten  Hälfte  des 
XV.  Jahrhunderts  consequent  und  nur  zu  erfolgreich  darauf  be- 
dacht waren ,  die  Reformdekrete  des  Basler  Concils .  überhaupt 
alle  dem  päpstlichen  Absolutismus  entgegentretende  Beschlüsse 
der  Reformconcilien.  zu  entkräften  und  zu  vereiteln.  Zu  diesem 
Zwecke  war  jedes  Mittel  erwünscht ;  was  nicht  auf  offenen  Wegen 
zu  erzielen  war,  suchte  man  durch  Ränke  und  auf  Schleichwegen 
zu  erreichen.  Und  bald  war  man  damit  so  weit  gekommen,  dass 
Pius  IL,  der  einst  als  Aeneas  Sylvins  Piccolomini  in  Basel  ein 
Haupt  der  Reformpartei  und  einer  von  den  einflussreichsten  Män- 
nern des  Concils  gewesen  war.  sich  schon  1460  nicht  entblödete, 
die  Appellation  des  Herzogs  Sigismund  von  Tirol  vom  Papst  an 
ein  künftiges  allgemeines  Concil  mit  dem  übermüthigsten  Hohn 
und  Spott  zu  behandeln,  weil  sie  an  ein  »Unding«  gerichtet  sei2  . 
Ist  es  doch  eine  Thatsache  der  Geschichte,  dass  in  jenem  Zeitalter 
der  rücksichtslosesten  kirchlichen  Reaktion,  in  der  zweiten  Hälfte 
des  XV.  Jahrhunderts,  der  schrankenloseste  Absolutismus  des 
Papstthums  und  seiner  Machtfülle  wiederhergestellt  worden  ist, 
dass  aber  auch  neben  einigen  persönlich  achtungswertheren  Män- 
nern wie  Nicolaus  V.  und  Pius  IL,  in  dieser  Zeit  Personen  wie 
Paul  IL,  Sixtus  IV..  InnocenzVIII.  und  Alexander  VI.  den  päpst- 
lichen Stuhl  bestiegen  haben,  welche  durch  freche  Gewissen- 
losigkeit, durch  Nepotismus  und  Simonie,  aber  auch  durch  die 


1,  Vgl.  Brockhaus,  Gregor  von  Heimburg.  1861.  33  folg. 

2)  v.  Wessenberg.  Die  grossen  Kirchenversamrnlungen  II/  533. 


492 


Buch  III.    Kap.  ü.  II. 


schaniloseste  Unzucht  und  Päderastie,  nebenbei  durch  unerhörte 
Grausamkeit,  der  Christenheit  das  schreiendste  Aergerniss  ge- 
geben haben. 

Kein  Wunder,  dass  das  schliessliche  Scheitern  der  ernstesten 
Reforrnbestrebungen.  zu  denen  das  ganze  Abendland  sich  die  Hand 
gereicht  hatte,  verbunden  mit  der  immer  klarer  sich  herausstel- 
lenden Gewissheit,  dass  aus  übel  ärger  geworden  sei.  viele 
Gemüther  in  einen  bewussten  Pessimismus  und  in  Verzweiflung 
stürzte 1  .  Es  fehlte  schon  als  das  Basler  Concil  seinem  trübseligen 
Ende  entgegen  ging,  nicht  an  Männern,  welche  der  Ueberzeugung 
waren,  ohne  Reform  eile  die  Kirche  ihrem  Verfall,  ihrer  Auf- 
lösung entgegen ;  und  die  Reform  noch  von  der  römischen  Kurie  zu 
erwarten  sei  Thorheit,  denn  diese  sei  ja  gerade  der  Urquell  kirch- 
lichen Verderbens.  Als  vollends  diese  Besorgnisse  im  Laufe  der 
Jahre  nur  zu  sehr  in  Erfüllung  gingen,  klagten  fromme  Gemüther 
über  das  völlig  hoffnungslose  Versinken  der  Kirche  und  den  Ver- 
fall des  Glaubens.  Leichtfertige  Geister  hatten 's  ihren  Spott.  Nach- 
dem die  Päpste  Martin  V.,  Eugen  IV.,  Xicolaus  V.  und  Pius  II. 
glücklich  erreicht  hatten,  dass  die  Concilien  zu  Schanden  gewor- 
den waren,  so  brachten  es  ihr'e  Nachfolger  dahin,  dass  vor  Rom 
selbst  und  dem  päpstlichen  Stuhle  alle  Ehrfurcht  schwand.  Und 
wie  Viele  waren  es,  in  denen  mit  der  Achtung  vor  den  Institutionen 
auch  aller  Christenglaube  und  Gottesfurcht  abhanden  kam!  Damit 
war  dann  freilich  auch  alle  die  sittliche  Kraft  geschwunden, 
welche  zu  einer  Reform  und  "W  iedergeburt  der  Christenheit  uner- 
lässlich  ist. 

Trotz  alle  dem  steht  es  aber  dennoch  fest,  dass  die  Concilien 
von  Constanz  und  Basel  Frucht  getragen  haben  für  die  Refor- 
mation. 

Einmal  sind  ihre  Grundgedanken  auch  durch  die 
schlimmste  Zeit  der  Reaktion  hindurch  gerettet  worden  und  keim- 
kräftige Samenkörner  für  die  Zukunft  geblieben. 


1  Es  war  nur  eine  Nachwirkung  jenes  schon  seit  dem  Scheitern  der  Ke- 
iormconcilien  vielfach  verbreiteten  Pessimismus,  als  im  Jahre  1517  ein  redlicher 
deutscher  Gelehrter,  Albert  Krantz  in  Hamburg,  erklärte:  »Eine  gründliche 
Besserung  der  Kirche  ist  derzeit  ebenso  nothwendig  als  unmöglich.'« 


Gregor  von  Heimburg 


493 


Unerschrockene  Patrioten,  mannhafte  Charaktere  boten  ent- 
weder angesehen*  Trotz  oder  bewahrten  wenigstens  die  conciliären 
Grundgedanken  furchtlos  und  treu.  Unter  den  ersteren  ragt  her- 
vor der  ehrenwerthe  Patriot  Gregor  von  He  im  bürg.  Dieser 
trutzige  Kämpfet1  gegen  die  Uebefgriffe  der  Hierarchie  war  zu  der 
besten  Zeit  des  Concils  mit  in  Basel  gewesen,  und  blieb  den  Ge- 
sinnungen, die  er  damals  bethätigt  hatte,  auch  unter  ganz  verän- 
derten Verhältnissen  bis  zu  seinem  Tode  f  1 472  unwandelbar  ge- 
treu. Insbesondere  ist  der  Grundsatz  von  Constanz  und  Basel, 
dass  ein  ökumenisches  Concil  über  dem  Papste  stehe .  der  Ge- 
danke seines  Lebens  geblieben.  Mit  welcher  Kühnheit  hat  er 
dies  1461  in  der  Appellation  auf  ein  Breve  Pius  II.  gegen  Her- 
zog Sigismund  von  Tirol  öffentlich  ausgesprochen!  Um  zu  be- 
weisen, dass  man  auch  an  ein  Concil  appelliren  könne,  welches 
noch  nicht  zusammenberufen  ist.  sagt  er  z.  B. :  »Die  Gewalt  der 
Kirche  ist  unsterblich,  wie  die  Kirche  selbst,  die  zwar  jetzt  zer- 
streut ist.  aber  einmal  versammelt  werden  kann:  und  dies  ist 
gerade  jetzt  hochnüthig.  —  Indem  der  Papst  das  Concil  verbietet, 
thut  er  nichts  anderes,  als  dass  er  uns  zürnt,  weil  wir  sein  ge- 
waltthätiges  Regiment  nicht  unterstützen,  und  die  durch  unsern 
und  unserer  Vorfahren  Schweiss  und  Blut  errungenen  Mittel  zur 
Befriedigung  seiner  Gelüste  verweigern.  Es  ist  das  Regiment 
eines  Herrn  über  Sklaven,  was  der  Papst  über  uns  ausüben  will.« 
—  Nachher  appellirt  Gregor  von  dem  erzürnten  Papste  an  den  be- 
sänftigten, an  den  rechtlich  gesinnten  u.  s.  w..  und  fährt  sodann 
fort :  »Verachtet  der  Papst  das  alles .  was  bleibt  mir  dann  noch 
übrig,  als  an  die  allgemeine  Kirche  mich  zu  wenden '?  Der  Papst 
möge  mir  nicht  einhalten,  dass  die  Kirche  nicht  versammelt  sei, 
denn  er  hat  das  nur  durch  seine  eigenen  Ränke  bis  jetzt  ge- 
hindert l) .« 

Andere  waren  zwar  nicht  dazu  geartet,  so  offensiv  und  trotzig 
den  Standpunkt  der  grossen  Concilien  nach  wie  vor  geltend  zu 
machen,  hielten  aber  dessen  ungeachtet  an  den  Grundsätzen  der- 
selben fest.  Es  gab  doch  genug  Leute .  die  es  nicht  schreckte, 
dass  Pius  H.  durch  die  Bulfe  » ExecraUtis «  vom  IS.  Januar 


1  Bei  Goldast,  Monarchia  II,  1592  folg. 


494 


Buch  III.    Kap.  6.  II. 


1460  jede  Appellation  vom  Papste  an  ein  allgemeines  Concil 
für  einen  früher  unerhörten  und  verdammlichen  Misbrauch  er- 
klärte. Kein  Mensch  war  im  Stande,  das  Andenken  an  die  Con- 
cilien  von  Constanz  und  Basel  in  frommen  Gemüthern  wieder  aus- 
zulöschen. Diese  beiden  Concilien  leuchteten  lange  noch,  nach- 
dem sie  zu  Ende  waren,  wie  im  Sommer  die  Sonne  noch  geraume 
Zeit,  nachdem  sie  untergegangen,  den  Abendhimmel  erleuchtet. 
Jeder  ernste  Gedanke  einer  Kirchenreform  knüpfte  an  das  An- 
denken dessen  an,  was  in  Constanz  und  Basel  beschlossen  und 
verordnet  worden  j) .  Insbesondere  war  der  Grundsatz,  dass  ein 
allgemeines  Concil  über  dem  Papste  stehe,  trotz  aller  kurialisti- 
schen  Reaktion  nicht  auszurotten.  Und  trotz  päpstlichen  Verbotes 
wiederholten  sich  Appellationen  vom  römischen  Stuhl  an  ein  all- 
gemeines Concil  bis  zum  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  und  bis  in's 
XVI.  hinein.  So  sind  wenigstens  die  Grundgedanken  der  Reform- 
concilien  trotz  der  Erfolglosigkeit  der  letzteren,  lebendig  geblie- 
ben. Hat  doch  noch  auf  dem  Lateranconcil  von  1512  folg.  der 
Augustinergeneral  Aegidius  von  Viterbo  in  seiner  Rede  bei 
Eröffnung  der  Synode  die  Verordnung  des  Constanzer  Concils 
über  periodische  Wiederholung  allgemeiner  Kirchenversammlun- 
gen laut  gepriesen,  die  Xothwendigkeit  der  Concilien  zur  Erhal- 
tung des  Glaubens  und  guter  Ordnung  in  der  Kirche  betont,  und 
Julius  II.  zur  Reform  der  Kirche  aufgemuntert2). 

Zum  andern  hat  gerade  das  Scheitern  jener  Concilien  zum 
Nachdenken  über  Mittel  und  Wege  der  Kirchenreform  Ver- 
anlassung gegeben.  Viele  Geister  beschäftigten  sich  mit  dieser 
Frage.  Am  eingehendsten  und  merkwürdigsten  ist  diejenige  Er- 
örterung derselben,  welche  ein  Karthäusermönch  angestellt  hat. 

Es  war  ein  Jahr  nach  der  Auflösung  des  Basler  Concils,  als 
Jakob  von  Jüterbogk,  früher  Cisterzienser  in  Polen,  seit  1445 
Karthäuser  in  Erfurt,  zugleich  Lehrer  der  Theologie  an  der  dorti- 
gen Universität  (t  1465),  eine  Schrift  »Ueber  die  sieben  Zeiträume 
der  Kirche«  herausgab :}) .  Er  deutet  die  sieben  Siegel  in  der  Apo- 
ll Von  Wessexbkrg,  Die  grossen»  Kirchenversammlungen  II,  501, 
2)  RiciiEitii  Hiatoria  Conciliörum  generalium.  Cöln.  1681.  -R  Lib.  IV. 
P.  2.  S  4-7. 

:;    Ue  .Septem  statibus  ecclesiac  et  ejus  reformatione.    Reichhaltige  Aus- 


Jakob  von  Jüterbogk  über  Kirchenreform. 


495 


kalypse  auf  die  verschiedenen  Entwicklungsstadien  der  Kirche 
Und  meint,  die  Gegenwart  bilde  die  vierte  und  fünfte  Periode.  Ob 
eine  Reform  eintreten  werde,  oder  ob  es  unaufhaltsam  abwärts 
gehe  bis  zum  Erscheinen  des  Antichrists  in  der  sechsten  Periode, 
das  ist  ihm  zweifelhaft :  doch  erscheint  ihm  angesichts  der  Ver- 
derbniss  der  Zeit  das  letztere  als  wahrscheinlicher.  D  a  s  s  eine  Re- 
form hochnöthig  sei,  beweise  der  Zustand  der  ganzen  Welt.  Nur 
wie  sie  zu  verwirklichen,  das  sei  noch  nicht  erfunden.  Allgemeine 
Concilien  sind  zu  diesem  Zwecke  gehalten  worden,  und  von  diesen 
Beschlüsse  zur  Reform  gefasst.  Aber  alsbald  erhob  sich  ein  solcher 
Widerstand  geistlicher  und  weltlicher  Personen  dagegen,  dass 
wieder  alles  zu  nichte  wurde.  Da  die  Zeit  des  Gebärens  kam  — 
sagt  er  im  Hinblick  auf  Apokal.  12,  l  folg.  —  hatte  die  Kreisende 
keine  Kräfte  mehr.  Ja  die  Widersacher  wütheten  dermaassen, 
dass  sie  nicht  allein  das  heilige  Kind,  die  Reform,  zu  erwürgen 
suchten,  sondern  auch  seine  Mutter,  der  Concilien  Auktorität  und 
Zusammenberufung,  vermöge  deren  doch  allein  noch  Hoffnung 
wäre  eine  Reform  zu  bekommen. 

Nun  denkt  der  fromme  und  selbständige  Mann  auf  Grund 
der  bisherigen  Erfahrungen  darüber  nach,  auf  welchem  Wege  eine 
Reform  etwa  eintreten  könnte?  Er  meint,  wenn  eine  Reform  mög- 
lich sei,  so  werde  sie  entweder  unmittelbar  durch  Gott  oder  aber 
durch  Menschen  verwirklicht  werden ;  ein  drittes  sei  nicht  denk- 
bar. Nun  sei  es  bisher  nicht  Gottes  Art  gewesen,  ohne  mensch- 
liche Vermittlung  zu  handeln.  Soll  aber  die  Kirchenreform  durch 
Menschen  bewerkstelligt  werden,  so  müsse  man  zunächst  an  die 
Oberen  denken,  geistlich  und  weltlich,  denn  diese  besitzen  die 
Macht  und  können  mit  dieser  wirken.  In  diesem  Falle  würde  die 
Reform  durchgeführt  werden  entweder  durch  Einen  oder  durch 
Viele.  Durch  Einen  wird  es  gewiss  nicht  geschehen,  wie  hoch  er 
auch  an  Sittlichkeit,  Wissenschaft  und  Würde  stehe.  Schon  mehr 
als  einmal  sind  Einzelne  der  Art  aufgetreten,  allein  zur  Reform 
ist  es  doch  nicht  gekommen,  die  Spaltungen  haben  fortgedauert. 
Auch  nicht  durch  den  Papst  allein.  Bedarf  doch  augenscheinlich 


züge  aus  dem  Traktat  gibt  Joh.  Wolf,  Lectiones  memorabiles.  Vol.  I, 
16U0.  fol.  S54— S5T. 


496 


Buch  III.    Kap.  6.  II. 


die  päpstliche  Kurie  der  Reform  am  allermeisten.  Wenn  nun  der 
Papst  seinen  eigenen  Hof  nicht  reformiren  kann  und  will .  wie 
lässt  sich  glauben,  dass  er  die  weit  ausgebreitete  Kirche  reformi- 
ren werde  ?  Die  Kirche  kann  nicht  gebessert  werden,  so  lauge  die 
Wunden  an  ihrem  Haupte  nicht  geheilt  sind.  Wie  schwer  dies 
aber  halte,  das  zeigt  die  Gegenwart :  denn  keine  Nation  in  der 
Christenheit  stellt  der  Reform  einen  so  hartnäckigen  Widerstand 
entgegen  als  die  italienische,  aus  Ehrgeiz  und  Gewinnsucht 
Diese  Leute  zittern  schon  bei  dem  blossen  Xanien  eines  allgemei- 
nen Concils.  weil  da  Männer  zusammenkommen,  welche  unpar- 
teiisch und  ohne  Ansehen  der  Person  die  Verdorbenheit  bekäm- 
pfen. Nachdem  durch  die  »Tragödie«  des  Basler  Concils  der  Kirche 
eine  Wunde  geschlagen  worden,  deren  Heilung  noch  nicht  abzu- 
sehen ist.  gehen  manche  gelehrte  Leute  darauf  aus.  das  Ansehen 
der  allgemeinen  Concilien  zu  untergraben,  hingegen  die  Lehre 
von  der  unbedingten  Machtfülle  des  Papstes  und  seiner  Erhaben- 
heit über  die  Concilien  zu  befestigen.  Solche  Leute  handeln  in 
der  Meinung,  dem  Papste  damit  einen  Dienst  zu  erweisen :  allein 
sie  handeln  seinem  Besten  zuwider,  denn  sie  entziehen  ihm  die 
brüderliche  Zurechtweisung,  deren  er  so  gut  wie  jeder  Andere 
bedarf.  Denn  so  unsinnig  wird  wohl  niemand  sein  zu  behaup- 
ten, der  Papst  könne  nicht  sündigen :  zeigt  doch  die  Geschichte 
und  Erfahrung,,  dass  der  Papst  in  Glauben  und  Sitte  ebenso  feh- 
len kann  wie  andere  Leute.  Dem  Papste  die  Zurechtweisung  ent- 
ziehen, ist  gottlos:  es  heisst  nichts  anderes  als  ihm  die  volle 
Sicherheit  des  Sündigens  gewähren.  Dann  ist  alle  Hoffnung  auf 
Reform  abgeschnitten :  man  vertraut  sich  einem  der  Sünde  unter- 
worfenen Menschen  an.  der  sich  und  die  Kirche  auf  alle  Abwege 
des  Irrthums  bringen  kann  1  .  Wird  dieser  verderblichen  Lehre 
nicht  bald  gesteuert,  so  entspringen  daraus  die  grössten  Uebel- 
stände.  namentlich  wird  niemand  mehr,  zumal  von  der  deutschen 
Nation,  ein  Concil  besuehen  wollen:  denn  wenn  Alles  in  der  Hand 
eines  sündigen  Menschen  liegt,  so  erscheint  die  Zusammenbe- 


1,  Ist  es  nicht,  als  hätte  der  Verfasser  am  IV  Juli  l^To  geschrie- 
ben, das  Vatikanische  Concil  und  manches  Andere  in  unserer  Gegenwart 
erlebt/ 


Jakob  von  Jüterbogk  über  Kirchenreform. 


497 


rufung  Vieler  als  ganz  überflüssig* ;  die  Concilien  werden  in  Zwie- 
tracht verfallen  und  zum  Spotte  werden.  —  Wie  wagt  man  aber 
auch  zu  behaupten,  der  Papst  dürfe  nicht  durch  die  in  einem  Con- 
cil  versammelte  Kirche  zurechtgewiesen  und  sogar  abgesetzt  wer- 
den? da  ja  doch  angenommen  werden  muss,  er  handle,  wenn  er 
der  Kirche  Anstoss  gibt,  nicht  als  Papst,  sondern  als  ein  von  der 
päpstlichen  Würde  abgefallener  Uebertreter.  L  ud  wer  anders 
soll  die  Strafe  vollziehen,  als  die  Behörde,  welche  Christus  be- 
zeichnet: »sage  es  der  Kirche  tu  Auch  ist  ja  der  Papst,  darum 
weil  er  amtlich  das  Haupt  über  die  einzelnen  Glieder  ist,  nicht 
höher  als  die  Kirche:  denn  der  Papst  ist  selbst  ein  Glied  der 
Kirche,  deren  oberstes  und  wesentliches  Haupt  Christus  ist. 

Demnach  ist  der  Verfasser  der  Meinung,  die  Kirche  könne 
durch  einen  der  Sünde  unterworfenen  Menschen  nicht  reformirt 
werden,  eine  Erneuerung  der  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern  könne 
vielmehr  nur  durch  Viele,  nämlich  durch  die  auf  einem  Concil 
versammelte  Kirche  selbst,  bewirkt  werden.  Freilich  sei  die  Kirche 
dermalen  gründlich  verdorben,  und  weder  unsere  noch  die  kom- 
mende Zeit  werde  eine  rechtschaffene  Besserung  zulassen,  so  dass 
die  Welt  voraussichtlich  immer  schlimmer  werde,  bis  das  Maass 
der  Vergebungen  voll  ist  und  der  Antichrist  kommt.  Dennoch  ist 
mit  allen  Kräften  darauf  hinzuarbeiten,  dass  jenes  Dekret :  »Fre- 
quemu,  welches  die  Wiederholung  allgemeiner  Concilien  anord- 
net 1  .  nicht  in  Vergessenheit  gerathe.  Und  obwohl  Viele  wider- 
sprechen, so  gibt  es  doch  durch  Gottes  Gnade  noch  allenthalben 
ausgezeichnete  Männer,  welche  jetzt  und  in  Zukunft  von  der  Auk- 
torität  der  Concilien  nicht  abweichen  und  mit  Freuden  in  dieser 
Ueberzeugung  ihr  Leben  beschliessen  werden ,  und  welche  mit 
Gründen  kämpfen ,  denen  keine  durch  Leidenschaft  verdunkelte 
Vernunft  widerstehen  kann. 

Immerhin  will  der  denkende  Mann,  welcher  sich  ausdrücklich 
bescheidet,  prophetischen  Geist  nicht  zu  besitzen,  dies  nur  als  eine 
Meinung  ausgesprochen  haben.  Dennoch  bekennt  er  aufrichtig,  er 


1)  Das  berühmte  Dekret,  des  Constanzer  Concils,  in  der  39.  allgemeinen 
Sitzung  am  9.  Oktober  1417  verkündigt;  von  der  Hardt,  Hist.  Conc. 
Const.  IV,  1435;  vgl.  Hefele,  Conciliengeschichte  VII,  1.  321. 
Lechler,  Wiciif.  II.  32 


498 


Buch  III.    Kap.  6.  II. 


werde  von  dem  Gesagten  nicht  abgehen,  es  sei  denn,  er  werde  von 
der  Kirche,  deren  Urtheile  er  sich  gern  unterwerfe,  oder  von  einem 
Einsichtsvolleren  eines  Besseren  belehrt. 

Wie  schlägt  da  unter  der  rauhen  Karthäuserkutte  ein  warmes 
treues  Herz,  dem  eine  durchgreifende  Reform  des  kirchlichen 
Lebens  als  unumgängliches  Bedürfniss  vorschwebt,  und  das  in  der 
Klosterzelle,  aber  wohl  auch  auf  dem  Katheder  der  Universität 
Erfurt  (wo  ohnehin  ein  freierer  Geist  waltete  ,  das  Andenken  der 
grossen  Concilien  seiner  Zeit  mit  unverbrüchlicher  Pietät  pflegt 
und  festhält.  Eben  daher  kommt  es,  dass  Jakob  von  Jüter- 
bogk,  wenn  er  über  die  Mittel  und  Wege  nachdenkt,  durch 
welche  die  schlechthin  nothwendige  Reform  an  Haupt  und  Gliedern 
werde  verwirklicht  werden,  sich  nicht  anders  denken  kann,  als 
dass  die  Reform  durch  Concilien  bewerkstelligt  werden  müsse. 
Wenn  freilich  der  nachdenkende  Mann  sich  sagte,  die  Reform 
werde  nicht  durch  Einen  kommen,  so  hatte  er  darin  vollständig 
Recht:  der  Eine  werde  in  keinem  Falle  der  Papst  sein,  dem  fehle 
der  gute  Wille  dazu ;  aber  Unrecht  insofern,  als  die  Reform  doch 
zuletzt  durch  Einen  gekommen  ist,  freilich  zugleich  durch  Viele, 
nur  allerdings  nicht  durch  ein  Concil.  Aber  nicht  diese  Gedanken 
über  die  Art  und  Weise  der  Verwirklichung  waren  die  Haupt- 
sache, sondern  der  leitende  Grundgedanke,  dass  eine  Reform  der 
Gesammtkirche  schlechthin  nothwendig  sei 1  .  Allerdings  umfasstc 
die  Reform,  wie  Jakob  von  Jüterbogk  sie  dachte,  lediglich  nur  das 
kirchliche  Leben  und  dessen  Ordnungen,  aber  nicht  die  kirchliche 
Lehre :  an  eine  Entfernung  von  dieser  hat  er.  wie  es  scheint,  nicht 
gedacht2;.  Indessen  hat  die  Wahrheit,  die  er  am  Schlüsse  aus- 
sprach, dass  nicht  der  Papst,  sondern  Christus  das  wahre  Haupt 
der  Kirche  sei,  doch  eine  Tragweite,  welche  auch  dem  römischen 
Lehrsystem  eine  wesentliche  Umgestaltung  nicht  ersparen  konnte. 

Als  jener  englische  Prälat  vor  Papst  Martin  V.  im  Jahre  1  125 
darauf  hinwies :  wenn  nicht  von  Seitender  Kirche  bald  Abhülfe 
getroffen  werde,  so  würde  die  von  der  Kirche  versäumte  Reform 

1  Vgl.  Ullmanx  ,  Reformatoren  vor  der  Reformation  I.  2.  Auflage. 
200  folg. 

2  Kami-m  m'LTK.  Die  Universität  Erfurt  I,  lö  folg. 


Reformdrang  des  Bürgerthums. 


499 


von  den  weltlichen  Mächten  in  die  Hand  genommen  werden,  dachte 
er  an  die  Fürsten  und  Regierungen.  Diese  haben  allerdings 
in  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  meistens  den  Päpsten 
die  Hand  gereicht  und  durch  Concordate  mit  Rom  die  Erfolge  der 
Reformconcilien  vereitelt,  so  dass  gerade  durch  den  Bund  zwischen 
Kirchen-  und  Staatsgewalt  die  kirchliche  Reaktion  befördert 
wurde.  Und  auch  im  XVI.  Jahrhundert  haben  die  Fürsten  und 
Regierungen  viel  mehr  nur  zulassend .  schirmend  und  schützend 
als  anregend  und  die  Initiative  ergreifend,  beim  Werke  der  Re- 
formation sich  betheiligt. 

Wohl  aber  nahmen  sich  die  Bevölkerungen  in  einem  je 
mehr  und  mehr  steigenden  Maasse  der  kirchlichen  Dinge  an.  und' 
zwar  in  der  Richtung  auf  Reform.  Mit  dem  Erstarken  des  Natio- 
nalgefiihls  ging  auch  ein  wachsender  Widerstand  gegen  den  Druck, 
welchen  Rom  übte,  und  gegen  die  Uebergriffe  desselben  ziemlich 
gleichen  Schritt.  Es  war  darin  eine  selbstbewusste  Reaktion  des 
germanischen  Geistes  gegen  den  romanischen,  deutscher  Frei- 
heitsliebe  gegen  Tributpflichtigkeit  an  die  Römer.  Wir  erinnern 
noch  einmal  an  Gregor  von  Heim b  u r  g.  Wie  in  ihm.  als  einem 
grossartigen  Repräsentanten,  deutscher  Patriotismus  und  Trotz 
gegen  die  Uebergriffe  Roms  vereinigt  war.  so  war  nationale  und 
antiromanistische  Gesinnung  in  vielen  Männern  auch  zweiter  und 
dritter  Grösse  verbunden. 

Während  das  Xationalgefühl  gegen  Rom  Front  machte,  kehrte 
sich  das  Bewusstsein  des  Bürgerthums  nicht  blos  in  Deutsch- 
land, sondern  in  ganz  Mitteleuropa,  gegen  den  sittlichen  Verfall 
und  die  Anmaassungen  der  heimischen  Geistlichkeit.  Den  Reigen 
führten  die  wohlhabenden ,  einflussreichen  und  nach  Bildung 
trachtenden  Bürger  bedeutender  Reichsstädte  wie  Nürnberg. 
Strassburg  und  andere.  Und  es  waren  nicht  blos  patricische  Ge- 
schlechter, sondern  auch  Familien  aus  den  Zünften,  welche  mit 
dem  Antheil  an  dem  Regimente  des  städtischen  Gemeinwesens 
zugleich  ihr  Recht  an  die  Bildung  geltend  zu  machen  anfingen  und 
an  alle  Dinge,  auch  an  die  kirchlichen,  ihren  Maasstab,  den  des 
gesunden  Menschenverstandes  und  des  natürlichen  Taktes,  an- 
legten. Auf  diesem  Boden  ist  die  satirische  Literatur  erwachsen, 
z.  B.  das  »Narrenschiff«  des  Strassburger  Svndicus  Sebastian 

32* 


500 


Buch  III.    Kap.  6.  II. 


Brant.  Diesem  Volksgesckinacke  accommodirten  sich  sogar  Pre- 
diger wie  Geiler  von  Kaisersberg,  der  unter  andern  über  das 
»Narrenschiff«  Predigten  hielt. 

Ein  ferneres  Element  der  GähniDg  wurde  die  humani- 
stische Bildung,  welche  im  Schoosse  des  wohlhabenden  Bür- 
gerstandes einwurzelte.  Diese  Beweguug  der  Geister  ist  von  Ita- 
lien ausgegangen,  wo  man  für  das  klassische  Alterthum,  als  für 
die  eigene  Vorzeit,  ein  pietätsvolles  aber  durch  mittelalterliche 
Sagen  phantastisch  getrübtes  Andenken  bewahrt  hatte.  Als  die 
italienische  Nationalliteratur  in  D  a  n  t  e ,  Petrarca  und  Boccac- 
cio erwacht  war,  wurde  eben  damit  auch  das  klassische  Alter- 
thum Korns  und  Italiens  den  Geistern  näher  gerückt.  Aber  nicht 
vor  dem  Anfang  des  XV.  Jahrhunderts  fing  das  eigentliche  Stu- 
dium der  lateinischen  Literatur  an,  und  dann  erst  das  des  Grie- 
chischen. Allerdings  hatten  schon  Petrarca  und  Boccaccio 
die  Aufmerksamkeit  darauf  hingelenkt.  Aber  erst  als  der  Grieche 
Manuel  Chry  solo  ras,  der  als  Diplomat  nach  Venedig  ge- 
kommen war,  ein  Lehramt  des  Griechischen  in  Florenz  annahm 
(f  1415 1,  wurde  das  Griechischlernen  erleichtert.  Und  seit  1420 
nahm  das  klassische  Studium  einen  grossartigen  Aufschwung. 
Das  byzantinische  Reich  war  von  den  Osmanen  bedroht,  immer 
zahlreicher  wanderten  griechische  Gelehrte  aus,  sie  wandten  sich 
nach  Italien.  Weil  sie  aber  natürlich  eine  Vorliebe  für  das  Grie- 
chenthum pflanzten,  so  erwachte  bei  den  Italienern  eine  Art  Eifer- 
sucht, ein  patriotischer  Wetteifer  für  das  römische  Alterthum. 
Klassische  Bildung,  insbesondere  platonische  Studien  kamen  in 
die  Mode  und  wurden  Nationalangelegenheit  der  Italiener.  Am 
Anfang  des  XV.  Jahrhunderts  hatte  in  Italien  die  aristotelische 
Philosophie  die  Oberhand.  Gemistius  Pletho.  Mitglied  der 
Unionssynode  zu  Florenz  1438,  führte  die  platonische  Philosophie 
in  Italien  ein,  und  schon  1440  wurde  in  Florenz  eine  platonische 
Akademie  gegründet.  Und  bald  überstrahlten  klassisch  gebildete 
Italiener  die  Nationalgriechen. 

Wie  stellte  sich  die  humanistische  Bildung  des  XV.  Jahr- 
hunderts zum  Christenthum,  und  inwiefern  trug  sie  zur  Verbrei- 
tung der  Keformation  bei  1 

Der  italienische  Humanismus  hat  nur  ganz  ausnahms- 


Stellung  des  Humanismus  zum  Christenthum. 


50 1 


weise,  in  Lo  r  e  d  z  o  V  a  1  la ,  kirchliche  Themen  wie  die  »Schenkung 
Constantin's«  und  den  Ursprung  des  »apostolischen  Glaubens«  kri- 
tisch berührt.  Die  meisten  jener  italienischen  Humanisten  be- 
trachteten ihre  klassischen  Studien  nebst  der  platonischen  Philoso- 
phie einerseits  und  den  Kirchenglauben  andererseits  als  zwei  voll- 
kommen getrennte  Welten,  welche  keinen  Berührungspunkt  ge- 
meinsam hätten.  Man  neigte  sich  in  diesen  Kreisen  zu  einem  Kul- 
tus klassischer  Schönheit,  d.  h.  zu  einem  antikisirenden  Heiden- 
thum .  Pflegte  doch  der  geistvolle  Arzt  M  a  r  s  i  1  i  o  F  i  c  i  n  o  ~  1499 
vor  dem  Bilde  Plato's  eine  ewige  Lampe  zu  brennen.  Es  fehlte 
an  dem  Organ  für  den  Kern  des  Christenthums,  die  Kraft  Gottes, 
selig  zu  machen.  Und  weil  man  nicht  fühlte,  worauf  es  ankam, 
konnte  man  desto  ruhiger  das  herrschende  Kirchensystem,  mit  all 
seiner  Entartung,  gewähren  lassen.  Andere  huldigten  aus  Lieb- 
haberei für  das  Klassische  einer  geistreichen  Leichtfertigkeit. 
Frivolität  und  Freigeisterei.  Aber  kein  einziger  von  diesen  wurde 
von  der  Inquisition  irgend  behelligt.  Sie  Hessen  ja  die  Hierarchie 
und  den  römischen  Kultus  in  Ruhe.  Und  am  päpstlichen  Hofe 
selbst  war  unter  Leo  X.  eine  völlig  irreligiöse  Denkart  herrschend. 
So  wirkte  der  italienische  Humanismus  vielmehr  zur  äusserlichen 
Erhaltung  des  mittelalterlichen  Kirchenwesens,  als  zur  Reform  1  . 
Italien  hat  für  die  humanistische  Bildung,  als  ein  Element  zur 
Wiedergeburt  der  Christenheit,  nur  einen  Durchgangspunkt  ge- 
bildet. 

Ganz  anders  gestaltete  sich  die  Sache  diesseits  der  Alpen, 
in  Deutschland,  den  Niederlanden  und  England.  Der  deutsche 
Geist  hat  die  neu  entdeckte  Welt  klassischer  Bildung  für  das 
Reich  Gottes,  für  die  Kirche  verwerthet.  Während  es  in  Italien 
Dichter  wie  Boccaccio  und  Petrarca  waren,  die  zu  ihrer  Zeit 
das  klassische  Studium  anregten,  thaten  dies  in  Deutschland  jetzt 
die  Mitglieder  eines  frommen  Vereins.  Es  waren  lauter  Schüler  des 
frommen  Mystikers  Thomas  von  Kempen,  Zöglinge  der  »Brü- 


l]  Vgl.  Jakob  BmcKHARDT,  Die  Cultur  der  Renaissance  in  Italien. 
1S60.  173  feig.  Rvdelbach,  Hieron.  Savonarcla.  1S35.  39  folg.  Kamf- 
schulte  .  die  Universität  Erfurt  in  ihrem  Verhältnisse  zu  dem  Humanis- 
mus u.  s.  w.  I.  1S5S.  2S  folg. 


502 


Buch  III.    Kap.  6.  II. 


der  des  gemeinsamen  Lebens«,  welche  als  die  ersten  über  die  Al- 
pen gingen,  um  in  Italien  die  klassischen  Sprachen  und  die  alte 
Literatur  zu  studiren.  Aber  zurückgekehrt .  wirkten  sie  dann 
nicht  in  den  Niederlanden,  sondern  in  deutschen  Städten,  und 
gründeten  berühmte  Schulen,  worin  ächte  klassische  Bildung  im 
Verein  mit  christlicher  Frömmigkeit  gepflanzt  wurde.  In  Heidel- 
berg arbeitete  Rudolph  Agricola,  zu  Schlettstadt  im  Elsass 
Ludwig  Dringenberg,  in  Basel  und  Freiburg  Desiderius 
Erasmus,  lauter  Niederländer.  Am  blühendsten  wurde  die 
Schule  zu  Schlettstadt.  und  ansehnliche  deutsche  Städte  stellten 
mit  der  Zeit  Schüler  von  Dringenberg  als  Lehrer  an1  .  Die 
deutschen  Humanisten  waren  nicht  nur  Feinde  des  scholasti- 
schen Lateins,  sondern  auch  der  scholastischen  Theologie.  Aber 
ihre  Opposition .  welche  mit  patriotischer  Begeisterung  geführt 
wurde,  war  getragen  von  tief  religiöser  Gesinnung.  Sie  wandten 
sich  der  Bibel  in  ihren  Grundsprachen  zu:  während  Erasmus- 
das  Studium  des  griechischen  Neuen  Testaments  beförderte,  hat 
Reuchlin  die  hebräische  Bibel  erst  zugänglich  gemacht.  Da- 
durch, so  wie  durch  die  tiefere  grammatische  Bildung,  wurde  es 
ermöglicht ,  dass  mit  dem  reformatorischen  Schriftprinzip  Ernst 
gemacht,  dass  aus  der  Urquelle  selbst,  anstatt  aus  der  bereits  ge- 
trübten Yulgata.  geschöpft  wurde.  Die  Eröffnung  der  griechischen 
und  römischen  Literatur  machte  auch  die  griechischen  Kirchen- 
väter und  die  ältesten  Quellen  des  christlichen  Alterthums  zugäng- 
lich. Nun  erst  gelang  es,  die  dichten  Schleier  phantastischer  Vor- 
stellung und  sagenhafter  Verzerrung  zu  zerreissen.  durch  welche 
das  ganze  Mittelalter  entlang  auch  die  klarsten  und  freiesten  Gei- 
ster, ein  Wiclif  und  seines  Gleichen,  das  christliche  Alterthum 
angeschaut  hatten.  Der  Humanismus  erst  begründete  eine  unbe- 
fangene Kritik  und  ächte  Geschichte. 

So  wurde  die  humanistische  Bildung  ein  Hebel  der  reformato- 
rischen Arbeit,  ein  Ferment  jener  geistigen  Gährung.  aber  nicht 
die  Quelle  der  Reformation.  Es  ist  nicht  Zufall,  dass  kein  einzi- 
ger von  den  Führern  des  Humanismus  selbst  Reformator  gewor- 


1  Leopold  RAUKE,  Die  römischen  Päpste  u.  s.  w.  L  5.  Aufl.  7ö  folg. 
Ullmaxx,  Reformatoren  vor  der  Reformation  II.  3.  Auflage.  156  folg. 


Böhmen  und  Mähren  von  1450  an. 


503 


den  ist.  weder  Reuehlin  noeh  Erasmus,  weder  Hutten  noch 
Conrad  Mutian.  Die  eigentliche  Quelle  der  Reformation  ent- 
sprang nicht  im  Felde  der  Wissensehaft  und  der  Bildung,  son- 
dern im  Hochlande  des  eigentlich  religiösen  Lebens  und  des  Ge- 
wissens. 

III. 

Wir  haben  die  Geschichte  der  hussitischen  Bewegung  bis  zur 
Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  verfolgt.  Jetzt  werfen  wir  noch  einen 
Blick  auf  Böhmen  und  Mähren  in  der  zweiten  Hälfte  jenes  Jahr- 
hunderts. 

Das  Basler  Concil  hatte  durch  Gewährung  des  Laienkelchs 
die  grosse  Mehrzahl  der  Hussiten  befriedigt  und  zur  Aussöhnung 
mit  der  Kirche  gebracht.  Der  Vertrag  darüber,  die  Compactaten, 
hatte  Gesetzeskraft  erlaugt.  Damit  war  ein  gewisser  Ruhepunkt 
erreicht.  Aber  nur  verhältnissmässig.  Denn  dieser  Ausgleich  wur- 
de von  zwei  entgegengesetzten  Seiten  beanstandet.  Rom  konnte 
sich  mit  den  darin  gewährten  Concessionen  nie  befreunden,  und 
das  wieder  erstarkte  Papstthum  arbeitete,  zumal  unter  Pius  IL, 
der  doch  beim  Abschluss  des  Ausgleichs  persönlich  thätig  gewesen, 
unverdrossen  daran,  die  Compactaten  rückgängig  zu  machen.  Man 
verlangte  von  den  Böhmen  unbedingte  Unterwerfung  unter  den 
Papst  und  Lossagung  vom  Kelche.  Andererseits  gab  es  auch  auf 
hussitischer  Seite  solche ,  denen  die  Gewährung  des  Laienkelchs 
doch  nicht  als  genügend  erschien.  Eine  Zeit  lang  ging  man  in 
Böhmen  mit  dem  Plane  um,  sich  von  Rom  zu  trennen  und  eine 
Union  mit  der  griechischen  Kirche  einzugehen.  Dieser  Gedanke 
wurde  bald  durch  den  Fall  Constantinopels  1453  endgültig  ver- 
eitelt. Allein  die  Gesinnungen  derer,  welche  es  nicht  vermochten, 
ihre  ganze  hussitische  Denkart  auf  den  Laienkelch  zu  beschrän- 
ken, erhielten  bald  nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts  einen  Aus- 
druck und  einen  socialen  Halt,  der  sich  als  dauerhaft  und  zu- 
kunftsreich bewährt  hat,  in  den  »Brüdern  des  Gesetzes  Christk 
oder  der  »Böhmischen  Brüderunität«. 

Im  Jahre  1454  fing  Magister  Johann  von  Rokyzana,  da- 
mals Pfarrer  an  der  Teynkirche  in  der  Altstadt  Prag,  bei  der 
immer  zunehmenden  Reaktion  gegen  den  Hussitismus ,  an ,  wie 


504 


Buch  III.    Kap.  (5.  III. 


ehemals  Koiirad  von  Waldhausen  und  Militsch  von  Kreinsier. 
das  sittliche  Verderben  seiner  Zeitgenossen  in  Predigten  aufzu- 
decken. Er  klagte  über  den  Mangel  an  wahrer  Frömmigkeit,  zu- 
mal bei  den  Priestern :  die  Sünde  herrsche  unter  dem  Namen  des 
Gesetzes,  und  eine  Hoffnung  auf  Abhülfe  gebe  es  nicht.  Diese 
Reden  gingen  seinen  Zuhörern  zu  Herzen.  Einige  derselben  bil- 
deten einen  engeren  Kreis  in  der  Gemeinde,  der  sich  näher  an 
den  Prediger  anschloss.  Unter  diesen  zeichnete  sich  Bruder  Gre- 
gor aus,  ein  Mann  von  seltenem  Charakter,  ein  geborner  Edel- 
mann, doch  blutarm,  fromm,  demüthig  und  streng,  aber  verstän- 
dig und  beredt,  thatkräftig  und  unternehmend.  Er  suchte  tiefere 
Belehrung  bei  Rokyzana.  und  der  gab  ihm  einige  Bücher  des 
geistvollen  und  originellen  Peter  von  Cheltschitz  zu  lesen. 
Dadurch  wurde  Gregor  erst  recht  begierig  nach  vollständiger 
Unterweisung  durch  Peter  selbst:  er  suchte  ihn  auf  und  wurde 
sein  persönlicher  Schüler. 

Peter  von  Cheltschitz  Cheltschitzky  war  ein  Laie,  ein 
kleiner  Grundbesitzer  in  dem  Dorfe  Cheltschitz  bei  Wodnian  im 
Prachiner  Kreise,  vermuthlich  vom  niedern  Adel,  am  Ende  des 
XIV.  Jahrhunderts  geboren,  und  hatte  kurze  Zeit  in  Prag  studirt. 
erwarb  sich  aber  hauptsächlich  durch  Lektüre  tschechischer  Schrif- 
ten und  durch  Umgang  mit  einigen  Magistern  wie  Jakobeil  und 
Peter  Payne.  reichhaltige  Kenntnisse,  und  wurde,  bei  unge- 
wöhnlicher Begabung,  durch  eigenes  Nachsinnen  ein  höchst  origi- 
neller christlicher  Denker.  Seine  sänimtlich  tschechischen  Schrif- 
ten, von  welchen  einige  gedruckt  sind  und  unter  denen  das  »Netz 
des  Glaubens«  als  die  vorzüglichste  genannt  wird,  scheint  er  zwi- 
schen 1433  und  1443  verfasst  zu  haben,  zwischen  dem  Anfang  des 
Basler  Concils  und  dem  Fall  der  Taboritemnacht.  Er  ging  weiter 
als  die  Utraquisten.  auch  Rokyzana  selbst  mit  eingeschlossen, 
unterschied  sicli  aber  doch  auch  von  den  Taboritcn.  Den  Satz 
einiger  Taboriten,  dass  im  Abendmahl  Brod  und  Wein  blosse  Zei 
cheH  des  Leibes  und  Blutes  Christi  seien,  verwarf  er.  lehrte  viel- 
mehr, Gott  bewirke  durch  die  Consekration  des  Priesters,  dass 
sowohl  der  Leib  Christi  als  die  Gestalt  des  Brodes  zugleich  da  sei. 
Wir  finden  also  bei  Peter  wieder  die  acht  Wie  lif  sehe  An- 
schauung. Uebrigens  lag  dem  Peter  von  Cheltschitz  nicht  so- 


Ansichten  Peters  von  Cheltschitz. 


wohl  das  Dogma  und  die  Spekulation  über  die  Glaubensgeheim- 
nisse, sondern  das  achte  christliehe  Leben  und  Handeln  am  Her- 
zen. Ihm  ist.  wie  Andern  vor  ihm.  der  Wandel  Christi  der  höchste 
Reichthum,  und  Gott  über  alle  Dinge  lieben  und  den  Nächsten  wie 
sich  selbst,  das  Gesetz  aller  Gesetze ;  aber  die  Liebe  Gottes  sollte 
sich  in  eifriger  Erfüllung  aller  seiner  Gebote  in  Selbstverleug- 
nung und  Ergebung  bethätigen.  und  aus  Nächstenliebe  sollten 
wir  auch  Unrecht  dulden,  nicht  Böses  mit  Bösem  vergelten.  Mit 
äusserster  Schärfe  und  Strenge  straft  er  alles  als  antichristlich, 
dem  (apokalyptischen  »Thiere«  angehörig,  was  nur  die  Form  der 
Gottseligkeit  hat  und  nicht  deren  Wesen  und  Kraft.  Daher  ver- 
wirft er  alle  Verordnungen  der  Kirche  über  Religion  und  Gottes- 
dienst .  und  behauptet .  die  menschlichen  Gesetze  wollen  Gottes 
Gesetz  verdunkeln  und  verdrängen,  während  dieses  allein  zur 
Regelung  des  Lebens  hinreiche. 

Das  Christenthum  ist  nach  ihm  das  Reich  des  Geistes  und 
der  Freiheit,  wo  der  Mensch  von  selbst  nach  dem  Guten  strebt, 
und  kein  Zwang  und  kein  Krieg  ist.  Das  Heidenthum  entspringt 
aus  der  Leiblichkeit,  ist  voll  Unruhe  und  Bosheit  und  muss  wider 
AVillen  zur  Ordnung  gezwungen  werden.  Von  der  Sünde  und  dem 
Heidenthum  rührt  alle  weltliche  Herrschaft  und  Zwangsgewalt 
her:  Herrschaft  und  Königthum  ist  nicht  christlieh.  Das  reine 
Christenthum  bestand  nur  bis  zu  Constantin  dem  Grossen  in  der 
ursprünglichen  Kirche.  Als  dieser,  ohne  seinen  Lebenswandel  zu 
ändern,  mit  all  seiner  Herrschaft  von  Silvester  zum  Glauben  zu- 
gelassen wurde,  ist  das  Christenthum  bald  durch  und  durch  heid- 
nisch geworden.  Der  Papst  machte  den  Kaiser,  als  Heiden. 
Christi  theilhaftig,  und  der  Kaiser  machte  hinwiederum  den  Papst 
der  Welt  theilhaftig.  Seitdem  unterstützen  sich  beide  Mächte,  die 
kaiserliche  und  die  päpstliche.  Doctoren.  Magister  und  Priester, 
welche  den  weltlichen  Herrscher  wie  einen  Apostel  und  Stellver- 
treter Christi  darstellen  und  seine  Würde  gleichsam  zu  einem 
Glaubensartikel  stempeln,  sind  »Satrapen  des  Kaisers«.  Im  Zu- 
sammenhang mit  dieser  Verwerfung  der  Idee  des  Staats  verneint 
Cheltschitzky  das  Recht  zum  Kriege  und  zur  Todesstrafe 
schlechthin.  Alles  Blutvergiessen.  selbst  der  Vertheidigungskrieg. 


506 


Buch  III.   Kap.  6.  III. 


ist  Mord,  Todtschlag  und  Sünde.  Ebenso  ist  jeder  Eid  dem  Chri- 
sten untersagt ') . 

Johann  Rokyzana  stand  im  Briefwechsel  mit  Peter  von 
Cheltschitz,  besuchte  ihn  auch  persönlich  und  empfing  ihn  wie- 
derum in  Prag.  Als  aber  Gregor  und  seine  Freunde  Peter  und 
dessen  charaktervolle  Ansichten  kennen  gelernt  hatten,  entfernten 
sie  sich  allmählich  von  Rokyzana,  welcher  nicht  gewillt  war 
so  weit  als  sie  zu  gehen.  Peter  und  seine  Gesinnungsgenossen 
bildeten  einen  geschlossenen  Verein  für  sich ,  und  neigten  dazu, 
sich  von  der  katholischen  Kirche ,  welche  sie  als  gründlich  und 
hoffnungslos  verdorben  ansahen,  zu  separiren.  Man  nannte  sie 
anfangs  die  »Brüder  von  Cheltschitz«,  weil  sie  in  jenem  Dorfe  und 
in  dessen  Nachbarschaft  ihre  Wohnsitze  hatten.  Als  Georg  von 
P  o  d j  e  b  r a d  1457  König  von  Böhmen  wurde,  wirkte  Rokyzana 
bei  ihm  aus,  dass  sie  sich  auf  Podj ebr ad' s  Herrschaft  Senften- 
berg,  in  Kunwald,  an  der  Grenze  der  Grafschaft  Glatz,  ansiedeln 
durften.  Dorthin  begab  sich  Bruder  Gregor  mit  seinen  Prager 
Freunden:  aus  verschiedenen  Gauen  von  Böhmen  und  Mähren 
zogen  Edelleute  und  Geistliche,  Handwerker  und  Bauern  dorthin. 
Sie  nannten  sich  unter  einander  »Brüder«,  ohne  irgend  einen 
Standesunterschied  zu  achten.  Der  Pfarrer  von  Senftenberg, 
Michael,  trat  ihnen  bei,  diente  ihnen  als  Pfarrer  und  Seelsor- 
ger, und  wurde  nebst  Gregor  eines  der  Häupter  der  neuen  Ge- 
nossenschaft. 

Man  sah  sie  aber  von  Seiten  der  Regierung  bald  nur  für  eine 
taboritische  Sekte  an,  und  es  fehlte  nicht  an  einzelnen  feindseligen 
Maassregeln,  zu  denen  selbst  Rokyzana  gedrängt  wurde. 

Das  trieb  die  »Brüder«  weiter.  Im  Jahre  1467  versammelte 
sich,  von  Gregor  berufen,  eine  Synode  der  Brüder  aus  Böhmen 
und  Mähren  in  dem  Dorfe  Lhotka  unweit  Reichenau.  Diese  er- 
wählte neun  Männer,  die  des  Priesteramts  würdig  erschienen,  und 
Hess  (wie  Apostelgeschichte  1]  schliesslich  das  Loos  entscheiden, 
welche  drei  unter  diesen  von  Gott  zu  Priestern  bestimmt  würden. 


1)  Nach  der  urkundlichen  und  sorgfältigen  Darstellung  von  PALACKT, 
Geschichte  von  Böhmen  IV,  1.  405  folg.  Vgi  Anton  GlXDKLV,  Geschichte 
der  böhmischen  Brüder  I.  Trag  L86&.  S.  12  folg. 


Die  »Brüder«  bilden  eine  separirte  Kirchengemeinschaft. 


507 


Den  drei  durch  s  Loos  Bezeichneten  ertheilten  die  vornehmsten 
unter  den  Wählern  die  Handauflegung.  Dadurch  brachen  die 
Brüder  mit  den  Priestern  römischer  Weihe  und  zugleich  mit  der 
ganzen  römisch-katholischen  Kirche.  Ein  unbeschreiblich  kühner 
Schritt,  zu  dem  sie  durch  die  Ueberzeugung  gedrängt  wurden, 
»dass  es  mit  den  katholischen  Christen  nichts  sei;  weil  Glaube 
und  Liebe  bei  ihnen  zu  Grunde  gehen,  haben  sie  sich  von  ihnen 
ab-  und  dem  Evangelium  zugewendet  *) .« 

Es  ist  begreiflich ,  dass  man  von  diesem  entscheidenden  Akte 
an  die  »Brüder«  als  »vorwitzige  Irrgläubige«  anfeindete,  und  nun 
seinerseits  den  König  Georg  von  Podjebrad  gegen  sie  aufreizte, 
den  Klerus  und  das  utraquistische  Volk  gegen  sie  bearbeitete. 
Die  Folge  war  ein  Landtagsbeschluss  zu  Beneschau,  1468,  dass 
mit  Strafen  und  Gewalt  gegen  die  »Brüder«  eingeschritten  werden 
solle.  In  Gemässheit  dieses  Beschlusses  wurden  die  Brüder  aus 
Städten  verwiesen,  verhaftet ,  einige  zu  Tode  gefoltert ,  einer  zu 

J  Nach  den  eingehenden  und  interessanten  Mittheilungen ,  welche 
theils  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen  IV,  2.  1S60  494  folg.,  theils 
Gindely,  Geschichte  der  böhmischen  Brüder,  I,  32  folg.  aus  den,  reich- 
haltigen Quellen  geben ,  welche  in  dem  Archiv  der  Brüdergemeinde  zu 
Herrnhut  eine  Anzahl  handschriftliche  aber  meist  tschechische  Bände  füllen  : 
vorzüglich  ausgiebig  und  zuverlässig  ist  darin  Blahoslaw's  geboren  152:> 
Geschichte  der  Brüderunität.  Uebrigens  scheint  mir  die  Erzählung  GlN- 
DELY's,  nach  Maassgabe  eines  Theiles  der  Quellen,  von  der  durch  die 
Brüder  nachträglich  gesuchten  und  erlangten  Bischofsweihe  des  Pfarrers 
Michael  von  Seiten  eines  Waldenserbischofs  Stephan  (S.  36,  vgl.  Anm.  33. 
'S.  493  folg.,  kritisch  sehr  zweifelhaft  zu  sein.  Es  liegt  sachlich  ein  Wider- 
spruch darin,  das  seinerseits  die  »Brüder«  den  drei  durch' s  Loos  Auserkorenen 
die  HandauÜegung  ertheilt  haben,  welche  doch  als  richtige  Weihe  aufge- 
fasst  worden  ist.  und  dass  sie  andererseits  sich  erst  um  eine  anderweitige 
Weihe  bemüht  haben  sollen ;  ferner  widerspricht  der  notorische  Grundsatz 
der  »Brüder«,  welcher  durch  Hus  von  Wiclif  her  stammt  ,  dass  priester- 
liche und  bischöfliche  Würde  nicht  wesentlich  verschieden  seien,  der  angeb- 
lichen Erwerbung  einer  Bischofsweihe,  um  Priesterweihe  ertheilen  zu  können. 
Ueberdies  hat  es  den  Anschein,  als  sprächen  nur  spätere  Quellen  von  der  Weihe 
durch  einen  AValdenserbischof.  Zur  Entscheidung  dieser  Sache  ist  aber  voll- 
ständige Beheirschung  der  tschechischen  Sprache  und  kritische  Autopsie  der 
handschriftlichen  Quellen  erforderlich.  Der  bewährte  Forscher  Palacky 
scheint  einerseits,  Geschichte  von  Böhmen  IV,  1.  1S57  492  folg.,  jene  An- 
gabe nicht  für  historisch  zu  halten,  während  er  in  neuerer  Zeit,  a.  a.  O.  V, 
1.  (1865)  die  Nachricht  für  beglaubigt  gehen  lässt. 


50S 


Buch  III.    Kap.  6.  III. 


Kremsier  in  Mähren  verbrannt.  Die  Gemeinde  zu  Kunwald  wurde 
gesprengt.  Nun  mussten  sie  auf  Bergen  und  in  Wäldern  sieb  ver- 
sammeln :  sie  verbargen  sich  in  Schluchten  und  Höhlen  vor  ihren 
Spähern.  Daher  nannte  man  sie  tschechisch  jamnici,  »Gruben- 
heimer«.  Aller  Verfolgung  ungeachtet  erhielt  sich  die  Gemein- 
schaft vorzugsweise  im  Osten,  ferner  im  Südwesten  und  im  Nor- 
den Böhmens,  so  wie  in  einigen  Gegenden  von  Mähren.  Sie 
mögen  nach  ungefähren  Schätzungen  um  die  Wende  des  Jahr- 
hunderts 300  Gemeinden  gezählt  haben:  im  Anfange  des  XVI. 
Jahrhunderts  wurde  ihre  Gesammtzahl  auf  100,000  angegeben. 
Zu  verschiedenen  Malen  verstanden  sich  die  Prager  Utraquisten, 
welche  weit  mehr  als  die  Römisch-katholischen  die  Polemik  gegen 
die  »Brüder«  betrieben .  doch  auch  zu  friedlichen  Colloquien  mit 
ihnen.  Das  erste  dieser  Art  wurde  im  Jahre  1473  gehalten,  ein 
zweites  vom  12.  September  1478  an:  aber  beide  blieben  erfolg- 
los1). Im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts  ging  König  Wladis- 
law  II.  mit  neuen  Maassregeln  gegen  die  »Pikarden«.  d.  h.  die 
Mitglieder  der  Briulerunität  um.  Der  Inquisitor  Dr.  Heinrich 
Krämer  begann  aber  seine  Thätigkeit  damit,  dass  er  den  Häup- 
tern der  Unität  ein  Religionsgespräeh  anbot.  Dasselbe  fand  in 
einem  Kloster  zu  Olmütz  statt.  Ernstlicher  wurde  die  Sache,  als 
der  König  1503  Ausrottung  der  »Brüder«  befahl,  welche  ja  ärger 
seien  als  die  Türken,  denn  sie  glauben,  vom  Teufel  verstrickt, 
weder  an  Gott  noch  an  das  heil.  Abendmahl.  Und  bereits  wurde 
durch  Predigten  und  andere  Mittel  das  Volk  fanatisirt.  Um  den 
drohenden  Sturm  zu  beschwören,  reichten  die  Aeltesten  der  Brü- 
derunität  eine  Bittschrift  an  den  König  ein,  mit  einem  böhmisch 
und  lateinisch  abgefassten  Glaubensbekenntniss 2  .  Die  böhmi- 
schen Stünde  setzten  durch,  dass  den  Brüdern  ein  friedliches  Ge- 
hör gewährt  werden  solle;  zu  diesem  Behufe  sollte  am  Neujahrs- 
tage 1504  ein  Religionsgespräch  in  Prag  statt  finden.  Allein  die 


1  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen,  V,  1.  19%  folg.  Gindely,  a.  a.  O. 
I,  öl.  öS  folg. 

2  Dies  ist  derjenige  Traktat,  welcher  unter  dem  falschen  Titel:  JVo- 
fttoio  Jidei  fra/rwn  Waldoisium  in  Orthuini  GltATII  Fascicuhis  rmm  cx- 
pettndarutn  ac  fttgietuktrwn.  Cöln  lö.'Jö.  si  folg.  abgedruckt  worden  ist. 


Eigentümlichkeit  der  Brüderunität. 


509 


Aufregung  der  Bevölkerung  war  so  stark,  dasa  man  für  räthlich 
hielt,  die  zehn  Vertreter  der  Brüder,  welche  erschienen  waren, 
und  unter  denen  Lukas  von  Frag  der  namhafteste  war.  schleu- 
nigst aus  der  Stadt  zu  geleiten.  Der  Sturm  hatte  nur  gedroht, 
wirklich  ausgebrochen  ist  er  nicht.  Auch  das  heftige  Mandat  Wla- 
dislaw's  II.  vom  Jahre  1 507  hatte,  da  die  Stände  von  Mähren  keine 
Lust  bezeigten  es  zum  Gesetze  zu  erheben,  dort  gar  keine  Wir- 
kung ;  in  Böhmen  erlitten  die  Brüder  manche  Bedrängniss.  sie  konn- 
ten 1509—151 1  nur  heimlich  sich  zum  Gottesdienste  versammeln  ; 
doch  ging  es,  mit  einer  einzigen  Ausnahme,  nicht  ans  Leben  1  . 

Worin  besteht  die  Eigenthümlichkeit  der  Brüderunität  ?  Sie 
war  aus  dem  Hussitismus  hervorgegangen,  wie  die  utraquistische 
Kirchengemeinschaft.  Aber  während  diese  mit  Glauben,  Ritus 
und  Verfassung  in  dem  römisch-katholischen  Boden  festgewurzelt 
war,  hatten  sich  die  »Brüder«  von  demselben  abgelöst.  Die  Prager 
Utraquisten ,  Rokyzana  und  seines  Gleichen,  erkannten  als- 
Richtschnur  die  heil.  Schrift,  aber  mit  ihr  zugleich  die  Ueberliefe- 
rung  der  Kirche  und  die  xluslegung  der  Väter;  die  »Brüder«  er- 
kannten lediglich  nur  der  heil.  Schrift  maassgebendes  Ansehen  zu. 
Deshalb  nannten  sie  sich  »Brüder  des  Gesetzes  Christi«. 
Woran  sie  sich  aber  mit  Vorliebe  hielten,  das  war  die  Bergpredigt. 
Das  Ziel  ihrer  Brüderschaft  war  ein  praktisches ,  sittliches :  ein 
demüthiger,  stiller,  reiner  und  geduldiger  Tugendwandel,  und 
ein  Umgang  mit  einander  im  Geiste  der  Liebe  und  wechselseitigen 
Dienens,  sodass  die  »Brüder«,  einer  des  anderen  Last  tragend, 
Christi  Gesetz  zu  erfüllen  suchen  sollen.  Vermöge  dieser  Betonung 
frommen  Lebens .  waren  die  Brüder  überzeugt ,  dass  die  Sakra- 
mente, von  lasterhaften  Priestern  gespendet,  keine  Heilskraft 
haben.  Dass  Krieg  und  Schwertgewalt  durch  das  Gesetz  Christi 
schlechthin  verboten,  jedem  treuen  Christen  auch  jede  Uebernahme 
von  Staatsämtern  unerlaubt,  dass  selbst  der  Eidschwur  eine  Sünde 
sei,  nahmen  sie  von  Peter  von  Cheltschitz  an.  Kein  Bruder 
durfte  Beamter,  Richter  oder  Geschworner  sein,  vor  Gericht  klagen, 


1)  Gindely,  Geschichte  der  böhmischen  Brüder  I,  90  folg.,  106  folg., 
131  folg.  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen,  V,  2.  (1S67;  69  folg.  137  folg. 
220  folg. 


510 


Buch  III.   Kap.  6.  III. 


Kriegsdienste  thun  u.  s.  w.  Die  unterscheidenden  Grundzüge  der 
>  Bruder«  waren : 

1.  Betonung  des  christlichen  Wandels,  gegenüber  der  christ- 
lichen Lehre:  2.  Harmonie  und  ungetheilte  Einheit  von  Verstand 
und  Frömmigkeit:  3.  der  Grundsatz  stetiger  Verbesserung  (Re- 
form) !) . 

Es  entwickelten  sich  in  der  Genossenschaft  frühe  schon  Diffe- 
renzen der  Grundanschauung.  Im  Jahre  14S5  rechtfertigte  ein 
gewisser  Gregor  von  Wotitz,  seines  Zeichens  ein  Weber,  in 
einer  Schrift :  »Von  der  weltlichen  Macht«,  die  strengsten  ursprüng- 
lichen Grundsätze  Peter 's  von  Cheltschitz  und  Gregors.  Auf 
der  andern  Seite  bildete  sich  in  der  Unität  eine  gemässigte  Partei, 
an  deren  Spitze  Johann  Klenowsky  stand;  während  dort  das 
strenge  Trachten  nach  eigener  Gerechtigkeit  vorwaltete .  stellten 
diese  Christi  Gerechtigkeit  und  sein  Verdienst  in  den  Vordergrund. 
Dort  war  man  zu  einer  neuen  Gesetzlichkeit  geneigt,  hier  zu  evan- 
gelischem Vertrauen  auf  die  Gnade.  Dort  herrschte  Strenge,  hier 
Milde.  Einen  Mittelweg  schlug  Bruder  Prokop  von  Neuhaus  ein  : 
der  Mensch  müsse  mit  der  göttlichen  Gnade  wirken. 

Eine  Brüdersynode  zu  Brandeis  an  der  Adler ,  wo  P  r  o  k  o  p 
selbst  Vorsteher  der  Unitätsgemeinde  war,  entschied  1491  für  ein 
Compromiss :  Sollte  jemand  durch  Befehl  der  weltlichen  Macht 
zum  Richteramt,  Kriegsdienst  u.  dergl.  berufen  werden,  so  solle  er 
im  äussersten  Falle  der  Gewalt  sich  fügen ,  er  könne  auch  darin 
mit  Gottes  Hülfe  treu  zu  ihm  halten  u.  s.  w.  Dieser  Brandeiser 
Spruch  wurde  Gesetz  in  der  Unität,  wiewohl  einige  Fanatiker  wie 
Arnos  in  Wodnian  nachträglich  opponirten,  und  meinten,  nun  sei 
die  weltliche  Macht  und  damit  der  Teufel  selbst  in  die  Unität  ein- 
gedrungen. Dessen  angeachtet  wurde  auf  einer  Versammlung  zu 
Reichenau  1495  nicht  nur  der  Brandeiser  Spruch  bestätigt,  sondern 
man  erklärte  sogar  die  Schriften  des  Gründers  der  Unität  G-regot 
für  ■apokrypliisch«,  d.  h.  man  sprach  ihnen  alle  bindende  Auktori- 
tiit  neben  der  heil.  Schrift  ab.  Dieser  Beschluss  bezeichnet  einen 
wirklichen  Fortschritt,  eine  Lösung  von  beschränkt  sektirerischen 
Grundsätzen,  eine  Annäherung  zu  ächt  biblischer  Denkart  und 


1)  Pai.ackv,  Geschichte  von  Höhnien.  IV,  1.  490;  IV.  2.  495  folg. 


Innere  und  äussere  Geschichte  der  Brüderunität. 


51  l 


weitherziger  ökumenischer  Gesinnung.  Denn  man  fing-  an,  bei  den 
zur  Unität  l  ebertretenden  die  Taufe  nicht  mehr  zu  widerholen, 
leugnete  nicht  mehr  die  Heilskraft  der  Sakramente,  falls  sie  durch 
römische  oder  utraquistische  Priester  gespendet  wurden,  und  be- 
hauptete nicht  mehr ,  dass  ausserhalb  der  Unität  niemand  selig 
werden  könne. 

Begreiflich  wurden  nun  die  Fanatiker,  welche  man  »Amositer« 
oder  »die  kleinere  Partei«  nannte,  erst  recht  böse,  sie  schrien  über 
Verrath  und  Abfall  vom  alten  Glauben,  und  stifteten  Aufregung 
an.  Ein  Versuch  zur  Güte,  am  23.  Mai  1496  in  Chlumetz,  mislang 
und  steigerte  nur  den  Fanatismus  der  Altgläubigen.  Diese  traten 
aus,  aber  ihre  Isolirung  schadete  nur  ihnen  selbst,  und  nach  etwa 
45  Jahren  sind  sie  spurlos  erloschen  *) . 

Die  grössere  Partei  oder  die  Unität  in  ihrer  mit  der  Zeit  fort- 
schreitenden Gestalt,  erstarkte,  nachdem  sie  von  dem  Ballast  der 
Rückschrittspartei  sich  befreit  sah,  nach  aussen  und  innen.  Ihre 
Zahl  wuchs  jetzt  erst  recht.  Sie  bildete  ihre  Gemeindeordnung 
und  Verfassung  aus.  Auf  diese  näher  einzugehen  ist  nicht  dieses 
Orts.  Wohl  aber  ist  der  Erwähnung  werth,  wie  die  «Brüder«  von 
jeher  nicht  allein  für  jede  Förderung  in  Erkenntniss  der  Wahrheit 
einen  offenen  Sinn  hatten,  sondern  auch  mit  wahrer  Sehnsucht  nach 
allen  Seiten  sich  umschauten  und  die  Hände  ausstreckten,  ob  sie 
wohl  einer  verwandten  Gesinnung  begegnen,  ein  wirkliches  Einver- 
ständnis* entdecken  und  Stärkung  von  Geistesverwandten  erlangen 
könnten.  Schon  ihre  erste  Gemeinschaftsordnung  vom  Jahre  1467 
beschlossen  sie  nicht  ohne  zuvor  geforscht  und  allenthalben  gesucht 
zu  haben ,  ob  irgendwo  eine  ächte  christliche  Kirchenordnung  zu 
finden  wäre.  Ferner  im  Jahre  1490  wurde  eine  christliche  Recognos- 
cirungsreise  beschlossen,  um  Gemeinden  aufsusuchen,  welche  die 
apostolische  Reinheit  bewahrt  hätten,  theils  im  Morgenlande,  theils 
im  Abendlande,  besonders  in  Italien,  wo  man  auf  die  Waldenser 
ein  Auge  hatte.  Bruder  Lukas  von  Prag  und  Kaspar  aus  der 
Mark  bereisten  vom  März  1491  an  die  Türkei  und  Griechenland, 
der  Ritter  Marcs  Kokowetz  ging  zu  den  Russen,  Martin  Kabat- 


1  Gindely,  Geschichte  der  böhmischen  Brüder,  I,  62 — 76.  Palacky. 
Geschichte  von  Böhmen,  V,  1.  424 — 432. 


512 


Buch  III.    Kap.  6.  III. 


n  i  k  aus  Leitomischl  durchstreifte  von  Konstantinopel  aus  Klein- 
Asien,  Syrien  und  das  gelobte  Land,  so  wie  Aegypten.  Was  sie 
suchten,  fanden  sie  natürlich  nicht 1  .  Später  verfuhren  die  »  Brüder« 
verständiger  und  setzten  sich  erreichbare  Ziele.  Als  im  Anfang 
des  XVI.  Jahrhunderts  der  Humanismus  den  Sammelpunkt  für  alle 
nach  ächter  Geistesbildung  trachtenden  und  freieren  Geister  bil- 
dete ,  als  Erasmus  von  Rotterdam  wie  ein  Stern  erster  Grösse 
strahlte,  kam  den  »Brüdern«  zu  Ohren,  dass  derselbe  im  Brief- 
wechsel mit  einem  andern  Humanisten,  der  von  ihrer  Sekte  weg- 
werfend gesprochen,  sie  vertheidigt  habe :  da  schickten  sie  1511 
zwei  Abgeordnete  an  ihn  mit  ihrem  gedruckten  Bekenntniss  und 
der  Bitte,  dasselbe  zu  prüfen,  und  was  er  zu  tadeln  finde,  ihnen  zu 
eröffnen :  wo  nicht,  so  möge  er  sein  günstiges  Urtheil  darüber  der 
Oeffentlichkeit  übergeben.  Dieselben  Abgeordneten  besuchten  von 
Rotterdam  aus  viele  Städte  Niederdeutschlands ,  namentlich  auch 
Rostock,  wo  sie  mit  dem  Pfarrer  Nikolaus  Russ  eine  Verbindung 
anknüpften,  welche  nicht  ohne  Frucht  blieb.  Nach  Antwerpen 
zurückgekehrt,  wünschten  sie  des  Erasmus  Urtheil  zu  hören. 
Allein  der  sprach  sich  sehr  reservirt  und  vorsichtig  aus,  er  wollte 
seinen  Ruf  als  rechtgläubiger  Christ  und  sein  Ansehen  nicht  um 
ihretwillen  auf's  Spiel  setzen.  Die  Männer  verliessen  ihn  sehr  ab- 
gekühlt und  unbefriedigt  -  . 

Als  endlich  Luther  auftrat,  den  Ablass  bekämpfte  und  bald 
dem  Papste  selbst  entgegentrat,  folgte  Lukas  von  Prag,  das  Haupt 
der  Unität,  allen  seinen  Schritten  mit  lebhafter  Aufmerksamkeit: 
allein  die  Unität  war  keineswegs  geneigt,  auf  ihre  Eigenart  und 
Selbständigkeit  zu  verzichten ,  um  in  der  deutschen  Reformation 
aufzugehen.  Lukas  schickte  1 522  zwei  soeben  verfasste  Schriften, 
die  »Fragen  für  Kinder«,  eine  Art  Katechismus  in  deutscher  Spra- 
che, und  sein  Werk :  »Von  der  siegreichen  Wahrheit«  in  lateinischer 
Uebersetzung,  Luthern  zu;  Ueberbringer  war  der  spätere  Senior 
Johann  Roh,  auch  Horn  genannt.  Luther  antwortete  in  einer 
Schrift,  betitelt:  »Schrift  Martin  Luthers  u.  s.  w.«  —  in  welcher  er 


1  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen,  IV,  2.  497.  Gindkly.  Geschichte 
der  böhmischen  Brüder,  I,  <>7  folg. 

2  Gindkly,  a.  a.  0.  14^  folg.  nach  Blahoslaw. 


Die  Brüderunität  und  Luther. 


513 


zeigt,  was  ihm  bei  den  Brüdern  wahr  und  was  zweifelhaft  zu  sein 
scheint,  mit  eben  so  viel  schonender  Liebe  als  Aufrichtigkeit.  Was 
er  tadelt .  bezieht  sich  in  der  Lehre  nur  auf  die  Sakramente,  dass 
sie  die  sieben  Sakramente  beibehielten,  die  Wiedertaufe,  und  ihre 
Abendmahlslehre,  ausserdem,  dass  sie  an  dem  Priestercölibat  fest- 
hielten l) .  Lukas  vertheidigte  in  einer  tschechischen  Gegenschrift 
die  Abendmahlslehre  der  Brüder  und  den  Cölibat .  ging  aber  an- 
greifend gegen  Luther 's  Lehre  vom  Heilswege  vor:  »Nie  und 
nimmer  kann  man  die  Rechtfertigung  dem  Glauben  allein  zu- 
schreiben, denn  ihr  habt  die  Schrift  gegen  euch !  Ihr  hütet  euch 
ein  gutes  Werk  zu  thun;  damit  handelt  ihr  aber  gegen  Christum, 
und  haltet  an  einem  Irrthum  fest.«  Es  bedarf  des  Nachweises 
uieht.  dass  dieser  Vorwurf  lediglich  auf  Misverständniss  beruht. 
Luther  antwortete  nicht;  wir  haben  nicht  einmal  einen  Beweis, 
dass  diese  Streitschrift  vor  seine  Augen  gekommen.  Noch  im 
Jahre  1524  schickte  aber  Lukas  den  oben  genannten  Johann  Roh 
mit  Michael  Weiss  nach  Wittenberg,  um  sich  von  dem  dort 
herrschenden  religiös  sittlichen  Leben  genaue  Kenntniss  zu  ver- 
schaffen. Beide  Gemeinschaften,  die  böhmische  Brüderunität  und 
die  Evangelischen  Deutschlands  reichten  sich  mit  freundlicher 
Anerkennung  der  Geistesgemeinschaft  die  Hand,  ohne  sich  mit 
einander  zu  verschmelzen.  Die  Unität  erhielt  sich,  hauptsächlich 
durch  das  charaktervolle  Auftreten  des  Lukas,  aber  auch  nach 
seinem  Tode,  in  ihrer  Besonderheit,  streifte  jedoch  im  Laufe  der 
Jahre  immer  mehr  Dinge  ab,  welche  mit  den  Grundsätzen  der 
deutschen  Reformation  unvereinbar  waren.  Zum  Beispiel  die 
Wiedertaufe  der  zur  Unität  übertretenden  wurde  in  der  Brüder- 
Confession  von  1533  zum  letzten  Mal  vertheidigt,  später  aber,  um 
nicht  mit  den  deutschen  Wiedertäufern  verwechselt  zu  werden, 
auf  einer  Synode  zu  Jungbunzlau  abgeschafft.  Luther  erkannte 
an,  dass  die  Redeweise  der  Brüder,  die  man  Pikarden  nenne,  von 
der  seinigen  verschieden  "sei.  dessenungeachtet  seien  sie  der  bibli- 
schen Lehre  sehr  nahe,  und  er  könne  sie  nur  als  seine  Brüder 


1)  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen,  V,  2.  512  folg.  Gindel y,  Ge- 
schichte der  böhmischen  Brüder,  I,  IST  folg. 

Lechler,  Wiolif.  II.  33 


514 


Buch  III.    Kap.  6.  III. 


ansehen  l) .  Sie  lösten  sich  als  Genossenschaft  keineswegs  auf, 
sondern  erhielten  sich  als  eine  evangelische  Kirchengemeinschaft 
in  ihrer  Besonderheit,  indem  sie  der  evangelischen  Wahrheit,  wie 
sie  in  der  deutschen  Reformation  auf  den  Leuchter  gestellt  war. 
immer  mehr  Einfluss  auf  ihre  Ueberzeugungen  gestatteten.  So  ist 
die  Brüderunität ,  nächst  den  Waldensern,  die  einzige  unter  den 
Oppositionsgemeinschaften  von  biblischem  Charakter,  welche  aus 
dem  Mittelalter  in  die  neuere  Zeit  herein  ihre  Existenz  und  Be- 
sonderheit gerettet  hat,  allerdings  nur  indem  beide  sich  gegen 
wesentliche  Errungenschaften  der  Reformation  nicht  verschlossen, 
sondern  dieselben  sich  allmählich  aneigneten. 

Noch  früher,  als  die  böhmischen  Brüder ,  hatten  einige  der 
Utraquisten  einen  Verkehr  mit  Luther  angeknüpft.  Die- 
jenigen Böhmen,  welche  die  allerersten  Anhänger  Luther's 
waren,  scheinen  gewesen  zu  sein  Johann  Mirus,  ein  bereits  be- 
jahrter Mann,  früherhin  Mönch,  dann  Pfarrer  zum  heiligen  Kreuz 
in  Prag,  und  der  Pfarrer  von  Deutschbrod  Johann;  auch  ein 
Laie,  Matthias  der  Einsiedler,  welcher  1519  als  Busspre- 
diger auftrat,  lobte  je  und  je  öffentlich  den  Doctor  Martin  Luthe  r. 
Um  dem  Einflüsse  des  Einsiedlers  zu  steuern,  folgte  der  damalige 
Pfarrer  am  Teyn  in  Prag,  Johann  Poduschka,  dem  Vorgang 
desselben,  und  schloss  sich  der  Lehre  Luther' s  an,  so  dass  unter 
den  Deutschen  in  Prag  eine  religiöse  Gährung  eintrat.  Dieser 
Pfarrer  Poduschka  war  es,  der  in  Gemeinschaft  mit  einem 
Mitgliede  des  utraquistischen  Consistoriums,  Wenzel  Rosda- 
lowsky,  am  16.  Juli  1519  an  Luther  schrieb,  seine  Lehre 
rühmte,  ihn  zur  Standhaftigkeit  ermunterte  und  ihm  Schriften 
von  Hu s,  ohne  Zweifel  das  Werk  De  ecclesia1  zuschickte.  Wir 
wissen  aus  Luther's  Briefwechsel,  wie  er  sich  vor  Erstaunen  last 
nicht  fassen  konnte,  als  er  beim  Studium  von  Hus  entdeckte, 
dass  er  selbst,  Staupitz  und  andere,  ohne  es  zu  ahnen,  Hussiten 
gewesen  seien,  s.  oben  I,  S.  2.  Auf  der  andern  Seite  erstaunten  die 
BOhmen  und  sahen  ein  wahres  Wunder  Gottes  darin .  dass  die 
Deutschen,  welche  doch  ehemals  die  Hauptfeinde  der  böhmischen 


1)  Luther  s  Vorrede  zu  der  Wittenbeiger  Ausgabe  der  Brüdercon- 
l'ession  1533,  vgl.  GlNDELY,  Geschichte  der  böhmischen  Brüder,  I,  222  folg. 


Die  Utraquisten  und  Luther. 


515 


Nation  gewesen,  und  vor  ihnen  als  »Ketzern  «  bisher  einen  wahren 
Abscheu  gehabt  hatten .  sich  nun  auf  einmal  so  freundlich  und 
herzlich  gegen  sie  erzeigten.  Luther  richtete  1522  folg.  mehrere 
Zuschritten  an  die  Böhmen,  am  15.  Juli  1522  an  die  auf  dem  Land- 
tage versammelten  Stände,  und  1523  »an  den  Rath  und  die  Ge- 
meinden von  Prag«.  Im  ersteren  Schreiben  warnte  er  vor  der 
Rückkehr  zum  Gehorsam  gegen  den  Papst :  sie  möchten  doch 
nicht  diese  Schmach  auf  den  Namen  ihres  Märtyrers,  Magister 
Johann  Hus.  wälzen.  Allein  die  böhmischen  Utraquisten  haben 
sich  keineswegs  alle  mit  der  deutschen  Reformation  befreunden 
können.  Nur  ein  Theil  der  Kelchner  wurde  lutherisch ;  bei  wei- 
tem die  Mehrzahl  derselben  fühlte  sich  gegenüber  den  luthe- 
rischen Kultusreformen  viel  mehr  zu  dem  katholischen  Kultus 
und  zu  der  römischen  Kirche  als  zu  der  evangelischen  hingezogen. 
Es  kam  zu  einer  Spaltung  innerhalb  der  utraquistischen  Partei, 
deren  Mehrheit  allmählich  in  die  römische  Kirche  zurücktrat  vom 
Jahre  1524  an1  .  ganz  entsprechend  dem  Abfall  von  dem  ächt 
hussitischen  Geiste,  der  längst,  und  namentlich  seit  den  »Com- 
pac taten«  von  1433.  eingetreten  war.  Denn  die  vom  Basler  Concil 
zugestandene  Communion  unter  beiderlei  Gestalt  und  die  Ver- 
ehrung für  Hüs  waren  kaum  mehr  ein  reformatorisches  Prinzip 
zu  nennen2  .  Hingegen  die  Minderzahl  der  Kelchner.  welche 
noch  etwas  von  dem  ursprünglichen  Geiste  Husens  und  Wic- 
lifjs  in  sich  bewahrt  hatte,  ging  in  der  lutherischen  Kirche  auf. 
und  betrachtete  Luther  als  den  Mann,  welcher  dasjenige  ver- 
wirklicht habe,  was  Wiclif  und  Hus  nur  angestrebt  und  ver- 
sucht hatten 8  . 

IV. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  haben  theils  in 
den  Niederlanden  theils  in  Deutschland  einige  Männer  gewirkt. 

1)  Palacky,  Geschichte  von  Böhmen,  V,  2.  404  folg.  509  folg. 

2,  Der  römisch-katholische  Historiker  Anton  Gixdely  sagt  einmal 
von  den  Utraquisten :  »Alles  war  bei  ihnen  gleich«  wie  in  der  katholischen 
Kirche-,  »bis  auf  einen  Umstand:  sie  hatten  einen  Heiligen  zu  viel«  näm- 
lich Hus  .  Gesch.  der  böhm.  Brüder,  1.  159. 

3  Vgl.  die  bildliche  Darstellung  der  drei  Männer  in  dem  hussitischen 
Cantionale  der  Stadt  Prag,  s.  oben  Buch  III.  Kap.  3.  VIII.  S.  2S5.  Anm.  2. 


516 


Buch  III.    Kap.  6.  IV. 


auf  welche  wir  ihrer  reformatorischen  Richtung  wegen  noch  einen 
Blick  werfen,  nämlich  Johann  von  Goch,  Johann  von  Wesel 
und  Johann  Wessel,  der  letztere  ein  Niederländer,  die  beiden 
ersten  Deutsche  l] . 

Johann  Pupp  er  von  Goch,  einem  Städtchen  im  Clevischen, 
brachte  die  letzten  24  Jahre  seines  Lebens  in  Mechern  zu,  als 
Beichtvater  eines  Nonnenklosters  Tabor.  das  er  selbst  gestiftet 
hatte,  und  starb  daselbst  am  2S.  März  1475.  Er  hat  niemals 
Aufsehen  in  der  grossen  Welt  gemacht,  wohl  aber  in  seinem 
frommen  iStillleben  als  christlicher  Denker  in  engerem  Kreise  ge- 
wirkt, und  seine  Gedanken  in  zwei  Hauptschriften  niedergelegt, 
die  uns  seinen  Geist  vergegenwärtigen.  Es  sind  dies  die  Schriften 
De  libertate  christiana  und  der  Dialog  De  quätüor  erroribus  circa 
legem  evangelicäm  exortis.  Erstere  Schrift,  von  Grapheus  1521 
in  Antwerpen  herausgegeben,  von  der  äussersten  Seltenheit, 
entwickelt  die  positiven  Ueberzeugungen  GoelTs:  letztere,  in 
Walch's  Monimenta  medii  aevi ,  Göttingen  1760.  I.  Fascic.  4. 
abgedruckt,  fasst  seine  Polemik  gegen  falsche  Zeitrichtungen 
in  sich. 

Johann  von  Goch,  selbst  ein  stiller  Mensch  von  innerlicher 
Frömmigkeit  und  praktischem  Christenthum,  nicht  Scholastiker, 
sondern  ein  Mann  der  praktischen  Mystik,  fasste  nicht  die  hohen 
Geheimnisse  und  spekulativen  Glaubenslehren,  sondern  das  Leben 
und  den  sittlichen  Gesammtgeist  der  Kirche  seiner  Zeit  prüfend 
in's  Auge.  Und  als  Maasstab  der  Prüfung  legte  er  die  heil. 
Schrift  an.  Denn  er  geht  von  dem  Schriftprinzip  aus.  Er 
will  sich,  wie  er  selbst  sagt,  an  die  Schriftwahrheit  halten  und 
sich  nach  ihr  richten,  so  weit  der  Herr  ihm  das  Vcrständniss  der- 
selben schenkt  -  .  Er  stellt  aber  die  Schrift  nicht  der  kirchlichen 
Satzung  entgegen,  sondern  der  »Philosophie«,  das  will  sagen,  der 


1)  C.  Ullmann,  Reformatoren  vor  der  Reformation  .  hat  im  I.  Band 
17  —  14S.  |2.  Aufl.  Gotha  1S6H  eine  treffliche  Monographie  Goch  s  gegeben. 
Mit  Rücksicht  auf  diese  schöpfen  wir  aus  der  Schrift  De  quutuor  erroribus, 
da  die  andere  Hauptschrift  Goch  s  uns  nicht  zur  Hand  ist. 

2  De  quutuor  erroribus,  bei  AValch  a.  a.  O.  131  :  cunonicue  scrip- 
turae  veritati,  quuntum  dominus  intelliycre  donaverit .  kl  4  velle  cou- 
f  ormare. 


Johann  von  Goch  und  sein  Schriftprinzip. 


517 


spekulirenden  Scholastik.  Johann  von  Goch  erkennt  der  Schrift 
allein  eine  unwidersprechliche  Auktorität  zu;  alle  anderen 
Schriften  haben  nur  in  so  weit  Auktorität,  als  sie  mit  der  heil. 
Schrift  übereinstimmen.  Dieses  Schriftprinzip  ist  auf  den  ersten 
Anblick  ein  acht  informatorisches.  Allein  das  ermässigt  sich  ganz 
bedeutend,  wenn  wir  seine  Auslegungsgrundsätze  gleich  dazu 
nehmen.  Er  unterscheidet,  wie  das  Mittelalter  durchweg,  einen 
vierfachen  Schriftsinn,  den  buchstäblichen,  allegorischen,  tropolo- 
gischen  und  anagogischen.  Die  drei  letzteren  begreift  er  zusam- 
men unter  dem  »geistlichen«  Schriftsinn,  dem  er  den  buchstäb- 
lichen entgegenstellt.  Der  letztere  sei  von  Gott  zunächst  be- 
zweckt, und  nur  der  buchstäbliche  Sinn  könne  beim  Schriftbeweise 
einen  triftigen  Grund  liefern.  Das  lautet  alles  ganz  verständig  und 
treffend.  Allein  die  Frage  ist:  wie  lässt  sich  der  richtige  Wort- 
sinn ermitteln .  wo  eine  Stelle  nach  ihrem  buchstäblichen  Sinn 
verschiedentlich  ausgelegt  werden  kann  ?  Und  diese  Frage  beant- 
wortet Johann  von  Goch  so.  dass  er  derjenigen  Auslegung  den 
Vorzug  gibt,  welche  von  rechtgläubigen  Lehrern  befürwortet  wird 
und  den  Entscheidungen  der  Kirche  am  meisten  entspricht.  Er 
spricht  unverhohlen  aus,  eine  Auslegung  möge  noch  so  sehr  dem 
Buchstaben  entsprechen,  für  die  wahre  sei  sie  doch  nicht  zu  hal- 
ten, wenn  sie  offenbar  der  Entscheidung  der  Kirche  widerstreitet 1  . 
Wir  sehen,  hier  kommt  durch  die  Hinterthür  der  Auslegung  die 
Auktorität  der  Kirche  und  ihrer  Satzung  wieder  herein,  und  ge- 
winnt am  Ende  die  Oberhand  Uber  die  ursprünglich  als  allein 
niaassgebend  gepriesene  Auktorität  der  Schrift.  Und  wir  können 
nicht  unbemerkt  lassen,  dass  in  dieser  Beziehung  Goch  einen 
Rückschritt  thut.  verglichen  mit  demjenigen  Schriftprinzip  und 
Auslegungsgrundsatz,  welche  von  Wiclif  in  seiner  späteren  Zeit 
aufgestellt  worden  sind2).  — Dagegen  liegt  etwas  Bedeutsames 
in  dem  anderen  Grundsatze,  welchen  Johann  von  Goch  aufstellt : 
er  unterscheidet  zwischen  demjenigen,  was  unmittelbar  in  der 
Schrift  ausgesprochen  ist.  und  demjenigen,  was  nur  mittelbar 


1)  Ullmaxx.  Reformatoren  vor  der  Reformation,  52  folg.,  nach  De 
nbert.  chris*.  Kap.  4  und  9. 

2   Vgl.  oben  Buch  II.  Kap.  7.  III.  S.  447  ff.  4s:i  ff. 


51S 


Buch  III.    Kap.  Ii.  IV. 


und  abgeleiteter  Weise  in  ihr  angedeutet  ist.  In  jenen  Stücken, 
sagt  er.  verpflichtet  die  Schrift  alle  Gläubigen  ohne  Unterschied 
zur  Zustimmung,  so  dass  sie  einer  entgegengesetzten  Meinung, 
selbst  des  grössten  Lehrers,  ohne  eine  Todsünde  zu  begehen, 
nicht  beipflichten  können.  In  d  i  e  s  e  n  Stücken  sind  nicht  alle  ohne 
Unterschied  verpflichtet  ihr  beizustimmen.  Doch  schwebt  ihm 
auch  hier,  neben  der  Schrift,  die  Pflicht  vor,  so  zu  glauben,  wie 
die  Kirche  glaubt l) . 

Uli  mann  urtheilt:  »Schon  die  formalen  Prinzipien  Goch 's 
sind  entschieden  der  Scholastik  entgegengesetzt,  nicht  minder 
sind  es  auch  die  materialen2).«  Wir  meinen,  seine  Grundsätze 
vom  Glauben  und  Leben  des  Christen  sind  viel  entschiedener 
reformatorisch  als  sein  Schriftprinzip.  Er  steht  nämlich  auf  dem 
Augustmischen  Standpunkte:  zwar  nicht  in  Betreff  der  Gna- 
denwahl und  des  Kirchenbegriffs .  aber  in  Betreff  der  Lehre  von 
Sünde  und  Gnade.  Er  zieht  eine  scharfe  Scheidelinie  zwischen 
Natur  und  Gnade.  Alles  Avas  einem  Menschen  von  Gott  gegeben 
wird,  damit  er  sei.  ist  Natur  und  Naturgabe.  Alles  dagegen, 
was  dem  Menschen  in  seinem  Pilgerlaufe  gegeben  wird,  damit  er 
gut  sei  vermöge  übernatürlicher  Güte,  das  ist  Gnade.  'Alles 
Gute  kommt  ursprünglich  von  Gott ;  alles  Böse  kommt  aus  der 
Kreatur,  aus  dem  geschaffenen  Willen.  Aber  da  der  Mensch 
selbst  im  Stande  der  Sündhaftigkeit  den  Willen  behält,  und  da 
auch  das  Gute  der  Gnade  nicht  ein  aufgezwungenes  sein  kann,  so 
ist  die  Wiederherstellung  des  Sünders  immer  durch  Freiheit 
vermittelt.  —  Wir  sehen,  Goch  ist  zwar  Augustinisch  gesinnt, 
und  bekämpft  den  Pelagianismus,  aber  er  huldigt  nicht  der  abso- 
luten Gnadenwahl  und  ist  nicht  in  deterministischem  Sinne  Augu- 
stinisch. — 

Die  Gnade,  die  einem  Menschen  verliehen  wird,  ist  nicht 
etwas  Geschaffenes  in  der  Seele,  sondern  sie  ist  Gott  selbst,  der 
beilige  Geist,  der  den  Menschen  würdigt  seinen  Willen  zu  bewe- 
gen, dass  er  das  Qnte  will  und  von  der  bösen  Lnst  frei  wird. 
Nicht  der  Glaube  ist  an  sich  rechtfertigend,  sondern  nur  der  in 


1)  Ullmaxx,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  53  folg. 
1  a.  a.  ü.  59.  vgl.  30. 


Johann  von  Goch  über  Gnade  und  Verdienst. 


519 


der  Liebe  thätige ,  der  geformte  Glaube l) .  Die  Natur  empfängt 
Kraft  ans  der  Höhe,  und  wird  von  der  Gnade  überkleidet,  aber 
nicht  in  dieselbe  verwandelt.  Da  aber  der  begnadigte  Wille  eine 
Gabe  Gottes  ist.  so  geht  die  ganze  Rechtfertigung  und  Verherr- 
lichung des  Menschen  von  der  freien  Gnade  Gottes  aus,  nur  dass 
der  Wille  der  göttlichen  Gnadenwirkung  zustimmt.  In  Gemäss- 
heit  dieser  Anschauung  verneint  nun  Johann  von  Goch  jegliches 
menschliche  Verdienst,  und  tritt  auf  diesem  Punkte  allem  Pelagia- 
nismus.  selbst  dem  scholastischen  Semipelagianismus  entschlossen 
entgegen.  Die  Unterscheidung  zwischen  verschiedenen  Graden 
des  Verdienstes  meritum  digni,  congrui.  condig  ni  sei  nichtig  und 
schriftwidrig:  auch  die  Behauptung  sei  eine  Halbheit  und  von 
dem  Ap.  Paulus  bekämpft,  dass  der  menschliche  Wille  und  Gottes 
Gnade  zusammen  das  Verdienst  bewirken.  Nein,  das  Verdienst 
sei  der  Gnade  allein  zuzuschreiben  und  beruhe  ausschliesslich 
nur  auf  Christi  Verdienst  und  seiner  Erlösung2'.  —  Hier 
liegt  der  reformatorische  und  evangelische  Kernpunkt  von  Goch's 
Lehre.  Seine  Lehre  von  der  Rechtfertigung  ist  ganz  scholastisch, 
aber  die  unbedingte  Verneinung  alles  Verdienstes  auf  Seiten  des 
Menschen,  auch  des  erlösten,  das  Zeugniss  von  dem  alleinigen 
Verdienste  Christi,  was  einzig  und  allein  aus  Gnaden  dem  Men- 
schen zu  Theil  wird,  ist  ächt  biblisch  und  wahrhaft  reformatorisch. 

Gehen  wir  nun  auf  die  ethische  Anschauung  Goch's  über, 
so  fasst  er  das  Evangelium  als  sittliches  Gesetz  auf ;  und  inso- 
fern scheint  er  ganz  auf  dem  römisch-katholischen  Standpunkte 
zurückgeblieben  zu  sein.  Das  ist  aber  nur  Schein.  Sobald  wir 
der  Sache  näher  treten,  entdecken  wir  auch  hier  ächt  reformato- 
rische Gedanken.  Das  evangelische  »Gesetz«  ist  nach  Goch  ein 
Gesetz  der  Freiheit  und  hiemit  zugleich  der  Liebe,  ein  Gesetz 
des  Herzens  d.  h.  der  inneren  Willensbestimmung  und  nicht 
ein  Gesetz  der  Werke,  wie  das  mosaische. 

Hier  ist  es,  wo  Johann  von  Goch  zur  Polemik  und  Opposi- 
tion übergeht,  wiewohl  diese  auch  bisher  schon  nicht  ganz  gefehlt 


1)  Ullmaxx,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  65  folg.    Die  be- 
kannte scholastische  Lehre  von  der  fides  formata  im  Gegensatze  zur  mformis. 
2   a.  a.  O.  TU  folg. 


520 


Buch  Hl.    Kap.  (i.  IV 


hat.  Und  hier  wird  nun  die  andere  Hauptschrift  »Von  den  vier 
Irrthümern  anlangend  das  evangelische  Gesetz«  die  Quelle .  aus 
der  wir  schöpfen.  Johann  von  Goch  sah  sich  zu  dieser  Schrift 
veranlasst  durch  begeisterte  Verehrer  des  Klosterlebens,  welche 
behaupteten ,  die  Freiheit  des  evangelischen  Gesetzes  sei  von  An- 
fang an  durch  Gelübde  eingeschränkt  gewesen,  und  niemand 
könne  zu  sittlicher  Vollkommenheit  gelangen  ohne  Gelübde 1  .  Er 
behandelt  aber,  um  diesen  Irrthum  zu  bekämpfen,  die  Sache  aus 
dem  Ganzen  und  Vollen,  in  einem  Gespräche  zwischen  Seele  und 
Geist. 

Die  sittlichen  Grundirrthümer ,  welche  von  Anfang  an  das 
christliche  Leben  verdunkelt  und  den  Frieden  in  der  Christen- 
heit gestört  haben,  sind  nach  ihm  1.  die  unevangelische  Gesetz- 
lichkeit, welche  in  der  Urkirche  den  Knechtsdienst  des  mosai- 
schen Gesetzes  für  noth wendig  zum  Heil  erklärte.  Diesen  Irrthum 
hat  der  Ap.  Paulus  in  den  Briefen  an  die  Römer  und  Galater  end- 
gültig widerlegt 2) . 

2.  Die  Lehre',  dass  die  Vollendung  des  christlichen  Lebens 
allein  im  Glauben  bestehe  und  dass  Werke  des  Glaubens  nicht 
nothwendig  seien.  Dieser  einseitigen  Innerlichkeit  stellt  er  wie- 
der den  Ap.  Paulus  entgegen  mit  seinen  Mahnungen  zu  Gehor- 
sam und  guten  Werken:  nur  das  falsche  Vertrauen  auf  diese 
schliesse  er  aus. 

3.  Das  Vertrauen  auf  die  natürlichen  Willenskräfte,  als  ob 
diese  ohne  den  Beistand  der  Gnade  zum  vollkommenen  Christen  - 
leben  zureichend  seien.  Das  sei  die  Pelagianische  Irrlehre,  die 
schon  voraus  durch  Paulus  verworfen  sei,  z.  B.  Römer  7,  oder 
wenn  er  bezeugt .  »Durch  Gottes  Gnade  bin  ich  was  ich  bin,  u.  s.  w. 

4.  Der  Wahn,  dass  zu  den  vollkommenen  Werken  des  evan- 
gelischen Gesetzes  die  Verpflichtung  durch  ein  Gelübde  noth- 
wendig sei.  Dadurch  werde  die  evangelische  Freiheit  in  ver- 
pflichteten Sklavendienst  und  pharisäischen  Aberglauben  verwan- 
delt Das  sei  der  Irrthum  seiner  Zeit,  er  sei  vielfach  mit  dem 


I)  DißhfUt  de  qiiatuor  error  ih>is .  bei  WALCH.  Moni))).  med .  (Mfl  I. 
läse.  4.  75.  Pruefati<t. 

>t  a.  n.  0.  c.  3.  S.  s;{  ful»?. 


Johann  von  Goch  über  Klostergelübde. 


521 


Pelagiauismus  verwandt,  und  Thomas  von  Aquino  sei  der 
Hauptgewährsmann  desselben  l). 

Diese  sittliche  Anschauung  bekämpft  nun  Johann  von  Goch 
in  dem  überwiegend  grössten  Theile  seines  Buches,  so  dass  man 
sieht,  hier  liegt  der  Schwerpunkt  dieser  Schrift,  wie  das  auch  im 
Vorwort  bereits  angedeutet  ist.  Das  Mönchthum  mit  seinen  Ge- 
lübden wird  hier  einer  ethischen  Kritik  unterzogen,  nicht  als  In- 
stitution an  sich  hat  doch  der  Verfasser  selbst  ein  Nonnenkloster 
gegründet  .  sondern  nach  seiner  Entartung  oder  auch  theoretischen 
Ueberschätzung.  Das  Gelübde  könne  für  viele  sittlich  schwache 
oder  matte  Seelen  Veranlassung  zu  etwas  Besserem  werden:  allein 
dasselbe  sei  nicht  an  sich  schon  etwas  Gutes:  im  Gegentheil.  wer 
das  Gelübde  nur  aus  Furcht  vor  Strafe  erfüllt,  nicht  aus  Liebe  zur 
Gerechtigkeit,  der  begehe  eine  Sünde.  Denn  das  evangelische 
Gesetz  sei  ja  ein  Gesetz  der  Freiheit  und  der  Liebe.  Unwahr  sei 
es  und  entspringe  aus  Selbstüberhebung,  wenn  Mönche  ihren  Or- 
den einen  Stand  der  Vollkommenheit«  nennen.  Mönche  sind  nicht 
die  Vollkommenen,  sondern  im  Gegentheil  die  Unvollkommenen. 
Schwachen .  Unbeständigen .  die  einer  äusseren  Beihülfe .  einer 
Nöthigung  zum  Guten  bedürfen.  In  der  allgemeinen  Kirche  ist 
die  höchste  Vollkommenheit,  nämlich  innere  Heiligkeit :  und  diese 
übertrifft  jede  Vollkommenheit  »gemachter  Religionen«  bei  wei- 
tem- .  Ein  Gedanke,  welcher  lebhaft  an  Wiclifs  Polemik  ge- 
gen das  Mönchthum  erinnert,  während  Goch  doch  vollständig 
unabhängig  von  Wiclif  seine  Ueberzeugung  ausgebildet  hat. 

Hier  kommt  unser  Denker  auf  die  Kirche  und  ihre  Ordnun- 
gen zu  reden.  Das  Christenthum  ist  ihm  eine  Religion  der  Frei- 
heit, somit  kann  auch  die  Kirche  nicht  eine  unfreie  sein.  Wohl 
sagt  die  Schrift:  »nöthige  sie  hereinzukommen«.  Dessen  unge- 
achtet ist  nicht  die  Meinung,  dass  das  Himmelreich  mit  solchen 
gefüllt  werden  solle,  welche  wider  Willen  gut  sind,  sondern  mit 
solchen .  die  freiwillig  dem  Rufe  folgen 3; .   Die  Kirche  ist  der 


1)  Diaiogus  de  quatuor  error  ihys  c.  T.  109  folg. 

2  Reliyiones  factitiae  nennt  er  a.  a.  O.  is9  folg.  HM  und  anderswo 
die  Mönchsorden ,  gemäss  dem  mittelalterlichen  Sprachgebrauch ,  wernach 
das  Mönchthum  religio  hiess. 

3)  a.  a.  O.  171.  1S1  folg. 


522 


Buch  III.    Kap.  6.  IV. 


geistliche  Leib  Christi ,  Christus  der  Kirche  Haupt .  ein  höchst 
vollkommenes  Haupt ,  von  welchem  aus  der  Kirche  alle  Vollkom- 
menheit zu  Theil  wird.  Nun  aber  war  der  höchste  Stand  Christi 
sein  Priesterthum ;  somit  ist  der  höchste  Stand  in  der  streitenden 
Kirche,  der  Stand  höchster  Vollkommenheit,  gleichfalls  das  Prie- 
sterthum. Es  hat  die  höchste  Weihe  und  verrichtet  das  höchste 
Geschäft,  nämlich  im  Sakrament  des  Altars  Christi  Leib  und  Blut 
zu  consekriren.  Die  Hoheit  des  Priesterthums  betont  aber  Goch 
so,  dass  er  nach  allen  Seiten  hin  geltend  macht ,  der  Episkopat 
stehe  nicht  über  dem  Priesterstande;  kraft  göttlicher  Einsetzung 
sei  Priester  und  Bischof  gleich,  der  Bischof  nur  eben  ein  Priester 
unter  den  Priestern  (also  primus  inter  pares) .  Nur  durch  Her- 
kommen und  Verordnungen  der  Kirche  sei  dem  priesterlichen 
Stande  manches  Recht  entzogen,  was  ihm  kraft  göttlicher  Ein- 
setzung gebühre  u.  s.  w. 1)  . 

So  vertritt  Johann  von  Goch  in  seinen  sittlichen  Gedanken 
mehr  als  ein  acht  reformatorisches  Prinzip,  vorzüglich  die  evan- 
gelische Freiheit,  verbunden  mit  christlicher  Innerlichkeit:  er 
nimmt  sich  derselben  wesentlich  im  Gegensatze  zu  einer  damals 
vorwaltenden  sittlichen  Ueberschätzung  des  Mönchthums  an.  Ferner 
macht  er,  im  Gegensatze  zu  hierarchischen  Begriffen,  die  Identität 
und  göttliche  Gleichberechtigung  des  Priesterstandes  und  Episko- 
pates geltend.  Von  der  Idee  des  allgemeinen  Priesterthums  finden 
wir  bei  ihm  keine  Spur :  indessen  ist  auch  die  Verteidigung  der 
urchristlichen  Gleichheit  zwischen  Bischof  und  Priester  ein  refor- 
matorischer Gedanke,  das  Ergebniss  einer  biblischen  Kritik  der 
kirchlichen  Satzung  und  Ueberlieferung.  Mit  vollem  Recht  hatten 
schon  Flacius,  Walch  und  andere  den  evangelischen  Charak- 
ter Goch 's  behauptet;  und  Uli  mann  war  befugt,  ihn  zu  den 
Reformatoren  vor  der  Reformation«  zu  zählen  ;  nur  überschätzt 
er  dessen  Bedeutung  in  der  Vorgeschichte  der  Deformation,  wenn 
er  Goch  als  »den  Anfangspunkt  einer  reformatorisch en 
Tradition«  hinstellt2;.  Da  muss  man,  von  allem  anderen  ab- 

1  DialogUi  de  quat.  [err.,  c.  IM.  189  folg.:  Malta  ordini  saeerdotali 
jx-r  consuetudinem  vcl  constitiutionem  ecclesiat  sunt  abläta,  qtt&e  dvbina  in- 
stituttone ei  Stint  coUata.  S.  207. 

2  Ullmann,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  1.  128. 


Johann  von  Wesel. 


523 


gesehen,  einen  Wiclif  und  Hus  und  alles  was  damit  zusammen- 
hängt, gewaltig  unterschätzen. 

Während  Johann  von  Goch  auf  dem  Gebiete  der  Innerlich- 
keit und  der  Gesinnung  reformatorische  Gedanken  vertrat,  ist 
sein  Zeitgenosse  Johann  von  Wesel  den  kirchlichen  Mißständen 
schon  unmittelbarer  zu  Leibe'  gegangen.  Johann  Ruchrath 
(Richrath),  aus  dem  Städtchen  Ober-Wesel  am  Rhein  zwischen 
Mainz  und  Coblenz  gebürtig  und  nach  seinem  Geburtsorte  benannt, 
ist  gleichfalls  in  den  ersten  Jahrzehenten  des  XV.  Jahrhunderts 
geboren.  Uebrigens  ist  von  seiner  Jugend  und  Bildungslaufbahn 
schlechterdings  nichts  bekannt.  Erst  in  der  Zeit  tritt  er  in  das 
Licht  der  Geschichte ,  wo  er  auf  der  Universität  Erfurt  studirte 
und  später  selbst  lehrte,  ungefähr  von  1440  — 1460.  Auf  dieser 
Universität  war  schon  seit  ihrer  Stiftung  (1392  wurde  sie  eröffnet) 
ein  unbefangener  freier  Geist  vertreten,  die  kirchliche  Opposition 
fand  daselbst  einen  fruchtbaren  Boden.  Ein  Doctor  der  Theologie 
von  Erfurt,  der  Franziskaner  Matthias  Döring,  hat  auf  dem 
Basler  Concil  der  Opposition  gegen  die  Kurie  angehört.  Im  Jahre 
1446  promovirte  hier  Johann  von  Wesel  zum  Magister  der 
freien  Künste,  1456  zum  Doctor  der  Theologie:  in  dem  Jahre 
1458  hat  er  das  Vicerektorat  bekleidet.  Bald  darauf,  etwa  1460, 
wurde  er  als  Prediger  nach  der  erzbischöflichen  Residenz  Mainz 
berufen,  hierauf  nach  Worms,  wo  er  17  Jahre  lang  wirkte,  bis  er 
zuletzt  1481  sein  Leben  im  Kerker  beschloss  *)  . 

Im  Jahre  1450  wurde  auf  Befehl  Nicolaus  V.  ein  Jubeljahr 
begangen,  und  1451  kam  Cardinal  Nico  laus  von  Cusa  auch 
nach  Erfurt ,  um  den  Ablass  und  die  Gnaden  des  Jabeljahrs  zu 
verkündigen.  Damals  schrieb  Jakob  von  Jüterbogk,  der  Kar- 
thäuser und  Doctor  in  Erfurt,  einen  Aufsatz  Uber  den  Ablass,  vor- 
sichtig und  mild,  hauptsächlich  um  zu  erinnern,  dass  im  Ablass 
nur  die  Strafe ,  nicht  die  Schuld,  und  nur  die  zeitliche  Kirchen- 
strafe so  wie  die  Strafe  für  lässliche  Sünden  ,  nicht  aber  für 
Todsünden,  erlassen  werde2).    Dasselbe  Jubeljahr  aber  veran- 


1)  Kampschulte,  Die  Universität  Erfurt,  I,  6.  16.  ÜLLMANN,  Refor- 
matoren vor  der  Reformation ,  I,  202  folg. 

2)  ÜLLMANN,  a.  a.  O.  I,  233  folg. 


524 


Buch  III.    Kap.  Ii.  IV. 


lasste  den  Johann  von  Wesel,  öffentlich  aufzutreten.  Er  schrieh 
eine  Abhandlung  nicht  Mos  über,  sondern  geradezu  gegen  den 
Ablass  *) . 

Er  stellt  sieben  Thesen  auf,  die  er  sodann  eingehend  begrün- 
det und  erörtert.  Den  Ablass  beschränkt  er  ebenso  wie  Jakob 
von  Jüterbogk  auf  den  Erlass  zeitlicher  Strafe  für  eine  Tod- 
sünde. Gott  kann  Sünde  vergeben,  d.  h.  er  tilgt  die  Schuld,  in- 
dem er  den  Reuigen  Gnade  mittheilt.  Aber  kann  auch  der  Mensch 
Sünde  vergeben  ?  Ja,  so  weit  er  selbst  beleidigt  worden  ist :  nein, 
sofern  der  Sünder  zugleich  gegen  Gott  gesündiget  hat.  Kein 
Priester  kann  Sünden  vergeben  ursprünglicher  und  wirksamer 
Weise,  sondern  nur  dienender  Weise,  durch  sakramentlichen 
Dienst  im  Sakrament  der  Busse,  kraft  der  göttlichen  Gnaden- 
mittheilung.  Johann  von  Wesel  legt  einen  bewussten  Nach- 
druck darauf,  dass  Gott  allein  aus  lauter  Güte  Gnade  schenkt. 
Dabei  aber  erfordert  es  seine  Gerechtigkeit,  dass  er  über  jeden 
Sünder  Strafe  verhängt,  und  dieselbe  auch  dann,  wenn  er  Gnade 
mittheilt,  nicht  erlässt 2) . 

Was  nun  den  Ablass  betrifft,  so  ist  die  erste  Frage,  ob  es 
überhaupt  Ablass  gibt?  Die  heil.  Schrift  weiss  nichts  vom 
Ablass.  Die  Reden  Jesu  handeln  von  den  Geheimnissen  des  Heils 
und  von  allem  was  zur  Seligkeit  nöthig  ist,  aber  vom  Ablass  ge- 
schieht keine  Erwähnung.  In  den  Briefen  der  Apostel  ist  keine  Rede 
vom  Ablass :i) .  Dass  es  mit  allen  von  den  Scholastikern  versuchten 
Schriftbeweisen  für  den  Ablass  nichts  sei,  sucht  Wesel  ausführ- 
lich zu  zeigen.  Nicht  einmal  das  lässt  er  gelten,  dass  der  AMass 
nur  eine  Erlassung  von  solchen  Strafen  sei,  die  von  dem  Recht  oder 
von  Menschen  für  Sünden  bestimmt  sind.  Das  sind  alles  nur  Ein- 
bildungen, ohne  Schriftgrund :  somit  sind  die  sogenannten  Ablässe 
nichts  anderes  als  ein  frommer  Betrug,  der  die  Gläubigen  zu 
Wallfahrten  und  frommen  Stiftungen  bewegt  u.  s.  w.  1  . 


1)  Jbannis  de  Vesalia  advwsus  indulgentdts  disputatio ,  in  Walch, 
Monim.  medii  aetfi.  Vol.  I.  Fase.  I.  111—156. 

2)  Ade.  mdulgentias,  a.  a.  0.  c.  23.  130  folg. 
3]  a.  a.  ().  m.  L39« 

4)  a.  a.  ().  c.  ">o.  S.  152.:  Et  dicatur  qnod  —  vocutae  indulgentia*  8Utä 
piüe  fraudem  fidcliuni,  itt  dixcrtnit  miiiti  jtrr.shi/frfi . 


Johann  von  Wesel  wider  den  Ablas*. 


525 


Afcch  Herkommen  und  Brauch  der  Kirche  kann  hier  nichts 
beweisen.  Denn  dass  die  allgemeine  Kirche  nicht  irren  könne, 
ist  selbst  eine  Behauptung  ohne  Schriftbeweis  und  Vernunftgrun<l. 
Ja.  die  ächte  Kirche  Christi  irrt  nicht ;  jedoch  die  ist  nur  ein  T h  ei  1 
der  allgemeinen  Kirche ;  aber  es  gibt  auch  einen  Theil  der  Kircher 
welcher  aus  Bösen  besteht,  und  dieser  kann  irren  und  irre  führen, 
und  das  ist  eben  diejenige  .Kirche,  welche  Ablass  ertheilt l) . 

Während  Johann  von  Goch  den  Ablass  nicht  schlechthin 
verwarf,  sondern  seine  Bedeutung  nur  auf  zeitliche  Strafen,  welche 
die  Kirche  verhängt  hat,  einschränkte,  begnügt  sich  Johann  von 
Wesel  damit  noch  lange  nicht,  sondern  spricht  dem  Ablass  allen 
und  jeden  Werth,  alle  und  jede  Berechtigung  vollständig  ab. 
Johann  von  Wesel  ist  auch  unleugbar  weiter  fortgeschritten  als 
Luther  in  seinen  95  Thesen.  Nur  finden  wir  leider,  dass  die 
Gediegenheit  der  Ueberzeugung,  der  Muth  und  die  Standhaftigkeit 
des  Charakters  nicht  auf  gleicher  Höhe  stand,  wie  seine  Einsicht. 

Es  scheint  jedoch  nicht,  als  ob  diese  unerhört  kühne  Schrift 
ihrem  Verfasser  damals  irgend  welche  Unannehmlichkeiten  zuge- 
zogen hätte.  Anders  wurde  das  später,  als  er  zuerst  in  Mainz, 
nachher  aber  17  Jahre  lang  in  Worms  ein  Predigtamt  bekleidete. 
Er  hatte  einen  hohen  Begriff  von  den  Pflichten  eines  recht- 
schaffenen Predigers,  zumal  in  einer  Zeit  kirchlichen  Abfalls.  Er 
sagte  es  sich  und  sprach  es  auch  aus,  ein  rechter  Verkündiger  des 
Evangeliums  müsse  den  Seelen  mit  Hingebung  dienen,  müsse  das 
reine  Evangelium  unverkürzt  predigen;  der  Kern  des  Evan- 
geliums aber  sei  Christus  selbst  und  seine  Gerechtigkeit.  — 
Gegen  die  einem  aufrichtigen  Prediger  drohenden  Gefahren,  Bann 
und  Bulle ,  suchte  er  sich  selbst  zu  stärken.  Er  tröstete  sich  mit 
der  Aussicht  auf  den  Stern  der  Erbarmung.  welcher  aufgehen  und 
die  Finsterniss  vertreiben  werde;  das  Joch  der  babylonischen 
Gefangenschaft  werde  nach  so  vielen  Jahren  endlich  zerbrochen 
werden2  .  Obigen  Grundsätzen  gemäss  bemüht  sich  Wesel 
biblisch  zu  predigen,  Schrift  aus  Schrift  zu  erklären.  Und  da  die 
Gnade  die  Grundlehre  des  Evangeliums  ist,  so  verkündigt  er  die 


1;  Adv.  indulg.,  c.  51  folg.  S.  152  folg. 

2,  Ullmaxn,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  I,  269  folg. 


526 


Buch  III.    Kap.  6.  IV. 


göttliche  Gnade,  welche  von  Ewigkeit  erwählt  hat,  die  da  seiig 
werden.  Nichts^  was  Menschenwerk  ist,  könne  Grund  der  Selig- 
keit sein.  Die  Gesammtheit  der  Getauften  sei  nicht  heilig:  zum 
grössten  Theil  bestehe  sie  aus  Verworfenen.  Uebrigens  fasst  er 
weniger  die  Dogmen  als  den  Ritus  und  die  Ordnungen  der  Kirche 
ins  Auge.  Doch  ist  bemerkenswerth ,  dass  er  die  Lehre  von  der 
Wandlung  beanstandet  und  meint,  es  könne  sein,  dass  das  Brod 
in  seiner  Wesenheit  bleibe  und  dass  der  Leib  Christi  unter  der 
Gestalt  des  Brodes  gegenwärtig  sei !) .  Die  Form  seiner  Pre- 
digten war,  nach  den  Beschreibungen,  nachdrücklich  und  feurig, 
ja  von  einer  derben  Popularität.  Einmal  sagte  er,  und  das  be- 
zeichnet seinen  Standpunkt  vortrefflich  :  »Ich  verachte  den  Papst, 
die  Kirche  und  Concilia,  und  lobe  Christum  2  ! « 

Während  seiner  Amtsführung  in  Worms  hat  Wesel  eine 
Schrift  »Von  der  Auktorität ,  Pflicht  und  Vollmacht  der 
geistlichen  Hirten«  herausgegeben .  Er  behauptet  darin :  nur 
allein  wer  das  Wort  des  Herrn  lehrt  und  mit  Einsicht  die  Heerde 
weidet,  der  ist  ein  wahrer  Hirte  nach  dem  Herzen  Gottes.  Weiden 
uns  Papst  und  Priester  nicht  mit  Gottes  Wort,  so  wollen  wir 
nichts  von  ihnen  hören.  Aber  wo  ist  der  Eifer  für  die  Heerde  des 
Herrn,  wo  die  Vorbilder  evangelischen  Lebens?  Wohl  aber  führen 
sie  das  weltliche  Schwert  und  üben  Herrschaft.  Der  Papst,  wiewohl 
er  Papst  ist.  unterliegt  der  Zurechtweisung  selbst  des  geringsten 
Christen,  sobald  derselbe  geförderter  ist.  Wer  uns  mit  dem  Worte 
Gottes  belehrt,  der  ist  uns  Papst,  Bischof,  Hirte  und  Herr,  sei  er 
auch  ein  Ungelehrter  und  der  geringste  Mann  im  Volke.  Hingegen 
die  dreifache  Krone,  die  glänzenden  Bullen,  die  stolzen  Hüte  sind 
schuld,  dass  das  Wort  Gottes  von  den  Geringen  verachtet  wird  1  . 

So  misst  Wesel  die  Kirche,  wie  sie  ist,  mit  dem  Richtmaa^s 
des  Evangeliums ,  und  straft  die  ungeistliche  und  weltliche  Ge- 
sinnung der  Hierarchie,  während  er  schliesslich  das  allgemeine 
Priesterthum  der  Gläubigen  ahnt. 

Allein  seine  Freimüthigkeit  war  grösser  als  sein  sittlicher 


1)  ÜLLMANN,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  I,  273  folg. 

2;  Joh.  Wolf,  Leetionta  memorabilet.  Vol.  I.  1600.  S.  s"-">- 
3)  Ullmann,  a.  a.  O.  I,  293-  308. 


Johann  Wessel. 


527 


Math.  Im  Februar  1479  wurde  er  vor  ein  Ketzergericht  des  Erz- 
bischofs  zu  Mainz  gestellt.  Im  Anfange  des  Verhörs,  wo  ihm  aller- 
lei Irrlehre,  auch  Hussitismus.  schuld  gegeben  wurde,  blieb  er. 
wenn  auch  mit  vorsichtigen  Aeusserungen,  seiner  Ueberzeugung 
getreu.  Auf  einmal  aber  Hess  er  sich,  ohne  gehörig  überwiesen, 
geschweige  tiberzeugt  worden  zu  sein,  zum  Widerrufe  bewegen. 
Nachdem  er  diesen  auch  öffentlich  geleistet,  wurde  er  zu  lebens- 
länglicher Haft  verurtheilt.  Aber  nicht  volle  zwei  Jahre  hatte  er 
als  Gefangener  im  Augustinerkloster  zu  Mainz  zugebracht,  als  ihn 
Us)  der  Tod  erlöste1). 

Er  war  mit  reformatorischem  Geiste .  aber  nicht  mit  refor- 
matorischer Charakterkraft  begabt.  Er  hatte  kühn  in's  Leben  ein- 
gegriffen .  aber  schliesslich  fehlte  ihm  der  rechte  Muth ,  der  aus 
Demuth  entspringt,  und  die  sittliche  Stärke,  welche  stets  mit 
Maass  und  Besonnenheit  gepaart  ist. 

Diese  Besonnenheit  und  Mässigung  verband  mit  reformato- 
rischer Gesinnung  der  Niederländer  Johann  Wessel,  Her- 
nianiVs  Sohn,  genannt  Gansfort.  Dieser  Mann,  der  Zeit  nach  der 
letzte  unter  den  Vorläufern  der  Reformation,  stand  ihr  geistig  am 
nächsten ,  insbesondere  darum ,  weil  die  verschiedenen  Geistes- 
elemente, welche  zur  Vorbereitung  der  Reformation  je  in  ihrer 
Art  gedient  haben,  sich  in  ihm  vereinigten :  gediegene  Frömmig- 
keit, wie  sie  in  den  »Brüdern  vom  gemeinsamen  Leben«  vertreten 
war :  humanistische  Bildung,  wie  dieselbe  vorzüglich  seit  der  Mitte 
des  XV.  Jahrhunderts  von  Italien  ausging  und  in  den  Nieder- 
landen so  wie  in  Deutschland  einen  Bund  mit  ernster  Frömmig- 
keit schloss;  wissenschaftliches  Studium  auf  dem  Gebiete  der 
Philosophie  und  der  Theologie  und  praktisches  Interesse  für  Unter- 
richt. Erziehung  und  Kirchenwesen :  klare  Erkenntniss  und  Wärme 
des  Gemüths ,  eine  von  allem  Aberglauben  abgewandte  Einsicht 
und  eine  fromme  biblische  Gesinnung.  Die  früher  isolirt  gezoge- 
nen Fäden  ringen  an  in  einander  zu  schlagen ,  sich  zu  einem  Ge- 
webe zu  vereinigen.  Und  Wessel  war  derjenige  Mann,  in  wel- 
chem wir  die  vielseitigste  harmonische  Verbindung  aller  dieser 
Geisteselemente  beobachten. 


1)  Ullmann,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  I,  305  folg. 


528 


Buch  III.    Kap.  b\  IV. 


Johann  Wessel,  zu  Groningen  1419  oder  142o  geboren,  ge- 
hörte dem  durch  derbe  Naturkraft  und  zähe  Freiheitsliebe  ausge- 
zeichneten Stamme  der  Friesen  an.  Seine  Erziehung  und  Bildung 
erhielt  er  in  der  damals  berühmten  Anstalt  der  Brüder  vom  ge- 
meinsamen Leben  zuZwoll;  nebenbei  genoss  erden  anregen- 
den und  christlich  erwärmenden  Umgang  des  trefflichen  Thomas 
von  Kempen,  welcher  als  Kanoniker  auf  dem  eine  halbe  Stunde 
von  der  Stadt  entfernten  Agnesberge  lebte,  ohne  sich  jedoch  unbe- 
dingt nach  ihm  zu  bilden :  im  Gegentheil,  er  wahrte  seine  Selb- 
ständigkeit und  unabhängige  reformatorische  Gesinnung,  und  soll 
in  dieser  Beziehung  sogar  auf  den  40  Jahre  älteren  Mann  nicht 
ohne  Erfolg  eingewirkt  haben1  .  Universitätsstudien  machte 
Wessel  in  Köln,  wo  eine  schon  früher  vorhandene  und  be- 
rühmte philosophisch -theologische  Schule  13SS  zu  einer  Uni- 
versität umgestaltet  worden  war.  Auf  dieser  herrschte  aber  schon 
vor  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  ein  hierarchischer,  finsterer 
und  verfolgungssüchtiger  Geist,  durch  den  Wessel  nur  abge- 
stossen  werden  konnte.  Mit  desto  mehr  Interesse  studirte  und 
excerpirte  er  Schriften  des  Abts  Ruprecht  von  Deutz  7  1 135  , 
eines  frommen  Bibelforschers  aus  alter  Zeit .  empfing  hier  auch 
den  ersten  Unterricht  im  Griechischen.  So  war  bei  ihm  schon  in 
den  Jünglingsjahren  der  Grund  gelegt  sowohl  zu  lebendiger 
Frömmigkeit  als  zum  Eifer  für  die  Wissenschaft,  zur  Abneigung 
gegen  die  Scholastiker  bei  dialektischer  Streitfertigkeit,  zu  bibli- 
scher Gesinnung  bei  einer  gewissen  Neigung  zum  Piatonismus 
und  zu  der  antiken  Literatur. 

Die  männlichen  Jahre  WesseUs  zerlallen  in  ein  gelehrtes 
Wanderleben  und  in  das  Stillleben  des  höheren  Alters.  In  seinen 
Wanderjahren  ungefähr  1452 — 147S  besuchte  er  mehrere 
namhafte  Mittelpunkte  der  Gelehrsamkeit,  theils  um  sich  selbst 
noch  fortzubilden,  theils  um  als  Lehrer  seine  Ueberzeugungeu 
geltend  zu  machen.  Er  wurde  unter  lockenden  Anerbietungen 
nach  Heidelberg  berufen,  folgte  jedoch  der  Einladung  nicht,  begab 


1  Laut  einer  höchst  interessanten  Mittheilung,  welche  Ullmaxx, 
Reformatoren  vor  der  Reformation  ,  I.  24:<  2.  Auti.  Gotha  1866:  aus  einer 
Münchner  Handschrift  gegeben  hat, 


Johann  Wessels  Lebensgang. 


529 


Meli  vielmehr  zunächst  naeh  der  Universität  Löwen,  und  ging  von 
da  aus  bald  nach  Paris,  wo  er  mindestens  10  Jahre  blieb.  Er  kam 
nach  Paris  als  Realist,  denn  in  Köln  hatte  er  wohl  nur  realistische 
Lehrer  gehabt.  In  Paris  aber,  wto  damals  der  Nominalismus 
herrschte,  ging  er.  in  Folge  von  gelehrten  Kämpfen  und  Studien, 
denen  er  sich  widmete,  zum  Nominalismus  über,  anfänglich  in 
einer  vermittelnden,  dann  in  einer  strengeren  Form,  und  bei  letz- 
terer ist  er  dann  sein  Leben  lang  geblieben.  Er  fand,  dass  die 
Nominalisten  wissenschaftlicher  waren,  schärfer  und  consequenter 
im  Denken,  aber  auch  freimüthiger  und  kühner  in  der  Gesinnung. 
Uebrigens  scheint  W  e  s  s  e  1  in  der  ersten  Zeit  seines  Pariser  Auf- 
enthaltes mehr  lernend,  in  der  späteren  mehr  lehrend  sich  ver- 
halten zu  haben.  Hier  ist  er  sowohl  mit  Johann  Reuchlin, 
der  1473  als  Prinzenhofmeister  nach  Paris  kam,  als  mit  seinem 
eigenen  Landsmann  Rudolph  Agricola  bekannt  geworden, 
und  hat  auf  beide  Einfluss  ausgeübt. 

Von  Paris  aus  reiste  Wessel  etwa  1470  nach  Italien,  kam 
jedoch  1473  auf  kürzere  Zeit  dahin  zurück.  In  Italien  besuchte  er 
Rom.  aber  auch  Florenz  und  Venedig.  Heine  in  Paris  angeknüpfte 
Bekanntschaft  mit  dem  gelehrten  Griechen  Bessarion  und  dem 
Franziskaner-General  Franz  von  Rovere,  der  1471  als  Sixtus 
IV.  den  römischen  Stuhl  bestieg,  kam  ihm  zu  gute;  indessen 
blieb  er  seinen  freieren  Ueberzeugungen  auch  in  Rom  getreu.  Zu- 
rückgekehrt aus  Italien,  ging  er  zuerst  wieder  nach  Paris ,  hielt 
sich  1474  oder  1475  einige  Zeit  in  Basel  auf,  wo  er  abermals  mit 
Reuchlin  zusammentraf;  1477  folgte  er  einem  erneuerten  Rufe 
des  Churfürsten  von  der  Pfalz,  Philipp,  an  die  Universität  Heidel- 
berg, verlie ss  dieselbe  jedoch  nach  Jahr  und  Tag,  um  in  die  Hei- 
math zurückzukehren. 

Hier  hat  Wessel  etwa  von  147S  an  sein  höheres  Alter  als 
gelehrter  Greis,  wiewohl  nicht  ohne  alle  Anfechtungen,  in  einem 
gelehrten  Stil  11  eben  zugebracht,  indem  er  theils  bei  den  regu- 
lirten  Kanonikern  auf  dem  Agnesberge  bei  Zwoll.  theils  in  der 
Abtei  Adwerd  unweit  Groningen,  theils  in  einem  Frauenkloster 
zu  Groningen  selbst  wohnte,  in  persönlichem  und  brieflichem  Um- 
gange mit  zahlreichen  Freunden ,  aber  auch  schriftstellerisch  be- 
schäftigt. Er  lenkte  Jünglinge  und  Männer  von  der  Scholastik  ab 

Lechlek,  Wiclif.  II.  34 


530 


Buch  III.    Kap.  6.  IV. 


und  zu  dem  Studium  des  klassischen  Alterthums  so  wie  der  heil. 
Schrift  in  den  Grundsprachen  hin ,  und  bereitete  so  eine  bessere 
Theologie  vor.  Einer  von  seinen  jüngeren  Freunden  und  Ver- 
ehrern war  der  Humanist  und  hochverdiente  Schulmann  Alexan- 
der Hegius.  Wie  Wessel  nach  dem  inneren  Menschen  gestan- 
den, das  bezeugt  eines  seiner  letzten  Worte:  »Ich  weiss  nichts  als 
Jesum  den  Gekreuzigten.«  Er  starb  am  4.  Oktober  14S9  in  dem 
Nonnenkloster  zu  Groningen,  wo  er  die  letzte  Zeit  seines  Lebens 
zugebracht  hatte l) . 

Als  christlicher  Denker  verfolgte  Wessel  eine  Richtung,  in 
welcher  gemässigt  scholastische  Form  mit  mystischem  Gehalt 
verbunden  war.  Als  Grundlage  diente  ihm  das  Evangelium.  Und 
dieses  suchte  er  durch  ungekünstelte  einfache  Auslegung  aus  der 
Bibel  zu  schöpfen,  indem  es  ihm  um  Wahrheit  zur  Seligkeit,  aber 
um  die  ganze  volle  Wahrheit  zu  thun  war.  Die  Offenbarung 
Gottes  ist  unvollkommen  im  Alten  Testamente ,  vollkommener  im 
Neuen.  Das  Gesetz  war  nur  drückend,  nicht  aber  rechtfertigend. 
Das  Wort  Gottes  im  N.  Testamente  ist  vollendeter  als  im  Alten, 
dessen  ungeachtet  ist  es  nicht  vollständig,  sondern  nur  in  ver- 
kleinertem Maasstab  (en  miniature:  verbum  abbreviatum  ; 
das  geschriebene  Wort  drückt  das  Wort,  welches  um  unsert- 
willen Kind  geworden  ist,  nicht  adäquat  aus.  Fragen  wir  nach 
dem  Verhältniss ,  in  welches  Wessel  die  heil .  Schrift  zur 
Tradition  setzt,  so  erkennt  er  an,  dass  die  Schrift  nicht  für 
sich  allein  die  angemessene  Richtschnur  des  Glaubens  sei .  denn 
einiges  sei  durch  die  Apostel  überliefert,  was  nicht  in  der  heil. 
Schrift  aufgezeichnet  worden;  nur  Schrift  und  Tradition  zusam- 
men bilden  die  Richtschnur  des  Glaubens.  Das  lautet  allerdings 
sehr  gut  katholisch.  Allein  Wessel  denkt  hiebei  offenbar  nur  an 
die  uralten  Ueberlieferungen  der  Kirche.  Wenn  die  Auktorität 
der  Kirchenoberen  in  der  Gegenwart,  wenn  Entscheidungen  des 
Papstes  oder  Aussprüche  von  Kirchenlehrern  neuerer  Zeit,  ver- 
glichen mit  der  Schrift,  abgewogen  werden,  so  tritt  er  entschieden 
auf  die  Seite  der  Schrift.  Er  bekennt  ausdrücklich,  dass  die  Gre- 

1;  Ullmann,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II.  239 — 343.  1.  Auf- 
lage 1 86«. 


Wessels  Lehre  von  Christi  Person  und  "Werk. 


531 


setze  und  Verordnungen  der  Päpste  nur  so  weit  verbindlieb 
sind,  als  sie  mit  dem  Evangelium  übereinstimmen,  aber  nicht 
weiter ;  denn  der  Wille  des  Papstes  und  die  Auktorität  der  heil. 
Schrift  stehen  nicht  auf  gleicher  Linie :  der  Wille  des  Papstes 
muss  nach  der  Schriftwahrheit,  und  nicht  die  Schriftwahrheit 
nach  dem  Willen  des  Papstes  geregelt  werden  . 

Aus  dem  Gedankensysteme  Wessel  s,  welches  Ullmairn 
ausführlich  entwickelt  hat.  heben  wir  hier  nur  einige  charakteri- 
stische Ideen  heraus. 

In  der  Lehre  von  Christo,  seiner  Person  und  seinem  Werke 
hat  er  etwas  acht  reformatorisches  darin,  dass,  während  der  mittel- 
alterliche Katholicisnius  die  Kirche  vor  Christum  stellt.  Wessel  im 
Gegentheil  Christum  vor  die  Kirche  stellt ;  nicht  Christus  ist  um 
der  Kirche  willen  da  .  sondern  die  Kirche  um  Christi  willen.  Es 
widersteht  ihm,  sich  den  Gottmenschen  so  zu  denken,  als  diene 
er  nur  zum  Heileder  Geschöpfe:  er  will  ihm  seine  vollkom- 
men selbständige  Würde  und  Erhabenheit  wahren.  Daher  geht 
Wessel  davon  aus:  So  wenig  Gott  das,  was  er  ist,  nur  um  des 
Logos  willen  ist,  eben  so  wenig  ist  der  Logos,  was  er  ist,  nur  um 
der  Menschen  willen.  Der  Sohn  Gottes  ist  Mensch  geworden  um 
seiner  selbst  willen,  und  würde  auch  Mensch  geworden  sein, 
wenn  die  Sünde  nicht  wäre.  Ferner  finden  wir  etwas  von  prote- 
stantischer Werthschätzung  der  sittlichen  Persönlichkeit  in  dem 
Umstand,  dass  Wessel  die  Bedeutung  und  den  Werth  des  Ver- 
söhnungsopfers  Christi  und  seines  Leidens  nicht  quantitativ 
abmisst.  nach  der  Höhe  der  erduldeten  Martern,  sondern  qualita- 
tiv und  intensiv,  nach  der  Macht  der  ihn  beseelenden  Liebe.  Das 
Leiden  Christi  war  schon  an  sich  schmerzlich;  aber  der  innere 
Schmerz  wurde  bei  dem  Erlöser  unendlich  erhöht  durch  die  Liebe, 
die  in  seinem  Herzen  wohnte :  diese  steigerte  seine  Leiden  bis  auf 
den  höchsten  Punkt 2  . 

In  der  Lehre  vom  Heilswege  nähert  sich  Wessel  den 
Keformatoren  selbst  mehr  als  irgend  einer  von  den  Vorläufern 


1  Ullmann..  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II.  355.  373  folg. 
439  folg.  451. 

2)  a.  a.  O.  II,  399  folg.  407  folg. 

34* 


532 


Buch  III.    Kap.  6.  IV. 


derselben.  Seine  Ueberzeugungen  lassen  sich  in  folgende  Sätze 
fassen : 

1 .  Der  Mensch  kann  durch  Erfüllung  des  Gesetzes  nicht  ge- 
recht und  selig  werden,  theils  weil  das  Gesetz  selbst  noch  unvoll- 
kommen ist,  theils  weil  der  Mensch  es  nie  ganz  erfüllt,  nie  ganz 
erfüllen  kann. 

2.  Christus  allein  trägt  die  Kraft  der  Erlösung,  Heiligung  und 
Beseligung  in  sich ;  durch  sein  sündlos  heiliges  Leben  wird  unsere 
Unvollkommenheit  ergänzt,  durch  sein  Leiden  und  Sterben  unsere 
Sünde,  nebst  dem  Tode  den  sie  verwirkt,  aufgehoben,  Gerechtig- 
keit und  Leben  geschenkt. 

3.  Vergebung  und  Gerechtigkeit  vor  Gott  durch  Christum 
wird  dem  zu  Theil,  welcher  das  Evangelium  von  Christo  glaubt 
und  als  eine  Freudenbotschaft  mit  Vertrauen  annimmt,  ausserdem 
den  ihm  verkündigten  Seligmacher  liebt. 

4.  Derselbe  rühmt  sich  dann  nicht  seiner  Werke  und 
seines  Thuns,  sondern  Gottes  und  seiner  Gnadengabe  durch 
Christum  t) . 

Allerdings  verneint  Wessel  hiemit  alles  menschliche  Ver- 
dienst schlechterdings,  und  schreibt  die  Gerechtigkeit,  Sündenver- 
gebung und  Seligkeit  ausschliesslich  der  Gnade  Gottes  in  Christo 
zu.  Dies  ist  paulinisch,  aber  nicht  in  reinerem  und  vollerem  Sinn, 
als  die  Lehre  Johann's  von  Goch2).  Wenn  aber  Uli  mann  zu 
verstehen  gibt,  dass  Wessel  bereits  die  reformatorische  Rechtfer- 
tigungslehre vortrage,  so  können  wir  ihm  doch  nicht  beistimmen. 
Denn  Wessel  spricht  zwar  viel  von  dem  Glauben;  aber  wenn 
wir  genau  zusehen  und  fragen:  wodurch  wird  ein  Sünder  ge- 
recht vor  Gott  ?  so  gibt  er  uns  die  Antwort :  durch  die  »rechtfer- 
tigende Liebe«;  soll  Christus  die  Sünden  wegnehmen,  so  ist  er- 
forderlich ,  dass  er  die  Gerechtigkeit  eingiesse  (justitiam  infim- 
dat);  oder:  das  Maass  der  Sündenvergebung  bestimmt  sich  nach 
dem  Maasse  der  Liebe.  Wessel  sagt  nicht  blos,  dass  der  Glaube, 
damit  er  der  rechtfertigende  sei,  lebendig  und  in  der  Liebe  thätig 
sein  müsse,  sondern  er  sagt  ausdrücklich,  dass  der  Glaube,  weil 


I  Ullmann,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II,  414  folg. 
2)  s.  oben  S.  518  folg. 


"Wessels  Lehre  von  der  Kirche. 


533 


er  die  Quelle  der  Liebe  ist.  und  um  dieser  seiner  Frucht  willen. 
Gott  angenehm  sei1).  Daraus  ergibt  sich,  dass  Wessel  die 
Frage  nach  der  subjektiven  Bedingung  der  Rechtfertigung  im 
Grunde  nicht  anders  beantwortet,  als  die  ganze  Scholastik  vor 
ihm.  nämlich  die  fides  charitate  formata  sei  diese  Bedingung. 
Nur  die  Verneinung  alles  menschlichen  Verdienstes  ist  acht  pau- 
linisch  und  reformatorisch ;  aber  der  Satz,  dass  der  Mensch  ge- 
recht werde  durch  den  Glauben  allein,  welchen  die  Reformation 
aufgestellt  hat,  ist  Wessel  vollkommen  fremd. 

Der  Kirchenbegriff,  welchen  Wessel  voraussetzt,  ist 
reformatorisch,  sofern  er  die  Kirche  als  etwas  Innerliches  fasst; 
er  ist  nicht  der  von  W i c  1  i f  und  H u s  nach  Augustin's  Vorgange 
aufgestellte  Begriff:  »die  Gesammtheit  der  Erwählten«,  wohl  aber 
der  aus  dem  apostolischen  Symbolum  entnommene  Begriff :  »die 
Gemeinschaft  der  Heiligen«.  Wessel  schlägt  in  der  Lehre 
von  der  Kirche  den  Weg  ein  vom  Inneren  zum  Aeusseren, 
oder,  wie  Uli  mann  treffend  formulirt :  »der  Weg,  den  Wessel 
dem  Christen  vorzeichnet,  geht  nicht  mit  Augustin  durch  die 
Kirche  zum  Evangelium,  sondern  mit  den  Reformatoren  durch 
das  Evangelium  zur  Kirche2).«  Eben  deshalb  ist  ihm  die  Ver- 
fassung, die  Hierarchie,  selbst  das  Papstthum  eine  Sache  zweiter 
und  nicht  erster  Ordnung.  Wessel  scheut  sich  nicht  den  Grund- 
satz auszusprechen :  »Die  Einheit  der  Kirche  unter  einem  Papst  ist 
nur  zufällig ,  nicht  noth wendig.«  Auf  der  anderen  Seite  ist  es  bei 
dem  Kirchenbegriff,  von  welchem  We  s  s  e  1  ausgeht,  nur  folge- 
richtig, wenn  er  die  Salbung  mit  dem  heil.  Geist  als  Priester- 
thum auffasst,  und  dieses  Priesterthum  für  die  Hauptsache  und 
für  zureichend  erklärt,  sollte  auch  das  andere,  das  Standesprie- 
sterthum, welches  durch  die  sakramentliche  Weihe  ertheilt  wird, 
mangeln.  Mit  andern  Worten,  Wessel  erkennt,  seinem  inner- 
lichen Begriffe  von  der  Kirche  gemäss,  auch  das  allgemeine 
Priesterthum  der  Gläubigen  an  ;  so  sehr,  dass  er  sagt,  wenn 
das  Standespriesterthum  dieses  allen  gemeinsame  Priesterthum 
nicht  besitzt,  so  ladet  es  sich  eine  Schuld  auf.   Priester  sind  im 


1)  ÜLLMANN,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II,  417.  419.  426.  502. 
2   a.  a.  O.  II,  437. 


534 


Buch  III.    Kap.  6.  IV. 


besten  Falle  nicht  Urheber  des  Heils,  wohl  aber  können  sie  Ver- 
derber und  Widerchristen  werden.  Selbst  derjenige,  welcher  auf 
der  höchsten  Stufe  der  Würde  sich  befindet,  ist  ein  Widerchrist, 
wenn  er  den  Geringsten  Anstoss  gibt  und  sie  wider  den  Willen 
Christi  von  dem  Wege  der  Wahrheit  und  des  Lebens  abfuhrt. 
Und  denen,  welche  die  Kirche  verstören,  sind  alle  Christen,  bis 
auf  die  Geringsten,  die  Bauern,  schuldig  Widerstand  zu  leisten ; 
und  das  um  so  mehr,  als  das  Verhältniss  zwischen  Gemeinde  und 
Geistlichkeit  ursprünglich  von  freier  Uebereinkunft  aus- 
geht und  der  Natur  der  Sache  nach  auch  wieder  gelöst  werden 
kann,  wenn  der  eine  Theil  sein  Versprechen  nicht  hält  *) . 

Das  Lehrstück  von  den  Sakramenten  hat  We s s e  1  kei- 
neswegs im  Ganzen  einer  Prüfung  unterworfen,  und  deshalb  auch 
die  Siebenzahl  der  römischen  Sakramente  nicht  angetastet ;  wohl 
aber  hat  er,  in  Gemässheit  seiner  Lehre  vom  Glauben,  die  Wir- 
kung des  Sakraments  durch  die  Gemüthsverfassung  des  Empfan- 
genden, nicht  blos  durch  die  Intention  des  Verwaltenden  und 
durch  die  objektiv  correkte  Vollziehung  (ex  opere  operato)  bedingt 
sein  lassen2).  Nur  auf  das  Abendmahl  und  das  Bussakrament 
ist  We  s  s e  1  näher  eingegangen. 

Das  Abendmahl  betrachtet  er  als  die  Vergegenwärtigung 
und  Zueignung  der  erlösenden  Liebe  Christi  im  Leiden  und  Kreu- 
zestode, so  dass  der  Genuss  desselben  zugleich  ein  Bekenntniss 
dieser  Liebe  und  ein  Beweis  dankbarer  Gegenliebe  ist.  Aber  er 
betont  zugleich,  dass  nicht  blos  die  Liebe  Christi,  sondern  der 
ganze  Christus  mit  allem,  was  er  für  uns  gewesen,  gelitten 
und  gethan,  darin  vergegenwärtigt  wird.  Und  eben  darum  ist 
dieses  selige  Gedächtniss,  welches  gestiftet  ist  zum  Andenken  an 
seine  Wunder,  wirksam  zu  allem,  wozu  Gott  der  Vater  sein 
Wort  gesendet  hat.  Aus  dem  Bisherigen  ergibt  sich  bereits,  dass 
Wessel  die  Gegenwart  Christi  im  Abendmahl  mit  seinem  Leib 
und  Mut,  nicht  als  leibliche,  sondern  als  eine  geistige  auff&sst. 
Er  unterscheidet  zwar  zwischen  »geistlichem«  und  »sakrament- 
licbem«  Geniessen  des  Leibes  Christi,  welches  letztere  in  der 


J  Ullmann,  Reformatoren  vor  der  Reformation.  II,  444— 44V 
2    a.  a.  O.  II,  454  folg. 


Wessels  Abendmahlslehre. 


535 


heiligen  Handlung  geschieht.  Aber  das  sakramentliche  Geniessen 
ohne  das  geistliche  ist  nicht  blos  unfruchtbar,  sondern  gereicht 
zum  Tode,  während  das  geistliche ,  welches  an  das  Abendmahl 
nicht  gebunden  ist  und  allezeit  statt  finden  kann,  stets  fruchtbar 
ist  und  zum  Leben  dient.  Wer  blos  sichtbar  geniesst  aber  nicht 
zugleich  geistig,  der  geniesst  eigentlich  gar  nicht.  Hierin  liegt 
auch  schon  deutlich  genug,  dass  nur  der  Gläubige  Christi 
Leib  und  Blut  geniesse  und  Christi  theilhaftig  werde.  Diese  ver- 
geistigende Auffassung  hilft  unserem  Wessel  auch  über  die 
Kelchentziehung  und  über  den  Begriff  des  Messopfers  hin- 
weg; er  tröstet  sich  damit,  dass  die  Laien  vermöge  des  inner- 
lichen Genusses,  der  doch  die  Hauptsache  sei,  auch  am  Kelche 
Antheil  haben,  obgleich  sie  äusserlich  davon  ausgeschlossen  sind. 
Andererseits  fasst  er  das  Abendmahl  als  ein  Opfer:  das  Ge- 
dächtniss  Christi  sei  ein  Weihrauchopfer,  seiner  vollendeten  Hei- 
ligkeit dargebracht *) . 

In  dem  allem  ist  freilich  von  wahrhaftiger  Gegenwart  des 
Leibes  und  Blutes  Christi  keine  Spur 2) .  Es  beruht  alles  auf  der 
subjektiven  Erinnerung,  auf  der  commemoratio ;  diese  ist  ein 
geistliches  Geniessen  Christi,  und  der  geistliche  Genuss  ist  die 
Bedingung  des  sakramentlichen  Geniessens,  weil  dieses  ohne 
jenes  gar  nichts  gewährt,  im  Gegentheil  zum  Tode  gereicht.  Eine 
Anschauung,  welche  am  meisten  Verwandtschaft  mit  der  Z  wing- 
li'schen  Abendmahlslehre  besitzt.  In  der  That  hat  Uli  mann 
auf  interessante  Weise  wahrscheinlich  zu  machen  gewusst,  dass 
Z  w  i  n  g  1  i  mit  durch  den  Einfluss  der  Abendmahlslehre  We  s  s  e  1'  s 
zur  Ausbildung  seiner  eigenen  Ansicht  vom  Abendmahl  geführt 
worden  sei 3) . 


1)  De  magnitudine  passionis  c.  47.  S.  556:  In  omni  commemoratione 
Jesu  summum  illud  consummatae  sanctitatis  incensum  offerimus.  Dies  ist 
nicht,  wie  Ullmaxx  ,  a.  a.  O.  II,  483  es  nimmt,  als  eine  Wiederholung 
des  Sühnopfers  Christi  gemeint,  sondern  als  ein  Dankopfer  der  Chri- 
sten ;  das  beweist  schon  der  Umstand,  ciass  Wessel  vom  Sühnopfer  Christi 
als  holocaustum  redet,  von  dem  Gedächtniss  Christi  im  Abendmahl  als  von 
einem  incensum. 

1   ÜLLMANN,  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II,  475—484. 
3)  a.  a.  O.  II,  456-475.  4s4  folg. 


Buch  III.    Kap.  6:  IV 


Das  Bussakrament  erörtert  Wessel  so.  dass  er  alle 
drei  Theile  desselben  einer  reformatorischen  Kritik  unterzieht : 
die  Zerknirschung-  des  Herzens  ist  nur  dann  die  richtige,  wenn 
sie  aus  Liebe  entspringt ;  das  Bekenntniss  des  Mundes  ist  nicht 
ein  gerichtliches  Geständniss,  und  setzt  nicht  voraus,  dass  der 
Priester,  welchem  gebeichtet  wird,  ein  von  Gott  beauftragter 
Richter  sei;  er  ist  nur  Diener,  und  Gott  ist  es,  der  Vergebung 
ertheilt.  Endlich  die  Genugthuung  des  Werkes  erkennt  Wessel 
durchaus  nicht  als  einen  wesentlichen  Theil  der  Busse  an  1  . 

In  Gemässheit  dieser  Ansicht  von  der  Busse  bestritt  Wes- 
sel auch  den  Ablas s,  den  er  für  eine  unbiblische  Neuerung 
seit  Bonifatius  VIII.),  ja  für  einen  frommen  Betrug  und  Irr- 
thum ,  für  Lug  und  Trug  erklärt.  Er  geht,  eben  so  wie  Johann 
von  We  sei,  in  diesem  Stücke  ungleich  weiter  als  Luther  in  sei- 
nen 95  Thesen  von  1517 2). 

Wenn  wir  aus  dem  Bisherigen,  zumal  aus  der  Polemik  Wes- 
sel's  gegen  den  Ablass,  den  Schluss  ziehen  wollten,  derselbe 
habe  auch  die  Lehre  vom  Fegefeuer  bestritten,  so  wäre  dies 
ein  Fehlschluss.  Wessel  hat  das  Fegefeuer  nicht  verneint,  im 
Gegentheil  behauptet  und  begründet,  aber  er  hat  die  Vorstellung 
desselben  allerdings  vergeistigt.  Er  denkt  sich  das  ewige  Leben 
als  höchste  Vollendung,  und  hält  eben  deshalb  einen  läuternden 
Mittelzustand  zwischen  der  irdischen  Unvollkommenheit  und  der 
himmlischen  Vollendung  für  noth wendig.  Aber  das  »Fegefeuer« 
ist  ihm  nach  der  Schrift  (1.  Kor.  3,  11  folg.)  nicht  Straffeuer, 
sondern  lediglich  nur  innerliches  Reinigungsfeuer,  so  zwar,  dass  er 
sagt,  Gott  selbst,  ferner  Christus.und  sein  Evangelium  ist  dieses 
reinigende  Feuer:  und  dieser  Zustand  ist  nicht  ein  Strafzustand. 
sondern  im  Gegentheil  bereits  die  erste  Stufe  der  Seligkeit 

Weder  diese  Vergeistigung  und  Idealisirung  der  Lehre  vom 
Fegefeuer,  noch  die  Polemik  gegen  den  Ablass,  noch  die  Abend- 
mahlslehre  Wessel  s  ist  der  reformatorische  Kernpunkt  seiner 
Gedanken,  sondern  die  auf  dem  Grunde  achter  Frömmigkeit  fest 


1)  Ullmann.  Reformatoren  vor  der  Reformation,  II,  4W  folg. 
2   a.  a.  O.  II,  491—  WS. 
3)  a.  a.  O.  II,  504— 514. 


Das  Keformatorische  in  Wessel. 


537 


stehende  Gesinnung*  der  Liebe  und  des  Vertrauens  zu  dem  leben  - 
digen  Christus,  welche  selbst  zugleich  die  Geistesfreiheit  des 
Mannes,  seine  Unabhängigkeit  von  menschlichen  Auktoritäten 
und  Satzungen,  eine  wissenschaftliche  Selbständigkeit  und  Frei- 
sinnigkeit mit  sich  brachte  1  .  Der  Exponent  dieser  Gesinnung 
ist  Wes  sei's  Lehrbegriff,  vorzüglich  seine  Anschauung  von  der 
Person  Christi  und  dem  Werke  der  Versöhnung,  seine  Lehre  vom 
Heilsweg.  sofern  er  alles  menschliche  Verdienst  vollkommen  be- 
seitigt, und  sein  Kirchenbegriff,  sofern  derselbe  von  innen  nach 
aussen  geht  und  die  Gemeinschaft  der  Heiligen  als  das  Wesen 
der  Kirche  fasst.  eben  damit  aber  auch  das  allgemeine  Priester- 
thum der  Gläubigen  anerkennt. 

Kein  Wunder,  dass  Luther  selbst  mit  aufrichtiger  Hoch- 
achtung und  verwundernder  Freude  zu  Wessel  aufgeschaut  und 
ihn.  wie  keinen  Andern,  als  seinen  Vorgänger  anerkannt  hat : 
-Man  sieht,  dass  er  wahrhaftig  von  Gott  gelehret  sei,  denn  man 
kann  von  ihm  nicht  urtheilen.  dass  er  seine  Lehre  von  Menschen 
habe,  gleichwie  auch  ich  nicht.  Und  wenn  ich  den  Wessel  zu- 
vor gelesen,  so  Hessen  meine  Widersacher  sich  dünken.  Luther 
hätte  alles  vom  Wessel  genommen,  also  stimmet  unser  beider 
Geist  zusammen2  .< 

Und  dass  von  Wessel  in  seinem  Vaterlande,  vorzüglich  in 
Groningen  selbst ,  eine  reformatorische  Generation  ausgegangen 
ist,  hat  Uli  mann  in  reichhaltiger  und  lichtvoller  Weise  nach- 
gewiesen'' . 

V. 

Eine  Thatsache,  welche  schlagend  beweist,  dass  gegen  den 
Schluss  des  XV.  Jahrhunderts  die  Sehnsucht  nach  einer  Reform 
der  Kirche  die  edelsten  Gemüther  allenthalben  erfüllte,  ist  das 
Auftreten  des  Dominikaners  Hieronymus  Savonarola  für  eine 
gründliche  Reform  der  Kirche,  ja  seine  Weissagung  von  der  Er- 
neuerung der  Kirche,  welche  sicher  und  bald  kommen  werde. 

1  Ullmax.x,  Keformatoren  vor  der  Reformation,  II,  2S2  folg.  321 . 
535  folg. 

2  Luther 's  Werke,  Walch'sche  Ausgabe  XIV,  220  folg. 
3)  ÜLLMANN,  Ref.  v.  d.  Ref.  II,  527  folg. 


538 


Buch  III.    Kap.  8.  V. 


In  demselben  Jahre,  wo  Johann  Wessel  in  Groningen  starb, 
1489,  fing  Savonarola,  nachdem  er  in  das  Markuskloster  zu 
Florenz  versetzt  worden  war,  hier  reformatorisch  zu  wirken  an. 
Hieronymus  Savonarola,  aus  einem  edlen  Geschlecht  1452  zu 
Florenz  geboren,  wurde  im  23.  Jahre  durch  »das  grosse  Elend 
der  Welt  und  die  Verdorbenheit  der  Menschen«  in's  Kloster  ge- 
trieben; er  ging  im  April  1475  in  das  Dominikanerkloster  zu 
Bologna.  Aber  auch  im  Kloster  fand  er  Eitelkeit  und  weltliche 
Gesinnung ;  und  da  er  als  Novizenlehrer  das  »Leben  der  Altväter« 
las,  und  vollends  von  den  Kirchenvätern  zur  Schrift  selbst  über- 
ging, wurde  seine  Erkenntniss  der  herrschenden  Mängel  immer 
klarer.  Die  heil.  Schrift  war  es,  die  ihm  Licht  gab  über  die 
Notwendigkeit  einer  Reform  der  Kirche.  Er  erkannte,  dass  das 
göttliche  Weltregiment  auf  wunderbare  Weise  Gerechtigkeit  und 
Erbarmen  in  sich  vereinige,  und  fasste  die  Ueberzeugung,  dass 
auch  in  der  Gegenwart  Gerichte  Gottes  kommen  werden,  und 
dass  nur  diejenigen,  welche  sich  bekehren,  Erbarmung  finden 
werden.  Nachdem  er  als  Dominikaner  in  verschiedenen  Klöstern 
seines  Ordens  gelebt  hatte,  auch  einmal  in  St  Marco  zu  Florenz 
gewesen  war ,  erhielt  er  in  Folge  der  Verwendung  des  Fürsten 
Johann  Picus  von  Mirandola  und  des  ausgesprochenen  Wun- 
sches von  Lorenzo  Medici,  von  seinen  Oberen  den  Befehl  nach 
Florenz  zu  gehen.  Und  hier  brachte  er,  zuerst  als  Mönch,  seit 
1490  als  Prior  des  Dominikanerklosters  St.  Markus,  die  letzten 
neun  Jahre  seines  Lebens  in  einer  bewegten,  mannigfach  erfolg- 
reichen, aber  tragisch  schliessenden  Thätigkeit  zu,  deren  bewe- 
gende Feder  nichts  anderes  war  als  der  Drang  zur  Reform  der 
Christenheit. 

Savonarola  eröffnete  seinen  Unterricht  als  Novizenlehrer 
im  Klostergarten  zu  St.  Marco  unter  einem  Rosenbaum.  Bald 
wuchs  die  Zahl  der  Zuhörer,  unter  die  sich  auch  geistvolle  und 
gelehrte  Leute  mischten,  dermaassen,  dass  er  seine  Vorträge  in  die 
Klosterkirche  verlegte.  Hier  fing  er  im  August  1489  an  die  ( Offen- 
barung Johannis  auszulegen,  und  bald  strömte  zu  diesen  Bibel- 
stiuiden  so  viel  Volk,  dass  die  Mönche  selbst  kaum  mehr  Platz 
landen.  Der  Faden,  welcher  sich  durch  diese  Predigten  hin- 
durchzog, bestand  in  folgenden  Hauptgedanken:  -  Die  Kirche Got- 


Savonarola  s  Busspredigten. 


539 


tes  muss  erneuert  werden,  zuvor  aber  wird  ganz  Italien  scharf 
gezüchtigt.  Das  Schwert  des  Herrn  wird  bald  und  schnell  über 
die  Erde  kommen.«  Die  sittlich-religiöse  Reform  der  Kirche 
stand  in  seinen  Gedanken  im  engsten  Bunde  mit  der  Heimsuchung 
und  politischen  Wiedergeburt  Italiens  und  mit  Wiederherstellung 
der  republikanischen  Freiheit  in  Florenz  1  . 

Als  er  1490  zum  Prior  von  St.  Markus  befördert  wurde,  liess 
er  sich  schlechterdings  nicht  bewegen,  dem  Staatsoberhaupt  Lo- 
renzo  Medici  irgend  eine  Art  von  Huldigung  zu  erweisen.  Thec- 
kratische  Ideen,  aber  auch  republikanische  Gefühle  hielten  ihn  da- 
von ab.  Lorenzo  starb  1492;  wenige  Monate  nach  ihm  starb  auch 
Innocenz  VIII..  und  den  römischen  Stuhl  bestieg,  in  Folge  notori- 
scher Bestechung,  der  ruchloseste  unter  den  Päpsten,  der  Atheist 
Alexander  VI.  Nun  trat  der  Prior  von  St.  Marco  als  erklärter 
Gegner  der  in  Laster  und  Schande  versunkenen  Kurie  auf,  wäh- 
rend er  Busspredigten  über  die  Sünden  aller  Stände  hielt.  »Ihr 
macht  mich  mit  Gewalt  zum  Propheten,«  ruft  er  in  einer  Predigt 
den  Florentinern  zu ;  »die  Sünden  Italiens  müssten  alle  zu  Pro- 
pheten machen,  wenn  auch  keine  Prophetie  mehr  wäre2).«  Als 
nun  Karl  VIII.  von  Frankreich  die  Ansprüche  des  Hauses  Anjou 
auf  Neapel  wieder  aufnahm  und  1494  in  Italien  einrückte,  sah 
Savonarola  in  ihm  das  Werkzeug,  durch  welches  Gott  Italien 
züchtigen,  die  Kirche  Christi  erneuern  und  Florenz  wieder  er- 
heben wolle;  er  konnte  Kirchliches  und  Politisches  nicht  mehr 
richtig  unterscheiden.  Das  Volk  verjagte  den  Peter  Medici, 
weil  er  durch  seine  verkehrte  Politik  die  Existenz  des  Staates 
gefährdet  habe .  und  schloss  einen  Vergleich  mit  Karl  VIII.  ab. 
Nun  galt  es ,  nach  dem  Abzüge  der  Franzosen ,  die  Verfassung- 
von  Florenz  zu  reorganisiren :  da  griff  Savonarola  aus  Patrio- 
tismus thätig  ein.  Er  handelte  wie  ein  Prophet,  wie  ein  theokra- 
tischer  Führer  und  Gesetzgeber,  und  gestaltete  Florenz  in  einen 
demokratisch  republikanischen  Gottesstaat  um,  dessen  Seele  Got- 


1)  Rudelbach,  Hieron.  Savonarola  und  seine  Zeit,  1835.  76  folg. 
Villari,  Stoi'ia  dt  Girolamo  Savonarola ;  Uebers.  v.  Berduschek,  Leipz.  1S6S. 
I,  269. 

2   Rud Elbach,  a.  a.  O.  300. 


540 


Buch  III.   Kap.  6.  V 


tesfurcht  und  Nächstenliebe  sein  sollten,  lieber  die  Kanzel  im 
Dom  wurde  die  Inschrift  gesetzt:  »Jesus  Christus,  der  König 
der  Stadt  Florenz.«  Es  gab  Demonstrationen,  wo  das  Volk  rief : 
»Es  lebe  Christus,  unser  König1;  !«  Florenz  sollte  nach  Savona- 
rola's  Ideal  ein  asketisch  strenges  christliches  Gemeinwesen 
werden;  es  lag  etwas  Puritanisches  in  seiner  Art.  Das  Muster- 
kloster, welches  er  gründen  wollte ,  sollte  durchaus  schmucklos 
und  einfach  sein,  die  Klosterkirche  ohne  steinerne  Säulen,  die 
heiligen  Gewänder  nur  von  Wolle  und  Leinwand,  die  Kelche 
ohne  kostbaren  Schmuck.  Aehnlich  sollte  es  in  der  Stadt  werden. 
Ein  Verein  von  Jünglingen,  unter  seiner  eigenen  Leitung,  ging 
während  der  Advents-  und  Fastenzeit  in  die  Häuser  und  sam- 
melte allerlei  eitle  Dinge,  die  man  nur  Anatema  nannte,  als  Kar- 
ten, Würfel,  Harfen,  Lauten,  unzüchtige  Gemälde,  Boccaccio  s 
Werke  u.  s.  w.  Diese  Dinge  wurden  am  Carnevalstage  aufge- 
schichtet und  unter  Psalmengesang  verbrannt 2  .  Selbstverständ- 
lich war  nicht  alles  in  der  Stadt  so  gesinnt.  Die  Gegner  nannten 
sich  die  Wilden  [Arrabiati),  während  sie  die  fromme  Volkspar- 
tei die  Heuler  ( Piagnoni) ,  auch  wohl  Heuchler  nannten .  Die 
weltlich  gesinnten  Patricierfamilien  von  Florenz  standen  meist 
Savonarola  entgegen.  Aber  sein  gefährlichster  Gegner  war 
Alexander  VI.  Nachdem  der  Versuch ,  den  kühnen  Reformer 
durch  den  Cardinalshut  zu  ködern,  misglückt.  auch  der  Plan,  ihn 
durch  List  in  die  Gewalt  der  Kurie  zu  bringen,  gescheitert  war. 
drohte  man  ihm  mit  dem  Bann ;  und  als  er  unerschrocken  fort- 
predigte, verhängte  der  Papst  im  Mai  1497  wirklich  den  Bann 
über  ihn.  Als  aber  Alexander  VI.  es  dahin  brachte,  den  Reformer 
in  Sachen  der  Religion  zu  verdächtigen,  als  auch  die  Franziskaner 
den  Dominikaner  zu  bekämpfen  anfingen :  da  wandte  sich  die 
Volksgunst  allmählich  von  ihm  ab.  Savonarola  wurde  in  der 
Morgenfrühe  des  9.  April  1498  gefangen  genommen,  im  Inquisi- 
tionsprocess  gefoltert,  als  Ketzer,  Verfolger  der  Kirche  und  Volks- 
vcrführer  zum  Tode  verurtheilt.  und  am  23.  Mai  1498  mit  mehre- 
ren Gesinnungsgenossen  auf  dem  Marktplatze  zu  Florenz  mit  dem 

1)  Rudelbacii,  Hieron.  Savonarola  und  seine  Zeit,  192.  ü>7. 

2)  a.  a.  ü.  WS).  177. 


S  b  v  ( >  n  arola'  s  Gesinnung 


54  I 


Strang  hingerichtet,  die  Leiber  nachher  verbrannt  und  die  Asche 
in  den  Arno  geworfen. 

Es  ist  so  gekommen,  wie  Savonarola  selbst  einmal  in  der 
Predigt  gesagt  hatte :  »Der  Meister,  der  den  Hammer  führt .  wirft 
ihn  weg,  wenn  er  ihn  gebraucht  hat,  wozu  er  will.  So  wird  er's 
auch  mit  diesem  Hammer  thun :  wenn  er  ihn  genugsam  geführt 
hat  nach  seiner  Weise,  wird  er  ihn  hinwerfen.  Dei;  Herr  thue. 
was  ihm  gefällt1)!«  Savonarola's  Seele  glühte  für  Gottes  Ehre 
und  Christi  Reich.  Aber  es  ist  etwas  von  'schwärmerisch-fana- 
tischer Gluth  in  ihm.  In  seinem  prophetischen  Feuer  ist  unwill- 
kührliche  Täuschung,  ein  Eilen  ohne  Weile  während  wir  »warten 
und  eilen«  sollen,  2.  Petri  3.  12  2  ,  ein  wohlgemeintes  und  doch 
anmaassliches  Beschleunigenwollen  der  Zukunft  des  Reiches 
Gottes ;  und  ein  Hauptschaden  bei  ihm  ist  die  trübe  Mischung 
zwischen  Religion  und  Politik. 

Savonarola  hat  mehrere  wahrhaft  reformatorische  Züge. 
Die  Liebe  zur  Schrift,  mit  der  er  seinen  Geist  nährt,  seine 
Kraft  stählt,  seine  Seele  erquickt  und  tröstet,  ist  ächt  evange- 
lisch, wiewohl  er  die  scharfe  Linie  zwischen  Schrift  und  Tradition 
nicht  zieht,  und  das  allein  maassgebende  Ansehen  der  Schrift 
nicht  geltend  macht  wie  ein  Wiclif.  Aber  hoch  über  Wiclif 
steht  er.  ja  er  zeichnet  vor  allen  Vorläufern  der  Reformation, 
selbst  vor  Johann  Wessel  sich  aus  durch  seine  Erkenntniss  des 
Heilswcges ;  nicht  nur  dass  der  Glaube  Gottes  Gabe  und  Werk 
ist.  sondern  auch  dass  der  Glaube  allein  gerecht  macht, 
ohne  Gesetzeswerke,  hat  Savonarola  klar,  rund  und  voll 
ausgesprochen 3  .  Und  das  war  bei  ihm  nicht  blosse  Theorie, 
sondern  Gesinnung  des  Herzens.  Nicht  auf  seine  eigene,  sondern 
auf  Gottes  Gerechtigkeit  und  unverdiente  Gnade  setzte  er  sein 
Vertrauen.  Das  sprach  er  noch  in  seiner  Auslegung  des  31.  und 


1)  Rcdelbach,  Hieron.  Savonarola  und  seine  Zeit,  234. 

2  Savonarola  gesteht  selbst  in  einem  Briefe :  »Wir  zählen  die  Tage, 
wir  sind  ungeduldig  —  Videbitis  cito,  cito!«  Rudelbach  226.  230.  Anm.  1. 

3!  Expositio  orationis  dominicae:  Haec  (seil,  ßdes  sola  justificat 
hominem;  id  est,  apud  Deum  absque  operibus  legis  justum  facit. 
Bei  Rüdelbach  a.  a.  O.  34S  folg.  374.  Meditationes  in  psalmos,  ed.  1524. 
A.  4a.  C.  Ib. 


542 


Buch  III.    Kap.  6.  V. 


51 .  Psalms  aus,  die  er  im  Kerker  geschrieben  bat.  Und  als  noch 
auf  dem  Richtplatz  einer  ihn  ermunterte  nicht  zu  verzagen ,  son- 
dern der  vielen  guten  Werke ,  die  er  gethan,  sich  zu  getrösten, 
erwiederte  er :  »Dem  Sünder  gebührt  kein  menschliches  Lob  und 
keine  Ehre;  auch  ist  in  diesem  Leben  keine  Zeit  des  Rühmens 
—  Ferner.  Savonarola,  als  Dominikaner,  ist  ein  Verehrer  des 
Thomas  von  Aquino,  und  ist  schon  deshalb  mit  den  Augusti- 
nischen  Gedanken  befreundet.  Sein  Begriff  von  der  Kirche 
ist  derselbe  wie  bei  Wiclif  und  Hus:  die  Kirche  ist  die  Ge- 
sammtheit  der  Erwählten;  auf  die  Lehre  von  der  Gnadenwahl 
geht  er  spekulativ  nirgends  ein.  wohl  aber  sind  ihm  nur  diejenigen 
wahre  Glieder  der  Kirche ,  welche  im  Gnadenstande  sich  befin- 
den 2  .  Auch  e  r  geht,  wenn  er  von  der  Kirche  handelt,  den  Weg 
von  innen  nach  aussen,  nicht  von  aussen  nach  innen.  Nicht  die 
äussere  Stellung,  nicht  der  hohe  Rang,  den  jemand  auf  der  Stufen- 
leiter der  Hierarchie  einnimmt,  macht  es,  sondern  die  innere 
Stellung  zu  Christo.  »Von  dem  Papste  muss  man  zum  himmlischen 
Papste,  d.  h.  zu  Christo,  als  der  letzten  Zuflucht,  sich  wenden. 
Ja  du,  Herr  Christus,  bist  mein  Pfarrherr,  mein  Prälat,  mein  Bi- 
schof, mein  Papst !  Die  Kirche  kann  irren,  selbst  die  Gesammt- 
kirche ,  wie  viel  mehr  Papst  und  Concilien.  Und  wenn  der  geist- 
liche Richter  selbst  in  Todsünde  und  Ketzerei  befangen  ist,  so  ist 
jede  Censur  die  er  verfügt,  ja  der  Bann  den  er  ausspricht,  nich- 
tig und  machtlos.  Wenn  Christus  dich  nicht  absolvirt,  was  helfen 
dir  dann  die  andern  Absolutionen  ?  Christus  spricht :  Ich  bin  der 
Weg,  die  Wahrheit  und  das  Leben;  ich  will  bei  denen  stehen, 
die  verflucht  werden,  und  der  Teufel  steht  bei  denen,  die  gesegnet 
werden.  Nicht  die  sind  von  Christo  abgeschnitten,  die  seinen 
Tod  an  ihrem  sterblichen  Leibe  tragen4).« 

Savonarola  vergleicht  die  Kirche  seinerzeit,  die  »moderne 
Kirche«,  wie  er  sie  nennt  ,  mit  der  apostolischen  Urkirche,  und 
findet  einen  ungeheuren  Abstand  zwischen  beiden:  Die  Christen 

!)  Rudelbacii,  Hieron.  Savonarola  und  seine  Zeit,  263  folg.  271. 

2)  a.  a.  ü.  [95.  3571.  361. 

3j  Worte  der  letzten  Predigt,  welche  Savonarola  am  18.  März  14t>s 

in  der  Markuskirche  gehalten  hat,  bei  Uuüelb.\(H  a.  a.  O.  233. 

4)  Rudelbach  a.  a.  O.  203  folg.  325.  32<>. 


Einsicht  in  die  Schäden  der  Kirche. 


543 


sind  nicht  mehr  vereinigt  in  Christo  Jesu,  und  daher  nicht  mehr 
einig  unter  sich.  Die  wahre  Kirche  ist  zerstört,  und  eine  falsche 
gebaut,  aus  Christen,  welche  Brennstoff  zum  Feuer  der  Hölle  sind. 
Insbesondere  findet  er.  dass  judaisirende  Lehren.  Ueberschätzung 
der  Ceremouien  und  der  zeitlichen  Güter  eingeschlichen  sei.  »Dem 
evangelischen  Gesetze  Christi  sind  eine  Menge  andere  Satzungen 
angeheftet  worden,  die  viel  ärger  sind  als  die  Satzungen  der 
Juden  zum  Gesetze  Mosis.  So  sind  wir  denn  vom  Neuen  zum 
Alten  Testamente  zurückgekehrt:  die  Christenheit  ist  heut  zu 
Tage  ein  jüdisches  Volk  geworden1  .  An  der  römischen 
Kirche  insbesondere  ist  vom  Scheitel  bis  zu  den  Fussohlen  nichts 
Gesundes  mehr,  und  doch  betet  man  den  Greuel  an.  der  auf  dem 
erhabenen  Stuhle  Petri  sitzt  und  sich  ohne  Scheu  überall  aus- 
breitet. Alexander  VI.  ist  kein  Papst  und  kann  nicht  als  sol- 
cher anerkannt  werden.  Ja.  ich  ich  sage  euch,  er  ist  kein  Christ, 
und  glaubt  nicht  einmal  an  einen  Gott !« 

Je  klarer  Savonarola  die  tiefen  Schäden  der  Kirche  seiner 
Zeit  erkannte,  vornämlich  den  Rückfall  in  judaisirendes  Wesen, 
desto  klarer  ist  ihm  die  Noth wendigkeit  der  Kirch  en- 
reform  geworden.  Die  Erneurung  und  Verjüngung  der  Kirche, 
aber  nicht  der  Kirche  allein  sondern  der  gesammten  Christenheit, 
war  die  Sehnsucht  seines  Heizens .  das  Ziel  der  Arbeit  seines 
Lebens :  und  schliesslich  ist  er  als  Märtyrer  für  diese  Idee  ge- 
storben. Denn  er  ist  nicht  sowohl  wegen  irgend  einer  besonderen 
Irrlehre,  die  ihm  schuld  gegeben  wurde,  als  vielmehr  wegen  seines 
Dringens  auf  Reform  zum  Tode  verurtheilt.  Alexander  VI.  hat 
ihn  allerdings  »als  einen  Ketzer.  Schismatiker.  Verfolger  der  heil. 
Kirche  und  Volksverführer«  verurtheilt ;  aber  die  zwei  zuerst  ge- 
nannten Punkte  waren  unstreitig  nichts  anderes  als  gleissnerische 
Umschreibungen  seines  Reformbestrebens.  Als  Mittel  und  Wege, 
zur  Reform  zu  gelangen,  betrachtete  Savonarola  vor  allem  die 
Predigt  des  Worts,  sodann  die  Bekehrung  der  einzelnen  Seelen,  und 
die  Erneuerung  des  kirchlichen  und  gemeinen  Wesens  von  einem 
Mittelpunkte  aus  als  solcher  sollte  ihm  natürlich  Florenz  selbst 


1)  In  Predigten  über  den  Propheten  Haggai.  bei  Rudelbach,  a.  a.  ü. 
315  folg. 


544 


Buch  III.    Kap.  (i.  V. 


dienen  ,  endlich,  um  die  Reform  im  Grossen  und  Ganzen  durch- 
zuführen, ein  allgemeines  Concil.  In  Betreff  der  Predigt  sagt 
er  in  seinem  Schreiben  an  die  christlichen  Fürsten :  »Weil  mir  Gott 
durch  seine  Gnade  hat  kund  werden  lassen,  dass  er  seine  Kirche 
durch  viele  Heimsuchungen  erneuern  will,  so  habe  ich  seit  acht 
Jahren  im  Herzen  Italiens  mit  lauter  Stimme  alle  zur  Busse  ge- 
rufen, und  mich  bemüht  den  christlichen  Glauben  in  seiner  ganzen 
Herrlichkeit  darzustellen.  Ich  habe  zur  Busse  gerufen,  damit  die 
ganze  Welt,  damit  alle  Völker  zu  Gott  zurückkehren  möchten. « 
Und  gewiss  ist  Savonarola  einer  von  den  gewaltigsten  und 
ergreifendsten  Predigern  aller  Zeiten  gewesen,  weil  er  »nicht  mit 
vernünftigen  Reden  menschlicher  Weisheit,  sondern  mit  Bewei- 
sung  des  Geistes  und  der  Kraft«  (1.  Kor.  2,  4)  redete.  Gerade 
die  schmucklose  Einfalt,  mit  der  er  redete,  das  Wiederaufnehmen 
der  Bibel ,  welche  bei  den  meisten  Predigern  seiner  Zeit,  wie  er 
selbst  sich  ausdrückt,  »im  Staube  lag«,  und  dass  er  nicht  sich 
selbst,  sondern  Christum  den  Gekreuzigten  predigte,  —  das  alles 
zusammen  machte  so  tiefen  Eindruck.  Dass  er  ferner  glaubte, 
erst  im  »kleinsten  Punkte  die  höchste  Kraft  sammeln«  und  der 
Reformation  in  Florenz  eine  feste  Stätte  bereiten  zu  müssen,  da- 
mit sie  von  da  aus  weiter  schreite,  das  war  an  sich  ganz  richtig 
und  gesund ;  nur  fehlte  er,  wie  gesagt,  darin,  dass  er  Politisches 
und  Kirchliches  in  trübe  Mischung  brachte.  Wenn  er  endlich  ein 
allgemeines  Concil  für  das  einzige  Mittel  ansah,  die  Reform 
in  den  weitesten  Kreisen  durchzuführen,  so  hatte  er  darin  sein 
Jahrhundert  und  die  besten  Christen  seiner  Zeit  für  sich.  Aber 
wie  griff  er  die  Sache  an  ?  Im  Anfang  des  Jahres  1497  wie 
Rudelbach  vermuthet  versandte  er  Schreiben  an  die  euro- 
päischen Fürsten,  an  den  Kaiser,  an  die  Könige  von  Frankreich, 
England  und  Ungarn,  an  den  König  und  die  Königin  von  Spanien, 
und  eröffnete  ihnen,  Gott  habe  ihm  selbst.  Savonarola.  aus 
Gnaden  geoflenbart.  dass  er  in  dieser  Zeit  Gerechtigkeit  und  Hann- 
herzigkeit üben  wolle  auf  Erden,  die  in  seiner  Kirche  herrschen- 
den Sünden  bestrafen,  und  der  Kirche  ihre  alte  Schönheit  wieder- 
geben werde.  Zu  diesem  Behufe  habe  er  mit  der  Predigt  der  Busse 
das  Seinige  gethan.  Nun  aber,  da  die  Zeit  der  Rache  nahe,  habe 
der  Herr  ihm  befohlen,  ihnen,  den  Fürsten  des  christlichen  Ge- 


Savonarola*  s  Aiifruf  an  die  Fürsten  Europa  s. 


545 


meinwesens,  einige  Geheimnisse  zu  offenbaren.  Darum  bezeuge 
er  ihnen  mit  Gottes  Wort,  dass  Alexander  VI.  kein  Papst  sei 
s.  oben  :  und  auf  Gottes  Befehl  bitte,  ermahne  und  beschwöre  er 
die  Fürsten,  bei  Vermeidung  der  schwersten  Sünde  und  des 
Zornes  Gottes,  ein  freies  Coneil  zu  veranstalten,  um  die  Christen- 
heit von  so  verderblichem  Uebel  zu  befreien.  Er  selbst  mache 
sich  anheischig,  vor  dem  Concil  dasjenige  zu  beweisen,  was  er 
hier  gesagt:  ja  Gott  werde  mit  offenbaren  Wundern  zeigen,  dass 
es  Wahrheit  sei.  So  mögen  sie  denn  Gottes  Befehl  nicht  zu  ihrem 
eigenen  Schaden  verachten  u.  s.  w.  1). 

Wir  können  uns  vorstellen,  was  diese  Schreiben  bei  den 
Fürsten,  falls  sie  wirklich  in  deren  Hände  gelangt  sind,  für  einen 
Eindruck  machen  mochten.  Wie  ein  Prophet  Gottes  im  Alten 
Bunde,  tritt  der  Mönch  hier  vor  die  gekrönten  Häupter,  um  ihnen 
Gottes  unmittelbaren  Befehl  zu  offenbaren.  Sie  werden  erst  ge- 
staunt, dann  alter  den  Kopf  geschüttelt  und  schliesslich  lächelnd 
das  Schreiben  ad  acta  gelegt  haben .  überzeugt,  dass  es  der  Er- 
guss  eines  frommen  Schwärmers .  wo  nicht  eines  Wahnwitzigen 
sei.  Und  in  der  That.  von  schwärmerischer  Illusion  können  wir 
hierin  den  edlen  Mann  nicht  frei  sprechen.  Als  aber  im  Mai  des- 
selben Jahres  1497  in  Rom  der  Bann  über  Savonar  ola  verhängt 
worden  war.  wiederholte  letzterer  noch  heftiger  als  jemals,  die 
Aufforderung  zur  Versammlung  eines  freien  christlichen  Concils. 

Zu  eiuem  reformatorischen  Concil,  wie  er  sich's  dachte ,  ist 
es  freilich  nicht  gekommen.  Aber  Savonar  ola  war  dessen 
ungeachtet  so  fest  als  von  irgend  etwas,  davon  überzeugt,  dass  es 
zu  einer  Reform  der  Kirche,  so  oder  so,  kommen  werde.  In  einer 
Predigt  am  Feiertage  Simonis  und  Judae,  28.  Oktober  1496,  sagte 
er  unter  anderem:  »Ich  weiss  gewiss,  dass  die  Kirche 
sich  erneuern  wird,  es  gehe  wie  es  wolle:  du  siehest 
aber  nur  auf  die  Dinge,  wie  sie  jetzt  gehen,  und  meinst,  es  könne 
nimmer  dahin  kommen!«    Andererseits  hat  Savonarola  vom- 


1)  Die  Schreiben  an  den  Kaiser  und  an  das  Königspaar  von  Castilien 
und  Arragonien  siud  in  italienischer  Uebersetzung  auf  uns  gekommen, 
und  unter  den  Beilagen  S.  402  folg.  von  Rudelbach  mitgetheilt.  wäh- 
rend sein  eigener  Bericht,  S.  1S4  folg.,  doch  nicht  ganz  getreu  den  Geist 
und  Ton  wiedergibt,  aus  welchem  Savonarola  spricht. 

Lechleb,  Wiclif.  II.  35 


546 


Buch  III.    Kap.  6.  V. 


Jahr  U89  an  bis  an  sein  Ende  geglaubt  und  gepredigt  und  daran 
festgehalten :  »die  Kirche  Christi  muss  erneuert  werden,  und  zwar 
binnen  kurzer  Zeit.«  Fern'er,  als  Alexander  VI.  ihm  den  Car- 
dinalshut antragen  Hess,  sofern  er  von  seinen  Prophezeiungen  ab- 
stehen wollte,  gab  Savonarola  zur  Antwort:  »Gott  behüte  mich 
davor,  dass  ich  dem'Auftrage  meines  Herrn  untreu  werden  sollte ! « 
Und  den  Tag  darauf  sprach  er  öffentlich  auf  der  Kanzel  davon 
und  fügte  bei :  »Ich  begehre  keinen  andern  rothen  Hut  als  den  des 
Mä r ty r er th ums,  welcher  mit  meinem  eigenen  Blute  roth  ge- 
färbt werden  wird  *) ! « 

Es  ist  wahr,  die  Reform  der  Kirche  ist  nicht  in  Italien  und 
nicht  in  der  Art,  wie  Savonarola  erwartete,  gekommen.  In  so 
weit  sind  seine  Prophezeiungen  nicht  in  Erfüllung  gegangen. 
Aber  in  drei  Punkten  hat  sich  erfüllt,  was  er  vorhergesagt  hatte  : 
er  selbst  ist  ein  Märtyrer  seiner  Prophezeiung  und  seines  Reform- 
bestrebens geworden;  ferner,  die  Reform  ist  bald  gekommen,  es 
waren  noch  keine  zwanzig  Jahre  nach  seinem  Tode  verstrichen, 
als  die  deutsche  Reformation  begann ;  und,  was  gegenüber  der 
Verzweiflung  und  dem  Pessimismus  vieler  wackeren  Christen 
jener  Zeit  wahrlich  nicht  zu  unterschätzen  ist,  die  felsenfeste 
Zuversicht,  mit  welcher  der  Florentinische  Dominikanerprior  einer 
Erneuerung  der  Kirche  »es  gehe  wie  es  wolle«  entgegensah .  ist 
nicht  zu  Schanden  geworden.  Angesichts  dieser  schwer  wiegen- 
den Thatsachen  treten  wir  unbedenklich  dem  Urtheil  Rudel- 
bach'sbei,  dass  Savonarola  ein  »Prophet  der  Reforma- 
tion« sei2).  Wir  glauben  dieses  Urtheil  nur  noch  insofern  er- 
gänzen zu  müssen,  als  wir  sagen:  Savonarola  war  der  Prophet 
der  Reformation  und  der  Märtyrer  seiner  Prophetie,  ein  Märtyrer 
der  Reform  vor  der  Reformation. 


1)  »«Tb  non  voglio  capelH  (Hüte),  non  mitre,  grandi  ne  iiiccole;  —  wi 
capello  roaso,  un  capel/o  di  sangue,  —  questo  desidero.«  Prcdica  fatta  a  di 
20.  di  Agosto  1496.  Bei  F.  K.  Meier,  Girol.  Savonarola  aus  grossen  Theils 
handschriftlichen  Quellen  dargestellt.  Berlin  1S3I>.  S.  112. 

2)  Rudelbach,  Savonarola,  314. 


Anhang  A. 


L  Ursprung  und  Herkunft  der  Schrift :  The  last  Age 

of  the  Church. 

Dieser  kleine  Traktat  ist  aus  einer  Handschrift  des  Trinity- College 
in  Dublin  von  dem  im  Juni  1S69  verstorbenen  Professor  des  Hebräi- 
schen, Theol.  Dr.  James  Henthorn  Todd  daselbst  1840.  12°. 
herausgegeben  worden.  Der  Aufsatz  füllt  nur  14  Seiten  in  jenem  klei- 
nen Format,  und  ist  in  englischer  Sprache  geschrieben.  Seitdem  Robert 
Vaughan,  Life  and  Opinions  of  John  de  Wicliffe ,  Lond.  1831.  I, 
254  ff.,  den  Aufsatz,  welchen  er  1828  an  Ort  und  Stelle  in  der  Hand- 
schrift untersucht  hatte,  unbedenklich  Wiclif  beigelegt  hat,  ist  die 
Annahme,  dass  derselbe  Wiclif's  Jugendschrift  gewesen  Bei,  durch 
alle  Abhandlungen  über  Wiclif,  ja  durch  alle  Handbücher  der  Kir- 
chengeschichte gegangen.  Uebrigens  hat  Vaughan  selbst  damit  nicht 
etwa  eine  ganz  neue  Vermuthung  aufgestellt.  Schon  der  eivte  Biograph 
Wiclif's,  Johann  Lewis,  hatte  History  of  the  Life  and  Suffer  ings  of 
John  WicUf  1720,  neue  Auflage  1820,  3  folg.,  ihm  den  Traktat  beige- 
legt. Aber  auch  Lewis  folgte  darin  einem  früheren  Gewährsmann,  dem 
Bischof  Bale  von  Ossory,  f  1563,  der  in  seiner  brittischen  Literarge- 
schichte, Centuria  VI.  S.  454,  dem  Aufsatze  De  ultima  aetate  ecclesiae 
eine  Stelle  unter  den  Schriften  Wiclif's  angewiesen  hatte.  Alle  diese 
Notizen  bezogen  sich  indessen  auf  ein  bis  1840  nie  gedrucktes  Büch- 
lein, von  welchem  zudem  nur  eine  einzige  Abschrift,  die  in  Dublin,  vor- 
handen war.  Sobald  dasselbe  durch  den  gelehrten  Dr.  Todd  heraus- 
gegeben worden  war,  Hess  sich  eher  ein  Urtheil  fällen.  Zwar  hat  der 
Herausgeber  selbst  sich  mit  grosser  Vorsicht  benommen ,  indem  er  kei- 
neswegs dafür  einzutreten  wagte,  dass  der  Aufsatz  Wiclif  zum  Ver- 
fasser habe.  Doch  hat  er  das  auch  nicht  geradezu  verneinen  zu  dürfen 
geglaubt. 

Nun  aber  hat  Vaughan  selbst  in  seiner  letzten  Umarbeitung  des 
früheren  Werkes,  welche  unter  dem  Titel :  John  de  Wicliffe,  a  Mono- 
graph,  1853  erschienen  ist,  sich  nicht  gescheut,  auf  Grund  sorgfäl- 
tigerer Forschung,  starke  Zweifel  an  der  Autorschaft  Wiclif's  aus- 
zusprechen, und  hat  sein  früheres,  allerdings  nur  auf  Grund  der  Ein- 

35* 


54S 


Anhang  A.  I. 


sieht  in  die  Dubliner  Handschrift  gefälltes  Urtheil  so  gut  wie  völlig  zu- 
rück genommen.  S.  42  ff.  Noch  zuversichtlicher  hat  Walter  Wadding- 
ton Shirley,  in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  der  Fmciculi  Zizarno- 
rum,  Lond.  L858.  Inirod.  VIII  folg.  Anm.  4.  die  Autorschaft  des  Trak- 
tats Wiclif  abgesprochen. 

Gehen  wir  auf  die  Untersuchung  über  diese  Frage  näher  ein,  so 
werden  wir  gut  thun,  äussere  und  innere  Gründe  für  oder  wider  die 
Abfassung  durch  Wiclif  auseinanderzuhalten. 

I.  Die  äusseren  Gründe  reduciren  sich,  beim  Lichte  betrach- 
tet, auf  ein  einziges  Zeugniss.  Zwar  führt  der  Herausgeber,  Dr.  Todd. 
in  seinem  Vorwort  VIII  folg,  deren  zwei  an:  1.  den  Umstand,  dass  der 
Aufsatz  sich  in  einer  Handschrilt  vorfindet,  welche  aus  dem  XIV.  Jahr- 
hundert stammt  und  mehrere  Traktate  in  sich  fasst ,  die  man  alle  Ur- 
sache hat.  Wiclif  zuzuschreiben:  2.  die  Thatsache.  dass  Bischof 
Bale  .  Johann  Lewis  und  einige  neuere  Gelehrte  die  fragliche  Schrift 
für  ein  ächtes  Werk  Wiclif  s  erklärt  haben.  Allein  die  letztere  That- 
sache hat  nicht  das  Gewicht  eines  Zeugnisses  im  engeren  Sinn,  wie  das 
wäre,  wenn  irgend  ein  Zeitgenosse  Wiclif's,  oder  ein  Mann  der  näch- 
sten Jahrzehente  nach  Wiclif's  Tode,  tei's  ein  Anhänger  oder  ein 
Gegner  des  Mannes,  eine  Schrift  dieser  Art.  vielleicht  gar  mit  diesem 
Titel,  als  von  Wiclif  verfasst  erwähnt  hätte.  Ein  Gelehrter  des 
XVI.  Jahrhunderts  wie  Bale,  oder  gar  ein  Mann  des  XVIII.  Jahrhun- 
derts wie  Lewis,  befand  sich  schon  in  zu  grosser  Ferne  :  diese  Män- 
ner standen  der  Frage  nicht  wesentlich  anders  gegenüber,  als  wir 
Späteren  auch.  Was  Bischof  Bale  von  dem  Büchlein  sagt,  hat  also 
nicht  den  Werth  eines  »Zeugnisses«,  sondern  nur  den  eines  subjektiven 
Urtheils,  nach  dessen  Begründung  zu  fragen,  und  welches  ganz  unbe- 
fangen zu  prüfen  wir  befugt  sind.  Noch  mehr  ist  dies  bei  Johann 
Lewis  der  Fall ,  der  ohnehin  nur  eine  sehr  ungenügende  Kenntniss  des 
Traktats,  und  zwar  aus  zweiter  Hand,  besass :  denn  er  verdankte  seine 
ganze  Kunde  von  der  Lubliner  Handschrift  einem  Fetiow  des  Tr  'mity- 
Collrge  in  Dublin .  er  selbst  hatte  sie  niemals  gesehen.  Bezeichnend 
dürfte  auch  die  Thatsache  erscheinen,  dass  Lewis  in  seinem  Katalog 
der  Schriften  Wiclif's  den  fraglichen  Traktat  zweimal  aufführt,  S. 
195  als  Nr.  84,  unter  dem  Titel:  De  simonia  saeerdotum ,  und  S.  205 
als  Nr.  14S,  unter  dem  Titel:  De  ultima  aetate  Ecclesiae,  als  wären 
das  zwei  verschiedene  Schriften,  während  ganz  unleugbar  ein  und  der- 
selbe Aufsatz,  von  welchem  wir  hier  reden,  gemeint  sein  muss!  — 

Somit  bleibt  nur  ein  einziges  »Zeugniss«  übrig,  bestehend  in  dem 
Umstand,  dass  der  Aufsatz  sich  in  einer  Handschrift  befindet,  welche 
ausserdem  mehrere  andere  Aufsätze  enthält,  welche  man  Wiclif  zu- 
zuschreiben Grund  hat.  Diese  Handschrift,  bezeichnet:  Ciass  0., 
Tab.  5,  Nr.  0,  hat  einst  dem  berühmten  Erzbischof  Usher,  dem 
verdienten  Alterthumsforscher  und  Sammler  von  Handschriften  ange- 
hört. Sie  ist  später,  mit  vielen  anderen  Manuscripten  aus  Usher' s 
Sammlung,  durch  Karl  II.  der  Bibliothek  des  Trinity-ColUye  geschenkt 


The  last  Af/c  of  the  Church. 


549 


worden.  Die  Handschrift  ist  am  Ende  des  XIV.  oder  spätestens  am 
Anfang-  des  XV.  Jahrhunderts  gefertigt,  und  enthält,  schön  geschrie- 
ben, 29  verschiedene  Aufsätze,  von  welchen  Dr.  Todd  in  der  Einlei- 
tung- zu  einer  daraus  abgedruckten  Schrift:  An  Apology  for  Lollard 
Doctrincs.  Lond.  1S42  ein  genaues  Verzeichnis*  veröffentlicht  li;:t. 
Drei  dieser  Aufsätze  hat  derselbe  Gelehrte  im  Jahre  1851  zu  Dublin 
erscheinen  lassen  unter  dein  Titel :  Three,  Treatkes  by  John  Wyrldytf'< .  — 
Es  ist  indes  unschwer  zu  begreifen .  dass  der  erwähnte  Umstand  an 
und  für  sich  ein  entscheidendes  Gewicht  nicht  besitzt.  Denn  in  der- 
gleichen Sammelbänden  sind  gar  nicht  selten  Arbeiten  verschiedener 
Verfasser  zusammengestellt ,  z.  B.  Schriften  von  Wiclif  selbst  ent- 
weder mit  Aufsätzen  von  Schülern  desselben,  oder  auch  mit  Sachen  von 
älterem  Datum.  In  einem  von  hussitischen  Händen  in  Böhmen  ge- 
schriebenen Codex,  wrelcher  jetzt  in  der  k.  k.  Hof-  und  Staatsbiblio- 
thek zu  Wien  sich  befindet  (nach  Denis  ,  Codices  manuscripti  theol. 
hibUothecae  palat.  Vindobonensis  latini  II,  Nr.  CDIV.  jetzt  Nr.  3*930  . 
stehen  unter  anerkannten  Werken  von  Wiclif  mehrere  Predigten  von 
Hus  und  Jakob  von  Mies.  In  einem  andern  Handschriftenband  glei- 
cher Gattung  (Nr.  CDX,  Denis,  jetzt  3935)  folgen  auf  fünf  ächte 
Bücher  Wiclif" s  erst  einige  Sachen  aus  der  Feder  des  Erzbischofs 
von  Armagh,  Richard  Fitz-Halph,  und  dann  einige  Streitschrif- 
ten. Wi e lif  betreffend .  welche  c.  1427  in  Böhmen  gewechselt  worden 
sind,  also  jüngere  und  ältere  Schriftstücke  mit  Erzeugnissen  von  Wic- 
lif selbst  in  einem  Bande  vereinigt.  Es  war  den  Leuten  nicht  sowohl 
um  die  Einheit  des  Verfassers,  als  um  die  Einheit  des  Geistes,  um  die 
Uebereinstimmung  der  kirchlich-religiösen  Gesinnung  und  Richtung  zu 
thun.  Gesetzt  aber  auch,  der  Abschreiber  jenes  Dubliner  Codex  hätte 
den  kleinen  Traktat  »The  last  Agea  u.  s.  w.  wirklich  für  eine  Schrift 
Wiclif 's  gehalten  und  diese  als  solche  der  Handschrift  einverleiben 
wollen  :  so  wäre  selbst  dieser  Umstand  noch  kein  unumstösslicher  Be- 
weis der  Wiclif  sehen  Autorschaft.  Denn  er  könnte  sich  ja  in  seinem 
Urtheil  getäuscht  haben.  Wir  kennen  Thatsachen  genug,  welche  be- 
weisen, dass  in  solchen  Fragen  selbst  die  Zeitgenossen  nicht  selten 
irre  gegangen  sind.  Es  lässt  sieh  eine  ganze  Reihe  von  Schriften  des 
XIV.  und  XV.  Jahrhunderts  nennen,  welche  in  jener  Zeit  fälschlicher 
Weise  Wiclif  zugeschrieben  worden  sind,  Schriften  theils  englischen, 
theils  böhmischen  Ursprungs.  Einige  Fälle  dieser  Art  hat  bereits 
Shirley.  Introdurtlon  ZU  Fasciculi  zh.aniorum  p.  XIII.  Anm.  3. 
erwähnt,  namentlich  die  populäre  englische  Schrift :  The  poor  Caitif. 
welche  Wiclif  beigelegt  worden  ist,  während  sie  sicherlich  von  einem 
andern  Verfasser  herstammt ;  sodann  die  lateinische  Schrift :  De  Abomi- 
natione  desolatioms ,  welche  bald  Wiclif  bald  Hus  zugeschrieben  und 
unter  den  Werken  des  letzteren,  in  Joannis  Hus  Historia  et  Monumenta . 
Nürnberg  155S  folg.  I,  3  76  ff.  abgedruckt  worden  ist.  während  sie  in  der 
Tliat  ein  Werk  des  Mag.  Matthias  von  Janow  ist:  vergl.  Palacky. 
Geschichte  von  Böhmen,  III,  l.  Prag  IS45.  S.  175  folg.  Anm.  215. 


550 


Anhang  A.  I. 


Ausser  diesen  mögen  hier  nur  noch  zwei  Schriften  berührt  werden. 
Die  eine  ist  eine  Auslegung  des  Hohenliedes  ,  in  lateinischer  Sprache, 
welche  in  mehreren,  ursprünglich  böhmischen  Handschriften  unter  dem 
Namen  Wicl  i  f*  s  vorkommt,  aber  in  der  That  einem  älteren  Zeitge- 
nossen desselben  angehört,  dem  Augustiner  Richard  Rolle  von 
Hampole  bei  Doncaster,  7  1349,  gewöhnlich  »Eremita  Hampolus*  ge- 
nannt. Die  andere  Schrift  dieser  Art  ist  eine  lateinische  Auslegung  der 
Offenbarung  Johannis,  welche  sich  in  zwei  Wiener  Handschriften  des 
XVI.  Jahrhunderts  CCCXCVI  und  CCCXCVH  nach  Denis1  vorfindet 
und  (allerdings  von  einer  zweiten  Hand  Wiclif  zugeschrieben  ist. 
während  sie,  laut  der  eigenen  Angabe  des  Verfassers  im  Texte,  nicht 
früher  als  1390,  als  6  Jahre  nach  Wiclif  s  Tode,  verfasst  ist.  Be- 
weis genug,  dass  die  Angaben  schon  der  nächsten  Jahrzehente  über 
den  Verfasser  dieser  oder  jener  Schrift  keineswegs  ungeprüft  als  baare 
Münze  anzunehmen  sind.  Somit  besitzt  der  einzige  äussere  Grund  für 
den  Wiclif  sehen  Ursprung  der  fraglichen  Schrift,  für  sich  allein  ge- 
nommen, noch  kein  entscheidendes  Gewicht.  Die  Entscheidung  mnss 
also  auf  dem  Wege  innerer  Gründe  gesucht  werden. 

EL  Die  inneren  Gründe  sprechen  unseres  Erachtens  gegen 
die  Annahme,  dass  Wiclif  der  Verfasser  sei. 

A.  Gegenstand  des  Schriftchens  und  seiner  Klage  ist  die  Si- 
monie, der  Aemterhandel  innerhalb  der  Geistlichkeit.  Insofern  ist 
der  Hauptinhalt  des  Büchleins  richtig  angedeutet  in  dem  einen  Titel, 
den  Bale  a.  a.  0.  453.  und  nach  ihm  Lewis  195  Nr.  84.  demselben 
geben  :  De  simonia  sacerdotum.  während  beide,  wie  mit  Bezug  auf  Lewis 
schon  oben  bemerkt  worden,  dieselbe  Schrift  an  einer  andern  Stelle 
unter  dem  Titel :  De  ultima  aetate  Ecclesiae,  wie  eine  zweite  von  ersterer 
verschiedene  Schrift  noch  einmal  aufführen.  —  Auf  den  ersten  Anblick 
scheint  jener  Grundgedanke  allerdings  für  Wiclif,  als  Verfasser,  zu 
sprechen ;  denn  es  ist  bekannt,  dass  er  unter  den  Schäden  der  Kirche 
seiner  Zeit  stets  auch  die  Simonie  bekämpft  hat.  Aber  es  scheint  nur 
so.  Die  Sache  hat  noch  eine  andere  Seite.  Prof.  Shirley  hat  im  Vor- 
wort zu  Fase,  zizaniorum  XIII  folg.  Anm.  4.  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  in  unserem  Traktat  ausschliesslich  nur  von  den  Misbräuchen  und 
Fehlern  der  begüterten  Geistlichkeit  die  Rede  sei.  Die  Meinung  ist, 
Wiclif  habe  sonst  vorzugsweise  die  Bettelorden  und  deren  Entartung 
bekämpft;  somit  spreche  der  Umstand,  dass  davon  hier  gar  keine 
Rede  sei,  allein  schon  gegen  die  Annahme,  dass  Wiclif  Verfasser 
sein  dürfte.  Dieses  Bedenken  verliert  jedoch  an  Gewicht  durch  die  Be- 
obachtung, welche  wir  gemacht  haben ,  dass  Wiclif  keineswegs  von 
Anfang  an  so  grundsätzlich  und  geflissentlich ,  wie  in  seinen  späteren 
Jahren,  die  Bettelmönche  zur  Zielscheibe  seiner  Angriffe  gemacht  hat. 
Indessen  ist  docli  so  viel  gewiss,  dass  er  zu  keiner  Zeit  ausschliesslich 
nur  die  Simonie  ins  Auge  gefasst,  sondern  stets  verschiedene  Gebre- 
chen und  Misstände  erkannt  und  nach  Kräften  abzustellen  gesucht  hat. 
Mit  einem  Wort.  Wiclif  ist  auf  keiner  Stufe  seiner  inneren  Entwick- 


The  last  Age  of  the  Church. 


551 


hing  so  beschränkt  und  so  einseitig  gewesen ,  wie  sich  der  Verfasser 
ins  darstellt.  Somit  spricht  der  Hauptgedanke  des  Schriftchens,  eben 
vermöge  der  Beschränkung,  in  der  er  aufgefasst  ist,  gegen  die  Ab- 
fassung durch  Wi c Ii f . 

B.  Auf  das  gleiche  Ergebniss  führt  uns  die  Beachtung  der  vom 
Verfasser  citirten  Schriftsteller.  Sehen  wir  uns  um,  in  was  für 
einer  Gesellschaft  wir  uns  befinden,  wenn  wir  an  der  Hand  des  Ver- 
fassers eine  Strecke  weit  wandeln,  so  erblicken  wir  allerdings  Gestalten 
wie  den  heil.  Bernhard  von  Clairvaux  (S.  24),  und  den  Chronisten 
Petrus  Comestor  (S.  34),  welche  beide  Wiclif  gleichfalls  hoch 
hält.  Aber  hiemit  sind  wir  auch  schon  am  Ende  mit  den  Auktoritäten . 
welche  Wiclif  mit  dem  Verfasser  gemein  hat.  Zwar  Beda  (s.  26. 
27.  30.  last  Age)  ist  auch  bei  Wiclif  hoch  angeschrieben;  nur 
Schade,  dass  in  unserem  Traktate  nicht  der  ächte  Beda,  der  »Ehr- 
würdige «  gemeint  ist,  sondern  eine  demselben  untergeschobene  Aus- 
legung der  Sibyllinen.  Aber  die  allerhöchste  Auktorität  für  den  Un- 
bekannten ist  unstreitig  Abt  Joachim  von  Flore ;  diesen  führt  er  in 
der  sehr  kurzen  Schrift  nicht  weniger  als  siebenmal  mit  Namen  an. 
Und  das  ist  eine  Auktorität,  die  für  Wiclif,  laut  seinen  unzweifelhaft 
ächten  Schriften,  weniger  Bedeutung  hat1).  Dazu  kommt,  dass  angeb- 
liche Sibyllinische  Weissagungen,  die  in  der  That  dem  XIV.  Jahr- 
hundert angehören,  ja  dass  der  Zauberer  Merlin  (beides  S.  33)  mit 
gläubiger  Verehrung  angeführt  werden.  Kurz  diejenigen  Auktoritäten, 
welche  in  den  Augen  des  Verfassers  die  höchsten  sind,  und  auf  die  er 
sich  mit  Vorliebe  beruft,  bilden  eine  durch  und  durch  apokalyptisch- 
mystische Gruppe.  Nun  wollen  wir  zwar  nicht  in  Abrede  ziehen,  dass 
auch  Wiclif  einen  gewissen  apokalyptischen  Zug  in  sich  trägt.  Allein 
dessen  ungeachtet  behält  bei  ihm  der  scharfe,  nüchterne  Verstand  unter 
allen  Umständen  die  Oberhand.  Und  in  keinem  Fall  ist  ihm  zuzutrauen, 
dass  er  in  einer  theils  apokryphischen,  theils  mystisch-apokalyptischen 
Gesellschaft  sich  so  völlig  zu  Hause  fühlen  würde,  wie  der  Verfasser. 

C.  Der  entscheidende  Punkt  liegt  aber  in  der  Denkart  und  der 
ganzen  Eigenthümlichkeit  des  Verfassers.  Ein  rabbinisch-kab- 
balistisches  Rechnen  mit  Buchstaben,  welche  Jahrhunderte  bedeuten 
sollen,  ein  wahrhaft  kindisches  Spielen  mit  Schriftzeichen,  eine  unge- 
meine Vorliebe  für  alberne  Legenden  und  Sagen,  die  er  für  baare 
Münze  nimmt,  —  das  bildet  einen  unterscheidenden  Zug  des  Verfassers. 
Er  betrachtet  nämlich  die  Buchstaben  theils  des  hebräischen,  theils  des 
römischen  Alphabets  als  die  Schlüssel  jedes  Räthsels,  welches  die  Weis- 


\  Zwar  erwähnt  Wiclif  Supplem entum  Trialogi  c.  10.  S.  453  meiner 
Ausgabe,  und  De  Veritate  s.  scripturae  c.  7.  Manuscript  1294.  f.  16  Col.  1. 
den  ablas  Joachim;  allein  die  letztere  Stelle  beAvei^t  .  dass  er  ihn  keines- 
wegs als  eine  Auktorität  ansieht;  denn  er  urtheilt ,  Joachim  habe  einen 
häretischen  Satz  aufgestellt,  wiewohl  er  um  dessen  willen  noch  nicht 
Häretiker  gewesen  sei. 


552 


Anhang  A.  I. 


sagung  aufgibt:  jeder  Buchstabe  bedeutet  ein  Jahrhundert;  das  he- 
bräische Alphabet  entspricht  den  Jahrhunderten  des  Alten  Testamentes, 
das  römische  denen  des  Neuen  Testamentes.  Weil  das  hebräische  Alpha- 
bet 22  Buchstaben  zählt,  so  ist  das  Alte  Testament  in  22  Jahrhunderten 
zu  Ende  gekommen.  Das  lateinische  Alphabet  hat  nur  21  Buchstaben; 
demnach  wird  die  Zeit  des  Neuen  Testamentes  mit  dem  21.  Jahrhun- 
dert abschliessen.  Nun  gehören  aber,  von  der  Gründung  Roms  an  ge- 
rechnet, nicht  weniger  als  sieben  Jahrhunderte  (=  den  sieben  ersten 
Buchstaben  A  —  Q)  noch  der  vorchristlichen  Zeit  an,  Christus  ist  erst 
im  Jahrhundert  des  Buchstabens  H  geboren  ;  somit  bleiben  für  die 
christliche  Aera  im  eigentlichen  Sinne  nur  noch  14  Buchstaben,  d.  h. 
nicht  mehr  als  14  Jahrhunderte  übrig:  folglich  ist  mit  dem  Schluss  des 
XIV.  Jahrhunderts  das  Weltende  zu  erwarten.  Der  Verfasser  gibt 
S.  30  folg.  deutlich  an,  dass  er  im  Jahr  1356  schreibt,  und  demnach  nur 
noch  44  Jahre  der  Weltdauer  erwartet.  Daraus  begreift  sich  auch  der 
Titel:  »Das  letzte  Zeitalter  der  Kirche.«  Diese  rabbinisch 
spielende  Zeitrechnung ,  in  Verbindung  mit  Aberglauben  und  Leicht- 
gläubigkeit, bildet,  wie  gesagt,  den  einen  Zug,  der  die  Individualität 
des  Verfassers  kennzeichnet.  Den  andern  Zug  erkennen  wir  in  seiner 
durch  und  durch  unselbständigen,  von  Auktoritäten  abhängigen  Geistej- 
art.  Will  er  irgend  einen  Satz,  den  er  aufstellt,  beweisen,  so  thut  er 
das  am  liebsten  durch  Berufung  auf  eine  Aussage  Abt  Joachim1  s  von 
Flore  ;  was  dieser  sagt,  gilt  ihm  als  Orakel.  Andere  Schriftsteller  führt 
er  fast  nur  an,  weil  Joachim  sie  benützt  hat  (S.  26),  oder  weil  sie 
mit  demselben  in  dieser  oder  jener  Ansicht  übereinstimmen.  Ueber- 
haupt  müssen  ihm  immer  andere  Leute  als  Gewährsmänner  dienen,  und 
je  mehr  ihrer  sind,  desto  besser  begründet  erscheint  eine  Ansicht  (S. 
33).  Kurz,  von  selbständigem  Denken  zeigt  der  Verfasser  keine  Spur. 
Und  in  beiderlei  Hinsicht  bildet  er  das  vollkommene  Gegenstück  zu 
Wiclif,  welchem  ein  so  kleinliches  Buchstabenspiel  nur  gar  nicht 
gleich  sieht,  aber  auch  ein  derartiges  Sich-stützen  auf  Auktoritäten 
wie  auf  Krücken,  nimmermehr  zuzutrauen  ist.  Zwar  liebt  es  auch 
Wiclif.  auf  angesehene  Männer  sich  zu  berufen;  aber  einmal  sind 
das  wirklich  geistvolle  und  verdiente ,  überdies  im  vollen  Lichte  der 
Geschichte  stehende  Männer,  nicht  schwankende  apokryphische  Gestal- 
ten der  Sage  oder  schwärmerisch  apokalyptische  Geister.  Und  zum 
andern  verzichtet  er,  auch  den  verehrtesten  Auktoritäten  gegenüber, 
niemals  auf  die  Selbständigkeit  seines  eigenen  Urtheils  und  Denkens. 
Und  da  möge  man  nicht  etwa  sagen,  Wiclif  könne  möglicherweise  in 
jüngeren  Jahren  und  auf  einer  Stufe  der  Entwicklung,  welche  noch 
nicht  die  der  geistigen  Keife  war,  einen  ähnlichen  Standpunkt  einge- 
nommen haben!  Man  bedenke  doch,  dass  Wiclif,  angenommen  er 
wäre  wirklich  der  Verfasser  des  fraglichen  Traktats,  welcher  jedenfalls 
in  dem  Jahre  geschrieben  ist,  damals  mindestens  32  Jahre, 

eher  einige  Jahre  mehr,  gezählt  hat!  Lud  (Ins  ist  doch  schon  ein  an- 
ständiges männliches  Alter,  in  keinem  Fall  eine  Altersstufe  jugend- 


The  last  At/e  of  tlie  Chutch 


563 


lieber  Unreife  imd  Gährung.  Und  wer  in  der  Mitte  seiner  dreissiger 
Jahre  noch  ein  so  unselbständiger  Denker  und  so  ganz  nur  von  Vor- 
gängern und  Gewährsmännern  abhängig  ist ,  wie  der  unbekannte 
Schriftsteller,  der  entwickelt  sich  nie  und  nimmermehr  zu  einer  geisti- 
gen Selbständigkeit  und  Kraft,  wie  wir  sie  an  Wiclif  kennen  und 
hochschätzen.  Kurz,  der  innere  Gehalt  und  Charakter  des  Schriftchens 
spricht,  nach  unserer  Ueberzeugung,  durchaus  gegen  die  Möglichkeit, 
dass  Wiclif  dasselbe  verfasst  haben  könnte. 

Suchen  wir  aber  den  Kreis,  welchem  der  ungenannte  Verfasser 
angehört  haben  dürfte,  auch  nur  einigermaassen  positiv  zu  bestimmen, 
so  weist  uns  die  geistige  Atmosphäre,  in  der  er  leibt  und  lebt,  nirgends 
anders  hin  als  zu  denjenigen  Franziskanern,  welche,  für  die  strengste 
Eigenthümlichkeit  ihres  Ordens  eifernd ,  auf  einen  Standpunkt  der 
Opposition  gegen  die  bestehende  Kirche  geführt  worden  waren  und 
schwärmerisch-apokalyptischen  Ansichten  huldigten.  Um  einige  Namen 
.zu  nennen ,  so  waren  Petrus  Johannes  0 1  i  v i ,  f  1297,  sein  Schü- 
ler IT  bertin  us  de  Ca  sali,  und  der  berünrate  Dichter  der  Sequenz  . 
JStabat  mater  dolorosa ,  Jacoponus  von  Todi,  dieses  Geistes  Kinder. 
Und  dass  gerade  diese  Partei  unter  den  Franziskanern  die  Schriften  des 
Abtes  Joachim  hochschätzte  und  ehrerbietig  benützte,  ist  anderweitig- 
bekannt.  Mehrere  Umstände  treffen  zusammen,  um  die  Vermuthung 
wahrscheinlich  zu  machen,  dass  der  Verfasser  von  The  last  Age  of  the 
Church  einer  von  den  Franziskanern  dieser  Richtung  gewesen  sei :  l .  be- 
kämpft der  Verfasser  ausschliesslich  nur  die  Fehler  der  mit  Kirchen- 
gütern ausgestatteten  Geistlichkeit :  dies  führt  darauf,  dass  er  überhaupt 
einem  Bettelorden  angehört  haben  dürfte;  2.  hegt  der  Verfasser 
apokalyptische  Ansichten  und  huldigt  in  erster  Linie  der  Auktorität  des 
Joachim  von  Flore:  dies  weist  näher  auf  den  Franziskanerorden  und 
zwar  auf  die  oben  bezeichnete  Fraktion  innerhalb  desselben.  Freilich 
die  allzu  unselbständige,  schwache  und  beschränkte  Geistesart  dürfen 
wir  nicht  auf  Rechnung  dieser  Partei  an  sich  setzen,  sondern  müssen 
sie  dem  Individuum  zurechnen,  dessen  Namen  und  Lebensverhältnisse 
mit  Bestimmtheit  auszumitteln  weder  möglich  noch  belangreich  sein 
dürfte. 


II.  Wiclif  s  Schriften. 

Es  sind  drei  Verzeichnisse  derselben  vorhanden,  welche  dem 
XV.  Jahrhundert  angehören  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nicht 
viel  später  als  etwa  30  Jahre  nach  Wie  1  if  s  Tode  aufgestellt  sind. 
Sie  befinden  sich  in  zwei  Handschriften  der  k.  k.  Hof-  und  Staatsbiblio- 
thek zu  Wien.  Dieselben  waren  jedoch  bis  vor  kurzem  ungedruckt  und 
der  gelehrten  Welt  so  gut  wie  unbekannt.  So  kam  es.  dass  man  seit 
Jahrhunderten  an  viel  spätere  Werke  gewiesen  war. 


554 


Anhang  A.  II. 


Der  Erste,  welcher  den  Versuch  machte,  ein  umfassendes  Ver- 
zeichniss  der  Schriften  Wiclif  s  zu  entwerfen  war  der  anglikanische 
Bischof  Johann  Bale  von  Ossory  in  Irland  (f  1563).  Seine  gross- 
britannische Literaturgeschichte  erschien  zuerst  1548  unter  dem  Titel: 
Illustrium  majoris  Britanniae  scripiorum  summarhtm  in  qaasdam  centurias 
divisum.  Damals  umfasste  es  nur  fünf  Centimen  von  Schriftstellern. 
Während  seines  Exils  in  Deutschland  erweiterte  er  das  Werk  um  vier 
weitere  Centurien,  und  führte  es  bis  auf  das  Jahr  1557  herab,  in  wel- 
chem es  zu  Basel  in  vermehrter  Auflage  erschien.  In  dieser  Ausgabe 
zählt  es  nicht  weniger  als  900  Schriftsteller.  In  diesem  Sammelwerk 
gibt  Bale  fol.  451  ff.  242  Nummern  von  Schriften  Wiclif  s  mit 
ihren  Titeln;  und  bei  149  derselben  setzt  er  die  Anfangsworte  bei. 
Eine  systematische  Ordnung  und  vollends  eine  Nachweisung  darüber, 
wo  die  betreffenden  Handschriften  sich  befinden ,  ist  gar  nicht  dabei 
beabsichtigt.  Was  aber  der  Hauptfehler  ist  ,  so  hat  Bale  Titel  von 
Schriften  Wiclif  s,  wo  ^r  sie  irgend  fand,,  aufgerafft  und  ohne  eine 
Spur  von  Kritik  zusammengestellt.  Deshalb  hat  sein  Verzeichniss  sehr 
wenig  Zuverlässigkeit. 

Mehr  denn  150  Jahre  verflossen,  bis  zum  ersten  Mal  wieder  ein 
Anderer  desselben  Weges  kam.  Der  erste  Biograph  W i  cl  i  f  s  ,  Johann 
Lewis,  gab  in  seinem  Werk  :  The  Life  of  Dr.  John  Wiclif  1720  (neue 
Auflage,  Oxf.  1820,  c.  9.  S.  170  —  217)  auf  Grund  von  Bale's  Arbeit 
eine  Liste  von  284  Nummern,  welche  wenigstens  in  einigen  Beziehungen 
die  Leistung  Bale's  übertrifft.  Das  Verzeichniss  bei  Lewis  ist  reich- 
haltiger als  das  von  Bale,  enthält  auch,  wo  dies  möglich  war,  eine 
Angabe  über  die  Bibliotheken,  worin  die  Handschriften  sich  befinden  ; 
zugleich  sind,  wie  das  schon  Bale  wo  er  irgend  konnte,  gethan  hat, 
die  Anfangsworte  der  Bücher  und  Aufsätze  beigefügt ;  zuweilen  ist 
nächst  dem  Titel  auch  der  Inhalt  oder  die  Veranlassung  zur  Abfassung 
erwähnt.  Allein  eine  zweckmässige  Ordnung,  selbst  eine  kritische  Sich- 
tung ist  doch  auch  hier  zu  vermissen  :  da  stehen  grössere  Werke  und 
kurze  Flugschriften ,  lateinische  und  englische  Erzeugnisse  in  bunter 
Reihe;  manche  Nummern,  die  Lewis  aufzählt,  sind  gar  nicht  von 
Wiclif,  und  andere  sind  wohl  auch  doppelt  angeführt. 

Dasjenige  Verzeichniss,  welches  H.  H.  Baber  seinem  Abdruck 
der  Purvey'schen  (angeblich  Wiclifschen)  Uebersetzung  des  N.  T. 
1S10  in  der  Einleitung  voranschickte,  war  auf  Grund  der  Vorarbeiten 
von  Bale  und  Lewis  abgefasst,  ist  jedoch  laut  glaubhafter  Zeugnisse 
'das  Buch  selbst  einzusehen  ist  mir  leider  nicht  gelungen)  unvollstän- 

1)  Was  noch  vor  Bale  der  emsige  und  gelehrte  John  Lkland  in  Be- 
treff der  Schriften  Wiclif 's  geleistet  hat,  Commenturii  de  scriptoribus 
hritannicis,  ed.  Ant.  Hall,  Oxford  1701).  8°.  I,  378  ff.,  bes.  »80,  kann 
kaum  in  Betracht  kommen ;  denn  Leland  kennt  nicht  mehr  als  acht 
Schriften  Wiclif  s  und  gesteht  selbst,  dasr.  er  nur  wenige  von  den  vielen 
Huchem  desselben  gesehen  habe:  QuahqtlCtin,  ut  casus  tum ,  ego  plane  ex 
in itl fix  p  a  n  r  o  s  v  i  d  i. 


Wiclif's  Schritten. 


555 


diger  als  die  von  Lewis  gegebene  Liste.  Der  einzige,  in  der  That 
dankenswerthe  Fortschritt,  welchen  Baber  machte,  besteht  angeblich 
darin,  dass  er  von  den  einschlagenden  Handschriften  des  British  Museum 
zu  London  so  wie  von  den  Wiclif-Handschriften  in  Wien  (nach  dem 
Katalog  von  Dennis)  genauere  Nachricht  gab. 

Achtzehen  Jahre  später  gab  Robert  Vaughan  in  der  ersten  Aus- 
gabe seines  Werks  Life  and  Opinions  of  John  de  Wych'Jf'e  (s.  2.  Auflage, 
II.  379 —  396)  eine  nach  gewissen  Gesichtspunkten  geordnete,  in  Be- 
treff des  Nachweises  der  Bibliotheken  vollständigere  und  mit  einiger 
Kritik  ,  anlangend  die  Aechtheit  oder  Unächtheit  der  Werke,  ausge- 
arbeitete Liste  auf  Grund  persönlicher  Nachforschungen,  namentlich  in 
Cambridge  und  Dublin.  Und  in  seinem  letzten  Werke  über  Wiclif: 
John  de  Wycliffe,  a  Monugraph.  1853,  hat  er  im  Anhang  S.  525 — 544 
ein  neues  Verzeichniss  entworfen ,  das  in  mancher  Hinsicht  genauer 
und  eingehender  ist,  als  das  in  seiner  ersten  Lebensbeschreibung  Wic- 
lif's gegebene.  Dessenungeachtet  können  wir  nicht  umhin  zu  urtheilen. 
dass  diese  angeblich  verbesserte  Liste  an  Uebersichtlichkeit  der  früheren 
nachsteht  ,  und  in  Hinsicht  der  Genauigkeit  viel  zu  wünschen  übrig 
lässt;  so  ist  z.  B.  mehr  als  eine  Schrift,  unter  verschiedenen  Titeln, 
doppelt  aufgeführt,  z.  B.  544  Nr.  103  De  dotaiione  ecelesiae,  und  125 
Supplementum  Triahgi.  was  eine  und  dieselbe  Schrift  ist.  Und  sehr 
wenig  zutreffend,  ja  geradezu  verwirrend  ist,  was  Vaughan  zu  wieder- 
holten Malen,  nämlich  S.  537  und  542.  über  Wiclif's  »Summa  Theu- 
hgiew  mittheilt  ;  darnach  müsste  man  sich  vorstellen,  es  sei  dies  ein 
Buch,  aus  zwölf  Hauptstücken  cJiapters  bestehend,  während  es  vielmehr 
ein  umfassendes  Gesammtwerk  ist,  nicht  weniger  als  zwölf  Bücher  um- 
fassend, von  denen  manches  im  Drucke  einen  ganz  hübschen  Band 
füllen  würde. 

Den  bedeutendsten  Fortschritt  hat  auf  diesem  Felde  der  nur  zu 
frühe  (Nov.  1866)  dem  Leben  und  der  Wissenschaft  entrissene  Professor 
der  Kirchengeschichte  zu  Oxford,  Dr.  Walter  Waddington  Shirley  ge- 
macht. Als  VTorarbeit  einer  Ausgabe  ausgewählter  Werke  Wiclif's, 
an  deren  Erscheinen  er  selbst  sich  nicht  mehr  betheiligen  konnte,  hat  er 
ein  Verzeichniss  der  Schriften  Wiclif's  veröffentlicht,  welches  im  Jahr 
1865  unter  dem  Titel  erschienen  ist:  A  Catalogne  of  the  original  Works 
of  John  Wydif.  2fy  W  a  1 1  e  r  W  a  d  d  i  n  g  t  o  n  Shirley,  D.D.  Oxford :  a t 
the  Clarendon  Press  1865.  XIX.  74.  Dieses  seinem  Umfange  nach  sehr 
bescheidene  Büchlein  ist  doch  die  Frucht  beträchtlicher  Arbeit,  vielseiti- 
ger Correspondenz  und  mühsamer  Sammlungen  während  eines  Zeitraums 
von  zehn  bis  zwölf  Jahren.  Die  eigenthümlichen  Vorzüge  dieses  »Kata- 
logs« sind  sehr  mannigfaltig :  sie  bestehen  darin,  dass  Shirley  I.  die 
lateinischen  und  englischen  Schriften  vollständig  aus  einander  hält ;  2.  die 
lateinischen  Werke  ihrem  Inhalt  gemäss  in  gewisse  Klassen  theilt : 
3.  zur  Entscheidung  über  die  Aechtheit  der  einzelnen  Schriften  thun- 
lichst Zeugnisse  und  Notizen  beibringt:  4.  die  A bfassungszeit  der 
einzelnen  Schriften  wenigstens  annähernd  zu  bestimmen  sucht ;  5 .  die 


556 


Anhang  A.  II. 


Handschriften  genau  bezeichnet,  welche  die  fragliche  Schrift  ent- 
halten. Auf  die  Liste  der  ächten  uud  noch  vorhandenen  Werke  W i cli  f '  s 
lässt  der  Verfasser  sowohl  ein  Verzeichniss  der  verlorenen  als  der  mit 
Unrecht  W  i  c  1  if  zugeschriebenen  Werke  folgen.  In  einem  Anhang  hat  er 
zwei  der  oben  erwähnten  Verzeichnisse  Wi e  1  i f  scher  Werke,  welche 
in  Wiener  Handschriften  aus  dem  Anfange  des  XV.  Jahrhunderts  sich 
befinden,  abdrucken  lassen.  Das  Büchlein  schliesst  mit  einem  alpha- 
betisch geordneten  Register  der  noch  vorhandenen  Werke  Wiclif's 
nach  den  Anfangsworten,  und  zwar  getrennt,  je  nach  der  Sprache,  worin 
sie  abgefasst  sind.  Zuletzt  hat  Thomas  Arnold  im  III.  Bande  der 
Sehet  english  Works  of  John  Wyclif,  Oxf.  1871  ein  Verzeichniss  aus- 
schliesslich englischer  Schriften  gegeben,  welche  Wiclif  zugeschrie- 
ben werden,  wobei  er  die  wahrscheinlich  ächten  Schriften  (41  an 
der  Zahl)  voranstellt,  die  zweifelhaften  (28)  folgen  lässt  und  damit 
schliesst,  dass  er  wenigstens  einige  entschieden  unächte  namhaft 
macht,  S.  XVII  -  XX.  Arnold  hat  die  von  Shirley  gegebene  Liste 
englischer  Schriften  Wiclif  s  um  ein  Stück  bereichert,  welches  er 
eigentlich  ^entdeckt  hat  {Sehet  Works,  Vol.  III,  230 — 233.  Dasselbe 
führt  den  Titel  Lincolniensis  (d.  h.  Grossetete),  ist  aber  nichts  an- 
deres als  ein  Aufruf  zu  redlicher  Theilnahme  für  die  Personen  und  das 
Werk  der  Reiseprediger,  nachdem  einige  derselben  in  Untersuchung 
gezogen  und  verhaftet  worden  waren.  Im  Uebrigen  hat  Arnold  zwar 
die  chronologische  Bestimmung  der  Schriftstücke  möglichst  ins  Auge 
gefasst,  seine  Aufmerksamkeit  jedoch  überwiegend  der  kritischen  Frage 
über  die  Aechtheit  zugewandt.  Das  Ergebniss  war.  dass  er  doch  eine 
ziemliche  Anzahl  Stücke  beanstandete:  von  den  65  englischen  Werken, 
welche  Shirley  aufgeführt  hatte,  sind  durch  Arnold  ungefähr  acht 
mit  Bestimmtheit  Wiclif  abgesprochen,  während  er  bei  15  —  2.0  an- 
deren wenigstens  zu  einem  Non-liquet  gelangt  ist.  Uebrigens  hat  ei- 
sern persönliches  Urtheil  nicht  als  maassgebend  angesehen  ,  sondern 
mehrere  von  den  seinerseits  beanstandeten  Schriften  im  dritten  Bande 
der  betreffenden  Publikation  unter  den  »Vermischten  Werken"  mit  ab- 
drucken lassen. 

Treten  wir  den  Werken  Wiclif 's  selbst  näher,  so  sind  vor  allem 
einige  Bemerkungen  in  Betreff  der  Sprachverschiedenheit  zu  machen. 

Dr.  Vatgiian  saut  von  den  englischen  Schriften  Wiclif s,  sie  seien 
hei  weitem  die  zahlreicheren1;.  Das  ist  ein  Irrthum.  Wenn  man  auch 
nur  auf  s  Zählen  sieh  einlasst.  so  sind  nach  dem  »Katalog«  von  Shirley  . 
die  lateinischen  Werke  Wiclif's  nicht  weniger  als  die  englischen 
nur  <;.">.  Ziehen  wir  aber,  wie  billig,  den  Um  fang  der  Schriften  mit 
in  Betracht.  SO  stellt  sich  das  Yerhältniss  noch  viel  mehr  zu  Gunsten 
der  lateinischen  Schriften.  Daher  urtheilt  Arnold,  die  lateinischen 
Werke  Wiclif'  s  seien  »bei  weitem  die  zahlreichsten  und  die  umfang- 


I    Life  and  Opmions  II.  2'<t->. 


Wiclit'  s  Schriften. 


557 


reichsten^  1  .  In  der  That  sind  die  englischen  Schriften  grossentheils 
nichts  anderes  als  ächte  Flugschriften,  die  ein  paar  Blätter  zählen 2) , 
und  die  umfangreichsten  unter  denselben  füllen  im  Druck  höchstens 
drei  bis  vier  Bogen  ;  während  in  der  Reihe  der  lateinischen  Werke  doch 
zehn  bis  zwölf  sind,  von  denen  jedes  so  gut  als  der  Triahgus  einen  ganz 
anständigen  Oktavband  füllen  würde. 

Aber  auch  die  Bedeutung  des  Inhalts  ist  bei  vielen  der  lateinischen 
Werke  eine  ungleich  höhere  als  bei  den  englischen.  Wissenschaftlich 
betrachtet,  sind  blos  die  lateinischen  Schriften  von  Werth  ;  Wiclif's 
philosophische  und  theologische  Stellung  lässt  sich  nur  aus  diesen  sicher 
und  gründlich  erkennen ,  während  seine  englischen  Schritten  ihren 
Hauptwerth  theils  für  die  Geschichte  der  englischen  Sprache  und  Lite- 
ratur, tlieils  für  unsere  Kenntniss  der  Einwirkung  Wiclif's  auf  das 
englische  Volk  haben  3). 

Hiebei  ist  nicht  unerwähnt  zu  lassen,  dass  die  Aechtheit  der  wich- 
tigsten lateinischen  Werke  hinlänglich  bezeugt  und  Uber  allen  Zwei- 
fel erhaben  ist,  theils  weil  Wiclif  selbst  seine  eigenen  früheren  Werke 
in  späteren  anzuführen  pflegt,  theils  weil  einzelne  Gegner  in  ihren  Streit- 
schriften verschiedene  Werke  Wiclif's  citiren.  So  lässt  sich  aus  der 
Schrift  von  Wilhelm  Woodford,  aus  efnem  Mandate  des  Erzbischofs 
Sbynjek  von  Prag  gegen  Hus4),  aus  den  antihussitischen  Arbeiten 
.des  Priors  Stephan  von  Dölau,  am  allermeisten  aber  aus  dem  grossen 
Werke  des  Thomas  Netter  von  Wralden  schon  eine  ziemlich  reich- 
haltige Liste  von  Schriften  Wiclif's  herstellen.  Aber  auch  Freunde 
und  Verehrer,  wie  Hus,  nennen  einzelne  Schriften  Wiclif's  mit  ge- 
nauen Citaten.  In  den  W7iener  Handschriften  Wiclif 'scher  WTerke 
findet  sich  sein  Name  gar  nicht  selten  angegeben. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  den  englischen  Schriften. 
Keine  derselben  wird  in  einer  anderen  Schrift  Wiclif's  oder  eine& 
literarischen  Gegners  erwähnt.  Nur  allein  seine  Volksschrift  über  das 
Abendmahl,  the  Wichet,  wird  in  Processakten  gegen  einzelne  Lollarden 
ausdrücklich  als  ein  Traktat  Wiclif's  erwähnt;  aber  nicht  früher  als 
im  Anfang  des  XVI.  Jahrhunderts.  Und  in  den  betreffenden  Hand- 
schriften findet  sich  der  Name  Wiclif's  wunderselten.  Mit  andern 
Worten,  äussere  Zeugnisse  für  die  Aechtheit  der  englischen  Schriften 
Wiclif's  sind  fast  gar  keine  vorhanden;  wir  sind  also  blos  auf  innere 
Gründe  für  und  wider  die  Abfassung  durch  Wiclif  angewiesen.  Be- 
greiflich wird  dadurch  die  Entscheidung  schwankend  und  schwierig. 

Ueberaus  merkwürdig  ist  ferner  die  Thatsache  .  dass  von  den 


1)  Sehet  englxsh  Works  of  Wyclif,  Vol.  I.  1S69.  Tntrod.  II. 

2)  Shirley,  Catalogue,  Preface  VIII.  sagt :  The  English  icorks  —  are 
almost  always  short.  being  intended  for  populär  circulation. 

3)  Vgl.  die  treffenden  Bemerkungen  Shirley's  ,  Catalogue,  Pref.  IX, 
4   s.  Palacky,  Documenta  etc.  1869.  300.    In  diesem  Mandate  sind 

nicht  weniger  als  18  Schriften  von  Wiclif  nach  ihren  Titeln  genau  auf- 
geführt. 


558 


Anhang  A.  II. 


lateinischen  Werken  Wiclif's  verhältnismässig  wenige  alte  Hand- 
schriften in  England  selbst  und  in  Irland  vorhanden  sind,  während  seine 
englischen  Schriften  sich  sämnitlich  in  englischen,  beziehungsweise 
irischen  Bibliotheken  befinden.  Lege  ich  Shirley's  »Katalog«  und 
dessen  Angaben  zu  Grunde,  so  befinden  sich  unter  den  96  lateinischen 
Schriften,  die  Shirley  aufgezählt  hat,  nur  27,  von  welchen  Hand- 
schriften aus  dem  XIV.  und  XV.  Jahrhundert  im  Besitz  englischer  oder 
irischer  Bibliotheken  sind,  d.  h.  nicht  völlig  ein  Drittheil.  Und  unter 
denjenigen ,  welche  in  England  selbst  fehlen  ,  sind  nicht  wenige  von 
grösster  Bedeutung,  z.  B.  der  Tnalogus ,  De  juramento  Amaldi ,  eine 
von  den  frühesten  Denkschi  iften  W  ic  Ii  f '  s  ,  welche  von  hohem  Interesse 
ist  u.  s.  w.  Dagegen  sind  continentale  Bibliotheken ,  vor  allen  die 
k.  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  Wien,  die  Universitäts-  und  die 
erzbischöfliche  KapiteL-bibliothek  zu  Prag,  selbst  die  Pariser  öffentliche 
Bibliothek,  und  die  königliche  Bibliothek  zu  Stockholm,  im  Besitze  von 
Handschriften  der  lateinischen  Werke  Wiclif's.  Und  zwar  ist  das 
Verhältniss  dieses,  dass  unter  den  96  lateinischen  Werken,  beziehungs- 
weise Traktaten,  nur  etwa  sechs  sind,  von  denen  Handschriften  aus- 
schliesslich blos  in  England  oder  Irland  sich  befinden  und  keine  einzige 
auf  dem  Continent,  während  von  englischen  Schriften  Wiclif's  gar 
keine  Handschrift  in  continentaleu  Bibliotheken  anzutreffen  ist.  Der 
letztere  Umstand  erklärt  .-ich  sehr  einfach  durch  die  Unbekanntschaft 
mit  der  englischen  Sprache,  welche  auf  dem  europäischen  Festland, 
selbst  in  Böhmen  während  der  hussitischen  Bewegung,  herrschte. 
Weniger  leicht  erklärlich  ist  aber  die  Thatsache,  dass  in  England  sich 
verhältnissmä-sig  so  wenige  der  lateinischen  Werke  Wiclif's  erhalten 
haben.  An  die  bischöfliche  Inquisition  und  die  Vernichtung  Wiclif  scher 
Bücher  durch  die  Hierarchie  zu  denken  ,  verbietet  uns  der  Umstand, 
dass  auch  unter  den  rein  philosophischen  Traktaten,  deren  Shirley 
elf  aufzählt,  nur  zwei  sind,  von  denen  sich  Handschriften  in  Eng- 
land befinden :  und  doch  lässt  sich  bei  diesen  logischen  und  metaphysi- 
schen Abhandlungen  schlechterdings  nicht  absehen,  warum  die  In- 
quisition sich  mit  Aufspürung  und  Vernichtung  derselben  bemüht 
haben  sollte. 

Wenn  wir  nun  zu  einer  geordneten  Aufzählung  der  einzelnen 
Schriften  Wiclif's  schreiten,  so  ist  unser  Absehen  daraufgerichtet, 
ein  Bild  von  der  schriftstellerischen  Thätigkeit  des  Mannes  zu  geben. 
Zu  diesem  Zweck  empfiehlt  es  sich  weniger,  die  beiden  Sprachen,  in 
denen  die  Schriften  verfasst  sind ,  zum  Haupteintheilungsprinzip  zu 
machen,  wie  das  Shirley,  dessen  Absehen  auf  einen  anderen  Zweck 
gerichtet  war,  gethau  hat.  Dem  sprachlichen  Gesichtspunkte  dürfte  hier 
besser  eine  untergeordnete  Stellung  angewiesen  werden,  während  eine 
sachliche  Theilung,  nach  Inhalt  und  Gegenständen,  in  erster  Linie 
anzustreben  ist.  Auch  Shirley  hat  eine  sachliche  Theilung  je  inner- 
halb der  beiden  Hauptklassen  I.  lateinische,  II.  englische  Werke)  ge- 
macht.  Wir  werden  indes  auch  in  der  sachlichen  Eintheilnng  unseren 


Wiclif's  Schriften. 


559 


eigenen  Weg  gehen,  und  so  oft  wir  mit  Shirley  zusammentreffen,  uns 
dessen  freuen.  In  Hinsicht  des  Nachweises  der  Handschriften  und  der 
Bibliotheken ,  welche  dieselben  besitzen ,  gestatten  wir  uns  einfach  auf 
Shirley 's  verdienstliche  Leistung  zu  verweisen. 

Wir  theilen  die  Werke  in  vier  Hauptklassen :  erstlich  Werke 
wissenschaftlichen  Inhalts  ,  zum  andern  Predigten ,  drittens  praktisch 
lehrhafte  Erklärungen  von  Katechismusstücken,  viertens  Gutachten, 
persönliche  Erklärungen,  Flugschriften  u.  s.  w.  ;  einige  Briefe  bilden 
eine  Art  Anhang. 


A.  Werke  wissenschaftlichen  Inhalts. 

I.  Philosophische  Werke. 

I,  Logica. 

2  •  Logicae  con tin uatio .   Vgl .  Band  1 ,  459. 

3.  Quaestiones  logicae  et  philosophicae . 

4.  De  Ente  sive  Summa  InteUectualium  begreift  2  Bücher,  je  mit 
6  Traktaten,  in  sich)  s.  Shirley,  Xr.  S) . 

5.  De  UniversaUbus  (Shirley  10  . 

6.  Replicatio  de  Universalibus   Shirley.  9  . 

7 .  De  Ente  particulari  Shirley  4) . 

8.  De  Materia  et  Forma   Shirley  6)1). 

9.  De  Materia    Shirley  7  . 

10.  De  compositione  hominis  Shirley  5). 

11.  De  Anima. 

II.  Theologische  Werke, 
A.   Systematischer  Art. 

Hier  verdient  vorangestellt  zu  werden  sowohl  des  bedeutenden 
Umfangs  als  des  inneren  Werthes  halber  das  grosse  Gesammtwerk 
Wiclif's,  welchem  seine  Verehrer  (denn  bei  ihm  selbst  findet  sich, 
wie  mir  scheint,  diese  Benennung  nirgends  den  in  der  Scholastik  nicht 


1)  Zur  Ergänzung  dessen,  was  Shirley,  Catalogue  S.  2  ff  mitgetheilt 
hat,  glauben  wir  hier  bemerken  zu  sollen,  dass  die  königliche  Bibliothek 
zu  Stockholm,  laut  Dudik's  »Forschungen  in  Schweden  für  Mähren' s  Ge- 
schichte«, Brünn  1S52.  S.  19S  ff.  eine  wahrscheinlich  von  Hus  selbst  139S 
geschriebene  Papierhandschrift  in  4°  besitzt,  welche  folgende  philosophische 
Traktate  Wiclif's  enthält:  1.  De  individuatione  temporis  et  instantia,  zwölf 
Kapitel,  f.  1—33.  2.  De  Ydeis,  f.  34 — 52.  3.  De  materia  et  forma,  f.  53—76. 
4.  Replicatio  de  Z'niversalibus,  f.  77 — SG.  5.  De  veris  universal  ibus,  f.  ST  — 134. 
Diese  Handschrift  war  ein  Theil  der  vom  General  Königsmark  bei  Einnahme 
des  Hradschin  in  Prag  am  26.  Juli  164S.  gemachten  Beute  aus  der  Kunst- 
und  Schatzkammer  so  wie  aus  der  Bibliothek  des  königlichen  Schlosses. 


560 


Anhang  A.  II. 


ungewöhnlichen  Namen  :  Summa  Theologiae  oder  Summa  in  Theologia 
gegeben  haben.  Es  war  vom  XIII.  Jahrhundert  an  Sitte  geworden, 
umfassenderen  Werken,  worin  das  Lehrgebäude  eines  Doctors  in  selb- 
ständigem Gang,  und  nicht  im  Ansehluss  an  die  Sentenzen  Peter  s  des 
Lombarden,  zugleich  in  grösserem  Zusammenhang  aufgestellt  war,  diesen 
Titel  zu  ertheilen,  auch  wenn  der  Verfasser  selbst  seinem  Werke  einen 
anderen  Titel  gegeben  hatte.  So  fiude  ich  z.  B.,  dass  dem  grossen 
Werke  Bradwardins ,  welches  er  De  causa  Dei  betitelt  hatte,  in 
einigen  Handschriften  der  Titel  ertheilt  ist :  Summa  de  causa  Dei.  Auch 
das  voluminöse  Werk  von  Richard  Fitz-Ralph,  Erzbischof  von 
Armagh  Armachanus  ,  Adve.rsus  errores  Armenorum,  wird  je  und  je 
Summa  genannt. 

Die  Wiclifsche  »Summa«  so  betitelt  in  drei  Katalogen  aus  der 
Hussitenzeit,  Ms.  3933,  Denis  CCCXCI.  f.  195  folg.  4514,  Denis 
COCXCIIL  f.  102  folg.  und  Ms.  7982,-f.  5.  Col.  L  —  f.  12.  Col.  2.)  ') 
umfasst  nicht  weniger  als  J  5  Bücher,  unter  denen  einzelne,  z.  B.  das- 
6te,  »Von  der  Wahrheit  der  heil.  Schrift«,  im  Druck  einen  Band  von 
wenigstens  30  Bogen  füllen  würden.  Dem  theologischen  Hauptwerk 
ireht  eine  allgemeinere  Arbeit  philosophisch-theologischen  Inhalts  voran, 
welche  »von  der  Herrschaft«  handelt : 

1.  De  Dominio  dies  scheint  laut  des  Vorworts,  MS.  1339  f.  1  : 
3929  f.  114,  Col.  1.,  der  allgemeine  Titel  zu  sein;  auch  stimmt  damit 
das  Verzeichnis*  in  4514). 

a  De  dominio  divino,  Lib.  I.  Bruchstück  in  19  Kapiteln), 
b  De  dominio  divino.  Lib.  II.  Bruchstück  in  6  Kapiteln), 
c)  De  dominio  divino,  Lib.  III.  (Bruchstück  in  6  Kapiteln  . 

2.  »Summa  Theologiae^,  in  1 2  Büchern, 

I  De  mandatis  divinis. 
2)  De  statu  innocentiae. 

:i)  De  do?ni?iio  civili,  Lib.  I. 

4)  De  dominio  civili,  Lib.  II. 

5)  De  dominio  civili,  Lib.  III. 

II  De  veritate  sacrae  serijiturae .     Vgl.  Bd.  I.  S.  471  folg.  und 
Anm.  1. 

7   De  ecclesia. 

sj  De  ojficio  regis. 

'■')  De  potestale  papae. 
l"   De  simonia. 
ll)  De  apostasia. 
11   De  blasphemia. 

3.  Trialogus. 

1)  SHIRLET  hat  im  Anhang  seines  Cutalogiu- ,  S.  50 — 60  die  beiden 
ersten  Verzeichnisse  abdrucken  lassen ;  das  dritte  war  ihm  unbekannt  ge- 
blieben ,  s.  Tubulär  coilicum  manu  scriptorum  —  in  bibliothcca  palatina 
rindohom  nsi  asm  rvaiorum \  ed.  Acadaniu  caesarea  rindobonensis.  Vol.  V.  1871. 


Wicüf's  Schriften. 


56  I 


4.  Supplementuni  trialogi  sive  de  dotatione  ecclesiae ;  beide  ed.  Lech- 
ler, Oxf.  1869. 

Der  Titel  Trialogus  kommt  nach  Wiclif  auch  bei  Johann  Ger- 
son  vor;  dieser  schrieb  im  Jahre  1402  oder  1403  einen  Trialogus  in 
materia  Schismatis,  in  Form  eines  Gesprächs  zwischen  dem  Eifer,  dem 
Wohlwollen  und  der  Besonnenheit,  Opera  II,. 83 — 105,  vgl.  Schwab, 
Johannes  G  er  son  ,  lb58.  S.  160  ff.  Und  Acne  as  Sy  1  vi  us  schrieb 
1446  ein  Gespräch  zwischen  fünf  Personen :  Kaiser  Friedrich  HL,  sei- 
nem Kanzler  Caspar  Schlick,  den  Bischöfen  von  Freising  und 
Chiem,  und  Aeneas  selbst,  unter  dem  Titel:  Pentalogus,  s.  Pez, 
Thesaurus  anecdotorum  T.  IV.  P.  3.  f.  639  folg. 

5.  De  Incamatione  Verbi  (bei  Shirley,  Nr.  12. 

6 .  De  Ecclesia  et  membris . 

Dies  scheint  der  richtige  Titel  zu  sein,  und  nicht,  wie  Shirley, 
nach  dem  Vorgang  der  Verzeichnisse  in  zwei  Wiener  Handschriften, 
Nr.  13  angibt:  De  fide  catholica.  Uebrigens  ist  dieses  Buch  mit  dem 
')Buch  von  der  Kirche«,  welches  den  7ten  Theil  der  Summa  bildet,  nicht 
identisch. 

7.  De  officio  pastorali,  1S63  in  Leipzig  von  mir  herausgegeben, 
Shirley,  S.  18.  Nr.  40. 

Eine  englische  Uebersetzung  dieses  Traktats  erwähnt  Shirley, 
S.  48.  Nr.  61. 

8.  De  Eurharistia  tractatus  major. 

9.  De  Eucharistia  et  Pönitentia  y  sive  de  Confessione ;  bei  Shirley, 
Nr.  23. 


B.    Disputatorischer  Art. 

1.  Contra  Kilingham  Carmelitam  determinationes.  S.  SHIRLEY,  Catal. 
20.  Nr.  53. 

2.  Contra  Magistrum  Outredum  de  Ornesima  (?)  monachum  determi- 
natio,  Shirley,  20.  Nr.  54. 

3.  Contra  Wilhelmum  Vynluvm  monachum  de  S.  Albano  determina- 
tio,  Shirley  a.  a.  O.  Nr.  55. 

4.  De  Dommio  determinatio  contra  unum  monachum.  SHIRLEY 
a.  a.  O.  Nr.  56. 

5.  Responsiones  ad  Radulf  um  Strode,  SHIRLEY,  20  folg.  Nr.  57. 

6.  Responsiones  ad  argumenta  cujusdam  aemuli  veritatis,  SHIRLEY, 
Catal.  21.  Nr.  58. 

7.  Responsiones  ad  XLIV  quaestiones  sive  ad  argutias  monacliales, 
Shirley,  21.  Nr.  59. 

8.  Responsum  ad  decem  quaestiones.  Shirley,  21.  Nr.  60. 

Lechlkf.  ,  Wiclif.  II.  36 


562 


Anhang.  A.  II. 


B.  Predigten  und  praktische  Schriftauslegungen. 

I.  Predigtsaninilungen 

a)  #in  lateinischer  Sprache. 

1.  Predigten  über  die  Sonntagsevangelien,  Super  Evangelia  donii- 
nicalia,  bei  Shirley,  S.  13.  Nr.  33. 

2.  Predigten  über  die  Festevangelien,  Super  Evangelia  de  Sanctis. 

3.  Predigten  über  die  Sonntagsepisteln,  Super  Epistolas. 

4.  Vermischte  Predigten,  64  an  der  Zahl.  Den  Kern  dieser 
Sammlung  bilden  40  Predigten,  welche  in  der  Handschrift  3928  als 
besondere  Sammlung  auftreten,  und  um  deswillen  von  hervorragendem 
Werthe  sind,  weil  sie  die  frühesten  Predigten  Wiclif  s  enthalten  und 
seinen  früheren  Standpunkt  abspiegeln.  Da  die  Predigtsammlungen 
schwerlich  von  Wiclif  selbst  gemacht  sind,  so  begreifen  sich  die 
Schwankungen  in  Betreff  des  Umfangs  und  Inhalts  dieser  Predigt- 
bücher um  so  leichter.  So  zählt  Shirley  unter  Nr.  37.  eine  Samm- 
lung von  24  vermischten  Predigten,  von  denen  die  meisten  unter  4. 
sich  wieder  finden,  als  ein  besonderes  Predigtbuch  auf. 

Als  Anhang  zu  den  Predigtsammlungen  sind  zu  erwähnen 
einzelne  Predigten,  welche  aus  den  Sammlungen  besonders  abgeschrie- 
ben wurden  ,  z.  B.  Sermo  pulcher  über  Ruth  2,  4,  identisch  mit  der 
24.  Predigt  unter  den  »vermischten«  XXIV  Predigten,  s.  Shirley,  16. 
Nr.  39;  ferner:  Mulierem fortem  quis  invmiet ?  über  Sprüche  Sal.  31. 
10  ff. ,  identisch  mit  der  fünften  unter  den  XXIV  Predigten,  Shirley, 
16.  Nr.  41.  Auch  Exhortatio  novi  Doctoris,  Shirley  16.  Nr.  3S.  ist 
eine  Predigt,  bei  einer  Doctorpromotion  gehalten.  Endlich  ist  der 
Traktat:  De  sex  jugis.  s.  Anhang  B.  Nr.  V.  eine  Zusammenstellung 
aus  mehreren  Predigten  (Band  I,  S.  427),  vgl.  Shirley  16.  Nr.  40. 

b)  in  englischer  Sprache. 

1 .  Predigten  über  die  Sonntagsevangelien,  vom  I.  Trin.  bis  zum 
Schluss  des  Kirchenjahrs,  Evangelia  dominicalia. 

2.  Predigten  über  die  Sonntagsevangelien  vom  I.  Advent  bis  zum 
Trinitatisfest. 

3.  Festpredigten  über  evangelische  Texte  an  Commune  Sanctorum. 

4.  Festpredigten  über  evangelische  Texte  an  Proprium  Sanctorum. 
s.  Shirley,  Catalogus  S.  32.  Nr.  2  (1 — 4).  Diese  vier  Theile  sind 
im  I.  Bande  der  Sehet  english  icorks  of  John  WyeUf  von  Thomas 
Arnold  IS(59  herausgegeben. 

5.  Wochenpredigten  über  evangelische  Texte,  nebst  einigen  Ca- 
sualpredigten ,  Evangelia  feriaUa.  Die  Gesammtzahl  der  Evangelien- 
predigten unter  1 — 5  beläuft  sich  auf  239. 

0.  Epistelpredigten  ,  Epistolae  dominicales .  55  an  der  Zahl.  Die 


Wiclifs  Schriften. 


563 


Sammlungen  unter  5  und  6  sind  im  II.  Bande  der  Arnold' scheu 
Sehet  works  of  WycUf  1S71  im  Drucke  erschienen. 

Wie  eine  einzelne  Predigt  erscheint  der  Traktat  über  das  heilige 
Abendmahl,  betitelt  Wyckett,  vgl.  Band  I,  627  folg.  Anm. 

II.    Praktische  Schriftauslegungen, 
a.  Lateinisch. 

1)  Auslegung  der  Bergpredigt,  Opus  evangelicum  sive  De  sermone 
Domini  in  monte,  in  vier  Theilen  ;  die  zwei  letzten  werden  auch  mit 
dem  Titel :  De  Antichristo  bezeichnet.  S.  Shirley  a.  a.  0.  16.  Nr.  42. 

2)  Auslegung  des  23.  Kapitels  im  Ev.  Matthaei,  Expositio  s.  Matth. 
C.  XXIII.  sive  De  Vae  oetuplici. 

3)  Auslegung  des  24.  Kapitels  im  Ev.  Matthaei,  Expositio  s.  Matth. 
C.  XXIV.  sive  De  Antichristo . 

4)  Auslegung  der  N.  T.  Bücher  mit  Ausnahme  der  Apokalypse. 

b.  Englisch. 

1)  Vae  octuplex,  Auslegung  des  XXIII.  Kapitels  vom  Ev.  Matthaei, 
abgedruckt  in  Sehet  works,  Vol.  I,  379  —  389. 

2)  Of  Mynystris  in  the  Chirche,  Auslegung  des  XXIV.  Kapitels 
vom  Matthaeus.  Abgedruckt  a.  a.  0.  393 — 423.  Diese  beiden  Trak- 
tate stehen  in  allen  vollständigen  Predigtsammlungen  Wiclifs  in 
englischer  Sprache. 

Die  englisch  geschriebenen  Erklärungen  der  Evangelien  des  Mat- 
thaeus ,  Lukas ,  Johannes ,  so  wie  der  Offenbarung  Johannis ,  welche 
Shirley,  Catalogue,  S.  35  folg.  unter  Nr.  6 — 9  beschreibt,  sind  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  nicht  von  Wiclif  verfasst,  s.  Band  I.  440  ff., 
vgl.  Arnold  in  der  Einleitung  zum  I.  Bande  der  Select  works,  S.  IV  ff. 

Dagegen  gehören  wahrscheinlich  Wiclif  an  3)  die  zwölf  Stücke, 
welche  unter  dem  Titel:  Super  Cantica  sacra,  in  mehreren  Handschrif- 
ten gesammelt  vorkommen,  und  von  Arxold,  in  Select  works,  Vol.  III. 
5  —  81  herausgegeben  worden  sind.  Die  Ordnung  in  den  Handschrif- 
ten und  im  Druck  ist  weder  zeitlich  noch  sachlich  motivirt.  Wir  nennen 
sie  in  anderer  Reihe  : 

I.  Alttestamentlich : 

1.  Mose's  Lobgesang,  Exod.  15. 

2.  Moses  Lied,  Deuteron.  32. 

3.  Der  Hanna  Lobgesang,  I.  Sam.  2. 

4.  Israel' s  Danklied,  Jesa.  12. 

5.  Hiskias  Loblied,  Jesa.  38,  10  —  20. 

6.  Habakuk's  Gebet,  3,  2—19. 

II.  Apokryphen  des  A.  T. 

7.  Gesang  der  drei  Männer  im  Feuerofen,  Daniel  III,  51  ff.  nach 
den  LXX. 

36* 


564 


Anhang  A.  II. 


III.  Neutestamentlich  : 

8.  Das  Magnißcat,  Luk.  I,  46 — 55. 

9.  Benedictas,  das  Gebet  des  Zacharias,  Luk.  1.  68  —  79. 

10.  Simeons  Lied,  Luk.  2,  29 — 32. 

IV.  Altkirchlich. 

1 1 .  Das  Te  Deum. 

12.  Das  Symbolum  Quicunque,  als  Psalm  betrachtet.  Vgl.  SHIR- 
LEY, Catal.  36  ff. 

Diese  Stücke  werden  sämmtlich  so  ausgelegt,  dass  ein  Vers  nach 
dem  andern  zuerst  lateinisch  nach  der  Vulgata,  sodann  in  englischer 
Uebersetzung  gegeben  und  hierauf  kurz  erklärt  wird. 


C.  Praktisch-lehrhafte  Erklärungen  von  Katechis- 
musstücken. 

Wir  gestatten  uns  hiebei  den  modernen  Nainen  »Katechismus«  für 
das  Mittelalter  anzuwenden,  obwohl  er  damals  bekanntlich  nicht  im 
heutigen  Sinne  üblich  war.  Zugleich  aber  rechnen  wir  zu  den  für  den 
Volksgebrauch  behandelten  Stücken ,  mit  Geffken  ') ,  ungleich  mehr 
als  seit  Luther  zum  Katechismus  gehört.  Weil  diese  Arbeiten  zum 
Besten  des  Volks  gemacht  wurden,  sind  sie  grösstentheils  in  englischer 
Sprache  verfasst.  Nur  wenige  Traktate,  welche  zu  dieser  Kategorie 
gehören,  sind  lateinisch  geschrieben. 

I.  Lateinisch. 

1.  De  septem  donis  Spiritus  sarwti,  s.  Shirley,  Catal.  11.  Nr.  27. 

2.  De  Oratione  Dominica,  Shirley,  18.  Nr.  47. 

3.  De  Salutatione  angelica,  SHIRLEY,  18.  Nr.  48. 

4.  De  triplici  vineulo  amoris,  Shirley  a.  a.  0.  19.  Nr.  49. 

5.  Differentia  inter  peccatum  mortale  et  veniale .  Shirley,  11. 
Nr.  28. 

II.  Englisch. 

1.  Of  the  ten  commandments,  Shirley,  4  5.  Nr.  40.  Abgedruckt 
in  Sehet  worhs,  Vol.  III.  82—92. 

2.  Of  the  seven  works  oj  merey  bodyhf.  und 

3.  The  seven  tuerkys  of  merey  ghostly  .  oder  Optra  Caritatis,  SlIIR- 


I  Der  Bildercateehismus  des  XV.  Jahrhunderts  und  die  cateehetischen 
Hauptstücke  in  dieser  Zeit  bis  auf  Luther,  1^.">.">.  S.  20  tt'. 


Wiclif  s  Schritten. 


565 


lly,  45  folg.  Nr.  42  und  43.  Beide  Stücke  bilden  offenbar  ein  Gan- 
zes, abgedruckt  in  Select  Works,  Vol.  III.  168  ff.  177  ff. 

4.  On  the  seven  deadhj  sins,  Shirley,  46.  Nr.  44.,  in  Sehet  works 
III.  1 19 — 167. 

5.  Der  »Spiegel  christlichen  Lebens«,  Shirley,  Catal.  38.  Nr.  1 1 ; 
indes  ist  zu  bemerken,  dass  laut  der  Forschungen  von  Thomas  Arnold 
und  Professor  Stubbs  in  Oxford,  die  Stücke  Nr.  11,  i  und  7  dieser 
Sammlung  entschieden  nicht  Wie  Ii  f  angehören,  sondern  einem  »Hand- 
buch religiöser  Unterweisung«,  welches  der  Erzbischof  Thoresby  von 
York  im  Jahre  1357  hat  ausarbeiten  und  in  seinem  Sprengel  unter 
Klerikern  und  Laien  verbreiten  lassen:  s.  Arnold,  Sehet  works.  Vol. 
III.  Introd.  VI.   Die  übrigen  fünf  Stücke,  nämlich 

2  Ueber  das  Vater  Unser. 

3  Ueber  das  Ave  Maria, 

4)  Auslegung  des  apostolischen  Glaubens, 

Ueber  die  fünf  leiblichen  Sinne, 
6  Ueber  die  fünf  geistlichen  Sinne, 
hat  Arnold  in  dem  genannten  Bande,  S.  93 — 118.  abdrucken  lassen. 

Ueber  das  Gebet  des  Herrn  finden  sich  unter  den  Schriften  Wic- 
lif's,  ausser  dem  vorhin  5,  2.  genannten  Traktate  noch  zwei  andere, 
von  diesem  sowohl  als  unter  sich  wohl  zu  unterscheidende,  Auslegun- 
gen des  Vater  Unsers.  nämlich 

6.  Nr.  27.  bei  Shirley,  Catal.  S.  43.  und 

7.  Nr.  64.  bei  Shirley.  -19. 

Das  letztere  umfangreichere  Stück  ist  unter  die  Sehet  works.  Vol.  III. 
S.  98 — 110  aufgenommen. 

8.  Ueber  das  Ave  Maria,  s.  Shirley,  Catal.  43.  Nr.  28  .  zu 
unterscheiden  von  dem  Traktate  über  den  »Englischen  Gruss«,  welcher 
bereits  unter  5.  3.  erwähnt  i>t. 

9.  Of  Faith ,  Hopp  and  Ckarity,  Shirley.  S.  45.  Nr.  41. 
Arnold  s  Urtheil  über  diesen  Aufsatz  ist  ziemlich  ungünstig  ausge- 
fallen. Sehet  works,  Vol.  III.  Introd.  VI. 

Endlieb  glauben  wir  hieher  einige  Traktate  stellen  zu  sollen, 
welche,  mit  Luther  zu  reden,  eine  Art  »Haustafel«  bilden,  nämlich: 

10.  <>Von  Eheleuten  und  ihren  Kindern«  (Of  weddid  men  and  wifis 
and  of  Ziere  children  also  .  Shirley,  S.  44.  Nr.  36.  Von  Arnold  ver- 
öffentlicht in  Select  works.  Vol.  III.  188  —  201. 

11.  »Von  Dienern  und  Herren,  wie  jeder  seinen  Beruf  »seinen 
(•lad'   einhalten  soll«,  Shirley.  S.  43.  Nr.  31. 

12.  A  short  reule  rule)  of  Ufe.  Shirley,  S.  42.  Nr.  24.,  abge- 
druckt in  Sehet  works.  III.  204  —  208.  Der  Herausgeber  war  anfangs, 
s.  Einleitung  zum  I.  Bande.  1869.  VI  folg.,  sehr  stark  geneigt,  die 
Authentie  zu  bezweifeln  :  allein  er  ist  später  zu  einem  andern  Urtheil 
gelangt,  so  dass  er  im  III.  Bande.  1871.  S.  204.  die  Abfassung  durch 
W  i  c  1  i  f  anzunehmen  bekannt  hat. 


566 


Anhang  A.  II. 


D.  Gutachten,  persönliche  Erklärungen  an  Behörden 
und  dergleichen. 

A.  Gutachten, 
sämmtlich  in  lateinischer  Sprache. 

1.  Ad  quaesita  regis  et  concilii,  abgedruckt  in  Thomas  Netter's 
Fa&eiculi  zizaniorum  ed .  Shirley,  Lond .  1858.  S .  25  8 — 2  7 1 . 

2.  De  captivo  Hispanensi ;  dieses  und  das  vorangestellte  Gutach- 
ten in  Shirley's  Catalog,  S.  23.  Nr.  65  und  66  beschrieben. 

3.  De  juramento  Arnaldi,  in  Shirley's  Catalog  S.  24.  Nr.  71 
erwähnt,  erstmals  abgedruckt  unten,  Anhang  B.  Nr.  II. 

B.  Petitionen,  persönliche  Erklärungen  und  Vertheidigungs- 
schriften  an  Behörden  gerichtet. 

I.  Lateinisch. 

1.  Ad  Parliamentwn  Regis,  Shirley,  Catal.  19.  Nr.  50.  Ver- 
öffentlicht zuerst  von  Lewis,  History  of  WicUf,  382  ff. ,  sodann  von 
Shirley ,  in  Fasciculi  zizan .  245 — 257. 

2.  Declarationes  Johannis  Wickliff,  Shirley,  Catal.  19.  Nr.  51. 
Abgedruckt  in  Walsingham's  Chronik:  Historia  anglieana,  ed.  Riley,. 
Vol.  I.  357—363. 

3.  De  condemnatione  XIX  conclusionam,  Shirley,  Nr.  52.  Ab- 
gedruckt im  Anhang  zu  Fascicidi  zizan.  Nr.  III.  S.  481 — 492. 

4.  De  Eucharistia  confessio,  Shirley,  Catal.  S.  10.  Nr.  19.  Ab- 
gedruckt bei  Lewis,  323 — 332,  und  buchstäblich  .nach  Lewis,  bei 
Vaughan,  Life  and  Opin.  II.  428  ff.  und  Monograph  564  ff.;  selbstän- 
dig und  kritisch  bei  Shirley,  Fase.  ziz.  115 — 132. 

5.  Kürzeres  Bekenntniss  vom  Abendmahl,  Shirley,  S.  10. 
Nr.  20. 

II.  Englisch. 

1.  Wiclif's  Petition  an  König  und  Parlament  ,  betitelt  :  Four 
articles,  bei  Shirley,  Catal.  S.  4  5  unter  Nr.  39.  Veröffentlicht  durch 
Thomas  James,  Oxford  1608.  4°.,  in  Two  short  treatises  U.  s.  w.  :  in 
berichtigter  Gestalt  neuestens  durch  Arnold,  Select  works,  Vol.  III.. 
507 — 523  unter  dem  Titel:  A  petition  to  the  hing  and  par  Hamen 

2.  Zwei  Bekenntnisse  über  das  Sakrament  des  Altars.  I.  1  hwn- 
leche  t/tat  the  sacrament  etc.  Shirley,  49.  Nr.  65.  Abgedruckt  in  Select 
worki,  III,  499  folg.  II.  I  belere,  as  Crist  etc.,  Shirley,  47.  Nr.  54. 
Abgedruckt  in  Select  works,  III,  501  ff. 


Wiclifs  Schriften. 


567 


E.  Streit-  und  Flugschriften. 

I.  Lateinisch. 

Diese  Schriften  beziehen  sich  sämmtlich  auf  die  Kirche,  ihren 
Kultus,  insbesondere  das  Sakrament  des  heil.  Abendmahls,  ihre  Glie- 
der und  Stände,  ihre  Pflichten  und  Rechte,  ihren  Nothstand  und  Scha- 
den, ihre  Besserung  und  Reform.  Suche  ich  diese  zahlreichen  Trak- 
tate, welche  theilweise  nichts  anderes  sind  als  fliegende  Blätter,  in 
einige  Hauptklassen  zu  ordnen,  so  sind  das  etwa  die  folgenden.  Wo- 
bei ich  jedoch  im  voraus  gestehe ,  dass  Irrthum  um  so  leichter  mög- 
lich ist,  als  die  allerwenigsten  unter  diesen  Flugschriften  gedruckt  sind. 

a)  Kultus. 

1 .  De  Eucharistia  conclusiones  XV. 

2.  Quaestio  ad  fratres  de  Sacramento  Altaris\  beide  genannt  Shir- 
ley,  Catal.  S.  10.  Nr.  21.  22. 

3.  De  Imaginibus,  Shirley,  11.  Nr.  26. 

b)  Gliederung  der  Kirche. 

!.  De  ordine  christiano,  Shirley,  26.  Nr.  77. 

2.  De  gradibus  cleri  ecclesiae  sive  de  ordinibus  ecclesiae,  SHIRLEY, 
30.  Nr.  95. 

3.  De  graduationibus  scholasticis.  SHIRLEY,  29.  Nr.  94. 

4.  De  praelatis  contentionwn,  Shirley,  29.  Nr.  92. 

5.  De  clavibus  ecclesiae  von  der  Schlüsselgewalt  des  Papstes), 
Shirley,  24.  Nr.  70. 

6.  Errare  in  materia  fidei  qtiod  potuit  ecclesia  militans  (  gegen  die 
Lehre  von  der  Unfehlbarkeit  der  Kirche),  Shirley,  12.  Nr.  32. 

7.  De  officio  regis  ccnclusio,  Shirley,  24.  Nr.  69. 

8.  Speculum  secularium  dominorum,  SHIRLEY,  23.  Nr.  67. 

9.  De  Servitute  civili  et  dominio  seculari,  SHIRLEY,  24.  Nr.  68. 

c)  Mönchthum,  insbesondere  Bettelorden. 

1 .  De  religione  privata  I. 

2.  De  religione  privata  II,  SHIRLEY,  27.  Nr.  81  und  S2. 

3.  De  religionibus  vanis  monachorum,  SHIRLEY,  27.  Nr.  80. 

4.  De  perfectione  statuum,  Shirley,  26.  Nr.  78. 

5.  De  nova  praevarirantia  mandatorum ,  Shirley,  26.  Nr.  79. 
Ein  kurzes  Bruchstück  daraus  ist  De  purgatorio ,  Shirley,  S.  12. 
Nr.  31. 

6.  De  concordantia  fratrum  cum  secta  simplici  Christi,  sive  De  sectis 
monachorum,  Shirley,  27.  Nr.  84. 


568 


Anhang  A.  II. 


7.  De  paupertate  Christi,  sice  XXXIII  Conclusiones ,  Shirley, 
23.  Nr.  64. 

8.  De  novis  ordinibus,  Shirley,  28.  Nr.  87. 

9.  Descriptio fratris,  a.  a.  0.  28.  Nr.  SO. 

10.  De  mend actis  fratrum,  a.  a.  0.  28.  Nr.  SS. 

11.  De  frattibus  ad  scholar es,  a.  a.  0.  28.  Nr.  90. 

12.  De  minoribus  fratribus  se  extollentibus ,  gegen  die  Selbstüber- 
hebung der  Franziskaner,  in  der  Wiener  Handschrift  3930  Denis 
CDIV.)  f.  178 — 187.  Der  Traktat,  welcher  von  Shirley  übersehen 
worden  zu  sein  scheint,  beginnt  mit  den  Worten  :  Cum  viantes  et  fratres. 

d)  Verfall  der  Kirche  und  Kirchenreform. 

1 .  De  contrarietate  duorum  dominorum,  suarum  partium  ac  etiam 
regularum,  Shirley,  27.  Nr.  83. 

2.  De  Christo  et  suo  adver sario  Antichristo ,  a.  a.  0.  25.  Nr.  76. 

3.  De  diabolo  et  membris  ejus,  bei  Shirley,  S.  12.  Nr.  29. 

4.  De  daemonio  meridiano,  a.  a.  0.  25.  Nr.  7  3. 

5.  De  solutione  Satanae,  a.  a.  0.  12.  Nr.  30. 

6.  De  detectione  perßdiarum  Antichristi ,  a.  a.  0.  28.  Nr.  86. 

7.  De  citationibus  Jrivolis  et  aliis  versutiis  Antichristi,  a.  a.  0.  24. 
Nr.  72. 

8.  De  dissensione  paparum  sive  De  schismate,  a.  a.  0.  25.  Nr.  74. 

9.  Contra  cruciatam  papae,  a.  a.  0.  25.  Nr.  75. 

10.  De  quatuor  sectis  novellis.  Dieser  Traktat  bezieht  sich  nicht,  wie 
Shirley  durch  die  Stelle,  die  er  ihm  anweist,  S.  28.  Nr.  85,  unter 
der  Rubrik  »Monaslic  orderst  zu  verstehen  gibt,  blos  auf  das  Mönchs- 
thum, insbesondere  auf  die  vier  Bettelorden,  welche  Wiclif  allerdings 
häufig  zusammenfasst ;  sondern  laut  der  authentischen  Erklärung  im 
Eingang  (HS.  3929,  f.  225.  Col.  2.)  und  der  Ausführung  versteht  der 
Verfasser  unter  den  »vier  modernen  Sekten«  1)  die  mit  Dotationen  und 
Herrschaften  ausgestatteten  Priester,  sacerdotes  caesarei,  2  besitzende 
Mönchsorden,  3)  Stiftsherren,  4)  Bettelmönche. 

11.  De  fimdatione  sectarum,  Shirley,  S.  29.  Nr.  91. 

12.  De  quatuor  imprecationibus  einige  Handschriften  haben  :  inter- 
pretationibus) .  SjURLEY,  29.  Nr.  9  3.  Dieser  Traktat  scheint  nur  ein 
Bruchstück  aus  der  Auslegung  von  Matth.  XXIV.  (s.  oben  S.  563. 
II,  a,  3)  zu  sein. 

13.  De  dü6bu8  generibus  häereÜaortim  d.  h.  von  solchen,  welche 
Simonie  oder  Abfall  sich  zu  Schulden  kommen  lassen  .  Sirhoniaci  et 
Apostatici  .  SHIRLEY,  3<>.  Nr.  96. 

14.  De prbphetiä,  SHIRLEY,  S.  11.  Nr.  24. 

15.  De  oratione  et  ecclesiac  purgationc,  a.  a.  0.  11.  Nr.  25. 

10.  Dialogus,  sice  Speculum  ecclesiac  militafitis,  SlUULEY,  S.  22. 
Nr.  (i2. 

Es  ist  eine  bemerkenswerthe  Thatsache,  dass  von  diesem  Buche 


Wiclifa  Schriften. 


569 


mehr  Handschriften  auf  uns  gekommen  sind,  als  sonst  von  irgend  einem 
Werke  Wie  Ii  Ts,  ausgenommen  ganz  kurze  Flugblätter.,  nämlich  ihrer 
zehn.  Ohne  Zweifel  hat  dies  seinen  Grund  in  dem  Inhalt,  welcher  sich 
auf  Reform  der  Kirche  bezieht  und  diese  nach  mehr  als  einer  Seite 
hin  bespricht.  Die  Abfassungszeit  des  »Dialogs'  lässt  sich  ziemlich  ge- 
nau  bestimmen.  Sie  muss  später  als  13 TS  gesetzt  werden,  weil  das 
päpstliche  Schisma  darin  erwähnt  ist,  cap.  12:  ferner,  da  Wie  Ii f  be- 
reits die  Lehre  von  der  Wandlung  bekämpft,  c.  IS,  und  zugleich  mit 
Lebhaftigkeit  gegen  die  Bettelorden  kämpft,  c.  32,  so  kann  das  Buch 
nicht  vor  dem  Jahre  13S1  geschrieben  sein1).  Andererseits  i>t  der 
»Dialog«  ohne  Zweifel  früher  verfasst,  als  der  »Trialog« ;  denn  die  Ge- 
sprächsform ist  im  »Dialog«  erstlich  insofern  einfacher,  als  dieser  ein 
Zwiegespräch  darstellt,  während  der  »Trialog«  drei  Personen  sich  unter- 
reden lässt.  Zum  andern  sind  die  sich  Unterredenden  im  »Dialog«  noch 
mehr  als  im  »Trialog«,  abstrakte  Begriffe,  nämlich  »Wahrheit«  =  Chri- 
stus (Joh.  14,6,  worauf  die  Einleitung  ausdrücklich  Bezug  nimmt  .  und 
»Lüge« ;  die  Personen  im  «Dreigespräch«,  Alithia,  der  gründliche  Philo- 
soph. Pseustis,  oder  der  sophistische  Ungläubige,  und  Phronesis,  der 
reife  und  tiefe  Theologe,  tragen  zwar  auch  noch  etwas  zu  viel  Abstrak- 
tion an  sich,  stehen  aber  dessen  ungeachtet  der  lebendigen  Persönlich- 
keit ungleich  näher,  als  Veritas  und  Mendacium.  Endlich  ist  auch  die 
Gesprächsform  selbst  im  »Trialog«  weit  beharrlicher  und  treuer  durch- 
geführt, als  im  »Dialog«,  dessen  7  erste  und  5  letzte  Kapitel  1  —  7: 
31  —  35  vielmehr  Monologen  sind,  indem  dort  die  Veritas  allein  spricht  , 
und  nur  c.  S  —  30  das  Zwiegespräch  eintritt.  Diese  drei  Unterschiede 
in  Betren0  der  schriftstellerischen  Form  zusammengenommen  ,  dürften 
die  Ueberzeugung  begründen,  dass  der  »Dialog«  als  ein  erster  Versuch 
in  der  schriftstellerischen  Gattung  des  Gesprächs  zu  betrachten .  und 
früher  als  der  »Trialog«  zu  setzen  sei:  da  aber  letzterer  entweder 
13S3  oder  1384  geschrieben  ist,  so  dürfte  13S2  als  Abfassungszeit  des 
»Dialogs«  anzunehmen  sein. 

Hiebei  ist  noch  zu  bemerken,  dass  der  Traktat  De  tripUci  ecclesio. 
welchen  Shirley.  S.  23.  unter  Nr.  63.  als  selbständige  Schrift  auf- 
führt, in  der  That  nichts  anderes  ist  als  ein  Bruchstück  des  »Dialogs', 
welches  unter  Weglassung  des  Vorworts  mit  dem  ersten  Kapitel  be- 
ginnt und  bis  zum  7.  Kapitel  geht. 

17.  Specuhon  secularhmi  dominorum,  SHIRLEY.  S.  23.  Nr.  67. 

II.  Englisch, 

betreffend 

a    Lehre  der  Kirche. 
I .   Octo  in  quibus  sedueuntur  simpliees  christiani,  StURLEY,  Catalo- 
gue  S.  42.  Nr.  23.  Abgedruckt  in  Sehet  works,  Vol.  III..  44  7-  453. 


Ii  Hiemit  nehme  ich  zurück  und  berichtige,  was  ich  S.  0,  in  den 
Proleg  omena  zu  meiner  Ausgabe  des  Trialogus,  1S69,  über  die  Abfassungs- 
zeit des  Dialogus  aufgestellt  habe. 


570 


Anhang  A.  II. 


2.  On  the  sufficiency  of  holy  scripture,  ein  fliegendes  Blatt,  s.  Shir- 
ley, 48.  Nr.  60,  herausgegeben  von  Arnold,  Sehet  works,  III, 
186  folg. 

b)  Kultus. 

1 .  De  Confessione  et  pönitentia,  gegen  die  Ohrenbeichte,  Shirley 
47.  Nr.  51. 

Hieher  würde  Nr.  49.  S.  46  bei  Shirley  gehören,  Of  Anteehri- 
stis  sang  in  Chirche,  so  wie  Nr.  50.  S.  47  bei  Shirley,  Of  prayer,  falls 
diese  Traktate,  die  übrigens  nur  Auszüge  aus  Nr.  63.  bei  Shirley 
sind,  Wiclif  angehörten;  allein  Arnold  hat  das  letztere  Stück:  On 
the  XXV  articles  zwar  herausgegeben,  Vol.  III,  455 — 496,  aber  zu- 
gleich S.  454  wahrscheinlich  gemacht,  dass  diese  Verteidigungsschrift 
auf  klerikale  Anschuldigungen  antwortet,  welche  1388  gegen  die  Lol- 
larden  erhoben  wurden,  also  frühestens  vier  Jahre  nach  Wiclif  s  Tode 
verfasst  ist. 

c)  Verfassung  der  Kirche. 

1 .  How  the  office  of  Ouratis  is  ordeyned  of  God,  oder  De  XX XI II 
erroribus  curatorum.  SHIRLEY  41.  Nr.  19. 

2.  For  the  ordre  of  Presthod,  a.  a.  0.  Nr.  20. 

3.  Of  clerks  possessioneris,  a.a.O.Nr.  18.  4 

4.  De  precationibus  sacris ,  Vermahnung  an  Priester  zu  frommem 
Gebet,  reinem  Wandel  und  lauterer  Predigt  des  Evangeliums,  Shirley, 
42.  Nr.  22.   Abgedruckt  in  Sehet  works.  III,  218  —  229. 

5.  De  stipendiis  ministrorum,  oder  How  men  schütten  fynde  prestis, 
Shirley,  S.  42.  Nr.  21.  Herausgegeben  von  Arnold  III,  202  folg. 
Nr.  1 — 5  handeln  vom  Pfarramt. 

6.  Of  Prelates,  Shirley  41.  Nr.  16. 

7.  De  obedientia  Praelatorum,  oder  How  men  owen  obesche  (obey)  to 
Prelatis,  drede  curs  and  kepe  lawe,  SHIRLEY  10.  Nr.  12. 

8.  The  grete  sentence  of  curs  expouned ,  SHIRLEY  45.  Nr.  38. 
Erstmals  vollständig  veröffentlicht  von  Arnold  in  Sehet  works  III, 
267—337. 

9.  De  Papa,  Shirley  49.  S.  62. 

Nr.  6 — 9  behandeln  die  Hierarchie  bis  zum  Papste  hinauf,  die 
Vollmacht  und  Schlüsselgewalt  der  Oberen.  Hingegen  die  nächst  fol- 
genden Traktate  beschäftigen  sich  mit  dem  Mönchthum,  vorzüglich  mit, 
den  Bettelorden,  nämlich  : 

10.  How  men  of  privat  religion  schulden  loue  more  the  gospel,  God- 
dis  heste  [commandement]  and  his  ordynaunce  then  ony  (t/um  any)  new  lawis, 
newe  reulis  —  and  ordyiutuncis  of  synfulmen.  SniRLKY,  S.  4  3.  Nr.  30. 

1  I .  Ruh  of  S/.  Francis,  und 

12.  Testament  of  St.  Francis,  SiriRLEY,  S.  40.  Nr.  13.  und  14. 

13.  Tractatus  de  Pseudo  freris,  SlIIRLEY  4  6.  Nr.  17. 


Widifs  Schriften. 


14.  Fifty  hercsics  and  errors  of  friars,  a.  a.  0.  41.  Nr.  15.,  nur 
dass  Shirley,  wie  früher  Lewis,  dem  Buche  den  weniger  bezeichnen- 
den Titel  gibt  :  Objections  offreres,  welcher  blos  die  Randbemerkung 
einer  Handschrift  für  sich  hat.  Arnold  gibt  diese  Schrift  in  Sehet 
works  III,  366 — 401  ;  sie  enthält  50  Kapitel  und  bildet  einen  um- 
fassenden Angriff  auf  die  Bettelorden. 

15.  De  blasphemia,  contra  fratres,  Shirley4  7.  Nr.  52,  wohl  zu 
unterscheiden  von  dem  lateinisch  geschriebenen  Buche  De  blasphemia, 
welches  den  letzten  Theil  von  Wiclif's  Summa  bildet.  Die  englische 
Streitschrift  hat  Arnold  veröffentlicht  Select  works  III,  402—129. 

d)  Verfall  und  Reform  der  Kirche. 

Schon  unter  den  bisher  aufgezählten  15  Schriften  (a,  b  und  e)  ist 
keine  einzige,  welche  den  Gesichtspunkt  der  Verirrung  und  Entartung 
des  kirchlichen  Wesens  nicht  im  Auge  hätte  und  auf  Reinigung  und 
Besserung  der  Kirche  hinarbeitete.  Allein  bei  den  im  Folgenden  zu 
erwähnenden  Schriften  ist  jener  Gesichtspunkt  und  das  Streben  nach 
Kirchenreform  noch  ungleich  mehr  vorherrschend  und  maassgebend. 
Ich  stelle  voran  eine  Schrift,  welche  beides,  den  Verfall  und  die  Reform 
gleichmässig  erörtert  ;  es  ist  dies 

1.  The  Church  and  her  members,  Shirley,  S.  4  6.  Nr.  45.  Zuerst 
von  D.  Todd  in  Dublin  1851  veröffentlicht  in  Three  Treatises  by  John 
Wycklyffe ,  S.  III — LXXX,  nun  aber  nach  einer  weit  besseren  Hand- 
schrift der  Bodley  -  Bibliothek  befriedigender  herausgegeben  durch 
Arnold ,  Select  works  III,  338 — 365. 

Ferner  beschäftigen  sich  überwiegend  mit  Nachweis  und  Bekäm- 
pfung des  Verfalls  der  Kirche  die  zunächst  folgenden  Traktate : 

2.  De  apostasia  den',  Shirley  46.  Nr.  46.  Abgedruckt  von 
Todd  in  Three  Treatises ,  S.  LXXXIII — CXII.  und  neuestens  von 
Arnold  in  Select  ivorks  III,  4  30—440. 

Hier  möge  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  die  Schrift:  Of  Ante  er  int 
and  his  Jfeynee  (Vom  Antichrist  und  seinen  Genossen'  Shirley  46. 
Nr.  48,  welche  D.  Todd  in  den  Three  Treatises  S.  CXV  — CLIV.  gleich- 
falls veröffentlicht  hat,  schon  vonVAUGHAN  im  Monograph  539  folg.  für 
unächt  erkannt  und  von  Arnold,  Select  works  Vol.  I,  Introd.  VII. 
gleichfalls  einer  späteren  Zeit  zugewiesen  worden  ist. 

3.  Antecrist  and  his  clerkis  traueilen  to  distroie  holy  writt,  Shirley, 
44.  Nr.  33. 

4.  How  Sathanas  and  his  prestis  —  casten  —  to  destroie  alle  good 
lyuynge  etc.,  Shirley  44.  Nr.  34. 

5.  Speculum  de  Antichristo,  oder  How  Antecrist  and  his  clerkis  feren 
treue  prestis  fro  preehyne/  of  Cristis  gospel  bi  four  diseeits,  ShIRLEY  4  1 . 
Nr.  17. 

6.  Of  feyned  contemplative  lif\  of  songe  —  and  worldly  bisynesse  of 
prestis  etc.,  Shirley  4  2.  Nr.  26. 


572 


Anhang  A.  II. 


7.  Hou  Satharms  and  Ms  children  turnen  Werkes  of  mercy  ypsodou  n. 
and  disceynen  men  thereinne  etc.,  Shirley  43.  Nr.  29. 

8.  De  duobus  generibus  haereticorum  (Simonie  imd  Apostasie ,  Shir- 
ley  48.  Nr.  56.  Abgedruckt  in  Select  icorks  III,  21 1  folg. 

9.  De  Domi)} io  divino,  richtiger:  Von  Kirchengütern  und  Herr- 
schaften des  Klerus,  Shirleyj  48.  Nr.  58,  vergl.  Arnold,  Vol.  III, 
Introd.  VII. 

10.  Thre  thingis  distroien  t/iis  world,  false  confessoares ,  false  men 
of  latve,  and  false  merchaimtis,  Shirley  42.  Nr.  25. 

11.  De  Pontifcum  romanorum  schismate ,  SlIIRLEY  48.  Nr.  59. 
abgedruckt  in  Select  tuorks  III,  242 — 266. 

Vorwiegend  mit  der  Kirchen re form  selbst,  den  Mitteln  und  We- 
gen zu  diesem  Ziele,  mit  Verteidigung  der  daran  arbeitenden  Perso- 
nen, namentlich  der  Reiseprediger,  und  mit  Vermahnung  an  andere, 
sich  dieses  Werkes  anzunehmen,  befassen  sich  folgende  Flugschriften 

1  2 .   Of  good  prcchyng  prestis,  Shirley  4  5 .  Nr.  3  7 . 

13.  Why  pore  prestis  han  non  beneßces,  SHIRLEY  44.  Nr.  32. 

14.  Lincolniensis ,  eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Flugschrift, 
welche  Thomas  Arnold  in  einer  für  englische  Traktate  Wiclif  s  sehr 
wichtigen  und  viel  benützten  Handschrift  der  Bodley-Bibliothek  erst- 
mals entdeckt,  und  im  III.  Bande  der  Select  works  S.  230 — 232  ver- 
öffentlicht hat.  Der  kurze,  aber  interessante  Traktat  beginnt  mit  der 
Definition  Grossetete's  (daher  die  Ueberschrift :  Ldneolnimsis  für 
einen  aus  seinem  Kloster  gegangenen  Mönch,  handelt  jedoch  vorzugs- 
weise von  den  Anfeindungen  der  Bettelorden  gegen  »arme  Priester«,  und 
fordert  Ritter  und  Herren  auf,  sich  der  verfolgten  anzunehmen,  für 
Christi  Sache  und  die  Besserung  seiner  Kirche  zu  kämpfen. 

15.  For  ihre  skilies  lordis  schulden  constreyne  clerkis  to  lyue  in 
mekenesse ,  icilful  povert  etc.,  Shirley  44.  Nr.  35.  Abgedruckt  in 
Select  icorks  III,  2  l  3—2  1 8 . 

16.  De  vita  sacerdotum,  SHIRLEY  17.  Nr.  53,  abgedruckt  in 
Select  works  III,  233 — 24  1.  Das  Thema  ist  die  Notwendigkeit,  die 
Kirchengüter  zu  secularisiren ,  und  die  Priester  zu  der  apostolischen 
A  nnuth  zurückzuführen . 

F.  Briefe. 

I.   Lateinisch  (im  Original)  s.  Kiiikley  8.  21.  Nr.  61. 

I  .  Litera  missu  Archiepiscopo  Cantuariensi.  Das  Schreiben  begrün- 
det erstlich  Wiclif's  Grundsatz,  dass  die  Geistlichkeit  keine  weltlichen 
Herrschaften  besitzen  sollte;  es  bekämpft,  im  Zusammenhange  damit, 
den  Kreuzzug  in  Sachen  Papst  Urban  s  VI.  Der  zweite  Hauptge- 
genstand des  Schreibens  ist  die  Lehre  von  der  Wandlung  im  heil.  Abend- 
mahl, welche  der  Briefschreiber  durch  den  Primas  zu  einer  Entschei- 
dung nach  Maassgabe  der  heil.  Schrift  gebracht  zu  sehen  wünscht. 


Widifb  Schriften. 


Das  Schreiben  ist  frühestens  in  das  Jahr  1382,  möglicherweise  in  das 
folgende  zu  setzen.  * 

2.  Litera  mtssa  episcopo  Lincolniensi,  offenbar  an  Bischof  Johann 
Bokyngham  gerichtet,  ist  kürzer,  und  handelt  ausschliesslich  nur 
vom  heil.  Abendmahl  und  der  Lehre  von  der  Wandlung :  entweder 
Ende  des  Jahres  1381  oder  Anfang  des  Jahres  1382  geschrieben 

3.  Litera  parva  ad  quendam  socium  (so  Wiener  Handschrift  1387. 
f.  107.)  Ein  kurzes  Belobungsschreiben  an  einen  Gesinnungs-  und 
Kampfesgenossen. 

4.  De  octo  quaestionibus  propositis,  discipulo.  Der  unter  Nr.  6  mit 
dem  Titel  Depeccato  in  spiritum  sanctum  von  Shirley  ,  Catal.  S.  22. 
angeführte  Brief  scheint  nichts  anderes  zu  sein  als  ein  integrirender 
Theil  des  Briefes  De  octo  quaestionibus,  nämlich  die  Antwort  auf  die 
erste  Frage. 

Der  Brief  De  amore  Nr.  5  bei  Shirley  ist  Uebersetzuug  eines 
englischen  Originals ,  s.  unter  EL  Hingegen  die  Stücke  Ad  Urbanum 
papam  [Nr.  I  bei  Shirley)  und  Ad  simplices  sacerdotes  (Nr.  4  eben- 
daselbst) sind  beide  nur  vermeintlich  nicht  aber  in  Wirklichkeit  Briefe. 
Wir  verweisen,  was  das  letztere  Stück  betrifft,  auf  dasjenige, 
was  Band  I,  Kap.  5,  S.  426  folg.,  sowohl  im  Text  als  in  Anm.  4 
darüber  gesagt  ist.  Das  angebliche  Schreiben  an  Papst  Urban  VI.,  im 
lateinischen  Original  von  Shirley  veröffentlicht,  im  Fasciculi  zizaiuoruw 
341  folg.,  ist  frühe  ins  Englische  übersetzt  worden,  jedoch  mit  freier 
Paraphrase.  Diese  englische  Bearbeitung  hat  zuerst  Lewis  im  Anhang 
zu  seinem  Leben  Wiclif  s,  S.  333  ff.  veröffentlicht,  nach  ihm  Vaug- 
hax,  Life  and  opinions  II,  122  folg.  Neuestens  hat  Arnold,  Select 
worhs  III ,  504 — 506  auf  Grund  der  beiden  Originalhandschriften, 
welche  in  England  vorhanden  sind ,  das  Bruchstück  kritisch  genau 
herausgegeben.  Was  den  Inhalt  und  die  Form  desselben  anlangt,  so 
verweise  ich  auf  die  Bemerkungen  Band  I,  Kap.  8. 

II.   Englisch  im  Original.) 

I.  Ad  quinque  quaestio)ies  Shirley,  Catal.  4S.  Nr.  57).  Wiclif 
beantwortet  fünf  Fragen  eines  Freundes  und  Gesinnungsgenossen  über 
die  Liebe.  Es  ist  kein  Zweifel ,  dass  der  englische  Text  Original,  und 
der  lateinische  s.  Shirley,  Catal.  22.  Nr.  61,  5  Uebersetzung  ist; 
denn  mehr  als  einmal  ist  vom  Lateinischen  und  vom  Englischen  so  die 
Rede,  dass  man  annehmen  muss,  der  Brief  sei  ursprünglich  englisch  ge- 
schrieben. Und  da  Wiclif  bemerkt,  es  sei  schwer,  diese  Fragen  in 
englischer  Sprache  richtig  zu  beantworten,  so  glaube  ich  hieraus  ferner 
schliessen  zu  dürfen,  dass  dieser  Brief  in  einen  verhältnissmässig  frühen 
Zeitpunkt  zu  setzen  sein  möchte  ;  denn  in  seinen  letzten  Jahren  hat 
Wiclif  so  viel  englisch  geschrieben,  dass  in  diesen  eine  derartige 
Aeusserung  nicht  mehr  erwartet  werden  kann.  Diesen  Brief  hat 
Arnold,  Select  tvorks  III,  183 — 185  erstmals  im  Original  veröffentlicht. 


574 


Anhang  B.  I. 


B.  Materialien  aus  Handschriften. 


L 

Wiclif,  De  Ecclesia  c.  16. 

Aus  Handschrift  1294  der  Wiener  K.  und  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek 
(Denis  CCCCV.)  f.  180,  Columne  3. 

Quinto  arguitur  per  deducens  ad  familiäre  inconveniens ,  scilicet:  Si 
beatus  Silvester  peccavit  in  recipiendo  dotacionem  ecclesie  in  per- 
petuuni ,  sequitur  a  pari ,  quod  collegia  nostre  universitatis  verisiiniliter 
peccarent  in  recipiendo  teraporalia  pro  sustentacione  perpetua  pauperum 
clericorum;  et  ita  sequitur,  quod  tarn  clerici  Doinini  Wy  utoniensis , 
quam  alii  collegiati,  tenentur  non  perpetuari,  et  per  consequens  movere 
patronos  ad  dissolvendum  privilegia  perpetua,  ut  est  de  privilegiis  per- 
petuis  concessis  universitati  nostre  a  rege ,  et  sie  de  cantariis  et  aliis 
elemosinis  perpetuis.  Revocetur,  inquit,  ista  heresis,  cum  extingueret 
devocionem  populi,  elemosinas  perpetuas  clericorum,  et  per  consequens 
cederet  ad  detrimeutum  maximum  pauperibus  in  futurum. 

Hic  dico  primo,  quod  consequencia  non  procedit ;  cum  homo  potest 
facere  nedum  bonum  de  genere,  sed  bonum  l)  moraliter.  et  tarnen  cum 
hoc  et  in  hoc  peccare  venialiter,  ut  ista  pars  habet  dicere,  »in  fami- 
liariori2}  exemplo«:  Nam  Dominus  Simon  Hyslep,  archiepiscopus 
Cantuariensis,  fundavit  unum  collegium  in  Oxonia  5  ,  plus  pia  intencione, 
ut  evidencius  creditur ,  quam  de  fundacione  cuiuscunque  abbathie  in 
Anglia;  et  ordinavit,  quod  in  ea4)  sub  forma  laudabili  studeant  ad 
utilitatem  ecclesie  pure  clerici  seculares,  quod  et  factum  est ;  et  tarnen  5) 
ipso  mortuo ,  symoniace  cum  commentis  mendacii  eversum  est  tarn  pii 
patroni  propositum,  et  Ulis  expulsis  pauci  alii  non  egentes  sed  divieiis 
affluentes ,  irregulariter  introdueti ,  contra  decretum  captum  ex  dictis 
beati  Jeronymi  positum  12,  qn.  2,  0  :  »Gloria  episcopi  est  pauperum 
opibus  providere :  ignorainia  sacerdotis  est,  propriis  studere  divieiis. 
Et  cum  pretextu"  illius  fuci8)  episcopus  et  suum  capitulum  sunt  una 
persona,  a  qua  non  licet  alienare  bona  illius  ecclesie,  ista  persona  rendi- 
cat  bona  illius  collegii  proprietarie  possidere.  Unde  consulendum  videtur 
domino  Wyntoniensi,  ut  caveat  haue  cautelam.   Credo  autem,  quod 


1)  bonum]  bene,  Shirley,  Fase.  Zizan.  52(5. 

2)  familiär iori\  familiari,  Shirl. 

3)  in  Oxonia]  MS.  :  in  Üxonii. 

4;  in  ea,  MS.,  als  wäre  nicht  collet/ium,  sondern  au la  vorher  gestanden. 
5)  tarnen]  tum,  Shirl. 

0)  Corpus  jur.  can.  ;  Decreti  secunda  pars,  causa  12,  quaestio  2,  cap.  71. 
7)  pretexfa   SlIIRLEY  liest  preiextum,  vermuthet  jedoch  richtig  pretextu  ; 
allein  die  Handschrift  selbst  hat  in  der  That  pretextu. 
fuci,  facti,  Shirl. 


Forma  juramendi  Arnaldi. 


575 


dictus  Symon  peccavit  fimdando  dictum  collegium  ,  sed  non  tantum, 
quantum  Antisymon,  qui  ipsum  dissolverat.  Sed,  ut  credo,  nunquam 
fuit  ecclesia  appropriata  in  Anglia,  vel  possessio  in  perpetuam  elemosi- 
nam  mortificata,  quin  appropriatio  sapuit  peccatum  altrinsecus. 

Ulterius  pro  materia  argumenta ,  affectarem ,  si  Deus  decreverit, 
quod  non  foret  in  regno  nostro  talis  ecclesiarnm  appropriatio  vel  reddi- 
tnum  temporaliura  mortificatio,  scilicet  quod  totus  clerus  vivendo  pure  ex- 
proprietarie,  de  decimis,  oblationibus  et  privatis  elemosinis  sit  contentus. 


II. 

Forma  juramenti  Arnaldi  pape  thezaurarii. 

Handschrift  3929  der  Wiener  Hof-  und  Staatsbibliothek  (Denis  CCCLXXXV, 
f.  246,  Col.  1  —  f.  247,  Col.  2. 

Hec  est  forma  iuramenti  Arnaldi  de  Granario  *) ,  collectoris  domini 
pape  Gregorii  XI.  in  ecclesia  anglicana.  Et  dividitur  sacramentum  in 
X  articulos:  primo  promittit  et  iurat  ad  sancta  Dei  evangelia,  quod 
erit  fidelis  et  legalis  regi  et  corone  sue  etc.  2). 

Formidantissime  [sie]  domine  mi  rex!  Ego  Arnaldus  de  Granario, 
reeeptor  iurium  s.  patris  nostri  domini  pape  intra  vestrum  regnum  Anglie 
promitto  et  iuro  ad  sancta  Dei  evangelia,  quod  ero  fidelis  et  legalis 
vobis  et  vestre  corone. 

Nec  faciam  nec  curabo  nec  paciar  fieri  nec  procivrari  aliquid  quod 
possit  esse  preindiciale  et  dampnosum  vobis  vel  regno  ac  legibus  vestris 
vel  iuribus  et  alicui  de  vestris  subiectis. 

Bonum  et  fidele  consilium  vobis  dabo  super  quanto  ex  vestra  parte 
fuero  requisitns. 

Consilium  vestrum  ac  regni  vestri3),  dum  potero  esse  qnomodolibet 
informatus,  vel  quodeunque  feceritis  me  scire  per  literas  vel  alio  modo, 
celabo  et  secretum  tenebo  sine  revelacione  vel  deteccione  alicui  persone 
vive ,  nnde  dampnum ,  preiudicinm  vel  dedecns  possit  sequi  vobis  vel 
regno  vestro. 

Nullam  execueionem  literarum  seil  mandatorum  papalium  per  me 
vel  per  alium  faciam  vel  fieri  permittam,  quod  possit  esse  displicens  et 


1)  MS. :  Grauario. 

2  Die  hier  folgende  kurze  Inhaltsangabe  lasse  ich  um  so  mehr  weg. 
als  der  vollständige  Wortlaut  des  Eidsclrvvurs  selbst  hier  abgedruckt  ist. 

3)  Hier  und  an  vielen  andern  Stellen  habe  ich  die  Interpunktion, 
-welche,  wie  die  Textgestalt  überhaupt,  in  der  Handschrift  höchst  mangel- 
haft ist,  dem  Sinne  und  Zusammenhange  gemäss  berichtigt;  wobei  mir  der 
bei  Rymek,  III,  2  f.  933  folg.  gegebene  französische  Text  erwünschte 
Dienste  geleistet  hat. 


576 


Anhang  B.  II. 


preiudiciale  vestre  regali  maiestati  nec  vestris  regalibus  legibus  ac 
iuribus  nec  alicui  de  subiectis  vestris. 

Nullas  literas  papales  et  alias  recipiam,  si  non  illas  portem  tradam 
etdeliberem,  quam  cito  potero,  consilio  vestro,  antequam  fuerint  publicate 
vel  tradite  alicui  alteri  persone  vive. 

Nullum  thezaurum  vestrum  vel  regni  vestri  pape  vel  cardinalibus 
aut  alteri  persone  cuicunque  in  moueta  vel  massa  auri  vel  argenti,  per 
literas  Cauabii  aut  aliter  transmittam,  nec  aliquanter  l)  literas  quascun- 
que  mandabo  extra  predictum  regnum  vestrum ,  antequam  super  hoc 
habuero  specialem  licenciam  de  vobis  aut  vestro  consilio. 

Honorem  vestrum  et  statum,  leges  vestras,  regalias  et  iura  custo- 
diam  et  defendam  inviolabiliter  pro  posse  meo ; 

Et  quod  non  transibo  extra  regnum  Anglie  sine  speciali  licencia 
regis  per  literas  sui  magni  sigilli, 

sicut  Deus  me  adiuvet  et  sua  sancta  evangelia,  secundum  scire 
meum ! 

Hec  facta  sunt  in  pallacio  Regis  in  Westmonasterio  XIII0  die 
Februarii  Anno  domini  MCCCLXXII, 

praesentibus  domino  Roberto  Thorp  cancellario, 

domino  Ricardo  de  Scrop ,  thezaurario  Anglie. 
domino  J.  Nevyle,  Senescall, 

Nicol.  Caren,  custode  sacrati  sigilli, 
domino  Joh.  Knyvet,  iusticiario  Regis, 
domino  Henrico  Wakfeld,  thezaurario  domus  Regis, 
domino  Henrico  Snayth,  cancellario  stactarii  -)  . 
domino  Ricardo  de  Rauenesher,  clerico  de  Haneper, 
J.  de  Burncester 

et  Wilhelmo  Tyrygtan,  notario  Regis. 


Folgt  Wiclifs  Beleuchtung  und  Gutachten. 

De  istis  1 0  articulis  provideat  prudenti  examine  discretum  regis 
consilium,  utrum  dominus  collector  incurrebat  magnum  periurium.  Nam 
in  secundo  iurat,  quod  nec  faciet  aliquid  nec  procurabit  nec  permittet 
fieri  aut  procunu  i,  quod  possit  esse  preiudiciabile  aut  dampnosum  regi, 
regno,  legibus  vel  subditis  regis  nostri.  Numquid  credimus,  quod  ex- 
haustus  tanti  thezauri  ad  curiam  sine  recompensa  corporalis  aut  spiri- 
tualia  Buffragii  sit  tarn  preiudiciabile  aut  dampnosum?  Videtur,  (juod 
sie  ;  cum  regnum  nostrum  iam  sensibiliter  pereipiens  illud  gravamen  de 
ipeo  conqueritur.  Quantum  ad  retribucionem  corporalis  suti'ragii,  dieunt 
experti,  quod  non  nostri  sed  inimici  nostri  cum  thezauro  per  ipsum  ex- 


1)  aliquanter  ist  blosse  Vermuthung ,  da  die  Handschrift  nur  die  Ab- 
kürzung aliqe  hat,  und  der  französische  Text,  in  welchem  dieses  Zwischen- 
sätzchen  fehlt,  keinen  Anhalt  bietet. 


Denkschrift  über  den  Eid  des  päpstlichen  Einnehmers.  577 


tiacto  de  Anglia  relevantur.  Et  quantum  ad  spirituale  suffragium,  non 
videtur  dacio  taute  pecimie  esse  nobis  elemosinaria  aut  meritoria,  dum 
a  nobis  iiiuitis,  nec  ad  pios  usus  nec  egenis  aut  pauperibus ,  sit  extorta, 
sed  pocius  videtur  prepositis  nostris  dampnabilis  et  per  consequens 
dampnosissima  quoad  Deum,  cum  secundum  theologos.  qui  potest  emen- 
dare  delictum  et  negligit,  constituit  se  delicti  participem  quoad  Deum. 

Si  dicatur,  quod  uon  potest  esse  preiudiciabile  quod  summus  pon- 
tifex  arbitrato,  quia,  quod  Uli  principi  placuerit,  legis  habet  vigorem  ; 
imo  supposito,  quod  dictus  collector  incurrat  periurium,  habet  pres- 
bitero  sibi  assistenti  commissam  potestatem  ad  absoluenduin  eum,  quo- 
tiescunque  in  ipsum  incurrerit,  ita  plene ,  sicut  absoluerit  dominus 
noster  papa. 

Quoad  primum,  videtur  quod  sapit1)  calumpniam ,  cum  dominus 
papa  sit  satis  peccabilis ,  imo  per  idem,  si  voluerit,  conquireretur  sibi 
regimen  Anglie,  vel  transferre  in  alios  foret  iustum.  Et  quoad  secundum, 
videtur,  tarn  sophistica  et  subdola  illusio  consilii  regis  nostri  foret  tarn 
preiudicialis  quam  dampnosa  regi  nostro2)  et  omnibus  incolis  regni 
sui.  Ideo  cum  secundum  sapientem  »qui  sophistice  loquitur,  est  Deo 
odibilis«3),  non  debet  supponi  tarn  vulpina  calliditas  in  patre  nostro 
sanctissimo  vel  in  eius  venerabili  collectore  ;  nec  per  idem  supponi  debet 
dolosa  quorundam  opinio,  qui  dicunt ,  quod  in  omni  iuramento  subin- 
telligenda  est  condicio :  »si  pape  placuerit«,  vel :  »nisi  ipse  decreverit 
aliter  faciendum«,  quia  tunc  foret  esse  superfluum ,  regnum  nostrum  de 
ministris  papalibus  recipere  aliquod  iuramentum.  Et  idem  est  iudicium 
supposito,  quod  post  iuramentum  iurans  protestatus  fuit  coram  notariis, 
quod  sie  fecerat  metu  mortis.  Quomodo,  rogo,  suppositis  cautelis  huius- 
modi  »finis  controversie  et  pacis  signaculum  fuerit  iuracio«  4)  ? 

Item ,  inquit ,  foret  tarn  preiudiciale  quam  dampnosum ,  regnum 
Anglie  tantum  depauperari  pecunia,  quod  assistente  invasione  hostibus  5  , 
rex  non  haberet  unde  dispertiretur  exercitui  suo  Stipendium,  qui  hostes 
invaderet  et  regnum  regis  ac  pape  ecclesiam  a  destruccione  defenderet. 
Utrum  autem  talis  paucitas  pecunie  possit  regno  nostro  contingere  ex 
subtraccione  thezauri  regni  nostri  ad  curiam  romanam ,  relinquendum 
est  super iorum  iudicio,  qui  noverant  statum  regni. 

Imo  cum  dictus  collector  sit  iuratus  in  tertio  articulo,  quod  bonum 
.  et  fidele  consilium  dabit  regi  et  regno,  super  quocunque.  super  quod 
seiverit  [sie]  fuerit  requisitus :  videtur,  quod  parliamentum  debet  onerare 
eum  virtute  iuramenti  prestiti,  quod  vere  dicat  sibi.  quantum  de  pecunia 


1    sajrit]  MS.  :  capit. 
2)  nostro]  MS. :  nostri. 

3   Proverb.  12,  22.  Vulg. :  Abominatio  est  Domino  labia  mendacia. 

4)  cf.  Hebr.  6,  16. 

5)  So  das  MS.  Ich  vermuthe :  insistenie  invasione  hostium;  oder  insistente 
invasione  hostibus,  wobei  der  Dativ  hostibus  mit  invasio  so  verbunden  wäre, 
dass  die  Worte  bedeuten  sollten:  Angriff  auf  die  Feinde.  In  ersterem  Fall 
wäre  von  einem  Defensivkrieg  die  Rede,  in  letzterem  von  einem  Offensivkrieg. 


Lechler,  Wiclif.  II. 


37 


578 


Anhang  B.  II. 


vel  aequivalenti  pro  uno  anno  transmisit  ad  curiam  vel  promisit  aut 
sciverit  transmitti,  vel  quantum  de  Omnibus  bonis  ecclesie  anglicane,  que 
papae  vendicat,  superest  transmittendum.  Si  enim  super  hoc  oneratus 
negat  vel  dissimulat  dieere  veritatem ,  non  videtur  quod  sit  fidelis  vel 
legalis  corone,  sicut  dicit  primus  articulus  iuramenti.  Hoc  autem  cognito 
potest  parliamentum  discernere,  si  transmissio  talis,  que  iam  est  copio- 
sior ,  pensata  proporcione  ad  residuura  thezaurum  regis,  eidem  regno 
preiudicialis  fuerit  vel  dampnosa.  Item  cum  regni  prosperitas  stat  in 
complecione  pie  elemosine,  secundum  formam  qua  rex  et  domini  regni 
nostri  dotarunt  singulariter  ecclesiam  ,  quomodo  non  foret  prejudiciale 
et  dampnosum  extrahere  elemosinas  predictas  ad  curiam ,  ex  quarum 
defectu  foret  complecio  tarn  pie  elemosine  dissoluta?  Cum  enim  dei 
suffragium  sit  prestancius  quam  humanum,  et  torpere  in  defensione  iuris 
divini  sit  gravius,  quam  omittendo  defendere  ius  humanum,  videtur. 
quod  talis  thezauri  regni  extraccio  eclipsat  a  regno  divinum  subsidium. 
et  implicat  patronos,  heredes  fundatorum,  in  periculosa  voragine  pecca- 
torum ;  permittens  autem  et  procurans  hec  fieri  non  potest  evadere  quin 
permittit  aut  procurat  preiudicialia  et  dampnosa  regi,  regno,  legibus  et 
subditis  regis  nostri,  quod  manifeste  obviat  iuramento  ;  nam  leges  Anglie. 
que  currerent  super  indigenis  sustentatis  ex  dictis  elemosinis,  deficiente 
robore  populi  nostri,  et  multiplicata  gente  extera1)  nobis  contraria,  sunt 
frustratae  2) . 

Item  cum  omnes  sacerdotes  vel  clerici  de  regno  Anglie,  qui  sol- 
vunt  curie  primos  frnctus,  coacti  sunt  per  dictum  collectorem  sub  pena 
gravis  excomm'unicacionis  deferre  sibi  Londonias  valentem  illorum  fruc- 
tum,  non  in  decimis  vel  rebus  sacris,  sed  in  moneta  regis  nostri,  que 
est  res  purissime  temporalis,  quomodo  sie  exsequens  tales  censuras  non 
facit  preiudicium  tarn  regni  nostri  legibus  quam  personis?  Legibus  qui- 
dem,  quia  per  censuras  cogit,  ut  sacre  deeime  in  bonum  mere  temporale 
mutentur ,  etsi  sine  remedio  regis  Anglie ,  eciam  supposita  iniuria. 
deferantur ;  persone  autem ,  que  sunt  legii  homines  regis  nostri ,  non 
defenduntur  in  pristina  Ubertate,  cum  ex  uno  latere  necessitati  sunt  ultra 
solitum  3)  facere  expensas  non  inodicas  et  labores ;  ex  alio  autem  latere. 
cum  oportet  eos  vivere,  sustentacionem  extorquent  a  subditis  pauperibus, 
et  debitum  Dei  ministerium  pretermittunt.  Et  isti  4j  licet  parvipendantur 
a  superioribus,  qui  ipsa  non  senciunt,  decrescit  regni  prosperitas,  quia 
secundum  sapientem  »qui  contempnit  modica,  paulatim  deeidit«  5) . 

Item  iuxta  quintum  articulum  iuramenti  dictus  collector  non  debot 
exequi  literas  vel  mandata  papalia  per  se  vel  per  alium,  que  possent 
esse'1  displicuncia  aut  preiudicialia  regiae  maiestati,  regni  legibus  vel 

1    extera   MS.  :  exteri. 

2)  frustratae'  MS.  :  frustrata. 

3}  solituw]  MS.  :  solicitum. 

4)  isti  so  MS.;  ob  vielleicht  ista  zu  lesen,  sei  hier  nur  gefragt. 
•">    Sinich  1!»,  I. 

6)  esse]  MS.  :  ex  se. 


Denkschrift  über  den  Eid  des  päpstlichen  Einnehmers.  579 

subditis.  Sed  constat  ex  facto  eius  notorie,  quod  sie  facit.  Ideo  ,  ut  a 
umltis  creditur,  est  periurus.  Si  enim  prestaret  hodie  idem  iuramentum 
quod  prius,  sicut  videtur  multis  quod  foret  adhuc ,  creditur ,  quod  exe- 
eucio  sui  officii  regi  nostro,  licet  in  etate  iuvenili  florenti,  et  omnino  r) 
suo  consilio  racionabiliter  displiceret,  et,  si  non  fallor,  displiceret  maiori 
parti  populi  anglicani.  Ex  istis  videtur,  quod  literas  quascunque  de 
curia  romana  reeepit  vel  transmisit  in  ista  materia,  facit  preiudicium 
regno  nostro  contra  quartam ,  sextam  et  octavam  partem  iuramenti ;  et 
per  consequens  nec  honorem  regni  nec  eius  statum  prosperum  custodit 
vel  defendit,  sed  omnino  oppositum,  contra  nonum  articulum  iuramenti. 

Et  sie  si  decem  iuramenti  particulae  distinete  et  particulariter  sint 
discussae,  forte  dictus  collector  iuveniretur  periurus  in  Deum  et  homines, 
et  per  consequens  prevaricator  decalogi  mandatorum.  Lex  itaque 
correpeionis  fraternae  urget  regnum  nostrum,  prevaricatori  tarn  intoxi- 
cabili  resistere  et  radicem  tanti 2)  deo  et  regi  odibilem  cum  suis  compli- 
eibus  extirpare,  specialiter  pensata  natura  legis  caritatis  et  pacienciae 
Christi  vicarii  et  natura  legis  elemosinae  bonorum.  Si  enim  layei  non 
extorquent  a  papa  suffragium  spirituale  plus  debitum ,  multo  magis 
interest  papae,  qui  in  humilitate  et  paciencia  excederet  laycos,  elemo- 
sinam  praeter  evangelium  mendicatam  exeommunicacionibus  vel  tradi- 
cionibus  aliis3)  extorquere.  Sic  enim  posset  papa  christianismum 
paupertate  et  paciencia  martirum  conquisitum  dirimere  a  domino  quan- 
tum 4) .  Et  idem  videtur  beatum  Bernardum  innuere  libro  tertio  ad 
Eugenium  sie  asserentem,  quod  papa  solum  in  spiritualibus  ut  humili- 
tate, caritate  et  paciencia  superat  seculares ;  alioquin,  inquit,  quo  pacto 
te  reputes  superiorem  bis,  a  quibus  beneficium  mendicas5;?  Nec  vide- 
tur, quin  liceret  in  prineipio  exeommunicare  pro  elemosina ,  sicut  post 
eius  subtraccionem,  postquam  fuit  gratis  6)  repetita  etc. 


1)  omnino]  conj.  omni. 

2)  Hier  ist  entweder  zu  lesen  tante,  ein  Adverbium,  das  nicht  selten 
bei  Wiclif  vorkommt,  oder,  falls  tanti  ächt  ist,  müsste  ein  Wort  wie  mali 
oder  peccati  u.  dgl.  ausgefallen  sein. 

3)  Wenn  ich  nicht  ganz  irre ,  muss  vor  dem  Infinitiv  non  ausge- 
fallen sein. 

4)  velit,  libet,  oder  ein  ähnliches  Verbum  ist  vom  Abschreiber  hier 
ausgelassen  worden. 

5)  Bernhard  von  Clairvaux,  De  consideratione. 

6)  gratis]  MS.  :  gracius. 


37* 


580 


Anhang  B.  III. 


m. 

Sernio  IX.  über  Luk.  8,  4 — 15. 

XL  Sermones.  Handschrift  3928  der  k.  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek  in 
Wien,  (Denis  CCCC.)  fol.  207.  Col.  2.  —  fol.  210.  Col.  2. 
Leider  ist  derjenige  Theil  dieses  Bandes,  welcher  fol.  193.  Col.  1.  bis 
fol.  253.  Col.  2.  die  vermischten  Predigten  enthält,  von  einem  Menschen  ab- 
geschrieben, der  ziemlich  unwissend  war,  und  der,  was  noch  schlimmer  ist, 
sehr  fahrlässig  dabei  verfuhr. 

Constat  ex  serie  evangelii,  quod  Salvator  noster  Dominus  Jesus 
Christus  crebro  locutus  est  suo  auditorio  in  paraholis,  nunc  ut  sententia 
latens  et  salubris  in  patente  parabola  fortius  memoranter  imprimatur, 
sie  enim  docemur  artificialiter  per  domos  et  imagines  memorari,  nunc 
ut  audientes  ob  pönam  sui  demeriti  minus  intelligant,  et  ut  proprietas 
naturalis  tarn  exempli  quam  exemplati  philosophice  doceatur.  Sic  enim 
secundum  beatum  Augustinum  scriptura  sacra  continet  omnem  veri- 
tatem  philosophicam.  Et  propter  primam  causam  et  tertiam  totus  populus 
Palaestinorum  et  multorum,  inter  qaos  Salvator  noster  conversatus  est, 
intentus  fuit  parabolis.  Et  ideo  condignum  valde  fuit,  quod  evangelium 
Christi,  medium  inter  Vetus  Testamentum  et  epistolas  apostolortim. 
partieiparet  conditionibus  utriusque. 

Sed  inter  omnes  parabolas  Salvatoris  nullam  significautius  et  aper- 
tius  legitur  doeuisse  quam  parabolam  seminantis.  lpsam  enim  dignatus 
est  suis  diseipulis  seorsim  exponere,  ultra  quam  sufficit  humana  fragili- 
tas  comprehendere.  Unde  ante  expositionem  factam  de  terra  quadru- 
plici  seminata  declamat  in  haec  verba:  »Qui  habet  aures  audiendi 
audiat 1) ! 

Semen  itaque  secundum  expositionem  Salvatoris  est  verbum  Dei2). 
Ex  quibus  verbis  elicio  michi  tria  fraternitati  vestrae  per  ordinem  decla- 
randa  :  primum  est  de  dispositione  spiritualis  seminis,  secundum  est  de 
dispositione  seminantis,  et  tertium  de  congruentia  sive  convenientia  tem- 
poris  seminandi. 

I.  Pro  quo  advertendum ,  quod  »semen«  aeeipitur  tripliciter  in 
scriptura,  primo  pro  materia  decisa  a  vivo  habente  in  se  virtutem  incli- 
nativam  ad  animatum  consimile  in  forma  et  in  specie  produeendum,  sive 
sit  terrae  nascentium  et  natatilium  3) ,  quorum  semen  est  constans,  cum 
non  habet  appropriatum  reeeptaculum,  sive  formale  et  liquidum  ut  semen 
gressibilium  vel  volantium  4) ,  unde  Genesis  1 .  »Protulit  terra  herbam 
viventem  et  facientem  semen  juxta  genus  suum.«  Secundo  aeeipitur  pro 
individuo  seminantis  ex  tali  semine  produeto,  ut  Genesis  3  :  »Inimicitias 
ponam  inter  te  et  mulierem,  et  semen  tuum  et  semen  illius.«  Tertio  ac- 


1)  Luc.  8,  8. 

2)  Luc.  8,  11. 

3)  Pflanzen  und  Fische. 

4)  Vierfüssige  Thiere  oder  Vögel. 


Predigt  über  das  Gleichniss  vom  Säemann. 


581 


cipitur  pro  quocunque  opere  viatoris  digno  merito  vel  demerito,  uude 
Gal.  G:  »Quae  enim  seiniuaverit  hoino,  haec  et  metet.« 

Semini  ergo  primo  modo  dicto  similatur  verbum  Dei,  quia  decidi- 
tur  non  a  quocunque  vivo,  sed  ab  angelo  ecclesiae1),  sacerdote  videli- 
cet  Doinini,  misso  ad  gignendum  et  nutriendum  populum  verbo  vitae. 
Habetque  verbum  debite  praedicantis  vocem  formatam  pro  suo  materiali, 
et  vim  mentis,  quae  secuudum  praecipuos  philosophos  multiplicatur 2) 
cum  voce,  pro  suo  formali.  Hinc  enim  secundum  magicos  naturales 
habent  verba  sapientis  incantationem  suam  efficaciam,  quantumlibet 
distantia  transmutando ,  sine  hoc  quod  taliter  transmutent  medium. 
Verbum  itaque  praedicantis  est  materiale  quoddam  decisum  a  vivo, 
habetque  in  se  quandam  virtutem  seminalem  datam  dcsuper  ad  produ- 
cendum  novam  creaturam ;  quia  non  dubium  quin  praeter  vocem  et  vim 
animae  oportet  esse  interius  verum  doctorem,  qui  meutern  illuminet  et 
veritatem  ostendat.  Cum  igitur  ille  magister  utitur  voce  tanquam 
organo,  non  mirum  si  in  illam  redundet  virtus  inclinativa  ad  spiritua- 
lem  hominem  producendum.  Et  illuin  sensum  praetendit  apostolus 
I.  Corinth  4.  »In  Christo  Jesu  per  evangelium  ego  vos  genui.«  Ecce 
praemittit  Christum  Jesnm  tanquam  opificem  principalem.  Quia  Ja- 
cobi  1 .  scribitur  :  »Yoluntarie  genuit  nos  verbo  virtutis,  ut  simus  initiuni 
aliquod  creaturae  ejus.«  Et  hinc  concipientes  in  animo  verbum  divinitus 
seminatum  et  foventes  calore  caritatis,  donec  formetur  in  eis  Christus. 
matres  ejus  sunt.  Unde  Matthaei  12.  Salvator  dicit :  »Quicunque  fecerit 
voiuntatem  patris  mei  qui  in  cölis  est,  ipse  meus  frater  et  soror  et 
mater  est.«  »Frater«  quidem  propter  ydemptitatem  patris  cölestis,  se- 
cundum interiorem  hominem  renovatum ;  et  »soror«  secundum  naturam 
corpoream ,  quae  quamvis  est  diflormis  sexus ,  tarnen  fragilior ;  et 
»matera  propter  minfstrationem  gignitionem  et  nutritionem  Christi  in 
anima  contriti  4  .  cui  per  se  debetur  opera  fervida  caritatis ;  oportet 
enim  merentem  ad  actum  suum  meritorium  active  concurrere,  sed  opor- 
tet matrem  coagere4)  ad  formationem  suae  prolis.  Et  illam  affinitatem 
secundum  narratum  ordinem  oportet  quemlibet  natum  denuo  habere  ad 
Christum  secundum  humanitatem,  et  per  consequens  esse  filium  ejus 
secundum  divinitatem,  ut  dicitur  Jacobi  1.  et  I.  Joh.  3. 

0  stupenda  virtus  divini  seminis,  quae  fortem  armatum  superat5), 
corda  quasi  lapides  indurata  emollit,  et  homines  per  peccata  conversos 
in  bestias  et  infiuitum  aDeo  distantes6)  renovat  et  transmutans  in  homi- 
nes facit  deiformes!  Non  dubium,  quin  tarn  summuni  mirabile  non  pos- 
set  verbum  sacerdotis  perficere,  nisi  principaliter  coefnciat  calor  spiri- 


1)  Cf.  Apocal.  2,  1.  S.  12  etc. 

2)  tnultiplieatur]  MS.  :  multipliciter 
3}  contriti]  MS.  :  con11. 

4  i.  e.  cooperari.  ^— ^ 

5  superat]  Conjectur.  Die  HS.  hat  die  Abkürzung :  erat.  Anspielung 
auf  Luk.  11,  21  folg. 

6  distantes)  Conjectur;  das  MS.  hat  deutlich:  disputantes. 


582 


Anhang  B.  III. 


tus  vitae  et  verbum  aeternum;  unde  Matthaei  10.  scribitnr:  »Non  enim 
vos  estis  qui  loquimini,  sed  spiritus  patris  vestri,  qui  loquitur  in  vobis.« 

Sed  proh  dolor!  his  diebus  est  verbum  sacerdotis  quasi  semen 
decisum  a  mortuo !  Et  cum  influentia  cölestis  Semper  agit  secundum 
dispositionem  materiae,  non  mirum,  si  verbum  exhortationis  tantae  effi- 
caciae  non  sit  sicut  olim.  Unde  manifestum  est,  quod  praecipua  causa 
mortificationis  spiritualis  in  populo,  et  per  consequens  totius  nequitiae 
regnantis  in  seculo,  est  defectus  vel  mortificatio  seminis  verbi.  Sed 
unde  quaeso  tarn  perniciosa  radix  peccati?  Revera  »inimicus  homo« 
surrepens  in  animas  sacerdotum,  superseminavit  zizania1)!  Nunc  enim 
si  quis  loquitur,  non  quasi  sermones  Dei2),  sed  gratia  extraneandi  prae- 
dicabit  gesta,  poemata  vel  fabulas  extra  corpus  scripturae,  vel  praedi- 
cando  scripturam  dividet  ipsam  ultra  minuta  naturalia,  et  allegabit 
moralizando  per  colores  rithmicos,  quousque  non  appareat  textus  scrip- 
turae sed  sermo  praedicantis  3)  tanquam  auctoris  et  inventoris  primarii  . 
Et  ex  illa  affeetione  dyabolica,  qua  quilibet  appetit  a  se  ipso,  et  non  ab 
alio,  habere  talia,  insurgit  tota  vitiosa  novitas  hujus  mundi.  Propter 
hoc  autem  fiunt  divisiones  sermonum,  divisiones  ornamentorum  et  alio- 
rum  artificialium  ultra  solitum.  Et  non  dubium  quin  istae  divisiones  vel 
causant  vel  pronosticant  divisiones  in  moribus.  Et  ex  hinc  »refrigescit 
Caritas  multorum«4),  quae  est  junctiva  virtus,  non  quaerens  ambitiöse 
quae  sua  sunt  sed  quae  domini  Jesu  Christi 5) . 

Sermo  ergo  perversa  intentione  sie  infectus  in  radice,  et  fueo 6)  alli- 
gatus  in  germine  est  verbum  mortuum  et  dyabolicum,  et  non  verbum 
domini  nostri  Jesu  Christi,  quia  juxta  confessionem  beati  Petri  »verba 
vitae  habet« 7) ,  et  secundum  alium  apostolum  »verbum  domini  non  est 
alligatum« 8) . 

Sed  ut  praedictum  peccatum  jactantiae  magis  appareat  et  cautius 
caveatur,  quod  tarn  latenter  et  nequiter  perdit  oves  Christi  fame  refec- 
tionis  spiritualis,  recitabo  tres  criderttias  inventas  a  sie  superbientibus  ad 
excusandas  excusationes  in  peccatis. 

1.  Dicunt  enim,  quod  uisi  addiderint  aliquas  novitates  ultra  modum 
praedicandi  solitum  ab  antiquo,  non  foret  differentia  inter  theologum 
quantumlibet  subtilem  in  seminando  verbum  Dei ,  et  sacerdotem  .  . !)) 
quantumlibet  exiliter  literatum. 

Sed  quid  praetendit  ista  sententia  nisi  cupiditatem  inanis  gloriae, 


1)  cf.  Matth.        25.  2S. 

2)  cf.  I.  Petri  4,  11. 

3)  j)raedicantis)  Conjectur,  während  im  MS.  steht:  sermo  primus  dicantis. 

4)  cf.  Matth.  24,  12. 

5)  cf.  Philipp.  2,  21. 

6)  furo]  MS.  :  fugö. 

7)  cf.  Joh.  «,  68. 

8)  cf.  II.  Timoth.  1,  9. 

9)  Hier  steht  in  der  Handschrift  ein  Wort,  welche«  so  abgekürzt  ist, 
dass  es  unlesbar  wurde;  dem  Sinn  entgeht  durch  diesen  Umstand  nichts. 


Predigt  über  das  Gleichniss  vom  Säemann. 


583 


qua  aflectamus  »nos  ipsos«  praedicare  et  non  dominum  Jesum  Chri- 
stum1)? Cum  tarnen  apostolus  Galatas  5.  monet,  et  specialiter  nos 
ecclesiasticos,  quod  non  simus  inauis  gloriae  cupidi,  invicem  provocan- 
tes,  invicem  invidentes  2) .  Inanis  gloriae  cupidus  est  qui  innititur  divi- 
sionibus  et  texturis  verborum,  ut  reputetur  subtilis  ab  auditorio.  Uli 
autem  »invicem  provocant  et  invicem  invident«,  qui  nedum  divisiones3) 
thematis  sed  cujuslibet  auctoritatis  occurrentis  ingeminant,  ut  aliis  sub- 
tiliores  appareant. 

Non  sie,  carissimi,  sed  imitatores  simus  nostri  domini  Jesu  Christi, 
qui  cum  in  forma  Dei  esset4),  humiliter  confessus  est  Joh.  7  :  »Doctrina 
mea  non  est  mea  sed  ejus,  qui  misit  me,  patris ;  quia  qui  a  semet  ipso 
loquitur,  proprium  gloriam  quaerit5).«  Et  revera  haec  est  inanis  gloria 
et  fallax:  mams  quidem,  quia  gloria  in  confusione  eorum6)  qui  terrena 
Bapiunt ;  inanissima  ergo  est  gloria  laudis ,  cui  quanto  quis  ardentius 
innititur,  tanto  abjectius  et  confusibilius  dejicitur.  Est  etiam  summe 
fallax,  quia  tales  »dicentes,  se  esse  sapientes,  stulti  facti  sunt  eo,  quod 
niutarunt  gloriam  incorruptibilis  Dei  in  shnilitudinem  imaginis  corrupti- 
bilis  hominis« ") .  Et  indubie  haec  est  sapientia  terrena  et  per  conse- 
quens dyabolica^;.  Quae  quaeso  magis  dyabolica  sapientia,  quam 
honorem  proprium  honori  divino  praeponere,  et  dare  occasionem  extra- 
neando  et  se  ipsum  exaltando  per  grandia  verba  et  commenta,  ne  sini- 
plices  audeant  praedicare  ?  Non  dubium  quin  ista  sapientia  sit  expresse 
caritati  contraria  et  per  consequens  mere  dyabolica. 

2.  Secumlo^  movet  praedictos  inaniter  gloriantes,  quod  de  lege 
naturae  forma  Semper  proportionanda  est  ejus  materiae ;  cum  igitur 
materia  theologica  sit  perfeetissima,  consequens  est,  quod  forma  nobilis- 
sima  et  pulcerrima  sit  sibi  tribuenda  :  sed  hujusmodi 10)  est  color  rheto- 
ricus  et  colligantia  rithmica.  Sic  enim  secundum  auetores  eloquentia 
perficit  sapientiam. 

Sed  sie  arguentes  graviter  peccant  tarn  in  materia  quam  in  forma : 
in  materia  quidem,  quia  assumunt,  quod  forma  sapientiae  sit  lepor  ver- 
borum, et  sie  in  re  dicunt  »bonuni  malum  et  malum  bonum ,  et  lucem 
tenebras  11  «.  Sed  quod  pejus  est,  dum  declamatorie  sie  loquuntur  sapien- 
tiam quae  ex  solo  Deo  est,  formam  metricam  induunt  sibimet  usurpando, 
ad  quam  quidem  induitionem  est  labor  in  curiose  componendo,  labor  in 

1)  II.  Corinth.  4,  5. 

2   et'.  Galat.  5,  26. 

3;  dicisiones  MS. .  divisionis. 

4    cf.  Phil.  2,  (>  ip  uo^ffij  (htoii. 

5)  Joh.  7,  16.  Ib. 

(i   d.  h.  weil  es  ein  Ruhm  ist  darin  bestehend,  dass  zu  Schanden  ge- 
macht werden  solche  die  irdisch  gesinnt  sind. 
7]  cf.  Rom.  1,  22.  23. 

8)  cf.  Jac.  3,  15. 

9)  secundo  MS. :  secunda. 

10)  hujmmodi]  Conjectur.  MS.  :  hujus. 

11)  Jesa.  5,  20. 


584 


Anhang  B.  III. 


pueriliter  repetendo,  et  labor  in  composite  proferendo  ;  et  in  omnibus 
istis  propter  carentiam  fructus  et  aggravationem  scelerum  est  vanitas 
vanitatum  et  afflictio  Spiritus.  Respiciamus  igitur  ad  formara,  -  qua 
sapientia  theologica  anostris1)  auctoribus  est  inducta,  et  instar  illius 
coaptemus  formam  verborum  cum  ipsis  exhortationibus.  II.  Corinth.  2. 
scribit  apostolus :  »Non  enim  sumus  sicut  plnrimi  adulterantes  verbuni 
Dei,  sed  in  sinceritate,  sicut  ex  Deo,  coram  Deo  Christo  loquimur. 
Quid  roga  est  praedicatorie  wdulterare  verbum  Dei«  ?  Scilicet  invol- 
vendo  ipsum  in  peplis  et  in  aliis  ornamentis  meretriciis,  extraneis  a 
scriptura,  abuti  ipso  ad  ejus  voluptuosam  ostentationem,  et  sie  a  sponso 
excludere  florem  ejus  et  fruetum,  qui  est  honor  Dei  et  conversio  proximi. 
Et  quid  est  »in  sinceritate  loqui«,  nisi  clara  intentione,  mule  et  apfe 
loqui  veritatem  quae  aedifieat?  Tunc  enim  praedicator  loqnitur  »ex 
Deo«  et  non  de  extraneo  sibi 2)  vel  extraneis  impertinentibus  ad  salutem 
animae.  Et  cum  »hominem  Dei«  3)  habet  principaliter  prae  oculis,  ad 
gignendum  Christum  in  anima  sponsae  suae,  non  dubium  quin  »coram 
Deo  in  Christo«  loquitür4),  coram  Leo  quidem,  et  non  latenter  more 
adulteri  in  angulis  falsitatis :  in  Christo  etiam  loquitur,  qui  est  lux  mun- 
di,  tanquam  sibi  nihil  conscius,  et  non  in  tenebris  peecatorum.  Nec 
caret5;  scriptura  nostra  eloquentia  sibi  debita,  sicut  egregie  declarat 
beatus  Augustinus  De  doctrina  Christiana  c.  6G)  :  »Quareret  forsitan 
aliquis.  utrum  auetores  nostri,  quorum  scripta  divinitus  inspirata  cano- 
nem ")  nobis  saiuberrima  auetoritate  fecerunt ,  sapientes  tautummodo 
aut  eloquentes  v  nuneupandi  sunt9)?  Quae  quidem  quaestio  aput  me 
ipsum  et  aput  eos,  qui  mecum  quod  dico10)  sentiunt.  faciliime  solvitur. 
Nam  ubi  eos  intelligo,  sicut  eis  nichil  sapientius  ita  etiam  nichil  elo- 
quentius  michi  videri  potest.  Et  audeo  dicere.  omnes  qui  recte  intelli- 
gunt  quae  ipsi  loquuntur,  simul  intelligere,  eos  non  aliter  loqui  debu- 
isse.  Sicut  enim  est  eloquentia,  quae  magis  aetatem  juvenilem  decet. 
est  quae  senilem',  neejam11)  dicenda  est  eloquentia.  si  personae  non 
congruat  eloquentis :  ita  est  quaedam  quae  viros  summa  auetoritate 


1)  a  nöstris]  MS. :  amrs.  Unter  nostri  auetores  versteht  Wiclif,  wie  auch 
Augustin  in  der  sogleich  folgenden  Stelle,   die  biblischen  Schriftsteller. 
2   seil.  Deo. 

3)  cf.  II.  Timoth.  3,  17. 

4)  cf.  II.  Corinth.  2.  17. 

5)  caret   MS.  :  carent. 

6)  De  doctrina  christiana  Lib.  IV,  c.  ().  am  Anfang.  Das  Chat  weicht  in 
unbedeutenden  Dingen  von  dem  Text  der  Mauriner  Ausgabe  Augustin  s 
ab,  ist  aber  in  der  vorliegenden  Wiener  Handschrift  sehr  fehlerhalt  wieder- 
gegeben. 

7)  scripta  divinitus  inspirata  canonem)  MS.  :  scriptura  Dei  intus  in- 
spirata canone. 

8)  aut  eloquentes)  im  Original  bei  Aug.:  an  eloquentes  etiam. 

9)  sunt)  Aug.  :  sint. 

10   quod  dico]  MS.:  quodammodo. 
I  1  jam   MS.  :  illa. 


Predigt  über  das  Gleichniss  vom  Säeinann. 


5S5 


dignissimos  planeque  divhios  decet.  Hac  ipsi  locuti  sunt,  nec  ipsos 
decet  alia  nec  alios  ipsa ;  quanto  enim  videtiir  humilior,  tanto  altius. 
non  ventuositate  sed  soliditate,  ascendit.«  Haec  Augustinus.  Utinaui 
ecclesiastici  iwstri  moderni  sie  saperent  de  scriptura  !  Tunc  enim  forent 
longe  plures  pugiles  pugnautes  in  campo  spiritualis  militiae  cum  gladio 
spiritus,  quam  sunt  modo. 

3.  Tertio  movet  praedictos  hypoeritas,  quod  quidam  libri  hymnici 1 
et  prophetici  Veteris  Testamenti  contexti  sunt  metrice,  sicut  patet  de 
libro  beati  Job  pro  parte,  et  de  aliquibus  libris  Salomonis :  professor 
igitur  hujus  textus  debet  se  conformare  suae  auetoritati  specialiter,  cum 
metrum  juvat  animos  paucis  compreliendere  niulta. 

Sed  constat,  quod  illud  dictum  t'aeit  ad  opposita.  Nam  aliud  est 
canticum  laudiß  vel  prophetam  canere,  et  aliud  verba  exhortationis  disse- 
rere;  quoad  prtmum  juvat  sermo  metricus,  sicut  patet  ex  laudabili  usu 
canticorum  ecclesiae ;  sed  quoad  sensum ,  non  dubium  quin  colores 
moderni  confundunt  intelligentiam  sententiae,  tarnen  quia  communiter 
obscurius  profertur  sententia  praetextu  vocalis  concordiae,  tarnen  etiam, 
quia  auditus  assistentium  sentiens  pruriginem  in  verbis  nietricis,  plus 
attendit  ad  signa  sensibilia  quam  signata ;  et  cum  sensationes  imperti- 
nentes mutuo  se  confundunt,  patet  quod  colores  moderni  abstrahunt  a 
coneeptu  sententiae,  etsi  quandoque  juvent  memoriam  eloquentis,  unde 
more  attendentium  ad  melodias  musicas  pro  magna  parte  animo  obver- 
satuf2  ex  modernis  sermonibus  nisi  pro  tempore :3>  auditoris4)  titillans 
delectatio  et  forte  praedieatoris  de  sua  subtilitate  ventuosa  laudatio. 

De  tali  igitur  dyscrasia  morali  populi  christiani  potest  5;  verificari 
illud  apostoli  Timoth.  4:  »Erit  enim  tempus,  cum  salvam  doctrinam 
non  sustinebunt  sed  ad  sua  desideria  coacervabunt  sibi  magistros,  pru- 
rientes  auribus  a  veritate  quidem  auditum  avertent,  ad  fabulas  autem 
convertentur6) .«  Revera  completio  hujus  prophetiae  instat  hodie,  cum 
major  pars  potentatum  ecclesiae  sit  tantwn  dedita  temporalibus,  quod 
seminantes  doctrinam  salutiferam  reputant  jure  stolidos,  et  hinc  juxta 
sua  desideria  coacervant  sibi  ecclesiasticos,  qui  omnes  dicunt  se  »magi- 
stri«  [sie  populi.  Et  signanter  dicit  apostolus,  quod  »coacervant«  et  non 
quod  »ordinant«,  cum  ecclesiastici  dicunt  esse  mfirmis"    firmum  defen- 


]    hymnici]  MS.:  ympnidici. 

2)  obeersatur]  beruht  auf  Vermuthung,  da  gerade  diese  Stelle  verzweifelt 
undeutlich  und  mit  Abkürzungen  geschrieben  ist;  das  Wort  sieht  in  der 
Handschrift  eher  wie  repetatw  aus  ,  wo  indes  der  Conjunctiv  in  den  Zusam- 
menhang nicht  passt. 

3)  pro  tempore  Vermuthung:  denn  die  Abkürzung  an  dieser  Stelle 
führt  eher  auf  quam  tempore. 

4   auditoris   ebenfalls  Conjectur,  als  Gegenstück  zu  praedieatoris ;  denn 
hier  steht  eine  Abkürzung,  die  ich  nicht  zu  enträthseln  vermochte. 
5^  potest\  MS.  :  possunt. 
6'j  II.  Timoth.  4,  3. 

7)  injirmis  "Wenn  dieses  Wort  richtig  gelesen  ist,  wofür  ich  nicht  bür- 
gen kann,  so  ist  es  Dat.  commodi. 


586 


Anhang  B.  III. 


sorium  contra  kostes,  tanquam  turris  stans  appropinquata  cum  propu- 
gnaculis.  Sed  modo  sunt  impolliti  et  inordinate  positi  propter  defectum 
convenientis  scientiae  et  caritatis,  et  sie  coacervati  quasi  materiae  de- 
pulsae  a  gradu  spiritualitatis  ad  gradum  summum  mundanae  vanitatis, 
in  tantum  quod  religiosi  quidam  propter  ambitionem  temporalium  egressi 
claustris  commixti  sunt  inter  gentes  et  didicerunt  opera  eorum  l) .  Et 
revera  haec  est  horrenda  monstruositas  sponsae  Christi,  et  verisimiliter 
praesumitur,  quod  sit  occasio  perturbationis  totius  christianismi ,  cum 
secundum  Lincolniensem2)  »claustralis,  propter  ambitionem  tempo- 
ralium sie  egressus,  sit  sicut  cadaver  mortuum,  pannis  funeralibus  in- 
volutum,  de  sepulcro  egressum,  a  dvabolo  inter  homines  agitarum.«  Quid 
mirum  igitur,  si  perturbatio  sit  consequens  tale  monstrum? 

Tales  igitur  magistri  sie  spissim  coacervati  ingerunt  pruritum  auri- 
bus  mundialium.  dum  alii  in  monachantibus  vel  machinantibus  lucro  j 
temporalium  solum  intendunt,  alii  lautis  refeetionibus,  largis  muneribus 
et  fictis  adulationibus  populum  pascunt.  Et  alii  palliantes  verba  doctri- 
nae,  dimissa  annuntiatione  sceleris ,  populi  vanos  applausus  auditorio 
rhetorice  referunt.  Et  cum  in  rebus  insensibilibus  et  aeternis  potissime 
sit  veritas,  et  in  istis  transitoriis  propter  eorum  mutabilitatem  fabulosa 
fallacia,  patet,  quomodo  moderni  a  veritate  auditorium  avertunt  ad4 
fabulas  convertentes.  Nam  si  quis  hodie  veritatem  theologicam  annun- 
ciat,  non  auditur  sed  spernitur  tanquam  vaniloquus  :  sed  tractanti  nego- 
tia  secularia  statim  intenditur,  quod  sine  dubio  est  signum  carnalitatis 
et  extinetionis  vite  spiritualis,  quia  spiritualis  homo  appeteret  refici  eibo 
spirituali,  quo  viveret;  et  talis  appetitus  induratus  in  homine  est  evi- 
dens  signum  mortis. 

Patet  igitur  cuilibet  nutrito5;  in  philosophicis.  quod  quaecunque 
media  ordinata  ad  finem  aliquem  de  tanto  sunt  aptius  proportionata,  de 
quanto  compendiosius  et  copiosius  dueunt  ad  finem  illum.  Cum  igitur 
seminatio  verbi  Dei  sit  medium  ordinatum  ad  honorem  Dei  et  aedifica- 
tionem  proximi,  patet,  quod,  quanto  compendiosius  et  copiosius  hoc 
facit,  de  tanto  est  aptior.  Sed  non  dubium  quin  plana  locutio  de  perti- 
nentibus  ad  salutem  sit  hujusmodi,  ideo  ista  est  eligenda,  declamatione 
heroica 6j  postposita.  Idem  enim  secundum  Jeronimum7)  est  loqui  sie 
populo  et  miscere  semina  cum  floribus  ne  radicent 8) .  Et  secundum 
Lincolniensem  cum  praedicatores  sint  ubera  sponsae,  sie  loquentc- 
deludunt  populum,  ac  si  nutrix  divaricativam  porrigeret  infantulo,  ne  lac 


1)  cf.  Hose.  7,  6;  Jerem.  10,  2. 

2)  d.  h.  Kobert  Grossetete,  Bischof  von  Lincoln. 

3)  lucro)  Conjectur;  die  Handschrift  hat:  lucrutii. 

4)  ad]  MS.  :  et  ad. 

5;  nutrxto)  MS. :  utrumque  nutrito. 

6)  heroica]  MS.  :  eroica. 

7)  Hieron. 

8)  ne  radicent)  Conjectur;  die  Handschrift  hat:  ne  ut  dicent. 
9j  loquentes)  Conjectur  ;  die  Handschrift  hat .  loqueudi. 


Predigt  über  das  Gleichniss  vom  Säemann. 


587 


sugat.  et  ac  si  dispensator  mensuram  furfuris  et  non  tritici  daret  fanri- 
liae  domini  sui1);  non  enim  nitilante  cortice  verborum  sed  adipe  fru- 
menti  satiavit  nos  Dominus 2  . 

Sic  ergo  consumto  calore  caritatis  ad  intra,  et  relueente  nitore 
verborum  ad  extra,  sunt  praedieationes  modernae  tenebritatae1,  nocte 
ignorantiae  sensibilia  innominata  ut  squamae  ad  quercum  putridam4;: 
sed  esus  talium  secundum  philosophos  est  mortiferus,  sterilisans  eden- 
tem  ;  ideo  consulitur  metrice,  quod 

lueens  de  nocte 
non  comedatur  a  te  ! 

Non  sie,  sacerdos  Domini,  sed  sicut  in  Veteri  Testamento  ordinati 
sunt  sine  defectu  in  naturalibus  quoad  corpus,  sie  in5)  Novo  Testamento 
eorrespondenter  ad  figuram  babundent  in  spiritualibus  et  specialiter  in 
fideli  dispensatione  divini  seminis.  Sicut  enim  inter  omnes  actus  hier- 
archieos6)  ecclesiae  militantis  est")  fidelis  seminis  ministratio  Deo  ma- 
xime  placita :  sie  frans  in  illa  seminatione  est  maxime  perniciosa  et  per 
consequens  Deo  maxime  odiosa. 

Et  tantum  de  dispositione  divini  seminis. 

II.  Secundo  dixi,  quod  ostenderem  caritati  vestrae  dispositionem 
semmantis.  quae  notari  potest  in  illo  verbo  thematis.  Debet  enim  qui- 
libet s)  fidelis  christianus,  et  specialiter  praedicator,  et  constanter  et 
mere  substare  divino  beneplacito ;  et  quamvis  de  se  non  habeat  qualita- 
tem,  oportet  tarnen  ipsum  quatuor  virtutibus  cardinalibus  spiritualiter  in- 
dui.  Et  primo  prudentia,  attendendo  ne  justitiam  suam  faciat  coram 
hominibus,  ut  videant  opera  ejus  bona,  ne  forte  sit  de  numero  fatuarum 
virginum,  de  quibus  Dominus  dicit  in  evangelio:  »Amen  dico  vobis, 
nescio  vos!«  Matth.  25. 9).  Quantum  fatua  ergo  est  intentio  aptare 
labores  bonos  de  genere,  ut  vel  principialiter 10  vel  mixtim  captetur  ap- 
plausus  populi !  Idem  enim  est  sie  facere  et  commutare  amicitiam  Dei  n) 
pro  ficta  et  adulatoria  fama  mundi,  et  per  consequens  bonum  aeternum 
gaudii  perdere  pro  gaudio  hypoeritae,  quod  est  instar  puneti  breve,  imo 
constituere  unum  talem  vilem  peccatorem  Deum  suum,  et  sie,  quantum 
in  se  est,  pervertendo  ordinem  universi,  dum  ejus  laudem  praefert  laudi 
Dei.  0  caeca  commutatio  12  et  distorta  ratio !  Dicit  Salvator  Matthaei  6  : 


1   cf.  Luc.  12,  42. 

2)  cf.  Ps.  147,  14. 

3)  Hier  steht  in  der  Handschrift  das  sprachwidrige  und  sinnlose  Wort : 
tenebritatis.    Die  Stelle  ist  jedenfalls  sehr  entstellt. 

4)  Die  Handschrift  hat:  et  quercus  putridam. 

5)  in]  fehlt  im  MS. 

6)  hierarchicos]  MS. :  yerarticos. 

7)  est]  MS.  :  et. 

8)  quilibet]  MS.:  quibus.        9)  Matth.  2b'  MS.:  Matth.  10. 

10]  principialiter   Conjectur,  aus  S.  566  Z.  4;  HS.  :  participaliter. 

11)  Der  Conjectur;  die  HS.  hat:  Deo. 

12)  commutatio]  MS. :  communicatio. 


588 


Anhang  B.  III. 


»Quod  si  oculus  tuus ,  hoc  est  intentio  operandi,  fuerit  simplex ,  timc 
totum  corpus  operiun  simplex  erit.«  Et  credo,  quod  inter  omnes  caute- 
las  dyaboli  haec  est  una  de  subtilissiinis,  per  quam  surrepit  in  meutern 
scolasticoram,  quia  vix  est  aliquis,  quin  principialiter  vei  mixtim  facit 
acta  sua  ut  videatur  ab  hoaimibus.  Et  cum  minimus  error  in  principio 
sit  causa  maximi  in  fine,  patet,  quod  isti  cautelae  dyaboli  est  prudentius 
resistendum. 

Secundo  requiritur  temperantia  in  cibariis  et  aliis  corporis  nutritivis, 
ne  forte  sacerdos  propter  petulantiam  et  ventris  ingluviem  cespitet 
in  serendo.  Unde  exemplar  1)  dicit:  »Castigo  corpus  meum  et  in  servi- 
tutem  redigo'2  ,  ne  forte ,  cum  aliis  praedicaverim ,  ipse  reprobus 
efficiar 3) . « 

Tertio  requiritur  fortitudo  iu  tolerando  adversa  pro  zelo  veritatis 
et  salute  populi.  Illud  patet  discurrendo  per  omnes  pugiles  laudabiles 
ecclesiae  militantis.  Unde  vere  dixit  apostolus  :  »Omnes  qui  pie  volunt 
vivere  in  Christo,  persecutionem  patiuntur4) .« 

Et  demum  justum  est,  quod  mens  sacerdotis  elevetur  in  Deum  per 
notitiam  et  amorem  et  alias  latrias  Deo.debitas. 

Unde  Salvator  noster,  exemplificans  praedicatoribus  suis  quoad 
omnia  illa  per  ordinem,  non  legitur  in  evangelio  publice  praedicasse 
ante  annum  tricesimum.  Sed  paulo  ante  praedicationem  suam  petivit 
desertuin 5)  locum,  ut  sie  doceret  diseipulos  suos  prudentiam  ad  evitandum 
adulatorios  applausus  populi;  ubi  etiam  jejunavit6)  40  diebus  natura- 
libus,  ut  ipsos  doceret  temperantiam.  Tertio  pugnavit  vincens  tempta- 
torem  tripliciter,  ut  in  hoc  doceret  nos  fortitudinem ;  et  quarto  oravit 
praestans  obsequium  Deo  et  ostendendo  se  populo.  Ipsum  ergo  magistrum 
sequamur  in  nostris  operibus ,  non  solum  secundum  ejus  humanitatem 
sed  secundum  ejus  divinitatem,  et  per  consequens  totam  beatam  Trini- 
tatem.  Non  enim  est  possibile,  quod  actus  aliquis  viatoris  sit  Deo  pla- 
citus,  nisi  fuerit  ad  imitationem  summae  Trinitatis  exemplatus. 

Oportet  ergo  sacerdotem  praeeipue  esse  potentem,  correspondenter 
ad  Deum  patrem;  potentem  quidem  non  in  divitiis  nec  in  potestate 
mundi  vel  corporis,  sed  in  opere  et  sermone7).  Oportet  secundo  esse 
ipsum  sapientem,  correspondenter  ad  filium,  non  in  sapientia  hujus  mundi, 
quae  est  stultitia  aput  Deum s) ,  sed  sapientia  quae  vincit  malitiam  populi 
acerbe  fortiter  increpando  peccata,  et  suaviter  disponendo  ac  nutriendo 
bona  opera.   Sed  tertio  oportet  ipsum  esse  bene  volentem,  correspondenter 


X)  Er  nennt  den  Ap.  Paulus  unser  Vorbild,  vurmuthlieh  im  Hinblick 
auf  I.  Cor.  11,  1  ;  4,  Kl. 

2)  Die  Worte  et  in  .servitutem  vor  redigo  sind  in  der  HS.  ausgelassen. 

3)  I.  Cor.  !),  27. 

1    11.  Timoth.  3,  12. 

5   desertum]  MS.  :  adsertum. 

ü>  jejunavit)  MS.  :  jejunat. 

7)  Anspielung  auf  »mächtig  von  Thaten  und  Worten«,  Luk.  24, 
S;  I.  Cor.  3,  19. 


Predigt  über  das  Gleichniss  vom  Säemann. 


589 


ad  spiritum  sanctum  ;  bene  volentem  dico,  non  injuste  conferendo  in- 
dignis,  propter  affectioneni  carnalitatis,  bona  temporalia,  sed  caritative 
procurando  salutem  animae  proximis  et  bona  spiritualia. 
Et  tantnm  de  dispositione  seminantis. 

III.  Tertio  dixi,  quod  ostendereni  fraternitati  vestrae  convenientiam 
temporis  seminandi,  quod  notari  potest  in  tertio  verbo  tbematis,  quod 
successionem  implicat,  et  sie  constat  tempus  quoddam  ex  tertia  signi- 
ficatione  seminis ,  quod,  quamdiu  sumus  hie  in  via,  superest  tempus 
eontinue  seminandi.  Unde  Exodi  13.  praeeipitur,  quod  lex,  qaae  obligat 
nos  ad  seminationem  praedictam  et  instruit,  eontinet  semen  nostrnm,  sit 
quasi  »Signum  in  manu  nostra  et  quasi  appensum  ante  oculos«  \) .  Sed 
secundum  imaginationem  apostoli  seminantes  sunt  bifarii,  ut  quidam  in 
carne  quidam  in  spiritu2  ;  et  bi  proportionabiliter  duplici  sapientiam  ; 
tanquam  vasa  sui  seminis  colla  subjiciunt.  Seminantes  autem  mundia- 
liter  habent  sapientiam  hujus  mundi  pro  contentivo  et  duetivo  sui  semi- 
nis; sed  ista  sapientia  secundum  Jacobum  est  triplex4) ,  animälis5  . 
eorrespondenter  ad  coneupiscentiam  earnis,  et  terrena,  correspondenter 
ad  coneupiscentiam  oculorum :  et  est  dyabolica  correspondenter  ad 
superbiam  vitae6  .  Et  ita  mimdialiter  seminantes  tres  auras  insalubres 
sibi  captant  pro  suis  seminibus.  Sunt  enim  nonnulli  ecclesiastici.  qui  in 
roneupiscentia  corms ,  secundum  animajem  sapientiam,  sed  in  paludibus 
seminant  semen  suum ;  bi  sunt  qui  de  patrimonio  Christi  carnem  suam 
gulose  nutriunt ,  meretrices  et  hystriones  vestiunt ,  et  voluptatibus 
juxuriae  se  involvunt.  Et  non  dubium .  quin  abscisa  vena  vohvptatis 
quod  inevitabiliter  erit  in  hora  mortis)  taliter  seminantes  in  carne  de 
carne  metent  corruptionem ") .  Sunt  alii  in  coneupiscentia  oculomm, 
secundum  terrenam  sapientiam  ,  in  aura  gelida  seminantes ;  et  hi  sunt 
ecclesiastici,  qui  bona  pauperum  per  traditiones  suas  avare  congregant, 
vel  ut  totum  mundum  per  coactivam  potentiam  sibi  subjiciant,  vel  de 
praeda  possessiones  vel  pinguia  beneficia  sibi  perquirant,  vel  ut  lites 
pro  temporalibus  potenter  suscitent  et  foveant.  Xec  dubium  quin  tales, 
cum  dormierint  somnum  suum,  inveniant  pro  tali  semine  acerbas  tristi- 
tiäs,  anxietates  corrosivas  ut  vermes,  et  colligantias  horridas  cum  opacis 
terrestribus,  quae  tarn  inordinate  construxerunt.  Sunt  autem  tertii  in 
superbia  vitae,  secundum  sapientiam  dyabolicam,  in  vento  valido  seminan- 
tes ,  et  hi  sunt  inflati,  qui  propter  pompam  seculi  acta  sua  facinnt,  ut 
honorabiles  ac  dominati  sie)  spectantibus  appareant,  apparatus  splendidos 


1   Exod.  13,  9. 

2)  cf.  Gal.  6,  8. 

3)  cf.  Jac.  3,  15. 

4)  triplex)  Die  HS.  hat  fälschlicherweise  duplex. 

5)  animalis]  dies  Wort  ist  durch  die  uns  schon  bekannte  Fahrlässig- 
keit des  Abschreibers  im  MS.  weggefallen. 

6)  Hier  und  gleich  nachher  ist  der  Ausspruch  Jac.  3,  15.  mit  dem 
I.  Joh.  2,  16  combinirt. 

7)  cf.  Gal.  6,  8. 


590 


Anhang  B.  IV. 


et  sumptuosos  sibi  adinveniunt.  Et  in  isto  vitio  est  major  pars  ecclesia- 
sticorum  hodie  excaecata,  cum  vix  ullum  invenies ,  qui  praelaciam  vel 
officium  in  ecclesia  suscipit,  ut  »semen«  spiritualiter  »fratri  suo«  seniori 
»suscitet« 1  ,  sed  magis  ut  laute  vivat  et  gloriosius  appareat.  Sed  cum 
durum  judicium  his ,  qui  praesunt ,  fiet ,  non  dubium  quin  talis  sicut 
ceteri  finaliter  obstinati  pro  tempore,  quo  reddet  rationem  villicationis 
suae2  .  ignominiose  repulsus  projicietur  in  tenebras  exteriores,  ligatis 
manibus  et  pedibus  :i  . 

Uli  autem  qui  in  spiritu  seminant ,  seminant  in  benedictionibus 4  : 
et  sunt  isti,  quorum  omnia  opera  sunt  ad  imitationem  summae  Trinitatis, 
ut  superius  est  expositum,  exemplata  et  per  consequens  benedicta ;  quam 
quidem  benedictionem  in  operibus  precatur  sibi  Psalinista  sub  triplici 
nomine  trini  Dei  ita  dicens :  »Benedicat  nos  Deus,  Deus  noster,  et  bene- 
dicat  nos  Deus« 5) ! 

Sic  ergo,  fratres  carissimi,  seminemus  in  benedictionibus,  dum 
tempus  habemus  6) ,  quia  non  dubium  quin  tunc  tempore  suo  et  in  bene- 
dictionibus metemus.  quando  veniemus  cum  exsultatione  portantes  fruc- 
tum7)  divini  seminis,  qui  quidem  fructus  est  sempiterna  fruitio  beatae 
Trinitatis,  quam  nobis  concedat  Deus  dominus  noster!  Amen. 


IV. 

Die  angebliche  Epistola  missa  ad  simplices  sacerdotes. 

Erstmals  abgedruckt  Shirley,  Fasciculi  zizaniorum,  Introd.  XLI.  not.  1. 

aus  der  Wiener  Handschrift  1337  (Denis  CCCLXXVIII;  f.  ;,2. 
Handschriften,  A.  =  Wiener  HS.  13S7.  Denis  CCCLXXXIV.  f.  105.  Col.  2. 

B.  =      „  3929.  CCCLXXXV.  f.  207.  Col.  2. 

Videtur  meritorium  mihis  bonos  colligere  sacerdotes,  cum  Christus 
exemplar  cujuslibet  boni  operis  sie  fecit.  Sed  elemosynantes  caverent 
de  talibus  sacerdotibus  praeeipue  in  his  tribus.  Primo  quod  sint  amovi- 
biles  et  non  haeredati,  com  jam  non  sint  in  merito  °)  confirmati,  sed 
sub  conditione,  quod  vivant  digne  et  juste,  habeant  de  temporali  elee- 
mosyna  in  mensura.    Secundo,  quod  sint  in  numero  loco  et10)  tempore 

1)  Anspielung  auf  das  Gebot  über  die  Leviratsehe ,  V.  Mos.  25,  5. 
vgl.  Matth.  22,  24. 

2)  Vgl.  Luk.  10,  2. 

3)  Matth.  22,  13. 

4)  Vgl.  II.  Cor.  9,  0. 

5)  Ps.  07,  7.  Ö. 

0)  Vgl.  Gal.  0,  9.  10. 
7)  Vgl.  Ps.  120,  0. 

S)  mihi]  fehlt  bei  Shirley  und  in  HS.  A. 
9)  in  merito]  Shirley:  immerito,  was  den  Sinn  völlig  stört. 
10)  et]  fehlt  in  A. 


De  sex  jugis. 


591 


competenti,  quia  abundantia  et  defectus  in  isto  peccatum  inferunt  secun- 
dum  sententiam  sapientum.  Ter 60  quod  «int  solliciti  in  officio  congruo 
sacerdoti1),  cum  tarn  insolertia2)  quam  otiositas  ipsos  inhabilitat  ad 
hoc  opus ,  nec  quaelibet  occupatio  pertinet  sacerdoti ,  sicut  tabernae 
exereitatio,  ferarum  venatio,  ad3)  tabulas  vel  ad  scaccos  occupatio,  sed 
attenta  legis  Dei  informatio,  clara  verbi  Dei  praedicatio  et  devota  oratio. 

Praecipuum4  autem  istorum  est  evangelii 5;  praedicatio,  cum 
Christus  Marci  ultimo  pro  memoriali  perpetuo  sacerdotibus  hanc  in- 
junxit6).  Per  hanc  enim  Christus  regnum  suum  de  manu  diaboli  con- 
quisivit,  et  per  hanc  filios  suos  ad  statum  triumphalem  reduxit.  Qui 
autem  non  praedicat  publice ,  hortetur  private,  sie  quod  si  quis  loqui- 
tur  7) ,  loquatur  secundum  Petri  sententiam  verbum  s)  Dei 9) .  Per  hoc 
autem  vigerent  presbyteri  et  aedificarent  ecclesiam  tanquam  apostoli. 

Et  quicunque  seiverit  sacerdotes  melius  reducere  ad  hunc  statum, 
habet  potestatem  a  domino  et  meritum  caritative  taliter  operando. 


V. 

De  sex  jugis. 

Vgl.  Band  I.  S.  427. 

Ich  nenne  vorerst  die  Wiener  Handschriften ,  welche  ich  verglichen 
habe,  und  bezeichne  sie  der  Kürze  halber  mit  folgenden  Buchstaben  : 

A.  Cod.  lat.  Nr.  1337  [Denis  CCCLXXVIII.)  foL  161.  Col.  1.  bis 
fol.  165.  Col.  2. 

B.  Nr.  3928  (Denis  CCCC)  fol.  1S6.  Col.  2.  -fol.  1S9.  Col.  1.  Hier 
steht  der  Traktat  als  geschlossenes  Ganzes,  er  findet  sich  aber  in 
demselben  Handschriftenbande  noch  einmal,  nämlich  stückweise  in 
5  Festpredigten,  und  diese  Abschrift  ist  von  der  gegenwärtigen 
wohl  zu  unterscheiden;  daher  bezeichne  ich  sie  mit 

C.  Nr.  3928.  fol.  53  Col.  4,  mit  Unterbrechungen  bis  fol.  66  Col.  2. 

D.  Nr.  3932  (Denis  CCCLXXXVIII)  fol.  153  Col.  1.  -  fol.  155  Col.  3. 

Ut  simplices  sacerdotes10;  zelo  animarum  succensi11)  habeant 
materiam  praedicandi ,  notanda  sunt  sex  juga  secularis  brachii,  quae 
trahunt  efficacius  cu'rrum  Christi :  Primum  est  inter  Christum  et  fideles 


1)  sacerdoti)  sacerdotii,  Shirley. 

2)  insolertia)  insolentia,  A. 

3)  ad)  vel  ad,  B.  —  scacci  =  Schachspiel. 
4  Praecipuum)  primum,  Shirley. 

5)  evangelii  Christi  evangelii,  Shirley. 

6)  mjunxit]  injunxerit,  A. 

7)  sie  quod  si  quis  loquitur   fehlt  bei  Shirley. 

8)  verbum  Shirley  hat  richtig  so  conjicirt,  während  die  von  ihm  be- 
nützte HS.  verbi  hat;  allein  A.  und  B.  haben  beide  verbum. 

9)  Vgl.  I.  Petr.  4,  11. 

10)  simplices  sacerdotes)  ydiote  et  simplices  sacerdotes,  C. 

11]  zelo  animarum  succensi]  fehlt  in  C. 


592 


Anhang  B.  V. 


simplices  viatores,  secundum  est  inter  conjuges  secundum  legem  Dei1) 
conjugatos,  tertium  est  inter  parentes  et  filios  naturales,  quartum  est 
inter  patresfamilias  et  suos  mercenarios  et  eis  servientes .  quintum  est 
inter  dominos  seculares  et  suos  servos  vel  tenentes 2  ,  et  sextum  genera- 
liter  inter  proximos  conviventes  3) .  Omnibus  enim  istis  debet 4  columba 
ecclesiae 5)  canticum  pacis  et  caritatis  canere  et  optare.  Cum  autem 6) 
ista  sex  juga  secundum  istam  levitatem  et  suavitatem")  sunt  fundabilia 
in  scriptura,  evangelisans  sie  animatus  sj  a  domino  debet  auimose  atque 
viriliter  ista  per  ordinem  praedicare.  Illud  autem  jugum,  quod  debet 
esse  sacerdotum  ad  Christum  velpopulum9 vel  est10)  in  lege  domini 
plene  instruetum  vel  ex  antichristi  perfidia  plene  disparatum 1 1  . 

Jugum  autem  primum,  quod  est 12)  tocius  ecclesiae  ad  Christum, 
stat  in  observantia  mandatorum,  nam  quicunque  christianus  ipsa  serva- 
-verit,  erit  salvus.  Et  hoc  jugum  est  suave  non  exasperans  hoc  ferentem, 
et  leve  est  non  deprimens  supportantem,  ut  dicitur  Matth.  II.13).  Nam 
in  lege  veteri 14)  observarunt  decalogum  cum  oneribus  extra  Christum  l5); 
sed  modo  per  eorum  exonerationem,  per  Christi  confortationem  et  adjuto- 
r«m16)  multiplicationem  est  levius  quam  tunc  fuit. 

Constat  quidem ,  quod  lex  Dei  fuit  per  cerimonias  legis  veteris 
multipliciter  onerata,  ut  dicit  Petrus  Act.  1  5mo.  Cum  ergo  totum  hoc 
onus  ex  libertate  christiana  deponitur ,  patet  primum  17/ .  Sed  heu  anti- 
christus  tantum  difficultavit ls)  legem  graciae  per  suas  traditiones  caesa- 
reas ,  quod  tolerabilior  fuerat  l9J  lex  antiqna.  Sed  prudeus  et  simplex 
christianus  debet  traditiones  illas20)  sapienter  excutere,  cum  in  earum 
regulari  observantia  sit  venenum. 

Quantum  ad  confortationem  Christi ,  patet,  quod  superat  omnem 
gravedinem  2l),  cum  fidelis  constanter  retinet,  quod  tenendo  legem  suam 
et  contemnendo  traditiones  hominis22  peecati  magnifice  praemiatur. 


1)  Bei,  fehlt  in  A.  B.  D. 

2)  suos  servos  et  tenentes]  mercenarios  eis  servientes  C.  Tenentes  =  Vasallen. 

3)  conviventes]  convivantes,  C. 

4]  debet]  fehlt  A.  B.       5   Vgl.  Hoheslied  2,  12. 
6]  autem]  fehlt  C.  f]  Vgl.  Matth.  11,  ^0. 

8)  sie  animatus   sit  animatus,  C. 

9)  populum]  papam  C. 
10)  est]  esse  B. 

11    disparatum]  desperatum  A.  B.  D. 

12)  primum  quod  est   fehlt  C. 

13)  Matth.  11]  Matth.  20,  C. 

14)  veteri]  domini,  A.  B.  D. 

15)  Christum   ipsum,  A.  B.  1). 

16)  adjutorum]  adjutoriorum,  1). 

17  primum]  nämlich  die  exotwratio,  die  Entledigung  des  Christen  von 
gesetzlichen  Lasten. 

18)  difficultavit]  difficultat,  A.  D. 

19)  fuerat  foret,  C. 

20  iÜas]  istas,  B.  C.l). 

21)  gravedinem]  gravedinem  antichristi,  B.  C.  D.,  was  eine  Glosse  scheint. 
22;  hominis   homines,  A. 


De  sex  jugis. 


593 


Et  quoad  terttum  1  ,  patet,  quod  licet  sunt  rari  adjutores  supersti- 
tes .  tarnen  omnino  multiplicantur  adjutores  militantium  in  ecclesia 
triumphante,  sie  quod  enrrus  Dei  hodie  est  magis  multiplex,  ideo  sicut 
millia  exsultantium2),  quia  Deus3)  est  in  ecclesia  militante.  Et  quantum 
ad  omnes  argutias  vitulaminum  spuriorum 4),  patet,  quod  omnia  Christi 
consilia  facilitant  ad  observantiam  mandatorum.  Et  il Ii  qui  stillte  et 
private  sine  5  auetorisatione  ad  consilia  ipsa  se  obligant,  ab  eis  magis 
degenerant. 

Nec  oportet  hortari  Christum,  ut  recte  faciat,  qui  est  pars  altera 
hujus  jugi,  cum  ex  fide  firmiter  capimus.  quod  ex  parte  sui  non  posset 
pactum  deficere. 

De  observatione  istorum  mandatorum  decalogi  patet  alibi . 

c.  2.)  Secundum7). 

Quantum  ad  duo  juga  sequentia  capite  proximo  introdueta, 
notanda  est  vox  turturis 8)  saneti  Pauli  ad  Colossenses  3i0.  Quamvis  enim 
Christus  sit  turtur  praeeipue  Matthaei  5°  miscens  luctum  cum  gaudio : 
Beati,  inquit,  qui  lugent,  quoniam  ipsi  consolabuntur« ,  tarnen9)  mem- 
bra  ejus  turtures  10)  possunt  dici.  Nam  magnus  turtur  fuit  Baptista 
Joh.  3.,  dum  sie  cecinit:  »Amicus  sponsi,  qui  stat  et  audit  cum  n)  gau- 
dio, gaudet  propter  vocem  sponsi12).«  Magnus  etiam  fuit  turtur  Paulus 
apostolus,  dum  cecinit :  »Ipse  Spiritus  postulat  pro  nobis  gemitibus  ine- 
narrabilibus  13) .«  Ex  quibus  colligitur,  quod  iste  Spiritus  erat  turtur. 

Docet  autem  iste  apostolus  ad  Colossenses  ubi  supra,  quod  omnia 
quaecunque  fidelis  fecerit,  debet  facere  in  nomine  domini  Jesu  Christi : 
••Omne,  inquit,  quodeunque  facitis  verbo  aut  opere,  omnia  in  nomine 
domini  Jesu  Christi  facite  I4j .«  Patet  rationabilitas  hujus  prineipii  ex 
hoc,  quod  omnis  vita  hominis  viantis  voluntaria  vel  naturalis  debet  esse 
meritoria,  et  per  consequens  esse  in  gracia  domini  nostri 15)  Jesu  Christi. 


1)  terttum]  secundum  B.  D. 

1   millia  exsultantium}  sunt  multi  exultantium  C.  vgl.  Ps.  68,  18. 
3)  Dens)  dominus  C. 

4   spuriorum]  spiriorum  C.  Vgl.  De  officio  pastorali  I,  c.  1.  S.  ~. 
5)  sine]  sua  C. 

6  alibi  superius  parte  prima  C,  was  sich  auf  die  erste  Predigtsamm- 
lung bezieht. 

T    Secundum'  Secundum  jugum,  A.  C.  D. 
8   Vgl.  Hoheslied  2,  12. 
1»   tarnen]  cum  C. 
10)  turtures   turturea  C. 

11  cum]  eum  C. 

12  sponsi]  sponsus  B. 

13)  Körn.  8,  2<l. 

14)  facite]  vor  facite  schieben  B.  und  C.  supple  ein  ,  lediglich  weil  das 
facite.  das  in  sämmtlichen  Handschriften  steht,  in  der  Vulgata  sich  nicht 
findet. 

15)  nostri]  fehlt  in  C. 

Lechlek,  Wiclif.  II.  3$ 


394 


Anhang  B.  V. 


Ipse  enim  est  priina  natura  et  gracia,  in  qua  natura  subducto  peccato 
oportet  fieri  creatum  quodlibet  naturale.  Tolle  inquam  l)  peccati  vetan- 
tiam,  et  in  virtute  ejus  ac  gratia  est  quaelibet  creatura ;  rnulto  eviden- 
tius  quidquid  homo  fecerit,  qui  Christi  ministerio  tarn  specialiter  depu- 
tatur . 

Isto  itaque2)  principio  ut  fide  supposito  adjimgit  apostolus  :  »Mulie- 
res, mquit,  subditae  estote  viris  vestris,  sicut  oportet,  in  domino.  Viri 
diligite  uxores  vestras  et  nolite  arnari  esse  ad  illas.«  Debent  enim3 
mulieres  de  natura  et  ex  mandato  trinitatis  esse  subditae  viris  suis,  in 
cujus  signum  ordinatae  sunt  esse  in  natura  inferiores,  unde  philosophi 
vocant  eas  viros4j  in  naturalibus  defectivos.  Genesis  autem  tertio5) 
legitur,  quomodo  6)  prima  femina  ex  costa  primi  viri,  non  ex  pede  vel 
capite  est  formata.  Et  ambo  ista  docent,  quomodo  quadam  inferioritate 
mulier  debet  esse  viro  matrimonialiter  copulata.  Ideo  cum  hoc  sit  natu- 
rale, dicit  apostolus  mulieres  oportere  esse  subditas7)  viris  suis.  Sed 
signanter  modificat,  quod  sint  subditae s;  »m  domino«;  debent  enim  uxo- 
res viris  suis  tanquam  domino  deservire,  ut  docet  Petrus  de  Sara  et 
Abraham  '•'} .  Si  autem  viri  ab  uxoribus  suis  quid  quam  exigant  quod  a 
domino10)  est  vetitum,  tunc  non  debent11)  in  completione  hujus12  esse 
subditae  viris  suis,  quia  tunc  non  forent  Ulis  subditae13;  in  domino. 

Et  per  locum  a  majori,  si  superior  vel  praelatus  ecclesiae  subjecto 
suo  quidquam  praeceperit14)  quod  dissonat  legi  Christi,  tunc  debet  ex 
obedientia  debita  Christo  et  Uli  praelato  humiliter  rebellare.  Quirn, 
enim  duo  praelati,  quorum  unus  est  superior  et  alter  15  inferior,  man- 
dant  contraria,  superiori  in  rationali 10)  est  parendum ;  cum  ergo  Christus 
sit  superior  quocunque  praelato  ab  nomine  instituto  17  ,  nec  potest  nisi 
rationale  et  justum  mandare  cuiquam  18),  patet  quod  quidquid  voluntati 19 
suae  contrarium  papa  vel  quicunque  praelatus  quantumcunque  stricte 
mandaverit  suo  subdito,  debet  viriliter20)  contra  illud  rebellare .  nam 
faciendo  oppositum  peccaret  graviter.  Ex  quibus  patet,  quod  tarn21 
praelatus  quam  subditus  debent  cognoscere  beneplacitum  domini 22 )  Jesu 
Christi;  nam  sine  obedientia  sui  privaii  praepositi  potest  salvari,  cum 


1  inquam]  inquit  A.  C.  1). 

ii  enim    autem  C. 

5)  Gen.  2,  Tl. 

7)  suhditds   subjectas  C. 

9)  I.  Petr.  -'S,  5'  folg. 

11,  debent]  A.  13.  D. 

13  subditae  Bubiectae  B.  C. 

15)  aiter\  alius  Ii.,  et  alius  C. 

17;  instituto   Substitute»  A.  Ii. 

ISj  cuiqttmn    euique  A.,  cuicunque  B. 

1!)  vohmtait   voluntatis  Ii. 

20  riritifcr   eontra  illud  humiliter  C. 

21)  tarn]  fehlt  A. 

22]  domini   domini  nostri  Ii. 


2)  itaque    namque  A.  Ii.  ]) 

4)  viro»  fehlt  A.  1). 

(i    quomodo]  quum  C, 

8)  subditae   subjectae  B-  C. 

lüj  domino"  Deo  Ii.  C. 

12   Jiujus]  hujusmodi  C. 

14  praeceperit  pnteeepit  C. 

1(>    rationali  ralionabili  B.  ( 


De  sex  juyis. 


non  juvat  ni&i  de  quanto  promovet 1  ad  obedientiam  domino  Jesu 
Christo  :  sed  sine  obedientia  Christi  non  stat,  quod  alias  sit  salvatus. 

Ideo  ad  discendum  [sie]  Christi  regulam  debent  privati  ordines 
primo  tendere ,  et  si  fuerint  ita  stolidi ,  quod  per  se  ipsos  et  Chrkti 
regulam  non  sufficiant  regulari2),  tunc  consulant  superiorem  intuitu 
earitatis ,  ut  eos  misericorditer  dirigat  in  agendis ;  si  autem  impro- 
vise3)  obligati  fuerint  maledicto  vel  ignaro4  praeposito ,  dissolvanl 
statim  hunc  nexum  fatuura ,  et  vel  vivaut  prudenter  secunduni 
alium  vel  teneant  religionem  simplicem  christiannm  pure  secundum 
abbatem  communem5),  dominum  Jesum  Christum.  Et  licet  in  stulti.s 
maritis  jacet  periculum,  tarnen  longe  plus  in  stnltis  praelatis,  quia  in 
majori  parte  exigunt  a  subjectis,  quod  ignorant  esse  Dei  beneplacitum. 
vel  debent  cognoscere  esse  mandato  suo  contrarium.  Quandocunquc 
quis6)  praelatus  präeeipit,  subjectum  facere  quod  non  est  expeditiu- 
vitae"  suae  et  Deo  placentius,  peccat  graviter.  Sed  quid  seit s  ips<- 
hicy)  de  subjecto,  cujus  statum  et  vitam  ignorat,  cum10;  crebro  nesciat 
de  se  ipso?  Ideo  secundum  regulam  Christi,  cui  non  licet  contradicere. 
debet  quilibet  viator  continue  mereri  et  spiritu  Christi  duci,  nam  duetus 
ille  non  deficit,  »isi  peccator  ponens  obicem  sit  in  causa.  Ideo  durum 
Judicium  fiet  i^tis  praelatis,  qui  sie  caece  n)  praeeipitant  se  et  suos. 

In  conjugatis  autem,  non  sie  temere  obligatis  istis  consiliis,  oportet 
virum  praeeipue  mandata  Dei  cognoscere,  et  uxorem  vel  ab  informatione 
conjugis  l2)  vel  a  Christo  mandata  Dei  cognoscere.  Ideo  mandat  Christum 
in  suo  apostolo  viros  in  caritate  uxores  suas  diligere,  et  non  illas  amare 
tractare ;  ille  autem  amare  tractat  uxorem ,  qui  tractat  eam  crudeliter 
ut  ancillam,  nunc  verberat,  nunc  conviciat  et  nunc  ad  peccatum  inclinat. 

Verumtamen  cum  toto  isto  tractatu  non  videtur  mihi  matrimouium 
debere  dissolvi,  cum  saepe  salvatur  vir  infidelis  per  mulierem  fidelem : 
et  mulier  ex  patientia  injuriae,  salvo  Semper  quod  non  consentiat  ad 
peccatum,  vivit  meritorie  in  vero  matrimonio,  ut  deberet.  Istis  ergo 
conjugibus  tarn  generaliter  quam  specialiter  debet  praedicari  vinculum 
earitatis.  Et  alii  casus13)  privati  exigunt  speciales  conditiones  et  con- 
silia  evangelica  praeter  leges  privatas  de  sponsalibus  introduetas. 

(c.  3.)  Tertium14). 
Quoad  tertium  jugum,  scilicet  inter  parentes  et  prolem  suam,  sive 
de  sexu  virili  sive  15)  femineo,  est10)  notandum,  quod  parentes  plus  tenen- 

1)  promovet]  promovet  in  rationabilibus  A.  B. 

2)  regulär?*  reguläre  C. 

3)  improvise]  improvide  B.        4   ignaro   ignavo  A.  B. 
5;  communem]  fehlt  C.  6)  quis]  quidem  A.  B. 
7)  vitae]  viae  B.  C.                  S  seif  fehlt  A. 

9)  lue]  hoc  C.  10}  cum   cum  hoc  A.  B. 

11)  qui  sie  caece]  qui  se  in  se  C. 

12)  conjugis]  conjugis  i.  e.  viri,  A.  B.  ,  was  jedenfalls  eine  Glosse  ist. 

13)  casus]  casti  A. 

14)  Tertium]  fehlt  C. ;  Tertium  jugum  A. 

15)  sive]  vel  A.  B.  1(3   est]  fehlt  C. 

3S* 


596 


Anhang  B.  V 


tur  providere  de  sua  proie  in  spiritualibus  secundum  legem  domiui  quam 
in  carnalibus1),  licet  ipsa  carnalia2)  propius  et  immediatius3)  a  parenti- 
bus  sint  causata4).  Probatur,  quod5)  perfecta  Caritas  hoc  requirit, 
sed  tenentnr  perfecta  caritate  prolem  suam  diligere,  ergo  conclusio6). 
Dens  enim  plus  pouderat  vitam  spiritualem  interioris  hominis  quam  car- 
nalem 7]  ;  cur  ergo  non  parens,  qui  solum  in  Deo  debet  prolem  suam 
diligere  ?  Item  profectus  in  moribus  est  proli  utilior  quam  nutritio  cor- 
poralis;  quare  ergo  parentes  ex  sincera  dilectione  non  debent  illum 
profectum  majorem  proli  suae  appetere?  Nam  amando  minus  bonum  in 
Esse  genito  foret  ordo  praeposterus s) ,  non  amor  sed  odium  venenosum. 
Item  illud  debet  homo  plus  appetere  in  Esse  alteri,  de  cujus  carentia 
plus  doleret;  sed  quis  non  doleret  plus  de  damnatione  prolis,  et  de 
maculatione  peceato,  quam  de  sua  corporali9)  esurie  vel  penuria  mor- 
rali,  quod  raro  vel  nunquam  eveniet 10  ?  Ergo  debet  ad  illud  n)  bonum 
spirituale  melius  magis  niti. 

Ex  isto  patet,  quod  sinistre  et  inordinate  multi  parentes  diligunt 
prolem  suam  ;  multi  namque  delectabiliter  ipsos  12)  nutriunt  in  peccatis, 
et  vel  non  curant  ipsos  corripere  vel  correptionem  illam  faciunt  nimis 
remisse,  quod  est  Signum  evidens,  quod  inordinate  diligunt  Deum  atque 
prolem ;  debent  enim  secundum  legem  caritatis  ordine  converso  l3)  dili- 
gere proximum  quantumcunque  extraneum,  ergo  longe  evidentius  pro- 
lem suam  i4j . 

Sed  mundiales  graviter  et  in dign anter  ferunt  istam  sententiam 
dicentes,  quod  juxta  illam  permitterent 15)  homines  nedum  proximos  16) 
sed  proprios  natos  mori,  quod  cum  contradicit  legi  naturae  ,  mani- 
festum est  quod  est  contrarium  legi  Dei.  Nemo  enim  seit,  si  ex  tali 
educatione  carnali 17)  quis  peccabit  mortaliter  vel  erit  deterior  quoad 
mores.  Hic  dicit  logicus,  quod  nedum  oportet  patres  ,s)  dimittere  sed 
debent gratanter  suflferre  mortem  proximi20)  sive  nati  ut  patet  II.  Re- 
gum  12.  21  de  David,  quod  hilariter  sustulit 22)  mortem  nati.  Verum- 
tamen  isti  non  repugnat  sed  consonat,  quod  parens  potens  debet  proli 


1)  carnalibus]  corporalibus  C  2)  carnalia]  corpovalia  G. 

3)  propius  et  immediatius   proprius  et  magis  immediatius  C. 
4J  causata]  curata  B. 

.r>   quod]  quia  C.  (>  conclusio]  conclusio  vera  A. 


13)  converso]  transverso  A. 
14    ordine  converso  —  —  prolem  suam]  fehlt  in  C.   fahrlässiger  Weise. 

15)  permitterent]  Conjectur;  sämmtliche  Handschriften  haben  promp- 
teren t,  was  in  den  Zusammenhang  nicht  passt. 

16)  proximos  homines  C.  ;  sinnlos,  aber  durch  das  vorangehende 
homines  veranlasst. 

IT  carnali]  corporali  C.  18)  patres]  patrem  C. 

19   debent   debet  C.  Ii)"  proximi  Christi  C. 

21    II.  Samuel.  12.  20  ff.  22   sustulit   sustinuit  C. 


carn&lem  corporalem  C 
1   corporali]  carnali  ('. 
11    illud  id  A. 


S)  praeposterus   praeposteris  C. 
10)  eveniet]  evenit  A.  1>. 
12)  ipsos]  eos  C. 


De  sex  jugis. 


597 


de  vitae  necessariis  providere,  licet  in  nulluni  1  praeter  intentum  pa- 
rentis.  ex  hinc  quandocunque  proli  eveniat  -  .  Oportet  tarnen  paren- 
tes3] prudenter  et  cum  moderamine  talia  tribuere  proli  suae,  et  non 
propter  fortificandum  pulcritudinem  vel  potestatem  prolis  carnaleni, 
aut  propter  magnifieentiam  seculi  in  parentibus  extollendum 4  .  sed 
utrobique  ad  honorem  Dei  et  profectum  ecclesiae  intendendum.  Et  si 
occasione  mala  5  accepta  sit  proles  ex  facto  parentis  deterior,  pareus 
propterea  non  est  increpandus,  cum  secundum  rationem  Augustini 
nemo  tunc  faceret  quodvis  opus.  Oportet  ergo  intendere  ad  intentio- 
nem  prudentemGy  in  talibus. 

E  contra  autem  necesse  est  hortari  prolem,  ut  excellenti  gradu 
Jionorificet  et  obediat  suis  parentibus.  ut  patet  in  materia  de  primo 
mandato  secundae  tabulae ;  oportet  tarnen  ut ")  catolicus  istam  obedien- 
tiam  modificet  ut  priorem.  Ideo  dicit  apostolus  ubi8]  supra  :  »Filii  obe- 
dite  parentibus  per  omnia,  hoc  enim  beneplaeitum  est  domino.  Patres 
nolite  ad  indignationem  provocare  filios,  ut  non  pusillo  animo  fiant [)  .« 
Debent  autem  filii  obedire  parentibus,  non  solum  in  opere  manuali, 
sed  praecipue  in  spirituali,  quod  .sonat  in  salutem  animae  suae.  Ideo 
cum  spirituale  et  corporale  sit 10;  omnia,  signanter  dicit  apostolu>. 
quod  filii  debent  obedire  parentibus  suis  f>per  omnia«  :  non  autem  dicit, 
quod  filii  obediant  in  quibuscunque  parentes  mandaverint,  quia  sT.it 
ipsos  mandare  irrationabiliter  :  et  per  consequens  tunc  debent  obedire 
rationi,  qui 11  est  pater  superior,  dominus  Jesus  Christus.  Talis  autem 
irrationabilis  praeceptio  non  ponit  in  numerum  cum  mandatis  12  . 

Patres  autem  non  debent  nimis  aspere  tractare  filios.  ne  postmo- 
dum  fiant  invalidi  ad  debite  patiendum  Sicut  enim  Christus  paulatin- 
introduxit  suam  humanitatem  a  deitate13  assumptam.  ut  patet  de  Bap- 
tista  et  sua  conversatione  usque  ad  annos  triginta,  sie  debent  parentes 
bonos  mores  in  filiis  suis  indueere  palliative. 

c.  4.    Q uartum  11  . 

Quantum  ad  quartum  jugum,  quod  est  inter  patremfamilias  et  suos 
mercenarios  et  ei  servientes  15j,  oportet  quod  sint  fides  spes  et  Caritas 
inter  illos.  et  per  consequens  oportet  quod  inter  conjuges  conducentes  et 
suos  mercenarios  sit  fides,  rationabiliter  conducendo.  debite  tractando 
et  fideliter  mercedem  debitam  persolvendo.   Sicut  enim  fraus  in  emptio- 

1    malum]  alium  A.  2,  eveniat]  conveniat  A.  B. 

3  parentes   parentem  C.  4   extollendum  extollendam  C. 

5   mala  male  A.  G  prudentem  prudentis  C. 

7    ut]  quod  C.  8    übt]  vide  X. 

9]  Coloss.  3,  20.  21.  10)  sit\  sunt  C. 

11)  qui]  quae  C.  Hier  scheint  ratio  =  Logos  genommen  zu  sein. 
12   non  ponit  —  mandatis   d.  h.  zählt  nicht  unter  die  Gebote,  verdient 
nicht  als  Gebot  gerechnet  zu  werden. 
13)  a  deitate   ad  deitatem  C. 

14  Quartum]  De  quarto  jugo  A.  C. 

15  et  ei  servientes  fehlt  in  B.,  während  A.  irrigerweise  eis  statt  ei  hat. 


59S 


Anhang  B.  V. 


nibus  et  venditionibus  est  dainnaiida,  sie  in  conduetionibus  et  aliis  duobus 
sequentibus  in  fideliter  serviente  l, .  Patet 2  ,  quia  tanta  est  ratio  utrobique. 
Unde  quoad  tertium  3)  in  lege  antiqaa  Levitici  19mo  dicitur 4) :  »Xon  mora- 
bitur  opus  mercenarii  tui  aput  te  usque  mane.^  Quamvis  autem  istud  ex- 
ponatur  conmruniter,  quod  post  completionem  laboris  opus  mercenarii  non 
debeat  remanere5  per  tempus  culpabile  tenebrosum,  tarnen  assistente  in- 
digentia  mercenarii  debet  inerces  retribui  in  completione  laboris.  Dens  enim 
exemplar  humanae  justitiae  Semper  gratiose  praevenit  servitorem  et  tri- 
br.it  copiosius  quam  suus  mercenarius  merebatur.  Et  quantum  ad  me- 
lium  6  novit  mundus.  quantum  injuste  multi  mercenarii  sunt  tractati  nunc 
labores  indebitos  ex  diuturnitate  temporis,  ex  qualitate  operis  et  ex  "*]  aliis 
circumstantüs  exigendo.  Ideo  debet  esse  regula  aequitatis  in  talibus 
i  lud  v  Matthaei  7mo:  »Omnia  quaeeunque  vultis  ut  faciant  vobis  homi- 
nes,  et  vos  facite  illis!«  Ista !l  autem  regula  intellecta  debite  est  prin- 
eipium  communicationis  moralis ;  quicunque  enim  juste  voluerit  aliqua- 
liter  sibi  fieri,  debet 10,  similiter  facere  alii  in  casu  simili  u);  et  totum  hoc 
intelligitur  in  hoc  dicto :  »ita  et  vos  facite  illis.«  Debent  autem  l2j  hoini- 
nes  propoitionabiliter  facere  proximis,  ut  fiennt13]  velle  illos  facere  sibi 
ip*is.  Unde  in  isto  prineipio  fundatur  quinta  n)  petitio  orationis  domini- 
•ae.  dum  oratur :  »Dimitte  nobis  debita  nostra.  sicut  et  nos  dimittimus 
debitoribus  nostris ! « 

Ex  parte  autem  mercenarii  contingit  esse  fraudem  multiplicem,  ut 
in  ingressu  locando  operam  servitoris,  in  progres.su  fraudando  a  pleni- 
t  idine  temporis15;,  et  fiualiter  fraudando  in  operis  bonitateJli  .  Contra 
quos  loquitur  apostolus  ad  Colossenses  tertio,  mandans  quod  sint  non 
ad  oculum  servientes  quasi  hominibus  placentes,  sed  in  simplicitate  cor- 
dis  timentes  dominum;  »Quodcunque  ,T).  inquit,  facitis.  ex  animo  opera- 
mini,  sicut  domino  et  non  hominibus.  scientes  quod  a  domino  aeeipietis 
retributionem  haereditatis.  Domino  Christo  senke.  Qoi  eniui  injuriam 
fecit,  reeipiet  id  ls  quod  inique  gessit,  et  non  est  personarum  aeeeptio 
aput  Deum.«  In  quibus  verbiß  manifeste  sequitur  cum  isto  prineipio 
tidei,  quod  omnia  quaeeunque  fidelis  fecerit 19, ,  debet  facere  coram  Deo, 
ac  si  serviret  proprie  ipsi  Deo,  quia  non  servirent 2u)  solum  apparenter 


1  in  ßdeliter  serviente]  in  fideliter   ohne  serviente  A. 

2)  Patet'  secundum  mentem  patet  A. 

'•'>  tertium    die  Auszahlung  des  Lohnes. 

1  dicitur]  fehlt  C. 

•">  remanere   manere  A.  6    medium    das  debite  tractare. 

7  ex  fehlt  C.  6   ittud  juxta  illud  C. 

9)  Ista  illa  A.  B. 

10]  voluerit  —  debet   aliqualiter  voluerit  sibi,  sicut  debet  C. 

11  simi/i   consimili   C.  12)  autem    enim  C. 

Iii  dicunt]  debent  A.  B.  14   quinta   secunda  C. 

15  temporis   operis  C.  16   operis  boniiate]  bonitate  operis  C. 

IT  quodcunque  quaeeunque  C. 

1^  id  fllud  C  . 

Jt*  fecerit   facit  A.  20   aervirent   serviret  B.  C. 


De  sex  juyis 


599 


in  prae^entia  conducentis  et  in  ejus  absentia  fraudantes  ab  opere,  quia 
tunc  servirent ])  in  cordis  duplicitate ,  quod  servitium  non  convenit 
Deo  vero. 

Secundo  sequitur,  quod  servientes  debent  locantibus  fideliter  ser- 
vire  continue'1  .  quia  debent  continue  servire  Deo,  cujus  praesentiam 
iebent  credere  adesse  continue,  et  totam  qualitatem  operis  cum  inten- 
tione  cordiS  clarissime  intueri.  Si  ergo  meicenarius 3)  propter  praesen- 
tiam hominis  serviret4;  fideliter,  quantum  magis  propter  praesentiam 
D>  i  intinitum  majoris  domini  et  totam  qualitatem  operis  verius  cogno- 
>ceiitis !   Non  enim  subest5)  ratio,  nisi  infidelita>  exeusaret. 

Tertio  patet,  quod  ministri  debent^  pensare  laborem  secundum 
rationem  qua  Christo  serviunt ") .  Ista  enim  est  ratio  potissima  maxime 
attt-ndenda ,  quia  si  serviunt  Christo  fideliter ,  quomodocunque  sit  de 
locante,  non  possunt  a  mercede  Christi  deficere.  Et  haec  ratio,  quare 
uiinistrando  infidelibus  vel  quantumcunque  discolis  debent  mercenarii 
rideliter  ministrare ,  quia  secundum  rationem ,  qua  Christo  serviunt, 
uiercedeniv  infallibiliter  ab  ipso  capiuut(J) .  Quanto  magis  nos  sacer- 
dotes.  Christi  servi,  tarn  specialiter  et  comminatorie  ab  ipso  condueti ! 

(c.  5.)  Quintum  10) . 

Circa  n)  quintum  jngum,  quod  est 12)  inter  dominos  seculares  et  suos 
servos  et  tenentes1*  .  hortanda  est  utraque  pars  ad  observantiam  caritatis. 
Domini  enim  debent  tractare  suos  subditos  14)  tanquam  fratres  in  domino, 
et  nichil  facere  servis  suis  nisi  quod  appeterent  15j  sibi  fieri  in  casu  con- 
simili111):  omnia  enim  opera  viantium  debent  fieri  ex  amore.  Unde  ad 
Colossenses  quarto  »Domini,  quod  justum  est  et  aequum  servis  praestate, 
seientes  quod  et  vos  dominum  habetis  in  cölo.«  Unde  postponenda  sunt 
iura  eivilia17)  momentanea  et  infundabilia  in  ista  materia.  Cum  certum 
sit  ex  fide,  quod  domini  non  debent  tractare  servos  1S)  nisi  in  caritate  et 
lefensione  quoad  mundanas  repugnantias  ac  directione  viae  ad  patrhm. 


1)  servirent]  serviret  A. 

2   Entspricht  der  phnitudo  temporis  oben. 

•  i    mercenarius  mercenarii  C. 

4,  serviret  servirent  C. 

5   subest   obest  C. 

t>   debent]  debet  C. 

~    Christo  serviunt)  Christus  servi vit  A.  B. 

v   mercedem]  et  mercedem  B.  C. 

9]  capiunt]  recipiunt  C. 
10   Quintum   De  quinto  jugo  A. 
1 1}  Circa   Sed  C. 
12i  est'  fehlt  B. 

13)  et  suos  servos  et  tetientes   et  servos  suos  tenentes  C. 

14)  suos  subditos  subditos  servos  B. 

15,  appeterent]  deberent  appetere  C.  deberet  appetere  A. 

16]  consimili    simili  A. 

IT  Jura  eivilia  miracula  C. 

IS   servos  servos  suos  C. 


600 


Anhang-  B.  V. 


Unde  ad  Ephesios  6to  l)  »Vos  domini  eadem  facite  servis  vestris  rernit- 
tentes  injurias2),  scientes  quia3)  illorum  et  vester  dominus  est  in  cölis, 
et  personarum  acceptio  non  est  aput  Deum.«  Cum  enim  Deus  librat 1 
et  acceptat  quemcunque  secundum  ejus  virtutem  aut  humilitatem  5  ,  et 
non  secundum  statum  quem  occupat0)  aput  mundum  :  manifestum  est 
quod  servus  humilior  et  virtuosior  de  tanto  acceptior  est  aput  Deum. 
Unde  videtur  multis,  quod  servorum  subjectio  sit  catena7)  superbiae  a 
veritate  sive  8)  virtute  retardans  et  saepe  impediens  dominos  seculares  ; 
debent  enim  providere  servis  suis  de  vitae  necessariis  secundum  con- 
gruentiam  sui  Status. 

Secundo  debent  ipsos  9)  def andere  a  10)  raptoribus  tarn  ecclesiasticis 
quam  secularibus  irrationabiliter  insultantibus.   Et  tertio  debent  eos  11 
in  caritate  tractare  tarn  verbis  quam  opere,  ut  patet  ex  praedicto  morali 
principio. 

Servi  zutem  non  debent  remurmurare  12)  contra  eorum  subjectionem. 
ut  dicit  apostolus  (I.  Corinth.  7):  »Servus  vocatus  es13),  non  sit  tibi 
curae.«  Et  ratio  est,  quia,  ut  patet  ex  utroque  testamento,  ordinatio 
Dei  est,  quod  a  subjectis  in  pönam  peccati  sui  superioribus  domini> 
serviatur.  Et  saepe  est  ille  Status  aptior  quam  seculare  dominium,  ut 
servus  Dei  amplius  mereatur.  Unde  quia  Status  servitutis  hujusmodi  est 
consonus  legi  Dei.  ideo  scribit  apostolus  I.  Timoth.  6to :  »Quicunque 
sunt  sub  jiigo  servi,  omni14)  honore  dominos  suos  dignos  arbitrentur.  in- 
nomen  domini  et  doctrina  blasfemetur.«  Christus  enim  ordinavit  genus 
suum  adjici15]  servituti  per  plurimos  annos,  ut  patet  Gen.  et  Exod.  per 
processum.  Sed  quia  duae  sunt  maneries  dominorum,  scilicet  justae  et 
injustae,  declarat  apostolus,  quod  sicut  nec  servitus  sie  nec  dominium  re- 
pugnat  statui  promerendi,  et  per  consequens  qualescunque  sint 1,1  domini, 
servi  debent  voluntarie  eis  subdi.  »Qui,  inquit  apostolus,  fideles  habent 
dominos,  non  contemnant,  quia  fratres  sunt  et17  dilecti,  qui  benefieii  18 
partieipes  sunt 19  •<  Sententia  ergo  apostoli  est,  quod  servi  fideliter  ser- 
viant  dominis  sive  fidelibus  sive  infidelibus,  quia  principaliter  serviunt  do- 
mino  Jesu  Christo.  Et  bre viter  quia  omnia  talia  possunt  fieri  sine  con- 
sensu  ad  facinus,  debent  mitigando  malitiam  servire  fideliter  utrobique  20  . 

Et  patet,  quam  leviter  et  quam  sinistre  21  loquuntur  qui  hortantur 


1) 

2) 
3) 
5) 
7* 
9; 
M 
13) 
15) 
17) 
1  s! 
I(i 
21 


Ephesios  6to]  Ephesios  dicitur  C 
injurias   misericordias  1^. 
quia  quod  et  C. 
humilitatem   habilitatem  A 
catena]  cathedra  A.  B. 
ipsos]  eos  C. 
eos\  ipsos  C. 
e»  est  A. 
aa]jicil  adduci  C. 
ef\  fehlt  C 

beneßeit    benefieiis  A.  B. 
I.  Timoth.  0,  2. 
sinistre   sine  tempore  C. 


4,  libraf  liberat  C.  erster  Hand 
6)  occupat]  acceptat  C. 
8    a  veritate  sive^  fehlt  C. 
10,  a]  de  B.  C. 

12]  remurmurare'  renunciare  A. 
14)  om?ii}  cum  omni  ('. 
1C>   sint]  sunt  A. 

erster  Hand. 

20   utrobique]  utrique  ('. 


De  sex  juyis 


601 


servos  vel  famulos  rebellare,  eo  quod  domin i  tyraiinice  regunt  eos. 
Nam  secuudum  legem  evangelii  tarn  Christi  quam  sui  apostoli  servi  et 
famuli  debeut  humiliter  servire  ryraunis,  non  sub  ratione  quod  1  tales, 
sed  sub  ratione  quod  serviuut  domiuo  Jesu  Christo.  Et  si  discipuli  dia- 
boli  objiciunt  contra  istam  patientiam  et  colorant2  rebellionem  ac  repug- 
nantiam  per  hoc,  quod  aliter  facinori  consentirent :  item  :  subditi  tales 
habent  ut  sui  domini  potentiam  invasivam.  quare  ergo  non:j;  resisterent 
injuriantibus 4)  ut  .  .  .  .  5 )  et  serpentes?  Item  Deus  movet  propter 
demeritum  inhabitantium  ad  conquestus;  quare  ergo  non  moveret1' 
subditos.  ut  contra  deprimentes  ipsos  recalcitrarent -)  Hoc  ergo  ex  in- 
stinctu  naturali  habet  quilibet .  ut ,  sicut  appetit  vivere ,  sie  appetat 
libertatem. 

Sed  hie  dicitur  scolae"/  diaboli,  quod  omnis  instruetus  in  lege  et 
gratia  domini  Jesu  Christi  debet  iu  talibus  injuriis  non  rebellare  sed 
pati  humiliter.  Cujus  ratio  est,  quia  propositis  duabus  contrariis  viis. 
quarum  una  est  difficilis  atque  ambigua  quoad  mores ,  et  alia  facilis 
atque  certa  s  ,  lex  gratiae  est  quod  prior  dimittatur  et  altera  eligatur. 
Lex  ergo  humiliter  patiendi  injurias  est  facilis  atque  certa ;  et  lex  in- 
vadendi  atque  9j  resistendi  difficilis  atque  ambigua.  Ideo  scola  foret 
diaboli,  priorem  relinquere  et  istam  ambiguam  aeeeptare.  Et  hinc  Christus 
eam10  doeuit  tarn  opere  quam  sermone.  Nam  gratis  passus  est  mortem 
durissimam  n; .  et  doeuit  apostolus  istam  scolam  :  »In  patientia.  inquit. 
vestra  possidebitis  auimas  vestras  12) .«  Qui  ergo  hortatur  ad  rebellionem 
hujusmodi,  indicat  se  esse  expertem  sapientiae  scripturarum .  Sed  hoc 
dicendum  est13)  dominis  secularibus  et  civilibus  christiauis  14  .  quod  non 
consentiant  facinori  sacerdotum  rebellantium  legi  Christi,  hoc  est  enim 
inseparabiliter  malum  sicut  consensus  ad  istud.  Ideo  cum  subtractio 
juvaminis  non  sit  actio  sed  actionis  dimissio  15  ,  ad  ipsam  sunt  Christian: 
singuli  instruendi.  Et  haec  ratio ,  quare  sacerdotum  eleemosinaria 
ministratio  debet  esse  libera  non  coacta. 

Ad  primam  instantiam  1,1   dicitur  negando  prima m  consequentiam. 


1)  quod    quä  C. 

2)  colorant)  colorent  ß.,  colarent  C. 

3  quare  ergo  non    non  ergo  A. 

4  injuriantibus    fehlt  B. 

5)  Hier  stehen  in  allen  Handschriften  zwei  Worte  abgekürzt,  welche 
zu  entziffern  mir  bisher  nicht  gelungen  ist. 

6  moreret   movet  A.  C. 

7)  scolae]  i.  e.  scholae :  discole  B.,  Scolari  dyaboli  C. 

8]  certa]  certa  via  A. 

0)  atque]  vel  C. 

lü)  eam]  ipsam  B.  C. 

11,  durissimam   gravissimam  C. 

12  Luc.  21.  19. 

13)  est]  fehlt  C. 

14)  civilibus  christiauis   cuilibet  christiano  B.  C. 
1 5  di)))is$io    divisio  B. 

lti^  nämlich:  quod  aliter  facinori  consentirent,  oben. 


602 


Anhang  B.  V. 


quia  nullus  ex  invasione  est  certus  nt  resistat  facinori,  ^ed  potius  ex 
sibi  dubio  augebit  ^  facinus  tarn  ex2j  parte  propria  quam  invasi3  . 

Quoad  secundam  dicitur,  quod  subditi,  licet  habuerint  taleui  poten- 
tiam,  mediante  qua  possent  sie  in  christianos  irruere,  tarnen  quia  ilia 
potentia  ex  primo  crimine  est  infecta,  ideo  dimissa  inclinatione  sua  est, 
secundum  legem  gratiae,  patientiae  insistendum.  Nee  excuso  seculares 
dominos  in  istis  invasionibus  vel  conquestu,  sed  Deo  approprio  propter 
excellentiam  sui  capitalis  dominii  activam 4  ;  nec  est  michi  evidentia 
capta  de  stimulo  Serpentine-. 

Quoad  tertium  articulum  5)  dicitur,  quod  habentes  ad  hoc  revelatio- 
nem  possunt  libere  rebellare,  sed  debent  temptare  Spiritus,  si  ex  Deo 
sunt'5)  ;  imo  conceditur,  quod  Deus  dat  peccantibus  et  rebellantibns 
naturalem  potentiam  et  instinetum  ad  quodlibet  criminis  positum ") .  sed 
a  rege  superbiae  habent  complexionem 8 j  defectus  in  moribus.  Conce- 
ditur ergo,  quod  omnis  homo  appetit  naturaliter  libertatem,  sed  specia- 
liter  a  peccato.  Sed  quia  ad  illam  libertatem  est  patientia  via  securior, 
et  invasio  abducit  commuuiter,  ideo  debet  illa  dimitti  et  lex  patientiae 
aeeipi  propter  appetitus  vehementiam  libertatis.  Nec  sequitur,  quod 
corporales9)  doraini  super  suos  subditos  tyrannisent,  quod  propter  lioe 
eädem  mensurä  debeatJU  remitiri,  quia  scola  Christi  est !1) ,  propter 
malum  bonum  J2j  retribuere. 

(c.  6.)  Sextum13). 

Sextum  jugum.  quod  est  amor  inter  proximos,  est14;  paululum  per- 
tractandum.  Quamvis  autem  apostolus  I.  Corinth.  13,n0  narrat  condi- 
tiones  sexdeeim  caritatis,  ex  quibus  juxtapositis  ,5;  conversationi  nostrae 
Caritas  nostra  extinguitur,  hypoeritice  fingimus,  quod  observamus  cari- 
tatem,  quae  sufficiat16j  ad  salutem.  Qi  is  enim  est  sufficienter  »patiens« 
injurias  atque  molestias?  quis  secundo  »benigne«  dolet l7)  alienas  injurias, 


1)  augebit\  augebat  A. 

2)  ex)  in  C. 

:i  invasi)  ex  parte  invasi  A. 

4)  activam)  actionem  A.  B. 

5;  nämlich,  es  sei  den  Unterdrückten  von  Gott  eingegeben  Widerstand 
/u  leisten,  s.  oben. 

6]  vgl.  I.  Joh.  4,  1. 

7)  positum   alle  Handschriften.    Vielleicht  ist  propositnm  zu  lesen. 

8  complexionem    complecionem  B.  C. 

9]  corporate]  temporales  B.  C. 

10)  debeat]  debeant  C. 

1 1 )  est]  docet  C. 

12  bonum]  fehlt  C.  Vgl.  Köm.  12,  I<»  ff. 

13)  Sextum)  De  sexto  et  ultimo  jugo  A. 

14)  est)  et  A.  B. 

I  •")  juxtapositis   d.  h.  bei  Seite  gesetzt  ? 

16]  mfüciat)  sufficit  C. 

IT;  dolet   fehlt  A.  B. 


De  sex  jugis. 


ita  ut  vere  tlicere  possit l)  cum  apostolo  2)  :  »quis  infirmatur,  et  ego  non 
infirmor.3)?«  quin  potius  gaudet4)  de  molestiis  proximorum?  Quis  tertio 
non  invidet«  sectae  5)  procuraus  et  sectis  sibi  contrariis  improperans  ac 
de  contentione (i)  sectae  Christi  propter  superbiam  iudubie  dedignatur? 
falsum  quidem  est,  quod  Caritas  talium  »non  einuletur«.  Quis  quarto 
non  declinat  a  mandatis  Christi  atque  consiliis,  »agendo  p  erper  am?« 
Quis  quinto  ex  bonorum  fortunae  copia  vel  bono  naturali,  aut  dato  vel 
licto  bono  gratiae  wem  inßatur«  tangere  7)  montes  ad  habendum  experi- 
entiam,  et  fumigabunt 8) ?  Sexto  cujus  viantis  caritatis  capacitas  »non 
est  ambitiosa?«  judicet  autem  super  isto  propria  conscientia ,  si  quis 
honores  mundanos,  famam  seculi  vel  temporalia  non  affectat,  quod  si 
deformatur  in  istis  primae  regulae,  quis  dubitat,  quin  tunc  declinet  ab 
observantia  caritatis?  Septimo  Caritas  »non  quaerit  esse  proprietaria « ; 
sed  ut  obmittam  ,J)  cupiditatem  secularium,  cujus  clerici  Caritas  non  extin- 
guitur  hoc  peccato?  nam  possessio?iati  plus  laborant  pro  proprietate  quam 
beatitudine.  mendicantes  vel  exproprietarii  laborant  pro  multiplici  pro- 
prietate damnabili,  ut  quod  illorum  10)  religio  vel  quod  illis  est  proprium 
extollatur,  quod  suae  proprietati  temporal ium  copia  adquiratur,  et  quod 
illis  cederet  ad  honorem  proprium  1 ') ,  licet  honorem  Dei  suppeditet,  in 
populo  efFeratur.  Et  idem  est  judicium  de  rectoribus,  de  vicariis  et 12]  de 
quocunque  genere  viatorum.  Quis  enim  affectat,  ut  cuneta  fiant  com- 
munia,  sicut  in  statu  innocentiae  et  statu  apostolico  a  Christo  fuerat 
ordinatum?  Quis  octavo  pro  dicta  sibi  sententia  veridica  de13)  talibus 
vitiis  »non«  contra  dicentem  licet  benevole  mrritaturdl  Tangat  hortator 
in  quantacunque  caritate  voluerit ,  et  videbit  quod  14}  cunetum  genus 
viantium,  etiam  fratres,  succumbent  in  ista  macula  caritatis.  Nono 
Caritas  »non  cogitat«,  quomodo  »malunw  pönae  vel  culpae  sit  proximo 
irrationabiliter  15)  inferendum.  Sed  quis,  licet  extiuxerit 16)  alias  caritatis 
maculas,  in  isto  senserit  se  immunem?  Omnes  enim  cogitamus  superflue, 
quomodo  vindicta  caperetur  de  hostibus  Christi  atque  ecclesiae ,  et  po- 
tius cogitamus  imprecando  17)  istam  vindictam  quam  alia  media  miseri- 
cordiae,  quae  sie  injuriantibus  cederent  ad  salutem.  Decimo  »Caritas 
non  gaudet  super  iniquitate«,  qualiter  faciunt  maligni  more  diaboli,  qui 
delectantur  de  vindicta  capienda  de18)  proximo  et  lyj  denigratione  famae 
personae,  cui  invident ;  gaudenter  audiunt  peccata  proximi  et  gauden- 


1)  possit}  posset  A.  2)  apostolo]  Paulo  C. 

3;  vgl.  II.  Cor.  11,  29.  4)  gaudet]  congaudet  C. 

5   sectae]  sectas  C.  6)  contentione1  contentatione  C. 

7]  tangere]  tange  A.  C.  8)  vgl.  Ps.  104,  '62. 

9    obmittam]  amittam  C,  dimittam  A. 
U)>  illorum]  eorum  A. 

11;  proprium]  propitium  A.         12)  et]  fehlt  C. 
13   de]  pro  B.  14)  quod]  fehlt  A. 

15j  irrationabiliter]  nostro  A. 

16)  extinxerit]  extraxerit  vel  extinxerit  A. 

17)  imprecando"^  in  praedicando  A. 

18)  de]  in  B.  C.  19)  et]  de  A.  B. 


tf04  Anhang  B.  V 

tius  publieant  maluni  suiim  inendaciter  dilatando.  Undeciino  earitate  for- 
niatus  congaudet  rectitudini  j  u  s  t  i  t  i  a  e  proximorum .  ut  quam  audit 
zelare  queineunque  pro  jnstitia  sine  personarum  acceptione.  hoc  appro- 
bat  et  de  hoc  gaudet.  Sed  suscitata  ista  eonditione  caritatis  diffamatio  1 
et  detraetio  deliterent.  Duodecinio  Caritas  omnia  genera  tarn  bonorum 
quam  malorum  s  u  f  f  e  r  t  =  cum  gaudio  moderato.  Xumquid  eredimus  ini- 
petuosos2  ista  proprietate  indui  earitatis*  Tredeeimo  Caritas  movet 
tarn  de  bonis  quam  de  malis,  ut  »eredat«3  omnes  fidei  veritates.  Sed 
illi  qui  volunt  credere  eis  placens  et  favorabile.  atque  discredere  eis  dis- 
plieeus.  licet  sit  verltas  ac  Dei  ordinatio.  ex  ista  caritatis  deficientia 
^unt  culpandi.  Quartodecimo  Caritas  ?$jxrat  tarn  de  beatis  gaudium 
quam  damnatis :  non  enim  cadit  in  istam  haeresin ,  quod  singuli  sint 
salvandi.  sed  de  unoquoque.  sive  praedestinato  sive  praeseito.  sperat 
gaudiuni.  cum  non  sit  conscienria  quod  damnerur4  ,  et  certa  sit.  quo3 
timentibas  Deum  omnia  cooperantur  in  bonum  .  Quintodeeimo  Cari- 
tas tomnia  srntmet  tarn  j uste  illata  a  domino  quam  injuste  illata  a  pro- 
ximo.  Sed  nunquam  eredimus  Ulos.  qui  tantum  zelant  pro  vindictis  pro- 
priis.  esse  in  isto  capitata:  cujusmodi  snnt  qui  contendunt  pro  suis 
supra  limites  rationis.  qui  pugnant  cum  regnis  exteris  pro  jnstitia.  quam 
somniant*  non  cognoseunt.  vel  qni  rebellant  contra  suos  dominos  etiam 
propter  injurias  quas  eis  infenmt.  et  regulariter  qui  sie  pugnant.  Et 
ne  videanir  istam  conditionem  cum  dnodeeima  eonditione  incidere. 
notandum  est.  quod  pertecti  in  earitate7  susrinent  omnia  ista  in  oper<r 
et  sermone.  non  solnm  quoad  suas  injurias  sed  omnia  quae  illata  fnerint 
cuicunque.  scientes  quod  Justus s  cuneta  respieiens  fach  et  patitur  sin- 
gula  hujusmodi  pro  justitiae  complemento :  ideo  caritativus  manet  in 
talibus  inturbatus 1  .  Sedecimo  Caritas  *mmqvam  excidih  10  .  quia  si 
respeetu  enjusquam  excideret.  potissime  hoc  foret  propter  injuriam 
inimici.  sed  omnem  talem  injuriam  snstinet  patienter.  ut  patet  ex  eon- 
ditione proxima. 

Ex  quibus  convineitur.  quomodo  dicentes  se  servare  earitatem 
generaliter  mentiuntur.  Et  patet.  quam  vera  est  illa  generalis  sententia. 
quod  Caritas  se  non  compatitur  cum  mortali 11  .  Imo  quantnmeunque  quis 
seiverit  de  se  ipso,  ignorat  earitatem  suam  ex  eonditione  hac  ultima,  nisi 
forte  fuerit  sibi  revelatum.  Et  ut  breviter  dicam.  non  video  quomodo 
qnicunque  12  in  earitate  persisteret.  qui  propter  amorem  ad  quemeunque 


1    difamatio   defamario  A    B  2   impetuosos  imperuosus  B. 

-"•   credaf  credantur  B.  C.  4    damnetur\  dampnei  C. 

Vgl   Koni.  S.  »i   somniaut  soniniantes  A 

7    i'w  earitate  fehlt  C 

>  Justus  Deus  justus  alle]  Handschriften     Allein  Deu*  pas^t  in  den 
Zusammenhang  offenbar  nicht:  es  wird  nur  zwischen  Justus  und  earitatirn- 
unterschieden,  aber  beidemal  ist  nur  von  Menschen  die  Rede. 
9    tHtnrbatui  turbatus  A  16   exeidit   excidet  C 

11)  mortali  seil  peecato  :  d.  h.  dass  Liebe  sich  nicht  verträgt  nrl:  einer 
Todsünde. 

12    quomod»  quieunque]  quomodocunque  A 


De  sex  jugis. 


605 


proximum  martirio  se  noo  daret ;  omnis  enim  talis  non  plus  diligit 
proximum  carne  sua ,  et  per  consequens  pervertitnr  sinistre  1  regula 
caritatis.  Et  patet  quod  ex  vita  et  operibus  melius  judicandum  est  de 
caritate  proximi  quam  de  verbis  propriis,  quantumcunque  solemniter 
confitetur.  Et  patet  tarn  de  clericia  quam  de2)  laicis,  quomodo  eorum 
Caritas  hodie  refrigescit 3) .  Si  enim  faabent  talem  habitum,  tum  incli- 
nant4  ad  actus  proprios  caritatis.  Istae  autem  regulae  praedicandae 
sunt  instanter  populo,  ut  cognoscant,  si  ipsi  vel  clerici  plene  servaverint 
caritatem.  Nec  dubito  quin 5  discrasia  introducta  per  sectas  novellas 
ab  observantia  legis  Christi  huic  observationi  sexdecuplae  sit  repugnans. 
Et  cum  omne  sonans  contra  caritatem  tanquam  haereticum  sit  damnan- 
dum,  patet  cum  quanta  diligentia  exequeretur  ecclesia  contra  hujusmodi 
novitates fi) . 

VI. 

Ein  Abschnitt  aus  Wiclif's  Buch  De  Veritate  sacrae 
Scripturae  c.  14. 

Wiener  Handschrift  Nr.  1294.  fol.  40.  Col.  3  —  fol.  44.  Col.  2.         f.  40.  Col.  3. 

Sic  enim  7  salutatus  sum  nuper  a  quodam  doctore,  quem  credidi 
amicum  meum  specialem  et  defensorem  praecipuum  catholicae  veritatis. 
Et  licet  patienter  sufferam  personales  injuria^  secundum  regulam  scrip- 
turae, tarnen  necesse  est  mihi  ob  honorem  Dei  et  profectum  ecclesiae,  ut 
tollam  ab  ea  scandalum,  quod  darem  ex  taciturnitate  culpabili,  respon- 
dere  ad  argumenta,  quibus  apparet  multis  doctorem  docere  me  et  omnes 
fautores  meos  esse  haereticos  et  regni  subdolos  proditores.  Hoc  enim 
debeo  facere  secundum  legem  Christi  humiliter  patientis  et  diligentis, 
cum  Christus  et  sui  apostoli  sie  fecerunt  (Joh.  8,  49),  et  Christus  sub- 
ditus  erat  dominis  secularibus  ut  —  Caesari  (Matth.  22,  21). 

I.   Imponitur  autem  mihi  primo,   quod  tanquam  periculosissimus  I. 
inimicus  ecclesiae  sum  Doctor  fallaciarum,  eo  quod  ex  confessione  mea 
propria  frequenter  aequivoco  et  instar  Christi  sum  Doctor  aequivocorum. 
aequivocatorum,  —  aequivocantium.  — 

Dies  wird  sofort  auf  formal  logischem  Wege  widerlegt.  — 


1)  pervertäur  sinistre]  in  ipso  sinistre  pervertitur  B.,  pervertitnr  sinistre 
in  ipsa  A. 

2]  de   fehlt  C. 

3)  vgl.  Matth.  24,  12. 

4    inclinanf  inclinat  C. 

5)  quin]  quando  A. 

6)  novitates  novitates.  Amen.  B.  Worauf  noch  die  tschechischen  Worte 
folgen:  Taksem  chtyel.  Während  in  der  Handschrift  A.  steht:  Explicit 
tractatus  de  sex  Jugis. 

7)  Unmittelbar  vorher  ist  von  lügnerischen  Verdächtigungen  die  Rede. 


(306 


Anhang  B.  VI. 


Ii,  II.  Secundo  fit  tnpliciter  argumentum  opprobriosum  ad  probandum. 
quod  sum  haereticus:  cujus  argumenti  recitntionem  et  solutionem,  si 
non  esset  scolae  seductio  et  famae  insontium  declaratio  [sie]  mallem  sub 
silentio  praeterire. 

a.  A .  ßeportatum  est  autem  mihi  a  tribus  personis  gravibus  auditorii 
satis  sagacis,  scilicet  magistris  artium.  religiosis  possessionatis  et  simili- 
bus,  quod  doctor  ille  assumit,  me  inniti  sensui  verhall  scripturae  sacrae. 
ratione  cujus  in  errores  plurimos  sum  prolapsus  ;  ut  inter  multa  exempli- 
ficat,  quomodo  ex  illo  textu  apostoli  1 .  Cor.  II.  :  »spiritualis  homo  judi- 

io.  Coi.  4.cat  omnia«,  reputando  me  sie  spiritualem,  nullius  judicio  nisi  judicio 
divino  et  proprio  me  submittere :  hoc  autem  est  maximum  Signum 
haeretici :  si  enim  haereticus  neminem  in  terris  habeat ,  qui  cum  a 
suo  errore  compesceret,  a  quo  de  jure  judicari  possit,  quid  restat 
amplius,  nisi  ut  libere  et  sine  freno  suas  haereses  dogmatizet,  cujus 
libertatis  acquisitionem  omnis  haereticus  summe  desiderat  ?  Sic  enim  ille 
haereticus  Occain1)  et  sui  sequaces  suos  errores  asseruit,  sed  stare 
judicio  summi  pontificis  vel  ecclesiae  romanae  tanquam  venenum  effu- 
gerat,  ne  videlicet,  eorum  doctrina  igne  examinationis  probata,  veritas 
in  gazophilacium  Domini  reponatur  ,  et  sententiam  dampnationis  reci- 
peret  doctrina  erroris.  Eodem  modo  per  omnia  iste  Doctor2)  Judicium 
summi  pontificis  et  romanae  ecclesiae  subterfugit,  ut  liberius  suos  erro- 
res. ymo  ut  verius  dicam  haereses,  possit  astruere.  Vidi  enim  protesta- 
tionem  suam3),  quam  misit  Domino  summo  pontifici,  in  qua  fatetur  se 
velle  stare  judicio  Dei  et  ejus  universalis  ecclesiae,  sibi  tarnen  cavendo 
diligentius,  ne  judicio  ecclesiae  romanae  vel  judicio  summi  pontificis  sit 
subjectus ;  quae  protestatio  videtur  mihi  valde  suspecta  eo  quod,  si  ejus 
conclusiones  catholicas  et  pro  utilitate  ecclesiae  reputaret,  subjiceret  se 
summo  domino  pontifici ,  nec  ecclesiae  romanae  eas  tradere  formidaret. 
ut  ipsi  examinarent,  si  dictae  conclusiones  teneri  debeant  vel  damnari. 

ad  ii.  a.         II.  A.  Istud  longum  argumentum  includit  venenum  sextuplex. 

Primo  enim  fundatur  super  mendacio.  Concessi  quidem,  quod 
»spiritualis  homo  judicat  omnia« ;  sed  non  est  hueusque  auditum ,  quod 
judieavi  me  esse  de  numero  illorum  spiritualium  ;  tarnen  recognosco  et 
recognovi  saepius,  me  esse  miserum  accidum4),  mole  mundialium 
praegravatum. 

Seeundum  mendacium  est,  quod  nolo  stare  judicio  alicujus  nisi 
judicio  Dei  et  proprio  ;  quia,  ut  patet  in  protestatione,  »submitto  me  judi- 
cio sanetae  matris  ecclesiae«  5) ;  et  iste  modus  loquendi  est  scripturae  s. 
conformior,  generalior  et  humilior,  quam  dicere,  quod  homo  submittit 


1)  Occam]  Hocham,  MS. 

2)  iste  Doctor]  nämlich  Wiclif  selbst. 

3)  Protestatio]  bei  Lewis,  Life  of  John  Wiclif,  Anhang  Nr.  4l>, 
S.  392  ff.  mit  den  Anfangsworten  :  Protestor  publice,  at  saepe  alias  u.  s.  w< 

4)  accidum]  Vermnthnng;  die  Handschrift  hat  aeeivum  oder  atticum. 
Arcidus,  von  accidia  {«xnihia)  abgeleitet,  s.  v.  a.  traege,  gleichgültig. 

5)  s.  Levis,  Wiclif,  382,  im  Eingang. 


Wiclifs  Antwort  auf  persönliche  Verdächtigung. 


GUT 


ee  romanae  scclesiae,  licet  hoc  implicet.  Volo  eniin,  sicut  debeo  ex  fide 
seripturae,  esse  siibjectus  omni  homini  propter  Christum  f]  . 

Tertw  implicat,  omnem  papam  haereticum  fuisse  summe  haereti- 
cum,  eo  quod  multi  fuerunt  papae  dampnati  haeretica  pravitate,  et,  ur 
Doctor  asserit,  nemo  debet  in  causa  papae  cognoscere  nisi  soluin  Dens 
et  ipse,  quae  foret  conditio  summi  haeretici. 

Qttarto  assumit2).  quod  Venerabiiis  Ineeptor  Occam3,  fuit  haereti- 
cus.  quod  nec  seit  probare  nec 4  sibi  consonat,  cum  in  Iiis,  quibus  maxi- 
me  videretur  a  fide  devius,  Doctor  iste  v  fuit  et  est  excellens  et  prae- 
eipnus.  Ubi  enim  Occam  ponit.  quod  nihil  est  nisi  substantia  vel  quali- 
tas,  iste  Dr.  ponit,  quod  nihil  est  nisi  substantia, .  et  illam  vocat  rem 
per  se  signabilem,  sicut  didicit  ex  Occam,  ex  Doctore  de  Aureolis''  . 
et  illis  fratribus  quos  nunc  odit. 

Quinta  committitur  mendacium  in  hoc,  quod  imponendo  mihi  haere- 
ses  dicit.  quod  subterfugi  Judicium  summi  pontificis  et  romanae  eccle- 
siae, cujus  judicio  »humiliter  me  submitto« ") ,  cum  etiam  quia  ecclesia 
universalis  mater  nostra ,  cujus  filiationem  humiliter  recognosco ,  est 
romana  ecclesia,  sicut  patet  ex  jure  canonico  et  conformitate  sj  eccle- 
siae.  et  patet  respicienti  protestationem  meam,  quod  nimis  sinistre  con- 
clusum  est,  quod  soli  judicio  Dei  et  meo  proprio  me  submitto,  cum  ex 
protestatione  formaliter  sequatur  oppositum. 

Sc.vto  committitur <J)  conditionalis  impossibilis,  cum  sie  concluditur: 
»si  reputarem  couelusiones  meas  esse  catholicas  et  ecclesiae  Dei  utiles. 
nOB  dubitarem  dare  eas  summo  pontifici  nec  tradere  eas  examinandas 
romanae  ecclesiae.  Kam  posset  esse,  quod  dominus  papa  foret  ignarus 
legis  scripturae,  et  quod  ecclesia  anglicana  foret  longe  praestantior  in 
judicio  veritatis  catholicae,  quam  tota  ista  romana  ecclesia  collecta  de 
istis  papa  10)  et  cardinalibus.  Imo  ex  facto  meo  colligitur,  quod  non  sum 
suspectus  de  formidine  istarum  conclusionum,  cum  transmisi  illas  per 
magnam  partem  Angliae  et  Christianismi ,  et  sie  nj  usque  ad  curiam 
r oman am,  salte  mediale,  examinandas.    Imo  cum  dictus  Doctor  viderit 


1)  nach  Eph.  ö,  21. 

2)  Die  Worte  assumit  —  nisi  substantia  hat  Shirley,  Inirod.  zu 
Fasetculi  zizaniorum  IS5S.  S.  LIII.  Anm.  nach  einer  Handschrift  der 
Bodley  schen  Bibliothek  gegeben. 

3)  Occam]  Wiener  HS.:  die  Bodl.  HS.  hat  hier  Roitham. 

4)  nec  seit  probare  nec)  nescit  probare.  Kec  Shirley. 

•">   Doctor  iste]  der  Gegner,  Avelchem  Wiclif  antwortet. 
<>;  Doctor  de  Aureolis]  Petrus  von  Verberia,  genannt  Aureolus,  7  frühe- 
stens 1345.    Vgl.  Prantl,  Gesch.  der  Logik  im  Abendlande,  III,  31Q. 

7)  humiliter  me  submitto]  aus  der  »Protestatio«  s.  Lewis  3^2. 

8)  conformitate]  Vermuthung.    Die  Handschrift  hat  confre. 

9)  Auch  diese  Stelle  von  committitur  bis  lingua  duplici  hat  Shirley 
a.  a.  O.  p.  XXXIII.  folg.  Anm.  2  aus  der  Bodley  schen  Handschrift  ab- 
drucken lassen. 

10)  papa]  nach  Shirley,  die  Wiener  HS.  hat  papis. 
11    et  sie]  etiam  Shirley. 


608 


Anhang  B.  VI. 


protestationem,  et  illi 1  patebit  per  Dei  gratiam,  quod  non  timebo2,  re- 
spondere  sibi  et  omnibus  suis  complicibus,  vel  in  facie  vel  in  scolis, 
quod  posset  manudueere  etiam  inimicos,  quod  nec  3j  sum  conscius  mihi 
ipsi  de  conclusionibus  praedietis,  cum  volo  non  solum  illas  examinari 
per  romanam  curiam  sed  per  totam  ecciesiam  militantem  et  triumphan- 
tem,  quae  est  »sancta  mater  ecclesia«,  cui  »humiliter  me  submisi«,  a  qua 
absit  me  excludere  romanam  ecciesiam,  cum  credo  illam  esse  caput 
aliarum  ecclesiarum  militantium.  Unde  quia  volui  materiam  communi- 
catam,  collegi  et  communicavi  33  conclusiones  illius  materiae  in  lingua 
cluplici. 

■  i  b.  IL  B.  Sccundo  arguit  Doctor  forma  consimili :  De  communi,  in- 
quit,  eonsuetudine  haereticorum  Semper  fuit,  spreto  ecclesiae  judicio 
ad  dominorum  secularium  praesidium  convolare,  ut  errores  suos,  quos 
non  valebant  ratione  defendere,  saltem  brachio  seculari  et  manu  valida 
siipportarent ,  inferendo  viris  ecelesiasticis  et  verae  obedientiae  filiis 
molestias  corporales  atque  diversas  injurias,  sicut  patet4)  respicienti 
cronicas  et  gesta  antiquorum  haereticorum ;  invenietis  enim,  quod  Sem- 
per haeretici  infestabant  fideles.  Unde  et  ille  maledictus  haereticus 
Occara,  cujus  in  persecutione  ecclesiae  videor  esse  sequax,  pro  defen- 
sione  sui  erroris  adhaesit  imperatori  Bavaro5)  qui  ad  tempus  suas 
haereses  supportavit.  Sic,  inquit,  ego  pro  defensione  conclusionum 
mearum  non  dubium  haereticarum  Iiis  diebus  brachio  seculari  adhaereo, 

i.  coi.  2.ut  saltem  gladio  et  illatis  injuriis  contra  adversantes  queam  defendere; 

quales  etiam  injurias  atque  molestias  per  dominos  seculares  ego  in- 
tulerim  membris  ecclesiae,  ipse  in  persona  sua  in  parte,  ut  asserit,  est 
expertus.  Sed  licet,  inquit,  ad  tempus  regnet,  ego  tarnen  non  timeo, 
nisi  de  quibusdam  conclusionibus  voluerit  emendari,  finaliter  judicabitur 
inimicus  crucis  Christi  atque  ecclesiae. 

Sed  ista  ratio  videtur  mihi  in  multis  deficere.    Primo  in  fallacia 

ii.  b.  i.  consequentis :  haeretici  solent  inniti  dominis  secularibus,  ut  patet  de 

Arrianis :  et  ego  sie  facio ;  ergo  ego  et  socii  mei  sumus  haeretici, 

Constat  Doctori,  quod  non  valet  argutia,  quia  tunc  Christus  et 
sanetus  apostolus  ex  defensione  veritatis  scripturae  forent  haeretici. 
Christas  enim  spretis  sacerdotibus,  scribis  et  pharisaeis  adhaesit  dominis 
secularibus,  ex  quorum,;J  suffragiis  voluit  se  et  suos  diseipulos  relevari. 
Sic  enim  voluit  inopiam  sui  et  parentum  suorum  in  sua  nativitate  per 
tres  magos  orientales,  quos  scriptura  vocat  reges  Tharsis  et  insulae 7) , 
relevari,  ut  patet  Matfhaei  2°.  Sic  in  media  aetate  sua  suseepit  elemosi- 


1)  et  Uli]  nach  Shirley;  Wiener  HS.:  et  illas  seil,  conclusiones) 
patebit  etc. 

2)  timebo  Shirley:  timeo. 
nee   non  Shirley. 

1  patet]  Vermuthung;  potest  HS. 

">    Bavaro]  Kaiser  Ludwig  von  Bayern. 

6)  (juornm   Vermuthung;  quibus  HS. 

7)  vgl.  Ps.  72,  lU  folg.  Jesa.  60,  9  folg. 


Wielif  gegen  persönliche  Verdächtigungen. 


609 


nas  de  devotis  mulieribus  et  aliia  secularibus,  comedendo  cum  publica- 
nis  et  aliis  secularibus,  ut  patet  de  Lazaro  et  Zachaeo.  Et  tertio  in 
morte  sua  vohiit  impensis  et  ministerio  secularium  sepeliri .  ut  patet  de 
.Joseph  ab  Arimathia,  qui  fuit  nobilis  deeurio.  Quod  autem  comedit  cum 
sacerdotibus  vel  suscepit  ab  eis  elemosinas,  non  recolo.  A  pharisaeis 
autem,  quorum  religio  fuit  laudabilis,  sicut  et  ipsi  cum  militibus  ex  doc- 
trina  Christi  erant  conversi,  suscepit  elemosinas  corporales  et  spiritua- 
les,  ut  patet  de  Nichodemo  et  centurione.  Non  ergo  sequitur  :  adhaesit 
dominus  secularibus,  et  movit  eos  ad  spolianduin  sacerdotes,  ut  patet  de 
Vespasiano  et  Tyto  principibus.  quos  quadragesimo  secundo  anno  post 
ascensionem  fecit  ire  Jerusalem  ad  destruendum  illos  sacerdotes  ;  ergo 
fuit  haereticus. 

Conformiter  dicitur  de  apostolo,  qui  spreta  submissione  s*ummi  pon- 
tificis  appellavit  Caesarem,  non  beatum  Petrum  papam,  licet  causa  sua 
tuerit  fidei,  ut  patet  Actorum  25°;  non  tarnen  ex  hinc  sequitur,  quod 
fuit  tunc  haereticus,  sed  perfectus  Christianus.  Et  idem  patet  de  Jere- 
mias qui  fuit  sinistre  accusatus  a  sacerdotibus  et  prophetis  reputantibus 
ex  conditionali  prophetae  sententiam  de  inesse  *) ;  sed  principes  seculares, 
quibus  Jeremias  adhaeserat,  eum  liberarunt,  ut  patet  Jeremiae  2(5°.  38°. 
42°.  et  4  3°.  capitulo.  Imo  de  Nabuchodonosor  pagauo  habuerat  Jere- 
mias et  Daniel  plus  amicabilitatis  quam  de  perversis  sacerdotibus  sui 
generis,  ut  patet  Jeremiae  40  et  Daniel ;  a  sacerdotibus  autem  et  pseu- 
doprophetis  fuerant  persecuti,  ut  patet  Jeremiae  20,  et  ideo  locuti  sunt 
eis  aspere  instar  Christi  -  . 

Cum  ergo  multi  haeretici  adhaeserunt  brachio  seculari,  ut  dicitur 
in  libris  apocrifis  3) ,  multi  autem  catholici  adhaeserunt  brachio  seculari, 
ut  dicitur  in  scriptura  sacra,  quae  non  potest  esse  falsa,  oporteret  de-f.4i.Coi. 
scendere  specificando  modum  adhaerendi  brachio  seculari,  ex  quo  cogno- 
scitur  hominem  esse  haereticum,  et  non  turpiter  arguere  ex  fallacia  con- 
sequentis  a  communi 4)  usque  ad  suum  particulare  :  »Isti  haeretici  ad- 
liaeserunt  brachio  seculari  pro  defensione  suae  opinionis;  et  tu  adhaeres 
bracbio  seculari  pro  defensione  tuae  opinionis  ;  ergo  tu  es  haereticus. « 
Unde  ad  discernendum  ista  est  mihi  pro  regula :  si  quis  adhaeret  brachio 
seculari  pure  pro  defensione  veritatis  scripturae,  tunc  ipse  est  catliolicus  ; 
et  si  adhaeret  brachio  seculari  vel  sacerdotali  pro  defensione  falsitatis 
suae,  scripturae  s.  contrariae.  tunc  ipse  est  haereticus.  quia  adversarius 
legis . 

Sed  hucusque  nec  Doctor  iste  nec  alii  priores ,  qui  multiplicarunt 
contra  me 5  argumenta,  potueruut  convincere ,  quod  aliqua  conclusi- 
onum,  quas  impugnant,  sit  scripturae  sacrae  contraria:  sed  ex  inven- 

1  de  inesse]  Die  Abkürzungszeichen  der  HS.  sind  mir  nicht  klar. 

2  instar  Christi  d.  h.  wie  die  Priester  gegen  Christum  feindselig  ge- 
sprochen haben. 

3  apoerijis]  HS.  :  apocrisis. 

4  a  communi]  Vermuthung;  HS.:  ad  communi: 

5  Hier  kommt  nun  Wiclif  direkt  auf  sich  selbst  zu  reden. 


Lechle r  ,  Wiclif.  II. 


39 


610 


Anhang  B.  VI. 


tione  eoruin  patuit  scolae  et  mundo,  quod  sententia  eoruni  fuit  scriptu- 
rae  magis  consona.  Et  sie  tarn  ratione  quam  scriptura  scio  conclusiones 
illas  defendere  graeia  Dei ,  qui  me  praeservans  a  mania  aecommodavit 
intelligentiam  ad  tollendum  omnes  suas  versutias  dictis  meis  et  legi  Dei 
contrarias. 

Ii.  b.  2.  Secundo  quantum  ad  exprobrationem  [)  Inceptoris  Occam ,  quem 
dicit  me  sequi  nec  aliquid  novitatis  invenire  nisi  quod  in  libris  suis  inse- 
ritur,  hic  dico  tria :  primo,  quod  ego  nescio  ipsum  probare  fuisse  haere- 
ticum,  sicut  forte  nec  Doctor,  sicut  pateret  eis ,  qui  volunt  opiniones 
suas  defendere  vel  ad  Doctoris  evidentias  in  ista  materia  respondere. 
Secundo  dico,  quod  conclusiones  meae  nec  ab  ipso  nec  a  me  sumpserunt 
originem,  cum  sint  in  scriptura  sacra  infringibiliter  stabilitae  et  per 
sanetos  Doctores  eas  astruentes  saepius  repetitae,  sicut  collegi  in  quo- 
dam  compendio  istius  materiae  2  .  Tertio  dico  ut  supra,  quantum  ad  libros 
hujus  Venerabiiis  Inceptoris,  quos  ego  vidi,  Doctor  3)  est  in  pluribus  se- 
quax  suus  assiduus,  quam  sum  ego  ;  nec  verecundor  sed  gaudeo,  si  in 
veritatibus  convenimus.  Quum  autem  dicitur,  quod  conclusiones  meae 
indubie  sunt  haereticae,  fuisset  plus  honorificum  notasse  illas,  et  vi 
argumentorum,  non  nudis  scandalis,  doeuisse  hanc  scolam ;  quia  aliter 
non  crederet  dictis  suis. 
Ii.  b.  a.  Tertio  quantum  ad  illud,  quod  dicit,  ipsum  in  parte  sensisse  inju- 
rias  ex  instigatione  mea  illatas  clero  per  dominos,  videtur  mihi  pericu- 
losum  dictum,  salva  sua  reverentia,  propter  multa :  videtur  enim  im- 
ponere  regi,  regni  consilio,  et  suis  legibus  nedum  errores  sed  haereses. 
Quantum  ad  errores,  dicit  consilium  regis  injuste  egisse  cum  eo.  Et 
cum  egerunt  cum  eo  secundum  leges  Angliae,  innuitur,  leges  illas  esse 
f.  4i.  Coi.  4.injustas,  et  sie  scripturae  sacrae  contrarias  et  per  consequens  haereticae. 

et  sie  dominos  sub  legibus  illis  militantes.  Secundo  confirmatur  ex  hoc, 
quod  inter  alia  sie  loquitur :  per  malam,  inquit,  informationem  meam4 
et  meorum  sequacium  domini  seculares  aeeeptant  ettemptarunt  in  parte, 
spretis  censuris  ecclesiasticis  cognoscere  de  possessionibus  religiosorum, 
et  etiam  auferre  ab  eis  quasdam  eorum  possessiones,  quas  in  puram  et 
perpetuam  elemosinam  eorum  progenitores  ecclesiae  contulerunt.  Istud 
dictum  indubie  cum  verbis5;  implicat,  ipsos  esse  haereticos,  etpotissime 
caperet  veritatem  de  monachis  francis  translatis  de  Analia.  et  de  the- 
zauro  regis,  propter  necessitatem  suae  detentionis  detento  a  curia  :  quod 
factum  haereticare  foret  nedum  haereticare  regis  consilium  ,  regnum 
nostrum  et  leges  suas,  sed  etiam  regnum  Franeiae  ae  alia,  et  leges 
civiles  atque  canonicas.  Tertio  confirmatur  ex  hoc,  quod  patenter  asse- 
rit,  dominos n)  regni  nostri  defendere  me  in  opinionibus  meis  haereticis. 

1;  exprohrationcm\  MS.  :  exprobationem. 

2)  Was  für  eine  Schrift  dies  sei,  lässt  sich  bis  jetzt  nicht  ermitteln. 

3)  Doctor \  der  ungenannte  Gegner  selbst. 

4)  meani^  Wiclif  8  und  seiner  Anhänger. 

5)  cum  verbis]  d.  h.  ausdrücklich. 

6)  do?nino#]  die  Lords. 


Wiclif  gegen  persönliche  Verdächtigungen. 


611 


Sed  tum;  indubie  cum  verbis  sequitur.  ipsos  esse  baereticos,  quia  1\. 
quaestione  ultima :  »qui  ahorttma  l)  vere  dicitur  ab  Urbano  papa  :  »Qui 
aliorum  errorem  defendit,  multo  est  dampuabilior  illis  qui  errant.  quia 
Bon  solnm  ille  errat  ,  sed  etiam  aliis  offendicula  erroris  praeparat  et 
contirmat :  unde,  quia  magister  erroris  est,  non  tantum  haereticos  sed 
haeresiarcha  dicendus  est»«  Periculosum  itaque  videtur,  imponere  dicti> 
dominls  haereses.  nisi  quis  sciverit  probare,  quod  fuudamentum  est  fal- 
sum,  scripturae  sacrae  coutrarium ;  specialiter  cum  imponens  alteri 
haeresim  obligat  se  ad  pönam  talionis ,  nisi  sciverit  hoc  probare.  Si 
ergo  Doctor  nesciat  probare,  conclusiones  meas  esse  falsas  vel  scripturae 
sacrae  contrarias,  securus  sum.  quod  non  probabit  haereses  ex  Ulis  in 
me.  in  meis  sequacibus  aut  defensoribus.  quin  potius  sequitur  haeretica 
pravitas  in  secta  opposita.  Si  autem  sciret  hoc  facere,  videtur  mihi 
quod  Christi  Caritas  urgeret  ipsum  signare  conclusionem  haereticam.  et 
docere  scripturä  vel  ratione.  quod  sit  haeretica,  vel  in  scolis  publice  vel 
ad  partem  specialiter,  cum  sim  paratus  ad  revocandum  et  emendandum 
me,  si  sim  doctus,  quod  sit  haeretica.  Et  iterum  cum  sententia  mea  sit 
catholica.  rei  publicae  directiva.  a  fide  scripturae  secundum  postiilatio- 
nes  sanctorum  concorditer  elicita  :  videtur  peccatum  grande,  retrahere 
dominos  a  tantae  veritatis  defensione,  cum  secundum  Crisosfomum,  ut 
dictum  est  proximo  capitulo-  .  omne  genus  hominum  tenetur  veritates 
tales  modo  suo  defendere. 

Quarto  quantum  ad  prouosticationem  vel  prophetiam  quam  annee- 
tit.  quod  finaliter  judicabor  inimicus  crucis  Christi  atque  ecclesiae  :  vide- 
tur mihi,  quod  sententia  mea  est  remota  a  contrarietate  crucis  Christi, 
quia  secundum  partem.  quam  plus  impugnat  Doctor.  quod  sacerdotesf.  42.  coi.  1. 
Christi  debent  vivere  in  paupertate  et  persecutione  propter  justitiam. 
Unde  ad  docendum,  quod  Doctor  iste  sit  in  inimicitia  crucis  Christi 
profundior .  deliberatione  magna  cum  suis  complicibus  ordinavit.  ut 
unus  frater  minor ,  qui  gravavit  eos  ex  praedicatione  paupertatis  et 
Status  primitivae  ecclesiae,  per  modum  revocationis,  confiteretur  publice 
in  ecclesia  beatae  Virgiuis  3-  sanctitatem  conversationis  praesentis  eccle- 
siae sub  hac  forma : 

»Non  teneo,  ecclesiam  militantem  propter  suam  dotati<mem  imper- 
fectionis  gradum  incurrere  aliquem.« 

Et  revera  talis  confes^io  non  est  scripturae  consona  nec  sanctis 
Doctoribus  aliquatenus  vallata  nec  rationi  de  perfectione  Status  consen- 
tanea,  sed  omnino  oppositum.  Ulterius  de  conclusione  prophetica  for- 
mido,  non  propter  spiritum  prophetiae,  quem  scio  ipsum4;  habere,  sed 
propter  fragilitatem  meam  quam  timeo.  perseverare  in  constanti  asser- 


1    Corpus  Juris  canonici. 

2)  De  Veritate  s.  scripturae  c.  13. 

3)  Virginis  in  der  Marienkirche  zu  Oxford.  Der  ganze  Vorfall  ist  nicht 
ohne  Interesse. 

4   ipsum]  den  Gegner. 

39* 


Anhang  B.  VI. 


tione  veritatum  evangelicarum .  quas  assero  et  defendo.  Certus  sum 
enim,  si  vixero  in  confessione  earum  usque  ad  mortem,  quod  relinquam 
mundum  et  temporalia  per  carnis  et  mundi  crucifixionem ,  et  per  conse- 
quens  fiam  amicus  sponsi  ecclesiae  1 )  per  aeternam  domus  suae  cohabita- 
tionem,  et  sie  ero  amicus  sanetae  matris  ecclesiae,  quia  sponsi,  per  con- 
summatam  incorporationem.  Conclusiones  itaqne  erroris  et  seculi  opor- 
tet nie  destruere  et  sequi  Christum  in  pauperie.  si  debeo  coronari. 
n.  c.  Tertio  sie  arguitur :  Omnes  haeretici  antiqui  de  more  habebant 
fidelibus  insultare  dicendo  eis,  quod  erant  opinionis  contrariae,  verba 
contumeliosa,  et  sie  instar  latronum  fideles  de  latrocinio  accusantium 
fideles  vocant  haereticos  et  multa  falsa  fingentes  eis  improperant.  Sic 
enim  invenimus,  quod  Arrius  voeavit  Athanasium 2)  haereticum,  et  quia 
Athanasius  docet  trinitatem  personarum  esse  omosion^j,  unius  substan- 
tiae,  Arrius  cum  suis  complieibus  voeavit  Athanasium  cum  suis  sequaei- 
bus  omosiones.  ut  patet  in  quodam  sermone.  Sic  ego  cum  meis  sequaci- 
bus  voco  haereticos  omnes  a  meis  opinionibus  discrepantes,  et  alia  multa 
opprobriosa 4)  ac  contumeliosa  ipsis  inferimus,  quum  nobis  deficiunt 
argumenta,  et  sie  more  meretricum  ad  litigia  nos  convertimus .  ut 
omnino  ultimum  verbum  improperatorium  sit  nobiscum.  Ex  istis,  in- 
quit,  verisimiliter  sequi  videtnr,  quod  ego  cum  secta  mea  tarn  in  conclu- 
sionibus  quam  doctrina  sapiam  haeretieam  pravitatem.  Verumtamen, 
inquit,  hoc  adhuc  ex  causa  nostra  assero ;  sed  postmodum  in  facie 
resistet  mihi,  cum  sit  ad  hoc  ex  causa  multiplici  animatus. 

Quantum  ad  istud,  videtur  mihi,  quod  hoc  argumentum  ex  fallacia 
consequentis  non  sit  multum  scolasticum  :  imo  si  debeat  credi  talibus 
suasionibus  topicis.  cum  quibus  ignari  possent  deeipi,  videtur  argumen- 
12.  ,1.  2.  tum  illud  in  Doctorem  meum  et  dominum  retorqueri,  cum  scola  cessante 
ipse  manifestius  habundat  in  verbis  improperatoriis  et  calumniis  defa- 
matoriis  et  in  subterfugiis  frustratoriis,  quam  alias  sectae  nostrae.  Ideo 
si  per  se  ex  tali  conditione  argueretur  haereticus,  ex  pluri  illius  condi- 
tionis  argueretur  major  haereticus,  numquam  enim  memini  nie  hueusque 
explicite  imposuisse  haeresim  alicui,  sed  saepe  dixi,  quod  adhuc  repeto : 
si  quis  pertinaciter  asserit  sie  vel  sie,  ut  puta  quod  scriptura  Sacra  sit 
falsa,  aut  quod  sapientia  Dei  patris  non  sit  passa,  tunc  ipse  est  haere- 
ticus; sed  ille  est  sibi  conscius,  qui  assumit  super  se  consequens,  et 
tum  non  audet  simpliciter  asserere  antecedens. 

Et  eodem  modo  vidi  in  quadam  epistola,  quomodo  si  papa  vel  an- 
gelus  de  cölo  pertinaeifer  dampnaverit  quatuor  datas  sententias,  tunc 
ipse  foret  haereticus ;  quam  veritatem  connexionis  Obligo  me  ad  vicarie 
su8tinendum.  Sed  simile  est  imponere  scribac  illius  epistolae  asserere, 
(|uod  papa  est  haereticus,  eo  quod  dicitur :  m  sie  dampnaverit,  tunc  est 
haereticus:«  ac  si  quis  argueret,  quod  nolo  subjici  romanae  ecclesiae 

1)  amicus  sponsi  ecclesiae']  nach  Joh.  .'J,  29, 

2)  Athanasium  die  HS.  hat  statt  dessen  Augustinum,  Augustinus  dreimal. 

3)  ouwsion)  ouoni'amr ;  omosiones  ouooraioi . 

4)  opprobriosa    HS.:  impropriosa. 


Wiclif  gegen  persönliche  Verdächtigungen. 


nee  cuiquam  uisi  Deo.  quia  volo  subjici  sanctae  matri  ecclesiae.  Secundo 
dico.  quod  oportet  dimittere  convicia  latronum  et  meretricum,  et  froban 
rationc  vel  auctoritate .  quod  conelusio  quam  Doctor  proponit  haereti- 
eare,  sit  falsa,  scripturae  s.  contraria:  quia  sum  certus,  si  sit  ?era, 
non  est  haeretica  vel  dampnanda.  Et  sie  videtur  multis,  quod  impro- 
prians  nobis  de  defectu  argumentorum  dissoiveret  gazophilaeium  marga- 
ritarum  suarum  et  doceret  per  copiam  rationum  vivacium  conclusioncm 
quam  asserit,  et  falsitatem  sententiae  quam  diffamat.  Verumtamen  quia. 
dominante  in  mundo  hypoerisi,  homines  possent  alternando  ')  sibi  iin- 
ponere  haereticam  pravitatem.  ordinavit  sponsus  ecclesiae  legem  scrip- 
turae  pro  regula,  ubi  potuerit  hoc  discerni ;  quicunque  enim  non  vere 
fundaverit  vel  vitam  suam  vel  sententiam  suam  in  scriptum  s.3  sed  ad- 
versatur  sibi  et  suis  professoribus,  hie  obliquat  ut  pugil  diaboli  atque 
haereticus.  Tertio  miror,  quomodo  Doctor  concludit  ex  dictis,  quod 
sapimus  haereticam  pravitatem,  sed  adhuc  ex  causa  differt  nobis  ipsani 
imponere.  Primo  quia  omnia  argumenta  sua  facta  per  locum  a  simili 
vel  assumunt  mendacium  quod  non  probat,  vel  e  contra  vel  evidentius 
docereut,  ipsum  ac  suos  esse  haereticos,  cum  ipsi  sint  copiosius  condi- 
tioiiis,  per  quam  nimis  levis  discernit  haereticum.  Miror  insuper,  quo- 
modo dicit.  se  non  adhuc  nobis  imponere  haereticam  pravitatem,  cum 
saepe  prius  inculcat.  verum  esse  quod  sumus  haeretici.  Et  revera,  ut 
<lixi  superius.  propinquius  est  contradictioni  dicere,  quod  »verum  est  me 
esse  haereticum,  sed  non  dico  hoc«,  quam  foret  dicere :  »non  malefaciam 
Uli  homini.  et  tarn  facto  quam  verbo  depravo  eum,  quantum  sufficio.« 
Consideret  itaque  lector  argumenta  Doctoris  per  locum  a  simili,  et  ap- 
parebit,  quomodo  pertinentius  concluderet,  nos  esse  latrones  et  meretri-f-  42.  Coi. :;. 
ces,  quam  haereticos,  et  ut  credo  ex  signata  similitudine  tarn  omne 
genus  perversorum  quam  etiam  improbos  viros.  Si  ergo  Doctori  liceret 
per  locum  a  tali  similitudine  occupare  scolam  cum  talibus  nudis  argutiis. 
tunc  vel  pauperi  sophistae  non  deficerent  argumenta. 

Quarta  arguit  Doctor  conformiter :  Apud  antiquos,  inquit,  haereti-  H.  D- 
cos  ista  diabolica  calliditas  inolevit,  ut  in  gestu  et  exteriori  habitu  simu- 
lent  quandam  sanetitatis  imaginem,  ut  perversam  doctrinam2)  eorum. 
quae  de  se  non  habet  apparentiam  veritatis,  saltem  suis  simulatis  fictitiis 
et  falsae  hypoerisis  versutiis  palliarent,  et  sie  venenum  sub  velamine  eibi 
sani  Christi  fidelibus  periculosius  propinarent.  Sic,  inquit,  magnus  ille 
haeresiarcha  Arrim  nimiam  victus  austeritatem  et  vestium  abjectionem 
continue  praeferebat  ad  hoc  non  dubium,  ut  suas  haereses  coloratius 
praedicaret  et  simplicium  animos  copiosius  captivaret.  Si,  inquit,  ad 
folia  istorum,  scilicet  ad  exteriorem  hominem  attendatur,  quis  non  eos 
sanetissimos  reputaret  ?  Sed  si  ad  fruetum  profunde  inspicitur,  quis  eos 
esse  haereticos  validissimos  formidaret?   Ideo  signanter  docet  Christus: 


1  alternando]  Vermuthung .  da  die  HS.  hier  eine  unleserliche  Ab- 
kürzung hat. 

2)  perveraam  doctrinam'  Vermuthung.,  HS.  :  percersa  doctrina. 


614 


Anhang  B.  VI. 


a  fructibus  cognoscetis  eos!«  Sic,  inquit,  modernis  temporibus  ego  cum 
meis  sequacibus,  licet  veniamus  in  vestimentis  ovium,  in  omni  secus 
tarnen  sumus  lupi  rapaces,  cum,  ut  confirmemus  nostras  doctrinas  evi- 
dentia  sanctitatis ,  nimiam  vtctus  austeritatein  et  vestium  abjectionem 
aliarumque  apparentiam  virtutum  objicimus  conspectibus  mcautorum-, 
ut  vel  sie  nobis  credatur  callidius  et  nostri  sequaces  multiplicius  cumu- 
lentur.  Praeservamus  quidem  nos  a  juramentis  extrinsecis,  et  intrin- 
secus  laboramus  invidia  et  rancorc,  et  sie  instar  hypo-critarum  tempore 
Christi  »colamus  culicem  sed  deglutimus  camelum  l) .  Addimus  insuper, 
nostram  doctrinam  continere  infringibilem  veritatem  et  testimonio  catho- 
lico  undique  comprobatam,  sed  revera   non  sequitur,  quod  verum. 

»Nolite,  inquit,  eis  nimis  caeco  credere  2) ,  cum  secundum  doctrinam 
apostoli  debemus  temptare  Spiritus ,  8-i  ex  Deo  sunt 3) ,  nempe  quan- 
tameunque  sanetitatem  quis  in  nomine  exteriori  praetendat,  difficile 
tarnen  est  cognoscere,  qualis  veraciter  intus  existat;  et  ideo  oportet  ad 
fruetum  attendere,  et  tunc  indubie  scire  potestis,  qualis  sit  arbor,  ex 
qua  fruetus  hujusmodi  processeruut.  Si;  inquam,  ad  fruetus  liujus 
sectae  attenditis.  videre  potestis,  quod  a  doctrina  eorum  oritur  regni 
perturbatio  et  ecclesiae  persecutio ,  cum  velut  ingrati  filii  maternum 
honorem  ferre  non  valentes  s.  matrem  ecclesiam  jure  et  libertatibus  suis 
privare  satagunt  toto  nisu,  sicut  inspicienti  eorum  doctrinam  luce  clarius 
elucescit.  Insuper  et  ad  divisionem  ecclesiae  per  subtractionem  obedien- 
tiae  ab  ecclesia  roinana  totis  viribus  elaborant,  et  sie  ex  sonsequenti 
corpus  Christi  misticum,  praecidentes  domini  caput  a  corpore,  ampu- 
tare  desiderant  totam  ecclesiam  destruetis 4)  suis  compagibus,  quantnm 
in  eis  est,  dissolvere  et  ruere  [sie]  moliuntur.  Unde  digne  haeretici  sunt 
f.  42.  Coi.  4.censendi,  dicente  Decreto  distint.  22  :  »Omnis  quisquis  cuilibet  ecclesiae 
jus  suum  detrahit,  injustitiam  facit ;  qui  autem  roinanae  ecclesiae  Privi- 
legium ab  ipso  summo  omnium  ecclesiarum  capite  traditum  auferre 
conatur,  hie  proeul  dubio  in  haeresim  labitur,  et  cum  ille  notetur  in- 
justus,  hie  est  dicendus  haereticus.«  Hoc,  inquit,  me  et  meos  compliccs 
fecisse,  quantum  in  nobis  est,  sufficienter  ostenditur  ex  praemissis.  Unde 
credo,  quod  positus  est  hic  in  ruinam  et  non  in  resurrectionem  sed  in 
signum,  cui  per  Dei  graciam  contradicetur  V  Nullus,  inquit,  aestimet. 
quod  dico  ista  malo  animo ;  nolo  enim  teste  conscientia  malum  dicere 
alieui.  Unde  diligo  ipsum  forte  melius  quam  credit,  cum  omnia  ista  dico 
secundum  regulam  caritatis.  < 
Ii.  i>.  1.  Videtur  mihi  salva  reverentia  Doctoris,  quod  hoc  argumentum  de- 
ficit plurimum  secundum  infamem  binarium .  tarn  in  materia  quam  in 


J    Matth.  23,  24. 

2)  Diese  Stelle  trägt  ganz  das  Ge]>räge  eines  Stückes  aus  einer  Vor- 
lesung des  Gegners. 
'S)  I.  Joh.  4.  1. 

4;  destruetis   Vermuthung;  strueturis,  HS. 
5)  Luc.  2,  34. 


Wiclif  gegen  persönliche  Verdächtigungen. 


forma.  In  materia  quidem,  quia  falsum  pro  fundamento  saepius  assu- 
mitur,  ex  quo  non  minus  falsum  informiter  concluditur.  Nam  non  doce- 
tur  ex  cronicis,  quod  Arriani  nimiam  pönalitatem  exterius  inferebant, 
sed  nimis  modicam,  cum  indigni  fuerant  vivere  super  terram.  Ideo  debu- 
erunt  macerasse  carnem  suam,  quousque  fuissent  noscentes  veritatem 
scripturae,  quam  totis  viribus  depravarunt ;  et  insuper  fuissent  impo- 
tentes ad  sinißtre  seminandum  suas  haereses  et  ad  palliandum  ipsas 
mendaciis  contra  scripturam  per  catervaa  infidelium .  quas  illudunt. 
Unde  nullus  christianus  reputaret  cos  sanctissimos,  oisi  ex  ignorantia  et 
inadvertentia  scripturae  fuerit  maniacus  et  insanus. 

Seciatdo  dico,  quantum  ad  applicationem  similitudinis  per  locum  a  n.  d.  2. 
Miniii.  quod  argumentum  deficit  infami  binario  supradicto.  Falsum  qui- 
dem est 1  .  quod  ego  cum  meis  sequacibus  uimiam  pöDalitatem  et  abjec- 
tionem  cum  apparentia  virtutum  objicio  conspectibus  incautorum ;  nam 
inter  alia  peceata.  de  quibus  timeo,  hoc  est  unum  praecipuum,  quod 
con=umendo  in  excessivo  victu  et  vestitu  bona  pauperum,  deficio  dando 
cxemplum  aliis,  ut  lux  et  regula  sanclitatis  vitae,  quam  deberem  habere, 
luceat  sacerdotaliter  conspectibua  laicorum.  Quod  Sutern  communem 
vitam  viveudo  frequenter  avide  et  laute  manduco,  dolenter  profiteor: 
cum.  si  illud  hypocritice  simulare  voluero,  testarentur  contra  me  socii 
commensales.  Et  quantum  ad  formam  argumenti,  est  similis  cum  priori, 
quo  sie  arguitur :  haeretici  communiter  adhaerent  infldelibus  et  tyrannis 
pro  defensione  sui  perversi  dogmatis ;  et  ego  adhaereo  christianis  prin- 
eipibus  pro  defensione  catholicae  veritatis :  ergo  sum  haereticus. 

Tcrtio  videtur  mihi  mirabile.  ex  quo  spiritu  Doctor  imponit  mihi  n.  d.  3 
tantam  vietus  et  vestium  parcitatem,  specialiter  cum  hoc  non  didicit  ex 
sensu  vel  testimonio,  nee  credo  hoc  sibi  fuisse  revelatum  ex  spiritu  pro- 
phetiae.  Ideo  non  occurrit  mihi  locus,  quo  illud  crederet,  si  non  per 
locum  ab  insufficienti  similitudine :  »Tu  sie  facis,  eo  quod  Arrius  haere- 
ticus. cum  quo  in  aliquo  convenis.  ita  fecit.«  Sed  si  locus  a  tali  simili- 
tudine attendi  debeat,  evidentius  sequeretur :  »Arrius  haereticus  nega- 
vit  scripturam  asserendo,  quod  non  debet  concedi  catholice,  Christum 
Deum  simul  et  hominem,  secundum  formam  quam  evangelium  exprimitf.  43.  Coi.  1. 
posse  pati ;  et  tu  sie  facis,  ergo  tu  es  haereticus.  »Nam  quantum  ad  pöna- 
litatem et  vitae  austeritatem  attinet,  non  dubiuni  quin  Baptista,  apostoli 
et  multi  saneti  primitivae  ecclesiae  superaverant  Arrianos,  imo  beatus 
Jeronymus,  beatus  Martinas  et  ceteri  saneti,  qui  Arrianis  in  facie  resti- 
terunt ;  ideo  si  ex  nuda  similitudine  pönalitatis  cum  Arrianis  arguendus 
foret  haereticus,  isti  saneti  Doctores  ex  majori  in  ista  similitudine  argu- 
endi  forent  haeretici  plus  quam  ego. 

Quarto  videtur  mihi  non  sanum  Judicium,  quo  dicit  nos  cavere  Ii.  d.  4. 
juramenta  extrinseca  et  laborare  intrinsecus  invidia  et  rancore.  Nam 


l  Falsum  quidem  est  —  commensales  hat  Shirley  a.  a.  O.  p.  XL  VI. 
Anm.  1.  aus  der  Bodley'schen  Handschrift  gegeben.  Die  Ziffer  des  Ka- 
pitels ist  indes  14,  nicht,  wie  dort  verzeichnet,  12. 


616 


Anhang  B.  VI. 


licet  nobis  judicare  de  manifestis  criininibus,  de  occultis  autein  nequa- 
quam:  sed  de  operibus  bonis  de  genere,  nisi  docto  in  facie  ecclesiae. 
quod  fiaut  mala  intentione,  non  debeinus  ad  deteriu.s  judicare ;  hoc  enim 
foret  temerarium  Judicium  a  Bcriptura  sacra  prohibitum:  Matthaei  sep- 
timo  V  dicit  Christus  :  »Nolite,  inquit,  judicare,  et  non  judicabimini.  < 
Multis  enim  videtur  probabile,  quod  Doctor  interpretans  opera  bona  de 
genere  ad  malum ,  ut  puta  perniciosam  pönitentiara  et  juramenti  abs- 
tinentiam,  ex  hoc  quod  procedunt  ab  hypocrita  ex  invidia  et  rancore. 
incidit  in  jndicium  quod  osteudit.  qaia  nee  Bervatur  forma  correctionia 
fraternae  in  forma  judicii,  nec  dictum  illud  videtur  consonum  confessioni 
priori.  Quum  autem  dedit  ista  signa  incompleta  sub  quodam  involucro 
verborum  communium,  per  quae  discernit  haereticum,  scripsi  sibi,  cum 
aliqua  pars  scolae  supponit,  quod  me  intelligit  in  verbis  suis  eomrnuni- 
bus;  respondit.  quod  non,  cum  reputat  me  virum  catholicum2.  Nunc 
autem  effundendo  virus  collectum  antiquitus  multiplicat  argumenta  secun- 
tl n in  Domerom  illoruni  signorum  haeretici,  et  omnia  Lila  ad  me  modo 
applicat  singulariter  et  expresse.  ConataJ  autem  mundo,  quod  ex  hiric 
non  potest  convinct?re,  unde  sim  modo  noviter  super  haeresim  singula- 
riter  inipetitus.  Unde  ne  materia3;  istius  eontentionis  sit  nimis  forma- 
lis4j,  statui  mihi  pro  tripla  regula  ex  scriptum,  quod  prima  inundem  me 
cavendo  diligentius  de  culpa  quae  mihi  imponitur :  scio  enim  •>)  quod 
nimis  crebro  immisceo  zelum  sinistrum  viudietae  cum  intentione  dextra. 
si  quam  habuero.  Ideo  quoad  Hj  illud,  quod  imponit"  mihi,  sub  prae- 
tensa  sanctitate  latere  hypocrisim,  invidiam  et  rancorem,  timeo  mihi, 
quod  dolens  refero,  quod  illud  mihi  evenit  nimis  crebro,  ratione  cujus 
mereor  pati  scandala  longe  plura,  quam  adhuc  mihi  illata  sunt.  Et  hine 
pulsando  Deum  meum  orationibua  nitar  diligentius,  depeccatia  spiritua- 
libus,  quae  est  solius  Dei  eognoscere,  de  cetero  praecavere.  Secmido 
considerans,  quod  *]  diabolus  tanquam  leo  rugiens  circuit  quaerens  quem 
devoret9,,  quem  non  potest  devorare  seductum  nequitia  manifesta. 
famam  ejus  inquinare  conatur,  ut  vel  sie  opprobriis  hominum  et  mala- 
ruin  linguarum  detractione  "')  deficiat.  non  eonseius  mihi  de  crimine 

1)  septimo]  HS.  :  s°. 

2;  Der  Satz :  Quum  autem  —  —  virum  catholicum  enthält  eben  die 
confessio  prior  des  Gegners,  und  referirt  einen  früheren  Vorfall. 

3)  Den  Abschnitt  von  ne  materia — vulnera  superaddant  hatShirley, 
Introd.  zu  Fasdc,  Zizan.  XLV  fg.  Anm.  4.  gleichfalls  nach  der  Bodley'- 
schen  Handschrift  abdrucken  lassen. 

4    formalis]  sterilis,  Shirley. 

5)  sie  enim]  fehlt  bei  Shirley,  aber  mit  Unrecht;  es  ergibt  sich  dann 
ein  völlig  anderer  Sinn. 

6)  quoad]  err/o  ad,  Shirley. 

7    imponif  imponitur,  Shirley. 
8]  quod  quia.  Shirley. 
9   I.  Petr.  ■>.  8. 

10)  detractione  Vermuthung :  Shirley:  ohtractione ,  Wiener  HS.  wtOih 
tr actione. 


Wiclif  gegen  persönliche  Verdächtigungen. 


617 


manifesto1)  iinposito  patienter  suff'eram  maledictum ,  quia  1.  Cor.  4°t.  4:{.  Coi.  2. 
dicit  apostolus  :  »mihi  autem  pro  niinimo  est,  ut  a  vobis  judicer  aut  ah 
humano  die.«  Tertio  excusans  me  a  scandalo  mihi  imposito,  rogabo  pro 
scandalizantibus,  ne  Ii  vor  et  zelus  vindictae  dolorem  mihi  super  prior» 
vulnera  superaddant2  ).  Et  ista  triplex  regula  mihi  necessaria  elicitur 
ex  epistola  Augustini  ad  cives  Ypponenses.  Quarto  quoad/rwc^uw 
sectae  nostrae,  quo  assumitur  nos  perturbare  ecclesiam  et  niti  separare 
membra  a  capite  nitendo  destruere  privilegia  romanae  ecclesiae,  non 
sum  mihi  conscius  quoad  ista,  cum  intendo  tarn  in  universali  quam  in 
particulari,  quod  destruam  peccatum  scandali  a  Christi  ecclesia,  quod 
est  per  se  causa  totius  perturbationis  in  populo.  Ex  quo  patet,  quod 
non  in  praedicando  veritatem  evangelicam  ad  destructionem  peccati. 
sed  in  fovendo  peccata  et  impediendo,  ne  lex  scripturae  servetur,  tur- 
batur  ecclesia,  licet  quantumlibet  malum  pönae  sequatur  ex  primo,  et 
quantumlibet  apparens  prosperitas  ex  secundo.  Apparet  ex  IU°  Regum 
183)  dicto  Heliae  :  »Tune  es  ille  qui  conturbas  Israel?«  et  ille  ait :  »Non 
ego  turbavi,  sed  tu  et  domus  patris  tui,  qui  dereliquisti  mandata  Do- 
mini!« Sic  ergo  debet  omnis  catholicus  niti  unire  membrum  capiti 
Christo,  faciendo  in  casu  divisionem  hostium  crucis  Christi,  quia  hoc 
est  ad  veram  pacem  matris  ecclesiae,  licet  pönalis  corporalis  perturbatio 
consequatur,  dicente  Christo  Matth.  10:  »Non  veni  pacem  mittere  in 
terram  sed  gladium ;  veui  enim  separare  hominem  adversus  patrem 
suum,  et  filiam  adversus  matrem  suam,  et  nurum  adversus  socrum 
suam.«  Venit  itaque  Christus  ad  dissolvendum  conföderationem  fictam 
inter  homines  mundanos  per  superbiam  cliaboli;  illa  euim  viros  fortiores 
fallit,  cum  diabolus,  rex  super  omnes  filios  superbiae,  omncs  peccatores 
illaqueat ;  carnales  autem  ex  vitio  voluptatis  camaUs  conjuncti  suut  per 
Christi  pönitentiam  sejungendi :  sed  mundo  uupti  sunt  per  Christi  paupe- 
riem  separandi.  Qui  ergo  nititur  quiete  fovere  populum  in  aliquo  horum 
trium,  nititur  dissolvere  veram  pacem,  quia  pacem  originalem  hominis 
ad  Deum ,  quae  solum  dissolvitur  per  peccatum.  Unde  generaliter 
omnes  sancti  utriusque  Testamenti  ad  ilium  finem  fecerunt  seditionem 
in  populo,  cum  aliter  non  forent  milites  Christi  exercitus,  nisi  pacem 
diaboli  sibi  contrariam  niterentur  dissolvere.  Unde  et  istam  accusatio- 
nem  de  commotione  populi  tulerunt  sacerdotes  et  scribae  adversus  domi- 
num Jesum  Christum  accusantes  eum  tanquam  haereticum  occidendum. 
ut  patet  Lucae  23°:  »Commovet,  inquiunt,  populum  docens  per  univer- 
sam  Judaeam  incipiens  a  Galilaea  usque  huc« ;  et  sequitur :  »Stabant 
autem  principes  sacerdotuni  et  scribae  constanter  accusantes  eum.« 
Patet  ergo,,  quod  non  sequitur:  Iste  christianus  commovet  populum  ad 


1)  In  der  Wiener  HS.  steht  am  untern  Rande  der  mit  manifesto  zu 
Ende  gehenden  Columne,  von  der  ersten  Hand:  Auctoris  virtus  magna. 

2)  superaddant]  bis  hieher  erstreckt  sich  der  Abdruck  von  Shirley. 

3)  1.  Könige  IS.  17. 


618 


Anhang  B.  VI. 


pugnandum  secundum  fidem  scripturae  contra  diabolum ;  ergo  est  haere- 
ticus;  cum  sit  Signum  oppositi. 
f.  43.  coi.  3.  Ex  istis  perpendi  potest  fructus  sententiae,  quam  per  tempus  soli- 
cite  seminavi.  Primo  discerni  potest,  qui  clerici  conjugati  cum  seculo 
et  per  consequens  cum  Mammona  ut  socro  fortius  quam  cum  Deo ;  quia 
omnes,  qui  plus  remurmurant  contra  praevaricationes  temporalium  quam 
virtutum.  Secundo  discerni  potest  quomodo  mundo  divites  debent  a  tali- 
bus  prüden ter  subtrahere  elemosinas  corporales,  cum  nemo  debet  »jugum 
ducere  cum  infidelibus« J)  confirmando  matrimonium  tarn  monstruosum, 
quin  potius  dissolvendo.  Tertio  si  Deus  voluerit,  possunt  de  omni  genere 
clericorum  bi,  quorum  corda  Spiritus  sanctus  tetigit,  animari  ad  mundi 
contemptum  et  induendum  paupertatem  evangelicam  propter  Cliristum. 
Nec  credo  tantum  fructum  procedere  ex  opinione  dicente,  quod  scrip- 
tura  sacra  sit  haeretica  et  blasphema. 
ii.  d.  ö.  Ulterius  quantum  ad  destructionem  privilegiorum  romanae  ecclesiae 
protestor  publice,  quod  amando  et  venerando  romanam  ecclesiam  matrem 
meam  desidero  et  procuro  defensionem  omnium  privilegiorum  suorum 
atque  insignium.  Scio  quidem  ex  fide  scripturae  tanquam  infringibiliter 
verum,  quod  omne  suum  Privilegium  est  ex  Deo ;  et  de  quanto  secuta 
fuerit  Christum  conformius,  de  tanto  amplioribus  privilegiis  insignitur. 
Uli  autem  qui  alliciunt,  ut  dicta  ecclesia  plus  attendat  ad  homines  ac 
prosperitates  mundanas,  quam  ut  persecutionem  patiatur  pro  justitia2), 
ut  plus  appretietur  dotationem  ac  aedificationem  Caesaris  quam  capitis 
sui  Christi,  sunt  ejus  subdoli  inimici,  dicente  Christo  Matth,.  10,  post- 
quam  docuit  se  daturum  non  pacem  mundanam  sponsae  suae  sed  gla- 
dium,  »inimici,  inquit,  hominis  domestici  ejus.  De  hoc  alibi. 
ii.  d.  ü.  Sexto  cum  Doctor  determinatione  multiplici  docuit  ex  sanctis  Doc- 
toribus,  per  quae  signa  possunt  haeretici  cognosci,  et  jam  ultimo  eadem 
repetiit,  applicando  ad  me  singulariter  (|uae  prius  dixerat  in  communi, 
restat  colligere,  ex  quo  signo  iufallibiliter  cognosci  possunt  haeretici, 
quia  certum  est  quod  nullum  signorum  in  forma  qua  mihi  recitata  sunt, 
probant  vel  topice  quantumcunque  hacieticum :  ideo  dico.  ut  supra, 
([uod  omnis  talis  et  solum  talis  est  haereticus,  qui  scripturae  sacrae 
verbo  vel  opere  pertinaciter  contradicit.  Cum  enim  illa  sit  testimonium 
Dei,  quod  voluit  remanere  in  terris,  ut  suam  voluntatem  cognoscerent, 
patet  quod  impossibile  est,  nisi  per  conformitatem  ad  illam,  fidelium 
mentes  bonae  :>)  effici  voluntatis.  Ideo  signanter  legitur  Lucae  16°: 
»Habent  Moysen  et  prophetas ;  audiant  illos !«  Lex,  inquam,  scripturae 
sufficit  pro  instructione  ecclesiae,  et  sie  omnis  haereticus  est  adversarius 
legis  et  prophetarum,  ut  saepe  exposui.  Unde  beatus  Gregorius  tertio 
Moralium  super  libro  Job  2°:  »condixerant  enim  sibi,  utpariter  venien- 

1)  2.  Cor.  (i,  14. 

2)  Matth.  5,  10. 

3)  bonae]  beruht  auf  Vermuthung  mit  Anspielung  auf  Luc.  2,  14),  da 
die  hier  in  der  HS.  stehende  Abkürzung  schwer  zu  entziffern  ist. 


Wiclif  gegen  persönliche  Verdächtigungen. 


Iii!! 


tes  visitarent  eum;  condicunt,  inquit.  sibi  haeretici,  quiini  prava  quae- 

dam  contra  ecclesiam  concorditer  sequuntur,  et  In  quibus  a  veritate  dis- 

erepant,  sibi  in  l'alsitate  concordant.«   Volvant  et  revolvant  quicunque 

voluerint,  et  non  invenient  in  sanctis  Doetoribus  vel  ratione  fundatuin, 

quod  quicunque  sunt  haeretici  nisi  ex  eo,  quod  fundantur  in  falsitatc 

scripturae  sacrae  contraria  ,  qüia  veritas  scripturae  sacrae  non  potest 

esse  ecclesiae  sanctae  contraria,  et  solum  illud  dogtna  est  haereticüm,  f. 43. Col. 4. 

quod  est  contra  ecclesiam.    Solum  ergo  i Iii .  qui  contra  scriptnram 

sacram,  quae  est  earta  sanctae  matris  ecclesiae,  conspirant  et  sentiunt, 

sunt  censendi  haeretici,  eo  quod  solum  illi  sunt  contra  ecclesiam.  Ad 

convincendum  ergo  haereticos,  quod  vel  false  sentiunt  extra  scriptnram, 

vel  quod  de  ipsa  sinistre  sentiunt,  tales  inquam  non  solum  haeretici, 

h.  e.  a  voluntate  Dei  divisi.  sed  proditores  ac  persecutores  Dei  merito 

possunt  dici.    Unde  Crisostomus  in  Imperfecta,  homelia  20  exponens 

illud  Matth.  20  :  »Assumpsit  Jesus  duodecim  discipulos  suos  seorsum  in 

itinere  et  ait  Ulis  :  ecce  ascendimus  Jerosolymam,  et  filius  hominis  trade- 

tur  principibus  sacerdotum  et  scribis,  et  condempnabunt  eum  mortc.  et 

tradent  eum  gentibus  ad  illudendum  et  flagellandum  et  crucifigendum,« 

omnis,  inquit,  gloria  Dei  et  omnis  salus  hominum  in  Christi  morte  posita 

est ;  nulla  enim  est  res,  quae  ad  salutem  hominum  magis  pertineat,  nec 

aliud  propter  quod  magis  Deo  gracias  agere  debeamus  ;  ideo  cum  plu- 

rima  turba  sequeretur  Christum  in  via,  1  2  apostolos  tulit  [sie)  secreto  et 

eis  tantum  suae  mortis  nuntiavit  misterium,  quia  Semper  pretiosiorem  the- 

zaurum  in  melioribus  vasis  includimus  ;  plebs  ergo  propter  incapacitatem 

et  mulieres  propter  naturae  suae  mollitiem  excluduntur.    Sed  post  tra- 

dit  iste  sanctus  1    ex  praedictis  verbis  evangelii  sensum  magis  melli- 

fluum2  :   Christus,  inquit,  verbum  veritatis  est  secundum  testimonia 

scripturarum :  nnde  sicuttnnc,  sie  et  modo,  Deus  tradit  eum  sacerdoti- 

bus  et  scribis  ad  manifestandum  fidem  sanetorum  et  perfidiam  iniquorum. 

cum  tradit  eis  scripturam  sacram,  quae  est  verbum  veritatis.   Et  sicut 

tunc  fideles  videntes  eum  pati  secundum  humanitatem  non  recedebant  a 

tide  deitatis,  iniquorum  autem  perfidia,  licet  intellexerit,  eum  esse  filium 

Dei  secundum  testimonia  scripturarum,  ausi  sunt  eum  interficere,  sicut 

et  modo,  quum,  inquit,  vides  scripturas  prophetarum,  evangelii  et 

apostolorum  traditas  esse  in  manus  falsorum  sacerdotam  et  scribarum, 

intellige,  quia  vivum  verbum  veritatis  traditum  est  principibus  iniquis  et 

scribis3)«  etc.  — 

Ex  testimonio  autem  istius  saneti  et  aliorum  sanetorum  elicitur.  t.  u.  Col.  l. 
quod  sicut  haeresis  antichristiana  in  primitiva  ecclesia  coepit  perse- 
quendo  verbum  Dei  in  natura  corporea,  sie.  eadem  haeresis  continuaturde- 
pravando  illud  verbum  quod  est  scriptum  sacra,  adversando  sibi  tarn 
opere  quam  sermone.  Hoc  ergo  est  per  se  Signum  cognoscendi  haereticüm . 


ausgelassen. 


1)  sanctus]  seil.  Chrysostomus. 
2;  mellißuum]  mellifusum  HS. 

3)  Einige  weitere  Sätze  aus  Chrysostomus.  die  Wiclif  citirt.  sind  hier 


62o 


Anhang  B.  VI. 


u.  D-  7.  Ulterius  quoad  prophetiam  de  ruirm  mea,  juxta  prophetiam  Symo- 
nis  de  Christo  Luc.  2,  rogo  Dominum,  quod,  si  nou  sit  a  Deo  sententia 
quam  praedico,  sed  falsitas  lidei  scripturae  opposita,  quod  ruam  cum 
meis  fautoribus  ,  saltem  ab  ejus  defensione  temeraria  ad  lumen  fidei 
resurgendo.  Et  sie  videtur  mihi,  quod  sive  sim  haereticus  sive  catholi- 
cus,  quod  »positus  sum  in  resurrectionem ;«  si.  inquam  sim  haereticus. 
sum  certus,  quod  sententia  mea  ad  resurrectionem  multorum,  quia  ad 
declarationem  fidei,  destruetur:  si  autem  in  hoc  sim  catholicus .  sum 
certus  iterum,  quod  sententia,  quam  teneo,  per  Organa  Dei  vel  ante 
adventum  antichristi  vel  postea  defendetur  ,  quia  super  omnia  vincit 
veritas  verbi  Dei,  ut  dicitur  Esdrae  3°.  Et  sie  utrobique  vel  ad  bonum 
meum  vel  malum  dogma  raeura  proderit  sponsae  Christi  et  erit  cum 
paribus  ad  resurrectionem  multorum  a  volutabro  voluptatum. 
n.  d.  v  Quantum  ad  dilectionem,  quam  Doctor  jurat  se  erga  me  gerere  plus 
quam  credo,  si  veritas  ita  se  habeat,  Deus  sibi  retribuat ;  si  sophistice 
palliat,  rogo  Deum,  ut  de  perjurio  sibi  parcat,  quia  multis  videtur,  quod 
mixtio  mendacii  sit  malum  in  genere.  et  raro  evenit,  quod  malum  tale 
bene  circumstantionetur  [sie]  moraliter,  cum  de  difficultate  simplex  in— 
tentio  adjaceat  bono  extrinseco.  Constat  quidem  1  ex  testimonio  Criso 
stomi  omelia  17ma  Imperfecti,  quod  licet  christiano  corripere  christia- 
num,  sed  oportet  cavere,  quod  vere  corripiat  de  reatu,  subdueto  odio. 
pro  peccato  commisso  in  hominem,  subdueta ,  inquit  -  ,  jactantia  de 
1. 14.  coi.  2.propria  justitia  vel  virtute.  et  tertio  servata  forma  evangelica .  quod 
non  judicetur  ex  levi  suspicione  ambigua  et  occulta.  Quae  videntur 
multis  in  ista  correptione  deficere,  cum  notum  sit  mihi,  quod  cum  dupli- 
citate  verborum  ad  partem3)  in  publico  faisum  fingitur,  et  caritativa 
communicatio  in  scriptis  patule  denegatur.  Ideo  timens  de  malo,  quod 
Doctor  meus4  posset  ad  verificandum  pronosticationem  suam  disponere, 
licet  fuerim  citatus  ad  comparendum 5  nunc  coram  domino  archiepi- 
scopo  in  quocunque  loco  fuerit  suae  provinciae,  timui  illo  ire :  audivi 
enim,  quod  dixit  in  sententia.  quod  »Modicum  ,  et  non  videbitis  me,  et 
iterum  modicum,  et  videbitis  me6).«  Si,  inquam,  vadit  ad  patrem  papam 
vel  archiepiscopum .  posset  faciliter  parare  mihi  locum  insidiarum  et 
caedis  corporis,  cum  inulti  sunt  instrueti,  Deus  seit  a  quibus  et  quali- 
ter.  quod  foret  elemosina ,  ut  combustione ,  occisione  vel  morte  alia 

1/  Von  Constat  quidem  sim  extinetus  hat  Shirley  diese  Stelle 

wiederum  nach  der  Bodley'schen  Handschrift  in  Fasciculi  zizan.,  Introd. 
XXXIV.  Anm.  abdrucken  lassen. 

2)  subdueta,  inquit)  subduetaque,  Shirley,  jedenfalls  in  Folge  irrigen 
Lesens  einer  Abkürzung,  welche  auch  in  der  Wiener  HS.  sich  hier  findet. 

:{  ad  partem]  partem  ohne  ad,  Shirley,  wodurch  der  Sinn  aller- 
dings leidet. 

4)  meus]  mmis,  Shirley,  vennuthlich  in  Folge  einer  Abbreviatur, 
welche  die  Wiener  HS.  gleichfalls  hat. 

•r>)  comparendum'1  comparandum  Wiener  HS. 
ti,  Joh.  16,  16. 

7    combustione]  combustive  Shirley,  der  jedoch  combustica  vormuthet. 


Eine  wiclifitische  Dichtung. 


621 


Bim  extinctus  in  tantum.  quod  ista  argumenta,  quae  Doctor  jam  fecerat, 
notantur  communiter  in  ore  multonun  clericorum  episcopalium,  trahen- 
rium  ignaros  ad  infidelitatem,  quotquot  possunt  cum  ipsis  subvertere. 


VII. 

Metrica  compilatio  de  replicationibus  contra 
Magistrum  Johannem  x) . 

A.  Handschrift  der  Wiener  Hof-  und  Staats-Bibliothek  Nr.  3929. 
fol.  223.  Col.  2.  —  fol.  225.  Col.  1. 

B.  Handschrift  des  British  Museum,  MS.  Cotton.  Cleopatra.  B.  II. 
fol.  59. 

Abdruck  a.  in  Monumenta  Franciscana  .  herausgegeben  von  Professor 
Brewer  Lond.  1858.  S.  592—601. 

b.  in  Political  Songs  and  Poems  relating  to  english  history,  herausgegeben 
von  Thomas  Wright.  Lond.  1859.  Vol.  I.  253—263. 

Beides  in  der  Sammlung  Herum  britannicarum  medii  aevi  scriptores. 
welche  auf  Staatskosten  erscheint. 

Heu.  quanta  desolatio  Angliae  praestatur, 
cui2  regnum  quodlibet  hinc  inde  minatur, 
<jt  ejus  3  navigium  paene  conquassatur ! 
Regnum  nec4)  consilio5)  nec  ope  juvatur. 

Wiih  an  0  and  an  I,  prae  dolore  ventris 

meum  jam  consilium  jacet  in  vi  mentis  ,3  . 


1  Ueberschrift  in  A.  Die  Handschrift  B.  hat  von  späterer  Hand  die 
Ueberschrift  des  Gedichts :  Invectivum  contra  monachos  et  atios  religiosos 
tempore  Richardi  Secundi,  s.  Band  I.  S.  691.  Anm.  1. 

2  cui]  ,  A.  cujus  B.  Letzteres  gibt  nur  dann  einen  Sinn,  wenn 
minatur  passive  gebraucht  ist .  was  in  mittelalterlichem  Latein  wenigstens 
denkbar  ist. 

3  ejus]  A.  .  hu  jus  B. 
4j  nee  fehlt  in  A. 

5;  consilio  exsilio  B..  nach  Brewer  b,  während  Wright  a,  eben- 
falls consilio  gibt. 

6)  With  an  O  —  mentis  Diese  Zeilen  und  die  analogen  durch  das 
ganze  Gedicht  stehen  als  Refrain  je  am  Schluss  einer  Strophe.  Brewer 
(a)  hat  zweifellos  Unrecht,  dieses  Zeilenpaar  je  an  die  Spitze  der  Strophen 
zu  stellen  ,  wenn  auch  die  Handschrift  des  British  Museum  diese  Anord- 
nung haben  sollte.  A  hat  constant:  Wyt  a  o  et  a  I,  was  sich  nur  durch 
die  vollkommene  Unbekanntschaft  des  böhmischen  Abschreibers  mit  der 
englischen  Sprache  erklärt.  Ganz  den  gleichen  Refrain  finde  ich  in  einem 
englischen  Gedichte,  welches  demselben  Verfasser  angehört  und  in  der- 
selben Handschrift  des  British  Museum  seht;  s.  bei  Brewer  S.  606  ff.,  bei 
Thom.  Wright  1,  26S  ff.  In  englischer  Umgebung  nimmt  sich  der  Re- 
frain natürlich  besser  aus ,  als  inmitten  eines  lateinischen  Textes.  Hier 
bildet  er  eine  Erscheinung  ähnlich  der  nicht  so  gar  seltenen  Einflechtung 


(522 


Anhang  B.  VII. 


Sed  ad  pönitentiam  convertat  Üeus  gentem 
et  dirigat  divinitus  mei 1  regis  mentem, 
ut  tortuosum  lucide  cognoscat  serp entern, 
iu  monachis  et  fratribus  hypocrisim  latentem  ! 

With  an  0  and  an  I,  ne  istis  attendat, 
sanctorum  oratio  ad  cölos  ascendat. 

In  nos  pestilentia  saeva  tantum  2)  crescit, 

quod  virorum  fortium  3)  populu.s  dcerescit 4] , 

quae  diversis  partibus  adluic  invalescit. 

linde  5)  noster  jubilus  totaliter  recessit. 
With  an  0  and  an  I  huic  6)  finem  ruinae 
addat,  qui  snpremus  est"  auetor  medicinae. 

In  maligno  positus  nunc  est  inundus  totus s  . 
20  a  viris  Angligenis  non  est  Christus  notus9  ; 

in  religionibus  10)  nullns  est  devorns, 
pro  peccato  popnli  nj  venit  terrae  motns. 
With  an  0  and  an  I  debacchantur  servi  l2j , 
et  in  servos  Domini  nimis  sunt  protervi. 

In  hoc  terrae  motu  ab  hora  diei 
qua  13)  tunc  convenerant  scribae,  pharisaei 
cum  summis  sacerdotibus  contra  Christum  Dei, 
vultus  irae  patuit  divinae  faciei. 

With  an  0  and  an  I  sanctos  difiamarunt  , 
30  per  haereses  et  Schismata  quae  false  14  patrarunt. 

lateinischer  Liedesworte  in  Liedern  moderner  Sprache,  z.  B.  In  dulci  jubüo, 
nun  singet  und  seid  froh  u.  s.  w.,  oder  Syngin  y  Wolde,  bat  alasl  De 
sc  cndunt  prospera  (/rata  etc.  Politieal  Poems  and  Songs,  ed.  Wright  I. 
270  ff. 

1    mei  A.  ,  nostri  B. 

2)  tantum]  A. ,  jam  B. 

3)  fortium    fortium  jam  1>. 

4)  dcerescit]  B.,  decessit  A. 

5)  unde]  A. ,  cum  B. 

6)  huic]  B.  ,  hunc  A. 

7)  est]  B. ,  sit  A. 

8)  Vgl.  1.  Joh.  5,  19. 

9)  a  ciris  —  notus]  diese  Zeile  steht  in  Cod.  A.  als  dritte ,  dagegen 
in  relig.  —  derotus  als  zweite ,  pro  peccato  —  motus  als  vierte  Zeile.  Es 
scheint,  dass  die  Zeile  a  viris  in  B.,  die  Zeile  pro  peccato  in  A.  die  ächte 
und  ursprüngliche  Stellung  hat. 

10)  m  religionibus ]  A.  ,  in  religiosis  jam  B.  religiones  =  Mönchsorden. 

11)  pro  peccato  populi]  B.  ,  pro  puncto  peccuti  A. 

12)  debacchantur  servi]  Anspielung  auf  den  Bauernaufstand  im  Mai  und 
Juni  1381. 

13)  qua]  A. ,  quin  B.  Hier,  wie  Zeile  22,  deutet  Verf.  auf  das  Erdbeben 
vom  19.  Mai  1382.  14)  falte]  A.  ,  falsa  B. 


Eine  wiclifitische  Dichtung. 


(523 


Efeu,  jam  1  mala  plurima  de  nobis  sunt  seit», 
per  ventos  et  flumina  jacent  grana  trita  ; 
ab  antiquis  patribns  haec  sunt  inaudita. 
qui  campos  conspicitis,  scitis2),  quod  est  ita. 

With  an  0  and  an  I.  causam  si  quaeratis . 

dico,  quod  haec  accidunt3  nobis  pro  peccatis. 

Si  statas  conspieimus,  nullus  exeusatur  : 
Quod  in  shopis4  venditur,  male  mensuratur. 
quilibet  perjurio  vel  fraude  Lucrätur, 

sed  quod  sie  adquiritur,  adquirens  furatur,  40 
With  an  0  and  an  J,  res  male  quaesita. 
ut  in  dies  conspieimus,  saepe  vadit  ita. 

Clcrici.  ([iii  speculum  forent  laicorum. 

in  fastum  cum  libidine  5  multi  laxant  lorum. 

Rectores  jam  rapiunt  bona  subditorum  ; 

scitis  °; ,  quod  haec  omnia  signa  sunt  dolorum. 

With  an  0  and  an  I,  sie")  est  mundus  versus. 

qui  lueeret  aliis.  tenebris  est  mersus. 

Ultra  si  progredimur,  ubi  sunt  praelati? 

Nescio.  sed  certum  est,  multi  sunt  elati,  50 

scholis  theologici^  pauci  baptizati, 

sed  prece  vel  pretio  vel  penna  sublimati. 

With  an  0  and  an  L  libens  scire,  quare 

penna  viros  erigens  non  8j  facit  volare  ? 

Quid  dicemus  praeter  haec  de  religiosis. 
primo9)  mendicantibus.  falsis  et  mendosi*. 
qui  se  fingunt  similes  actu  rubris  rosis. 
cum  mores  odoriferos  exemplent 10  morosis  0 

With  an  O  and  an  I,  rosae  marcuerunt 11 

instar  sterquilinii l2)  saporem  dederunt.  60 

1)  Jam]  B.  ,  tarn  A. 

2)  scitis]  B.  ,  satis  A. 

3)  haec  accidunt]  A.  ,  hoc  accidit  B. 

4)  shopis]  B. ,  scopis  A.  Wieder  ein  Fall .  wo  Unbekanntschaft  des 
Abschreibers  [A]  mit  dem  Englischen  Ursache  des  Fehlers  ist :  shopus  ist 
ächt  das  englische  shop,  Kaufmannsbude  oder  Gewölbe. 

5]  cum  libidine]  A.  ,  libidinis  B. 
6)  scitis]  B. ,  satis  A. 
T)  sie]  B.  ,  hinc  A. 

8)  non  facit]  B. ,  facit  non  A. 

9)  primo]  immo,  b.  Wright. 

10)  exemplent]  A.  ,  exempluni  B. 

11)  inarcuerunt  b,  mercuerunt  a,  mercesserunt  A. 

12)  sterquilitiii   A.  a,  sterquilinium  b. 


624 


Anhang  B.  VII. 


Hi  domos  conficiunt  inirae  largitatis, 

politis  lapidibus,  quibusdam  quadratis  ; 

totum  tectum  tegitur  lignis  levigatis; 

sed  trausgressum  regulae  probant  ista  satis. 
With  an  0  and  an  I,  facta  vestra  tabent, 
Christus  quum  sie  dixerit:  »Vulpes  foveas  l)  habent.u 

C^ualiter  aedificant  modo  2; ,  non  est  mirum, 
ingens  opus  construunt  quasi  magnum  Tyrum, 
quantumeunque3!  fuerit,  circumvallant 4)  gyrum, 
70  si  decretum  verum  sit,  totum  est5)  delirum. 

With  an  O  and  an  I,  destruetis  fundatis, 
nova  statim  construunt H)  pecuniis  paratis. 

Non  est  monasterium  tarn  possessionatum, 

nec  rex  nec  episcopus,  ut  satis  est  probatum, 

habens  opus  aliquod  tarn  cito  paratum, 

sicut  qui  cotidie  vadunt  mendicatum. 

With  an  0  and  an  I}  vel  sunt  furatores, 
Vel  faciunt  numismata  regni  proditores. 

Se  mendicos  publicos  clamant  cunetis  horis, 
*»0  non  tarnen  dedecoris,  sed  magni7)  honoris 

habitu  se  protegunt,  panni  melioris 
tunicis,  pelliciis  frigus  claudunt  foris. 
With  an  0  and  an  I,  dicunt  pharisaei : 
»ecce  quanta  patimur  pro  amore  Dei ! « 

Sed  siv  quis  impugnat11)  hoc,  dant  responsum  gratum  : 
quod  ad  usum  proprium  nobis  est  hoc  datum ; 
donum  10)  rident  intime,  non  accedunt  statum, 
seä  praeeeptum  regulae  sie  est  vacuatum. 

With  an  0  and  an  I,  per  idem  possent11)  isti 
90  uti  roba  rubea  pro  amore  Christi. 


1;  Vulpes  foveas]  A.  ,  foveas  vulpes  B. 

2  modo]  A. ,  vere  B. 

•  ;  quantumeunque]  A. ,  qualitercunque  B. 

4)  circumvallant)  B.  ,  circumvallatum  A. 

5)  totum  est]  A. ,  est  totum  B. 

ti)  construunt]  A.  und  a  'Brewer    durch  Conjectur,  construant  B. 

7)  sed  magni]  B. ,  magni  sed  A. 

8)  ISed  si]  A. ,  Si  B. 

9)  imimynat]  B.  .  impugnet  A. 
10;  donum]  A. ,  bonum  B. 

IT  possent \  A.  ,  possunt  B. 


Eine  wiclifitische  Dichtung. 


625 


Minores  induerent  pannum  viliorem, 
et  de  corda  cannabi  induerent  cinctorem  ; 
sed  ut  locum  teneant  in  fastis  aliorum  1 ) , 
semet  ipsos  induunt  regium  colorem. 

With  an  0  and  an  I,  exivi  de  paradiso 

absconditur  sub  modio  Papa  sie  deriso. 

Inter  fratres  griseos2;  sie  est  ordinatuin. 

quod  nullnm  velle  mortuum  post  erit  mutatum. 

Si  conventum  videant  penuriis  gravatum. 

non  donabunt  aliquid,  sed  monstrant  kgatum.  100 
With  an  0  and  an  I,  Helmebrigge  3)  testatuni 
firinum  stat  cum  Frances  dicunt  desponsatum 4  . 

Isti  fratres  praedicant  per  villas  et  forum . 

quod  si  mortem  gustet  quis  in  habitu  Minorum, 

non  intrabit  postea  locum  tormentoruim 

sed  statim  deducitur  ad  regna  polorum  5  . 
With  an  0  and  an  I.  habitu0)  cum  zona 
adquiritur  ab  Helmebrigge  fratribus")  annona. 

Si  dives  in  patria  quisquis  infirmetur. 

illuc  frater  properans  et  currens  movetur  s  .  110 
et  statim  cum  venerit,  infirmo  loquetur. 
ut  cadaver  mortuum  fratribus  donetur. 

With  an  0  and  an  I,  ore  petimt  ista, 

dum  cor  et  memoria  simul  sunt  in  cista  9  . 

Quod  si  pauper  adiens  fratres  infirmetur. 
et  petat,  ut  inter  hos  sepulturae  detur  : 
»Gardianus  absens  est«,  statim  respondetur, 
et  sie  satis  breviter  pauper  excludetur. 

With  an  0  and  an  I,  quilibet  est  negans. 

quod  quis  ibi  veniat  nisi  dans  vel  legans.  120 

Fratres  in  capitulis  solent  compilare 
literas,  »suflragia«  quas  solent  vocare, 


1)  in  fastis  aliorum]  A.,  fastis  altiorem  B. 

2;  fratres  grisei,  grey  friars,  sind  ebenfalls  die  Franziskaner. 

3)  Helmebrigge]  B.,  Helingbrigg,  A. 

4)  desponsaium  A.,  dispensatum,  B. 

5)  2)oloru7n]  A.,  cölorum,  B.,  was  die  leichtere,  erklärende  Lesart  ist. 

6)  habitu]  B.,  prohibitum,  A. 

7)  fratribus]  B.,  fehlt  in  A. 

8)  movetur]  A.,  monetur.  B. 

9)  in  cista,  d.  h.  im  Geldkasten  des  Sterbenden. 


Lechler,  "Wiclif.  II. 


40 


626 


Anhang  B.  VII. 


vere  sed  *)  naufragia  debent 2)  nominare, 
viros 3)  cum  praecipitent  in  profundum  mare. 

With  an  0  and  an  I,  quod  papa  non  audet. 

falsus  frater  annuit,  et  spe  lucri  gaudet. 

In  bis  sunt  participes4)  omnium  missarum 
et  precum  similiter  et  abstinentiarum, 
nam  personae  dignae  sunt;  curant  valde  parum, 
130         numquid  tales  literae  sunt  de  usu  Sarumb). 

With  an  0  cmd  an  I}  tot  partes  dederunt, 
quod  ipsis  non  aliquae  credo  remanserunt. 

Tarn  vivis  quam  mortuis  tales  partes  dantur. 

sed  doctores0)  publice  blasphemiae  probantur. 

Haec  et  his  similia  fratres  operantur ; 

quae  restant  gravissiina,  hic  non  recitantur. 
With  an  O  and  an  I,  vos  fratres  valete 
in  vos  pravos  capiet7),  si  quis  trabat  rete. 

Quid  dicam  de  mvnachis  sancti  Benedicti? 
140         dictiss)  per  antipbrasin,  sed  sunt  maledicti, 

nam  non  servant  regulas,  quibus  sunt  astricti, 
ab  antiquo  Mammona  uimU  9)  sunt  depicti 10) . 
With  an  0  and  an  I,  leporem  venari 
rnalunt  quam  Jeronymi  vitam  venerari 11  . 

Nulli  sunt  qui  seculo12!  magis  se  dederunt, 
quam  illi  qui  seculo  renunciaverunt ; 
ut  canes  ad  vomitum  tales  redierunt  1  ; 
manus  dantes  aratro  retro  respexerunt  u) . 


1)  sed)  Ä.  und  a;  sunt,  b,  oflfenbar  gegen  die  HS.  13,  und  sinnlos 
zugleich. 

2j  debent]  A.  und  b;  debentur,  a. 

3)  viros]  A;  pueros,  B 

4)  sjunt  j)artici2)es  B ;  bullis  partes  sunt,  A. 

5)  Anspielung  auf  die  Liturgie  der  Kathedrale  von  Sarum  Salisbury  , 
welche  im  ^littelalter  maassgebend  geworden  war. 

6)  doctores  publice,  blasphemiae]  A;  d.  h.  sie  werden  öffentlich  als  Lehrer 
einer  Gotteslästerung  enviesen ;  blasphemi  pablici  doctores,  B. 

7)  ])ravos  capiet]  A;  capiet  pravos,  B. 

8)  dictis]  A;  dicti,  B. 

9)  nimis]  A.  und  a;  minus,  b. 

10)  depicti]  A;  deficti,  B. 

11)  venerari]  A;  contemplari,  B;  ersteres  ist  vorzuziehen,  wegen  des 
"Wortspiels  mit  venari. 

12)  qui  seculo]  A;  in  seculo  qui.  B. 

13)  cf.  II.  Petr.  2,  22. 

14)  cf.  Luc.  r>2. 


Eine  wiclifitische  Dichtung. 


627 


With  mi  0  and  an  J,  hoc  peccato  rei 

imllo  modo  dicti  sunt  apti  regno  Dei.  150 

Monachus,  qui  proprium  solet  abnegare, 

obbam1)  die  quolibet  vult  appropriare, 

nec  vult  ciphum  socii,  sed  proprium  portare, 

et  ni  discus  plenus  sit,  hic  vult  murmurare 2) . 
With  an  0  and  an  1,  fuit  dictum  prisco  3j : 
»Monachus  mundo  mortuus  vivens  est  in  disco.« 

Haec  ego  qui  feceram4;  monachos5)  aggressus, 
per  hos  rasus  fueram,  sed  nondum  professus ; 
sed  de  magnis  ocreis0;  cito  fui  fessus, 

et  ad  Christi  regulam  statim  sum  regressus7).  160 
With  an  0  and  an  I,  de  visis  in  domo, 
cum  juratus  fuerim  s  .  nunquam  seiet  homo. 

Zweiter  Theil. 

Tautos  motus  intuens  Dominus  in  mari 
et  Petri  naviculam  pene  conqua>sari 9) , 
quosdam  viros  nobiles  fecit  magistrari, 
ut  fides  ecclesiae  posset 10)  restaurari, 
Wy  clif  et  diseipulos  voluit  vocari. 

With  an  0  and  an  I,  hi  sunt  viri  nautae. 

ducentes  a  devio1^  Petri  navim  caute. 

Hi  doctores  mouachos  solent  increpare.  170 
quia  volunt l2)  regulam  propriam  13)  servare. 


1    ein  Trinkgeschirr. 

2j  murmurate]  A.  und  b;  minitare,  a. 

3)  prisco]  A;  presto,  B,  a  und  b,  mittels  Conj.  :  prisco:  cf.  Matth.  5,  21. 
4]  Hier  am  Schlüsse  des  I.  Theils,  stellt  sich  auf  einmal  der  Dichter 
persönlich  vor,  mit  einer  kurzen  Andeutung  seiner  Lebenserfahrungen. 

5)  monachos]  A;  monachus,  B.  a.  b. 

6)  ocreis]  A ;  b ;  otiis,  a. 

7)  regressus]  A;  egressus,  B.  a.  b. 

8)  cum  juratus  fuerim]  B.  a.  b;  pro  me  tum  juratus  sum  A. 

9;  et  Petri  naviculam  pene  conquassari]  diese  Zeile  steht  nur  in  A;  sie 
fehlt  in  B  (a.  b./.  Man  könnte  sie  für  eine  eingeschobene  Glosse  halten, 
zumal  bei  Aufnahme  derselben  die  Strophe  vor  dem  Refrain  5  Zeilen  hat, 
statt ,  wie  allenthalben  sonst ,  -1 .  Allein  die  Zeile  muss  doch  wohl  acht 
sein ,  da  bei  Auslassung  derselben  die  Worte  in  mari  nicht  recht  ver- 
ständlich sind. 

10)  posset]  A;  possit,  B.  a.  b. 

11)  devio]  A;  Domino,  was  keinen  guten  Sinn  gibt,  A  a.  b. 

12)  nolunt]  B.  a.  b  ;  volunt,  A. 

13)  regulam  propriam]  A;  proprias  regulas,  B.  a.  b. 

40* 


628 


Anhang  B.  VII. 


injungentes  monachis  otium  vitare, 
et  dant  per  quod  medium  debent  laborare. 
With  an  0  and  an  I,  roonachi  pinguati 
laborare  manibus  hoc  non  possunt  pati. 

Tunc  fratres  ulterius  probant  delirare. 
nullo  modo  validi  debent  mendicare, 
sed  aptantur  regula  mann  laborare, 
qnia  qnam  accipere  beatins  est  dare  l) . 
ISO  With  an  0  and  an  I,  Frannces  (sie)  laboravit, 

nt  posteri  sie  facerent,  primus  exemplavit. 

Tacto  laboritio  fratres  fnriebant 
et  ex  parte  propria  monachi  timebant : 
monachi  tum  propere2  fratribus  mittebant, 
qui  laeti  de  nuntio  statim3)  veniebant. 

With  an  0  and  an  l,  sit  Deus  beatus. 

hic  amici  facti  sunt  Herodes  et  Pilatus. 

Armacan4;  ,  quem  Dominus  cölo5)  coronavit, 
discordes  tantummodo  6    fratres  adunavit : 
190         sed  magno  miraculo  Wyclif  coruseavit, 

cum  fratres  et  monachos  simul  colligavit 7) . 
With  an  0  and  an  I,  consortes  effecti 
quovis  adversario8)  dicunt  sunt  protecti. 

Factum  est,  dum  monachis  fratres  9)  concordarent, 
quod10)  doctores  ordinum  Scholas11;  doctrinarent, 


1)  cf.  Act.  App.  20,  35. 

2   propei'e]  A;  proprie,  was  keinen  Sinn  gibt,  B.  a.  b. 

3)  statim]  A;  laeti,  tautologisch,  B.  a.  b. 

4)  Armacan]  B.  b  ;  a,  Armacanum ;  es  muss  aber  Nomen  sein;  Armo- 
lian  A.  Der  Name  des  berühmten  Erzbischofs  Richard  Fitz -Ralph  von 
Armagh,  -j-  1360,  ist  überhaupt  in  den  böhmischen  "Wiclif-Handschriften 
aus  Unkenntniss  gewöhnlich  verschrieben. 

5)  Dominus  cölo)  A;  cölo  Dominus,  B.  a.  b. 

6)  tantummodo]  Conjectur,  die  Handschriften  haben  einhellig  tantomodo. 
Der  Sinn  ist :  AViclif  hat  ungleich  mehr  zuwege  gebracht  als  der  Erzbischof 
von  Armagh :  dieser  hat  blos  die  verschiedenen  Bettelorden  durch  seine 
Opposition  zur  Einigung  getrieben,  Wiefif  aber  hät  bewirkt,  dass  Bettel- 
mönche und  besitzende  Orden  eine  Coalition  unter  sich  schlössen. 

7)  colligavit)  A;  collocavit,  B.  a.  b. 

8)  quovis  adversario,  d.  h.  gegen  jeden  Feind. 

9)  fratres]  A;  simul,  B.  a.  b. 

10)  quod]  A;  et,  B.  a.  b.  Die  Stellung  dieser  und  der  folgenden  Zeile 
nach  A;  B.  a.  b.  haben  die  Ordnung  umgedreht. 

11)  scholas]  A;  scholis,  B.  a.  b. 


Eine  wiclititische  Dichtung.  629 

atque  falsas  fabulas  fratres  praedicarent, 

per  quas  fainas  floridas  in  sonitum  migrarent. 
With  (in  0  and  an  I,  viri  veritatia 
multum  diffarnati  sunt  dictis  cum  tractatis  l) . 

Tunc  primus  determinans  est  Johannes  Wellis2)  200 
sanctos 3)  viros  reprobans  cum  verbis  tenellis, 
multum  conversatus  est  ventis  et  procellis, 
hinc4)  in  ejus  facie  patet  eolor  feÜis. 

With  an  0  and  an  I,  in  scholis  non  prodest 

imago5)  faciei  monstrat,  qualis  hie6)  est. 

Hic  promisit  in  scholis,  quod  vellet  probare, 
Nicol  Hereford  et  Wyclif")  dictis  repuguare. 
Sed  cum  hics)  nesciverat  plus  !J)  argumentare, 
Hereford  10)  solvens  omnia  jussit  Bayard  n)  stare. 

With  an  0  and  an  I.  Wellis  replicabat  210 
sed  postquam  Nicol  solverat,  tunc  12 j  Johannes  stabat. 

Tunc  successit  alius  Goydon1:!  nuncupatus, 
in  11  monachis  egregius  et  vir  magni  status ; 
propter  meum  dicere  nemo  sit  iratus, 
hic  non  erat 15)  clericus,  sed  laicus  literatus. 

With  an  0  and  an  I,  sub  veste  monachatus 

Goydon  fere  laicus  est  clam  piliatus. 

Hic  dixit,  quod  monachi  non  debent  laborare, 
sed  quod  fratres  validi 16)  debent  17  mendicare  ; 


1  dictis  cum  tractatis]  d.  h.  mit  Worten  und  Schrift.  Conjectur;  A  hat : 
dictis  nontractatis;  B.  a.  b  :  in  dictis  contractatis. 

2  Wellis]  A.,  Vellis,  B.  Magister  Johann  Wellys  oder  Wellis,  ein 
Benediktiner  aus  dem  Kloster  Ramsey ,  war  ein  eifriger  Gegner  Wiclif  s, 
und  erscheint  als  solcher  in  vielen  Urkunden,  s.  Fase.  Zizan.  113.  239  u.  s.  w. 

3)  sanctos]  A.  B.  b;  istos,  b. 

4  hinc]  A;  b.  durch  Conjectur;  B:  huc ;  Brewer,  a,  vermuthete  at. 

5  imago]  B.  a.  b ;  imago  namque,  A. 

6)  hic]  B.  a.  b;  quis,  A. 

7)  Nicol.  Hereford  et  Wyclif]  A;  Wyclif  et  Hereford  simul,  B.  a.  b. 

8)  hic]  B.  a.  b;  plus,  A. 

9)  plus]  B.  a.  b ;  hoc,  A. 

10)  Hereford]  A;  Nichol,  A.  a.  b. 

11)  Bayard]  B;  Bayherd,  A;  blind  bayard  =  blinder  Kauz,  blin- 
der Hesse. 

12)  tunc]  B.  a.  b ;  extunc,  A. 

13)  Goydon]  B;  Gaydon,  A. 

14)  in]  B.  a.  b;  pro,  A. 

15)  hic  non  erat]  B.  a.  b ;  non  erat  hic,  A. 

16)  validi]  B.  a.  b  ;  valide,  A. 
IT)  debent]  A.  a;  deberent,  c. 


630 


Anhang  B  VII. 


220         sed  ejus  asserere  vel  suum1)  negare 

non  est  factum2)  aliquod  liquide  probare. 
With  an  0  and  an  I,  magis  audax  pecus, 
quod  in  biga  cernitur,  extat  Bayard  caeeus 

Tunc  Cromphorn4)  accesserat  omnibus  ignotus, 
non 5)  Anglicus  nec  Wallicus  °)  nec  Scotus  nec  Francus, 
non  claustro  sed  seculo  se  donabat  totus ; 
apostata  tarn7)  publicus  a  nobis  sit  remotus  ! 
With  an  0  and  an  I,  a  claustro  sie  dempti 
Christi  non  sunt  ;  quare  sie?  quia  sunt  exemti8). 

230         Tu  Cromphorn yj  stultissime,  credo,  quodinsanis! 
Ut  quid10)  Scholas  occupas  frivolis  et  vanis? 
dicta  tua  non  valent  unuin  stercus  canis ; 
omnes  isti  monachi  coaxant  cum  ranis. 
WitJt  an  0  and  an  I,  dixit  bufo  crati 
maledicti  desuper  sint  tot  dominati. 

Facto  fine11)  monachis,  frater  sequebatur, 
doctor  de  Minoribus,  qui  M  er  ton12)  vocatur  ; 
sed  quia  balbutiens  tanquam  corvus  fatur, 
nihil,  quod  proposuit,  tunc  reputabatur 13) . 
240  With  an  O  and  an  I,  sileat  ut  mutus, 

donec  per  Franciscum  sit  loquelae  restitutus. 

Tunc  processit  W  h  a  p  p  e  1  o  d  e  14) ,  fere  cerebrosus, 
non  arguens,  sed  garrulans,  et  nimis  mendosus, 
cujus  labor  quilibet  est  infruetuosus, 
cum  sit  pro  mendaeiis  omuibus  exosus. 


1)  suum]  a;  sui,  A.  b.  Sinn:  sein  Behaupten  oder  Verneinen  ist  Be- 
hauptung, nicht  Beweis. 

2)  factum]  B ;  fratrum,  A. 

3)  magis  audax  —  caeeus]  Wiclif  selbst  spielt  einmal  auf  dasselbe 
Sprichwort  an ,  De  quatuor  sectis  novellis  c.  6  Wiener  HS.  3929.  f.  22S : 
In  vulgo  dicitur ,  quod  non  est  equus  in  biga  audacior ,  quam  est  caeeus. 
Vgl.  De  Ecclesia  c.  18.  HS.  1294.  f.  186,  CÖ1.  3. 

4)  Cromphorn]  Krummhorn,  A;  Crophorne,  B.  a.  b. 

5)  non]  A;  nec,  B.  a.  b. 

6)  Wallicus]  d.  h.  aus  Wales,  A;  Gallicus,  B.  a.  b. 

7)  tanfj  A;  jam,  B.  a.  b. 

8)  exemti]  A;  adempti,  B.  a.  b. 

9)  Cromphorn]  A;  Crophorne,  B.  a.  b. 

10)  quid]  A;  quod,  B.  b. 

1 1)  ßne]  B.  a.  b ;  sine,  A. 

12)  Merton]  B.  a.  b ;  Morton,  A. 

13)  reputabatur]  A;  reportabatur,  B.  a.  b. 

14)  Whappe'ode]  B.  a.  b;  Fabulot,  A. 


Eine  wiclifitische  Dichtung. 


631 


With  an  0  and  an  I,  talis  frater  fictus 
est  frater  aequivoce,  sicut  frater  pictus. 

Tunc  aecessit1)  alias  Stokis2)  nominatus, 
rufos  naturaliter,  et 3)  veste  dealbatus, 

omnibus  impatiens  et  nimis  elatus,  250 
et  contra  veridicos  dirigens  conatus. 

With  an  O  and  an  I,  sub  tarn  rubra  pelle 

animus  non  habitat  nisi  mixtus4)  feile. 

Hic  per  dies  plurimos  Doctor  laboravit 

ad  probandum  publice,  quod  Christus  mendicavit  ■"■  . 

allegans,  quod  feminae  Christus  imperavit, 

ut  potum  porrigeret,  et6)  ipsa  ministravit. 

With  an  O  and  an  L  si  tu  tacuisses, 

tunc  tu 7)  stulto  similis  philosophus  fuisses ! 

8i  legas,  a  seculo  non  erat  inventurn,  260 

a  quibus  haec  religio  cepit  fundamentuii] . 

polimitum8)  prinritus  habebat  indumentum, 

sed  cur  haec  despicitur,  est  magnum  portentum. 

With  an  0  and  an  I,  fuerunt  Pyed  Freres  9) ; 

quomodo  mutati  sunt,  rogo  dicat10)  Peris11). 

Horum  quidam  praedicant,  quod  sunt  ex  Maria, 
alii  tunc  asserunt,  quod  sunt  ex  Helia, 
cum  istorum  12)  quilibet  diecordet  a  via, 
nullus  talis  veniet  coli  monarchia  13) . 


1)  aecessit]  B.  a.  b;  processit,  A. 

2  Stokis  B.  a.  b:  Stocus.  A.  Der  Carmeliter  Peter  Stokes,  Dr.  der 
Theologie,  gegen  die  WicHf  sehe  Partei  vielfach  thätig. 

3)  et)  B.  a.  b;  fehlt  in  A.  4    mixtus]  A;  unetus,  B.  a.  b. 

5)  ad  probandum  —  mendicavit]  A.  Fehlt  in  B,  dagegen  hat  letztere 
Handschrift,  und  nach  ihr  a  und  b  folgende  Zeile:  nihil  ad  propositum, 
quod  argumentamt,  was  im  Zusammenhang  völlig  entbehrlich  ist,  während 
obige  Zeile  eine  wirkliche  Lücke  ausfüllt:  sie  nennt  die  These,  welche 
Stokes  mit  dem  Citat  aus  dem  Gespräch  Jesu  mit  der  Samariterin  be- 
weisen wollte. 

6)  et]  fehlt  in  A. 

7)  tunc  tu]  A,  tu  tunc,  B.  a.  b. 

8)  polimitum]  A.  b;  pollinudum,  b. 

9)  Pyed  Freres)  bunt  gekleidete  Bettelmönche ;  Die  Handschrift  A. 
hat  die  Glosse  picatus  zu  pyed. 

10)  dicat]  A;  a.  b;  Dico,  B. 

11)  Peris)  \  \  Pers,  B.  a.  b;  vielleicht  =  Piirce,  mit  Anspielung  auf 
»Peter  den  Xckersmann«  und  dessen  beliebte  Gesichte ,  s.  oben  1.  Buch, 
S.  244  ff. 

12  istorum]  B.  a.  b  ;  tunc  horum,  A. 
13)  monarchia]  A;  monachia,  B.  a.  b. 


632 


Anhang  B.  VII. 


27  0  With  an  0  and  an  I,  si  fundator  detur, 

ipse  dedit  regulam,  quae  rogo  monstretur. 

Post  haec  die  postera  Nicol  veniebat, 
et  ad  tacta *)  singula  clare  respondebat ; 
et  Philippus  Repington2)  omnia  solvebat, 
quae  Petrus  apocryphus3)  in  scholis  tangebat. 
With  an  0  and  an  I,  postquam  sie  solverunt 4) f 
et  fratres  et  monachi5)  vultum  depresserunt. 

Monachi  cum  fratribus (i)  pariter  videntes, 
quod  facere  nil  poterant 7)  adversus  innocentes, 
280        pauperum  pecuuiis  loculos  replentes, 

quantum  possunt  properant 8)  Londonias  currentes 9) . 
With  an  0  and  an  I,  pro  quaestu  sanetorum 
largas  dant  corrigias  de  bouis  aliorum. 

Post  haec  simul  adeimt  metropolitanum, 
Nicol  Hereford  asserunt  haereticum  profanum, 
et  Philippum  Repington  proclamant 10)  insanum 
praesulis  pecuniis  linientes  manum11). 
With  an  0  and  an  I,  pecuniis  placatus  : 
»quidquid  fratres  cupiunt«,  dicit,  »sum  paratus«. 

290        Tunc  ipsos  episcopus  et  fratres  citabant 12) , 

contra  quos,  cum  venerant13),  nihil  allegabant, 
qui  multis  injuriis  ipsos  aggravabant, 
qui  visis  periculis  ad  Papam  appellabant  . 
With  an  0  and  an  I,  Filius  et  Flamen 
hos  cum  Patre  dirigat14)  in  agendis!  Amen. 


1)  tacta]  B.  a.  b;  cuneta,  A. 

2)  Repington)  Repinton,  A;  Repyndone,  a;  Repyndoun,  b. 

3)  Petrus  apocryphus]  Peter  Stokes. 

4)  solverunt]  A;  voluerunt,  B.  a.  b,  sinnlos. 

5)  et  fratres  et  monachi]  A;  fratres  tunc  et  monachi,  B.  a.  b. 

6)  Monachi  cum  fratribus)  B.  a.  b ;  tunc  fratres  et  monachi,  A. 

7)  quod  facere  nil  potera?it]  A;  quae  facere  poterant,  B.  a.  b. 

8)  properant]  A.  b;  propriant,  a. 
(J)  currentes]  A.  b;  carentes  c. 

10)  proclamant]  B.  a.  b;  clamant,  A. 

11)  praesulis]  A.  b;  profusis,  a.  Sie  schmieren  des  Erzbischofs  Hände 
mit  Geld. 

12)  citabant]  B.  a.  b;  eibabant,  A. 

13)  cum  venerant]  B.  a.  b ;  venerant,  cum,  A. 

14)  dirigat]  A;  dirigant,  B.  a.  b. 


Wiolifa  angebliches  Schreiben  an  Papst  Urban  VT. 


633 


VIII. 

Liter a  missa  papae  Urhano  sexto  l) . 

A.  Handschrift  der  Wiener  Hof-  und  Staatsbibliothek  Nr.  13S7.  fol.  105. 

B.  Handschrift  der  Bodleianischen  Bibliothek  in  Oxford:  E.  Mus.  B6. 
Abgedruckt  in  Fasciculi  zizaniorum  ed.  Shirley,  Lond.  1858.  S.  341  fg. 

Gaudeo  plane  detegere  cuicunque  fidem  2J  quam  teneo,  et  specia- 
liter  Romano  pontifici ;  quia  suppono,  quod  si  sit  orthodoxa,  ipse  fidem 
illam  humiliter  confirmabit,  et  si  sit  erronea,  emendabit. 

Suppono  autem,  quod  evangelium  Christi  sit  cor  corporis 3)  legis 
Dei;  Christum  autem,  qui  evangelium  illud  immediate  dederat,  credo 
esse  verum  Deum  et  verum  hominem,  et  in  hoc  legem  evangelii  omnes 
partes  seripturae  alias4)  excedentem. 

Suppono  iterum,  quod  Romanus  pontifex,  cum  sit5)  summus  vica- 
rius  Christi  in  terris,  sit  ad  istam6)  legem  evangelii  inter  viantes  maxi- 
me  obligatus  ;  majoritas  enim  inter  Christi  discipulos  non  penes  magni- 
tudinem  mundanam,  sed  penes  Christi  imitationem  in  moribus  men- 
suratur. 

Iterum  ex  isto  corde ")  legis  Domini  patenter  elicio,  quod  Christus 
fuit  pro  statu  b)  hujus  viationis  homo  pauperrimus,  omnem  dominationem 
mundanam  abjiciens.  Patet  per  fidem  evangelii,  Matth.  VIII.  20,  et 
2.  Cor.  VIII.  9. 

Ex  istis  communiter  elicio,  quod  nec  papam9)  nec  aliquem10)  sanc- 
torum  debet  fidelis  aliquis  imitari,  nisi  de  quanto  ipse  imitatus  fuerit 
Dominum  Jesum  Christum.  Nam  Petrus  ,  Paulus  et  filii  Zebedaei  cu- 
piendo  dignitatem  mundanam  contra  istam  imitationem ,  deliquerant ; 
ideo  non  sunt  in  istis  erroribus  imitandi.  Ex  istis  elicio  tanquam  consi- 
lium  n)  ,  quod  papa  dimittat  seculari  brachio  temporale  dominium  12  ,  et 
ad  hoc  clerum  suum  efficaciter  exhortetur.  Sic  enim  Christus  fecit  sig- 
nanter  per  suos  apostolos. 


1)  A;  Die  Ueberschrift  lautet  in  B:  Copia  cujusdam  literae  Magistri 
Johannis  Wycclyff  missae  papae  Urbano  VI.  ad  excusationem  de  non  veniendo 
sibi  ad  citationem  suam  a.  d.  MCCCLXXX1V.  —  Lewis,  Life  of  Wiclif, 
ed.  1820.  194.  Nr.  SI.  gibt  den  Titel:  Excusationes  ad  Urbanum. 

2)  ßdem]  A;  fidem  meam,  B. 

3)  cor  corporis]  A;  corporis,  B;  corpus,  Shirley  kraft  Vermuthung, 
aber  irrig. 

4)  alias]  A;  fehlt  in  B.    Englische  Recension:  all  other  lawes. 

5)  sit]  A;  fehlt  in  'B. 
0   istatn]  A;  illam.  B. 

7)  isto  corde]  ein  Beweis,  dass  oben  cor  nicht  fehlen  darf. 

8)  statu]  A;  tempore,  B. 

9)  papam]  A;  ipsum  papam,  B. 

10   aliquem]  B;  alium,  A.    Englisch:  ne  no  saint. 

11)  consilium]  A;  concilium,  B. 

12)  temporale  dominium]  A;  dominium  temporale,  B. 


634 


Anhang.  B.  VIII. 


Si  autem  in  istis  erravero ,  volo  humiliter ,  etiam  per  mortem ,  si 
oporteat,  emendari.  Et  si  in  persona  propria  ad  votum  potero  laborare, 
vellem  praesentiam  Romani  pontificis  humiliter  visitare.  Sed  Deus 
necessitavit  me  ad  contrarium,  et  consequenter  l)  me  docuit  plus  Deo 
quam  hominibus  obedire.  Cum  autem  Deus  dederit  papae  nostro  iu- 
stinctus  justos  evangelicos,  rogare  debemus,  quod  instinctus  illi  non  per 
subdolum  consilium  extinguantur,  nec  quod  papa  aut  cardinales  aliquid 
agere  contra  legem  Domini  moveautur.  Igitur  rogemus  Dominum2) 
cujuslibet  creaturae,  quod  sie  excitet  papam  nostrum  Urbanum  sextum, 
sicut  ineeperat,  ut  imitetur  cum  clero  suo  in  moribus 3)  Dominum  Jesum 
Christum,  ut  ipsi  efficaciter  doceant  populum  in  hoc  ipsos  fideliter  imi- 
tari,  et  rogemus  spiritualiter  papam  nostrum  a  maligno  concilio4)  prae- 
servari ;  quod  certum5)  cognoseimus  ,  quod  »Inimici  hominis  domestici 
ejus«^) ,  et  »Deus  non permittit  nos  tentari  supra  id  quod possimws«")  :  multo 
magis  Deus8)  a  nulla  creatura  requirit,  quod  faciat  quod  non  potest ; 
cum  illa  sit  patens  conditio  Antichristi. 


1)  consequenter]  A;  communiter,  B. 

2)  Dominum]  A;  Deum  Dominum,  B. 

3  in  moribus]  A;  etiam  in  moribus,  B. 

4  concilio]  A.  und  B ;  consilio ,  Shirley  vermöge  einer  Conjectur, 
jedoch  ohne  genügenden  Grund. 

5)  certum]  A;  iterum,  B. 
•  6)  vgl.  Matth.  10,  36. 

7)  vgl.  1.  Cor.  10,  13. 

8)  multo  mayis  Deus]  A;  multo  plus  (ohne  Deus  ,  B. 


Register. 


Abaelard  I,  67. 

Abbotesley,  Pfarrkirche  I,  2S9  ff. 
Abel  I,  547.  589. 
Abendmahl  I,  606. 

Lehre  vom  Abendmahl  I,  631  ff. 

II,  29.  31.  fg.  534  fg.;  häufiger  Ge- 

nuss  des  Abendmahls  II,  129  ff. 

Abendmahl  unter  beiderlei  Gestalt 

s.  Kelch. 

Abgeschiedenheit,  mystische  I,  142  fg. 
Abgötterei,  sittliche  I,  564  fg. 
Ablass  I,  707  fg.  II,  132.  174  ff.  352. 

523  ff.  536. 
Absolution  I,  615. 
Accidentien  I,  615.  620.  622. 
Ackermanns  Erzählung  II,  35  ff. 

—  Gebet  II,  105. 

—  Gesichte  II,  36. 

—  Glaube  II,  36  fg. 
Adam  I,  511.  522.  547. 
Adamiten  in  Böhmen  II,  466.  Anm  2. 
Adelbert  von  Bremen  I,  34. 
Adoptianer  I,  42. 

Aegidius  von  Viterbo  II,  404. 
Aelfric  I,  433. 
Aeneas  Sylvius,  s.  Pius  II. 
Aevum,  aevitas  I,  497. 
Agnesberg  bei  Zwoll  II,  52S  fg. 
Agobard  von  Lyon  I,  35. 
Agricola,  Rud.  II,  502.  52!». 
Ailly,  Card,  d',  I,  473.  Anm.  3.  IL 

203.  210  ff.  2S1. 
Akko  I,  93. 
Akosmismus  I,  1-13  fg. 
Alanus  de  Insulis  I,  40. 
Albert  der  Grosse  I,  497.  509. 
Albik,  Erzb.  von  Prag  II,  173.  1S3. 
Aldhelm,  Bischof  I,  432  fg. 
Alexander  II.  I,  172. 
Alexander  III.  I,  72  fg. 
Alexander  V.  II,  156  fg. 


Alexander  VI.  II,  539  fg.  543.  545. 

Alexander  von  Haies,  s.  Haies. 

Alexiusbrüder  II,  4. 

Alfred,  König  I,  171.  433. 

Alice  Perrers  I,  361  fg. 

Allmacht  Gottes  I,  491  fg. 

Allwissenheit  I,  492. 

Alterthum ,  christliches ,  Errungen- 
schaften desselben  I,  30. 

Alvaro  Pelavo  1,118.  Anm.  1 60.  Anm. 
163  fg. 

Amalrich  von  Bena  I,  159. 
Ambrosius  I,  616  fg.  II,  343.  40s. 
Ambrosius  Traversari  I,  7'». 
Amersham  in  Buckinghamshire  II, 

435  fg.  450. 
Ammonius,  Andr.  II,  439. 
Arnes  in  Wodnian  II,  510. 
Ampere,  J.  J.  I,  162.  Anm. 
Anbetung  der  Hostie  I,  624. 
Andree  II,  285.  Anm.  1. 
Angelsachsen  I,  16S  ff. 
Angelsächsische  Literatur  I,  432. 
»Anglikanische  Kirche«  I,  175. 
Anglo-normannische  Sprache  I,  434. 
Angrogne,  Synode  von,  1532.  I,  48. 
Anna  von  Luxemburg,  Richard' s  II. 

Gemahlin  II,  110  ff. 
Annaten  I,  164.  Anm.  345.  356. 
Anrufung  der  Heiligen  I,  558.  560. 
Anselm  von  Canterbury  I,  141.  Anm. 

14(i.  Anm.  173.  237/240.  490.  495. 

498.  509.  521. 
Antichrist,  Erwartung  desselben  I, 

73  fg.  78.,  der  Papst  Antichrist  I, 

595.  709.  II,  244.  264. 
Antinomismus  I,  155.  160  fg. 
Antonius  von  Padua  I,  83. 
Apokalyptische   Richtung  I,   76  ff. 

II,  33.  120.  551. 
»Apokryphisch«  alles  ausser  der  Schrift 

I,  476. 


636 


Register. 


Apostelbrüder  I,  87  fg. 
Apostolische  Armuth  I,  50.  80  fg. 

118  ff.  142. 
Apostolisches  Bekenntniss  II,  315. 

321.  405  fg. 
Appellationen  I,  195. 

—  vom  röm.  Stuhl  an  ein  allgem. 

Concil  II,  494. 
Appropriation  I,  191  fg. 
Arbeit  an  Heiligentagen  I,  561. 
Aristoteles  I,  108.  461. 
Aristotelische  Metaphysik  I,  497.  526. 
Armachanus  s.  Richard  Fitz-Ralph. 
Armenische  Kirche  (Lehre)  I,  217  fg. 
Armuth,  evangelische,  I,  330  fg. 
"Arme  Priester«  I,  419  ff. 
Arnold  von  Brescia  I,  64  ff.  79.  741. 
Arnold,  Thomas  I,  16  fg.  404.  Anm. 

2.  419.  Anm.  423.  Anm.  3.  426. 

428.  441.  Anm.  1.  628.  Anm.  659. 

Anm.  2.  669.  Anm.  698.  Anm.  713. 

Anm.  1.  II,  350.  Anm.  556. 
Aries  liberales  I,  278  fg. 
Arundel,  Thomas  Graf,  Erzbischof 

I,  414.  438.  609.  II,  24.  46.  60. 
66  fg.  74.  78  fg.  83  ff.  Tod  92. 

322.  357.  412. 
Askese  I,  28  fg. 
Askew,  Bischof  II,  360. 

Aston  I,  414.  421.  660.  6S5.  687  ff. 

II,  4.  Anm.  7  ff.  14.  17  fg. 
Augsburgische    Confession  I,  609. 

Anm.  J . 

Augustin  I,  143.  Anm.  145.  237  ff. 
240.  242.  Anm.  243.  461 .  465.  485  fg. 
493  fg.  505  fg.  509  ff.  522.  543. 
545.  547.  550  fg.  571.  599.  II,  257. 
267.  316.  331  fg.  343.  408.  533. 
542. 

Augustin,  »Ap.  der  Angeln«  I,  318. 
Augustiner-Eremiten  II,  460  fg. 
Auktorität  der  Kirche  II,  401  ff. 
Auktoritäten,  nach  scholast.  Begriff 

I,  467.  469. 
Ausf  in  England  I,  365. 
Austie  in  Böhmen  II,  297. 
»Authentisch«,  die  Schrift  I,  470. 
Avignon  I,  93.  114.  163  ff.  209  ff. 

B. 

Baalspriester  I,  625  fg. 

Baber  I,  389.  Anm.  451 .  Anm.  II,  554. 

Babington  II,  353.  Anm.  365  fg.  Anm. 

368  fg.  Anm.  391.  Anm.  4.  399  fg. 

Anm. 

"Babylonische  Gefangenschaft«  der 
Tapste  I,  93. 


Baccalaureat  I,  284.  286.  293. 

Bacon.  Roger,  s.  Roger. 

Badby,  Jon.,  II,  64  ff. 

Bagley,  Thom.,  II,  315.  327. 

Bakonthorpe  I,  217. 

Bale,  Joh.,  I,  21S.  Anm.  313.  319. 

432.  440.  443.  717.  II,  554. 
Ball,  Joh..  I,  245.  656.  661. 
Balliol-Colleqe  in  Oxford  I,  272.  274. 

288  ff.  316. 
Baiton  I,  685. 
Bann  I,  577.  II,  244  fg. 
Barlo w  II,  458. 

Barnes,  Rob.,  II,  454.  459.  461. 
Baronius  I,  36.  Anm.  70. 
Barons  I,  591.  Anm.  1.  II,  460  fg. 
Bartlet,  Robert  u.  Richard,  II,  436. 
449  fg. 

Basler  Concil  II,  348.  478  ff.  489  ff. 
503.  - 

Bauernaufstand  in  England  1381,  I, 

656  ff.  704  fg. 
Baur  I,  231.  Anm.  240.  Anm. 
Bayfield,  Rieh.,  II,  458. 
Becket  von  Patteswick  II,  14.  29. 
Becket,  s.  Thomas  Becket. 
Beda,  der  Ehrwürdige,  I,  432  fg. 
Bedeman  I,  660.  685.  692.  695. 
Begharden  I,  155.  Anm.  156  ff.  II,  4. 
Beginen  I,  133.  157  ff. 
Begüterte  Orden  I,  587. 
Beichte  I,  669  fg. ;  bei  Bettelmönchen 

I,  219  ff. 
Bekehrung  I,  523  ff.  538. 
Beiknappe,  Rob.,  I,  347. 
Bellarmin  II,  33o. 
Benedikt  XIII.  I,  205. 
Benedikt  von  Nursia  II,  39  fg. 
Benesch  II,  255. 

Berengar  Taloni  I,  118. 

Berengar  v.  Tours  I,  61.  Anm.  634. 

638.  Anm.  3.  II,  343. 
Berger,  W.,  II,  195.  Anm.  228  fg. 

und  Anm.  3  22s). 
Bernard,  Thom  ,  II,  448. 
Bernhard  von  Clairvaux  I,  66 ff.  7;». 

141.  Anm.   145.   146.  Anm.  163. 

228.  382.  5.10.  533.  741.  II,  237. 

343. 

Bernhard  von  Font-Caude  I,  58  ff. 
Bernhard,  Erzb.  von  Narbonne,  I,  58. 
Berthold  von  Regensburg  I,  44.  133. 

140  fg    158.  397. 
Berton,  Wilh.,  in  Oxford  I,  654  fg. 
Besoldungswesen,  kirchliches,  I,  419. 

II,  297.  339  fg.  394  fg. 
Bessarion  II,  529. 


Register. 


637 


Bethlehemskapelle  in  Prag  II,  137  ff. 
162  fg.  160.  ISO. 

Betteln,  sittliche  Berechtigung  1,219  f. 

Bettelorden  I,  39.  80.  141.  190  fg. 
457.  Erzb.  Bichard' s Polemik  gegen 
sie  218  ff.  225  fg.  256.  Wiclif  und 
die  Bettelorden  I,  319.  374.  416. 
585  ff.  663  fg.  679.  II,  54  fg. 

Bibel,  s.  Schrift,  heilige. 

Bibelmänner  II,  370.  433  fg. 

Bibelübersetzung,  waldensische  1,49. 

—  irische  I.  2iS. 

—  englische,  vor  Wiclif  ?  I,  430  ff. 

—  Wiclif  sehe  I,  437  ff.  651.  II,  Sfg. 
16.  IS.  20.  23.  7S.  97  fg.  111.  350. 
424. 

—  lutherische  I,  450.  453  fg. 
Biberach  II,  192. 

Bilder  Heiligenbilder)  I,  555  fg.  II, 
126.  293  fg.  343.  3SS  ff.  430.  473. 

Bilderstürmer,  taboritische  II,  465. 
469. 

Bilney  II.  450. 

Bischof  und  Presbvter  I,  109.  573  fg. 

II,  26S.  341.  473.  522. 
Bischöfliches  Amt  I,  574.  II.  357  fg. 

363  ff. 

Blacater,  Erzb.  v.  Glasgow  II,  431  fg. 
Blahoslaw  II,  507.  Anm. 
Blomstone  II,  427  ff. 
Boccaccio  I,   102.  Anm.  134.  409. 

II,  500  fg. 
Bocher,  Wilh.  ,'Butcher:  II,  457. 
Böhmen  II,  110  ff.  347]  375  fg. 
Böhmischer  Adel  II,  274  ff. 
Böhmische  Brüder  I,  46.  4S. 
Böhmer,  Ed.  I,  101  fg.  Anm.  115, 

Anm . 

Böh.ringer  I,  12.  Anm.  32S.  Anm. 
346.Anm.2.  592.  Anm.  613.  Anm.  3. 
654.  Anm.  691.  Anm.  II.  167.  Anm. 
259. 

Böklerbund  II,  487. 
Bonagratia  I,  120  fg. 
Bonaventura  I,  SO  fg.  Anm. 
Bonifacius  VIII.  I,  93  ff.  108.  112. 

130.  137.  207  fg.  499. 
Bonifacius  »Apostel  der  Deutschen« 

I,  171. 
»Bom  honwies«  I,  61. 
Bonner,  Bischof  I,  431. 
Boothe,  Bischof  II,  360. 
Bor,  Joh.  v.  II,  132. 
Böse,  das  I,  237  ff.  506  ff. 
Bourchier,  Erzb.  II.  36s.  Anm.  412  fg. 

417. 

Bracton  I,  206. 


Bradwardin,  s.  Thomas  v.  Bradwardin. 
Brancaccio,  Card.  II,  165.  181. 
Brant,  Sebast.  II,  499  fg. 
Braybrooke,  Hob.,  Bisch,  v.  London 

I,  691.  II,  24.  96. 
Botzek  v.  Podiebrad  II,  276. 
Bremen,  Erzbisthum  I,  34. 
Bretignv,  Friede  von  I,  247.  336  fg. 
Brewster,  Joh.  II,  439. 
Brezowa.  Chronist  II,  464.  Anm.  470. 
Brightwell  I,  685. 

Brigitta,  die  heil.  I,  166.  II,  129. 
Britten,  die  alten  I,  16S.  170.  II,  35. 
Brockhaus  I,  20.  Anm. 
Brömel  I,  152.  Anm. 
Bromyard  I,  396.  Anm. 
Brown,  Eduard  I,  5.  17S  fg.  Anm. 
185.  Anm.  186.  198.  Anm. 

—  Johann  II,  445  fg. 

—  Roger  II,  428  ff. 

—  Wilhelm  II,  308.  319. 
Brüder  des  freien  Geistes  I,  42. 

—  des  gemeinsamen  Lebens  11,501  fg. 
527  fg. 

—  von  Cheltschitz  ,  Brüder  -  Unität 

II,  506  ff. 

Brügge  in  Flandern  I,  346.  34S. 
Brüte,  Walter  II,   30  ff.  44  fg.  49. 
101. 

Buchdruckerkunst  II,  444. 
Bücherpreise  II,  442.  Anm. 
Buckingham,  Grafschaft  II,  435  ff. 
450. 

Bugenhagen  I,  450. 
Bukingham,  Bischof  von  Lincoln  I, 
691. 

Burckhardt,  Jak.  II,  501.  Anm. 
Burleigh,  Walter  I,  461. 
Bürgerthum  im  XV.  Jahrhundert  II, 
499. 

Bury,  Joh.  II,  412.  417.  Anm. 
Busse  I,  523. 

Bussakrament  II,  32.  249.  292.  314. 

429  fg.  536. 
Butler,  Richard  II,  442.  Anm. 

—  Thom.  II,  42s  ff. 

—  Wilhelm  II,  97. 


c. 

Caedmon  I,  432. 
Caesarei  episcojn  etc.  I,  575. 
Calixtiner  II,  301.  466. 
Calle,  Joh.  II,  30S.  326. 
Calvins  Abendmahlslehre  I,  543 fg. 
Cambridge,  Univ.  II,  362.  412.  454. 
459. 


038 


Kegister. 


Canon,  Nicol.  II,  310.  Anm.  3. 

Canossa  I,  64.  173. 

Canterbury,  das  Benediktinerstift  da- 
selbst I,  304  ff.  312. 

Canterbury-Halle  in  Oxford  I,  294  ff. 
306fg.  312.  316.  334.  336. 

Cantionale  von  Leitmeritz  II,  285  fg. 
Anm. 

—  von  Prag  II,  285.  Anm.  514.  Anm. 
Cardinalscollegium  II,  242  fg. 
Carlstadt  I,  643. 
Carmeliter  I,  590. 

Carpsnter,  Kanzler  von  Oxford  ll,  361 . 

Cassiodor  II,  343. 

Centralisation  von  Rom  aus  I,  136  fg. 

Oesarini  Card.  II,  478. 

Charta  Magna  I,  174 fg.  475. 

Chase  Thom.  II,  436 fg.  443. 

Chaucer  1,409  ff.  453  fg.  II,  4.  Anm. 

35  fg. 
Chedworth  II,  414. 
Chichelv,  Erzbischof  II,  92.  95.  100. 

306.  313.  322.  325.  348. 
Chiliastische  Hoffnungen  II,  464. 
Christann  von  Prachatitz  II,  183  fg. 

261.  289.  291  ff.  299.  469. 
Christ  -  Church  -  College    in  Oxford 

I,  312. 

»Christi  Gesetz«,  s.  Schrift,  heilige. 
Christoph ,  Herzog  v.  Württemberg 
I,  6. 

Christus  s.  Jesus  Christus. 
Chrysoloras,  Man.  II,  500. 
Ciarisse  I,  12.  Anm. 
Clarke,  Adam  I,  4  51. 
Ciaydon,  Johann  II,  95  ff.  99  fg.  103. 
Clemens  der  Heilige  I,  55S. 
Clemens  v.  Alex.  I,  29. 
Clemens  V.  I,  10S. 
Clemens  VI.  I,  209  f. 
Clemens  VII.  I,  579 ff.  646 ff". 
Clemens  v.  Lanthony  I,  443. 
Clerus  Christi,  Clerus  Antiehristi  II, 
264. 

Clifford,  Sir  Lewis  I,  387  fg.  II,  11.  79. 
Closener,  Chronik  I,  131. 
Cobham,  Lord  II,   22.    80  ff.   93  fg. 

100.  107.  302.  321.  328. 
Colet,  Joh.  II,  453. 
Cölibat  I,  38.  571  fg.  II,  26  fg.  311. 

345  fg. 

Colins,  Familie  II,  449 fg.  457. 
Colleges  in  Oxford  I,  272. 
Collegialsystem  I,  126. 
Colonna,  s.  Otto  v.  Col. 
Communion,  häufige  II,  122.  129  fg. 
294  fg. 


Compactaten  II,  481.  484.  503. 
Concilien  I,  106.  HOff.  125 fg.  128. 

II,  489 ff.  495 fg.  544 fg.,  s.  Basler 

Concil  und  Constanz. 
Concil  von  Trient  I,  624.  Anm.  3. 
Concordate  II,  499. 
Concordienformel  I,  629. 
Conrad  von  Lichtenau  I,  82. 
Consekration  I,  614.  617.  622.  II, 

249fg.  314.  318. 
Consilia,  Gegensatz  praecepta  I,  109. 

532 fg.  567.  Anm.  1. 
Constantin's  (angebliche)  Schenkung 

I,  33.  59fg.  68.  Anm.  3.  88.  254 fg. 
574  fg.  593  fg.  II,  244  ff.  393  fg. 
417.  501.  505. 

Constantine,  Georg  II,  458. 
Constanz,  Concil  II,  186  fg.  251.268. 

274.  278  ff.  291  fg.  304  fg.  325.  489. 
Conventikel,  wiclifitische  II,  98  fg. 
Convention  zwischen  England  u  der 

Kurie  1-175.    I,  352  fg. 
Convocation  II,  45. 
Conway,  Roger  I,  227.  229. 
Cornelius,  CA.  I,  591.  Anm.  1. 
Cosin  II,  443. 

Courtnay  I,  353.  368  ff.  376  f.  383. 

386.  412.  422.  Anm.   609.   666  ff. 

670  ff.  694  fg.  699.  707  fg.     II,  8. 

16.  Anm.  43.  46  fg. 
Coventry,  Loliarden  daselbst  II,  42  .  ff. 

447. 

Coverdale  II,  459. 
Craw,  Paul  II,  327. 
Cromp  I,  6s(ifg.  691.  II,  4.  Anm. 
Cromwell,  Thom.  II,  453. 
Crowley,  Rob.  I,  24^  Anm. 
Crowther,  Rob.  II,  428  ff. 
Cruciata  I,  Ti.^ff. 
Cunitz  I,  45.  Anm. 
Cunningham  I,  314.  674.  724. 
Cuthbert  I,  433.  Anm.  1. 

1) 

Damlet,  Hugo  II,  412. 
Dänen  in  England  I,  168.  171. 
Daniel  I,  542.  Anm.  1.  637.  Anm.  2. 
Dante  I,  95.  101  ff.  133fg.  255.  Anm. 

II,  5U0. 

David  von  Augsburg  I,  141. 
Deformation  1,  593,  von  judaisiren- 
der,  von  hellenischer  Seite  I,  26  fg. 
Deismus  englischer  II,  4 IS. 
Dekretalen,  Dekretalisten  I,  106. 
Delitzsch,  Joh.  I,  144.  Anm. 
Delprat  1,  12.  Anm. 


Register. 


639 


Demuth    (Demuth    Christi  I.  519.) 

I,  529 fg.    II,  41. 
Demuth  zum  Schriftverständniss  er- 
forderlich, I,  4S4.    II,  3SG.  424. 
Dexter  II,  13.  44. 
Diakonen,  urchristliche  I,  573. 
Dialektik  im  Mittelalter  I,  271). 
Dieckhoff  I,  47.  Anm.  4SI.  Anm. 
Dionysius  Areopagita  I,  145.  238. 

240.  405.    II,  291.  343. 
Doctorat  der  Theologie  I,  31 2  ff. 
»Doctour  -  monyers«  II,  370.  425. 
Doketismus  I,  032  fg. 
Döllinger  I,    33.  Anm.    00.  Anm. 

TT.  Anm  1.    83.  Anm.    S5.  Anm. 

164.  Anm.  210.  u.  Anm.  255.  Anm. 

574.  Anm.  727.  Anm.  3.  II,  394. 

Anm.  3. 

Dolan,  Karthäuserkloster  II,  109. 
IT:',. 

Dolcino  I,  86 fg. 

Dominicus  I,  39.  80.  457.  588.  ' 
Dominikaner  I,   39.  80.   IIS.  121. 

190.  590.  als  Volksprediger  397. 
Dominium  I,  498fr.  587.  Gegensatz 

ministerium  I,  500  fg. 
Domkapitel  zu  Prag  II,  2T9. 
Donat  II,  399  fg. 
Donatisten  I,  009.  012.  II,  343. 
Döring,  Matthias,  in  Erfurt  II,  523. 
Drandorf  Drändorf)  II,  486. 
Dravton,  Thomas  II,  92.  Anm.  308. 

321. 

Dreieinigkeit  Gottes  I,  493  fg. 
—  rationell  bewiesen  I,  409.  494. 
Dringenberg  II,  502. 
Drobisch  II,  153  fg.  Anm.  3. 
Dualismus  der  Katharer  I,  40. 
Dudik  II,  113.  Anm.  2.    135.  Anm. 
Dugdale  I,  055.  Anm.  3. 
Duns  Scotus  I,  490.  528.  668. 
Durandus  von  Osca  I,  52. 
Durdant  Rob.  II,  442. 
Durham-Buch  1,  433.  Anm. 

E. 

Eberlin  von  Günzburg  I,  591. 

Echard,  Jak.  I,  397. 

Eckhart,  Meister  I,  140ff.  140 ff. 

Eduard  I.  von  England  I,  200  ff. 

Eduard  II.  I,  209. 

Eduard  III.     I,   206.    209  ff.  233. 

321.  340.  349.  357.  361  fg.  365. 

375 fg  3S0. 
Eduard  IV.  II,  420. 
Eduard,  der  schwarze  Prinz  I.  337. 

349  fg.  361  fg. 


Eidschwur  I,  54  fg.  II,  292.  506.  509. 
614. 

Eigenthumsrecht  I,  37S.    II,  31 4  fg. 

Elias,  Franziskaner  I,  82  fg. 

Ellendorf  I,  70. 

Engel,  gute  und  böse  I,  504. 

Engelhard  I,  77.  Anm.  79.  Anm. 
83.  Anm.  145.  Anm.  404.  Anm.  2. 
•"> •';<>.  Anm. 

England,  seine  Geschichte  im  Mittel- 
alter I,  lOSff.  II,  331. 

—  und  Korn  I,  170  ff. 

—  alt-englische  Sprache  u.  Literatur 
I,  43 5  fg. 

—  Humanismus  in  England  II,  453. 

—  englische  Reformation  II,  452. 
401  f. 

Episkopalismus  I,  577.    II,  208. 
Erasmus  I,  277.  II,  439.  502 fg.  512. 
Erbsünde  I,  51 2  fg.  521  fg. 
Erdbeben  I,  667  ff. 
Erdmann  Ed.    I,  403.  Anm.  490. 

Anm.  1. 
Eremit  von  Hampole,  s.  Rolle. 
Erfurt,  Univ.  II,  494.  498.  523. 
Ernst  v.  Pardubitz,  Erzb.  von  Prag 

I,  107.    II,  113  ff. 
Erwählung  II,  238  ff. 
Eugen  III.    I,  07  ff. 
Eugen  IV.   I,  70.  490. 
Evangelium,  »das  ewige«  I,  T9.  s'j  ff'. 

—  DasEv.  einEv.  der  Freiheit  I,  125. 

—  Gesetz  und  Evangelium  I,  488. 

II,  33. 

»Evangelische  Männer«  I,  000  f. 
Ewigkeit  Gottes  I,  492  fg.  497. 
Excommunication  I.  070. 
Eyburhall,  Thom.  II,  412. 

'  F 

Faber  (Fabri  .  Johann  I,  4. 

—  Urtheil  über  Luther,  Hus  und 
Aston  I,  4. 

Fabian,  .Hob.,  Chronist  II,  -133  fg. 

Falks,  Joh.  II,  428  ff. 

Fall,  Sündenfall  I,  511  fg. 

Fasten  II,  292.  473. 

Fegefeuer  I,  62.  542.  564.  II,  291  fg. 
430.  473.  482.  536. 

Felloics  der  Colleges  englischer  Uni- 
versitäten I,  272. 

Ferrar.  Nikolaus  I,  7.  Anm. 

Ferrars,  Lord  I,  366. 

Feste,  kirchliche  I,  500 fg.  II,  297. 
312  fg. 

Heiligenfeste  I,  560  fg. 
Ficker.^Theod.  I,  30.  Anm. 


640 


Register. 


Fillingham  I,  292.  316. 

Fish,  Simon  II,  458. 

Fisher,  Bischof  von  Rochester  II,  445. 

Fitz -James,   Richard,    Bischof  von 

London  II,  43S.  440. 
Flacius,  Matthias  I,  6.  717.  II,  522. 
Flathe  I,  215  und  Anm. 
Fleming,  Rieh.,  Bischof  von  Lincoln 

II,  325.  354. 
Florenz  II,  500.  53SfF.  544. 
Floris   (Flore,  Fiore)    Kloster  und 

Congregation  I.  76.  78. 
Forshall  I,  440.  450  fg.  Anm. 
Fox,  Bischof  von  Winchester  II,  453. 
Fox,  Richard,  Pfarrer  II,  456  fg.'  460. 
Foxe,  Johann,' Leben  I,  6  fg. 

Märtyrerbuch  I,  6 fg.   31.    373  fg. 

388fg.  Anm.    667 fg.  Anm.  716. 

II,   67.    106.  Anm.    351.  Anm.  2. 

353.  Anm.  435.  446. 
Francke,  H.  I,  65.  Anm. 
Franken,  fränkisches  Reich  I,  31  fg. 
Frankreich    im   XIII.  Jahrhundert 

I,  91  fg. 

■ —  englisch -französische  Kriege  I, 

209.    II,  39S.  406. 
Franz  von  Assisi  I,  8  ff.    39.  143. 

457.  588.  741. 
Franziskaner  I,  39  fg.    IIS  ff.  190. 

224.  499.  590. 

—  als  Volksprediger  397. 
Französische  Bibelübersetzungen  im 

Mittelalter  I,  434. 

Fratricellen  I,  118.  159. 

Frauen  als  Lehrerinnen  und  Predi- 
gerinnen I,  61.  II,  297fg.  338  fg< 
386. 

—  Bewahrerinnen  des  Glaubens  I, 
127.    II,  128. 

Freidank  I,  43  fg. 

»Freier  Geist«  (»Brüder  des  freien 
Geistes«;  I,  155  fg.  159  fg. 

Freiheit,  menschliche  Willensfreiheit 
I,  239  ff.  505  ff. 

—  evangelische  I,  700.    II,  339. 
Frieden  I,  104.  107. 

Friedrich  I.  Barbarossa  I.  60.  Anm.  1. 
66.  72  fg. 

Friedrich  IL,  Kaiser  I,  39.  44.  88 ff. 
Friedrich,   Dr.  Joh.   II,  238.  Anm. 

240.  Anm.  * 
Frith  Joh.  II,  458. 

G. 

Gallikaner  I,  577. 
Gandavo,  s.  Göthals. 


Gansfort,  s.  Johann  Wessel. 
Gardner,  Wilh.  II,  461. 
Garenter,  Thomas  II,  318.  320.  320. 
326. 

Garnier,  Arn.  I,  341.  355.  356  Anm.  1. 

359.  II,  575  ff. 
Garret,  Thom.,  Pf.  in  London  II, 

452.  458. 

Gascoigne,  Thomas  I,  203.  719  fg. 

II,  352  Anm.  1.  354.  358  fg.  361. 

411  Anm.   4.  v 
Gebet  II,  316  ff.  342.  345. 
Geffken  II,  115  Anm. 
Gegenwart   des  Leibes  und  Blutes 

Christi  im  Abendmahl  I,  633  ff. 
Gehorsam,   die  Pflicht  des  kirchl. 

Gehorsams  II,  243  fg. 
Geiler  von  Kaisersberg,  II,  500. 
Geistlichkeit,   christliche  —  wider- 
christliche, II,  242. 
Gelasius  I.  II,  251.  Anm. 
Geleite,  freies  II,  228  fg.,  Hus  und 

das  freie  Geleite  II,  189  ff.  228  ff. 
Gelübde,  Kritik  derselben  v.  Goch, 

II,  520  ff. 
Gemeindeprinzip  I,  !26. 
»Gemeinen«  | Unterhaus    I,   675  fg. 

701. 

Georg  von  Knienitz  II,  113. 
Georg  von  Podjebrad  11,  276.  506  fg* 
Gerbert  I,  277. 

Gerhard  von  San  Donnino  I,  b4.  86. 

Gerhoh  v.  Reichersberg  I,  73  ff.  7!' ff. 
95  fg.  Anm. 

Gerichtsbarkeit,  kirchliche,  bürger- 
liche I,  92. 

Germanen  I,  31  fg. 

Gersdorf  II,  154.  Anm. 

Gerson,  Joh.  I,  230.  II.  187.  228. 
Anm.  280  fg. 

Geschichte,  bibl.,  als  Gegenstand  der 
Predigt  I,  402.  405. 

Gesetzgebung,  kirchliche,  II,  397. 

Gesetz  und  Evangelium  I,  488. 

Gesetzlichkeit  der  röm.-kath.  Kirche 
I,  96. 

Gewissensfreiheit  I,  567  ff.  II,  401  ff. 

Ghest,  Lorenz  II,  43". 

Gieseler  I,  159.  231.  Anm.  240.  Anm. 

389  Anm.  II,  230  fg. 
Gilbert,  Joh.,  B.  v.  Bangor  I,  316  fg. 

353. 
Gilles  I,  4S. 

Gindely,  Anton  II,  506  ff.  Anm. 
Giraldus,  Cambrensis  I,  179  fg. 


Register. 


641 


Glaube,  Begriff  des  Glaubens  bei 
Wiclif  I,  52«  ff  ,  bei  Wessel  II, 
532  fg. 

—  Wirkung  des  Glaubens,  I,  526  fg. 

Glaubensartikel  II,  333  fg. 

Gnade.  Bradwardin's  Lehre  von  der- 
selben, I,  234  ff.  Wiclif  von  der 
Gnade,  I,  535  ff.  Joh.  v.  Goch 
II,  518  fg. 

Gnadenmittel  II,  340. 
Gnadenstand  ungewiss  II,  552  fg. 
Gnadenwahl  I,  240.  543.  545  ff.  II, 
267. 

Gnosis,  gnostische  Sekten  I,  28.  42. 

Goch,  Johann  von,  I,  473  Anm. 

Goldast  I,  99.  107  ff. 

Goldsmith  II,  13. 

Goliath  II,  331  fg. 

Görres  I,  139  Anm. 

Göthals,  Heinr.  de  Gandavo  I,  461. 

Gott.  Gottes  Dasein,  I,  490. 

—  die  erste  Ursache,  Allwirksamkeit 
Gottes  I,  236  ff. 

Gottes  Denken  und  Schaffen  I,  462  fg. 

—  Eigenschaften,  I,  490  ff. 

—  Dreieinigkeit,  I,  493  fg. 
Gottesfreunde  I,  154  fg. 
Gottlieben,  Burg  bei  Constanz  II, 

202  fg.  207  fg. 
Gottmensch,  I,  513  ff. 
Grapheus  II,  516. 

Gratius,  Ortwin   I,    5.  609.  Anm. 

63S.  Anm.  3.  II,  48.  Anm. 
Gregor  I.   I,  33.  170.  II,  237.  258. 

411. 

Gregor  VII.  I,  37  fg.  64.  II,  242. 
54  9.  sein  Christusbild  I,  37  fg. 
514.  seine  Reformpläne  ebendas., 

I,  64.  173.  568.  von  Bernhard  v. 
Clairvaux  nie  erwähnt  I,  72. — I, 
94  fg.  beabsichtigte  Heiligspre- 
chung I,  205. 

Gregor  IX.  I,  39  fg.  82  fg.  SS.  90. 
190. 

Gregor  XL  I,  346.  348.  352.  360. 

374  ff.  380.  390.  645. 
Gregor  XII.  II,  147  fg. 
Gregor.  Mitstifter  der  Brüderunität, 

II,  504  ff. 

Gregor  v.  Heimburg  I,  70.  493.  499. 

Gregor  v.  Wotitz  II.  510. 

»Greuel  der  Verwüstung  an  heiliger 

Stätte«  I,  75.  80.  627.  II,.  34.  120. 

126.  220. 

Griechische  Kirche  I,  567.  572.  621. 
670.  II,  503. 

Lechler,  Wiclif  II. 


Griechische  Sprache   und  Literatur 

I,  276  ff.  II.  500. 
Grocyn,  Wilh.  II,  453. 
Groningen  in  den  Niederlanden  II, 

529  fg.  537. 
Grossetete,  Rob.  I,   16.  82.  177  ff. 

Tod  201.  II,  199.  586.  Verehrung 

für  ihn  I,  202  ff.  —  225  fg.  243. 

246.-285. 
»Grubenheimer«  II,  307.  Anm.  3. 
Guitmund  von  Aversa  I,  738. Anm.  3. 
Guizot  I,  92.  Anm.  2.  IL  452. 
Guter,  Joh.  I,  346.  350. 
Güter,  Lehre  von  den  Gütern,  I,  528. 
Gütergemeinschaft,  urchristliche,  II, 

291. 


H. 

Hacker  IL  455. 

Hadrian  IV.  I,  66. 

Hahn ,  Christoph  Ulr.  I,  42.  Anm. 

47.  Anm.  58.  77  fg.  Anm. 
Haies,  Alexander  v.  1,  606.  Anm. 
Halse,  Bisch,  v.  Coventrv  u.  Lich- 

field,  II,  427.  430  fg. 
Hanslick  II.  285.  Anm.  2. 
Hardt.  Hermann  von  der,  I,  9.  II, 

204  fg. 

Harmer,  Ant.  Pseudonym   I,  431. 

Anm.  2. 
Harpsfield  I,  3 SS.  Anm. 
Harrv  IL  13. 

Hart,*  Walt  .    Bisch.    II,  359.  365. 
Harvey.  Wilh.  IL  307  fg.  321.  326. 
Hauska,  gen.  Loquis ,   II.  465  fg. 
472. 

Häusser  I,  665.  Anm.  1. 
Hawlik  IL  234. 

Hefele  I,  36.  Anm.  269.  Anm.  II, 
208.  Anm.  228  ff.  Anm.  233.  Anm. 
252.  Anm.  69S.  Anm. 

Hegel  I,  279. 

Hegesippus  I,  28. 

Hegham  II,  ^27  ff. 

Hegius,  Alex.  IL  530. 

Heidenthum,  Ursprung  desselben  II, 
505. 

Heilige,  Kanonisirung  derselben  II, 
407  fg. 

—  Mittlerschaft  derselben  II,  267  fg. 
292.  317.  472. 

—  Verehrung  derselben  I,  29.  557  ff. 
II,  221.  267  fg.  293.  312.  317. 

Heiligsprechungen  II.  558  ff. 
Heilsordnung  I.  523  ff. 

41 


642 


Register. 


Heinrich  IV.,  Kaiser.  I,  94. 
Heinrich  VII.,  Kaiser.  I,  98.  101. 
107  fg. 

Heinrich  II.  von  England  I,  173. 

—  IV.  v.England  II,  56  ff.  79  ff.  349. 

—  V.  v.  England  II.  65  fg.  82  ff.  89. 
323.  328.  331.  349. 

—  VI.  II.  323.  326  ff. 

—  VII.  II,  433  ff. 

—  VIII.  I,  261.  Aura.  II,  438.  441. 
451. 

—  v.  Beaufort,  Prinz,  Bischof  und 
Cardinal  II,  324.  354. 

—  v.  Bracton  I,  206. 

—  v.  Chlum  auf  Latzenbock  II.  1-89 
ff.  194  fg.  204. 

Heinroth  I.  139.  Anm. 
Helfert,  v.  II,  252.  277.  Anm. 
Helfferich  I,  139.  Anm. 
Hereford  I,  414.  447  fg.  453.  660. 

665.  Anm.  679 fg.  682.  684  ff.  693  fg. 

702.  714.  II,  7  fg.  14.  16  ff.  629  ff. 
Herrschaft.  Begriff, göttliche. mensch- 
liche Herrschaft.  I,  498  ff. 
Herzog,  J.  J.  I.  46  fg.  Anm.  48.  56. 
Hetherington  II,  432.  Anm. 
Hierarchie  II,  317.  396  fg. 
Hieronymus  I,   29.   109.  27s.  44s. 

574.  621.  II,  257  fg.  331  fg.  408. 
Hieronymus  von  Prag  II,  112.  149fg. 

J7s.  231  ff.  275.  280.  283.  286  fg. 
Hildebrand,  s.  Gregor  VII. 
Hildegard  II,  129.  Anm.  397  fg. 
Hilman,  Rieh.  II.  428  fg. 
Hilton,  Sir  Reginald  II,  12. 
Himmelfahrt  der  Maria,  Wiclif  über 

dieselbe  I.  520.  562. 
Hirtenamt  I,  570  fg. 
Höfler,  C.  I,  13—15.  174.  Anm.  384. 

Anm.  II,  134.  Anm.  144.  Anm.  2. 

252.  Anm. 
Hoke,   Rob..    Pfarrer,    II,    307  ff. 

314  fg.  32n 
Horn.  Joh.  1,-702.  7)8.  Anm.  719  ff. 
Horn,  eigentlich  Roh,  II,  512. 
Horsey,  Wilh.,  bischöflicher  Kanzler 

II,  4$7.  HO  fg. 
Hoveden,  Rieh.  II.  327. 
Hübner,  Johann  in  Prag,  II,  141  .Anm. 
Hugate,  Joh.  I,  293. 
Hugo  von  St.  Victor  I,  145. 
Huillard-Breholles  I,  98  ff.  Anm. 
Humanismus  II,  500  fg.  527. 
Humphrev,   Herzog  von  Glocester, 

II,  323!  354  fg. 
Hun,  Richard  II,  430  ff. 
Hus ,    seine   Lebensgeschichte  II. 


133 ff.,  sein  Feuertod,  225  fg. 4 15., 
seine  Lehre  I,  630.  II,  233  ff. 
Hus,  Charakter  II,  269  fg.  275.  290. 

—  und  Bernhard  v.  Clairvaux  I,  170. 
--  und  Grossetete  I,  198.  Anm.  237. 

—  und  Wiclif  I,  439.  II,  112  fg.  135 
155.  178.  233.  238  fg.  245  ff.  260 ff. 
269  fg.  285  fg.  Anm.  288.  467.  479. 
642.  742  fg. 

—  Verehrung  für  Hus  II,  273.  283. 
285  fg.  298.  479.  485. 

Hussiten  I,  630.  642.  II.  271  ff.  287  fg« 

347.  463  fg.  485  ff. 
Hussitenkriege  II,  273.  464.  475  ff. 
Hussitische  Lehren  in  Deutschland 

n,  485  ff. 
Hutten,  Ulr.  II.  503. 

I.  u.  J. 

Jack  Straw  I,  657.  664. 
Jacobellus  (von  Mies)  II,  162. 

199  ff.  250 fg.  296.  299.  465.  47o  ff 

504. 

Jacoponus  von  Todi  II,  553. 
Jäger,   Oscar  I,   592.  Anm.  1.  II, 

252.  Anm.  2. 
Jakob  IV.  von  Schottland  II,  431  fg. 
Jakob  von  Jüterbogk  II,  494  ff.  523  fg. 
Jakob  v.  Mies,  s.  Jacobellus. 
Jak  ob  iten  =  Dominikaneri,  590 An.  1 . 
Jakobusbrief  bei  Lollar  den  beliebt. 

II,  442.  444.  449.  456. 
James.  Richard  II,  399.  Anm.  3. 

—  Thomas  I,  8.  430  fg.  700.  Anm. 

—  Wilhelm  II,  310  fg.  320. 
Jaroslaw.  Inquisitor  II,  156  fg. 
Ideen  I.  461  fg. 

Jesenitz,  Johann  v.   II,   165.  188, 

Anm.  283.  299. 
Jesus  Christus 

Lehrstück  von  der  Person  Christi 

I,  512  ff.  Lehre  von  dem  Werke 
Christi  I,  517  ff. 

—  die  Schärfe  seiner  Rüge  aus  Liebe 
hervorgegangen  I,  403. 

—  Menschwerdung  Christi  um  seiner 
selbst  willen ,  nicht  blos  um  der 
Menschen  willen  II,  531. 

—  der  einige  Mittler  I.  513 ff.  517. 

II,  267.  542 

—  Mittelpunkt  der  Menschheit  I, 
513  ff. 

—  Caesar  Semper  augustus  I,  514. 

—  das  einige  Haupt  der  Kirche 
I,  110.  112.  127.  130.  585.  II.  40. 
241.  243.  337.  522. 
(wenigstens  oberstes  Haupt  II,  497.) 


Register. 


Jesus  Christus  als  Prophet  I,  51 S  fg. 
Vorbild  Christi  I,  519.  532. 

—  als  Priester  I,  520  ff.  015.  II,  522. 
unendliche   Kraft   seines  Leidens 

I,  521  fg. 

—  als  König  I,  124.  12b.  522  fg. 

—  als  Gesetzgeber  I,  4S8.  518  ig. 

—  die  Partei  Christi  I,  517. 
Iglau,  Landtag  das.  II,  4M 
Impanation  I,  038. 

Innocenz  III.  I,  39.  40.  52.  95.  173 
fg.  321. 

Innocenz  IV.  I,  83.  89  ff.   183  fg. 

192.  196  ff.  200  ff. 
Interdikt  II.  244. 

Tntroductorius  in  Er.  aet.  I.  84.  so. 
219. 

Jjachim  von  Flore  I,  73.  70  ff.  80. 

83  ff.  22s  fg.  II,  551  ff. 
Joch,  »Von  den  sechs  Jochen  - ,  1.  427. 

II,  591  ff. 

Johann  Beheim  (der  Böhme  zu  Ni- 
kiashausen II,  488  fg. 

Johann  von  Chlum  'Kepka  II,  188  ff. 
192.  194.  204. 

Johannes,  Ap.  I,  27. 

Johannes  Eliae  II,  IM. 

Johannes  von  Jandun  I.  107  ff.  377. 
4M.  742. 

Johannes  von  Paris  (Quidort,  I.  98  ff. 
Johannes  von  Parma  I,  84. 
Johannes,    myth.    Priesterfürst  in 

Asien  I,  559. 
Johann  XXII.  I,  108.   112.  119  ff. 

131. 

Johann  XXIII.  II.   107.  173.  186. 

194  ff.  201  ff.  207  fg. 
Johann  ühneland,  König  v.  England, 

I,  173  ff.  176.  318.  321  fg.  329. 
Johann,  Prinz  von  Böhmen  I,  114. 
Johann,  Herzog  von  Lancaster  I,  346 

fg.  361.  368  ff.  386  fg.  662  fg.  683. 
699.  II,  23.  57  fg. 
Johann  Clopinel  [Jean  de  Meint  I, 
161  fg. 

Johann  von  Geilhausen,  aus  Maul- 
bronn, II,  481 . 

Johann  von  Goch  II,  510  ff.  525. 

Johann  von  Jitschin  II,  ISO.  300. 

Johann ,  armenischer  Bischof  von 
Khelat  I,  21  v 

Johann   von   Leitomischl .  Bischof, 

II,  181.  204  fg.  278  ff. 

Johann  von  lleinstein .  Cardinalis, 

II,  190.  299. 
Johann  von  Salisburv  I.  277.  Anm.  1. 

279. 


Johann  von  Selau ,  hussit.  Priester, 
II,  475. 

Johann  von  Wesel  II,  516.  523.  ff. 
Johann  Wessel  II,  510.  527  ff. 
Johanna,  Prinzessin  v.  Wales  I,  387. 
Johannisfeiertag  II,  380  fg.  vergl. 

Anm.  381. 
Jordan,  J.  P.  II,  122  fg.  Anm. 
Jost,  Markgraf  v.  Mähren  II,  113. 

Anm.  159. 
Jourdelay,  Joh.  II.  320. 
Islip,  Simon,  Erzb.  I,  293  fg.  300  ff 

311.  314.  310. 
Judaisirende  Gesinnung  I,  20  fg.  12* 

554.  II,  543.  8 
Judas  Ischarioth ,  der  habsüchtigen 

Priester  Vorbild  II,  41. 
Juetta  I,  180  fg. 
Jüterbock  I,  200.  Anm. 

K. 

Kain  »Kainiteiv  I,  235.  256.  5  17. 
Kain.  nach  Wiclif,  Vorbil  dder  Bet- 
telorden 589  fg. 

Kaiserthum  I.  32.  66.  88.  104  ff.  109 
125.  130. 

Kampschulte  II,  145.  Anm.  49b.  Anm. 

501.  Anm.  523.  Anm. 
Kanonisches  Recht  I,  508.  574. 
Kant,  prakt.  Vernunft  II,  417 
Karl  der  Grosse  I,  32. 
Karl  IV. ,  König  von  Böhmen ,  II, 

110.  110.  118  fg. 
Karolinger  I,  32. 
Katerkamp  I,  7)). 
Katharer  I,  42 — 40.  47.  52.  156.. 
Katharina  v.  Dertford  gen.  Spyn- 

nester  II,  321.  320. 
Kbel,  Johann  II,  141.  Anm. 
Kelch  im  Abendmahl  I,  628  ff,  II 

130.  1 99  ff.  250ff.  341.  407  fg.  503. 
Kelchner  (Calixtiner,  II,  400. 
Kemp,  Bischof  II,  300.  412. 
Kerker  I,  715.  Anm.  3. 
Ketzerei,  Begriff  II,  619. 

—  Bestrafung  derselben  I,  111.  II, 
403. 

Kindercommunion  II,  295  fg. 

Kirche,  Begriff  I,  541  ff.  II,  lu4. 
23S.  ff.  315.  330  fg.  521  fg.  bei 
Wessel  533.,  bei  Wiclif  u.  Hus  100 
fg.  Unfehlbarkeit?  II,  409. 

»Kirche  der  Boshaftigen«  I,  58.  549. 
II,  242.  Anm.  1. 

—  des  Widerchrists  II,  240  fg. 
Einheit  der  Kirche  II,  405  ff. 

41* 


644 


Register. 


Kirche  und  Staat  I,  97  ff.  108  ff. 
116  fg. 

Kirchenfürsten  I,  33  fg. 

Kirchen  zum  Gottesdienst  nicht  un- 
bedingt nöthig  II,  298  fg.  307. 

Kirchengut  I,  101.  111.  59b.  II,  339 
fg.  393  ff. 

Kirchenordnung  II,  297. 

Kirchenstaat,  Grundlegung  I,  32  fg. 

-  Ende  I,  33. 

Kirchenverfassung  II,  268. 

Kirchenversammlungen ,  allgemeine, 

I,  110.,  s.  Concilien. 
Kirchenvisitation  I,  182  fg. 
Klenowsky,  Joh.  II,  510. 
Klostergelübde  II,  398.  409. 
Knighton  ,  Chronist,  I,  422.  Anm. 

423  fg.  437  fg.  446.  448.  661  fg. 
674.  Anm.  697  fg.  Anm.  723.  fg. 
Anm.  II,  9.  14.  17  fg.  20. 
Known  men,  als  Name  der  Lollarden 
unter  sich,  II,  372.  -125.  450  fg. 
456. 

Knox  II,  432.  Anm. 

Koch,  C.  Fr.  1, 169.  Anm.  432.Anm.2. 

454.  Anm. 
Kohl,  I,  265. 
Köln,  Univ.  II,  528. 
Konrad  von  Vechta,  Erzb.  v.  Prag. 

II,  187.  468.  474. 

Konrad  von  Waldhausen  II,  116  ff. 

121.  Anm.  134.  468.  504. 
Koranda  II,  289.  293  ff.  465.  485. 
Kostka,  Wilhelm  II,  479. 
Köstlin  I,  643.  Anm. 
Kozi,  Burg  II,  297  fg. 
Krämer,  Inquisitor,  II,  508. 
Krantz,  Alb.  II,  492.  Anm. 
Krawar,  Barone  v.  II,  164. 
Kreuz,  Verehrung  desselben,  II.  310. 

317.  391. 

Das  Kreuz  auf  dem  Kirchhofe  St. 
Pauls  in  London  II,  320.  356  fg. 
414. 

Kreuz,  Kaufmann  in  Prag  II,  137  fg. 
Kreuziger  1,450. 

Kreuzzug  gegen  Papst  Clemens  VII. 
I,  705  ff. 

Kreuzzug  gegen  Ladislaus  von  Ne- 
apel II,  173  ff. 
Kreuzzüge  I,  93. 

Kreuzzüge  gegen  die  Hussiten  II, 

323  fg. 
Krieg  II,  565  fg. 

Krümmel  II,  131.  Anm.  167.  Anm. 

248. 

Kultus  I.  553  ff.  versinnlicht  554  fg. 


Kunwald  in  Böhmen  II,  506.  508. 
Kunz  von  Zwolle,  Legat,  II,  424  fg. 
Kurialisten  I,  578. 
Kurie,  röm.  I,  95  fg.  Anm.  193  ff. 
Kurverein  zu  Rhense  I,  131  fg. 
Kuttenberg,  Religionsgespräch  das. 
II,  484. 

Kyle,  Lollarden  von  II,  431  fg. 
L. 

Ladislaw  von  Neapel  II,  173  ff. 
Laien,  nach  kath.  Begriff,  I,  566.  569. 

—  nach  Wiclif  I,  567  ff. 
Laien  consekriren  II,  298. 
Laienkelch  s.  Kelch. 
Laienpredigt  I,  51  fg.  54.  60.  419  fg. 
Lambert,  Franz  I,  591. 
Lambeth  I,  386  fg.  II,  413  fg. 
Lancaster,  Haus  I,  349.  II,  57  ff. 

302.  304.  361. 
Landessprache,  Kultus  in  II,  296  fg. 
Lanfranc  I,  172. 

Langham,  Erzb.  I,  310.  336.  661. 

Langobarden  I,  31  fg. 

Langton,  Erzb.  v  Canterbury,  I,  396. 

Lantern  of  light  II,  100  ff. 

Latein  als  Kirchensprache  u.  gelehrte 

Sprache  I,  136  fg.  II,  474. 
Latimer,  Hugo  II,  454.  459. 
Latimer,  Sir  Thomas  II,  12.  22. 

—  Lord  I,  362. 

Latzek  von  Krawar  II,  273.  276. 
Le  Bas  I,  12.  Anm. 
Legenden  der  Heiligen  H,  318. 
Leger  I,  48. 

Leicester  I,  421.  663.  691.  II,  11. 
13.  44. 

Leipzig,  Univ.  I,  275.  II,  154. 
Leland,  Joh.  I,  261  ff.  319.  717. 
Leo,  Heinr.  II,  313.  Anm.  3. 
Leo  X.  II,  501. 

Leopold  von  Bebenburg  I,  132. 
»Leser«  unter  den  Lollarden  II,  443. 
Lewald  I,  458.  Anm.  490.  511  fg. 

Anm.  543.  Anm.  2,  546.  Anm.  3. 

559.  Anm.  3.  604.  641.  Anm.  1. 
Lewis,  Johann  I,  9.  285.  287.  306. 

313.  Anm.  2,  314.  Anm.  5.  318  fg. 

334.  374.  386.  411.  451.  455.  585. 

661  fg.  Anm.  3.  697.  Anm.  II.  353. 

397.  Anm.  3.  399.  Anm.  3.  554. 
Liebe  Gottes  und  des  Nächsten  I, 

530  fg.  II,  505. 
Liebner  I,  145.  Anm. 
Linacre,  Thom.  II,  453. 


Register. 


(34.-) 


Lincoln,  Stadt  u.  Bisthum,  I,  1S1  fg. 
681. 

—  Diöcese  II,  13.  448. 
Lincolniensis  s.  Grossetete. 
Lindwood,  Wilhelm  IL  306  fg.  323. 

326. 

Lingard  I,  416.  Anm.  698.  Anm.  IL 

18.  26  fg.  90.  95.  Anm. 
Literatur,  deutsche  I,  133  fg. 

—  französische  I.  133  fg. 

—  italienische  I,  133  fg. 
Lipnitz,  Burg  II,  282  fg. 
Lippert,  Jul.  II,  2S6.  Anm. 
Lister,  Joh.  I,  705. 
Litthauen  II,  468. 
Littlepage,  Familie  II,  450. 
Logik  I,  459  fg. 

»Logik  der  heil.  Schrift«  nach  Wic- 

lif  I,  460. 
Logos  I,  464  fg.  495. 
Lollarden,  I,  626.  Anm.  1.  629  fg. 

Name  I,  6^6.  II,  3  ff.  55,  Partei 

6  ff.  20  ff.  107  ff.  302  ff.  313  fg. 

331  ff.  335  fg.  345  ff.  348  ff.  369  ff. 

422  ff. 

angebliche  Verschwörung  der  Lol- 
larden 1414.  II,  89  ff. 

Lollardenthurm  II,  440. 

Lombardei  I,  53. 

London  —  Wiclif  zugethan  I,  691. 

—  Bürger,  den  Lollarden  geneigt  II, 
14. 

—  Paulskirche  I,  368.  II,  356  fg. 

—  St.  Paulskreuz  I,  689.  II,  320.  356. 
Longland,  Joh.  Bischof  von  Lincoln, 

I,  432.  Anm.  447  fg. 
Longland,  Hob.  I,  244. 

Lords,  Haus  der,  I,  324  ff.  331  ff. 

II,  413. 
Lowe  II,  414. 

Lowth,  Rob.  I,  305.  Anm.  1.  362. 
Anm.  389.  Anm. 

Luard  I,  178  fg.  Anm.  197  ff.  Anm. 

Lucius  III,  I,  51  fg.  58. 

Ludgershall  I,  365. 

Ludwig  IV.,  der  Bayer  I,  98.  101. 
Anm.  107.  108.  112.  114  fg.  121. 
130  ff.  137. 

Ludwig  IX.,  der  Heilige,  von  Frank- 
reich I,  90  ff. 

Ludwig,  Markgraf  von  Brandenburg 
I,  114  fg. 

Lukas,  Ev.,  Prolog  II,  406. 

Lukas  von  Prag  (Brüderunität  II. 
509.  511  fg. 

Lull,  Raymund  I.  725.  Anm.  3. 

Lushborugh,  Bischof  II,  360. 


Luther,  Entwicklung  I,  455.  591. 

—  Charakter  I,  601.  731.  II,  270. 
(vergl.  mit  Hus). 

—  Romreise  I,  349. 

—  Thesen  vom  Ablass  II,  451.  454. 
525. 

—  Lehre  von  der  Rechtfertigung  I, 
541. 

—  Lehre  von  der  Kirche  I,  541. 

—  Lehre  vom  Abendmal  I,  628  ff. 
633.  636.  Anm.  2,  612  fg. 

—  Bibelübersetzung  I,  439.  446.  450. 
453  fg. 

—  Sein  Urtheil  über  Hus,  Wessel. 
Savonarola  I,  2  fg.  10.  II,  514.  537. 

—  Wiclif  und  Hus,  II.  285.  Anm.  2. 
I,  578. 

—  Schriften  II,  329  fg.  458  fg. 

—  und  die  Brüderunität  II,  512  ff. 
.—  und  die  Utraquisten  II,  514  fg. 

Lutterworth  I,   181.  366.  408.  413. 

415.  421.  691.  717.  II,  9.  13. 
Lyon  I,  49  ff. 

M. 

Madden,  Sir  Frederic  I,  440.  450  fg. 
Anm. 

Magistri  regentes  I,  271.  287.  293. 
Magna  Charta  I,  174  f.  318.  vgl.  II, 
619. 

Maidstone  II,  415. 
Malyern-Hügel  I,  244  fg. 
Manichäer  I,  42. 
Mansi  I,  36.  Anm. 
Marcion  I,  29. 

Margaretha  Maultasch ,  Erbin  von 
Tirol,  ihre  Ehe  und  Ehescheidung 
L  114  fg. 

Maria,  Wiclif  über  dieselbe  I,  519  fg. 
557  fg. 

—  Himmelfahrt  I,  562. 

Maria,  Verehrung  derselben  I,  67. 

—  Fest  Mariae  Empfängniss  I,  67. 
Marik  II,  281.  Anm.  2. 

Markus  von  Königgrätz  II,  166. 

Markus.  Mönch  I,  30. 

Marsiglio  von  Padua  I,  107  ff.  377. 

473.  Anm.  2.  742. 
Marsilius  Ficinus  I,  101.  Anm.  II. 

501. 

Matter  I,  285.  Anm.  2. 

Martin  V..  Papst  II,  281  fg.  304. 

324.  328. 
Martin,  Hus  ens  Schüler  II,  189. 
Matthaeus  von  Krokow  II,  132  fg. 
Matthaeus  Paris,  Chronist  I,  200  fg. 
Matthias.  Ap.  I,  580.  Anm. 


64ö 


Register. 


Matthias  der  Einsiedler  II.  514. 
Matthias  von  Janow  II.  121  ff.  134. 

265  ff.  294. 
Matthias  von  Knin  II,  148  fg. 
Matthias  von  Neuburg  I,  115.  Anm. 
Mecum  Myconius)  I,  541.  Anm.  1. 
Medici,  Lorenzo  II,  538  fg. 
—  Peter  II,  539. 
Meier.  Karl  I,  13.  II,  546. 
Melanchthon  I.   277.  450.  540  fg. 

577.  612.  II,  134. 
Mensch .  Lehre   vom  Menschen  I. 

504  ff. 

Menschenverstand  I,  622. 
Menschwerdung  Gottes  I,  513. 
MetUum  de  congnio,  de  eondigno,  I, 

504.  535  ff. 
Merton-  College   in  Oxford  I.  231. 

272.  274.  287  ff.  293.  316. 
Messe  II,  341.  473. 
Messopfer  I.  62^  ff.  II.  32.  105.  341. 
Metz  I.  53. 

Michael  de  Causis  II,  180.  193.  215. 

285.  Anm.  2. 
Michael  von  Cesena  I,  121  ff. 
Michael  zu  Senftenberg  II.  506. 
Michaud  1.  69.  Anm. 
Milderale  II,  433. 

Militsch  von  Kremsier  II,    118  ff. 

124.  129  ff.  134.  468.  504. 
Millen  arium  Christi  I.  594  fg.  621. 

Anm.  2. 
Milüngton.  AVilh.  II.  4J2. 
Milverton,  Joh.  II,  412. 
Mirandola.  Fürst  von  II,  538. 
Miras,  utraquistischer  Pfarrer  II,  514. 
M^denowitz  II.  190.  469.  472.' 
Moleyns.  Bischof  II,  359.  365. 
Monarchie  I,  102  ff. 
Mönchthum  I,  29  fg.  78.  255.  585  ff. 

671.  II,    39  fg.  397  fg.  409  fg. 

520  ff. 

Monk,  Rieh.  II,  309.  320.  326. 
Monmoutb.  Humphr.  II,  450. 
Montanismus  I,  2S. 
Morden,  Jak.  IL  44V 
More,  Sir  Thomas.  I.  430.  451. 
Mose's  Grab  unbekannt  I,  562. 
Mosheim  I,  156.  Anm.  389.  Anm. 
Muhamedanismus  II,  336.  401  fg. 
Mühlheim,  Joh.  von  II,  137  ff. 
Müller.  Joh.  um  1450.  II,  487. 
Müller,    Max    I.    134.    Anm.  432. 
Anm.  2. 

Mungvn.  Ralph  II.  308.  315.  322. 
326. 

Muratori  I,  87.  Anm. 


Mutian  II,  503. 

Mvstik  im  Allgemeinen  I,  139. 

—  deutsche  I,  139  ff.  146  ff. 

—  griechische  145. 

—  romanische  145. 

N. 

Naas,  Joh.  II,  165. 

Nationalität  I,  130  ff.  137  fg. 

Nationalliteratur  I,  94. 

»Nationen«  an  den  mittelalterl.  Uni- 
versitäten I,  274  fg.  II,  148  ff. 

Naturgesetz  nach  Wiclif  I,  467  fg. 

«Natürliches  Licht«  bei  Wiclif,  I,  468. 

Neander  I,  389.  Anm.  530.  Anm. 
592.  Anm.  1.  II,  131.  240.  418. 

Necton,  Rob.  II,  458  fg. 

Nepotismus  I,  164. 

Nerses,  armen.  Erzbischof  I,  2 1 8. 

Netter,  Thomas,  v.  Waiden  s.  Tho- 
mas. 

Neutralität  während  der  Papstspal- 
tung I,  648  ff.  IL  147  fg. 
Nevil,  Georg,  Bischof  II,  360. 

—  Sir  William  II,  12. 
Xac-College  in  Oxford  I,  305. 
Nicolaiten  II,  466.  Anm.  2. 
Nicolaus  III.  I,  119  fg. 

Nicolaus  von  Basel  I,  154  fg.  161. 
Anm. 

Nicolaus  von  Cusa  II,  523. 
Nicolaus  Faulfisch  II,  113. 
Nicolaus  von  Hereford  s.  Hereford 
Nicolaus  von  Leitomischl  II.  141 

Anm.  260  fg. 
Nicolaus  von  Lvra  I,  4^7. 
Nicolaus  von  Pistna  II,  284.  300. 
Nicolaus  von  Welenowitz  II,  146.  148. 
Nitzsch,  Karl  Imman.  I,  161.  Anm. 

—  Fr.  I,  725. 
Nominalismus  I,  94. 
»Xon  obstante«  I,  199. 
Xon-residence  II,  358  ff'.  364. 
Noris.  Thom.  II,  437. 
Normandie  168.  172.  175. 
Normannisch  -  französisches  Element 

in  England,  I,  168  ff. 
Nonvich.  bisch.  Sprengel  II,  14. 
Nothwendigkeit     und   Freiheit)  I, 

240  ff. 

O. 

Ockam,  s.  Wilhelm  Ockam. 
Oelung,    Sakr.   der  letzten  I.  607. 
II,  292. 


Register . 


647 


Ohrenbeichte  II,  t>6. 
Oldcastle,  Sir  John,  s.  Cobham. 
Opferbegriff  im  Abendmahl  II.  535. 
Optik  I,  280  fg. 

Oriel-College  in  Oxford  II.  354. 
Ormulum  I,  435. 

Otho,  Cardinallegat  I,  176.  182.  1S4. 
192. 

Otto  von  Colonna,  Card.  Martin  V.) 
II,  163.  Anm.  164  fg.  2S1  fg.  331. 
Anm.  2. 

Otto  v.  Freisingen  I,  65  fg.  Anm. 

Oudin  I,  107.  Anm.  TIS  fg. 

Owen  I,  717.  Anm.  2. 

Owtrede.  Ralph  II,  308.  311). 

Oxford.  Univ.  I,  223.  272  ff.  376 fg. 
üS5fg.  676  fg.  von  Böhmen  besucht 
II.  111%.  Nationen  an  der  Univ. 
I,  274fg. 

—  begünstigt  die  Lollarden  II,  74  fg. 
Umwandlung  7 5 ff.  303.  305.  415. 
Klage  der  Univ.  II,  361  fg.  Oxford 
1476  II,  427. 

—  Zeugniss  der  Univ.  für  Wiclif 
IL  69  ff. 

—  Fredeswida  Kirche  I,  0S3. 

—  Marienkirche  I,  392.  69(J. 

—  die  AViege  der  wiclifitischen 
Reisepredigt  I,  413  ff. 

—  Concil  daselbst  13S2.  I.  696 ff. 


P. 

Page.  Wilh.  II,  435. 

Paine,  s.  Peter  Pavne. 

Palackv  I.  14  fg.  1*15.  Anm.  II,  122. 

Anm*.   1S6.  Anm.  192.  Anm.  250. 

252 ff.  277.  465.  Anm.  507.  Anm. 
Paletz,  s.  Stephan  v.  Paletz. 
Pantheismus  I,  144.  151.  Anm. 
Pantin  I,  627.  Anm. 
Par ehmener  II,  13. 
Paris.  Paulin  I,  162.  Anm. 
Paris.  Univ.  I,  648  fg. 
Parker.  Joh.  II,  7. 
Parlament    I.    207  ff.    6751g.  701. 

II.  22  fg. 

Papst,  Papstthum  I,  32.  göttliche 
oder  menschliche  Ordnung  ?  I.  125. 
n77.  II,  244  und  Anm.  6.  26S fg. 
verweltlicht  I,  576.  Anm.  Voll- 
macht I,  101.  177.  576.  Absolutis- 
mus I,  124fg.  257.  576 ff.  11,268. 
Papst  nicht  Haupt  der  allge- 
meinen Kirche  II,  2-13.  nicht 
Nachfolger  Petri  I,  113.  Unfehl- 


barkeit 1,  125.  577.  II,  236 fg. 
496 fg.  542.  der  Zurechtweisung 
anderer  unterworfen  II,  526. 
Papstthum  und  Kaiserthum  I,  64. 
72  fg.  SS.  94.  108 ff.  574.  Staats- 
gewalt des  Papstthums  I,  65.  325 ff. 
57»».  Anm.  der  Päpste  Hoffart  II, 
39.  Papst  der  Widerchrist  I,  424. 
5Slff.  II,  33  ff.  87.  243.  318.  396  fg. 

Päpstliches  Staatensvstem  I,  174. 

Paschalis  IL   I,  64.* 

Patarener  I,  76. 

Pateshull,  Peter  II,  21  fg. 

Patronatsrecht  I,  211. 

Pauli,  Reinhold  I,  175.  Anm.  196. 
Anm.  269.  Anm.  332.  Anm.  1. 
350.  Anm.  1.  659.  Anm.  1.  664. 
Anm.  2.  II,  23  fg.  Anm.  91.  Anm. 
433.  Anm. 

Paulskirche  in  London  I,  366. 

—  St.  Paulskreuz  I,  669.  II,  356 fg. 

Paulus  Ap.  I.  26fg.  113.  243.  465. 
527.  590.  620.  689.  II.  337. 

Panperes  catholwi  I.  52. 

Pauperes  de  Lugduno  1,  50. 

Pecock  II.  352  "ff.  Charakter  416  ff. 
47  ff. 

Pegge  I,  179.  Anm. 

Pelagius.    Pelagianismus    I,  234  ff. 

512.  533.    II.  342f.  519ff. 
Pelhrimow  ,  Chronist  II,  140.  Anm. 
Pelikan  II,  37  f. 

Percy,  Lord  I,  369 ff.  369.  Anm. 
Perrin  I,  48. 

Peter  der  Ackermann  I.  244 ff. 

Peter  d'Ailly.  s.  Ailly. 

Peter  von  Blois  I.  213.  Anm. 

Peter  von  Bruis  I.  42  fg. 

Peter  von  Cheltschitz  II,  504  ff.  509. 

Peter  der  Grausame  I,  337. 

Peter  Johann  von  OK  vi  I.  86.  II. 

207.  Anm.  553. 
Peter  Pavne  II,  71.  470.  475.  479 ff. 

464.  504. 

Peter  von  Pilichdorf  I,  53  fg.  II, 

214.  Anm.  3.  373.  Anm. 
Peter  von  Pulka  II,  206.  Anm. 
Peter  von  Znaim  II.  184. 
Petit  Jean  II.  22 8.  Anm.  2. 
Petit.  Joh..  in  London  II,  459. 
Petition  an  das  Parlament  II,  22  ff. 

45. 

Petrarca  I,  134  fg.  165  fg.  II,  500 f. 
Petrus  Ap.   I,  25.    106.    113.  577. 

II,  242  fg.  337. 
Pez.  Bernhard  II.  170.  Anm. 


648 


Register. 


Pfarramt  I,  136 ff.  220 ff.  345.  416. 
570 ff.  583. 

Pfeiffer,  Franz  I,  140 fg.  Anm. 

Philalethes  I,  255.  Anm. 

Philipp  IV.  der  Schöne  von  Frank- 
reich I,  93 ff.  99  fg.  108.  130.  208. 
498  fg. 

Philippa,  Königin  v.  England  I,  273. 
349.  361. 

Philister,  allegor.  auf  Wiclifiten  ge- 
deutet II,  331  fg. 
Pickering  I,  246.  248.  Anm. 
Piemont  I,  53. 

»Pikarden«  =  BeghardenI,  4.  Anm.  2. 

II,  465.  470.  508. 
Pilgerfahrten  s.  Wallfahrten. 
Pilgram  ,   Niklas  ,  Taboritenbischof 

II,  470.  472  fg.  479.  4S4fg. 
Pilsen  II,  464. 

Pisa,  Concil  das.  II,  147.  489. 
Pius  II.    Aeneas  Sylvius)   II,  153. 

Anm.  3.  465.  Anm.  3.  474.  491  ff. 
Plantagenet,  Haus  II,  302. 
Plato  I,  461.  469.  494.  II,  501. 
Pletho  Gemistius  II,  500. 
Pluralitas  beneßciorum   I.  ISO.  188. 

366  fg. 

Poduschka.  Utraquist  II,  514. 

Poggio  II,  232.  305. 

Polen,   hussitische  Propaganda  das. 

II,  463.  488. 
Portiunculakirche  I,  Sl. 
Praedestinati  I,  545 ff.  569. 
»Praemunire«  I,  212. 
Praesciti  I,  545  ff.  569. 
Prag,  Stadt  II,  463. 

—  Bisthum  II.  114. 

—  Universität  II,  111.  149  ff.  1S4. 
277  ff.  375  fg. 

—  Domkapitel  II,  279. 

—  Gemeinde  II,  283  fg. 

Die  »Prager«  (Parteiname  II,  466. 
475. 

Prager  Artikel  (4)  II,  466  ff. 
»Pragmatische  Sanktion«  1269.  I,  92. 
Prantl  I,  459.  Anm.  725.  Anm.  3. 
Predigt  I,  395  ff.  553  fg. 

—  deutsche  I,  140. 

—  Predigtmanier  des  XIV.  Jahr- 
hunderts I,  395  ff.  399. 

—  Hochschätzung  der  Predigt  bei 
Wiclif  I,  395.  II,  32.  358.  bei 
Joh  v.  Wesel  II,  525.  bei  Savona- 
rola  II,  544. 

Preger  I,  150.  Anm. 
Preussen ,  hussitische  Lehren  daselbst 
II,  4S7fg. 


Pribram,  Joh.  von  II,  292.  Anm.  3. 

465.  469 ff.  481.  485. 
Priester,  unter   sich  gleich   I.  109. 

112.  II,  522. 

—  Sünden  der  Priester  II,  38 fg. 

—  Vorrechte  des  Priesterstandes  1. 
569.  573.    II,  29  fg. 

—  Priester  ohne  festen  Gehalt  I,  419. 
II,  297. 

—  Wirksamkeit  eines  Priesters  durch 
Sittlichkeit  bedingt  I.  608 ff.  II. 
249  fg.  340  fg. 

Priesterehe  I,  563.  571  fg.  II,  311  fg. 
345  fg. 

Priesterornat  II,  473.  482  fg. 
Priesterthum,  allgemeines  I,  61.  444. 

545.  569.    II,  29.  104.  106.  128. 

130.  338.  533  fg. 

—  im  röm. -katholischen  Sinn  I,  113. 
Priesterweihe  I,  569.  572 fg. 
Primat  I,  110. 

»Privatreligionen«  (Wiclif)  I,  5S9. 
Prokop  der  Grosse  II,  477.  479 ff'. 
Prokop  von  Neuhaus  II,  510. 
Prokop  von  Pilsen  II,  162.  472. 
Protiwa,  Joh.  II,  255. 
Provenzalische  Dichter  I,  91. 
Provisionen  I,  209 ff.  358.  II,  363. 
Prüfung,    Recht  der  Prüfung  von 

angebl.  Glaubenslehren  II,  40t  f. 
Prutz,  Hans   I,  65.  Anm.  71.  Anm 

136.  Anm. 
Ptolemaeus  von  Lucca  I,  95. 
Pupper,  s.  Johann  von  Goch. 
Puritaner  II,  462. 

—  puritanische  Grundsätze  der  Ta- 
boriten  II,  473. 

Purvev,  Joh.  I,  414.  450.  702.  723. 

II,  7.  9  fg.   14.  17  fg.  62  fg.  100. 

102  fg.  338. 
Pykas,  Joh.  II,  455. 

Q 

Quadrwntm  I,  278 ff.  286. 
Queens-College  I,  273.  289. 

R. 

Radulphus  von  Coggeshall  1.45.  Anm. 
Rainerius  ,    und  Pseudo  -  Rainerius 

I,  53  ff.  59.  61  ff. 

Ranke,  Leop.  I,  32  ff.  269.  Anm. 
591.  Anm.  2.    II,  502.  Anm. 

Rathschläge  im  Unterschied  von  Ge- 
boten I,  113. 

Rationalistische  Denkart  bei  Pecock 

II,  366  ff.  379  ff.  417  fg. 


Register. 


649 


Räumer.  Friedr.  I,  S9.  Anm. 
Rave,  Rob.  II,  443. 
Ravens,  Christoph  II,  455. 
Realismus,  philosophischer  I,  4(51  ff. 
Rechtfertigung  durch  den  Glauben 
II,  33. 

Reform  der  Kirche  I,  590  ff.  II,  27  fg. 
265.  494 ff.  543  ff. 

—  Radikalreform  II,  290  fg 
Reformation   Deformation    I,  24  fg. 

595. 

—  des  XVI.  Jahrhunderts  I,  138  fg. 
Reformconcilien  I,  110  fg.  4S9ff. 
Reich  Gottes,  dessen  Grundlegung 

und  Aufbau  I,  24  fg. 
 im  Unterschied  von  Kirche 

I,  138. 

Reid  Adam  II,  432. 

Reiselehrer,  der  Lollarden  II,  443. 

Reiseprediger  wiclifitische    I,  411  ff. 

651  fg.  673.  675.  683.  II,  6 ff.  15. 

17  ff.  305  ff. 

—  hussitische  II,  279. 
Reisepredigt,  waldensische  I,  50  fg. 
Reiser,  Fr.  (Tunauer)  II,  4 86  fg. 
Reliquien  I,  561  ff.  II,  294. 
Repington  I,  679.  Anm.  681ff.  6S9ff. 

II,  7.  309.  325.  632. 
Reprobi  I.  545. 
Resby  II,  66. 
Reservationen  I,  210.  358. 
Rettberg  I.  4SI.  Anm. 
Reuchlin  II,  502  fg.  529. 
Reuss,  Eduard  I,  434.  Anm. 
Reuter  I,  44.  Anm.  73  fg.  Anm.  173. 

Anm. 

Rheims,  Svnode  991.    I,  35 fg. 
Richard  Ii!  von  England  I,  361.  381. 

658.  676 f.  II,  55ff.  HOfg.  302. 
Richard  von  Bardney  I,  204. 
Richard    Fitz -Ralph  'Armachanus 

I.  21 6 ff.  257.  271.  276.  2S5.  319. 
500.  Anm.  2.    508.  Anm.  1.  586. 

II,  54.  343  fg. 

Richard  von  St.  Victor  1 .  145.  II, 
249. 

Richental    Ulr..   Chronik   II,  195. 
Anm. 

Richer  II,  494.  Anm.  2. 
Richmond,  Alt-Richmond  I,  261  ff'. 
Richteramt  u.  klerikales  Amt  I,  189. 
Rigge.  Rob.   I.  681  ff.    685 fg.  695. 

II.  4.  Anm. 
Ritsehl,   Albr.    I.  150.  Anm.  538. 

Anm.  2.    II,  248. 
Robert,  Pfarrei*  zu  Heggelev  II.  309. 

320  fg.  326. 


Roger  Bacon   I,  177.   276 fg.  279. 

Anm.  1.  281. 
Rogers  »Vater«  II,  436. 
Roh,  Joh.,  genannt  Horn  II,  512  fg. 
Rohle,  Wenzel  II,  132. 
Rokvzana,  Joh.  v.  II,  470.  4  79.  481. 

484 fg.  503  ff.  509. 
Rolle,  Rieh.  I,  435. 
Rom,  Weltherrschaft  Roms  I,  104. 

—  Bischöfe  von  I,  32. 

—  »das  Nest  des  Antichrists«  II,  87. 

—  römische    Kirche,    älterer  Zeit 
I,  594.  621. 

—  »Stiefmutter«  der  englischen  Kir- 
che II,  27. 

Roman  de  la  Rose  I,  161  ff.  II.  35. 
Roncalischer  Reichstag  I.  66. 
Rosdalowskv,  Utraquist  II,  514. 
Rov,  Wilh/Il,  459. 
Rubeo,  J.  B.  II,  329. 
Ruchrath,  s.  Johann  v.  Wesel. 
Rückert,  Heinrich  I,  124.  Anm. 
Rudelbach    I,  13.     II,    501.  Anm. 

539 ff.  Anm.  546. 
Ruever,  de  I,  12.  Anm.  330.  Anm. 
Ruprecht  von  Deutz  II.  52*-. 
Ruslvworth-Glosse  I.  433.  Anm. 
Russ,  Nicolaus  II,  512. 


S. 

Sacerdotium  und  Imperium  I,  97.  99  ff. 
106.  499. 

Sakramente  ,  Begriff  1 ,  604  ff.  Zahl 
I,  605  ff.  Heilskraft  I.  607  ff.  II. 
248  ff.  26^.  534. 

—  ihre  Heilskraft  durch  sittlichen 
Charakter  des  spendenden  Prie- 
sters bedingt?  I.  608  ff.  II,  249  fg. 
292.  340  fg. 

Salisbury,  Diöcese  II,  14.  437.  446. 

Salomo  I,  542. 

Salomonischer  Tempel  I,  542.  554. 
Salvian  I,  31. 

Sampson,  Elisabeth  II,  437. 
Sanktion,  pragmatische  I,  92. 
»Satanssynagoge«  I,  549. 
Satzungen  von  Menschen  und  Gottes 

Wort  I,  572. 
Sautre,  Wilh.  II,  62  ff.  102. 
Savile,  Heinr.  I,  230  fg.  und  Anm. 
Savonarola  I,  13.  26.  II,  537  ff.  591. 

Savonarola  und  Wiclif  II,  541  fg. 

742.  Savonarola  u.  Wessel  II,  54J. 

Luther  über  Savonarola  I.  3. 


650 


Register. 


Sbynjek,  Erzb.  von  Prag  II,  142  ff. 

stirbt  168. 
Schaarschmidt  I,  277.  Anm.  1. 
Schard  I,  97.  Anm.  ff. 
Schirrmacher  I,  89  ff.  Anm. 
Schisma,  das  grosse  I,  390  fg.  5S0  fg. 

646  ff.  710.  II,  123  fg.  131.  147  fg. 

245.  264. 
Schleiermacher  I,  730.  Anm.  1. 
Schmidt,  Ernst  Alex.  I,  92  fg.  Anm. 
Schmidt,  Karl  I,  14.  43.  140.  Anm. 

151.  Anm.  154  fg.  Anm. 
Scholastik  1 ,  282  fg.  scholastischer 

Studiengang  I,  283. 
Schorham,  Wilh.  I,  435  fg. 
Schottische  Kirche  I,  47.  207. 
Schottland,  Lollarden  in  II,  66.  327. 

431  fg. 

Schreiber,  Wilh.  I,  101.  Anm. 
Schrift,  heilige. 

Die  Schrift  Gottes  Wort  I,  472.' 

Christus  der  eigentliche  Urheber 

der  Schrift  I,  472.) 

—  die  Schrift  ist  einheitlich  I,  484. 

—  ist  unfehlbar  und  schlechthin  voll- 
kommen I,  475. 

—  steht  über  allen  Lehren  u.  Lehrern 

I,  477. 

—  ist  Same  der  Wiedergeburt  I,  401. 
429. 

—  ist  das  gesunde  Hausbrod  I,  401. 
429. 

—  ist  das  Wort  Gottes  in  verklei- 
nertem Maasstab  II,  530. 

—  Wirkungen  der  Schrift  I,  474. 

—  Auslegung  der  Schrift  I,  482  fg. 
■  II,  237.  266.  385  ff.  405  ff.  517  fg. 

—  Buchstäblicher  Schriftsinn  I,  485. 

—  »Mvstischer«  Schriftsinn  I,  40.">. 
417.* 

—  Vielfacher  Schriftsinn  I,  393.  485. 

—  Hus  ens  Lehre  von  der  hl.  Schrift 

II,  233.  236  fg.  264  ff. 

—  Wiclif  s  Lehre  von  der  hl.  Schrift 

I.  469  ff.  II,  517. 

—  Polemik  gegen  dieselbe  I,  471. 

II,  333  fg. 

—  Verschiedene  Fassung  des  Schrift- 
prinzips II,  288  ff. 

—  Schriftprinzip  der  Lollarden,  laut 
Pecock,  II,  371  ff. 

—  der  Reformation  I,  476.  478. 

—  Verhältniss  der  Schrift  zur  Kirche; 
Schrift  und  Tradition  I,  461)  fg. 
482  fß,  II.  404  ff.  408  fg.  517.  53(1. 

■ —  allein  maassgebendes  Ansehen  der 


Schrift  I,  111  fg.  404  fg.  471  ff. 
476  fg.  II,  28.  51.  177.  236  fg. 
(Hus)  266.  318.  404  ff.  517.  619. 

—  Die  Schrift  allgemein  gültig  I,  473. 

—  Unfehlbarkeit  der  Schrift  I,  577. 

—  Genügsamkeit  der  heil.  Schrift. 
(Hus)  II,  234  fg.  266. 

—  heil.  Schrift  soll  Gemeingut  aller 
werden  I,  429.  443  ff.  489  fg. 

—  Bibellesen  in  der  Muttersprache 

I,  443  fg.  II,  373  fg. 

—  Altes  Testament  I,  487.  II,  371. 
379. 

Schröck,  Kirch. -Gsch.  I.  231.  Anm. 

389.  Anm. 
Schulen  II,  284.  289  fg.  428.  474. 
Schwab,  J.  Bapt.  I,  13.  96.  Anm. 

120.  Anm.  163.  Anm. 
Schwabe,  II,  238.  Anm.  240.  Anm. 

258.  Anm. 
Schweiz  I,  53. 

Schwert,  »die  zwei  Schwerter«  1,71. 

75.  486. 
Scillius  II,  51. 
Scrivener,  Joh.  II,  44S. 
Scrivener,  Mich.  II,  13. 
Seebohm  II,  453.  Anm. 
Seele  und  Geist  II,  336. 
Seelenmessen  I,  563  fg.  II,  32.  293. 
Segarelli  I.  87. 

Sekten  des  Mittelalters  I,  41  fg. 
Sekularisation  I,  33.  90. 
Shakespeare  über  Lord  Cobham  II, 

!il  fg.  Anm. 
Shirley,   Walter   I,    16.   273.  Anm. 

288.  291.  Anm.  313  fg.  320.  Anm.  2. 

412.  426  fg.  Anm.  4.  440.  459. Anm. 

498.  585  fg.  II,  328.  554  fg.  558. 
Shyreswood  I,  459. 
Sievers  I,  146.  Anm. 
Sigebert  von  Gembloux  I.  »><>.  Anm. 

98. 

Sigismund,  König  von  Ungarn  II, 
166.  186.  188  fg.  197  fg.  271  fg. 
282  fg.  466.  469.  476  fg.  484. 

Silvester  I.,  Papst,  I,  88.  574.  721  fg. 

II,  393  fg.  505. 

Simonie  I,  163  fg.  228  fg.  355. 

Sixtus  IV.  II,  529. 

Skelton,  Joh.  II,  452. 

Smith.  Johann  II,  428. 

Smith,  Thom.  II,  427. 

Smith.  Wilh.,  Bischof  von  Lincoln 

II,  446  ff. 
Smith,  Wilhelm,  Lollarde  II,  7.  II. 

20.  44. 
Spanien  I,  •">:{. 


Register. 


651 


Spencer,  Bischof  von  Norwich  I,  650. 

704  ff.  II,  14.  43.  63.  178. 
Smritmles  I,  83  f.  120. 
Spottlieder  auf  Erzbisch.  Sbynjek 

II,  H  O  fg. 
Spreswell  f,  261  ff.  274. 
Staat,  Begriff  u.  s.  w.  I,  99  fg.  108. 

117.  597.  599  fg. 
Staat  u.  Kirche,  s.  Kirche  u.  Staat 
Stabreim  I,  246  fg. 
Stafford,  Erzb.  II,  355.  359.  365. 

412. 

Stündeunterschied    in    der  Kirche. 

nach  kath.  Lehre  I,  566  ff. 
Stanislaus  von  Znaim  II,  141.  Anm. 

142.  181.  184.  209.  242.  2C0  ff. 
Staupitz  I,  2.  II,  514. 
Stephan  von  Borbone  I,  49  fg.  61  fg. 
Stephan  von  Dolan  I,  638.  Anm. 

II,    160  fg.  Anm.    169  ff.    259  ff. 

286  fg.  Anm.  290  fg.  294  ff. 
Stephan  von  Paletz,    II,   167.  174. 

181.  184.   193.  19S  fg.  209.  215. 

242.  262  fg. 
Stjekna,  Johann  von  II.  132. 
Stilman,  Joh.  II,  446. 
Stokes,    I.  412.  Anm.  3.  439.  67:<. 

681  ff.  686.  II,  112.  213. 
Strasburg  I,  53. 

Stratford,  Erzb.  v.  Canterb.  I,  233. 
Strvpe,Joh.  I,  591.  Anm.  1.  II,  453  fg. 
Stury,  Sir  Richard  II,  12.  22.  24. 
Stütz,  Jodok  I,  74.  Anm.  2. 
Sudburv,  Sim.,  Bischof  v.  London  I, 

346.  34^.  Erzbischof  353.  368.  383 

386.  658.  679.  701. 
Sultan  der  Türken  I,  559. 
Sünde  I,  506  ff.  II,  518. 
Sündenvergebung  II,  177. 
Sündlosigkeit  Christi  I,  519.  Mariae 

I,  519  fg. 
Suso  I,  140.  150  fg. 
Swinderby,  Wilh.  I,  692.  II.  7.  10  fg. 

2<  ff.  44. 


T. 

-Tabor«  in  Böhmen  II,  300f.  474. 
Taboriten  I,  48.  II,  289.  Anm.  2. 
^  471  ff.  475.  482  fg.  504. 
Tacitus  I,  31.  Anm.  2. 
Tailor,  Xicol.  II,  13. 
Tailor,  Wilh.  II,  308.  316  ff.  321  fg. 

328  fg. 
laufgnade  I,  611. 
Tauler  I,  140.  151  ff. 
Tempelherren  I,  93. 


Tertullian  I,  29. 
Teufel  I,  594.  Anm.  670.  672. 
Thamer,  Theob.  II,  418. 
Thierry,  Aug.  I,  500.  Anm.  1. 
Thomas  von  Aquino  I,  144.  285.  165« 

497.  512.  528.  538  fg.  549.  Anm. 

635.  Anm.  1.  637.  Anm.  2.  II,  237. 

258.  521. 

Thomas,  Graf  Arundel  II,  24.  46. 
56  ff. 

Thomas   Becket   I.    17:5.  203. 

720  fg.  II,  316.  407  fg. 
Thomas  von  Bradwardina  I,  229  ff. 

Gesinnung  und  Charakter  241  ff. 

256.-276.  281.  493.  Anm.  2.  506 ff. 
Thomas  von  Celano  I.  81.  Anm. 
Thomas  von  Gascoigne  I,  719  fg. 
Thomas  von  Kempen  II,  501  fg.  528. 
Thomas  Netter  von  Waiden   I,  :;. 

16.    610.    716.    737.    II,   65.  86. 

307  fg.  316.  Anm.  :^22  fg.  327  ff. 

—  die  theol.  Facultät  von  Paris  über 
sein  Werk  I,  3  fg. 

—  und  Woodford  II,  346  fg. 
Thomisten  I,  496. 
Thorney  Abtei  II.  416. 

Thorpe*,  Wilh.  I,  414  fg.  418  fg.  r2J. 
II.  9.  66  ff.  100.  sein  Buch  II.  145. 
450. 

Thorpe,  Rob.  de  I.  340. 
Thurot,  I,  2-4.  Anm.  313.  Anm.  3. 
Timotheus  II,  369  fg. 
Tindal,  s.  Tyndale. 
Tissnow,  Simon  II.  162.  166.  296. 
299  fg. 

Tod,  der  schwarze  I,  247. 
Todd  I,  542.  Anm.  1.  548.  Anm.  2. 
552. 

Tower  II,  85  ff. 

Todesstrafe  I,  54.  II,  34.  293.  505  fg. 
Todtenmessen  I,  i»2. 

—  an  Ketzern  I.  227  fg.   Hus  . 
Topley,  Thom.  II,  461. 
Tradition  I,   106  fg.  469  fg.  621  fg. 

II,  53  fg.  333  fg.  404  ff.  münd- 
liche, schriftliche)  409. 

Transsubstantiation,  s.  Wandlung. 

Trevisa,  Johann  von  I,  431. 

Trew  7nan  treuer  Christ;  I,  569. 

Trialogus,  s.  Wiclif. 

Tridentin.  Ccncil  II,  334. 

Trivium  I,  278  fg.  286. 

Trussel,  Sir  John  II,  12. 

Tschechische  Predigt  II,  115.  1 18  fg. 
137  ff. 

Tschenjek  von  Wessel  auf  Warten- 
berg II,  271  fg.  276.  289.  299. 


652 


Register. 


Tugend,  Cardinaltugenden  I,  52S. 
—  theologische  Tugenden  I,  529. 
Tunstall,  Bisch,  v.  London,  II,  299. 
454.  461. 

Turner  I,  453.  Anm.  II,  48.  Anm. 

55.  Anm.  74.  Anm.  91.  Anm. 
Tyball,  Joh.  II,  456.  460. 
Tylsworth,  Wilh.  II,  435.  447. 
Tyndale,  Wilhelm  II,  67.  451.  458  fg. 


U. 

Ubertino  de  Casali  I,  119.  II,  553. 
Ullmann,  Karl  I,  12  fg.  146.  Anm. 

150.  Anm.  II,  133.  Anm.  1.  516. 

Anm.  1.  518.  522.^  532  ff. 
Unfehlbarkeit  der  Kirche  I,  126  fg. 

II,  407  ff.  416.  525.  542. 
—  des  Papstes  I.  125.   II,  236  fg. 

496  fg.  542. 
Universalien  I,  460  ff. 
Unterricht,  s.  Schulen. 
Urban  V.  I,  321. 

Urban  VI.  I,  578  ff.  584  fg.  645  fg. 

670.  712  fg. 
Usher,  Erzbischof,  I,  430. 
Utraquisten   II,   289.  Anm.  466  ff. 

504.  509.  514  fg. 


V. 

Valla,  Laurentius  II,  394.  501. 

Vater  Unser  II,  345. 

Vaughan,  Robert  I,  11  fg.  262  fg. 

267.  Anm.  272fg.  Anm.  313.  A.  1. 

319  fg.  323.  Anm.  331.  Anm.  365 

fg.  Anm.  374  fg.  Anm.  378.  Anm. 

389.  Anm.    404.  Anm.  2.    411  fg. 

455.  457.  541.  546.  Anm.  550.  555. 

557.  564.  585.  614.  Anm.  1.  655 

fg.  Anm.  697  fg.  Anm.  II,  554. 
Vega,  Andr.  II,  330. 
»Verbo  solo«  I,  477  fg.  517. 
Verdienst  I,  242.  503  fg.  535  ff.  II, 

247  fg.  519. 
Vergilius,  Polydor.  I,  716  fg. 
Vernunft    und   Offenbarung,  nach 

Wiclif,  I,  467  ff. 
—  Vernunft  zum  Schriftverständniss 

unentbehrlich  I,  485. 
Vigilantius  I,  29. 
Villani  I,  87. 

Villari  I,  13.  II,  539.  Anm. 

Vincent,  Thom.  II,  455. 

Viri  evanüelici  I,  600  fg. 

Voigt,  Jon.  I,  31.  Anm.  6-17.  Anm. 


Vorbild  Christi  I,  519. 
Vulgata  I,  446. 

W. 

Wadding  I,  80  fg.  Anm.  225.  Anm. 
»Waisen«,  hussit.  Partei,  II,  475. 
Wakefield,  Bischof  v.  Worcester  II. 

14.  18.  43  fg. 
Walch,  Chr.  W.  Franz  I,  10.  II. 

516.  522. 

Waldenser  I,  42.  45.  46  —  63.  100. 

142.  155  fg.  481  fg.  II,  373.  Anm. 

511.  741. 
Waldo  (Waldus)  I,  49  ff. 
Wales,  Fürstenthum  II,  14  fg. 
Walleys,  Thomas  I,  396.  Anm.  561  ff. 

II,  22.  85.  104.  318.  389  fg.  392. 
Walsingham  I,  275.  Anm.  2,  351. 

383  fg.  386.  388  fg.  422.  Anm. 

661.  718  fg.  II,  5.  Anm.   8   14.  ' 

43.  90. 

Walther  v.  d.  Vogehveide  I,  41. 
Walworth,  Mayor  v.  London  I,  658. 
Wandlung  im  h.  Abendmahl  I,  581. 

613  ff.  618.  622.  628  fg.  652  ff. 

II,  49.  105.  249.  252  ff.  318  fg. 

341.  346.  388.  429.  431.  437.  449. 

473.  482.  526. 
Wanley  I,  436.  Anm.  1. 
Warham,  Erzbischof  II,  439.  445. 
Warner  II,  418. 
Wat  Tyler  I,  657  fg.  664. 
Waterland  I,  451.  Anm. 
Wattenbach  I,  74.  Anm. 
Waynflete  II,  414. 
Waytstach,  Rieh.  II,  7.  10  fg.  15  fg. 

Anm. 

Weech,  von  I,  115.  Anm. 

Weihe  von  Kirchengeräthen  u.  s.  w. 

II,  294. 
Weiss,  Mich.  II,  513. 
Welt,  Lehre  von  der  Welt,  I,  495  ff. 

—  Weltschöpfung,  I,  496  fg. 
Wenzel,  König  v.  Böhmen  II,  147. 

149  ff.   154  ff.  161  ff.  166.  180. 

182  ff.  274.  279.  282  ff.  46i. 
Wenzel  von  Drachow,  Magister,  II, 

470.  484. 
Wenzel  von  Duba  auf  Lestno  II, 

189  ff.  204. 
Wenzel,  Bürger  in  Prag,  II,  465  fg. 
Wenzel  Tiem,  Dechant  II.  171. 
Werner,  Karl,  r.  kath.  I,  218.  Anm. 

347  fg.  Anm. 
Wessel,  Johann  II.  527  ff. 

—  Luther  über  ihn,  I,  2  fg. 


Register. 


653 


Wessenberg,  von  I,  13.  70.  490  fg. 
Anm. 

Wharton,  Heinr.  I,  430  fg.  451. 
Anm.  II.  353.  Anm.  401.  Anm. 
408. 

Whethamstede,  Joh.  II,  411.  Anm.  4. 
White  s.  Wilhelm  White. 
Whittington,  Sir  Richard  II,  354  fg. 
Wichet  I,  620.  627  fg.  Anm.  656. 
II,  557. 

Wiclif,  Johann  von,  Familie  I, 
265  ff.,  Geburt,  Ort  261  ff.,  Zeit 
derselben  267  ff.,  Rechtschreibung 
des  Namens  267  ff.  Anm.  Wiclif 
als  Scholar  I,  271  ff.,  des  Griechi- 
schen unkundig  277  ff.,  Wardein 
der  Canterburyhalle  294  ff.,  Dr. 
der  Theologie  312  ff.  4S2.  Wiclif 
als  Patriot  317  fg.,  Einfluss  des 
Geistes  englischer  Nation  auf  ihn 

I,  2i2.  258.,  als  philosophischer 
Denker  45S  ff.,  sein  kritischer 
Geist  727  fg. ,  theologische  Denk- 
art, Bibelkenntniss  479.,  Lehrbe- 
griff 466  ff.,  sein  Ehrenname: 
Doctor  evanc/elicus  I,  478  fg.  488. 

II,  27.  333.  Anm.  Johannes 
Augustini  506.  Seine  Ethik 
528  ff.  Wiclif  als  Prediger  393  ff. 
734. 

—  Charakter  I.  414.  601  fg.  724. 
II,  303.  334  fg.,  laut  Zeugniss  der 
Univ.  Oxford  II,  69  fg.  Wiclif 
und  das  Mönchthum  I,  585  ff. 
737.  vgl.  II,  521.  Wiclif  und  der 
Bauernaufstand  I,  659  ff. 

Wiclifs  Schriften  I,  703  f g  , 
Summa  498.  500  fg.  559  fg.  Tria- 
logus  455  fg.  458.  Anm.  479.  494. 
557.  559.  581.  584.  589.  648  fg. 
Anm.  725.  II,  16.  170  fg.  185. 
344.  De  veritate  s.  scnpturae  I, 
471  fg.  489.  265.  Wichet  I, 
489.  620.  627.  Anm.  II,  439.  444. 
446  fg.  450.  456.  Wiclifs  Stil  I, 
453  fg.  725.  730  fg. 

Wiclif  und  Bernhard  v.  Clairvaux 
I.  70.  382.,  erwähnt  die  Walden- 
ser  nicht  215.  Wiclif  und  Gros- 
setete 177.  198  fg.  Anm.  203. 
Anm.  2.  Wiclif  und  Mvstik  140. 
Wiclif  und  Ockam  479  fg.  II, 
608  ff.  Wiclif  erwähnt  die  Beg- 
harden  I  .  156  fg.  Wiclif  und 
Bradwardina  I,  230.    Wiclif  und 


Richard  von  Armagh  I,  226  fg. 
Wiclif  und  Hus  II,  264  fg.  285. 
Anm.  2.  467.  479.  482.  514.  Wic- 
lif und  Savonarola  II,  541  fg. 
Wiclif  und  Luther  I,  541.  628  ff. 
731.  II,  285.  Anm.  2.  329. 

Wiclifs  Tod  I,  718  ff.,  seine  Ge- 
beine ausgegraben  II,  325  ff.  vgl. 
206  fg.  Polemik  gegen  Wiclif  I, 
471.  669  ff.  695  ff.  II,  172  ff. 
331  ff.  470  fg. 

Wiclifs  Schriften  in  Böhmen  II, 
111  ff.  159  ff.  162.  168  ff.  Urtheil 
des  Constanzer  Concils  über  ihn 
und  seine  Schriften  II,  205  ff. 

Wiclifiten  II,  3  ff.  u.  s.  w. 

Wilhelm  v.  St.  Amour  II,  343  ff. 

—  der  Eroberer  I,  16^.  172. 

—  James  s.  James. 

—  von  Lorris  II,  161. 

—  von  Newborough  I,  43. 

—  Ockam  I,  98  fg.  107.  121  ff. 
460.  473.  476.  Anm.  3,  479  ff. 
499.  742.  II,  608.  610. 

—  Tailor  II,  316  ff.  321  ff. 

—  White*,  Priester  II.  306.  308. 
311  fg.  320.  326.  328. 

Willmot  II,  452.  Anm. 

Wilsnack ,  das  heil.  Blut  von,  II, 

143  ff.  235. 
Wilson,  Lea  I,  451.  Anm. 
Witte  I.  101.  Anm. 
Wladislaw  II.  von  Böhmen  II,  508  fg. 
Wladislaw,  König  von  Polen,  II,  468. 
Wok  von  Waldstein  II,  179. 
Wolf,  Joh.  II,  494  fg.  Anm. 
Wolfram  von  Naumburg  I,  97. 
Wolsev,  Cardinal  II,  441.  451.  453. 
Wood,*  Ant.  I,  319.  585.  697.  Anm. 
Woodford,   Wilh.   I,   320.   585  fg. 

589.  638.  Anm.  3.  IL  4S  ff.  vgl. 

mit  Thomas  Netter  von  Waiden 

346  fg.  419  ff.  vgl.  mit  Pecock 

418  ff. 

Woodhall  I,  294  fg.  307.  310. 
Wormser  Vertrag  1122.  I,  64. 
Wright,  Thomas  I,  169.  Anm.  215. 

Anm.  247  fg.  Anm.  432.  Anm.  3. 

II,  36.  Anm. 
Wunder  II,  408. 

Wvche,  Richard  II,   308.   319  fg. 

351  fg. 
Wvcliffe.  Pfarrort.  I,  263. 
Wvkeham,  Wilh.  v.,  Bischof  I,  304. 

339  fg.  363.  367.  685. 


(>54 


Kegister. 


Y. 

Yorkshire  1,262  ff.  Bevölkerg  264  ff. 
Young,  »Mutter«  II,  43.']  fg. 
Yvonet  I.  50.  63. 

Z. 

Zabarella,  Cardinal  II,  165. 
Zahl,  Maass  und  Gewicht  I,  490. 
Zarncke  1,  275.  Anm.  1. 
Zdenjek  von  Labaun  II,  183. 


Zdislaw  v.  Wartenberg  II,  162. 
Zehenten  I,  671.  II,  395. 
Zeichen  I,  604  fg. 

Zeitalter,  »Vom  letzten  Zeitalter  der 
^  Kirche«  I.  22S  fg.  157.  II,  547  ff. 
Zelatores  im  Franziskanerorden  I, 
83  fg. 

Zizka,  Johann  II,  281.  300.  466. 
475  fg. 

Zwangsgewalt  I,  109.  III.  II,  505. 
Zwingli,   seine  Abendmahlslehre  1, 
633.  II,  465.  Anm.  4.  535. 


Druck  von  Kreitkopf  &  Härtel  In  Lftipiig, 


BW5111.L453v.lAJ 
Johann  von  Wiclif  ifnd  die  Vorgeschichte 
Pnnceton  Theological  Seminary-Speer  Library 


1  1012  00036  1404