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ö
KANT-
STUDIEN.
PHILOSOPHISCHE ZEITSCHRIFT
UNTER MITWIRKUNG VON
E. ADICKES, É. BOUTROUX, EDW. CAIRD,
J. E. CREIGHTON. W. DILTHEY, B. ERDMANN, R. EUCKEN, M. HEINZE
A. RIEHL, F. TOCCO, W. WINDELBAND
UND MIT UNTERSTÜTZUNG DER .KANTGESELLSCHAFT'
HERAUSGEGEBEN VON
D«^ HANS VAIHINGER und D«- BRUNO BAUCH
PBOFSS80B IN HALLE. PRIYATDOCRNT IN HAIilJC.
DRBIZBHNTER BAND.
BERLIN,
VERLAG VON REUTHER & REICHARD
1908
WILLIAMS A NOBOATK, LEMCKS A BUECHVKB,
LONDON. NKW YORK.
H. LR SOUDISR, CARLO CLAüSiSN,
PARIS. TORINO.
INHALT.
8«ite
Zur Geschichte des Wortes Person. Nachgelassene Abhand-
lung von Adolf Trendelenburg. Eingeführt von
Rudolf Eucken .... - i
Über historische Kausalität. Von Otto Baeu seh . . . . is
Kant in neuer ultramontan- und liberal-katholischer Be-
leuchtung. Kritisch gewürdigt von Brnno Bauch. . 32
W. V. Humboldt und Kant. Von Dr. Eduard Spranger 57
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. Von Dr. Oskar
Ewald 197
Die Frage als Prinzip des Ericennens und die „Einleitung""
der Kritilc der reinen Vernunft. Von August Stadler 238
Die Grundfragen der Ästhetik unter icritischer Zugrunde-
legung von Kants Kritilc der Urteilskraft. Von Prof.
Dr. Richard v. Schubert-Soldern 249
Heinrich Gomperz' Weitanschauungsiehre. Von August
Messer 275
Die neu aufgefundenen Kantbriefe. Mitgeteilt von Prof.
Paul Menzer 304
Vorschlag zu einer Änderung des Textes von Kants Kritik
der praktischen Vernunft. Von Dr. Heinrich Eomundt 313
Dm Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. Von
Nikolai von Bubnoff 367
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. Von Richard
Hönigswald 409
Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik
und Sprachphilosophie. Von Anton Marty .... 457
Thesen zur „Grundlegung des Intuitivismue*'. Von H. Losskij 46i
Dm Erkenntnisprobiem. Eine Erwiderung. Von Ern st Marcus 464
Kant und das Erkenntnisprobiem. Eine Entgegnung. Von
Paul Wüst 467
■tazontitnen:
Bisler, Rudolf, Einführung in die Eirkenntnistheorie.
I>enelbe, Leib und Seele. Von August Messer .... 180
Bnui»^ O., Schelling, Friedrich von, Y onesungen über die Methode
des akademischen Studiums, herausgeg. v. O. Braun. Von
Karl Hoffmann 188
1 ^8009
rV" Inhalt.
Ml
Gestenreich, K., Die Entfremdung derWahrnehmirngswelt und die
DepersonnaUsation in der Psychasthenie. Von E. Spranger. Itt
Hartiiiann,E.T., System d.Phüosophie im Grundrias. Von O. B rann 1S7
Sigwart, Christoph, Vorfragen der Ethik. Von H. Maas . . 19
Marcus, Ernst, Das Erkenntnisproblem. Von P. Wfist . . . Itt
Troeltsch, Ernst, Psychologie und Erkenntnistheorie in derBeli-
gionswissenschaft. Von H. Maas 141
Schelling, F. W. J. t., Werke. Auswahl in 3 Bänden. Mit
3 Porträts Schellings und einem Geleitwort von Prof. Dr.
Arthur Drews, heraus^eg. und eingeleitet von Otto
Weiss. Von Fritz Medicus 817
Hansen, Adolph, Prof. Dr., Goethes Metamorphose der Pflanzen.
Von J. Cohn 318
Ajmoldt, Emil, Gesammelte Schriften. Heransgeg. von Otto
Schöndörffer. Von Johannes Paulsen JRB
Renner, Hugo, Immanuel Kants Werke in acht Büchern.
Von Johannes Paulsen 331
Man, Georg, Die Relig^onsphilosophie Kaiser Julians in seinen
Reden auf König Hehos und die Göttermutter. Von M. Wandt 381
Bertling, 0., Geschichte der alten Philosophie als Weg der
Erforschung der Kausalität für Studenten, Gymnasästen
und Lehrer. Von M. Wundt 382
Gntberlet, C, Der Kampf um die Seele. Von E. v. Aster . 333
Ehlers, Rudolph, Richard Rothe. Von H. Maas 384
Schmidtknnz, Hans, Einleitung in die akademische Pädagogik.
Von Hermann Schwarz 384
Speck, Johannes, Der Entwickelungsgedanke hei GToethe.
Von Bruno Bauch 385
Stange, Carl, Grundriss der Religionsphilosophie. Von
Eduard Spranger 337
Fröhlich, Jon. Ans., Der Wille zur höheren Einheit. Von
Rudolf Jorges 887
James, William, Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltig-
keit (deutsch von G. Wobbermin). Von K. Österreich 474
James, William, Pragmatism a New Name for Some Old Ways
of Thinking. — Dasselbe deutsch von W. Jerusalem und
Schiller, F. CS. Studies in Humanism. Von Günther Jacoby 478
Muthesius, Karl, Goethe und Pestalozzi. Von J. Cohn . . 480
Sternberg, Kurt, Friedrich Paulsen ff Nachruf und kritische
Würdigung. Von Bruno Bauch 481
Paulsen, Johannes, Das Problem der Empfindung. I. Die
Empfindung und das Bewusstsein. Von G. Falter . . . 48S
Lang, A., Das Kausalproblem. Erster Teil: Geschichte des
Kausalproblems. Von E. König 483
de Sopper, David Humes Erkenntnistheorie und Ethik. Von
A der Mouw 485
Lasson, G., Fichte und seine Schrift über die Bestimmung
des Menschen. Von 0. Braun . , » • • 487
Nestle, Wilhelm, Die Vorsokratiker. In Auswahl übersetzt.
Von 0. Braun 488
Homeffer, A., Piaton: Staat, übersetzt. Von 0. Braun . . 489
Leser, H., Fichte: Reden an die deutsche Nation. Heraus-
gegeben in ursprünglicher Gestalt. Von 0. Braun . . . 489
Gomperz, Heinrich. Das Problem der Willensfreiheit. Von
0. Braun " 489
Gottschick, Joh., Ethik. Von W. Koppelmann 491
Rüge, Arnold, Kritische Betrachtung und Darstellung des
deutschen Studentenlebens. Von A. Maas 49S
Hoffmann, K., Zur Litteratur und Ideengeschichte. Von A. Ma as 494
Inhalt.
•Ibstanzeigen:
Paulsen, Jo h., Das Problem der Empfindung. S. 152. — M o t h -
Smith, Metageometrische Raumtheorien. S. 163. — Sopper,
David Humes Kenleer en Ethik. S. 154. — Flügel, Herbarts
Lehren und Leben. S. 156. — Boelitz, Die Lehre vom Zu-
fall bei Emile Boutroux. S. 167. — Petronievics, Die
typischen Geometrien und das Unendliche. S. 158. — Lasson,
Georg Fr. Wilh. Hegels Phänomenologie des Geistes. S. 159.
Rüge, Kritische Betrachtung und Darstellung des Studenten-
lebens in seinen Grundztigen. S. 160. — Koppelmann, Die
Ethik Kants. S. 161. — König, Kant und die Naturwissen-
Schaft. S. 162. — Conrad, Die Ethik Wilhelm Wundt«.
S. 162. — Antoniade, Iluziunea Realista. S. 163. — Bier-
mann, Die Weltanschauung des Marxismus. S. 164. — Engel,
Schiller als Denker. S. 164.
Ewald, Oscar, Kant« kritischer Idealismus als Grundlage
von Erkenntnistheorie und Ethik. S. 339.-— Bauch, Bruno,
Geschichte der neueren Philosophie bis Kant. S. 342. ^
Braun, Otto, Hinauf zum Idealismus. S. 342. — Hoff-
mann, Karl, Zur Literatur und Ideengeschichte. S. 343. —
Ledere, Albert, La Philosophie grecque avant Socrate.
S. 344. — Derselbe, La Morale rationelle dans ses relations
avec la Philosophie générale. S. 344. — Flügel, 0., Monis-
mus und Theologie. S. 345. — Walther, Martin, J. J. Her-
bart und die vorsokratische Philosophie. S. 84.5. — v. Brock-
dorff, Die Geschichte der Philosophie und das Problem ihrer
Begreiflichkeit. S. 346. — Derselbe, Die Kunst des Ver-
stehens. S. 347. — Derselbe, Die wissenschaftliche Selbst-
erkenntnis. S. 347. — John Stuart Mill, Eine Prüfung der
Philosophie Sir William Hamiltons. Deutsch von mlmar
Wilmanns S. 348. — Kohlmann, 0., Kant und Haeckel.
S. 348.— Burckhardt, G. Ed., Die Anfänge einer geschicht-
lichen Fundamentierunç der Religionsphilosophie. S. 349. —
Fröhlich, Franz, Fichtes Reden an die deutsche Nation.
S. 850. — Richert, H., Philosophie. S. 351. — Sanus,
Similismus, Grundriss einer neuen Weltanschauung. S. 861.
— Apel, Max, Kommentar zu Kants „Prolegomena". S. 352.
— Couturat, Louis, Die philosophischen Prinzipien der
Mathematik. Deutsch von Dr. Carl Siegel. S. 362.
Simon, Über Mathematik. S. 496. — Messer, Empfindung
und Denken. S. 497. — Krön er, Über logische und ftsthe-
tische AllgemeingOltigkeit. 8.497. — Becher, Philosophische
Voraussetzungen der exakten Naturwissenschaften. S. 498. —
Derselbe, Die Grundfrage der Ethik. S. 499. — v. der
Pfordten, Vorfragen der Naturphilo80i)hie. S. 500. —
van Biéma, L'espace et le temps chez Leibniz et chez Kant.
S. 501. — Der sel oe, Martin Knutzen, la critique de Thar-
monie préétablie. S. 502. — Bergmann, Untersuchungen
zum Problem der Evidenz der inneren Wahrnehmung. S. 602,
— Jungmann, René Descartes. Eine Einführung in seine
Werke. S. 603. — Wenzig, Die Weltanschauungen der
Gegenwart in Gegensatz und Ausgleich. S. 508. — Clapa-
rèae-Spir, Denken und Wirklichkeit. S. 604. — Miller,
Ham ma, Geschichte und Gmndprobleme der Philosophie.
S. 505.
Sêitm
VI Inhalt.
Seit»
BittoilMmen:
Die neue Kantb&ste Ton Professor Janensch. «Mit einer Ab-
bÜdnng.) V(m H. Vaihinger 165
Der Kampt nm Kante Grab in Königsberg. Von H. Vaihinger 167
KmlCMeltocMait. IT. JalirM^erlckt. i«07 . . . 17&
Veigfinsdgnng für neneintretende Jahresmitglieder der Kant-
gesellachaft 180
Ummi^emtUmeMmn. M ilsUe^^rreneiclmls Ar ^mm
JmlM* 1907 181
Dritter internationaler Kongress für Philosophie in Heidelberg.
S. 186. — Bestimmongen über die ^Ergänzungshefte** der Kant-
stodien. S. 187. — Mitteilung für Jahresmitglieder und Solche,
die es werden wollen. S. ISß. — Die JahrSberichte über die
deatsche Philosophie in den Kantstndien. S. 189. —
I>ritte« PrelMMiMCkrelbea der KmlcMeltocIimit
(Carl Gnttler-Preisanfgabe) 19a
Kante Beziehongen znr Medizin. Eine Umfrage. S.193. — Neuauf-
^fondene Kantbriefe. S.193.— An die Herren Autoren. S. 193. —
Der Begriff der Persönlichkeit bei Kant. Nachtrag zu dem
Tren&lenburgschen Au&atz. Von H. Vaihinger . . . . 194
Von der Feier des 60. Geburtstages Wilhelm Windelbands 354
Eine Erweiterung der Dürr'schen philosophischen Bibliothek . 365
Dritter internationaler Kongress füi Philosophie in Heidelberg 356
Preisau^be 506
Erwiderung auf einen Angriff gegen die Kant-Studien. Von
H. Vaihinger 507
Walter Simon-Preisaufgabe 508
An die Mitglieder der Kant-Gesellschaft 509
Register:
Sachregister . . , 510
Personenregister 513
Besprochene Kantische Schriften 516
Venasser besprochener Novitäten 516
Verzeichnis der Mitarbeiter 517
Zur Geschichte des Wortes Person.
Nachirelassene Abhandlung von Adolf Trendelenburg.
Eingeführt von Rudolf Eucken.
Einfuhrung.
Die Vielgeschäftigkeit des Grossstadtlebens und mannigfache
ibtiiamt liehe Tätigkeit haben Trendelen bürg am Abschluss ver-
miedener von ihm geplanter grösserer Werke verhindert, das
"Bild geiner wissenschaftlichen Art wäre um bedeutende Züge be-
rt*ichert worden, hätte er die Ethik und die Psychologie vollenden
klinneii, die ihn beschäftigten. Die Lücke aber aus seinem Nach-
last auszufüllen, hinderte ein striktes Verbot, irgend etwas unfertig
Iliiiterlassene» zu veröffentlichen. Nun aber fand sich ein Schrift-
-snick vor, das nicht als unfertig gelten darf, und das Trendelen-
burg sicher in eine Sammlung kleinerer Schriften aufgenommen
! '\ rui er noch zu einer solchen gekommen wäre: eine
[ ;.u ioaciuing, welche das Datum trägt 20. Januar 1870 und den
Tiî«l führt: „Zar Geschichte des Wortes Person".
Diese Arbeit liegt nun freilich über 37 Jahre zurück, im
Eiimslnen hätte Trendelenburg selbst gewiss jetzt verschiedenes
Wà ergänzen und zu verändern gefunden. Aber das Ganze darf
IrulÄ S4^)ues knappen Umfangs als ein wertvoller Ausdruck der
Kij^entfiriilic*hk«'it jenes Denkers und Forschers gelten, dessen
Li^^eosarbeit Hire Bedeutung behält, obschon die Bewegung der
Avh iti^wiKcheü andere Bahnen einschlug. Mit voller Deutlichkeit
ers<?heiftt hier Trendelenburgs freundliches Verhältnis zur Ge-
lehidite. sriu eifriges Streben, die Zeiten in einen engen Zu-
tomnienhang zu bringen und den Stand der Gegenwart möglichst
«QH der Vergangenheit hervorwachsen zu lassen. Zugleich wird
enricbtiich, mit welcher Weite des Blickes, welchem Gleichmass
des Ijitêresi , welcher Besonnenheit und Sorgfalt er bei solcher
Art>eJt verfuhr, auch welchen künstlerischen Reiz seine Darstellung
â A. 'Trendelenburg,
in ihrer schlichten Anmut hat. Für die „Kantstudien" aber hat
diese Abhandlung einen Wert, wennschon sie über Kant selbst
nichts Neues bringt. Ein enger Anschluss an die alte Philosophie
gestattete Trendelenburg kein nahes Verhältnis zu Kant und keine
volle Würdigung seiner umwälzenden Leistung. Wie sehr er ihn
trotzdem schätzte, das lässt diese kleine Untersuchung in vollem
Masse erkennen. Denn sie ist ihrer ganzen Ausdehnung nach auf
Kant als Zielpunkt gerichtet; wie seine höchst einflussreiche Ver-
tiefung des Begriffs der Persönlichkeit durch die geschichtliche
Arbeit verschiedenster Gebiete vorbereitet war, das soll hier vor-
geführt werden. So bildet das Ganze eine Hinführung zum
ethischen Hauptbegriffe Kants und zugleich eine Huldigung für
Kant, der von hier aus angesehen als der höchste Gipfel erscheint,
zu dem die verschiedenen Wege führen.
Zur Geschichte des Wortes Person.
1. Kant hat den Begriff der Person für die Moral neu aus-
geprägt; ein guter Teil seiner ethischen Lehre konzentriert
sich in dem Satz: „Der Mensch ist Person". Im Gegensatz gegen
den Begriff der Sache sagt Kant in der Grundlegung der Meta-
physik der Sitten" (1786):^) „vernünftige Wesen werden Personen
genannt, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst,
d. i. als etwas, das nicht bloss als Mittel gebraucht werden darf,
auszeichnet, mithin sofern alle Willkür einschränkt und ein Gegen-
stand der Achtung ist." Da die vernünftige Natur als Zweck ah
sich selbst existiert und nicht bloss als Mittel zum beliebigen Ge-
brauch für diesen oder jenen Willen, so wird, sagt Kant, der
praktische Imperativ folgender sein: „Handle so, dass du die
Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden
andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel
brauchst." „Der Mensch ist zwar unheilig genug," sagt Kant an
einer anderen Stelle,^) „aber die Menschheit in seiner Person muss
ihm heilig sein. In der ganzen Schöpfung kann alles, was man
will, und worüber man etwas vermag, auch bloss als Mittel ge-
braucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige
Geschöpf, ist Zweck an sich selbst".
1) S. 56 f. Rosenkr.
«) Kr. d. pr. V. 1788. S. 156.
Zur Geschichte des Wortes Person. 3
Wenn der Mensch als vernünftiges Wesen Person ist und
als solche Selbstzweck, so hängt damit zusammen, dass er, dem
vernünftigen Zweck entsprechend, einer vernünftigen Willens-
bestimmung fähig sei, was das Wesen seiner Freiheit ausmacht.
So legt Kant in die Person Selbstzweck und Freiheit und
sieht die Erhabenheit der menschlichen Natur in dieser Achtung
erweckenden Persönlichkeit.
Es ist eine der wohltätigen Wirkungen Kants, dass er den
Begriff der Person neu erhellt. Der Begriff der Person, in welche
er die Würde des Menschen legte (alle Sachen haben einen Wert,
einen Marktpreis, nur der Mensch allein Würde), und der Begriff
der Achtung für den Menschen, der in diesem Sinne Person ist,
gingen nun Hand in Hand und wuchsen in der Anerkennung mit
einander. Stillschweigend hat diese Wirkung das Leben in seinen
besten Richtungen mitbestimmt; und, was die wissenschaftliche
Bedeutung betrifft, so hat dieser Begriff selbst in der theo-
logischen Ethik, wie z. B. in Nitzsch System der christlichen
Lehre, Eingang gefunden.
In dem dargestellten Sinne drückt uns der Begriff der
Person oder die Persönlichkeit im Menschen die Quelle und gleich-
sam die Substanz seines sittlichen Wesens aus. Wir wären ratlos,
wenn wir diesen Begriff in die griechische Sprache, welche die
edle Mutter unserer wissenschaftlichen ethischen Ausdrücke ist,
zurückübersetzen sollten. In Plato und Aristoteles findet sich
keine adäquate Bezeichnung. Sie sprachen von dem Menschen,
nicht von der Person, wenn sie das dem Menschen Eigentümliche
aasdrücken wollen. Wo es Sklaven giebt, wird ein Begriff, wie
der Kantische, wenigstens aus dem allgemeinen sittlichen Beii^iisst-
8ein nicht hervorwachsen. Es ist ein Fortschritt der wissen-
schaftlichen Begriffe, wenn die neuere Zeit einen solchen Begriff,
^ie Person, ausprägte.
Aber, fragen wir, um unser Thema zu bezeichnen, wie kann
die Person, persona, d. h. die vorgehängte Maske, die den ange-
Qommenen Schein bedeutet, zum Ausdruck des innersten sittlichen
W'esens, zum Ausdruck des eigensten Kerns im Menschen werden?
Wissenschaftliche Termini, wie z. B. das Subjektive und Objek-
tive, das a priori und a posteriori, die moralische Oewissheit der
lAathematischen entgegengesetzt, die Idee und das Konkrete, haben
^cht selten ihre Geschichte. Es ist mein Wunsch, einen Beitrag
tûT Geschichte des Wortes Person zu geben und zwar in der
4 A. Trendelenburg,
Richtung der aufgeworfenen Frage: wie kam persona, die Maske,
von der der Fuchs im Phaedrus sagt, „welch mächtige Gestalt!
Gehirn hat sie nicht" (s. 1, 7), dazu, im Fortgang des Gebrauchs
die Persönlichkeit in der Kantischen Ausprägung zu bezeichnen?
2. Wo man von der Geschichte eines Wortes redet, denkt
man zunächst an seinen Stammbaum. Indessen ist bei dem
Worte persona die Etymologie noch heute nicht sicher gestellt.
Es ist eine bekannte Stelle im Gellius V. 7, wo es heisst:
Lepide mehercules et scite Gabius Bassus in libris, quos de origine
vocabulorum composuit, unde appellata persona sit, interpretatur;
a personando enim id vocabulum factum esse coniectat: „Nam
caput", inquit, „et os cooperimento personae tectum undique,
unaque tantum vocis emittendae via pervicera, quoniam non vaga
neque diffusa est, in unum tantummodo exitum collectam coactam-
que vocem ciet et magis claros canorosque sonitus facit. Quoniam
igitur indumentum illud oris clarescere et resonare vocem facit,
ob eam causam persona dicta est, o littera propter vocabuli for-
mam productiore. Hiernach hätte persona die Maske von ihrer
Eigenschaft, den Namen, die Stimme zusammenzuhalten und den
Laut kräftiger und heller hervorbrechen zu lassen. Abgesehen
von der widersprechenden Quantität (persbno und persona) wäre
der Name von einer Nebeneigenschaft statt von dem eigentlichen
Wesen der Maske, wie etwa den charakteristischen Gesichtszügen,
abgeleitet. J. C. Scaliger zweifelt schon an diesem Ursprung,
aber die Ableitung, die er vorschlägt, neçi (Smfxa oder neql fwju«
trifft noch weniger. Ein alter Vocabularius trägt Tieferes in das
Wort hinein und deutet persona als per se una. Die neueste
Ableitung, die ich las, ist noch tiefsinniger. Da ona in den latei-
nischen Wörtern die Fülle bedeutet (was richtig sein mag, wie in
annona, Pomona, Bellona), so bezeichne persona, d. h. per se ona,
die Fülle aus sich, wie der Person Christi die Fülle beigelegt
wird, das nkrjçœfjia, Jacob Grimm in seiner akademischen Ab-
handlung vom Jahre 1858^) ist nicht abgeneigt, persona unter
die Vertretung männlicher durch weibliche Namensformen zu
rechnen. Er geht insoweit in die Ableitung von personare ein,
als er sich an der Abweichung der Quantität, die auch sonst vor-
komme, nicht stösst; aber er erklärt den Sinn anders. Die Be-
^) Denkschriften 1858 über die Vertretung männlicher durch weib-
liche Namensfonnen S. 49.
Zur Geschichte des Wortes Person. 5
deutuüg soll nicht von einer den Laut des Reimes erhöbenden
Larve herkommen, sondern persona könnte an sich den Sprechenden,
der seine Rede verlauten lässt, bezeichnen, ähnlich wie vocula als
Beiname, an sich nichts als parva vox, einen leise Redenden
meine. Diese Etymologie macht einen weiten Umweg und dürfte
mit dem üblichen Gebrauch von personare nicht stimmen. In
dieser Verlegenheit wird man fast zu einer anderen Ableitung
hingetrieben, die schon Forcellini vorschlägt. Wenn die Maske
mit dem Theater aus Griechenland nach Rom kam, so wäre es
möglich, dass das fremde Wort nQoaœnov oder nçoGwneïov als ein
fremdes sich eine gewaltsame Umformung musste gefallen lassen,
ähnlich wie z. B. der fremde Pflanzenname voaxvafiog iusquiamus
wurde, und insofern würde die Analogie, dass umgekehrt wie
Usçoegiovri Proserpina wurde, nçoownov oder nçwUûnsïov sich in
persona verwandelte, erträglicher, so dass (nach Schwencks
Memung) persona etwa für prosopina stände.
Nach diesem Reichtum unsicherer oder ungewisser Ver-
matUDgen bekennen wir, dass die Stammverwandtschaft von per-
sona noch nicht entdeckt ist. Wir wenden uns also zur Be-
deatong zurück, auf welche es für unseren Zweck allein an-
kommt
3. Das Wort Person hat schon in Luthers Bibelübersetzung
eine mehrfache Bedeutung. Bei der Erzählung eines Verrats
übersetzt Luther 2. Makkab. 12, 4: sie ersäuften sie alle in die
zwei hundert Person; und in Luk. 19, 3, bei der Erzählung von
Zachäns, der Jesum zu sehen begehrt und auf einen Maulbeerbaum
stieg: „denn er war klein von Person**. In erster Stelle haben
der griechische Text und die Vulgata nur das Zahlwort; und
Luther wählt, scheint es, Personen, um Männer und Weiber zu-
sammenzufassen. In der zweiten Stelle heisst Zachäus im Grie-
chischen f]Xixi(f fjLixçoç, im Lateinischen steht quia statura posillus
erat. In dem Qebrauch: er war klein von Person, ist das Aus-
sehen, wie in der Maske, eine wesentliche Vorstellung, aber es
^ dabei an das Aussehen des ganzen Leibes gedacht.
Unserem Vorwurf stehen andere Zusammenfügungen näher.
^on im alten Testament kehrt der Ausdruck : ohne Ansehen der
Person wieder. So heisst es 5. Mos. 16, 17: Gott, der keine
Person achtet und kein Geschenk nimmt; 2. Chron. 19, 17: bei
dem Herrn unserm Gott ist kein Unrecht noch Ansehen der
Person ; Hieb 34, 19 : „der doch nicht ansiehet die Person der
6 A. Trendelenburg,
Fürsten". Der Ausdruck des Hebräischen ist sinnlicher. Das
„Antlitz annehmen** (û"»pD x^n) kann wohl nur heissen: den Blick
des Anderen annehmen, d. h. ihm günstig sein. Wenn die LXX
^av(idaai nQoawnov übersetzt (2. Chrou. 19, 7, vgl. 6. Mos. 10, 17,
Hiob 34, 19), so kann man fragen, ob hier „ein Antlitz be-
wundem" im eigentlichen sinnlichen Sinne zu verstehen sei, oder
ob hier der Gebrauch des nçoîfwnov schon die Beziehung aufge-
nommen hat, die wir z. B. im Polybius finden, die Beziehung auf
die Rolle, die jemand im Leben spielt. Die Vulgata übersetzt
5. Mos. 10, 17, Dens, qui personam non accîpit. 2. Chron. 19, 7,
personarum acceptio. Hiob 34, 19, qui non accipit personas prin-
cipum. In dieser Übersetzung ist nQoaœnov, das im attischen
Griechisch noch nicht die Person vor Gericht bezeichnet, zur per-
sona im juristischen Sinne geworden, und daher stammt Luthers:
ohne Ansehen der Person. Das accipere personam erklärt sich in
der persona accepta, persona grata.
In dem nçoawnov als Maske liegt immer die Duichführung
einer Rolle, die Vertretung eines Charakters. Ausdrücke des
neuen Testaments, welche an jene des alten erinnern, klingen aî^
diese Bedeutung noch mehr an. In der Apostelgeschichte 10, 3^
ruft Petrus nach der Bekehrung des römischen Hauptmanns Cof -
ûelios aus: „Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott di^
Person nicht ansieht, sondern in allerlei Volk, wer ihn fürcht^"^
und recht tut, der ist ihm angenehm". Ähnlich der Apost^
Paulus im Briefe an die Römer, 2, II, „Preis denen die Gute^
tun, Yomehmlich den Juden und auch den Griechen; denn es is^
kein Ansehen der Person vor Gott", vgl. Gal. 2, 6. Der grie-
chische Ausdruck heisst ovx ê<ni nçocwfrolTJmrjç 6 i^eoç (act. 10 34) -
nQOiftonolfikpla (Rom. 2, 11), nQoawnov o ^eog dv^çoinov ov Xafi^
ßdvEi (Gal. 2, 6), welcher Ausdruck der LXX 3. Mos. 19, 15 ent^
spricht. Die Vulgata übersetzt personarum acceptio (act. 10, 34^
R5m. 2, 11). Deus personam hominis non accipit (Gal. 2, 6).
Während in dieser lateinischen Übersetzung schon der juristische
Gebrauch der Person deutlich hervortritt, hat das griechische
nQwUùnov noch die besondere Beziehung im Sinn, wie sie die
Maske darstellte, das nationale Gesicht, ob Jude, ob Grieche, ob
Befichneidung, ob Vorhaut, das wäre ein Ansehen der Person, das
im Christentum nicht gilt. In dem Ausdruck: ohne Ansehen der
Pdrson tritt der Anspruch, den die Person auf ein Besonderes,
z. B. das Nationale, gegen das Allgemeine möchte geltend machen,
Zur Geschichte des Wortes Person. 7
in die Sprache ein. Im Latein ist dieselbe Beziehung des
Besonderen wohl zu erkennen, wenn z. B. Cic. ad Attic. VIII, 11,
in einem Briefe an den Pompejus sagt, im Zusammenhang
mit der Partei, die er genommen, mit der Rolle, die er gespielt
bat: ut mea persona semper ad improborum civium impetus ali-
quid videretur habere populäre.
4. Diese Beziehung wird noch wahrscheinlicher, wenn wir
bei den Stoikern, die im Leben auf die Übereinstimmung mit sich
selbst, auf die Konsequenz des mit sich einigen Charakters ge-
richtet waren, das nçoawnov, die persona zum Ausdruck des
Ethischen werden sehen. Die Stoiker lieben den Vergleich und
nehmen den Vergleich in die eigentliche Lehre auf. So lesen wir
iû Epiktets kurz gefasster Ethik (in seinem Enchiridion) (Kap. 17):
^Gedenke, dass du Darsteller (vnoxçni^) einer Rolle bist, welcher
Art der Meister (aiadokaXog) will; wenn er eine kurze will, einer
kurzen, wenn eine lange, einer langen; wenn er will, dass du
einen Armen darstellst, dann sorge, dass du einen Armen mit
Geist spielest, ebenso wenn einen Hinkenden, wenn eine Obrig-
keit, wenn einen gemeinen Mann; denn das ist deine Sache, die
dir gegebene Rolle (nçocwnov) schön zu spielen, aber sie auszu-
wählen, eines Anderen.^ In demselben Sinne heisst es Kap. 37:
nWenn du eine Rolle über dein Vermögen übernimmst, so wirst
du sie schlecht und linkisch spielen^ und eine andere versäumen,
die du ausfüllen könntest." In demselben Sinn gebietet Epiktet
m den Dissertationen, die zugewiesene oder übernommene Rolle
zu wahren, zu wissen, was man sein will und darin der eigenen
KoUe nicht zu vergessen. In den Dissertationen 1, 2, 12 heisst
es: „Als Florus den Agrippinus um Rat fragte, ob er zu Neros
äcbaaspiel gehen und dabei einen Dienst übernehmen solle, ant-
wortete Agrippinus: geh nur hin; und als dieser weiter fragte,
warum er denn nicht selbst hingehe, erwiderte er: weil ich der-
gleichen nicht einmal überlege. Denn wer einmal solche Dinge
betrachtet, in den Wert des Äusseren eingeht und es berechnet,
der ist nicht viel anders daran, als die, welche ihrer eigenen
Bolle vergessen. "^ So soll nach der stoischen Lehre (Diog. Laert
^, § 160) der Weise dem guten dramatischen Künstler (vnoxQwç)
ähnlich sein.
Diese Gedanken sind nicht bloss Lehre des Epiktet, des
Stoikers zu Neros Zeit, sondern sie sind bei den Utesten grie-
chischen Stoikern heimisch. Wenigstens haben wir ein Fragment
8 A. Trendelenburg,
des Teles, der wahrscheinlich ein Zeitgenosse des Chrysipp ist,
das ähnlich wie Epiktet spricht; nur mit dem Unterschiede, dass
es die Tyche (das Glück) und nicht den vorsehenden Gott zum
Dichter der Rollen macht. Die persona ist in diesem ethischen
Sinne der übertragenen oder übernommenen Rolle bei Cicero ge-
läufig, z. ß. offic. 1, 28 und 31.
Wir erkennen in dem Bilde das Eigentliche der stoischen
Ethik ohne Schwierigkeit. Die gut gedichtete Rolle ist der Natur
gemäss, wie der erete Grundsatz der Stoiker verlangt, der Natur
gemäss zu leben, d. h. der Vernunft, die der Natur zum Grunde
liegt, zu folgen, und die gut gedichtete Rolle individualisiert
ferner das Allgemeine der eigentümlichen Natur des Einzelned-
gemäss und gründet es in einem vernünftigen Mittelpunkt. Da-^
durch wird erreicht, was die Stoiker wollen. Das allgemeine Ge-
setz der Natur verbindet sich mit dem Willen der eigenen über-
einstimmend. Denn es wird richtig gehandelt, und es entsteht der*
schöne Fluss des Lebens, wenn der Wille des Ordners des Alte
und der Dämon des Einzelnen harmonisch stimmen* Indem die
Rolle aus dem Ganzen des Dramas entworfen ist und doch in dem
Eigenen des Teils ihr Leben hat, ist sie ein künstlerischer Aus-
druck jener Lehre. Überdies bleibt die gut gedichtete Rolle sich
selbst treu, wie die vita sibi Concors, auf welche Seneca uns hin-
weist. Der Weise nun, der einem guten dramatischen Künstler
ähnlich sein soll, muss die Rolle selbst entwerfen und selbst dar-
stellen.
Wir haben hier zwar die persona in einer ethischen Be-
deutung von eigenem Gepräge, aber nicht in der Bedeutung, die,
wie heute, das eigentliche Prinzip der individuellen Sittlichkeit
ausdrückt. Im Deutschen finden wir noch Spuren von persona
als Maske, Rolle, z. B. in der Zusammenfügung, er hat seine
Person gut gespielt, gut vorgestellt.
5. Dasselbe Wort, welches in der Scene von dem Schau-
spieler gebraucht wird, agit personam, gehört der Gerichtssprache
an, wenn agere apud iudicem, actio von der Klage gebraucht wird.
Der Kläger (actor) und der Verteidiger gleichen in Rede und
Gegenrede den Masken, den Personen auf der Bühne. An den
Kläger, den Verteidiger und den Richter sind gleichsam verschie-
dene Rollen dieses Dramas verteilt. Daher war es ein entsprechen-
der lebendiger, sinnlicher Ausdruck, wenn die Gerichtssprache das
Wort persona aufnahm. So wird persona vom Kläger und Ver-
Zur Geschiebte des Wortes Person. 9
leidiger gern gebraucht. Z. B. Gai institut. IV, § 86. Qui
autem alieuo uomine agit (wie der cognitor, der procurator) inteii-
tioneni quidem ex persona domini sumit, condemnationem autem
in suam personam convertit.
Auf diesem Wege, so scheint es, wurde persona ein eigent-
lich juristisches Wort.
Persona bezeichnet nun den Träger der unterscheidenden
Rechtsbeziehungen, die geltend gemacht werden, wie in dem Bei-
spiel der persona domini, persona procuratoris. Wie die persona
in ihrer eigentlichen Bedeutung als Maske auf einen besonderen
oder individuellen Grundzug, der sich in der allgemeinen mensch-
lichen Physiognomie ausgebildet hat, hinweist, so bezeichnet das-
selbe Wort, z. B. bei den Rhetoren, die unterscheidenden Be-
ziehungen des Einzelnen zu anderen Einzelnen, ut Hector ad
Priamum pereona filii est, ad Astyanactem persona patris, ad
Andromachen persona mariti, ad Paridem persona fratris, ad Sar-
pedonem amici, ad Achillem inimici. Die hier mit persona ge-
nannten Beziehungen könnten fast alle, wie namentlich die Be-
ziehungen der Verwandtschaft, zu besonderen Rechtsbeziehungen
werden. In der Regel wird jeder in Einem und demselben Rechts-
geschäft nur Eine Beziehung geltend zu machen haben, aber es
kann geschehen, dass mehrere zusammentreffen; wie z. B., wenn
ein Konsul seinen Sohn emanzipiert, die persona patris und die per-
sona magistratus, bei dem die Emanzipation geschieht, zusammen-
kommen. Darauf geht das Wort; unus homo, plures personas
sustinet. Cic. de orator. II, 102 sagt: très personas unus solus
snstineo summa animi acquitate meam adversarii iudicis.
Hier sieht man, wie persona der ursprünglichen Bedeutung
noch nahe steht und persona und homo noch nicht zusammen-
fallen. In einem verwandten Sinne kann selbst auf eine Sache,
wie die Erbschaft, als Trägerin von Rechtsbeziehungen, die an
ihr haften, der Ausdruck persona angewandt werden, wie z. B.
Clpian in dem Titel de dominio acquirendo XLI, 1, 34 hereditas
non heredis personam sed defuncti sustinet, was in den Institu-
tionen II, 14, 2 ausgedrückt wird, . . . nondum enim adita here-
ditas personae vicem sustinet non heredis futuri sed defuncti.
Das römische Recht geht im Gebrauch des Wortes persona
noch einen aSchritt weiter. Da ira eigentlichen Sinne nur Menschen,
nicht Sachen, Rechte haben können, so ist es geschehen, dass
persona in der Sprache des Rechts Menschen ohne Unterschied
10 A. Trendelenburg,
bezeichnet. So heisst es z. B. in Gai. inst. I § 8: Omne autem
ius quo utimur vel ad personas pertinet vel ad res vel ad ac-
tiones und 9 weiter et quidem summa divisio de iure personarum
haec est, quod omnes homines aut liberi sunt aut servi. Freie
und Sklaven, sonst in ihren Rechtsbeziehungen entgegengesetzt,
heissen hier alle personae. Die personae stehen den res, die
Personen den Sachen gegenüber. In dieser Bedeutung hat sich
persona, aus dem unterschiedenen Besonderen menschlicher Ver-
hältnisse hervorgegangen, alles Besonderen entkleidet und ist in
die Vorstellung des Menschen überhaupt verblasst.
Aus dieser Quelle floss, wenn auch vermittelt, der deutsche
Gebrauch der Person, den wir in Luthers Bibelübersetzung ver-
treten fanden, 2. Macc. 12, 4 „sie ersäuften sie alle in die 200
Person". Die lateinische Sprache drückte niemand durch die Ne-
gation mit homo aus, ne -|~ homo = nemo; die französische
sagt z. B. il n'y a personne. So unbezeichnend ist das bezeich
nende Wort persona, Maske geworden; und wir haben uns ii
dieser Richtung von jenem prägnanten Satze Kants: „der Mensel
ist Person" weit entfernt; denn in dieser Bedeutung wäre dei
Satz das Gegenteil des Prägnanten, es wäre tautologisch. Ja, ii
dieser Richtung ist der Gebrauch selbst unter die edle Bedeutung
des Menschen gesunken: denn man fragt z. B. geringschätzig
was will die Person?
6. Vielleicht griff noch eine andere wissenschaftliche Ver-
wendung des Wortes in diese Verallgemeinerung ein.
Wenn die Griechen, vielleicht die Stoiker, die unsere heutige
Grammatik gründeten, die bedeutungsvolle Flexionsendung, die
wir Person des Verbums nennen, mit dem Worte nQoaomov Ant
litz oder Maske bezeichneten, so hatten sie dabei sicher da?
Drama vor Augen, in welchem sich die Personen im Ich und Di
lebendig bewegen. Bei Lucian (de calumn. c. 6) tritt in einen
verwandten Beispiel diese im technischen Ausdrucke erloschene
Beziehung wieder anschaulich hervor: iQKàv â'ovrœv nçoawnwv
xa^dnBQ èv taîç xwitKfiâiaiç, tov SiaßdXkovToc xai tov otaßaXXo^evox
xai xov nçoç ov ij aiaßoXij yivexai. Die Maske, von der die Red(
ausgeht, gewöhnlich die zuerst auftretende, ist die erste und di(
von ihr angeredete die zweite. Überhaupt beginnt jedes Gespräcl
damit, dass der eine von zweien etwas denkt oder begehrt um
dem Andern, was er denkt, mitteilt, oder, was er begehrt, befiehlt
Es war richtig, diejenige Person, in welcher der Impuls dei
Zur Geschichte dee Wortes Person. 1 1
ganzen Gesprächs und gleichsam die Initiative liegt, die ei-ste
Person zu nennen. Wir lehnen billig eine psychologische Deutung
ab, in welcher das Ich die erste Person heisst, weil das Ich einem
jeden das Erste und Nächste ist, oder die idealistische, nach
welcher das Ich. weil es selbsttätig und schöpferisch die Vor-
stellung alles Nicht-Ich hervorbringe, der ersten Person den Namen
gegeben. Wenn es wahrscheinlich ist, dass auf die angegebene
Weise sich aus dem Dialog die Bezeichnung nçocoanov für die
erste und zweite Person darbot, so unterschied sich von ihnen
wie von selbst der, von dem die Rede ist; und wenn dieser etwa
in die Handlung selbst eingreift, so heisst er auf natürliche Weise
die dritte Maske. Allerdings wird zur dritten Person auch die
Bezeichnung der Sache gerechnet, sei es, dass von einer Sache
das Verbum in der dritten Person ausgesagt oder ein Pronomen,
wie es, auf eine Sache zurückbezogen wird. Aber die Erklärung
hat keine Schwierigkeit. Wenn, wie in der dritten Person, von
einem persönlichen Subjekt (er, sie) die Rede ist, so wird es von
selbst für das Ich und für das Du eine Art Objekt und in dieser
Beziehung ist eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem Er als
Person und dem Er als Sache; sie sind beide Objekt. Wiederum
stellt die Sprache auch die Sache, wie z. B. im männlichen oder
weiblichen Geschlecht des Wortes, als lebendig dar und nähert
dadurch auch die Sache der Person.
Schon beim Aristarch (unter Ptolemäus Philometor) ist die
grammatische Benennung nçôfSwnov terminus, und daher geht nicht
unwahrscheinlich das nçoatonov als grammatische Person auf die
Oebortsstätte unserer heutigen Grammatik, auf die stoische Schuh»,
zorfick, die, wie wir sahen, auch ethisch das nçoacDnov, die Maske,
verwandte. Der Schüler des Aristarch war Dionysius Thrax und
die unter seinem Namen erhaltene griechische Grammatik scheint,
wenn auch im Auszug, wirklich von ihm herzustammen.^) In ihr
werden die nçdamna so bezeichnet: ngwiov uèv, dif oi o Xôyoç,
tivtêfov Se, nçoç ov 6 loyoç, xçitov de, n&çi ov o koyoç: und
dieser einfachen Erklärung sind wir gefolgt.^) M. Terent. Varro,
*) Joamies Classen de gramma ticae Graecae primordiis, 1829,
p. 18 f. 99.
') Die Beziehung auf die Bühue deutet Schömann an in seiner
Schrift die Lehre von den Redeteilen nach den Alten. 18ö2, 8. 97. Vgl.
tODft Aber nç6o<ona Classen 1. 1. p. 82. Steinthal, Geschichte der
^^chwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rück-
sicht auf die Logik. S. 624, 652 f.
12 A. Trendelenburg,
ein um zehn Jahre älterer Zeitgenosse des Cicero, kennt schon
den grammatischen Gebrauch der aus nço^œnov übersetzten per-
sona; und Cicero beginnt jenen juristischen, welcher in persona
den Träger einer besonderen Rechtsbeziehung sieht. Bei Varro
heisst es z. B. quem ita personarum natura triplex esset, qui lo-
queretur, ad quem, de quo. So mögen sich der grammatische und
juristische Gebrauch der persona auf dem Wege zur Verallge-
meinerung, auf welchem zuletzt persona und homo gleichbedeutend
sind, einander unterstützt haben.
7. Es gehört zur Geschichte des Wortes Person, dass über
dasselbe ein ganzes Konzil zur Prüfung und Entscheidung getagt
hat, und zwar zu Alexandrien im Jahre 362 zur Zeit Julians des
Abtrünnigen. Es handelte sich dabei um die rechtgläubige Auf-
fassung der Trinität. Die griechische Kirche unterschied als drei
v7io(nd(SBiç den Vater, den Sohn und den Geist, dergestalt, dass
das Eine göttliche Wesen {ovaia, çvovç) durch die drei vnotndaei^
hindurchgeht. Sie hatte diese Lehre unter Constantin zum nicä-
nischen Symbolum erhoben. Aber die lateinischen Kirchenlehrer
sahen in diesem Worte vnoaraaig, v^iaudfievov^ subsistons einea
unangemessenen Ausdruck, der drei für sich bestehende W^esea
setze und die Eine göttliche Substanz darüber verliere. Ihnea
war Gott nur Eine Hypostasis. Die griechischen Kirchenlehrer
fürchteten, durch eine solche Auffassung in die sabellianische
Ketzerei zu verfallen, in jene Lehre, dass Vater, Sohn und Geist
nur die verschiedenen Offenbarungsformen der höchsten Einheit
sind, die sich in der Schöpfung und Weltgeschichte als Trias
entfalte. In der römischen Kirche hatte zwar Tertulian gegen
den Monarchianer Praxeas geschrieben, der die Unterscheidung
des Vaters, Sohnes und Geistes nicht real, sondern nur ideell
nehmen wollte, aber zugleich vorgeschlagen, die drei zu unter-
scheiden personae, non substantiae nomine, ad distinctionem, non
ad divisionem.^) So geschah es, dass die Bischöfe der römischen
1) TertiiUian. adv. Praxeam c. 12: Qui si ipse Dens est, secundum
Joannein, Deus erat sermo, habes duos, alium dicentem, ut fiat, alium
facientem. Alium autem quomodo accipere debeas iam professus sum,
personae, non substantiae, nomine, ad distinctionem, non ad divisionem.
Ceterum ubique teneam unam substantiara in tribus cohaerentibus, tamen
alium dicam oportet ex necessitate sensus eum qui iubet et eum qui facit.
Augustin, de trinitate. VII, 7. dictum est a nostris Graecis una
essentia, ires substantiae ; a Latinis autem una essentia vel substantia, très
personae , quia sicut iam diximus non aliter in sermone nostro id est Latino
essentia quam substantia solet intelligi.
Zur Geschichte des Wortes Person. l3
Kirche nicht den Ausdruck vnoovMig, und die Bischöfe der grie-
chischen nicht den Ausdruck nQocwnov, persona, annehmen wollten.
Auf jenera Konzil traten nun Bischöfe aus Italien, Arabien,
Ägypten und Libyen mit dem Athanasius, dem Erzbischof von
Alexandrien, zusammen. Indem sie einander in der Sache als
rechtgläubig anerkannten, erklärten sie den Streit über vnotnaaic
und persona für einen Wortstreit. Seit dieser Zeit wurde das
Wort persona oder nçoatanov gleichbedeutend mit imociaaiç und
ÄKwjua, und in der christlichen Kirche legitim. So sagt z. B.
Gregor von Nazianz (gest. 390) in einer Predigt (oratio 39,
p. 630): „Bei dem Namen Gottes werden wir von einem drei-
fachen Lichte durchblitzt, von einem dreifachen, in Bezug auf
seine eigentümlichen Naturen {lâicifiata), mag man sie Hypostasen
oder lieber Personen nennen, mit einem einfachen hingegen, wenn wir
aaf die Substanz, d. h. die Gottheit sehen "". So einigte man sich in
den Wörtern, aber bedeckte doch eigentlich damit die Differenz
in der unverstandenen Sache.
Indessen kehrte noch einmal das Wort persona seine eigent-
liche Bedeutung heraus. Servet vertrat sie in seiner Schrift de
trinitatis erroribus (1532), und erklärte die drei Personen in der
Gottheit als drei Funktionen, gleichsam als drei Rollen und starb
fär diese erste Bedeutung von persona auf Calvins Anklage hin
den Tod des Ketzers auf dem Scheiterhaufen (1653). Dass es
sich um diese erste Bedeutung der persona handelt, tritt unter
Anderem recht deutlich aus Melanchthons loci hervor. Es heisst
dort (Ausg. von 1559, Berlin 1856, p. 6): Lusit homo fanaticus
Seryetus de vocabulo Personae et disputât olim Latinis significasse
habitum aut officii distinctionem, ut dicimus. Boscium alias
sostinere personam Achillis, alias sustinere personam Ulissis,
sen alia est persona consulis, alia servi, ut Cicero inquit: magnum
est in republica tuen personam principis. Et hanc veterem signi-
ficationem vocabuli sycophantice detorquet ad articulum de tribus
personis divinitatis. Die kirchliche Erklärung, die auch Melanch-
thon giebt, lautet anders: persona est substantia individua intelli-
geos incommunicabilis non sustentata in alia natura. So gewinnt
in der Theologie die persona, die die Maske der Bühne bedeutet,
die Bedeutung des eigenen unübertragbaren (unmitteilbaren) ver-
ofinftigen Wesens, das durch sich besteht. In diesem Sinne sagt
die Augsborgische Konfession vom Jahre 1530: „und wird durch
das Wort persona verstanden, nit ein Stück, nit ein eygenschafft
l4 A. Trendelenburg,
io einem andern, sondern es selbig bestadt". Das Wort person
lieh war in dieser Bedeutung bereits durch die Mystiker, wi
Meister Eckhart, in unsere Sprache übergegangen. In Gott werde
Macht, Weisheit und Liebe (Güte), der Gedanke, der seit Abälardi
wie noch in Leibniz systema theologicum den drei Personen de
Trinität zum Grunde gelegt wurde, persönlich und wesentlich ar
geschaut, und mit diesem Gott soll sich der Mensch vereinigen
„Ach, lieber Mensch, was schadet es dir, dass du Gott vergönnesi
dass er in dir Gott sei? (Meister Eckhart. Ausg. von Pfeiffei
S. 66, 36) : und wenn sich Gott dem Menschen giebt, ist die erst
Gabe die Minne, in der er alle Gabe giebt, die Minne er selbe
personlich und wesentlich" (S. 328, 10). Indem der Mensc
Gott hat, sagt Meister Eckhart weiter (S. 24*^, 13), hat er pei
sönliche Macht, persönliche Weisheit und persönliche Güte; er ha
sie alle drei, in Einem Wesen ihre Naturen. Durch diesen Zusat
ist das Wesenhafte in dieser Macht und Weisheit und Güte b<
zeichnet. Das Theologische grenzt hier an das Ethische ; es lie)
nahe zu sagen, wer Gottes Macht, Weisheit und Liebe, alle dr
persönlich in Einem Wesen aufnimmt und hat, wird dadurch selb
Person oder persönlich.
8. Noch einmal kehren wir zum juristischen Gebrauch z
rück, um auch aus ihm eine ethische Bedeutung zu gewinne
Wir sahen, wie im römischen Recht persona zum Menschen übe
haupt wurde, und dass es, wie z. ß. im Ausdruck ius personam]
Freie und Sklaven begriff. Nach und nach geschieht das nie
mehr, und nur der Freie heisst Person.
Es wird öfter ausgesprochen, dass der Sklave kein Rec
hat, z. B. dig. IV, 5, 4 (de capite minutis) servile caput nuUu
ius habet, ideo nee minui potest, und von dem Tage der Man
mission heisst es, hodie incipit statum habere (ebendaselbs
IX, 2, 2, § 2 ad legem Aquiliam, wird hervorgehoben, dass
dem Gesetz die servi den vierfüssigeu Tieren gleichgeste
werden, servis nostris exaequat quadrupèdes. L. 17, 32 (de r
gulis juris) Quod attinet ad ius civile, servi pro nullis haben ti
L. 17, 22 (in personam servilem) nulla cadit obligatio, und i
Sinne des Rechts L. 17, 209 (de regulis iuris) servitutem mort
litati fere comparamus. Wie nun in dieser Betrachtung d
Sklave nicht rechtsfähig ist, so scheidet er auch aus den Pc
sonen aus. Nov. Theodos. c. 17 servos quasi nee persona
habentes. Zur Zeit des Justinian ist es bereits Doctrin geworde
Äur Geschichte des Wortes t'erson. 16
dass Sklaven keine Personen sind; denn Theophiias, der grie-
chische Übersetzer der Institutionen, hat schon den ausgeprägten
Terminus, der Sklave sei dnçooœnoç. (Theophilus ad § 2. Inst,
de hered. instit., et princ. Inst, de stipulatioue servorum. Inst,
in, 18), wofür sich ein entsprechender lateinischer Ausdruck, wie
etwa impersonalis, nicht gebildet hat. Savigny bemerkt, dass
diese Lehre verhältnismässig spät entstanden sei.^) Seit der Zeit
Jnstinians steht es fest, dass der rechtsfähige Mensch und nur
dieser Person ist. Der Sklave ist Sache. Persona est homo statu
civili praeditus und die Freiheit ist ihr ausschliessendes Attribut.
Wenn wir weiter fragen, was die Freiheit ist, so wird sie im
römischen Recht als das natürliche Vermögen erklärt, zu tun
WIS jedem beliebt, ausser wenn er durch Gewalt oder Recht ver-
Mndert wird (Inst. I, 3. 1).
In diesem Begriff der Person war mehr als in den voran-
gehenden Beziehungen das Wort vorgebildet, dessen Kant zum
Ausdruck der ethischen Idee des Menschen bedurfte. Wenn Dinge,
die bloss Mittel wozu sind, Sachen heissen, so wird der Ausdruck
ftr ein Wesen, das als vernünftig Zweck an sich ist und nie
bloss Mittel sein darf, Person sein müssen.
Schon Leibniz hat in dem Briefe an Wagner (de vi activa
corporis, de anima et de anima brutorum 1710) p. 467 ed. Erdm.
den juristischen Begriff vor Person für die tiefere Bezeichnung
des Menschlichen verwandt. Indem er Selbstbewusstsein und die
Fähigkeit einer Gemeinschaft mit Gott den Vorzug der mensch-
lichen Seele nennt, hält er dafür, dass die Seele, einmal dieser
Gemeinschaft teilhaft, niemals die Person eines Bürgers im Staate
Gottes aufgeben werde (sentio nunquam eas deponere personam
dvis in republica Dei). Die Berechtigung der Person als eines
Bargers im Staate Gottes erscheint in diesem Zusammenhang als
die Würde der Menschheit.
9. Der moralischen Idee der Persönlichkeit, die wir in dem
Untpnmg ihres Namen aufsuchten, geht ein psychologischer Be-
griff der Persönlichkeit voraus (Einleitung zu den metaphysischen
Anfangsgründen der Rechtslehre p. XXII), der das Vermögen des
Menschen darstellt, sich in den verschiedenen Zuständen seines
*) Savigny, System des heutigen römischen Rechts. 2. Band. 1840.
& as, Note.
16 A. Trendelenburg,
Daseins der Identität seiner selbst bewusst zu werden. Ohne di(
Vermögen des sich fortsetzenden Selbstbewusstseins würde es gi
keine Moralität, namentlich keine Zurechnung geben. Ehe noc
Kant den Namen der Person ethisch vertiefte und darin die Ide
der Menschheit ausprägte, hatte schon Leibniz und nach ihm Ch
Wolff die Vorstellung des in dem Abfluss der Zeit mit sich idei
tischen Selbstbewusstseins mit dem Worte der Person verknüpf
Da Leibniz in dem angeführten Briefe an Wagner (a. a. 0. p. 46f
das Selbstbewusstsein und die Erinnerung des vorangegangene
Zustandes als das bezeichnete, was den Menschen über das Tie
erhebe, nannte er diesen Vorgang personae conservatio. „Itaqu
non tantum vitam et animam, ut bruta, sed et conscientiam st
et niemoriam pristini status, et, ut verbo dicam, personam servai
In diesem Namen sagt Chr. Wolff in den „vernünftigen Gedanke
von Gott, der Welt und der Seele des Menschen" (1725) § 92^
„Da man nun eine Person nennet ein Ding, das sich bewusst is
es sei eben dasjenige, was vorher in diesem oder jenem Zustant
gewesen : so sind die Tiere auch keine Personen. Hingegen w<
die Menschen sich bewusst sind, dass sie eben diejenigen sin
die vorher in diesem oder jedem Zustande gewesen : so sind ^
Personen." In demselben Sinne fordert z. B. Jacobi im Gege
Satz gegen die Lehre von der blinden, stummen Notwendigke
die er im Spinozismus sah, einen persönlichen Gott; und v^
Menschen geben uns schwer zufrieden mit einer unpersc:
liehen Weltvemunft als dem letzten Gedanken, worin wir ruh
sollen.
Wenn mit dem Begriff der Person in der Richtung des d.
menschliche Leben durchdringenden Selbstbewusstseins der Unte
schied des Menschen vom Tier bezeichnet w^ar, so geschah (
leicht, dass das unterscheidende Wesen des Sittlichen, die Id(
der Menschheit, demselben Worte übertragen wurde.
So sehen wir das Wort der Person in verschiedenen Wisse
Schäften verwandt; und indem es sich auf der einen Seite bis
den vulgären Gebrauch verallgemeinert, geben ihm auf der andei
die Wissenschaften einen tiefen Sinn. Sie halten das Wort a
der Höhe und machen es mögUch, dass ihm zuletzt der Stemp
eines ethischen Grundgedankens aufgeprägt wird. Man sieht
dem Worte der Persönlichkeit an, dass es, wie das parall
gehende Wort der Individualität, das auch seine Geschichte ha
nicht im Volke gewachsen ist. Aber solche, von der Wissenscha
Zur Geschichte des Wortes t^erson. l7
bewusst gebildete Wörter, haben, wenn sie durchdringen und ihren
bedeutenden Inhalt treu wahren, für die Gemeinschaft vorzüg-
lichen Wert; denn sie können zu Massstäben im öffentlichen Ur-
teil and selbst zu Antrieben des Willens werden; daher ist es
Pflicht der Schriftsteller, das Gepräge nicht abzugreifen und ab-
zuschleifen.
KâBMttdUu XJU.
über historische Kausalität')
Von Otto Baensch.
Eine Untersuchung über historische Kausalität kann sich ihrem
Gegenstand auf zwei Wegen zu nähern suchen : entweder sie geht
vom Wesen und den Aufgaben der Historie aus und sieht zu,
welche eigentümliche Rolle der Begriff der Kausalität im Zu-
sammenhang des historischen Denkens spielt, oder sie beginnt mit
einer allgemeinen Erörterung des Kausalbegriffes und bestimmt
diesen dann zu der besonderen Form, die er für die Geschichte
annimmt. Beide Wege kreuzen sich gelegentlich, ja gehen
streckenweise ganz zusammen. Dennoch macht es einen Unter-
schied, ob man dem einen oder dem anderen folgt: auf dem einen
gelangt man eher zu einer Orientierung über das Verhältnis des
Kausalgedankens zu den anderen leitenden Prinzipien der histo-
rischen Betrachtung, während der zweite mehr das Verhältnis der
speziellen historischen Kausalität zu den übrigen Gestaltungen des
Kausalbegriffs sichtbar macht. Wenn es sich dabei auch nur um
ein mehr oder minder handelt, so wird deswegen doch der erste
Weg dort zu bevorzugen sein, wo man sich die Untersuchung in
den Rahmen einer Geschichtslogik hineindenkt, der zweite da-
gegen dort, wo man einen Beitrag zur allgemeinen Kategorien-
lehre zu geben beabsichtigt. Führt man die Untersuchung, ohne
genötigt zu sein, auf ein grösseres Ganzes, dem sie einzuordnen
wäre, Rücksicht zu nehmen, so ist es natürlich völlig willkürlich,
welchen Weg man einschlägt. Ich wähle hier den ersten Weg,
den Weg der Geschichtslogik, und werfe demgemäss zunächst einen
Blick auf die allgemeine logische Struktur des historischen Wissens.
Ich sage geflissentlich: „des historischen Wissens", denn es
kommt mir nicht darauf an, die Eigenschaften der historischen
Forschung zu erwägen, die sich auf ihr Ziel zubewegt, sondern
allein darauf, dieses Ziel selbst zu charakterisieren, also die
1) Ich verweise ausser auf Rickerts geschichtsphilosophische Schriften
auf Webers „Krit. Stud, auf d. Gebiete der Kulturwiss. Logik" (Archiv f.
Sozialwiss. u. Sozialpol. Bd. XXII).
über historische Kausalität. 19
Eigenschaften desjenigen geistigen Gebildes, in dem das historische
Erkenntnisstreben zur Ruhe kommt.
Zugleich bemerke ich, dass ich diese Charakteristik, da sie
ja im gegenwärtigen Zusammenhange nur Mittel zum Zweck ist,
nur in aller Kürze, ohne nähere Begründung, geben will, und ich
moss daher bitten, sie mir hypothetisch zuzugestehen.
Unter Geschichte im weitesten unpräzisierten Sinne des
Wortes verstehen wir die Darstellung wirklicher Begebenheiten.
Wir wollen wissen, was sich dort und dann wirklich zugetragen
hat. Das Interesse an der Wirklichkeit als solcher ist die erste
der sozusagen meta-historischen Voraussetzungen des historischen
Erkennens.
Dieses Interesse richtet sich nun freilich nicht auf alles,
was je wirklich war. Und wer etwa doch ein derartiges univer-
sales Interesse verspüren sollte, würde sich wohl, so wie er sich
recht besinnt, sehr bald darüber klar werden, dass dessen Be-
friedigung eine für den Menschen unlösbare Aufgabe wäre. Denn
der Menschengeist, und sei er der umfassenste, ist endlich, die
Wirklichkeit aber, wie sie sich der Erfahrung darbietet, ist un-
endlich, sowohl extensiv weil grenzenlos in Raum und Zeit, als
auch intensiv, indem jeder ihrer Teile wieder ins Unendliche teil-
bar ist und in dem individuellen Reichtum seines qualitativen
Gehaltes jeder Beschreibung spottet. Schon der Natur unseres
Geistes nach sind wir dazu gezwungen, uns mit einer endlichen
Auswahl aus diesem unendlichen Reichtum zu begnügen.
In der Tat jedoch ist unser Interesse durchaus nicht ein so
universales: wir machen garuicht den Versuch, aus der unend-
lichen Fülle der Wirklichkeiten soviel an uns zu reissen, als wir
irgend schleppen können, sondern beschränken uns auf das, was
in irgend welchem Sinne ein besonderes Interesse für uns hat.
Das Interesse am Wirklichen rein als solchem ist noch kein aus-
reichendes Motiv für den historischen Erkenntnistrieb, es muss
sich noch mit einem weiteren besonderen Interesse an besonderen
lohalten der Wirklichkeit verbinden.
Wir nehmen aber an allen den Wirklichkeitsinhalten ein be-
sonderes Interesse, die für uns Objekte positiver oder negativer
Wertung zu werden geeignet sind. Und dieses besondere Inter-
esse ist dann ein wissenschaftliches, wenn die Werte, zu denen
diese und jene Wirklichkeitsinhalte gemäss ihrer Beschaffenheit
2*
20 O. Baensch,
eine notwendige Beziehung haben, allgemein-giltige Werte, oder
wie wir auch sagen können, Kulturwerte sind.
Solche Wirklichkeitsinhalte, die zu Kulturwerten in Be-
ziehung stehen, die sich also, wenn man die Wirklichkeit unter
dem Gesichtspunkte irgend welcher Kulturwerte betrachtet, be-
deutsam aus ihr herausheben, wollen wir um dieser ihrer Kultur-
bedeutung willen Kultur-Erscheinungen nennen, und wir definieren
jetzt die Geschichte als die Darstellung von Kulturerschein-
ungen.
Formal angesehen, ist hiernach die Geschichte keine unmittel-
bare Wiedergabe, keine reine Spiegelung der Wirklichkeit,
sondern vielmehr eine Umarbeitung des empirisch Gegebenen: von
jedem einzelnen Wirklichen, dem sie sich zuwendet, lässt sie eine
Unendlichkeit von Merkmalen und Bestandteilen beiseite, um nur
diejenige endliche Menge davon übrig zu behalten, deren sie für
ihren Zweck bedarf.
In materialer Hinsicht folgt aus unserer Definition durch
eine Reihe von Schlüssen, die ich hier nicht ausdrücklich zn
ziehen brauche, dass die Geschichte es in der Hauptsache mit
Menschen, mit ihren Handlungen, Leistungen, Beziehungen zu ein-
ander u. s. w. zu tun hat, und näher noch mit dem Leben, den
Handlungen, gegenseitigen Beziehungen von Kulturmenschen, weil
nämlich der Kulturmensch als einziges wenigstens der Tendenz
nach allgemeingültig wertendes Wesen fast ausschliesslich im Hin-
blick auf die Kulturwerte bedeutsam wird und Bedeutsames schafft.
Die Geschichte ist anthropozentrisch, denn die Kulturerscheinungen
sind Menschen und Menschenwerk.
Aber wenn sich aus unserer Definition auch das als Inhalt
der Geschichte ergiebt, was traditionell ihren Hauptgegenstand
ausmacht, so können wir uns doch mit ihr noch nicht zufrieden
geben. Zwar enthält sie mit dem Worte Darstellung schon eine
wichtige Abgrenzung gegen andere Behandlungsarten der Kultur-
erscheinungen, so vor allem gegen die direkte Bewertung; aber
wenn wir von einer historischen Darstellung sprechen, so meinen
wir doch noch etwas ganz besonderes. Die blosse Beschreibung
eines Gegenstandes, die plastische Herausarbeitung seines kultur-
bedeutungsvollen Gehalts, die Kenntlichmachung der sich dem
ersten Blick nicht sogleich enthüllenden Beziehungen seiner Teüe
gilt uns noch nicht als spezifisch historische Tätigkeit. Diese
setzt erst dort ein, wo wir untersuchen, wie ein solcher Gegen-
über historische Kausalität. 21
stand geworden ist. Die historische Darstellung einer Kcdtor-
erscheinung ist immer eine genetische Darstellung.
Indem aber die genetische Darstellung das Werden ihres
Gegenstandes verfolgt, erblickt sie ihn in seinem realen chrono-
logischen und kausalen Zusammenhang mit anderen Gegenständen.
Sie schildert, wie eine bestimmte, ihm zeitlich vorangehende histo-
rische Situation Ursache seiner Verwirklichung wurde. Gegenüber
aller sonstigen wissenschaftlichen Bearbeitung der Kulturerschein-
ungen, die dabei stehen bleibt, diese in ihrer Isolation zu be-
trachten oder in bloss ideale Verbindung mit anderen Gegen-
ständen zu bringen, geht die Geschichte darauf aus, deren
kausale Bedingtheit in der zeitlichen Ordnung der Dinge aufzu-
weisen. Die Kausalität ist der unterscheidende Grundbegriff des
historischen Verfahrens im engsten Sinne des Wortes. Um also
dieses Verfahren in seiner Eigenart vorzustellen, ist die ein-
gehende Verständigung über den Kausalbegriff von zentraler
Wichtigkeit.
Die Kausalität lässt sich vielleicht am besten als notwendige
Zeitfolge erklären. Ein Ereignis ist die Wirkung eines andern,
wenn es notwendig war, dass es auf dieses in der Zeit folgte.
Wir müssen demnach zuvörderst fragen, unter welchen Voraus-
setzungen wir mit Fug von einer notwendigen Folge von Ereig-
nissen reden dürfen, und weiterhin dann, wie die Kulturerschein-
ongen diesen Voraussetzungen untergeordnet werden können.
Um die erstgestellte Frage zu beantworten, beginne ich mit
einer kurzen Betrachtung aus der Elementarmathematik.
Versucht man die Wurzel 2 in Form eines Dezimalbruches
darzustellen, so erhält man die Zahl 1, 414213Ô u. s. w. ins Un-
endliche. Diese Zahl ist eine Irrationalzahl und damit ist gegeben,
dass die unendliche Reihe der hinter dem Komma stehenden
Ziffern der Periodizität oder eines sonstigen Merkmales entbehrt,
an dem man erkennen könnte, dass sie nach einem festen Gesetz
erzengt worden sei. Für den äusseren Anblick folgt Ziffer auf
Ziffer, ohne dass sich in dieser Abfolge irgend welche Spur einer
Regel verriete, die als Stempel der Notwendigkeit gelten müsste;
die Ordnung der Ziffern macht den Eindruck, als sei sie ein Spiel
des reinen Zufalls. Und doch ist dieser Schein trügerisch, denn
wie wir wissen, ist die anscheinend ganz zufällig gebildete
Ziffemreihe das notwendige Ergebnis des an der Zahl 2 ansge-
32 0. Baensch,
führten Wurzelalgorithmus. Sobald wir die Wurzel 2 als Prinzip
der Reihe wissen, verliert diese das Aussehen regelloser Willkür
und Zufälligkeit, das ihr an sich betrachtet unabänderlich anhaftet,
und gewinnt den Charakter strenger Notwendigkeit. Aber wir
müssen dieses Prinzip vorher wissen: von ihm aus gelangt man
zwar ohne weiteres zur Bildung der Reihe, während umgekehrt
diese für sich allein nicht die geringste Handhabe bietet, um von
ihr aus das Prinzip zu erreichen, das ihr die Notwendigkeit erst
verleiht, die ihr ohne es fehlen muss.
Man kann die Reihe der Ereignisse in der Zeit in Analogie
mit dieser Ziffernreihe der als Dezimalbruch ausgedrückten
Irrationalzahl betrachten. Macht man mit dem schon vorher aus-
gesprochenen Gedanken ernst, dass die gegebene Wirklichkeit in
jedem ihrer Teile unendlich mannigfaltig und daher absolut indi-
viduell ist, derart, dass jeder einzelne Gegenstand und jeder ein-
zelne Vorgang in seiner konkreten Gestaltung sich von jedem an-
deren Gegenstand und jedem anderen Vorgang, wie ähnlich einer
dem anderen auch sein mag, immer noch in unendlich vielen Be-
ziehungen unterscheidet, so ist der Schluss unausweichlich, dass
von einer aus dem Lauf der Dinge selbst unmittelbar berans-
leuchteaden Notwendigkeit schlechterdings nicht die Rede sein
kano. Im Hinblick auf die reine Tatsächlichkeit des Seins und
Werdens sagt der alte Spruch: „Nichts neues unter der Sonne",
das schnurgerade Gegenteil von dem, was richtig ist. Unter
einer sich rastlos verändernden, anderswerdenden, also stets neuen
Sonne geschieht immer wieder und wieder völlig neues, in dem
ganzen unerschöpflichen Reichtum seines Wirklichkeitsgehaltes
von keinem noch so tief dringenden menschlichen Verstand vor-
herzusehendes. Mag die Reihe des zeitlichen Geschehens, ähnlich
wie jene Ziffernreihe der Irrationalzahl 1, 4142135 u. s. w. von
der Wurzel aus 2 abhängt, ihrerseits an sich ebenfalls von einem
Prinzip abhängen, von dem aus sie mit evidenter Notwendigkeit
konstruierbar ist, so ist doch dieses Prinzip, sofern es überhaupt
einen Sinn hat, ein solches anzunehmen, unserem Wissen trans-
scendent; uns ist nur die für sich allein vollkommen irrationale
Reihe der Ereignisse selbst gegeben, von der aus nun einmal
kein Weg zu jenem mit Recht oder mit Unrecht vermuteten
Prinzip hinführt. So scheint demnach die zeitliche Entwickelnng
der Wirklichkeit unserem an die Kategorie der Notwendigkeit
gebimdenen Denken undurchdringlich zu sein.
über historische Kausalität. 23
In der Tat, dem ist so: das konkrete Sein der Dinge bildet
für unser Erkennen eine Grenze, über die es nie hinausgelangep
wird. Dennoch hat man eine Möglichkeit gefunden, jene Kate-
gorie der Notwendigkeit an die gegebene Welt heranzubringen
and sie wenigstens in beschränktem Masse unserem Verstände zu
erscbliessen.
E^ne gegenständliche Notwendigkeit vermögen wir nur dort
zu erkennen, wo sich der zu erkennende Gegenstand unter Regeln
und Gesetze bringen lässt. So würde uns, um an unser Zahlen-
beispiel anzuknüpfen, eine Ziffernreihe schon an und für sich als
notwendig erscheinen, sowie wir eine regelmässige Periodizität
darin entdeckten, oder konstatierten, dass jede Ziffer von den ihr
in der Reihe zunächst vorhergehenden in derselben festen und
bestimmten Weise abhängig sei. Das überall und immer Gleiche
ist das Schema der Notwendigkeit.
Wie aber kann man dies Schema auf die Wirklichkeit an-
wenden, in der keine zwei Teile sich völlig gleich sind, sondern
die überall anders ist, und immer anders und anders wird?
Dies geschieht durch begijffliche Bearbeitung der Wirklich-
keit, und zwar näher durch Bildung von Allgemeinbegriffen. In-
dem wir aus dem unendlichen Merkmalkomplex, als der jedes
konkrete Ding und jedes konkrete Ereignis vor dem Denken er-
scheint, eine endliche Zahl solcher Merkmale herauslösen, die es
mit anderen Dingen und Ereignissen gemeinsam hat, und indem
wir diese theoretisch verselbständigten Merkmale zu Allgemein-
begriffen zusammenfügen, gewinnen wir die Möglichkeit, die Kate-
gorie der Notwendigkeit mittelbar, nämlich durch das Medium
dieser Welt von Allgemeinbegriffen, mit der Welt der Wirklich-
keit selbst in Beziehung zu setzen.
Ein konkreter Zustand irgend eines Teiles der Wirklichkeit
A^^^ ist freilich von anderen konkreten Zuständen A^*\ A^*) u. s. w.
unendlich verschieden. Das hindert aber nicht, dass gegebenen-
falls sich die Merkmale a sowohl in A<*>, wie in A^*>, A(*> u. s. w.
aufweisen lassen. Betrachten wir dann die als Wirklichkeiten
qualitativ unendlich verschiedenen Zustände A(^>, A(*>, A<*> u. s. w.
nur daraufhin, dass sie unter den Begriff a fallen, so können wir
sie in dieser Hinsicht als gleich ansehen. Dasselbe würde natür-
lich auch für konkrete und insofern unter sich unendlich ver-
schiedene Zustände B('>, B^^\ B(» u. s. w., die unter den Begriff ß
fallen, zutreffen; begrifflich sind auch sie gleiche Zustände.
24 0. Baensch,
Wenn wir nun beobachten, dass in der Natur der Dinge auf
A(^) B(*), auf A(«> B(«), auf A(») BW u. s. w. folgt, so sind zwar
diese konkreten Vorgänge unter sich unendlich verschieden und es
ist ihnen als konkreten Vorgängen gegenüber sinnlos, von Wider-
holungen des gleichen Vorgangs zu sprechen. Wohl aber sind
wir berechtigt, dies zu thun, sobald wir an jenen konkreten Auf-
einanderfolgen nur darauf reflektieren, dass das Prius jedesmal
unter den Begriff a das Posterius unter den Begriff ß fiel; dann
dürfen wir in der Tat sagen, dass sich der Vorgang der Auf-
einanderfolge von a und ß mehrmals in gleicher Weise wieder-
holt habe.
Hiermit aber haben wir den gesuchten Ansatzpunkt, um
das Schema der Notwendigkeit auf die Wirklichkeit anzuwenden.
Wenn wir nämlich auf jeden Zustand der Wirklichkeit, der
unter den Begriff a fällt, überall und immer einen Zustand folgen
sehen, der unter den Begriff ß fällt, so haben wir in der ab-
strakten Aufeinanderfolge von a und ß, sofern die einzelnen kon-
kreten Vorgänge Anteil an ihr haben, ein überall und immer
Gleiches ; das überall und immer Gleiche aber ist eben das Schema
der Notwendigkeit, und wir werden daher füglich jeden Vor-
gang; der sich der abstrakten Auf einandei folge von a und ß
unterordnen lässt, für notwendig halten. Derartige abstrakte
Aufeinanderfolgen heissen Regeln oder bei streng oder annähernd
ausnahmsloser Geltung Gesetze.
Wir sehen hieraus, dass wir die notwendige zeitliche Folge
eines Ereignisses auf ein anderes, das ist also nach unserer Er-
klärung seine kausale Abhängigkeit von diesem nur auf Grund
einer Kenntnis von Regeln oder Gesetzen behaupten können. Das
Wissen um Gesetze ist für uns die Voraussetzung dafür, dass wir
einzelne Ereignisse als durch das Band der Kausalität mit einander
verbunden betrachten. Erst unter dem Gesichtspunkte der Ge-
setzmässigkeit erscheint uns die Abfolge der Ereignisse in der
Natur als ein vielverschlungenes Gewebe einzelner Kausalreihen
und nicht mehr als ein reines bloss zeitlich geformtes Geschehen.
Das Auge des Nomologen ist erforderlich, damit sich dem Welt-
beschauer der Strom des Werdens sozusagen in eine Summe
teils nebeneinander, teils durcheinander fliessender Bäche ver-
wandele.
Es ist sehr wichtig, und man sollte sich dessen klar be-
wusst sein, dass die Gliederung der Wirklichkeit in einzelne
über historische Kausalität. 25
Wirkangsketteo nur unter der Voraussetzung eines wie weit auch
immer ausgereiften nomologischen Wissens, möglich ist. Die
Wirklichkeit, aufgefasst als ein Kausalzusammenhang, ist nicht
mehr die unmittelbar gegebene Wirklichkeit selbst, sondern das
Produkt einer begrifflichen Bearbeitung der gegebenen Wirk-
lichkeit.
In den allgemeinsten Zügen wäi-e damit die Frage nach den
Voraussetzungen der Erkenntnis empirischer Kausalverknüpfuugen
beantwortet. Wir müssen aber diese Voraussetzungen selbst noch
etwas näher ins Auge fassen, ehe wir auf die zweite Frage nach
der Unterordnung der Kulturerscheinungen unter sie eingehen
können.
Wenn wir vorher die Gesetze als abstrakte Aufeinander-
folgen bezeichneten, die sich überall und immer in gleicher Weise
wiederholen, so bedarf diese Definition doch noch einer Korrektur.
Denn es lässt sich nicht verkennen, dass die Wirklichkeit dein
Bemühen unseres nomologischen Denkens erhebliche Schwierig-
keiten entgegensetzt. Tatsächlich beobachten wir derartige immer
gleiche Aufeinanderfolgen ziemlich selten. Was wir beobachten,
ist nur ein blosses Meistens, und in dem überwiegenden Teile der
Wirklichkeit müssen wir uns mit solchen relativ allgemeinen
Regeln begnügen.
Immerhin besitzt die Wissenschaft ein gedankliches Mittel,
dieser Schwierigkeiten Herr zu werden. Dieses besteht darin,
dass sie die gegebenen Vorgänge nicht als reine Beispiele der von
ihr supponierten Kausalgesetze ansieht, sondern als ein Zugleich
verschiedener sich gegenseitig, freilich auch wieder gesetzmässig,
alterierender Anwendungsfälle eines oder mehrerer dieser Kausal-
gesetze. Solche Kausalgesetze drücken gewiss auch ein gemein-
sames Verhalten dieser und jener Gattung von Dingen aus, aber
nicht ein Verhalten, das sich tatsächlich überall und immer zeigt,
wo diese Dinge überhaupt sind, sondern ein Verhalten, von dem
wir voraussetzen, dass es sich überall und immer dort zeigen
werde, wo diese Dinge Gelegenheit haben, sich ungestört auszu-
wirken.
Mit Hilfe des einzelne Vorgänge isolierenden Experiments
gelingt es in den Naturwissenschaften zum Teil auch, diese Be-
trachtungsweise empirisch zu fundieren; zum weitaus grösseren
Teil jedoch ist das nicht möglich : die einzelnen Kausalkomponenten,
aus denen wir uns diese und jene Ereignisse zusammengesetzt
26 0. Baensch,
denkeo, bleiben blosse Gebilde der konstruktiven, dabei aber ihr
Verfahren natürlich stets an der Wirklichkeit orientierenden
wissenschaftlichen Phantasie. Hieraus folgt, dass nur in wenigen
Gesetzen sich das einer Anzahl von wirklichen Ereignissen Ge-
meinsame als abstrakte Formel darstellt; die grössere Menge
dieser Gesetze sind begriffliche Konstruktionen, denen die Wirk-
lichkeit sich bestenfalls annähert, ohne dass irgend wann einmal
ein „reiner Fall" ihrer Anwendung zu erwarten stünde. Aber
zum Ersatz dafür, dass wir die Wirklichkeit nicht direkt unter
sie subsumieren können, haben sie den Vorzug allgemeiner Giltig-
keit. Das Erkennen dringt gewissermassen unter die Oberfläche
der Wirklichkeit, die sich unserer Erfahrung darbietet, um ihr
gegenüber seine Ansprüche aufrecht erhalten zu können, wobei
denn freilich nicht vergessen werden darf, dass diese subkutanen
Gesetzlichkeiten keine metaphysische Entität besitzen, sondern
eben nur nomologische Konstruktionen sind, die der Aufgabe
dienen, die Wirklichkeit der Herrschaft der Kausalität zu unter-
werfen.
Durch diese Möglichkeit einer begrifflichen Dekomposition
und Rekonstruktion des Geschehens erhalten dann hinwiederum
die bloss relativen Regeln, die die Beobachtung uns zeigt, und
die zur Bildung der Gesetzesbegriffe den Anlass gegeben,
auch ihrerseits einen verstärkten Notwendigkeitscharakter, indem
sie sich jetzt als Hinweise auf, wenn nicht absolut allgemeine, so
doch zuverlässigere Gesetze deuten lassen, die in den tatsäch-
lichen Vorgängen, von denen wir sie abstrahiert haben, nach
Lage der Dinge nicht immer zu voller Geltung kommen können.
Es mag nun das vornehmste Ideal der gesetzeswissenschaftlichen
Erkenntnis darin bestehen, die ganze empirische Welt nach ihrer phy-
sischen, wie nach ihrer psychischen Seite unter absolut allgemein-
giltige, für jeden Körper und jedeSeele zutreffende Gesetze zubringen:
daneben bleiben es doch immer noch selbständige Ziele für sie, beson-
dere Teile und Gebiete der Wirklichkeit besonderen Regeln unterzu-
ordnen, einerseits, weil diese besonderen Gebiete besondere (wenn
auch innerhalb ihrer allgemeine) Eigenschaften besitzen, von
denen die allgemeine Theorie absehen muss, und die doch auch
eine Untersuchung ihrer regelmässigen Beziehungen sowohl zuein-
ander als auch zu den allgemeineren Eigenschaften verdienen,
andererseits, weil diejenigen Regeln besonderer Gebiete, die sich
von der vollendeten allgemeinen Theorie aus als Ergebnisse des
über historische EausalitAt. 27
imter bestimmten Umständen erfolgenden Zusammenwirkens allge-
meinerer Gesetze darstellen, auch dann noch ein selbständiges
wisseoscbaftliches Interesse gewähren, wenn die allgemeine Theorie
soweit fortgeschritten ist, um diese Ableitung leisten zu können.
Es fragt sich nur, nach welchem Prinzip die in Rede stehen-
den besonderen Gebiete aus dem ganzen Umkreis der Wirklichkeit
herausgelöst werden. In den Naturwissenschaften ist dieses Prin-
zip lediglich dasjenige der formalen Allgemeinheit. Mechanik,
Chemie, Organologie haben das einem immer kleineren Kreise von
Erscheinungen Gemeinsame zum Gegenstande. Aber nach diesem
Prinzip könnte man ins Unendliche fortfahren, die Erscheinungen
zu spezifizieren und es bedarf anderer Prinzipien, um das Erkennt-
nisstreben auf bestimmte Wege zu lenken.
Eins von diesen wäre auch hier die Beziehung der Wirklich-
keit auf Kulturwerte. Es begründet den Versuch, die Nomologie
dieser und jener Art von Kulturerscheinungen und dessen, was
mit ihnen zusammenhängt, zu gewinnen. Das sind aber die
nomologischen Voraussetzungen für die historische Behandlung der
Kalturerscheinungen.
Es ist ja klar, dass wir diese am wenigsten unter den
allerallgemeinsten Gesetzlichkeiten der Natur finden werden. All-
gemeine Mechanik und allgemeine Psychologie sind deswegen zu-
letzt geeignet, der Geschichte als Hilfswissenschaften zu dienen,
weil diejenigen Eigenschaften eines Teiles der Wirklichkeit, die
eine Kulturbedeutung haben, derentwegen eben dieser Teil für
uns zur Kulturerscheinung wird, nicht die Eigenschaften zu sein
pflegen, die er mit möglichst vielen anderen Teilen der Wirklich-
keit gemeinsam hat, sondern solche, die ihn vor anderen aus-
zeichnen, wenn auch die blosse Besonderheit und Individualität
ihn noch längst nicht als Kulturerscheinung qualifiziert, wozu
vielmehr das Bezogensein auf allgemeingültige Werte das erste
Erfordernis ist.
Hieraus folgt, dass der Historiker das iiomologische Wissen,
dessen er bedai*f, nicht so sehr besonderen Gesetzwissenschaften
entlehnen wird, als vielmehr aus der Betrachtung seiner Gegen-
stände selbst sich bilden muss.
Zum grossen Teil wird er jedoch bereits von der vorwissen-
scbaftlichen Regelbildung des Lebens Gebrauch machen können.
Denn da wir in unserem praktischen Leben genötigt sind, gerade
die Regeln des Geschehens zu beachten, denen die Dinge uutei-
28 0. Baensch,
liegeu, zu denen wir wertend SteUung nehmen, so werden diese
Regeln mit geringen aus der Verschiedenheit des Materials sich
jeweils leicht ergebenden Beschränkungen auch auf die Objekte
möglicher Wertung in der Vergangenheit Anwendung finden
können.
Zu einem anderen Teil wird der Historiker aber auch, um
sich seine Voraussetzungen zu schaffen, ein dem naturwissenschaft-
lichen durchaus analoges Verfahren der Konstruktion von Gesetz-
lichkeiten wählen müssen, die nicht tatsächlich beobachtete Regeln
sind, sondern Idealtypen von Wirkungsreihen, denen die Realität
nur mehr oder weniger nahe kommt. Solche idealtypischen
Wirkungsreihen werden freilich nie die Sicherheit von Natur-
gesetzen haben können, schon aus dem einen Grunde nicht, weil
ihre einzelnen Glieder der Quantifikation unzugänglich sind.
Gegenüber dem noraologischen Denken nun, das in der ge-
schilderten Weise die Aufstellung von Gesetzen und Regeln, also
abstrakter Kausalfolgen erstrebt, und für das jede Erscheinung
der Wirklichkeit nur als Ausgangspunkt zur Bildung von Qesetzes-
begriffen dienen kann, ist das historische Denken, wie wir sehen,
bemüht, für bestimmte Wirklichkeitsinhalte andere Wirklichkeits-
inhalte aufzufinden, von denen sie (nach allgemeinen Regeln) ver-
ursacht sind. Eine Tatsache nomologisch erklären beisst: das
Gesetz angeben, unter das sie fällt; sie historisch erklären da-
gegen heisst: andere Tatsachen angeben, die ihre Ursache waren.
Jede historische Erklänmg ist eine kausale Zurechnung. Eine
solche setzt aber, wie wir nachwiesen, stets ein nomologisches
Wissen voraus. Wir haben daher jetzt zu erwägen, wie das
nomologische Wissen für die Aufgaben der historisch genetischen
Erklärung verwendet wird.
Dabei ist nochmals zu beachten: Jedes konkrete Wirkliche
muss unter nomologischen Gesichtspunkten als ein Kreuzungspunkt
unendlich vieler, sich in ihm treffender Kausalreihen angesehen
werden; denn da es ein intensiv unendliches ist, so hätte der
Versuch, es in seiner ganzen Konkretheit genetisch zu erklären,
für jeden seiner unendlich vielen Bestandteile die Frage nach dem
woher zu beantworten, und stünde daher vor einer unendlichen
Aufgabe. Die Geschichte will aber garnicht die Gesamtheit der
Realgründe irgend eines wirklichen Ereignisses angeben, und
würde es auch nicht wollen, wenn das Unternehmen ein mögliches
wäre. Sie trachtet ja nur diejenigen Realgründe eines konkreten
über historische Kausalität. 29
Ereignisses aufzuzeigen, die für die Bestandteile seiner bestimmend
gewesen sind, die daraus durch Wertbeziehung abstrahiert worden
sind, und die wir als Kulturerscheinungen bezeichnet haben. Die
historische Erklärung einer Kulturerscheinung ist mithin nach
ihrem formellen Wesen derselben Art, wie jede andere kausale
Zurechnung eines in irgend einem wirklichen Ereignis enthalteneu
besonderen Momentes.
Diese vollzieht sich aber in der Weise, dass wir unter den
Antezedentien des Momentes solche aufzufinden suchen, mit denen
es sich gemäss irgend welchen allgemeinen Regeln in Verbindung
setzen lässt, wobei diese Regeln sich entweder direkt auf das zu
erklärende Moment anwenden lassen, oder aber erst dann, wenn
wir es so lange in Komponenten zerlegen, bis jeder einzelne
dieser Komponenten die Subsumption unter Regeln erlaubt. So
einfach, wie diese Operation hierdurch gekennzeichoet wird, ist sie
allerdings nicht immer auszuführen. Zum Beweise dafür, dass
eine Kuiturerscheiuung in ihrer bedeutungsvollen Eigenart die
Wirkung eines bestimmten Ereignisses ist, genügt es oft oicht,
zu zeigen, dass sie mit diesem nach allgemeinen Regeln zusammen-
hängt, sondern man muss überdies nachweisen, dass gerade sie,
in ihrem unterschied von anderen ohne dies Ereignis garuicht
oder nicht so wirklich geworden wäre. Das lässt sich aber nur
in der Form machen, dass man erstens die konstanten Bedingungen
jedes Vorganges der betreffenden Zeit in Ab2ug bringt, und dass
man zweitens das als Ursache des historisch zu erklärenden Ob-
jekts präsumptiv vermutete Ereignis in der Phantasie als nicht
eingetreten betrachtet, und nun, einerseits auf Grund der Kennt-
nis sonstiger Antezedentien des Objekts, andererseits auf Grund
nomologischer Kenntnisse sich ein Bild davon entwirft, was unter
also veränderten Umständen wahrscheinlich geschehen wäre. Hat
man dann Veranlassung, anzuoehmen, dass die zu erklärende Er-
scheinung auch auf andere Weise ebenso oder nur etwa in den
Bestandteilen modifiziert zum Dasein gelangt wäre, die unterhalb
ihres kulturbedentungsvoUen Gehaltes liegen, so muss uian sie mit
anderen ihrer Antezedentien nach derselben Methode in Beziehung
setzen und dies so lange, bis die Überzeugung erwächst, dass
man den- oder diejenigen ihrer Realgründe ausfindig gemacht hat,
die für ihre wesentlichen Beschaffenheiten ausschlaggebend ge-
wesen sind.
30 0. Baensch,
Durch die Kausalbetrachtung treten aber Gegenstände in
den Gesichtskreis des Historikers, die um ihrer selbst willen von
seiner Seite niemals. Beachtung erlangt haben würden. Während
die Kulturerscheinungen die eigentlich primären historischen Ob-
jekte sind, muss man die Realgründe von Kulturerscheinungen,
die nur, um diese historisch zu erklären, zu Inhalten des Wissens
erhoben werden, sekundäre historische Objekte nennen. Für die
Geschichtsforschung können ausserdem noch eine Menge Tatbe-
stände wichtig werden, die als Mittel zur Erkenntnis von Kultur-
erscheinungen und von deren Ursachen brauchbar ja unentbehr-
lich sind, ohne dass sie doch für das Ziel der Forschung, das
historische Wissen als primäre oder sekundäre historische Objekte
irgend in Betracht kämen. Das abgeschlossene historische Wissen
kennt nur Kulturerscheinungen und Realgründe von Kultur-
erscheinungen.
Wir haben bisher die kausale Erklärung singulärer Kultur-
erscheinungen allein ins Auge gefasst, und es ist kein Zweifel,
dass diese als geschichtliches Wissen anzusprechen ist. Aber
eine voll entwickelte Geschichtswissenschaft ist nicht bloss ein
Sammelsurium solcher Einzelerklärungen, sondern sie strebt danach,
den ganzen Schatz an Kulturerscheinungen, den die Vergangenheit
birgt, zu einheitlichen zeitlich und ursächlich geordneten Zu-
sammenhängen zu gestalten. Hierbei nun geht sie arbeitsteilig
vor: die einzelneu historischen Disziplinen behandeln die Ver-
gangenheit je unter einen Wertgesichtspunkt und so unterscheiden
wir politische Geschichte, Religionsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte,
Litteraturgeschichte, Kunstgeschichte u. s. w., je nachdem wir
als leitendes Prinzip der Auswahl die Wertbegriffe der Politik,
Religion, Wirtschaft, Litteratur, Kunst u. s. w. zugrunde legen.
Die einzelnen Wertgebiete kann man dann wieder nach verschie-
denen Gesichtspunkten in besondere Bezirke einteilen, wofür als
Beispiel etwa die Geschichte des Altertums, die Geschichte Frank-
reichs, die Geschichte der griechischen Plastik, die Geschichte
des Dialogs, die Geschichte der Aussprache des Buchstabens c in
den romanischen Sprachen u. s. w. zu nennen wären. Ich gehe
darauf nicht näher ein, sondern erörtere noch kurz das Verhältnis
der Kausalbetrachtung zu der Abgrenzung der verschiedenen
Wertgebiete gegeneinander.
Eine jede geschichtliche Sonderdisziplin führt uns die inner-
halb ihres Wertgebietes fallenden Kulturerscheinungen vor und
über historische Kausalität. 31
sucht sie, soweit die Wirklichkeit das zulässt, iD einen Kausal-
zusammenhang zu bringen. Die historischen Kausalzusammenhänge
sind demnach nicht vom Gedanken der Kausalität aus gewonnen,
sie sind nicht aus dem Weltgeschehen herauspräparierte einzelne
Wirkongsreihen, sondern zunächst sind sie bloss zeitliche Folgen
von einsinnig kulturbedeutungsvollen Tatsachen und Ereignissen,
zwischen denen dann das historisch kausale Denken seine Fäden
spinnt. Damit ist gegeben, dass in den Spezialgeschichten die
Bealgründe der einzelnen Kulturerscheinungen in den Vordergrund
treten, die in anderen früheren Kulturerscheinungen derselben
Art liegen, während die, sei es aus anderen Wertgebieten, sei es
ans dem nichtwertigen Naturgeschehen eingreifenden Ursachen
diesen gegenüber mehr zurückgedrängt werden. Dies kann dazu
fuhren und hat gelegentlich dazu geführt, dass man die einzelnen
Gebiete in dem Grade isolierte, als ob die einzelnen Kultur-
erscheinungen in jedem von ihnen sich allein auseinander nach
eigener ihnen immanenter Notwendigkeit kausiert hätten, ja in
höchster Einseitigkeit sogar dazu, dass man von einem einzigen
Gebiete aus, das der These nach allein eine zusammen-
hängende Wirkungsreihe repräsentiert, die Veränderungen aller
anderen Kulturgebiete gewissermassen als Seitenwirkungen dieser
erscheinen liess.
Derartigen Bestrebungen gegenüber hat die Forderung nach
einer kulturgeschichtlichen Behandlung der Vergangenheit ihren
guten Sinn, weil sie dazu nötigt, den ursächlichen Beziehungen
zwischen den einzelnen Wertgebieten nachzugehen und dadurch
ihre gegenseitige Abhängigkeit von einander zum Bewusstsein zu
bringen. Im Vergleich zu sachgerecht und vorurteilslos durchge-
führten Spezialgeschichten indessen, die die sekundären histo-
rischen Objekte ihres Gebiets unbefangen dort suchen, wohin die
kausale Betrachtung sie weist, kann die Kulturgeschichte nichts
eigentlich neues lehren. Denn weil der Wertbegriff der Kultur,
der ihr zum Prinzip der Auswahl dient, nichts anderes ist, als
die Summe der einzelnen Kulturwerte, so kann auch sie selbst
nichts anderes sein, als eine Summe, nämlich als die Summe der
historisch kausal begriffenen Kulturerscheinungen, die unter der
Voraussetzung aller einzelnen Kulturwerte aus der Wirklichkeit
herausgelöst werden, mithin also als die Summe aller Spezial-
geschichten.
Kant in neuer ultramontan- und liberal-katholischer
Beleuchtung.
Kritisch gewürdigt von Bruno Bauch.
In Bd. XXII, Heft 1 des Jahrbuchs für Philosophie und
spekulative Theologie ist ein Aufsatz erschienen unter dem Titel:
„Kant, der Philosoph des Protestantismus". Als Herausgeber des
Jahrbuchs zeichnet Dr. Ernst Commer, päpstlicher Hausprälat.
Verfasser des genannten Aufsatzes ist ebenfalls ein Prälat, näm-
lich der Herr Prälat, Kanonikus Dr. Michael Glossner. Ein Auf-
satz über den Philosophen des Protestantismus in der Zeitschrift
eines päpstlichen Hausprälaten, aus der Feder eines anderen Prä-
laten hat immerhin etwas Überraschendes. Herr Commer hat sich
in der jüngsten Zeit einen Namen gemacht; nicht wie man nach
dem Titel seiner Zeitschrift erwarten dürfte, auf dem Gebiete der
Theologie oder etwa dem der Philosophie, überhaupt nicht auf
dem der Wissenschaft. Der päpstliche Hausprälat verdankt seinen
jungen Ruhm im Gegenteil einer heftigen Anfeindung des Ver-
suches freierer Regung zu wissenschaftlichem Denken innerhalb
der Theologie seiner Kirche. Er richtete sich gegen den ver-
storbenen katholischen Theologen Hermann Schell, der zwar freier
denken mochte, als dem Prälaten Commer lieb war, dessen Ver-
suche, dem Katholizismus wenigstens ein Geringes von kulturellem
lieben zuzuführen, jeder objektiv über der Sache Stehende aber
nicht gerade als allzu kühn und wagemutig wird bezeichnen dürfen.
Und doch bekämpfte ihn Commer in einer Weise, die wir hier
zwar nicht näher zu charkterisieren brauchen, die ihm aber seinen
nicht gerade beneidenswerten Ruhm eingebracht hat. In eben
dieses Herrn Prälaten Commer Zeitschrift also erschien ein Auf-
satz von dem anderen Prälaten Glossner über das Thema „Kant,
der Philosoph des Protestantismus".
Nun wir sagen nicht : es wird sich jeder im voraus denken
können, was Herrn Glossners Aufsatz für ein Machwerk sei. Wir
Kant in neuer ultramonian- u. liberal*katholischer Beleuchtung. 3à
sagen es nicht, obwohl wir wissen, dass derselbe Prälat Commer
sich von demselben Prälaten Glossner in einem zweiten Artikel
desselben Heftes der Zeitschrift, das den Kant-Artikel enthält, ein
hohes Lob auf seine Heldentat gegen den toten Schell hat singen
and gefallen lassen. Trotzdem sage ich nicht, es könne sich jeder
im voraus denken, was es mit Herrn Olossners Kant-Artikel auf
sich habe. Das kann sich in der Tat niemand im voraus aus-
denken, nicht etwa, weil dieser Artikel den Erwartungen, die man
an die bereits bekannten, soeben berichteten Tatsachendaten zu
knüpfen geneigt sein möchte, widerspräche, sondern vielmehr des-
halb, weil er sie alle, und wären sie noch so hoch gespannt,
übertrifft.
Der Herr Verfasser ist auch Doktor. Hätte er das seinem Artikel
nicht ausdrücklich beigefügt, so würde ich vermutet haben, dieserKant-
Aufsatz sei sein erster schüchterner Versuch zu „wissenschaftlicher**
Betätigung; schüchtern natürlich nur der Sache nach. Da ist denn
aber auch dieser Versuch zu wissenschaftlicher Betätigung in der
Tat und in der Wahrheit gleich der sachlich schüchternste, d. h.
unwissenschaftlichste und unglücklichste, der mir jemals vorgekommen
ist. Der Begriffswirrwarr ist — ich rede immer nur von der
Sache — so grob, roh und verschroben, dass jeder mittelmässig
begabte, in der Tertia eines deutschen Gymnasiums sitzende Knabe,
wollte er den Ansprüchen eines einigermassen tüchtigen Lehrers
genügen, den Stoff seines Aufsatzes in ganz anderer Weise sichten
und anordnen müsste als der Herr Kanonikus Prälat Dr. Michael
Glossner.
Und woher nimmt seine Abhandlung den Stoff über Kant,
den Philosophen des Protestantismus? Man sollte erwarten: aus
Kants Werken selbst. Aber auch hier hätten wir schon unsere
Erwartungen zu hoch gespannt. Paulsens und Kaftans gleich-
namige Aufsätze und Falckenbergs kleines Hilfsbuch der Ge-
schichte der neueren Philosophie seit Kant, sowie Euckens kurz-
gefasste Beiträge zur Geschichte der neueren Philosophie, nicht
aber die grösseren Werke dieser Autoren hat diese Arbeit benutzt.
Und wie hat sie sie benutzt! Aus ihnen allen werden nach
Gutdünken die gerade beliebten Materialien herausgerissen. Diese
werden verkümmert, verzerrt, verschoben und endlich in eine eigene
oder besser: so eigenartige Form gebracht, dass sie Jedem an et-
was Besseres Gewöhnten einen nicht gerade gelinden Ekel erregen
KcBiHs4i«B xm. 3
ä4 6. fiauch,
muss. Das ist dann das Kind des Geistes. Oetanft wir^ es auf
den Namen: „Kant, der Philosoph des Protestautismus**. Wir
fragen noch nicht: Ist dieser „Kant" des Herrn Glossner auch der
Kant, wie ihn die Forschung und Wissenschaft kennt? Fragt
man auch nur ganz bescheiden, inwieweit in diesem Machwerk
überhaupt von Kant die Bede ist, so müssen wir gleich antworten:
erstaunlich wenig, so wenig, dass für das gedankenlose Compilât
auch hätte jeder andere Name herbalten können. Ist doch in
dieses hineingezerrt, was aus der ganz oberflächlichen Lektüre
der erwähnten Autoren gerade in die inkonsistentesten Vorstellungs-
massen eingegangen war.
Wie nun ist es mit dem Wenigen bewandt, das wir über
Kant selbst hier zu hören bekommen?
Seinen Gewährsquellen tritt der Artikel, da er sie ja in
erster Linie bekämpft, nachdem er ihre Wissenschaft zu seiner
Weisheit entstellt, mit einem vollkommen selbständigen, sou-
veränen — wir wollen keinen stärkeren Ausdruck gebrauchen —
Unvermögen des Verständnisses gegenüber. So beginnt er gleich
mit einer Art von Polemik gegen Kaftans Behauptung, dass „Kant
seine Abkunft von Luther nicht werde verleugnen wollen**. Denn
er knüpft daran die kritisch sei a sollende Bemerkung, dass jene
Behauptung „etwas zaghaft** klinge. Sei doch „der Glaube im
Sinne Luthers etwas ganz anderes als der moralische Vemunft-
glaube Kants**. Auf Grund des Kantischen Rationalismus, d. h.
deshalb, weil Kant „von einer Offenbarung, einer anderen Wahr-
heitsquelle, als der Vernunft nichts wissen** wolle, sucht Herr
Glossner zunächst also den Gegensatz von Luther und Kant —
gegenüber Kaftan — zu verschärfen. Man mag dabei über Kaf-
tans Arbeit denken, wie man will, nach den kurzen Geistesproben
kann über Herrn Glossners Arbeit jetzt schon, in zwei Punkten
wenigstens, kein Zweifel mehr bestehen: erstens trägt sie an
Luther wie an Kant den Begriff des Rationalismus sowohl, als
denjenigen der Offenbarung heran, wie er in streng ultramontaner
Reinkultur grossgezogen ist; zweitens begegnet sie dem positiven
Verhältnis von Luther und Kant mit einer ebenfalls in ultmrfon-
taner Reinkultur grossgezogenen Verständnislosigkeit. Zweifelhaft
bleibt aber zunächst nur, ob diese Vei*ständnislosigkeit grösser ist
gegenüber der Tat Luthers oder gegenüber derjenigen Kants.
Aber auch das entscheidet sich sehr bald.
Kant in neuer altramontan- u. liberal-katholischer Ëeleuchtong. 36
Was zunächst Kant anlangt, so wird erklärt, die Vernunft
im Eantischen Sinne, oder wie unser Autor zu sagen beliebt, die
«Rantische Vernunft^, sei „subjektivistisch^, so subjektivistisch,
dass Kant die ^Objektivität unseres intellektuellen Erkennens**,
wie wiederum unser Autor sagt, „entschieden verwirft". Herr
Glossoer kennt also nicht einmal das fundamentalste Problem der
Kantischen Vemunftkritik, das gerade die Gegenständlichkeit, die
Objektivität des Erkennens zum Gegenstande selber hat. Er hat
keine Ahnung davon, dass der Sinn der Vernunftkritik doch ge-
rade auf die Aufdeckung objektiver Erkeuntniskriterien gerichtet
ist. Das heisst: er hat nicht die leiseste Ahnung von der elementarsten
und fundamentalsten Prinzipienfrage Kants. So erweist es sich denn
schon an der Kantischen Fragestellung, dass Glossners Ver-
ständnislosigkeit Kant gegenüber die radikalste ist, die
sich nur ausdenken lässt. Was sodann die Tat Luthers an-
langt, so zeigt sich genau ebenso, dass ihm deren Sinn und Be-
deutung nicht minder fremd geblieben ist, als der Sinn und die
fundamentale Bedeutung der Kautischen Philosophie. Was er
über Luther sagt, wirkt geradezu grotesk. Wir hörten, dass nach
Herrn Glossner der Rationalismus das Trennende zwischen Luther
und Kant sein solle. Weil er aber von Kant gering denkt und
nicht weniger gering vom Protestantismus, möchte er zunächst
selber Kant doch gern als Philosophen des Protestantismus gelten
lassen. Er kann das nicht besser erreichen, als durch eine Herabsetzung
Luthers. Dazu muss er aber Luthers Bückkehr zum Evangelium
— ich scherze nicht — einfach leugnen. Um das wieder tun
zu können, schlägt er seinem Argumente von der ersten Seite
schon auf der zweiten vollkommen ins Gesicht. Gegen Paulsen
sagt unser Argumentator: „Schon der Umstand, dass Luther im
Rationalismus und Naturalismus der Renaissance Bundesgenossen
fand, hätte ihn zur Vorsicht mahnen sollen.'' Hier soll also offen-
bar nun Luthem doch mit dem Rationalismus und Naturalismus Ver-
wandtschaft vindiziert werden. Ja, damit ist es nicht genug.
Luthers Rechtfertigungslehre wird geradezu zum Naturalismus.
Wer es nicht für möglich hält, dass jemand einen solchen ver-
schrobenen Gedanken fassen könne, der lese den einen köstlichen
Satz: ^Der anscheinend exzessive Supernaturalismus der Recht-
fertigungslehre Luthers ist in Wahrheit Naturalismus.'' Und
wenn man die daran unmittelbar anknüpfende Folgerung: „Mit
der Rückkehr zum alten Evangelium ist es demnach nichts," d. h,
8*
dé Ë. Bauch,
eben die direkte Leagnung von Luthers Rückkehr zum Eyaogeliam
liest, so ergiebt sich mit zwingender logischer Notwendigkeit: Herr
Glossner ist nicht etwa bloss aasser Stande, einen Gedanken yon
einer Seite bis zur anderen festzuhalten, ohne ihn dnreh kontra-
diktorischen Gegensatz aufzuheben, er hat bei diesem Unvermögen
zu den einfachsten Segeln der formalen Logik auch nicht die
leiseste Ahnung vom inhaltlichen Sinn und der Bedeutung von
Luthers Tat. In ihrem einfachsten Kern und Wesen ist ihm diese
so sehr verschlossen, dass sich schon jetzt, was zuerst noch
problematisch war, ob das Unvermögen des Verständnisses — ich
brauche auch jetzt den mildesten Ausdruck, der sich für die
Charakteristik dieser Arbeit finden lässt — gegenüber der Tat
Luthers oder derjenigen Kants grösser ist, entscheidet: Dieses
Unvermögen zu verstehen, ist in beiden Fällen gleich radikal,
weil es hier wie da überhaupt das radikalste ist, das sich nur
ausdenken lässt.
Es würde empörend wirken, wäre es nicht gar zu lächerlich,
wie hier der furor antiprostentanticus et antikantianus sich ge-
berdet. Erst trennt nach seiner Regel der Bationalismus Luther
und Kant, dann muss Luther sogar schon „im Bationalismus und
Naturalismus der Renaissance Bundesgenossen finden*', um schliess-
lich selber Naturalist zu werden, bis, da Luthers Glaube nun
doch wieder „etwas ganz anderes ist als der moralische Vemnnft-
glaube Kants "*, endlich inbezug auf Luther und Kant erklärt wird:
„die Ähnlichkeit reduziert sich auf den gemeinsamen Subjektivis-
mus"*. Diesmal meint Herr Glossner nun den moralischen „Sub-
jektivismus**, um sogleich eine wahrhaft tragikomische Begriffs-
posse aufzuführen. Er erlässt auf der einen Seite an den Pro-
testantismus die possierliche Warnung vor Kant: „Der Gewinn
aber, den der Protestantismus aus der philosophischen Begründung
durch Kant zu schöpfen vermag, ist ein höchst zweifelhafter und
bedenklicher; denn die von Kaftan betonte sittliche Erfahrung
spielt bei Kant eine Rolle, die geeignet ist, die Gottheit selbst
vom Throne zu stürzen und an ihre Stelle die sittliche Welt-
ordnung zu setzen, was bekanntlich von Fichte geschehen ist.**
Auf diese klägliche, im miserabelsten Ultramontanendeutsch vor-
getragene Expektoration folgt aber andererseits gleich die Er-
klärung, dass Kant und der Protestantismus eigentlich doch ein-
ahder wert seien und zusammengehören, indem ebenso wie das
Prinzip der Kantischen Philosophie, auch dasjenige des Protestan-
Kant in neuer ultramontan- u. liberal-katholischer Beleuchtung:. 37
tismas „einer schrankenlosen Willkür Tär und Tor Offne, sodass
die Gleichheit der Schicksale des Protestantismus und des Ean-
tianismus ihre Verbindung auch von dieser Seite rechtfertigt, eine
Verbindung, die aber keineswegs dem einen wie dem anderen zum
Vorteil und zur Empfehlung gereicht.**
Der Herr Kanonikus weiss nicht, oder will es nicht wissen,
dass das von Luther dem Protestantismus gewiesene Prinzip die
Willkür des „Pfaffentums**, um einen Ausdruck Kants zu ge-
brauchen, gebrochen und in der sittlichen Freiheit der Welt das
objektiv-sittliche Prinzip gebracht, er weiss nicht, dass Kant eben-
diesem objektiv-sittlichen Prinzip in der Lehre von der Autonomie
die objektive philosophische Begründung gegeben. Wenn er also
davon spricht, dass dieses Prinzip „einer schrankenlosen Willkür
Tür und Tor öffne**, so bringt er es selbst noch einmal ungewollt
und unabsichtlich auf eine klare und bündige Formel, dass das
ultramontane Unvermögen, zu verstehen, gleich radikal ist
gegenüber der reformatoriscben Tat Luthers, wie der
philosophischen Tat Kants. Trotzdem aber wagt man es,
vom Standpunkte des Ultramontanismus aus, über Kant, den Philo-
sophen des Protestantismus, zu schreiben.
So also stellen sich Luther und Kant in dem Urteile der
ultramontanen „Wissenschaft** dar. Viel ist sonst von Kant nicht
mehr die Rede, aber auch in dem Wenigen, das noch von Kant
handelt, steckt eine solche Überfülle des Absurden und Sinn-
widrigen, dass ich gestehen muss: Es ist nur eine Art der ultra-
montanen Befähigung, die meine uneingeschränkte Bewunderung
erregt hat, die Fähigkeit nämlich, in so wenig Worten so viel
des horrendesten Unsinns zu reden. Da kommt Herr Glossner
z. B. auf Kants Widerlegung der Gottesbeweise — ganz abrupt
und zusammenhangslos — zu reden, und er behauptet, dass »Kants
Kritik auf erkenntnistheoretischen Ansichten beruht, deren Falsch-
heit längst nachgewiesen ist.** — .Falschheit**? •- „Längst nach-
gewiesen?** — Was? — Wielange? — Wann? — Von wem? —
Vielleicht von Herrn Glossner? Warum hat er uns hier den
Nachweis vorenthalten und uns einige Minuten herzlichsten Humors
missgönnt? Indes für seine Zwecke hat er diesen Nachweis wohl
nicht nötig. Da sein Machwerk nun einmal die Druckerei passiert,
in einer öffentlichen Zeitschrift Aufnahme gefunden hat, wird es
auch Leser finden, denen die Art, ohne Beweise zu argumentieren,
imponiert, obwohl sie uns theoretisch ein hölzernes Eäsen ond
38 B. Bauch,
praktisch ooch schlimmer als das erscheint. Oder, wie bringft
man es fertig, von Kant, nachdem er doch zum SabjektivisteD
gestempelt ist, zn erklären, dass er sogar „das Allgemeine zu
bypostasieren"" suche? Das wissenschaftliche Unvermögen hat
seine eigenen Künste, scheints.
Damit genug vom Kant des Herrn Glossner. Man sieht, in
diesem Bilde ist kein Zug vom Kant der Geschichte, wie ihn die
Wissenschaft kennt, und im Kant der Geschichte darum auch kein
Zug von dem Bilde, wie es die ultramontane Phantasie des Herrn
Glossner sich malt.
Diese hat auch um die ganze nachkantische Philosophie
ihre witzlosen Sagen gesponnen. Wenn wir auch nicht allen
Seitensprüngen dieser Art „wissenschaftlicher" Possenreisserei, die
dabei aufgeführt werden, unsere Aufmerksamkeit schenken dürfen,
um nicht vom eigentlich Kantischen Thema abzukommen, so
müssen wir doch wenigstens auf das noch mit einem Wort ein-
gehen, was unser Autor selbst als direkte Wirkung der Eantischen
Philosophie ansieht.
Zunächst meint er, dass sich in der Mannigfaltigkeit der von
Kant ausgegangenen Richtungen die „Zerfahrenheit der Anschau-
ungen in der protestantischen Welt** widerspiegele. Die geistig-
sittliche Vornehmheit, die in diesem geschmackvollen Ausdruck
liegt, brauchen wir nicht zu kritisieren. Ea ist genug, diesen
Ausdruck, der den Autor selbst kritisiert, zu verzeichnen. Zur
Sache aber mag auch die Bemerkung genügen : Mit diesem röroisdh
nltramontanen Blicke kann nur der absolut Arme im Geiste den
Reichtum des deutschen Geisteslebens anschielen. Denn dieser
Geistesreichtum, das wird Herr Glossner freilich ebensowenig be-
greifen, wie die deutsche Geisteskultur selbst, beruht in letzt«
Linie auf dem protestantischen Prinzip, das jener so zu schmähen
beliebt. Dieser Protestantismus ist freilich etwas Anderes, ab
das, was Herr Glossner so nennt. Denn er hat in letzter Linie
auch keine Ahnung davon, was Protestantismus ist. Er kommt
von dem beschränkten Gedanken des Konfessionalismns nicht los.
Er versteigt sich zu der Warnung: „Indem man Kant als den
Philosophen des Protestantismus feiert, giebt man den Anqpmdi
auf Universalität, auf allgemeine Gültigkeit, die vom BegnSt
der Wissenschaft unzertrennlich ist, und somit den Anspnidi auf
Wissenschaftlichkeit preis. "* Er meint also. Kant als Phik»o||lien
Kant in nener ultramontan- u. liberal-katholischer Beleuchtung:. 39
des Protestantismus anzusehen, bedeute eine Eonfessionalisierung
der Wissenschaft. Und davor will er warnen, eine Warnung, die
sich gerade aus seinem Munde allerliebst ausnimmt. Er will jetzt
auch nichts mehr davon wissen, dass man Kant als Philosophen
des Protestantismus ansehe, er, der soeben selbst dafür plädierte.
Aber was will er eigentlich? Zuerst sucht er durch verschrobene
Begriffe von Bationalismus und Offenbarung einen Gegensatz von
Luther und Kant aufzurichten, der nicht vorhanden ist. Dann
will er trotzdem Kant als Philosophen des Protestantismus gelten
lassen. Bald aber warnt er den Protestantismus vor der Kan-
tischen Philosophie, um sofort zu erklären, „dass die Gleichheit
der Schicksale des Protestantismus und des Kantianismus ihre
Verbindung auch von dieser Seite rechtfertigt*. Bald wieder
warnt er umgekehrt die Kantische Philosophie vor dem Protestan-
tismus, damit jene nicht dem Konfessionalismus verfalle und die
Universalität einbüsse. Was soll das, was wollen diese ewigen
plumpen, einfältigen Widersprüche? Der Herr Prälat weiss wenig,
wissenschaftlich weiss er nichts, rein nichts von dem, worüber er
schreibt. In dem Falle aber weiss er wenigstens, was er will.
Er will den Protestantismus und den Kantianismus soviel er kann,
herabsetzen, bietet alle für diesen seinen heiligen Zweck erreichbaren
Mittel auf, tut alles, was ihm in diesen seinen Kram passt
Aber da er nun einmal von alledem wissenschaftlich nichts, rein
nichts weiss, so weiss er auch nicht, dass das, was ihm in seinen
Kram passt, gar nicht zu den Gesetzen der Logik passt. Er hat
nicht einmal ein Gefühl dafür, dass er beständig gegen das ein-
fache Widerspruchsgesetz verstOsst, die logische Blindheit und
Unfähigkeit in wissenschaftlichen Dingen lässt ihn bei jedem
zweiten Schritt in einen dritten Widerspruch fallen. Seinen red-
lichen Willen, Protestantismus und Kantianismus zu schmähen und
zu verlästern, könnte nur ein selbst unredlicher Wille bezweifeln.
Denn jene seine redliche Tendenz ist zu offenbar geworden.
Aber ebenso offenbar ist es, dass sein unzweifelhafter Wille nicht
im Stande ist, mit Gründen gegen Protestantismus und Kantianis-
mus etwas auszurichten. Mit Gründen, — das will er ja freilich
nicht, er kann es auch nicht, das können ja auch andere Leute
als er nicht, der er überhaupt in diesen Dingen nichts wissen-
schaftlich kann. Er weiss ja, wie wir sahen, nicht einmal, was
Protestantismus ist. Lasse er sich das wenigstens vom Philosophen
des Protestantismus sagen, dass zwischen dem protestantischen
40 B. Bauch,
Prinzip uud dem Konfessionalismas, die er nämlich mit einander
verwechselt, um auf dieser Verwechselung das Nest von Wider-
sprüchen aufzubauen, ein himmelweiter Unterschied ist. Diesen
Unterschied wird er freilich nie und nimmer begreifen. Aber
h&tte er Kants „Beligion innerhalb der blossen Vernunft'', die er
zwar schmäht, aber doch nicht kennt, wenigstens gelesen, so
möchte er zum mindesten vielleicht soviel wissen, dass man nach
Kant Protestant sein könne, ohne etwa zu einer sichtbaren kirch-
lichen Anstalt des Protestantismus zu gehören. Dass das auch
ein echt Lutherischer, in Luthers Idee der unsichtbaren Kirche
zum Ausdruck gelangender Gedanke ist, das weiss er natärlich
auch nicht. Und wenn er es schon wüsste — die Aufnahme auch
dieses Gedankens läge wohl schliesslich jenseits der Grenzen
seines Könnens. Wenn er von einer „Zerfahrenheit der Anschau-
ungen in der protestantischen Welt" redet, so zeigt er nur, wie
ferne ihm auch nur die Vorstellung von einer innerlichsten
Überzeugung, nicht nur die innerlichste Überzeugung selbst,
liegt. Die Wahrheit, die für die Wissenschaft eine ewige Idee
und das heisst in Kants Sprache eine, ewig lebendige Tätigkeit
fordernde, Aufgabe ist, wird für den, dem der Gedanke der
Wissens- und Gewissens-Freiheit nicht aufgegangen ist, zu ein^
toten Sache, die eine Art von tjrrannischer Gedankenpolizei mag
zu hüten glauben, weil sie ebenfalls glauben mag, die Wahrheit
lasse sich einfach beschliessen, ohne dass man sie erarbeitet, die
aber nimmer Sache überzeugungsvoller Gesinnung und geistiger
Kultur sein kann. Darum muss natürlich alles, was Herr Ülossner
über die grossen nachkantischen Systeme, die den allgemeinen
Kulturbegriff gerade unendlich zu bereichem und zu vertiefen be-
rufen waren, zu sagen wagt, nicht nur abermals den Stempel
radikalsten Unvermögens zu verstehen tragen, sondern geradezu
ins Kindische ausschlagen. Am deutlichsten wird das bei des
Autors Meinungsäusserung über Hegel und namentlich über Fichte,
der nach Herrn Glossners tiefsinnigem Urteil es unternommen
haben soll, „den Menschengeist dem »Absoluten' gleichzusetzen*".
Fichte wird bei Herrn Glossner zum Pantheisten, ja zum Atheisten.
Daran ist ihm natürlich in letzter Linie Kant ebenso schuld« wie
an Jacobis „Theosophie"* und „Mystizismus"*. Ja die ganze böse
plulosophische Entwickelung, die in Nietzsche nach unseres Autors
bewährter „wissenschaftlicher"' Sinnigkeit und Findigkeit „richtig
bei der Bestie angelangt" sei, ist in letzter Linie Kants Ver-
Kant in neuer ultramontan- u. liberal-katholischer Beleuchtung. 41
scbalden. Mit dieser letzten WeodQDg erhält Datürlich auch der
^Darwinismas^ die quittierende Glosse Glossners.
Nun gewiss geht die ganze philosophische Arbeit seit Kant,
sofern sie selbst einen philosophischen Wert in der Geschichte
beanspruchen darf, auf Kant zurück. Nur stellt sich, eben weil
sie einen Wert bat, diese Eutwickelung in Wahrheit etwas an-
ders dar, als im Urteile des Herrn Glossner. Wer für Luther,
der eine seit den Tagen Jesu von Nazareth nie wieder erlebte
sittlich religiöse Bereicherung der Menschheit gebracht, wer für
Kant, der eine seit Piaton nie wieder erlebte gedankliche Ver-
tiefung erarbeitet, nur verletzende Entwürdigung und Entstellung
aufzubringen weiss, wer die Männer, die den ewigen Stolz der
ganzen an der fortschreitenden Kultur beteiligten Menschheit
bilden, nur mit Kot und Schmutz zu bewerfen strebt, indem er
ihren Glauben, ihre reformatorische Tat herabzusetzen trachtet,
wessen persönliche Neigung darum so gar nichts vom Fortschritt,
sondern alles immer nur vom Stillstand wissen will, dem muss
natürlich alle Eutwickelung ein Graus und Greuel sein; die geistes-
geschichtliche noch mehr als die organologisch-pbysische. Aber
auch diese braucht wirklich den Menschen nicht, wie Herr
Glossner erklärt „bei der Bestie angelangt** sein zu lassen. Diese
Furcht hörte ich einmal in einer entwickelungstheoretischen Dis-
kussion — es war hier in Halle — von einem Zoologen durch
ungefähr folgende treffende Bemerkung beschwichtigen: die An-
nahme der Eutwickelung braucht nicht umgekehrt zu bedeuten
und kann nicht bedeuten, dass der Mensch sich wieder zum
Affen ^nabentwickeln' sollte. — Nein, das ist wahrlich nicht nötig,
ob es manchmal auch so scheinen mag.^)
Vielleicht ist dieser wissenschaftliche Gedanke ein Trost für
die Wissenschaftsfeindschaft Herrn Glossners. Ich würde mich
freuen, mit diesem Tröste von seinem Machwerk, von dem ich nun
eigentlich Abschied nehmen muss, zu scheiden. Sein Elaborat
hat ausser der theoretischen Seite freilich auch noch eine prak-
tische. Es ist eine antiprotestantische und antiwissenschaftliche
Tendenzschrift übelster Sorte. In das moralische Gebiet fällt es
im Einzelnen z. B. schon, wenn man Kant und dem Protestantis-
^) Täusche ich mich nicht, so hat Übrigens auch schon Liotze, an
dem unser Autor ja noch etwas Gutes eu finden meint, denselben Ge-
danken ganis ähnlich ansgedrfickt.
42 B. Bauch,
mus vorwirft, dass ihr „Prinzip einer schrankenlosen Willkür Tflr
und Tor öffne", wenn sich Herr Glossner erdreistet, vom Refor-
mator Luther zu reden und dabei das Wort „Reformator" in An-
führungsstriche zu setzen, ein direkt infames Verfahren, das
seinen Gipfel da erreicht, wo es auch auf den Glauben Luthers
angewandt wird. Wer das lesen kann, ohne dass ihm im Namen
der Menschheit die tiefste Zornes- und Schamröte aufsteigt, der
kann an der Idee der Menschheit keinen Teil haben. Möchte
darum theoretisch des Herrn Kanonikus furor antiprotestanticus,
wie ich vorhin sagte, empörend wirken, wenn er nicht so läche^
lieh wirkte, so muss er dagegen unter praktischem Gesichtspunkte
empörend wirken, trotzdem er auch gar so lächerlich wirkt. Nach
den oben gegebenen Tatsachenproben wird man freilich erst nicht
mehr fragen dürfen: wo bleibt hier die in dem obersten christlichen
Sittengrundsatz eingeschlossene Achtung vor dem Nächsten und seiner
Überzeugung? Nach jenen Proben wäre diese Forderung freilich
schon zu hoch gestellt. Wer Luthers Glauben als unechten Schein
verdächtigt und Kants Vernunftreligion herabsetzt, der kann an jener
Forderung nicht mehr gemessen werden. Aber stellen wir jetzt
onsere Forderung auch noch so tief, und fragen wir bloss: wo
bleibt hier die vom Ultramontanismus so gepriesene „Toleranz*?
— so weiss man gleich, wie es um diese „Toleranz** bestellt ist
Die dem Anderen zugemutete Toleranz der eigenen Intoleranz hat
nicht nur nicht in der Politik, sondern auch nicht in der Philo-
sophie, weder in der theoretischen, noch in der praktischen, einen
logischen Ort. Man braucht nur das blosse Faktum des Aufsatzes
reden zu lassen, so weiss man, dass man sich jede moralische Be-
urteilung, ob der deutlichen Sprache dieses Aufsatzes, ersparen kann.
Darum habe ich mich von vornherein auch nur mit dem Werk,
nicht aber mit dem Werkmeister, um eine Unterscheidung Latbeis
anzuwenden, beschäftigt. Denn das Werk spricht sich selbst das
Urteil : Dass es überhaupt existiert, dass es nicht bloss geschrieben,
sondern auch gedruckt, und das nicht bloss auf die alleinige Ver-
antwortung seines Urhebers, dass es vielmehr auch in einer Zeit-
schrift Aufnahme finden und einem sicheren Leserkreise zugäog-
lieh gemacht werden konnte — das alles ist und bleibt be-
schämend und empörend. Darum wollen wir es uns aacb
tatsächlich ersparen, die moralische Seite der Sache zu beorteileo.
Tm ürtPÜP jedes gerecht und billiç denkenden Lesers wird dfese
sieb in ihrem Wesen hmu und unverfälscht darstellen schon durch
Kant in neuer ultramontan- u. liberal-katholischer Beleuchtung. 48
die theoretische Kenntnis dieses echten Dokamentes nitramontaner
, Wissenschaft**.
Ich erwähnte vorhin, dass in demselben Hefte der Zeitschrift
des Herrn Gommer ebenfalls aus der Feder des Herrn Glossuer,
ausser dem antikantischen Machwerk, ein den Commerschen Schell-
Handel glorifizierender Artikel enthalten sei. Nun fürchte man
nicht, dass ich Herrn Glossners Pfaden weiter folgen möchte. Sie
interessieren mich im weiteren herzlich wenig, habe ich doch auch
schon von ihnen Abschied genommen. Ich bin ja dem Wege, den
sein Geist genommen, auch bisher nur gefolgt, weil er sich auf
ein Gebiet verirrt hatte, auf dem er nichts zu suchen hat, und
nicht Herrn Glossners, sondern dieses Gebietes wegen tat ich das.
Einen Geist, wie den Herrn Glossners, musste ich von diesem
Gebiete verweisen, schon der wissenschaftlichen Sauberkeit
wegen. Das war alles. Sein zweiter Artikel kümmert mich schon
rein gar nichts mehr. Er hatte höchstens ein mittelbares Inter-
esse. Ausser Schell und Kraus sucht Herr Glossner nämlich
gegen einen Katholiken seine bannenden Donnerschläge zu richten,
der vor einiger Zeit auch einmal zu Kant Stellung genommen
hatte.
Eine würdigere Stellung zu Kant freilich nimmt die Arbeit
dieses anderen katholischen Autors ein. — Ich meine die Schrift
„Katholischer Glaube und die Entwickelung des Geisteslebens**
von Dr. Karl Gebert.^) „Dieser Vortrag will den Kampf des
religiösen Katholizismus gegen den politischen philosophisch-wissen-
schaftlich rechtfertigen." Mit diesen Worten kennzeichnet d<*r
Autor von vornherein sein Unternehmen. Die klare und unzwei-
dentige Unterscheidung zwischen religiösem und politischem Katho-
lizismus hat mit besonderem Nachdruck in unserer Zeit Franz
Xaver Kraus zur Geltung gebracht. In der Kraus-Gesellschaft zu
Mfincben ward die Arbeit zunächst mündlich vorgetragen. Man
weiss also auch von ihr im voraus ungefähr, was man zu erwarten
hat. An der katholischen Rechtgläubigkeit des Verfassers kann
höchstens der Ultramontanismus zweifeln. Denn der Verfasser
nimmt der Religion gegenüber die einzig mögliche Stellung, näm-
lich die vollkommenster -Gewissensfreiheit** ein. ,,Der Glaube ist
1) Katholischer Glaube and die EntwickeluDg des Geisteslebens.
öffentlicher Vortrag, gehalten in der Krausgesellschaft in München am
10. Januar 1905 von Dr. Karl Gebert. München 1906 Selbstverlag der
Kraosgesellachaft. Kommissionsverlag: St. Bernhards Verlag.
44 B. Bauch,
ihm ein rein persönliches Verhältnis zu seinem Gott", er yertritt
also einen persönlichen, innerlichen Überzeugfungsglanben, den der
Ultramontane, der nicht weiss, was Überzeugung ist, in Anfüh-
rungsstriche setzen muss, sobald er von Luther redet. Dem reli-
giösen Katholizismus gegenüber wird sich der politische kaum
anders verhalten, was aber nicht bedeuten soll, dass wir jenen
mit Luthern etwa identifizieren. Bekennt doch Gebert ausdrück-
lich seine „Liebe zum angestammten Glauben und die feste Zu-
versicht auf die religiöse Lebenskraft des Katholizismus**. Wie
man über diese auch immer sonst denken möge, die vom Autor
geforderte Gewissensfreiheit soll ihm ungeschmälert bleiben. Sein
persönlicher Glaube, für den er sie fordert, soll hier unverletz-
lich sein. Und wenn ich auch Gebert gegenüber die Kritik
zum Schluss nicht unterdrücken werde, so mag er im voraus
überzeugt sein, dass sie nie seine persönliche Religiosität,
die ich für echt und tief halte, betreffen werde, sondern allein
seine Religionspbilosophie, die als Philosophie der Kritik nicht
entraten kann, wie ich vorhin mich ja auch nur ^egen die
freilich wunderliche Philosophie des Ultramontanismus wandte.
Dabei habe ich immer nur Geberts Beziehung zu Kant im
Sinne und kann manchen seiner Untersuchungen nicht im
Einzelnen folgen, da sie unseren Interessen, wenigstens denen
dieser Zeitschrift zu fern liegen, so interessant und charakte-
ristisch sie auch an und für sich sein mögen. So ist ja die
Hauptabsicht der Schrift, die Auseinandersetzung mit dem Ultra-
montanismus, d. h. dem politischen oder wie der Autor noch sagt,
dem »Zentrums-Katholizismus"* von grösstem allgemeinem Interesse.
Man muss diese verderbliche und gefährliche Tendenz so genan
kennen, wie der Autor, um sie mit seiner Sachlichkeit in ihren
kultur- und religionsfeindliehen Machenschaften darstellen zu könn^
Von ihren Vertretern sagt Gebert treffend: sie „erklären der
Kultur die Feindschaft,^) den Krieg kann man nicht sagen, wdl
der Krieg ein Geisteskampf sein müsste, der ein Eingehen auf
das Wesen der Kultur voraussetzen und ein Kampf mit gleichen
Waffen sein müsste**. Und mit unwiderleglichem Recht sagt er
von dieser Teudeu«, dt^r ,»dor Zentrums- Wahlzettel als Zeicboi
echten Christentums gilt"*, dass sie „das Gegenteil wahrer Reü-
giosit&t^ sei; (Hier „der Ultramontanismus ist ja nicht bloss
^) Vom Autur m^WmK iftm|ifi»rr(,
Kant in neuer nltramontan- u. liberal-katholischer Beieuchtong. 4â
koltnrwidrig,^) sondern auch unchristlich".^) Dass Gebert
dem Archaismus der thomistischea Lehre ebenso ablehnend
gegenübersteht, wie er sieh als Glied des ganzen modernen Kultur-
zQsammenhanges fühlt und mit ganzer Seele als deutscher Mann
innerhalb des deutschen Geisteslebens arbeiten und wirken will,
das Tersteht sich danach wohl von selbst. Auf alle seine Dar-
legungen im Einzelnen einzugehen, würde uns, wie gesagt, zu
weit führen. Was uns aber näher beschäftigen soll, das ist seine
Stellung zu Kant, die in allen Punkten glücklicherweise gerade
das Gegenstück zu derjenigen des Ultramontanismus ist.
Gilt dem nltramoutanen Katholizismus Kant als Gefahr und
Verderbnis, so weiss der Vertreter des liberalen Katholizismus
Kants Philosophie gar wohl als Kulturwert und Kulturmacht zu
würdigen. Darum mahnt er selber den Katholizismus, „wenn er
rieh nicht selbst zu einer quantité négligeable verurteilen will, an
Kant, dem Schöpfer der kritischen Methode, dem Lehrer unbe-
stechlicher Wahrheit und bisher unerhörter Deukschärfe, nicht
^eichgiltig vorüberzugehen**. So bezeichnet er, gleichsam pro-
grammatisch und allgemein, seine eigene Stellung zu Kant. Dem
entsprechen auch Geberts besondere Darlegungen über die Kanti-
sche Philosophie.
Erfreulich berührt da zunächst die verständnisvolle Wür-
digung des Prinzips der Autonomie, rücksichtlich dessen sich der
Autor ganz auf die Seite Kants stellt. Hatte der ultramontane
Verstand, so wie eben diese Verstandesart Kant „verstehen** musste,
behauptet, dass dieses Prinzip der Autonomie „der Willkür Tür
md Tor öffne**, so zeigt Gebert, dass gerade im Gegenteil durch
alle Heteronomie, ob sie sich nun unmittelbar als „Glückseligkeits-
streben** äussere, oder ob sie das mittelbar in der Form von
„Furcht und Hoffnung" tue — es liegt etwas vom Witz der
Geschichte in dem eigentümlichen Zusammentreffen, dass Gebert
die Worte des Ultramontanen längst vor diesem im entgegen-
gesetzten Sinne gebraucht — „der Willkür Tür und Tor geöffnet
ist**. Gebert weiss, dass die Gesetzgebung der Vernunft eben
Gesetzgebung ist, dass das Gesetz der Vernunft objektiv bindend
ist, dass „das Sittengesetz im Kantischen Sinne . . ., den Wünschen
und Neigungen gegenüber mit der Anforderung der Pflicht auf-
tritt'' and dass „der vernünftige Mensch . . . sich diesem Gesetze
^) Vom Autor selbst gesperrt.
i^. B, Bauch .
fr't^i)i\y^ ufif'-rwull'* Zrjffleich erkennt er richtig« dass die all-
*/' fuf \u^' V«rfi*jfiffi("îï<Ttzlichk'rit den Sinn ewiger Aafgegebenheit
U'i> 'l;pisî t\\o iUr<o\'/M iUtT V*;niunft ewige Aufgaben, die ewige
I'ltff/k'if iiri'J Wirkftaiiikf'it fordern, bedeuten, und dass sie nichts
/M Suu liifbf'M mit iU'in, whh sich die Gemächlichkeit des Ultramon-
tiiM^M hU fcftipr^n \\i*M\\7s ipäumen mag. Vernunftgesetze dulden
)m )«'ni' (iiMii/lrhli<'.hk<Mt nicht, von der Kant sagt, dass sie
. (9f lillfMitM't iiIn iill«* (IIm«I (leH Lobens*' ist.
Ii»m ili«wiiMNtHi*iii fh^r unendlichen Aufgabe, das sich uns
fill hl liloMC) Im Krkonnon und in der Idee der Wahrheit, die für
ili'ii tilltiniMinlitnrn. win wir Nahen, nur eine tote Sache sein kano,
OHinlnin vnr hIIpiii iturh in drr Sittlichkeit und der Idee der Auto-
ihiMiip. iMAi IiIIommI. von drr \Wv Vltramoutane keine Ahnung haben
liiniii. Hill <'(*hoit. mit Kocht nun auch „als Vorbedingung jeder
Miiluon liollfiloNitAt". Pioso ruht auch für Gebert auf der Auto-
\\\\\\\\\\ In ilor Knut ihiv sittlioho Grundlage entdeckt. Und so
iintMM (Inn. Int ooht ohristliohon Sinne« wie ihn Kant philosophisch
hoMMlndiM. \\w l\oli»iio« nicht y.u einem leeren autoritativen Be-
lii-nnon. HtMhIoin >u oiucm innerlich überzeugungsvoUen Erleben
\\\v\ y'\\w\\\ l»^tvn»hjivn HciH^tis^Mt nach der innerlich lebendigen
r\sM'OU>îU\\\; wtuKnt Oic ^ivliciCvs^o Krfahrung**. das religiöse
IMoImu* .Um vuiluh ïV;\ii^son IVr^kV-iokkt^it, wofür der Ultramon-
r-*\ux.«u\ \\\\\ x.^*nov, p'.ur/'jViv:^ Spo:: ;;^^*i: haï, der überzengungs-
x^vKix* ^v\v,N«h.h,^ v^.suV. Ô.;:: ô:*r V.:rirr;v^L:aiîr nichî besser zo
M^.i»\,U^»\ \\,^^Nv Äv OÄSs ;^r '.'t. ".r. Ar.f^itruurssiriciie setzt —
\\,m; iM \^^ «r,r, / rrr^Ä r.rî^': ,î;'^7r o^iO-i. 4i> >t»rX)digw Über-
■^MA^rtnsi i^.v r.vhuv ôiV.k\'^r k*TT v.r:. w:-.; fc fori «-Ibsi niemals
\«u^:^!i^» «^" 7^'^>v'» V' »-^v.-v Î 'sr riÄ> Virsci. imc &ix$drûcklich
>i\^\'. tvi^i^M. /'^v^ ^*.» îi'.v^v . >oi:*rii:iiîsrukni»f fcx ck zweite
S,- .».v,^î = v\»i viv) Î.1.1- x^,n; :n Kuiii^sriifa Sizme. anc
.V'V^vv Vh>.v»")x »* V X I \^Ni.-vvv' >- "M f;viürinT uni xirsbf« tob
fî^v ,.K'N'^* ,''»i»cx:. i.n. h -. -i ! . ,1 ^txiM î rsTiïftmunr* . vit tSrt«t
i>»THî»H.O ^vvV* ?i\.*^?v ->;' :-. ^î w*:;: .*. se.ll^: ütt AüfzassoiSf
«Vis t^^M^M^^niy^N v'^'"^ *»"• '^^ »c-.Ä^ >s"^->aii; aumi öif £a>-
Kant in neuer ultramontan- u. liberal-katholischer Beleachtung. 4?
kennbar ist, wenn er auch, wie wir noch sehen werden, not«
wendig nicht schon in reiner Gestalt hervortreten kann. Jeden-
falls wird aber von den ultramontan-konfessionellen Quertreibereien
treffend gesagt: „sie erwachsen nicht den treibenden Kräften des
Geisteslebens, sondern einseitig hierarchischen Machtgelüsten und
können nur dazu dienen, die Glaubenslosigkeit und, in den meisten
Fällen damit zusammenhängend, die Religionslosigkeit zu ver*
mehren."
Gegen die dogmatische Behandlung wird darum durchaus
treffend ausgeführt: ,. So behandelte man und behandelt noch jetzt
das Dogma als ein Primäres bei der religiösen Erziehung, als
ob das Dogma zur religiösen Psyche, nicht vielmehr umgekehrt,
die religiöse Psyche erst zum Dogma führte.*" Man sieht, wie
Gebert das vom Ultramontanismus geschmähte religiöse Erlebnis
von dessen dogmatischer Fixierung gar wohl unterscheidet. Ihm
ist klar, wieweit der Weg vom unmittelbaren religiösen Bewusst-
sein bis zu dessen Fixierung im Dogma ist. wieviel auf diesem
Wege verloren geht und wie armselig das Dogma gegenüber der
onmittelbaren Religiosität und Sittlichkeit ist. Ihm liegt darum
auch „der Schwerpunkt des Christentums nicht im Glauben als
Bekenntnis, sondern in seiner lebendigen Betätigung, in dem
Handeln aus Liebe zu Gott*" ; in dem Glauben also, der, nach dem
Apostel Paulus, mit der Liebe eines ist, der also mit der Religion
^eine untrennbare Einheit in der Persönlichkeit ist". Man er-
kennt in dieser Glaubensauffassung deutlich die Abkunft von dem,
allem Ultramontanismus so verhassten, praktischen Vernunftglauben
Kants, wenn auch dieser selbst, wie wir bald zu bemerken haben
werden, noch nicht erreicht ist. Freilich wird deutlich, dass diese Auf-
fassung des Christentums nicht nur nicht die christliche Religion in
den Gegensatz zur Kultur bringt, in den sie der Ultramontanismus
setzt, es wird im Gegenteil die Bedeutung des Christentums für
das Problem der Weltgeschichte, das durch jenes erst eigentlich
entdeckt worden, erkannt, es wird weiter erkannt, dass das echte
Christentum die Arbeit an allen Kultui werten in sich beziehen
kann, and dass sein rein innerlicher und verinnerlichter Über-
zengrungsglaube sogar — das ist ganz Kantisch — das Prinzip
aller Kaltararbeit ist, und dass „ein Christentum, das sich der
führenden Rolle im Kulturleben von selbst begiebt, das Vertrauen
in seine geistige Durchschlagskraft verloren hat, mit dem wahren
Cbristentam nur den Namen gemein" hat, dass nur eiaes Pseodo-
4^ k èauch,
Christentums Maxime sein kann: „Abschliessung und geistige
Inferiorität und kein Ende!"
Man sieht: für alle diese Ausführungen dürfte sich Gebert
auf Kant berufen und dessen Einwirkungen auf die Anschauungen
Geberts sind unverkennbar; und doch sind es die prinzipiellsten
Punkte, rücksichtlich deren wir vom Standpunkte des Kantischen
Kritizismus aus die vollendete Konsequenz vermissen. Zunächst moss
sich unsere Kritik gegen Geberts Auffassung — um an seine letzten
Bemerkungen anzuknüpfen — vom Dogma richten. Es ist zwar
schön und gut, das Dogma des Bekenntnisglaubens an die zweite
Stelle gegenüber dem persönlichen religiösen Glauben als dem eigent-
lichen Glaubensprinzip oder Gesinnungsglauben zu rücken.^) Allein
das Dogma selbst erscheint nach Geberts Ausführungen als solches
doch immerhin noch unanfgebbar, überhistorisch und absolut. Zu
einem adograatischen Christentum hat sich der Reformkatholizis-
mus Geberts also doch nicht hindurchgearbeitet. Wir verspüren
in seinen Anschauungen gewiss den Hauch eines überkonfessionellen
Triebes, und über den Konfessionalismus ultramontaner Observanz
ist er hoch erhaben. Allein ein vollkommen und bewusst fiber-
konfessionelles Christentum wäre doch erst mit der prinzipiellen
Preisgabe des Dogmas, das ja als solches gerade die Konfession
bestimmt, erreicht. Aber gerade das adogmatische Christentam
ist in letzter Linie doch das der philosophischen Begründung allein
fähige, und darum auch das Christentum im Sinne Kants. Und
so liegt denn, trotz aller Verwandtschaft und Abhängigkeit aaf
der einen Seite, dennoch auf der anderen Seite zwischen der
reformkatholischen und der kritisch*philosophischen Anscbauong
eine ganze Welt, eben die Welt des Dogmas.
Sodann aber besteht ein ebensowenig überbrückbarer, darom
auch von Gebert nicht ausgeglichener Gegensatz zwischen dem
von Gebert freilich mit grossem Nachdruck geforderten Prinzip der
Autonomie und dem anderen Prinzip, dem sich wohl auch der
Reformkatholik nicht entziehen kann, solange ihm noch daran
liegt, von den kirchlichen Mächten in irgend einer Weise wenig-
stens anerkannt zu werden, nämlich dem Prinzip der Autorität
Duldet die Autonomie in letzter Linie keine dogmatische Bekennt-
nisreligion, so duldet sie auch keine das Dogma hütende Religions-
^) Über diese Unterscheidung vgl. genauer meine Schrift: Luther
und Kant, S. 20 ff.
Kant in neuer iiltramontan- n. liberal-katholischer Beleuchtung. 49
autorität. Freilich wendet sich Gebert gegen die blosse „Heeres-
folge" der Kirche, auch gegen die ., äussere Autorität**. Solange
es aber möglich ist, dass — nicht etwa bloss ein Glossner einem
Gebert als kirchliche Autorität zu gelten hat, nein vielmehr —
dem System nach der Reformkatholizismus überhaupt eine Auto-
rität in Glaubenssachen anerkennt, solange er nicht, und das
kann er wohl nicht, um auch nur Reformkatholizismus zu bleiben,
alier Autorität klipp und klar seine Absage giebt, solange ist die
von ihm selbst geforderte Autonomie unrealisierbar. Autonomie
und Autoritätsglaube, welcher Art dieser auch sei, schliessen sich
in alle Wege aus. Es ist darum nach den Prinzipien kritischer
Reiigionsphilosophie nicht genug, das Dogma gegenüber der Reli-
gion an die zweite Stelle zu rücken und ihm doch einen starren
Gehalt zuschreiben zu wollen; ebensowenig ist es genug, der Au-
torität zwar die Alleinherrschaft zu nehmen und ihr dennoch ein,
wenn auch beschränktes, als solches aber bleibendes Herrschafts-
recht einzuräumen. Die Prinzipien der kritischen Philosophie
fordern, das Dogma lediglich als den zeitlichen Ausdruck eines
religiösen Gehaltes anzusehen, ein Ausdruck, eine Form, die wegen
der zeitlichen Bedingtheit aber niemals für alle Zeit bindende
Kraft haben kann, sondern, um Kantisch zu reden, bloss als ein
., Vehikel'* zu betrachten ist, das man, wie allen Schriftglauben,
rauss „dereinst entbehren können**, um dem Prinzip des „guten
Ijebenswandels'* als dem alleinigen sittlich-religiösen Prinzip voll-
kommen freien Raum zu geben. Und ebenso fordern die Prin-
zipien der kritischen Philosophie, um die Idee der Autonomie zur
Entfaltung gelangen zu lassen, dass das Gängelband der Autorität
auf sittlich-religiösem Gebiete nicht bloss etwas gelockert, sondern,
dass es endlich vollkommen und radikal abgeworfen werde. Das
sind die Forderungen Kants, die nie aufgegeben werden dürfen,
soll der Weg der Geschichte wirklich ein Weg approximativer
Annäherung an das Ideal, die geschichtliche Arbeit wenigstens
eine Form der Darstellung des Ewigen in der Zeit sein.
So interessant dieGebertschen reformkatholischen Ausführungen,
so achtunggebietend die edlen Bestrebungen des Autors, so herz-
erfreuend ihre Gegensätze zum Ultramontanismus auch sein mögen,
so bat das alles doch mein Urteil über den Reformkatholizismus,
das ich früher schon bei anderer (Telegenheit ^) ausgesprochen und
1) Luther o. Kant, S. 190.
50 ß. Bauch,
das sich auch mit demPfleiderers^) deckt, nicht modifizieren, sondern
nur bestätigen können. Wie Pfleiderer, so erkenne ich, wie schon
gesagt, gerne den edlen Sinn dieser Bestrebungen an, nicht minder
die lautere Absicht, im allgemeinen Kulturzusammenhange mitzu-
arbeiten und mitzuwirken. Allein sie bleiben dennoch auf halbem
Wege stehen. Freilich ist heute noch keine sichtbare religiöse
Gemeinschaft — das mag vielleicht ein Trost für den Reform-
katholizismus sein, der aber vor dem Forum der kritischen Philosophie
nicht bestehen kann, weil diese nicht Trostgründe, sondern Wert-
gründe zu suchen hat — soweit, das Autonomieprinzip und das
adogmatische Christentum rein ausgeprägt zu haben. Auch das
protestantische Kirch en tu m hat, wie das Pfleiderer sehr treffend
betont, solange das protestantische Prinzip noch nicht rein dar-
gestellt, als es sich von der Bekenntnisformel nicht frei gemacht
von dieser noch die Zugehörigkeit abhängig macht und so gar
manchen protestantisch Denkenden von sich ausschliesst. In dieser
Hinsicht gilt heute noch, was zu Kants Zeiten galt, und was Kant
mit unzweideutiger Klarheit kritisch bestimmt. Allein der grosse
Unterschied ist doch der, dass im protestantischen Prinzip die
Idee der unsichtbaren religiösen Gemeinschaft selbst eben zum
Prinzip erhoben ist. Mag heute noch das konkrete Leben der
Wirklichkeit darum vom Prinzip noch so weit entfernt sein, so ist
in dem Verhältnis von Ideal und Leben doch zuerst da etwas
für die gestaltende und richtunggebende Macht der Idee auf das
Leben zu hoffen, wo die Idee wenigstens im Bewusstsein ergriffen
ist, auch wenn die konkrete Lebensgestaltung sich ihr noch nicht
gefügt hat. Aber damit diese sich ihr füge, dazu ist die uner-
lässliche Bedingung, dass sie sich als Prinzip in der „reinen Er-
kenntnis" erst befestige.
Das ist das Urteil, zu dem die sachliche Kritik der theore-
tischen Ausführungen Geberts gelangen muss. Mag er theoretisch
fürs erste auch noch auf halbem Wege stehen geblieben sein, die
persönliche redliche und ernste Bemühung um die innere sittlich-
religiöse Freiheit ist nicht zu verkennen. Und wenn seine theoretischen
Ausführungen auch noch nicht die letzten logischen Konsequenzen
gezogen, so scheint mir das bei dem redlichen persönlichen Willen
doch nicht daran gelegen zu haben, dass ihm der Mut zu den
*) In seiner Abhandlung über den Reformkatholizismos (in der Monats-
schrift .jDeutschland**, Aprilheft 1903).
Kant in neuer ultramontan- u. liberal-katholischer Beleuchtunpr. ^1
Konsequenzen gefehlt, sondern daran, dass in dieser Schrift eben
nur ein erster Versuch vorliegt, der noch nicht zu vollkommen
theoretischer Entfaltung gelangen konnte. Mag darum Geberts
Theorie vom Standpunkte der kritischen Philosophie noch gar
manches vermissen lassen, mag sie, wie wir sagten, auf halbem
Wege stehen geblieben sein, so lässt doch praktisch seine lautere
persönliche Gesinnung gerade von ebendem Standpunkte der kritischen
Philosophie, der die Gesinnung wohl zu würdigen weiss, doch der
Erwartung Raum, dass sein theoretischer Standpunkt noch kein
definitiver ist, dass er seinen Weg weitergehen und zu einem Ziele
gelangen, dass er in der kritischen Philosophie nicht bloss einen
Bundesgenossen gegen den verderblichsten Feind aller Geisteskultur,
gegen den Ultramontanismus, sondern die Methode finden wird zur
Erarbeitung eines durchaus eigenen geistigen Lebensinht^ltes nach
dem Prinzip der sittlichen Freiheit.
Nachtrag.
Die vorstehende Abhandlung war bereit« im Druck vollendet, als
ich auf einige Publikationen aufmerksam wurde, die den gleichen Ge-
dankenkreisen angehören und darum klar und deutlich zeigen, dass wir
es in den besprochenen Erscheinungen nicht mit etwas Vereinzeltem,
sondern mit etwas Typischem zu tun haben. Dass dieses auch als solches
wieder nicht auf unser deutsches Vaterland beschränkt bleibt, beweist eine
gleich in zwei Zeitschriften, in der Revue Thomiste und in der Revue de
Philosophie, geführte Kant- Kontroverse zwischen zwei katholischen Theo-
logen, einem Abbé Farges und dem den Lesern der Kant-Studien ja nicht
anbekannten C. Sentroul. Herr Farges deutet in echt ultramontaner Art
wieder Kants Lehre zum „Subjektivismus" aus und liefert eine höchst
anglückliche „Refutation". Seine Art, Kant zu „refutieren" bewegt sich,
dem wissenschaftlichen Ethos nach, zwar in etwas vornehmeren Bahnen,
als diejenige Herrn Glossners. Ein gleiches Niveau wäre ja auch dem
radikalsten Ultramontanen schwer, ein tieferes aber unmöglich. Das Ziel
dieser Bahnen ist indes dasselbe, wie das Herrn Glossners. Wie dieser,
so ist auch Herr Farges ultramontan. Nur die Art des Gedankenausdrucks
ist durch die französische Förmlichkeit um einige Grade gemässigt. Herr
Sentroal wiederum ist in seiner Liberalität ganz erheblich zurückhaltender,
als Gebert, der schon als antiultramontaner Deutscher dem Begründer des
Autonomieprinzips durch theoretische und praktische Sympathien inniger
verbanden sein musste, als der belgische Neu-Scholastiker, der im Herzen
ja ein guter Aristoteliker geblieben ist. Immerhin knüpft sich ja an
Sentroals Namen die Tatsache, dass er uns unter den erfolgreichen
Bewerbern um den Kant-Preis begegnet ist, ein Ereignis, das immer-
liin bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dabs Herr Sentroul katho-
lischer Theolog und Priester ist. Freilich spricht das noch nicht, wie ans
4*
52 B. Bauch,
der Kritik der Preisrichter selber hervorgeht, für ein besonders inniges
Verhältnis zu Kant, doch aber dafür, dass Herr Sentroul sich wenigstens
um ein Verständnis für die Lehre des grössten Denkers der Neuzeit trotz
seiner persönlichen -aristotelisch - scholastischen Neigungen und Über-
zeugungen bemüht hat. Belustigend aber wirkt es, dass Herr Sentroul
seine erfolgreiche Preisbewerbung vom strikten Thomisten sich nun auch
noch vorrücken lassen muss. Er vdrd an seinem Preise wohl überhaupt
nicht leicht zu tragen haben. In der Meinung der strengen Orthodoxie
seiner Kirche drückt dieser Preis dem neu-scholastischen Priester wohl
gar einen Makel auf, und wer mit der kritischen Philosophie eine etwas
innigere Fühlung hat, als der Neu-Scholastiker, der wird vielleicht be-
dauern, dass nur einem Herrn Farges Sentrouls Verhältnis zu Kant als ein
zu inniges erscheint, während in Wahrheit doch der Geist der kritischen
Philosophie in Sentrouls Denkweise kaum besonders Macht und Nachdruck
gewonnen hat und hinter dem Scholastizismus weit zurücksteht. Herrn
Farges gegenüber bemüht sich Sentroul freilich in einer an und für sich
ganz erfreulichen Weise um eine Aufklärung über den vermeintlichen
.Subjektivismus** Kants ; aber doch mit um so grösserer Vorsicht und
Reserve, als er selbst über die subjektivistische Deutung nicht erhebUch
hinausgelangt ist. Und dennoch fürchten wir, dass alle Mühe um eine
selbst sehr zurückhaltende Aufklärung dem ultramontanen Abbé gegen-
über vergeblich aufgewandt sei. Leider ist auch im Ganzen trotz mancher
Differenz im Einzelnen der Gegensatz zwischen Sentroul und Farges viel
weniger scharf, als der zwischen Gebert und Glossner. Innerhalb der
katholischen Gläubigkeit finden die Extreme der Stellungnahme zu Kant,
wie sie bei Gebert und Glossner vorliegen, in dem Streite von Sentroul
und Farges eine gewisse, nicht gerade erfreuliche Berührung, sodass die
Bedeutung dieser ausländischen Kontroverse eigentlich zu einem blossen
katholisch-intratheologischen Schulstreite herabsinkt.
Von mehr philosophischem, wenn auch leider ebenfalls mehr be-
dauerlichem Interesse ist wieder eine Invektive gegen Kant, die von
einem Ultramontanen deutscher Zunge ausgeht, und die in dem dritten
Bande der zweiten Auflage von Willraanns Geschichte des Idealismus
vorliegt.!) Fritz Medicus hat in den Kant-Studien^) in der Abhandlung
„Zwei Thomisten contra Kant", so eingehend und treffend über die erste
Auflage dieses Buches berichtet, dass uns über die, wenigstens der aUgemeinen
Tendenz nach, nicht erheblich veränderte zweite Auflage nicht viel zu sagen
bleibt. Was das Buch in der ersten Auflage war, ist es im ganzen auch in
der zweiten geblieben: „ein", wie Medicus sagte, „bedrohliches Zeichen
der depravierenden Macht des Ultramontanismus". Die zweite Auflage
bezeichnet sich zwar als „verbesserte". Aber die „Verbesserung" steht
bloss auf dem Titel. Auf den Inhalt des Buches hat sie sich so wenig
erstreckt, dass nicht einmal die der ersten Auflage bereits von Medicus
nachgewiesenen Quartanerschnitzer auf dem Gebiete der Elementargeome-
1) Geschichte des Idealismus von Dr. Otto Willmann, K. K. Hofrat,
Universitätsprofessor i. R. 2. Aufl. III. Bd. Braunschweig. Druck und
Verlag von Friedrich Vie weg & Sohn. 1907.
«) Kant-Studien UI, S. 326 ff.
Kant in neuer ultramontau- u. liberal-katholischer Beleuchtung. 53
trie — alles Mathematische scheint für Willmann überhaupt eine ebenso
crosse crux zu sein wie alles Philosophische — ausgemerzt sind, mit denen
gegen Kant so lustig operiert wird. £s ist in der Tendenz des ganzen
Buches so sehr alles beim Alten geblieben, dass wir es hier nicht mehr
mit einer neuen ultramontanen Beleuchtung der Kantischen Lehre zu tun
haben, sondern nur mit einer neuen Projektion des alten ultramontanen
Bildes, das Willmann bereits vor Jahren entworfen hatte. Aber ganz
achtlos dürfen wir vielleicht doch auch diesmal nicht an der immerhin
charakteristischen Erscheinung vorbeigehen.
Herr Willmann redet über Kant ja nicht, wie Herr Glossner, d. h.
wie der Blinde über die Farben. Er hat ihn wenigstens gelesen. Aber er
spricht über Kant auch nicht, wie der Physiker und der Physiologe über
die Farben, sondern wie das Kind, das von der physikalischen und physio-
logischen Optik keine Ahnung hat, das also von den Farben, von denen es
spricht, nichts versteht. So versteht Willmann auch nichts von Kant.
Die Kindlichkeit beschränkt sich freilich nur auf dieses Nicht- Verstehen.
Denn die Mittelchen, mit denen die ultramontanen Leser — dass sie auf
urteilsfähige Leser wirken könnten, wird Herr Willmann selber nicht
glauben — gegen Kant bearbeitet werden sollen, wird man wenigstens
praktisch nicht gerade als kindlich bezeichnen können, wenn sie auch
darauf abzielen, den Ultramontanen das Gruseln vor Kant zu lehren:
^Hochmut**, ,, Verstiegenheit", „Verblendung", „Verschrobenheit", „Pietät-
lodgkeit", „Hoffart", „Unbotroässigkeit", „Überhebung", „Selbstherrlichkeit",
„der orgiastische Aufruf zur Selbstanbetung", „Zynismus", , Aftermoral",
— das aUes sind Prädikate, die Kant besudeln sollen. Weil aber damit der
nltramontanen Absicht wohl immer noch nicht genug gedient ist, und damit
die gläubige Lesergemeinde Willmanns nun auch wirklich und ausgerechnet
drei Kreuze vor dem Ungeheuer schlage, so muss Kant, dem wohl gegen ein
Dutzend Mal „Sophistik" vorgeworfen wird, erstens als „völlig irreligiös",
zweitens als „Atheist", drittens als „moralisierender Anarchist" gebrandmarkt
werden. Kann man von einem solchen n^^^^R irreligiösen" „Atheisten"
und „moralisierenden Anarchisten" auch nur ein Minimum von „Ehrlich-
keit*" erwarten? Ja, mit Kants „Ehrlichkeit" treibt Herr Willmann ein
seltsames Spiel. An die bekannte Kantische Erörterung über das Gebet
hatt« Willmann in der ersten Auflage die Bemerkung geknüpft : „Die ganze
Hoffart, Verlogenheit und Heuchelei der Aufklärer spricht aus diesen
Worten, die zugleich ein grelles Schlaglicht auf die Ursachen der sozialen
Dekomposition des protestantischen Deutschlands werfen". Trotzdem aber
will Herr Willmann Kants Ehrlichkeit 'nicht „in Frage" gezogen haben.
Das sei ein „Missverständnis" der „Kritiker" gewesen. Nichtsdestoweniger
heisst es aber doch in der zweiten Auflage wieder im Anschluss an jene
Kantische Stelle über das Gebet: „Den Aufklärern hat man oft Hoffart,
Verlogenheit und Heuchelei schuldgegeben. Ist das angesichts solcher
.Äusserungen zu verwundem? Äusserungen, die zugleich ein grelles
.Schlaglicht auf die Ursachen der sozialen Dekomposition des protestan-
tischen Deutschlands werfen." Ja, ja, die Kritiker haben Herrn Will-
mann schon so verstanden, wie ihn freilich nur die Ultramontanen
verstehen sollten. Nur reicht das Gedächtnis der Kritiker etwas weiter,
64 B. Bauch,
als das der ultramontanen Leser, die vielleicht vergessen haben mögen,
was ihr Orakel 90 Seiten vorher verkündet; was der Kritiker aber fest-
nagelt. Und wenn Herr Willmann Kant gegenüber von .geistiger Falsch-
münzerei — wenngleich ohne dolus" — redet, nun so wird der Kritiker
freilich zugeben, dass der Begriff der Ehrlichkeit, wie ihn Herr Willmann
fasst, aUerdings leicht zu einem „Missverständnis^ führen kann, ja dass er
diese Auffassung von Ehrlichkeit wohl überhaupt nicht recht zu verstehen
im Stande ist. Blosse „Veränderungen des Ausdruckes" und eine blosse
„Erklärung" genügen nicht, damit einem solchen „Missverständnis" „abge-
holfen" werde, sofern der Kritiker selbst auf dem Standpunkte der auto-
nomen Ethik steht; und es liegt wohl in letzter Linie an diesem Stand-
punkte, dass er jene Auffassung von Ehrlichkeit „missverstehen" muss.^)
Soll er aber Kant gegen solche Vorwürfe in Schutz nehmen? Nein, ge-
wiss nicht. In diesem Punkte hat bereits Paulsen in seiner vornehmen
und gerechten Kritik der ersten Auflage dieses Buches so sehr das Rechte
getroffen und in aller Kürze treffend zum Ausdruck gebracht, dass wir
auf die Anschuldigungen, die Willmann gegen Kant erhebt, Paulsens Ant-
wort ohne Einschränkung zu der unsrigen machen können: „Ich meine,
nicht die Ehre Kants ist es, die hierbei leidet, sondern die Ehre dessen,
der sich so an ihm vergeht."*)
Genau so verzerrt und entstellt, wie das Bild der Persönlichkeit
unseres grösst^n Denkers, ist auch seine Lehre. Soviel Sätze der Autor
in diesem Buche über die Kantische Philosophie niedergeschrieben hat,
soviel Unsinn ist auch darin zusammengetragen. Und die persönlichen
Verdächtigungen, die dem ahnungslosen Leser stetig versetzt werden,
mögen recht geeignet sein, dabei mitzuhelfen, dass auch das Bild der
Lehre in dem Lichte erscheine, in dem es eben nach dem Wunsche ultra-
montaner Zurechtmachung gesehen werden soll.
Wie freundlich Herr Willmann zu ihr steht, und welches Schicksal
er ihr wünscht, das hat er uns an einer Stelle seines Buches unbedacht
verraten. Er meint einmal, wenn Kant sich zu der scholastischen Auf-
fassung vom Begriff des Noumenons bekehrt hätte, dann würde er „die
Vemunftkritik ins Feuer geworfen" haben. Nun diese scholastische Auf-
fassung ist, wie jeder weiss, der Kant verstanden hat, Unsinn. Aber sie
ist auch Herrn Willmanns Auffassung. Kants Bekehrung indes ist unter-
blieben. Der Ketzerrichterwunsch, „die Vemunftkritik ins Feuer geworfen"
zu sehen, illustriert aber immerhin einigermassen die „geistigen" Waffen
des Ultramontanismus; und aus der Geschichte ist ihm ja deren erfolg-
reicher Gebrauch wohl bekannt, aus Zeiten, wo das Feuer ein machtvolle«
1) Logisch kann man darum aber diesem Begriffe sehr wohl beikommen.
Das zeigt am besten die Art, auf die Schuppe in den Anwendungen seiner
grossen erkenntnistheoretischen Logik das tut. Es ist an und für sich schon
interessant, zu bemerken, für welche logischen Fragen die ultramontane
Logik das Anwendungsmaterial hier geliefert hat. Gradezu glänzend aber
ist die Prüfung, die liier die Prinzipien der ultramontanen Logik an den
Kriterien wirklicher Logik finden.
^ Philosophia militans S. 17 (vgl. dort die Abhandlung: „Das jüngste
Keteergericht über die moderne Philosophie').
Kant in neuer ultramontau- u. hberal-katholischer Beleuchtung. ô5
'.Arf^ment^' in Sachen wissenschaftlicher, wie religiöser Überzeugung
war. Ich erwähne das nicht wiUkttrlich, sondern nur um die Geistesart
dieses Kampfes auch gegen die Lehre, nicht bloss gegen die Persönlichkeit
Kants zu beleuchten. Nur von der mittelalterlichen Anschauungsweise
her ist dieser Kampf gegen die moderne Philosophie, gegen die philo-
sophische Seite des „Modemismus" zu verstehen. Mit mittelalterlichen
Mitteln wird auf der einen Seite die Kantische Lehre verzerrt, und mit
mittelalterlichen Mitteln wird sie auf der anderen Seite bekämpft. Ptlr
die ganze mittelalterliche Verzerrung des Geschichtlichen ist schon die
ganze Tendenz charakteristisch, mit der der Kritizismus auf einen begriff-
lichen Ausdruck gebracht werden soll. „Die Subjektivierung des Idealen
durch Kants Autonomismus** — das ist der Titel, der Kants Lehre auf-
geheftet wird. Die Autonomie wird als der Nerv der Kantischen Lehre
erkannt. Weil aber die Autonomie in ihrem Wesen völlig verkannt wird,
darum muss mit Notwendigkeit auch die ganze Kantische Lehre als „Sub-
jektivierung des Idealen" verkannt werden; in ihrem praktischen, wie in
ihrem theoretischen Teile.
Der durch die persönliche Verunglimpfung zu Tage tretenden fana-
tischen Absicht entsprechend, scheint WiUmann in seiner aller logischen
Anordnung entbehrenden Darstellung den persönlichen Nachdruck auf den
praktischen Teil zu legen. Da er nur klerikal-scholastisch zu denken im
Stande ist, von der wahren Objektivität des Idealen also keine Ahnung
haben kann, so muss ihm natürlich wieder auf echt ultramontane Art die
Autonomie zur Willkür werden. Sie wird ihm gleichbedeutend mit
„schrankenloser Willkür", mit der Tendenz des „Übermenschen". Was
Wunder, wenn es bei ihm heisst: „Der Autonomismus ist seiner Natur
nach Egoismus". Also nicht einmal die ersten Sätze der Kritik der prak-
tischen Vernunft, die zum Einfachsten gehören, was Kant je geschrieben
hat, hat Herr Willmann verstanden. Für die kritische Objektivität fehlt
ihm jeder Sinn, weil klerikale, autoritative, scholastische Schein-Objektivi-
tät sein Denken gefangen genommen hat. Hören wir ihn selber: „Von
einem Halt kann ja der Autonomismus nichts wissen — denn woran ich
mich halte, das muss ausser mir sein, also meinen Willen heteronomisch
bestimmen." Mit diesem sensualistischen, der Sprache entnommenen „Ar-
gument" glaubt der kirchenmoralistische Thomist wirklich eine Objektivi-
tät erhärten zu können; die ideal-kritische ist das wahrlich nicht, und
darum ist es überhaupt keine. Es ist ein kläglicher Schein von Objektivität,
den als solchen nur der klerikale Dogmatist nicht zu durchschauen vermag.
Wie horrend nun auf theoretischem Gebiete das Verkennen der
kritischen Objektivität ist, das beweist am besten vielleicht der Umstand,
dass Herr Willmann gerade im Anschluss au eine Stelle, in der Kant mit
einer jedem Denkfähigen einleuchtenden Klarheit imd Einfachheit allen
Subjektivismus und Ulusionismus abweist, seinen gläubigen Lesern nun
das Märchen auch vom theoretischen Subjektivismus auftischt Er kann
aber das Ideale immer nur verkörperlicht fassen, wie seine klerikal-scho-
laatischen Vorgänger, die den tiefen Sinn der platonischen Lehre durch
die Verkörperlichungssucht zu ertöten versucht hatten. Ein Versuch, der
wohl auch mit der Zeit noch gelungen wäre, wenn die Geschichte nicht
56 B Bauch.
gerade an Kant gelernt hätte, Piaton die, durch die mittelalterliche
Kirche solange vereitelte und durch ihren nachwirkenden Einfluss noch
in die Neuzeit hinein hintangehaltene, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Der Aristoteliker unserer Tage kann Platon noch weniger verstehen, als
der Aristoteliker des Mittelalters. Am wenigsten aber kann er Kant ver-
stehen. Ihm müssen natürlich Kants Kategorien zum blossen „Plunder"
werden, und sie, wie die Anschauungsformen, zu einer Art subjektiver
Funktion, durch die wir den Dingen „unseren Stempel aufprägen".
Diesen thomistischen Deutungsmitteln entsprechen auch die Wider-
legungsmittel. Soweit überhaupt von Argumenten die Rede ist, und sich
die „Widerlegung** nicht mit den erwähnten persönlichen Prädikaten be-
gnügt, sind jene abgestandene scholastische Mittelchen Die stillschwei-
gende Voraussetzung ist immer — oft auch die ausgesprochene — : Der
heilige Thomas hat Recht. Damit ist von vornherein die Wahrheit als
fertiger Besitz der Kirchenlehre verbürgt. Nun befindet sich Kant im
Widerspruch mit der Kirchenlehre und dem heiligen Thomas. Das zu
zeigen ist leicht, und ebenso leicht ist der Schluss: Also hat Kant Un-
recht. Das ergiebt sich ebenso leicht, wie der Nachweis von Kants
„Hochmutes wenn man einmal erst voraussetzt, dass autonomes Denken
Hochmut ist. Denn Kant ist autonom im Denken. Darum ist er hoch-
mütig. Also schliesst Herr Willmann. Wir würden freilich von anderen
Prämissen ausgehen und etwa sagen: Wer auf autonomes Denken ver-
zichtet, der hat in der Wissenschaft überhaupt nicht mitzureden. Das
Subjekt des Untersatzes mag vertreten, wer es auch sei, und wäre es
auch traurigerweise ein Professor der Philosophie. Also — so würden
wir schliessen, Herr Willmann.
Herr Hof rat Willmann spricht einmal mit Entrüstung von „Büblein**,
die „mit Steinen" nach den ewigen Ideen geworfen, natürlich unbe-
schadet der Bedeutung und Geltung der Ideen. Dass er dabei wieder auf
Kant abzielt, versteht sich. Aber er weiss nicht, was er tut. Darin frei-
lich hat er vollkommen Recht, dass die ewigen Ideen durch Bubenstücke
keinen Schaden leiden. Und so Recht hier Herr Willmann hat, ebenso
wahr wird auch der Erkenntnis- und Sittlichkeitsgehalt des Kantischen
Werkes bleiben und seine Wirkung tun, ob auch der Ultramontanismus
sich mit tausend und abertausend Bubenstücken an ihm versündige. Alle
ultramontane Verdunkelung kann durch Kontrastwirkung das Licht der
Vernunftkritik nur um so heller erstrahlen und darum auch mit zur
Wirkung gelangen lassen, so wahr in der Geschichte der Menschheit ein
ewiger Sinn lebendig und wirksam ist. So wird sich die Autonomie des
Denkens und Wollens — mag sie vielleicht auch wie der Protestantismus
selbst, aus dem sie hervorgewachsen ist, in Rom als „Pest" bezeichnet
werden -— nie wieder aus dem Bewusstsein der Menschheit verdrängen
lassen, und ,wenn die Welt gleich voller Päpste war'.
W. V. Humboldt und Kant.'
Von Dr. Eduard Spranger.
Abflrekörst citierte Schriften.
Wilhelm v. Humboldt, Gesammelte Werke (Herausgeber Carl Braiideb)
7 Bände, Berlin 1841 ff. (Bd.l Briefe an Forster, Bd. V an Wolf.)
Wilhelm v. Humboldt, Werke, herausgeg. von Albert Leitzmann. (= Ge-
sammelte Schriften, herausgeg. von der Kgl. preuss. Akademie der
Wissenschaften. Abteilung I.)
Wilhelm v. Humboldt, Briefe an Nicolovius, herausgeg. von R. Hayni.
Berlin 1894. (Anhang: Briefe an Beer.)
Aas dem Nachlass Varnhagens v. Ense Briefe von Chamisso, Gneisenau,
Haugwitz, W. v. Humboldt etc. Berlin 1867. (Bd. 1 Briefe an Hen-
riette Herz.)
Wilhelm und Caroline v. Humboldt in ihren Briefen. Herausgeg. von
Anna v. Sydow. Berlin .1906. Bd. I Briefe aus der Brautzeit
1787-1791.
Wilhelm v. Humboldt, Briefe an F. H. Jacob i. Herausgeg. von Leitz-
mann, Halle 1892.
Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm v. Humboldt, herausgeg. von
Leitzmann, 3. Ausgabe, Stuttgart 1900.
Wilhelm v. Humboldt, Ansichten über .Ästhetik und Litteratur. (Seine
Briefe an Ch. G. Körner.) Herausgeg. von Jonas. Berlin 1880.
Neue Mitteilungen aus J. W. v. Goethes handschriftlichem Nachlas.»^t'.
III. Teil. Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern v. HumboKlt
(1796-1832), Leipzig 1876 (= an Goethe).
Rudolf Haym, Wilhelm v. Humboldt, Lebensbild und Charakteristik.
Berün 1866.
Kant« K. d. U. nach den Seiten der ersten Originalauflage.
Wilhelm v. Humboldt ist häufig ein Kantianer genannt
worden Schon G. Schlesier*-^) hat das dahin berichtigt, dass er
zwar von Kant ausgegangen, scliiiessiicii aber ebenso wie 8chiller
*) Aus einem in der Vollendung befindlichen grösseren Werk :
.,W. V. Humboldt und die Humanitätsidee" sind die auf Kant be-
zfigiichen Untersuchungen zu dieser Monographie zusammengefasst worden.
Sie sind dem 1. Kapitel des 2. Abschnitts, dem 1. Kapitel des .'). und
dem 1. Kapitel des 4. Abschnitts teils umgearbeitet, teils wörtlich ent-
nommen.
«) Erinnerungen an W. v. Humboldt, 2 Teile. Stuttgart 1843 '6.
I. S. 67-69. 176 ff. 288 f.
58 K. Spranger,
Über ihn hinausgegangen sei. R. Hayni hat dann von „platoni-
siertem Kantianismus" und H. Steinthal gar von „kantisiertem
Spinozismus" gesprochen. Solange keine Einigkeit darüber erzielt
ist, was wir als den eigentlichen Kern von Kants Lehre anzu-
sehen haben, ist die Stellungnahme zu der Frage, ob jemand
Kantianer gewesen sei, wesentlich erschwert. Wenn z. B. Schlesier
Kants Leistung in der Vereinigung und Ausgleichung des Ver-
nünftigen mit dem Sinnlichen erblickt und daneben recht unbe-
stimmt nur noch das skeptische Moment des transscendentaleu
Standpunktes geltend macht, so wird eine Zeit, die seine Haupt-
bedeutung etwa in die Kritik der Erfahrung oder die Lehre vom
„Bewusstsein überhaupt" verlegt, zu erheblich anderen Resultaten
kommen müssen, wo es sich um die Frage echten Kanttums
handelt. Nur eine von philologischen Grundlagen ausgehende
Einzeluntersuchung wird daher über die Beziehungen Humboldts
zur Kantischen Philosophie Licht verbreiten können. Nun besitzen
wir allerdings eine ausführliche Auslassung Humboldts über Kant
aus dem Jahre 1830, die als sein reifstes, abgeschlossenstes Urteil
über die kritische Philosophie gelten kann: Es ist die berühmte
Stelle, in der er Kants Bedeutung für Schiller und den Gang
seiner Geistesentwickelung ausführt, und die schon Rosenkranz
„eine der schönsten Charakteristiken des Weisen" genannt hat.^)
Wir geben die Zusammenfassung, in der sie gipfelt, hier wörtlich
wieder: „Wieviel oder wenig sich von der Kantischen Philosophie
bis heute erhalten hat, und künftig erhalten wird, masse ich mir
nicht an zu entscheiden; allein dreierlei bleibt, wenn man den
Ruhm, den er seiner Nation, den Nutzen, den er dem spekulativen
Denken verliehen hat, bestimmen will, unverkennbar gewiss.
Einiges, was er zertrümmert hat, wird sich nie wieder erheben;
einiges, was er begi'ündet hat, wird nie wieder untergehen; und
was das Wichtigste ist, so hat er eine Reform gestiftet, wie die
gesamte Geschichte der Philosophie keine ähnliche aufweist, und
für alle Zeiten hin die möglichen Richtungen der Spekulation
überschlagen und gewürdigt. In seinem Zeitalter wurde die, bei
dem Erscheinen seiner Kritik der reinen Vernunft, unter uns kaum
noch schwache Kunde von sich gebende spekulative Philosophie
von ihm zu einer Regsamkeit geweckt, die den deutschen Geist
hoffentlich noch lange beleben wird." Aber diese ITormulierung
') Leitzmann, S. 21 ff.
W. V. Humboldt und Kant. 59
g^ebt schon ihrer Unbestimmtheit wegen wenig Aufschluss. Mag
auch manches Dunkle an ihr durch die nähere Ausführung geklärt
werden, mag auch als eigentliches Verdienst Kants hervortreten,
dass er die Philosophie in den Tiefen der menschlichen Brust iso-
lierte, dass er nicht Philosophie, sondern philosophieren lehrte und
sich dabei den Sinn für die im dialektischen Denken nicht zu
fassende Wahrheit erhielt, — so befremdet uns doch die gerade
Linie, die hier zwischen dem kritischen und dem spekulativen
Denken gezogen wird. Ist dies dieselbe spekulative Philosophie,
über die ihm sein Freund Schiller schon 1805 nach Rom schrieb:
„Die spekulative Philosophie, wenn sie mich je gehabt hat, hat
mich durch ihre hohlen Formeln verscheucht, ich habe auf diesem
kahlen Oefild keine lebendige Quelle und keine Nahrung für mich
gefunden?"^) Sollte Humboldt, der soviel tiefer in Kant ein-
gedrungen war, so gänzlich andere Folgerungen aus ihm gezogen
haben?
Es waren seltsame philosophische Wandlungen, die beide
Freunde miteinander durchgemacht hatten. Ausgehend von den
Kategorien der Transscendentalphilosophie, hatten sie in den Jahren
ihrer innigsten Arbeits- und Geistesgemeinschaft die ästhetischen
Begriffe einer immer subtileren Analyse unterzogen. Die Bestim-
mung des Menschen zur Kunst, die geistige und kulturelle Funk-
tion des Ästhetischen war ihnen zum Lebensproblem geworden;
denn in der Kunst allein war noch die Darstellbarkeit des Idealen
zu suchen, nachdem die kritische Einsicht emporgedämmert war,
dass die Vernunftidee selbst einer konkreten Darstellung nicht
fähig wäre. Ihr Ziel war nunmehr eine transscendentalpsycho-
logische Konstruktion der Kunst. Aber dies Zurückgehen bis ins
einzelnste der Analyse und Abstraktion konnte doch nur eine vor-
übergehende Epoche bedeuten. Schon als Humboldt im Frühjahr
1797 Jena verliess, hatte Schiller das Gefühl, dass dies Verhält-
nis beschlossen wäre und so nicht wieder kommen könnte. Und
als ihm dann 1798 der Freund das ausgereifte Schlusswerk dieser
gemeinschaftlichen Periode, seine ästhetische Analyse von „Her-
mann und Dorothea" übersandte, fand er sich in die alten Wege
nicht mehr zurück. Eine Zeit stärkster poetischer Produktion war
für ihn angebrochen: er gestaltete nun die ästhetischen Ideen,
statt sie zu analysieren. Denn die Ideen waren es doch, die er
1) Leitsmann, S. 321.
60 E. Sprangrer,
aus (1er Kantischen Periode in die neue mit hinübeniahin, und so
durfte er an jener, gegen alle bloss spekulative Philosophie ge-
richteten Stelle fortfahren: ^Aber die tiefen Grundideen der Ideal-
philosophie bleiben ein ewiger Schatz, und schon allein um ihrent-
willen muss man sich glücklich preisen, in dieser Zeit gelebt zn
haben.**
Man möchte eine ähnliche Entwickelung bei Humboldt ver-
muteu. und doch nahm sie eine charakteristisch abweichende
Wendung, auf deren Verständnis wir ausgehen. Auch für iho
kam die Zeit, wo die rein philosophische Musse ihn nicht mehr
befriedigte. Er strebte zu einem tätigeren Leben zurück, wie es
in Rom für ihn begann, und auch er nahm in die neue Lebens-
lage dasselbe mit, was für Schiller unverrückbar bestehen ge-
blieben war: die Ideen. „Der Massstab der Dinge in mir bleibt
fest und unerschüttert; das Höchste in der Welt bleiben und sind
die Ideen. Diesen habe ich ehemals gelebt, diesen werde ich
jetzt und ewig getreu bleiben, und hätte ich einen Wirkungskreis,
wie der, der jetzt eigentlich Europa beherrscht, so würde ich ihn
doch immer nur als etwas jenem Höheren Unteigeordnetes ansehen." *)
Aber dieser Glaube musste für ihn doch dnen anderen Sinn an-
nehmen als für Schiller. Ihm war die poetische Prodoktion ver-
schlossen. Sein tätiges Wesen richtete ach allein auf Selbs^
bildung, und daneben auf politische Wirksamkeit. Das Künstlerische,
mit dem er es zu tun hatte, lag in dem Kunstwerk, wie es der
lndividnalcharakt<^r, wie es jede Nation, ja wie es das Wunde^
werk der Sprache darstellt. Für ihn daher wurden die Ideen zn
metaphj'^îiisohen Weltmächten, die sich im Leben der Völker aus-
wirken, die in den hochentfalteten Individualitäten zn Tage treten,
also nicht Erzeugnisse der dichterischen Einbildungskraft, sondern
in das Walten der Natur selbst verflochtene ReaUtiten. Von
solchen Gt^lankensünexn — denn Wachsen von k^mhaften An-
fängen zur vollen Entfaltung vnr hier nicht weiter zu verfolgen
haben, kam er der spekulativen Philosophie in ihrer damaligen
(^^*stalt. dor Identitüisphilosophie, immer näher, so w^iig er je-
mals mit soiTîî-m oicenon Denken in ihren Formeln aafging. Schon
in Paris hatto ihn Fichte anirezoxren. trotz manches Scherawortes,
iias vT mh Goethe bneflioh iàl»er ihn wechselte. Und Schiller
weiss car auf Grund eines aus Roth erhaltenen Briefes an Goethe
1^ IjeiteroÄDTi. S. .sie tlSiJS .
W. V. Humboldt und Kant. t)t
ZU berichteu: „Es ist ordentlich Krankheit, wie er mitten in Rom
nach dem Übersinnlichen und Unsinnlichen schmachtet, so dass
Schellings Schriften jetzt seine heftigste Sehnsucht sind; er wird
ihn nun bald selbst zu sehen bekommen, und dann wahrscheinlich
im Vatikan die Gespräche beim Jenaischen Fuchsturm erneuern''
(24. V. 1803). Ähnliche äussere Zeugnisse seines Interesses für
Fichte und Schelling besitzen wir in Fülle; sicher war er von
ihrem Geiste nicht unberührt, und wenn er gegen Hegels System
eine bekannte Antipathie besass, so stand er der Gesamtrichtung
doch nahe genug, um als Mitglied der „Jahrbücher für wissen-
schaftliche Kritik** figurieren zu können.^) Dass R. Haym^) diese
Wendung — zwar nicht ganz übersehen, - aber doch erheblich
unterschätzt hat, ist verständlich, weil er derartiges nicht sehen
wollte, und weil erst jetzt die Schriften der römischen Jahre be-
kannt geworden sind, in denen der identitätsphilosophisch-speku-
lative Standpunkt mit noch grösserer Deutlichkeit zu Tage tritt,
als in den sprachphilosophischen Werken. Und zu ihnen gesellen
sich die Aufsätze von 1814, in denen die Rechte dieser speku-
lativen Metaphysik mit solcher Energie verfochten werden, dass
sie ihm sogar als zur Gesundheit des Geistes gehörig erscheint.^)
Von dem so gewonnenen Standpunkte aus niusste ihm die
Zeit, in der er mit Schiller die ästhetischen Kategorien psycholo-
gisch konstruierte, als überwunden erscheinen. Beide verhehlten sich
M Gentz' Schriften, herausg. von Schlesier, Bd. V, S. 298 f. — Leitz-
mann, S. 68 verhält er sich noch ablehnend zu Fichte; doch nimmt ihn
dieser bereit« als seinen „Jünger^ in Anspruch; auch hat H. an eine Re-
zension seiner Vorlesungen über die „Bestimmung des Gelehrten** gedacht.
Wenn die an Fichte erinnernden Wendungen in dem Aufsatz „Theorie der
Bildung des Menschen" W. W. I, 283 tatsächlich durch diesen beeinflusst
sein sollten, so müsste dieses Bruchstück später, als Leitzmann es aus
guten Gründen getan hat, datiert werden. — Über sein Fichtestudium in
Paris vgl. den Brief an Jacobi S. 67, an Goethe S. 64*, 153* 172*. Am
23. VIII. 1804 (S. 216) redet er mit Goethe scherzhaft im Fichte.schen Stil.
Xach S. 236 besucht er im Winter 1810 Fichtes Vorlesungen in Berlin.
— Die erste Schellinglektüre liegt zwischen dem R. Vîl. 1803 und
dem 28. VIII. 1804. Vgl. Lettres à Schweighaeuser, p. 67. An Goethe
217. Leitzmann 326. Aus den Schriften vgl. besonders: W. W. III,
139 f., 176 f., 191, 198 f., 203 ff., 207 ff.. 289 f., 297*, 343* (Fichte und
Schelling), 346, 848 f., 867, 366.
») Haym, S. 111 ff. und 612 ff. — O. Kittel, W. v. Humboldt« ge-
sehichtliche Weltanschauung im Lichte des klassischen Subjektivismus etc.
Leipgig 1901, hat die bezeichnete historische Wandlung völlig ignoriert.
9) W. W. m, 348 f.
62 E. Sprangei*,
ihre Wandlung nicht. Und bei dem Urteil aus Rom von 1803,
das er seine „Palinodie" nannte, ist er in der Folge im wesent-
lichen stehen geblieben. Denn als er seinen Briefwechsel mit
Schiller zum Zweck der Herausgabe sichtete, schrieb er darüber
unter dem ersten Eindruck an Körner am 12. Februar 1830: „Die
Briefe sind alle aus einer Zeit, in welcher Schiller in einen philo-
sophischen Weg geraten war, der zwar in sich einen sicheren
und vortrefflichen Grund hatte, allein übrigens doch hätte andere
geführt werden sollen. Ich bin ihm leider in diesem Wege
zu sehr gefolgt, und habe dazu beigetragen, ihn darin zu be-
stärken. ^*i)
Jener ,. sichere und vortreffliche Grund" nun war unzweifel-
haft die Kantische Philosophie. Und wie der Ausgangspunkt von
dem ungünstigen Urteil verschont blieb, so war doch auch der
Gewinn und Abschluss der Periode bei beiden mehr als negativ:
Sie fanden sich zusammen in der Schätzung der Ideen, aus der
bei dem einen die idealistische Tragödie, bei dem andern die
historische Ideenlehre mit all ihren Verzweigungen erwuchs.
Sollte also wirklich die ganze Zwischenzeit, deren Bewegung bei
beiden Denkern so deutlich auf einen energischen Abschluss hin-
ausführte, ein Irrweg gewesen sein? Dann müsste alles Lernen,
Suchen und Werden ein Irrweg sein. Wir werden im Gegenteil
gerade diese Jahre als die Epoche des geistigen Reifens bei Hum-
boldt anzusehen baben,^) wenn sie ihm auch selbst, nachdem seine
geistige Konsolidation sich vollzogen hatte, als ein zielloses Tasten
erschien. Jeder Mensch hat ein gewisses Ausmass von rein intel-
lektuellem Trieb. Hat er diese von der Natur ihm gesetzten
Grenzen befriedigend ausgefüllt, so wendet er sich mit grösserer
Energie dem Stoffe zu, der dies bloss kategoriale Schema zu
füllen vermag. Aber die Grundlinien, die er sich in jener geistigen
Arbeit gegeben hat, behält er für alle Zeiten, und sie sind für
ihn bestimmend, mag er sich dessen bewusst sein oder nicht.
Humboldt nun hat sich an zwei Geistesmächten gebildet: an den
Griechen und an Kant. Dem letzteren verdankt er seine intellek-
tuelle Organisation, soweit der Mensch sie sich selbst anbUdet.
1) Leitzmann, S. 329 = An Kömer. S. 143.
^) In diesem Sinne äussert er sich selbst zu Karoline von Wolzogen
(deren Lit. Nachlass II, 55) am 10. V. 1830, ebenso in Bezug auf Schiller,
Leitzmann S. 33. Rechtferti<^end ist auch der Brief an die Freundin
Charl. Diede vom 2. August 1832.
W. V. Humboldt und Kant. 63
Weon wir also Humboldts Beziehungen zur Kantischen Philosophie
verfolgen, so erfahren wir zugleich an einem bedeutsamen Bei-
spiel die erziehende Macht der kritischen Philosophie, und diese
erscheint mir philosophischer als ihr Buchstabe, an dem zu haften
die grösste Sünde gegen ihren Geist ist.
Wohl aber folgt aus jener Palinodie, die sich doch auch auf
sein anfängliches Kantverständnis richtet, etwas anderes für diese,
ans einem grösseren Zusammenhang herausgelöste Monographie:
Sie wird die Schriften von 1806 an, in denen der Einfluss Kants
von einem fremden überwuchert wird, nur noch gelegentlich als
Belegstellen heranziehen dürfen. Da aber aus der Zeit von
1798—1806 nur wenige philosophische Schriften vorliegen, so
haben wir, wie im einzelnen noch nachzuweisen ist, Humboldts
strengere Kautische Periode für die Jahre 1789—1798 anzusetzen,
in deren Anfang natürlich noch mancherlei starke Reminisceuzen
ans der Berliner Aufklärungsphilosophie hineinreichen. —
Man könnte von einer Neigung Humboldts reden, vergangene
Bildungsepochen zu verleugnen. Er behauptet, bis in sein 24.
Jahr, die Sprachen abgerechnet, nichts als Dinge gelernt zu
haben, die er wieder habe vergessen müssen.^) Auch dies ist
nicht wahr; es ist zum mindesten undankbar gegen die logische
Schalung, die er von der Aufklärungsphilosophie empfing. Hum-
boldt besass von Natur eine starke Intellektualität. Jacobi, Gentz,
Schiller, Thérèse Huber sind in ihrer Bewunderung einig. Ge-
steigert und geschult wurde sie durch die Einflüsse Engels und
Mendelssohns. Der erste war lange Zeit sein Lehrer in der Phi-
losophie. Seine Wirkung auf dem Gebiete der Poetik und Mimik
Iftsst sich bis in Humboldts spätere Werke verfolgen. Schon in
der Vorrede zu einigen aus Plato und Xenophon übersetzten
Stücken, der ersten Arbeit Humboldts, die 1787 gedruckt wurde,
wird er voll lebhafter Dankbarkeit erwähnt.*) Aber nicht nur
äosserlich geht diese Arbeit auf Engels Anregung zurück, sondern
sie bewegt sich auch ihrem Inhalte nach ganz in den Bahnen
der populären Aufklärung, für die Gottheit, Vorsehung und Un-
sterblichkeit demonstrable Vernunftwahrheiten bedeuteten. Miss-
fällige Seitenblicke fallen dabei auf die Sophisten, die die Waffen
der spitzfindigsten Metaphysik wählen, um die Gewissheit aller
») An Kömer (1798) S. 102.
«) W. W. I, S. 5. W. W. VII, 2 bringt die Referate Hiimboldta
64 Pj. Sprangei*,
menschlichen Erkenntnis bis in ihre ersten Grundfesten zu er-
schüttern — also auf den vom Hörensagen bekannten Königsberger
Philosophen — und auf die vernunftfeindlichen Schwärmer und
Glaubensphilosophen, - d. h. auf F. H. Jacobi und seine Gefolg-
schaft im Streit um Lessings Erbe. Auch in den Briefen aus der
Brautzeit (S. 280) bekennt sich Humboldt am 11. XL 1790 durch-
aus als Engels Schüler in der Philosophie. Doch klingt es schon,
als redete er von fernen, vergangenen Zeiten, wenn er an die
,.Li" schreibt: „Der Unterricht war ganz Wolfisch, fast immer
bloss logisch, und ich hatte in der Logik und in der Wahl erster
scholastischer Spitzfindigkeiten eine solche Stärke, dass noch jetzt
da ich seitdem dies Zeug nicht mehr angesehen habe, ich kaum
(»inen Menschen kenne, der mehr als ich davon weiss. Denn man
treibt das jetzt gar nicht mehr." In den nächsten Worten geht
er dann schon sehr kritisch auf die Monadenlehre ein, als deren
Anhänger wir ihn noch wenige Jahre zuvor in den Briefen au
seinen Jugendfreund Beer finden. Überhaupt beweist der ganze
spekulative Inhalt dieser letzteren, wie wahr es ist, wenn er im
Februar 1789 an Jacobi schreibt, dass er in der Wolfischen Philo-
sophie gesäugt und grossgezogen worden sei. Wir werden bei
der Entwickeliiug seiner Erkenntnistheorie noch auf diese ganz
an Mendelssohns ..Phädou'^ und „Morgenstunden" anknüpfenden
Ausführungen zurückkommen, auf jene Zeit, in der er die Über-
einstimmung mit Mendelssohns Überzeugungen für den richtigsten
Massstab seiner eigenen Fortschritte in der Philosophie hielt. ^)
Und Wegener erzählt uns in seiner Selbstbiographie von Wilhelm:
„Er erklärte mir einmal das Eigentümliche der Leibnizschen Philo-
sophie so deutlich, wie ich es in keinem Buche fand."*)
Das war während der Frankfurter üniversitätszeit im Winter
1787/8. Es ist erwiesen, dass er sich dort zum ersten Male, unter
der Last juristischer Studien, in Kants System hinübergestohlen
hat.^) Zum eigentlichen ernsten Studium machte er es erst in
den nächsten arbeitsfrohen Semestern in Göttingen, und wir
können die einzelnen Phasen seines Bekanntwerdens mit der kri-
tischen Philosophie fast bis auf die Daten genau verfolgen. Es
lässt sich eine dreimalige Kantlektüre nachweisen: die erste vom
1) An Beer, S. 97.
') Jugendbriefe Alexander v. Humboldts an W. G. Wegener, heraus-
gegeben von Leitzmann, Leipzig 1896, S. 92.
^ An Jacobi, S. 6. 101.
W. V. Humboldt und Kant. 65
Sommer 1788 bis Anfang 1789, die zweite im Sommer 1791 und
die dritte im Herbst 1793. Wir überblicken kurz die Dokumente
hierfür, ehe wir auf seine innere Stellunjf zu dieser Lehre, die er
noch 1799 Goethe gegenüber scheraend „die alleinseligmachende"
nennt, im einzelnen eingehen, i)
Die früheste Äusserung entnehmen wir einem Briefe an
Beer, der aus Göttingen vom 15. Juni 1788 datiert ist: „Ich lese
jetzt den Kant, ich habe mir vorgenommen, ihn recht sorgfältig
zu studieren. Ich schreibe mir jedesmal das, was ich gelesen
habe, wieder selbst auf. In einem halben Jahre komme ich doch
vielleicht mit der Kritik zu Ende. Sie ist sehr schwer, das muss
ich gestehen, aber soweit ich nun gelesen habe, belohnt sie doch
auch die Mühe sehr. Und dass Kant eigentlich so dunkel schriebe,
das finde ich nicht. Er schreibt vielmehr sehr bestimmt, definiert
und dividiert sehr genau. Die Schwierigkeit liegt wohl nur in
den Sachen, und in der neuen, ungewohnten Darstellungsart.
Dass er sich eine neue Terminologie bildet, dünkt mich, verringert
eher die Schwierigkeit, als dass sie dadurch grösser werden
sollte etc."*) Wirklich Hess er nicht ab, sich in die Schriften des
Meisters hineinzubohren, ja er zog auch die vorkritischen Werke
heran. Noch am 2. Februar 1789 sendet er an Henriette Herz
eine seltsame Epistel, in der schwärmerische Ergüsse mit Stellen
aus der Kritik vermischt sind, und an deren Schluss es heisst:
^Ich studiere jetzt schrecklich den Kant."^) Kurz darauf berichtet
sein Bruder Alexander an Wegener: „Er wird sich tot studieren,
mein Bruder. Elr hat jetzt alle Werke von Kant gelesen und
lebt und webt in seinem Systeme."*) Während er selbst erst um
diese Zeit anfing, sich mit Kant vertraut zu machen, rühmt er
im August desselben Jahres wiederum Wilhelms „tiefe Einsicht
in das Kantische System".*) Gefördert nun wurde diese ganze
erste Epoche des Kantstudiums durch den persönlichen Verkehr
und den Briefwechsel mit F. H. Jacobi, den er vom 31. X. bis
5. XI. 1788 in Pempelfort besuchte und mit dem er im Juni 1789
noch einmal in Hannover zusammentraf. Wie wir noch sehen
werden, macht er sich gerade an dem Gegenbilde der Glaubens-
») An Goethe. S. 168. Vgl. an Wolf, S. 112.
S) An Beer, S. 109 f.
9) An Henriette, S. 120.
*) a. a. 0., S. 49.
*) S. 69.
KMtHadira XLII.
Ö6 Ë. Sprangef^
philosophie, an den eigensinnigen Thesen dieses impulsiven Kant-
gegners die entscheidenden Punkte der Transscendentalphilosophie
klar. Lange schwankt er, ohne mit voller Entschiedenheit für
Kant Partei zu nehmen. Im März 1789 ist er mit dem theore-
tischen Teil im Reinen; nur der praktische behagt ihm noch
nicht. Im Juni 1790 hat er sich endgiltig für Kant und gegen
Jacobi entschieden. Oleichzeitig begann man in Berlin seine Ab-
weichungen in religiösen Ideen missfällig zu bemerken.^) Gewiss
hatte man dort seinen 1789 geschriebenen Aufsatz „Über Religion"
kennen gelernt, der bereits starke Spuren Kantischer Einwirkung
zeigt und weit von der natürlichen Religion jener ersten Arbeit
absticht.
Das zweite Kantstudium fällt schon in die Zeit nach dem
Abschied aus dem Staatsdienst. Aus der gelehrten Musse in
Burgörner, wo er seit 2 Monaten weilte, schreibt er am 22. Au-
gust 1791 an Jacobi, der noch immer der Vertraute seines meta-
physichen Suchens ist : „Vorzüglich beschäftigt mich jetzt wieder
die Metaphysik. Ich habe mir vorgenommen, eine neue ernstliche
Revision meiner eigenen Überzeugungen vorzunehmen, und studiere
das Kantische System von vorn an von neuem durch. **^ Der neu ge-
wonnene Standpunkt ist in der Schrift über die Grenzen der Staats-
wirksamkeit ausgeprägt. Hier wird auch zum ersten Male die Kr.
d. U. erwähnt, die in jenem früheren Aufsatze noch nicht benutzt
sein konnte. R. Haym, der den letzteren noch nicht kannte, hat
infolgedessen gewisse Gedanken zu Unrecht auf die Kr. d. ü.
zurückgeführt und das Bild dadurch etwas verschoben.*)
Das dritte Kantstudium endlich, das bereits in die ästhetische
Epoche fällt, steht vorwiegend unter dem Zeichen der Kr. d. U.
Nach einem Aufenthalt bei Kömer in Dresden schreibt er an
diesen enragierten Kantianer aus Burgörner am 27. Oktober 1793:
„Ich habe seit meiner Rückkunft alle Kantische kritische Schriften
von neuem von einem Ende bis zum anderen durchgelesen (weü
diese Schriften doch einmal der Kodex sind, den man nie in
philosophischen Angelegenheiten, so wenig als das Corpus juris in
juristischen, aus der Hand legen darf) und ich danke diesem neuen
Durchlesen wiederum sehr viel. Alle Zweifel, die ich sonst wohl
gegen die Kritik der reinen Vernunft, selbst gegen die beiden
*) Alexander an Wegener 15. VI. 1790.
2) An Jacobi, S. 36.
8) Haym, S. 62 f.
W. V. Humboldt und Kant. 6?
moralischen Werke hatte, sind mir jetzt rein verschwunden, allein
an der Kritik der Urteilskraft glaube ich von neuem eine gewisse,
ich möchte sagen, Flüchtigkeit bemerkt zu haben, die nicht bloss
Berichtigungen einzelner Sätze, sondern, was das Wichtigste sein
würde, Erweiterungen des ganzen Systems erlaubte." ^) An den
letztgenannten Punkt nun heften sich Humboldts eigene ästhe-
tische Untersuchungen an, durch die er — ähnlich wie Schiller —
einer Theorie der Bildung des Menschen vorzuarbeiten strebte, und
auf die wir unten im Zusammenhang zurückkommen
Eine weitere Kantlektüre wird nicht ausdrücklich erwähnt.
Aber durch die späteren Schriften Humboldts zieht sich allent-
halben das feste Netz Kautischer Denkweise. Der Philosoph be-
gleitet ihn bald als bestimmender Führer, bald als kritischer
Mahner. In der letzten Eigenschaft trat er sogar einmal indirekt
persönlich auf, in dem bekannten Brief an Schiller vom 30. März
1795, in dem er das Urteil fällte, dass er sich die beiden Horen-
aufsätze über die Frauen nicht enträtseln könnte, ein so guter
Kopf ihm auch der Verfasser zu sein schiene. Es war ein Stück
mit Herder verwandter Metaphysik, ein Stück monistischer Denk-
weise, was den Königsberger Weisen bei Humboldt, wie überall,
wo es ihm begegnete, so unangenehm berührte.
Wenn wir nunmehr die Spuren Kants in Humboldts Denken
und Schaffen näher verfolgen, so muss ich dabei einige Resultate
meiner Gesamtdarstellung voraussetzen, die ich hier nicht näher
b<^gründen kann. Von einem ausgesponneneu System bei Hum-
boldt kann äusserlich keine Bede sein; was ihm innerlich ent-
spricht, ist jedoch die Humanitätsidee, d. h. es rückt in den
Brennpunkt all seiner philosophischen Besinnung ein plastisches
Lebensideal, und alle übrigen philosophischen Momente dienen
diesem Kuppelbau als Stütze. Von ihm aus allein empfangen sie
ihre Bedeutung. Es ist nicht ein unbestimmtes, schwärmerisches
LebensgefQhl, wie bei Herder, sondern eine philosophisch fundierte,
in eigenen Kategorien entwickelte Idee, worin Humboldts Lebens-
auffassung gipfelt: vom psychologischen, vom ästhetischen, vom
ethischen Standpunkt gesehen dieselbe eine: das Ich zum Univer-
sum zu erweitern, so dass selbst seine Schranken noch auf die
Unendlichkeit hinweisen. Zur Voraussetzung hat sie eine stark
nataraiistisch gefärbte Entwickelungsmetaphysik. Während diese
1) An Körner, S. 2.
68 E. èprangei*,
aber anfangs halb unter der Schwelle des Bewusstseins bleibt,
wird die feinste Analyse auf die erwähnten Kategorien verwandt,
in denen das geistige Leben ausdrückbar wird. Und zwar ist es
die Eigentümlichkeit dieser Kategorien, dass sie aus einem Wurzel-
knoten hervorwachsen, an dem die psychologische, ästhetische und
ethische Arbeit noch ungeschieden ist. Nur wer sich gegenwärtig
hält, dass diese drei Gebiete in der Humanitätsphilosophie ab ovo
eng aufeinander bezogen sind, wird sie in ganzem Umfang ver-
stehen. Nicht von einer historisch-psychologischen Grundlegung
der Ethik im deskriptiven Sinne darf hier die Rede sein; vielmehr
wird das Humanitätsproblem am schärfsten durch die beiden
Fragen charakterisiert : Inwiefern kann in dem bloss psychologisch-
historischen Studium eine unmittelbare ethische Bereicherung
liegen?^) Und inwiefern muss die ethische Verfassung des
Menschen als eine ästhetische Struktur, als ein Analogon des
Kunstwerks gedeutet werden? Deshalb nun ist Humboldts Psy-
chologie völlig durchwachsen von ästhetischen und ethischen
Gesichtspunkten, die eine bloss positivistische Abstraktion völlig
ausschliessen.
Für diesen Zusammenhang kommt es auf die Bausteine an,
die Kant für die Herstellung dieses Gebäudes geliefert hat. Sie
sind zahlreich und bedeutsam genug. Wenn schon in der Gesamt-
darstellung die innige Verflechtung aller jener Motivreihen in
ihre Bestandteile aufgelöst werden muss, so werden wir in dieser
vorbereitenden Monographie die Einzelheiten noch abstrakter aus-
einanderlegen dürfen. Wir untersuchen also erstens Humboldts
Stellung zu Kant auf dem Gebiete der Erkenntnistheorie und
Metaphysik, wobei wir zugleich auf die methodischen Grundsätze
seiner Psychologie und Geschichtsphilosophie geführt werden;
sodann seine Stellung zu Kants Ethik, und endlich zu semer
Ästhetik. Freilich muss eine solche Behandlungsweise gerade
einem Manne gegenüber unzulänglich bleiben, der sich von Kants
abstrakter Denkart von früh auf eben dadurch unterschied, dass
er bei allen Forschungen über den Menschen auf die Berücksich-
tigung seiner Ganzheit drang und alles schematische Abstrahieren
in der Psychologie für verderblich hielt. ^)
1) Dassell^e Problem habe ich bereits in meinen „Grundlagen der
Geschichtswissenschaft", Berlin 190B, in den Mittelpunkt gesteUt.
*) An Forster, S. 280.
W. V. Humboldt und Kant. 69
I.
Die ScbeiduDg von ErkenDtnistheorie and Metaphysik war zu
der Zeit, auf die sich unsere Darstellung bezieht, noch durch den
gemeinsamen Namen Metaphysik verdeckt. Erst jetzt begann
sich unter dem Namen Transscendentalphilosophie der kritische
Unterbau entschiedener von den systematischen Gebäuden abzu-
lösen. Zwar fehlte es auch der an Chr. Wolff anknüpfenden
Aafklärungsphilosophie nicht an einer durchaus charakteristischen
Erkenntnistheorie. Aber da sie keinen Zwiespalt zwischen der
rationalen Evidenz und der objektiven liealität für möglich hielt,
so bedeutete für sie jede Einsicht in die Zusammenhänge des
rationalen Denkens sogleich ein neues metaphysisches Resultat.
Dies aber ist gerade der Punkt, an dem das Denken des jungen
W. V. Humboldt einsetzt; zunächst durchaus nicht mit originaler
Sicherheit, sondern ganz in den Bahnen der vorangehenden philo-
sophischen Generation, in die freilich, ihr selbst halb unbewusst,
durch die lange Infiltration englischen Geistes, schon eine starke
Richtung auf das Empiristische und das Triebhafte gekommen
war, womit ihre eigene Bearbeitung der sinnlichen Erkenntnis in
der Ästhetik dunkel zusammenwirkte. Aus den Niederungen des
Sinnlichen und des Gefühlslebens kam neuer Saft in die Auf-
klärung, während die Krone: die natürliche Theologie mit all
ihrem Laubwerk von Evidenz und Demonstration, abstarb. Ha-
mann, Jacobi, Herder, Lavater standen der Wirklichkeit bereits
mit ganz anderen Augen gegenüber, und Kant, der schon 1763
im Wettbewerb mit dem konservativen Mendelssohn die neuen
Wege betreten hatte, blieb nur deshalb scheinbar zurück, weil er
neben der Negation auch aufbauende Leistungen erstrebte.
Humboldt lebte noch um 1787, als er Nächte opferte, um
mit seinem Freunde Beer brieflich philosophische Ideen auszu-
tauschen, im alten wohlgeebneten Begriffsreich. Die Lösung des
atomistiscben Problems durch die Monadenlehre, die phänomena-
listische Auffassung der Eörperwelt, die Theorie der deutlichen
und undeutlichen Vorstellungen, der ganze methodische Ansatz
der Mendelssohnschen Philosophie stehen bei ihm noch in Geltung.
Nor an einem stösst er sich: Mendelssohn hatte im 16. Abschnitt
der ,. Morgenstunden'' einen neuen Gottesbeweis versucht, indem
er aus der These, dass alles Wirkliche gedacht werden müsste,
auf einen höchsten, vollkommensten Verstand schloss. Jene These
wiederum hatte der Philosoph aus dem umfassenderen Satze dedu-
70 E. Sprauger,
ziert, dass alles Mögliche gedacht werden müsste, und zwar des-
halb, weil Möglichkeit kein objektives, sondern uar ein subjektives
Prädikat sein, also auch nur eine idealische Existenz (in irgend
einem denkenden Bewusstseiu) haben könnte. Humboldt giebt die
Subjektivität des Prädikats „Möglichkeit" zu; aber gerade dies
hatte Mendelssohn unerlaubt amplifiziert, indem er behauptete, dass
alle Möglichkeiten gedacht werden müssten. Dieser Schritt war
nach den Grundsätzen der rationalistischen Erkenntnistheorie nur
zulässig, wenn man die Möglichkeit als ein subjektiv- positives
Prädikat auffasste. Humboldt konnte sie aber nur als ein sub-
jektiv-negatives Prädikat gelten lassen: möglich ist, was ohne
Widerspruch gedacht werden kann, aber nicht alles Widerspruchs-
lose muss gedacht werden. Darin liegt folgende entscheidende
W^endung: es wird nun die wirkliche Welt nicht mehr als ein
Spezialfall zahlloser Denkmöglichkeiten angesehen und aus diesen
abgeleitet, sondern umgekehrt: Die Wirklichkeit erscheint als be-
stimmend für das Denken, es kann etwas Wirkliches geben, ohne
dass es vorher gedacht wäre, ja ohne dass es überhaupt von
irgend einem vernünftigen Bewusstsein gedacht würde; und von
den Möglichkeiten gilt das erst recht. In dieser empiristischen
Behauptung liegt eine völlige Umwandlung der geistigen Konsti-
tution, nicht nur die Aufdeckung eines logischen Fehlers. Die
Kluft zwischen der Welt rationalen Denkens und der objektiven
Wirklichkeit tut sich auf. Rationale Demonstration erhärtet kein
reales Sein; Wirklichkeit ist mehr, als ein Komplement der Mög-
lichkeit. „Warum sollte nicht ein Wesen existieren können, ohne
dass es von irgend jemand gedacht würde? Wäre denn die
Existenz dieses Wesens nicht Wahrheit, wenngleich niemand diese
Wahrheit dächte?" i)
Keine Spur weist darauf hin, dass Humboldt damals bereits
von der Abhandlung Kunde hatte, die ihm hier sofort hätte Hilfe
bringen müssen, wie sie dem jungen F. H. Jacobi mit einem
^) An Beer, S. 100. — Es bandelt sich hier in der Tat am eine Ver-
änderung im Daseins- und Realitätsgefühl; die Geschichte der Philosophie
zeigt» welcher zahllosen Abstufungen das Realitätsbewusstsein
fähig ist. Für den Hegeischen Standpunkt wäre der obige Satz ohne
Beweiskraft, und ebenso würde er für die Ansicht, dass alles, was ist, ins
Bewusstsein fällt, unannehmbar sein. Er bedeutet also nicht nur eine
starke Wendung zum Irrationalismus, sondern geradezu zum Agnostizismus
und Überlogismus. Dies tritt ganz besonders deutlich in der 6. Beilage
SU Jacobis Briefen über Spinoza hervor (W. W. IVb, S. 81 ff.).
W. V. Humboldt and Kant 71
Schlage die wunde Stelle des RatioDalismos aufgehellt hatte:
Kants Schrift über den „Einzig möglichen Beweisgrund" von 1763,
in der er das Prädikat der objektiven Existenz energisch aus der
Reihe der übrigen, bloss logischen Prädikate heraushob. Ver-
ständlich aber wird nun, was ihn, abgesehen von der persönlichen
Wirkung, theoretisch so mächtig zu Jacobi hinzog: es war eben
diese Skepsis gegen die Erfassung des Objektiven im bloss syllo-
gistischen Verfahren, worin beide zusammentrafen. Schon ehe
Humboldt Kant kennen lernte, empfand er einen Widerwillen
gegen seine Wolffische Metaphysik: „Es kam mir, schreibt er im
ersten Brief an Jacobi, alles so trocken, so blosses Gerippe, ohne
Geist und Leben, vor; ich demonstrierte und demonstrierte, und
nie brachten doch die Resultate eigentlich Überzeugung hervor. **»)
In dieser Stimmung mussten Denker wie Jacobi und Kant, in
denen ein kräftigeres, sinnlicheres Realitätsbewusstsein pulsierte,
eine gleich tiefe Wirkung auf Humboldt ausüben. Bei Kant
musste er schön auf den ersten Seiten seine eigene Ansicht be-
stätigt finden, dass die blosse Analyse der Begriffe nicht aus dem
Formalen in das Materielle der Erkenntnisse führe. Der Sprung
ans dem Reiche der Möglichkeit in das Reich der Wirklichkeit,
Wolffs „trügerische Syllogismenbrücke", störte ihn hier nicht
mehr.*) Dafür aber erhob sich nun die andere Frage, ob Jacobi
oder Kant im Besitz der richtigen Lösung wäre. Und ich bin der
Ansicht, dass Humboldt hier einige Zeit ernstlich geschwankt hat,
so sehr er die allgemeine philosophische Überlegenheit Kants von
vornherein empfinden musste.
E^ ist die Eigentümlichkeit der Jacobischen Philosophie, dass
sie zwei erkenntnistheoretische Grundprobleme völlig mit einander
parallelisiert, die für gewöhnlich getrennt gehalten werden: die
1) An Jacobi, S. 2, 7.
s) Vgl. an Forster, S. 2gl (28. IX. 1789): „Oberhaupt ist es dooh
sonderbar, wie die PhUosophie, die gerade am meisten einer grossen Ffille,
eines Reichtums von Ideen fähig wäre, noch immer auf eine so nnfmcht-
bare Weise behandelt, zu einem fleisch- und marklosen Gerippe gemacht
wird, wie nur die Wissenschaften es sein sollten, die sich bloss mit Ana^
lysiemng selbst konstruierter Begriffe, also im eigentlichsten Verstände
mit bloss formellen Ideen beschäftigen . . . Gerade das Studium der
Logik hat in dieser Rücksicht unendlich geschadet ... Es könnte einen
eigenen, recht interessanten Aufsatz geben, einmal den ganzen Schaden
zu schildern, den das Formelle in unserer Erkenntnis dem Materiellen
derselben gebracht hat, und noch immer bringt**
72 E. Spranger,
Frage nach der objektiven Realität des Sinnlichen und der des
Übersinnlichen. Gerade in der Zeit seiner Diskussionen mit Hum-
boldt in Pempelfort, über die uns Tagebuchaufzeichnungen des
letzteren erhalten sind,^) hatte sich Jacobi in Reid hineingelesen,
auf Hamanns Veranlassung, bei dem der schottische Philosoph
nach langer Zeit wieder einmal eine „philosophische Neugierde**
erweckt hatte, so wenig er auch hier eine Auflösung der Frage:
„Was ist der Mensch?" erwartete. Hatte Jacobi bisher die Rea-
lität der Aussenwelt mit Hume auf einen unmittelbaren Glauben
zurückgeführt, so bestimmte er ihn nun näher mit Reid als Er-
zeugnis einer „perception", einer instinktartigen Fähigkeit, die
Dinge aus sich herauszustellen und zu betrachten, im Gegensatz
zu der blossen Sensation, die Reid „conception" nannte und die
mit Lockes „reflexion" oder Kants „innerem Sinn" einigermassen
zusammenfällt. Kants Erkenntnistheorie genügte Jacobi deshalb
nicht, weil er ihm alles auf blosse Sensation zu beschränken
schien, wie er ihn überhaupt sein Lebenlang fast illusionistisch
gedeutet hat. Überdies warf er ihm im Gespräch mit Humboldt
vor: „Er vergesse immer über der Form die Materie. Er habe
Scharfsinn, nicht Tiefsinn."
Humboldt erzählt, dass er mit den wenigsten Sätzen einig
gewesen sei und Mühe gehabt habe, Jacobi zu verstehen. Trotz-
dem ging er in der Folge auf seine Gedanken voll Interesse ein.
Es muss sehr in Jacobis Sinne gewesen sein, wenn Humboldt ihm
schrieb : „Kommt es Ihnen nicht überhaupt so vor, als wäre alles,
was Kant, auch objektiv, von den Dingen behauptet, doch immer
nur subjektiv, und noch dazu immer nur auf Erscheinung be-
ruhend? Nicht genug, dass man nach seinem System nicht aus
sich her|aus auf die Dinge geht, man geht auch nicht in sich
hinein; denn auch von sich selbst hat man ja nur immer Er-
scheinungen." ^ Wenn nun aber Jacobi seine „Perzeption" un-
mittelbar auch auf die Erfassung des Übersinnlich-Objektiven
ausdehnte, so musste Humboldt dies a limine mit Entschiedenheit
ablehnen. „Sinnlichkeit ist die einzige Bedingung, unter der wir
neue Begriffe von aussen her erhalten können; jede Anschauung,
die sich weder mittelbar noch unmittelbar auf Sinnlichkeit bezöge,
würde ich für Sensation, nicht für Perzeption halten."^) In
1) Abgedruckt an Jacobi, S. 91—96.
'^ An Jacobi, S. 8.
3) Daselbst, S. 8.
W, V. Humboldt und Kant. 73
gleichem Sinne schreibt er auch an Forster, bei dem er hierfür
auf Beistimraung hoffen durfte, so sehr dieser geraeinsame Freund
sonst in seinen Begriffen von Wahrheit mit Jacobi übereinstimmte:
Vom Übersinnlichen können wir schlechterdings keine Idee haben;
das führt zur Schwärmerei. ^) In diesem — wenn man will : ne-
gativen Satze hält er es also ganz wie sein Freund Gentz von
vornherein mit Kant, selbst auf die Gefahr hin, dass daran von
den Deisten der Vorwurf des Atheismus geknüpft werden sollte.
Nun aber blieb noch immer die andere Seite der Frage offen, ob
sich die sinnliche VS^elt so unmittelbar offenbare, wie Jacobi es
annahm. Dass sie aus der blossen „Schmelzküche der Vernunft"
nicht herauszudestillieren wäre, wie er jetzt mit Anspielung auf
Kants ^Einzig möglichen Beweisgrund" sagt (17. XL 1788), stand
ihm ja fest. Aber in Jacobis Philosophie des unmittelbaren
Schauens fand er doch auch manchen Anstoss. Wie er in Jacobis
ganzem Denken Genauigkeit der Begriffe vermisste, so fehlte ihm
auch hier ein Kriterium, um Wahrheit und Täuschung von ein-
ander zu unterscheiden. Auch das dialektische Hin- und Her-
wenden des Gegenstandes schien ihm keine Sicherheit gegen diese
Subjektivität zu bieten. Er bekennt, einen solchen im eigentlichen
Verstände metaphysischen Sinn nicht zu besitzen : „Ich kann Ihnen
überall folgen, wo das rein logische Vermögen ausreicht, nicht
aber dahin, wo an die Stelle desselben unmittelbare Wahrnehmung,
Perzeption, treten muss."^) So neigt er also weder zur Leibniz-
schen Philosophie des Analysierens, noch zu Jacobis Philosophie
des Schauens, sondern zu dem dritten, von Kant vertretencMi
Typus, zu der Phüosophie, die postuliert oder — wie er un-
bestimmt genug hinzufügt: „schliesst''.
Ganz behaglich war es ihm auf diesem Boden auch nicht;
seine wiederholten Versicherungen aus den Jahren 1788/9, dass
er sich in einer ratlos skeptischen Verfassung befinde, sind mehr
als Anbequemung an die Denkart des befreundeten Philosophen.
Denn auch das ewige Postulieren genügt ihm nicht. Sollte nicht
Kant ebenso wie ihm nur die eigentliche Perzeptionsfähigkeit
fehlen? Was ist eine Freiheit, die nur postuliert wird?'^ So
steht er noch im Oktober 1789: „Kant zieht sich in die eigene
Burg zurück. Denn gewiss halten die meisten sein Postulieren
») An Forster, S. 278.
■) An Jacobi, S. 17.
3) An Jacobi, S. 8.
74 E. Spranger,
mehr für einen frommen Wunsch, ein banges Sehnen nach dem
geliebten geahndeten Lande, als für einen wirklichen Übergang.**
Und hier fühlt er doch die Grenzen seines rein logischen Bedürf-
nisses: „Es ist doch ein unvergleichbar grösserer Gehalt, vollerer
Genuss in der Empfindung des Seins, als in dem Existieren m
E]rscheinungen." 0
Während ihm in diesem Briefe das ganze Problem noch
immer Gegenstand der Untersuchung ist, finden wir in dem fol-
genden vom 20. Juni 1790, dass er sich nun definitiv für Kaut
und gegen Jacobi entschieden hat. Des letzteren Philosophie
bleibt ihm ein hochzuschätzendes, psychologisch interessantes Phä-
nomen; für seine Person aber zieht er sich „gern in die beschei-
denen Schranken zurück", die Kant festsetzt. Zum ersten Male
giebt er auch der Objektivitätsdeduktion Kants eine glücklichere
Formulierung: Kant nimmt deshalb Dinge ausser uns an, „weil io
unseren Vorstellungen, wenn wir sie entwickeln, doch etwas Ma-
teriales liegt, was sich auf etwas Wirkliches ausser uns beziehen
muss".-) Der Erscheinungscharakter der äusseren wie der inneren
Welt steht ihm jetzt fest. Obwohl Kant und Jacobi sich im Re-
sultat, d. h. hinsichtlich der Irrationalität des Objektitätserleb-
nisses nicht allzufern stehen, findet Humboldt jetzt bezeichnender
Weise den Unterschied zwischen beiden ungeheuer gross. Er
tadelt den Rezensenten der Spinozabriefe, der beide Denker für
nahe verwandt hielt, weil er nunmehr dies Verhältnis vom Stand-
punkt seiner mühsam errungenen Entscheidung ansah. „Meiner
Empfindung nach ist zwischen Ihnen und Kant auch nicht der
kleinste Berührungspunkt." Worin aber lag für ihn diese tief-
gehende Differenz? Sie wäre nicht scharf genug bezeichnet,
wenn wir nur darauf den Ton legten, dass für Jacobi das Objekt
ein unmittelbares Faktum, für Kant „Annehmen aus einer Art
der Notwendigkeit" war. Vielmehr liegt darin der springende
Punkt: er hatte die Überzeugung gewonnen, dass Kant vom Sub-
jekt ausging, Jacobi aber vom Objekt. Der eine ist gegen die
Demonstration, weil der Gegenstand sich ihm (gleichsam impulsiv
gefühlsmässig) aufdrängt, der andere, weil er durch philosophische
Operationen, durch Zergliederung des Bewusstseins zu der Einsicht
gelangt, dass wir von Dingen an sich keine Begriffe haben können,
sondern durch synthetische Funktionen des Geistes die Elrschei-
2) S. 31,
W. V. Humboldt und Kant. 75
DUQgen objektiv vor uus hinstellen. Es ist daher eine fragwürdige
Schmeichelei für den Philosophen Jacobi, wenn er seine Eigenart
dahin bestimmt, dass bei ihm das Anschauen der Wahrheit alier
Philosophie voraufgehe; man wird dadurch bedenklich an die
attischen Worte erinnert, die Schopenhauer später gegen Jacobi
richtete. — Nach dieser Auseinandersetzung, auf die Jacobi
übrigens die Antwort schuldig blieb, ist dessen Philosophie für
Humboldt nicht wieder zum Problem geworden, so lebhaft er ihn
auch ferner als Mensch und psychologisch interessanter Denker
beschäftigte. Seine Lehre war ihm begrifflich zu unbestimmt und
schon deshalb zu individuell gefärbt, weil er in diesen Jahren das
religiöse Bedürfnis — für das ihm übrigens das Verständnis nicht
fehlte — nicht in solcher Stärke und Richtung empfand wie
Jacobi, der die Wärme seiner religiösen Zustände gleichsam mit
dem Thermometer verfolgte.^)
Damit hat nun Humboldt seineu Standpunkt auf Kantischem
Boden gewonnen. Und indem wir von der ent\^ickelungsgeschicht-
lichen zur mehr systematischen Darstellung seiner Erkenntnis-
theorie übergehen, heben wir als erstes und wesentlichstes Moment
an ihr eben diesen Ausgangspunkt hervor, nämlich:
1. Das Ausgehen der Analyse vom Subjekt. Dies eben war
es ja, was er noch 1830 als Kants höchstes Verdienst rühmte: er
führte im wahrsten Sinne des Wortes die Philosophie in die Tiefen
des menschlichen Busens zurück. Eine Köper nikanische Wandlung
nicht nur im erkenntnistheoretischen Sinne! Der Ausgangspunkt
für alle trebiete, die jemals Humboldts Geist beschäftigten, war
nnn festgelegt: Ethik und Politik, Geschichte und Psychologie,
Ästhetik und Sprachwissenschaft — sie alle waren zuletzt im
Subjekt verankert. Diese Wendung, deren vorbereitende Momente
in der Leibnizschen Monadenlehre, in Psychologie und Ästhetik
uns Robert Sommer ausgezeichnet dargelegt hat,-) ist zunächst
*) An Jacobi, S. »4. — Die meisten dieser Probleme werden natttr-
lieh in der Woldemarrezension (1794) von neuem gestreift. Auch sonst
finden sich in den früheren Jahren gelegentliche Anklänge an Jacobi. So
enth< noch das 8. Kapitel der Schrift über die Grenzen der Staatswirk-
samkeit (W. W. I, 170 f.) Gedanken aus dem Pempelforter Gespräch (vgl.
an Jacobi, S. 98). Bekanntlich beruht das Kapitel zum grossen Teil auf
Vorarbeiten aus der Zeit des Aufsatzes „Über Religion'\ Vgl. Leitzmann,
Enphorion KIV, 374.
■) Grnndzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhe-
tik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller. Würzburg 1892.
76 E. Spranger,
von methodischer Bedeutung. Auf all den genannten Ge-
bieten entfaltet sich nun eine erkenntnistheoretisch-psychologische
Arbeit, die die Erscheinungen vom Subjekt und seinen Funktionen
ans zu begreifen sucht. Nur darf man nicht annehmen, dass der
Gegensatz von erkenntnistheoretischem und psychologischem Sub-
jekt für Humboldt jemals von prinzipieller Bedeutung geworden
sei. Er trat um so weniger in seinen Gesichtskreis, als er Kants
Ansätze ja fast ausschliesslich nach der Seite der Geisteswissen-
schaften hin ausgestaltete. Sein Hauptinteresse ist die Begründung
einer (übrigens nicht rein deskriptiven) Psychologie; aber die
Frage nach Erkenntnisleistung und objektiver Geltung dieser Psy-
chologie ist natürlich überall hineingewoben. Und ebenso werden
wir sehen, dass Humboldt Kants Phänomenalismus vor der er-
wähnten spekulativen Epoche nie als völlige Bewusstseinsimmanenz
gedeutet hat, dass er vielmehr den subjektiven Ausgangspunkt
mit einer naturalistisch-monistischen Metaphysik in Einklang zu
bringen wusste, die weit über die vorsichtigen Andeutungen der
K. d. U. hinausging. Diese kritische Seite, in der ja unzweifel-
haft der Formalismus nicht minder herrscht als in der rationa-
listischen Spekulation, war überhaupt für Humboldts auf Fülle des
Materialen gerichteten Geist nicht das Wesentliche an Kant: eine
andere Seite seines Denkens stand ihm höher; denn zweitens
bedeutet nun jene Wendung zum Subjekt ein Weltan-
schauungsmoment. Der subjektivistische Zug der Neuzeit
spiegelt sich in dieser Methode, die von innen nach aussen geht:
Die Versenkung in die Innerlichkeit enthüllt dem modernen Geist,
der in den Tiefen seiner Individualität für sich ist, die eigentliche
Bedeutung des Lebens. Bei Humboldt strebte von früh auf alles
dahin, sich in dieser Domäne anzusiedeln, durch Selbstkultur den
Selbstwert zu erhöhen, alles Äussere sich durch Aufnahme in
diesen Innenbezirk zu assimilieren, ohne sich doch je an dies
Fremde zu verlieren oder in ihm etwas Eigenwertiges zu erblicken.
„Aus des Busens Tiefe strömt Gedeihen."^) Je älter er wurde,
desto mehr fühlte er die Bänder, die die Tiefen des Selbst mit den
Tiefen des Weltgeheimnisses verknüpfen. Ganz wie Fichte und
Schelling sah er zuletzt in jeder Individualität eine Idee, d. h. eine Er-
scheinungsform des Absoluten. Es ist nicht der Ort, auf diese
Folgerungen aus dem Kantisch-subjektiven Ausgangspunkt-e hier
näher einzugehen.
») Haym, S. 50 f., 196 ff., 258 f.
W. V. Humboldt und Kant. 77
2. Dieser Ausgangspunkt aber ist noch nicht das Üanze;
um ihn in seiner eigentlich Kantischen Bedeutung zu fassen,
müssen wir hinzunehmen, dass Kant nicht in einem anarchischen
Subjektivismus stecken blieb. Das Eigentümliche seines Verfahrens
liegt vielmehr gerade darin, dass er im Subjekt den festen
Angelpunkt aller üewissheit findet, dass er in ihm und nur in
ihm die feststehenden Funktionen findet, aus denen alles in der
Welt hervorgeht, was in irgend einer Rücksicht als allgemein-
giltig, notwendig, verpflichtend auftritt. Alles Bisherige
würde also Humboldt noch nicht zum Kritizisten machen; das
kritische Moment liegt eben in der Richtung auf das Allgemeingiltig-
Notwendige. Es handelt sich bei Kant um die Deduktion der
Giltigkeit dieser Funktionen, d. h. um den Nachweis, dass nur
durch sie die gesetzliche Welt konstruierbar wird. Es handelt
sich um die konstituierenden Grundbedingungen aller (urteilenden)
Erfahrung überhaupt. Der Objektivitätsanspruch ist das eigent-
liche Problem. Und gleichviel, ob Kant diesen Anspruch bewiesen,
oder ihn nur ans Licht gezogen hat, so liegt hierin jedenfalls das
Geniale seiner Problemstellung und dasjenige, was die an Wolffs
Dogmatismus müde gewordenen besonders anziehen musste. Hum-
boldts hochentwickeltes intellektuelles Bedürfnis hatte diese
Richtung der Analyse auf Überindividualität, Objektivität, durch-
gängige Ordnung und Verknüpfung früh erkannt und gewürdigt.
Daher äussert er Körner gegenüber, wenn er auch als „ein in
hohem Grade skeptischer Kopf" nirgends das Recht selbständiger
Prüfung aufgiebt: „Wir besitzen eine feste, auf streng bewiesenen
Grundsätzen mit kritischer Genauigkeit aufgeführte Philosophie
(denn wer kann diese Kriterien iü der Kantischen verkennen?)."^)
Die Tendenz zur Allgemeingiltigkeit und Notwendigkeit,
m. a. W. zur Wissenschaftlichkeit, tritt uns wiederum durch den
Kontrast zu F. H. Jacobis Richtung am schärfsten entgegen. Die
Woldemarresension rollt die ganze Frage noch einmal auf. Sie
definiert als einziges Ziel alles Philosophierens „die Erkenntnis
aussersinnlicher Wahrheiten und die strenge Prüfung der Festig-
keit dieser Erkenntnis". Die Forderung, die Humboldt früher,*)
vielleicht aus Konnivenz gegen Jacobi, problematisch gelassen
hatte, begegnet uns nun wiederholt mit aller Entschiedenheit:
1) An Körner, S. 10 f.
^ An Jacobi, S. 31.
78 K. Sprangei*,
„die Wahrheit ist durchaus objektiv uod allgemein". 0 „Die Philo-
sophie sollte am wenigsten Spuren der Eigentfimlichkeit des
Philosophierenden tragen."-) Von dieser strengen Philosophie,
die die ^Möglichkeit objektiver Erkenntnis" bestimmen will, unter-
scheidet sich scharf eine andere, die mehr ein getreuer Ausdruck
der geistigen Individualität ihres Urhebers ist. Und da jede Philoso-
phie, wie Humboldt in Übereinstimmung mit Jacobi (nnd Fichte!) zo-
giebt, „zuletzt auf ein unmittelbares Bewusstsein als auf eine Tatsache
fussen" muss, so wird dieser subjektive Einschlag in gewissem
Grade an jeder Philosophie feststellbar sein.*) Danach ergeben
sich auch zwei ganz verschiedene Ziele für die Geschichts-
schreibung der Philosophie, jenachdem sie auf das objektive Re-
sultat oder den subjektiven Ursprung Wert legt. Hamboldt be-
rührt sich hier durchaus mit Friedrich Schlegel, wenn er Jacobi
als den Philosophen seiner eigenen Subjektivität hinstellt; aber er
fühlt das Recht dieser Subjektivität und ihren schöpferischen
Wert tiefer als jener, und er musste es, da er die Individualit&t
durchgängig als einen positiven Wert empfand. So geht er hier
auf Kantische Weise unvermerkt über Kantische Wege hinaas:
Soll dem subjektiven Schauen noch ein Mass von Allgemeingiltig-
keit zukommen, so ist dies nur dadurch möglich, dass eine solche
schöpferische Persönlichkeit in sich selbst „eine hohe Menschheit*'
trägt, die das Zufällige des Charakters von sich abgesondert und
sich der Menschheit in ihrer idealen Gestalt genähert hat.*)
Diesen fruchtbaren Gedanken von der typischen Bedeutung der
individuellen Produktion hat Humboldt schon in der nächsten
Schrift weiter verfolgt. Es war doch mehr als freundschaftliche
Nachsicht,^) was ihn an Jacobi fesselte: in ihm trat ihm zum
ersten Male echte Genialität gegenüber. Wie nun schafft das
Genie? Nicht anders, als dass es alles Zufällige von sich ab-
streift, das Notwendige aus der Tiefe seiner Vernunft hervorzieht
und „sein Ich zu dem Umfang einer Welt erweitert". „Daher
erfordert dasselbe, wofern es schöpferisch werden soll, die höchste
1) w. W. I, 382.
2) W. W. I, 267.
3) W. W. I, 289.
*) W W. I, 290. Übrigens geht Schillers Matthissonrezension von
demselbeu Gedanken aus.
s) Die Stellen Leitzmann, S. 137 und an Kömer, S. 36 f. sind mir
bekannt
W. V. Humboldt und Kant. 79
jektivität, d. h. eio io Bedürfnis übergehendes Vermögen, das
twendige zu ergreifen. Dieses aber kann es nur aus seinem
lern schöpfen, oder es muss vielmehr sein eigenes subjektives
i zufälliges Dasein in ein notwendiges verwandeln."^) Offenbar
iz die Auffassung der Kr. d. ü. (§ 46 ff.) von dem Genie, das
s Natur die Regel giebt"! Ja es klingt wie eine blosse üm-
treibnng des dort Gelesenen, wenn er diese Gedankenreihen
ler ausführt: „Das wahrhaft Genialische ist keine Folgerung
; bloss schnell übersehenen, mittelbar zusammenhängenden
Äen, es ist wirkliche Erfindung, wenngleich das, was nicht
ser Art ist, ebenfalls auf genieähnliche Weise hervorgebracht
Q kann. Was hingegen das echte Gepräge des Genies an der
m trägt, gleicht einem eigenen Wesen für sich, mit eigenem
ranischem Leben [K. Ph. Moritz]. Durch seine Natur schreibt
Gesetze vor. Nicht wie die Theorie, welche der Verstand
g^am auf Begriffe gründet, giebt es die Regel in toten Buch-
ben, sondern unmittelbar durch sich selbst, und mit ihr zugleich
I Sporn, sie zu üben. Denn jedes Werk des Genies ist wiederum
geisternd für das Genie, und pflanzt so sein eigenes Geschlecht
t.**^) So wird also zuletzt auch die subjektiv-geniale Philosophie
r nach ihrem objektiv-giltigen Gehalt bewertet. Und zugleich
t)eD wir hierin den ersten Beleg dafür, wie bei Humboldt das
ilosophisch-Erkenntnistheoretische gleichsam naturnotwendig ins
thetische ausmündet (vgl. sub III).
Am interessantesten aber ist die Anwendung des kritischen
sichtspnnktes auf die Psychologie. Humboldts ganzes wissen-
laftlicbes Interesse ist auf geistige Tatsachen gerichtet: auf
schichte und Psychologie wendet er den Forscher- und Ent-
;kerblick, mit dem sein Bruder die Welt durchwanderte. Zur
turwissenschaft hat Wilhelm sich um ihrer selbst willen nie
ilfezogen gefühlt. Kant seinerseits hatte zwei Gebiete seiner
itik unterworfen: vor allem die Naturwissenschaft, sodann die
rausche Welt, diese aber nur, sofern es sich um die Begründung
er wissenschaftlichen normativen Ethik, um die Kritik des
liens handelte. Es kam ihm zunächst darauf an, die äussere
îlt, die durch den extremen Psychologismus Humes problema-
:h geworden war, zu retten. Durch dieses vorwaltende Inter-
e erhielt nun die Kategorienlehre eine einseitige Gestalt. Das
0 W. W. I, 318.
«) W. W. I, 317.
HO K. Spran^ef,
ganze psychophysische Gebiet fiel heraus, und das psychologische
wurde in zwei unverbindbare Hälften zenissen; zwischen dem
Mechanismus der Neigungen, der als blosser kausaler Ablauf ge-
dacht wird, und dem normativen Gebiet, in dem das Phänomen
der Verpflichtung dominiert, klafft ein ungeheurer Spalt, der für
die Geisteswissenschaften, wie mit Energie festgehalten werden
muss, methodisch so nicht bestehen bleiben kaun.^) Natur und
Vernunft, oder nach Humboldts Ausdruck: Naturcharakter und
V^ernunftcharakter wurden in eine Dualität auseinandergerissen, in
der sie kraft ihres Zusammenwirkens nicht stehen können. Das
Problem des Schematismus: wie sind reine Vernunftgesetze auf
das Triebsystem eines der Natur eingegliederten Wesens anwend-
bar? blieb im wesentlichen unerörtert. Fichte, Schiller, Humboldt
haben hier Auf Kants Grunde weitergebaut; aber für Humboldt
wurde nun das Problem einer wissenschaftlichen Psychologie be-
sonders dringend, weil sein Denken ihn immer wieder auf die zwei
Themata führte : Charakterologie (einschliesslich der Charakteristik
ganzer historischer Zeitalter) und Theorie der Bildung des
Menschen. Wie sollte jemand, für den Geschichte, Psychologie
und Ethik ein grosses Ganzes bedeuteten, mit dem bei Kant vor-
gefundenen Dualismus von Kategorien arbeiten können? Wie
sollte ihre Grenze und ihr Verhältnis zu einander im konkreten
Fall bestimmt werden?
In dieser Lage macht nun Humboldt den interessanten Ver-
such, die kritischen Postulate auf die Psychologie zu übertragen,
d. h. in der seelischen Welt eine analoge, eigene Gesetzlichkeit
zur Grundlage zu machen, wie in der physischen. Diesen G^
danken deutet er zuerst in dem „Plan einer vergleichenden Anthro-
pologie" (1795) an; mit voller Schärfe formuliert er ihn in der
grossen Charakterologie „Das 18. Jahrhundert". Gleichwohl hat
er diese Antinomie zwischen Ablauf und Normativität
niemals ganz überwunden ; sie gehört zu dem Grundproblematischen
des Lebens.
An der erstgenannten Stelle scheidet er zunächst die drei
Gesichtspunkte, unter denen der Mensch betrachtet werden kann.
Er ist erstens ein Glied der physischen Natur; als solches ist er
1) Wie tief dieses Problem das ganze Denken der Zeit beeinflnsst,
habe ich bereits dargestellt in m. Abhandlung: Altensteins Denkschrift
von 1807 und ihre Beziehungen zur Philosophie. Forschungen zur brdbg.-
preuss. Geschichte XVIII, S. 486.
W. V Öumboldt una Kant. 81
festen Naturgesetzen, denen der organischen Natur, unterworfen
matürwissenschaftliche Behandlung). Sodann ist er Vemunft-
wesen, zwar frei, aber die Freiheit giebt sich im Kantischen Sinne
selbst das Gesetz, und diese Gesetze sind ebenso notwendig wie
die der Natur (philosophische und ästhetische Beurteilung). End-
lich ist der Mensch ein Mittelwesen, das beiden Reihen einge-
gliedert ist, in dem also Wirkungen beider zusammentreffen. Als
solches kann er bloss historisch dargestellt werden ; hier ist vieles
zufällig: „Das Warum? erlaubt keine befriedigende Antwort**; die
Willkür herrscht oder das Schicksal (historische Behandlung). —
Es liegt am Tage, dass dieses Mittelreich, in dem die sinnlichen
und rein geistigen Kräfte zusammenwirken, als ein völlig ir-
rationales Gebiet der wissenschaftlichen Behandlung am meisten
widerstrebt. Humboldt ahnt, dass die psychologische Inter-
pretation auch hier von Erfolg gekrönt sein wird; aber er geht
dieser Ideenrichtung nicht weiter nach.^)
Grosszügiger behandelt er ein Jahr später^) dasselbe Pro-
blem: Das irrationale Mittelgebiet wird hier mutig — wenigstens
dem Postulat nach — ausgeschaltet. „Das allgemeinste Bestreben
der menschlichen Vernunft ist auf die Vernichtung des Zufalls
gerichtet. Im Gebiete des Willens soll er nie herrschen; im
Reiche der Natur nirgends zu herrschen scheinen." Zunächst das
letztere: jede Naturerscheinung steht unter notwendigen Gesetzen.
So ist auch der individuelle Charakter eines Menschen oder einer
Zeit im Zusammenwirken zahlloser Umstände, wie wir voraus-
setzen, mit strenger Notwendigkeit entstanden. Darüber aber er-
hebt sich mit gleicher Strenge die Gesetzlichkeit des Vernunft-
reichs: „Der Inbegriff aller unserer Handlungen, auch die kleinste
nicht ausgenommen, kann durch die Kraft unseres Willens allein
von den Grundsätzen unserer Vernunft abhängig gemacht werden.**
Trotz aller scheinbaren Willkür darf auch hier dem Zufall kein
Raum gestattet werden. Das gilt nicht nur vom einzelnen Ge-
schehen, sondern auch von der Gesamtbewegung der menschlichen
Geschichte. „Das Gebot der Vernunft, tiberall mit Verbannung
des Zufälligen feste Gesetze zu suchen und aufzustellen, muss
auch hier seine Anwendung finden.** Gesetzt selbst, dass die
Wissenschaft auf dieses Postulat verzichten könnte, so könnten
1) W. W. I, 396 ff.
«) W. W. II. 6 ff.
JCaiitatttdUn Xlil.
8â È. Spränget*,
wir doch für unsere praktischen Aufgaben eine solche Voraus-
setzung nicht entbehren: „Dass wir in unseren Handlungen dem
Zufalle keinen Raum verstatten, darauf beruht unsere Sittlichkeit
und Menschlichkeit selbst, und hier dürfen wir daher weder müssig
noch gleichgiltig sein."" Beide Gesetzmässigkeiten in ihrem Zu-
sammenwirken, oder — nach einer später zu universaler Bedentang
gelangenden Terminologie: Das harmonische Zusammen-
fallen von Freiheit und Notwendigkeit^) — bilden die un-
erlässliche Voraussetzung für unser Handeln. Die eine entspricht
dem mechanisch-naturhaften Prinzip, das Kant als Antagonismus
der Gesellschaft bezeichnete, die andere der regulativen Idee eines
planmässigen Fortschreitens der Menschheit zu einem höchsten
Ziel. Diese Erziehung des Menschengeschlechtes ist freilich nur
eine leitende Idee: „Nur unser Geist soll von dem erhabenen Ge-
danken eines allgemeinen Zusammenwirkens aller Wesen und
Kräfte durchdrungen sein, nur die leitenden Grundsätze unseres
Verhaltens sollen wir, um der allgemeinsten Übereinstimmung unter
ihnen gewiss zu sein, auch an diesem Probierstein prüfen, nur
unsere Einbildungskraft mit diesen grossen Bildern begeisternd
beschäftigen."^)
Die Verwandtschaft dieser Gedanken mit Kants „Idee einer
allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" ist nicht zu
verkennen. Es mag uns befremden, dass Humboldt bei seinem
hochentwickelten psychologischen Interesse die Vernunftidee, also
etwas halb Metaphysisches, so in den Vordergrund stellt. Fand
doch selbst Schiller das Thema zu philosophisch und zu wenig
psychologisch behandelt; fühlte er doch einen ihn störenden An-
klang an '„die Weltverbesserer, z. B. Fichte und Konsorten",
heraus. Aber gerade dies ist nun die Eigentümlichkeit der Hum-
boldtschen Psychologie, dass sie durchgängig dies normative Mo-
ment der Beziehung auf das Ideal in sich trägt.^ Jede Indivi-
dualität muss von der Idealität aus beurteilt werden. So heilt er
von innen heraus den Bruch, den Kant zwischen den Leiden-
schaften und ihrem ethisch wertvollen Produkt hatte bestehen
1) W. W. I, 342. Vgl an eine Freundin 6. IX. 1826.
2) W. W. n, 12.
') Dass aUe Begriffe von geistigen Tatsachen an sich normativen
Charakter tragen, hat Kühnemann, (Kants und SchiUers BegrOnduDg
der Ästhetik, S. 107 ff.) für die Ästhetik mit feinem Sinn dargelegt. Der
Gesichtspunkt ist von der höchsten Bedeutung.
W. V. Humboldt und Kant. 83
lassen uod den Hegel gleich unerträglich als „List der Vernunft"
mythologisierte. Das also ist Humboldts geschichtsphilosophisches
Problem, noch ehe er seine historische Ideenlehre voll ausgebildet
hatte, den inneren Zusammenhang von Individualität und Idee
zu erahnen. Sein bleibendes Bestreben ist es daher, die Indivi-
dualität der historischen Wirklichkeit aufs zarteste zu schonen, ohne
doch die durchgängige teleologische Beziehung des Historischen auf ein
Ideal aufzugeben. Nur kann dies dann kein einförmiges oder for-
males Ideal sein, sondern es muss das Menschliche in seiner aller-
höchsten Weite, die reich und voll bis zur Allseitigkeit entfaltete
Menschennatur ausdrücken. Kein einzelner Mensch und keine
einzelne Nation vermag dieses Ideal konkret darzustellen. Jede
Zeit verwirklicht nur einen einseitigen Teil davon, obwohl ihr
Blick immer auf das Ganze, auf diejenige Latitude gerichtet sein
mnss, die nur alle Menschen aller Zeiten zusammen darstellen,
also auf das Humanität s ideal. Dies Ideal — darin haben wir die
zweite Brücke der Erkenntnistheorie zur Ästhetik — ist in den
Individuen in einer ästhetischen Weise immanent. Deshalb muss
anch die methodische Operation des Historikers, die Interpretation,
immer diesen ästhetischen Zug an sich tragen : Er hegt in sich,
in seiner Phantasie, das Bild jener reichen und vollen Menschheit;
an diesem humanistischen Ideal allein misst er die einzelne Er-
scheinung, auf ihrem Hintergrunde allein vermag er ihre Besonder-
heit abzuzeichnen, in der Beziehung auf sie allein erfasst er das
innere Bildungsgesetz und die „reine Form" der Menschheit.
Deshalb also ist der Historiker Künstler, weil er an dem Indi-
viduellen die Idee (mit ihrer Gesetzlichkeit, Notwendigkeit und
Unendlichkeit zugleich) zur Darstellung bringen muss, weil er in
der Fülle des Stoffes, den ihm die Mannigfaltigkeit historisch-psy-
chologischer Versenkung bietet, die ideelle Einheit und Gesetz-
lichkeit erfasst.
Wir haben mit den letzten Folgerungen bereits bis in die
Zeit der berühmten Akademierede von 1821 vorgegriffen, nicht
ohne geheime Polemik gegen moderne Kantianer, für die die Ge-
schichte Darstellung des Einmaligen ist. Aber auch Humboldt
hat diesen Gedanken einer geistigen Gesetzmässigkeit und der in
der Interpretation liegenden formalen Kategorien nicht bis zu
Ende durchgeführt. Hätte er es getan, so würde uns deutlicher
geworden sein, welcher tiefe Gedanke in dieser methodischen Be-
ziehung der Individualität auf die Idealität liegt. Es folgt daraus,
6*
84 Ê. Sprangef,
dass es eine streng deskriptive Psychologie nicht g^ebt, sondern
dass jede psychologische Interpretation erstens abhängig ist
von dem Gesamtsystem unserer eigenen Werte und Weiten, und
zweitens auf diese unmittelbar befruchtend (also normaÜT)
zurückwirkt. M. a. W. : Jede historisch-psychologische Arbeit hat
unmittelbar eine ethische Voraussetzung und ebenso unmittelbar
eine ethisch bereichernde Konsequenz. Doch greife ich damit der
Gesamtdarstellung vor, ohne das Problem hier erschöpfen zn
können.
3. Gerade im Zusammenhang des historischen Erkennens
aber steigt ein verwandtes Problem vor Humboldt auf, das seine
Stellung zu Kants Erkenntnistheorie erheblich beeinflusst Schon
in seinem frühesten geschichtsphilosophischen Aufsatz („Über die
Gesetze der Entwickelung der menschlichen Kräfte** 1791), der
die eben entwickelten Gedanken keimhaft andeutet, findet er sich
vor der Kluft, die sich zwischen der Individualität der Wirklich-
keitserfahrung und dem Streben der Erkenntnis nach dem All-
gemeinen auftut. Indem er das Gewebe der menschlichen Krftfte
zu entwirren, ein Gesetz der Entwickelung zu entdecken suchte
kommt er zu dem Resultat, dass die so gefundenen Gesetze auf
die wirkliche Welt ganz und gar keine Anwendung finden, ja
dass alle unsere Erkenntnis an dem Fehler krankt, „Individuali-
täten der Wirklichkeit in Allgemeinheiten der Idee zu ve^
wandeln**.
Dass Humboldt diese alte Antinomie, um die sich Bealismns
und Nominalismus stritten und die man noch heute ä la Wolff
trotz ihrer Hoffnungslosigkeit zur Grundlage ganzer Wissenschafts-
theorien macht, empfand, ist nicht zu verwundem. Bei seiner
Geistesart aber musste sie zu einer höchst charakteristischen
Wendung führen. Humboldt lebt in einem frischen Gefühl seiner
Sinnlichkeit; die konkrete Welt in Raum und Zeit ist ihm etwas
Reales, Individualität echt Leibnizisch nicht eine Schranke, sondern
ein Reichtum. Nun war es bei Kant der Begriff der Vernunft,
der alles normalisierte, der Begriff der Einbildungskraft hingegen,
der zur konkreten, farbenreichen Wirklichkeit hinüberführte. Es
ist leicht zu sagen, für welchen von beiden^Humboldt Partei er-
greifen musste.
Schon den Ausdruck Vernunft finden wir bei ihm im
engeren (kritischen) und in einem weiteren, mehr an Jacobi er-
innernden Sinne gebraucht. Im ersten ist sie eine blosse Form,
W. V. Humboldt und Kant. 85
leeres Ordnungsprinzip. Vernunft ist die „Fähigkeit, die
terie zu ordnen, ihr die Form zu geben**. ^) „Die Vernunft hat
hl Fähigkeit, vorhandenen Stoff zu bilden, aber nicht Kraft,
len zu erzeugen."*) „Was hilft uns die Fähigkeit, der Kraft
Richtung zu geben — und ist Vernunft wohl mehr? — wenn
$ die Kraft selbst gebricht?" 3) Noch in der Charakteristik des
Jahrhunderts gilt ihm die blosse Vernunft als kalt und un-
ion; im Rückblick auf das Zeitalter, das sie beherrschte, wirft
ihr vor, dass sie dem Geiste „eine gewisse Kälte und Nüchtem-
t** mitgeteilt habe>) Alle diese und manche andere Stellen
liten sich doch, wie wir bei der Darstellung der Ethik noch
ler sehen werden, implicite gegen Kant. Denn Humboldts
ndenz ist nicht auf das „Reine** im Sinne der Abstraktion,
idern auf Erfassung der „Totalität** im Sinne der Lebendigkeit
richtet. ö) Ihm schwebte daher ein weiterer Begriff der Ver-
aft vor, den er einmal sehr ausführUch mit folgenden Worten
•iniert : „Ich verstehe unter der Vernunft das ganze intellektuelle
rmögen des Menschen, seine ganze Fähigkeit, Ideen aufzufassen,
's durch Beobachtung der Sinne oder durch das Anstrengen der
3le auf der Dinge innere Beschaffenheiten; und die aufgefassten
len zu verarbeiten durch Vergleichung, Verknüpfung und
ennung.**^) Dieser Gedanke, dass das vernünftige Wesen des
nschen in dem Reichtum, der Fülle und Lebhaftigkeit von
len besteht, weist ganz unverkennbar auf die ästhetische Theorie
1 Dubos zurück, die Mendelssohn, Sulzer, Engel, jeder nach
ner Art im Sinne der Leibnizschen Monadenlehre, ausgestaltet
:ten. Es giebt der Seele, wie er an Karoline v. Beulwitz 7)
treibt, ein Bewusstsein der Kraft, wenn sie unermüdet Ideen
Ideen reiht und sie von allen Gesichtspunkten und Seiten
-chprüft. „Fülle der Ideen und Innigkeit ihres Zusammenhanges
doch das, was den Grad alles intellektuellen Genusses be-
nmt.** ^) So haben wir hier die dritte Brücke von der Erkennt-
») An Jacobi, S. 94. W. W. H, 92.
«) W. W. I, 80.
') An Karoline v. Beulwitz, 23. L 1789. Deutsche Bundschan, 1891,
66, S. 239.
*) W. W. U. 103. 109.
^) Vgl. die oben erwähnten Stellen an Forster 280, 281.
«) W. W. I, 60.
?) a, a. O., S. 243.
») W. W. I, 61.
86 E. Spranger,
nistheorie zur Ästhetik. Ihre klassische Formulierung bieten die
Worte an die Braut: „Der Mensch ist eigentlich in seiner wahren
Würde, sieht die Wahrheit der Wesen um ihn her, empfindet sich
in seinem eigentümlichen Sein und stellt die Schönheit wieder
dar, wenn das, was wir mehrenteils Stoff des Verstandes, des
kalten Denkens nennen, in ihm in Empfindung übergeht. Aber
hier ist er zwischen schmalen, leichttäuschenden Grenzen. Auf
der einen Seite das helle Sein der trockenen, kalten Vernunft, auf
der andern — das Herabsinken von der Sinnlichkeit zum mehr
körperlichen Genuss. Das freieste Bewusstsein in der höchsten,
glühendsten Empfindung ist des Menschen höchstes Ziel." ^) Also
wieder das starke Bewusstsein von der Naturgrundlage des
geistigen Wesens im Menschen, das Streben, den Dualismus Kants
zu überbrücken und zur harmonischen Totalität der menschlichen
Seele zu gelangen.
Naturgemäss heftet sich deshalb sein Hauptinteresse an den
Begriff der Einbildungskraft, die schon bei Kant diese
Mittlerrolle spielte. „Die Seelenfähigkeit, welche uns vorzüglich
zu dieser Verknüpfung des Sinnlichen mit dem Unsinnlichen dient,
ist die Einbildungskraft.'''^) Sie ist es, die den Reichtum des
geistigen Gehaltes ans Licht bringt, indem sie ihn sensifiziert und
konkretisiert; daher die grosse philosophische Bedeutung der Dar-
stellung durch ästhetische Symbole. '^) Sie ist es auch, die die
Einförmigkeit des Sittengesetzes belebt, indem sie ihm konkrete
Anwendungsfälle verschafft (s. u.). Und sie ist es endlich, in
deren Tätigkeit alle übrigen Seelenäusserungen zusammenwirken:
beim Kunstschaffen, beim Kunstgenuss und in der psychologisch*
historischen Interpretation; denn nur in der Vereinigung aller
Gemütskräfte zur Nachempfindung erfassen wir das geistige Leben
in seiner Totalität, das der blossen Abstraktion immer verschlossen
bleibt.*) In dem Begriff der Einbildungskraft also haben wir
diejenige Stelle, an der Humboldt Kants System am selbständigsten
weitergebildet hat.^) —
So leitet denn die Erkenntnistheorie gerade in ihren Kan-
tischen Momenten ganz von selbst zur Ästhetik und Ethik über.
1) Briefe aus der Brautzeit, S. 322. Vgl. R. 220.
2) W. W. I. 57.
^ W. W. I, 3.36.
*) I, 313.
*) Näheres (besonders über das Genie) s. sub lu.
W. V. Humboldt und Kant. 87
I SO loser aber ist die Verbindang, in der sie mit Humboldts
taphysischen Grundanschauungen steht. Wir beobachten hier
s eigentümliche Phänomen, dass jemand, der durch die Schule
* Wolffschen Philosophie hindurchgegangen ist und sich in ent-
teidenden Punkten seines Denkens zu Kant bekennt, von früh
l seinem Lebensgefühl nach zu einer naturalistischen Metaphysik
gt. Natürlich handelt es sich um den monistischen Naturalis-
s, der — von Shaftesbury herkommend — damals dem Spinoza
patiert wird und in Herders organische Allbeseelungslehre aus^
ndet, nicht um den französischen Materialismus. Charakteristisch
for diese Richtung von vornherein die gefühlsmässige, ästhetische
uition, vermöge deren sie Geistiges und Körperliches in eins
ht. Es ist das Grundgefühl, das in Winckelmann lebendig
•d und das Auge für die Skulptur erweckt, das durch Bousseaus
tursinn fortklingt, das sich in all den zahllosen physiognomischen
ten äussert, an denen auch Humboldt sein Lebenlang festhielt.^)
n eigentliches Interesse ist durchaus und überall psychologisch;
siedelt sich in dem Grenzgebiet an, wo sich Geistiges und
mliches durchdringen. Dabei muss map festhalten, dass der
griff des Sinnlichen damals weiter war als heute. Die ganze
bare der unteren Seelenkräfte, also das Trieb- und Gefühlsleben,
rd mit in ihn einbezogen. „Sinn^ bedeutet für Humboldt, ganz
3 für Jacobi, den ganzen Umkreis von Zuständen, in denen der
nsch Empfänglichkeit im Gegensatz zu der Selbsttätigkeit be-
ist, auf die sich Kants Analyse in allen drei Kritiken fast aus-
kliesslich bezogen hatte. Der Begriff der Natur hat entsprechend
n Gegensatz nicht das Psychische, sondern die Vernunft,
imboldts ganzes Wesen ist angelegt, dies primäre Recht der
inlichkeit (= Empfänglichkeit und Reizbarkeit überhaupt) an-
erkennen, weil er sie in sich selbst mächtig entwickelt fühlte,
.her verbindet für ihn nicht nur ein geheimnisvolles Band das
mliche mit dem Unsinnlichen, sondern er erklärt wiederholt
3 Geistige nur für die feinste Blüte der Körperlichkeit Das
eine These, die nach unserer Kantauffassung mit dem eigent-
hen kritischen Standpunkte unvereinbar ist. Sie ist platonischen
Sprungs, aber sie hängt auch mit panentheistischen Ideen zu-
nmen und kann so später in die eigenartige Identitätsphilosophie
0 Dies alles deute ich hier nur an. Die Aufftthnmg bringt die
BmmtdarsteUung in dem Kapitel: „Die Chiffreachrift der Natur*.
88 E. Spranger,
ausmündeo, die in den Menschen nnd Völkern zugleich Pflanzeo
und ürideen des Absoluten sieht. Die Konstruktion der Wirklich-
keit vom Subjekt aus, wie wir sie oben als Humboldts von Kant
übernommenes Verfahren beschrieben, hat also anfangs nur me-
thodische Bedeutung, nicht konstitutive. Doch erkennt man, dass
bei ihm wie bei Schelling diese doppelte Bewegung schliesslich
zu einem Gleichgewichtszustande führen musste, der in der
K. d. U. vorgebildet lag und in der spekulativen Versöhnung
von Transscendentalphilosophie und Naturphilosophie seine Voll-
endung fand.
Oleichwohl mussten nun dieser Naturalismus und die subjek-
tive Konstruktion vielfach antinomisch zusammenstossen. Jene
Deutung der Natur, die das Sinnliche als ein Zeichen des Unsinn-
liehen ansieht und geistige und physische Zeugung und Bildung
mit einander parallelisiert, überschreitet in Wahrheit die von Kant
gezogenen Grenzen; dessen ist sich Humboldt bald deutlicher,
bald leiser bewusst. Aber diese symbolische Interpretation lag
nun einmal in der unhemmbaren Bewegung des metaphysischen
Denkens der Zeit. Hat doch selbst Kant gelegentlich diesen Be-
griff der Natur, der ihr eine „Technik" (K. d. U. § 17) und eine
immanente Zweckmässigkeit mehr als regulativ beilegt; ja in der
K. d. ü. und in den geschichtsphilosophischen Aufsätzen wh^
dieser Gedanke vielleicht weiter ausgesponnen, als Kants eigene
Grundsätze es gestatten.^) Trotzdem bleibt Kant im ganzen bei
der Analyse der subjektiven Reflexionsmaxime stehen und folgt
den metaphysischen Perspektiven, die sie eröffnet, nicht allzu
weit. Humboldt hingegen, und mit ihm doch schliesslich Schel-
ling, Fichte, Hegel durchbrechen die kritischen Schranken und
machen aus dem Regulativen etwas Konstitutives. Anfangs be-
herrscht ihn das Interesse für Bildhauerkunst, Physiognomik und
Mimik ; später das psychophysische Phänomen, das im gesprochenen
Wort vorliegt. In beiden Fällen führt ihn ein metaphysischer
Trieb weit über das hinaus, was Kant aus den subjektiven Funk-
tionen abgelesen hätte. Deshalb waren z. B. Humboldts Horen-
aufsätze für Kant das Werk eines Schwärmers, der — im besten
Falle Herders Phantasien mit Kantischen Kategorien umkleidet
hatte. Dies ist es, was R. Haym platonisierten Kantianismos,
Steinthal kantisierten Spinozismus genannt, und was R. Sommer
0 Vgl hierzu W. W. I, 171.
W. V. Humboldt und Kant. 89
sehr richtig uoter dem Namen der Herderschen Naturanschauung
ails Hintergrund der ganzen klassischen Ästhetik, einschliesslich
der Schillers, nachgewiesen hat.
Ein Irrtum aber war es, wenn R. Haym diesen Symbolismus
selbst auf die Anregung der K. d. U. zurückführte. Abgesehen
davon, dass er überhaupt nichts spezifisch Kantisches, sondern
ZeitÄtmosphäre war, ist er bei Humboldt schon ein Jahr vor Er-
scheinen der K. d. U. ausgesprochen, in dem Aufsatz ^Über Reli-
gion", (der freilich, als Haym seine Biographie verfasste, noch
nicht bekannt war), und in mehreren Brief stellen.^) Humboldt wie
Kant stehen auf den Schultern der vorangegangenen Ästhetiker.
Es spricht aber für Humboldts Originalität wenigstens Kant und
Schiller gegenüber, dass ihm 1789 bereits der dreiteilige Ge-
dankenkomplex feststand: Das Sinnliche ist durch Natur oder
Kunst ein Zeichen des Geistigen; nur der ästhetische Sinn ver-
mag diese konkrete Darstellung von Vernunftideen im Physischen
aafzofassen; also liegt auch deshalb in der ästhetischen Aus-
weitung und Bildung eine natumotwendige Vorstufe der wahrhaft
ethischen Bildung. — Zugleich entsteht so die Betrachtungsweise,
die den Menschen als sinnlich-vernünftiges Wesen in seiner
geistigen Totalität anffasst und allein den geisteswissenschaft-
lichen Problemen methodisch zu genügen vermag.
II.
Ob es sich beim Verhältnis Schillers und Humboldts zu
Kants Ethik um eine Gegnerschaft oder um eine Ergänzung
handelt, ist unfruchtbarer Wortstreit; denn wer eine Ergänzung
für notwendig hält, wird eben dadurch zum Gegner der vorge-
fundenen Enge. Belangvoller ist die Frage, ob diejenigen Lebens-
werte, die über die Pflichtmässigkeit des Handelns hinausgreifen,
noch als sittliche oder bereits als ausserethische zu bezeichnen
sind. ^) Wenn wir uns dafür entscheiden, sie mit in den Kreis
des Ethischen einzubeziehen, so können wir den Grund nur an-
deuten: er liegt darin, dass das Pflichtmässige selbst von einem
konkret-historischen Lebensideal abhängig ist, ja gerade von
seiner Höhe aus erst die Sanktion empfängt. Christliche Pflichten
1) W. W. I, Ö6-68.
>) Vgl. B. Bauch, Schiller und die Idee der Freiheit. Kantetudien X,
S. 361.
90 E. Spranger,
giebt es nur, sofern es ein christliches Lebensideal giebt, nicht
umgekehrt.
Cm Kant hier richtig zu beurteilen, müssen wir ganz wie
bei seiner Erkenntnistheorie auch in der Ethik das methodische
Prinzip und den Weltanschauungsfaktor sondern. In erster Hin-
sicht ist sie Metaphysik der Sitten, d. h. sie sucht in höchster
Abstraktion das reine sittliche Phänomen und findet es in dem
absohlten Verpflichtungscharakter der sittlichen Maximen, die auf
nichts anderes teleologisch bezogen werden können, am aller-
wenigsten auf bloss individuelle Glückseligkeitswerte. Sofern es
sich um die Feststellung dieses (nach Kant) spezifisch Ethischen
handelt, darf man natürlich keine psychologische Analyse der
andersartigen Faktoren erwarten, in die es verflochten ist: es soll
ja eben herausgelöst werden. Als Weltanschauung anderer-
seits ist Kants Ethik ein Evangelium der höchsten Werte, ein
Kanon der sittlichen Pflicht, inneren Freiheit und Menschen-
würde. Was sie auf jener Seite an Wirklichkeitsnähe einbüsst,
gewinnt sie auf dieser an Kraft, obwohl sie keine neue ethische
Wertung schafft, sondern nur die bestehende in ihrer wahren
Würde zeigt. Gerade dies hat Humboldt als Kants Verdienst
empfunden: Auch die Aufklärung zwar wollte den sittlichen Werten
dienen; aber sie rückte sie philanthropisch in eine vertrauUche
Nähe und machte aus ihnen ein tägliches Gebrauchsmittel. Die
Geniemäuner und Sentimentalitätskreise mit ihrem Seelenkultus
andererseits lieferten sie an das blosse Gefühl und seine Launen
aus. Kant erhob sie aus der Sphäre der Nützlichkeit, Vollkommen-
heit, Liebenswürdigkeit energisch und streng in die der Erhabenheit
Auch die Anhänger der ästhetischen Erziehung haben das allezeit
gebilligt.
Nun aber hat Kant die Neigung, was nur Methode ist, in
einen inhaltlichen Satz zu verwandeln, oder die Reinheit der Ab-
straktion mit dem sittlichen (resp. ästhetischen) Begriff der Rein-
heit zu verwechseln. Die Wurzel dieser Neigung liegt tiefer als
in bloss methodischen Rücksichten. Sie liegt in seinem Lebens-
gefühl, in den harten Eindrücken der Umgebung, aus der er
stammte. Er ist zur stoischen Haltung erzogen: nichts begehren,
sich hüten vor den Dingen dieser Welt, die nie andere als un-
lautere, eigennützige Motive in uns erzeugen können! Also m
euergisclier Rückzug auf uns selbst, auf den tätigen, vernünftigen
Teil unserer Seele. Ihn gilt es durchzusetzen; alle Empfänglich-
W. V. Humboldt und Kant. 91
keit ist „pathologisch", d. h. eii^e Art von Selbstwegwerfung. Ein
grandioser ethischer Typus, und doch wieder kleinlich! Naturen
von dem Reichtum und der Kenaissancefärbung Schillers konnten
darin ein Zeichen finden, dass „dieser heiteie und jovialische
Geist seine Flügel nicht ganz von dem Lebensschmutz hat los-
machen können". 0 Hier erfassen wir den tiefsten Unterschied
dieser Geister: die Neuhumanisten geben sich der Fülle des
Lebens mit empfänglicher Freude, mit reizbaren Organen unö leb-
hafter Sinnlichkeit hin. Sie bereichern ihr Selbst und wollen es
zum Universum erweitern. Aber auch sie wollen ihre Innerlich-
keit nicht aufgeben. Auch ihnen ist die äussere Welt etwas
Fremdes; erst wenn sie sie assimiliert haben, erst wenn sie ein
Eigentum, ja ein Stück ihres Selbst ist, gewinnt sie ethische Be-
deutung.*) Das also ist es, was Humboldt von vornherein von
Kant unterscheidet: er glaubt nicht daran, dass Empfänglichkeit
und Autonomie sich ausschliessen. Weil er nun aber die Funktion
der autonomen Gestaltung weiter ausdehnt, muss natürlich auch
die Methode erweitert werden, muss er die Einzelfälle, in denen
das von Kant aufgefundene ethische Grundphänomen auftritt, im
einzelnen studieren.^
Und fast möchte man es als einen apriori wahrscheinlichen
Satz hinstellen, dass die Arbeit, die die englische Moralphilosophie
für die Analyse des sittlichen Bewusstseins geleistet hatte, unmög-
lich ganz verloren sein konnte. Hatte sich doch aus der All-
einheitsmetaphysik Shaftesburys, deren Grundbegriffe Technik der
Natur und Harmonie der Relationen waren, eine Ethik heraus-
differenziert, die die sittlichen Beziehungen nach allen Seiten
hin verfolgte. Ferguson stellte die Idee der Gattungsvollkommen-
heit an die Spitze, Ad. Smith das Phänomen der Sympathie, Hut-
cheson den sittlich-ästhetischen Sinn, Clarke die Analogien mit
dem Logischen u. s. w. Dabei war ihnen gemäss jener Shaftes-
buryschen Metaphysik Voraussetzung, dass das Centrum des
») An Goethe 21. XII. 1798, also in einer Zeit, in der SchiUer über
methodologische Probleme längst hinaus war.
«) Vgl. das Sonett: „Die Gesinnung". Sonette 18ô3. S. 07.
3) Die humanistische Moral ist aristokratisch : sie gilt nur von dem
bereit« £delgeborenen ; Kants Moral ist demokratisch ; er vergass nicht,
daas Herkules Ungeheuer zu bezwingen hat, ehe er Musaget wird. Der
Demokratismus Kants aber war Humboldt zuwider. Vgl. Leitzmann,
S. 189.
90 E. Spranger,
giebt es nur, sofern es ein christliches Lebensideal giebt, nicht
umgekehrt.
um Kant hier richtig zu beurteilen, müssen wir ganz wie
bei seiner Erkenntnistheorie auch in der Ethik das methodische
Prinzip und den Weltanschauungsfaktor sondern. In erster Hin-
sicht ist sie Metaphysik der Sitten, d. h. sie sucht in höchster
Abstraktion das reine sittliche Phänomen und findet es in dem
absoluten Verpflichtungscharakter der sittlichen Maximen, die auf
nichts anderes teleologisch bezogen werden können, am aller-
wenigsten auf bloss individuelle Glückseligkeitswerte. Sofern es
sich um die Feststellung dieses (nach Kant) spezifisch Ethischen
handelt, darf man natürlich keine psychologische Analyse der
andersartigen Faktoren erwarten, in die es verflochten ist: es soll
ja eben herausgelöst werden. Als Weltanschauung anderer-
seits ist Kants Ethik ein Evangelium der höchsten Werte, ein
Kanon der sittlichen Pflicht, inneren Freiheit und Menschen-
würde. Was sie auf jener Seite an Wirklichkeitsnähe einbüsst,
gewinnt sie auf dieser an Kraft, obwohl sie keine neue ethische
Wertung schafft, sondern nur die bestehende in ihrer wahren
Würde zeigt. Gerade dies hat Humboldt als Kants Verdienst
empfunden: Auch die Aufklärung zwar wollte den sittlichen Werten
dienen; aber sie rückte sie philanthropisch in eine vertrauliche
Nähe und machte aus ihnen ein tägliches Gebrauchsmittel. Die
Geniemänner und Sentimentalitätskreise mit ihrem Seelenkultus
andererseits lieferten sie an das blosse Gefühl und seine Launen
aus. Kant erhob sie aus der Sphäre der Nützlichkeit, Vollkommen-
heit, Liebenswürdigkeit energisch und streng in die der Erhabenheit
Auch die Anhänger der ästhetischen Erziehung haben das allezeit
gebilligt.
Nun aber hat Kant die Neigung, was nur Methode ist, in
einen inhaltlichen Satz zu verwandeln, oder die Reinheit der Ab-
straktion mit dem sittlichen (resp. ästhetischen) Begriff der Rein-
heit zu verwechseln. Die Wurzel dieser Neigung liegt tiefer als
in bloss methodischen Rücksichten. Sie liegt in seinem Lebens-
gefühl, in den harten Eindrücken der Umgebung, aus der er
stammte. Er ist zur stoischen Haltung erzogen: nichts begehren,
sich hüten vor den Dingen dieser Welt, die nie andere als un-
lautere, eigennützige Motive in uns erzeugen können! Also ein
energischer Rückzug auf uns selbst, auf den tätigen, vernünftigen
Teil unserer Seele. Ihn gilt es durchzusetzen; alle Empfänglich-
W. V. Humboldt und Kant. 91
keit ist „pathologisch", d. h. eii\e Art von Selbstwegwerfung. Ein
grandioser ethischer Typus, und doch wieder kleinlich! Naturen
von dem Reichtum und der Renaissancefärbung Schillers konnten
darin ein Zeichen finden, dass „dieser heiteie und jovialische
Geist seine Flügel nicht ganz von dem Lebensschmutz hat los-
machen können". >) Hier erfassen wir den tiefsten Unterschied
dieser Geister: die Neuhumanisten geben sich der Fülle des
Lebens mit empfänglicher Freude, mit reizbaren Organen unfi leb-
hafter Sinnlichkeit hin. Sie bereichern ihr Selbst und wollen es
zum Universum erweitern. Aber auch sie wollen ihre Innerlich-
keit nicht aufgeben. Auch ihnen ist die äussere Welt etwas
Fremdes; erst wenn sie sie assimiliert haben, erst wenn sie ein
Eigentum, ja ein Stück ihres Selbst ist, gewinnt sie ethische Be-
deutung.^) Das also ist es, was Humboldt von vornherein von
Kant unterscheidet: er glaubt nicht daran, dass Empfänglichkeit
und Autonomie sich ausschliessen. Weil er nun aber die Funktion
der autonomen Gestaltung weiter ausdehnt, muss natürlich auch
die Methode erweitert werden, muss er die Einzelfälle, in denen
das von Kant aufgefundene ethische Grundphänomen auftritt, im
einzehien studieren.^
Und fast möchte man es als einen apriori wahrscheinlichen
Satz hinstellen, dass die Arbeit, die die englische Moralphilosophie
für die Analyse des sittlichen Bewusstseins geleistet hatte, unmög-
lich ganz verloren sein konnte. Hatte sich doch aus der All-
einheitsmetaphysik Shaftesburys, deren Grundbegriffe Technik der
Natur und Harmonie der Relationen waren, eine Ethik heraus-
differenziert, die die sittlichen Beziehungen nach allen Seiten
hin verfolgte. Ferguson stellte die Idee der Gattungsvollkommen-
heit an die Spitze, Ad. Smith das Phänomen der Sympathie, Hut-
cheson den sittlich-ästhetischen Sinn, Clarke die Analogien mit
dem Logischen u. s. w. Dabei war ihnen gemäss jener Shaftes-
buryschen Metaphysik Voraussetzung, dass das Centrum des
») An Goethe 21. XII. 1798, also in einer Zeit, in der SchiUer über
methodologische Probleme längst hinaus war.
«) Vgl. das Sonett: „Die Gesinnung". Sonette 1863. S. 67.
3) Die humanistische Moral ist aristokratisch : sie gilt nur von dem
bereits Ëdelgeborenen ; Kants Moral ist demokratisch; er vergass nicht,
dam Herkules Ungeheuer zu bezwingen hat, ehe er Musaget wird. Der
Demokratismus Kants aber war Humboldt zuwider. Vgl. Leitzmann,
S. 189.
90 E. Spranger,
giebt es nur, sofern es ein christliches Lebensideal giebt, nicht
umgekehrt.
um Kant hier richtig zu beurteilen, müssen wir ganz wie
bei seiner Erkenntnistheorie auch in der Ethik das methodische
Prinzip und den Weltanschauungsfaktor sondern. In erster Hin-
sicht ist sie Metaphysik der Sitten, d. h. sie sucht in höchster
Abstraktion das reine sittliche Phänomen und findet es in dem
absoluten Verpflichtungscharakter der sittlichen Maximen, die auf
nichts anderes teleologisch bezogen werden können, am aller-
wenigsten auf bloss individuelle Glückseligkeitswerte. Sofern es
sich um die Feststellung dieses (nach Kant) spezifisch Ethischen
handelt, darf man natürlich keine psychologische Analyse der
andersartigen Faktoren erwarten, in die es verflochten ist : es soll
ja eben herausgelöst werden. Als Weltanschauung anderer-
seits ist Kants Ethik ein Evangelium der höchsten Werte, ein
Kanon der sittlichen Pflicht, inneren Freiheit und Menschen-
würde. Was sie auf jener Seite an Wirklichkeitsnähe einbüsst,
gewinnt sie auf dieser an Kraft, obwohl sie keine neue ethische
Wertung schafft, sondern nur die bestehende in ihrer wahren
Würde zeigt. Gerade dies hat Humboldt als Kants Verdienst
empfunden : Auch die Aufklärung zwar wollte den sittlichen Werten
dienen; aber sie rückte sie philanthropisch in eine vertrauliche
Nähe und machte aus ihnen ein tägliches Gebrauchsmittel. Die
Geniemänner und Sentimentalitätskreise mit ihrem Seelenkultus
andererseits lieferten sie an das blosse Gefühl und seine Launen
aus. Kant erhob sie aus der Sphäre der Nützlichkeit, Vollkommen-
heit, Liebenswürdigkeit energisch und streng in die der Erhabenheit
Auch die Anhänger der ästhetischen Erziehung haben das allezeit
gebilligt.
Nun aber hat Kant die Neigung, was nur Methode ist, in
einen inhaltlichen Satz zu verwandeln, oder die Reinheit der Ab-
straktion mit dem sittlichen (resp. ästhetischen) Begriff der Reb-
heit zu verwechseln. Die Wurzel dieser Neigung liegt tiefer als
in bloss methodischen Rücksichten. Sie liegt in seinem Lebens-
gefühl, in den harten Eindrücken der Umgebung, aus der er
stammte. Er ist zur stoischen Haltung erzogen: nichts begehren,
sich hüten vor den Dingen dieser Welt, die nie andere als un-
lautere, eigennützige Motive in uns erzeugen können! Also ein
energischer Rückzug auf uns selbst, auf den tätigen, vernünftigen
Teil unserer Seele. Ihn gilt es durchzusetzen; alle Empfänglich-
W. V. Humboldt und Kant. 91
keit ist „pathologisch", d. h. eirye Art von Selbst wegwerfung. Ein
grandioser ethischer Typus, und doch wieder kleinlich! Naturen
von dem Reichtum und der Renaissancefärbung Schillers konnten
darin ein Zeichen finden, dass „dieser heiteie und jovialische
Geist seine Flügel nicht ganz von dem Lebensschmutz hat los-
machen können". >) Hier erfassen wir den tiefsten Unterschied
dieser Geister: die Neuhumanisten geben sich der Fülle des
Lebens mit empfänglicher Freude, mit reizbaren Organen unfi leb-
hafter Sinnlichkeit hin. Sie bereichern ihr Selbst und wollen es
zum Universum erweitern. Aber auch sie wollen ihre Innerlich-
keit nicht aufgeben. Auch ihnen ist die äussere Welt etwas
Fremdes; erst wenn sie sie assimiliert haben, erst wenn sie ein
Eigentum, ja ein Stück ihres Selbst ist, gewinnt sie ethische Be-
deutung.^) Das also ist es, was Humboldt von vornherein von
Kant unterscheidet: er glaubt nicht daran, dass Empfänglichkeit
und Autonomie sich ausschliessen. Weil er nun aber die Funktion
der autonomen Gestaltung weiter ausdehnt, muss natürlich auch
die Methode erweitert werden, muss er die Einzelfälle, in denen
das von Kant aufgefundene ethische Grundphänomen auftritt, im
einzelnen studieren.^
Und fast möchte man es als einen apriori wahrscheinlichen
Satz hinstellen, dass die Arbeit, die die englische Moralphilosophie
für die Analyse des sittlichen Bewusstseins geleistet hatte, unmög-
lich ganz verloren sein konnte. Hatte sich doch aus der All-
einheitsmetaphysik Shaftesburys, deren Grundbegriffe Technik der
Natur und Harmonie der Relationen waren, eine Ethik heraus-
differenziert, die die sittlichen Beziehungen nach allen Seiten
hin verfolgte. Ferguson stellte die Idee der Gattungsvollkommen-
heit an die Spitze, Ad. Smith das Phänomen der Sympathie, Hut-
cheson den sittlich-ästhetischen Sinn, Clarke die Analogien mit
dem Logischen u. s. w. Dabei war ihnen gemäss jener Shaftes-
buryschen Metaphysik Voraussetzung, dass das Centrum des
0 An Goethe 21. XII. 1798, also in einer Zeit, in der SchiUer über
methodologische Probleme längst hinaus war.
«) Vgl. das Sonett: „Die Gesinnung". Sonette 1863. S. 67.
3) Die humanistische Moral ist aristokratisch: sie gilt nur von dem
bereits Ëdelgeborenen ; Kants Moral ist demokratisch ; er vergass nicht,
daat Herkules Ungeheuer zu bezwingen hat, ehe er Musaget wird. Der
Demokratismus Kants aber war Humboldt zuwider. Vgl. Leitzmann,
S. 189.
90 E. Spranger,
giebt es nur, sofern es ein christliches Lebensideal giebt, nicht
umgekehrt.
um Kant hier richtig zu beurteilen, müssen wir ganz wie
bei seiner Erkenntnistheorie auch in der Ethik das methodische
Prinzip und den Weltanschauungsfaktor sondern. In erster Hin-
sicht ist sie Metaphysik der Sitten, d. h. sie sucht in höchster
Abstraktion das reine sittliche Phänomen und findet es in dem
absoluten Verpflichtungscharakter der sittlichen Maximen, die auf
nichts anderes teleologisch bezogen werden können, am aller-
wenigsten auf bloss individuelle Glückseligkeitswerte. Sofern es
sich um die Feststellung dieses (nach Kant) spezifisch Ethischen
handelt, darf man natürlich keine psychologische Analyse der
andersartigen Faktoren erwarten, in die es verflochten ist: es soll
ja eben herausgelöst werden. Als Weltanschauung anderer-
seits ist Kants Ethik ein Evangelium der höchsten Werte, ein
Kanon der sittlichen Pflicht, inneren Freiheit und Menschen-
würde. Was sie auf jener Seite an Wirklichkeitsnähe einbüsst,
gewinnt sie auf dieser an Kraft, obwohl sie keine neue ethische
Wertung schafft, sondern nur die bestehende in ihrer wahren
Würde zeigt. Gerade dies hat Humboldt als Kants Verdienst
empfunden : Auch die Aufklärung zwar wollte den sittlichen Werten
dienen; aber sie rückte sie philanthropisch in eine vertrauliche
Nähe und machte aus ihnen ein tägliches Gebrauchsmittel. Die
Geniemänner und Sentimentalitätskreise mit ihrem Seelenkultus
andererseits lieferten sie an das blosse Gefühl und seine Launen
aus. Kant erhob sie aus der Sphäre der Nützlichkeit, Vollkommen-
heit, Liebenswürdigkeit energisch und streng in die der Erhabenheit.
Auch die Anhänger der ästhetischen Erziehung haben das allezeit
gebilligt.
Nun aber hat Kant die Neigung, was nur Methode ist, in
einen inhaltlichen Satz zu verwandeln, oder die Reinheit der Ab-
straktion mit dem sittlichen (resp. ästhetischen) Begriff der Rein-
heit zu verwechseln. Die Wurzel dieser Neigung liegt tiefer als
in bloss methodischen Rücksichten. Sie liegt in seinem Lebens-
gefühl, in den harten Eindrücken der Umgebung, aus der er
stammte. Er ist zur stoischen Haltung erzogen: nichts begehren,
sich hüten vor den Dingen dieser Welt, die nie andere als un-
lautere, eigennützige Motive in uns erzeugen können! Also em
energischer Rückzug auf uns selbst, auf den tätigen, vernünftigen
Teil unserer Seele. Ihn gilt es durchzusetzen; alle Empfänglich-
W. V. Humboldt und Kant. 91
keit ist „pathologisch", d. h. eii\e Art von Selbst weg werf ung. Ein
grandioser ethischer Typus, und doch wieder kleinlich! Naturen
Yon dem Reichtum und der Renaissancefärbung Schillers konnten
darin ein Zeichen finden, dass „dieser heiteie und jovialische
Geist seine Flügel nicht ganz von dem Lebensschmutz hat los-
machen können". >) Hier erfassen wir den tiefsten Unterschied
dieser Geister: die Neuhumanisten geben sich der Fülle des
Lebens mit empfänglicher Freude, mit reizbaren Organen unfi leb-
hafter Sinnlichkeit hin. Sie bereichern ihr Selbst und wollen es
zum Universum erweitern. Aber auch sie wollen ihre Innerlich-
keit nicht aufgeben. Auch ihnen ist die äussere Welt etwas
Fremdes; erst wenn sie sie assimiliert haben, erst wenn sie ein
Eigentum, ja ein Stück ihres Selbst ist, gewinnt sie ethische Be-
deutung.^) Das also ist es, was Humboldt von vornherein von
Kant unterscheidet: er glaubt nicht daran, dass Empfänglichkeit
und Autonomie sich ausschliessen. Weil er nun aber die Funktion
der autonomen Gestaltung weiter ausdehnt, muss natürlich auch
die Methode erweitert werden, muss er die Einzelfälle, in denen
das von Kant aufgefundene ethische Grundphänomen auftritt, im
einzelnen studieren. ^
Und fast möchte man es als einen apriori wahrscheinlichen
Satz hinstellen, dass die Arbeit, die die englische Moralphilosophie
für die Analyse des sittlichen Bewusstseins geleistet hatte, unmög-
lich ganz verloren sein konnte. Hatte sich doch aus der All-
einheitsmetaphysik Shaftesburys, deren Grundbegriffe Technik der
Natur und Harmonie der Relationen waren, eine Ethik heraus-
differenziert, die die sittlichen Beziehungen nach allen Seiten
hin verfolgte. Ferguson stellte die Idee der Gattungsvollkommen-
heit an die Spitze, Ad. Smith das Phänomen der Sympathie, Hut-
cbeson den sittlich-ästhetischen Sinn, Clarke die Analogien mit
dem Logischen u. s. w. Dabei war ihnen gemäss jener Shaftes-
buryschen Metaphysik Voraussetzung, dass das Centrum des
*) An Goethe 21. XU. 17d8, also in einer Zeit, in der Schiller über
methodologische Probleme längst hinaus war.
«) Vgl. das Sonett: „Die Gesinnung". Sonette 1853. S. 67.
3) Die humanistische Moral ist aristokratisch: sie gilt nur von dem
bereits Ëdelgeborenen ; Kants Moral ist demokratisch ; er vergass nicht,
daat Herkules Ungeheuer zu bezwingen hat, ehe er Musaget wird. Der
Demokratismns Kants aber war Humboldt zuwider. Vgl. Leitzmann,
S. 189.
90 E. Spranger,
^iebt es nur, sofern es ein christliches Lebensideal giebt, nicht
umgekehrt.
um Kant hier richtig zu beurteilen, müssen wir ganz wie
bei seiner Erkenntnistheorie auch in der Ethik das methodische
Prinzip und den Weltanschauungsfaktor sondern. In erster Hin-
sicht ist sie Metaphysik der Sitten, d. h. sie sucht in höchster
Abstraktion das reine sittliche Phänomen und findet es in dem
absoluten Verpflichtungscharakter der sittlichen Maximen, die auf
nichts anderes teleologisch bezogen werden können, am aller-
wenigsten auf bloss individuelle Glückseligkeitswerte. Sofern es
sich um die Feststellung dieses (nach Kant) spezifisch Ethischen
handelt, darf man natürlich keine psychologische Analyse der
andersartigen Faktoren erwarten, in die es verflochten ist: es soll
ja eben herausgelöst werden. Als Weltanschauung anderer-
seits ist Kants Ethik ein Evangelium der höchsten Werte, ein
Kanon der sittlichen Pflicht, inneren Freiheit und Menschen-
würde. Was sie auf jener Seite an Wirklichkeitsnähe einbüsst,
gewinnt sie auf dieser an Kraft, obwohl sie keine neue ethische
Wertung schafft, sondern nur die bestehende in ihrer wahren
Würde zeigt. Gerade dies hat Humboldt als Kants Verdienst
empfunden : Auch die Aufklärung zwar wollte den sittlichen Werten
dienen; aber sie rückte sie philanthropisch in eine vertrauliche
Nähe und machte aus ihnen ein tägliches Gebrauchsmittel. Die
Geniemänner und Sentimentalitätskreise mit ihrem Seelenkultns
andererseits lieferten sie an das blosse Gefühl und seine Launen
aus. Kant erhob sie aus der Sphäre der Nützlichkeit, Vollkommen-
heit, Liebenswürdigkeit energisch und streng in die der Erhabenheit
Auch die Anhänger der ästhetischen Erziehung haben das allezeit
gebilligt.
Nun aber hat Kant die Neigung, was nur Methode ist, in
einen inhaltlichen Satz zu verwandeln, oder die Reinheit der Ab-
straktion mit dem sittlichen (resp. ästhetischen) Begriff der Rein-
heit zu verwechseln. Die Wurzel dieser Neigung liegt tiefer als
in bloss methodischen Rücksichten. Sie liegt in seinem Lebens-
gefühl, in den harten Eindrücken der Umgebung, aus der er
stammte. Er ist zur stoischen Haltung erzogen: nichts begehren,
sich hüten vor den Dingen dieser Welt, die nie andere als un-
lautere, eigennützige Motive in uns erzeugen können! Also eb
euergisclier Rückzug auf uns selbst, auf den tätigen, vernünftigen
Teil unserer Seele. Ihn gilt es durchzusetzen; alle Empfänglich-
W. V. Humboldt und Kant. 91
keit ist „pathologisch", d. h. eii\e Art von Selbstwegwerfung. Ein
grandioser ethischer Typus, und doch wieder kleinlich! Naturen
von dem Reichtum und der Renaissancefärbung Schillers konnten
darin ein Zeichen finden, dass „dieser heiteie und jovialische
Geist seine Flügel nicht ganz von dem Lebensschmutz hat los-
machen können". >) Hier erfassen wir den tiefsten Unterschied
dieser Geister: die Neuhuraanisten geben sich der Fülle des
Lebens mit empfänglicher Freude, mit reizbaren Organen unfi leb-
hafter Sinnlichkeit hin. Sie bereichern ihr Selbst und wollen es
zum Universum erweitern. Aber auch sie wollen ihre Innerlich-
keit nicht aufgeben. Auch ihnen ist die äussere Welt etwas
Fremdes; erst wenn sie sie assimiliert haben, erst wenn sie ein
Eigentum, ja ein Stück ihres Selbst ist, gewinnt sie ethische Be-
deutung.^) Das also ist es, was Humboldt von vornherein von
Kant unterscheidet: er glaubt nicht daran, dass Empfänglichkeit
und Autonomie sich ausschliessen. Weil er nun aber die Funktion
der autonomen Gestaltung weiter ausdehnt, muss natürlich auch
die Methode erweitert werden, muss er die Einzelfälle, in denen
das von Kant aufgefundene ethische Grundphänomen auftritt, im
einzelnen studieren.^
Und fast möchte man es als einen apriori wahrscheinlichen
Satz hinstellen, dass die Arbeit, die die englische Moralphilosophie
für die Analyse des sittlichen Bewusstseins geleistet hatte, unmög-
lich ganz verloren sein konnte. Hatte sich doch aus der All-
einheitsmetaphysik Shaftesburys, deren Grundbegriffe Technik der
Natur und Harmonie der Relationen waren, eine Ethik heraus-
differenziert, die die sittlichen Beziehungen nach allen Seiten
hin verfolgte. Ferguson stellte die Idee der Gattungsvollkommen-
heit an die Spitze, Ad. Smith das Phänomen der Sympathie, Hut-
cheson den sittlich-ästhetischen Sinn, Clarke die Analogien mit
dem Logischen u. s. w. Dabei war ihnen gemäss jener Shaftes-
buryschen Metaphysik Voraussetzung, dass das Centrum des
*) An Goethe 21. XII. 1798, also in einer Zeit, in der SchiUer über
methodologische Probleme längst hinaus war.
«) Vgl. das Sonett: „Die Gesinnung". Sonette 1863. S. 67.
3) Die humanistische Moral ist aristokratisch : sie gilt nur von dem
bereits Ëdelgeborenen ; Kants Moral ist demokratisch ; er vergass nicht,
daM Herkules Ungeheuer zu bezwingen hat, ehe er Musaget wird. Der
Demokratismus Kants aber war Humboldt zuwider. Vgl. Leitzmann,
S. 189.
92 B, Spranger,
MenscheD sein zur Reflexion erhobenes Triebsystem, und also auch
in diesem der sittliche Vorgang zu suchen sei. Kant hingegeo
rechnet diese ganze naturhaft sinnliche Sphäre überhaupt nicht
zum Ethischen, sondern nimmt ein ihnen allen heterogenes, intelli-
gibles Vermögen im Menschen an, eine als Freiheit ins Bewusst-
sein tretende Vernunft, deren sittliches Wesen sich in der logischen
Form eines allgemeingiltigen Satzes äussert. Der Satz hat die
Form des Imperativs; seine am wenigsten formale Fassung aber
sagt wieder nichts anderes aus, als dass die Befolgung dieses for-
malen Imperativs der inhaltliche Zweck des Menschen sei, den
man folglich auch in jedem anderen Menschen zu ehren habe.
Wenn wir die Absicht dieses Formalismus deuten sollen, so
können wir nichts anderes darin ausgedrückt finden, als den
Formalcharakter der höchsten Werte, der darin besteht,
dass sie sich alle andern Werte mediatisieren, dass sie die Giltig-
keit ihres Rechtsanspruches in sich selbst tragen und so mit Im-
perativisch-normativem Accent auftreten. Wie aber der formal
beschriebene Vorgang konkret verläuft, vor allem welche Gestalt
in unserem Kultur- und Geschichtskreise der höchste ethische
Wert etwa annehmen kann, hat Kant nicht angedeutet. Nur
zwei inhaltliche Punkte hat er als wesentlich hervorgehoben:
erstens den Zug der Autonomie, d. h. doch also die Tatsache,
dass er als eigentlicher Kern unserer geistigen Konstitution und
als aus ihr hervorwachsend angesehen werden muss, und zweitens
das Interesse für diesen Imperativ, das als Achtung, also als
freigezollter Beifall erscheint.
An diesen beiden Stellen liegen deutlich die Punkte, wo die
englische Moral des Triebsystems sich hätte anknüpfen lassen,
etwa durch eine dualistische Hierarchie der Triebe. Diesen Weg
schlug nach Kant,^) doch vor Humboldt und Schiller, bereits Jacobi
ein. Schon vor dem Auftreten der kritischen Philosophie hatt«
ihn in seinen beiden Romanen „Allwill" und „Woldemar** die
Frage beschäftigt: Sind edle, ursprüngliche Neigungen unserer
Seele ausreichend zur Sicherung unserer Moralität, oder bedarf es
dazu einer eigentlichen Disziplin durch Grundsätze? Dem ersten
^) Die Einflüsse Rousseaus und der englischen Moralphilosophie zeigt
Jacobi von seinen ersten Schriften an; die theoretische Konstmktion aber,
die ich als Hierarchie der Triebe bezeichne, und in der der auch bei Kant
vsdrksame metaphysische Vemunftbegriff eine Rolle spielt, erst in der
Vorrede zur Allwillausgabe von 1792.
W. V. Humboldt und Kant. 03
LÎlaaben wendet sich seine stille Sehnsucht zu: „Was ist zuver-
lässiger, ruft All will aus, als das Herz des edel Geborenen?^
Aber die Notwendigkeit des zweiten lehrt ihn eine ebenso tiefe
sittliche Erfahrung, und sie ist es, die er schliesslich als Resultat
aus Schicksalen und Reflexionen seiner Helden herausspringen
l&sst: Grundsätze müssen das Heer der Triebe zu einer Einheit
gemeinden. Darin lag aber keine direkte Wendung zu Kants
imperativischer Ethik; sondern er baute auf dem Grunde der
Triebmoral fort, indem er nun einen höchsten, auf Einheit und
Zusammenhang, zuletzt auf blosse Personalität gerichteten In-
stinkt vernünftiger Wesen annahm.^) Hierin fand er die Er-
klärung des kategorischen Imperativs; und diese Ethik gestaltete
er durch Anknüpfung an Reid und Aristoteles weiter aus.
Der junge Humboldt stand in den Jahren, in denen er mit
Jacobi verkehrte, in der Praxis den Allwill und Woldemar nicht
allzufern. Es war die Zeit seiner höchsten Sentimentalität, die
Zeit, in der Henriette Herz, Thérèse Forster, Caroline v. Dacheröden
and Caroline v. Beulwitz ihm den Einblick in die seelische Struk-
tur eines Frauenherzens eröffneten. Er gehörte dem Geheimbund
dieses Frauenkreises an, der die Pflege edler Empfindungen,
tugendhafter Handlungen, seelischer Sympathie und Einfühlung in
seinen Statuten führte. Dazu kommt, dass wirklich in eine fein-
organisierte, ästhetisch erregbare Jünglingsseele bei freier, glück-
licher Lage die sittliche Erfahrung der Pflicht nicht so leicht
eintreten wird, als die einer triebhaften, unmittelbar gewollten
Hingabe an alle Empfindungen des Guten und Schönen.^) „Die
Liebe kennt keine Pflichten."^) Denn die Seelen, die sich lieben,
bedürfen nicht der Regeln und Vorschriften : sie gehorchen höheren,
t)eglückenderen Prinzipien.*) In diesem Sinne änderte er geradezu
iie Vorschriften des Bundes: „Was man tut, tut man aus Liebe,
weil man will, weil man Freude, Seligkeit darin findet, nicht weil
man muss, oder weil der andere ein Recht hat."^) Wie wir
wissen, erwies sich natürlich der Bund trotzdem als ein unerträg-
1) Jacobi, W. W. I, XIV f.
*) Gewiss war Humboldt auch sinnlich veranlagt; dass er aber an
len Aosschweifungen von Gentz teilgenommen habe, scheint mir nicht
irerbOrgt.
») An Henriette, S. 115 (1788).
«} An Karoline v. Beulwitz, Dtsch. Rdsch., a. a.O., S. 239 1^1789;.
5) Daselbst, S. 241.
94 E. Sprauger,
liebes Hemmnis freier Seeleuhingabe, und erst der Herzensbnnd
mit Li enthüllte dem jungen Schwärmer diesen Zusammenhang von
Trieb und Tugend ganz: „Freiheit ist sein erstes Gesetz. Ach!
und nicht Gesetz, wie kennten wir das Wort; aber es ist die
milde Luft, in der allein die Blüten unserer Freude gedeihen."^)
Durch die letzten Worte klingt bereits der impulsive Gegensatz
gegen Kant ausdrücklich hindurch; denn mit dem praktischen
Teil seiner Philosophie konnte er sich anfangs garnicht ver-
tragen. ^)
Derjenige, an den sich seine strengeren Auseinandersetzungen
mit und seine Bedenken gegen Kant richten, ist auch hier wieder
Jacobi, bei dem er ein Verständnis für seine Schätzung des Trieb-
momentes voraussetzen durfte. Seine Skepsis auf diesem Gebiet
ist fast noch stärker als auf rein theoretischem. Für seine natur-
rechtlichen Probleme tut ihm weder die Ethik der Glückseligkeit
noch die der Vollkommenheit Genüge; aber auch Kants formales
Prinzip befriedigt ihn nicht.^ Schon die Gründe, worauf Kant
die Freiheit baut, sind ihm nicht überzeugend, weil sie nur auf
Grund von apriori konstruierten und als bloss formell proklamierten
Grundsätzen postuliert wird. Wie viel plastischer war die Frei- i
heitsidee, die Jacobi in den Beilagen zu den Spinozabriefen ver-
trat! Es ist aber verständlich, dass gerade Jacobi gegenüber
diese negativen Urteile über Kant mehr hervortreten, als die posi-
tiven. Fühlte sich doch dieser Philosoph des Glaubens in allen
Stücken als der eigentliche Ergänzer Kants, als der Habende, wo
jener der Suchende war: so in der Erkenntnistheorie, Ethik und
Religionsphilosophie.
Um also ein vollständiges Bild zu gewinnen, müssen wir den
um dieselbe Zeit (1789) in Göttingen wohl aus politischen Inter-
essen*) entstandenen Aufsatz „Über Religion" mit heranziehen.
Die ethische Grundstimmung dieser Skizze ist ganz Kantisch: das
im strengsten Sinne Moralische ist der Seele inneres Sein. Denn
der Wohnsitz der Tugend ist allein das Innere der Seele. Die
Sittlichkeit wird von aller Beziehung auf äussere Zwecke und
Folgen, ebenso aber auch von aller Regelung durch politischen
oder pädagogischen Zwang losgelöst. Und der in den Vorder-
1) Briefe aus der Brautzeit, S. 429 (1791).
2) An Jacobi, S. 14.
=») An Jacobi, S. 10.
*) Im Hintergninde scheint mir das Religionsedikt zu stehen.
W. V. Humboldt und Kant. 95
^rund gestellte Satz: „dass der Zweck des Menschen im Menschen
iegt, in seiner inneren Bildung", steht ganz gewiss auch ira
Mittelpunkt der Kantischen Ethik J) Aber dazu tritt nun sogleich
die Ergänzung durch die beiden Gedanken, die sich von der ersten
bis zur letzten Schrift Humboldts finden, also durchaus nicht etwa
auf Schillerschen Einfluss zurückgeführt werden dürfen: Einmal
wird der Wert einer kräftig entwickelten Sinnlichkeit (im obigen,
die Empfänglichkeit einschliessenden Sinne) stark betont; sie darf
nicht erstickt, sondern muss im Gegenteil individuell gestärkt
werden.^) Und darin liegt schon das zweite: Humboldt glaubt
nicht wie Kant (K. d. ü., S. 120) an ein naturnotwendiges
Kampfverhältnis zwischen den sinnlichen Neigungen und dem sitt-
lichen Sollen. Gewiss, es kann eintreten, und dann gilt allein
die Stimme der Pflicht. Aber im ethischen Grundgefühl Hum-
boldts liegt dieses Verhältnis nicht, so wenig er jemals au das
Radikal-Böse glaubte oder unter dem Drucke der Sündenlast
seufzte. Er glaubte und wünschte vielmehr eine ästhetisch prästa-
bilierte Harmonie zwischen dem Sinnlichen und dem Sittlichen, die
er schon damals — 1789 — eben durch die Pflege des Binde-
gliedes beider, des Ästhetischen, rein herauszubilden strebte. Die
Frage, wie der ästhetisch ganz unkultivierte Mensch zum Sittlichen
stehe, hat diesen Aristokraten nie interessiert : nur der höherdiffe-
renzierte Geist beschäftigt ihn. Seine ursprüngliche ethische
Überzeugung bewegt sich demgemäss ganz in den optimistischen
Bahnen, ja in den Worten Shaftesbury-Eousseaus : „Die Tugend
stimmt so sehr mit den ursprünglichen Neigungen des Menschen
äberein, die Gefühle der Liebe, der Verträglichkeit, der Gerechtig-
keit haben so etwas Süsses, . . . dass es weit weniger notwendig
ist, neue Triebfedern zu tugendhaften Handlungen hervorzusuchen,
ils nur denen, welche schon von selbst in der Seele liegen.
Freiere und ungehindertere Wirksamkeit zu verschaffen.** ») Trotz
iieser unverkennbaren Abweichung von Kant lässt er nun aber
loch dessen Standpunkt als eine mögliche Form ethischer Geistes-
verfassung gelten. So bildet er sich die von nun an feststehende
Lehre von den beiden ethischen Typen: Indem er das, was
lie Moral zur Pflicht macht, von dem unterscheidet, was ihren
1) w. w. I, 76.
«) Daher seine Schätzung der 8. Beilage zu .Tacobis Spinozabrief en.
V. W. IVb, 163. Vgl. an Forster, S. 274.
>) W. W. I, 73 = 159 f. Vgl. S. 176.
96 È. Spränget*,
Gesetzen Interesse für den Willen verleiht, spricht er nun von
moralischer Stärke, wenn die ursprüngliche Neigung dem
Willen widerspricht, und von moralischer Güte, wenn sie dem
Willen die Hand bietet.^) Und da ihn auch vom Ethischen so-
gleich eine Brücke zum Ästhetischen hinüberführt, so verschmilzt
ihm dieser Gegensatz mit den halb ästhetischen Kategorien des
sittlich Schönen und des sittlich Erhabenen, der schönen und der
grossen Seele: beide verwirklichen das allgemeine Sittengesetz
in konkreter Form; beide stellen also die ästhetischen Grund-
formen des Sittlichen dar.
In den folgenden Schriften entwickeln sich Humboldts ethische
Anschauungen kontinuierlich weiter. Die Abhandlung über die
Grenzen der Staats Wirksamkeit ruht geradezu auf Kantischer
Basis: an die innere Würde des Menschen kann der Staatsmecha-
nismus nicht heran.2) Hierin ist Humboldt Kantischer, als er
selbst weiss : er teilt Kants dualistische Psychologie, wenn er den
Staat ganz in die Sphäre des blossen Mechanismus herabsetzt.
Wie einen Schnitt legt er die Grenze, und man darf behaupten,
dass ihm auch später der Ideenstaat nie rechte Überzeugung ge-
worden ist. Gedanken von Menschenrecht und Menschenwürde,
von Autonomie und sittlichem Selbstwert machen den Kern jener
Eousseauisierenden Schrift aus. Nicht auf die äusseren Folgen,
sondern allein auf die Reinheit der Gesinnung und den inneren
Wert kommt es an. Ja es wird jetzt sogar Kant die Anerkennung
gezollt, dass er in seiner (übrigens mit falschem Titel zitierten)
„Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" die Moralität in ihrer
höchsten Eeinheit gesehen und dargestellt habe.*) Aber auch hier
noch nimmt er Anstoss daran, dass Kant das wahre Glückselig-
keitsinteresse und die Tugend in eine Antinomie versetzt, die erst
im Jenseits zur Harmonie werden soll. Dieser unechten Ethik
wird als Muster der wahren Aristoteles gegenübergestellt: „Was
einem jeden, seiner Natur nach, nigentümlich ist, ist ihm das
1) W. W. I, 68. 69.
2) Vgl. m. Abhandlung über Altenstein, a. a. 0. — Um diese Staats-
auffassung richtig zu würdigen, muss man sich erinnern, dass der damalige
Staat selbst die Theorie des Egoismus unverhohlen zu seiner Devise ge-
macht hatte. Vgl. Dil they, Die deutsche Aufklärung im Staat und in
der Akademie Friedrichs des Grossen. Deutsche Rundschau, Bd. 107 (1901),
S. 218.
3) W. W. I, 104 f.
W. V. ftumboldt und Kant. 9*?
;te und Süsseste. Daher auch den Menschen das Leben nach
Vernunft, wenn nämlich darin am meisten der Mensch besteht,
meisten beseligt."^) Humboldt leugnete die Möglichkeit des
iespaltes auch jetzt nicht; aber er sah einen anderen Weg der
rsöhnung als jenen transscendenten, nämlich den Weg der ästhe-
^hen Erziehung. Nach seiner damaligen Auffassung, die aus
iftesburyschem Geiste entsprang, sind die moralischen Ideen
ibhängig von den religiösen.^) Andererseits nun aber kann von
• „kalten Vernunft" und dem in ethisch-individuellen Dingen
ner unfeinen Verstand nicht die ethische Vollendung erwartet
rden : Man muss das Gefühl der „ünangemessenheit der mensch-
len Kräfte zum moralischen Gesetz^ dadurch mildern, dass man
1 dieses ethische Verhältnis unter der ästhetischen Idee der
babenheit darstellt.^) Das Ästhetische hat nach Kant mit dem
lischen die UneigennUtzigkeit wie das unmittelbare Wohlgefallen
le Begriff und Zweck gemein. Trotzdem scheint „die Bei-
K^hung des Schönheitsgefühls der Eeinheit des moralischen
Uens Abbruch zu tun**.*) Aber es soll ja nicht selbst eigent-
ler moralischer Antrieb werden, sondern nur dazu dienen,
eichsam mannigfaltigere Anwendungen für das moralische 6e-
z aufzufinden.*" Was also Kant offengelassen hatte, die An-
ndung des formalen Gesetzes auf den in den Trieben gegebenen
)ff, setzt Humboldt seiner Ethik als Ziel, und zwar fasst er die
bsumtion des Einzelfalles unter das allgemeine Gesetz als eine
hetische, nicht als eine bloss logische! Dies allein beweist,
»s er die praktische Vernunft mit der Sphäre des Gefühls (statt
, der des Verstandes) zu verbinden strebte. Damit ist eine
t endlose Fülle von Perspektiven aufgetan, deren Bedeutung
\ï Humboldt erst nach und nach in seiner ethischen Denkarbeit
r macht. Zunächst setzt er diesen Gedanken mit seiner Griechen-
ätzung dadurch in Zusammenhang, dass er — in dem ganz Kan-
;hen § 9 der Skizze über die Griechen — die Wichtigkeit des psy-
»logischen Studiums der Individualitäten auch für den Ethiker her-
habt.^) Diesen ganzen Gedankenkomplex aber versteht man nur
1) Nie. Eth. X. 7, p. 1178a.
«; Aufsatz ^Über Religion" und W. W. I, 161.
s) W. W. I, 172 f. So Kant selbst unter Zeiteinflflaten K. d. U.,
14.
*) W. W. I, 173.
'^) W. W. I, 259. V(fl. 381 und Leitzmann. S. 278*.
Katitttudi«u Xlll. 7
98 Ë. Sprangel«,
dann, wenn man erwägt, dass Humboldt die Individaalität als ein
Sein von selbständigem Rechte ansieht, nicht als etwas, das dorch
Begriffe zu vernichten oder auch nur zu fassen wäre. Deshalb
ist nun auch das wirkliche Sittliche immer und notwendig ästhe-
tischer Natur, weil es immer und notwendig das unkonstroierbare all-
gemeine Gesetz in einer konkreten Anschauung darstellt. Nachdem
dieser Gedanke einmal gedacht ist, ergiebt sich daraus die gran-
diose Eonsequenz, die Humboldt freilich erst später aussprach :
die Normativität eines ethischen Standpunktes ist wie die einer
künstlerischen Schöpfung nicht apriori demonstrierbar, sondern sie
ist damit gegeben, dass — wie er selbst an der Pforte seiner
Selbstbildungsära ahnte — ein solcher Mensch einmal da
ist. Darin allein liegt die Genialität der ethischen Produktion!
Wenn Humboldt im Herbst 1793 sagen kann, dass sich seine
Zweifel gegen das Kantische System, auch gegen den ethischen
Teil; gelöst hätten, so bedeutet das keinen Abzug an der geschil-
derten eigenen Ideenrichtung, sondern er gewann nur ein deut-
licheres Bèwusstsein dafür, dass Kants Standpunkt eine solche
Fortbildung vertrüge. Mit voller Deutlichkeit tritt dies in der
Woldemarrezension von 1794 hervor, die für Humboldts Ethik von
besonderer Bedeutung ist. Vieles ist darin Entgegenkommen für
Jacobi; anderes aber echte Überzeugung. Dazu rechne ich auch
seine Behauptung, Jacobis Ethik wolle nichts anderes, „als eben
das, wovon auch das rechtverstandene Moralsystem der
kritischen Philosophie ausgeht — sittliches Gefühl, Gewissen,
Freiheit.**^) Das unbedingte Sittengesetz ist für Jacobi nichts
anderes als des Menschen eigener höchster Trieb. Der „Wolde-
mar" soll nun erläutern, dass auch unsere edelsten Triebe uns
vielfach irreführen können, sofern sie blosse Triebe bleiben. Dem
stimmt Humboldt lebhaft bei : „ Woldemar, sagt er in seiner Re-
zension, erfüllt mehr Pflichten, die er liebt, als dass er sich Gre-
setzen unterwirft, die er achtet." So geht zwar sein ganzes Tnn
„aus der Mitte seiner Triebe" hervor; aber er erfährt zugleich
die ganze Gefahr der blossen Gefühlsmoral. Hier stellt sich nun
Humboldt ganz auf die Seite Kants. In einer solchen Lage giebt
es nichts, als allein dem dürren Buchstaben des Gesetzes zu
folgen. „Wie edel auch ein Trieb sein mag, so ist er inuuer
etwas sinnlich Bedingtes und nicht fähig, weder sichere — denn
») W. W. I, 308.
W. V. Humboldt und gant. Ô9
im Gebiete der Sinnlichkeit sind tansendfältige, auch dem Wach-
samsten nicht immer bemerkbare Täuschungen möglich — noch
weniger aber reine Moralität zu begründen.**^) Er spricht damit
nichts aus, als Jacobis eigenste Einsicht; gerade damals ent-
wickelte dieser in dem dritten Stück seines Horenäufsatzes, den
Humboldt freilich noch nicht kannte, zustimmend seine Stellung
zu Kant: dass das Prinzip der Sittlichkeit unabhängig von dem
Prinzip der Selbstliebe sei, dass Pflichterfüllung und Glücklichsein
von Natur verschiedene Dinge seien. 2)
Und doch strebten beide über diesen Standpunkt hinaus, ja
sie konnten ihn eigentlich nur als einen niederen gelten lassen.
Es lebt eine tiefe Sehnsucht im Menschen, schon hier mit dem
ethischen Willen seiner Gottheit eins zu werden. Wenn Jacobi
einen Trieb in der Seele annahm, der auf Sittlichkeit, Personalität,
Selbstachtung, auf innere Übereinstimmung und durchgängigen
Zusammenhang gerichtet wäre, so fand sich Humboldt gerade des-
halb sympathisch davon berührt, weil er damit den notwendigen
Znsammenhang der Glückseligkeit mit der Tugend angedeutet
fand und eine Möglichkeit sah, ohne Flucht ins Transscendente
die Einheit und Ganzheit des Menschen zu bewahren. So wenig
ihm diese Theorie streng genug entwickelt schien — und sie
drückt in der Tat nicht das Ganze unserer ethischen Erfahrung
aus — so fand er doch die höchste Reinheit der Moralität darin
durchaus unentweiht. Vor allem zog ihn der griechische Zug zur
Totalität darin an, der sich ja auch in der gemeinsamen Schätzung
des Aristoteles aussprach, und überdies die enge Beziehung zur
Wirklichkeit, die er bei Kant vermisste. Dass Kant und Aristoteles-
Jacobi ihm aber völlig gleichwertige ethische Typen bedeuten,
geht daraus hervor, dass er um dieselbe Zeit die kritische Philo-
sophie als „die wahre"" bezeichnet und doch zugleich Voll-
kommenheit als Inhalt des formalen Gesetzes auffasst.')
Wir sind damit bereits in die Zeit der engeren Geistes-
gemeinschaft mit Schiller eingetreten, und es muss uns nach allem
heute noch deutlicher als R. Haym vor Äugen stehen, dass Hum*
Ï) W. W. I, 2d8 ff.
»J Jacobi, W. W. I, 297, bes. S. 304.
^ An Körner, S. 12. An Wolf, S. 112. Aus der letzten Stelle er-
giebt sich, dass ihm die Reinheit des platonischen Moralsystems nicht
fçitnz lauter erschien; wahrscheinlich weil darin die Herrschaft der Ver-
nunft durch ein blosses Gleichgewicht der Vermögen ersetzt war.
lOÔ E. Spranger,
boldt selbständig, ja z. T. früher als Schiller, die allgemeinphilo-
sophischen, ethischen und ästhetischen Gedanken in sich ausge-
bildet hatte, an denen sie nun gemeinsam fortarbeiteten. Beide
trugen sie die neubelebte Renaissancetendenz in sich, Natur und
Sinnlichkeit mit geistigem Oehalt zu beleben, Seelen in die Fels-
gesteine zu träumen. Wenn Schiller damals in der Portfühnmg
seiner Kalliaspläne Schönheit als Freiheit in der Erscheinung
definierte, so suchte er, ganz wie Humboldt, im Sinnlichen eine
unsinnliche, eine ethische Idee. In der Ethik aber dachten sie
völlig verwandt: sie wussten es Kant Dank, dass er die so rühr-
selig, gefällig und lieblich dargestellte „Tugend" wieder mit dem
Adel der Erhabenheit umkleidet hatte ; andererseits aber fanden sie
das Stehenbleiben bei der Feindschaft zwischen dem Sinnlichen und
Sittlichen eben wegen ihrer universalen Tendenz zu rigoros. Da-
her berichtet Humboldt von Schillers erster Berührung mit Kant:
Schiller fand „seinem Ideeugange nach, die sinnlichen Kräfte des
Menschen teils verletzt, teils nicht hinlänglich geachtet, und die
durch das ästhetische Prinzip in sie gelegte Möglichkeit freiwilliger
Übereinstimmung mit der Vernunfteinheit nicht genug heraus-
gehoben. So geschah es, dass Schiller, als er zuerst Kants
Namen öffentlich aussprach, in Anmut und Würde, als sein
Gegner auftrat."^) Auch hier wird der Pflichtcharakter des Sitt-
lichen nicht völlig verwischt. Die beiden ethischen Typen, die
Humboldt sich gebildet hatte, finden wir bei Schiller wieder in
den ästhetisierten Begriffen der Anmut und Würde, der schönen
und erhabenen Seele. Die beiden Möglichkeiten: freie Harmonie
des Sinnlichen mit dem Sittlichen oder siegreicher Kampf des
Sittlichen gegen das Sinnliche bilden die Grundlage. Beide
Formen sind zugleich eine ästhetische Darstellung des allgemeinen
Vernunftgesetzes, d. h. die Verwirklichung einer Idee in einer
Anschauung.
Für Humboldt nahm diese Typisierung nun noch eine be-
sondere Gestalt an : Das psychologische Problem der Individualität
ging für ihn von der polaren Erscheinung des Geschlechtsgegen-
satzes aus; ebenso das physiognomische, das Hindurchscheinen der
Seele durch die Gestalt, von der männlichen und weiblichen
Bildung. Er versucht, das darin liegende psychologisch-ethisch-
^) Leitzmann, S. 23. V^l. S. 339. Schiller, Werke, Jubiläumsausgabe
-((Jutta) Bd. XT, S. 216.
W. y. Humboldt und Kant. 101
sthetische Problem mit Kantischen Kategorien zu konstruieren.*)
[ants (unbewusst aus ästhetischem Geiste geborener) Fundamental-
egensatz von Form und Stoff soll dazu dienen. Sinnlichkeit und
fefühlsleben galten ihm als Stoff, Intellektualität und Vernunft-
esetz als Form. Die erste Seite ist charakterisiert durch über-
riegende Empfänglichkeit, die zweite durch Selbsttätigkeit
[ommt der einen grössere Naturnähe zu, so weist die andere ins
ieenreich. Nun überwiegt im Manne der Verstand; dies stellt
ich physisch-symbolisch durch die Bestimmtheit seiner Züge dar;
eim Weib das Gefühl : daher schon physisch die Fülle des Stoffes,
lur wo beide Einseitigkeiten zu vollem Gleichgewicht ausge-
liehen sind, findet sich vollendete Schönheit des Körpers und der
»eele; denn die höchste idealische Schönheit streift an die Idee
es Intersexuellen. Im Hintergrunde liegt die hier nicht zu ent-
nckelnde organische Naturphilosophie, die die Erscheinungen aus
em Kampf und Zusammenwirken polarer Kräfte erklärt. Als
olche stehen sich Form (Selbsttätigkeit) und Stoff (Empfänglich-
eit) gegenüber; das männliche und weibliche Prinzip aber be-
enten nur einen Spezialfall beider. Je reicher die Fülle und
)ifferenzierung des letzteren, um so edler und vollkommener die
urch Integrierung erfolgende Formung: auch dies Gesetz stammt
US der Ästhetik. Damit geht das rein organische Prinzip von
Empfängnis und Zeugung parallel.^ So verbinden sich also die
Laotischen Kategorienpaare: Form— Stoff und Rezeptivität— Spon-
aneität mit der monistischen Analogienmetaphysik, in der sich
deen Hallers, Herders, Blumenbachs, Goethes und der damaligen
Chemie mischen.^) Doch Kants Einfluss geht noch weiter: das
eugende, formgebende Prinzip entspringt auch im Organischen
Qiimer aus Freiheit: „Wunderbar ist es zu sehen, wie die Natur,
adem sie sich jener körperlichen Kräfte nur insoweit bedient, als
s ihr gleichsam unentbehrlich schien, die Freiheit, dies grosse
^orrecht der Geisterwelt, auch in das andere Gebiet ihres Reichs
1) Über einen ähnlichen modernen Versuch (Weininger, „G^eschlecht
nd Charakter^) vgl. m. Bericht in Jahresber. f. neuere deutsche Litteratur-
€8chichte. 1903. S. 715.
^ Die Parallelität des Physischen und Psychischen auf diesem Ge-
iete hatte Hemsterbuis mit Strenge abgewiesen. So auch Humboldt
a einem seiner ersten Gespräche mit Schiller (Brantbriefe, S. 414). Bald
inden wir ihn ganz entgegengesetzter Meinung.
^ Vgl. Alexander y. Humboldts Horenaa&atz: ,|Der Rhodische
lOÎ B. Spranger,
hinüberzuführen strebt."^) Aber alle Schärfe und Bestimmtheit
der Kantischen Begriffe ist hier in natnrphilosophiscbe Metaphysik
verflüchtigt. Wichtig ist uns hier nur die ethische Konsequenz:
Der Natur des Weibes entspricht als ethischer Typus die Tugend
aus Neigung, der des Mannes die aus Charakter. Beide Organi-
sationen sind physisch und geistig einseitig. Ihre ideale Gestalt
erhalten sie nur in der ästhetischen Ausbildung. Da v^e denn
das Höchste die Gattungsschönheit, die sich über den Geschlechts-
gegensatz erhebt. Neben dieser Idee, oder vielmehr ihr unter-
geordnet, steht der ideale Geschlechtscharakter. Auch er kann
nur ästhetisch zur Darstellung gebracht werden; so stellt die
Bildhauerkunst den idealen weiblichen Körper dar, indem sie die
die Idee des Weibes in ein Individuum verwandelt. Aus ihm
leuchtet dann auch der ethische Charakter des Weibes hervor,
nicht der blosse Natur-, sondern der Ideal- oder Willenscharakter.
Er wird bei der Frau immer die Züge der Anmut tragen, weil
bei ihr die Empfänglichkeit frei entgegenkommend mit dem Ge-
setz hwmoniert; beim Manne aber die Züge der Würde, wenD
seine überwiegende Selbsttätigkeit zur harmonischen Herrschaft
über die Neigungen gelangt ist. In beiden ist die Form Sieger
geworden über den Stoff: die eigentliche Schönheit aber bat auch
die Spuren jedes Kampfes verlöscht: „Wie in der veredelten
Menschheit das Gebot der Vernunft als der freie Wunsch der
Neigung, und die Stimme des Affekts als der Ausdruck des ver-
nünftigen Willens erscheint, so erscheint in der hohen Schönheit
die Gesetzmässigkeit der Form als ein freies Spiel der Materie,
und die Geburt der Willkür als ein Werk des Gesetzes.***^)
Diese Parallelisierung des Gescblechtsgegensatzes mit dem
Gegensatz der beiden ethischen Typen hat Humboldt seitdem
immer wieder beschäftigt.^) Ebenso aber hält er daran fest, dass
beide Typen, die FflichterfuUung aus halb widerstrebender Achtung
oder aus unmittelbarer Neigung, als blosse Naturanlagen noch
nlQbt ißn höchsten ethischen Wert darstellen. Diesen erhalten
m erst dorch ästhetische Kultur. Und wie er hier inhaltlich
ganz mit Schillers Ideen zusammentraf, so bedient er sich auch
immer häufiger der Schillerschen Kategorien, wie Stofftrieb und
1) W. W. 1, 330 f.
2) W.W. I, 351. Vgl besondere die Formnlierang der beiden Typen.
W. W. I, 821 1, auch 338.
«) W. W. I, 410. n, 102.
W. V. Humboldt und Kant. 103
Fonntrieb, naiv und sentimental etc. Auch in ihrem Briefwechsel
klingen diese Oedankenreihen immer wieder an, so besonders in
Humboldts Brief über „Das Reich der Schatten'' vom 21. August
179Ö. Es scheint ihm noch nicht deutlich genug herausgekommen
zu sein, was doch die eigentliche Grundidee des Gedichtes aus-
macht: „Der bloss moralisch ausgebildete Mensch gerät in eine
ängstliche Verlegenheit, wenn er die unendliche Forderung des
Gesetzes mit den Schranken seiner endlichen Kraft vergleicht.
Wenn er sich aber zugleich ästhetisch ausbildet, wenn er sein
Inneres, vermittelst der Idee der Schönheit, zu einer höheren
Natur umschafft, so dass Harmonie in seine Triebe kommt, und
was vorher ihm bloss Pflicht war, freiwillige Neigung wird, so
hört jener Widerstreit in ihm auf.***)
Die grossen Abhandlungen der Jahre 1796/8 enthalten nichts,
was in diesem Jugendstandpunkt nicht bereits vorgebildet wäre:
Die Humanitätsidee ist Kant gegenüber definitiv proklamiert; nur
die Bestimmung ihres Inhaltes kann noch schwanken. In der
Charakteristik des 18. Jahrhunderts muss natürlich der Gedanke
besonders hervortreten, dass die Anerkennung des allgemeinen
Gesetzes allein nicht ausreicht: die unverkürzte AnertLennong der
individuellen Triebnatur und die Synthese beider in der ästhetisch-
ethischen Struktur des vollendeten Menschen muss hinzutreten.
„Nichts auf der Welt wirkt so feindselig gegen Heroismus und
Enthusiasmus, als ein übermässiger Hang zum Raisonnement.*'')
Nicht ein Ideal ist dem Menschen aufzudrängen, sondern es ist
ihm, „wenn nur gewisse unerlässliche Forderungen erfüllt sind,
eine grosse Freiheit in der Annahme eines bestimmten Charakters
erlaubt**^ Deshalb ist es nun auch die eigentliche Aufgabe jeder
ethisch-psychologischen Charakteristik, zu zeigen, „wie das allge-
meine Gesetz und die besondere Eigentümlichkeit sich gegenseitig
verfeinern und erweitern.**^) „Der wirkliche .Charakter ist nicht
und darf nicht der blosse und reine Willenscharakter, er ist und
moss immer ein Zusammengesetztes von beiden sein: die ursprüng-
liche Natur berichtigt und gebilligt durch die Vernunft und die
Freiheit.**^) Denn es giebt einen angeborenen Charakter, der
1) Leitemann, S. 86 f.
«) W. W. n, 108 f., 109.
»)n,86.
♦) w. w. n, 41.
•) W. W. H 88.
104 E. Spranger,
„blosse und ursprüngliche Natur ist"; „auch die moralischen
Neigungen sind ursprünglich im Menschen instinktartig da."*^)
Wir müssen uns hüten, durch Künsteleien der Vernunft die Natur
zu verdrehen, die wir nur besser entwickeln und ausbilden sollten.^)
Aber hier macht sich nun Humboldt selbst einen Einwurf: es er-
hebt sich das Problem, von dem oben bereits kurz die Rede war,
ob auf solchem Wege nicht unübersteigliche Hindernisse eintreten
können, ob jene ästhetische Harmonie immer erreichbar ist? Wird
es immer möglich sein, die moralische Individualität mit den völlig
allgemeinen Forderungen der Moral zu versöhnen? Die Lösung
ist optimistisch genug, ganz wie das Ean tische: „Was ich soll,
muss ich können" : Der ursprüngliche Charakter des Menschen ist
schon der seiner Persönlichkeit; die Vernunft ist nichts, als gleich-
sam ihre höchste Formgebung. So erklärt es sich, dass in
Wahrheit „nichts dem Gebote der Vernunft und des Willens
widerstehen darf."^) Hier liegt mehr im Hintergrunde, als die
Formel durchscheinen lässt: Die Antimonie von Natur und Frei-
heit im Menschen war durch Kants Zweiweltentheorie mehr
umschrieben als gelöst. Ei-st eine Einheitsmetaphysik wie die
Schellings oder Humboldts durfte das positive Zusammenfallen
von Naturnotwendigkeit und Vernunftfreiheit behaupten, weil ihr
die moralischen Bildungsgesetze schliesslich nichts anderes waren
als letzte Fortsetzungen und höchste Sublimierungen des in der
Natur waltenden organischen und künstlerischen Bildungstriebes,
und weU sie der optimistische Qlaube an eine ideale, ästhetische
Harmonie beseelte. So tritt die innere Notwendigkeit, mit der
aus Kants Dualismus die Identitätsphilosophie hervorwächst, in
immer helleres Licht.
Diese ganze vielverschlungene ethische Ideenreihe erreicht
ihren Gipfel in der Analyse von „Hermann und Dorothea**. Auch
sie will nicht ein bloss psychologisch-ästhetisches unternehmen
sein, sondern es macht den Grundgedanken Humboldts aus, dass
jede Charakteristik des menschlichen Geistes nach seiner ganzen
Weite unmittelbar in den Dienst der ethischen Ausbildung
tritt. So wie er von der psychologischen Versenkung in das
klassische Altertum eine Ausweitung der eigenen Seelenkräfte er-
wartete, so versenkte er sich in Goethes griechischen Dichtergeist,
1) W. W. II, 88 f.
«) n, 97.
3) n, 92.
W. V. Humboldt und Kant. 105
um seine ästhetisch-ethische Struktur zu ergründen. In solcher
Arbeit sah er einen Weg, den Begriff der Menschheit, ihre Grenzen
selbst zu erweitern. „Man gewinnt eine Idee, welche durch Be-
geisterung zugleich Kraft mitteilt, da das Gesetz die Schritte nur
leitet, nicht auch beflügelt, und den Mut mehr daniederschlägt,
als erhebt."^) So leitet also von der Psychologie und Ästhetik
eine Brücke zur Ethik, und zwar zu jenem Humanitätsideal, das
die Ausbildung der natürlichen Individualität zur weitesten Fülle
bedeutet, das aus der allgemeinen Verschiedenheit doch Einheit
im Ganzen erzeugt und das nach seiner Auffassung auch das
eigentliche Hauptthema in Goethes Dichtung bildet.^).
Wie er selbst sich Inhalt und Wirkung dieser letzten und
höchsten Idee dachte, hat er in einem wenig gekannten, skizzen-
haften Aufsatz des Jahres 1798 „Der Geist der Menschheit" in
komprimiertester Form entwickelt. Die Einzelheiten gehören nicht
in diesen Zusammenhang. Aber Kant gegenüber bleibt seine
Stellung dieselbe. Der moralische Wert und die Gesinnung machen
zwar die Würde des Menschen aus; aber sie bedeuten doch nur
einen Teil unseres Wesens, sie erschöpfen noch nicht die Totalität
des Menschheitsideales; denn die Bildung der Menschheit kann
eben nicht als bloss moralische aufgefasst werden.^) „Diese
wahrhaft idealische Bildung ist es, sagt er in der gleich-
zeitigen Rezension der »Agnes von Lilien«, die noch über die
moralische hinausgeht."^) Der ideale Charakter ist ein Kunst-
werk. Und als die beiden Typen dieses Kunstwerkes werden
wieder Schönheit und Erhabenheit (oder Anmut und Würde) ge-
nannt. Hier aber tritt nun der Gedanke hervor, dass in dem
edler gebildeten, nicht bloss sittlichen Menschen beide Arten der
Sittlichkeit eigentlich in einander aufgehen: „Die beiden hier an-
geführten Arten der Sittlichkeit setzen sich nur dann eigentlich
gegeneinander ab, wenn jede nicht mehr vollkommen rein ist, die
.schöne zu einer bloss pathologischen Zartheit des Gefühls herab-
sinkt, die erhabene in Strenge und Rauhigkeit ausartet; in ihrer
echten Gestalt hingegen nähern sie sich unaufhörlich einander,
und gehen nach Massgabe der Lagen und Stimmungen gegenseitig
») W. W. n, 118.
«) W. W. U, 278 f.
9) W. W. U, 826.
*) W. W. n, 848.
106 Ë. Spranger,
in einander über."^) Als Repräsentanten jener Extreme dr&ngen
sich uns Woldemar und Kant auf. —
Aus dieser entwickelungsgeschichtlichen Skizze ergiebt sich
Humboldts systematische Stellung zur Eantischen Ethik von selbst
Alle wesentlichen Gesichtspunkte stehen bis 1798 fest; seitdem
erfolgt allmählich die Wendung zu der Ideenlehre, die halb m^-
physisch, halb psychologisch verankert ist. Das Problem derV«^
flochtenheit des Individuums in die Weltbegebenheiten, das Ge-
heimnis, wie die vergängliche Einzelexistenz mit der ewigen Idee
verbunden ist, wird nun das ethische Hauptproblem. Aber eine
ethische Grundtatsache bleibt in allen Perioden seines Denkens
gleich fest, wenn er ihr auch nicht in der Eantischen Schalsprache
Ausdruck gegeben hat, von der er sich überhaupt relativ weiter
entfernt, als Schiller.^) Wieder ist es dies, dass Kant die Philo-
sophie in den Tiefen der menschlichen Brust isolierte: in Kants
eigener Formel: die Lehre vom intelligiblen Charakter. Der volle
Gedanke, der dahinter lebt, ist doch der, dass aller Wert des
Menschen aus den Tiefen seines eigentlichen Selbst stammt, ans
jener letzten Sphäre, die von Raum und Zeit nicht berührbar und
nicht an sie verlierbar ist, aus einem wurzelhaften metaphysisdien
Reich, wo das Taghelle des Bewusstseins sich verliert in das
Schweigen des Weltzusammenhanges. Es ist die Eigenart von
Kants ethischem Erleben, dass für ihn die sinnliche und triebhafte
Seite seiner selbst nicht innig mit diesen Wurzeln zusammenhing,
sondern dass er sie in einem Gegensatz zu seinem Selbst fühlte
und daher das Ich in eine Dualität zerriss. Anders lebten und
erlebten Reuaissancegeister, wie Goethe, Herder, Humboldt, selbst
Schiller. Deshalb verwandelt sich ihnen jener Dualismus mdir
oder weniger in einen naturalistisch-mystischen Monismus : mina
^ەa, dvi^Qwmva ndvxa. Der Ansatzpunkt aber blieb derselbe:
das Ich, das mit sich selbst allein ist, das in seinen ethischen
Erfahrungen und in seinem Handehi sich selbst erst entdeckt und
darin zugleich den höchsten, eigentlichen Wert der Welt erfährt
Einen intelligiblen Charakter in diesem Sinne musste auch Hnin-
boldt kennen (vgl oben). Schon 1795 spricht er von dem ge-
heimen Leben und der inneren Kraft jedes Wesens, „von welcher
1) Im gleichen Jahre 1798 findet sich die Zweitypentlieorie noch
einmal in den Briefen an Jacobi, S. 63.
>) Leitzmami, S. 24/5.
W. V. Humboldt und Kant. 107
le sichtbaren Veränderangen nur unvollkommene und vorüber-
ende Erscheinungen sind, und auf deren unmittelbarem und
>fem unerkanntem Wirken dasjenige beruht, was wir Schicksal
nen^.^) Immer mehr fand er in diesem Unerkennbaren das
sntlicbe Lebensprinzip, den Quell aller Kraft und Selbsttätig-
t. Und zwar ist er von früh an Identitätsphilosoph genug,
in ihm sowohl den eigentlichen plastischen, organischen
Inngstrieb, als auch den geistigen Trieb, der die „innere
stesform'' ausmacht, zu suchen. Und andererseits bedeutet ihm
Individualität so wenig eine metaphysische Negation, dass
zugleich den „Grundtrieb der Individualität** bis in diese Tiefen
legt.^ Bei aller Analyse bleibt doch „eine unbekannte Grösse"
ück: „die primitive Kraft, das ursprüngliche Ich, die mit dem
)en zugleich gegebene Persönlichkeit. Auf ihr beruht die Frei-
t des Menschen, und sie ist daher sein eigentlicher Charakter"/)
er Mensch ist mehr und noch etwas anderes, als alle
ne Reden und Handlungen und selbst als alle seine Em-
idungen und Gedanken; und wie genau man auch ein Indi-
anm kennen mag, so versteht man immer nur einzelne seiner
sserungen und leistet sich niemals ein Genüge, wenn man nun-
hr alles zusammennehmen, dasjenige, was es eigentlich ist, und
8 auf einmal aussprechen will. . . . Und dies führt notwendig
: eine innere und ursprüngliche Kraft in ihm, die sein eigent-
les Ich, seinen wahren Charakter ausmacht und der wir uns
hl nähern können, die wir aber nie ganz zu enthüllen hoffen
•fen."*)
Humboldt ist echter Kantianer, sofern er diese Selbsttätigkeit
Quell des sittlich Wertvollen bezeichnet. Er entfernt sich aber
doppelter Weise von ihm. Einmal, insofern er dieses schon bei
Dt die Brücke zur Metaphysik bildende Faktum metaphysisch
liter ausdeutet als Kant. Was durch die Naturphilosophie der
renaufsätze bereits vorgebildet ist, dass nämlich für Humboldt
tor und Geist eine unlösbare Einheit bedeuten, was ihm in der
irra Morena als dichterische Intuition vorschwebt, wird seit
1) Leitzmann, 8. 77. An Jacobi, S. 61. 65.
*) Individualität folgt also für ihn nicht aua der blossen Differen-
ning in Zeit und Raum, so wenig wie für Leibniz. Über Kants Indi-
oaÜBmus vgl. Si m me 1, Kant, 16. Vorlesung.
») W. W. n, 90.
*) W. W. n, 88 f.
108 E. Spranger/
1806 zur ausgesprocheneu Identitätsphilosophie. Der schöpferische
Grundtrieb der Individualität ist für ihn in dieser Epoche
etwas Unendliches, das sich in der Erscheinung nie rein and ganz
offenbaren kann.^) Ganz ebenso sah ja Fichte in der Individuali-
tät die inadäquate Erscheinungsform des Absoluten. Aber er folgt
ihm und Schelling noch weiter, wenn er diese Individualität geradezu
eine selbsttätige Idee nennt, wenn er in diesem Lebensprinzip
Freiheit und Notwendigkeit zusammenfallen oder vielmehr in einer
dritten höheren Idee untergehen lässt, und ei folgt rein Schelliugschen
Bahnen, wenn er als ihren Inhalt die kämpfende Sehnsucht be-
zeichnet, deren unendlicher Trieb sich in drei analogen Bildungen:
dem Organismus, dem Kunstwerk und der Persönlichkeitsfonn
offenbart. Dieses innere Lebensprinzip, das im Sinne der Iden-
titätsphilosophie psychophysisch wirksam gedacht werden moss,
ist es ja auch, das Humboldt in seinem Hauptwerke immer wieder
als den eigentlich spracherzeugenden Faktor betont. Damit also
verlassen wir die Kantischen Bahnen und betreten den Boden
nachkantischer Spekulation, mit der sich bereits die ersten Wir
kungen der indischen Renaissance verbinden, und von der hier nicht
ausführlicher zu reden ist.^
Aber fast noch charakteristischer ist die zweite Abweichung:
Humboldt bleibt in seinem ethischen Ideal nicht bei der rigorosen
Betonung der Selbsttätigkeit und ihrer Isolierung vom empirischen
Stoff stehen, sondern, gerade weil er sich diese Selbsttätigkeit
immer individuell gerichtet denkt, fordert er, dass sie sich sovid
Welt als möglich assimiliere. Zum sittlichen Wert der indivi-
duell-einseitigen Selbsttätigkeit gehört es also, dass sie Empfäng-
lichkeit besitzt und übt, um sich über ihre Schranken hinans
zur menschlichen Universalität zu bilden, ganz wie das Kunst-
werk, nach Moritzscher Theorie, im kleinen das Universum und
seine Harmonie widerspiegelt. Deshalb ist für Humboldt das
Nicht-Ich ethisch nicht indifferent, sondern ganz wie Fichte sieht
er darin den eigentlichen Übungsstoff unserer Kräfte.^ Wo Kant
ängstlich, fast m()nchisch, negiert und abschneidet, dringt Hum-
boldt auf vollo Durchdringung. Deshalb wird er zum Apostel der
Humanität neben Herder, Schiller, Goethe und dem Jenaer Kchte.
») W. W. Ill, 204 und 865*.
«) Vgl. Leitzmann, H. 18.
8) W. W. I, ^88.
W. V. Humboldt und gant. 109
eon er von Schillers Dichtergeist sagen konnte, dass er Kant
id Goethe verknüpfe, weil er die Selbsttätigkeit der Idee mit der
mpfänglichkeit für den Stoff vereine,^) so gilt dasselbe von seiner
thik: sie verbindet Kant und die Griechen in einem universa-
(tiscben Geiste. Deshalb trägt sie, besonders in seinen jungen
ihren, einen eudämonistischen Zug, als er das Beruhen in einem
»jektiven Lebensinhalte noch mit dem Namen Glück identifi-
erte; später behauptete er, dass es auf Glück nicht ankomme:
„Aus des Busens Tiefe strömt Gedeihen
Der festen Duldung und entschlossner Tat.
Nicht Schmerz ist Unglück, Glück nicht immer Freude;
Wer sein Geschick erfüllt, dem lächeln beide." (1808.)
'^ie es natürlich ist, zeigt er im Alter deutliche Spuren von Ab-
hliessung und Resignation, ohne dass darum der humanistische
edanke widerrufen würde. Besonders in den Briefen au Char-
ité Diede tritt dieser stoische Zug hervor, wie sie auch eine
arke Wendung zu christlich-religiösen Ideen hervorkehren. Es
t in Wahrheit der uralte ethische Typus der Stoa, nichts, was
an mit methodischem Grunde ausdrücklich auf Kant zurückführen
Jiinte.2) Diesem gegenüber bleibt vielmehr seine Stellung bis an
in Lebensende unverändert. Das bezeugt uns ein Brief, den er
)ch zwei Monate vor seinem Tode an die Freundin schrieb und
it dem wir daher auch diesen Überblick über seine Ethik ab-
hliessen dürfen: „Die Pflichtmässigkeit ist nicht der Endpunkt
T Moralität, vielmehr nur ihre unerlässliche Grundlage. Das
5chste ist der sittlich-schöne Charakter, der durch die Ehrfurcht
\r dem Heiligen, den edlen Widerwillen gegen alles Unreine,
Qzarte und Unfeine, und durch die tief empfundene Liebe zum
in Guten und Wahren gebildet wird**.^
1) Leitzmann, S. 197.
S) Gegen R. Haym, S. 613.
^ Ausgabe der Univ.-Bibl., S. 587. Weitere auf Kant bezügliche
eilen das. S. 131. 190. 233. 267. 483. — £s ist hier ein nicht genau da-
irbares Fragment „Über das Verhältnis der Religion und der Poesie zu
r sittlichen Bildung** zu erwähnen, das Alex. v. Humboldt in der Vor-
ie zu der Sammlung der Sonette seines Bruders, Berlin 1868, mitteilt.
I soll vor 1824 niedergeschrieben sein; doch wohl kaum viel früher, da
eine weit höhere Schätzung der Religion in ihrem Einfluss auf die
ttlichkeit zeigt, als Humboldt selbst in seinen mittleren Jahren hesass,
id da es ganz an den Brief an Charl. Diede vom 21. Mai 1825 anklingt,
icr ist sein Standpunkt näher präcisiert, als an den meisten anderen
llÔ ft. Sprangei*,
m.
Humboldts Kantstudium darf nicht nur insofern für inten-
siver gelten als das Schillers, weil er ihm mehrere Jahre hindurch
wiederholt ganze Zeitabschnitte widmete, sondern auch deshalb,
weil er mit der Kritik der reinen Vernunft begann, w&hr«id
Schiller von der Kritik der Urteilskraft und der Sittenlehre aus-
gegangen zu sein scheint.^) Wir wissen aber, dass von vornherein
der Trieb nach der Ganzheit der menschlichen Natur in ihm lag,
dass ihm Plato ein Führer wurde, das Physische moralisch zu
deuten, und dass er gerade diese These der Aufklärungspbilosophie
mit Enthusiasmus aufgriff: im Ästhetischen liegt die Brücke von
den unteren Seelenkräften des Menschen zu den oberen.
Diese Lehre hatte ihren Ursprung in der Leibnizischen Phi-
losophie: die Vollkommenheit der Seelenmonade wächst, je aktive
sie wird, d. h. je mehr Vorstellungen sie hat. Nun ist die Kunst
ein Mittel, unsere Vorstellungstätigkeit zu bereichern und ihre
Energie intensiver zu gestalten. Also ist sie auch eine Vorstufe
zur moralischen Vollkommenheit in dem Sinne, wie sie die Aaf-
klärungsethik fasste. Diesen Qedanken hatte Sulzer in zahllosen
Aufsätzen und Artikeln immer wieder entwickelt, Mendelssohn
und Engel bewegten sich in gleicher Linie, und so stieg die an-
fangs noch von Baumgarten und Meier geringgeschätzte ver-
worrene ästhetische Erkenntnis immer höher, löste sie sich immff
energischer von der unteren Seelenkraft, der bloss sinnlichen, sb,
um schliesslich ein eigenes Zwischenreich und ein eigenes Seelen-
vermögen, das des Gefühls, für sich in Anspruch zu nehmen.
Dazu kam der an Shaftesbury anknüpfende Ästheticismus d«r
Engländer, dessen Kraft in dem wallenden Untergrunde eines
sinnenfreudigen Lebensgefühls liegt. Sein metaphysischer Aus-
druck wirkt in Herder, Goethe, K. Ph. Moritz u. a. fort, sein
Geist aber nicht minder in Winckelmanns plastischer Art zu sehen:
Stellen: Vollendete Sittlichkeit ist erst da, wo sie in die Gesinnung fibe^
gegangen ist; also darf sie auch nicht auf blossen G-efühlen, sondern moss
auf Grundsätzen beruhen, die ihrerseits wieder zur Empfindung geworden
sind. Soll die Poesie auf die Moralität einwirken, so muss eine doppelte
Grundlage bereits vorhanden sein: ein Mass von sittlioh-religiöser Ge-
sinnung (erläutert an Shakespeares Macbeth) und ein umfassenderes Mass
von Kenntnissen. Hier also liegt die Idee einer ethischen Stufenordonng
im Hintergrunde, der wir auch bei Fichte und Hegel begegnen.
^) Leitzmann, 831 f.
W. V. Hnmboldt und Kant. Ill
ill ihm erschloss sich ein neuer Sinn für das, was Piatos Seh-
organ ausmachte: für die Zeichea des Geistigen im Körperlichen,
die Chiffreschrift der Natur. Der künstlerische Faktor trat
m&chtig in das Triebwerk des geistigen Lebens ein. So bewertete
man das Ästhetische, ehe Kant ihm von seinem neu gewonnenen
Standpunkte Aufmerksamkeit schenkte. Die Stufe war erreicht,
ehe man sie in Kantischen Formeln aussprach. Als glänzendstes
Denkmal dafür haben wir Schillers „Künstler'', dem wir nun aber
ein aus dem gleichen Jahre stammendes Dokument von Humboldt,
den Aufsatz „Über Religion**, an die Seite stellen dürfen. Vom
sinnlichen Zustande „bis zur moralischen Bildung ist eine unüber-
springbare Kluft, zu welcher nur die ästhetische den Übergang
bahnen kann**.^) „Ausbildung und Verfeinerung muss das bloss
sinnliche Gefühl erhalten durch das Ästhetische.**^) Und an
Forster schreibt er gleichzeitig von dem ästhetischen Sinn als dem
»Mittler zwischen dem sterblichen Blick und der unsterblichen
Uridee**.«)
Von solchen Gesichtspunkten aus musste natürlich Kants
K. d. U. bei ihrem Erscheinen den tiefsten Eindruck auf Hum-
boldt machen; denn hier war das alte Problem in die neue Be-
leuchtung gerückt: wie gewinnen wir den Zusammenhang zwischen
der EIrscheinungswelt und dem intelligiblen Reich? In der Tat
sind 1792 in den Stellen, die Humboldt wörtlich oder umgearbeitet
ans dem genannten Aufsatz in seine politische Schrift übernahm,
die früheren Platozitate durch Verweisungen auf Kants K. d. U.
ersetzt*) An keiner anderen Stelle geht Humboldt so auf die
Einzelheiten Kantischer Philosophie ein; ein Beweis, wie tief ihn
gerade die dritte Kritik beschäftigte, und es scheint mir ebenso
nor ein weiterer Beleg dieses zentralen Interesses, wenn er gerade
an ihr auch nach dem dritten Kantstudium „eine gewisse Flüchtig-
keit*' zu bemerken glaubte. Auf diesem Gebiet nämlich strömten
ihm eigene Ideen in Fülle zu, und er fühlte sich berufen, zu
Kant Stellung zu nehmen, ihn zu ergänzen und fortzubilden.
Daher würde nur eine Zusammenfassung all seiner systema-
tischen und verstreuten Äusserungen über das Schöne sein Ver-
hältnis zu Kants Ästhetik erschöpfen. Dies aber kann hier nicht
1) W. w. I. es.
») w. w. I, 68.
^ An Forster, S. 2S6.
*) Vgl. W. W. I. 166 ff. mit 67 ff-
il2 fe. Spranger,
unsere Aufgabe sein ; auch gewinnen wir mehr, wenn wir zun&chst
die drei Hauptberührungspunkte mit aller Schärfe hervorheben.
Im Zentrum nämlich stehen die drei Fragen:
1. Giebt es eine objektive oder nur eine subjektiye
Ästhetik?
2. In welchem Sinne ist das Schöne symbolischer Ausdrad
von Ideen?
3. In welchem Sinne kommt der Kunst eine ethische Be-
deutung zu?
1. Es mag uns überraschen, dass das erstgenannte Problem
den frühesten Nachfolgern Kants auf dem Gebiete der Ästhetik so
brennend erschien. Wir sind heute im allgemeinen dahin erzogen,
bei dem irrationalen Phänomen des „ästhetischen Erlebnisses*" als
einem letzten stehen zu bleiben, das durch keine metaphysische
Ausdeutung eigentlich aufgehellt werden kann. Kant aber hatte
immer noch mit dem alten Glauben zu kämpfen, dass das Ästbe-
tische eine besondere (verworrene) Art der Erkenntnis sei, also
vom Gegenstand aus bestimmt werden könne. Der produkti?e
Künstler fand nun bei Kant insofern keine rechte Stütze, weU er
sich immer nur auf die geheimnisvolle, in Begriffen nicht fassbare
Fähigkeit hingewiesen sah, als Natur der Kunst die Regel zu
geben ; und der Kritiker nicht, weil Kant erklärte, dass das spezifisch
Schöne nicht in Begriffe auflösbar sei, und daher ein objektives
Prinzip des Geschmacks ablehnte. Geschmack bedeutete für ihn
eine gewisse, subjektiv zweckmässige Stimmung der Erkenntnis-
vermögen, aus der immer nur einzelne Reflexionsurteile, nie all-
gemeine Erkenntnisurteile hervorgingen. Das Grossartige dieses
Kantischen Verzichts wurde weder von Schiller noch von Köm»
sogleich erkannt; sie suchten eine objektive Ästhetik und spannen
die Fäden zum Metaphysischen fort, die Kant in der Dialektik der
K. d. ü. nicht ohne kritische Reserve leicht angesponnen hatte. Noch
in „Anmut und Würde^ klingen die Grundgedanken des nicht zur
Ausführung gelangten Kalliasdialogs nach. Später erkannte
Schiller deutlich, dass über eine subjektive Ästhetik von Kan-
tischen Voraussetzungen aus nicht hinauszukommen wäre.
In dieses Suchen und Disputieren trat nun Hnmboidt auch
ein, und zwar zuerst in brieflichen Auseinandersetzungen mit
Körner, während Schillers ästhetische Wege ihm bis zum persön-
lichen Zusammenleben in Jena 1794 nur indirekt bekannt wurden.
Seine eigene Stellung lässt sich mit voller Schärfe bestiromen: es
W. V. Mumboldt und Kant. lia
bandelt sich um einen Vermittelungsversuch, den wohl auch Kant
nicht unbedingt abgelehnt hätte, da er ja das scheinbar Objektive
des Ästhetischen sachlich und methodisch wiederholt durchaus an-
erkennt.^) Die Elxposition (metaphysische Deduktion) der ästhe-
tischen Urteile nach den vier Kategorien in den §§ 1—22 nimmt
Humboldt als unwiderleglich an. Das Urteil über das Schöne ist für
ihn: a) unabhängig von Interesse und weder mit dem Angenehmen
noch mit dem „Reiz^ identisch; b) sofern es rein ist, unabhängig
vom Erkenntnisbegriff; c) Ausdruck einer nicht objektiven, aber
subjektiven Zweckmässigkeit des Gegenstandes, und d) ein not-
wendiges Urteil.*) Ganz Kantisch definiert er einmal : „Schönheit
ist das allgemeine, notwendige, reine Wohlgefallen an einem
Gegenstand ohne Begriff.^^) Sein eigenes Weiterdenken aber heftet
sich unmittelbar an die Formulierung der transscendentslen Deduk-
tion im § 35 der Kritik. Selbstverständlich will er nicht den
subjektiven Ausgangspunkt verlassen: „Ich gehe schlechterdings
hierin den Kantischen Weg und fange daher nicht von den
Gegenständen an, die man schön nennt, sondern von der Vor-
stellung der Schönheit, welche durch diese hervorgebracht wird.^^)
Aber über diese bloss subjektive Betrachtungsweise lässt sich
hinausgehen: „Es muss, meiner Überzeugung nach, notwendig
einen Weg geben von der Bestimmung der Schönheit durch sub-
jektive Merkmale zur Bestimmung derselben durch objektive.^^)
Wenn nämlich das Gefühl der Schönheit dadurch entsteht, dass
die Einbildungskraft in ihrer Freiheit mit der Gesetzmässigkeit
des Verstandes übereinstimmt, so müssen sich doch diejenigen
Kategorien des Verstandes bestimmen lassen, deren „Regowerdung""
der schöne Gegenstand veranlasst hat: In ihnen besässe man dann
gleichsam die objektiven Begleitqualitäten der schönen Gegen-
Ï) K. d. U. (1. Aufl.), S. 18. 20. 181. 136. 287 f.
«) An Körner, S. 28. Bebpiele für a): u. a. W. W. I, 366. 369. 862.
II, 228. 280. 828. — Für b): W. W. I, 170. U, 129. 281. 286 f. — Über
c) vgl. oben 8ub 2) H.8 Symbolismua. — Für d): W. W. I, 403. Allgemein-
giltigkeit fasst H. nicht so streng wie Kant. Vgl. W. W. II, 226. — Über
das Problem des Erhabenen hat sich Humboldt nur im Zusammenhang
mit der Ethik ge&ussert. Anfangs folgte er auch hierin ganz Kant (vgl
W. W. I, 170); sp&ter hielt er diese Burkesche Unterscheidung fflr sekun-
där (vgl. W. W. II. 141).
•) W. W. I, 269.
<) An Kömer, S. 21, vgl. 8. 80.
») Das., 8. 28.
KMM«4i«B xm. g
114 E. Spränget^,
Stände. Daher formuliert Humboldt nun sein Problem: „Wie
muss der Gegenstand beschaffen sein, bei welchem der Geschmack
den Ausspruch tun soll, dass jene Übereinstimmung vorhanden
ist?"*^) Und er antwortet: Er muss die Form des Verstandes
sinnlich gleichsam an sich tragen. Die Form des Verstandes aber
ist ausgeprägt in den Kategorien. Das Schöne ist das Znsammen-
treffen (Einssein) der Kategorien oder Verstandesform mit da*
Erscheinung: die unsinnliche Form verwandelt sich voll und ganz
in die sinnlich erscheinende Gestalt.
Man sieht: nicht auf eigentliche Vemunftideen, sondern anf
die Verstandeskategorien führt Humboldt in diesen ästhetischen
Präliminarien das Schöne zurück.^) Einen anderen Weg hatte
Körner eingeschlagen : er hatte dadurch eine objektive Begründung
der Ästhetik erhofft, dass er die Merkmale der als schön bezeich-
neten Gegenstände zusammenfasste. Aus dieser induktiven Me-
thode hatte sich ihm dann als „Prinzip" der Schönheit ein Zu-
stand des Gleichgewichts ergeben. Dagegen wendet Humboldt,
ohne den dogmatisch-objektiven Weg selbst anzugreifen, nur die
Frage ein, ob dieser Zustand des Gleichgewichts ausschliesslich
dem Schönen und nicht auch dem Vollkommenen zukomme.^) Dasselbe
Bedenken aber hatte Körner gegen Humboldts Theorie aufge-
worfen. Er meinte, dass seine Unterscheidung des Charakteristi-
schen (als des associativ an das ünsinnliche Erinnernden) von
Schönen (als der Übereinstimmung von Verstandesform und B>
scheinung) dahin führe, das Schöne mit dem Vollkommenen zq
verwechseln und einen willkürlichen Sinn in die Ek^cheinnngen
der Sinnenwelt zu legen.^) Davor schützt aber nach Humboldts
Auffassung schon die Betonung des Sinnlichen: das Schöne unter-
scheidet sich prinzipiell vom Vollkommenen dadurch, dass das
letztere immer eine unsinnliche Beziehung, das erstere immer
eine sinnliche Darstellung in der Erscheinung durch die Ein-
bildungskraft bedeutet.^)
Nicht mit Unrecht bemerkt Humboldt, dass schliesslich der
ganze Streitfall auf ein, infolge verschiedener Veranlagung, divö^
gierendes Interesse hinauslaufe: Kömer halte sich an die objet
1) Daa., S. 24.
«) Das., S. 80.
3) Leitzmann, S. 176.
*) An Kömer. S. 29.
&) An Kömer, S. 26.
W. V. Humboldt und Kant. îlo
Live Seite des Schönen, weil ihn die Technik der Kunst inter-
essiere; er selbst an die subjektive, weil, wie in allem, auch hier
ias psychologische Interesse und der Trieb nach voller Kenntnis
des Menschen ihn leite.^) Aus diesem Grunde ist er denn anch
in seinen späteren Schriften auf dem Boden der subjektiven
Ästhetik im Kantischen Sinne stehen geblieben. In seiner Ab-
handlung über „Hermann und Dorothea", die wir hier als Haupt-
quelle seiner ästhetischen Ansichten heranziehen, finden sich zahl-
lose Stellen dieses Sinnes. 2) Hier, wo es sich um die Einteilung
der Dichtungsarten aus inneren Prinzipien heraus handelt, em-
pfängt der Grundgedanke noch eine besondere psychologische
Wendung: die dichterische Einbildungskraft bearbeitet nur Zu-
stände, die sie in dem Gemüte bereits vorfindet; in ihnen sind
also die besonderen Dichtungsarten bereits vorgebildet. Oder
richtiger gesagt: sie findet den Zustand nicht vor, sondern erzeugt
ihn, aber doch indem sie der besonderen Natur des Gemütes folgt,
mit dem sie ja von Art und Ursprung innigst verwandt ist.*)
Natürlich kommt es ihm auch hier darauf an, zuletzt zu einer ob-
jektiven Definition der einzelnen Dichtungsart vorzudringen. Diese
jedoch ist, wie er wiederholt betont, nicht erreichbar, ohne dass
man ihre spezielle subjektive Wirkung mit aufnimmt.^)
2. Sobald der subjektive Ausgangspunkt festgestellt ist,
kann das ästhetische Problem des Symbolischen nicht mehr auf
metaphysisch-transscendentem Wege gelöst werden, sondern es be-
darf besonderer Zurüstungen, mit denen Schiller und Humboldt
gleich viel Mühe gehabt haben, während diese Frage für Herders
Dogmatismus kaum zum Problem wurde.^) Schon Kant empfand
ja die hier vorliegende Schwierigkeit. An der Stelle der K. d. ü.,
wo er sich am meisten von der Schulsprache loslöst, bezeichnet
er das Schöne allgemein als den Ausdruck ästhetischer
Ideen.^) Hier erheben sich sogleich die beiden Fragen nach dem
Wie? und dem Was? dieses Ausdrucks.
») An Könier, S. 22. 1803 an Goethe, S. 187: „Beide, Technik und
Metaphysik müssen freilich zuletzt in eins zusammenfallen.''
«) W. W. IT, 127. 181—133. 137. 151^. 228 f. 237. 241. 246. 261
383. 318.
») Vgl. W. W. II, S. 237 u. 247 mit 258.
*) W. W. II. 133. 226. 241. 262. 318.
^) VgL m. Kritik des Buches v. Günther Jacoby : Herders und Kants
^Vsthetik i. ^Archiv für die gesamte Psychologie **, Bd. X.
«) K. d. IT.. S. 204.
8*
116 È. Spränge!*,
a) Mit der ersten rühren wir an den tiefeinnigsten Punkt
des ganzen Problemgebietes. Kant definiert: „Unter einer ästhe-
tischen Idee verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft,
die viel zu denken veranlasst, ohne dass ihr doch irgend ein be-
stimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann, die folglich
keine Sprache völlig erreicht und verständlich machen kann/^)
Ihr Gegenstück (Pendant, nicht Gegenteil!) ist die Vemunftidee:
„Eine ästhetische Idee kann keine Erkenntnis werden, weil
sie eine Anschauung (der Einbildungskraft) ist, der niemals ein
Begriff adäquat gefunden werden kann. Eine Vernunftidee
kann nie Erkenntnis werden, weil sie einen Begriff (vom Ober-
sinnlichen) enthält, dem niemals eine Anschauung angemessen ge-
geben werden kann.***) Wenn wir uns den letzten, der K. d.
r. V.3) entlehnten Satz in seiner Bedeutung entwickeln, so dringen
wir damit in die tiefsten Motive der Schiller-Humboldtschen Philo-
sophie ein. Die eigentliche Idee ist undarstellbar, sie ist trans-
scendent, der eigentlichen Erkenntnis verschlossen: kein „Schema**
fasst sie, um sie unserer Erkenntnis darzubieten. Wie, wenn nun
diese Idee symbolisch darstellbar wäre, wenn sie einginge in
eine Anschauung der produktiven Einbildungskraft, die zwar in
keinen Begriff gefasst werden kann, aber eine „Welt" (Totalitat)
des Erlebens rege macht? — Wir sehen hier noch ab von der Frage
des „Was?", von der Frage, ob es wirklich die höchsten „Verounfir
ideen'' sind, die sich in solchen „ästhetischen'' Ideen ausprägen, und
fragen zunächst nach der bloss formalen Beschaffenheit der letzteren.
Eine solche ästhetische Idee stellt immer ein Individuum dar; in
und mit diesem Individuum aber das Ideal.^) Nicht als blosse
Normalidee, (wie Raphael Mengs unter dem Einfluss der Batteox-
schen Nachahmungslehre behauptet hatte), die das Typische und
Gattungsmässige des naturhaften Objektes wiedergiebt; diese ist „nicht
1) K. d. IT., S. 192 ff. In diesem Begriff laufen alle wichtigen
Linien der vorkantischen Ästhetik, wie man sieht, zusammen. Das Unaa»-
schöpfbare, Totale des ästhetischen Zustandes hatten in der Sprache ihrer
Begriffswelt Dubos, Sulzer, Diderot, Uemsterhuis, Winckelmann, Herder,
Moritz in gleicher Weise betont. All dies Irrationale deckt Kant mit
seinem Begriff der ästhetischen Idee.
2) K. d. U., S. 240.
8) Über die Rolle, die die symbolisch-anthropomorphe IdeenerkeIln^
nis schon in der theoretischen Philosophie spielt, vgl. K. Oesterreich,
Kant und die Metaphysik. 1906. S. 104 ff.
*; K. d. U., S. 54 f.
W. V. Humboldt und Kant. 117
1 ganze Urbild der Schönheit"; sondern jene ästhetische Idee erhebt
Natur über sich selbst, wie Winckelmann es zuerst empfunden
te, sie „idealisiert". In beiden Fällen handelt es sich natürlich
ht mehr um das rein ästhetische Urteil im abstraktesten Sinne,
idem um die von Begriffen bereits beeinflusste Schönheit,
îsen ganzen Gedankengang eignet sich Humboldt unverkürzt
Die Beschränkung auf die Verstandesform, die uns in der
rrespondenz mit Körner entgegentrat, fällt zu gunsten der
munftidee dahin. ^) Die Vernunft leiht ihren Ideen Symbole von
• Phantasie.^) Besonders der zweite Horenaufsatz beruht auf
n Winckelmannschen Gedanken, dass es gerade dem griechischen
Qstler gelang, „das Ideal selbst zu einem Individuum zu
€hen."^ Die produktive Einbildungskraft erhebt sich über die
sse Erfahrung und ihre Erkenntnisfunktion in ein idealisches
biet; sie ist es, die „allen zufälligen Überfluss und alle zufällige
tranken von ihrem Gegenstand absondert und das Unendliche
- Vernunft in ebenso bestimmte Formen einkleidet, als sonst
r die zufällige und beschränkte Geburt der Zeit, das wirkliche
lividunm, zeigt". So spiegelt sich dann in der Natur der Charakter
ner, idealischer Menschheit überhaupt. Und dasselbe ist es,
s ihn an „Hermann und Dorothea" so unendlich anzieht, dass
dem Dichter gelungen ist, „durch ein Individuum einer Idee
0 Kant, K. d. U., S. 54. „Ideal bedeutet die Yorstellung einet ein-
nen als einer Idee ad&quaten Wesens." Humboldt W. W. II, 188: „Wir
men ein Ideal die Darstellung einer Idee in einem Individuum." —
Kühnemann, Kants und Schillers Begründung der Ästhetik, S. 48
/ mit Recht darauf hingewiesen, dass dieses Schwanken zwischen der
rstandeskate^orie und der Vemunftidee als dem in der Darstellung
mbolisierten bei Kant selbst vorliegt, aber zu gunsten der letzteren zu
:8cheiden ist. — Deshalb muss ich mich entschieden gegen die Behaup-
lg O. Harnacks, die klassische Ästhetik der Deutschen, S. 145 f.
nden, dass Humboldt eine Erhöhung der Natur durch den Künstler
{^wiesen habe. Er hat vielmehr den Begriff des „Idealisierend" ganz
in den Vordergrund gestellt und so weit gefasst, wie Winckelmann und
nt, freilich ohne Abzug an der poetischen Wahrheit und sinnlichen
irheit. Die Behandlung Humboldts in Hamacks verdienstlichem Werke
lürfte heute überhaupt der Revision. Vgl. besonders W. W. I, S. 406:
3 selbsttätige Einbildungskraft erhalt ihr Produkt „durchaus individueU
1 doch ganz und gar idealisch, gleichsam in der Mitte zwischen der
tur und der Idee schwebend," Auch W. W. m, 146.
»} W. W. I. 295.
3) W. W. I, 336.
118 E. Spranger,
Genüge zu leisten** .1) So „hebt er die Natur aus den Schranken
der Wirklichkeit empor und führt sie in das Land der Ideen hin-
über, schafft er seine Individuen in Ideale um**. 2) Der Stoff des
ganzen Gedichtes scheint ihm nichts anderes als die fortschreitende
Veredlung unseres Geschlechts, diese nun aber, echt künstlerisch,
„dargestellt in einer einzelnen Begebenheit".^)
Hier also erscheint die Kunst als Mittlerin des Unendlichen
und Endlichen, wie überhaupt die von R. Sommer treffend hervor-
gehobene Dualität der ästhetischen Begriffswelt jedesmal in einer
höheren, eben künstlerischen Synthese verklingt. Ihre Funktion
ist es, das allgemeine Gesetz in einem einzelnen Fall darzustellen,
an ihm die Totalität einer Welt rege zu machen, oder, nach der
alten ästhetischen Formel, Einheit in der Mannigfaltigkeit zn
zeigen.^) Sie zeigt dies alles aber nach Kants Forderung so, dass
sie trotz ihrer Regelhaftigkeit doch freie Natur scheint. Gegai
diese Ansicht Kants, die er anfangs übernahm, hat sich Humboldt
später aus hier nicht zu erörternden Gründen erklärt.*) Der Übergang
vom Individuellen zum Idealen aber blieb ihm für alle Zeiten ein uni-
versales, ja das Problem. (Vgl. oben unter I, 2.) Später begegnete e8
ihm wieder in der Aufgabe des Geschichtschreibers, die Reinheit der
Idee mit der Individualität der Wirklichkeit zu verbinden. Es
blieb ihm das Wesen der Kunst auf allen ihren Gebieten, „die
Wirklichkeit, so rein und so treu als möglich zum Symbol der
Unendlichkeit zu machen "". Denn „die Einfachheit der Idee Ifisst
sich, ähnlich einem vielseitig geschliffenen Spiegel, einmal nur in
der Vielfachheit der Erscheinungen erkennen". Wir verzichten aber
darauf, diese späteren Dokumente im vorliegenden Zusammenhang
weiter zu verfolgen, weil in ihnen der Einfluss Schellings weit
1) W. W. II, 126.
«) W. W. II, 132.
3) W. W. n, 278. Rickert hat in seiner logischen Theorie die Tatr
sache zu wenig berücksichtigt, dass die Immanenz des Allgemeinen im
Individuellen, auch auf dem Gebiete der Erkenntnis, immer nur ästhetisch
fassbar wird.
^) Vgl. Leitzmann, S. 79 und durchgehends. Es sei hier wieder auf
Sulzer (z. B. Vermischte Schriften I, S. 23 ff.), Hemsterhuis, u. a. ve^
wiesen, die diesen subjektiven VoUkommenheitsbegriff (cf. Sommer) ifl
der Fortbildung Baumgartenscher Lehren vertreten.
5) Vgl. W. W. I, 361. 363 mit ÎII, 146. Ein Beispiel dafür, wie Kants
Ästhetik bei ihm durch die ScheUings abgelöst wird. Vgl. dessen W. W.
m, 622.
W. V. Humboldt und Kant. 119
mächtiger hervortritt, als Kants Gedanken, von dem natorgemäss
nichts Neues aufgenommen ist.^)
b) Wenn nun aber auch die konkrete künstlerische Dar-
stellung eine Fülle von Ideen in uns anspielt, so bleibt immer
noch die Frage, welche Ideen in dem Schönen symbolisiert sind
und ob sie zu den eigentlichen Vemunftideen, speziell zu dem
Sittlichen, in notwendiger innerer Beziehung stehen. Diese Frage
ist eigentlich nur durch einen Sprung ins Metaphysische zu lösen.
Deshalb bebandelt sie Kant mit besonderer Vorsicht. Gerade
wegen dieser ernsten und tiefen Beziehung zum Metaphysischen
will er in der Analytik der K. d. U. nur dem Naturschönen den
Wert zugestehen, Symbol des Sittlich-Guten zu sein, nicht dem
Spiele der Kunst. In der Dialektik weist er (auch für die Kunst-
schönheit) schon entschiedener auf das ^^übersinnliche Substrat""
hin, das den EIrscheinungen in uns und um uns zu Grunde liegt.
In ihm muss die Ursache jener seltsamen, durch bestimmte Be-
griffe nicht zu erklärenden Zusammenstimmung des schönen
Gegenstandes mit unsem subjektiven Vermögen liegen. Aber vom
Obersinnlichen haben wir keinen Begriff, können also aus ihm
auch nichts erklären. Deshalb bleibt nun Kant, soweit es geht,
bei subjektiven Erwägungen stehen und sucht aus der Analogie,
die zwischen dem formalen Charakter des ästhetischen und des
ethischen Urteils besteht, einen Hinweis auf die Gleichartigkeit
ihrer metaphysischen Wurzel zu gewinnen. Jene von den ästhe-
tischen Ideen erweckten Nebengedanken rufen associativ in uns
die sittlichen Ideen wach. Deshalb können die einen als Symbole
der anderen gelten.
Für Humboldt steht dies alles, wie wir wissen, metaphysisch
fest. Nicht umsonst ist er durch die Schule Piatos gegangen.
Schon in den frühesten Aufsätzen ist ihm das Sinnliche überhaupt
ein Zeichen des Geistigen. Die Schönheit ist nur ein Spezialfall
dieser universalen Symbolik. Deshalb verwendet er, ganz wie
Herder, Mendelssohn und Schiller (Anmut und Würde), viel Mühe
darauf, das Charakteristische vom Schönen zu unterscheiden. Das
Charakteristische ist „Ausdruck*' (im Hintergrund liegt die alte
ästhetische Zeichentheorie); aber es drückt immer nur einzelne
J) Vgl. z. B. W. W. m. 187. 140. 144. 149 ff. 197. 216. Der Bin-
fliiM ScheUings auf die Rede „Über die Aufgabe des Gteschichtsohreiben^
ist besonders gross. — Der Einzelnachweis hierfOr erscheint in der Histo-
rischen Zeitschrift (Meinecke) Bd. 100, 8.
120 £. Spranger,
onsinnliche Züge aus oder erinnert an sie durch irgendwelche
Gedankenverbindungen.*) Die Schönheit aber ist etwas Totales:
in ihr haben die beiden Naturen des Sinnlichen und Unsinnlichen
sich völlig durchdrungen: „der in der Sinnenwelt erscheinende
Gegenstand hat die unsinnliche Form angenommen''.^) Noch
schwankt Humboldt zwischen Verstandesform und Vernunftidee,
findet aber doch schon das Wesentliche der Schönheit darin, dass sie
„eine moralische, d. i. unsinnliche Idee" sinnlich darstellt.^) Frei-
lich hält er sich vor, dass wir die gemeinschaftliche, dem Sinn-
lichen und Unsinnlichen zugrunde liegende Natur nicht kennen;
dennoch finden wir ihn nur ganz früh auf Kants ebenso vorsich-
tigem als künstlichem Wege>) Bald weiss er die Chiffreschrift
der Natur in ihren schönen Formen, von der auch das Motto der
neuen, mit Hamanns „Brocken'' vermehrten Âllwillausgabe (1792)
sprach,^) wohl zu deuten. Er verweilt mit Interesse bei der
Stelle der £. d. U., an der Kant, von plötzlicher Phantasieregang
ergriffen, zu der Idee einer moralischen Farbensymbolik fort-
schreitet.^ Lavater ist ihm durchaus nicht ganz verächtlich, nnd
immer wieder beschäftigen ihn physiognomische Ideen. Gewiss
hatten die nicht ganz unrecht, die die Horenaufsätze „transscen-
dent" nahmen.?) Denn nicht nur das psychologische Interesse hat
sie geboren, sondern eine ganz bestimmte Metaphysik. Humboldts
ganze Geistesart ist auf das Plastische gerichtet : überall sieht er
echt platonisch Seele durch Gestalt. Sind ihm doch Engels Um
über Mimik, seine Unterscheidung von malenden und ausdrückenden
Gebärden bis in die Pariser Zeit hinein interessant geblieben.')
Ja selbst das Ballett zieht ihn von diesem Gesichtspunkt aus an,
und mit Körner korrespondiert er (der absolut Unmusikalische)
sogar über die Ausdrucksfähigkeit der Musik, wobei ihn wiederum
1) W. W. I, S. 363. besonders S. 364.
«) An Kömer, S. 25.
8) Das. S. 17.
*) W. W. I, 170.
^) Auf die Herkunft dieses wichtigen Kantischen Begriffs vA
Schlapp in seinem Buch über „Kants Lehre vom Genie und die K d. ü."
mit keinem Wort eingegangen.
*) W. W. I, 171. Kant rechnet die Farbe sonst zum Reiz. Anden
Humboldt W. W. II, 149. 167. 220 f. Vgl. Leitzmann, S. 21. An eine
Freundin, S. 427.
^) An Kömer, S. 41.
») An Kömer, S. 39 u. ö.
W. V. Humboldt und Kant 121
r Unterschied des bloss Charakteristischen und der schönen
rm beschäftigt. Noch im Alter wird ihm die Landschaft von
gel zum Symbol ewiger Wahrheiten, und aus den Tönen der
räche weiss er die ganze Geistesart von Zeiten und Nationen
rauszulauschen. Also haben wir in seiner Philosophie einen
iversalen Symbolismus. >) Aber dies ist nun das Wesentliche:
ch ihm gipfelt dieser Symbolismus in dem alten (Platonisch-
inckelmannschen) Dogma, dass die Form, die sich sinnlich als
hönbeit darstellt, identisch ist mit der Form, die das höchste
liische besitzt. Bei seiner Richtung auf die Totalität und sinn-
he Fülle des Charakters konnte er diesen Gedanken auch viel
ffer und weiter ausspinnen als Kant, für den schliesslich das
ithetische und Ethische nur durch die gemeinsamen Merkmale
r Unmittelbarkeit, Interesselosigkeit, Gesetzmässigkeit und All-
meingiltigkeit zusammenhingen. Freilich fand Humboldt später
i Schelling Anschauungen, die ihm die Parallelität der in der
gfanischen Natur, im Kunstwerk und im Charakter wirksamen
Idongskräfte noch weit adäquater ausdrückten.^
3. Der Symbolismus stellt eine metaphysische Verbindung
fischen dem Schönen und dem Sittlichen her, insofern das Sinn-
iie als Ausdruck (Zeichen) des Geistigen gedeutet wird. Damit
isamroen hängt eine zweite, doch mehr psychologische Gedanken-
^htung, die das ästhetische Gefühl als Mittelglied zwischen den
ederen sinnlichen und den höheren geistigen Seelenkräften be-
achtet. Von diesem Gesichtspunkt aus konnten Mendelssohn und
1) W. W. I, 260. 270 u. passim. An Jacobi, S. 77 : „Meiner Ansicht
ich bleibt das Symbolische immer das Charakteristische aUes Grossen in
issenachaft und Kunst, und also das Tragisch-Symbolische auch der Tra-
^e. AUein das Symbol ist kein Satz, keine Idee einmal, die sich in
^orten ausdrücken lasst, und noch weniger kann zum Symbol (wie zur
oral einer Fabel) ein konkreter Fall erfunden werden. Der Gang aller
^mbolik ist vielmehr umgekehrt immer vom gegebenen Endlichen zum
e ganz erkannten Unendlichen. Dem Inhalte nach ist mir das Symbol
US mit den Platonischen Ideen — das Höchste, das Unendliche, Ursprüng-
;he . . . Die im Symbol vorgehende Verschmelzung des Endlichen und
Qcndlichen ist objektiv unmöglich, aber subjektiv in erhöheter und be-
sisterter Stimmung des Gemüts ist sie es Gottlob! ebenso wenig als
ine Liebe in dem an sich fleischlichen und sinnlichen, sittliche Freiheit
dem an sich naturbedingten, oder Tugend in dem an sich eigennützigen
enschen."* (1806.) Diese Äusserung charakterisiert zugleich seine Stellung
I Schelling.
») K. d. U., S. 269. - W. W. U, 336. 340. m, 167. 216 ff.
122 £. Spranger,
Sulzer der Kunst eine ethische (und doch nicht moraMerende)
Bedeutung zuschreiben, konnte später Schiller zwischen Sachtrieb
und Formtrieb den Spieltrieb einschieben. Von diesem Gesichts-
punkt aus erwächst auch Humboldts eigentliches Interesse an
solchen Fragen: „Bei allen Untersuchungen über Schönheit stdk
ich mir dieselbe gern als ein Mittelwesen zwischen den vorstelle
den und tierisch empfindenden Kräften vor."*) „Alles Eigentoa-
liehe des Schönheitsgefühls entspringt aus der Verknüpfung d«
denkenden und empfindenden Kräfte. '*>) Es ist daher ,, eigentlich
das, was alle menschliche Kraft erst in Eins verknüpft. Dies ist
nun eigentlich der Gesichtspunkt, von dem für mich diese Unte^
suchungen das meiste Interesse erhalten, da ich so sehr wünschte,
endlich einmal die Kenntnis des Menschen und die Prinzipiei
seiner Bildung in ihrem ganzen Zusammenhang behandelt n
sehen."" ^) Es ist also der grosse Gedanke der ästhetischen &
Ziehung, der uns schon in Humboldts frühestem Anfsatz entgegen-
trat und der zuletzt in den Satz der Monadenlehre zurückfohit»
dass alles, was unsere seelische Aktivität vermehrt, unsere mon-
lische Vollkommenheit erhöht.
Wie stellte Kant sich zu diesem Gedankengange? Dk
K. d. U. lässt dreierlei Ansichten über die seelische Funktion uri
Bedeutung des Ästhetischen unterscheiden (eine übrigens für Kaoti
Problemstellung ziemlich sekundäre Angelegenheit). Die erste
Ansicht liegt der Leibnizschen Monadenlehre und der Bauffigarteo-
sehen Ästhetik am nächsten, wie ja denn überhaupt, obwoU
Kant die Selbständigkeit des ästhetischen Gefühls voll heno»'
arbeitet und der Irrationalität des Gefühls dabei alle Rechte
gönnt, die eigentliche Deduktion das Schönheitsgefühl wieder fBr
eine Art verworrener (nicht begrifflich gewordener) Erkenntnis
erklärt. Daher findet sich am häufigsten der alte Gedanke, da«
durch das Ästhetische eine Belebung unserer gesamten Er-
kenntniskräfte bewirkt werde.^) — Der zweite Ideengtfg
jedoch fasst die Bedeutung des Schönen universaler, indem er A
nach dem Vorgange des Aristoteles, Epikur und Burke und in
einer für den kritischen Philosophen recht kühnen Weise auf das
1) An Kömer. S. 17. Leitzmann, S. 141.
«) An Kömer, S. 16.
3) Das., S. 5.
*) K. d. U., S. 198. 206. 214 f. (Geisteskultur.) 220 f. (Urbanität der
oberen Erkenntniskräfte.)
W. V. Humboldt und Kant. 123
chophysische Ganze unserer Konstitution ausdehnt. Jede Art
1 Vergnügen bewirkt ein Gefühl der Beförderung des gesamten
>ens im Menschen. So befördert nun auch das ästhetische
el der Empfindungen das Gefühl der Gesundheit und das ganze
lensgeschäft im Körper. ^) Von dieser allseitigen Befruchtung
in ja nun auch das Moralische nicht ausgeschlossen sein. In
Tat lässt Kant auch diese dritte Wendung gelten. Wenn
schönen Künste garnicht mit moralischen Ideen in Verbindung
»rächt werden — das hatte Sulzer bis zum Überdruss wieder-
t — so dienen sie bloss zur Zerstreuung.«) Wenn aber Ge-
mack und Vernunft zusammenwirken, so gewinnt das gé-
nie Vermögen der Vorstellungskraft. Vermöge seines Zu-
imenhangs mit dem übersinnlichen Substrat, in dem wir unsern
5ten Zweck zu suchen haben, steht das ästhetische Vermögen
.ürlich in Beziehung zu dem Ethischen.^) Denn in diesem
eliigiblen müssen wir uns das theoretische Vermögen mit dem
Attischen — freilich auf unbekannte Art - zur Einheit ver-
iden denken.*) Insofern also giebt Kant zu: „Der Geschmack
cht gleichsam den Übergang vom Sinnenreiz zum habituellen
rauschen Interesse ohne einen zu gewaltsamen Sprung mög-
h.***J Aber dieser Satz ist auch der äusserste, zu dem er vor-
ireitet. Von einer eigentlichen Unterstützung des Ethischen
rch das Ästhetische will er nichts wissen. „Geschmack in
iner Aufführung zeigen, ist etwas ganz anderes, als seine
)ralische Denkungsart äussern."^) Soll das Moralische überhaupt
thetisch beurteilt werden, so hat man die Kategorie des Er-
benen, nicht die des Schönen anzuwenden, „weil die menschliche
itur nicht so von selbst, sondern nur durch Gewalt, welche die
imunft der Sinnlichkeit antut, mit jenem Guten zusammen-
mmt.**^) Hier zeigt sich die Grundverschiedenheit im ethischen
leben Kants und Schiller-Humboldts. Schon alle rhetorische
^ral ist Kant zuwider, weil sie die Pflicht herabwürdigt und
> subjektiven Maximen und Gesinnungen verdirbt.**®) Ganz in
S. 214.
') 822 ff.
*) K. d. U,
») 242.
*) 268 f.
»)280.
•) S. 16.
») 120 f.
»)216.
124 E. Spranger,
Gegensatz zu Humboldt erklärt er den Geschmack für „minder
edeP als die moralische Achtung des Gesetzes, and so kann
natürlich auch von ästhetischer Erziehung zur Sittlichkeit nicht
die Rede sein : im Gegenteil, er kehrt das Verhältnis um und b^
zeichnet die Entwickelung sittlicher Ideen und die Kultur des
moralischen Gefühls als die „wahre Propädeutik zur Gründung
des Geschmacks".^)
Die tieferen, aus Lebensgefübl und Methode eutspringendeo
Motive, weshalb Humboldt hier anderer Ansicht war als Kant»
haben wir bereits angedeutet. Wir wissen, dass Psychologie wie
Ästhetik ihm unmittelbare Vorstufen zu seiner ITieorie der Bildoi^
des Menschen bedeuteten, die wiederum in seinem Humanititf-
ideale der höchsten Geistesverfeinerung gipfelte. Nur in ihr«
Dienste unternahm er die ästhetische Analyse von „Hermann lori
Dorothea". In der Schrift über die Grenzen der StaatswiriaaE-^^f^
keit schliesst sich dieser Gedanke eigentlich noch mehr an
Aufklärungsästhetik als an die zitierte Eantische Kritik an
die Funktion des Ästhetischen wird hier mit Sulzer vorwißpri;
darin gesehen, dass sie die sinnlichen Empfindungen
dem sie die „energisch wirkenden" sinnlichen Regungen b(
Aber der Gedanke einer Physiognomik der Natur leitet schon
zu der späteren Auffassung der ästhetischen Erziehung, in
Idee und die durch künstlerische Darstellung der Idee be^
Geisteskultur im Vordergrund steht. So erwächst der
„dass die Kunst nicht zu den mechanischen und untei
Geschäften gehört, durch die wir uns zu unserer eigentlichen
Stimmung bloss vorbereiten, sondern zu den höchsten nnd
habensten, durch die wir sie selbst unmittelbar erffiUei**
Dies Ziel wird nicht nur dadurch eiTeicht, dass die Knnat
menschlichen Seelenkräfte zu einer Einheit (Totalität] V(
sondern auch dadurch, dass sie unsere Individualität zn den
Sachen der Welt und des Lebens in innigste, allseitige
versetzt und die formende Kraft in uns zur Beberrschnng
Realitäten stärkt. In welcher Weise dies geschieht, setet n
79. Abschnitt der Abhandlung über „Hermann und
auseinander. — —
^) 228. 263 f. Vgl. Humboldts gleiche Äusserung in der ftH*!J
aumerkung zu 11. ■ :7^
«) W. W. II, 129. Vgl. S. 140. 142. 210. 271. I . ^
W. V. Humboldt und Kant. 126
Mögen aber Kant und Humboldt in dieser Bewertung der
differieren: in der Auffassung ihres Wesens sind sie prin-
einig. Beide gehen aus von der Einbildungskraft als ihrem
dpunkte, beide sehen in dem Begriff der Form ihren Gipfel.
entwickeln sie in jenen Gegensatzpaaren wie Stoff und
Freiheit der Einbildungskraft und Gesetzmässigkeit des
indes, Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit, Natur und Idee
die jedoch nur die Abstraktion auseinanderhält und deren
igewicht (Synthese!) zu verwirklichen die wesentliche Auf-
der Kunst eben ist.
Behen-schend ist der Begriff der Form. Er entstammt der
tik; in tiefsinniger Erfassung eines rätselhaften Grund-
imenhanges übertrug ihn Kant einerseits auf die Theorie des
nens, andererseits auf die Ethik. Dabei bedeutet nun
, wie Sommer und Kühnemann mit Recht hervorgehoben
, keineswegs Inhaltlosigkeit, sondern ein geistiges, lebendiges
nftprinzip, das aus den Tiefen unseres einheitlichen Be-
$eins entspringt und mehr als eine blosse Ordnungskategorie
Ut. Gerade dies „Mehr" aber ist das GeheimnisvoU-ünfass-
das Unumschreibbare. Bei aller begrifflichen Schärfe, die
:ritischen Philosophen auszeichnet, bleibt daher dem Form-
t all das Mystisch- Weihevolle, das den höchsten Tatsachen
!S Lebens eigen ist. Ein kräftiger Griff in die Metaphysik,
:helling ihn tat, ein grosser produktiver Wurf, wie er Goethe
chilier gelang, sind besser geeignet, dies Formerlebnis auf-
3n, als seine Umschreibung mit den immer unzulänglichen
fen der abstrakten ästhetischen Analyse. Humboldt hat dies
eingesehen. Damals folgte er dem Wege Kants, der
islich auch nicht darüber hinauskam, mit seinen Kategorien
Irücken, was man vor ihm als „Einheit in der Vielheif* oder
tiver als „Zusammenfassbarkeit^ bezeichnet hatte. Denn
Bindung eines vielgegliederten Stoffs zur Form ist und
das Charakteristische an dem künstlerischen Vorgang. In
neuer Formulierung sucht sich Humboldt dies Zusammen-
von Erscheinung und Verstandesform, besser Vernunftidee
:u macheu. Die Gesetzmässigkeit der Form muss die Herr-
über die Freiheit des Stoffes gewinnen.*) „Alle Schönheit
auf einer freien Verbindung der Form mit dem Stoff*. *)
rwfw. I, 168 f. 336. 361.
) W. W. T, 364. 369 ff.
126 E. Spranger,
Doch muss diese Gesetzmässigkeit ganz als die natürlichste Frei-
heit erscheinen, wie es ja auch Kant gefordert hatte. ^) Das My-
thologische dieser Wendungen ist nicht zufällig : besteht doch eben
alle Formgebung der Kunst darin, dass das eigentümlich-mensch-
liche Lebensprinzip dem Stoff eingebildet wird. In ihrem Wesen
und Ursprung aus den Tiefen des menschlichen Geistes selbst aber
bleibt diese Form ewig unergründet : nur in den konkreten Gegen-
bildern des Organismus, des Kunstwerkes, der Persönlichkeit er-
fasst sie sich selbst. Deshalb der ewige Drang nach dieser Pro-
jektion. Und wenn Humboldt die Kunst zurückführt auf die
Fähigkeit, die Einbildungskraft nach Gesetzen produktiv zu
machen und rein aus dem Geiste solcher Gesetze heraus das
Wirkliche in ein Bild zu verwandeln, so bleibt das eigentM
Ästhetische dieser Gesetze^) völlig unerklärt: sie haben ihren Ort
zwischen Wirklichkeit und Idee; gerade deshalb aber können sie
nur am konkreten Kunstwerk erlebt werden; gerade deshalb
weisen sie auf ein originales Vermögen der Regelgebung zurück,
das wiederum unerklärt bleibt. Dies war ja Kants grandiose
Gedanke: die Gesetze des Genies und die Gesetze der Kunst
können nicht in Begriffen formuliert werden: nur eine Analyse
ex post am Kunstwerk selbst kann sich ihnen nähern.
Wie genau Humboldts Auffassung von diesem produktiven Kunst-
vermögen, dem Genie, mit der Kants übereinstimmt, hatten wir be-
reits im Znsammenhang mit der Erkenntnistheorie angedeutet. Aach
dieses Problem behandelte er noch 1792 mehr im Sinne der Mo-
nadenlehre: im dichterischen Genie, so hatte er sich schon 1788
mit Jacobi geeinigt, überwiegt die Sensation, d. h. die bloss
innere Ideenproduktion, im Philosophen die Perzeption, d. h. der
Wirklichkeitssinn.^j Bald aber treten auch hier zum VorteU der
Sache die Kantischen Kategorien ein: Als er Schillers Genie einer
eingehenden Analyse unterwirft (4. VIII. 1795), findet er den
Unterschied beider Geistesarten darin, dass in der Philosophie
mehr Notwendigkeit des Ideals, in der Poesie mehr Natur md
Wesen, insofern es der blossen Form, dem System entgegensteht,
herrsche. Schlesier*) hat mit Recht hervorgehoben, dass Humboldt
1) K. d, U., S. 69, bes. § 46. An Kömer, S. 29. 39. 82. Leitzmann,
106. 118. 142 etc. Au Goethe, S. 17 etc. An Wolf, S. 149 f.
2) An Wolf, S. 165.
3) An Jacobi, S 93. W. W. I, 170.
*) I, 68. Vgl. Haym, 136.
W. V. Humboldt und Kant. 127
nais noch durch seinen Verkehr mit Schiller geneigt war, die dich-
iache Bedeutung des ersten Moments zu überschätzen. Später
îr, als Goethe sein Dichterideal wurde, forderte er von dem Genie
schieden dasselbe Gleichgewicht von Selbsttätigkeit und Em-
.nglichkeit (Kant: Genie und Geschmack), wie er von der Kunst
Eichgewicht zwischen Ideal und Natur (Individualität) verlangte.
seinen Jugendschriften behandelte er immer von neuem diese
Eige. Auf die Woldemarrezension hatten wir schon in anderem
sammenhang hingewiesen.^) Vorher, in den „Ideen über die
enzen der Staatswirksamkeit" und in der „Theorie der Bildung
; Menschen" versenkte er sich mit Vorliebe in die Analogie
ischen dem geistigen und körperlichen Zeugen, jenen unsterb-
len Erosgedanken Piatos, den eben damals K. Ph. Moritz,
V. Dalberg, der Bruder des Koadjutors, und in anderem Sinne
msterhuis neu entwickelt hatten. Diese Idee trat mit seiner
ntischen Auffassung des Geschlechtsgegensatzes (s. o.) in Ver-
dang. Der Bildhauer wird von dem Zeugungstriebe gequält.
Fülle seiner plastischen Einbildungskraft in Gestalt auszu-
icken.^ Aber diese Überfülle der Produktivität muss durch das
eptive Vermögen zum Gleichmass ausgeglichen werden. „Die
stige Zeugungskraft ist das Genie. **^ „Durch seine Natur
reibt es Gesetze vor."*) Es muss sich also selbst gesetzmässig
eben; dies ist nur möglich, wenn Selbsttätigkeit und Empfang-
ikeit in ihm gleich geschäftig sind, wenn es nach höchster
jektivität und Notwendigkeit strebt, wenn es sein zufälliges
sein abstreift und sein enges Ich zu dem Umfang einer Welt
^eitert.ö) Diesen Gedanken des ersten Horenaufsatzes erweitert
in der „Vergleichenden Anthropologie": Sinnlichkeit und Ver-
nd, Wirklichkeit und reine Geistigkeit müssen miteinander aus-
glichen werden.^) Statt dieser Gegensätze treten auch die von
tur und Idee, Realität und Idealität, Freiheit und Notwendig-
t ein. Dem Weibe wird ein solches Gleichgewicht eher im
[üessen als in der Produktion gelingen.^) Nichts anderes ist
1) W. W. I, 290. — Vgl oben S. 78.
^ W. W. I. 286.
») I, 316.
*) 317.
^) 818.
•) W. W. I, 403 ff.
7) Leitzmann, S. 142.
las Ê. Sprangei*,
es, was er in den Briefen an Goethe als zeugende und bild
Kraft des Genies unterscheidet, deren Zusammenwirken den;
heber selbst ein Geheimnis sei.^) In seiner Lehre vom Geni
also Humboldt echter Kantianer; und nicht nur in den Fon
so wie Kant den Gedanken seiner Zeit teilte, dass das Bild
gesetz des Organismus und das des Kunstwerks in der W
verwandt seien, dass also die Philosophie der Kunst und dei
ganischen zusammenzustellen wären, so lebte diese univ(
organische Auffassung, wie sie uns etwa bei Moritz scharf
gegentritt, auch in Humboldt. Und damit eröffnet sich
weitere, letzte Perspektive auf Schelling.
An dieser Schwelle der neuen Entwickelungsperiode
brechen wir unsere Untersuchung ab, in dem Bewusstsein
Thema mit ihr nicht erschöpft zu haben. Es würde
Stoff einer eigenen Abhandlung ausmachen, die Kantis
Momente in Humboldts sprachphilosophischen Werken, die sie
übrigen in Schellingschen Bahnen bewegen, zur Darstellung
bringen. Wie tief diese von Kants Kategorienlehre und
seiner Theorie des Schematismus beeinflusst sind, hat be
K. Haym in seinem unübertrefflichen Werk herausgehobc
Steinthal hat in seiner Art die gleichen Probleme verfolgt,
noch neuerdings hat F. N. Finck sie in höchst geistvoller \
wieder aufgenommen. Wollen wir zum Schluss in wenige 5
zusammenfassen, in welchem Sinne Humboldt Kantianer war,
dabei an der Formel zu haften, so dürften wir sagen: Sie
einig darin, dass in den Tiefen des Geistes ein grosses gesta
des Prinzip wohnt, das hier als Erkenntnis, dort als sittl
Wert, dort als Kunstschaffen wirksam wird. Für Kant nun
die grosse Analogie, von der aus er diese geheimnisvoll form
Macht des Geistes beleuchtete, die Logik, d. h. die Gesetzlicl
des Erkennens; für Fichte war es das Ethische; für Hural
war es das ästhetische Schaffen: deshalb vermochte er die St
tur und die Wirkungsweise des Geistes selbst nur als eine ki
1) An Goethe, S. 61 ff.
^ Haym, S. 446 ff.
W. V. Humboldt und Kant. l20
lerische zu deuten: Das Geistige ist in seinem Wesen weder
Mechanismus noch Organismus, sondern es unterliegt denselben —
ästhetischen — Bildungsgesetzen, die wir in abgeleiteter Form
am Kunstwerk erfassen. Und somit ist in der Welt der Objekte
das Kunstwerk das vollkommenste Spiegelbild dessen, was die
höchste Kunstform des menschlichen Daseins selbst bedeutet: der
Persönlichkeit, der Humanität,^)
^) Vgl. Ktthnemann, Kants und Schillers Begründung der Ästhetik.
S. 52 f. 164*.
'^«»titadUii XI II.
Rezensionen.
Eisler, Radolf, Dr. Einführung in die Erkenntnistheorie.
Darstellung und Kritik der erkenntnistheoretischen Richtungen. Leipzig
1907, J. A. Barth. (XU u. 272 S.)
Derselbe. Leib und Seele. Darstellung und Kritik der neueren
Theorien des Verhältnisses zwischen physischem und psychischem Dasein.
Leipzig 19()6, J. A. Barth. (VI u. 217 S.) [Natur- u. kulturphilosophiache
Bibliothek Bd. IV.J
Das an erster Stelle genannte Buch ist wohl geeignet, über die
wichtigsten Probleme der Erkenntnistheorie und die verschiedenen
Richtungen, in denen man ihre Lösung gesucht hat, zu orientieren. FQr
eine „Einführung" dürfte die Darstellungsweise bisweilen etwas zu ab-
strakt sein; mehr Verwendung geeigneter Beispiele hätte grössere An-
schaulichkeit mit sich gebracht. Andererseits hat der Verfasser in der
Mitteilung einzelner Spielarten der erkenntnistheoretischen Hauptrichtnngen,
in knappen historischen Notizen und in Litteraturangaben oft wohl de«
Guten zu viel getan. Derartiges wird gerade auf den Anfänger ve^
wirrend wirken, und ihm ist mehr gedient, wenn man ihm wenige wirk-
lich gute Bücher nennt, als wenn man ihn mit Buchtiteln geradezu über-
schüttet.
In dem I.Abschnitt, der von der „Möglichkeit desErkennens*
(dem „Wahrheitsproblem") handelt, ist der Verf. mit Recht bestrebt, die
psychologische Betrachtung des Denkens und Erkennens von der logisch-
erkenntnistheoretischen zu scheiden. Doch scheint mir der Unter^hied
nicht immer klar herausgearbeitet und scharf festgehalten zu sein. Auch
die Polemik ist nicht immer glücklich. So heisst es z B. S. 57: „Es giebt
objektive, allgemeingültige, aenknotwendige, für iedes Subjekt gCUtige
Wahrheiten (Urteile), aber keine „Wahrheiten an sich", keine nngedacbten,
vom Denken ablösbare, in sich auf unbegreifliche Weise ruhende, als halb
logische, halb metaphysische Wesenheiten fungierende Wahrheiten, weder
im Sinne von Bolzano, noch auch in dem etwas nebulosen Sinne, den
die „Wahrheit an sich" bei Husserl hat." Diese Vorwürfe sind aoe^
rechtfertigt. Bolzano erklärt in seiner „Wissenschaftslehre" Bd. I: „Ich
verstehe unter einer „Wahrheit an sich" jeden beliebigen Satz, der etwas
so, wie es ist, aussagt, wobei ich unbestimmt lasse, ob dieser Satz von
irgend jemand wirklich gedacht und ausgesprochen sei oder nicht. So ist
z. B. die Menge der Blüten, die ein gewisser, an einem bestimmten Ort
stehender Baum im verflossenen Frühling getragen, eine angebliche (d. h.
aneebbare] Zahl, auch wenn sie niemand weiss; ein Satz abo, der diese
Zahl angiebt, heisst mir eine objektive Wahrheit, auch wenn ihn niemand
kennt." Die „Wahrheit an sich" ist also für Bolzano ein wahrer „Satz an
sich". Mithin gilt für jene auch, was er für den letzteren Begriff a a. 0.
I, 78 ausführt: „Man darf den Sätzen an sich kein Dasein (keine Existeni
oder Wirklichkeit) beilegen: Nur der gedachte oder behauptete Satz, d.h.
nur der Gedanke an einen Satz, ingleichen das einen gewissen Satz ent-
haltende Urteil hat Dasein in einem Gemüte des Wesens, das den Ge-
danken denkt oder das Urteil fällt ; allein der Satz an sich, der den Inhalt
Rezensionen (Eisler). 131
des Gedankens oder Urteils ausmacht, ist nichts Existierendes; demstalt,
dass es ebenso ungereimt wäre zu saeren, ein Satz habe ewiges Dasein,
als er sei in einem gewissen Augenolick entstanden und habe in einem
andern wieder aufgehört."
Wie kann man unter diesen Umstanden Bolzanos „Wahrheiten an
sich^ — „halb metaphysische Wesenheiten^ nennen?! Es handelt sich bei
ihnen lediglich um Abstraktionen, die durchaus zweckmässig, ja unentbehr-
lich sind. Wir reden alle von den „Wahrheiten" einer Wissenschaft, einer
Religion, den .Sätzen" der Geometrie, einer Abhandlung u. s. w. Diese
uns ganz geläuiige Abstraktion hat Bolzano lediglich zu wissenschaftlicher
Bestimmtheit erhoben.
In gleichem Sinne verwendet nun auch Husserl den Ausdruck
^ Wahrheit^, z. B. Logische Unters. I, 76 f. Er hat aber ausserdem die
verschiedenen Bedeutungsnüancen dieses Terminus mit der ihm gewohnten
Scharfe a.a.O. 11. 694 ff. unterschieden. Angesichts solcher mustergültiger
Be^iffsanalysen mutet es seltsam an, wenn Eisler von einem „etwas
nebalosen Sinn" des Wahrheitsbegriffs bei Busserl spricht.
Im II. Abschnitt, der dem „Problem des Erkenntnis-
Ursprungs" gewidmet ist, vertritt er den Kritizismus, der zwei Quellen
der Erkenntnis, Verstand und Sinnlichkeit, annimmt. Das Denken ist es,
das den materialen Gehalt der Sinneswahmehmuugen, die Empfindungen,
za wirklicher Erkenntnis von objektivem Gehalt verarbeitet. Die Erkennt-
nis^egenstände sind also solche [d. h. doch wohl als Inhalte menschlichen
Erkenn ens] nicht von vornherein fertig gegeben, sondern aufgegeben.
„Das Denken erst weist uns das »Sein« auÇ d. h erst die denkende Ver-
arbeitung der Erfahrungsdaten ermöglicht es, in verschiedenem Grade
der Sicherheit zwischen Schein und Wirklichkeit, subjektiver und objek-
tiver Realität zu unterscheiden, bestimmte Inhalte als Realitäten auszu-
zeichnen" (S. 1&6 f).
Mit Recht aber betont Eisler gegenüber der irreftthrenden Rede
Cohens und seiner Anhänger von dem „Erzeugen des Seins darch das
Denken": „Das Denken bestimmt Realität, aoer — es erzeugt sie
nicht" . . . „In dem Anschaulichen der Erkenntnis ist das Reale ange-
kündigt, und kein Denken der Welt würde Realität begründen und setzen,
wenn es nicht den Begriff des Realen an der Hand des anschaulich Ge-
gebenen entwickelte" (S. 157).
Diese Erörterungen führen uns unmittelbar zu dem III. Abschnitt,
der Behandlung des Realitäts-Problems. Bei aller Anerkennung der
relativen Wahrheit des Idealismus wird hier mit vollem Recht daran fest-
Rhalten, dass das Wesen des Erkennens darin bestehe, eine von allen
Subjekten und ihren Erkenn tnisvor^ngen und Erkenntnisinhalten ver-
schiedene „Realität" zu bestimmen. Sehr am Platze ist die Mahnung, der
Idealismus müsse „methodisch" bleiben, er dürfe nicht selbst zu einem
ontologisch-meta physischen Standpunkt werden. — „Es ist ein Irrtum, zu
glauben, die Wirklichkeit erschöpfe sich darin, Innalt des erkennenden
Bewusstseins zu sein, es i>t ein intellektualistiscbes Vorurteil oder Dogma,
die gedanklich-fixierte Welt der Forschungsobjekte für das einzige und
leiste Sein zu halten" (S. 224). Auch mir scheint es die „befriedigendste"
Annahme zu sein, dass „objektive Erkenntnis das Produkt des »Zusammen-
wirkens« zweier Faktoren ist, von denen der eine das Snlvjekt mit seiner
reaktiv und aktiv den Erfahruugsstoff gestaltenden Geistesarbeit, der
andere das «Ansich« der Wirklichen ist" (S. 268).
Für das Buch über „Leib und Seele" gelten ebenfalls die allge-
meinen Bemerkungen, die ich an den Anfang der vorhergehenden Be-
sprechung gestellt habe.
Seinen Stoff gliedert der Verfasser in der Weise, dass er zunächst
die drei metaphysischen Richtungen des Dualismus, des Materialismus und
der Identitfttalehre bespricht, sodann — am ausfflhrlichiten — auf das
132 âesensionen (Eûler).
Problem: Wechselwirkunfi; oder Parallelismiis ? eingeht, und endlich noch
kurz die Unsterblichkeitsfrage streift
Den Dualismus sucht Eisler hauptsächlich durch folgende Er-
wägung zurückzuweisen: „Ist es ein Merkmal alles Physischen, Inhalt
eines Bewusstseins zu sein, irgend ein Subjektmoment als korrelat voraoB-
zusetzen, so hat es keinen Sinn mehr, zwei von einander absolut ver-
schiedene und getrennte, selbständige Welten anzunehmen. Es giebt
demnach weder zwei heterogene Substanzen, noch zwei heterogene reale
Geschehnisse, die irgendwie mit einander verknüpft sind" (8. 24). Dieser
Gedankengang wäre zutreffend, wenn sozusagen das ganze Wesen des
Physischen darin bestände, Bewusstseinsinhalt zu sein. Tatsächlich
meinen wir im gewöhnlichen Leben wie in den Einzelwissenschaften mit
dem Worte ^ewusstseinsinhalt" Psychisches, d. h. eben ^rade nichts
Physisches. Würde aber der Verfasser behaupten, erkenntnistheoretische
Erwägungen führten dazu, im Physischen lediglich Bewusstseinsinhalt zu
sehen, so würde er damit seinen eigenen realistischen Standpunkt in der
Erkenntnistheorie aufgeben.
Die Darstellung und Widerlegung des Materialismus ist klar UDd
treffend.
Unter dem Titel „Identitätslehre" werden sodann die verschie-
denen Formen des Monismus behandelt. Der Verfasser entscheidet sich
schliesslich für einen spiritualistischen Monismus. (Hierin liegt auch der
Grund, warum wir uns unter den von ihm aufgezählten metaphysischen
Standpunkten vergebens nach dem Spiritualismus umsehen.) Der Mensch
ist demnach „eine bestimmte Organisation des Wirklichen, die sich un-
mittelbar als Subjekt, als Einheit von Subjektaktionen, von psychischen
Erlebnissen weiss, sinnlich und naturwissenschaftlich aber als Oojekt unter
Objekten, als Leib, als physischen Organismus erkennt. Das Pftvchische
ist das unmittelbare Sein desselben Wirklichen, welches mittelbar fflr
andere und für seine eigene Sinnesperzeption und deren begriffliche Ve^
arbeitung sich als Körper und physisch darstellt^ (S. 94). Das Psychische
also oder das „Intelligible^^ (auch so nennt es Eisler S. 146), „das uns im
Selbstbewusstsein unmittelbar vorliegt*^, ist das allein Beale, das „Ding
an sich^, das auch den physischen Phänomenen zu Grunde liegt.
Wenn nun aber alles eigentlich psychisch ist, woher kommt dann
das Physische oder wenigstens die Erscheinung des Physischen? Aus der
oben angeführten Steile (von S. 94) können wir zunächst die Antwort
darauf entnehmen: Das psychische Einzelwesen erfasst sich zwar selbst
als psychisch, aber es stellt sich anderen psychischen Wesen als physisch
dar. Warum das nun freilich so sein soll, darüber erhalten wir keinen
weiteren Aufschluss. Aber, geben wir uns f^uch einmal damit zufrieden,
so steigt uns doch noch ein schweres Bedenken auf. Hängt die Erschein-
ung des Physischen lediglich davon ab, dass Psychisches durch andere
psychische Wesen aufgef asst wird, so müssen wir selbst uns doch ledighch
als Seele erscheinen : wie ist es zu erklären, dass wir nicht bloss fflr
andere, sondern auch für uns selbst zugleich als Leib erscheinen? Darauf
antwortet uns die zitierte Stelle: Das erklärt sich durch „unsere ei^ne
Sinnesperzeption", die wir von uns selbst haben. Aber das führt in emen
Zirkel. Unsere Sinne wären also die Voraussetzung dafür, dass wir uns
selbst als körperlich erscheinen, andererseits sind sie selbst nur Erscheinung
— und zwar für wen? für die Seele vermöge ihrer Sinne. Die Sinne
wären also zugleich Voraussetzung der physischen Erscheinung und selbst
eine solche Erscheinung, sie wären Bedingung und Bedingtes. Das ift
unmöglich.
Aber ein Ausweg scheint sich zu bieten. Man kann ja annehmen,
dass unsere Sinnesorgane wie überhaupt unser Leib selbst schon aas
Seelenwesen (aus Monaden) bestehen, und dass diese eben unserer Seelen-
monade wie überhaupt alles andere Psychische als physisch erscheinen.
Dann bleibt aber einmal die schon oben angedeutete Frage (woher übet-
Reeenûonen (Braan). 133
haapt diese Erscheinungsweise?) nngeltet; sodann ffiit der Sats Eislers
nicht mehr, dass unsere Seele „dasselbe (!) Wirkliche^ sei, welches nns
and anderen als Leib erscheine.
Die Behandlung, die der Verfasser der Frage nach dem Verhält-
nis von Leib und Seele an^deihen lässt, ist natürlich abhänji^g von
seiner metaphjrsischen Grundposition, dem spiritua listischen Monismus Er
lehnt darum eine psychophysische Wechselwirkung ab und behauptet
einen Parallelismus zwischen den beiden Arten, wie das Wirkliche sich
darsteUe. „Dieser Parallelismus schwebt aber nicht in der Luft, sondern
iat durch intelligible Ordnungen des Geschehens bedingt, so dass dieses
Intelligible, welches für sich selbst psychisch ist, den Grund für das Aul-
treten physischer Kausalverbindun^en darbietet, ohne jemals als Ursache
die Reme des Physischen, Objektiven, Phänomenalen zu durchbrechen"^
(S. 147).
Seine Auffassung und Begründung des Parallelismus wird also von
dem Einwand getroffen, den wir gegen seine metaphysische Grundansicht
erhoben haben. Auch abgesehen davon, dürfte es der ganzen La^
der Diskussion dieses Problems entsprechender sein, es noch als ein
offenes zn behandeln.
Giessen. August Messer.
Brann, Otto, Dr. Schelling, Friedrich von, Vorlesungen über
die Methode des akademischen • Studiums. Herausgegeben von
Otto Braun, Dr. phil. Leipzig 1907. Quelle & Meyer. (XXIII u. 170 S.)
In dreifacher Hinsicht vielleicht stellt sich eine solche handliche
Nenausgabe von Schellings „Vorlesungen über die Methode des akade-
mischen Studiums" als ganz glücklicher Griff dar. Erstens: dem offen-
sichtlichen Verlangen nach der Synthese, von dem heute das geistig
Wollen besonders der jüngeren Generation, die nach einer einheit-
lichen und überschauenden Verarbeitung der in dem verflossenen Jahr-
hondert vollzogenen ungeheuren Anhäufung an positivem Wissensmaterial
strebt, wieder beherrscht wird, kommt der durchaus synthetische Charakter
der wissenschaftlichen Denkungsart in den Schellingschen Vorlesungen als
anschaulicher T^pus fördernd entgegen. Sodann ist diese Schrift, die in
einem verhältnismässig allgemeinverständlichen Stile geschrieben ist und
neben der Behandlung ihres eigentlichen Themas zujg^leich das Identitäts-
system des Philosophen im Umriss darbietet, weil sie eben ihren Ges^en-
stand allein ai^ Grund dieses Systems angesehen wissen will, vor allem
ceeignet, einen Laien unmittelbar in Schellings Philosophie einzuführen.
Und zum Dritten ist es auch für den Fachmann nicht ohne Wert, dass
ihm gerade die Vorlesungen, bisher nur in der Ausgabe der S. W. erreich-
bar, nun in bequemerer Weise zugänglich geworden sind. Denn sie sind
insofern von besonderem Beiz und Siteresse, als in ihnen das gleichsam
private Element in der wissenschaftlichen Persönlichkeit ihres Schöpfers
so deutlich wie sonst nirgends zum Ausdruck gelangt: Schellings Be-
geisterung für die Erhabenneit des reinen Gedaiu:ens und für die gewal-
ugen Ziele, denen das Denken nachzustreben habe und die nur diesem
erreichbar seien, und der hochfahrende Dünkel, mit dem der Siebenund-
zwanzigjährige auf die fleissige Arbeit mühsamer, gewissenhafter Forschung
verftchthch herabsieht; seine persönliche Stellungnahme zu den wissen-
schaftlichen und allgemeinen geistigen Richtungen und Bewegungen der
damaligen Gegenwart, sein felsenfes&r Glaube an den eigenen priester-
lieben Beruf, den Geist des Zeitalters und der Nation, den Menscnengeist
überhaupt zu erlösen, und die überlegene Gönnerhaftigkeit, mit der er die
grossen Vorgänger nur allenfalls gelten lässt, auch Kant, den er als eine
Art von vorbereitendem und immerhin verdienstvollem Erneuerer betrachtet,
der sich aber über den wahrhaften Sinn seiner Philosophie und deren
Verhältnis zum „Urwissen" selbst nicht klar gewesen sei, weil ihm eben
dms Licht der arooluten Indifferenz noch nicht aufgegangen war.
134 Beaenaoiien .Bnoa).
hat Bnm die dankenswerte Av%»be» der er sieh ostenog,
wesentlicheii Ponkten nickt zor Genfige cif&Ilt.
Er giebt in seiner Aosçabe ausser dem Tezt ein^e erünternde Âs-
Beiknngen nnd eine allgemeine Einleitang.
Don Text ist die Originalansgabe Ton 1âQ8 xb Gnmde gelegt; die
in den S. W. znm Teil in eckigen Klammem, zum Teil in Fonnoten
^'^<^^>¥*l^l>^°^^ Znsitze ans dem Handexemplar d» Terfaaaers sind Te^
stindigenreise durchweg, Ton einer der Sachlage nach nickt za nmgehes-
den Aôsaahme (S. 56) abgesehen, in eckige Klammem gesetzt, sodaa der
Henosgeber ftr seine eigenen Anmerksngen freien S|iMraam tfbilt
Kinne imd belanglose Znsitze ans dem Handexempinr sind mas^hmn
anf Sl -iiBi» 73 and 73w Meist ebenfdis durch das AnsiasBeii Ton WörteiB
•mden. Tom Heransgeber noch etliche Änderungen des Textes Tor|^
nommen. fir die ein zareichender Grand indessen nicht einzos^en nt
Darüber hinaas hat Rel aber an sinnentstelLenden oder das Tersfeindmi
des Sinnes erschwerenden Anderan^^n. bezw. Venehen oder Dmekiriilm
eiae ganze Reihe bemerkt, namhch S. & II. Z. t. n. Jm absolntei
Formen Tcrhârtec* statt Jn obsoleten Formen Terhärtet*^; S. 2S^ 1 2.
T. n. ^Verwendon^ statt ^nwendan«*; S. Ä. IL Z. v. o. ..kdnntei'
statt ^können*: S.'iT, Mitte .Tergebtiifae* statt ^Tor^ebuche-^; S- Ä
3l Z. T. o. am Ende fehlt .aach einer Dirne*: S. 43,. 12. Z. t. v. jbn ill-
gcmcxnen-" statt Jm Allgemeinen*, was deshalb dem Sina des Saties
zmrwVriairft. weil hier, wie aas dem Zasammenhan^ hetimgeht, .du
Aüeemenie* {= das Wissen aof der idealen Seite^ d. L îaa Toiücgendei
Falle der konstnikcive Faktor des W£«ens in scObstlmdigez' sabtfoti-
Tveher Bedeittan^ als Gegensatz za .<km Besonderes.^ (== dem Wbki
anf der realen Sete. d.L im Torüegenden Falle dem EmpizisdLatj gemdit
ÎK: S. «0. 14 Z. T. o. ^welchem- statt .wekh«-^: S fft^ & Z t. «. for
.jgpuMMgr^ fehlt «Tagenden*: S. 67, &. Z. t. a ^odgmell'^ statt ^ofi|:îiih
^. IL 13. ZL T. o. .Tagf die KansC aof <& Togcnii machoL'^ art m den
Znaarz des Haouiexemçlars hinter , Religion* anagelaai«i; S. 88^ 3. Z. t.i.
^derjenige-*^ ssatt ^d ie j**ni«e* : S» 93, II. Z. t. o. ^weut^ statt ^den":
S 9K, «. ZL ▼. o. ^dennoch*" statt ^demnach*": S. UX I. ZI r. «. ^ter
hteitec^ statt «vorbereitet*: S. lil. 8. Z t ol ^nscxonale**' statt jmtio-
nelle*^: S. US. lOtte fehlt .^za entweihen» imum num. se in Dia^
hinter .^Pftflaaaphie^: S. 130^ a Z. t. o. Tor ^wenn*" Üehlt ^würes^^i S. ISI.
i Z T. o. TQT .^Mnvh'^ Milz .nicht^: S. X-& i Z t. o. .^▼«wischt- sciit
^Tcrmischtr*; 5. l-C. 5. Z. v. o. .»sällen'* statt ^▼irien**-; Sw 150^ 14 1
T. o. JblhereK* statt ^hercs-": S I5L (5u Z t. o. hint» .,mt^'^ fiehlt nod
cmmal .^-': S. 151. II. Z t. o. hinter .^Sofjekciràit^ fidhit ^ & Ob-
iekcrriiat^: S. 153. i Z t. a. ,,ihre- statt .»seine*: S. !«„ 3. Z ▼.o^
^kiwmtr*^ statt ^nnte^. Fem« wird S. >^ li. Z t^ o. <&irch êm Am-
liwerr des Komma» hinter .^bjektire'^ and S. 94^ Î-4 Z ▼. o. <inck du
AoBUHsen des Kolons hmter .ymCgüch'^ der Sinn, der becreflSenäen Süs
tesshmkeliL Xan. wird demnach zageben müssisfL, (&as Bl dm hull
gegiebeien Tee: mit etnem erht^buchen Xangel tm Soriarfiil]: behandrit kst
mit gjnfflr 5achiflaBgkât. die seh ein Philologe oder titecaghiacocikBr in
analogen Falle kaiim za Schalden kommen lassen dâzfbe. ohne v^ dei
hif(1ii|piüat Angriffen and Vor würfen anazoaetzen.
Die Anm^cnng!«!, die seh anf das ^twendiigste» auf einge E^
äbmrangaa and seiesoddiche Hinwose, besciuänken. soQen (fie CxniîeîtBVf
bai der Sriminiang iiirer AbsÉchc onteistätzen ; and zwar iiiifi iiiiaiMi o
<fiB ISniacang. mic Gesciiick and innerer Beceüitring an (te* Seche ficvftt-
bne Basxennngen zwischen dem Ideengehalt 1er «oriesmmn Sfacr ei
Methode and isn gesogoi Leb^i dior Gegenwart jnznkitâpâen. and zxcv
«ine Paraten nng Wi Scheilincs ideengesciüehciicaer SteUnng: an gekci-
Dem Darsteflnnç «esciiiehc aber vun^ einem eriweitigen CoaiLhiayakte
en^ Derau£. «hmt Scheîlings Wirken zit einem weaenracdhet Teäe in et
gadmirfrhe Sphftte der ronuutoadLen Bewegoag
Re^^siQnen (Oesterr^icb). 195
ihr hervorging, wird nicht Bezug genommen. Und doch hat der Philosoph
wiederholt auf die romantische Bewegung und ihre Ziele unverkennbare
Ajispielungeu gemacht, vornehmlich am Anfange und am Ende der Vor-
lesangen (vgl. S. 8 und 167 68). In dem Grundgedanken von Schellings
Auffassung vom Wesen der Wissenschaft, dass nämlich jede Wissenschaft
Euletzt auf einem pliilosophischen Prinzip und die Philosophie selbst auf
einem künstlerischen Prinzip beruhe, das überdies in der Religion sich
ebenso ausdrücke, sniegelt sich deutlich die Grundtendenz des roman-
tiscben Geistes wieaer, die Poesie, Philosophie und Religion ineinander-
Diessen lassen wollte. Das Schellingsche Bildungsideal war eine Syste-
mati8i«*rung des romantischen Bildungsideals. Von diesen wichtigen Zu-
sammenhängen erwähnt der Herausgeber nichts Die historische Stellung
Sehellinurs ist in rein fachphilosophiegeschichtlichem Sinne ins Auge ge-
fftsst und in* diesem Sinne allerdings in einer für den Laien verständlichen
und anregenden Weise geschildert. Nur über eine Stelle hat Ref. selbst
■ich nicht klar werden können. Auf S. X heisst es: ,,Bei Kant herrscht
aoch hier (d. i. bei dem erkenntnistheoretischen Verhältnis zwischen
Mensch" und ^Welt") der durch seine Geistesart bedingte Dualismus:
Welt und Mensch sind von Anfang an getrennt und eine wesenhafte Ver-
bindung ist dann unmöglich Es ist im Grunde derselbe Fehler des Aus-
ranitrspnnktes, wie ihn die übliche Erkenntnistheorie stets begeht: sie
be^nnt vom Ich, dem notwendig ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird.
Bei konsequentem Denken ist dann dem Solipsismus, dem ^Einzig-Sein*^,
nicht zu entgehen.*^ Es ist doch schwerlich anzunehmen, dass der Heraus-
g^ber mit diesen Sätzen sagen wollte, dass der Standpunkt der Kantischen
rkenntnistheorie bei konsequentem Denken zum Sohpsismus führe. Was
aber in aller Welt wollte er damit sagen?
Charlottenburg. Karl Hoffmann.
Oesterreich, Konstantin, Dr. phil. Die Entfremdung der
Wahrnehmungswelt und die Depersonnalisation in der
Paye h asthénie. Ein Beitrag zur Gefühlspsychologie. Sonderabdruck
ana dem Journal für Psychologie und Neurologie. Bd. VII, S. 256 — 276.
Bd. VIII, S. 61—97, 141-174, 220-237. Bd. IX, S. 16—53. Leipzig,
J. A. Barth, 1907. Gr. 8fi.
Kant hat bei seinem ausgedehnten psychologischen Interesse auch
den psychopathologischen Erscheinungen eine mehr als g^elegentliche Auf-
merksamkeit zugewandt. Im „Versuch über die Krankheiten des Kopfes^,
in den „Träumen eines Geistersehers*', in der „Anthropologie** — immer
«rieder kommt er auf sie zurück und sucht auch in dieses scheinbar ver-
worrenste Gebiet mit seiner scharf sondernden wissenschaftlichen Analyse
einzudringen. Freilich bleibt er dabei ganz in den psychologischen An-
schauungen seiner Zeit stehen : er nimmt eine Reihe deutlich geschiedener
Seelen vermögen an und bestimmt die einzelnen Krankheitsformen nach
den\jenigen Vermögen, das im jeweiligen Falle gestört erscheint. Gf'gen-
Qher dieser halb deduktiven Methode zeisrt uns die moderne Psychopatho-
lo^e die sorgfältigste Anwendung der Empirie. Die vorliegende bedeut-
same Arbeit fusst zunächst auf drei neuen, höchst interessanten Krank-
hei taf allen; die eigenen Aufzeichnungen der Patienten werden mit Recht
völlig unverkürzt wiedergegeben. Ausserdem aber zieht der Verf. eine
Fülle älterer und neuester Litteratur sowohl von der klinischen als der
theoretischen Seite heran.
Die beiden Krankheitserscheinungen, um die es sich hier handelt,
die Entfremdung der Wahmehmuuffswelt und die, von Dugas als ^Deper-
sonnalisation*' bezeichnete, bis zur Bewusstseinsspaltung sich steigernde
Entfremdung der eigenen Persönlichkeit gehören dem Gebiet der sog.
Psycbasthenie an und sind mit der Hysterie nicht zu verwechseln. Kris-
haber, der ihnen zuerst eingehendere Untersuchungen widmete, führte
aie anf Störungen in den Sinnesempfindungen zurück, und neuere Autoren,
wie Taine und Ribot, sind ihm noch in dieter Auffassung gefolgt. Man
136 Rezensionen (Öest erreich).
wird dadurch an die von Kant immer wiederholte Unterscheiduig von
Wahnsinn (als krankhaften Sinnesillusionen) und Wahnwitz (als Störong
der intellektuellen Funktionen) erinnert und möchte, jenen sensualistischen
Theorien folgend, die betreffenden Phänomene nach Kantischem Sprach-
gebrauch um so eher zum Wahnsinn rechnen, als sie durchgängig
durch das Bestehen völliger, deutlicher Krankheitseinsicht
ausgezeichnet sind. Der Verf. liefert nun aber in höchst überzec^en-
der Weise an der Hand der Krankheitsaussagen den Nachweis, dass diese
Erklärung durch Störung der Sinnesempfinaungen irrig ist. Er beginnt
mit der Entfremdung der Wahmehmungswelt und zeigt, dass die Sinne»-
emp findungen vöfiig unverändert sina. Ebensowenig kann er sich den
Theorien von Leroy und Pick anschliessen, die die Entfremdung als eine
Störung des normalen Bekanntheitsgefühles ansehen, oder den^n vonLippi
und anderen, die eine Erinnerungsstörun^ annehmen. Seine eigene Ana-
hrse führt zu dem interessanten psychologischen Resultat, dass bei völliger
Intaktheit der Sinnesempfindungen doch die Sinneswahrnehmun^en
alteriert sein können. Denn die Wahrnehmungen sind nicht identisch
mit den einfachen Empfindungen: sie sind komplexe Gebilde aus dieses
und hinzutretenden weiteren Prozessen. Im Gegensatz zu der physio-
logischen Schule Wemickes sucht er aber die psychasthenische Stömng
nicht in den begleitenden Muskelempfindungen, sondern in den Gheffihl»-
Srozessen, die mit den Empfindungen verschmolzen sind. Aue Aussagen
er Kranken weisen darauf hin, dass ihnen die Aussenwelt deshalb
fremd erscheint, weil in ihnen die emotionellen Vorgang gehemmt sind.
Und diese Auffassung wird unterstützt durch die Beobachtungen
bei der Depersonnalisation, die häufig mit jener ersten Krank heitsform
verbunden auftritt. Auch hier sind keine intellektuellen Störungen oder
Sinnesabnormitäten nachweisbar: die vollste Krankheitseinsicht besteht,
und die Kranken klagen einstimmig nur darüber, dass in ihnen die Ge-
fühle herabgesetzt oder erstorben sind. Merkwürdigerweise geht die
Krankheitseinsicht so weit, dass sie diese allgemeine Gefühllosigkeit doch
als etwas Schreckliches fühlen und sich ihres früheren Zustande« deutlich
(eigentlich auch gefühlsmässig) erinnern. Auch die Depersonnalisation
beruht also im wesentlichen auf der Hemmung der emotioneUen Prozesse.
Der Einfluss dieses Zustandes auf die intellektuellen Betätigungen wird
eingehend verfolgt; kürzer wird die Willensseite behandelt, doch eine
Herabsetzung des Aktivitätsgefühles allgemein konstatiert.
Der normalpsychologische Ertrag dieser Analyse an pathologischen
Fällen ist höchst bedeutend. Der Verf. findet dadurch die Anscnannng
von Lipps bestätigt, dass der Kern unseres Ich in den Gefühlen zu suchen
ist. Er geht aber insofern über ihn hinaus, als er daraus die Möglichkeit
einer innerlichen graduellen Abstufung des — numerisch immer einheit-
lichen — Selbstbewusstseins folgert, je nach der Stärke und Beteiligone
der Gefühle, die zu seinen konstituierenden Bestandteilen gehören. (Vgl
auch die Litteraturübersicht zur Theorie des Selbstbewusst^ins, Bd. VQI,
S. 162.)
Was die erkenntnistheoretische Seite dieser Untersuchungen betrifft,
so kommt der Verf. wiederholt selbst darauf zu sprechen und weist be-
sonders auf Dil they hin, der in seiner Akademieabhandlung „Beiträge
zur Lösung der Frage vom Ursprung unseres Glaubens an die Beaütit
der Aussenwelt und seinem Recht^ im Anschluss an die sensnalistiscbe
Erklärung von Krishaber betont hatte, dass unser Selbstbewusstsein ab-
hängig ist von dem Spannungsverhältnis, das zwischen unserem Selbst and
der Wahmehmungswelt existiert. Der Verf., der hierfür seine eigene
Theorie einsetzt, hat jedenfalls das bedeutende Verdienst, den unlöslichen
Zusammenhang der Erkenntnisfunktionen mit den im weiteren Sinne
psychologischen Prozessen sowohl für das Gebiet der Wahrnehmung
als der Apperzeption einmal eindringlich in Erinnerung gebracht zu haben.
Die exklusiven Anhänger deijenigen Erkenntnistheorie, deren Kick ma
Rezensionen (Hart mann). 137
aaf das Zustandekommen einer objektiven, allgemeingilti^n, streng ratio-
nalen Erkenntnis — eines rein abstrakten Ideals — gerichtet ist, werden
vermutlich hier wieder nichts finden, was sie aus ihrer konstruktiven Bahn
zu bringen vermag. Um so mehr aber wird der Historiker diesen Unter-
suchungen seine Aufmerksamkeit zuwenden, die über die zahllosen Stufen
des Realitätsbewusstseins, wie sie etwa bei Augustin, Descartes, Male-
branche, Berkeley, Kant, Fichte (s. Bd. IX, S. 32), Schopenhauer hervor-
treten, oder ttber die Fälle mystischer Selbstentäussemn^ und andere reli-
giöse Zust&nde ein helles Licht verbreiten. Es ist völhg undenkbar, die
grosse philosophische Bedeutung dieser Arbeiten an den Grenzen
aes Normalen zu übersehen: sicher liefern sie in dieser Hinsicht einen
weit grösseren Gewinn als die physiologische Sinnespsychologie, die
ans insofern im wesentlichen Enttäuschungen beschert hat. Wir hoffen,
dass uns der scharfsinnige Verf. dieser Schrift, bei dem sich in ^Ittck-
lichster Weise Kenntnisse und Interessen auf beiden Gebieten verbinden,
noch mit mancher gleich ergebnisreichen Arbeit verwandter Richtung
beschenken möge!
Charlottenburg. Eduard Spranger.
Hartmann, E. y. System der Philosophie im Grundriss.
1. Band: Grundriss der Erkenntnistheorie. Haacke, Sachsa i. H., 1907.
(X u. 222 S.)
E. V. Hartmann ist es vergönnt gewesen, sein Lebenswerk end-
gültig abzuschliessen. Er hat sein zusammenfassendes „System der Philo-
sophie^ vollenden können und jetzt ist der erste Band davon erschienen,
in 2 Jahren wird das ganze Werk vorliegen. Es ist — wie H. selbst
bemerkt — das erste Mal in der Geschichte der Philosophie, dass eine
solche Zusammenfassung einem Denker in so ausgeglichener Weise ge-
lingt. Hegels und Lotzes Versuche nach dieser Richtung sind unvollendet
oder sehr ungleich in den Teilen.
Für die weitere Ausbreitung der Hartmannschen Gedanken kann
dieses System von grösster Bedeutung werden, denn diese kurzen Dar-
stellungen kann jeder ohne zu grossen Zeitaufwand durchstudieren, und
dann wird sich ja entscheiden, ob er zu den umfangreicheren Werken
Lost verspürt oder nicht. Hoffentlich wird jedenfalls der unwürdige
Zustand gehoben werden, dass sich die meisten Philosophen der Mühe
enthoben glauben, sich mit H. auseinanderzusetzen. Denn ernst zu
nehmen ist dieser Denker wie selten einer, rastlos nur der Wahrheit
nachstrebend, ist sein Leben dahingegangen, ohne laute Anerkennung -
bis auf den schnell verrauschten Erfolg seiner „Philosophie des Unbe-
wnssten^ ~, ja getrübt durch die erbittertsten Angriffe. Und unbeirrt
ist H. weiter geschritten, er wollte ja nicht Ruhm, sondern nur Wahrheit.
Der vorliegende Band ist der Erkenntnistheorie gewidmet, die ia
die Grundpfeiler jedes Systems schaffen muss. Aber H. fundiert, nicht
nnr sein System, sondern stellt eingehend alle möglichen Standpunkte der
Erkenntnistheorie dar, beleuchtet sie kritisch und zeigt, wie sie über sich
selbst hinaus auf eine höhere Synthese weisen, die H. ja im „transscen-
dentalen Realismus*' sieht. So ist sein Buch eine Einleitung in die Philo-
sophie überhaupt, und zwar eine sehr gute, denn H.s klare und sachliche
Art ist für eine Einführung in die abstrakten Regionen der Philosophie
wie geschaffen.
In 3 grosse Abschnitte gliedert sich das Buch: Das Erkennen, Über-
sicht der möglichen erkenntnistheoretiscben Standpunkte, die Kategorien
der Erscheinungswelt. Zunächst werden die verschiedenen Stufen des
Erkennens behandelt: Erfahrung, Kunde, Wissenschaft. Dabei wird H.s
eigentümliche Stellung zur früheren spekulativen Philosophie schon klar.
,^Alle Erkenntnis beginnt mit der Erfahrung und stützt sich auf sie^
(S. 1). Diesen Grundsatz hält er fest auch für die ganze Philosophie.
„Aach die Philosophie muss Empirismus sein, indem sie von der Erfahrung
ausgeht, ihre Schritte fortlaufend an der Erfahrong kontrolliert, und ein
138 Rezensionen (Hartmipn).
um so breiteres empirisches Fundament herrichtet, je höher sie den pyra-
midalen Bau ihrer Erkenntnis in die Wolken hinaufzuführen wünscht.
In diesem Sinne muss auch der letzte und höchste Gipfel der Philosophie,
die Metaphysik, Empirismus sein, d. h. ihre spekulativen Turmbauten
müssen auf dem Boden der Empirie . . ruhen, um nicht als bodenlose
Luftschlösser zu erscheinen*' (S. 19). Mit dieser prinzipiellen Einsieht,
dass für die Philosophie keine andere Methode existieren kann, wie für
die übrigen Wissenschaften, scheidet sich H. von der Begiiffsspekulation,
mit der er so oft zusammengreworfen wird. Allerdings ist seine Philo-
sophie nicht „Positivismus", denn er ist sich klar, dass der Begriff der
„reinen Erfahrung:" ein Unbegriff ist — jede Erfahrung ist mit geistigen
Momenten verbunden, wenn man diese entfernt, bleibt nichts Fassbares
mehr übrig Aber H geht stets von der Erfahrung im wahren Sinne
aus, nicht von vorgefassten Begriffen; er denkt die Erfahrung nur durch
und klärt sie mit dem Gedanken. Jedenfalls darf sich die Philosophie
niemals von den Spezialwissenschaften feindlich abtrennen — aber meat
auch nicht von ihr „Eine Philosophie, die den Schatz an Ergebnissa
der Spezialwissenschaften entbehren und allen Inhalt wie die Spinne ihr
Netz aus sich selbst heraushaspeln zu können glaubt, befindet sich eben-
sosehr auf dem Irrwege, wie eine SpezialWissenschaft, welche die erkennt-
nistheoretische Grundlegung ihrer selbst, ihren durch die Philosophie ver-
mittelten Zusammenhang mit der einheitlichen Gesamterkenntnis und äit
Befruchtung mit metaphysischen Per^pektiven verschmäht" (S. 16).
So nimmt H. die Fülle der von der modernen Wissenschaft e^
rungenen Kenntnisse auf und befriedigt andererseits in wissenschaftlichiff
Weise das „metaphysische Bedürfnis" des Menschen. Er ist damit in
hohem Masse berufen, unserer Zeit zum Führer zu dienen.
Dann prüft H. die Zuverlässigkeitsgrade und die Methoden des Er-
kennens; er zeigt, dass die Metaphysik z. B. sich mit einer geringeren
Wahrscheinlichkeit zufrieden geben mnss, als sie die Spezialwissenschaften
haben. Die Induktion ist die einzige Methode der Erkenntnis, die Dednk*
tion hat nur didaktischen Wert. Schliesslich werden noch Dogmatisons,
Skeptizismus und Kritizismus behandelt.
Im 2. Abschnitt bespricht H. die erkenntnistheoretischen Standponkte
des naiven Realismus, des transscendentalen Idealismus und transscenden-
talen Realismus. An diesem Kritik zu üben ist hier nicht der Plats, dan
müssten andere Schriften H.s berücksichtigt werden, vor AUem seine
gegen Kant gerichtete „kritische GrundL^gung des transscendentalen Bet-
smus". Jedenfalls ist das Resultat H.s unbestreitbar, dass ein konse-
quenter transscendentaler Idealismus zum absoluten Illusionismns führt.
Es folgt ein Abriss der Kategorienlebre, so weit er in die Erkennt-
nistheorie gehört. „Die Kategorialfunktionen . . . sind Begriffe eines
Seienden, nämlich die Formen der unbewu^sten, produktiven Tätigkeit...
Sie sind nun typische Formen der logischen Selbstdetermination der pro-
duktiven Tätigkeit, also durchaus formal im Vergleich zu dem Inhalt, der
die konkrete Bestimmtheit der produktiven Tätigkeit und ihres Produktes
ausmacht" (S. 137). Aber nicht deduktiv lassen sich die Kategorien anf-
weisen, sondern nur induktiv. „Eine induktive Behandlung der Kate-
gorienlehre wird nicht umhin können, die Kategorien aus der Erfabrunp
a posteriori zu erschliessen, wird sich aber dabei weder vom Zufall noch
von Willkür, sondern von dem genetischen Verlauf des Erkenntnisprozesses
leiten lassen und das Wesentliche vor den Unwesentlichen bevorzugen''
(S 186).
Dieses „Wesentliche" kann auch nur induktiv gefunden werden.
.Es giebt keine feste Grenzlinie für die Selbstdifferenzierung derlntellek-
tualfunktion, an welcher sie aufhörte, kategoriale Bedeutung zu haben . . .
Je häufiger die Umstände wiederkehren, unter denen eine bestimmte
kategorialfunktion logisch gefordert ist, desto allgemeiner und richtiger
wird diese Kategorie sein" (S. 136).
Rezensionen (Sigwart). 139
Zunächst werden die Kateçrorien der Sinnlichkeit aufgesucht; diese
fallen in Kategorien des Empfindens und des Anschauens. Die ersteren
1: Intensität. Zeitlichkeit und Qualität, die letztere ist die Räumlich-
t. Durch 3 Sphären hindurch muss die Untersuchung führen: Durch
subjektiv-ideale, die objektiv-reale und die metaphysische Sphäre,
imlichkeit und Zeitlichkeit kommen den Dingen an sich zu.
£s folgen die Kategorien des reflektierenden und spekulativen
ikens, ihnen voraus wird die Urkategorie der Relation besprochen;
Ji „Sein ist in Beziehungen stehen" (S. 165).
„Die Kategorien des reflektierenden Denkens beschränken sich
auf, die im Wahmehmungsinhalt implizite mitgesetzten Beziehungen
lizierend zu konstatieren, die des spekulativen Denkens legren durch
aktive Rückschlüsse in den Daseinsgehalt der Dinge an sich etwas
ein, was im Wahmehmungsinhalt als solchem nicht zu finden ist, über-
reiten also spekulierend die Erfahrung in ihrer repräsentativen Rekon-
iktion des Seins im Bewusstsein^ (169). Sein ist ja nicht identisch mit
Timsstsein, vom Bewusstsein aus lässt sich nur induktiv, tastend auf das
Q schliessen.
Die Kategorien des reflektierenden Denkens sind die des ver-
ichenden, trennenden, verbindenden, messenden,. schliessenden, modalen
Qkens. Die des spekulativen Denkens sind die Kategorien derKausali-
Finalität und Substantialität. Die Kausalität gehört ganz der meta-
rsischen Sphäre an.
Zur kritischen Stellungnahme der Kategorienlehre gegenüber sei
aerkt, dass die Induktion wohl doch nicht immer die Methode gewesen
mit der H. die Kategorien entdeckt hat. Die begriffliche Entwicke-
g schwingt sich öfter ganz frei empor, namentlich in der grossen
iteçorienlehre".
£in reifes und abgeklärtes Werk liegt vor uns, dem gegenüber die
tik im Einzelnen unfruchtbar ist; es ist ja der Schlussakkord eines
Breu Denkerlebens, es ist das letzte Werk eines Grossen. Mit einem
rfihl der Pietät möge jeder an das Buch herantreten, wenn er dem
üker auch nicht in Allem zustimmen mag Vor Allem wäre es ein
ren, wenn die studierende Jugend sich mit diesem idealistischen Denker
:annt machen würde, denn ihr sind der tiefe sittliche Ernst und die
lige Ehrfurcht vor der Wahrheit, die aus H.S ganzem Lebenswerk
Lcht, sehr zu wünschen.
Hamburg. Dr. 0. Braun.
Sigwart, Cbristopb, Vorfragen der Ethik. Tübingen, J. C. B.
hr Paul Siebeck), «1907.
Prot Hch. Maier in Tübingen hat das Schriftchen neu herausgegeben,
1886 in I.Auflage erschien und schon Jahre lang vergriffen war. Hier
l nur wieder erinnert werden an die heute noch gleich wertvolle Dar-
llnng der Probleme und Methodenlehre der Ethik. Gewinn freilich
rden diejenifiren von der überaus klaren, in übersichtlicher Form ge-
riebenen Abhandlung haben, die selbst eine klare, feste Stellung auf
D Boden der entschiedenen kritischen Ethik einnehmen, für die ja seit
(6 manche Neudarstellung, Neubegründung und Neuausgestaltunç er-
lesen ist. Denn die „Vorfragen" legen im I. Teile einen besonderen
*Tt darauf, zu betonen« dass Eadämonismus und Egoismus in iedem
nschlichen Wollen enthalten seien, natürlich in weiterem und edlerem
ine als das gewöhnlich geschehe. Denn der gute Wille sei nur dann
t, wenn er das Sichbemühen um die Erreichung seines Zwecks ein-
iliesse und dieser Zweck müsse in seiner Verwirklichung dem Handehi-
1 irgendwie Befriedigung versprechen. Im II. Teil fordert S. darum
1 der Ethik die Feststellung eines höchsten Gutes, das ein künftiger,
rklicher Zustand realer Wesen sein müsse, der durch menschliche Tat ig-
it innerhalb der gegebenen Welt her^stellt werden könne, um im
. Teil die weitere Folgerung daraus zu ziehen, daas nunmehr von diesem
140 Rezensionen (Marcus).
Zwecke her die Normen gegeben werden müssten, die zu seiner Erreichung
befähigften Nur das tüchtige Individuum freilich, d. h. das Individaun,
dessen Wille konstant auf das höchste Gut gerichtet sei, das also —
nach Sigwarts Definition — ,,sittliche Gesinnung" habe, würde diese
Normen anwenden. Im IV. Teil handeln dann schhesslich die „Vorfragen"
vom Inhalt des höchsten Gutes selbst als einer universalen Kultnr, dessen
Verwirklichung das treibende Motiv der Ethik und das zugleich ein Ziel
aller sittlichen Erziehung sei, damit jedes Individuum zur normalen Em-
pfänglichkeit für diesen all^emein^tigen und notwendigen Zweck heran-
reife und so die Heteronomie durch die Autonomie ersetzt werde.
In den Eantstudien braucht nicht erst ausführlich dargelegt za
werden, wie sehr all' diese Sätze von den prinzipiellen Sätzen der kri-
tischen Ethik abweichen, zumal wenn wir sie fragen nach der sittlichen
Gesinnung und dem treibenden Motiv aller Sittlichkeit. Wer aber der
prinzipiellen Fundamente der Ethik sicher ist, und wer die S.sche Schrift
nicht fragt nach dem, was das Gesetz des sittlichen Sollens in der kri-
tischen Ethik an sich ist, und was das Prinzip der sittlichen Benrteiliuif^
sondern was jenes Gesetz für das Leben bedeutet, das erst wertvoll wirf,
wenn es nach jenem allein wertvollen Gesetz gestaltet wird, der findet
mancherlei Anregung in den „Vorfragen", die ja energisch auf die histo-
rische Darstellung des Reiches der Zwecke, auf ôm Feld, wo die sitt-
liche Bestimmung ausgewirkt werden kann, hinweisen, wenn auch die
Wertung der Kultur eine von der kritischen Ethik prinzipiell verschiedene
ist und die kritische Methode einen diametral anderen Weg einschlägt
zur Gewinnung eines ethischen Systems, als Sigwart in der vorliegendâi
methodologischen Schrift.
Laufen i. B. Hermann Maas.
Marcus, Ernst. Das Erkenntnisproblem oder wie man mit der
„Radiernadel*^ philosophiert. Eine philosophische Trilogie mit einem Vo^
spiel. Herford, W. Menckhoff, 1906. go. ^95 s.)
Es trifft sich recht unglücklich, dass mir fast gleichzeitig mit Ma^
eus' Schrift, der S. 48 f. sich noch rühmen konnte, altein „die Versoche
fewisser Philosophen unter dem festen und einheitlichen Gesichtspunkte
es Erkenntnisproblems" betrachtet zu haben,i) das Werk E. Caasurers über
„Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der nenerea
Zeit" (1, 1906; II, 1907) zur Anzeige zugeht. Denn sofort drängt die Obereiih
Stimmung im Haupttitel zu einem Vergleich, und dabei wird das propftdeutisek-
pädagogische Verdienst des Büchleins, das zeigen will, „wie man mit der
Radierrädel philosophiert," durch die grosse und vornehme, zugleich schliclit
und anspruchslos dargebotene Leistung Cassirers so sehr in den Schatten
gestellt, 6(ûne historischen Mängel treten so grell zutage, dass der befaneene
Berichterstatter nur zu leicht geneigt ist, jenes Verdienst ganz zu übersäen,
zumal da Marcus in dem vorliegenden Heftchen einen überaus ansprodts*
vollen Ton anschlägt und nicht undeutlich zu verstehen giebt, dass er ach
nahezu allein für den Kolumbus halte, der das Ei der geschichtlichen Be-
trachtung des Erkenntnisproblems und des rechten Kantverstftndnissei ia
Händen habe. Wir werden sehen, wie es mit diesem Anspruch bestellt
ist, das heisst, um Ms geschmackvolle Variante von S. 49 im Interesse der
Erhaltung eines wahrhaft attisch gewürzten philosophischen Stiles nidit
umkommen zu lassen: „Ei oder Windei, das ist hier die Frage.'' Ja> j*i
der Stil — M. steckt mich an mit seiner jovialen Art, wissenschaftlichea
Materien gerecht zu werden — der Stil! Ohne Zweifel mögen Polemik
und Satire eine gewisse Lockerung des Stiles bei der Darbietung phito-
sophischer Gnindfragen rechtfertigen; das ist zumal bei einer profÂdeo-
tischen Schrift zulässig, aber muss man denn in Hemdsarmem geboi,
wenn man demonstrieren will, „wie man mit der Radiernadel philoso-
}) Das Buch von E. Grimm, Zur Geschichte des Erkenntnisproblems
von Bacon zu Hume (1890) ist ihm dabei entgangen.
llezeiisionen (Marcos). 141
phiert^? Aus den schönen Sätzen, mit denen M. (S. 13 Anm.) eine von
ihm ausgesprochene Vermutung abschliesst: „Das ist übrigens — wohlge-
merkt — nur eine Vermutung von mir. Ich sage das ausdrücklich, denn
in diesem Vortrag befasse ich mich sonst grun&ätziich nicht mit blossen
Vermutungen und unbewiesenen Meinungen*' — aus diesen Worten, meine
ich, darf doch wohl auf den äusseren Anlass zur Entstehung des Buches
geschlossen werden — aber ist das eine vollief genügende Entschuldigung
nir Auswüchse und Schnörkel? Da wird bala dem Leser erlaubt, „noch-
mals ein erstauntes Laiengesicht aufzusetzen** (S 13), alle drei Zeilen
wird der Leser um irgend etwas gebeten, S. 26 ertönt die aufregende
Frage: „Merkt der Leser was**? u. s. w. — bald erhalt Kant die — popu-
llre Bezeichnung „Der alte Fuchs** (S. 80) oder „der alte Herr** (S. 11).
S. 82 bes. wimmelt von interessanten Wendungen, und M. bemerkt dann
am Schluss derselben treffend: „Man kann über die Theorie des Sensua-
Hsten genau so gut dumme Witze machen, als ob er ein geborener Philo-
soph wäre** — nun, er hat sich die Oelegenheit dazu nicht entgehen
lassen. Nichts Erfrischenderes als „fröhliche Wissenschaft** — ich sage
das auf die Gefahr hin, von M. für einen verkappten Nietzschejünger
gehalten zu werden — als Witz und Spott in einer polemischen Schrift;
aber wenn die Munterkeit des „Vortrags** auswuchert, so lacht man bald
nicht nur mehr über die Witze, sondern auch über den Verfasser. Und
das um so mehr, als in der Hitze des Gefechtes sprachliche Ent-
gleisungen auftreten wie: „Mitarbeiter am gemeinsamen Ziele** (S. 94).
^Dass aber . . . der Gedanke . . . fruchtbar ist, . . . ergiebt sich daraus,
dass nun die Anhänger dieser Kant-Konfession ein jeder, ohne
einen Fehler zu machen, Kant auf ganz entgegengesetzte
Weise auslegen . . . kann"" (S. 10) oder „Eännte er nicht jenen . . .
wirklichen Blitz** (S. 32) (statt „kennte**) - sinds Druckfehler? Ich
fürchte nein!
Doch wäre es ungerecht, zu verschweigen, dass er oft auch
echte, seiner ehrlichen Entrüstung rein entströmende Töne eines
ironischen Pathos gefunden hat, das organisch aus der jeweiligen Materie
herauswächst und ^nz ungesucht ist: „Kant bemerkt gelegentlich,
„dass man auf diesem Gebiete mit der Radiernadel arbeiten
mflMey** und ich setze zur Blustration hinzu: Kant war ein Benveuuto
Gellini, aber seine „Bearbeiter** sind Grobschmiede, sie ^philosophieren
mit dem Hammer,** so dass die Funken in Gestalt von Widersprüchen
hemmwirbeln und die ganze Atmosphäre erfüllen** (S. 30) — es ist bei
weitem nicht die einzige Stelle, die man mit Vergnügen liest; aber meist
wird die schöne Harmonie zwischen Autor und Leser durch eine grelle
Dissonanz gestört, weil der erstere sich doch gar zu oft im Ton vergreift.
Es tut mir leid, dass über M.s Schrift so viel Bitterböses zu sagen
ist. Wenn der innerste Kern eines Buches nichts taugt, so nimmt
man auch Verzierungen der oben gekennzeichneten Art gleichmütig hin,
weil ja das Ganze doch nun einmal für den Papierkorb bestimmt ist.
Anders steht es, wenn eine Schrift Brauchbares enthält, und das ist
bei der M.schen der Fall — dann bedauert man solche Entstellungen.
Und dabei hat M., wie es scheint, seiner Diktion die humoristische Färbung
gegeben, um die Lektüre auch einem grösseren Kreise anziehend zu
machen. . . .
Indes mag es jetzt des ästhetischen Räsonnierens genug sein;
es ist Zeit, von Her Form zum Inhalt überzugehen.
Da ein Inhaltsverzeichnis fehlt, so schicke ich ein solches voraus:
Vorspiel : Philosophische Walpurgisnacht: Von Kant zum Erkenntnisproblem
fe. 3-16).
I. Beleuchtung des peripherischen Dunkels (S. 17—63):
1. Cartesius und das kritische Problem (S. 19-21).
8. Locke und das Sensaalproblem (S. 82—86).
142 Rezensionen (Marcus).
3. Das Sensualproblem und die Naturwissenschaft (S. 36—47).
4. Das Erkenntnisproblem bei Berkeley und Leibniz (S. 48— Ô3).
II. Beleuchtung des zentralen Dunkels (S. 55—79}:
1. Hume und das Zentrum des Erkenntnisproblems (S. 57— 63\
2. Der Empiriker und das Zentralproblem (S. 64 — 74).
3. Der Charakter des Zentralproblems und die VoranssetEüng
seiner Lösbarkeit (S. 76 — 79).
ill. Erkenntnisdämmerung. Aufgang der Sonne Kants (S. 81—92):
1. Erkenntnisdämmerung (S. 83—84).
2. Die Sonne Kants (S. 85—90).
3. Die Befestigung des Problems (S. 91—92).
Nachwort (S. 93-95).
M. ist von K. Vorländer (Gesch. der Philos, n [1903] S. 473 f.) unt»
die sogenannten „Altkantianer** neben Goldschmidt eingereiht worden.
Ob mit Recht, frage ich mich nach der Lektüre dieser Schrift. Zu. den
Glücklichen, die nach S. 95 von M.s Angriffen nicht getroffen werden
sollen, gehören dann ausser Goldschmidt noch R. Drill, der bei Voriänder
nicht verzeichnet ist, jedoch den „Altkantianem** nahesteht, sowie Rdcke
und Arnold (sie!). M. setzt hinzu: ^Es ist möglich, dass vorstehendes
Verzeichnis zu klein ist, doch sind mir weitere Forscher dieser Richtung
nicht bekannt geworden,** und „Es bedarf wohl kaum der Ërwfthnimg,
dass mein Angriff sich gegen vielfach erfolgreiche philologische und
historische Bemühungen insoweit nicht richtet, als sie mit der Anffosrang
der Lehre (Kants) selbst nicht im Zusammenhang stehen. Aber leider
stehen sie meist damit in verhängnisvoller Verbindung.**
Worin besteht nun M.s Aunassung, auf deren rast alleinigen Besiti
er sich so viel zu Gute tut? Er fordert die widerspruchsfreie, eindeutige
Auslegung Kantus unter Berufung auf jene Stelle in der Vorrede zur 1
Auflage der Kr. d. r. V., an deren Schluss es heisst : „Nil actum repotans,
si quid superesset agendum.** Gegen diese Forderung sei von den „KiBt^
forschem** (mit Ausnahme der obengenannten) immerzu in gröblicher
Weise gesündigt worden. Ein jeder „Kantforscher** grübele über Kant
und verstehe ihn nicht, weil er so und so viele Widersprüche in ihm ent-
decke : diese Widersprüche bei Kant finde er dann „genial**, und all diese
Kantforscher beglückwünschten sich dann noch gegenseitig wegen ihrec
untereinander sich abermals widersprechenden, „scharfsinnigen Kantanf-
fassimgen**. So werde Kant teils absichtlich, teils aus — Unbegabtheit
verdunkelt und gegen eine Grundforderung Verstössen, die eine einheitp
liehe, mathematisch exakte und ohne inneren Widerspruch geschlossene
Auslegung des ^nzen Systems zur Pflicht macht.
Es ist nicht zu leugnen, dass in der Kantauslegung ungemein viel
gesündigt worden ist und noch gesündigt wird, und jeder verrichtet eine
dankenswerte Arbeit, der auf offenkundige Schäden hinweist und sie ans-
zubessem sucht: Ludw. Goldschmidts Beispiel zeigt, dass man das mit
ganz bestimmten Belegen tun kann, und dass (ue namenlose Verdam-
mung in Bausch und Bogen (siehe das Vorspiel) nicht der einzige Weg
dazu ist. Es wäre viel verdienstlicher gewesen, wenn M., anstatt nur
einige wenige Forscher zu nennen, die er nicht angreift, lieber die
Forscher, die Schriften, die bestimmten Ausführungen namhaft gemacht
hätte, die er angreift. Dann allenfalls wäre seine Äusserung von S. 98
„Ich würde es sehr bedauern, wenn meine Kritik persönlich verletsen
sollte*-, verständlich. Indes wäre eine Diskussion mö^ich gewesen, nnd
zudem hätte man ersehen können, ob M. (um von anderen Forscbem n
schweigen) eine Richtung, die seit Jahrzehnten unermüdlich an dem Sta-
dium, der Auslegung und der Fruchtbarmachung des Kantiachen System!
arbeitet und deren Senior Hermann Cohen erst neuerdings wieder einen
^Kommentar zu Immanuel Kants Kr. d. r. V.** [Leipzig, Dürr, 1907 (Philoa.
Bibl Bd. 113)1 geliefert hat, in dem uns die Grundlage des Systems wie
auA einem Gusse erKheint, ob M. die Maxturger Sdrale, deren Tendeni
Rezensionen (Marcus). l43
1 seinen hier ausgesprochenen Prinzipien gemäss sympathisch sein
sste, auch mit seinen, was die Bestimmung des Objekts angeht, form-
en Angriffen hat treffen wollen. Ich bin indes geneigt, zu glauben,
s er weder Hermann Cohens Buch über „Kants Theorie der Er-
rangt (2. Aufl. 188Ô), noch die anderen Eantschriften Cohens, noch
Natorps Arbeiten überhaupt kennt. Denn er hätte dann sehen müssen,
(8 hier geleistet wird, was er, freilich in unklarer Weise, fordert: die
Kenntnis des Kantischen Systems als einer in sich notwendigen Einheit,
eines Ganzen, in dem die Teile sich bedingen.^) Ich weiss nicht, ob M.
1 mit Cohens Werk würde zufrieden gegeben haben, aber sicher hätte er
' vieles daraus gelernt und ihn dann wenigstens nennen müssen. Dass
ihn nicht kennt, ist unverantwortlich bei einem Forscher, der in Kant-
rn so laut seine Stimme erhebt, wie M. in dem vorliegenden Buche,
wenn er ihn kennte, so wäie dies Totschweigen oder, was ebenso
1 ist, das stillschweigende Subsumieren unter jene von M. so schlecht
Dachte Horde der widerspruchsreichen und eben darum „scharfsinnigen^
mtforscher" noch leichtfertiger zu nennen.
Die Verirrungen dieser Kantausleger nimmt M. viel zu tragisch.
„Nachwort" redet er von einer „heillosen Verwirrung", wodurch „die
Llosophie in Misskredit gebracht werde; dadurch werde „ein grosses
>blem oder gar eine grosse Wissenschaft mit Verfall oder Unterganç"
Iroht — es sei höchste Zeit, dass „energisch die öffentliche Aufmerk-
ikeit" auf diese bedauerlichen Zustände gelenkt werde u. s. f. — nun,
' Bufer im Streite tut so, als ob es nicht schon seitdem philosophiert
d, d. h. beinahe so lange die Welt steht, Verwirrung und Verirrunç in
losopbicis gegeben hätte. Und die Philosophie ist doch noch nicht
itergegangen". Glaubt er wirklich, Kants Werk werde verschüttet
rden, weil seine Ausleser ein Schauspiel gewähren wie die Kärrner beim
-mbau zu Babel? Und meint doch ein jeder das Beste. Immer wo ein
Mes Werk gefördert wird, çiebt es Missverständnis, Verirrun^r und Gewühl
Meinungen. Um darauf aufmerksam zu werden, bedarf man der Weckrufe
nicht mehr. Wenn all das, was Hermann Cohen, um nur diesen einen zu
inen, seit Jahrzehnten für das Verständnis Kants gatan, den am Worte
benden „Kantforschern" die Augen für die Einheit des Systems nicht hat
len können, so wird es die regellose Polemik M.s noch weniger vermögen.
I Problem Kant muss still, sicher und gewaltig seine Arbeit tun. War-
an seinem Fortbestand zweifeln, wenn einige daran scheitern? Nun,
Kant gelebt hat, kann die Lage nicht mehr so trostlos werden, wie sie
\ als Kant seine Kopemikanische Umwälzung vollzog. Und das Be-
istaein ihrer Wirkung kann nicht mehr verkümmern, trotz aller Irr-
ter, denen viele seiner Ausleger verfallen.
M. hat Recht: wie ein mathematisches Lehrbuch, wie ein lücken-
ir mathematischer Beweis muss Kants System von Grund aus studiert
"den. Gelingt es nicht, es als in sich widerspruchsfreie Einheit zu er-
tcn, wie Kant es verlangt, so darf man nicht glauben, es seien Widersprüche
System die Ursache, sondern „dieser Widerspruch ist . . . ein sicherer Be-
s, dass man Kant noch nicht verstanden" (S. 84), und man darf nicht
en, bis die von Kant behauptete Einheitlichkeit entdeckt ist. Der
gleich des Systems mit einem mathematischen Satz mag nun gelten,
trn die Exaktheit der Durchführung des firrundlegenden Gedankens dadurch
ennzeichnet werden soll; indes hegt aie Gefahr nahe, dass ein solcher
gleich weiter ausgedehnt wird auf die schriftstellerische Fixierung des
tems, und so führt der Vergleich den Unerfahrenen leicht zu einer starren,
irteilsvoUen Betrachtung von Kants Werk. Denn den Anfänger, und
dessen Anleitung soll doch die Schrift hauptsächlich dienen, verwirrt
^) Dass es Cohen gelungen, Kants System als geschlossene Einheit
erweisen, giebt auch R. Falckenberg in seiner Rede „Kant und das
rhandert" (2. Aufl. 1907), S. 14—15 zu, wenn er auch sonst an C.
ik übt.
144 Êezensionen (Marcus).
diese Forderung und er wagt nicht, über die ZcifiLlli|rkeiten der Fomrn-
lierun^ hinweg; zu schauen und bleibt so in den ersten Studien stecken.
Der htterariscben Formung eines Systems kann nicht dieselbe Straffheit
des Gefüges eignen, wie der Formulierung eines mathematischen Beweises.
Irrationale Faktoren und Infinitesimales spielen dort noch mehr hinein
als hier und machen es dem Forscher zur Pflicht, über der zuftlligen
Zweideutigkeit des Wortes, durch die der SchriftsteUer dem Denker n
widersprechen scheint, die lückenlosen „Zusammenhang geschlossener
Gedanken** (Cohen) zu erfassen. Ein Haften an der Form, trete es nun
im Gefolge einer mathematisierenden Dogmatik oder einer kurzsichtig
logischen Philologie auf, erschwert nur eine solche Arbeit Noch verkehrter
ist es, die Form Kants als notwendiges Übel zu behandeln, wie das M. tot;
ich begreife nicht recht, wie sich das mit seiner sonst konservativen (Be-
sinnung verträgt. Nur ein pietätvolles Versenken in alle wechaelvollen Fein-
heiten des Ausdruckes kann hier helfen, und diese ^^philoloçische Genauigkeit"
allein, eine Genauigkeit höherer Art, als die „mathematische**, eine höhere
als M. sie zu kennen scheint, kann all die Rätsel der Kantischen Worte
lösen, ihre Abweichungen erklären, ihre „Widersprüche'^ und anfänglidwo
Dunkelheiten erhellen. Die Ehrfurcht vor der Form erschließt den
Inhalt, weil sie uns das Verständnis auch der Unregelmässigkeiten ge
währt, die wir aus ihren psychologischen nnd historischen Bedinfongen
verstehen lernen. So ermöghcht sich uns ein Hinausschreiten Aber ne
zur tieferen Einheit des Systems, so nur mögen vnr erkennen, wie hei
Kant „alles sich zum Ganzen webt^. „Man muss . . . gleichsam die pe^
sönliche Kontrapunktik dieser Gedanken durchschauen und handhaoen'
(Cohen, Kommentar S. IV}. Sagt doch Kant selbst gelegentlich (Kr. d. r.
V. ed. Kehrbach, S. 274), „dass es gar nichts ungew(mnliches sei, . . .
durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen
Gegenstand äussert, ihn soçar besser zu verstehen, als er sich selbst ver-
stand." — Verweilen wir bei der Stilfrage!
Kants „Sachlichkeit giebt seinem Stil das Geprä^. Er hat mit der
Macht der Ursprünglichkeit auch die Feierlichkeit, wie sie Winckelman
hatte ; aber sie ist ausgebreitet über den gewaltigen Gliederban der Peri-
oden, in denen seine Gedanken sich gestalten; sie atmet nicht in den
Pathos der Ideen, geschweige in dem Hochgeftlht seiner Gedanken; mr
selten lässt er bei der Wiedererweckung der ethischen Ideen den Schwingen
der Sehnsucht und des Glaubens ihren Lauf. Seiner Dialektik fehlt ei
freilich nicht an Salz und Lauge, ebensowenig aber an Schmelz nnd Bil-
sam, die Antithesen mit ihren epigrammatischen Spitzen ringen sich immer
aus der Wucht der Begriffe und ihrer Gegensätze hervor. Dabei i^ die
Einfalt des Humors, der Sokratischen Ironie vergleichbar, die dnreh-
gehende Grundstimmung; sie liegt wie ein zarter m>rffendnft über dieser
gothischen Architektur. Anschaulichkeit wetteifert üben&ll mit der ab-
strakten Strenge und Tiefe. Der Sinn für die Natur hält diese FÜsehe
der Anschaulichkeit lebendig. Der Stil hat überall die angemessene FflUe;
nirgends ist Kargheit noch Eile, sondern ein beschauliches Ausatmen der
quellenden Gedanken; ein Reichtum auch an Worten und wechselnden
Wendungen. £s ist, wie bei Beethoven, dem dieser brüderliche Genim
nicht fremd geblieben ist, eine Stetigkeit der Motive, nnd ein unerschöpf-
licher Wandel in ihrer Verarbeitung. — An seinem Stil — der groîn
Mensch wenigstens stellt sich unverhüllt in ihm dar — kann daher inch
derLeser seiner Werke über das Mass seines eigenen VermOgeBi
sich orientiere n.i) Man tadelt Michelangelo nicht, ohne sich selbst oto-
zustellen. Man hat Kant nicht zu lesen, sonaem sich in ihn zu versenken. Ab
ein grösstes Kunstwerk muss man sein Leben setzen. In der Welt des Genioi
stumpft sich das Erleben nicht ab; es wächst vielmehr, indem es immer
wieder sich erneuert, und immer neues Licht aufgehen lässt. Das Indifi*
duum ist, wie Schiller sagt, unerschöpflich.^
») Von mir gesperrt.
Aezensionön (Marcus). 146
Ich habe diese Beurteilung des Eantischen Stiles, die sich in Her-
Ein Cohens Kantrede zum 14. Februar 1904 [Marburg, Elwert 1904]
29 f. findet, in aller Ausführlichkeit hergesetzt, weu sie mit einer
^naiven Überzeugung von der Einheit und inneren Notwendigkeit der
Lanklichen Struktur des Systems eng verwachsen, ja aus im* hervor-
^achsen ist; sie ist so entschieden und unzweideutig, sie stimmt, aus
ihen Munde kommend, so sehr zum Nachdenken, besonders wenn man
vielen fast verzweifelnden Äusserungen anderer Eantforscher daneben
t, dass ich eini^rmassen erstaunt bin, sie in der neuesten Arbeit
r „Kants Stil in der Ejritik d. r. Vernunft" von H. Ernst Fischer
ntstudien, Ergänzunsshefte Nr. 5, 1907] nicht unter den „allgemeinen
eilen über Kants Stü'' (S. ISO ff.) angeführt und diskutiert zu finden,
ist schade, dass auch M., der es nicht unterlassen kann, Kants Sprache
tadeln (ein bedenkliches Zeichen), keine Notiz davon genommen hat.
lleicht hAtte er darüber nachgedacht, ob es nicht doch möglich sein
inte, dass ein exakter Denker wie Kant nicht nur Gedankenrecher,
dem zugleich ein Genius sein kann. Ein Genius, gross auch und
z er selbst in der Form, die hier als organische Hülle des Gehalts er-
eint.
Ich weiss, M. sind die Begriffe genial und Genie fatal in Verbindung
Philosophie. Er folgt in dieser Abneigung R. Drill, der, wie wir S. 93
ihren, ihn „zuerst aus dem Schlummer des Theoretikers weckte" (! die
iolastische, trockene Sprache" (s. u.) reizt also doch zur Nachalmiung !)
. der in einer Besprechung von Chamberlains Kantbuch [Frankfurter
tung vom 3. 2. 1906] zu den Sätzen sich versteigt, „dass Genie noch
nais eine Hieorie gemacht hat und nie eine machen wird|^ und es sei
ilimm genug, wenn man von einem wissenschaftlichen Werke sagen
n, dass es genial sei^ — Nun, dem vorlieeenden wird man diesen
"warf nicht machen ; aber der Sül erinnert lebhaft an das Temperament
Genieperiode, und Drill mag darin Recht haben, dass diese Art der
lialitat für die Theorie verhängnisvoll werden kann. Genug! — man
it, bis zu welchen Paradoxen me Versteifung auf den oberuAchlichen
{gleich des Kantischen Werkes mit einer mathematischen Konstruktion
ren kann. M. vertritt die Auffassung, Kant habe sein Werk voll-
st, ffe Wissermassen gestossen von dem unaufhaltsam sich ihm auf*
Agenden Erkenntnisproblem (S. 86), dessen mathematisch exakter
ang durch den logischen Kant der Genius Kant hätte somit
Iti^ zusehen müssen — der sachliche Fehler, der in einer Veidlng^
ung des Problems liegt, ist bereits durch Gassirer (a. a. 0. S. 18)
Dauert worden; ein Fehler, der, nebenbei bemerkt, so grau metaphy-
h and also so unkantisch wie möglich ist; — doch einen zweiten Felder
jene mathematisierende Dogmatik, die sich der Einsicht, dass daas
tem Kants das Werk eines Genius ist, nicht Offnen will, im Gefolge:
fahrt (hier passt Cohens Ausdruck) zu „frevelhaften Verdächtigungen^
its.
Kants System : objektives Gebilde mathematischer Gewalten — Sein
: kraus und unklar — Ursache: geheime Absichten — so läuft die
te der Missverständnisse bei M. Er, der über die Sünden der namenlosen
ntforscher^ die ganze Lauge seines Spottes ausgiesst, er, der sorgsam
fendes Eindringen in das exakte Gefüge des Systems fordert, er weiss
it, dass nur die Pietät dem Philosophen firegenüber den Schlüssel
1 geben kann. Es kommen bei ihm (S. 13) xo^^ende Sätze vor: „In
meisten wissenschaftlichen Werken merkt man nämlich sofort, welche
gäbe ihnen zu Grunde laff. In der Regel kann der Schriftsteller es gar
it vermeiden, sie fi^nz klar hinzustellen. Aber ^ bei Kant liegt die
le ganz anders. Hier tritt das Grundproblem, jenes grosse
blem, dessen Lösung die Grundlage des Systems ausmacnt, gar nicht
itlich zu Tage.^) Nur die Losung ist gegeben, nicht das Grund-
1) Die Hervorhebung der Stellen durch gesperrten Druck ist von mir.
Cafifvttidlon XTTI. ]0
1^6 ttegenmonen (Marciu).
Sroblem, und sie tritt nur als Mittel zum Zwecke der sogenannten Kritik
er Erkenntnis auf. Ein crosses Weltproblem ist es, das Kant lösen
mnsste, um die Kritik der reinen Vemuntt schreiben zu können, und statt
nun dieses grosse Problem selbständig und scharf hinzustellen,
versteckt er seine Lösung in der Kritik der reinen Vernanft
und gebraucht sie nur als Mittel zum Zweck, nämlich zu dem
Zweck, die Grenzen unserer Erkenntnis festzustellen, gerade
als ob ein grosses Problem und seine Lösung nicht schon für sich Interesn
genug böte." Und in der Anmerkung spricht M. dann eine Veimutimg
über den Grund dieser — Zurückhaltung Kants aus: .Warum hat Kant
diesen Kern seiner Lehre, sein Fundament versteckt? Hat er etwa
selbst nicht gemerkt, was ihm gelungen war? — Das ist
Sanz ausgeschlossen. Aber ich vermute, <&S8 ihm selbst vorder
rosse der Umwälzung, die er vorbrachte, bangte, dass er sick
fürchtete, mit einer so gegen die Meinungen aller verstossenden Lehre
als erster mit Ostentation vor die Öffentlichkeit zu treten. Er fürchtete
den Lärm; eine Art litterarischen Lampenfiebers mag ihn verui-
lasst haben, die Grösse der Umwälzung durch eine schola-
stische, trockene Sprache abzuschwächen. Warum wurden die
enochemachenden Schriften des Kopernikus erst nach seinem Tode ▼e^
öifentlicht? Wahrscheinlich fürchtete er sich nicht nur vor dem geistlichen,
sondern auch vor dem litterarischen Liquisitionsgerichte, einem Gerichte,
das, aus inferioren Geistern zusammengesetzt, über das Nene mit grossem
Lärin den Stab zu brechen pflegt.^
Man weiss nicht, was man auf solche Ausführungen antworten sofl.
Es hiesse die Kritik der reinen Vernunft und besonders die Prolegonsena
ausschreiben, wenn man Kant gegen seinen Yerteidifer in Schutz nehmen
wollte. Was den Stil angeht, so mag M. jetzt kurz auch auf H S.
Fischer, a. a. 0. S. 131 ff. hingewiesen werden, der zwar auch den Kan-
tischen Stil künstlerisch nicht gerade hoch stellt, aber doch dem Qu*
rakter Kants gerecht wird, indem er durch seine statistisch genauen
Untersuchungen zu dem Ergebnis kommt, da&s nichts dem „schwanen
Argwohn" einer willkürlichen Verdunkelung in Kants Stil Recht giebt
Weil Kant also sein Grundproblem, das Erkenntnisproblem, „ve^
steckt*' hat, muss es klar herausgearbeitet und in seiner geschichtlichen
Ent Wickelung dargestellt werden. Eine peinliche Dissonanz schon im
Vorspiel! Cassirer hat sich jeglicher subjektiven Anknüpfung enthalten
und sich mit der geschichtlichen und systematischen Begitbidung Ix^flgt
Betrachten wir kurz M.s Darstellung der Geschichte des Problems bis n
seiner Lösung durch Kant.
M. sagt S. 22 „Unsere Elritik philosophischer Versuche reicht . . .
nur soweit, wie es die Feststellung des Problems fordert, und aus d^Ge*
schichte der Philosophie und ihrer Systeme wird hier eine Geschichte dei
Erkenntnisproblems. Aber auch nicht seine Geschichte zu schreiben iit
hier die Absicht, sondern es handelt sich darum, die Bestandteile dei
Problems klar vor Augen zu stellen und zugleich zu zei|;en, dass dasPnh
blem das Zentrum ist, um das sich die Versuche der bedeutendsten Philo-
sophen lagern, und unter dessen Drucke ihre Systeme geschaffen sind,
ferade so wie sich die Versuche der Astronomen um das Problem der
osmischen Bewegungen drehten.^ Beicht nun die geschichtliche Be-
trachtung M.8 zur genauen Feststellung der Entwickelun^ des Piobleni
aus ? Ich fürchte nein. Zunächst erscheint die Besdiränkong der ünttt^
suchung auf die bedeutendsten Philosophen der Neuzeit, auf Descarteii
Locke, Berkeley, Leibniz, Hume durchaus willkürlich — auch weim man
annehmen will, dass M. gerade nur die Denker zu behandeln gedachte, n
denen Kant in seinen Schriften des öfteren und am Uebsteu Stdhmg
nimmt. Denn an der Lösung des Problems sind seit Descartes nicht sie
allein tätig gewesen; auch wird das historische Bild ihres Anteiles sdbst
ungenau, wenn man sich bei der Darstellung ihrer philosoj^üachen Leistang
Rezensionen (Marcus). 147
mbewosst oder bewnsst von Kant beeinflnssen Iftsst. Es ist ja bekannt,
laas er von diesen Philosophen nur eine teilweise Kenntnis besass, was
och einfach daraus erklärt, dass viele ihrer wichtigsten Schriften im 18.
Fahrhondert entweder nicht ^nücend bekannt oder überhaupt noch nicht
gedruckt waren; ich nenne die wichtigen Beçulae Descartes^; von Leibniz
|ui2 SU geschweigen, dessen Bedeutung zu erkennen erst unserer Zeit vor-
behalten war, die seine Schriften sozusagen hat neu entdecken müssen,
vfthrend Kant von ihm nur das einseitige Bild kannte, das die Wolffianer
hm fiberliefert hatten. Selbst Humes wichtigste Jugendschrift, der
nreatise, war noch nicht in Kants Händen gewesen, S\s er die Kritik
«hrieb. M. musste hier den Vorteil ausnutzen, den unsere sründlichere
Kenntnis jener Denker dem Oeschichtschreiber von heute bietet. Und
ferner: Kant knüpfte wohl an Newtons Begriff einer exakten Wissenschaft
kn; aber wieviel die engere mathematische und naturwissenschaftliche
i^onchung der vergangenen Jahrhunderte zur Vorbereitung seiner Lösung
Mittragen, fühlte er mehr, als ihm geschichtlich genau bewusst war.
In der Lösung des Erkenntnisproblems haben seit Nikolaus von Cues
Philosophie und exakte Wissenschaft gemeinsam gearbeitet ; ich kann nur
mmer wieder auf Gassirers grundlegendes Such verweisen. Es ist
mtaonlich, dass M., der sich ort und gern auf Beziehungen zwischen
Philosophie und Ilathematik, sowie exakter Naturwissenschaft beruft, diese
irt des Zusammenhanges einer geschichtlichen oder systematischen Er*
^rtemng nicht für wert hält, sondern sich, Kant folgend, mit einigen
mizen Hinweisen auf Kopernikus begnügt und nur in I, 3 (siehe das In-
laltaverzeichnis) einige moderne physikalische und physiologische
^Osongsversuche des Erkenntnisproblems, allerdings an sich lehmich,
TÖTtert.
Dass M. seine Untersuchuns: erst mit Descartes beginnt, ist durch
lie hervorngende Stellung, die dieser in der Geschichte des Erkenntnis-
Problems einnimmt, gerechtfertigt. Aber eine geschichtliche Darstellung
lat, wenn sie systematische Zwecke verfolgt und besonders dann die
^eht, von der philosophischen Leistung des jeweiligen Denkers auf
rkenntnistheoretischem Gebiete ein vollständiges, ein wahres Bild zu
lefern, wenn auch die Umstände nur eine kurze Skizze zulassen.
Dieser Verpflichtung ist M. für Descartes wie für Leibniz nicht
aehgekommen.
R. Drill hält zwar (a. a. 0.) Chamberlain vor, aus der hier vorliegen-
len S^rift von M. könne „er entnehmen, wie man Descartes — und <utnn
foeke, Berkeley, Leibniz und Hume — zur Einführung in Kant verwerten
mas'' — ich habe schon bei anderer Gelegenheit (Anzeige von Cassirer,
«rfcenntnisproblem I in dem letzten Hefte der Altpreuss. Monatsschrift)
ie Oberflächlichkeit des Descartesabschnittes bei M. betont. Die flber-
TO00e Kürze (30 Zeilen) der Behandlung von Descartes* Verdienst um das
Ubiern (worauf M. doch so ausdrucksvoll hinweist) mag hingehen, über-
wmcht aber, wenn man die Länge des Abschnittes über Locke dagegen-
Êitf der viele Vorgänger hat, über die er kaum hinauskommt. Doch recht
lautlich zu tadeln ist, was M. über das zentrale Verdienst Descartes
avert: es bleibt bei dem cogito. Von der methodischen Funda-
lentierung der Erkenntnis in den Prinzipien des Intellekts, deren reinste
ÎDtialtung uns die Mathematik gnebt, von allem, was seit Natorps
wa^Ur Descartesschrift (1882) über den Mittelpunkt von Descartes* Erkennt-
ittheorie hauptsächlich aus den Regulae ad directionem ingenii heraus-
^eaen worden ist (ich habe die wichtigste diesbezügliche Litteratur
«eigentlich der Besprechung einer Neuausgabe una deutschen Be-
ibeitong der Regulae durch Buchenau im Litterarischen Zentralblatt
907, Nr. 36 (81. VIII. 07), S. 1109 f. zusammengestellt), von alledem findet
leh bei M. kein Wort; es sei denn, dass man in der Bemerkung, D. sei
iroA Beml nicht dn Philosoph, ein Philologe oder ein Histor&er (wie
■eere heatigen KaatfonckerX sondern ein rhysiker und Mathematiker^
148 Bezensionen (Marcus).
gewesen (S. 20), einen solchen Hinweis erblicken will . . . Der etwaite
Einwand, das Büchlein verfolge nnr propädeutische und polemische Ab-
sichten und könne daher auf ausführliche Darstellung sich nicht einlasBen,
würde nicht stichhaltig sein, denn es soll ja von einer derarti^n Schrift
keine extensive Vollständigkeit verlangt werden; Ynnseßen. wird eine
intensiv erschöpfende Auskunft über den Anteil gefeitLert^ den Des-
cartes an der Lösung des Erkenntnisproblems hat.
Leibniz wird (S. 52—53) in 28 Zeilen abgetan mit einer schiefen
und dürftigen Skizzierung der metaphysischen Seite der Monadenlebre^
wonach es neisst: ^Die Beurteilung dieser Theorie des neuerdings wieder
eifrig angepriesenen Philosophen überlasse ich getrost dem Leser in der
Voraussetzung, dass er seinen Laienverstand (bei Kant ^den gemeinen
Verstand*') gebraucht. Gebraucht er einen anderen, so stehe ich fBr
nichts.^ Von den grundlegenden mathematischen und dynamischen Theo-
rien Leibnizens und ihrem Verhältnis zum Erkenntnisproblem schweigt
M., er, der mit Hinweisen auf die exakten Wissenschaften und ihra
Beziehungen zur Philosophie an anderen Orten nicht zu kargen pfl^
Möge er es nicht verschmähen, da er von Gassirers Buch über L. (1908)
als einer „Anpreisung^ wohl nichts wird wissen wollen, sich ans den
Leibnizkapitel in Vorländers Geschichte der Philosophie II, S. 113 fL,
einem Buche, das er S. 48 recht von oben herab behandelt^ die nötige
Orientierung zu holen.
Für solche Mängel werden wir aber dadurch entschftdigt, da«
jedesmal, wenn wieder ein neuer Philosoph von M. vorgefühlt
wird, in Klammer das Geburts- und das Tode^ahr beigeffifft wüd.
Solcher — Exaktheit gegenüber wirkt es dann äusserst ftttu, wenn
es S. 20 heisst: „. . . die ... Kopemikanische Lösung (des astrono-
mischen Problems) mit ihren ungeheuren kulturellen Folgen (Ve^
nichtung des Himmels und damit eines Teiles des Kkchenglaubens . . .
die Eröffnung des Weçes zur Entdeckung Amerikas u. s. w.).
Aber! — in der oben zitierten schönen Stelle hatten wir doch g^
hört, dass „die epochemachenden Schriften des Kopernikus erst nra
seinem Tode veröffentlicht^ wurden — d i. nach 1543 — und sollte midi
meine Erinnerung aus der Geschichtstunde täuschen, wenn ich vermute,
dass Amerika -- 1492 entdeckt wurde! Erkläret mir, Graf Örindnr . . .!
Ich habe nur die auffallendsten Mängel zu kennzeiclmen ver-
sucht. Sie sind derart, dass ma^ das Gute, welches ICs Buch tat-
sächlich enthält, leicht zu vergessen geneigt ist. Ich hebe deshalb
hervor, dass die Besprechung des Lockeschen Lösungsversnches, wenn
auch mit einigen der oben gerügten Schnörkel verziert, klar und seine
Widerlegung emwandfrei ist. Dasselbe ^t von dem Kapitel über J[kÊ
Sensualproblem und die (seil, moderne) r^aturwissenschaft,*^ (s. o.} sowie
von dem Abschnitt über Berkeley. Weiterhin hat mich besondexs die
Erörterung über Humes Auffindung des zentralen Problems und das klaie
Verständms für die Zwiespältigkeit seiner Lösung (111,1—3) angesproehen.
Die Sätze „Wir wollen ihm (Hume) nicht vorwerfen, dass er das Probte
nicht zu lösen vermochte, ja ihm eine falsche Lösung gab; wir wdlea
ihm danken, dass er es entdeckte^ und „Jedenfalls ist es eine andere iJt
von Begabung^, die Humes Fra^e, und eine andere, die Kants Antwort
erstehen liess^ (S. 57), entschädigen für vieles. M. findet sich in dieser
Auffassung ungefähr zusammen mit Höniffswald, Über die Lehre Hamei
von der Realität der Aussendinge (1904) , S. 63, einem Buche, das M. ft
seinen Abschnitt manchen Beitrat hätte ffeben können. Bei der Skis-
zierung der Kantischen Lösung indes bleibt M. wieder wesentlich in einff
kurzen (wohl aus propädeutischen Gründen stark psychologisch geÜMm)
Erörterung des a priori und der transscendentalen ÄMihetik stecken.
Man vermisst eine klare Herausarbeitung des a priori als einer koniti-
tutiven Grundleeun^ der Erfahrung so wie eine Darstellung des BamMS
und der Zeit cOs der reinen Mö^chkeit des Zusanunen und des Naob-
Rezennonen (Troeltseh). 149
einander, eine Heransarbeitiing der beiden Elemente als der reinen
Formen einer jeden möglichen Anschanong der Entfaltung jener ^un-
mittelbar ^wissen apriorischen Vorstellungen^. Von den übrigen konsti-
iativen Teilen der Theorie der Erfahmne bringt M. nichts — ein propäden-
tische» Bfichlein indes hätte vor allem darauf hinweisen sollen, aass Kant
jene Frage, als welche zuerst das Erkenntnisproblem sich aufdrängt:
Wie ist Erfahrung, die uns gewöhnlich doch als ein fertig Gegebenes
erscheint, flberhaui)t möglich, welches sind ihre Grundlagen?, als Erster
einheitlich und widerspruchslos beantwortet hat. — Aber ich wollte
diese Besension mit einer Anerkennung des Positiven in Ms Buch ab-
schllessen und nicht mit Ausstellungen.
Es wäre schade, wenn M. das Wort, „Ich habe entweder alles oder
gmr nichts geleistet'* (vgl. S. 92), auch auf sein Buch angewendet wissen
wollte. Denn es enthält Gutes, das der Erhaltung wert ist. Aber wenn
dies nicht verloren sein soll, so bedarf die Schrift einer Reformation
SB Hanpt und Gliedern. Alsdann, aber auch nur dann wird sie neben
Oassirers monumentalem Werke einen eigenen, durch ihre propädeutische
Aufgabe genügend gerechtfertigten Platz beanspruchen dürien. Vorläufig
kann man aus ihr nicht lernen, „wie man mit der Badiemadel philo-
sopbiert«'.
Dflsseidorf. Dr. Paul Wüst
Troeltsch, Ernst Psychologie und Erkenntnistheorie in
der Religionswissenschaft Tübmgen, J. G. B. Mohr (Paul Siebeck),
1906. (65 8.)
-Eine Untersuchung über die Bedeutung der Kantischen Religions-
lehre für die heutige Reufiionswissenschaft*' nennt der Heidelberger Theo-
loge im Untertitel diesen Vortrag, den er auf dem International Gongress
CXI arts snd sciences in St. Louis gehalten hat. Aber hier ist mehr. Das
Bfichlein enthält in scharfer, geistvoller Ausführung die Grundlinien einer
Religionsphilosophie. Als philosophische Schrift steht es in der Reihe der
erkenntnistheoretischen Werke von Windelband und Rickert, weist jedoch
so viel eigene, energische Förderung in der Stellung, Bestimmung und
Losung der Probleme auf, dass wir seinen Standpunkt nur mit seinem
eigenen Namen bezeichnen können.
Die Scheidung der Psychologie und Erkenntnistheorie ist die Ean-
tische. Dss snbpeküve religiöse Bewusstsein selbst ist das Tatsächliche,
sa dss sich die Religionswissenschaft hält Es erfordert eine psycholo-
nsche Analyse. Diese empirisch-psychologische Untersuchung ist nötig,
äer sach möglich trotz aller Übertreibung der (Gefahren derselben dural
den Positivismns. Sie muss zuerst die besondere Form deijenigen See-
fischen Vorgfoge und Zustände, die wir als religiöse bezeichnen, und dann
dss Verhältnis der einzelnen Inhalte zu dieser Form feststellen. Das ist
rein psychologische Arbeit. Freilich muss hier Troeltsch den Wert der
dentschen Psychologie in sehr richtiger Weise einschränken. Psycho-
pkysiologie ist nicht fähig, dies Gebiet psjrchologisch zu untersuchen. Der
sQslitativen Eigentümlichkeit der religiösen Zuständlichkeiten kommt
oa Pqrchophysik mcht bei Dagegen weist Tr. auf die beste und feinste
Leistnng modemer Religions-P^chologie hin, die die charakteristische
Eigttiart, die Form dieser Zustände und Erfahrungen gefunden habe, z. T,
wenigstens, ohne den gedanklichen Inhalt gemäss der Wahrheitsfrage zu
«dnen. Es sind das cue Gifford Lectures: The varieties of religious ex-
perience von Will. James. Hier stört nicht das Ghesetz vom kausalnot-
wendlgen Aufbau des Bewußtseins. Das Eintreten auch qualitativ selbst-
iMiidiger Erfahrungen wird nicht ausgeschlossen. Und als das Oharskte-
dslis^ der religiösen Zuständlichkeiten findet James die Empfindung
der Gegenwart des „Göttlichen*^ mit den Gefühlswirkungen feierlicher
Ahsteiiasempfindung und enthusiastischer Erhebung.
Aber freilich, dss Alles ist bloss Psychologie. Damit ist noch nichts
gesagt über Wahrheitsgehalt und Reslitits^shslt dieser Brsoheiniingsn.
150 Besen&donen (Troeltsoh).
Die Frage nach dem Geltenden setzt hier ein. Dbeu iat der BiBcà-
gang auf allgemeingültige, dem reinen Denken oder der Vernunft inne-
wohnende Begriffe nötig. Es becrinnt das Problem der Erkenntnistheorie.
Ohne sie ist me Frange nach der Notwendigkeit und dem Wahrheitsgehalt
der Religion gar nicht zu entscheiden. Die Erscheinungen müssen och
aus einheitlichen Gesetzen des Bewusstseins begreifen lassen. Und diese
Gesetze müssen aus eigener autonomer Notwendigkeit in die bunte see-
lische Manni^alti^keit Einheit und Zusammenhang hinein wirken. Troeltedi
ringt hier m geistvoller, scharfisinniger Weise um die klare Feststellung
des Problems. Besonders gilt es hier zwei Sätze neben einander zu stellen.
Einmal den: Die Gesetze wirken aus eigener, autonomer Notwendigkeit
in die bunte seelische Mannigfaltigkeit Einheit hinein. Und den anderen:
Die Gleichartigkeit der einen oder anderen Gruppe psychischer Erschedn-
ungen ist nicht durch das Fatum mechanischer Verknüpfung, sondern in
einer inneren Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit der sie hervo^
bringenden Tätigkeit begründet. Das Âl^meine ist im rein Tatsächlichen
entl^ten. Das apriorische Gesetz schon in der Buntheit der Erscheinungen.
Es muss also eruiert werden. Es handelt sich somit in der Erkenntnis-
theorie um eine Selbsterfassung des Rationalen, das im Tatsftchliohen ent-
halten ist. Durch sie wird eine gesicherte Realitätserkenntnis gesohate
und der Schein und Irrtum im verwirrenden Strom des psychologischen
Gemenges zurückgedrängt. Es ist der formale, erfidirungsimmanente
Rationalismus, der überafi in der elementaren Erfahrnng selbst schon dsi
Walten des logischen Apriori konstatiert. Nur muss meeer von der S^
fahrung angesponnene Rationalismus sich nun mit Klarheit und Kon-
seq[uenz erfassen und die Erfahrung dadurch zu einer rationell geordimten
Wirklichkeit umformen. Es handelt sich hier doch wohl, so zu sagen,
nach Tr. um ein Sich-suchen und Sich-wiedererkennen der Vemnnft in
einem durch den Schein getrübten Spiegel. Es ist eine in ihrer logischei
Schärfe und ihrem straffen Fortgang hinreissende Darstellang, die Tr. Mer
giebt (s. besonders S. 21—26).
Damit stellt Tr. auch scharf heraus, dass das eigentliche Kennzeichen
einer kantisierenden Religionslehre gar nicht die Lehre über Glauben und
Wissen, resp. die Scheidung der theoretischen und praktischen Vemunfl
ist. Damit ist nur das Verhältnis der Religionswissenschaft znr Speko-
lation beschrieben. Auf dem praktischen Charakter beruht für Kant nor
die Trennung der Religion von der exakt-theoretischen Wissenschaft, aber
nicht die Wcmrheits^ltung der Religion. Diese beruht auf dem rationaleo,
d. h. auf dem apriorisch transscendentalen G^etzesgehalt der Beüsjon.
Damit trennt sich Tr. auch scharf von den von Ritschi ausgehendenKsn-
tisierenden Theologen. Die Verknüpfung des rationalen Elements mit
einer unbefangenen Psychologie ist nir ihn das eigentliche und wirkUdie
Problem der Reli^onslehre. Jene Werturteilstheologie iWt der Wunsch-
und niusionstneone Feuerbachs in die Arme, da sie £e Notwendig^keit des
Objekts verliert, an dem die Werte haften. Die Tr.sche Theolosie sucht
das apriorische Bewusstseinsgesetc, das sich in der TatsachlicmLeit dei
reliffiOsen Lebens äussert, und daraus den letzten Grund für die Fleet-
Stellung des Wahrheitsgehaltes der Religion und das Mittel der kritisclieB
Reinigung und Fortentvnckelung der psychologischen Religion. Mit der
Notwendigkeit der apriorischen reli^Osen Vernunft ist aber auch das in
ihr gesetzte Objekt notwendig. Damit steht Tr. fester im Prinzip in est
Kantischen Erkenntnistheorie als die Werturteilstheologie.
Freilich beweist nun Tr. in gedrängter, tie&inniger Weise, wie die
Kantische Religionslehre um der neutigen verfeinerten Psychologie und
um der Konsequenz der Gedanken willen Modifikationen erleiden mflsM.
Er weist das in 4 Punkten nach.
Erstens darf sich die Vernunft in der psychologischen GemeafS-
läge als enthalten voraussetzen. Die Selbsterkennung das Logischen ut
dmm nötig bei der Eruierung und Fixierung der erk^antnistheoieliseaei
ReEensionen (Troeltsch). 151
etE6. Es ist ein. ] lang des Willens, dies Enthaltensein eines
ifinftigfen and teleologisch zusammenhängenden Oharakten in der
klichkeit vorauszusetzen.
Die Emierung wird dann natürlich eine stets neue Aufgabe und ist
it eine schon geschlossene Arbeit wie bei Kant, der ein geschlossenes
bem der Grundbegriffe hat. Der latente Yemunftgehalt der WirkHch-
> ist immer noch reicher als der gefundene. Hier konstatiert Tr. das
te Irrationale. Die Wirklichkeit ist nie völlig rational, ein unbe-
ilicher Best, der Schein und Irrtum einschliesst, ist stets untermischt.
Zweitens. Die Eantische Beligionspsycholojg;ie beruht auf dem
nniis. Deshalb drän^ hier die Ge^nwart weit über die Urformen
Kantischen Lehre mnaus, da ja die psychologische Analyse Voraus-
img für die erkenntnistheoretische Eruierun^ der Vemunftgesetze ist,
heutige Eeligionspsychologie eine weit reichere ist als die deistische.
Drittens. Kant hat gegen den Monismus die Freiheit aufgerichtet.
ir nur für die intelligible Welt. Er hat das empirische und intelligible
unterschieden, was stets zu ZusammenstiVssen zwischen beiden führt.
ade in der Religions-Psychologie zeigt sich aber nur die Grundempfin-
g aller Itelia;ion, nicht ein Produkt des mechanischen Ablaufs, sondern
) Wirkung des in ihr empfundenen Obersinnlichen selbst zu sein. Die
igion lässt sich auf nichts Anderes kausal reduzieren. Hier müssen
die erkenntnistheoretischen Sfttz aufgegeben werden, die dem psy-
logischen Befund widersprechen. In me phänomenale Zeit ^ifen
onaleAkte ein, die ihre intelligible Zeitlichkeit haben. Das empirische
intelligible Ich liegen nicht neben, sondern in und über euander.
tit alles, was in die Zeit fällt, ist kausalnotwendig verknüpft. Das in-
gible Ich, das latent im phänomenalen wirksam ist, behauptet sich,
lafft die Persönlichkeit als <ue Verwirklichune der autonomen Vernunft,
)m es aus dem Psychologischen als das Intemgible herausbricht, es be-
utet und geordnete Wechselwirkung schafft, nicht kausalen Zwang,
r ist ein Ineinander^eifen, ein Kampf, denn es ist eine Unterbrechung
kausalen Notwendigkeit (nur angeregt, gefordert, gehemmt und ge-
xrtcht durch diesen Verlauf). So ist Religion eine Tat der Freiheit
Gheschenk der Gnade, eine Durchbrechung des Übersinnlichen und
) freie Tat der Hingebung. Die Freiheit wiät also auch in die phäno-
lale Welt ein und diese empirische phänomenale Kausalität ist auf
«Einwirkung eingerichtet. Hier konstatiert Tr. das zweite Irratio-
e: Das Problem der Freiheit und schöpferischen Wahrheitserzeugung.
ihr erfasst das Rational* Allgemeingültige in der Reli^on sich selbst
gestaltet von hier aus die Wertabstiuung der geschichtlichen Reli-
len. Hier steht Tr. sehr nahe bei Rickerts erkenntnistheoretischem
mbewusstsein.
Viertens: Das Religion-haben gehört zwar zum Apriori der Ver-
ft Die Religion ist alM> mit der Vernunft selbst geseäst, auch wenn
et sich selbst nicht zum Bewusstsein brächte. Aber was ist schliesslich
[gion als Form des rationalen Vemunftffesetzes allein ohne die Aktua-
imiig in spezifischen, psychologischen Enebnissen, ohne die inhaltlichen,
Bhologisehen Erscheinungen?
Hier gilt es, das dritte Irrationale zuzugestehen, das Einmalige,
tTiduelle, Tatsächliche. Der Zusammenklang des Allgemein-Rationalen
dem Tatsächlich-Irrationalen-Einmaligen bleibt ein unenträtselbares
ndgeheimnis des Lebens. In der verborgensten Einheit der meta-
machen Vernunft hat das Allgemein-Notwendig-Rationale und das
liehlich-Individuell-Gegebene eine unbegreifliche Einheit. Hier ent-
it die Empfindunar der Gegenwart und Wirkung des Göttlichen,
iffende Urkraft, Inbegrm des Seinsollenden und Mannigfaltigen
doch sa ergreif! durch eine freie Tat der denkenden und prak-
tien Autonomie.
152 Selbstanzeigen (Paulsen).
Mit Eucken betont hier Tr. dies tie&te religiöse Problem, ohne es
freilich lösen zu wollen, wie jener durch die nooloçische Methode.
So zwingt Tr, den erkenntnistheoretischen formalen Bationalismns
zu mancherlei Zugeständnissen an die Irrationalität der p^chologischen
Tatsächlichkeit und durchbricht den strengen Kantischen Aationalismas
an verschiedenen Punkten. Aber andererseits betont er doch stets vah
Neue, wie sehr es nötig ist, das psycholonsche Datum stets wieder ans
seinem rationalen Kern, durch sein rationales Kriterium, d. h. durch du
rationale Apriori der Vernunft, das zur Gesamtheit des Vemui^ftlebeDt
gehört, von Schein und Irrtum zu befreien. Von hier aus nur Ifisst sich
ja die Wahrheitsgeltung der Religion be^^rttnden. Die Wissenachaft, in
der beides zu seinem Hechte kommt, ist die wahre Religionswissenschaft
Ein bloisser Hinweis auf die Schrift mit wenigen Sätzen genfift
nicht, auch nur die Fülle der Probleme ahnen zu lassen, an dieTr.s phib-
sophisches Denken sich auf wenig Seiten wagte. Die ausführliche Iimalts-
angäbe aber, die übri^ns auch auf mancherlei wichtig anweise nicht
zu sprechen kam, wiO nichts anderes, als die prinzipielle Wichti^dt
dieses Vortrages mit voller Energie betonen. Die realistische Betonung
des Tatsächlidien in seinem vollem Umfang fordert, ebenso zur p^eho-
logischen und praktischen, wie die Kantische Forderung des Bationalumns
zur logischen Mitarbeit an der Religionswissenschaft heraus. Es muss sich
Widerspruch erheben gegen Tr. von Seiten der Ritschlschen Schule zueni,
und ebenso von Seiten £rer, die die Rationalisierung des psychologisch-
Irrationalen nicht bloss für schwer, sondern für unmöglich halten. Arn
meisten werden die, die von Windelband und Rickert nerkommen, sich
an^ereçt fühlen von den Tr.schen Gedanken und von Tr., wenn auch
nient die neue Bewegung in der Religions-Philosophie — das ist doch
wohl Euckens Verdienst — aber doch eine äusserst wichtige Förderung
derselben teils schon gewirkt sehen, teils — und das noch viel mdur -
erwarten. Denn die Auf^be, die hier der Erkenntnistheorie gestellt ist,
harrt mindestens ebenso ihrer Lösung, als die der religiösen nycholo^
gestellte.
Laufen (Baden). Hermann Maas.
Selbstanzeigen.
Paulsen, Johannes. Das Problem der Empfindung. Philoso-
phische Arbeiten, herausgeg. von H. Cohen und Paul Natorp. Heft 4.
Giessen, Verlag von A. Toepelmann, 1907. (115 Seiten.)
In dieser Schrift wird der Versuch erneuert, die Position deijenigm
philosophischen Richtung zu erschüttern, welche darauf ausgeht, den In-
halt der Philosophie als Logik auf Psychologie zurückzuf&ren und die
systematische Erörterung über den Erfahrungsbegriff — durch Erfahrunf
zu ersetzen. Diese Richtung, — welche so alt ist wie der WiderspniJ
fegen den Idealismus der Erkenntnis — hat in neuerer Zeit ihre festeste
tütze gefunden in dem anscheinend erfolgreichen Bestreben, dasVerhSUr
nis von Sein und Bewusstsein, von Erkenntnis und G^egenstand direkt
und exnerimentell zu bestimmen.
Die Empfindung, welche dies Verhältnis vermittelt und bestimmt,
wurde zur empirischen Gegebenheit der inneren Erfahrung und die
Messung der Empfindung in Beziehung auf den äusseren Reiz schien jene
Grundmige der philosophischen Spekulation nicht allein auf einen ein-
ziehen, sondern auf einen eiiahnmgsmässig bestimmbaren Ansdrack xa
bringen.
Selb8tanzeigen (Moth-Smith). 163
Diese Ansicht hat ihre sachliche und historische Grandlage in
chners Psychophysik, ihre Fortbildung in Wundts Psychologie ge-
den. Die grandsätzliche Erörterang wird an diese beiden Repräsen-
ten immer anzuknüpfen haben.
Die Möglichkeit dieser neuen Erfahrung, welche Âussenwelt und
wusstsein ^eichermassen zu durchdringen vorgiebt, wird in der vor-
[penden Schrift bestritten. Diese Kritik wird an dem Grandbemff der
ipfindung durchgeführt. Dabei wird die Aufmerksamkeit nicht allein
! den mathematischen Ausdrack psychophysischer Sätze, noch allein auf
empirische Grundlage der Empfindung gerichtet, sondern die Rr-
erung bezieht sich vornehmlich auf das Verhältnis der mathematischen
l^riffe zu ihrem empirischen Problem, der Empfindung. In diesem
rhftltnis determiniert sich der Betriff einer möglichen Erfahrang.
Die Prüfung des Zusammenhangs von Iransscendentalismus und
^choloçie wird immer dazu führen, dass nicht die logischen Begriffe
I p^cholosischen Vorgängen abzuleiten sind, sondern umgekehrt die
mffe der Psychologie nur unter transsccndentalen Gesichtspunkten zu
aen sind. Diese Wendung bezeichnet indessen nur ein Problem. Der
istentialbeweis ihrer Lösung kann erbracht werden durch Angabe der-
i£en wissenschaftlichen Methode, in der sich dies Verhältnis tatsächlich
ruisetzt. Mit dieser Fra^ beschäftigt sich der dritte Teil meiner Ar-
ty wo von den Begriffen und Methoden der Sinnesphysiologie
hannes Müllers die Kede ist.
Altona. Johannes Paulsen.
Moth Smith, Morton B. Metageometrische Raumtheorien.
ktor-Dissertation, Halle 1907. (243 S.)
Man überredet selten seinen Gegner durch blosses Gegenargument,
der Mehrzahl der Fälle bleibt jeder bei seiner eigenen Oberzeugung
ito fester. Wie zwei feindliche Heere ziehen sich oft beide auf ihre
:enen Festungen zurück und da freuen sie in Sicherheit sich über ihre
bezwin^ichkeit und Stärke. In einem solchen Fall, wo alle direkten
tacken auf die feindliche Front misslingen, giebt es nur einen einzigen
3ff, den Feind von seiner Stellung zu vertreiben. Man muss eme
llone unter das Fundament der feindlichen Befestigungen graben und
»selbe zersprengen. So in der PhilosopMe, wenn alle direkte Geffen-
^umente ohne iSrfolg sind, muss man das Fundament der Gedamien
nes Gegners aufsuchen. Man muss fragen, was ihn bestimmt, so hart-
ikig auf seinen Ansichten zu bestehen. Nur so kann man hoffen, ihn
vas davon abzubringen. Zwar wird es manchmal geschehen, dass der
gner nicht so völlig Unrecht hat, wie man zuerst geglaubt. Bei fast
»n Diskussionen g^eot es auf beiden Seiten Recht und Unrecht. Man
rd daher selten seine eigene Ansicht unbeschadet durchsetzen können,
aber wann wurde eine Schlacht jemals gewonnen, ohne Verluste auf
den Seiten? Dazu kommt, dass man nur auf diese Weise hoffen
m, etwas für beide Seiten ^tiges herauszuholen.
Nun ist seit langer Zeit über die metageometrische Raumtheorien
rade in dieser Weise disputiert worden. Jeder hat seinen Gegner in
ter sich selbst völlig befriedigenden Weise widerlegt, ohne ihn aoer im
ringsten von seiner Stellung zu bewegen. Es ist jetzt Zeit, also die
1ère Methode anzuwenden. Daher hat der Verfasser in der oben er-
hnten Schrift zuerst versucht, durch eine historische Untersuchung den
hren Ursprung der metafcometrischen Theorien zu finden. Was hat
\ Mathematiker zu diesen Theorien ( Ihrt und was stützt ihren Glauben
rmn heute? Wie das oft der Fall i»u, d die wahren Gründe in unbe-
aten psychologischen Eigentümlic und verborgenen Tendenzen
finden, welche in den Arsrumeni wvmit sie ihre Theorien zu ver-
digen suchen, ni sht et» ch/ findet der Autor, dass die nicht-
didische Geomel das x^ At ist des mathematischen Enojpirismus
d nicht umgekel i;, wie t behauptet, letzterer ein Ergebnis
1Ö4 Selbstanzeigen (Sopper).
der nichteuklidiBchen Geometrie ist. Dieser Empirismus wiederom ist
das Resultat einer Identifizierung der Anschauung mit der Erfahrong,
verbunden mit dem realistischen Glauben, dass hinter der Erscheinungi-
welt eine reale Welt zu suchen sei. Dies führt zu einer völligen Abtren-
nung der Gedankenwelt von der Erfahrungswelt, so dass sie keine not-
wendige Beziehung zu einander haben. So wird das eine widerspruchslose
System gleichwertig mit jedem anderen, und der Widersprochssati
aUeiniges Kriterium der Wahrheit. Daher ebenfalls die Verwechsehmg
des „Angeboren^ mit dem ,,A priori^, des Absolutismus mit dem Kritizis-
mus, (so auffallend bei Helmholtz und Erdmann). Schuld daran war merk-
würdigerweise hauptsächlich Kant selbst durch seine unmögliche und un-
verständliche Auffassung der Anschauung, und die Bezienungslosiffkeit
zwischen der transscendentalen Analytik und der transscendentalefi
Ästhetik.
Das Heilmittel für das alles ist erstens: das Fallenlassen der rea-
listischen Hypothese, und des Ontologismus und zweitens die Korri^erong
der Kantischen Auffassung der Anschauung. Hier müssen wir die erste
Konzession an die Empiristen machen, denn über die Natur der An-
schauung haben sie Recht, nur ist der Prozess der Erwerbung geo-
metrischer Kenntnisse nicht, wie sie behaupten, ausschliesslich ein Er-
fahrungsprozess, noch mit Kant l^glich eine Sache der reinen Anschauang,
sondern ein Prozess, woran Anschauung und Denken, beide, beteiligt sino.
Die wahre Ermittelung dieses Prozesses sowie also das Verhältnis der
Mathematik zur Erfahrung war das Verdienst Kromans. Nur setzt sein
Prozess ein von ihm nicht erkanntes Axiom voraus, welches, wenn wir
das richtige Kriterium der Apriorität gefunden haben, sich als völlig be-
rechtigt zei^. Dieses Axiom, so finden wir, liefi^ nicht nur allem mathe-
matischen Denken zu Grunde, sondern gleicherweise aller unserer
Erfahrungserkenntnis überhaupt, weil es uns die einzig berechtigte
Weise angiebt, über unsere unmittelbaren individuellen EmptinduDgen
hinauszugehen und etwas mehr als das, was in ihnen enthalten ist, nämfich
etwas allgemein- und für alle Zeit gtlltiges, zu behaupten. Dies Axiom
zeigt dann wie es kommt, dass die euklidische Geomeme die einzige ist,
welche zu einer wissenschaftlichen Erfahrungserkenntnis führen kann,
warum die anderen, obwohl ebenfalls in sich widerspruchslos und auf die
Erfahrung anwendbar, doch keinen notwendigen Zusammenhans mit ihr
haben können. Sie gelten nur als Abstraktion, während die eâJidiscbe
Geometrie als wirklich bezeichnet wird, zwar nicht im absoluten Sinn,
sondern nur als die Geometrie unserer Erfahrungsrealität, welche die em-
zige Realität ist, die wir kennen können.
Florenz. Dr. M. Moth-Smith.
Sopper, Arthur J., Dr. theol. David Humes Kenleer en
E thick. Eerste, inleidend deel Van Bacon tot Hume. A. W. Sythotb
Uitg. My, Leiden 1907. (XH en 200 pçs.)
Diese Leidener Dissertation ist der erste Band einer umfassenderen
historischen Untersuchung, die auf ein systematisches Ziel hinaus will
Ich stellte mir dann folgendes Problem : welchen Einfluss hat eine
empiristisch-skeptische Erkenntnistheorie auf die Ethik, in welcher Rieh-
tung wird sich diese lo^sch bewegen müssen, wenn ihr eine solche E^
kenntnistheorie zu Grunde Uegt?
Das Recht zu dieser Rroblemstellune entnehme ich der einfaehen
Wahrheit, dass die Natur unserer menschlicnen Erkenntnis im Allgemeinen
auch in der Erkenntnis jedes Spezialgebietes zum Ausdruck kommen
muss. Daraus lässt sich unmittelbar folgern, dass im Gedankensystem
eines Philosophen, der neben der Erkenntnistheorie eine besondere
Wissenschaft behandelt, diese mit jener übereinstimmen soll, und dies
auch tun wird in dem Masse, als beide ihrem Ideal entsprechen. Weiter
wird angedeutet, warum dies im besonderen gilt, mit Hinsicht wat dat
Verhältnis zwischen Erkenntnistheorie und Ethik.
SelbftanzeigeH (Sopper). 1&5
Nach einer ausführlichen Beleuchtung dieser Problemstellung be-
ide ich in diesem ersten Bande die Warn decjenigen Philosophen, den
gleichsam zu einem Experiment benutzen will, um das Problem zu
n. Wie mir schien, war kaum jemand mehr dazu geeignet, als David
ae. Wahrend er zu einer historischen Behandlung in eine genügende
femung gerückt ist, nimmt er doch wegen seiner grundlegenden Be-
biing nicht nur unser historisches Interesse in Anspruch. Er ist jetzt
ur in hohem Masse aktuell. Zudem, wenn wir seine Erkenntnistheorie
Ethik zusammen betrachten, so entspricht dies nicht nur dem Wesen
Sache, sondern er hat es auch ausdrücklich selbst gewollt. Aus seinen
riften weise ich nach, dass er selbst die Erkenntnistheorie als Vorarbeit
Grundlaçe seiner Ethik betrachtet. Wenn diese letztere auch in
icher Hinsicht sich anders zeigen wird als wir zu erwarten Grund hatten,
lat die erstere ihr doch im grossen und ganzen den Stempel aufgedrückt.
Zur Erreichung meines Zieles : die Beantwortung der Fra^ nach
1 Verhältnis von Humes Erkenntnislehre zu seiner Ethik als versuch
r den Einfluss einer empiristisch-skeptischen Erkenntnistheorie auf
e Disziplin, wird es somit nötig sein zu untersuchen : erstens was seine
enntnistheorie uns lehrt in Bezug auf die menschliche Erkenntnis im
{gemeinen, und sodann, was er daraus folgert und eigentlich folgern
te mit Hinsicht auf unsere Erkenntnis in einem bestimmten Gebiete,
ijeni^n der Ethik. Es wird sich dabei hoffentlich zeigen, dass der
Königsberger den englischen Empiriker richtiger beurteilte, als einige
sr den neuesten Philosophen es tun, die Humes Skeptizismus in me
elwelt verbannen möchten. Meine Arbeit trennt sich somit in zwei
iptteile: in einen erkenntnistheoretischen und einen ethischen Teil,
vorliegenden einleitenden Teil kommt dann noch, um ein klares Ver-
idnis von Humes Erkenntnistheoretischem Standpunkt, der sein ganzes
iken beherrscht, zu erzielen, eine Besprechung seiner VorlAufer Bacon,
ibes. Locke und Berkeley hinzu.
Nach einer kurzen Skizze des kulturhisterischen Hintergrundes, von
ehern der englische Empirismus des 1-7. und 18. Jahrhunderte sich ab-
t, verfolge ich in grossem Zu^ die Hauptlinien, in denen er sich
bewegt. Den ganzen Verlauf semer Geschichte zeige ich wie eine an-
emde Selbstzerstörung, wobei unwillkürlich das Bild eines Mannes
)orteucht, der mit grosser Anstrengung den Ast, auf dem er sitzt,
chsägt. In Hume kommt dieser Empirismus zur Selbsteersetzung und
urch wird von dieser Seite aus (jiferade wie von der anderen Seite
ch das Ausleben des Rationalismus m Wolff) das Erscheinen Kants auf
Bühne des europäischen Denkens vorbereitet. Die gewaltige Be-
tung des Empirismus, vor allem bei Hume, in dem er seme äussersten
osequenzen erreicht, beruht darin, dass er nicht nur in der Geschichte,
dem auch in der persönlichen Entwickelung ein notwendiger Durch-
igspunkt ist für jeaen, der nur über die Erkenntnisprobleme zu einer
ren Einsicht kommen wilL
Vom Anfang bis zum Ende habe ich aUes möglichst ausführlich
iimentiert. Meistenteils erteilte ich den betreffenden Philosophen
i0t das Wort. Die Vorteile dieser Methode schienen mir so gross, dass
die Gefahr von oberflächlichen Lesern dahin missverstenden zu werden,
lAge hier nicht viel mehr vor, als eine Blütenlese, gerne mit in den
if nahm.
Velsen. A. J. de Sopper.
Flfigel, O. Herbarts Lehren und Leben. Leipzig, Teubner,
1. Aus Natur und Geisteswelt. Bd. 164. (166 S.)i)
1) Diese Selbstenzeige ist als Vorwort zu dem angezeigten Werke
mckt mit dem Motte: „Wessen praktische Philosophie nocn schwankt,
mn Oemfit kann bei spekulativen Untersuchungen nicht in Buhe sein'*,
•hart V, 262. K. V, 232.
156 Selbstanzeigen (Flügel).
„Gewöhnlich kommt nur deijenige in die Philosophie, den sein Geist
in die Mitte trug, ohne dass er es merkte und wollte; der von früh ad
dachte, ehe er die Erklärungen, was Philosophie sei, vernahm ^.i) Nach
diesen Worten Herbarts will ich versuchen, sorort in die Mitte nicht blo«
der Herbartschen, sondern der Philosophie überhaupt, auch der heutigen,
zu versetzen, in das Problem des Ich, in die Frage : giebt es eine Anssen-
weit? Der Leser möge erst philosophieren und dann die Erklärung
über den Begriff der Philosophie vernehmen, erst versuchen, logisch za
denken in den verschiedenen Zweigen der Philosophie und dann hören,
warum man die Philosophie in mehrere Disziplinen einteilt und wii
Logik sei. Dieser Gedanke hat mich bei der Keihenfolge der folgend«
DarsteUung greleitet.
Man wird sich für das Leben eines Künstlers oder eines Gelehrten
oder Erfinders erst dann interessieren, wenn man sich ernstlich mit seinem
Werke beschäftigt hat, zumal das Leben Herbarts ein stilles Gelehrten-
leben ist. Er hat es ja absichtlich vermieden, mit seiner Person oder mit
seiner Lehre in den äusseren Gang der Ereignisse einzugreifen.
„Der echte Lehrer der Philosophie, sagt er, zeigt sich den Schfllem
in so schwerer Arbeit begriffen, dass sie sich glücklich schfttzen, wenn sie,
nachdem das Einzelne verstanden war, alsdann sich Hoffnung machen, du
Ganze zusammenhalten zu können: allein jeder fühlt, dass, wenn er
Gleiches zu leisten unternimmt, er sein ganzes irdisches Dasein daran
wasen muss.^*) Darum soll die Lebensbeschreibung Herbarts den Be-
schluss des Büchleins machen.
Bei der Darstellung der einzelnen Disziplinen hat mich auch ein
Wort Herbarts geleitet; er sagt, er habe sien frei gemacht von denGe*
Wohnungen der Gelehrten, die ihr Wissen unbedingt so wiederzugeben
pflegen, wie sie es sich zum gelehrten Gebrauche geordnet und raormt
haben.') Darum hat ja Herbart selbst sein System in sehr mannigraltiM
Formen vorgetragen, er sah solche Mitteilungen immer als ein didaktiscnes
Problem an, sich der Apperzeption der Hörer oder Leser anzupassen.
„Das Wahre wirkt zunächst mcht durch seine Wahrheit auf den HOrer,
sondern durch sein Verhältnis zu dessen schon vorhandener Gedanken-
Sphäre.^) Er hat alle Formen versucht, er hat Abhandlungen, Bezensionen,
Beden, Kritiken, Briefe, Gespräche, Systeme, Aphorismen, deutsch nnd
lateinisch geschrieben und zwar frei von jeder Schwerfälligkeit.
Ich habe die Lehren Herbarts bereits oft und sehr verschieden
dargestellt,^) möge es mir hier gelungen sein, das Rechte zu treffen. ISi
ist durchaus nient immer die Reihenfolge und Darstellungsform einge-
halten, die Herbart selbst gewählt hat. Es kam mir auch nicht darnf
an, eine enzyklopädische Übersicht über Herb arts System, nicht einen
Abriss der einzelnen Disziplinen zu geben, sondern das für sein System
und seine Person charakteristische nach der Methode des Denkens nnd
den Ergebnissen seiner Forschung kenntlich zu machen.
H. bedeutet Hartensteins Ausgabe der sämtlichen Werke Herbarts. Bei
L. Voss in Hamburg und Leipzig.
K. bedeutet Kehrbachs Ausgabe der sämtlichen Werke Herbarts. BA
Beyer & Mann in Langensalza.
Wansleben bei Halle a. S. O. Flügel
1) H. I, 363; K. I, 298.
2) H. Xn, 548; K. XU, 294.
3) H. xn, 237.
*) H. xn, 87; K. I, 331.
5) Der Philosoph L F. Herbart. 1905, Leipzig. W. Weicher. 47 S.
— Die Probleme der Philosophie und ihre Lösungen. 4. Aufl. 1906.
Cöthen, Schulze. 306 S. — Die Bedeutung der Metaphysik Herfoarts f&r
die Gegenwart. 1902. Langensalza, Beyer. 218 S.
Selbstanzeigen (Boelitz). 157
Boelitz, Otto Dr. Die Lehre vom Zufall bei Emile Bontroux.
Ein Beitrag zur Geschichte der neuesten französischen Philosophie. Leipzig
1907. QueUe & Meyer. (Heft 3 der Abhandlungen zur Philosophie und
ihrer Geschichte, herausgeg. von Prof. Dr. R. Falckenberg-Erlangen.)
(Vm. 120 S.)
Der bedeutendste französische Philosoph des vergangenen Jahr-
hunderts, A. Comte, verleiht auch heute noch, wenn auch ein immer
st&rker werdender Einfluss Kants bemerkbar ist, den philosophischen Pro-
blemen in Frankreich ihre ganz besonders scharfe Fragestellung und weist
ihrer Behandlung die Wege. Der moderne Positivismus, Neokritizismus
und die neuere metaphysische Richtung der französischen Philosophie, alle
•etcen sich eingehend mit Comte auseinander, um teils zu einem auf Kant
sich jnrûndenden erkenntnistheoretischen unterbau des Positivismus, oder
war fievision Kants durch die positiven Ergebnisse der Wissenschaft oder
mar Krönung einer mehr oder minder positivistischen Wissenschaftslehre
durch eine Metaphysik auf grand der Kantischen Metaphysik der Sitten
so gelangen.
Will man Boutroux einer der drei genannten Richtungen unter-
ordnen, so ist es die letztere. Seine beiden weittragenden Schnften : „De
la Contingence des Lois de la Nature^ 1902^ und „De Tldée de Loi Natu-
relle*^ 1893, die in erster Linie den Determinismus durch die Lehre von
der Kontingenz wissenschaftlich widerlegen wollen, zeigen in der philo-
sophischen Würdigung der exakten Wissenschaften einen starken Einfluss
des Poeitivismus, wie überhaupt die eindringende Untersuchung der Natur-
ffesetze in der neuesten fnmzösischen Philosophie auf Comte zurückzu-
mhren ist. Dabei ist aber trotzdem das Resultat ein von Comte sehr
abweichendes: Comte „^laubte^ an die „ewigen, ehernen Naturgesetze^,
die trotz aller Relativität als eine feststehende, sich nie verändernde
Grösse auùmfassen seien. Boutroux lenket auf Orand sorgfältigster
Untersuchungen der Ergebnisse der Einzelwissenschaften den notwen<ügen
Charakter der Naturgesetze und gelangt durch eingehende Kritik des
Kausalgesetzes zu dem Er^bnis, dass in der Welt der Erscheinungen
nicht die strenge Notwendigkeit^herrsche, sondern dass wir an entschei-
denden Stellen ein Auch-anders-sein-können, d. h. den Zufall, konstatieren
kOnnexL
Den Ausgangspunkt der Boutrouxschen Philosophie bildet so zu-
nichst eine scharfsinnige Untersuchung der Frage Kausalität und Not-
wendigkeit und er kommt, von Hume und St. Mill beeinflusst, zu dem
ESrgebnis, dass das i^Gesetz^ der Kausalität lediglich der allgemeinste Aus-
dmek fCLr die Beziehungen sei, die wir in der Natur der gegebenen
Dinge, soweit sie unserer Beobachtung zugänglich sind, feststellen können.
Das Kausalgesetz wie das Gesetz von der Erhaltung der Kraft sind durch
Beobachtung, Vergleichung, Abstraktion gewonnen, d. h. niemals a priori,
niemals notwendig. Aber auch die Gesetze der einzelnen Wissenschafts-
gebiete entbehren nach Boutroux des Charakters der strengen Notwendig-
keit, der allgemein als das unabweisbare Ergebnis moaemer exakter
Forschung angegeben wird. Boutroux stützt siä dabei (besonders in der
trefflichen Darstellung „De Fiée de Loi Naturelle^) auf das von Comte
Uligestellte Prinzip der Spezialisierung der einzelnen Gebiete der Wissen-
schaften, das fttr jede höhere, Übergeordnete Wissenschaft ein „Etwas^,
ein ,yNeues^ annimmt, das jeweilig als neuer Bestandteil zu den bereits
bestehenden Gesetzen hinzukommt. Er untersucht so die logischen und
mathematischen Gesetze, die Gesetze der Mechanik, Physik und Chemie
und als letzte Gruppe die Gesetze der Biologie, Psychologie und
Sociologie.
Nach Boutroux' klaren und scharfeinnigen Untersuchungen ist es
unmöglich, alle Naturgesetze auf den einfachen Typus der Notwendigkeit,
die mathematischen Gesetze, zurttckznfflhren, ja die mathematischen Ge-
setae scdbst müssen Postulate, Definitionen, Axiome und Urteile a priori
158 Selbstanzeigen (Petronievics).
zn Hülfe nehmen, um den Charakter der logischen Notwendigkeit zu er-
weisen. Zwischen je zwei Gruppen springen immer irreduzible Bestand-
teile hervor: „Begriff**, „Schluss**, „synthetisches Urteil a priori", „phy-
sische Kausalität", „Qualität der Kraft". „Leben**, Seele**, „Mensch**. -
Unter „Gesetz** ist deshalb nach Boutroux nichts anderes zu verstehen ab
das Bemühen des menschlichen Geist-es, die Realität mit Hülfe des Geeist«
zu verarbeiten ; „Gesetz** ist nur das in Formeln gefasste Ergebnis der
Anstrengungen des menschlichen Geistes, eine Vorstellung von dem Ge*
schehen der Wirklichkeit zu gewinnen.
In dieser ganzen Auffassung von Gesetz und Notwendigkeit steht
Boutroux auf antikantischem Boden, für Boutroux beruht Kants Bedeutung
neben der mehr negativen Grenzregulierung seiner Elritik der reinen V«^
nunft vor allem in der positiven Ëitik der praktischen Vernunft Eanti
Metaphysik der Sitten wird für ihn zum Ausgangspunkt einer allumfossen-
den gültigen Metaphysik. Ihr fällt die grosse Aufgabe zu : de combler le
vide laissé par la philosophie. Muss Boutroux so auch eine Metaphysik
als apriorische Erkenntnis der Erscheinungswelt ablehnen, so liefert ihm
die der sinnlichen Erkenntnis und der Verstandeserkenntnis übergeordnete
höhere Funktion der Vernunft eine Erkenntnis, die zwar im Grunde prak-
tische Erkenntnis ist, aber von der praktischen Erkenntnis des Guten
überleitet zur Erkenntnis der Harmonie und Ordnung der Welt.
Brüssel. Otto Boelitz.
Petronievics, Branislav, Dr. phil. Die typischen Geometrien
und das Unendliche. Carl Winters Universitätsbuchhandlung, Heidel-
berg 1907. (Vm u. 87 S.)
Dieses Buch verfolgt zwei einander entgegensetzte Aufgaben. Es
will einerseits die neue diskrete Geometrie, cQe ich vor drei Jahren in
meinem bei derselben Verlagshandlung erschienenen metaphysisch-mathe-
matischen Werke „Prinzipien der Metaphysik** begründet habe, mit dem
Infinitismus versöhnen, und andererseits will sie feststellen, dass diese
Versöhnung; nicht möglich, dass der Infinitismus unhaltbar ist. Während
ich nämlich in meinem eben erwähnten Werke die neue Geometrie durch-
aus finitistisch gefasst und dieselbe auf Grund der allgemeinen Elritik dei
Unendlichkeitsbegriffs begründet habe, kehre ich hier das Verhältnis am,
ich setze die konsekutive diskrete Baumform, die Baumform meiner neuen
Geometrie, als gegeben voraus und zeige dann, dass die transfiniten Zahlen
auf dieselbe nicht anwendbar sind, dass insbesondere eine aus konsekutivea
Punkten bestehende Gerade mit einem Endpunkt im Unendlichen mdit
denkbar ist. Ich übertrage dann dieselbe Betrachtungsweise auf die Q^
rade überhaupt, und gelange so zu dem allgemeinen Schluss, dasi der In*
finitismus unhaltbar ist.
Dieser Nachweis der Unhaltbarkeit des Infinitismus wird in dem
dritten von den vier Abschnitten, in die die ganze Abhandlung serftltt,
geführt. Die Leser werden darin die Darstellung der Veroncoeschen
transfiniten Zahlentheorie finden, die in philosophischen Kreisen imbe>
kannt zu sein scheint, die aber ernste Berücksichtigung verdient, da oe
unmittelbar aus geometrischen Betrachtungen an der Geraden hervorgeht
im Unterschied von der Cantorschen, die rein arithmetischen Urmnnfl
ist. Ich zeige, dass die transfinitite Zahlenlehre Cantors zwar fogiiâi
scharf gefasst, auf die Gerade aber unanwendbar ist, während dic^jenige
Veroneses zwar formell auf die Gerade anwendbar, aber nicht logisch
scharf gefasst und deshalb logisch unhaltbar ist.
Iq den zwei ersten Abschnitten der Abhandlung habe ich die spe-
zielle Aufgabe der Versöhnung der neuen Geometrie mit dem Infinitisim
mit einer allgemeineren Aufgabe in Verbindung gebracht : mit der Antgthe
der Bestimmung der typischen Geometrien. & dem ersten Abschnitte
werden alle die formell denkbaren Baumformen auf Grund der vier fol*
genden Gesichtspunkte aufgestellt : 1. nach dem Gesichtspunkte der Bea-
lität (der Baum ist reell oder leer); 2. nach dem Qeaichtspiinkte dtf
àelbttanseigen (Laason). löd
reilanff in Punkte (kontinuierlich, diskret); 8. nach dem Oedchts-
»onkte der Sequenz der Punkte (inkonsekutiv, konsekutiv); 4. nach
lern Gesichtspunkte der Zahl der Punkte (unendlich, endlich). Ich
;ei^ dass man, wenn man von dem ersten Gesichtspunkte abstrahiert
da er die reelle Existenzart des Raumes betrifft) zu den folgenden vier
emer möglichen Raumformen gelangt: 1. zum konsekutiven unend-
ichen Ajontinuum; 2, zum inkonsekutiven unendliehen Dis-
cretum; 8. zum konsekutiven unendlichen Diskretum und 4.
nun konsekutiven endlichen Diskretum. In dem zweiten Ab-
ehnitte werden dann die diesen Raumformen entsprechenden Geometrien
mteraucht, wobei die der ersten und der letzten von ihnen entsprechenden
Ja typische feststellt und dann nachgewiesen wird, dass die Geo-
netrie der ersten Kaumform auch für die zweite und ebenso diejenige
1er vierten für die dritte ^t.
Schliesslich werden m dem vierten und letzten Abschnitte der Ab-
landlung einige Bemerkungen über das sogenannte Kontinuumproblem
«macht; so wird darin insbesondere festgestellt, dass das Problem des
Sahlenkontinunms mit den^jenigen des Raumkontinuums nicht zusaromen-
illt, vrie dies gewöhnlich vorausgesetzt wird.
Belgrad. Dr. Branislav Petronievics.
Laason, Georp^, Pastor an St. Bartholomäus in Berlin. Georg
Wilhelm Friedrich Hegels Phänomenologi|e des Geistes.
Tabiläumsausgabe. In revidiertem Text herausgegeben und mit einer
Einleitung versehen. Leipzig, Dürrsche Buchhandlung, 1907. (CXX u.
a2 S.)
Allgemein gilt Hebels Phänomenologie als das eigentliche Rätsel-
»ach der deutschen Philosophie. Sollte sie im hundertsten Jahre nach
hrem ersten Erscheinen dem heutigen Geschlechte nahe gebracht werden,
o Mit es vor allem den Versuch, das Labyrinth ihrer dialektischen G^e-
lanEenwindnngen dem Leser leichter zugänglich zu machen. Die
lehwierigkeit des Werkes beruht nämlich fast ausschliesslich auf seiner
nhaltlichen Gestaltung. Von fremdsprachiger und fremdarti^r Termino-
ogie, die so oft den Genuss philosophischer Werke unerfreulich trübt, ist
- von dem „Ansich, Fürsich und Anundfürsich** abgesehen — überhaupt
iehts darin zu finden. Und wenn man Hegel oft die Schwerfälligkeit
md Ungelenkheit seiner Sprache vorgeworfen hat, so ist vielmehr die
*hiDomenologie geradezu glänzend geschrieben und bildet eine wahre
\uiagrube von geistreich zugespitzten Wendungen. Was sie dennoch so
ohwer verständuch macht, ist in erster Linie die subtile Anwendung der
ialektischen Methode, die sich nicht genug tun kann im Nachweise aller
lesiehungen, die zwischen dem denkenden Subjekt und seinem jedes-
laligen Objekte hin und her laufen. In der vorliegenden Ausgabe habe
sh es versucht, den Einblick in die Gedankenverbindungen, die uns
Iflgel vorführt, dadurch zu erleichtem, dass ich in seinen langen Kapiteln
ie sinngemässen Haupt- und Unterabschnitte markiert und durch kurze
)1>eischnften die Stellen hervorgehoben habe, wo jedesmal ein neuer
hmg der dialektischen Betrachtung anhebt.
Indessen, wenn ich auch hoffen möchte, dadurch den Aufbau des
VmAes in allen seinen Teilen durchsichtiger gemacht zu haben, so bleibt
far die Leser doch noch die Vorbedingung übrig, dass sie überhaupt
kàk auf den Standpunkt Hegels hinfinden, von dem allein ans auch seine
lethode verständlich wird. Die hundert Seiten umfassende Einleitung,
ie ich dem Werke Hegels vorangeschickt habe, unternimmt es, den
leser au diesem Standpunkte hinzuleiten. Es war meine Absicht, die
liiiKmienologie als den Abschluss der Bewegung verständlich zu machen,
ib Kant mit seiner Kritik der reinen Vernunft begonnen hat. Indem
fogel in der Phäp^ nologie eine Kritik des Bewusstseins giebt, sofern
ies die gesamte 1 müofakeit zum Gegenstande hat, und eine Sjritik der
l^iiUichEeit, sofei i diese der G^genstend des Bewusstseins ist, indem er
15â Selbstanzdigen (Petronievics).
zu Hülfe nehmen, um den Charakter der logischen Notwendigkeit m e^
weisen. Zwischen je zwei Gruppen springen immer irrednzible Bestand»
teile hervor: ^Begriff", .Schluss**, „synthetisches Urteil a priori*, ^phy-
sische Kausalität'', „Qualität der Kraft", „Leben«", Seele*, «Mensch*". -
Unter „Gesetz** ist deshalb nach Boutroux nichts anderes zu verstehen ab
das Bemühen des menschlicheu Geistes, die Realität mit Hülfe des Geistes
zu verarbeiten ; „Gesetz* ist nur das in Formeln gefaaste Ergebnis der
Anstrengungen des menschlichen Geistes, eine Vorstellung von denn Ge-
schehen der Wirklichkeit zu gewinnen.
In dieser ranzen Auffassung von Gesetz und Notwendigkeit stellt
Boutroux auf antikantischem Boden, für Boutroux beruht Kante Bedeutuf
neben der mehr negativen Grenzrej^ulierung seiner Kritik der reinen Ve^
nunft vor allem in der positiven SSitik der praktischen Vernunft Kanti
Metaphysik der Sitten wird für ihn zum Ausgangspunkt einer allum&ssen-
den gültigen Metaphysik. Ihr fällt die grosse Aufgabe zu : de combler le
vide laissé par la philosophie. Muss Boutroux so auch eine Metaph;^
als apriorische Erkenntnis der Erscheinungswelt ablehnen, so liefert ihm
die der sinnlichen Erkenntnis und der Verstandeserkenntnis übergeordnete
höhere Funktion der Vernunft eine Erkenntnis, die zwar im Grunde prak-
tische Erkenntnis ist, aber von der praktischen Erkenntnis des Gaten
überleitet zur Erkenntnis der Harmonie und Ordnung der Welt.
Brüssel. Otto Boelitz.
Petronievics, Branislav, Dr. phil. Die typischen Geometrien
und das Unendliche. Carl Winters Universitätsbuchhandlung, Heidel-
berg 1907. (Vm u. 87 S.)
Dieses Buch verfolgt zwei einander entgegensetzte Aufgaben. Si
will einerseits die neue diskrete Geometrie, me ich vor drei Jahren in
meinem bei derselben Verlagshandlung erschienenen metaphysisch-math»'
matischen Werke „Prinzipien der Metaphysik* begründet nahe, mit dem
Infinitismus versöhnen, und andererseits will sie feststellen, dass die»
Versöhnung nicht möglich, dass der Infinitismus unhaltbar ist. Wählend
ich nämlich in meinem eben erwähnten Werke die neue Geometrie durch-
aus finitistisch gefasst und dieselbe auf Grund der allgemeinen Kritik dei
Unendlichkeitsbegriffs begründet habe, kehre ich hier das Verhältnis nm,
ich setze die konsekutive diskrete Raumform, die Raumform meiner neuen
Geomettie, als gegeben voraus und zeige dann, dass die transfiniten Zahlen
auf dieselbe nicht anwendbar sind, dass insbesondere eine aus konsekutiven
Punkten bestehende Gerade mit einem Endpunkt im Unendlichen sieht
denkbar ist. Ich übertrage dann dieselbe Betrachtungsweise auf die Ge-
rade überhaupt, und gelange so zu dem allgemeinen Schluss, dass der In*
finitismus unhaltbar ist.
Dieser Nachweis der Unhaltbarkeit des Infinitismus wird in dem
dritten von den vier Abschnitten, in die die ganze Abhandlung serftltt»
geführt. Die Leser werden darin die Darstellung der Veroneseseben
transfiniten Zahlentheorie finden, die in philosophischen Elreisen unbe>
kannt zu sein scheint, die aber ernste Berücksichtigung verdient, da fle
unmittelbar aus geometrischen Betrachtungen an der Geraden hervorgeht
im Unterschied von der Cantorschen, die rein arithmetischen Urminfli
ist. Ich zeige, dass die transfinitite Zahlenlehre Cantors Ewar fogiaca
scharf gefasst, auf die Gerade aber unanwendbar ist, während diejenige
Veroneses zwar formell auf die Gerade anwendbar, aber nidit logisch
scharf gefasst und deshalb logisch unhaltbar ist.
UÏ den zwei ersten Abschnitten der Abhandlung habe ich die ^
zielle Aufgabe der Versöhnung der neuen Geometrie mit dem InfinitisMW
mit einer allgemeineren Aufgabe in Verbindung gebracht: mit derAu^iabe
der Bestimmung der typischen Geometrien. In dem ersten Abschnitte
werden alle die formell denkbaren Raumformen auf Grund der vier loi*
genden Gesichtspunkte angestellt : 1. nach dem Gesichtspunkte der Rea-
lität (der Raum ist reell oder leer); 2. nach dem Gmiebtspnnkte d«r
àelbttanseigen (Laason). löd
[*eilanff in Punkte (kontinuierlich, diskret); 8. nach dem Gedchts-
itmkte der Sequenz der Punkte (inkonsekutiv, konsekutiv); 4. nach
lern Gesichtspunkte der Zahl der Punkte (unendlich, endlich). Ich
eige dass man, wenn man von dem ersten Gesichtspunkte abstrahiert
da er die reelle Existenzart des Raumes betrifft) zu den folgenden vier
emer möglichen Raumformen gelangt: 1. zum konsekutiven unend-
ichen E^ontinuum; 2, zum inkonsekutiven unendliehen Dis-
Lretum; 8. zum konsekutiven unendlichen Diskretum und 4.
•um konsekutiven endlichen Diskretum. In dem zweiten Ab-
chnitte werden dann die diesen Raumformen entsprechenden Geometrien
mteraucht, wobei die der ersten und der letzten von ihnen entsprechenden
Ja typische feststellt und dann nachgewiesen wird, dass die Geo-
aetrie der ersten Kaumform auch für die zweite und ebenso diejenige
1er vierten fttr die dritte ^t.
Schliesslich werden m dem vierten und letzten Abschnitte der Ab-
landlung einige Bemerkungen über das sogenannte Kontinuumproblem
miacht; so wird darin insbesondere festg^tellt, dass das Problem des
«ahlenkontinuums mit den^jenigen des Raumkontinuums nicht zusaromen-
ftUt, wie dies gewöhnlich vorausgesetzt wird.
Belgrad. Dr. Branislav Petronievics.
LaMon, Georp^, Pastor an St. Bartholomäus in Berlin. Georg
y^ilhelm Friedrich Hegels Phänomenologi|e des Geistes,
abilftumsausgabe. In revidiertem Text herausgegeben und mit einer
i^leitung versehen. Leipzig, Ddrrsche Buchhandlung^ 1907. (CXX u.
82 S.)
Allgemein gilt Hebels Phänomenologie als das eigentliche Rätsel-
»ach der deutschen Phik)sophie. Sollte sie im hundertsten Jahre nach
turem ersten Erscheinen dem heutigen Geschlechte nahe gebracht werden,
o galt es vor allem den Versuch, das Labyrinth ihrer dialektischen Qe-
iankenwindnngen dem Leser leichter zugänglich zu machen. Die
Ichwierigkeit des Werkes beruht nämlich fast ausschliesslich auf seiner
ahaltlichen Gestaltung. Von fremdsprachiger und fremdarti^r Termino-
igie, die so oft den Genuss philosophischer Werke unerfreuhch trflbt, ist
- von dem „Ansich, Fttrsich und Anundfürsich" abgesehen — überhaupt
lehts darin zu finden. Und wenn man Hegel oft die Schwerfälligkeit
nd Ungelenkheit seiner Sprache vorgeworfen hat, so ist vielmehr die
liftnomenologie geradezu glänzend geschrieben und bildet eine wahre
imâgrube von geistreich zugespitzten Wendungen. Was sie dennoch so
dhwer verständEch macht, ist in erster Linie die subtile Anwendung der
ialektischen Methode, die sich nicht genug tun kann im Nachweise aller
lesiehungen, die zwischen dem denkenden Subjekt und seinem jedes-
laligen Objekte hin und her laufen. In der vorliegenden Ausgabe habe
:h es versucht, den Einblick in die Gedankenverbindungen, die uns
[egel vorfahrt, dadurch zu erleichtem, dass ich in seinen langen Kapiteln
ie ainngemässen Haupt- und Unterabschnitte markiert und durch kurze
Ibenchnften die Stellen hervorgehoben habe, wo jedesmal ein neuer
hmg der dialektischen Betrachtung anhebt.
Indessen, wenn ich auch hoffen möchte, dadurch den Aufbau des
VeAea in allen seinen Teilen durchsichtiger gemacht zu haben, so bleibt
ir die Leser doch noch die Vorbedingung übrig, dass sie überhaupt
ich auf den Standpunkt Hegels hinfinden, von dem allein aus auch seine
lethode verständlich wird. Die hundert Seiten umfassende Einleitung,
ie ich dem Werke Hegels vorangeschickt habe, unternimmt es, den
leier £a diesem Standpunkte hinzuleiten. Es war meine Absicht, die
Unomenologie als den Abschluss der Bewegung verständlich zu machen,
ie Kant mit seiner Sjritik der reinen Vernunft begonnen hat. Indem
lege! in der Phäi> )logie eine Slritik des Bewusstseins giebt, sofern
iea die geeamte 1 «■& hkeit zum Gegenstande hat, und eine Kritik der
^iiidkhleit, tofem d der Gegenstand des Bewusstseins ist, indem er
16Ô Selbstanzeigen (ttuge).
hierbei Schritt für Schritt nachweist, dass jedesmal Bewnsstsein und
Gegenstand eins sind, und dass der Fortschritt des Wissens ebenso ein
Fortschritt des Bewusstseins zur Erkenntnis seiner Einheit mit dem
Gegenstande wie ein Fortschritt des Gegenstandes zur Offenbaninir seiner
Einheit mit dem Bewusstsein ist, führt er den Gedanken Kants, dass die
Welt der Gedanke des Subjekts, dass in der Kategorie die Wahrheit «-
geben sei, an dem gesamten Inhalt des Bewusstseins durch. Wenn Eichte
und Schellinfi; dem gewöhnlichen Verhalten des Bewusstseins die philo-
sophische Ei^enntnis entgegenfi;estellt haben als die Anschauung der
Wahrheit über die Beziehung des Ich zum Nichtich, so geht He^ auf
dieses unphilosophische und vorphilosophische Bewusstsein selber em imd
weist nach, dass in ihm überall eben die Wahrheit zum Ausdruck kommt,
die in dem philosophischen Denken ihre begriffliche Erkenntnis findet
-Nie ist mit dem Gedanken der Identität von Ich und Nichtich grosserer
Ernst gemacht worden als in dieser Darstellung des dialektischen Pro-
zesses, in dem sich durch die Beziehung des üewusstseins auf seinen
Gegenstand diese beiden fortwährend genauer bestimmen, bis sie für das
Bewusstsein selbst als identisch erscheinen. Und niemals ist der Gedanke
des Idealismus genialer vertreten worden als hier, wo die gesamte Tl^rk-
lichkeit als das Wissen des Ich von sich selbst und seinem Objekt vor uns
aufgebaut wird."
Für die Textgestalt des Werkes ist mir die erste AuM;abe vom
Jahre 1807, die einzige, die Hegel selbst besorgt hat, massgebend gewesen.
Alle der Verständlichkeit dienenden fremden Zusätze sind als solche wi
mir gekennzeichnet worden. Über alle Abweichungen der verschiedenen
Drucke giebt ein Lesartenverzeichnis am Schlüsse des Bandes genaue
Auskunft.
Berlin. Georg Lasson«
Rage, Arnold. Kritische Betrachtung und Darstellonf
des Deutschen Studentenlebens in seinen Grundzftgen. Tft-
bingen 1906. I. C. B. Mohr. (X u. 184 S.)
Es kann hier lediglich darauf ankommen, den Zusammenhang der
vorliegenden Schrift mit der Kantischen Philosophie anzuweisen, der Ton
vornherein bezweifelt werden könnte, wenn nur auf das Gkufenständliehe
des Titels reflektiert wird; denn Kant hat nur an wenigen Stellen seiner
Werke von einem gleichen Gegenstande geredet und auch seine Erleb-
nisse als akademischer Lehrer berechtigen wohl kaum, darauf eine Theorie
aufzubauen. Der Zusammenhang liegt ganz auf dem methodischen
Gebiete. Wer Kants Verdienst um £e philosophische Methode darin e^
blickt, dass er ausgehend von der Tatsächlichkeit synthetischer ürteite
das was in ihnen an transscendentalen Wertmomenten liegt
zu begründen suchte, wird ohne Sträuben den in vorliegender Schrift be>
tretenen We^ mitwandem. E^ant beschränkte seine Aiialyse im Weaei^
liehen auf die Erkenntnisurteile, ethischen und ästhetischen urteile, die
nachkantische Phüosophie hat diese Grenzen erweitert und zum Gegen-
stande kritischer Methode jede Wissenschaft erhoben; doch sind amà
diese Grenzen zu eng, denn Wertungen repräsentieren sich ebensowohl
in Kulturerscheinungen, welche die Jahrhunderte überdauert haben,
denen man eben deshalb weil sie gewertet wurden, intellektuelle mora-
lische und materielle Opfer brachte. Was an Gültigkeiten liegt in dieaoi
Kulturerscheinungen? Was an Wertungen kann aus ihrer Tatsächlichkeit
analysiert werden? Welche Massstäbe sind auf Grund dieser Analyse an
die einzelnen Erscheinungen selbst zu legen, um an ihnen auch das Wert*
lose zu erkennen? Dies sind Fragen, welche nicht von einer G^esellacbalts-
psychologie, sondern lediglich von einer Philosophie beantwortet werden
können. Darin liegt der methodische Zweck der hier angezeigten Schrifti
die zur Voraussetzung die historische Tatsache hat, dass die Hochschulen
„als wertvoll" beurteilte Kulturerscheinun^n sind. In der Durchführung
seiner methodischen Absicht auf dem von ihm gewählten Gebiete musste
Selbstanzeigen (Eoppelmann). 161
1er Verfasser mit der Notwendigkeit paktieren, für ein grosseres Publi-
nun verständlich zu schreiben. Wie er dementsprechend den Inhalt an-
mordnen und zu gestalten suchte, das zu berichten, fehlt es hier an
iaum, ob und wie weit es ihm £elang, seine methodische Absicht mit
leinen allgemeinen Plftnen zu verbinden, das zu entscheiden ist nicht
Lnfgabe der Selbstanzeige.
Heidelberg. Arnold Buge»
Koppelmann. Wilhelm. Die Ethik Kants. Entwurf zu einem
■Neubau auf Gruna einer Kritik des Kantischen Moralprinzips. Berlin,
leather & Beichard, 1907. (VIII u. 92 S.)
Die in dieser Schrift vertretene etlusche Theorie gilt nur von den,
für alle Vernunftwesen bleichen Bedingungen der geistigen Oemeinschaft.
für die theoretischen Beziehungen vernünftiger Wesen zu einander ist
Nahrhaftigkeit, für die praktischen (Verbindung zu gemeinsamen Unter-
lehmungen, Bechts- und Staatsleben etc.) Zuverlässigkeit das Grundgesetz.
I*emer muss, wenn die geistige Gemeinschaft gedeihen soll, auf dem theo-
eüschen Gebiet Freiheit des Gedankenaustausches, auf dem praktischen
^Veiheit des Handelns (Selbstbestimmungsrecht) herrschen. Natürlich wird
iicht durch jede Verletzung dieser Gesetze die geistige Gemeinschaft so-
gleich aufgehoben, aber je mehr sie beobachtet werden, desto melir be-
leiht die ^istige Gemeinschaft, je mehr sie verletzt werden, desto mehr
Oat sie sich auf. Die Achtung vor diesen Gesetzen habe ich aus den
l. 89 entwickelten Gründen zusammenfassend Wahrhaftigkeit genannt.
>a8 Prinzip der Wahrhaftigkeit in diesem Sinne ist, wie ich behaupte,
1er Schlüssel für das ethische Denken der Menschheit, und alle sittlicnen
•Forderungen gehen, wie S. 39 ff nachgewiesen wird, im letzten Grunde
kof die Forderung der Wahrhaftigkeit zurück, welche mit dem innersten
i^esen des Menschen in so enger Verbindung steht, dass selbst innerhalb
•iner Bftuberbande die Grundforderung der Wahrhaftigkeit und Zuver-
aaaigkeit als Massstab für die sittliche Beurteilung zurückbleibt
Dass diese Auffassung des Wesens der Sittlichkeit richtig istbew&hrt
ich auch darin, dass durch sie ohne weiteres verständlich wird, woher
las Bewusstsein der sittlichen Verpflichtung kommt. An der geistigen
Gemeinschaft und also auch an der allgemeinen Beobachtung der Gesetze
1er geistigen Gemeinschaft hat der Mensch als Vernunftwesen ein unaus-
ilg^bares uiteresse (S. 48 ff.), schon deswegen, weil die Entwickelung und
letäti^nc dessen, was man Persönlichkeit nennt, darauf angewiesen ist.
naoweit ist das moralische Sollen in der Tat, wie Kant behauptet, im
Gronde ein Wollen. Als Vernunftwesen wollen wir die Herrschaft der
Gesetze der geistigen Gemeinschaft und würden sie, wenn wir bloss Ver-
ionftwesen waren, auch unverbrüchlich halten, schon deswegen, weil ihre
Beobachtung den normalen Funktionen unserer Vernunft entspricht
3. 44 ff.). Dass wir von der an sich für uns natürlichen und selbstver-
tftndlichen Bahn der Wahrhaftigkeit abweichen, dafür liegen die Gründe
B der sinnlichen Seite unseres Wesens, deren Interessen durch die Wahr-
Aftigkeit nicht immer gedient ist. Daher entsteht dann eine Spannung
wischen unseren Interessen als Vernunftwesen und unseren Interessen
Is Sinnenwesen, und das moralische Wollen verwandelt sich für den
[enschen als Sinnenwesen in ein moralisches Sollen.
Die Wahrhaftigkeit als Prinzip der Sittlichkeit ist nach meiner
^rzengun^ die einzig mögliche Konsequenz auch der Kantisohen Pr&-
lissen. Dies habe ich in einer Kritik des Kantischen Moralprinzips
nd seiner Begründung nachgewiesen (S. 1—88). Dort ist auch der
hmnd angegel^n, welcher nach meiner Meinung Kant auf ein falsches
Geleise geführt hat, nämlich die Oberspannung des GMankens der
i.atoDomie.
Durch die von mir vertretene Auffassung des Wesens der Sittlich-
eit erfahren auch die weiteren ethischen Positionen Kants, insbesondere
gMWii— JUL « «
16Ô Selbstanzeigen (ttuge).
hierbei Schritt für Schritt nachweist, dass jedesmal Bewusstsein and
Gegenstand eins sind, und dass der Fortschritt des Wissens ebenso ein
Fortschritt des Bewusstseins zur Erkenntnis seiner Einheit mit dem
Gegenstände wie ein Fortschritt des Gegenstandes zur Offenbanmi? seiner
Einheit mit dem Bewusstsein ist, führt er den Gedanken Kants, dass die
Welt der Gedanke des Subjekts, dass in der Kategorie die Wahrheit «-
geben sei, an dem gesamten Inhalt des Bewusstseins durch. Wenn Fichte
und Schellinfi; dem gewöhnlichen Verhalten des Bewusstseins die philo-
sophische Ei^enntnis entgegengestellt haben als die Anschauung der
Wahrheit über die Beziehung des Ich zum Nichtich, so geht He^ auf
dieses unphilosophische und vorphilosophische Bewusstsein selber em imd
weist nach, dass in ihm überall eben die Wahrheit zum Ausdruck kommt,
die in dem philosophischen Denken ihre begriffliche Erkenntnis findet
„Nie ist mit dem Gedanken der Identität von Ich und Nichtich ffrOsserer
Ernst gemacht worden als in dieser Darstellung des dialektiflchen Pro-
zesses, in dem sich durch die Beziehung des Bewusstseins auf seinen
Gegenstand diese beiden fortwährend genauer bestimmen, bis sie für das
Bewusstsein selbst als identisch erscheinen. Und niemals ist der Gedaiüce
des Idealismus genialer vertreten worden als hier, wo die gesamte Wirk-
lichkeit als das Wissen des Ich von sich selbst und seinem Objekt Tor ans
aufgebaut wird."
Für die Textgestalt des Werkes ist mir die erste AuM;abe vom
Jahre 1807, die einzige, die Hegel selbst besorgt hat, massgebend gewesen.
Alle der Verständlichkeit dienenden fremden Zusätze sind als solche von
mir fi^ekennzeichnet worden. Über alle Abweichungen der verschiedenen
Drucke giebt ein Lesartenverzeichnis am Schlüsse des Bandes gensoe
Auskunft.
Berlin. Georg Lassen«
Rnge, Arnold. Kritische Betrachtung und Darstellaof
des Deutschen Studentenlebens in seinen Grundztigen. Tl-
bingen 1906. I. C. B. Mohr. (X u. 184 S.)
Es kann hier lediglich darauf ankommen, den Zusammenhang der
vorliegenden Schrift mit der Kantischen Philosophie au&uweisen, der ?on
vornherein bezweifelt werden könnte, wenn nur auf das G^egenstftndliche
des Titels reflektiert wird; denn Kant hat nur an wenigen Stellen seiner
Werke von einem gleichen Gegenstande geredet und auch seine Eri^
nisse als akademischer Lehrer berechtigen wohl kaum, darauf eine llieorie
aufzubauen. Der Zusammenhang liest ganz auf dem methodischen
Gebiete. Wer Kants Verdienst um <ne philosophische Methode darin e^
blickt, dass er ausgehend von der Tatsächlichkeit synthetischer Urteile
das was in ihnen an transscendentalen Wertmomenten liegt
zu begründen suchte, wird olme Sträuben den in vorliegender Schrift be-
tretenen Weg mitwandem. Kant beschränkte seine Analyse im Wesei^
liehen auf <ue Erkenntnisurteile, ethischen und ästhetischen Urteile, die
nachkantische Philosophie hat diese Grenzen erweitert und zum Ghegea-
Stande kritischer Methode jede Wissenschaft erhoben; doch sind aoeà
diese Grenzen zu eng, denn Wertungen repräsentieren sich ebensowohl
in Kulturerscheinungen, welche die Jahrhunderte überdauert haben,
denen man eben deshalb weil sie gewertet wurden, intellektuelle monr
lische und materielle Opfer brachte. Was an Gültigkeiten liegt in diesen
Kulturerscheinungen? Was an Wertungen kann aus ihrer Tatsftchlfchkeft
analysiert werden? Welche Massstäbe sind auf Grund dieser Analyse u
die einzelnen Erscheinungen selbst zu legen, um an ihnen auch das Weii-
lose zu erkennen? Dies sind Fragen, welche nicht von einer Ghesellschalts*
psychologie, sondern lediglich von einer Philosophie beantwortet werden
können. Darin liegt der methodische Zweck der hier angezeigten Sdirifli
die zur Voraussetzung die historische Tatsache hat, dass die HochschnleB
„als wertvoll" beurteilte Kulturerscheinun^n sind. In der DurchfiUmmg
seiner methodischen Absicht auf dem von ihm gewählten Gebiete moiste
Selbstanzeigen (Eoppelnuum). 161
der Verfasser mit der Notwendigkeit paktieren, für ein grosseres Publi-
kmn verständlich zu schreiben. Wie er dementeprechend den Inhalt an-
zuordnen and zu gestalten suchte, das zu berichten, fehlt es hier an
Raum, ob und wie weit es ihm spelang, seine methodische Absicht mit
•einen allgemeinen Planen zu verbinden, das zu entscheiden ist nicht
Aufgabe der Selbstanzeige.
Heidelberg. Arnold Buge»
Koppelmann. Wilhelm. Die Ethik Kants. Entwurf zu einem
Neubau auf Gruna einer Kritik des Kantischen Moralprinzips. Berlin,
Beuther & Reichard, 1907. (VIII n. 92 S.)
Die in dieser Schrift vertretene etlusche Theorie gilt nur von den«
für alle Vemunftwesen bleichen Bedingungen der geistigen Oemeinschaft.
Für die theoretischen Beziehungen vernünftiger Wesen zu einander ist
Wahrhaftigkeit, für die praktischen (Verbindung zu gemeinsamen Unter-
nehmungen, Rechts- und Staatsleben etc.) Zuverl&Bsigkeit das Grundgesetz.
Femer muss, wenn die ji^eistige Gemeinschaft gedeihen soll, auf dem theo-
retischen Gebiet Freiheit des Gedankenaustausches, auf dem praktischen
Freiheit des Handelns (Selbstbestimmungsrecht) herrschen. Natürlich wird
nicht durch jede Verletzung dieser Gesetze die geistige Gemeinschaft so-
Sleich aufgehoben, aber je mehr sie beobachtet werden, desto melir ge-
eiht die ^istige Gemeinschaft, je mehr sie verletzt werden, desto mehr
Itet sie sich auf. Die Achtung vor diesen Gesetzen habe ich aus den
S. 89 entwickelten Gründen zusammenfassend Wahrhaftigkeit genannt.
Das Prinzip der Wahrhaftigkeit in diesem Sinne ist, wie ich behaupte,
der Schlüssel für das ethische Denken der Menschheit, und alle sittlicnen
Forderungen gehen, wie S 39 ff nachgewiesen wird, im letzten Grunde
auf die Forderung der Wahrhaftigkeit zurück, welche mit dem innersten
Wesen des Menscnen in so enger Verbindung steht, dass selbst innerhalb
einer Räuberbande die Grundf orderung der Wahrhaftigkeit und Zuver-
Liaaigkeit als Massstab für die sittliche Beurteilung zurückbleibt
Dass diese Auffassung des Wesens der Sittlichkeit richtig istbew&hrt
sich auch darin, dass durch sie ohne weiteres verständlich wird, woher
das Bewusstsein der sittlichen Verpflichtung kommt. An der geistigen
Gemeinschaft und also auch an der allgemeinen Beobachtung der Gesetze
der geistigen Gemeinschaft hat der Mensch als Vemunftwesen ein unaus-
tilgbares Interesse (S. 48 ff.), schon deswegen, weU die Entwickelung und
Betftti^unç dessen, was man Persönlichkeit nennt, darauf angewiesen ist.
Insoweit ist das moralische Sollen in der Tat, wie Kant behauptet, im
Grunde ein Wollen. Als Vemunftwesen wollen wir die Herrscnaft der
Gesetze der geistigen Gemeinschaft und würden sie, wenn wir bloss Ver-
Dunftwesen waren, auch unverbrüchlich halten, schon deswegen, weil ihre
Beobachtung den normalen Funktionen unserer Vernunft entspricht
[S. 44 ff.). Dass wir von der an sich für uns natürlichen und selbstver-
itändlichen Bahn der Wahrhaftigkeit abweichen, dafür liegen die Gründe
In der sinnlichen Seite unseres Wesens, deren Interessen durch die Wahr-
bafti^keit nicht immer gedient ist. Daher entsteht dann eine Spannung
Ewiaäen unseren Interessen als Vemunftwesen und unseren Interessen
üs Sinnenwesen, und das moralische Wollen verwandelt sich für den
JCenschen als Sinnenwesen in ein moralisches Sollen.
Die Wahrhaftigkeit als Prinzip der Sittlichkeit ist nach meiner
Überzeugung die einzig mögliche Konsequenz auch der Kantisohen Pr&-
masen. Dies habe ich in einer Kritik des Kantischen Moralprinzips
md seiner Begründung nachgewiesen (S. 1—88). Dort ist auch der
Jmnd angegel^n, welcher nach meiner Meinung Kant auf ein falsches
Geleise geführt hat, nämlich die Oberspannung des GMankens der
katonomie.
Durch die von mir vertretene Auffassung des Wesens der Sittlich-
ceit erfahren auch die weiteren ethischen Positionen Kants, insbesondere
Jan. jl
16Ô Selbstanzeigen (ttnge).
hierbei Schritt für Schritt nachweist dass jedesmal Bewnsstsein und
Gegenstand eins sind, und dass der Portechntt des Wissens ebenso ein
Fortschritt des Bewusstseins zur Erkenntnis seiner Einheit mit dem
Gegenstande wie ein Fortschritt des Gegenstandes zur Offenbamnir seiner
Einheit mit dem Bewusstsein ist, führt er den Gedanken Kants, dass die
Welt der Gedanke des Subjekts, dass in der Kategorie die W^iiieit m-
geben sei, an dem gesamten Inhalt des Bewusstseins durch. Wenn Fichte
und Schellinff dem gewöhnlichen Verhalten des Bewusstseins die philo-
sophische Erkenntnis entgegeng^estellt haben als die Anschauung der
Wahrheit über die Beziehung des Ich zum Nichtich, so geht Hi^el auf
dieses unphilosophische und vorphilosophische Bewusstsein selber ^ and
weist nach, dass in ihm überall eben die Wahrheit zum Ausdruck kommt,
die in dem philosophischen Denken ihre begriffliche Erkenntnis findet
-Nie ist mit dem Gedanken der Identität von Ich und Nichtich grOsseier
Ernst gemacht worden als in dieser Darstellung des dialektischen Pro-
zesses, in dem sich durch die Beziehung des Bewusstseins auf seinen
Gegenstand diese beiden fortwährend genauer bestimmen, bis sie für das
Bewusstsein selbst als identisch erscheinen. Und niemals ist der Gedanke
des Idealismus genialer vertreten worden als hier, wo die gesamte Wirk-
lichkeit als das Wissen des Ich von sich selbst und seinem Objekt vor nu
aufgebaut wird."
Für die Textgestalt des Werkes ist mir die erste Ausgabe vom
Jahre 1807, die einzige, die Hegel selbst besorgt hat, massgebena gewesen.
Alle der Verständlichkeit dienenden fremden Zusätze sind als solche tob
mir gekennzeichnet worden. Über alle Abweichungen der verschiedenen
Drucke giebt ein Lesartenverzeichnis am Schlüsse des Bandes gentoe
Auskunft.
Berlin. Georg Lassen.
Rage, Arnold. Kritische Betrachtung und DarstelUnf
des Deutschen Studentenlebens in seinen Grundzftgen. Tl-
hingen 1906. I. C. B. Mohr. (X u. 184 S.)
Es kann hier lediglich darauf ankommen, den Zusammenhang der
vorliegenden Schrift mit der Kantischen Philosophie au&uweisen, der tob
vornherein bezweifelt werden könnte, wenn nur auf das Gegenständliche
des Titels reflektiert wird; denn Kant hat nur an wenigen Stellen seiner
Werke von einem gleichen Gegenstande geredet und auch seine Srieb>
nisse als akademischer Lehrer berechtigen wohl kaum, darauf eine Tbi&m
aufzubauen. Der Zusanmienhang liegt ganz auf dem methodischen
Gebiete. Wer Kants Verdienst um me philosophische Methode darin er
blickt, dass er ausgehend von der Tatsächlichkeit synthetischer Vttàk
das was in ihnen an transscendentalen Wertmomenten lieft
zu begründen suchte, wird ohne Sträuben den in vorliegender Schrift be-
tretenen Weg mitwandem. B^ant beschränkte seine Analyse im Wesent-
lichen auf <ne Erkenntnisurteile, ethischen und ästhetischen Urteile, ék
nachkantische Philosophie hat diese Grenzen erweitert und zum Gegen*
Stande kritischer Methode jede Wissenschaft erhoben; doch sind aneh
diese Grenzen zu eng, denn Wertungen repräsentieren sich ebensowohl
in Kulturerscheinungen, welche die Jahrhunderte überdauert haben,
denen man eben deshalb weil sie gewertet wurden, intellektuelle moi^
lische und materielle Opfer brachte. Was an Gültigkeiten liegt in diesen
Kulturerscheinungen? Was an Wertungen kann aus ihrer Tatsächlichkert
analysiert werden? Welche Massstäbe sind auf Grund dieser Analyse aa
die einzelnen Erscheinungen selbst zu legen, um an ihnen auch das Wat-
lose zu erkennen? Dies sind Fragen, welche nicht von emer (JeseUs^»
Psychologie, sondern lediglich von einer Philosophie beantwortet wertj
können. Darin Hegt der methodische Zweck der luer angezeigten Sitoft
die zur Voraussetzung die historische Tatsache hat, dass die Hodttchnfen
nais wertvoll« beurteüte Kulturerscheinungen sind, hi dw DurchftthrMJ
semer methodischen Absicht auf dem von ihm gewählten Gebiete muerte
Selbstanzei^n (Eoppelmann). 161
1er Verfasser mit der Notwendigkeit paktieren, für ein grOaseres Public
nun verstftndlich zu schreiben. Wie er dementsprechend den Inhalt an»
mordnen und zu gestalten sachte, das za berichten, fehlt es hier an
ianm, ob and wie weit es ihm gelang, seine methodische Absicht mit
einen allgemeinen Plänen za verbinden, das za entscheiden ist nicht
Ln^be der Selbstanzeige.
Heidelberg. Arnold Bage,
Koppelmann. Wilhelm. Die Ethik Kants. Entwarf za einem
fenbaa auf Gruna einer Kritik des Kantischen Moralprinzips. Berlin,
leather & Beichard, 1907. (Vill a. 92 S.)
Die in dieser Schrift vertretene ethische Theorie gilt nur von den,
llr alle Vernunftwesen bleichen Bedingungen der geistigen Gemeinschaft.
*llr die theoretischen Beziehungen vernünftiger Wesen zu einander ist
Nahrhaftigkeit, für die praktischen (Verbindang za gemeinsamen Unter-
ehmungen, Bechts- und Staatsleben etc. ^ Zuverlässigkeit das Grundgesetz.
*emer muss, wenn die j^eistige Gemeinschaft gedeihen soll, auf dem theo-
eüschen Gebiet Freiheit des Gedankenaustausches, auf dem praktischen
Veiheit des Handelns (Selbstbestimmungsrecht) herrschen. Natürlich wird
icht durch jede Verletzung dieser G^e^tze die geistige Gemeinschaft so-
ieich aufgehoben, aber je mehr sie beobachtet werden, desto melir ffe-
eiht die ^istige Gemeinschaft, je mehr sie verletzt werden, desto mehr
tet sie sich auf. Die Achtung vor diesen Gesetzen habe ich aus den
I. 39 entwickelten Gründen zusammenfassend Wahrhaftigkeit genannt.
>a8 Prinzip der Wahrhaftigkeit in diesem Sinne ist, wie ich behaupte,
er Schlüssel für das ethische Denken der Menschheit, und alle sittlicnen
'orderungen gehen, wie S 39 ff nachgewiesen wird, im letzten Grunde
of die Forderung der Wahrhaftigkeit zurück, welche mit dem innersten
Vesen des Menschen in so enger Verbindung steht, dass selbst innerhalb
iner Bäuberbande die Grundf orderung der Wahrhaftigkeit und Zuver-
lasigkeit als Massstab für die sittliche Beurteilung zurückbleibt
Dass diese Auffassung des Wesens der Sittlichkeit richtig ist bewährt
ich auch darin, dass durch sie ohne weiteres verständlich wird, woher
■• Bewusstsein der sittlichen Verpflichtung kommt. An der geistigen
femeinschaft und also auch an der allgemeinen Beobachtung der Gesetze
er geistigen Gemeinschaft hat der Mensch als Vernunftwesen ein unaos-
Urbares uiteresse (S. 48 ff.), schon deswe^n, weil die Entwickelang und
letld^anç dessen, was man Persönlichkeit nennt, darauf angewiesen ist.
Moweit ist das moralische Sollen in der Tat, wie Kant behauptet, im
^mnde ein Wollen. Als Vernunftwesen wollen wir die Herrscnaft der
feaetze der geistigen Gemeinschaft und würden tie, wenn wir bloss Ver-
imftwesen wären, auch unverbrüchlich halten, schon deswegen, weU ihre
^obachtung den normalen Funktionen unserer Vernunft entspricht
\. 44 ff.). Dass wir von der an sich für uns natürlichen und selbstver-
ftndlichen Bahn der Wahrhaftigkeit abweichen, dafür liegen die Gründe
I der sinnlichen Seite unseres Wesens, deren Interessen durch die Wahr-
ifügkeit nicht immer gedient ist. Daher entsteht dann eine Spannung
imehen onseren Interessen als Vernunftwesen und unseren Interessan
m Sinnenweaen, und das moralische Wollen verwandelt sich für den
[coaehen als Sinnenwesen in ein moralisches Sollen.
Die Wahrhaftigkeit als Prinzip der Sittlichkeit naeh
berzengang die einzig mögliche Konsequenz auch der aj
Micn Dies habe ich in einer Kritik des Kantischen
id aeiner Begründung nachgewiesen (S. i— 88). Dort i
irnnd angegeben, welcher nach meiner Meinung Kant i i
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Dueh die von mir vertretene Auffassonf des W«
Bt erfahren anch die weiteren ethischen Potittonen Kanui,
103 SelbstAiizeigen (EOnig— Gonmd).
seine Freiheitslehre und die Lehre vom höchsten Gut, eine bessere Fonda-
mentierunff. Dies wird im 4. und 5, Abschnitt meiner Abhandlung aus-
geführt Daraus leite ich das Recht her, diese als einen Entwurf eu
einem Neubau der Ethik Kants zu bezeichnen.
Münster L W. Wilhelm Koppelmann.
feönigy JB. Kant und die Naturwissenschaft. Heft 23 von
-die Wissenschaft". Sammlung naturwissenschaftlicher und mathematischer
Monographien. Braunschweig 1907.
Die Schrift ist aus der Absicht hervorgegangeUi das erfreulicher-
weise sidi redende Interesse der Naturforscher rar Kant zu steigern und
zu verallgemeinem. Sie zerfällt in einen mehr historischen und einen
mehr svstematischen Teil. In dem ersteren giebt der Verf. einen Ob^
blick Über die eigenen Arbeiten Kants auf naturwissenschaftlichem Ge-
biete, er geht den Anregungen nach, die er als Philosoph von der Nation
Wissenschaft seiner Zeit empfangen, und den Einwirkungen, die er seine^
seits auf die Naturforscher des 19. Jahrhunderts geübt hat. Der zweite
Teil bietet eine Skizze der kritischen Erkenntni^eorie und beleuchtet
vom Standpunkte derselben die EUtuptprobleme der Naturphilosophie anter
Bezugnahme auf die anderweiten Lösun^versuche, die in der Gegenwart
hervorgetreten sind. Polemisch wendet sich der Verf. haupteftchlich gecen
den empiristischen Phftnomenalismus, der augenblicklich neben dem Iri-
tischen Idealismus die einflussreichste erkenntnistheoretische Richtung
darstellt
Sondershausen. Dr. E. König.
Conrad, Otto, Dr. Die Ethik Wilhelm Wundts in ihrem
Verhältnis zum Eudämonismus. Halle a. S., C. A. Kaemmerer
éb Co., 1906.
Die vorliegende Schrift beschäftigt sich mit einer üntersochnng
der Ethik Wilheun Wundts, und zwar von einem bestimmten Oesichtt-
punkte aus. Die Frage nach dem Verhältnis von Sittlicheit und Giflck-
seligkeit ist eine der wichtigsten in der modernen Ethik tlberhaupt, nnd
bei Wundt tritt sie ganz besonders hervor. Denn neben der Zorfl^-
weisung des IndividuaBsmus bildet die Bekämpfung des Utilitarismus, vor
allem m der Gestalt der englischen Wohlfahrtsmoral, ein Hauptziel dei
Philosophen. Für das Verständnis seines ethischen Systems ist me Unte^
suchuüg des Verhältnisses Wundts zum Eudtoionismus nfltelich und not-
wendig.
Die Arbeit behandelt nacheinander: Inhalt und Grundprinzipien der
Wundtschen Ethik ; Wundts Anschauung über Begriff und Geschichte des
Eudämonismus ; die Widerlegung der eudämonistischen Moralsysteme; den
Begriff der Glückseligkeit bei Wundt. Der letzte Teil briufi^ das Besoltai
Wundt unterscheidet die Lust als Motiv und Zweck des sittlichen üandeh».
Dass das Gute mit Lust getan werden müsse, ist ihm im Gegensats m
Kant ein unbestreitbarer Grundsatz. Der subjektiv-formale Eudämomsmni
wird also von ihm anerkannt, der objektiv-materiale dagegen aufs schärfste
verurteilt. Seine Ethik bewegt sich hier im strengsten Gegensätze nr
englischen Wohlfahrtsmoral, die das Gesamtwohl als letzten Zweek dei
sittlichen Handelns betrachtet. An Stelle dieser subjektiven Zwecke setzt
Wundt den Betriff der obi'ektiven Werte. Feilich muss Wundt dodi
wider seinen Willen dem objektiv-materialen Eudämonismus Zugeständ-
nisse machen, welche zei^n, dass selbst von dem antiutilitaristischeB
Standpunkt aus der Begriff des Eudämonismus in materialer Hinsicht
nicht zu entbehren ist.
Die Schrift ist von Wundt selbst als „gründliche, verstftndnisvoBa
Arbeit** beurteilt worden.
Zehlendorf-Berlin. O. Conrad,
Selbetftnseigeii (Àntomade). 168
Antoniade, C, Dr. phil. Ilaziunea Realitta.^) GM. Bukarest,
1907. (Mb S.)
Üie Arbeit bietet eine Untersacbung des gesamten Gebietes unseres
Erkennens vom erkennt nistheoretischen Standpunkte, und versucht es, den
Charakter und d^n Wert von dessen Formen zu erklären. Die Erkennt-
niafahigkeit verwirklicht sich in drei über einander gereihten Erkenntnis-
stafen. Die erste Stufe ist die der gemeinen VorsteUnng, fOr die die
äussere Welt das System unserer objektivierten Empfindungen darstellt
ond eine objektive Wirklichkeit besitzt, die von der Erkenntnis unab«
hftngig ist. Dies ist die Stufe des naiven Realismus der gemeinen
Vorstellung. Über derselben erscheint die wissenschaftliche Erkenntnis, ctie
Weltauffassung der Physik (im weitesten Sinne des Wortes). Diese
Natarwissenschaft betrachtet die objektive Welt nicht mehr als mit
unseren Empfindungen identisch, sondern sie führt sie auf eine Reihe
auantitativer Beziehungen zwischen den Erscheinungen zurück und ai:^
eren Grund wird die mechanistische Weltanschauung aufgestellt.
Zwischen dieser Stufe der Erkenntnis und der vorigen ist eine fundamen-
tale Ähnlichkeit vorhanden: beide g^lauben, ohne voranaehende Kritik,
an die absolute Wirklichkeit des Objektes, das für die Physik ein not-
wendiges Postulat ist. Die Erkenntnis der physikalischen Wissenschaft ist
also ebenfalls ein Realismus, allein dieser Realismus ist nur eine Forderung,
die die Wissenschaft ermöglichen soll. Die letzten Begriffe der Physä
können keinen ontologischen Wert haben: Kraft und Stoff "^ind keine ob-
jektiven Wirklichkeiten, sondern Begriffe, die von verschiedenen Daten
der Sinne nach Analog[ie mit den entsprechenden Begriffen der Mechanik
zustande gekommen sind. Auf ihren Ursprung hin, in den Gleichungen
der Dynamik, sind sie nur gewisse Funktionen. Hier erörtert der Ver-
fasser die traditionellen atomistisch-mechanistischen und die neueren
energetischen Theorien, die er vom Standpunkte ihres Wertes für die Er-
kenntnistheorie beurteilt. — Die dritte Erkenntnisstufe, die philosophische
Auffassung über das Dasein, ist eine Verneinung sowohl der von der ge-
meinen Vorstellung wie von der physikalischen Wissenschaft eingenom-
menen Stellung. „Die philosophische Spekulation verneint von Anfang
an die sinnliche Wirklicnkeit und erkennt eine unbedinffte Natur der
Dinge, zu deren Erkenntnis sie glaubt gelangen zu können.^ Die Kritik
der reinen Vernunft aber verneint mit aller Bestimmtheit die Möglichkeit,
die unbedingte Natur der Dinge zu erkennen. Fast möchte es scheinen,
dass der metaphysische Realismus end^tig von Kant begraben worden
sei, allein die zweifelhafte Art, wie dieser die Existenz des Dinges an
sich hingestellt, bedingt den Realismus, denn an vielen Stellen des Werkes
Kants ist das Ding an sich nicht nur ein Grenzbegriff, sondern es gilt im
positiven Sinne als Substrat und Ursache der Erscneinungswelt. Der Ver-
fasser untersucht femer die nach dem Kantianismus aufgestellten Systeme
und zeigt, dass im absoluten Idealismus Fichtes und Hegels, in der Lehre
▼om Ding an sich als Wille bei Schopenhauer, im Agnostidsmus Spencers
und in der positiven Philosophie Comtes die „realistische Illusion^ eben-
falls mit einbegriffen ist, der Glaube an ein unbedingtes, unabhängiges
Dasein von der Erkenntnis. „Unsere Erkenntnis ist auf diese Illusion oe-
crflndet und unsere gesamte Erfahrung ist die G^estaltung einer Täuschung,
denn während die Spontaneität unseres Verstandes uns alle Gtogenstänoe
als unbedingt darstellt, will die spätere Reflexion nirgends etwas durch
seine Natur unbedingtes anerkennen.'*
Wie erklärt sich diese realistische Illusion ? In welchem Sinne kann
ohne Widerspruch das Problem des Realen glöst werden? Der Verfasser
glaubt, dass „der lebendiare Grundsatz des Kantischen Kritizismus in sich
Sie Möglichkeit enthält, oiesem Problem eine widerspruchslose Lösung zu
Ssben**. Der dritte Abschnitt der Arbeit enthält eine Untersuchung über
e Natur der Erkenntnis. Das Ergebnis dieser Unterrachung St die
*) Die realistiBche Illusion.
164 Selbfltanzeigen (Biermann).
Onterscheidung innerhalb der Vorstellung (der Ausdruck wird hier im
weitesten Sinne als Erkenntniszustand gebraucht) eines Aktes und eines
Inhalts, eine Unterscheidung, die jener zwischen Subjekt und Objekt
gleich ist, nur dass nichts von einer Exterioritat oder eines unabhftngigen
Dasein der objektiven Welt oder der Einheit unseres Ichs vorausgesetzt
wird. Die beiden Ausdrücke Akt-Inhalt sind wechselbeziehend innerhalb
der gleichen Wirklichkeit, der VorsteUung, und können nicht als von
einander verschieden und getrennt gültig angesehen werden, denn ne
beziehen sich gegenseitig ein. Diese oeiden Ausdrücke, obwohl en^ ver-
bunden, bieten einen Charakter, der uns den Schlüssel der realistuchen
Illusion der Erkenntnis liefert In der Einheit der psychischen Tatsache,
stellt sich der Inhalt stets als verschieden von dem Aicte der Erkenntnis
dar, als das Zeichen einer von dieser verschiedenen Wirklichkeit. Die
Feststellung dieser universalen Tatsache, die ein Gesetz unserer Intelligenz
ist, zeigt uns, warum „die Vorstellung nichts von dem sei, das sie yo^
stelle*', weshalb sich ihr Inhalt uns mit dem objektiven und onbediogten
Charakter der äusseren Welt darstellt, warum unsere gesuamte mannigfache
Erkenntnis uns als substanzialistischer Realismus ers^eint, warum selbst
„die Geschichte der Philosophie eine Geschichte der Substanz genannt
werden kann^. ~ Dieses Gesetz veranlasst uns also, die Wirklichkeit des
Unbedingten, die überall von unserer Erkenntnis bezeugt wird, als eine
Denknotwendigkeit anzusehen, der keine von der Erkenntnis verschiedene
Wirklichkeit entspricht. Diese in der Erkenntnistheorie eingenommene
Stellung drängt einen Schluss auch in der Theorie des Daseins auf, und
zwar die Abweisung des Dinges an sich, der Substanz, des unerkennbaren
Unbedingten, als positives Dasein und Substrat des plùbiomenalen Daseins.
Bukarest. Dr. C. Antoniade.
Biermann, W, Ed.,Dr. Die Weltanschauung des Marxismns
an der materialistischen Geschichtsauffassung und an der Mehrwertlehre
erörtert. Leipzig, Roth & Schunke, 1908. (83 S.)
Anfang Oktober 1907 wurde in der Universität Leipzig auf Binladnng
der Sächsischen „Evangelisch-Sozialen Vereinigung*^ ein y^scMdaler Leh^
kursus" abgehalten, an dem ein Historiker, ein Philosoph und ein National-
ökonom (der Unterzeichnete) teilnahmen. Die bei dieser Gelegenheit vo^
^tragenen Ausführungen über „die Weltanschauung des Marxismus^ habe
ich in dem obenstehenden Schriftchen niedergele^ Sie versuchen, den
Materialismus (im philos.-metaphysischen und im ökonomischen Sänne)
als die Weltanschauung von Marx und Engel nachzuweisen, und zwar an
der materialistischen Geschichtsauffassung und an der Mehrwertlehre,
„den beiden grossen Entdeckungen von Marx^. Die materialistische Ge-
schichtsauffassung wird auf ihre Belege, ihren Namen, ihre Vorsänger,
endlich auf ihre philosophischen Voraussetzungen (naiver Ideal-Bedismos,
roher Empirismus und metaphysischer Materiiüismus) geprüft. Die Mehr-
wertlehre wird im engen Anschluss an Bd. I und Bd. Ul des „Kapital"
erörtert, und ihre Unhaltbarkeit als Preis- und als Ausbeutni^^eorie
dargetan.
Die Schrift steht unter dem Zeichen Kants. Er wird als Kron-
zeuge gegen reinen Empirismus und Materialismus aufgerufen. „Kant
contra Marx", so muss oie Losung heissen! In diesen Btä klingt das
Büchlein aus, das sich bemüht, in dem Rahmen eines reichen Anmerkungen-
apparates die sozialphilosophische Litteratur über den Marxismus, über
das Verhältnis von Causa und Telos in den Sozialwissenschaften, über das
Problem „Natur und Geschichte" (Windelband) und anderes mehr kritiaeh
zusammenzustellen.
Leipzig. W. Ed. Biermann.
Engel, Bernhard Carl. Schiller als Denker. Prolegomena n
Schillers philosophischen Schriften. Berlin, Weidmannsche Buchbandlong,
1908. (Vin und 182 S.)
Selbstanseigen (Engel). 166
Eine zusammenfassende Würdigung der philosophischen Lebensarbeit
Schillers ist hier von wesentlich systematischen Gesichtspunkten aus ver-
sucht worden. Schillers Ausgangs- und ständiger Orientierungspunkt ist
Kant. Dieser bestimmt die Kategorien von Schillers Denken und über-
liefert ihm die zentrale Idee, die der Freiheit. Aber das Verhältnis der
reinen praktischen Vernunft zu Natur und Geschichte wird unter Schillers
Händen ein anderes: Schiller geht von einem symbolischen Gebrauch der
reinen Vernunft zu einem schematischen über. So wird eine geschichts-
l^osoçhische Fundierun^ der Ästhetik möfi[lich und die transscendentale
i)ednktion einer „ästhetischen Kultur" wird der Hauptinhalt derselben.
Die Begriffe „Freiheit in der Erscheinung", „Spieltrieb", ästhetischer
Mittelzustand" sind aus dieser Erweiterung der Idee der praktischen Ver-
nunft entstanden und weisen zugleich auf die ursprüngliche aristotelisch-
leibnizische Richtune seines Denkens zurück. Die in der Schillerschen
Auffassung des Verhutnisses von Form und Inhalt, Innerem und Äusserem,
ESndlichem und Unendlichem, Freiheit und Notwendigkeit sich ausprä^nde
Geisteebestimmtheit bezeichnet Verf. als das „konkrete Gesetz des Geistes".
Der Boden, auf dem Schiller die genannten Gegensätze zu vereiniijfen
socht, ist das Triebleben des Menschen (im Fichteschen Sinne), das Mittel
der Vereinigung die Dialektik. Die Einheitsfuuktion, die er findet, ist
aber keine walu«. Sie ist entweder der ihm von Fichte überlieferte Be-
griff der Wechselwirkung, in dem die Gegensätze nicht aufgehoben
werden, sondern bestehen bleiben, oder der der Indifferenz zwischen
Sinnlichem und Geistigem, wie er dem Idealtypus der schönen Seele zu
Grunde liegt. So fruchtbar die letztere Formulierung durch ihre syste-
matische Ausbildung bei Schelling wird, als Ganzes unterliegt die Anf-
fasaung, als sei das Ideal der blosse neutrale Schauplatz eines (ausbleichen-
den) Tuns, nicht aber selber ein Tun, Denken und Wollen, allen Ein-
wendungen, die Hegel im Sinne leerer Abstraktion und eines weltfremden
Formalismus dagegen erhoben hat. Gleichwohl sind, wie Verf. nachzu-
weisen sucht, auch direkte Übergänge zu Hegel in Schillers Gedankenwelt
vorhanden, sowohl in der Auffaœung der Natur wie der Geschichte. Ins-
besondere werden die Fäden, die von Kants G^schichtsphilosophie über
Schiller zu Hearel hinüberleiten, dargelegt
Die transscendentale Deduktion der ästhetischen Kultur bildet sonach
den ersten Hauptteil des Inlialts. Er gliedert sich in die drei oben an-
eedeuteten Abschnitte (IVeiheit in der E»cheinung, Spieltrieb, ästhetischer
Mittelzustand), zu denen noch die Deduktion des Erhabenen hinzukommt.
Der zweite Hauptteil behandelt zunächst unter dem Titel „Die ästhetische
Kultur als System der Künste^ die schöne Kunst, den Ktlnstler, Realismus
und Idealismus. In dem Kapitel über den Künstler wird der Versuch
einer vergleichenden Würdigung von Goethes und Schillers künstlerischer
Art, ihres Schönheitsbefirriffe, i&es Verhältnisses zur Kunst erneuert Es
fol^n sodann noch Abschnitte über „die ästhetische Kultur und die G^
aehichte", über „die ästhetische Religion" und ein Schlnsskapitel „Von
Schiller zu Schelling und Hegel".
Ein Register erleichtert die Übersicht über die historische Auf«
faaaonff der in Betracht kommenden Philosophen und ihrer Systeme.
Berlin. Bernhard Carl BngeL
Mitteilungen.
Die neue Kantbfiste von Professor Janensch.
Wiederum sind wir in der angenehmen Lage, dem 1. Heft des neuen
Bandes einen wertvollen bildnerischen Schmuck mitzugeben, Diesmal ist
166
66 Jedoch nicht ein ne« tmigeimmàtmm ihmJttÊà, êÊm mir m Beprodaktion
darbieten, sondern die Wiedergabe ôbs iurfiiwi Werkes, aber eines
modernen Werkes, das jedem der n^aäeoieA ^iâcteâdiren plastischen
Darstelluniten Kante an Koastwcit mrâftntena ^fcichmkf, die meisten aber
übem^rt und keinem aa Ähalickkcia macktfBefec. Ekm Ksnstwerk ist von
dem Unterzeichneten schon in BednB üvKeoHmL tLJmkr^^ Heft 18 vom
SO. Janaar 1908, jedoch in kleiiier KfJiliMaa^g, ylliiinl worden Aach
n der hier zuerst wiedergeirdwaeB ^rtleatna yadUbûdmB^ paast jedoch
der Text, mit dem ich die Publikatâoa im ^übwiibb'*' begleitet hsbe,
den ieh daher mit gfitigper Erlanbma >o» Henm FIl Bedna, Danermitgüed
der Kant^eaellschaft, mit geringen Ändenmgem kier wieder abdmcke :
Um Kants Philosophie, wekbe mit dem Jahre 1781 ans Licht gt-
treten ist. streiten sich seit dieser Zeit die Gelekrtes in aDer Welt; nm
Kants Grab, das sich im Jahre 1804 fiber ihm ^eaeUossen bat, streiten sich
gsfide jetxt die Parteien in Köni^nberg: die einen woQen doi Pbüoeophen
mhen lassen in seiner Qrabkapelle an der Anaaenaeite des Königsberger
Doms« die anderen wollen Kante Gebeine in das Innere der Kirche yer-
bringen« So mag gerade in diesem Angeabiîek eine nene Bfiste Kanti
dae allgemeine Intereseie erregen, welche, zum TeA nacb der fiber Kanti
Grmb angebrachten Schadowscnen Bfiste bearbeüet» der Meisterhand oder
Ttelmebr dem Meisterauge von Gerhard Janenscb ihre &itstehnng ye^
daakts Janeasoh hat diese auf private Bestdlnag (seitens der Fran Pro-
fe«Kvr V» Lippmann in Halle a. S. als Gteschenk ffir ikraa Gatten, den be-
kaaaten uaa verdienten Naturforscher, Mitglied der Kantgesellscbaft)
gearbeilele Bfiste mit dem divinatorischen Bliä des eckten Kfinstlers ge-
scbaff^n: Schadows und Rauchs Bildwerke dienten ikm wohl als Vorbilder,
^b6>r tr bat ee veratanden, den dem Kenner anch nock ans anderen ori-
ginale« Abbildungen vertrauten Zfigen des „Alten Yon Königsberg^ nenen,
»igtntrtiirtp Reis in verleihen. Dies ist dem KfinsUer besmiders dadnreh
Mhing«n» dass er wagte, was Schadow bei einer sonst nackten Bfiste nicht
^nut^n SU können «aubte: Janensch hat dem Pkilosopken seine ffir ihn
«nX (Hr seine Zeit charakteristische Perficke gegeben: gerade dadnreh be-
1^1^^^^ ^1^ Bfiate den Wert eines historischen Dokuments, den es als
aiatbgasckaftrnr' Werk aus unseren Tagen nicht haben könnte. Und weit
ettll^fnk da»» diese sonst uns leicht etwas Iftcheriich erscheinende Perücke
^lünnd odrr hembstimmend wirkte — im Gegenteil, serade dadnreh wird
S* tT>gt»m»in v«ratandesklare Gesicht um so mehr gtmoben.
{% nngekeure Geistesschärfe des Philosophen ist wchl nock nie so
MlkeirttT i^lr\^ft^n worden, als in diesem Meisterwerke.
Milita aic^ ài% KöniMoerger um Kants Grab streiten: uns ,,dranssen
im IfcMrkF aiM) allen «InteUektuellen^ draussen in der Welt ist es nm den
Stf^iHgt» Kaa^ *u tun, den uns unser Kfinstler auch als Lebende hin-
jUban vitl« Kanalwerke sind dem Meister gelungen. In seinem 2S.
wv-^ 1^ ^ .^ (\Nnmeni 1860 geborene) junge Ktlnstler mit einer aka-
JaMLSiik fj^rm^»«^ ^Bâchant mit Panthern*' an die Offentuohkeit In
MtiMNitKrfiM^vurde er bekannt durch folgende Werke: Statue des
SasaiVel«^ v^^^^ ^^^^^^ Museum in Berlin), Bngenhagen-Denkmal in
J^citaaYfM. iUuMKlVukmal in Berlin, femer besonders das bekannte
^'Y^Ij'aL Kurt^nuaen Friedrich Wilhekn (der Grosse Kurffirst in der
^LtaaTiirt «iN>Mi Huud in Kfistrin und in Berlin u. s. w. Eine der besten
""^Cian JNa KUiMitl«^ ist jedenfalls unsere Kantbfiste; mit wunderbarer
^•^'^^^ ""1^, a. ^ l^»%.«k»A^ nne ana îlir Hoia DAtilrAraviflifv ^Qg ^nrOSSen
kairvT^ il tarl*""^-^ leuchtet uns aus ihr das Denkerantlitz des grossen
MitteUiuigen. 167
Der Kampf um Kants Grab in KSnigsberg.
Wie wir schon Bd XII, Heft 2, S. 264 vorläufig gemeldet haben, soll
die Orabstatte Kants aus ihrem bisherigen Raam, der ehemaligen 8toa
Eantiana an der Nordseite des Eönigsberger Domes, in das binere dieser
Kirche verlegt werden. Zur Orientierung fiber diese allgemein inter-
essierende Frage bringen wir zunächst einenmstorisch-refeiierenden Artikel
▼on Professor Dr. Paul Stettiner in Königsberg aus der „Königsberger
Hartungschen Zeitung** vom 22. April 1898 mit gütiger Erlaubnis des
Autors und der Redaktion zum Wiederabdruck, um daran als zweites
Aktenstück den Antrag des Königsberger Magistrats an die dortige
Stadtverordneten- Versammlung anzuschliessen, betreffend die Zu^timmniig
der Letzteren zu jener Verlegung.
Die Stoa Kantfana in Königaberg.
Von Paul Stettiner.
Vielen Königsbergem ist die Stoa Kantiana bereits aus dem G^
dftchtnis entschwunden und von den jüngeren mag wohl hier und da
mancher dabei die Vorstellung sich bilden, dass Kant wie die Philo9ophen
des Altertums wandelnd in einer Halle den Schülern seine Lehre über-
mittelt habe Die Stoa Kantiana hat in Wirklichkeit dem liebenden
nicbts bedeutet und für den Toten ist sie nur fanz kurze Zeit eine Ruhe-
stätte gewesen. Eine Reihe von Schülern und Verehrern Kants brachte
Im Jahre 1809 durch Sammlung und eigene Beitrftge die Mittel auf, qm
aus dem an der Nordseite des Domes angebauten Gewölbe eine Halle mit
offenen Arkaden zu machen, die einen Spaziergang für die Studenten
bieten sollte. Durch ein Gitter trennte man die Graostfttte Kants ab und
gestaltete diese zu einer Kapelle. Jn sie brachte man die zu Lebzeiten
ante modellierte und in Marmor gefertigte Büste Kants, die von
einem Schüler Schadows, Ha^mann,^) hergcStellt, bereits 1804 im alten
Auditorium maximum der Universit&t aufgestellt war. Von aussen trog
die Halle die Inschrift: Stoa Kantiana, von innen das von dem ftltesten
fVeunde Kants, dem Kriegsrat Scheffner, unter der bessernden Band
des Staatsrat Süvem abgefasste Distichon:
Hier, von den Geistern umschwebt, ehrwürdiger Lehrer der Vorveit,
Sinne, dass, Jüngling, auch dich rühme noch spAtes Geschlecht.
Am 22. April 1810, dem Geburtstage des Grossen, begaben sich die
Urheber des Denkmals, die Lehrer und Studenten der Albertina, in d#ron
Bftnmen Herbart die Festrede gehalten, nach der Halle, und nach fdufr
ernsten Musik vollzog Scheffner, der greise Veteran aus dem sieben*
jAhrigen Krie^, die Weihe: ^war sorgen £[rosse M&nner selbst )ün-
reichend für ihr Ilnvergeadicholeiben im Geiste der Nachwelt dorth
Schriften und Taten; da wir aber insgesamt zu sehr an das Sinnliche ge-
wöhnt sind, so wäre es unbillig, das Erleichtem solcher Erinnerang dum
das Errichten sichtbarer Denkmftler nicht eingestehen oder es (& ttbf(r-
flflssig erklären zu wollen.^ Die „Hartungsche ZSeitung^ sehrieb zu diesem
Ta^e (22. April 1810): „Das sind flache Völker, die von hervorragenden
schöpferischen Männern aus ihrer Mitte keinen Eindruck bewahrea, keine
Tage frommer Rührung und gemeinschaftlicher Erhebung begebsBt Die
Bewohner Königsbergs sind frei von diesem Vorwurfe.*^ Scheitner selbst,
dem die Anregung und Ausführung des Gkuizen wesentlich vfidsokt
wurde, fürchtete den Vorwurf der Eitelkeit und erinnerte an dM WitiE-
wort Mirabeaus gegen einen ungefährlichen G^egner: Es schiene ihm, eis
1) Sie befindet sich Jetzt im Senatszimmer der neuen Univenität.
Die meisten Handbücher über Königsberg nennen sie infolge eines schon
in die ältesten Akten eingeschlichenen Irrtums ein Werk Sehadows, der
weder das Modell noch die Ausführung[ in Marmor gefertigt hat H. ist
ein Schüler des Meisters, der sehr jung in Italien (18Û5) geworben ist
168 Httteilongeii.
ob sein kleiner Widersacher zu ihm spräche: yfienàem moi un peu ridicule,
Soor que le profite de votre immortalité.^ In Wirklichkeit hätte für
cheffner, von dessen Dasein noch manches schöne Denkmal übrig ge-
blieben ist, Goethes Wort gelten sollen : ,,Solche Männer haben den Vor-
zug, doppelte Wohltäter zu sein, einmal für die Gegenwart, die sie be-
glücken, und sodann für die Zukunft, deren Gefühl und Mut sie nähien
und aufrecht erhalten.^
Allein in diesem Falle ist der Nachwelt durch eigene Schuld bald
die Freude an diesem Denkmale veidorben, das man wie ein Palladium
der Stadtehre hätte hüten und bewahren sollen. Im Jahre 1812 diente die
Stoa als Wagenremise für die Franzosen bei ihrem Aufenthalte auf dem
Durchmarsche nach Russland. Schon im Jahre 1816 war eine Beparatnr
des Daches notwendig, und bald darauf entfernte man die Büste aus der
Kapelle, weil sie do^ nicht genügenden Schutz fand. Im Jahre 1825 be-
richtet der Kurator der Universität, dass sich die Halle und Kapelle in
einem gräulichen Zustande des Schmutzes befänden ; es müsse auffall^,
wie wenig die Asche jenes Mannes und der vielen würdigen Lehrer, die
daselbst rahen, geachtet werde. Dann trat, wie es scheint, eine vorüber-
gehende Besserung ein. Wenigstens sagt Rosenkranz in seinen Skizzes
um das Jahr 1840: „Kants Gebeine ruhen gegenwärtig^ im Albertinum.^
£in offener Q&ng an der Seite des Domes endigt mit einem Gewölbe,
worin der Sarg oeigesetzt ist. Bei Regenwetter geht man auf seinen
Steinhallen spazieren. Die Kuchenmarketenderinnen der Studenten haboi
hier ihren Lieblingsplatz. £s ist schön, dass Kant an den Aussenwerken
der Kirche in einer offenen Halle, in welche die Linden sommerlich ihren
Duft hineinstreuen, wie ein König allein ruhet. Er lässt hier die akade-
mische Jugend nicht ohne Erinnerung an sich. Er zwingt sie, ihn nicht
zu vergessen.**
Marktfrauen und mutwillige Musensöhne pflegen aber der Eîrhaltiuig
und Reinlichkeit solcher Hallen nicht immer die notwendige ^cksicht
und Beachtung zu widmen. So schloss man bald die Halle durch einen
Lattenzaun. Diese Missstände, wie der Wunsch, dem Philosophen ein
allen sichtbares Denkmal zu errichten, das man damals für den Phikh
sophendamm gegenüber dem eben im Jahre 1863 eröffneten Ostbahnhof
plante, erklären eine völlige Wandelung in den Ansdiauungen von Rosen-
kranz. So lesen sich Rosenkranz' Wone von ganz anderer Auffassung in
einem etwas befremdenden Gegensätze zu den früher angeführten Lob-
Sprüchen über dieselbe Stätte: ^ einer der Domkirche angebauten Halle,
em ehemaligen Professorengewölbe, erblickt man am Ende des ver-
schlossenen Ganges ein schwarzes Gitter, hinter demselben einen
dunkeln, feuchten, spinnenumkleideten Raum. In der Mitte dieses Ranmee
einen unansehnlichen, grauen Marmorstein. Das ist das Grabdenkmal
Kants. Er, der Mann der Aufklärung, ruht hier in echt humoristischem
Gegensatz an einem düsteren Ort, er der Mann des gemeinnützen Wirk^is
hinter einem Lattenverschlage, der eher einen Gefangenen, als die Reste
des christlichen Sokrates bergen soUte.^ Noch unwürdiger wurde der Zustand,
als man das Gebäude der alten Universität im Jahre 1862 verliess und snm
Neubau des Kneiphöfechen Gymnasiums schritt. Rosenkranz erhielt von dem
dort wohnenden Oberlehrer Gasteil genauere Mitteilungen. Man benutite
die Halle zum Kalklöschen und anderen für den Bau notwendigen Vorbe-
reitungen. Der Lattenverschla^ und das Schloss wurden erbn^en. AU-
nächthch zogen sich verdächtige Gestalten in den dunklen Raum zurück
und feierten über dem Grabe Kants Orgien, die bisweilen selbst zu Ve^
haftnngen führten. gWenn jetzt — sagt Rosenkranz in einem Berichte
an den Senat — ein Fremder Kants, des grössten Mannes, den Königsbeig
hervorgebracht hat, Grab besucht, was würde er über den Zustand sagen,
^) Das Albertinum ist das unmittelbar an die Nordseite des Domes
anstossende alte Universitätsgebäude, zwischen welchem und dem Dom
eben die Stoa Kantiana sich befindet.
MitteUangen. 169
worin er es findet.^ Eine wesentliche Änderung trat nicht ein. Im Jahre
1869 besuchte der amerikanische Gesandte und Historiker Bran er oft
onsem Ort, um Kants Grab und Wohnhaus zu besichtigen. Es scheint,
als ob man jetzt endlich das Gefühl der Scham über diese Pietätlosigkeit
empfand. Denn bald darauf, am 22. April des Jahres 1870, wurde von der
Kantgesellschaft die Bildung eines Komités zur würdigen Herstellung
der Graft und Kapelle in Aussicht genommen. Es bildete sich dann ein
Komité aus Männern aller Stande und Berufsarten. Es vergingen aber
noch 11 Jahre, bis man die Ehrenschuld den Manen Kants löste und die
•ehliehte, aber würdige Grabkapelle über der neu gemauerten Gruft am
9. Jani 1881 der Stadt übergeben konnte. Die Büste Kants durch Sieme-
Tiiiff, nach der älteren von Hafiremann geschaffen sowie eine Kopie von
Baiiielg Schule von Athen, die Neide ausgeführt hat, dienen dem pietät-
vollen Pilger als liebevolle Weisung über den Zweck dieser Stätte, die
al^fthrlich am 22. April allen zugänglich ist.^)
Den Manen aes Toten war nun auch der fassliche Ausdruck der
Yerehrung gezollt. Nur die Stoa selbst blieb in ihrem unerfreulichen Zu-
stande, an dem niemand mehr Anteil zu nehmen schien. Man schlug be-
reits im Jahre 1881 ihren Abbruch vor, aber das Ministerium erlaubte
nicht die Beseitigung des Denkmals, vermutlirh weil es seine Bedeutung
flberschätzte. Zur Zeit des Universitätsjubiläums (1894) entzog man die
Halle den Augen durch einen Bretterzaun, der sie noch jetzt von der Seite
deckt. Nach längeren Verhandlungen hat man endlich im letzten Winter
n997|8] die Erlaubnis zur Beseitigung des Baues erhalten, der seit Jahren
durch sein immer weiter und weiter vom Wind und Regen abgedecktes
Dach einen peinlichen Eindruck neben der Grabstätte Kants macht. Nie-
mand wird gegen die Beseitigung des Trümmerhaufens ernsten Wider-
qimch erheben wollen. Wohl aber verdient diese Stätte eine Erinnerung
an die Toten, die einst hier vom Kampfe ausnihten. Seit dem Jahre 1587
war me die Gruft der Professoren, die ein Lehrer der Albertina begründet
hatte. Im Jahre 1806 ist der letzte dort zur Ruhe gebettet. Wie der
Baum über der Krypta Academica schon im achtzehnten Jahrhundert bis
sum nachdrücklichen Verbote Friedrich Wilhelms I. zur Aufbewahrung
▼on Yiehfutter diente, war er bereits im Jahre 1808 wieder, bevor die
Stoa ffebaut wurde, zum Schaf- und Schweinestall herabgewürdigt. Mag
nunmenr der hässliche Bau fallen, um nicht wieder ähnlichen Zufällen
ausgesetzt zu sein, aber den vielen Kämpfern, denen er zur letzten Ruhe
gewidmet wurde, den Männern, die von ihren Jüngern und Mitbürgern
▼erehrt wurden, gebührt auch ein Erinnerun^smal, mag^ es noch so be-
sdieiden sein. Gewiss erscheint vom Ausblick auf die Ewigkeit es hin-
reiehend, dem Heros ein Denkmal gesetzt zu haben. Doch „es erzeugt
nicht gleich ein Haus den Halbgott.^ Ohne Überschätzung der meist ver-
sehoUraen Namen jener Lehrer der Wissenschaft hat ein dem Verdacht
des engbegrenzten Patriotismus nicht ausgesetzter Philosoph,
wie Benno Erdmann, ein warmes Wort für das geistige Leben Königs-
borgs zur Zeit der Jugend Kants gesprochen. Neben den Lehrern Kants
kat hier die Asche Simon Dachs geruht, dessen Werke erst süddeutsche
Litterarhistoriker mît genügender ^rgfalt hervorgesucht haben. Nur das
Medaillon Dachs hoch am First der Universität erinnert hier an den
SÊngtr des Volksliedes vom Annchen von Tharau, wie des Preisliedes der
F^reondschaft „Der Mensch hat nichts so eigen u. s. w.^. So mag denn das alte
^) Die Besichtigung kann auch nach Meldung beim Schuldiener des
KneiphOfschen Gymnasiums täglich stattfinden. Dort erhält man auch
ein Ueines Schriftchen: Kants Grabstätte mit einer Erklärung des Bildes
und einem kurzen Berichte über die Wiederherstellung der Grabstätte.
Beide, wie die vorgedruckte Biographie Kants, sind, wie vielen unbekannt
ist, von der Meisterhand des verstorbenen Professors Witt verfasst. Das
Leben Kants ist in seiner kurzen und volkstümlichen Fassung ein Kabinett-
stftck seiner unübertrefflichen Kunst, zu erzählen.
170 MitteUtingfiiL
Gemäuer der Stoa Eantiana, des Professoren^wOlbes, fallen, aber mDr,
um einer Gedenktafel für die vielen, die hier bestattet wurden, PUti
zu schaffen Vielleicht setzt dann ehrfurchtsvoller Bürgersinn noch m
besonderes Mal dem einst von Köni^sber^em Bürgern so hoch gefeierte
und doch von schwerer Not heimgesuchten Dichter Simon Dach. Dum
wird erst volle Sühne geboten werden für das, was drei Menschenaltw in
jener Stätte gesündigt haben und was durch die Niederreiasong der SU»
Kantiana nur zum Teil getilgt werden kann.
Nachdem also schon vor nunmehr 10 Jahren das in die Stoa Ku-
tiana umgewandelte alte Gewölbe abgebrochen wurde, soll nunmehr an
bautechnischen und künstlerischen Gründen auch die seinerzeit mit der
Stoa Eantiana verbunden gewesene Grabkapelle Eanta,^) die 1881 erbist
und eingeweiht wurde, wieder abgerissen werden. Hierüber orientint
uns folgender Antrag.
Königsberg, den 3. Dezember 1907.
Urschriftlich mit Anlagen gegen gefällige Bückgabe an die
Stadtverordn ten- Versammlung
hier
mit dem Antrag:
1. sich mit dem Abbruch der an der nördlichen Seite des Dom
befindlichen Kantkapelle und mit der Verlegung der Grabstätte
Kants in den Dom grundsätzlich einverstanden zu erklären,
2. zur Durchführung des unter 1. genannten Planes einen Betnf
bis zur Höhe von etwa 60000 M. vorbehaltlich der spätm
Begelung der Deckungsfrage zur Verfügung zn stellen.
Als die Wiederherstellungsarbeiten am Dom sich ihrem Ende näheiiMi
wurde uns seitens der Königlidien Regierung der dringende Wonach g»*
äussert, die an der Nordseite des Doms befindliche Kapelle, in welehff
die Gebeine Kaats ruhen, neu zu erbauen, weil sie in ihrer jetzigen, wem|
glücklichen Gestaltung den schönen Chor des Domes in häJaslichater Wd»
entstelle und weil sie baufällig zu werden anfange und bald grOotere B^
Saraturen erfordern würde. Gleichzeitig wurde uns unter Hinweis danil^
ass eine Erneuerung der Gruft aus Ersparnissen der Dombaosnmme a
keinem Falle zu erwarten sei und wir zur Unterhaitang der Grabstätte
Kants verpflichtet seien, ein Entwurf nebst Kostenanschlag für den Net*
bau der Halle mit dem Ersuchen vorgelegt, uns darüber zu äüsseni, ob
die Stadtgemeinde geneigt und in der Lage sei, die Mittel zor AasfOhnBl
dieses Projekts zur Vemlgung zu stellen. Wir mussten zugeben, dM
die Stadt zur Unterhaltung der im Jahre 1881 aus den Ergebnissen eiDtf
Sammlung errichteten Grabkapelle verpflichtet ist. Cf. act. I Fach 74
Nr. 23 vol. 1 paç. 156. Ebenso mussten wir die baulichen Mängel sowie
die wenig befriedigenden Bauformen der GruftkapeUe and üuren u*
günstigen Anschluss an den Dom anerkennen. Deshalb erklärten wir an
vorbehaltlich der Zustimmung der Stadtverordneten- Versammlung b«reit)
die Mittel für eine würdige, .der Wiederherstellung des Domes eitp
sprechende Instandsetzung und Umgestaltung der Kanthalle in den b»
herigen Abmessungen flüssig zu madien, lehnten es aber ab, die Heigibe
städtischer Mittel für einen vollständigen Neubau nach dem uns Amt-
mittelten Entwurf zu befürworten, da derselbe als eine wirklich befriedi-
gende Lösung nicht angesehen werden konnte. Die Königliche Be«6fnf
forderte uns demzufolge auf, einen unseren Wünschen ent^redieote
Entwurf selbst anfertigen zu lassen.
^) Man nennt diese GrabkapeUe Kants, welche an die firtther fQ^
handene, ^etzt abgebrochene Stoa Èantiana anstiess, vielfach knizw^ sMr
irrigerweise selbst die Stoa Kantiana. Wie aus der obigen DaisteUiB;
hervorgeht, ist die eigentliche Stoa Kantiana aber schon 1^ abgebtoehai
worden.
Mitteüimgeii. 171
Wir konnten uns hierzu jedoch nach reiflicher Erwftgunff nicht ent-
•chliessen, grelangten vielmehr bei erneuter Beratung zu der Überzeugung,
daas durch einen Anbau an den Dom eine zufriedenstellende L(y8ung über-
luinpt nicht erzielt werden könnte. Wir empfahlen deshalb, von einem
Anbaa ganz Abstand zu nehmen, dagegen die Grabbtfttte Kants im Innern
des Domes selbst an geeijirueter Stelle in würdiger Weise unterzubringen.
Wir gingen hierbei von der Ansicht aus, dass auf diese Weise im
Inneren des erhebendsten Werkes alter Baukunst, dessen würdige Erhaltung
lllr Jahrhunderte neu gesichert ist, am besten eine würdige und vor
allem dauernde Ruhestätte für Königsbergs grössten Gelehrten ge-
•dtoffen werden könnte.
Dieser Vorschlag erhielt die Zustimmung sowohl des Gemeinde-
Kirehenrats, wie die der Königlichen Regierung. Auch die Universität,
welche gegen den Abbruch der Grabstätte Kants und gegen die Ober-
fflhrnng der Gebeine Kants in den Dom anfangs Einspruch erhoben hatte,
bat sich später mit unserem Vorschlage grundsätzlich voll einverstanden
Nachdem somit die Vorbereitungen für die eventuelle Durchführung
unseres Planes durch Erzielung eines grundsätzlichen Einverständnisses
aller in Betracht kommenden Stellen getroffen sind, ersuchen wir die ge-
ehrte Versammlung ergebenst, unserem eingangs angeführten Antrag ge-
lUligst zuzustimmen.
Wir bemerken hierzu, dass das Grabmal an der nördlichen Wand
der Gruftkirche des Domes etwa im letzten Drittel ihrer Länge geplant
ist, wo es einen unseres Erachtens durchaus würdigen Platz haben würde.
Zur Vorbereitung der Verwirklichung des Planes gleichzeitig aber im
Interesse der Förderung der von Königsberg ausgehenden Kunst halten
wir es für empfehlenswert, den als Nachfolger des Herrn Professor Reu seh
sum Lehrer für Plastik an der hiesigen Kunstakademie berufenen Professor
Oaner zur Einreichung von Entwurfsskizzen aufzufordern. Von dem
▲ntftdl dieser Skizzen würde dann die endgültige Auftragserteilung ab-
liingig zn machen sein.
Als Betrag für das Denkmal glauben wir etwa 60000 M. in Aussicht
n^men zu sollen, da wir der Ansicht sind, dass in diesem Falle ein Denk-
smI geschaffen werden muss, das nicht nur Kants, sondern auch seiner
▼ateratadt würdig ist. Ober die endgültige Höhe der Denkmalskosten
«id die Art ihrer Deckung möchten wir uns deshalb zurzeit noch eines
apesieUen Vorschlages enthalten, die würdige und befriedigende Lösnng
der Frage vielmenr zunächst nur grundätzlich wie beantragt fest-
gelegt täien.
Magistrat
Königlicher Haupt- und Residenzstadt.
Körte. Dr. Erdmann. Mühlbach.
Ober diesen Antrag ist in der Königsberger Stadtverordneten- Ver-
Maunlung vom 14. Januar 1908 über 3 Stunden verhandelt resp. lebhaft
hin and her debattiert worden. Der Magistratsantrag ist jedoch mit 71
Summen gegen 21 abgelehnt worden. Die Verhandlungen dieses Tages
kiäben in und ausser Deutschland grosses Interesse hervorgerufen, die Presse
nahm teilweise sehr energisch pro oder contra Partei, und so wird es die
Iieeer der „Kantstudien^ sicherlich interessieren über das Nähere orientiert
an werden. Wir teilen hier das Nötigste mit, nach der Königsberger
Haitongschen Zeitung No. 88 und 24, nach der Ostpreussischen Zeitung
Ko. 16, sowie nach der Königsb. AUg. Zeitung No 24, welche uns alle
freandlichat von den betr. Redaktionen zur Verfügung gestellt worden sind.
Für die Verlegung des Orabes wurde zeltend gemacht: nach dem
üitail der Sachverständigen werde die Kapefle in sidi selbst zosammen-
i; sie sei gar nicht fundamentiert und erst in sehr grossier Tiefe finde
* Baagnmd; aneh das Daoh sei aohadhafii das Innere der Kapelle
170 MitteUtuigeii.
Gemäuer der Stoa Eantiana, des Professoren^wölbes, fallen, aber
um einer Gedenktafel für die vielen, die hier bestattet wurden, I
zu schaffen Vielleicht setzt dann ehrfurchtsvoller Bürgersinn nocb4
besonderes Mal dem einst von Köni^sbergem Bürgrem so hoch gefeie
und doch von schwerer Not heimgesuchten Dichter Si mon Dach,
wird erst volle Sühne geboten werden für das, was drei Menschenalt
jener Stätte gesündigt haben und was durch die Niederreissung der i
Kantiana nur zum Teil getilgt werden kann.
Nachdem also schon vor nunmehr 10 Jahren das in die Stoa
tiana umgewandelte alte Gewölbe abgebrochen wurde, soll nunme
bautechnischen und künstlerischen Gründen auch die seinerzeit
Stoa Eantiana verbunden gewesene Grabkapelle Eants,^) die 1881
und eingeweiht wurde, wieder abgerissen werden. Hierüber or
uns folgender Antrag.
Königsberg, den 3. Dezember 1907.
Urschriftlich mit Anlagen gegen gnfftllige Rückgabe an die
Stadtverordn ten- Versammlung
hier
mit dem Antrag:
1. sich mit dem Abbruch der an der nördlichen Seite dea ]
befindlichen Kantkapelle und mit der Verlegung der Gr
Kants in den Dom grundsätzlich einverstanden zu erklär«
2. zur Durchführung des unter 1. genannten Planes einen
bis zur Höhe von etwa 60000 M. vorbehaltlich der
Regelung der Deckungsfrage zur Verfügung zu stellen.
Als die Wiederherstellungsarbeiten am Dom sich ihrem Ende i
wurde uns seitens der Königlichen Regierung der dringende Wu
äussert, die an der Nordseite des Doms befindliche Kapelle, in
die Gebeine Kaats ruhen, neu zu erbauen, weil sie in ihrer jetzigen» j
glücklichen Gestaltung den schönen Chor des Domes in hässlic'
entstelle und weil sie baufällig zu werden anfange und bald g
Saraturen erfordern würde. Gleichzeitig wurde uns unter Hinweis <
ass eine Erneuerung der Gruft aus Ersparnissen der Domban
keinem Falle zu erwarten sei und wir zur Unterhaltung der
Kants verpflichtet seien, ein Entwurf nebst Kostenanschlag für
bau der Halle mit dem Ersuchen vorgelegt, uns darüber zu äni
die Stadtgemeinde geneigt und in der Lage sei, die Mittel zur Au
dieses Projekts zur Verfügung zu stellen. Wir mussten zngeb
die Stadt zur Unterhaltung der im Jahre 1881 aus den Ergebnis!
Sammlung errichteten Grabkapelle verpflichtet ist. Cf. act. I VÊÊ^
Nr. 23 vol. 1 paç. Iö6. Ebenso mussten wir die baulichen Mängel ic
die wenig befriedigenden Bauformen der Gruftkapelle und uirflp
günstigen Anschluss an den Dom anerkennen. Deshalb erkl&rten t^
vorbehaltlich der Zustimmung der Stadtverordneten- Versammlung
die Mittel für eine würdige, -der Wiederherstellung des Doi
sprechende Instandsetzung und Umgestaltung der Kanthdle in
herigen Abmessungen flüssig zu macnen, lehnten es aber ab, die
städtischer Mittel für einen vollständigen Neubau nach dem u
mittelten Entwurf zu befürworten, da derselbe als eine wirklich
gende Lösung nicht angesehen werden konnte. Die Königliche B
forderte uns demzufolge auf, einen unseren Wünschen ent^r
Entwurf selbst anfertigen zu lassen.
^) Man nennt diese Grabkapelle Kants, welche an die
handene, ^etzt abgebrochene Stoa Eantiana anstiess, vielfach koi
irrigerweise selbst die Stoa KanHana, Wie aus der obigen
hervorgeht, ist die eigentliche Stoa Kantiana aber schon 1898 ab
worden.
MitteUimgeii. 169
worin er es findet.^ Eine wesentliche Änderung trat nicht ein. Im Jahre
1889 betachte der amerikanische Gesandte und Historiker Brancroft
oosem Ort, um Kants Grab und Wohnhaus zu besichtigen. Es scheint,
alt ob man jetzt endlich das Gefühl der Scham über diese Pietätlosigkeit
empftind. Denn bald darauf, am 22. April des Jahres 1870, wurde von der
Ktntgeselltchaft die Bildung eines Komités zur würdigen Herstellung
der Omft und Kapelle in Aussicht genommen. Es bildete sich dann ein
Komité ant Männern aller Stande und Berufsarten. Es vergingen aber
noch 11 Jahre, bis man die Ehrenschuld den Manen Kants löste und die
lehlichte, aber würdige Grabkapelle über der neu gemauerten Gruft am
9. Jani 1881 der Stadt übergeben konnte. Die Büste Kants durch Sieme-
ritff, n«eh der älteren von Hafiremann geschaffen sowie eine Kopie von
Rinelt Schale von Athen, die Neide ausgeführt hat, dienen dem pietät-
vollen Pilger als liebevolle Weisung über den Zweck dieser Stätte, die
alQihrlich am 22. April allen zugänglich ist.^)
Den Manen aes Toten war nun auch der fassliche Ausdruck der
Verehrang gezollt. Nur die Stoa selbst blieb in ihrem unerfreulichen Zu-
itendc^ an dem niemand mehr Anteil zu nehmen schien. Man schlug be-
reut im Jahre 1881 ihren Abbruch vor, aber das Ministerium erlaubte
ideht die Beseitigung des Denkmals, vermutlirh weil es seine Bedeutung
flberKhätzte. Zur Zeit des Universitätsjubiläums (1894) entzog man die
Haue den Aagen durch einen Bretterzaun, der sie noch jetzt von der Seite
deckt Nach längeren Verhandlungen hat man endlich im letzten Winter
(188718] die Brlaubnis zur Beseitigung des Baues erhalten, der seit Jahren
area tein immer weiter und weiter vom Wind und Regen abgedecktes
DMk einen peinlichen Eindruck neben der Grabstätte Kants macht. Nie-
Btad wird gegen die Beseitigung des Trümmerhaufens ernsten Wider-
^fndtk erbeben wollen. Wohl aber verdient diese Stätte eine Erinnerung
n die Toten, die einst hier vom Kampfe ausruhten. Seit dem Jahre 1587
Wir tie die Graft der Professoren, die ein Lehrer der Albertina begründet
kitte. Im Jahre 1806 ist der letzte dort zur Ruhe gebettet, wie der
Btam Aber der Krypta Academica schon im achtzehnten Jahrhundert bis
HB nacbdrflcklichen Verbote Friedrich Wilhelms I. zur Aufbewahrung
im Viehfotter diente, war er bereits im Jahre 1808 wieder, bevor die
Stoa cebaut warde, zum Schaf- und Schweinestall herabgewürdigt. Mag
wniidir der hästliche Bau fallen, um nicht wieder ähnlichen Zufällen
mitteüit £a tein, aber den vielen Kämpfern, denen er zur letzten Ruhe
fewidmet worde, den Männern, die von ihren Jüngern und Mitbürgern
iwefart worden, gebührt auch ein Erinnerungsmal, mag^ es noch so be-
•Aeiden tein. Oewits erscheint vom Ausblick auf die Ewigkeit es hin-
nieheiid, dem Heros ein Denkmal gesetzt zu haben. Doch „es erzeugt
lidit gleieh ein Haus den Halbgott.*^ Ohne Überschätzung der meist ver-
NkoDoien Namen jener Lehrer der Wissenschaft hat ein dem Verdacht
te en^begrenzten Patriotismus nicht ausgesetzter Philosoph,
^Benno Erdmann, ein warmes Wort für das geistige Leben Königs-
^p sur Zeit der Jugend Kants gesprochen. Neben den Lehrern Kants
Wtkier die Atche Simon Dachs geruht, dessen Werke erst süddeutsche
Uteiirliittoriker mit genügender ^rgfalt hervorgesucht haben. Nur das
lUbilloii Dacht hoch am First der Universität erinnert hier an den
^Her des Volktliedes vom Annchen von Tharau, wie des Preisliedes der
nwiidtehaft i»Der Mensch hat nichts so eigen u. s. w.^. So mag denn das alte
^) Die Betichtigang kann auch nach Meldung beim Schuldiener des
bâphflfbchen Gymnasiums täglich stattfinden. Dort erhält man auch
ÂUeiiiet Schriftchen: Kants Grabstätte mit einer Erklärung des Bildes
Jid anem korzen Berichte über die Wiederherstellung der Grabstätte.
Bädt, wie die vorgedruckte Biographie Kants, sind, wie vielen unbekannt
<>t»tQii der Meittc?hand des verstorbenen Professors Witt verfasst. Das
Utes Kante itt in teiner kurzen und volkttümlichen Fassung ein Kabinett-
<M atiner imflbertrefflichen Kunst, zu erzählen.
172 MittaUongen.
gehe daher allmählich durch Feuchtigkeit zu Grunde. Eine provisonsche
Ausbesserung sei auf die Dauer unbefriedi^nd. Als Bauwerk sei die
Kapelle künstlerisch ohne ^eden Wert, ein Produkt missverstandener OotiL
Die Kapelle sei weder ein historisches noch ein künstlerisches DenkxnaL
Das Innere der Kapelle bestehe aus lauter Nachahmungen, ohne selbständige
künstlerische Gedanken Die Verlegung des Grabes in das Innere &
Domes sei daher die einzig mögliche Lösung der Frage. Die Domkirche
sei stets die Universitätskirche gewesen, indem in ihr auch rein weltliehe
akademische Akte stattgefunden haben. Der Chor des Domes, in den das
Grab verlegt werden soll, sei von der eigentlichen Predigtkirche durdi
einen Vorhang getrennt; dieser Chor, in dem u. A. der Gründer der
Universität liegt, sei ein Oampo santo für Königsberg. Wenn man st^
dass Kant, der Philosoph, nicht in eine Kirche hineingehöre, so sei dani
zu erinnern, dass auch Kopernikus und Galilei in einer Kirche beigesetsk
worden seien. Die Domgemeinde sei stolz darauf, den grossen Toten auf-
zunehmen. (Prof. Dr. Stettiner.) — Die Vorlage des Magistrats soDe
man nicht aus aprioristischen Gründen von vornherein verurteilen, sonden
sie kühl beurteilen aus den nüchternen praktischen Gründen, welche is
der Vorlage selbst angegeben seien. Aus der Geschichte der Stoa Kantmi
und ihren vielen Wandlungen ergebe sich, dass man nach all den Ver
legungen des Grabes nun endlich einmal dem unglücklichen Kant Rohe
im Innern des Domes verschaffen solle, wo er nicht mehr hin und her
getragen werde. Da die jetzige Grabkapelle so baufäll^ sei, so mflsste lie
immer wieder von Zeit zu Zeit repariert werden, wobei dann die GebeiM
Kants immer wieder exhumiert werden müssten. Wer die Hnndertiahrfcier
Kants 1904 mitgemacht habe, müsse auf den Gedanken kommen, dass sieh
Königsberg eigentlich der jetzigen Grabstätte Kants schämen müsse. Dmé
ein Epitaph im Innern des Domes würden alle Obelstände dauernd ve^
schwinden. Hierin bestehe eine Ehrenpflicht der Stadt Königsberg gegtt
ihren grössten Sohn. Eine angebliche Disharmonie zwischen der Veri^goy
der Grabstätte in das Innere des Domes und dem Inhalt seiner Philosophie
sei nicht einzusehen, Kant sei nicht antireligiös gewesen; eine waiO'
herzigere Auffassung von Religion, als sie Kant geäussert habe, werde maB
schwerlich antreffen. Auch der Kirche sei er nicht abhold gewesen, ift
seiner Schrift über die Reli^on betone er vielmehr ausdrücklich, àm
Religion ohne Kirche unmöglich sei. Als Grabmal Kants in Dom sei é»
kraftvolle, künstlerische Allegorie zu erhoffen, die den Beschauer lebhaft la
den unter dem Epitaph Ruhenden erinnere. (Oberbürizrermeister Dr. Körtej
— Auch ein grosser Teil der Mitglieder der Königsberger KantgeseUscbft
sei für die Verlegung in den Dom, da. es notwendig sei, Kants G^)eiii
an eine weniger baufällige Stelle zu bringen. Die Abneigung, Kant is
eine Kirche zu bringen, sei in diesem Falle ungerechtfertigt; denn es handk
sich ja nicht um eine Predigt kirche, sondern nur um eine Gmftkirche. Der
Dom sei nicht als Repräsentant des starren Elirchentums zu betrachtes,
geçen das sich ja allerdings Kant erklärt habe. Ob Kant ein Freund oder
Feind des offiziellen Kirchentums war, sei gänzlich ffleichg^tig bei B**
urteilung dieser Sache; Kant sei jedenfalls kein Feina des Ohri8teatia&
(Dr. Dirichlet, Bühnenkönig der Königsbergper Kantgesellschaft) —
. Dagegen wurden folgende Argumente ins Feld ^führt: IMe gcsef
wärtige Kapelle entspreche, wenn sie auch kein künstlerisch anromchmOer
Bau sei, doch aUen Anforderungen an eine Grabstätte Kante, aer ja sdioi
ein sehr schönes Denkmal in Königsberg habe ; die jetzige Kapelle sei eil
würdiges und einfaches Grabmal. Zum Dom aber habe Kant gar käi
Verhältnis gehabt. Auch die alte Stoa Eantiana, der die Grabkapella »
gegliedert worden sei, habe gar nicht zum Dom gehört, sondern ne sei irf
Universitätsgrund gebaut gewesen. Eine Kants wür^se Ghrabsifttte sei W
dann vorhanden, wenn man Kant allein begrabe, nient aber mit Andena
zusammen. Im Dome würde er unter einer Crossen Arn »hl vom PenoMB
ruhen, mit denen er gar nichts zu tun habe: m diesen Kreis gehöre Kii^
nun einmal schlechterdings nicht hinein. Auch, würde das gesdüoMM
Mitteüangen. 173
Bild, das der Domchor jetzt darbiete, dnrch ein weiteres Grabmal gestört.
(Uniyersitatsprofessor Dr. Rühl.) — Im Dome werde sich die Wirkung
eines Eantdenkmales neben den übrigen Denkmälern gänzlich verlieren.
Diese würden Kants Denkmal erdrücken. Die an demselben Vormittag
Torgenommene offizielle Besichtig^ong habe ergeben, dass die Grabkapelle
Kmnts gar nicht so baufällig sei, wie ^esaj^ worden sei; sie sei nur
lestaorationsbedürftig, aber auch restaurationsrahig. (Ewert.) — Die Vor-
li^ enthalte nichts oesonders Ehrendes für Kant. Beziehungen zwischen
Kmnt and der Domgemeinde seien car nicht vorhanden. Kant sei zwar ein
tiefrelifi^iOser Mann gewesen, aber sein Verhältnis zur äusseren Ausgestaltung
der Beu^on sei keineswegs so innig gewesen, dass es angebracht sei, ihn
mrade im Innern einer Kirche zu begraben. Man sei sehr wohl in der
Lege, an der jetzigen Begräbnisstätte Kants ein würdiges und dauerndes
Grabmal zu schaffen. Auch die Art, wie das neue Grabmal geplant sei,
entspreche dem schlichten Wesen Kants nicht; ein prunkvolles, vornehmes,
»ossartiges Epitaph sei gar nicht in Kants Sinn. (Dr. Lichtenstein.) —
Kent sei nie mr eine dogmatische Religion gewesen, gehöre also nicht in
eine Kirche (Orlopp.) — Besonders folgender Gegengrund wurde noch
geltend gemacht: Die Gebeine Kants ruhen zur Zeit auf städtischem Grund
und Boden; mit der Verlegung in das Innere des Domes höre dies enge
YerhAltnis der Stadtverwaltung zu Kants Grab auf; dann habe die Stadt
kein Verfflgunj^recht mehr über Kants Grab, und während es jetzt Jeder-
aenn zugänghch sei, könne diese Öffentlichkeit nachher ohne jedes Ein-
sprochsrecht der Stadt beschränkt werden. Natürlich wurden auch finanzielle
»edenken geltend gemacht. Königsberg hat bekanntlich (in Nachwirkung
der Besetzung durch die Franzosen vor nunmehr 100 Jahren) sehr schlechte
Finanzen.
Aas diesen Gründen, und da auch der Oberbürgermeister zugeben
amsste, dass die jetzige Grabkapelle, bei geeigneter l^staurierung, noch
100 Jahre stehen könne, wurde der Magistratsantrag abgelehnt, und ein
Antrag auf Restaurierung der jetzigen Grabkapelle Kants angenommen.
In dieser Debatte wnrde auch ein Brief verlesen, den der Unter-
leiehnete, auf eine Anfrage des Stadtverordnetenvorstehers Prof. Dr.
P. Stettiner in dieser Angelegenheit an Letzteren geschrieben hatte. Der
Brief lautet:
Halle a. S., den 11. Janaar 1908.
Sehr geehrter Herr!
Ich muss gestehen, dass es mir, wie ja wohl den Meisten, das
Schönste and Würdigste erschiene, wenn die Grabstätte Kants, da, wo sie
bisher war, erhalten oleiben könnte, und wenn es möglich gemacht würde,
dass der diese Grabstätte enthaltende kleine weihevolle £um in irgend-
einer künstlerisch befriedigenden Form als Aussenglied der Kirche be-
stehen bleiben würde.
Ob die Gründe, welche der Magistrat der Stadt Königsberg für
die Verlegung der Grabstätte ins Innere der Kirche geltend macht,
stichhaltig sind, kann deijenige nicht beurteilen, der nicht an Ort und
Stelle ist und nicht in der Lage sich befindet, die Pläne, die zum Umbau
der Grabstätte gemacht wurden, die aber verworfen worden sind, selbst
adt kunstverständigem Blick zu prüfen.
Wenn aber mese Gründe stichhaltig sind — und sie müssen es doch
wohl sein, da doch sonst weder die Regierung, noch die Universität, noch
der Kirchengemeinderat zugestimmt hätten —, so ist ^gen die Verlegung
der Grabstätte Kants in das Innere der Kirche, meines Erachtens vom
fhüosophischen Standpunkt aus gamichts einzuwenden, sofern nur dafür
cesor^ wird, dass das zu erricntende Grabdenkmal Kants nicht eine
neehnft oder ein Syinbol bekommt, welche dem unabhängigen Charakter
Philosophie widersprächen.
Wenn ich mir erlauben darf, zu diesem Denkmal eine Idee auszu-
so ist et folgende: ein flberiebenigroaser, ein Kolpssalkppf
172 MitteUangen.
gehe daher allmählich durch Feuchtigkeit zu Grunde. Eine proviaoïische
Ausbesserung sei auf die Dauer unbefriedigend. Als Bauwerk sei die
Kapelle künstlerisch ohne jeden Wert, ein Produkt missverstandener OotiL
Die Kapelle sei weder ein historisches noch ein künstlerisches DenkxnaL
Das Innere der Kapelle bestehe aus lauter Nachahmungen, ohne selbständige
künstlerische Gedanken Die Verlegung des Grabes in das Innere doi
Domes sei daher die einzig mögliche Lösung der Frage. Die Domkirche
sei stets die Universitätskirche gewesen, indem in ihr auch rein weltliehe
akademische Akte stattgefunden haben. Der Chor des Domes, in den das
Grab verlegt werden soll, sei von der eigentlichen Predigtkirche dordi
einen Vorhang getrennt; dieser Chor, in dem u. A. der Gründer der
Universität liegt, sei ein Oampo santo für Königsberg. Wenn man stgt^
dass Kant, der Philosoph, nicht in eine Kirche hineingehöre, so sei dani
zu erinnern, dass auch Kopernikus und Galilei in einer Kirche beigesetit
worden seien. Die Domgemeinde sei stolz darauf, den grossen Tot&k anf*
zunehmen. (Prof. Dr. Stettiner.) — Die Vorlage des Magistrats soDe
man nicht aus aprioristischen Gründen von vornherein verurteilen, sonden
sie kühl beurteilen aus den nüchternen praktischen Gründen, welche io
der Vorlage selbst angegeben seien. Aus der Geschichte der Staa Ktmtûm
und ihren vielen Wandlungen ergebe sich, dass man nach all den Ver
legungen des Grabes nun endlich einmal dem unglücklichen Kant Rohe
im Innern des Domes verschaffen solle, wo er nicht mehr hin und her
getragen werde. Da die jetzige Grabkapelle so baufällc sei, so mflsste lie
immer wieder von Zeit zu Zeit repariert werden, wobei dann die Gebeue
Kants immer wieder exhumiert werden müssten. Wer die Hnnderiîahrfeîer
Kants 1904 mitgemacht habe, müsse auf den Gedanken kommen, dasi sieh
Königsberg eigentlich der jetzigen Grabstätte Kants schämen müsse. Tksé
ein Epitaph im Innern des Domes würden alle Übelstände dauernd ve^
schwinden. Hierin bestehe eine Ehrenpflicht der Stadt Köni^berg gegtt
ihren grössten Sohn. Eine angebliche Disharmonie zwischen der Verl^g^my
der Grabstätte in das Innere des Domes und dem Inhalt seiner Philosophie
sei nicht einzusehen, Kant sei nicht antireligiös gewesen; eine wan'
herzigere Auffassung von Religion, als sie Kant geäussert habe, werde mu
schwerlich antreffen. Auch der Kirche sei er nicht abhold gewesen, is
seiner Schrift über die ReU^on betone er vielmehr ausdrücklich, daa <
Religion ohne Kirche unmöghch sei. Als Grabmal Kants in Dom sei eine
kraftvolle, künstlerische Allegorie zu erhoffen, die den Beschauer lebhaft ib
den unter dem Epitaph Ruhenden erinnere. (Oberbürgermeister Dr. KörteJ
— Auch ein grosser Teil der Mitglieder der Königsberger Kantgesellschift
sei für die Verlegung in den Dom, da. es notwendig sei, Kants GebeiM
an eine weniger baufällige Stelle zu bringen. Die Abneigung, Kant h
eine Kirche zu bringen, sei in diesem Falle ungerechtfertigt; denn es handle
sich ja nicht um eine Predigtkirche, sondern nur um eine Gruftkirche. Dv
Dom sei nicht als Repräsentant des starren Elirchentums zu betrachteSt
geçen das sich ja allerdings Kant erklärt habe. Ob Kant ein Freund oder
Feind des offiziellen Kirchentums war, sei gänzlich çleich^ttlt^ bei Be-
urteilung dieser Sache; Kant sei jedenfalls kein Feina des GhristeiitiBi»
(Dr. Dirichlet, Bühnenkönig der Königsber^r Kantgesellschaft) —
. Dagegen wurden folgende Argumente ins Feld geführt: Die g^ff^
wärtige Kapelle entspreche, wenn sie auch kein ktlnstlensch anromchsfoiler
Bau sei, doch allen Anforderungen an eine Grabstätte Kante, dar ja sdioi
ein sehr schönes Denkmal in Königsberg habe ; die jetzige Kapelle sei éà
würdiges und einfaches Grabmal. Zum Dom aber habe Kant gar kdi
Verhältnis gehabt. Auch die alte Stoa Eantiana, der die Gràbkalpeile ai'
gegliedert worden sei, habe gar nicht zum Dom gehört, sondern sie sei irf
umversitätsgrund gebaut gewesen. Eine Kants würdige Gtebstätte sei ntf
dann vorhanden, wenn man Kant allein begrabe, nidit aber mit Andene
zusammen. Im Dome würde er unter einer grossen Aneahl von PenoMB
ruhen, mit denen er gar nichts zu tun habe: m diesen Kreis gehöre Kan^
nun einmal schlechterdings nicht hinein. Auch, würde da» gtBMtmm
Mitteüimgeti. I7â
Bild, das der Domchor jetzt darbiete, durch ein weiteres Grabmal gestört.
(UniTersitätsprof essor Dr. Rühl.) — Im Dome werde sich die Wirkung
eines Kantdenkmales neben den übrigen Denkmälern gänzlich verlieren.
Diese würden Kants Denkmal erdrücken. Die an demselben Vormittag
▼cnrgenommene offizielle Besichtig[ung habe ergeben, dass die Grabkapelle
Kmnts gar nicht so baufällig sei, wie ^esaj^ worden sei; sie sei nur
lestaorationsbedürftig, aber auch restaurations&hig. (Ewert.) — Die Vor-
li^ enthalte nichts oesonders Ehrendes für Kant. Beziehungen zwischen
Kmnt und der Domgemeinde seien ^r nicht vorhanden. Kant sei zwar ein
tiefreligiOser Mann gewesen, aber sein Verhältnis zur äusseren Ausgestaltung
der Beu^on sei keineswegs so innig gewesen, dass es angebracht sei, ihn
mrade im Innern einer Kirche zu begraben. Man sei sehr wohl in der
Lege, an der jetzigen Begräbnisstätte Kants ein würdiges und dauerndes
Grabmal zu schaffen. Auch die Art, wie das neue Grabmal geplant sei,
entspreche dem schlichten Wesen Kants nicht; ein prunkvolles, vornehmes,
»ossartiges Epitaph sei gar nicht in Kants Sinn. (Dr. Lichtenstein.) —
Kent sei nie mr eine dogmatische Religion gewesen, gehöre also nicht in
eine Kirche (Orlopp.) — Besonders folgender Gegengrund wurde noch
geltend gemacht: Die Gebeine Kants ruhen zur Zeit auf städtischem Grund
und Boden; mit der Verlegung in das Innere des Domes höre dies enge
Veriiftltnis der Stadtverwaltung zu Kants Grab auf; dann habe die Stadt
kein Verfflgunj^recht mehr über Kants Grab, und während es jetzt Jeder-
nenn zugänghch sei, könne diese Öffentlichkeit nachher ohne jedes Ein-
•nmchsrecht der Stadt beschränkt werden. Natürlich wurden auch finanzielle
Bedenken geltend gemacht. Königsberg hat bekanntlich (in Nachwirkung
der Besetzung durch die Franzosen vor nunmehr 100 Jahren) sehr schlechte
Finenzen.
Aus diesen Gründen, und da auch der Oberbürgermeister zugeben
amaste, dass die jetzige Grabkapelle, bei geeigneter I&staurierung, noch
100 Jahre stehen könne, wurde der Magistratsantrag abgelehnt, und ein
Antrag auf Restaurierung der jetzigen Grabkapelle Kants angenommen.
In dieser Debatte wurde auch ein Brief verlesen, den der Unter-
leiehnete, auf eine Anfrage des Stadtverordnetenvorstehers Prof. Dr.
P. Stettiner in dieser Angelegenheit an Letzteren geschrieben hatte. Der
Btrief lautet:
Halle a. S., den 11. Januar 1908.
Sehr geehrter Herr!
Ich muss gestehen, dass es mir, wie ja wohl den Meisten, das
Schönste und w£digste erschiene, wenn die Grabstätte Kants, da, wo sie
Iviaher war, erhalten oleiben könnte, und wenn es möglich gemacht würde,
dees der diese Grabstätte enthaltende kleine weihevolle ^um in irgend-
einer künstlerisch befriedigenden Form als Aussenglied der Kirche be-
stehen bleiben würde.
Ob die Gründe, welche der Magistrat der Stadt Königsberg für
die Verlegung der Grabstätte ins Innere der Kirche geltend macht,
•tiehhaltig sind, kann deijenige nicht beurteilen, der nicht an Ort und
Stelle ist und nicht in der Lage sich befindet, die Pläne, die zum Umbau
der Grabstätte gemacht wurden, die aber verworfen worden sind, selbst
Wûit kunstverständigem Blick zu prüfen.
Wenn aber oiese Gründe stichhaltig sind — und sie müssen es doch
wohl sein, da doch sonst weder die Regierung, noch die Universität, noch
der Kirchengemeinderat zugestimmt hätten — ,so ist çegen die Verlegung
der Grabstätte Kants in &m Innere der Kirche, mêmes Erachtens vom
fhflnenphitnhrn Standpunkt aus gamichts einzuwenden, sofern nur dafür
Mtor^ wird, dass das zu errichtende Grabdenkmal Kants nicht eine
beehnft oder ein Syinbol bekommt, welche dem unabhängigen Charakter
Philosophie widersprächen.
Wenn ich mir erlauben darf, zu diesem Denkmal eine Idee auszu-
•0 ist et folgende: ein flberlebenignmer, ein Kolpssalkppf
174 Mitteilungen.
Kants, und daneben eine fackelhaltende weibliche Fiirur, am dai
berühmte Wort Kants lebendig vor Augen zu führen : die Philosophie lei
nicht eine Dienerin der Theologie, die ihr die Schleppe nachtrage, sondon
eine solcht^ die ihr die Fackel vorantrage.
So wird auch der am weitesten links stehende Freand der Kantisdiei
Philosophie in der Verbringuug: der Gebeine Kants in eine Kirche ktm
Verleugnung seiner Lehre erblicken, sondern im Gegenteil ein Symbol
dafür, dass Kants Geist immer mehr in die Kirche hineingetragen weidet
möge. In ausgezeichneter Hochachtung
Professor Dr. H. Vaihinger.
Dieser Brief ist in der Presse vielfach kommentiert, aber mehr&tk
miss verstanden worden. Eine aufmerksame Lektüre desselben zeigt, ém
ich die Erhaltung des Status quo für das Beste halte, und dass mir Kanti
jetzige Grabstätte gerade in ihrer Einfachheit einen würdigen EÜDdroek
macht, dass eine Restaurierung^ der Kapelle, wobei das Innere eventuell
noch etwas künstlerischer, aber ja nicht komplizierter gestaltet würde,
mir das Geeignetste erscheint. Über die angebliche Notwendigkeit einer
Entfernung der Kapelle habe ich mich überaus vorsichtig geäussert; wie
sich gezeigt hat, mit Recht, da die Beaugenscheinigung durch die Stadt-
verordneten ergeben hat, dass die Kapelle gar nicht so sehr baufällig ist
Wäre aber diese Baufälligkeit erwiesen gewesen, und wäre die Errichtimg
eines Neubaues an der bisheri^ren Stelle untunlich gewesen — für dieseo
Fall und nur für diesen Fall habe ich der Verlegang der Grabstätte
in das Innere des Domes das Wort geredet; aber man wird anerkennea,
dass ich diese Verlegung sehr verklausuliert habe: nichts, was der Untb*
hängigkeit der Kantischen Philosophie Abbruch tun könnte, ja im Gege&>
teil — der Vorschlag eines Epitaphs, dessen Ausführung der Verlepmg
der Gebeine des kritischsten aber Philosophen in das Innere einer Kireke
das notwendige Gegengewicht geben würde: die bildliche Dantellnig
jenes berühmten Ausspruches Kants, durch den er das alte bOse Wort im
der Philosophie als ancilla theohgiœ so glücklich, so ^^eistreich panlyaeit
hat. Man muss doch sehr schwerhörig sein, um nicht daraus eine Art
Einzug
druck zu bringen — fast, wie wenn Jemand den Bewohnern Iliums anrät^ àm
trojanische Pferd in ihre Mauern zu ziehen. Denn ein Denkmal in der
angegebenen Art würde, auch wenn es in der Gmftkirche steht, doch des
Rednern in der anstossenden Predi^kirche und in jeder Kirche überlnayt
eine Mahnung sein, ihr Haupt mit einem Tropfen kritischen Öles sn aalbô.
Diesen Sinn meines Briefes hat ein Teil der Iieser flbenèhea
Am schlimmsten geschah dies seitens meines alten lieben Lndwig OoM-
Schmidt, der in der Frankf. Zeitung No. 19 (vom 19. Januar 1908) gejpi
jene „Idee*^ polemisiert, weil ein prächtiges Marmor-Denkmal mit taaat
fackelhaltenden Figur nicht im Smne des einfachen Philosophen sei!
Gt)ldschmidt, dem es an Humor fehlt, hat den ironischen Unterton meton
Vorschlages nicht herausgehört: so wird man von seinen besten Fremta
verkannt. —
Nachdem ich aber in extenso Alles gelesen habe, was pro jsnàwén
in Königsberg vorgebracht worden ist, würde ich im ErnstfsUe àoà
ge^en die Verlegung der Grabstätte Kants ins Innere des Domes stimnen,
und zwar wäre nir mich ausschlaggebend der Umstand, dass Kants Qfù
damit aus der Jurisdiktion der Stadtverwaltung a^e^ben wflrde: äe
Stadt muss unumschränkte Eig^entümerin der Qebeme ihres giMtoi
Sohnes sein und immerdar bleiben. Eine Verbringong ins LuMSie te
Domes könnte dann doch zur Folge haben, dass — wenn auch ent ii
späten Zeiten — mit der Grabstätte resp. mit dem Ghrab lale Kants manA
Aenderungen vorgenommen würden, weiche nicht w àenswert siiid: lO
könnte s. B. eine spätere Zeit, etwa eine ortiu
Kantgesellschaft. 175
hierin störend eingreifen. In zweiter Linie würde für mich sodann aus-
•chlag^bend sein, dass ig^eltend gemacht wurde, dass die anderen Denk-
■lAler in dem Domchor das Grabmal Kants „erdrücken*^ würden; es macht
dagegen einen ungleich würdigeren, einen erhabenen Eindruck, wenn der
crosse Tote einen weihevollen Raum für sich allein hat. Und da nun
drittens festgestellt worden ist, dass die jetzige Grabkapelle, wenn auch
reparationsbedürftig, so doch reparationsfähig ist, so wird die Erhaltung
dieses einfachen aber würdigen Raumes auch aas Einfachste und Würdigste
sein. Sollte man aber jetzt oder später einmal finden, da^s der jetzige
Bao, weil zu schwach fundiert, nicht zu erhalten sei, so errichte man an
derselben Stelle dem grossen Denker wieder wie bisher seine eigene Grab-
ki^lle, einfach und würdig, licht und hell — wie sein Wesen war, wie
— ne Philosophie ist. H. Vai hinger.
Kantgesellschaft
IT. Jahresbericht. 1007.
A. Jahres-Einnahmen und -Ausgaben.
L Einnahmen.
1) Die Jahresrechnung für 1906 schloss mit einem ÜberachoBS von
470 Mk. 30 Pf. ab.
2) Die Zahl der Jahreemitglieder (Jahresbeitrag 20 Mk.) ist wiederum
«tiegoi, und zwar von 118 auf 154 Mitglieder — eine überaus erfreuliche
Zunahme. Die Jahresbeiträge dieser 154 Mitglieder betragen 3080 Mk. Ein
MitgUed (Mr. Webb in Oxford) hat dankenswerter Weise wieder 25 Mk. ein-
fletendet. Dieser Mehrzahlung von 5 Mk. stehen andererseits 6 Mk. 25 Pf.
Btaiiehungskosten für die 154 Beitragssendungen (Bestellgelder und Bankspesen)
gegenüber. An Jahresbeiträgen sind somit eingegangen : 3078 Mk. 75 Pf.
3) Die Zinsen der Kantstiftung, welche seitens der Kgl. Universitäts-
kaase in Halle dem Geschäftsführer am l. April, l. Juli, 1. Oktober und
81. Dezember eingehändigt wurden, betrugen: 1218 Mk. 27 Pf.
4) Die Bankainsen für sämtliche bei der Firma H. F. Lehmann in
Halle a. S. liegenden Gelder betrugen: 178 Mk. 5 Pf.
5) Wie im vorigen Jahresbericht mitgeteilt worden ist, werden die von
«M herausgegebenen ErgKnaungsbefte, welche den Mitgliedern gratis zuge-
aMn werden, auch an Nichtmitglieder verkauft, und zwar kommissionsweise
dwdi den Verlag von Reuther & Reichard in Berlin. — Vom Erc
Ha 1 (Guttmann, Kants Gottesbegriff in seiner positiven Entwickelunj?) sind
in Jahre 1906 verkauft worden: 147 Exemplare, wofür wir 144 Mk. 25 Pf. ver-
ctenahmt haben. Die Verrechnung für die im Jahre 1907 verkauften Exemplare
kann, nach Buchhändlerusancen, erst nach Ostern 1908 erfolgen.
Die Geaamteinnahmen betrugen somit: 5089 Mk. 62 Pf.
IL Ausgaben.
1) Honorare für die Mitarbeiter der ^Kantatodien^, Es wurden an
Honoraren für den Band XII im Ganzen ausbezahlt: 966 Mk. 20 Pf. Die
KniKeaellschaft glaubt u. A. auch durch reichliche Bemessung der Honorare
flir me Mitart>eiter der Kantstudien die Ziele, die sie in ihren Satzungen nieder-
Miegt hat, zweckmässig zu fördern. Über die Honorarzahlungen im Einzelnen
fit «km Veiwaltungsausschuss Rechenschaft abgelegt werden.
2) Fretexemplare der ^Kantatndien^ für die Jahreamitglieder und
■èereefctigteii DaneradIgUeder. Nach dtai cwtochen der Kantgetell-
176 Kantgesellschaft.
Schaft und der Verlagshandlung Reuther & Reichard am 15./6. Mai 1905 fl|^
schlossenen Vertrag ist die Letztere verpflichtet, an die obengenannten Mit-
glieder der Kantgesellschaft je ein Freiexemplar der Kantstudien heftweise gratis
und franko zu senden. Auf Grund der darüber stipulierten Bedingungen erbitt
die Verlagshandlung für diese Versendung an 154 Jahresmitglieder und 24 te-
zugsberechtigte Dauermitglieder an Entschädigungen: 736 Mk.
3) Herausgabe von Ergänzungsheften an den ^^Kantatadien^,
a) Herstellungskosten.
Über die von uns getroffene Einrichtung von .Ergflnzungsheften' zu den
Kantstudien ist im vorigen Rechenschaftsbericht pro lW6 ausführlich beriditd
worden. Es wird daher hier nur das Nötigste wiederholt. Es stellte sieb als
zweckmässig heraus, grössere, der Redaktion der Kantstudien anvertraute Unter-
suchungen aus dem Rahmen der regulären Hefte herauszulösen und separat in
Form von Supplementen erscheinen zu lassen ; diese Ergänzungshefte sind bod-
händlerisch selbständige Schriften, mit eigenem Titel. Die Jahresmitglieder
und bezugsberechtigten Dauermitglieder erhalten diese Supplemente gratis nnd
franko zugesendet, ausserdem werden aber auch Exemplare an Nichtroitglieder
durch die Verlagshandlung Reuther & Reichard kommissionsweise für unsere
Rechnung vertrieben. Die Herstellungskosten der Ergänzungshefte trägt die
Kantgesellschaft.
Für das Ergänzungsheft No. 4 (G. Kertz, Die Religionsphilosophie Job.
Heinr. Tief trunks) betrugen die Herstellunfigkosten: 355 Mk. 70 Pf.
Für das Ergänzungsheft No. 5 (H. E. Fischer, Kants Stil in der Kr. d.
r. V., nebst Ausführungen über ein neues Stilgesetz auf historisch-kritischer und
sprachpsychologischer Grundlage) betrugen die Herstellungskosten 473Mk. 60Pt
Hiervon trug jedoch der Autor selbst — entsprechend dem Vermerk der Redak-
tion am Schluss der Vorrede des betr. Ergänzungsheftes — 150 Mk. Rest der
Herstellungskosten: 323 Mk. 60 Pf.
Für des Ergänzungsheft No. 6 (S. A ich er, Kants Begriff der Ericenntnii
verglichen mit dem des Aristoteles) betrugen die Herstellungskosten : 656 Mk. 35PL
Für das Ergänzungsheft No. 7 (H. Dreyer, Der Begriff Oeist in der
deutschen Philosophie von Kant bis Hegel) betrugen die Herstellungskoitn:
406 Mk. 40 Pf.
Die Herstellungskosten der einzelnen Hefte variieren nicht bloss nadi
dem Umfang des Henes, sondern auch nach der Höhe der Auflage.
Herstellungskosten für die 4 Ergänzungshefte No. 4» 5, 6, 7 znsamiiiei:
1742 Mk. 5 Pf.
b) Remuneration für den zweiten Redakteur der Kantstudiea.
Die Herausgabe der Ergänzungshefte (in diesem Rechnungsjahre Aber 30
Bogen) bürdet dem die Geschäfte der Redaktion allein und selbständig fflbtcs-
den zweiten Redakteur eine beträchtliche Mehrarbeit an Durchsicht von Maas-
Skripten, an Korrespondenzen, Korrekturen u. s. w. auf. Dafür und da wir
ausserdem die Förderung von jüngeren Gelehrten Kantischer Richtung onfter
unsere Ziele satzungsgemäss aufgenommen haben, hat der Verwaltungsanssdmi
für die Herausgabe der 4 Ergänzungshefte dem Betreffenden eine ausserordest-
liehe Remuneration von 400 Mk. zugebilligt.
c) Versendung der Ergänzungshefte an die Mitglieder.
Die Versendung besorgt die Hofbuchdruckerei C. A. Kaemmerer ft Ox
in Halle a. S., welche auch die Ergänzungshefte herstellt Die Versendnnp-
kosten betrugen: 29 Mk. 15 Pf. + 48 Mk. 30 Pf. + 52 Mk. 25 Pf. + 36Ä
65 Pf., insgesamt 166 Mk. 35 Pf.
4) Versendung verschiedener Drucksachen der Kantigesellsehifli
Die neueintretenden Jahresmitglieder erhalten, so lange noch der Vomi
reicht, zum Eintritt je ein Exemplar unserer im Jahre 1904 herausfi[q;el)eacB
Kantfestschrift (360 Seiten und 4 Abbildungen) suwie i tn im &m I^
herausgegebene Schillerfestschrift (150 Seiten nebst 5 Abuuuungen) mtis rod
franko zugesendet Infolge Spezialabkommens erhält die > rlagshocnhiiidM?
EantgesellBchafi. 177
von Reuther & Reichard, in deren Besitz sich der ganze Vorrat jener Festhefte
befindet, hierfür die Entschädigung von 82 Mk.
Durch die Hofbuchdruckerei von C. A. Kaemmerer & Co. in Halle a. S.
haben wir eine grössere Anzahl von Exemplaren der Kantstudien im Umtausdi
an die Redaktionen anderer philosophischer Zeitschriften gesendet; femer be-
sorgte dieselbe Firma die Versendung der zahlreichen Separate von Abhand-
hingen, Rezensionen und Selbstanzeigen an deren verschiedene Verfasser;
Kosten: 34 Mk. 75 Pf.
Gesamtbetrag für diese Versendungen: 116 Mk. 75 Pf.
5) Beijcabe von Porträt». Dem 1. Heft unseres XII. Bandes haben wir
eine vortrefflich gelungene Wiedergabe der Schillingschen Kantstatue beigegeben,
Kosten: 58 Mk.
Dem Ergänzungsheft No. 4 (Kertz, die Religionsphilosophie Joh. Heinr.
Tleftninks. Ein Beitrag zur Geschichte der Kantischen Schule) haben wir ein
Porträt Tieftrunks nach der uns von seinen Nachkommen geschenkten Büste
beigefügt; Kosten: 37 Mk. 25 Pf. Zusammen: 95 Mk. 25 Pf.
6) Verteilung der ,,Kant8tndien<^ an Institute und Bibliotheken.
Mit dieser schon in den beiden Vorjahren begonnenen Überweisung von ganzen
Serien der bisher erschienenen Bände der Kantstudien an Bibliotheken u. s. w.
haben wir auch in diesem Jahre fortgefahren, in der Überzeugung, dass wir auf
diese Weise die Ziele der Kantgesellschaft in sehr zweckmässiger Weise fördern,
und auch ausserdem dazu beitragen, die Kenntnis der Kantgesellschaft und ihrer
Ziele in immer weitere Kreise zu tragen. In diesem Jahre haben wir das vor
Kurzem neugegründete Philosophische Seminar der Universität Marburg bedacht,
in welchem eine hervorragende Trias von Kantkennem wirksam ist: Cohen,
Natorp und Menzer. Femer haben wir der Bibliothek der Psychologischen
Sammlung an der Universität Halle einige ihr fehlende Bände überwiesen.
Wir erhalten die betr. Bände zu ermässigten Preisen von unserer Verlagshand-
hmg Reuther & Reichard, und lassen dieselben binden, da wir nur gebundene
Binde verschenken, in die ein Widmungsblatt mit dem Kantkopf und der
Devise: .Geschenk der Kantgesellschaft' emgeklebt wird. Qesamtkosten (inkl.
von 41 Mk. Buchbinderkosten aus dem Vorjahr): 158 Mk. 75 Pf.
7) DruclL veraehiedener Mitteilungen, Formulare u. s. w. Seitens
der Hofbuchdruckerei von C. A. Kaemmerer & Co. in Halle a. S. sind für den
Zweck der Gesellschaft verschiedene Druckaufträge ausgeführt worden: die
Neujahrszirkulare im Januar 1907, Separatabdrücke des Jahresberichtes und des
Mitgiiederverzeichnisses von 1907, sowie der revidierten Satzungen, Mitglieds-
karten, Muster für Selbstanzeigen u. s. w. Zusammen: 101 Mk. 25 Pf.
8) Versehiedenea. Gerichtskosten für Eintragung ins Vereinsregister:
2 Mk. 65 Pf., Wiederherstellung der Tieftrunkbüste (vgl. vorigen Jahresbericht):
15 Mk.; Beschaffung nicht gelieferter Rezensionsexemplare: 16 Mk. 90 Pf.; für
Kouverts und Brieq>apier mit Vordruck: 29 Mk. 50 Pf.; Schreibhilfe durch
einen Abschreiber: 24 Mk.; zusammen: 88 Mk. 5 Pf.
9) Korrespondena. Die Zahl der von dem Geschäftsführer ausge-
gangenen Postsendungen betrug laut vorliegendem und vorgelegtem Journal:
TlOl. Die dafür aufgewendeten Portokosten betrugen : HO Mk. 80 Pf.
10) Zuaeliuaa sum Diipotitionsfonds. Dem aus den weiter unten ent-
wickelten Gründen neugeschaffenen Dispositionsfonds sind aus den laufenden
lUtteln 400 Mk. zugewiesen worden, um diesen für unsere Zwecke wichtigen
Food hinreichend zu fundieren.
lUotvtttdtou xiu. V^
I
116 Kantgefielkchaft
Wiederholung.
L Einnahmeii.
1) Übertrag aus dem Vorjahr 47OMk.30PL
2) Jahresbeiträge der Mitglieder 3078 . 75 .
3) Zinsen der .Kantstiftung' 1218 , 27 ,
4) Bankzinsen 178 , 5 ,
5) Verkaufte Ergänzungshefte . 144 . 25 .
Summe der Einnahmen: 5089 Mk. 62 PL
U. Ausgaben.
1) Honorare an die Mitarbeiter . . . . 966 Mk. 20 Pf.
Freiexemplare für die Mitglieder ... 736 . — .
3) Ergänzungshefte No. 4, 5, 6, 7
a) Hersteilungskosten 1742 . 5 .
b) Remuneration für den 2. Redakteur 400 . —• .
c) Versendung 166 . 35 .
4) Verschiedene Versendungen .... 116 , 75 ,
5) Beigabe von Porträts 95 . 25 .
6) Verteiltfng der KSt. an Bibliotiieken . 158 . 75 .
7) Verschiedene Drucksachen 101 • 25 •
8) Verschiedenes 88 . 5 ,
9) Korrespondenz . 110 . 80 .
Ausgaben: 4681 Mk. 45 Pf.
10) Zuschuss zum Dispositionsfond . . . 400 , — .
Gesamtsumme der^usgaben: 5081 Mk. 45 Pf. «° 5081 Mk. 45PL
Rest.und Übertrag Iflr 1908: 8 Mk. 17PL
B. Fonds.
L Kantstiftung.
Die .Kantstiftung', welche im Jahre 1906 auf die Summe von 32000 Mk.
gebracht worden ist, hat auch im verflossenen Jahre wiederum neue Zawfidae
erhalten. Es stifteten:
Herr August Ludowici, Genf, Route de Florissant 36 . . . MLIOQ,-
(zu den schon früher gestifteten Mk. 300,—)
. Kurt Sternberg, Berlin W 15, Uhlandstrasse 175 . . . . 25,-
. Professor Dr. Adam kie wie z, Wien, Wiedner Hauptstrasse 16 . 50.-
. Hauptmann v. St. Paul, Insterburg. Feldartillerie-Regt No. 1 . 25,-
. Dr. phil. R. Jorges, Halle a. S., Mühlweg 21 (4. Rate) . . 5a-
. Schriftsteller Hugo Marcus, Berlin W 50, Fürtherstrasse IIa . 25,-
. E. S. in Ch 5,-
Frau Oeheimrätin Sanio, Halle a. S. (4. Rate) . . . . 30.-
Summa: Mk.310.-
Wir quittieren dankbarst für diese erfreulichen Beweise des fortdanenidai
grossen Interesses an unseren Bestrebungen. Die Geber haben unsere Daoer-
mitgliedskarte erhalten. Diese, der Kantstiftung gehörenden Gelder, sind
einstweilen beim Bankhaus H. F. Lehmann in Halle a. S. zinsbar angelegt, Ni
wiederum 1000 Mk. beisammen sind, welche dann dem im Besitz der Univeni'
tat Halle und in der Verwaltung des Kgl. Universitäts-Kuratoriunn befindlidieD
Hauptiond zugeführt werden.
Wir bitten unsere Freunde, auch fernerhin unausgesetzt aal Vennelintiig
dieses unseres eisernen Fonds bedacht zu sein : je höher derselbe ist und je
mehr Zinsen wir daraus beziehen, desto höher können wir unsere Ziele stedefl
und desto unabhängiger ist die dem Studium der Kantischen Pfaik)8opttte
dienende Zeitschrift von Gunst und Ungunst der Zeiten.
Kant^gételbehaft. 1?9
Wir bemerken, dass die Kantgesellschaft als ^EingetrMiener Verein' und
damit als juristische Person auch in der Lage ist, eventuelle Legate araiefaÉien
zn können.
IL Preisaufgabenfond.
Wie aus den früheren Jahresberichten als bekannt vorausgesetzt werden
darf, haben wir seinerzeit 1000 Mk. aus den laufenden iSditteln der Kantoesell-
schaft in Reserve gestellt für unsere 1. Preisaufgabe: .Kants Begriff £r Er-
kenntnis verglichen mit dem des Aristoteles." wie in den Kantstudieh XII,
S. 268 mitgeteilt worden ist, konnte der erste Preis von 600 Mk. nicht ver-
geben werden, dagegen ist der zweite Preis von 400 Mk. zweimal vergeben
worden: an Herrn Dr. Ch. Sentroul, Agrégé de Philosophie à TEcole St
Thomas in Löwen, und an Herrn Dr. Severin A icher in Tübingen. Die übrig
bleibenden 200 Mk. sind dem Dispositionsfond überwiesen worden.
Für unsere 2. Preisaufgabe: .Das Problem der Theodicee in der Philo-
sophie und Litteratur des 18. Jahrhunderts, mit bes. Rücksicht auf Kant und
Schiller", sind uns, wie seinerzeit gemeldet worden ist, von unserem Ehrenmit-
glied, Herrn Stadtrat a. D. Professor Dr. Walter Simon in Königsberg i. Pr.,
welcher diese Aufgabe aus eigener Initiative gestellt und formuliert hat, 1600 Mk.
rar Verfügung gestellt worden.
Ausserdem haben wir von demselben Gönner und Freund unserer Gesell-
Bchaft soeben vor Abschluss des Jahresberichtes und als Neujahrsgruss einen
leuen, sehr dankenswerten Beweis seiner verständnisvollen Teilnahme an unseren
Bestrebungen ei halten: zur Erteilung eines zweiten Preises von 400 Mk. und
Mnes dritten von 300 Mk. für die besten Bearbeitungen der von ihm gestellten
Preisaufgabe hat uns Herr Stadtrat a. D. Professor Dr. Walter Simon in
iCönigsberg i. Pr. die Summe von 700 Mk. zu überweisen die grosse Güte jgehabt
Diese Summen sind beim Bankhaus H. F. Lehmann in Halle a. S, zins-
>ar angelegt
III. Disposiiionsfond.
Es hat sich als wünschenswert und zweckmässig herausgestellt, einen
>ispositionsfond anzusammeln für unvorgesehene Ausgaben, für eventuelle
|[rOssere Unternehmungen, zu denen die laiSenden Mittel nicht hinreichen, sowie
Qr Zuschüsse zur .Kantstiftung', deren beständige Erhöhung wir niemals aus
len Augen verlieren dürfen, und für ähnliche Zwecke. Diesem Fond ist die
^estsumme aus der Kant-Aristoteles-Preisaufgabe von 200 Mk. überwiesen
worden. Ausserdem sind aus laufenden Mitteln diesem Fond noch 400 Mk.
»gewiesen worden. Diese Summe von 600 Mk. ist ebenfalls beim Bankhaus
i. F. Lehmann in Halle a. S. zinsbar angelegt.
Vorstehender Jahresbericht ist von den Mitgliedern des Verwaltungs-
oisschusses genehmigt worden.
Wie schon KSt XH, H. 3 4, S. 461 berichtet worden ist, hat untere
leneralversammlung für das Jahr 1907 satzungs- und ordnungsgemäss Montag,
ten 22. April statt^^efunden. Nach den schon früher gegebenen Mitteilungen
icstand der Vorstand resp. der Verwaltungsausschuss ckr Kantgesellschaft pro
.907 aus folgenden Personen:
Vorstand: der Kurator der Universität, Geh. Reg.-Rat G. Meyer,
Professor Dr. Ebbinghaus,
Professor Dr. Busse,
Geh. Justizrat Dr. iur. et phil. (h. c.) Stammler,
Direktor der Univ. Bibliothek Geh. Rat Dr. Gerhard,
Geh. Kommerzienrat Dr. phiL (h. c.) H. F. Lehmann,
Geh. Reg.-Rat Professor Dr. Vaihinger, Geschäftsführer.
übrige
Mitglieder
des
Verwaltungs-
ausschusses
180 EantgesellBchaft.
Sämtliche Personen wohnen in Halle. Leider ist uns Professor Dr.
L. Busse, von dessen Umsicht und Erfahrung wir viel für die Förderung
unserer Gesellschaft hoffen durften, am 12. September jäh und viel zu früh
entrissen worden.
Zu der am Donnerstag, den 23. April, abends 6 Uhr, in den Räumen
des Kuratoriums der Universität Halle stattfindenden allgemeinen Mitglied«^
Versammlung wird hiermit gebührend eingeladen, mit dem Bemerken, dass
diese Sitzung mit Rücksicht auf die Osterfeiertage nicht schon am 22. statt-
finden kann.
Tagesordnung.
1. Ablegung der Jahresrechnung für 1907.
2. Wahl der wechselnden Mitglieder des Verwaltungsausschusses,
sowie des Geschäftsführers.
3. Entgegennahme der zu diesem Tage als Ablieferungstermin ein-
laufenden Arbeiten zur Preisbewertung um die Walter Simon-
Preisaufgabe: ,Das Problem der Theodicee in der Philosophie
und Literatur des 18. Jahrhunderts mit besonderer Rücksicht auf
Kant und Schiller'.
4. Mitteilungen.
Diejenigen Jahresmitglieder, welche bis zum Erscheinen dieses Jahres-
berichtes ihre Jahresbeiträge noch nicht eingesendet haben sollten, werden höf-
lichst gebeten, die Einsendung an den Unterzeichneten oder an das Bankhans
H. F. Lehmann hier baldigst zu bewerkstelligen.
Halle a. S., 15. Januar 1908.
Reichardtstr. 15.
Der Geschäftsführer:
H. Valhinger.
Vergflnsiigung
Ar neueintretende Jahresmitglieder der Kantgeaellachafi.
Neueintretende Jahresmit^eder der Kantgesellschaft erhalten, so
lange der Vorrat reicht, unsere Kantfestschrift vom Jahre 1904, sowie
unsere Schillerfestschrift von 1905 zum Eintritt firatis. Die Kant^
festschrift: Zu Kants Gedächtnis (360 Seiten) enäalt Beiträge von
O. Liebmann, W. Windelband, F. Paulsen, A. Biehl, E. KtUmemum,
E. Troeltsch, F. Heman, F. Staudinger, G. Runze, B. Bauch, F. A. Schmid,
E. y. Aster, nebst 4 Abbildungen : Schattenriss von Kant (altes Albombktt),
Brustbild Kants (wahrscheinlich von Elisabeth v. Stägemann)^ Kants Wohn-
haus, Kant und Friedrich d. Gr. nach Bildhauer A. Heinrich. ^ Unsere
Schillerfestschrift: Schiller als Philosoph nnd seine Be-
ziehungen zu Kant (160 Seiten) enthält Beiträffe von R. Eucken,
0. Liebmann, W. Windelband, J. Cohn, F. A. Sdimid, Tim Klein,
B. Bauch, H. Vaihinger, nebst 3 Schillerporträts.
Statuten der Kantgesellschaft durch den unterzeichneten G^eschlfii'
führer, der auch jederzeit Beitrittserklärungen entgegen nimmt.
H. Valhinger.
Kantgesellschaft
Itgliederrerselehiils für das Jahr 1907«
fitareniiilifUed.
dtrat a. D. Professor Dr. Walter Simon, Königsberg L Pr.
JaMrenBltfUeder 10d7.
(Jahresbeitrag 20 IL)
jphiL Severin Aicher, Bottenborg, Priesterseminar.
Bernât Alexander, Professor an der Universität Budapest IV^ Frans-
Josef-Qnai 27.
phil. Johannes Amrhein, Direktor der Deutschen Schule in Lttttich
(Belgien). Rue des Cannes 18.
A pel, Beriin-Clharlottenburg, ühlandstrasse 124.
(Clemens Baeumker, Professor an der Universität Strassburg i E.,
Wenkerstrasse 8.
W. E. Biermann, Privatdozent, Leipzig, Wiesenstrasse 8b.
George Ashton Black, New York, 621 W. 118^ Street
Iwan Bloch, Charlottenburg, Schlttterstrasse 78.
«ktor Dr. Paul Boehm, Achem in Baden.
Botte, Pfarrer, AUendorf (Werra).
ixcellenz Staatsminister Dr. v. Boetticher, Obeipräsident a. D^ Naum-
burg a. S.
id. jur. G. A. E. Bogeng, Berlin W. 80, Martin Lutherstrasse 74.
rmann BoUmann, (Jlvenstedt bei Magdeburg,
dtfttsrat Dr. Brennecke, Magdeburg, Westendstrasse 86.
Baron Cay v. Brockdorf f, JPrivataozent am Polytechnikum, Braun-
schweig, Kasemenstrasse 4.
Emil BuTlaty, Wien XIX, 4, Langackersasse 12.
)r. Ludwig Busse, Professor an der Umverdtit Halle a. 8., Maden-
Strasse 18a.
med. W. Camerer, Medizinalrat. Urach (Wflrttemberff).
Ernst Cassirer, Privatdozent, Berlin W. 80, HohenstoulanstrasM 46.
sriehrer A. Cramer, am kgL Luthergymnasium in Bisleben, Lindenstr.9.
B. Christiansen, Freiburg L Br., liOrettostrasse 88.
Delbos, Professor, Paris, Quai Henry IV 46.
pbiL Ludwig Dilles, Bielitz, Oesterr. Schlesien, Elisabethstrasse 2.
Êhil. et jur. 0. Döring, Hoffnungstal bei Köln a. Bh.
[. Dreyer, Bibliothekar, Florenz, Via Bolognete 66, Villa Landau
alla Pietra.
lannes Fr. Dürr, Verlagsbuchhändler u. Landtagsabgeordneter, Leipzig,
Querstrasse 14.
182 Eantgesellschaft.
Prof. Dr. Ebbinghans, Halle a. S., Friedenstrasse 25.
Dr. 0. A. Ellissen, Professor, Einbeck (Hannover).
Jacob H. Epstein, Frankfurt a. M., Hermannstrasse 22.
Dr. phil. O^kar Ewald, Wien I, Qetreidemarkt 10.
Dr. Richard Falckenb|erg, Professor an der Universit&t Erlangen,
Goethestrasse 20.
Dr. Anton Feigs, Qross-Lichterfelde, Carstennstrasse 6.
Obermedizinalrat Dr. v. Fetzer, Kgl. Leibarzt, Stattgart, Akademie.
Dr. Ernst Fischer, Posen, St. Martin 27.
Oberlehrer G. Fittboeen, Bixdorf, Bichardplatz 9.
Dr. Erich Franz, Obenehrer, Magdeburg, Königgr&tzerstrasse 2.
Dr. med. Paul C. Franz e, Bad Nauheim.
Dr. B. Gaul, Sanitätsrat, Stoln i. P.
Dr. Earl Gebert, München, Von der Tannstrasse 23.
v. Geisler, Prediger, Friedenau, Friedrich- Wilhelmplatz 11.
Dr. Alfred Giesecke, Verlagsbuchhändler, Leipzig, Poststrassse 3.
Rudolf Goldscheid, Wien UI, Richardstrasse 1.
Dr. Julius Guttmann, Breslau, Gartenstrasse 61.
Dr. med. H. Gutzmann, Privatdozent an der Universität Berlin W.,
Schöneberger Ufer 11.
Dr. P. Hauck, Oberlehrer in Essen a. R., Bemhardstrasse 26.
Seminaroberlehrer G. Hecke, Braunschweig, Fasanenstrasse 52 A.
Eugen Heck er, Fabrikdirektor, Braunschweig, Kaiser-Wilhelmstrasse 50.
J. N. Hei de mann. Geb. Kommerzienrat, Köln a. Rh.
Dr. phil J. U. Herz, Wien VIII, Josephstädterstrasse 29.
Dr. phil. G. Dawes Hicks, Professor of Philosophy in University (College,
London.
Dr. phil. J. W. A. Hick son, Montreal (Canada), Mountain street 272.
Dr. karl Hoffmann, Charlotten burg, Schlüterstrasse 62.
Dr K. B. Hofmann, Professor an (Ter Universität Graz, Schillerstrasse 1.
Dr. A. Höfler, Universitätsprofessor, Wien VIII, Florianigasse ft6.
Dr. Richard Hönigswald, Privatdozent an der Universität Breslau, Xm,
Hohenzollemstrasse 20.
Friedrich Freiherr v. Hügel, London-Kensington W., Vicarage Gkite 18.
Dr. Jacobs, Oberlehrer, Essen-Rüttenscheid, Elfriedenstrasse 2a
Dr. W. Jerusalem, Professor, Wien XVm 3, Plötzleinsdorferstrasse 91
Dr. R Jorges, Halle a. S., Mühlweg 21.
Dr. Wladimir Iwan o vsky , Privatdozent, Kasan, Wosdwischensk^ja, 13 Hans
Korsakowa.
Privatdozent Dr. Willy Kabitz, Breslau.
Qr. Katzer, Pastor prim., Loebau i. S.
Professor Dr. Kern, Generalarzt, Subdirektor der Kaiser- Wilhelms-Akft-
demie, Berlin NW. 7, Friedrichstrasse 141.
Dr. Gustav Kertz, Stadtvikar in Karlsruhe (Baden\ Zirkel 18.
Otto Sohlmann, Greiz, Elstersteig 7.
Pfolassor Lie. theol. Dr. Koppelmann, Privatdozent an der Univerntit
Münster i. W., Hereonstrasse 6.
Dr. Felix Kuberka, an der Oberrealschule in Suhl i. Th.
Dr. Friedrich Kuntze, Nordhausen a. Harz, Bahnhofstrasse 8.
Georg Kttspert, Gymn.-Prakt., Präfekt am Schülerpensionat^ Schweinfntt
GMl Begierungsrat Dr. A. Lassen, Professor, Friedenau-Berlin, Han^'eiy-
strasse 49.
^otar jQstizrat Leibl, Dflren, Westfalen.
Heinrich Levy, Suhl in Thüringen (z.Z.Friedenaa, WühelmstnsselS).
g?
KantgesdllBohaft. 188
Dr. J. A^ Levy, Advokat, Amsterdam.
Dr. Levy -Brühig Professor, Paris, Rue Lincoln 7.
Dr. Edmund v. Lippmann, Professor, Halle a. S., Baffineriestrasse.
D. Dr. Loofs, Professor an der Universität Halle a. S., Lafontainestrasse.
Dr. Victor Lowinsky, Charlottenburg, Königin Elisabethstrasse 61.
Emil Luck a, Schriftsteller, Wien IX., Rossauergasse 4.
Karl Maisch, Buchdruckereibesitzer, Karlsruhe.
M. P. Mason, Boston (Mass.) U. S. A., Commonwealth Avenue Ifr. 347.
Dr. Fritz Mauthner, Freiburg i. Br., Mozartstrasse 8.
Dr. W. Meinecke, Magdeburg, Bismarckstr. 8.
Dr. A. V. Mein on g, Professor an der Universität Graz.
Dr. Mendel, Pastor, Leipzig-Volkmarsdorf, Konradstrasse 68a.
Dr. Paul Menzer, Professor an der Universität Marburg, Wörthstrasse 60.
Frau Bertha Meyer, Dresden A., Lennéstrasse 2.
Frau Justizrat Meyer, Dresden A., Lennéstrasse.
Dr. phil. Martin Meyer, Berlin W., Königin- Augustastrasse 21.
Dr. Georg Misch, Frivatdozent, Berlin-Charlottenburg 4, Kantstrasse 101.
Archivar Dr. Leo Müffelmann, Berlin W., Eisenacherstrasse 62.
t Dr. med. Arthur M ül berger, Oberamtsarzt, Crailsheim.
Professor Conrad Müller, Charlottenburg, Oranienstiasse 2.
Dr. H. Nohl, Jena, Stoystrasse 3.
Dr. Konstantin Oesterreic^, Berlin W. 30, Goltzstrasse 19.
Otto Pas quay, Königl. Bezirksamtmann a. D., München, Hermann Schmid-
stasse 8^
Dr. Johannes Paulsen, Altona, Kl. Gärtnerstrasse 109.
Lehrer am Realgymnasium F. Pinski, Berlin, Kniprodestrasse 118b.
Lie. Dr. Arno Pommrich, Dresden A., Fürstenstrasse 24.
Reichardt, Stadtrat, Magdeburg, Beethovenstrasse 2.
Dr. Jobannes Reicke, Bibliothekar, GOttingen, Friedländerweg 28.
Dr. phil. W. Reinecke, Oberlehrer, Bitterfeld.
Dr. R. Reininger, Privatdozent, Wien IX, Giessergasse 6.
Dr. phil. H. Renner, Berlin-Charlottenburg 4, Kantstrasse 49.
Riedel, Geh. Kommerzienrat, Halle a. S., Advokatenweg 36.
Dr. Inr. Francisco Rivera, Madrid, Museo Pedagögico Nacional, Daoiz 7.
Erich Rothacker, Pforzheim. Luisenstrasse 68.
Dr. Maximilian Runze, Prediger und Dozent an der HnmboldtpAkademie,
Berlin NW. 62, Thomasiusstrasse 22.
Dr. Th. Ruyssen, Professor, Chargé de cours de philosophie à la Faculté.
des Lettres, Dgou, Rue Docteur Lavalle 29.
Dr.jnr. J. Sacker, St. Petersburg, Nadejdinsksja 34, Gesellschaft „Energie'*.
Oberlehrer Dr. Sänger, Oels, Schlesien.
Professor Léon Sautreaux, Agrégé de Philosophie, Lycée de Grenoble,
Rue Denfert-Rochereau 9.
Max Schersath, Versicherungsbeamter, Berlin, Warsohauerstrasse 86.
Dr. med. C. J. M. Schmidt, Odessa, Boulevard 6.
Dr. Ernst Schrader, Privatdozent an der Technisohen Hoohsohule, Darm-
stadt, Hoffmannstrasse 18.
Franz Schraube, Hauptmann a. D., Halberstadt, Yoigtei 48.
Oberlehrer Dr. Julius Schultz, Berlin NO., Friedenstrasse 111.
Dr. Fritz Schnitze, Professor an der Technischen Hochschule, (Geheimer
Hofrat, Dresden A , Würzburgerstrasse 44.
A. Schulze, Direktor, Halle a. S., Raffineriestrasse 28.
Dr. Charles Sen tr oui, Agrégé à l'École St Thomas, Louvain, Bue de
Tirlemont 126.
184 KantgMellscliaft.
Siebert. Rittergutsbesitzer, Corben bei Mollehnen L Ostpr.
Qeh, Honrat Dr. phil. hon. c. Ernst Sieglin, Fabrikbesitzer, Stuttgart,
Felfirersburg.
Dr. Ed. Simon, Kommerzienrat, Berlin, Victoriastrasse 7.
Dr. Sitzler, Re^erungsreferendar, Brieç.
Dr. H. Spitta, Professor an der Universität Tübingen.
Dr. H. Staeps, Pfarrer in Theningen (Baden).
Gymnasialprofessor a. D. Dr. Staudinger, Darmstadt, Inselstrasse 26.
Dr. J. Hutchison Stirling, Professor, Edinburgh, Laverock Bank Boad 4.
Pfarrer Strothmann, Marten bei Dortmund.
Dr. Anton Thomsen, Privatdozent, Kopenhagen, Skindergade 29.
Cand. jur. K'uno Tie mann, Berlin, Brückenallee 4.
Dr. Hans Vaihinger, Professor an der Universität Halle a. S., Geh. Reg.-
Rat, Reichardtstrasse 16.
G. Vocke, Amtsrichter, Günzburg i. B.
Dr. Volkelt, Professor an der Universität Leipzig, Auenstrasse 3.
Dr. h. c. Vollert, Verlagsbuchhändler, Berlin Sw, Zimmerstrasse 94.
Dr. E. Vowinkel, Realschuldirektor, Mettmann, Rheinprovinz.
Gustav Wagner, Privatmann, Achem (Baden).
Julius Wagner, Tulln a. d. Donau bei Wien.
A. Warda, Amtsrichter, Königsberg i. Pr., Tragheim, Pulverstrasse 21.
W. B. Waterman, Boston (Roxbury) Mass. U. S. A., Wanmbeckstreet 41.
Lecturer C. C. J. Webb, M. A. Oxford, Magdalen College.
Dr. R. Wedel, Privatgelehrter, München, Rinzregentenstrasse 8.
Dr. Alexander Wernicke, Professor am Polytechnikum Braunschweig.
Verlagsbuchhändler H. We s sei, Wolfenbüttel.
Privatdozent Dr. R. Wilbrandt, Berlin W. 16, Bleibtreustrasse 26.
Edmund Wirth, Kommerzienrat, Sorau N.-L.
Dr. Erich Witte, Misdroy.
Wladimir Wrana, Lehrer in Zlabings (Mähren).
I^vatdozent Dr. M. Wundt, Strassburg i. E., Stemwartenstrasse 28.
Dr. Theobald Ziegler, Professor an der Universität Strassburg L E.
Bibliothek der St. Nicolai-Kirche in Berlin (Prediger 06hrke,
Berlin C 2, Poststrasse 15).
Bibliothek des Kgl. Wilhelmsgymnasiums in Berlin (Direktor Geh.
Reg.-Rat Prof. Dr. Leuchtenberger, Bibliothekar I^f. Dr. Draheim).
Vermittlungsstelle : Webersche JBuchhandlung, Berlin W. 8, Cha^
lottenstrasse 48.
Bibliothek des Realgymnasiums Coblenz (Direktor Dr. Goossen).
Magistrat der Stadt Hildesheim.
Ein ungenannt bleibendes Mitglied.
Summa: 164 Jahresmitglieder.
Besugsberectatlgte Danermltglleder.
(Einmaliger Beitrag von mindestens 400 Mark.)
Geh. Kommerzienrat Ludwig Bethoke, Halle a. S., Burgstrasse.
Konsul B. Brons jr.^ Emden.
Frau Geh. Kommerzienrat Albert Dehne, Halle a. S., Schimmelstrasse 7.
Verlagsbuchhändler Dr. Robert Faber, Magdeburg, Westendstrasse 13.
Kommerzienrat Robert Frank, Ludwigsbur^.
Direktor der deutschen Bank Arthur G winner, Berlin W., Rauchstrassel.
Professor Dr. G. fl. Howison, Berkeley (Calif.), Bancroft-Way 2731.
Fabrikbesitzer und Baumeister Friedrich Kuhnt, Halle a. S., Steinweg.
Justizrat Dr. Lachmann, Berlin W. 10, Bendlerstrasse 9.
Kant^MellMhaft. 185
eh. Kommersienrat Heinrich Lehmann, Halle a. S., Bargstrasse 46.
u^^t Lud ow ici, Genf, Route de Florissant 36.
rof. Dr. Götz Martins, an der Universität Kiel, Hohenbergstrasse.
erlagsbuchhändler Bittergutsbesitzer Rudolf Mos se, Berlin SW. 19,
Jerusalemerstrasse 46/9.
rof essor Dr. Friedrich Paulsen, Steglitz bei Berlin, Fichtestrasse,
ibrikbesitzer W. v. Siemens, Berlin W., Tierjrartenstrasse 10.
»dtrata. D. Professor Dr. Walter Simon, Königsberg i.Pr., Kopemikus-
strasse, Ehrenmitglied der Kanteesellschaft.
rof essor Dr. August Stadler, Zürich, Bleicherweg.
eneralarzt Dr. med. Stechow, Hannover, Hohenzollemstrasse 44.
rof essor Dr. Strong, New- York, Columbia University.
erlafi:sbuchhändlerDrphil.hon.c. Ernst V oller t, Berlin SW. 12,Zimmerstr.94.
»brikbesitzer Ernst Weise, Halle a. S., Händelstrasse.
eh. Kommerzienrat Carl Wessel. Bembuig.
he Philosophical Union of the University of California,
(President: Professor G. H. Howison), Berkeley, (Calif.)
ociety of Ethical Culture (President: Professor Dr. Felix Adler),
New-York 123 E, 60*^ Street.
Summa: 24 bezugsberechtigte Dauermitglieder.
unerdem noch ca. 350 Mitglieder mit einmaligen Beiträgen unter 400 Mk.
Anhang.
Nenelngetretene Jataresmttglleder für 1908.
^. Erich A dick es, Professor an der Universität Tübingen.
»r.Otto Boelitz, Oberlehrer a.d.Deut8ch. Schule in Brüssel, Rue Forestière 41.
hr. jur. Bernhard Carl Engel, Berlin W. 80, Heilbronnerstrasse 3.
lie theol. Dr. phil. Karl Heim, Privatdozent und Konviktsinspektor,
Halle a. S , Wilhelmstrasse 10.
hr. phiL G. Huber, Qrassau (Oberbayem).
hr. A. J. de Sopper, Velsen (Holland).
Professor Dr. Otto Schneider, Küstrin-Neustadt, Landsbereerstrasse 107.
)r. Johannes Schubert, Qröbers bei Halle a. S., Villa Bayl
hr. Karl Wollf , Dramaturg des Grossh. Hoftheaters in Karlsruhe (Baden),
Kriegsstrasse 63.
hr. G. E. Burckhardt, Gr. Krauschen (Kreis Bunzlau).
hr. Ph. Bridel, Professeur à la Faculté de Théologie de TÉglise libre,
Lausanne, Clos-Maria.
'astor E be ling in Erbisdorf bei Freiberg i. Sa.
irtLU Dr. Elisabeth Förster-Nietzsche, Weimar, Nietzsche-Archiv.
fr. Hans Lindau, Berlin-CHiarlottenburg, Kantstrasse 123.
tadtachulrat Dr. Carl Michaelis, Berlin W., Kurfürstenstrasse 14.
rivatrelehrter Carl Müller, Braunschweig, an der Martinikirche 2.
r. phu. John M. O'S u 1 1 i v a n , Dublin (Irland), N. C. R. Bessborough-Terrace 22,
r. ph. Stefan Pawlicki, Universitätsprofessor in Krakau.
T. Franz Rademaker, Bonn, Hohenzollemstrasse 21.
rof essor Dr. Carl Stumpf, Geh. Reg.-Rat, Berlin W., Augsburgerstr. 61.
tadtrat Tourbie, Berlin NW., Wickmger Ufer 1,
berst a. D. Vitzthum von Eckstädt, Berlin W. 15, Fasanenstr. 37.
latizrat Dr. Wolf, Dresden, Johann Georgen- Allée 6.
ibliothek der Latin a, Halle a. S. (Direktor Dr. Rausch.)
hilosophisches Seminar der Universität Heidelberg,
hilosophisches Seminar der Universität StrassburgiJj. (KoUegien-
gebände.)
186 Mitteilnngen.
Dritter internationaler Kongress fikr Philosophie
Heidelberg, 31. Anif^ist bis 5. September 1908.
Der internationale Kongress für Philosophie, der im Jahre 1900 is
Paris bei Gelegenheit der Weltausstellung begründet wurde und zum
zweiten Male 1904 in Genf tagte, soll nach dem dort gefassten BesehhuM
in diesem Jahre in Heidelberg zusammentreten.
Die staatlichen, städtischen und akademischen Behörden haben ihn
bereitwillige Unterstützung in dankenswerter Weise zugesagt, und vir
beehren uns, zum Besuche der Versammlung einzuladen, welche in der
Woche vom 31. August bis 5. September stattfinden wird.
Nach einem Begrüssungsabend am Montag, den 31. August soll am
Dienstag, den 1. September die erste der vier allgemeinen Sitzungen asd
am Vormittag des Samstag, 5. September, die Schlusssitsung abgehalten
werden, an die sich am Nachmittag ein Ausflug anschliessen wird.
Für die besonderen Arbeiten wird sich der Kongress in folgende
7 Sektionen gliedern: 1. Geschichte der Philosophie; 2. Allgemeine Philo-
sophie, Metaphysik und Naturphilosophie; 3. Psychologie; 4. Logik imd
Erkenntnistheorie; 5. Ethik; 6. Ästhetik; 7. Religionsphüosophie.
Die Verhandlungen des Kongresses werden in deutscher, englischer,
französischer und italienischer Sprache geführt.
Anmeldungen zu Vorträgen für die Sektionen werden zunächst es
den Generalsekretär Dr. Elseuhans (Heidelberg, Plöck 79) erbeten, der
sie den noch zu bestimmenden Sektionsvorständen überweisen wird. Die
Ausdehnung der einzelnen Mitteilungen sollte die Zeit Ton 15 Minotei
nicht überschreiten ; den Zeitraum für die Diskussion nach Massgabe der ZiU
der Anmeldungen zu begrenzen, bleibt den Sektionsvorständen vorbehaltei.
Der Preis der Mitgliedskarte beträgt 20 Mk.; sie berechtigt nr
Teilnahme an allen Veranstaltungen des Kongresses und zum unentgelt-
lichen Bezufire des Eongressberichtes. Für Damen, welche zur Familie
eines Eongressmitgliedes gehören, werden besondere Karten zu 10 Mk.
ausgegeben, welche dieselben Berechtigungen wie die Mitgliedskartes,
mit Ausnahme des Anspruchs auf den Kongressbericht, gewähren.
Anmeldungen zur Beteiligung sind im Interesse der Schätzung dei
zu erwartenden Besuchs so früh wie möglich erwünscht; sie erfolgen ib
besten in der Form der Einzahlung des Beitrags mit Postanweisung tt
die Rheinische Kreditbank, Depositenkasse, Ludwigsplatz, in Heidelheigt
mit möglichst genauer Angabe der Adresse, an welche sodann die Ifit*
gliedskarte durch die Post zugestellt werden wird.
Im Monat Mai wird eine zweite Einladung mit genaueren Angtbei
erfolgen, die auch Mitteilungen über die Unterkunft in Heidelberg est*
halten werden.
Das Heidelberger Organisationa-Komltee.
Gerne bringen wir vorstehende Einladung zum Abdruck auf des
Wunsch des Organisations-Komitees, dem u. A. unsere Mitarbeiter Gek.
Rat Prof. Dr, Windelband, Präsident des Kongresses, Geh. Kircbeont
Dr. Troeltsch, und die Privatdozenten Dr. Elsenhans, Dr. F. A.
Mitteilungen. 187
ïchxnid und Dr. Lask ang;ehOren. Auf dem Eongress, an dem îeder
>hilo8ophi8ch Interessierte ohne weiteres teilnehmen kann,
werden voraussichtlich auch die beiden Herausgeber der Eantstudien an-
lesend sein, um so mehr, als der Eine derselben, Prof. Vaihinger, Mitglied
1er vom Genfer Eongress ernannten „permanenten internationalen Eom-
Diasion*^ ist, dem auch n. A. die Mitglieder der Eantgesellschaft Prof.
>Uthey-BerliD, Prof. Riehl-Berlin, Prof. Lasson-Berlin angehören. Mit-
pJLieder und Freunde der Eantiresellschaft werden somit den
leidelberger Eongress als Treftpunkt betrachten können.
Bestimmungen
Ober die Ergänzungshefte der Kantstudien.
Mannigfache Erfahrungen veranlassen uns, folgende Bestimmungen,
betreffend die Aufnahme von Arbeiten in die „Ergänzungshefte** der von
ins herausgegebenen „Eantstudien" allgemeiner bekannt zu machen:
1. Die Ergänzungshefte der Eantstudien werden, entsprechend den
Ifitteilungen in dem Jahresbericht der Eantgesellschaft pro 1906 (ESt.
EU, H. 1, S. 147) auf Eosten der Eantgesellschaft| hergestellt, die
leren Exemplare an ihre Jahresmitglieder und bezugsberechtigten
Daaermitglieder gratis und franko versendet. Ausserdem werden Exem-
;>lAre auch an Nicht-Mitglieder abgegeben: dies geschieht durch Ver-
nittelung der Verlagsbuchhandlung Reuther & Reichard in Berlin. Er-
Imbrnng^sgemäss werden auf diese Weise nur verhältnismässig wenige
Exemplare abgesetzt, da ja schon so viele Freiexemplare durch die Ver-
teUang seitens der Eantgesellschaft an ihre Mitglieder verbreitet werden.
Selbst im allergünstigsten Falle kann die Gesellschaft durch die Ein-
ttmhmen aus jenen Verkaufsexemplaren niemals ihre Auslagen ersetzt
bekommen. Aus diesem Grunde kann für die Ergänzungshefte kein
àatorenhonorar gewährt werden.
2. Die Autoren werden — mindestens fttr das Jahr, in dem
ihre Arbeit als Ergänzungsheft der Eantstudien erscheint — Mitglieder
der Kantgesellschaft, mit dem gewöhnlichen Jahresbeitrag.
8. Manuskripte, welche zur Aufnahme in die Ergänzungshefte der
SLmntbtiidien bestimmt sind, müssen gut leserlich hergestellt und gänzlich
dmekfertig sein. Wenn durch Verschulden des Autors nachträgliche
Korrekturen im Satz gemacht werden mttssen, so hat der Autor die Eosten
Uarfflr zu tragen.
Es empfiehlt sich daher für die Herren Autoren, dass sie ihre
Korrekturbogen, welche sie gelegentlich der Revision resp. der Super-
terision zurückerhalten, aufbewahren, um eine eventuelle Eostenrechnung
tber die etwa von ihnen verschuldeten Autorenkorrekturen nachkontro-
tteren su können.
4. Jeder Autor erhält 80 Freiexemplare. Deren Absendung erfolgt
Mcb Berichtigung des sub 2. erwähnten Jahresbeitrages, sowie der
iab 8. erwähnten event, entstandenen Unkosten.
5. Wenn Arbeiten Dissertationen sind, so werden die Abzüge,
Welche den betr. Fakultäten einzureichen sind, in vorgeschriebener Anzahl
terck untere Drookeiei hergestellt Die Kosten für diese Separatabzflge
188 Mitteilangen.
tragen die Autoren selbst. Die G^esamtkosten (inkl. Neusatz des Tifceli,
der Vita, der ev. Widmung, Papier, Broschur u. s. w.) betragen ämur
schnittlich pro Bogen nur 8—10 Mk., z. B. eine Dissertation von 6 Bog«i
Umfang kostet also 40— 60Mk. Diese Kosten sind an die Druckerei einxa-
senden, worauf dieselbe die Dissertationsexemplare an die angegebene
Adresse absendet.
6. Die Autoren übertragen das Eigentumsrecht ihrer Arbeit anf
die Kantgesellschaft für deren erste Auflage. Ist von einem E^
gänzungs-heft die ganze erste Auflage (welche der Regel nach insgesml
5 — 600 Exemplare beträgt, exkl. der ev. Dissertationsexemplare) yergriffon,
so verbleibt dem Autor das Eigentumsrecht für jede folgende Auflag;
doch hat er die Verpflichtung, den Verlag der Neuauflage der Krmi
Reuther & Reichard in Berlin zuerst anzubieten. Führen die Veriuuid-
lungen zu keinem Ziel, so hat der Autor völlig freie Hand.
Halle a. S., im März 1908.
Die Herausgeber:
Vaihiiiger. BaaelL
Mitteilung für Jahresmitglieder und Solche,
die es werden wollen.
Die Jahresmitglieder und bezugsberechtigten Dauermitgliedcr
der Kantgesellschaft gemessen folgende Vergünstigungen:
1. Frühere Bände der „Kantstudien", sowohl die ganze
Serie, als einzelne Bände stehen zu dem Vorzugspreis von 6 M.
pro Band (statt 12 M.) zu Gebote. Mitglieder, welche von dieser
Vergünstigung Gebrauch machen wollen, mögen sich direkt an
die Verlagsbuchhandlung von Reuther & Reichard, Berlin W 9,
Köthenerstrasse 4, wenden.
2. Die früher erschienenen Ergänzungshefte können zu dem
ermässigten Preise nachbezogen werden, der in dem auf S. 197
folgenden Verzeichnis der Erg.-Hefte angegeben ist Der Bezug
kann direkt durch die Verlagsbuchhandlung Reuther & Reichard
oder durch die eigene Sortimentsbuchhandlung geschehen.
3. Von unserem Mitglied, Dr. Oskar Ewald, dem Verfasser
der im vorigen Heft erschienenen vielbeachteten Abhandlung:
Die deutsche Philosophie im Jahre 1906 (von dem auch in den
folgenden Bänden solche Jahresübersichten kommen werden), ist
im Verlag von Ernst Hofmann & Co. in Berlin soeben erschienen:
Kants kritischer Idealismus als Grundlage von Erkenntnistheorie
und Ethik (314 S.). Durch SpezialVertrag mit dem Verlag er-
halten unsere Mitglieder dieses Werk für 8 M. (statt 10 M.). Ebenso
ist das im vorigen Jahr erschienene Buch desselben Verfossers:
Mitteilcmgen. 189
»Kants Methodologie in ihren Grundzügen. Eine erkenntnis-
ttieoretische Untersuchung« (125 S.) für 3 M. (statt 4 M.) zu be-
adehen. Interessenten wollen sich direkt an die Verlagsbuchhand-
lung Ernst Hofmann & Co., Berlin W 35, Derfflingerstrasse 16,
wenden. Die in Deutschland und Österreich-Ungarn wohnenden
Mitglieder erhalten die betr. Sendung auch postfrei. (Auch Be-
stellungen, welche dem genannten Verlage auf dem üblichen Buch-
handlerwege zugehen, werden zu den Vorzugspreisen ausgeführt.)
Die Jahresmitglieder der „KarUgeseUschafl^ (Jahresbeitrag 20 M.)
erhalten die yyKantstudien^ (4 Hefte im Umfang von ca. 500 Seiten),
moune die dazu gehörigen Ergänzungshefte (im JaJir 3 — 4, im Um-
fang von ca. 3 — 400 Seiten) gratis und franko. Statuten sind
durch den OeschäftsfUhrer der Kantgesellschaft, Prof Dr. Vaihinger
{^Halle a. S., Reichardtsbrasse 15), zu beziehen, der auch jederzeit
Beitrittserklärungen entgegen nimmt.
Die Jahresberichte fiber die deutsche Philosophie
in den ,,Kantstudien'^
=== Mitteilung an Autoren und Verleger. ===
Der Jahresbericht über die deutsche Philosophie des Jahres 1906
im Heft 3 und 4 des Xn. Bandes der „Kantstudien**, erstattet von Herrn
Dr. Oskar Ewald, Mitglied der Kantgesellschaft, hat allseitig Beifall
fefonden. Die Bedaktion der „Kantstudien^ hat daher beschlossen, von
nm an regelmassig von demselben Autor über jedes Jahr einen solchen
Bericht zu bringen. Um diesen Bericht recht ergiebig zu machen, ist es
notwendig, dass die Herren Autoren resp. Verleger von neuen Erschein-
sngen, welche auf deren Erwähnung in dem genannten Jahresbericht
Wert legen, ihre Schriften an den Herrn Berichterstatter senden. Die
YerMndung soll direkt an Herrn Dr. Oskar Ewald, Wien I, Getreide-
fliarkt 10, erfolgen. Natürlich übernimmt der Berichterstatter damit nicht
die Verpflichtung, nun auch jede ihn zugesendete Neuerscheinung zu er-
wihnen; doch wird er selbstverständlich bestrebt sein, nichts Wertvolles
imerwähnt zu lassen.
Der Jahresbericht des Herrn Dr. Oskar Ewald ändert absolut nichts
an unserer bisherigen Einrichtung der Rezensionen und ist von diesen
gSDB unabhängig. Diejenigen Bücher, von denen selbständige Rezensionen
la den ,,Kant8tudien*' erscheinen sollen, bitten wir, wie bisher, in einem
besonderen Exemplar an den mitunterzeichneten Herausgeber der „Kant-
stodien*', Privatdozent Dr. B. Bauch, Halle a. S., Goethestrasse 86, ein«
landen zu woüen.
Halle a. S., im März 1906.
Die BedAktion der „Kantitadiea<<.
Ytibinger, Biuoh,
190 Mitteilungen.
Drittes Preisausschreiben der „Kantgesellstf.
Carl Gütticr-Prcisaufgabc.
Welches sind die urtrMichen Fortschritte,
die die Metaphysik seit Hegels und Herbarts Zeiten
i/n Deutschland gemacht hat?
Das Thema ist der von der Berliner Akademie der Wissen-
schaften für 1791 gestellten und bis 1795 verlängerten Aufgabe nach-
gebildet, zu deren Bearbeitung Kant selbst Entwürfe gemacht hatte:
„Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit
Leibniz' und Wolff's Zeiten in Deutschland gemacht hat?^ Das
jetzt gestellte Thema könnte auch lauten: „Welche definitivea
Resultate hat die Metaphysik seit dem Zusammenbruch des deotscbeo
Idealismus erzielt?'' Hierbei ist „Metaphysik** wie in jener Akademie-
Aufgabe und wie bei Kant, im weiteren Sinne genommen, derart,
dass auch erkenntnistheoretische und naturphilosophische Probleme
darunter fallen. Das Thema ist nicht so gemeint, dass notwendig
„wirkliche Fortschritte" aufgewiesen werden sollen; auch einem
einem negativen Ergebnis kommende Arbeit kann, wenn sie nur
wissenschaftlich gut durchgeführt ist, preisgekrönt werden.
Die zeitliche Begrenzung nach rückwärts ist so zu Te^
stehen, dass eine eingehende Würdigung Schopenhauers, des
letzten Schelling, Benekes und Krauses ausserhalb des Themas
liegen soll
Es handelt sich hierbei nicht um eine ausführliche histo-
rische Darstellung aller in Betracht kommenden Systeme nod
Richtungen, — im Gegenteil, die Kenntnis derselben wird in
den Beantwortungen des Themas vorausgesetzt; Aufgabe des
Autors ist es vielmehr, das Haltbare, Gemeinsame, Dauernde aus
dem historischen Material jener Systeme und Richtungen heraus-
zuarbeiten, das Veraltete, Individuelle, Wandelbare abzuscheiden
Mitteilnngen. 191
d, an den so gewonnenen Resultaten, die Fortschritte gegenüber
r Periode Hegel-Herbart, event, auch gegenüber der Kantischen
;d Vorkantischen Metaphysik festzustellen. Arn zweckmässigsten
irde dies durch zusammenfassende Thesen am Schlüsse der Arbeit
Ibst geschehen.
Die Ausschreibung dieser dritten Preisaufgabe verdankt die
[antgesellschaft der Anregung ihres Mitgliedes, des Herrn Pro-
essor Dr. Carl Güttier an der Universität München,
welcher nicht nur das oben formulierte Thema nebst Erläute-
Mgen uns selbst angegeben, sondern auch der Gesellschaft für
lie beste Beantwortung der Aufgabe
Eintausend PlarK
ind für die zweitbeste Bearbeitung
Sechshundert Plarl^
^ Verfügung gestellt hat.
Für die Bewerbung an diesem Preisausschreiben gelten fol-
"ende Bestimmungen:
1. Die Bewerbungsschriften sind einzusenden an das „Kuratorium
der Universität Halle".
l Ablieferungsfrist: 22. April (Kants Geburtstag) 1910.
t. Jede Arbeit ist mit einem Motto zu versehen. Name und
Adresse des Verfassers dürfen nur in geschlossenem Kouvert
beigefügt werden, das mit dem gleichen Motto zu über-
schreiben ist.
. Jeder Arbeit ist ein genaues Verzeichnis der benützten Litte-
ratur, sowie eine detaillierte Inhaltsangabe beizufügen.
. Nur gut lesbar hergestellte Bewerbungsschriften
werden berücksichtigt. Undeutlich geschriebene,
schwer lesbare Manuskripte werden unbedingt von
Yorn herein von der Konkurrenz ausgeschlossen.
Daher werden die eingesendeten Arbeiten am besten
mittelst guter Schreibmaschinenschrift hergestellt.
Die Bi&tter des Manuskripts müssen paginiert und mit Rand
yersehen sein. Nur die Vorderseite der Bl&tter mlite be«
192 Mitteüungen.
schrieben werden. Das Manuskript kann aus losen Blättern
in einer mit Bändern versehenen Mappe bestehen.
7. Die Arbeiten müssen in deutscher Sprache abgefasst sein.
8. Als Preisrichter fungieren: Geheimrat Professor Dr. A Biebl
und Geheimrat Professor Dr. K. Stumpf an der üniversitit
Berlin, sowie Professor Dr. 0. Külpe an der üniversitit
Würzburg.
9. Die Verkündigung der Preiserteilung findet Ende 1910 ii
den ,,Kantstudien^ statt.
10. Sind überhaupt keine preiswürdigen Arbeiten eingelaufen, »
können die relativ -befriedigendsten Beantwortungen nadi
dem Ermessen der Preisrichter aus dem Preisfond Bemiuie-
rationen erhalten.
11. Die Redaktion der „Kantstudien^ ist berechtigt, aber nidit
verpflichtet, preisgekrönte Arbeiten in ihrer Zeitschrift (resp.
in den zugehörigen „Ergänzungsheften^) abzudrucken.
12. Nichtgekrönte Arbeiten werden seitens des Geschäftsführen
der Kantgesellschaft demjenigen zurückgegeben, welcher sich
durch Angabe des betreffenden Mottos legitimiert. Kickt-
reklamierte Arbeiten werden nach Verlauf eines Jahres, «■
31. Dezember 1911, samt dem zugehörigen uner5fbeta
Rouvert vernichtet.
Halle a. S., im März 1908.
(Reichardtstr. 15.)
Der Geschäftsführer der »»Kantsesellscbaft''.
Professor Dr. H. Vaihinger.
NB. Exemplare dieses Preisausschreibens^ das eine hn0^
Revision der deutschen Philosophie seit ca. SO — 60 Jahren veri/ff^
sind durch den obengenannten Geschäftsführer der ^KantgesMkß?
tu hmehen.
MitteiloDgen. l98
Kants Beziehungen zur Medizin.
— Eine Umfrage. --
Herr Dr. med. Erich Ebstein in München, Assistent am Kranken-
ans links der Isar, hat vor Karzern einen sehr interessanten Beitrag zur
enntnis Kants veröffentlicht: „Ein vergessenes Dokument I. Kants zur
eschichte der Influenza^ (Deutsche Medizinische Wochenschrift 1907,
o. 47). Es wird darin ein Brief Kants an Hof rat Metzger vom 81. De-
imber 1782 mitgeteilt, in welchem Kant das von ihm aach sonst mehr-
ch berührte Thema der damals grassierenden Influenza (leider auch
)ute noch nach 126 Jahren ein aktuelles Thema — zumal in diesem
^inter) instruktiv behandelt. Über dieses bisher vergessene und von Eb-
ein ausgegrabene Schreiben Kants wird im nächsten Hefte Professor Dr.
enzer referieren. Hier sei nur auf Wunsch von Herrn Dr. Eb-
«ein darauf aufmerksam gemacht, dass derselbe beabsichtigt, Kants Be-
ehuDgen zur Medizin zum ersten Mal in umfassender Weise zu behandeln
enn was Bohn 1872 in der Altpr. Monatsschr. Bd. 9 und Eohut in der
tiarmazeutischen Zeitung vom 6. Februar 1904 — „Kant als Arzt und
potheker^ — geboten haben, sind nur Anfänge). Herr Dr. Ebstein wird für
den Nachweis und Hinweis in dieser Hinsicht dankbar sein. V.
Neuaufgefundene Kantbriefe«
In letzter Zeit sind einige bisher unbekannt gebliebene Briefe Kants
f gefunden worden: 1. an Professor Metzger in Königsberg, vomSl. De-
DQoer 1782, betr. die damalige Epidemie der Influenza; — 2. An Herrn
tgister Rath in Halle, vom 16. Oktober 1792, betr. eine lateinische
>er8etzung der Kritik d. r. V.; — 3. an Professor Hufeland in
KU, vom 19. April 1797, betr. Kants Schrift .über die Macht des Gemüts**
8. w. — Leider hatten wir im vorliegenden Hefte keinen Baum mehr
r Mitteilung dieser Briefe, über welche nun im nächsten Hefte Herr
of essor Dr. P. M enzer in Marburg, welcher bekanntlich seit Jahren
der grossen Berliner Akademie-Ausgabe tätig ist, berichten wird.
V.
An die Herren Autorenl
Es ist in der letzten Zeit mehrmals vorgekommen, dass nachträglichf
ch während der Korrektur, Textänderungen vorgenommen wurden,
^inm machen wir die Herren Autoren darauf aufmerksam, dass die
^rrektur-Fahnen und -Bogen nur sam Zwecke der Drackfehlerver-
ftsemng übersandt werden. Sogenannte Aatorkorrektaren (d. Il
idemngen des im Manuskript vorgelegten Textes) sind unxiilftasig.
) lind mit grossem Aufwand von Zeit und Kosten verbunden, halten die
ueklegung auf und können nur auf Rechnung der Autoren selbst aus-
fahrt werden.
Redaktion und Verlag der „Kantstudien^.
XuUMidlM XIll. ^^
194 Mitteilungen.
Der Begriff der Persönlichkeit bei Kant
Nachtrag
zu dem Trendelenburgschen Aufsatz: „Zur Geschichte des Wortes Per8on^
Der ausserordentlich anziehende Aufsatz aus dem Nachlass Trendekn-
burgs, den wir an der Spitze dieses Heftes abgedruckt haben, findet
interessante Ergänzimg und wertvolle Bestätigung durch verschiedene
Publikationen, welche gerade jetzt, resp. vor Kurzem erschienen sind.
Was zunächst die tnerkwürdige Vorgeschichte des Ausdruckes PenoM
betrifft., so sei aufmerksam gemacht auf eine kürzlich erschienene Schnft
des Kieler Juristen Professor Dr. Siegmund Schi oss mann: PenoM
und nçôçamoy im Recht und im chrisSichen Dogma (Kiel und Leipo^
Lipsius & Tischer 1906, 12A S.). Der Verf. geht vom juristischen Penon»
begriff aus, zu dem er viele wichtige Litteratur beibringt, übrigens mit
der ausgesprochenen Tendenz, das juristische Bemffssystem von diesen
„Schädlinge zu befreien, da der Begriff unklar und unbestimmt seL Wjt
müssen uns hier damit begnügen, auf diese gelehrte Schrift hinznweistti^
in der sich Klassische Philologie, Archäologie, Kirchengeschichte undJuii^
prudenz ein Stelldichein geben.
Femer sei hingewiesen auf eine mir soeben zufiüü^ bekannt ge>
wordene Abhandlung von Professor Dr. Sawicki in Pelplin (in Wes^
preussen bei Danziç): „Das Problem der Persönlichkeit bei Kant*' (in der
Zeitschrift: »Der Katholik^, 87. Jahrg., Mainz, Kirchheim & Co. 1903^
S. 44—66). Der Verf. knüpft an die Dissertation von D. Greiner an:
gDer Begriff der Persönlichkeit bei Kant^ im Archiv f. Ghesch. d. Phitoi
Bd. X, 1896, über welche die KSt. schon in ihrem ersten Bande, S. 481^
eine Selbstanzeige gebracht haben. Die Abhandluns^ von Sawidd kt
natürlich ihrer Tendenz nach schon charakterisiert durch den Umstand,
dass sie in einer „Zeitschrift für katholische Wissenschaft und kirchlicto
Leben" erschienen ist, deren beide Redakteure „Professoren am bischOf*
liehen Seminar zu Mainz^ sind. Aber sie zeugt dodi von erfreulicher
Objektivität, ist in anständigem und verständigem Ton gehalten, und eil
dankenswerter Beweis dafür, dass die Polemik gegen Kant selbst toi
konservativer Seite aus nicht notwendig in dem gehässigen Tone Wut
manns gehalten zu sein braucht; insofern ist der Au&atz Sawickis lad
ein bemerkenswerter Nachtrag zu der Abhandlung von Dr. Bauch iB
diesem Hefte : „Kant in neuer ultramontan- und uberal-katholischer Bt^
leuchtung<*. Sawicki führt u. A. Folgendes aus : „Der Begriff der PttHte*
lichkeit hat in der Philosophie ein uraltes Heimatsrecht. Aber die ilteie
Zeit kultiviert nur den metaphysischen Begriff; seine Übertesciof
auf das ethische G^ebiet vollzieht erst die Moderne. Die FortbUaung
des Begriffes ist eine glückliche zu nennen: Der Begriff der ethischa
Persönlichkeit bezeichnet treffend ein sittliches Ideal, das zugleich eis
eminent christliches ist.^ Hier verweist Sawicki auf seine Studie: «Emt
und Würde der Persönlichkeit im Christentum" (Köln 1906). i) -Die Ver
Wendung des Begriffes in ethischer Bedeutung ^ht in der Haöptstche
auf Kant zurück. Sein Werk ist nicht nur die Einführung, senden
auch die Durcharbeitung und Bestimmung des Begriffes Was die Fol|^
zeit in dieser Beziehung geleistet hat, findet sich oei ihm Eum wenigitei
im Keime vorgebildet." Hier beruft sich Sawicki auf HOffdiBgi
schönen Ausspruch : „Von dem Gekünstelten der Ableitung abgesehen, hak
Kant zuerst ein grosses und bedeutungsvolles Prinzip ausgesprochen. Bi
1) In diesem Zusammenhang sei erinnert an die im liberalen Pro*
testantismus hervortretenden Bestrebungen der jüngsten Zeit um ein „pe^
sönliches Christentum", sowie an die von Dr , Johannes Müller henai'
gegebenen Blätter für das persönliche Leben u. Ä. Persönlichkeit^ ptfi0B-
ches Leben u. s. w. sind Schlagworte der jüngsten Zeit gewurdeo,
zusammenhängend mit der Neuromantik,
Mitteilungen. 196
18 Prinzip der Persönlichkeit in seiner edelsten Form, ein Oedanke,
ler leben wird, wenn Kants . . . Begründung längst vergessen sein
ein Gedanke von grossem ethischen Wert, sowohl dem Autoritats-
^P gegenüber, wenn dieses etwas mehr sein will, als ein erziehendes
ip, als auch . jgegenüber der Lehre von dem äusseren Nutzen and
L, die sich mit den Schalen begnügt und den Kern vergisst.^ —
r dem metaphysischen Begriff der Persönlichkeit, meint Sawioki,
man verstanden: eine vernünftige selbstbewusste Substanz. Kant
diese Metaphysik zerstört, und habe ausdrücklich vor dem Paralo-
us der Personalität gewarnt; so sei der Begriff der PersönUch-
um das Merkmal der Substantialität ärmer geworden: aber Kant
den Begriff in ethischer Beziehung bereichert. Doch müsse man bei
ethischen Persönlichkeitsbegriff unterscheiden zwischen Persönlich-
als Grundlage, Voraussetzung oder Anlage, und Penönlichkeit als
unkt der Entwickelung und vollkommenste Realisierung des ethischen
IS. Im ersteren Sinn sei die transscendentale Freiheit der eigent-
e Inhalt der menschlichen Persönlichkeit, aber sie sei noch nicht
wahrhaft sittliche Grösse, sondern erst die Grundlage zu einer
3n und die wahre sittliche Grösse stehe nicht am Anfang, sondern
Snde einer Entwickelung. In diesem Sinne eben sei der Ausspruch
i zu verstehen: Der Mensch sei Persönlichkeit seiner Be*
mungnach. Auch sei im Sinne Kants zu unterscheiden zwischen
iver Freiheit = Selbstbehauptung gegenüber aller Natur, und posi-
Freiheit = Autonomie; hiermit stehen noch zwei andere Bestim-
en im Zusammenhang: Persönlichkeit im Kantischen Sinne sei
tzweck und Endzweck; und Persönlichkeit sei die realisierte Idee
Menschheit. — „Wir anerkennen freudig, dass die wesentlichen Mo-
3 des Begriffes, wie sie uns bei Kant entgegentreten, wahr and be-
igt sind Es ist eine edle Auffassung der sittlichen Lebensaufgabe,
sie als Realisierung der Idee der Menschheit oder tAa Pflege der
ten Güter des Geistes bestimmt wird, und es stimmt mit der Wahr-
Iberein, wenn als höchste Vollkommenheit des Geistes die Freiheit
int wird.^ „Ein Geist, gross und stark in sich selbst, frei nach innen
lach aussen, das ist das Bild sittlichen Geistes bei Kant, ein wahres
der sittlichen Persönlichkeit. Ebenso treffend ist der Begriff des
tzweckes, den Kant zur Charakteristik der Persönlichkeit gebraucht . .
Mensch als sittliches Wesen ist Selbstzweck, er darf nicht als blosses
1 zur Realisierung fremder Zwecke gebraucht werden . . . das ^t,
Kant mit Recht betont, selbst Gott gegenüber. Wenn Gott den
chen zu einem vernünftigen Wesen gesdiaffen hat, so hat er sich
) verpflichtet, seinen Eigenwert zu achten und ihn nicht zu einem
mftwidrigen Lebensziel zu berufen." — «Volle Zustimmung verdient
dass Kant den sozialen Charakter des Menschen berücksichtigt . • .
kennunff müssen wir schliesslich Kant zollen, wenn er alle Menschen
schiedsjos zur Würde der Persönlichkeit berufen sein lässt.** „Diesen
Igen Kantischer Ethik stehen aber doch auch bedeutende Fehler
&hwächen gegenüber" ... als solche betont Sawicki den rein for-
1 Charakter des Sitten^esetzes, femer den rein aprioristischen Cha-
r, den mangelnden Anschluss an die Erfahrung ; femer besonders noch
langelnde XJnterscheidung zwischen Persönlichkeit und Individualität,
langelnde Berücksichtigung letzterer. Unter Persönlichkeit verstehe
die Realisierung der allgemeinen Idee der Menschheit in Jedem
îlnen ohne Unterschied, aber die individuellen Unterschiede der Binsel-
oder die nachher von Schleiermacher mit Recht hervorgehobene und
isgehobene Individualität in ihrer Eigenart, audi in ihrer ethisoheii
lart, habe Kant nicht zur Geltung kommen lassen. — Natürlidi sieht dann
:ki den letzten Fehler Kants in der absoluten Autonomie: Die Sittlich-
des Menschen sei eben nicht rein autonom, sondem enthalte notwendig
leteronome Element der Abhän^keit von Gott als der höchsten
e des Sittengesetzes ; nur die Religion, zu *der Kant ein inneres Ver-
196 Mitteilungen.
haltnis weder gehabt noch gelehrt habe, ermögliche die höchste VoUendiing
der Persönlichkeit.
Noch auf eine weitere neuere Publikation möchte ich in diesem
Zusammenhang aufmerksam machen: Professor Victor Delbos, Maître
de conférences à la Faculté des Lettres de l'Université de Paris hat dm
Verlage von Ch. Delagrave, Paris, Rue Soufflot 15) eine neue Übersetzung
der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten^ herausgegeben unter dem
Titel: Fondements de la Métaphysique des Moeurs. Traduction
Nouvelle, avec introduction et notes (210 S.). Da Kant gerade in dieser
Schrift zuerst seinen neuen Begriff der ethischen Person formuliert, n
hat diese ganze Schrift gerade für den Sinn und die Tragweite dieses
Kantischen Begriffes besondere Bedeutung, und der Herausgeber ist des-
halb auch gebdhrend auf diesen Begriff eingegangen, wie er überhaupt
durch seine ausführliche und sorgfältige Einleitung (Notice sur la vie et les
oeuvres de Kant; les conceptions morales de Kant dans la Période ante-
critique; la morale de Kant dans la Période de la Philosophie critique:
la préparation de la Morale par la critique de la raison speculative, la pré-
paration de la Morale per la Philosophie de l'histoire etc.) ailes eetan hat|
um die Lektüre der Schrift nutzbar und erfolgreich zu gestalten. Aal
diese 70 >*^eiten lange treffliche Einleitung folgt die Obersetzung nebst
fortlaufendem Kommentar, in welchem der Begriff der Person verstlad-
nisvoll gewürdigt wird.
Auch in der Schrift über ^ersonalismus und Realismus*' (Berlin,
Renther & Reichard, 1905) von Hans Dreyer findet der Begriff der
Persönlichkeit eine interessante Darstellung. Er wird des dogmatischeo
Charakters, mit dem Kants intelligibler Charakter noch behaftet bliebe
entkleidet. Die Persönlichkeit wird zur Idee der Einheit der persönlichei
„Fakultäten^ und „Qualitäten^ Diese Idee wird nun im Kantischen Sinne
als „Auf^be^ verstanden, sodass Dreyer sagt: „Eine Persönlichkeit n
werden, ist Aufgabe des Menschen^ (a. a. 0. S 71 f.). Dreyer verweist
hier auf die ebenfalls rein begriffliche, nicht metaphysische Unterscheidniy
der drei Momente: Selbstbewusstsein, Individuaütät und Charakter, die
B. Bauch fin der Schrift „Glückseligkeit lud Persönlichkeit in der kn-
tischen Ethik", (Stutt^rt, Frommann, 1902)^) unterscheidet, und dem der
Charakter ebenfalls die Aufgabe bedeutet, dass „die individuellen Ebsei-
qualitäten" . . . „einen Gegensatz bilden zu allem Verschwommenen ond
Zerflossenen, Unsicheren und Unbestimmten", indem sie durch den selM
bewussten Willen eine „fest bestimmte Richtung zur,, Einheit erfohreo*
(a. a. 0. S. 19 ff.). Dreyer macht übrigens auf eine Äusserung Goetbei
aufmerksam, die mit dieser Auffassung fast genau übereinstinunt. Während
bei Elant im intelligiblen Charakter zwei Bestimmungen neben einandff i
lieçen, von denen man die eine lediglich als res^latives Prinzip oder ils I
Aiu^be bezeichnen kann, die andere aber, wohl vermittelst des I>ing«i-
sich-Begriffs, eine Art metaphysischen Dinges bedeutet, hat auch Goethft
den Charakter lediglich als Einheit der Eigenschaften der Persönlichkeit
aufgefasst. Er bemerkt, wie Dreyer hervorhebt: man bediene sich de^
Wortes Charakter,^ wenn eine Persönlichkeit von bedeutenden Eigefc?—
Schäften auf ihre Weise verharret und sich durch nichts davon abwenall^
machen lässt.^ H. Vaihinger.
^) Über diese bemerkenswerte Schrift habe ich in einer ausführlicbees
Besprechung (KSt. VIII, S. 478 ff.) gehandelt und brauche hier nicht noc*»-
mais näher darauf einzugehen. Die Persönlichkeit wird hier im driiliurw
Kapitel (die Stelliug der Persönlidikeit in der kritischen Ethik) aosflbKr
lieh und treffend behandelt.
tëoo.,mÊa»^§.
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907.0
Von Dr. Oskar Ewald.
In meinem vorigen Bericht über „die deutsche Philosophie
Fahre 1906" hatte ich die Auffassung vertreten, dass der Ent-
celungsgang der modernen philosophischen Spekulation in
techiand auf einer neuen Basis die Entwickelung der idea-
sehen Weltanschauung von Kant bis Hegel zu wiederholen
(ine. Ich sagte mit Vorbedacht: auf einer neuen Basis; denn
eine blinde, geistlose Wiederholung, die dann im schlimmsten
le ßeaktion genannt werden müsste, handelt es sich nicht.
neue Basis ist dadurch gegeben, dass die Prinzipien der
itischen Philosophie sich gefestigt haben und gleichsam fixiert
den sind. Die klare Auseinanderhaltung der transscenden-
^n und psychologischen, dann aber vornehmlich der traos-
identalen und metaphysischen Betrachtungsart ist auch bei
jenigen, die über Kant hinaus zu Fichte, Schelling und Hegel
ben, im Allgemeinen konsequenter gewahrt, als bei ihren
isen Vorbildern. Mit Recht schreibt Rickert: „Man braucht
it zu fürchten, dass wir den Entwickelungsgang von Kant zu
lite, von diesem zur Romantik Schellings oder Schopenhauers
von dort weiter zu Hegel noch einmal durchzumachen hätten,
wie sie vorliegen, können wir die Systeme der Vergangenheit
ii brauchen. Unsere neue Zeit bringt neue Aufgaben, die neue
Worten verlangen, und noch niemals hat sich etwas im ge-
chtlichen Leben wiederholt. Aber der Einsicht sollte man
nicht verschliessen, dass der Kantische und Nachkantische
lisiuus einen Schatz von Gedanken enthält, der noch lange
t vollständig ausgemünzt ist und aus dem wir eine Fülle
voller Anregungen holen können, wenn wir mit den philo-
ischen Problemen unserer Zeit zu ringen haben^.^) In ganz
1) Anm. d. Red.: Wir verweisen für die vorstehcDde Abhandlung
Ue Notiz zum vorigen Jahresbericht.
*) ^Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", Artikel „Ge-
btsphilosophie", p. 322.
^tstadi*n xm. \\
198 O. Ewald.
ähnlichem Sinne habe ich mich in meinem letzten Jahresbericbti)
über das Verhältnis der philosophischen Gegenwart zur klassischea
Vergangenheit geäussert.
Soweit ich die Produktion des vergangenen Jahres überbMe,
kann ich meine damals ausgesprochenen Ansichten über Ziele hdI
Eichtungen der neuen Forschung bloss bestätigt finden. M
immer ist Kant der ideale Mittelpunkt: sein Einfluss teilt sidi
stets weiteren Kreisen mit. Die Wiederemeuerung der ideaüsfr
sehen Spekulation von Kant bis Hegel ist noch immer im Gange,
die neuromantische Bewegung hat an Intensität wenig eingebSsiL
Im Einklänge mit der von mir entworfenen Perspektive wird der
phantastische Überschwang dieser ßichtung in steigendem Masse
durch nüchterne Erwägung eingedämmt und so zeigt die pliikh
sophische Literatur des Jahres 1907 im Allgemeinen ein Uarens
Qepräge als die vom Jahre 1906. Da sich die theoretische Sitoir
tion im Laufe eines Jahres sonst naturgemäss wenig verindeit
hat, kann ich meine alte Einteilung und Disposition des Theinis
beibehalten.
Vor allem will ich auf eine Erscheinung hinweisen, die aek
seit längerer Zeit vorbereitet, im vergangenen Jahre aber zv
vollsten Entfaltung gedieh: die Annäherung zwischen der WisaeD-
schaft und der Philosophie, die charakteristischer Weise von beideD
Seiten vollzogen wird, seitens der Philosophen nicht weniger ib
seitens der Forscher. Gerade im Zusammenhang mit der Eafi-
tischen Philosophie war der Anlass zu diesen Wechselseitigkeiteo
gegeben. Die Frage nach den Grundlagen der Erfahrung, sie
mochte noch so allgemein gefasst werden, wies von selber dariif
hin, dass man auch nach dem Wesen der einzelnen Wissenschaft*
liehen Erfahrungen fragte. So hat auch Kant neben seioeo
Hauptwerke, das weder der Grundlegung der Psychologie no4
der der mathematischen Physik, sondern der Begründung eioei
innere und äussere Phänomene umfassenden Naturbegriffes dient»
in einer Reihe von Werken die konkreten Anfangsgründe einzdner
Disziplinen, wie der Physik, der Kechtslehre, der Anthropologe
untersucht. Fichte und Schelling haben in der gleichen Bichtoog
fortgewirkt. Und in Hegel ist diese Tendenz einer Vereinigt!*
und sogar Identifizierung von abstraktem Begreifen und konkretem
Erfahren zu einem alle Gebiete der Forschung enzyklopädisch
umspannenden Versuch erwachsen. So hat auch der Neokantiaius«
mus das Erbe des Meisters vielfach in dem Sinne übemommeBr
î)ie deutsche Philosophie im Jahre 1907. 199
I er YOD der Höbe allgemeinster Begriffe den Abstieg zur
erie der einzelnen Forscbungszweige zu gewinnen tracbtete.
ch die Marburger Schule ist die Verbindung mit der mathe-
iscben Physik hergestellt, durch Rickert der Weg zur Historie
fnet worden. In dieselbe Zeit reichen Natorps und Stammlers
luche, den Neukantianismus zur Grundlegung der Soziologie
verwenden. Neuerdings hat die Auseinandersetzung mit physi-
;cben, insbesondere aber mit mathematischen Problemen so
überhand genommen, dass sie das allgemein philosophische
resse zu verdunkeln droht. Damit hängt femer die intensivere
ihäftigung mit Leibniz zusammen und die hohe Wertschätzung,
Q sich dieser Philosoph in unseren Tagen erfreut.
Andererseits streben die einzelnen Forscher nach philo-
ischer Vertiefung. Auch hier wiederholt sich zum Teil die
ition der Nachkantischen Epoche. Damals standen Historiker,
îhologen, Physiker und Biologen zumeist unter dem Bann einer
listischen Weltanschauung und waren bemüht, derselben ihr
îffsgebiet einzuordnen. Dieser Zug spiegelt sich in der gegen-
igen Bewegung wieder: in Natur und Geisteswelt ist ein un-
^ Verlangen nach logischer Klärung der Grundlagen, Arbeits-
loden und Ziele erwacht, das sich in zahlreichen mehr oder
iger exakten Versuchen der Forscher, das Wesen ihrer eigenen
iplin zu bestimmen, äussert. Die Erkenntnistheorie der Mathe-
k ist im Ausland von Gelehrten, wie Poincaré, Goumot,
urat, ßussell geschrieben worden: in Deutschland knüpft sie
zumal an den Namen Huberts und seinen interessanten Ent-
' eines möglichst anschauungsfreien geometrischen Axiomen-
^ms. In der Physik hat die Kontroverse zwischen Atomistik
Energetik vorgeherrscht. Die Biologie ist zwischen Mecha-
os und Neovitalismus geteilt. Wie in der Energetik der Sub-
zbegriff, so findet sich in der neovitalistischen Lehre der
salitätsbegriff bedroht. Demzufolge wird das Interesse der
inntnistheorie nach beiden Seiten gezogen. Noch heftiger ist
Währung in der Psychologie ; hier ist nicht allein die Methode,
em auch der Gegenstand strittig. Denn die Psychologie wird
auf das Psychische beschränkt, bald wieder auf das Phy-
e ausgedehnt Bald wird sie als Theorie des Bewusstseins
lebtet, bald wird auch das Unbewusste ihr zu eigen ge-
D. Bald wird sie als Lehre von den seelischen Phänomenen
liert, bald als Lehre von der Seele selber. Kein Wunder, dass
202 O. Ewald,
1
„Hetaphysik"* des oben erwähnten Sammelwerkes „Kultur der
Gegenwart". „Metaphysik", schreibt er, „ist der auf der Grand-
läge des gesamten wissenschaftlichen Bewusstseins eines Zeitalters
oder besonders hervortretender Inhalte desselben unternommene
Versuch, eine die Bestandteile des Einzelwissens verbindende
Weltanschauung zu gewinnen. Darin liegt ausgesprochen, dass
die Metaphysik weder ein unveränderliches noch auch ein imma
in gleicher Richtung sich entwickehides System sein kann*".
Wundts Definition der Metaphysik deckt sich, wie aus seinen
anderen Werken hervorgeht, im Wesentlichen mit seiner Definition
der Philosophie. Und es ist völlig klar: wenn Metaphysik und
Philosophie nichts sind als widerspruchslose Verbindungen der &
gebnisse der einzelnen Forschungszweige, dann sind sie unmittel-
bar von all den Wandlungen abhängig, denen letztere in Form
und Inhalt unterstehen. Diese Auffassung entfernt sich von der
Kants überaus weit. Kant erblickt die Grundlagen des Phflo-
sophierens in der synthetischen, transscendentalen Logik. Die
widerspruchslose Vereinigung der Tatsachen dagegen ist ein Werk
der allgemeinen, formalen Logik, und diese müsste für Wandt
somit zum Werkzeuge der philosophischen Forschung werden.
In diesem Au&atz entwirft Wundt auch den interessanten Plan
einer Entwickelungsgeschichte der Metaphysik, die sich in drei
Stadien abspielen soll, den der poetischen, der dialektischen und
der kritischen Metaphysik; in den naturphilosophischen Werken
Haeckels, Ostwalds, Machs, die nur scheinbar ametaphysisch sind«
findet er der Reihe nach diese drei Stadien vertreten.
Hier ist besonders die Feststellung von Wert, dass Mad^
Prinzip der Ökonomie bei Lichte besehen, ein Prinzip aprioristiscb^
Synthese ist, das aus der kritischen Metaphysik Kants übemomiB^^
worden. Nicht das teleologische Sparsamkeitsprinzip, das A^
kleinsten Anstrengung, vielmehr das logische Prinzip des atf^^
schliessenden Widerspruchs soll die Führung übernehmen. Schlia^
lieh hebt Wundt hervor, dass die Metaphysik bloss im Sinne eii^
regressus von den einzelnen Tatsachen zu den höchsten Ue^^
nicht aber als progressus von den Ideen aus eigenmächtig d^
Weg zu den einzelnen lediglich durch Erfahrung erreichbaren T^*
Sachen gewinnen könne. In dieser scheinbaren Paradoxie ist eiP^
tiefe Wahrheit gelegen, deren Ausserachtlassung in der Philosopb^^
eine Fülle unlösbarer Probleme logischer, religiöser, ethischer lU^
ästhetischer Natur heraufbeschworen hat: ihr allgemeiner AMadrüd^
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 203
\, die Frage, wie aus dem Vollkommenen das Unvollkommene,
IS dem Ewigen das Vergängliche, aus dem universellen das Be-
ndere habe entspringen können.
Die Ausführungen Wundts und Stumpfs gehen dahin, Wissen-
haft und Philosophie einander möglichst anzunähern. Grössere
ilbständigkeit erkennen Paulsen und DUthey der Philosophie zu.
e Abhandlungen beider Denker finden sich in der „Kultur der
igenwart" und bewegen sich, wiewohl von verschiedenen Themen
sgehend, um den Mittelpunkt des gleichen Problems. Diltheys
ife und reiche Studie „Das Wesen der Philosophie" beginnt mit
ler E^twickelungsgeschichte des Begriffes der Philosophie von
n Griechen an bis zur Neuzeit und neuesten Zeit, bis zum Posi-
ismus und Psychologismus. All das sind geschichtlich bedingte
^finitionen, die bloss eine Seite der Sache, nicht ihren Total-
samnienhaug erschliessen.
Drei wesentliche Richtungen hält DUthey auseinander: den
•sitivismus, den objektiven Idealismus und den Idealismus der
leren Freiheit. Die Unzulänglichkeit der Metaphysik mit Räck-
ht auf die letzten Fragen bedeutet keineswegs ihre EIntwertung.
licht die Relativität jeder Weltanschauung ist das letzte Wort
s Geistes, der sie alle durchlaufen hat, sondern die Souveränität
s Geistes gegenüber einer jeden einzelnen von ihnen und zu-
dch das positive Bewusstsein davon, wie in den verschiedenen
rhaltuugsweisen des Geistes die Eine Realität der Welt für uns
ist." Diese bedeutsame Anschauung von der notwendigen Ein-
tigkeit und Relativität jeder Metaphysik verfechten auch Wundt,
luard V. Hartmann, Volkelt, vor allem Simmel. Das Wesen der
lilosophie bestimmt DUthey in tiefsinniger Abgrenzung gegen
iligion und Kunst als eine Mannigfaltigkeit von Aufgaben, deren
»meinsames die Herrschaft der Vernunft ttber die Instinkte und
s Streben nach universeUen Einheiteidealen ist.
Auch Paulsen wiU in seinem Aufsatz „Die Zukunfteauf gaben
r Philosophie" die phüosophische Forschung verselbständigen.
ontologischer Beziehung nennt Paulsen seine Lehre objektiven
ealismus, er ist von der AUbeseelung der Welt überzeugt* In
smologischer Beziehung wiU er den Atomismus durch einen ma-
stischen Pantheismus ersetzen, auf den die vom Kleinsten bis ins
rösste sich erstreckende Wechselwirkung der Phänomene in
iom und Zeit hinweist Diese Metaphysik trachtet er mit Kant
Einklang zu bringen.
204 0. Ewald,
Die Philosophie geht weder in empirischer Einzelforsc
auf, noch lässt sie sich auf eine widerspruchslose Vereini
ihrer Ergebnisse beschränken: dies können wir als Ergebnii
verschiedenen Ausführungen hinstellen. Alle Forschung geh
Tatsächliches, sie setzt den Begriff der Tatsache voraus.
Tatsache, Realität heisst, ist eine spezifisch philosophische F
die aller Einzelforschung vorausgeht und auch nicht durcl
Verbindung sämtlicher Tatsächlichkeiten der Welt beantw
werden kann. Die philosophische Erkenntnislehre enthält
Prinzipien der Ontologie und darf füglich auf den Namen
„ersten Philosophie" Anspruch erheben. Bevor man die In
des Seienden aufsucht, muss man über den Seinsbegriff überl
ins klare gelangen. Bevor man die Natur erforscht, muss
den Begriff der Natur logisch erläutert haben. So fordert
das Studium der Psychologie eine philosophische Begründung
jenigen, was unter psychischem Sein verstanden wird: eine
gründung, die sich kaum auf die negative Bestimmung <
Psychologie ohne Seele (Fr. A. Lange) beschränken lässt.
nach dieser allgemeinen Grundlegung, die an keinerlei eim
Kenntnisse gebunden ist, kann der Versuch unternommen wei
die verschiedenen Disziplinen im Detail philosophisch zu behanl
Physik, Biologie, Geschichte, Psychologie und Soziologie, i
Range der „ersten Philosophie", der allgemeinen Erkenntnifl^
und Ontologie, stehen wohl auch Ethik, Ästhetik und Rel^
philosophie, die mit ihr den normativen, wertenden Char
teilen und daher nicht aus dem Reiche der Tatsachen herge
werden können. An dritter Stelle lässt sich schliesslich
Philosophie denken, die den enzyklopädischen Versuch <
widerspruchslosen Durchdringung, Vereinigung und Vereil
lichung sämtlicher Wissensgebiete unternimmt. Die verschid
Definitionen der Philosophie vertragen sich eben recht wohl
einander: in Wahrheit dürfte ihr Begriff, wie die Geschieh
eindringlich lehrt, kein streng einheitlicher sein. <i
Es ist nach dem Gesagten einleuchtend, dass die Std
nähme der verschiedenen Denker zur Aufgabe der Philodl
sich vor Allem in ihrem Verhältnis zu Logik, Ethik und A4
spiegeln muss. Die Logik finden wir in der „Phüosophie iflj
ginn des 20. Jahrhunders" von Windelband, in der „EultÉ
Gegenwart** von Riehl behandelt. Da beide Denker vosi
ausgehen, herrscht kein prinzipieller Gegensatz zwischen 1
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 20Ô
en. Bloss darin weichen sie von einander ab, dass Riehl
ebraiscbe Logik für eine wertvolle Errungenschaft hält,
n Windelband in ihr ein wesenloses Spiel sieht. Als Er-
stheoretiker stehen beide Denker auf kritischer Basis.
3and schildert die Entwickelung der Logik und Erkenntnis-
von Kant bis zur Gegenwart und zeigt in der Kategorien-
as gemeinsame Band beider Gruppen auf, an dem sich ihre
B Neugestaltung zu vollziehen haben wird. Die zwei
entalsten Fragen der Erkenntnislehre sind das Transscen-
iblem und das Problem des Gesetzes. Auch Rieh! ist um
^glichst reine Darstellung des kritischen Standpunktes be-
Er verteidigt ihn gegen den Psychologismus und die
phie der reinen Erfahrung. Die Prinzipien der Erfahrung
)er der Empirie erhaben und in ihrer Idealität keiner
ing unterworfen. Wandelbar und von den Gesetzen der
kelung beherrscht sind bloss die Inhalte der Erfahrung,
i tiefsten Motiven der transscendentalen Grundlegung
1 mithin beide ausgezeichneten Denker überein.
ie Ethik wird in der Festschrift von Bruno Bauch, in der
' der Gegenwart" von Paulsen behandelt. Hier springt der
ätz von Apriorismus und Empirismus in die Augen. Bauch
»nf Kantischer Grundlage. Das Sittengesetz ist seinem
«1 Wesen nach nicht aus Erfahrung geschöpft und trägt
rmales Gepräge. Bauch unterscheidet zwischen dem Dog-
is der sozialen Nützlichkeitsmoral, dem immoralistischen
lalismus Nietzsches und der kritischen Ethik. Er giebt
16 gegen den Dogmatismus Recht, der die individuellen
hiede zugunsten seichter Durchschnittswerte nivellieren
aber er sieht seinen tiefen Irrtum darin, dass er den Na-
ras des Willens zur Macht als Grundlage für eine üm-
j aller Werte verwenden zu können glaubte. Wie Bauch
;ht bemerkt, ist die Macht ein Naturphänomen, das mit der
des Vornehmen nichts zu schaffen hat und sogar gegen
Irkeren entscheiden kann. Das rein formale Moralprinzip,
lach im Anschluss an Kant bildet, soll den persönlichen
^eden freien Spielraum lassen, da es nicht auf den In-
BT Handlung und ihres Motivs ankommt, sondern auf die
nne Maxime : es erscheint so als eine Versöhnung des Indi-
wnus uo^ juiuversalismus. Dagegen verwirft Paulsen die
ie Befip^^ '*'* und sucht eine Verbindung mit dei BtdX;^
20Ö 0. Ewald,
sich die Unklarheit auf die Gebiete übertrug, die mit der Psyduh
logie irgendwie im Zusammenhang stehen, auf Geschichte, Sozi»'
logie, Nationalökonomie.
So knüpfen sich die Fäden zwischen den einzelnen Wi88»i
Schäften und der Philosophie immer fester. Vor Allem be^
dies zwei grosse Sammelwerke, die umso bedeutsamer sind, ab
ihnen die angesehensten Vertreter der deutschen Phüosopliie
Worte kommen: Die in zweiter, verbesserter Auflage erschii
Festschrift für Kuno Fischer, „Die Philosophie im Beginn
zwanzigsten Jahrhunderts'' und der Band „Systematische
Sophie" der im Verlag von Teubner erschienenen, von Himii
herausgegebenen „Kultur der Gegenwart**.
Die dadurch geschaffene Situation führt zu drei
Problemen. Fürs erste zur Frage nach dem Zusammenhang
Wissenschaft und Philosophie überhaupt. Zweitens zur
inwieweit die einzelnen Wissenschaften sich philosophisch bi
lassen. Drittens zur Frage nach einer Einteilung der Wi
Schäften unter philosophischen Gesichtspunkten. Alle drei Fragflül
deren gegenseitige Abhängigkeit offenkundig ist, sind von dffj
neuen philosophischen Forschung gestellt worden. Wir finden
vornehmlich in den beiden genannten Sammelwerken, aber
ausserhalb derselben.
Die erste Frage sucht zunächst Stumpf in einer Schrift,
den Titel „Die Wiedergeburt der Philosophie** führt, zu
Worten.^) Sie ist die Rektoratsrede, die Stumpf an der Univi
Berlin im Oktober 1907 hielt. Stumpf hält zwischen dem n*
nalistischen und empiristischen Extrem die Mitte. Das ratioi
tische Extrem, das in der Deduktion aller empirischen FortfK
und Inhalte aus einem obersten phUosophischen Prinzip bestA
ist von Hegel vertreten worden. Das empiristische Extrem, i*;
Comte vorbereitet, findet seine Vollendung in Avenarius, defi^;
empiriokritisches System die Aufgabe der Philosophie dahin b^
schränkt, von den allgemeinsten, innerhalb der einzebci
Forschungszweige gebildeten Begriffen Kenntnis zu nehmen ül
ihre Chancen auf eine relative Dauer nach ihrem ökonomisehet
Wert zu erwägen. Zwischen beiden Elxtremen finden sich urt
Standpunkte, deren einer von Kant vertreten, den RationalismB}
') Berlin 1907, Universitäts-Buchdruckerei Gustav Schade,
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 201
m anderer, von Wundt befürwortet,^) dem Empirismus nahe
mt. Der transscendentale Idealismus Kants geht darauf aus,
formalen Prinzipien der Philosophie a priori zu deduzieren,
kritische Empirismus Wundts spricht der Philosophie die Auf-
) zu, die von den verschiedenen Forschungszweigen zutage
rderten Erkenntnisse zu einem widerspruchslosen System zu
»inden. Er geht nicht so weit wie Kant oder gar Hegel, da
1er Philosophie nicht die Grundlegung, sondern lediglich den
bau überlässt, allein er geht gleichwohl weiter als Avenarius,
m er ihr einen produktiven Wert zuerkennt. Diese vier
fassungen sind von prinzipieller Bedeutung, aus ihnen ergeben
durch Kombination und Vermittelung alle anderen.
Was Stumpf angeht, so nimmt er einen vermittelnden Stand-
et ein. Er unterscheidet zwischen der aprioristischen und der
iristischen Philosophie, und wiewohl er die Vorzüge der
)ren auch bei Hegel und Schelling rückhaltslos anerkennt, er-
t er sich für letztere, als die fruchtbarste und solideste,
fordert vom Philosophen vor Allem eine gründliche Schulung
ier Naturforschung, da in dieser Richtung die Hauptprobleme
suchen seien. Dessenungeachtet ist der Philosoph nicht mit
Naturforscher auf eine Linie zu setzen. Weder der Physiker
der Mathematiker noch der Erkenntnistheoretiker, bloss ein
beiden Gebieten gleichmässig vertrauter Denker könnte diese
i;abe definitiv lösen. Stumpf denkt hier vornehmlich an den
)rung des Zahlbegriffs, die Wahrscheinlichkeitslehre, die Ato-
ik. Auch für die uralte Frage nach dem Verhältnis des Phy-
len zum Psychischen erwartet Stumpf Aufschlüsse von der
snntnistheorie im Bunde mit der empirischen Forschung. Im
gen ist er der Ansicht, dass die Naturforschung nicht zur
udlegung der Philosophie ausreicht, und dass dem Geiste die
irität gebürt, da er für uns das einzige Unmittelbare ist. In
em Sinne sind Fichte, Schelling, Hegel, Lotze im Rechte; die
euerungen der IdentitAtsphilosophie indessen verwirft Stumpf
edingt. Von dem Denkergenie der Zukunft erwartet er eine
einigung Kantischen und Leibnizschen Geistes.
Wundts Definition räumt der Philosophie im Grunde noch
iger Rechte ein. Er vertritt sie dies Mal in einem Aufsatz
^) Neuerdings hat ihn auch Heinrich Gomperz, wenigstens programm-
ai^, in seiner ^Methodologie**, dem ersten Bande seiner „Weltanscbaaongs-
9*, ttbemommen.
202 O. Ewald,
„Hetaphysik"* des oben erwähnten Sammelwerkes „Kultor to
Gegenwart". „Metaphysik", schreibt er, „ist der auf der Gnmt
läge des gesamten wissenschaftlichen Bewusstseins eines ZeitalUn
oder besonders hervortretender Inhalte desselben unternommei»
Versuch, eine die Bestandteile des Einzelwissens verbindeoJe
Weltanschauung zu gewinnen. Darin liegt ausgesprochen, di»
die Metaphysik weder ein unveränderliches noch auch ein iioos
in gleicher Richtung sich entwickelndes System sein kaitf j
Wundts Definition der Metaphysik deckt sich, wie aus söb*'
anderen Werken hervorgeht, im Wesentlichen mit seiner Definiö*
der Philosophie. Und es ist völlig klar: wenn Metaphysik ^
Philosophie nichts sind als widerspruchslose Verbindungen der ^
gebnisse der einzelnen Forschungszweige, dann sind sie umnit^
bar von all den Wandlungen abhängig, denen letztere in F^
und Inhalt unterstehen. Diese Auffassung entfernt sich von ^
Kants überaus weit. Kant erblickt die Grundlagen des ?\Mi
sophierens in der synthetischen, transscendentalen Logik. 1
widerspnichslose Vereinigung der Tatsachen dagegen ist ein\'^^
der allgemeinen, formalen Logik, und diese müsste für VfxLX
somit zum Werkzeuge der philosophischen Forschung werfte
In diesem Au&atz entwirft Wundt auch den interessanten PJ
einer Entwickelungsgeschichte der Metaphysik, die sich in &
Stadien abspielen soll, den der poetischen, der dialektischen \M
der kritischen Metaphysik; in den naturphilosophischen Werl^
Haeckels, Ostwalds, Machs, die nur scheinbar ametaphysiscb sir
findet er der Reihe nach diese drei Stadien vertreten.
Hier ist besonders die Feststellung von Wert, dass Mac
Prinzip der Ökonomie bei Lichte besehen, ein Prinzip aprioristiscta
Synthese ist, das aus der kritischen Metaphysik Kants äbemonun^
worden. Nicht das teleologische Sparsamkeitsprinzip, das i
kleinsten Anstrengung, vielmehr das logische Prinzip des a«^
schliessenden Widerspruchs soll die Führung übernehmen. Schlief
lieh hebt Wundt hervor, dass die Metaphysik bloss im Sinne ersß
regressus von den einzelnen Tatsachen zu den höchsten Idee:
nicht aber als progressus von den Ideen aus eigenmächtig de
Weg zu den einzelnen lediglich durch Erfahrung erreichbaren Tai
Sachen gewinnen könne. In dieser scheinbaren Paradoxic ist eifl
tiefe Wahrheit gelegen, deren Ausserachtlassung in der Philosoph
eine Fülle unlösbarer Probleme logischer, religiöser, ethischer M
ästhetischer Natur heraufbeschworen hat: ihr allgemeiner AnsdriN
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 203
die Frage, wie aus dem Vollkommenen das Unvollkommene,
dem Ewigen das Vergängliche, aus dem universellen das Be-
ere habe entspringen können.
Die Ausführungen Wundts und Stumpfs gehen dahin, Wissen-
ft und Philosophie einander möglichst anzunähern. Grössere
ständigkeit erkennen Paulsen und Dilthey der Philosophie zu.
Abhandlungen beider Denker finden sich in der „Kultur der
nwart" und bewegen sich, wiewohl von verschiedenen Themen
Bhend, um den Mittelpunkt des gleichen Problems. Diltheys
und reiche Studie „Das Wesen der Philosophie" beginnt mit
Entwickelungsgeschichte des Begriffes der Philosophie von
Grriechen an bis zur Neuzeit und neuesten Zeit, bis zum Posi-
nus und Psychologismus. All das sind geschichtlich bedingte
litionen, die bloss eine Seite der Sache, nicht ihren Total-
mmenhang erschliessen.
Drei wesentliche Richtungen hält Dilthey auseinander: den
ivismus, den objektiven Idealismus und den Idealismus der
-en Freiheit. Die Unzulänglichkeit der Metaphysik mit Rück-
auf die letzten iYagen bedeutet keineswegs ihre Elntwertung.
ht die Relativität jeder Weltanschauung ist das letzte Wort
Geistes, der sie alle durchlaufen hat, sondern die Souveränität
aeistes gegenüber einer jeden einzelnen von ihnen und zu-
h das positive Bewusstsein davon, wie in den verschiedenen
altuugsweisen des Geistes die Eine Realität der Welt für uns
it."" Diese bedeutsame Anschauung von der notwendigen Ein-
?keit und Relativität jeder Metaphysik verfechten auch Wundt,
ird V. Hartmann, Volkelt, vor allem Simmel. Das Wesen der
>sophie bestimmt Dilthey in tiefsinniger Abgrenzung gegen
rion und Kunst als eine Mannigfaltigkeit von Aufgaben, deren
3insames die Herrschaft der Vernunft über die Instinkte und
Streben nach universellen Einheitsidealen ist.
Auch Paulsen will in seinem Aufsatz „Die Zukunftsauf gaben
Philosophie" die philosophische Forschung verselbständigen,
xtologischer Beziehung nennt Paulsen seine Lehre objektiven
Sinus, er ist von der Allbeseelung der Welt überzeugt* In
>logischer Beziehung will er den Atomismus durch einen ma-
chen Pantheismus ersetzen, auf den die vom Kleinsten bis ins
^te sich erstreckende Wechselwirkung der Phänomene in
^ und Zeit hinweist Diese Metaphysik trachtet er mit Kant
Uklang zu bringen.
204 0. Ewald.
Die Philosophie geht weder in empirischer Einzelforscbn
auf, noch lässt sie sich auf eine widerspruchslose Vereinigu
ihrer Ergebnisse beschränken : dies können wir als Ergebnis i
verschiedenen Ausführungen hinstellen. Alle Forschung geht i
Tatsächliches, sie setzt den Begriff der Tatsache voraus. \^
Tatsache, Realität heisst, ist eine spezifisch philosophische Fri^
die aller Einzelforschung vorausgeht und auch nicht durch
Verbindung sämtlicher Tatsächlichkeiten der Welt beantwor
werden kann. Die philosophische Erkenntnislehre enthält
Prinzipien der Ontologie und darf füglich auf den Namen ei
„ersten Philosophie" Anspruch erheben. Bevor man die Inhfl
des Seienden aufsucht, muss man über den Seinsbegriff überhai
ins klare gelangen. Bevor man die Natur erforscht, muss n
den Begriff der Natur logisch erläutert haben. So fordert ai
das Studium der Psychologie eine philosophische Begründung d
jenigen, was unter psychischem Sein verstanden wird: eine ]
gründung, die sich kaum auf die negative Bestimmung eil
Psychologie ohne Seele (Fr. A. Lange) beschränken lässt. E
nach dieser allgemeinen Grundlegung, die an keinerlei einze
Kenntnisse gebunden ist, kann der Versuch unternommen werd
die verschiedenen Disziplinen im Detail philosophisch zu behandc
Physik, Biologie, Geschichte, Psychologie und Soziologie.
Bange der „ersten Philosophie", der allgemeinen Erkenntnisle
und Ontologie, stehen wohl auch Ethik, Ästhetik und Religio
philosophie, die mit ihr den normativen, wertenden Charah
teilen und daher nicht aus dem Reiche der Tatsachen hergelei
werden können. An dritter Stelle lässt sich schliesslich €
Philosophie denken, die den enzyklopädischen Versuch ei
widerspruchslosen Durchdringung, Vereinigung und Vereinb
lichung sämtlicher Wissensgebiete unternimmt. Die verschiede!
Definitionen der Philosophie vertragen sich eben recht wohl nel
einander: in Wahrheit dürfte ihr Begriff, wie die Geschichte
eindringlich lehrt, kein streng einheitlicher sein.
Es ist nach dem Gesagten einleuchtend, dass die Stellu
nähme der verschiedenen Denker zur Aufgabe der Philosof
sich vor Allem in ihrem Verhältnis zu Logik, Ethik und Ästhi
spiegeln muss. Die Logik finden wir in der „Philosophie im
ginn des 20. Jahrhunders" von Windelband, in der „Kultur
Gegenwart*" von Riehl behandelt. Da beide Denker von K
ausgehen, herrscht kein prinzipieller Gegensatz zwischen ih
Die deuteche Philosophie im Jahre 1907. 20Ö
.ADsichten. Bloss darin weichen sie von einander ab, dass Riehl
<üe Algebraische Logik für eine wertvolle Errungenschaft hält,
"^wogfegen Windelband in ihr ein wesenloses Spiel sieht. Als Er-
keiiDtnistheoretiker stehen beide Denker auf kritischer Basis.
^%Vindelband schildert die Entwickelung der Logik und Elrkenntnis-
C-heorie von Kaut bis zur Gegenwart und zeigt in der Kategorien-
l^hre das gemeinsame Band beider Gruppen auf, an dem sich ihre
künftige Neugestaltung zu vollziehen haben wird. Die zwei
fundamentalsten Fragen der Erkenntnislehre sind das Transscen-
€3enzproblem und das Problem des Gesetzes. Auch Rieh! ist um
^ine möglichst reine Darstellung des kritischen Standpunktes be-
xnüht. Er verteidigt ihn gegen den Psychologismus und die
Philosophie der reinen Erfahrung. Die Prinzipien der Elrfahnmg
snd über der Empirie erhaben und in ihrer Idealität keiner
^Wandlung unterworfen. Wandelbar und von den Gesetzen der
£Dtwickelung beherrscht sind bloss die Inhalte der Erfahrung.
In den tiefsten Motiven der transscendentalen Grundlegung
stimmen mithin beide ausgezeichneten Denker überein.
Die Ethik wird in der Festschrift von Bruno Bauch, in der
^Kultur der Gegenwart** von Paulsen behandelt. Hier springt der
Oegensatz von Apriorismus und Empirismus in die Augen. Bauch
^teht auf Kantischer Grundlage. Das Sittengesetz ist seinem
innersten Wesen nach nicht aus Erfahrung geschöpft und trägt
Yein formales Gepräge. Bauch unterscheidet zwischen dem Dog-
matismus der sozialen Nützlichkeitsmoral, dem immoralistischen
Individualismus Nietzsches und der kritischen Ethik. Er giebt
I^ietzsche gegen den Dogmatismus Recht, der die individuellen
Unterschiede zugunsten seichter Durchschnittswerte nivellieren
möchte, aber er sieht seinen tiefen Irrtum darin, dass er den Na-
turalismus des Willens zur Macht als Grundlage für eine Um-
wertung aller Werte verwenden zu können glaubte. Wie Bauch
mit Recht bemerkt, ist die Macht ein Naturphänomen, das mit der
Auslese des Vornehmen nichts zu schaffen hat und sogar gegen
den Stärkeren entscheiden kann. Das rein formale Moralprinzip,
das Bauch im Anschluss an Kant bildet, soll den persönlichen
Unterschieden freien Spielraum lassen, da es nicht auf den In-
halt der Handlung und ihres Motivs ankommt, sondern auf die
allgemeine Maxime : es erscheint so als eine Versöhnung des Indi-
viduaUsmus und Universalismus. Dagegen verwirft Paulsen die
kritische Begründung und sucht eine Verbindung mit der Breite
206 O. Ewald,
historischer Erfahrung. Er geht auf Aristoteles zurück, indee
das Wesen der Moral in der Entfaltung aller menschlichen
kulturellen Kräfte sieht, und nähert sich der naturalistischen .
fassung, wenn er als Kriterium des Sittlichen die Elemente nc
die der Erhaltung der Menschheit förderlich sind. Diese Am
ordnet er seiner antimaterialistischen Metaphysik unter. Die ^
ist ein geistiger Zusammenhang, der von sittlichen Zweckes
herrscht wird. Allerdings kommen beide Denker in ihrer V
Schätzung des Sozialen überein, das der extreme Individnalii
so entschieden verneint. Aber das Prinzip der Wertschätzung
nicht das gleiche. Während Paulsen die Gesellschaft als Se
zweck und als eigentlichen Träger der ethischen Idee hoch
erblickt Bauch als konsequenter Kritizist in ihr lediglich
Mittel zur Realisierung sittlicher Zwecke, wogegen die Autoni
dem Individuum zuzusprechen ist.
Die Ästhetik behandelt in der Festschrift Groos, in
„Kultur der Gegenwart" Lipps. Groos zieht die Linien zwis"
einer transscendentalen, normativen und einer psychologisch
kriptiven Analyse des Problems und spricht beiden relative
rechtigung zu. Sehr beachtenswert ist sein Hinweis auf die
heimen Beziehungen des Transscendentalismus zur Metaphysik
berührt hier mit feinem Gefühl den Punkt, wo der Neukantij
mus den Übergang zu Fichte vollzieht. Wenn der Begriff
absoluten Wahrheit mehr sein soll, als eine methodische Voi
Setzung des Forschens, dann kann er nichts sein als das objel
Korrelat zu einem überindividuellen Bewusstsein, einem „Bewi
sein überhaupt". Und wenn das „Bewusstsein überhaupt" i
sein soll als ein leerer Begriff, dann verdichtet es sich zu ei
transscendenten, göttlichen Allbewusstsein. Im Gegensatz
logischen Normation, die absoluten Wert beansprucht, wiewohl
durch die Voraussetzung der Wahrheitsideen dngeschränkt
geht die psychologische Normation auf relative Werte aus,
durch Erfahrung widerlegt werden können. Groos untersucht
dann die seelischen Bedingungen des ästhetischen Schaffens
des ästhetischen Genusses, bei dem der Begriff der Einfühli
eine wesentliche Rolle spielt. Mit diesem Begriff setzt sich Li
sehr eingehend auseinander. Er unterscheidet drei Artoi
Einfühlung: die allgemeine apperzeptive Einfühlung beim
sammenfassen einer Mannigfaltigkeit zur Einheit: die Naton
fühlung, die die äussere Realität als ein Psychisches, als ein i
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 207
Er&ften und Enenpen Erfülltes empfängt; die Stimmangseinfüblung,
die den subjektiven Gefüblscharakter als ein Element der Aussen-
welt selber entgegennimmt. Lipps giebt auch eine interessante
Analyse der Künste nach den Mitteln ihrer Darstellung. Hier
nnterscheidet er abstrakte und konkrete Künste, sofern sie allge-
meine Gesetzlichkeiten oder individuelle Phänomene darstellen,
Künste der Koexistenz und Künste der Sukzession, Künste, die
sich an das Auge, und Künste, die sich ans Ohr wenden, mittelbar
nnd unmittelbar darstellende Künste.
Die Religionsphilosophie wird bloss in der Festschrift bear-
beitet, und zwar von Troeltsch. Der Verfasser gliedert seine
Untersuchung nach fünf Gesichtspunkten: dem Verhältnis der Re-
ligion zur Philosophie, zur Theologie, zur Erkenntnistheorie, zur
Psychologie und nach der Tradition der klassischen Religionsphilo-
sophie. Er hält Erkenntnis und Glauben im Sinne Kants aus-
einander und spricht sich gegen den von Kant unternommenen
Versuch einer abstrakten Intellektualisierung spezifisch religiöser
Inhalte aus, wie der Inspiration und Offenbarung. Die Zukunft
der Religion erwartet er von einer Verbindung des kirchlichen
mit dem rein gedanklichen, philosophisch vergeistigten Glauben.
Auch die Geschichte der Philosophie wird in der Festschrift
erörtert: Windelband urteilt in einem geistvollen Aufsatz
über ihre Ziele und Aufgaben. Es scheint ein Widerspruch, dass
auch die Erkenntnis absoluter Wahrheiten eine Geschichte und
Entwickelung hat, ja dass diese Geschichte ihr wesentlich, sozu-
sagen selber ein Stück Philosophie sein soll. Aber uns klärt fol-
gende Erwägung auf. Der Mensch kann die absoluten Wahrheiten
nicht in ihrer eigensten Form, sondern bloss in der unvollständigen
Form seines persönlichen Bewusstseins ergreifen, das sich erst
allmählich in ihrem Besitz zu sichern vermag. Daraus erklärt sich
abermals der Widerstreit der philosophischen Systeme und die
Denkbarkeit einer relativen Berechtigung entgegengesetzter An-
schauungen. Und ebenso die Bedeutung einer Geschichte der
Philosophie für das Wesen der Philosophie selber. Die Psycho-
logie behandelt den Menschen als ein Stück Natur und findet da-
her die absoluten Wahrheiten neben anderen logisch irrelevanten
und überhaupt nicht wertbetonten Phänomenen. Deshalb verwirft
Windelband den Versuch Friesens, aus der Anthropologie die Ver-
nunftwahrheiten abzuleiten, und entscheidet sich für ihre Deduktion
aus der Geschichte der Philosophie. Denn ^der Mensch als Ver-
208 O. Ewald,
nuuftwesen ist nicht naturnotwendig gegeben, sondern historisci
aufgegeben". Damit ist die Reihe jener Schriften abgeschlossen,
die die Stellung der Philosophie der Wissenschaft gegenüber be-
handeln. Unmittelbar daran knüpft sich das zweite Problem, ôas
einer philosophischen Grundlegung der einzelnen Disziplinen. Zu-
nächst kommen zwei in Anbetracht: Innenwelt und Aussenwelti
Psychologie und Naturphilosophie. Über die Psychologie äussern
sich Wundt und Ebbinghaus; jener in der Festschrift, dieser
in der „Kultur der Gegenwart^. Wundt beschrankt sich im
Ganzen auf einen historischen Überblick, den er in die durch beide
neuen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, durch eiperimenteJle
und Völkerpsychologie eröffneten Perspektiven münden U&st-
Ebbinghaus analysiert zunächst die verschiedenen Theorien vom
Wesen des Psychischen. Er lehnt die Wechselwirkungslehre »b
und entscheidet sich zugunsten des Parallelismus. Letzteren deutlet
er metaphysisch: Physisches und Psychisches sind ihm bloss Elx*-
scheinungsformen eines identischen Dritten. Besondere Aufmerli-
samkeit widmet Ebbinghaus der Darstellung höherer psychisch. «r
Sachverhalte, des Glaubens, der Kunst und der Sittlichkeit, dio
von einem gemässigten Empirismus getragen wird. Hier find^en
sich interessante Beziehungen soziologischer und historisd»- ^
Art. Mit dem Hinweis auf die erstaunliche Harmonie der p^ T
chischen Funktionen, die bloss scheinbar im Widerspruch n^d
Gegensatze unter einander stehen, schliesst Ebbinghaus seLrM^^
Untersuchung.
Schroff stehen einander beide Naturphilosophien gegem\)^s^'
die von Lipps, die sich erst in der zweiten Auflage derFe^*
Schrift findet, und die von Ostwald in der „Kultur der GegeÄ^'
wart". Während Ostwald ungeachtet seiner empiristischen Rid^'
tung einer barocken Metaphysik huldigt, steht Lipps auf der
vollen Höhe des kritischen Bewusstseins und durchdringt von dl
aus das ganze Gewebe der mythologischen und anthropologisdiea
Begriffe, die noch immer die Naturforschung beherrschen. Ostr
walds Ansehen gründet sich auf seine spezialwissenschaftlicto
Leistungen, keineswegs auf seine philosophischen Versnche; nnd
so fragt es sich, ob seine Auswahl überhaupt berechtigt war.
Den energetischen Vorstellungskreis, den Lipps schonungslos seiner
ontologischen Bedeutung entkleidet, hält Ostwald fest, ohne sich
darüber kritische Rechenschaft zu geben. Es mangelt s^ner
Studie nicht an interessanten, sachgemässen Ausführungen. Aber
Die deutsche Philosophie im Jahre ld07é 209
urphilosophle vermag sie sich nicht zu legitimieren. Was
l gegen den Apriorismus der Mathematik vorbringt, beruht
össten Teil auf der alten, von Kant selber gerügten Ver-
uug des Ursprungs und Wertes einer Erkenntnis. Und
s er auch nicht die Grenzen zwischen Naturforschung und
lilosophie zu befestigen, da er die letztere ledigUch für
isammenfassuug der in der ersteren niedergelegten Er-
en hält. Die glänzende Art, in der Lipps, von einem
men entgegengesetzten Standpunkte aus, das Problem er-
will ich aus Gründen der Disposition erst später berühren,
in ihr eine Annäherung an Schelling kundgiebt. Hier
wohl die aprioristische Methode gerechtfertigt, deren Wesen
[ missverstandeu, als auch die Unzulänglichkeit einer euer-
en Weltauffassung nachgewiesen, von der sich Ostwald so-
8 Lösung der Bewusstseinsprobleme verspricht.
ie Philosophie der Geschichte wird in ziemlich überein-
idera Sinne von Rickert und Eucken behandelt. Von
in der Festschrift, von diesem in der „Kultur der Gegen-
Rickerts Auffassung ist aus seiner epochalen Schrift, „Die
i der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung^, bekannt.
;t auch hier nach, dass eine Verschmelzung der Geschichte
^ Naturforschung unmöglich ist, weil die Begriffsbildong
en eine individualisierende und wertende, die der anderen
[leralisiereude ist. Bereits damit, dass etwas aus der un-
n Fülle des Geschehens als geschichtlich bedeutsam heraus-
1 wird, bereits im Prinzipe der Auswahl vollziehen wir ein
«il. Und was man den Sinn der Geschichte nennt, ist
stturgesetz der geschichtlichen Entwickelung, es ist eine
^orm, die wir ans natürliche Geschehen herantragen. Sie
ler voraus, dass wir an einen höchsten Lebenswert glauben,
r zugleich als absoluten Zweck des historischen Werdens
/cn. In der Entfaltung der Geschichtsphilosophie, die über-
rst mit dem Christentum anhebt, hält Rickert drei Stadien
ider, das des Dogmatismus, das des Skeptizismus und des
nus. Die dogmatische Geschichtsphilosophie denkt die
umlich und zeitlich begrenzt, als den Werdegang der Er-
ven der Weltschöpfung zum Weltgerichte. Während
lie Einsicht in die Unendlichkeit des Universums zunächst
)tische Geschichtsphilosophie hervorgerufen wurde, hat die
iie Scheidung zwischen Natur und Geist in der Lehre vom
210 O. Ewald,
Primat der praktischen Vernunft, von der Autonomie der PersSih
lichkeit, von dem Subjekt als Träger zeitloser und absoluter Werte,
der kritischen Geschichtsphilosophie den Boden geebnet Auch
Eucken unterscheidet den Sinn der Geschichte von ihrem natit
liehen Verlauf. Er findet zunächst eine Antinomie zwischen der
äusseren Abhängigkeit des Menschen vom Zeitgeschehen üihI
seinem historischen Triebe, die Vergangenheit zu erhalten, der
lediglich aus dem Gefühl erklärt werden kann, es gebe ewige
Werte, die vom zeitlichen Wandel unberührt bleiben. Es ist die-
selbe Antinomie, um deren Schlichtung wir Windelband in seiner
Abhandlung über Geschichte der Philosophie bemüht fanden, und
Eucken löst sie auch ähnlich wie Windelband. Das Geistedebeii
ist an und für sich ein System von ewigen Werten, aber es offen-
bart sich dem Menschen bloss stückweise, nicht als Ganzes, und
diese Offenbarung bedarf daher der Zeit, in der sie sich der
Menschheit successive mitteilt. Aus dieser Gegensätzlichköt
zwischen der begrenzten, natürlichen, empirischen Art des mensà*
liehen Bewusstseins und dem ewigen, absoluten und geistige
Charakter der Ideenwelt entspringt die Notwendigkeit der Ge-
schichte, der Widerstreit zwischen Irrtum und Wahrheit, die V«f
änderlichkeit der Kulturformen in Verbindung mit dem Ewigkeit«-
gefühl, das dem Wesen der Kultur selber eignet Das ethisch«
Moment der Geschichte wird damit verstärkt, dass das Geistofr
leben weniger gegeben als aufgegeben ist. Es wird nicht in
seiner vollkommenen Totalität entdeckt, es wird vielmehr Stàà
für Stück erobert und erschlossen, und muss im Einzelnen mähsan
ausgebaut und gestaltet werden. Die Tiefe des Geisteslehei«
offenbart sich nicht in objektiven Schemen, sondern haupts&chück
im Wirken und Walten grosser Persönlichkeiten. — Daneben finden
wir in der Festschrift noch die Rechtsphilosophie von Lask, i»
der „Kultur der Gegenwart" die Pädagogik von Münch behanddt
Lask will in die Rechtsphilosophie die strenge transscendentale
Betrachtung einführen zum Unterschiede von der empirisdien, die
aus einzelnen Rechtstatsachen den allgemeinen Rechtschankttf
deduziert, und der metaphysischen des Naturrechts, wo der koD*
krete, historische Inhalt des Rechts durch willkürliche Gedanki»*
formen verdrängt wurde. Dieser Inhalt soll unangetastet UeiW
und die aprioristischen, geistigen Normen sollen bloss seW
Wertung dienen. Auf Grund dieser Voraussetzungen sucht LaA
dem ein reiches juristisches Begriffsmaterial zu Gebote steht, iû
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 211
llethodologie der Rechtslehre einzudringen. Auch seine Er-
ungen stehen auf dem Boden des Neukantianismus.
Münch hält den psychologischen und ethischen Charakter der
igogik auseinander, er wirft einen Rückblick auf ihre histo-
e Entwickelung. Er knüpft an die mannigfachen neueren
igungen für eine innere und äussere Organisation des Unter-
s an und hebt die Notwendigkeit seiner Übereinstimmung mit
sich stetig erneuernden Bedingungen der Kulturmenschheit
or.
Wenn wir zwischen beiden Werken einen Vergleich ziehen,
finden wir, dass die „Philosophie im Beginn des 20. Jahr-
lert" vor Allem einheitlicher ist, als die „Kultur der Gegen-
^, was sich allerdings zum Teil aus ihrer Gruppierung um
Persönlichkeit Kuno Fischers erklären lässt. Sie steht im
mtlichen auf dem Boden des Kritizismus. Die klare Scheidung
Wert und Wirklichkeit, Ideal und Realität, Idee und Er-
mg beherrscht sie im Ganzen wie im Einzehien. Hingegen
die ^Kultur der Gegenwart" wohl jene charakteristische
inigung von Empirismus, Psychologismus und Metaphysik, die
von selber einzustellen pflegt, wo der Boden der Transscen-
üphilosophie verlassen wird. Die Philosophie soll einerseits
innerer und äusserer, physischer und psychischer Erfahrung
)baut werden, andererseits durch metaphysische Hypothesen
dch notwendig ergebenden Lücken des empirischen Welt*
3 ausfüllen. Natürlich war es hier sachgemäss, die Denker
an ein bestimmtes Programm zu binden. Ob es aber zweck-
rechend war, unmittelbar nach dem Aufsatz Wundts, der die
äche der Ostwaldschen Naturphilosophie überzeugend dar-
, Ostwald selber die von Wundt widerlegten Thesen als
matische Naturphilosophie vorbringen zu lassen, mag dahin-
Ut bleiben.
Einem unparteüschen Betrachter dürfte der Standpunkt, den
estschrift vertritt, klarer umrandet und gesicherter erscheinen.
Kritizismus ist noch kein abgeschlossenes Ganzes, das zum
la werden dürfte, aber er zeichnet der künftigen Elntwickelung
7ege vor. Die Fülle von Problemen, die in ihm enthalten
und die Fruchtbarkeit ihrer Behandlung wird in der philo-
3chen Litteratur jedes Jahres von neuem sichtbar. Die
tstudien^ brachten im vergangenen Jahre eine Reihe von
itzen, die für die hier berührten Fragen von Bedeutung sind.
212 0. Ewald,
Das Verhältnis der Logik zur Mathematik untersucht Cassirer
in einer Studie „Kant und die moderne Mathematik", in der er
unter Bezugnahme auf Russells und Couturats Werke den Nack-
weis erbringt, dass Kants Begründung der Mathematik durch k
modernen Theorien bestätigt wird, wenn man bloss eines im Auge
behält: als Erkenntnissystem ist sie nicht aus der Ästhetik, sonden
aus der Analytik, nicht aus der reinen Anschauung, sondern a«
der transscendentalen Logik deduziert worden. In einem spiteni
Hefte veröffentlicht Bauch einen interessanten Artikel: ,&
fahrung und Geometrie in ihrem erkenntnistheoretischen VerMtt-
nis". In einer ausserordentlich feinen und subtilen Untersuchimg
prüft dieser Denker die verschiedenen Möglichkeiten einer Ver
mittelung zwischen Geometrie und Erfahrung. Die BegrüDdnng
der „Euklidischen Geometrie" auf Verallgemeinerungen aus der
Erfahrung wird mit Rücksicht auf den apriorischen Charakter der
Disziplin verworfen. Ihr Vorrang vor den Nicht-Euklidischen Geo»
metrien Riemanns und Lobatschewskis lässt sich auch nicht »
erklären, als würde sie nachträglich durch die Erfahrung be«
stätigt : denn die Erfahrung reicht überhaupt nicht an die Ideafr
tat der reinen Formen hinan. Schliesslich ist auch Poincsrii
Berufung auf die Bequemlichkeit als dasjenige Motiv, dem sie
ihre auszeichnende Stellung dankt, unhaltbar. Denn die Beqoei-
lichkeit ist nach Bauchs überzeugendem Urteil ein rein psycho*
logisches Merkmal, das keine logische Gnindwahrheit zu stützei
vermag, und damit ist auch das violberufene Prinzip der Ökonomie
gegenstandslos geworden. Solange man die verschiedenen Geo-
metrien unter allgemein formallogische Gesichtspunkte fasst, 'lA
jede derselben gleichwertig. Erst wenn man sich auf den Bodeâ
der transscendentalen Logik stellt, wo der Zusammenhang zwischefi
Denken und Sein in Erwägung kommt, ändert sich der Sachverhalt
Zur Begründung der Erfahrung taugt einzig die Euklidische
Geometrie, ungefähr so, wie dieselbe nicht durch den Mialytfacheft
Satz der Identität, sondern durch den sjmthetischen der Kansalitit
ermöglicht wird. Die Frage, was der Euklidischen Geomelne
diese Macht über die Erfahrung gebe, eine Frage, auf die Baach
nicht näher eingeht, lässt sich auch schwerlich in der Breite ihres
Inhaltes beantworten: hier handelt es sich wohl um ein nicht
weiter deduzierbares Grenzfaktum. Immerhin scheint damit wenig-
stens die Konzession an die Erfahrung gemacht, dass sie ihrer
allgemeinen Natur nach die spezifische Idealisierung fordere,
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 213
ihr eben in unserer Geometrie geboten werde. Da wir aber
IT Apriorismus kein angeborenes psychisches Vermögen,
lern den logischen Idealismus verstehen, wird der Aprioris-
\ dadurch in keiner Weise angetastet. Die Euklidische Geo-
rie verhält sich zu unserem Erfahrungsraum etwa analog wie
Kausalität zur empirischen Succession. Man kann nicht von
)T empirischen Deduktion, wohl aber von einer empirischen
laftung der reinen Formen sprechen. Dies Verhältnis der
isscendentalen Ästhetik und Logik zur Erfahrung habe ich
einem Aufsatz der „Kantstudien" vom vergangenen Jahre
e Grenzen des Empirismus und des Rationalismus in Kants
ik der reinen Vernunft" ins Licht zu setzen versucht. Auf
m anderen bemerkenswerten Artikel „Kant und die gegen-
tige Aufgabe der Logik" von Medicus werde ich noch später
ickkommen. Auch in diesem Jahr sind mehrere Elrgänzungs-
6 von den Kantstudien herausgegeben werden, interessante
lographien: „Die Religionsphilosophie Tieftrunks" von Gustav
tz, „Kants Stil in der Kritik der reinen Vernunft" von Ernst
her, „Der Begriff Geist in der deutschen Philosophie von Kant
Hegel" von Hans Dreyer.
Darin bewährt sich die unerschöpfliche Fülle von Anregungen,
von Kant ausgehen. Umso erfreulicher ist das Unternehmen
Berliner Akademie der Wissenschaften, Kants Schriften in
r vollständigen, kritisch hergestellten Ausgabe zu sammeln,
der in diesem Jahre der 6. und 7. Band erschienen sind,
enthalten die Werke: Der Streit der Fakultäten", „Anthropo-
B", „Metaphysik der Sitten", „Die Religion innerhalb der
azen der blossen Vernunft", herausgegeben von Vorländer,
pe, Natorp und Wobbermin.
Wenn Stumpf in seiner Rektoratsrede bemerkte, die Philo-
lie der Zukunft müsse eine Synthese von Kant und Leibniz
len, so scheint Cassirers grossangelegtes Werk „Das Er-
itnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren
" auf dasselbe hinzudeuten. Nicht umsonst hat sich Cassirer
er um eine gediegene Darstellung des Leibnizschen Systems
üht. Sein „Erkenntnisproblem", dessen zweiter Band in diesem
r erschienen ist, zeigt die dominierende Stellung, die Leibniz
immt, und den tiefgreifenden Einfluss, den er auf Kants kri-
le Gedankenrichtung geübt, ein Einfluss, den man früher zu-
jten der englischen Empiristen zu unterschätzen pflegte. Der
•alatodlvD Xlll. \^
âl4 O. Ewald,
zweite Band enthält das vierte Buch ^Fortbildung und VoUoiâoitj
des Rationalismus'' (Spinoza, Leibniz), das fünfte „Das Mssm
nisproblem im System des Empirismus^ (Bacon, Hobbes, Lix^|
Berkeley, Hume), das sechste „Von Newton zu Eant", das sii
„Die kritische Philosophie". Hier ist zumal das Verhältnis
transscendentalen Logik zur reinen Anschauung ins Auge
das Cassirer im Sinne Kants bestimmen will.
Hermann Cohen, von dem sich Cassirer nachhaltigst
flusst zeigt, hat in diesem Jahre einen „Kommentar zu
Kritik der reinen Vernunft^ erscheinen lassen, in dem er an
faden des Textes eine gedrängte, einheitliche Zusammi
der Grundgedanken mit stetiger, vorausschauender Rücksiclil
auf die grossen Ziele und Zwecke des Kritizismus geben
Das Buch ist wohl als Ergänzung zu Cohens grossen EanI
zu betrachten.
In diesem Zusammenhang will ich meine jüngst ?(
lichte Schrift „Kants kritischer Idealismus als Grundlage m
kenntnistheorie und Ethik" ^) erwähnen. Auch diese Schrift,
Vorarbeit die 1906 erschienene Monographie „Kants Mi
in ihren Grundzügen" war, prüft das Verhältnis yon
und Denken, Mathematik und Logik. Die Mathematik Usst
weder aus reiner noch aus empirischer Anschauung vol
herleiten. Die empirische Anschauung liefert die Wahini
formen, die uns wie die Wahmehmungsinhalte yon aussen
geben sind. Sie werden nicht vom menschlichen Be^
ausgesponnen und auf die an sich formlosen Empfindi
projiziert. Vielmehr sind Form und Inhalt zu einem einh(
Wahmehmungsakte verbunden. Die \^derlegnng des subj
Idealismus, der die Form aus dem Subjekt hervorgehen
büdet den ersten Teil meines Buches. Der zweite fasst
Grundlegung des transscendentalen Idealismus ins Auge, tt
Kategorien entsprechen nicht den unmittelbar von aosseo 9^
gebenen Formen der Wahrnehmung, sondern sind ideale Erkfl^
nisbegriffe. Eine reine Anschauung des Baumes und der tf
giebt es nicht, sondern lediglich eine empirische Anscluiamig
selben. Reine Anschauung ist eine Grenzvorstellung: aej^
zeichnet den Grundsatz der Mannigfaltigkeit dem Prinzip der
heit und Identität gegenüber, das aus dem reinen Ycn^
^) Berlin, Ernst Hofmann & Co.
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 2l5
Torgeht. Die Mathematik entspringt aus dem Bunde der
malen Logik mit dem Grandsatz der Mannigfaltigkeit, die
namik ihrem Bunde mit der empirischen Anschauung. An
3en Ausbau des transscendentalen Idealismus schliesst sich der
^wurf einer realistischen Metaphysik.
Sofern die Vertreter der neueren Philosophie nicht dem
itiyismus, Psychologismus oder Empirismus ergeben sind, finden
sie der Mehrzahl nach im Lager des Eantianismus vereinigt.
h Denker, die wie Rickert und Windelband einen spezifisch
snntnistheoretischen Neufichteanismus begründeten, indem sie
Begriff des überindividuellen Bewusstseins, des „Bewusstseins
rhaupt'' als eines Inventars zeitloser, logischer Werte klarer
bildeten und desgleichen eine einheitliche Deduktion sämtlicher
egorien aus einem obersten Erkenntniszweck zu geben bestrebt
en, bleiben gleichwohl innerhalb der Peripherie des Eantischen
tizismus; denn das Wesentliche, Fichtes Metaphysik, wollen
nicht übernehmen. Daneben sehen wir indessen eine Reihe
Männern, die sich viel näher an die Nachkantischen Ideal-
osophen, an Fichte, Schelling, Hegel anschliessen. Und diese
regung zog im letzten Jahre sogar weitere Kreise als früher,
u zu Fichte hält Medicus, dessen Fichtebuch im vorigen
resberichte EIrwähnung gefunden. Sein früher angeführter
Batz in den Kantstudien „Kant und die gegenwärtige Angabe
Logik*" vertritt diesen Standpunkt streng, wenn es auch
rakteristischer Weise nicht an Anklängen an Hegel mangelt,
r durchgeführte Kritizismus*", sagt Medicus, „ist die Dialektik*".
formalistische Logik ist etwas sekundäres, die obersten lo-
hen Grundsätze bringen bloss das Verhältnis des Nicht-Ich
Ich zum Ausdrucke. Erst eine Philosophie, die das einsieht,
den höchsten Punkt der Vemunfterkenntnis in die ünmittel-
ceit des Ichbewusstseins setzt, kann die alte Abbildtheorie,
ach alles Erkennen das Spiegeln einer metaphysischen Realität
fiberwinden, und an ihre Stelle einen teleologischen, vemunft-
rendigen Zusammenhang reiner Kategorien setzen.
Weder Kants noch Fichtes System ist ein allseitig ge-
ossenes. Beide sind vorwiegend am Oeiste orientiert, ihr
liftltnis zur Natur ist kein eindeutig bestimmtes. Das stabile
chgewicht zu begründen, unternahmen Schelling und Hegel,
m beide auch die äussere Natur in der Fülle ihrer Gestalten
ifflich zu meistern strebten. Vor Allem ist Schelling als Be-
216
0. Ewald.
g^ründer der Naturphilosophie zu nenneD. Ich habe bemts :
vorigen Jahresberichte bemerkt, dass Theodor Lipps in
jüngsten philosophischen Schriften der Schellingschen Wd
anschauung nahe steht, und konnte mich dafür mit
Reserve auf seine am Stuttgarter Naturforschertag
Rede berufen. Eine ungemein klare Bestätigung hat meine i
sieht durch die „Naturphilosophie'' von Lipps erhalten, die in (
zweite Auflage der „Philosophie im Beginn des zwanzigsten Jd
hunderts'' neu aufgenommen wurde. Diese Schrift gehört zu i
interessantesten und glänzendsten philosophischen Leistungen i
letzten Jahre. Von der Breite nüchterner Empirie au
wagt sie einen so kühnen Aufstieg in metaphysische
wie er vielleicht seit Hegel nicht mehr unternommen
Was für einen Standpunkt man sonst vertrete, den Vorzügen!
Lippsschen Darstellung, seiner zwingenden Logik und einem
den Tiefen der Persönlichkeit stammenden Weltgefühl wird
sich nicht entziehen hönnen. Seine leitende Idee ist audi (
Mal die, dass die Natur nicht anders zu begreifen sei, als
man ihr ein göttliches Allbewusstsein zugrunde gelegt denke.
Abhandlung ist so bedeutsam, dass wir ihren GedankengiB|i
einigen Strichen festhalten müssen.
Naturphilosophie kann nicht Kritik der Tatsachen
solche obliegt allein der Naturforschung selber. Naturpli
ist lediglich Beantwortung der Frage nach der Struktur and i
Sinn des Naturerkennens überhaupt. Vor allem widerlegt ',
die zur Zeit so weit verbreitete Ansicht, die Naturf orschnng I
schränke sich auf eine vereinfachende Beschreibung der
ungen : Das, was man Beschreibung nennt, enthält bertits <
logischen Überschuss über den sinnlichen Anblick der
ungen. Ohne Identität und Kausalität, die für LipfS
und dasselbe bedeuten, giebt es auch keine reine
so wenig beides aus den Phänomenen selber herausgelesen
kann. Es folgt eine geistvolle Analyse der Naturgesetze,
nichts anderes sind, als eine Zerlegung des Naturgeschdieü^
ideale Komponenten. Hierin wurzelt alles Erklären. „Nicht T
Natur in sich selbst ist in solche Gesetze gefasst, sondas'
naturforschende Geist fasst sie in dieselben.'^ Wenn die!
gleichwohl mit unserer auf Grund dieser Gesetze gewa
Annahme übereinstimmt, so lässt sich dies bloss dann ynBid^
klären, wenn wir in ihr dasselbe geistige Prinzip wirksam d€Ml
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 217
S uns zur Entdeckungf von Gesetzen leitete. Die Naturforschung
BS femer alle materiellen Inhalte in Formbeziehungen auflösen,
ieie Beziehungen sind vor Allem räumlicher Natur. Der Raum
t weder ein leeres Gefäss, in dem die Objekte eingeschlossen
id, noch die Summe der verschiedenen örtlichen Bestimmungen,
idem eine innere Einheit der Phänomene. Diese Einheit ist
i Höchste und zugleich das Erste : die einzelnen Dinge und
vginge lassen sich einzig als ihre Teile begreifen, es sind Modi
KT absoluten, einer allumfassenden Substanz. Die sich daran
Blenden Ausführungen über Kraft, Energie, Arbeit bezeichnen
D kritischen Höhepunkt der Abhandlung. Hier vernichtet Lipps
■ dogmatischen Wahn der Naturforschung, indem er jene Be-
iffiBbildungen als Ergebnisse eines kritiklosen Anthropomorphismus
ntellt. Damit ist auch die energetische Naturanschauung, um
rea Begründung sich Ostwald bemüht, definitiv überwunden.
Bchts erhält sich in Wirklichkeit, wenn, wie man sagt, die
inergie'' sich erhält, sondem Möglichkeiten erhalten sich, die
!gends als im denkenden Geiste vorkommen.^ Der Energie-
piff ist einfach ein Behelf für physikalische Berechnung. Er
> ebenso wenig ein reales Etwas wie die Zweiheit die Substanz
refer Steine ist Mit diesem kraftvollen Vergleich reisst uns
pps von dem Spuk der energetischen Naturansicht los. Eine
mgie erfahren wir unmittelbar in unserem Seelenleben. Es ist
nter Fetischismus, das subjektive Eraftgefühl auf die äusseren
inge zu übertragen. Drei Stufen der Weltbetrachtung sind aus-
underzuhalten: die naive, die naturwissenschaftliche und die
itarphilosophische. Die naive identifiziert die Wirklichkeit mit
n Wahmehmungsinhalt^n. Die naturwissenschaftliche Auffassung
eht über sie hinweg, weil die Empfindungsqualitäten keine ein-
stige Bestimmung zulassen. Sie löst alles Sein in raumzeitlicbe
tiationen auf, wird mechanistisch. Aber auch dieses Stadium
Verwindet die Naturphilosophie. Denn der Raum büsst durch
iBBchaitung der sinnlichen Inhalte jeden Sinn ein, da er nichts
tderes ist als die Ehiheit der Inhalte, und dann ist in der räum-
hoD Betrachtung der Objekte em Widersprach gegeben, der
cht geschlichtet werden kann, solange man bei ihr stehen bleibt.
B fuhrt dazu, die Träger des natürlichen Geschehens in kleinste
tile, in isolierte Atome zu setzen, aber die Einheit des Welt-
«chehens verträgt sich nicht mit seiner atomistischen Zersplitte-
dg und fordert den Zusammenschluss in eine absolute aUiun*
218 O. Ewald,
fassende Substanz, die als der Träger anzusehen ist. Ans die»
interessanten Antinomie heraus, deren Originalität und Bedentpf
betont werden muss, leugnet Lipps die ansichseiende Bealit&t ta
Raumes. Der Natirphilosoph streicht alles, was das naiye Be-
wusstsein als Wirklichkeit anerkannt hatte. E^ bleibt ihm all
Ding an sich ein X, eine von jeder positiven Bestimmong eotp
blösste Unbekannte. Will er dieselbe irgendwie bestimmen als eil
unmittelbar Wirkliches, dann kann er es lediglich nach Ânalogit^
des menschlichen Bewusstseins, des einzigen unmittelbar Gegebeoo,
unmittelbar Erlebten. Unser Bewusstsein ist nichts BtonlidMi
und keine sinnliche Qualität. Dennoch ist es ein Reales, Seieoto
und zwar ein Ânsichseiendes, nicht blosse Erscheinung wie ft
Aussenwelt: hier nimmt Lipps gegen die berühmte Behaiq^toit
S^ts, auch das Psychische sei bloss EIrscheinung, Stellung. Kl
Qehimvorgänge sind lediglich Symbole der Bewussteeinserlebrnm
Man kann das Gehirn nicht Ursache des Bewusstseins neonei^
weil das Bewusstsein eine innere Einheit, das Gehirn aber m
Räumliches ist und der Raum nach der eben angeführten Ana^
keine definitive Einheit darstellt. Auch diese Behandlung te
Fjsychophysik ist höchst originell und bemerkenswert In Wife^
heit ist das individuelle Bewusstsein nicht an das Gehirn p*
bunden, viehnehr an die Vernunft, die ihm den Vollzug der Ded[-
gesetze gebietet. Diese Vernunft ist ein überindividueUes Welt-I(if
das die Welt erschafft. Hier geht Lipps weit über den Nei*
fichteanismus Rickerts und Windelbands hinaus, für die das il*
gemeine „Bewusstsein überhaupt"^ lediglich den Charakter eiov
logischen Abstraktion besessen hatte, wogegen es sich hier flr
höchsten metaphysischen Realität gestaltet. So gelangt Lipps iv
Erneuerung der Monadologie in logischer und moralischer HinscU^
jedes individuelle Ich spiegelt in seiner Art das Welfrich wieto
„Und damit ist das Ziel, das für das Individuum gesetzt ist, àÊ,
dass es in sich, in seiner Bewusstseinseinheit und der Enge d»
selben das Welt-Ich spiegle, das heisst, an seiner SteDe Ü
gleich werde.^ „Die Weltgeschichte ist eine solche Entwickelfli;
die tendiert auf das Werden der Gottheit, die an sich vtm Ewip
keit diese Gottheit ist, in den individuellen Ichen, und in Ichen, £<
immer vollkommenere, obzwar endliche Spiegelungen seiner seW
sind, Ebenbilder der Gottheit So sehr sich Lipps damit BrM
Spinoza, Leibniz zu nähern scheint, am u steht er Sekd-
ÜDg: hierin kann idi meine im vorigen Jahre an dieser Stelle g»
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 219
te Ansicht bloss bestätigt finden. Denn wie er über Kant
g^eht, wenn er in der Vernunft ein metaphysisches Sein er-
so gebt er über Fichte hinaus, wenn er in den Gebilden
itur Wesen und Wirken jener metaphysischen Weltvemunft
erkennt. Die von Lipps gesetzte Identität des Geistes und
atur ist eben Schellingianismus« Sicherlich werden nicht
einen kühnen Konsequenzen zustimmen. Wenigstens darin
luss Übereinstimmung herrschen, dass Lipps mit glänzender
dt die Anthropomorphismen und Mythen einer ihre Grenzen
inenden Naturforschung enthüllt und von der Schwelle des
»phischen Denkens gebannt hat, um den Weg zu einer idea-
len Weltanschauung freizulegen.
*<[och näher steht die Schule EMuard von Hartmanns der
ng Schellings. Ihr Gründer selber kam darin mit Schelling
1, dass auch er die Yermittelung zwischen dem Dynamismus
Itur und der Logizität des Geistes suchte, die er im Unbe-
tD zu finden vermeinte. Die Weltanschauung Hartmanns
ins in einer zusammenfassenden, auf acht Bände berechneten
dlung, „System der Philosophie*", von denen die ersten zwei
, Erkenntnislehre und Psychologie enthaltend, erschienen
läher zugänglich gemacht. Es ist zu .hoffen, dass darin der
t des Unbewussten volle Klärung gewinnen wird.
Jnter den Anhängern Hartmanns ist besonders Arthur Drews
orteidiger des Meisters hervorgetreten. Er bat seinen Zu-
mbang mit Schelling in einer Vorrede zum Ausdrucke ge-
, die er zu der vom Verlag Eckardt in Leipzig veran-
en Neuausgabe der Werke Schellings verfasste. Diese von
i^eiss in drei Bänden besorgte Auswahl ist auch als ein
»antes Zeichen der Zeit zu betrachten. Hier schreibt
i: „Der Wiederholungskursus, den die gegenwärtige Philoso-
Q dieser Beziehung durchzumachen im Begriff ist, drängt sie
ransscendentalen Idealismus Kants zum subjektiven Idealismus
HS, von diesem weiter zum absoluten Idealismus Hegels.
fordert aber auch der Idealismus Schellings als Durchgangs-
and Vermittelungsglied zwischen Fichte und Hegel seine
kmchtigung."" Ähnlich wie Plotm in dem bei Diederichs er-
enen Buch „Plotin und der Untergang der antiken Welt-
Mung'' feiert er Schelling als den Entdecker des Unbe-
m^ zugleich aber auch als denjenigen, der sich von der
alistischen Illusion, das Wesen der Welt restlos im Denken
220 O. Ewald,
aufgfehen zu lassen, in seiner letzten „positiven Philosophie'' los-
gerungen habe, um an ihre Stelle eine empiristische Metaplijak
zu setzen.
In einer interessanten bei Diederichs unter Drews' Leitung
herausgegebenen Schrift „Der Monismus" (I. Bd.), die eine Rdlie
philosophischer Aufsätze von verschiedenen Schriftstellern entMlt,
treten ähnliche Aspekte in den Vordergrund. Arthur Drews sucht
in dem ersten Au&atz „Die verschiedenen Arten des Monismus*
unter Ausscheidung der falschen Arten, die die Welteinheit entr
weder materialistisch in die Natur oder spiritnalistisch in den
Geist verlegen, den wahren Monismus in dem Natur und
Geist umspannenden Unl>ewussten zu begründen. Es bestdrt
zweifellos ein Unterschied zwischen diesen verschiedenen Arten,
die Standpunkte Schellings zu erneuern: vor allem darin, dass
Lipps das Absolute in einem Weltbewusstsein, die Richtung Hart-
mauns es im Unbewussten sucht Allerdings hat man zu erwiga,
dass das Weltbewusstsein keineswegs nach Analogie des begrenzten,
eben zufolge seiner Begrenztheit bestehenden, persönlichen B^
wusstseins zu denken ist, und dass Hartmanns Unbewusstei
andererseits nicht Schopenhauers blindem Willen gleicht» Sonden
von vernünftigen Ideen erfüllt ist Das Unbewusste ist ein negßr
tiver B^riff, mit dem man insofeme das Allbewnsstsein chant
terisieren kann, als dasselbe eine prinzipiell andere Bewusstseinsp
art ist. die nicht unter die Bedingungen des individuellen
Bewnsstseins gestellt werden darf. So lassen sich beide Stand-
punkte vielleicht metaphysisch zur Deckung bringen. Auf Sdiet
ling können sie beide zurückgehen, da in ihm keine eindea^ge
Entscheidung hierüber zu finden ist.
Die Motive, die über Kant hinaus zur Emeaerung EldilM
und Schellings geführt haben, führen auch zur Emeaomng Hegek
Der metaphysische und der monistische Trid> finden in seiner
Lehre einen Bückhalt. Vor allem aber der rein logische Tiieh.
Wlîhrend der Erkenntnisbegnff Kants noch immer ein anthro-
pologisoher bleibt, sofern er von der menschlichen Organisation
bestimmt ist — man denke an den prinzipiellen Gegensalz zwisdia
dorn itiskursiven Denken des Menschen und der Hypothese ontf
intuitiven g(ittlichen Verstandes — befreit Hegel die Vemüß
vollständig von jeder Beziehung auf ein anderes, lisst er sie aas-
sohliesslioh um ihre eigene Axe kreisen. Das grifflidie Dente
hat seinen Schwerj^unkt in sich selber, nidits Behuf«
i
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 221
r, weder in Bezug auf den Inhalt, der gedacht wird, noch in
ag auf den denkenden Geist, sondern ein Absolutes, dessen
mgnisse ewige, autonome Wahrheiten sind. Diese Auffassung
t sich aber vollkommen mit der heute zur Blüte gelangten
len Logik. So sind neue Anknüpfungspunkte an Hegel ge-
n ; ob man bloss sein allgemeines Prinzip des logischen Puris-
oder auch die Methode der Dialektik aufrecht halte. Ein
3res Anzeichen dafür sind die beiden vor kurzem erschienenen
läumsausgaben von Hegels „Phänomenologie'', seinem ersten
dlegenden Werke. Neben der Ausgabe des holländischen
essor Holland (bei A. H. Adriani, Leiden), deren im vorigen
esberichte bereits Erwähnung geschah, ist nunmehr auch bei
' in Leipzig eine von Georg Lassen, dem Sohn des bekannten
3lianers Adolf Lassen, besorgte Ausgabe erschienen, die sich
h grosse Übersichtlichkeit auszeichnet. Lassen hat sie mit
• umfassenden Einleitung versehen. Hier stellt er den Werde-
; Hegels dar, die Bildungseinflüsse seiner Jugend, seine
mdarbeiten und ersten Veröffentlichungen. Sodann geht er
„Phänomenologie" über, und bespricht ihre Stellung in der
»sopbischen Situation der Zeit. Die Entwickelung von Kant
Fichte zu ScheUing und Hegel ist klar und fibersichtlich
egenwärtigt. „Bei Kant liegt dieser Punkt (die Einseitigkeit
Systems) vor in der Vorstellung des Dinges an sich. Diese
ttellung hat Fichte beseitigt, der das Objekt als Produkt des
ektes fasst. In Fichtes System wieder ist der Punkt des An-
ses die Abstraktion des inhaltleeren, der Vernunft entgegen-
tzten Nichtich. Diesen Grundschaden heilt seinerseits Schel-
indem er die Identität von Ich und Nichtich statuiert. Dafür
. der Mangel seiner Auffassung offen zutage in seiner Be-
ttung der Indifferenz des Absoluten; und diese Behauptung
irlegt zu haben, ist das Verdienst Hegels, durch das er der
vickelung des Kautianismus die krönende Vollendung gebracht
. . . Indem Hegel das Absolute als Subjekt begreift, das
' die Objektivität hinübergeht, hat er diese Entgegensetzung
st und die Identität gefunden, die nicht Indifferenz, sondern
konkrete Einheit des Entgegengesetzten, „die Identität der
tität und der Nichtidentitaf" ist. Sodann behandelt Lassen
na und Methodik der Phänomenologie. Den Abschluss der
eitung bildet ein Abschnitt über den Inhalt und die Anlage
Werkes. Die Phänomenologie bebandelt nach der einleuchten-
222 O. Ewald,
\
den Erläuterung Lassons den Geist im Zustand der Natürlichkeit,
in der Fülle seiner tatsächlichenBeziehungen zur inneren und äossem
Realität. Ihre Aufgabe soll es dementsprechend nicht sein, das
wahre Erkennen vom falschen und unvollkommenen zu sondeni,
vielmehr die innere Evolution darzustellen, vermöge deren das
letztere kraft einer ihm immanenten logischen Notwendigkeit von
selber zur Wahrheit fortschreitet. Die Phänomenologie ist weder
reine Logik, da sie das Denken nicht in seiner abstrakten Iso-
lierung fasst, noch empirische Psychologie, sofern sie sich nichts-
destoweniger mit dem Denken und nicht bloss mit dem Vorstellen ab-
giebt. Die höchsten Denkwerte müssen irgendwie in unmittel-
barer Erfahrung auftreten. Sie in diesem Milieu aufzusuchen, hier
ihre individualpsychologische und geschichtliche Entwickelung zu
immer reineren und selbständigeren Geistesformen nachzuweisen,
unternimmt die Phänomenologie. Dies ist ein Punkt, vielleicht
der einzige, an dem sich Hegel und Fries berühren. Die logischen
Ideen in der inneren Erscheinung zu entdecken, wird hier zum
methodischen Leitmotiv beider Denker. Der absolute Gegensatz
von Natur und Geist ist in der „Phänomenologie^ überwunden:
auch die Natur ist in ihrer Innerlichkeit ein Geistiges, auch der
Geist hat seine natürliche Ausdrucksform.
Wir werden sehen, wie sehr sich Hegels phänomenologische
Untersuchungen trotz ihrer dialektischen Einkleidung mit spezifisch
modernen Bestrebungen berühren.
Der Glaube an eine souveräne Machtsphäre des reinen
Geistes, die sich aber irgendwie auch nach der Seite der Er-
scheinungswelt hin Ausdruck schafft, dieser Glaube, der bereits in
Fichte und Schelling wirkte, um in Hegel erst zu klarer Voll-
endung zu gelangen, ist durch den späteren Positivismus und
Empirismus keineswegs verdrängt worden. Unter jenen Denkern,
die ihn, wohl noch unmittelbar von den Identitätsphilosophen be-
einflusst, vertreten, ist neben Dilthey vor Allem Eucken zu nennen.
Eucken hat dieser Auffassung in zahlreichen Schriften Ausdruck
gegeben, und sich bemüht, auch ausserhalb der Begriffisphilosophie
in der Breite des Kulturlebens die Wirksamkeit rein geistig»
Mächte nachzuweisen. Diese Mächte walten aber nicht jenseits
von der Peripherie des sinnlichen Daseins als eine ihm fremde,
feindselige Andersheit, sie treten vielmehr in Erscheinung, sie be-
wegen sich, mit dem spröden Stoffe der Erfahrung vermengt, im
Innern des Kreises selber. Auch um die idealen Werte dem
Die deutache Philosophie im Jahre 1907. 223
menschlichen Intellekt und Gemfite zu erschliessen, muss man da-
her den Ausgang von der Phänomenalität des Gegebenen nehmen ;
man sieht, wie nahe sich diese Position mit der der Hegeischen
Phänomenologie berührt. Auch darin steht Eucken Schelling und
Hegel näher als die meisten Neufichteaner, dass er das Geistes-
leben, worunter er die Summe übersinnlicher Ideen und Ideale be-
fasst, nicht allein als einen Inbegriff von Normen, sondern als
metaphysische Realität ansieht. Dies kommt beinahe in allen
Schriften Euckens zum Ausdruck, so vor Allem in der nunmehr
in zweiter Auflage erschienenen „Der Kampf um einen geistigen
Lebensinhalt^ und in seinem neuesten Werk „Grundlinien einer
neuen Lebensanschauung'. Hier zeigt er, wie die meisten mo-
dernen Standpunkte an einer Einseitigkeit und Armut leiden, die
sie nicht zur Höhe einer wahren Weltansicht gelangen lässt.
Diese Einseitigkeit haftet der naturalistischen, der sozialistischen
und der Lebensordnung des künstlerischen Subjektivismus an. Sie
alle bleiben in einer Seite der äusseren oder inneren Erscheinung
gefangen. Zum Ganzen der Welt, zu ihrer geistigen Innerlichkeit
vermögen sie nicht einzudringen. Im Allgemeinen bestimmt
Eucken den Begriff des Geistes ziemlich abstrakt wie Schelling
and Hegel, obgleich er eine Fülle von Beziehungen zu den Pro-
blemen und Motiven des menschlichen Kulturlebens sucht.
Einer konkreten, an den Vorgängen des ökonomischen und
sozialen Daseins orientierten Fassung dieses Begriffes begegnen
wir in Sinmiels „Philosophie des Geldes", deren zweite Auflage
1907 erschienen ist.^) Simmel geht von einem scheinbar so mate-
riellen und dennoch schwer fasslichen, vieldeutigen Phänomen wie
dem des Geldes aus, um an ihm die Macht eines überpersönlichen
Kulturfaktors zu demonstrieren. Die Schrift ist nichts weniger
als eine nationalökonomische Untersuchung. Man könnte sie mit
besserem Rechte ein Werk zur Grundlegung des objektiven
Geistes nennen, den sie mit ausserordentlicher Feinheit an den
Zusammenhängen zwischen den ökonomischen Bewegungen und
den geheimnisvollsten Schwingungen der Menschenseele zu veran-
schaulichen weiss. Besonders in dem Kapitel „Der Stil des
Lebens** tritt diese Tendenz hervor. Hier läuft die Darstellung
vmn Wesen der Geldwirtschaft in zwei diametral entgegengesetzte
Richtungen aus : der äusseren Vereinheitlichung und Mechanisierung
1} Leipzig, Duncker & Homblot.
224 O. Ewald,
des Lebens entspricht insgeheim eine wachsende Möglichkeit seiner
Verinnerlichung und Differenziertheit.
Ich habe femer im vorigen Jahresberichte darauf hinge-
wiesen, dass die Fülle der in Kant verschlossenen philosophischen
Motive durch die Entwickelungslinie von Fichte zu Hegel keines-
wegs erschöpft wurde. Es ist, von Herbart und Schopenhauer
abgesehen, insbesondere Fries, dessen Bedeutung hier ins Auge
gefasst werden muss. Wahrend die erstgenannten Denker darauf
ausgehen, durch logische Konstruktion ein System absoluter Er-
kenntniswerte aufzusteUen und von der Überzeugung beherrscht
sind, dies liesse sich auf unfehlbarem, aprioristischem Wege be-
werkstelligen, während sie mit einem Worte an der objektiven
Beweisbarkeit der reinen Erkenntniswerte festhalten, giebt Fries
aus inneren Gründen dies Verfahren preis und wendet sich, ohne
die Reinheit und Objektivität der Erkenntnis psychologistisch an-
tasten zu wollen, von dem objektiven Beweise zum subjektiven
Nachweise derselben. Er lässt die transscendentale Logik in
die Anthropologie münden. Im Rahmen einer rein historischen
Betrachtung könnte er auch als komplementäre Ergänzung, nidit
bloss als Gegensatz zu Fichte und Hegel figurieren. Unter dem
Aspekt der Kritik aber spitzt sich die Verschiedenheit der Aus-
gangspunkte wohl zu einer unausweichlichen Alternative zu. Die
Identitätsphilosophen stehen als Vertreter des Prinzips da, das
Apriorische müsse auch a priori und daher logisch entdeckt und
begründet werden. Fries verficht die gegenteilige Auffassung.
Das Apriorische kann nicht wieder a priori, sondern bloss
a posteriori, auf empirischem Wege, auf dem Wege der Anthro-
pologie entdeckt werden. Er sucht demgemäss im empirische
Bewusstsein die Werte auf, die eine höhere als empirische Be-
deutung besitzen. Diese Position hat einerseits Elsenhans, Privat-
dozent an der Universität Heidelberg, in seinem Buche „Fries und
Kant^, dessen zweiter Band 1907 erschienen ist, zu klären ge-
sucht: andererseits hat sie die von Leonard Nelson begründete
neue Friesschule in Göttingen übernommen. Von der bei Vanden-
hoeck & Ruprecht erscheinenden Zeitschrift dieser Schule, den
„Abhandlungen der Friesschen Schule" sind 1907 die beiden ersten
Hefte des zweiten Bandes herausgekommen, die unter anderem
drei bemerkenswerte Aufsätze zur Verteidigung der neuen Methode
enthalten. Eüne Erwiderung Nelsons auf die Angriffe Paul Sterns
in der „Philosophischen Wochenschrift", die den Titel führt: »In-
t)ie deutsche Philosophie im Jahre 1907. 225
halt und Gegenstand, Grund und Begründung". Zwei Erwider-
ungen auf Ernst Cassirers Angriffe in dem Artikel „Der kriüache
Idealismus und die Philosophie des gesunden Menschenverstandes''
der von Cohen und Natorp herausgegebenen „Philosophischen Ar-
beiten": die eine „Kritik und System in Mathematik und Philo-
sophie" von Hessenberg, die andere „Anthropologische Vemunfts-
kritik" von Grelling. Cassirer hatte der neuen Friesschule zum
Vorwurf gemacht, dass sie die schottische Lehre vom common-
sense erneuere. Damit ist der gegen diese Richtung häufig er-
hobene Vorwurf des Psychologismus verwandt. Er gründet sich
darauf, dass Nelson im Sinne der Friesschen Philosophie die Kritik
der reinen Vernunft als Anthropologie betrachtet. Nelson begegnet
ihm durch die Unterscheidung von Grund und Begründung, Inhalt
und Gegenstand. Die Kritik der reinen VemuBdft steht zu dem
in den synthetischen Grundsätzen sich entfaltenden System der
reinen Vernunft nicht im Verhältnis von Grund und Folge.
Stunde sie zu ihm in diesem Verhältnis, dann allerdings könnte
sie nicht empirische Psychologie sein, ohne zu gleicher Zeit auch
das System der synthetischen Grundsätze auf empirisches Niveau
herunterzusetzen. Sie müsste vielmehr selber apriorisch, rational
sein, wie denn auch zumeist behauptet wird. Diese Auffassung
beherrscht der Irrtum, die Kritik habe die Grundsätze zu beweisen,
während sie dieselben in Wahrheit bloss nachweisen kann.
„Transscendental nannte Kant die Untersuchung des Grundes der
Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. Der Gegenstand der
transscendentalen Untersuchung, die den Inhalt der Kritik bilden,
sind also Erkenntnisse a priori. Erkenntnisse aber erkennen
wir überhaupt nur durch innere Erfahrung. Die transscendentale
Erkenntnis der Kritik ist also offenbar Erkenntnis aus innerer
Erfahrung." Der Gegenstand der transscendentalen Kritik ist
Erkenntnis a priori, aber der Inhalt ist empirische Psychologie.
„Wer nun nicht hinreichend genau Gegenstand und Inhalt der
transscendentalen Kritik unterscheidet, wer die transscendentale
Erkenntnis, den Inhalt der Kritik, mit ihrem Gegenstande, der
philosophischen Erkenntnis verwechselt, der wird leicht die Un-
gleichartigkeit beider übersehen, der wird leicht die psychologische
Natur der ersteren verkennen und sie selbst für philosophisch,
also für eine Art der Erkenntnis a priori, halten." Ebenso hat
man Grund und Begründung auseinanderzuhalten. „Die Kritik
giebt also in der Deduktion zwar die Begründung der meta-
2âÔ Û. Swaid,
physischen Grundurteile; aber durch diese Deduktion wird dar
Grund der metaphysischen Grundurteile nicht gegeben, sondern
bloss aufgewiesen. Dieser Grund liegt nicht selbst in der Kritik;
er gehört nicht zum Inhalt, sondern zum Gegenstand der Kritik.^
Der Grund der metaphysischen Grundurteile ist nicht in der De-
duktion, er ist ursprünglich in der unmittelbaren Erkenntnis der
reinen Vernunft gegeben. Die psychologische Nachweisung des
Ursprungs eines metaphysischen Satzes wird zu seiner Begrimdong
durch die Beziehung auf das Faktum des Selbstvertrauens der
Vernunft. Der Grundsatz des Selbstvertrauens der Vernunft
verdient allein den Namen eines kritischen Prinzips, sofern
darunter ein Satz verstanden wird, der ohne selbst metiqthy-
sisch zu sein, ein Kriterium der Legitimität metaphysischer Sitze
an die Hand gibt.^ Was dieser Einsicht im W^e steht, ist das
dogmatische Vorurteil, alle unmittelbare Erkenntnis müsse An-
schauung Sern. Die unmittelbare Erkenntnis der Vernunft ist
nicht anschaulich, denn sie wird nicht wie die Anschauung un-
mittelbar bewusst. Wenn man der Vemunfterkenntnis deswegen
die Unmittelbarkeit abspricht, so ist das eine ungerechtfertigte
Verwechselung des Ursprungs der Erkenntnis mit dem genetischen
Problem der zeitlichen Ausbildung des Bewusstseins. Die un-
mittelbare Vemunfterkenntnis ist weder anschaulich noch auch
logisch. Es ist jene höhere EIrkenntnis, nach der alle grossen
Denker instinktiv gestrebt haben, ohne sie klar fassen zu können.
Diese Thesen Nelsons, insbesondere der prinzipielle Verzicht auf eine
logische Deduktion der Kategorien haben im Lager des Nen*
kantianismus viel Widerspruch entfesselt und zu heftigen Kontro-
versen geführt, deren Fruchtbarkeit durch deiv zum Teil persfin-
liehen Ton der wechselseitigen Polemik und durch den Umstand,
dass über die strittigen Begriffe zu wenig Klarheit verbreitet
wurde, entschieden beeinträchtigt worden ist. Die agressire
Haltung der neuen Friesschule hat leider von Anbeginn zu einff
unnötigen Verstärkung der Gegensätze beigetragen. Was flurra
philosophischen Standpunkt angeht, so glaube ich, dass Nelson
mit seiner Opposition gegen die logische Beweisbarkeit der Kate-
gorien und Grundsätze im Rechte ist. Diese repräsentieren nos
eine höchste Instanz, über die hinaus es kein regrei^ves Beweis-
verfahren mehr giebt. Aus der formalen Logik können die 9jit
thetischen Grundsätze nicht bewiesen werden, weil beider Gdâ^
heterogen sind und die Welt ohne letztere zwar nicht erkennbar,
Die deutsche Philosophie im Jahre 19Ô7. 22?
imer aber noch denkbar bliebe. Aus dem Prinzip der Möglich-
lit der Erfahrung hat sie Kant zu deduzieren geglaubt und
eser Weg wurde denn auch von den Neueren betreten. Allein
ist ebenso wenig gangbar. Versteht man nämlich unter Er-
hrung dasselbe wie Wahrnehmung, dann haben die reinen
rundsätze mit ihr nichts zu schaffen, da sie ja über die Wahr-
ihmung hinaus zur Erkenntnis führen, mithin dort anfangen, wo
le Wahrnehmung und Wahmehmbarkeit zu Ende geht. Versteht
Em unter Erfahrung Erkenntnis im Gegensatz zur Wahrnehmung,
»nn ist es kein Beweis, sondern eine Tautologie, wenn man aus
rer Möglichkeit die synthetischen Grundsätze zu deduzieren
cht. Denn Erfahrung ist dann selbst nichts anderes als der
begriff der synthetischen Grundsätze und man sinkt in den
ten Dogmatismus zurück, wenn man die Wirklichkeit eines
inges aus seiner eigenen Möglichkeit beweisen will. Dass man
e Succession auf ihr Ideal, die Kausalität, dass man die Gegen-
ändlichkeit auf ihr Ideal, die Substanz, bezieht, ist ein letztes
3munftfaktum, das Berechtigung und. Gewähr in sich selber
Igt. Man kann es bloss nachweisen, nicht beweisen, und in-
fem ist die anthropologische Wendung vom Objekt zum Subjekt
trechtigt. Es bleibt immerhin fraglich, ob Bezeichnungen wie
ipirische Psychologie, Anthropologie, gegen die auch Fries
was misstrauisch war, dem Sachverhalt besonders entsprechen,
idurch wird der Schein erweckt, Vernunft sei ein spezifisch
enschliches Vermögen und ihre Erkenntnisse umschlössen kein
3ich der Wahrheit an sich, sondern einen Besitz unserer Gattung,
}niit der Nivellierung zur Theorie des gesunden Menschen-
irstandes der Boden bereitet wird. Glücklicher scheint . mir
osserls Begriff der Phänomenologie gewählt
In dem zweiten Bande seines Buches „Fries und Kant** geht
Benhans über Fries hinaus und behandelt im Anschluss an seine
lilosophie drei umfassende Gruppen von Problemen: die Voraus-
tzungen der Erkenntnistheorie; die Methode der Erkenntnis-
eorie; das Problem der Grenzen des Erkennens. Die Dar-
sllung lehnt sich wohl an Fries an, verfährt aber im Einzelnen
Ibständig.
Die Beziehung der Friesschen Lehre zu Husserls reiner
>gik und Phänomenologie ist offenkundig. Die Reinheit und
ealität der logischen Werte soll nicht angetastet werden, aber
r gelangen gleichwohl zu ihrer Erfassung auf empirischem Wege.
228 0. Ewald,
Hier begrenzt sich die Psychologie deutlich gegen den Psycho-
logismus, der die logischen Werte durch die innere Erfahrung
nicht allein nachweisen, sondern auch beweisen will. Der reina
Logiker, der seinen Standpunkt allseitig befestigt, kommt konse—
quenter Weise zur Psychologie oder Phänomenologie, denn er hat-
zu zeigen, wie sich die idealen Werte psychisch realisieren an&
eben in dieser Realisierung von den variablen, ausschliesslich em-
pirischen Phänomenen unterscheiden. Andererseits muss auch der*
Psychologe, der das Gebiet des Bewusstsein nach allen Dimen-
sionen durchmisst, innerhalb desselben Beziehungen entdecken, di^
über den unmittelbaren psychischen Bestand hinausweisen, die
mehr bedeuten, als sie ihrer sinnlichen Erscheinungsform nacht
sind: so die logischen und transscendentalen Sätze. Sie unter-
scheiden sich von empirischen Gefühlen und Vorstellungen dadurdi,
dass ihre Bedeutung sich nicht in ihrem Entstehen und Vergehen
erschöpft, sondern auf ein überpersönliches, zeitloses Prinzip der
idealen Einheit gerichtet ist, auf einen idealen Gegenstand, d^
im Inhalt der Vorstellung eigentlich bloss ein Symbol und eine
Stellvertretung gewinnt. So gelangt der Psychologe, der von der
Voraussetzung ausgeht, es lasse sich alles als seelisches Phänomen
nachweisen, zu einer eigenartigen Gruppe von Phänomenen, den
logischen, ethischen und ästhetischen Werten. Auch diesen We;
haben mehrere Denker zurückgelegt, und zwar, was recht bezeich-
nend, zumeist Denker, die' von der extrem psychologistischen
Richtung Brentanos ausgegangen waren: vor allem Husserl, dann
Meinong und Stumpf. Eben durch eine konsequente, allen Details
und Kombinationen gerecht werdende Fortbildung der Psycho-
logie gelangten diese Philosophen zur Überwindung des Psycho-
logismus. Sehr deutlich ist die berührte Wandlung bei Meinong
zu beobachten, der seit seinen Studien zur Relationstheorie immer
ausgesprochener nach der Seite der strengen Logik gravitiert.
Bereits in seiner Schrift „Untersuchungen zur Gegenstandstheorie
und Psychologie" war der entscheidende Schritt über den "Psjà^
logismus hmaus geschehen, in seinem 1908 erschienenen Bacbe
„Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissen-
schaften" (Leipzig, Voigtländer) ist die Position noch klarer ge-
worden. Der Begriff der Gegenstandstheorie wird durch «ne
zweifache Unterscheidung bestimmt: die von Wirklichkeitswisseo
und daseinsfreiem Wissen, die von rationalem und ErfahmogS'
wissen. Für die Gegenstandstheorie sind Daseinsfreiheit and
î)ie deutsche Philosophie im Jahre 1907. à2Ô
icnale Erkenntnis, somit Erfahrungsfreiheit konstitutiv. Für
kommt es einerseits nicht in Erwägung, ob ihr Objekt existiert,
crerseits ist für sie nicht die Wahrnehmung Erkenntnisquelle,
mehr die Evidenz, die Einsicht. Ein glänzendes Beispiel ist
Mathematik. Meinongs Bemühungen um Grundlegung einer
■cmeinen Gegenstandstheorie haben auch ausserhalb der streu-
en Erkenntnistheorie Anspruch auf gründliche Berücksichtigung.
Stumpf, von dem bereits gesprochen worden, ist durch diese
icinanderhaltung der empirischen und idealen Werte wohl zur
Bgen Scheidung der Erscheinungen von den Funktionen ge-
rt worden, die er in seiner Schrift „Erscheinungen und psy-
5che Funktionen" begründet. Auch in einer anderen interessanten
landlung „Zur Einteilung der Wissenschaften" trägt Stumpf
lern Verhältnis Rechnung. Er versucht hier in eindringender,
iegener Analyse die alte Einteilung des Erkenntnisstoffes in
xirwissenschaften und Geisteswissenschaften mit der neuen von
kert und Windelband durchgeführten zu verbinden, wonach der
leralisierenden Betrachtung die historische, individualisierende
euübersteht, beide aber in Natur und Geist zur Anwendung
imen können. Daneben bestehen noch folgende Gebiete: die
Inoraenologie, der die Beschreibung der in unmittelbare Er-
einung tretenden Inhalte und Formen zukommt, die Eidologie,
Studium der inneren logischen Struktur des Denkaktes, die
emeine Verhältnislehre, die die abstraktesten Relationen unter-
it, die Metaphysik, die Lehre von den gemeinschaftlichen Ge-
len und dem einheitlichen Zusammenhang sämtlicher Gegenstände.
e eigene Stellung nimmt die Mathematik ein, deren Gegenstand
absolut homogener ist. Eine andere Unterscheidung ist die
theoretischen und praktischen Wissenschaften. Schliesslich
>t Stumpf auch hier eine Definition der Philosophie, die sich
den Grundzügen seiner Rektoratsrede deckt.
Dies ist die Richtung, die Philosophie, Erkenntnislehre und
aphysik im vergangenen Jahre nahmen. Wenn auch der Weg
fezeiclmet war, die Forschung ist zweifellos um neue Motive
sichert worden. Wieder sehen wir, wie sich Kant im Mittel-
kt des philosophischen Denkens behauptet. Die Abgrenzung
transscendentalen von der metaphysischen und psychologischen
ächung, des idealen Wertes von der empirischen Realität, des
4MltftMlUn XIII. \^
230 O. Ewald,
SoUens vom Sein, vom transsceDdenten and immanenten, ist nadi
wie vor Grundsatz geblieben. Weniger nach aussen erschàt
gegenwärtig der transscendentale Besitzstand bedroht — wem-
gleich die stets sich erneuernden Angriffe von Seiten desEmpi*
raus und seiner Spielarten stets neue Mittel der Verteidigung iiiii
Abwehr notwendig machen — als nach innen, wo der Wider
streit zwischen logischer und psychologischer, phänomenologiscte
Grundlegung zur grossen Entscheidung drängt.
Während die Erkenntnislehre demnach immer noch an Eist
selber orientiert ist, sehen wir die Metaphysik in der Eiàtaïf
auf Fichte, Schelling, Hegel über ihn hinausstreben. Die Alf«
fassung des Absoluten als eines Grenzbegriffes genügt vielei
Denkern nicht mehr, sie wollen sich seiner in konkreter Nähe be-
mächtigen. Und so taucht wieder die Lehre vom Weltgeiste uS,
der aus seiner Unendlichkeit in die Sphäre der endlichen fr
scheinung tritt, zu der auch unsere empirische IndividaaiitSt gC'
hört, freilich nicht, um in ihr unterzugehen, vielmehr um sie not
seinem ewigen Gehalt zu erfüllen und zu verklären.
Es sprechen auch ausserhalb des Kreises der exaktei
Forschung viele Anzeichen dafür, dass die Philosophie wieder ek
souveräne Machtâtellnng im Kulturleben Deutschlands einzunehna
beginnt. Die Sehnsucht nach einer neuen Weltanschauung dœ*
dringt die Massen und versetzt die Gemüter in einen eigentôi'
liehen Zustand der Gährung. Weder die Tradition noch dieEnp
des praktischen Wirkens vermag die moderne Gesellschaft anf *
Dauer in das alte Gleichgewicht zu setzen. Das Bedürfnis nai
einem einheitlichen Zusammenschlüsse aller Kenntnisse und fr
kenntnisse, nach einem überragenden Standpunkte, von dem ^
sie gewertet werden können, tritt an die Stelle des Interesses ft
die kleinen Tatsächlichkeiten, für die endlosen Details to
Forschung, die die positivistische Weltauffassung znfflfr
begriffe aller Weisheit verklärt hatte. Der Positivismus ist to*
sein Gegenteil verdrängt worden. Er verkleinert das UniTeßi*
zu einem Haufen von Einzelerfahrungen, Ihm wirkt die StiiniDWf
entgegen, die heute zur Herrschaft gelangt ist : jeder noch so ^
grenzte Ausschnitt des theoretischen und praktischen Seins, j^^
Situation des Geistes und der Seele soll in eine kosmische P^"
spektive gerückt werden. Wir finden hier die Tendenz der Ä*
zelnen Forscher, ihr Gebiet als ein Stück Philosophie zu behMdds,
gleichsam über eine grössere Fläche verbreitert wieder. !•
î)îe deutsche Philosophie im Jahre 1907. 231
ten wirkt hier wohl das Verlangen nach einem grossen inneren
ammenhang aller Dinge and Personen, nach einem Mittelpunkt
Weltalls. Ein Verlangen, von dem der Drang nach einem
seren Zosammenschluss, der sich in dem Übergewicht sozialer
Werne bekundet, bloss ein matter Reflex ist.
Naturgemäss sind die Wege sehr verschieden, auf denen die
einen Gruppen zu diesem Ziele zu gelangen trachten. Wo
letische Motive vorwiegen, da muss der Weg ein anderer sein,
iort, wo wissenschaftliche Interessen massgebend sind. Wieder
Brs, wo religiöse Aspekte im Vordergrund stehen. Der Ein-
$ der Naturforschung, durch die wachsende Bedeutung der
iinik gefördert, hat über den Darwinismus zu Haeckels hylo-
tischer Weltansicht geführt und den erstaunlichen Erfolg des
istenbundes vorbereitet. Diese Bewegung war freilich von
alten Vorurteil beherrscht, es sei möglich, von einer Seite,
der blossen Naturforschung her, zum Ganzen der Welt vor-
ingen. Mit der Überwindung dieses Vorurteils haben auch
B Konsequenzen an Macht eingebüsst, und so treten dem ma-
ilistischen Überschwang mehr und mehr spiritualistische und
listische Gedankengänge entgegen, die aus künstlerischen und
fiösen Stimmungen hervorgehen. Dieser Sphäre gehören
stier und Denker wie Nietzsche, Tolstoi, Maeterlinck an.
* wurzelt die Neuromantik, die ausserhalb der exakten Philo-
lie noch grössere Bedeutung gewonnen. Hier hat das Religions-
*lem eine Renaissance erlebt, die sich teils in philosophischer
jefung, teils in mystischen und theosophischen Gedankengängen
Igiebt.
Einen Beweis für das wachsende Interesse liefert neben den
reichen Neuauflagen der philosophischen Klassiker auch das
theinen enzyklopädischer Sammelwerke und Chrestomatsien,
r denen besonders Frischeisen-Köhlers „Moderne Philosophie"
îhtung verdient. >) Frischeisen-Köhler hat in origineller Art
Stoff so angeordnet, dass die einzelnen Problemgruppen
>bleme der Erkenntnistheorie und Logik", „Probleme der
irphilosophie", „Probleme der Geistesphilosophie", „Probleme
Ästhetik", „Probleme der praktischen Philosophie" durch
riige aus den Werken hervorragender Denker vertreten er-
1) ^ Ein liesebuch zur Einführung in ihre Standpunkte und Probleme"*,
j, Stuttgart 1907. Der Herausgeber ist Privatdozent an der Berliner
ereität.
ä32 O. Ewald,
scheinen. Wir begegnen Namen wie Dühring, Mach, Sata|,l|
Windelband, Sigwaii;, Ebbinghaus, Stumpf, Ostwald, Wod*,!*
Münsterberg, Dilthey, Nietzsche, Troeltsch, Zola, Fiedler, Jim |^
Cohn, Lange, Lipps, Paulsen, James, Rein, Lehmann. In met
lesenswerten Einleitung versucht Frischeisen-Köhler den Nachweis
dass die Philosophie trotz der persönlichen Divergenzen, dielikr
mächtiger sind, als in irgend einem anderen ErkenntoisgeKfl^
eine innere Einheit und demgemäss auch eine historische E*
Wickelung besitzt.
Die stärkste Anziehungskraft übt immer noch Nietzscte
Persönlichkeit und Weltanschauung. Sein Verhältnis zur 6eg»
wart hat Vaihingers „Nietzsche als Philosoph", sein Verhältnis a
Kant und Schopenhauer, zur rationalistischen VergangenW
Simmeis „Schopenhauer und Nietzsche" aufgehellt. Dass Nieta*
kein Nihilist, kein Immoralist im gewöhnlichen Sinne des Wort«
war, sondern neue moralische Werte schaffen wollte, eine Auffassaat
die ich auch in meiner Schrift „Nietzsches Lehre in ihren Qnà
begriffen" vertrat, daran ist wohl kein Zweifel mehr. Übertt
Verhältnis Nietzsches zu Wagner unterrichtet eine mehr in é
Breite als in die Tiefe gehende Schrift „Friedrich Nietzsche oJ
Richard Wagner" von Beiart. ^)
Jene unverkennbare Nuance des Individualismus, die Nietaeb
von Kant und Wagner scheidet, scheint ihn mit Max Stirn« •
verbinden. Dieser Ansicht nähert sich auch Messer in s
interessanten Monographie „Max Stirner", 2) in der er die GrW
Stirners darin sieht, dass derselbe als erster den ülusoriBd«
Charakter unpersönlicher Ideale gelehrt habe und nichts als Wert
anerkenne, was sich nicht als persönlicher Wert zu legitimier«
vermöge. Mit Recht betont Messer, dadurch könne der wiIb«
Idealismus nicht beeinträchtigt, sondern bloss gefördert werte
Messer führt den anscheinend immoralistischen CSiarakter Stiniö*
auf sein Bestreben zurück, dem abstrakten Moraldogma der Y**
gangenheit keinen Widerstand entgegenzustellen. Überhaupt*^
deutet ihm Stimer einen ungeheuren Verstoss gegen das Uattf*
nehmen Hegels, die individuelle Realität in ein Gewebe if*
Abstraktionen aufzulösen. So wenig man diese Bedeutung Stirnö^
der im übrigen ein weniger reicher als energischer Denker wtf»
1) Berlin 1907, Wunder.
^) „Die Literatur", herausg. von Georg Brandes, Verlag vonBiw
& Marquardt, Berlin, Bd. 24.
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 233
hten darf, man bat guten Grund, in seiner Vergleichung mit
sehe Vorsicht walten zu lassen. Der Individualismus ist
3rs, nicht aber Nietzsches letzter Ausdruck. Nietzsches Welt-
auung ist überhaupt nicht egozentrisch. Er findet das Ich
die Welt eiugesponnen in den grossen Zusammenhang eines
ispiels, das der Mensch vom Innersten heraus gestalten und
3n soll, ohne sich an eine wie immer geartete singulare
tat zu klammem, und wäre es auch die Realität der eigenen
n, da dadurch der Reichtum des Seins verkürzt würde. Er
üe Welt mit all ihren Widersprüchen hinnehmen, ohne eine
atische Überwindung derselben zu versuchen. Es ist in
• schwerlosen Betrachtungsart etwas enthalten, das an die
intische Ironie" erinnert, wenn es damit auch keineswegs
seh ist. So ist es zu erklären, dass Nietzsches tiefste
iing trotz seiner äusseren Gegnerschaft gegen jedwede Mystik
dem scheinbar naturalistischen Charakter seiner Lehre sich
leuromantischen Motiven berührt. Denn es ist das Wesen
in Novalis und Schelling gipfelnden romantischen Welt-
auung, nicht in der einzelnen Individualität, sondern in einem
en universalen Prinzip den Mittelpunkt der Realität zu er-
in. Es ist bezeichnend, dass ein geistvoller Denker, Graf
ann Keyserling, der bereits in seinem fesselnden Ek^t-
verke ^Das Gefüge der Welt" nahe Beziehungen zur Neu-
itik verrät, in seiner vor Kurzem erschienenen Schrift „Un-
lichkeit" ^) gegen Stirners Individualismus Einspruch erhebt,
am Menschen unsterblich sei, worauf sich sein innerstes
m, sogar sein E^rhaltungstrieb richte, das sei nicht seine
^n, sondern ein Überpersönliches, ein ideales, kosmisches Sein,
erling will diese These in interessanten, aber keineswegs
;eugenden Ausführungen psychologisch und erkenntnistheore-
beweisen. Elr bestimmt den Begriff der Person zu eng, da
1 ihm eigentlich gar keine Synthese findet, sondern ihn als
Ausdruck eines gleichsam peripherischen psychischen Ver-
as betrachtet. Damit ist Keyserling freilich im Rechte, dass
Den Standpunkt sucht, von dem aus das Individuum selber als
^eil des Kosmos gefasst und gewertet werden kann.
Hingegen ist Elmst Homeffer im Irrtum, wenn er in seiner
ft „Wege zum Leben" den strengen Anschluss an Nietzsche
1) Lehmann, München 1907.
234 O. Ewald,
ZU wahren glaubt.^) Denn seine Wertung ist eine eitr
individualistische und nähert sich derjenigen Stirners. Nicht
Hingabe an ein Allgemeines wie es Gott oder das Universum
sondern die unaufhörliche Gestaltung, Besonderung und Indifid
tion soll der Zweck des menschlichen Daseins sein. Hornefl
Buch ist im Übrigen durch seinen schroff antichristlichen SU
punkt interessant: das Ideal einer göttlichen Vollkommenheit
scheint ihm als ein absolutes Hindernis für die menschli
Schöpferkraft und Schaffensfreudigkeit.
Weit näher steht Saitschik der Neuromantik, wenn er
einem feinfühligen Buch „Quid est Veritas**,^ das die Form
Dialogs wählt, eine harmonische Verbindung individualisÜÄ
und universalistischer Tendenzen anstrebt, den positivistisc
Wahn bekämpfend, es könne durch einen Komplex von Na
gesetzen der Sinn der Welt erschöpft werden. Der Idej
Theophil verteidigt dem Naturforscher gegenüber das Recht se
Weltanschauung, die ein einheitlicher geistiger Organismus
und keine blosse Summe verallgemeinernder Erfahrungen.
soU das Verhältnis des Menschen zur Natur in eine ideale Spt
gehoben, so der ewige Gehalt der Religion bewahrt werden.
Die Neuromantik ist noch immer in Blüte. Die Efi]
stehen zum Teile unter ihrem Bann, insbesondere die Musik,
durch Richard Wagner, den letzten und vielleicht grössten
mantiker, in diese Richtung gelenkt worden. Aber auch
philosophische Weltanschauung sahen wir immer von Neuem
in den Spuren verlieren, die zur „mondbeglänzten Zaubernai
Schellings und Novalis führen. So erwacht auch das histori
Interesse für die Schöpfungen jener Zeit und der mit üff
wandten Kulturen. Es steht im Zusammenhang damit, wenn
Philosophie Herders gerade im vergangenen Jahr mehrfach
handlung fand; „Herder und Kants Ästhetik^ nennt sich eii
struktives Buch von Jacoby,^) und das Ganze der Herder»
Weltauffassung stellt Carl Siegel, Privatdozent an der Wi
Universität, in dem klaren und übersichtlichen Buch „Herder
Philosoph"*) dar. Beide betrachten Herder als Vorläufer
Nachkantischen Idealismus und Siegel feiert ihn sogar als
1) Elinkhardt, Leipzig 1907.
«) Ernst Hofmann & Co., Berlin 1907.
3) Dürr, Leipzig 1907.
*) Cotta, Stuttgart 1907.
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 235
ker, der die fruchtbaren Keime der Schellingschen Naturphilo*
ie gesäet habe. Herders Zusammenhang mit der Romantik
ibrigens zu offenkundig, um verkannt zu werden. In Siegels
^llnng ist vor Allem die Kennzeichnung des Herderschen
ismns gegenüber der dualistischen Weltansicht Kants, sowie
lichtvolle Charakteristik seines Verhältnisses zum Evolutionis*
bemerkenswert. Herder war kein eigentlicher Evolutionist,
i kann er mit Darwin in eine Linie gesetzt werden. Seine
iranschauung trägt deutliche Züge des Platonischen Idealismus,
auch bei Schelling und Goethe durch den evolutionistischen
3kt bloss zum Scheine verhüllt ist.
Im Mittelpunkte der Neuromantik steht der Jenenser Verlag
en Diederichs, dessen hervorragende Verdienste um die Kultur
sehen Geistes ich bereits im vorigen Jahre eingehend besprach.
seinen neueren Publikationen hebe ich die von Minor besorgte
fabe der Werke des Novalis hervor. Ihre vier Bände eut-
3n: Gedichte, Tagebücher, Fragmente, die beiden Romane
Ï Lehrlinge zu Sais" und „Heinrich von Ofterdingen". Die
Bbücher und die Fragmente enthalten philosophische Entwürfe,
ohne zur Einheit eines Systems verbunden zu sein, voll tiefer
grossartiger Gedankengänge sind. Femer nenne ich Wilhelm
Humboldts „Universalität'', ausgewählt und eingeleitet von
mnes Schubert, sowie den schönen Almanach „Jena und Wei-
"", der eine Reihe interessanter, vornehmlich um Schiller und
the gruppierter Aufsätze alter und neuer Autoren enthält.
Die ästhetischen, philosophischen und religiösen Ideen der
romantik nimmt Ferdinand Jakob Schmidt in seinen interes-
sn Studien „Zur Wiedergeburt des Idealismus" auf.^) Bereits
einem früheren Werk „Grundzüge der konstitutiven Erfahrungs-
^ophie"" nahm Schmidt, an Kant anknüpfend und über ihn
usgehend, eine Stellung zwischen Kritizismus und Hegelschem
ogismus ein. In seinem neuen Buche hat sich dieser Stand-
et noch mehr nach der identitätsphilosophischen Seite Ver-
ben und verfestigt. Er behandelt hier in einer Reihe durch
gemeinsame Ideenperçpektive unter einander verknüpfter Auf-
Î das Wesen der modernen Kultur, die er vor ihrer Vcr-
iung durch Positivismus, Empirismus und Psychologismus
5n will, indem er ihr wieder das universalistische Ziel des un-
') Verlag der Dürrschen Buchhandlang.
236 0. Ewald,
endlicheD Geistes entgegenhält. Der Standpunkt, den das einzelne
Individuum in seiner Isolation einnimmt, ist kein solcher, von dem
aus das Weltall logisch und ethisch gemeistert werden kann.
Vielmehr verhält es sich umgekehrt: bloss vom Weltgeiste her
kann auch das Einzelindividuum begriffen werden.
Für das Wiedererwachen des religiösen Gefühls legt ins-
besondere die neue Zeitschrift „Religion und Geisteskultur*!
Zeugnis ab, die unter anderem inhaltsreiche Beiträge von Enckeii,
Achelis, Höffding enthält. Ohne dogmatisch zu werden, bezeichnet
diese Zeitschrift gleichwohl die Opposition gegen einen eitremeii
Rationalismus, der sich auch in den Tiefen der Religion fest-
zusetzen strebt. Immer klarer ringt sich die Übei*zeugung doidi,
dass Erkenntnis und Glaube zwei Sphären sind, die einander ii
keinem Punkte stören dürfen, da sie zwei grundverschiedene
Seiten des Universums umfassen. Diese Überzeugung gewinnt
auch in den drei Vorlesungen Ausdruck, die Eucken unter dei
Titel „Hauptprobleme der Religionsphilosophie der Gegenwart'
zusammenfasst. Die Religion ist hier als eine Art gedacht, in der
sich das Geistesleben dem menschlichen Individuum und derNator
mitteilt. Das Geistesleben, nach dessen Entdeckung und Erkennt'
nis Euckens meiste Bücher, so vor Allem sein unlängst erschienenes
Werk „Grundlinien einer neuen Lebensanschauung" streben, ist
der Inbegriff der ewigen Werte, die Eucken wie Schelliniî
und Hegel als eine metaphysische Realität betrachtet. Natur and
Geist soUen aber nicht in unversöhnlicher Entzweiung verharren,
sondern der Geist soll sich der Natur bemächtigen, um sie in
allen Wesenstiefen zu erfüllen. Hier übernimmt Eucken dasErte
der Identitätsphilosophie, das Erbe Schellings und Hegels, die in
der Einheit von Natur und Geist das Ziel alles philosophiscben
und kulturellen Schaffens erblickt hatten. So schliessen sich aacb
hier die verschiedenen Strömungen der gegenwärtigen Phüosophie
zusammen: jene ideale Welt der Werte, auf die der Neukantianis-
mus gerichtet ist, und der wir auch die Schule von Fries ^
Brentano zustreben sehen, erfährt in der um Fichte, ScheliiotTi
Hegel, Novalis gruppierten Neuromantik und in der moderneD
Religionsphilosophie bloss die Steigerung zu einer metaphysischen
Realität.
1) Vandeuhoeck & Ruprecht, Göttingen.
Die deutsche Philosophie im Jahre 1907. 237
Damit sind auch die Wege für die Zakanft vorgezeichnet.
Anschluss an Kant bedeutet zunächst einen Verstoss gegen
Empirismus, Evolutionismus, Psychologismus und Relativismus,
sich in der Forschung festgesetzt hatten. Es giebt zeitlose,
ge Werte der Erkenntnis, der Kunst, der Religion, der Ethik.
r die Entwickelung geht weiter: während Kant sich noch
.los zwischen Transscendenz und Immanenz bewegt, ist es die
denz der neuesten Philosophie — das ist vor Allem der Sinn
Neuromantik — , jene Ewigkeitswerte irgendwie auf eine
aphysische Realität zu beziehen. Aber auch hier bewahrt uns
kritische Geist vor dogmatischer Einseitigkeit: ich habe ge-
% dass es mehr und mehr das Streben der verschiedensten
Lker wird, das Wesen der Welt als eine Fülle zu betrachten,
bloss im beschränkten menschlichen Geiste Widersprüche
Antinomien zeigt. So wird auch der einseitige Logismus
rwunden. Logik, Moral, Kunst und Religion gemessen in
er Sphäre volle Souveränität und können nicht durch psy-
Logistische und empiristische Versuche zu etwas bloss Rela*
ïm, Vergänglichem verflacht werden. Aber diese ihre Sphäre
eben nicht das Ganze, sondern bloss ein Teil der unerschöpf-
en Wirklichkeit.
Die Frage als Prinzip des Erkennens
und die ,,Einleitung^^ der Kritik der reinen YernunfL
Von August Stadler.
Die Frage wird in der Logik, soviel mir bekannt ist, nicU
als eine fundamentale Funktion ausgezeichnet. Wohl liegt sie ä
stillschweigende Voraussetzung überall zugrunde; dass sie jedoA
nicht als Grundbedingung der Erfahrung eingeführt wird, ist è
Zeichen der Verkennung ihres transscendentalen Charakters. Hi^
doch würde durch die Einsetzung dieser Funktion in ihre Bedtl»
das Verständnis des kritischen Idealismus nicht unwesentlich &'
leichtert, insofern an ihr die Unterscheidung des transscendentak^ 1
vom physiologischen. A priori besonders eindringlich sich volbdebf^
lässt. Wie sehr aber durch die Verwechslung dieser bddfl^
Rechtstitel der Idealismus bedroht und verdunkelt wird, danl**
hat Hermann Cohen neuerdings wieder nachdrücklich hingawifisa^
(Kommentar zu I. Kants Krit. d. r. Vern., Leipzig 1907).
Über die logische Stellung und Leistung der Frage könn«^
wir uns auf Grund der ersten Sätze der Kritik der reinen Vc^
uunft in einfacher Weise Klarheit verschaffen, da ja schon S0
Einleitung das empirische Missverständnis behandelt und erledigte
Ihre Auslegung ist aber bekanntlich nicht unbestritten (vgl tt^
Vaihinger, Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vemimft,0
p. 1Ö8 ff.); daher lassen sich Bemerkungen, die den Standpuddfl
erläutern, immer noch nicht umgehen ; doch werden sie kurz seûu
„Dass alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange^
daran ist gar kein Zweifel.'' Der Stil dieses ersten Satzes UMf
die Emotion erkennen, die Kant von vornherein zu solcher Ab-
wehr treibt. Man pflegt doch wissenschaftliche Werke nicht wi0
„Dass" zu beginnen. Cohen hat (a. a. 0.) diesen stilîsùcts
merkwürdigen Anfang als monologisch bezeichnet; mir ersdMwra
der Satz mehr wie ein Stück Zwiegespräch ; es ist, als hätte eb^
jemand, der von dem angekündigten Werke etwas verlauten hW*
Die Frage als Prinzip des Erkennens etc. 239
Kant die Äusserung getan: „Höchstzuverehrender Herr Pro-
3or! bei allem Respekt vor dero tiefsinnigen Untersuchungen
SS ich gestehen, dass mir eine Erkenntnis, die nicht von der
-ahrung ausgeht, ein unmöglicher Gedanke ist.^ Worauf Kant
t unwillig: „Dass etc.*" Dieses störende Bedenken sollte ihm
für allemal erledigt sein, und kein Leser wird bestreiten, dass
auffällige Form ihre Wirkung tut.
„denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur
sübung geweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände,
unsere Sinne rühren ..." Wenn auch in erster Linie ein
ellekt vorhanden sein muss, damit Erkenntnis zustande komme,
ist doch den Sensualisten ohne weiteres zuzugeben, dass er
Funktion erweckt werden muss und dass dieser Weckruf in
hts anderem bestehen kann, als dass die Sinne durch Reize
ührt werden.
„und teils von selbst Vorstellungen bewirken, tefls unsere
rstandestätigkeit in Bewegung bringen . . ." Von selbst — das
sst unmittelbar, ohne dass wir etwas dabei zu tun hätten: wir
ten, hören, riechen, tasten, schmecken etwas und fühlen uns
>6i leidend, empfangend, im Zustande unsereres Bewusstseins
Ändert. Dann sagen wir, es werden uns durch die Smne Ein-
^e „gegeben". Wäre damit die Erweckung erledigt und träte
^ts weiteres ein, so würde unser Bewusstséin in einer Folge
*hsehider Eindrücke bestehen, niemals aber zu einer &kenntnis
^gen. Allein die Wirkung der gerührten Sinne ist nun nicht
'auf beschränkt, sondern löst weiterhin die Bewegung des Ver-
ides aus. Worin besteht nun diese Bewegung? Darin, diese
Stellungen
„zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen ..."
^it ist die Arbeit, die der Intellekt an den sinnlichen Ein-
*ken verrichtet, beschrieben: die Verstandesbewegung ist Ver-
erbung, Verknüpfung oder Trennung. Die Eindrücke werden
t^hsam hin- und hergeschoben, neben einander gestellt, beeh-
rt, m die Beziehung der Gleichheit oder der Verschiedenheit
^tzt, als in bestimmter Hinsicht zusammengehörig oder nicht zu-
lïiengehorig erklärt. In solcher Bewegung fühlen wir uns nun
^t mehr leidend, sondern tätig, nicht mehr empfangend, sondern
tffend, und was jetzt zustande kommt, betrachten wir nicht
U" als uns gegeben, sondern als durch uns „erzeugt". Auf
n Kriterium der Spontaneität muss der Gegensatz dieser Ter-
240 A. Stadler,
mini beruhen, sonst richten sie Verwirrung an. „Oegeben** s
nur diejenige Veränderung des Bewusstseins heissen, die sich
mein Zutun ereignet, „erzeugt" nur diejenige, die meiner Ab
entspringt. Was nicht eine Folge meines intellektuellen Harn
ist, das habe ich nicht erzeugt; automatische Tätigkeiten
sind nicht zum Handeln zu zählen, auch dann nicht, wem
Ergebnis aussieht wie ein Produkt des Verstandes. Wer
„ein System der Philosophie . . . eigentlich gelernt hat, o
gleich alle Grundsätze, Erklärungen und Beweise, zusamt
Einteilung des ganzen Lehrgebäudes im Kopfe hätte und alle
den Fingern abzählen könnte . . . weiss und urteilt nur so
als ihm gegeben war ... Er bildete sich nach fremder Ven
aber das nachbildende Vermögen ist nicht das erzeugende
(Krit. d. r. V., Ausg. Kehrbach 631). So streng soll das Krit(
gehandhabt werden.
„und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu eine)
kenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung hei
Dieses Produkt aus zwei Faktoren, dem Rohstoff sinnlicher
drücke und der Bearbeitung durch den Verstand, ist nur
„Erkenntnis" der Gegenstände, die man „Erfahrung" zu ne
pflegt» Erfahining in diesem Sinne bedeutet in der Tat dai
wachen der Erkenntnis: „der Zeit nach geht also keine Erk
nis in uns vor der Erfahrung vorher und mit dieser fängt
an." Die Sensualisten mögen sich beruhigen, die Erkenntnis
sie meinen, wird nicht angefochten.
„Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfal
anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus de
fahrung." Es ist zu unterscheiden zwischen Anheben und
springen, zwischen „mit" und „aus". Ein Ereignis kam
einer Einwirkung anheben, ohne „darum" aus dieser Einwii
gänzlich zu entspringen. Entspringen heisst hervorkommen
ein Quell entspringt, da kommt er mit seinem ganzen Inhalt
vor. Mit dem zündenden Funken hebt die Explosion des Pi
fasses an und wäre ohne ihn nicht geschehen; aber entsi
die frei werdende Kraft darum alle der Wärme des Funl
Ich höre meinen Namen rufen — stehe still, drehe mich um,
dem Rufenden entgegen . . ., eine ganze Folge von Bew^
hat angehoben, aber die Arbeit, die ich dabei leiste, entep
doch nicht der kleinen Schallwirkung des Rufes. Wir spw
in solchen Fällen auch nicht vom Hervorbringen, sondern
Die Frage als Prinzip des Ërkenhettà etc. 241
tslösen des Endergebnisses. Etwas Ähnliches könnte nun ja
ch bei der Elrfahrung stattfinden, die sinnlichen Eindrücke
QQten die Rolle bloss auslösender Kräfte spielen, und aus der
ewegung der Verstandeskräfte" könnte mehr herauskommen, als
jenen enthalten war.
„Denn es könnte wohl sein, dass selbst unsere Erfahrungs-
enntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch
»drücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnis-
mögen (durch sinnliche Eindrücke bloss veranlasst) aus sich
t>st hergibt , , ^ Wäre dies der Fall, so müsste der Erfahrungs-
ri'iff, der soeben aufgestellt wurde, revidiert und berichtigt
rden, der Erfahrungsprozess müsste dann die Resultante nicht
sier, sondern dreier Komponenten sein : der sinnlichen Eindrücke,
ar Verarbeitung durch den Verstand, und dem, was der Ver-
iid „aus sich selbst hergibt". In diesem Fall würde also der
^tand als Faktor des Erkenntnisprozesses zweierlei leisten:
die Verarbeitung der Eindrücke, bestehend im Vergleichen,
•knüpfen und Trennen oder darin, dass die Eindrücke in eine
t^isse Ordnung oder Form gebracht werden; 2. in dem „Her-
ein aus sich selbst", welches letztere demnach nur in einem
isatz" zum gegebenen Inhalt der Erkenntnis bestehen kann.
nn aber nicht nur die Form, sondern auch ein Teil des In-
es aus der Verstandestätigkeit entspringt, so muss allerdings
Begriff der Erfahrungserkenntnis dahin berichtigt werden,
ä der Verstand durch die sinnlichen Eindrücke nicht nur zum
grleichen. Verknüpfen und Trennen, sondern auch zu einem
a.tz zu Jenem Grundstoffe" veranlasst wird. Somit wird alle
enntnis in der Tat mit der Erfahrung (im alten Sinne) an-
3n, nicht aber alle aus ihr entspringen.
Allein warum ist nicht auch hieran kein Zweifel? Wie
ta denn dieses Verhältnis überhaupt verborgen bleiben? Wenn
Verstand die Erfahrung des Empirikers durch einen be-
^Ynten Beitrag zur Erkenntnis erhebt, so muss er sich doch
^en bewusst sein, denn unbewusste Verstandestätigkeit ist ein
Ung. Der Einwurf übersieht, dass bewusste Funktion zu
örscheiden ist vom Bewusstsein der Funktion. Wer denkt,
^cht darum nicht das Bewusstsein „cogito" zu haben; aller-
Ss muss das „ich denke" alle meine Vorstellungen begleiten
ûnen, aber muss es nicht in jedem Falle wirklich tun. Ich
^n die komplizierteste Rechnung vollziehen, ohne an die Regeln
242 A. Stadler,
zu denken, die ich zur Anwendung bringe, und wie viele N
forscher kümmern sich darum, ob das Gesetz der Erscheinni
das sie suchen, gänzlich der Erfahrung entspringe? Die <
rischen Wissenschaften fragen nach der Brauchbarkeit, im i
meinen aber nicht nach der Herkunft ihrer Methoden; die I
die sich bewährt, wird zur Gewohnheit und lässt neue Erfahn
automatisch entstehen. Dass dies eine zweckmässige Einricl
der Natur ist, hat schon Hume hervorgehoben. Erfahrung is
wesentlich für den Bestand aller menschlichen Geschöpfe, dt
nicht wahrscheinlich ist, dass sie den trügerischen Deduki
unserer Vernunft anvertraut werden konnte, welche, langa
ihren Operationen, sich in den ersten Jahren der Kindheit
bemerklich macht und im besten Falle in jedem Alter ui
jeder Periode des menschlichen Lebens dem Irrtum und Ver
höchlich ausgesetzt ist. Es entspricht der gewöhnlichen We
der Natur besser, einen so notwendigen geistigen Akt durch
Instinkt oder ein mechanisches Streben sicher zu machen, c
seinen Operationen unfehlbar sein, sich beim ersten Erscl
des Lebens und Denkens offenbaren und von allen schwerfâ
Deduktionen des Verstandes unabhängig sein kann. Wi'
Natur uns den Gebrauch unserer Glieder gelehrt hat, ohn
die Kenntnis der Muskeln und Nerven, durch welche sie i
wegung gesetzt werden, zu geben, so hat sie in uns einen In
eingepflanzt, welcher den Gedanken in einem Laufe voi
trägt, der demjenigen entspricht, den sie zwischen den äuj
Objekten eingerichtet hat . . ." (An enquiry concerning t
understanding. Sect. V).
Da nun also diese uneigentlich so genannte Verstandes
keit nicht oder nur unvollkommen zum Bewusstsein gelang
bleibt auch unausgemacht, wie viele Vorstellungen oder wi
an den Vorstellungen die sinnlichen Eindrücke „von selbst
wirken und wie viel noch durch unser Vergleichen, Verkn
und Trennen zu diesen hinzugesetzt wird. Eine ganz ander
flexion ist es, wenn der Verstand seine eigene Tätigkeit als
er die sinnlichen Eindrücke betrachtet, und je mehr die le
zur Gewohnheit geworden, um so mehr Anstrengung erforde
in ersterer Sicherheit zu erlangen.
„. . . welchen Zusatz wir von jenem Grundstoff nicht
unterscheiden, als bis lange Übung uns darauf aufmerksan
zur Absonderung desselben geschickt gemacht hat.^
Die Frag:e als Prinzip des Erkennens etc. â43
Auf dem Erwerben dieser Geschicklichkeit beruht nun alle
itik der Erkenntnis, deren zentrale Aufgabe es ist, die Beding-
gen des wissenschaftlichen Fürwahrhaltens zu ergründen. Dass
»rfür der Nachweis der Quellen der Erkenntnis unumgänglich
, ergiebt sich schon aus der Tatsache, dass Sätze aufgestellt
rden, die allgemein und notwendig gelten sollen. Auch dieser
Spruch bildet eine Aufgabe für die Kritik. Nun ist ohne
itères klar, dass solche Sätze sich nicht empirisch rechtfertigen
anen. „Erfahrung lehrt uns zwar, dass etwas so oder so be-
laffen sei, aber nicht, dass es nicht anders sein könne.** Femer
ïtt Erfahrung „niemals ihren Urteilen wahre oder strenge,
idem nur angenommene oder komparative Allgemeinheit (durch
luktion), so dass es eigentlich heissen muss: so viel wir bisher
»hrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel
ine Ausnahme" (Kr. 648). Somit giebt es entweder keine not-
ndigen und allgemeinen Sätze, oder sie müssen der Verstandes-
igkeit selbst entspringen. Müsste jenes eingeräumt werden, so
re unser ganzes Wissen historisch, ein Wissen von der Ver-
igenheit: wir erkannten in jedem Augenblick, was gewesen ist.
Dials aber, was ist oder sein wird. Nun braucht man gar nicht
Mathematik und Naturwissenschaft hinzuweisen, um diesen
lanken unerträglich zu finden; nicht nur keine Wissenschaft,
dem überhaupt kein vernünftiges Handeln wäre möglich, wenn
er Urteilen auf die Komparation der Erfahrung beschränkt
be. Alles Handeln beruht auf der Voraussetzung, dass be-
imte Beziehungen, welche waren, sein werden, also unveränder-
seien. Für jedes Subjekt wären Natur und Menschen unbe-
lenbar, somit feindliche Mächte, ohne die Zuversicht, dass ihre
ion und Reaktion nach Regeln erfolge. Wenn in der Macht
Gewohnheit nicht irgend eine objektive Macht zum Ausdmck
'-^gt, so ist uns kein Kosmos begründet, so trägt jede kommende
Oxide die Möglichkeit des Chaos in sich.
Das hat Hume selbst empfunden, dass seine psychologische
Deckung der Gewohnheit als Grund des Fürwahrhaltens den
eschen aus einer anderen, seiner liebsten, der schönen und
endlichen Gewohnheit des Daseins und Wirkens, fortwährend
Schrecken müsse. Das macht ihm, wie die zitierte Stelle zeigt,
^ Verharren in seinen Zweifeln unbehaglich, das treibt ihn, eine
B^g zu finden, die er, in bescheidener Selbsttäuschung be-
^en, „skeptisch^ nennt: er materialisiert die Gewohnheit zum
244 A. Stadler,
InstiBkt und lässt diesen in der „ordinary wisdom of nature" be-
gründet sein. Damit sehen wir den Skeptiker an einem objdrtiT
sein sollenden Prinzipe angelangt; denn wenn unser Glaube u
die Weisheit der Natur wieder nur eine Gewohnheit, obzwareaie
allgemeinere, wäre, so könnte auch er nur die Vergangenheit te
greifen, nicht aber die Zweifel des Kommenden lösen.
Die Weisheit der Natur spielt bei Hume dieselbe Rolle, n
bei Descartes die Wahrhaftigkeit Gottes; nur bedeutet sie insolen
einen Rückschritt gegen letzteres Prinzip, als Gott und W#
haftigkeit klare, Natur und Weisheit dagegen dunkle Begrife
sind. Beide Prinzipien aber sind transscendent, d. h. sie te
schreiben einen jenseits der Erfahrung liegenden Gegenstand, à
Objekt, das in keiner Erfahrung gegeben werden kann.
Diesen Sprung ins Jenseits erspart uns die Methode KanU
So einfach und naheliegend erscheint uns heute sein grundlegfender
Gedanke, dass es uns wundert, wie er den Vorgängein, namestr
lieh, wie er Hume entgehen konnte. Statt die Erkenntnis üb«^
sinnlich zu begründen, macht er sie selbst, macht er ihreMögliek-
keit zum Prinzip: wir nehmen an, dass Erkenntnis möglich sei-
darauf beruht alles weitere. Das ist nun aber nicht die Vorm
Setzung eines Unbekannten, sondern lediglich einer Eigenscbift,
die alles haben muss, das ein Bekanntes soll werden können, âo
bezieht sich diese Hypothese zwar auf das Ganze der Erfahrung,
also auf ein Objekt, das wir nur in unendlicher Annäherung reali-
sieren können; aber sie ist trotzdem nicht transscendent, dt
dieser ins Unendliche sich erstreckende Gegenstand die Grenfl»
des Anschaulichen nicht überschreitet. Kant nennt Begriffe uri
Sätze, die sich auf die Grenzen des Immanenten, aber nur bel«6
Bestimmung der Erfahrung beziehen, transscendentai; ein Terni-
nus, den wir heute nicht mehr Gefahr laufen, mit „transscendent'
zu verwechseln.
Die transscendentale Hypothese bekundet also nicht freu*
Absicht und Weisheit, sondere das eigene Wollen der menschliche»
Vernunft, und ist mit diesem untrennbar verknüpft. Die Vernioft
kann nicht erkennen wollen und überzeugt sein, dass Erkenntnis
unmöglich ist; denn, wenn sie sich zu Handlungen bestinunt, t<*
denen sie weiss, dass sie ihren Zweck nicht erreichen können, ^
handelt sie zwecklos oder für einen unbekannten fremden Zwei
Beides ist gleich unwürdig.
bie Frage als Prinzip des Erkennens etc. 246
Wo keine Erkenntnis begehrt wird, ist auch keine Kritik
j und fruchtbar. Somit muss die Logik von diesem Ursprung
• Aufgabe ausgehen. Daraus ergiebt sich als ihr oberster
idsatz: da Erkenntnis gewollt wird, ist sie als möglich anzu-
aen, und die theoretische Vernunft steht unter dem Gesetz:
flaubt, denn sie will. Das Wollen erzeugt das Fürwahrhalten
ist sein letzter Grund. Die kritische Besinnung besteht in
Nachdenken über das, was man eigentlich will, wenn man
onen will, und die Logik ist der Nachweis der Hjrpothesen,
lurch dieses Wollen notwendig werden.
Das ist nun der Punkt, an welchem die Frage in ihre
ehe Funktion tritt: sie liefert den Leitfaden zu dieser Orien-
ng in unserem Wollen. Schon eine genauere psychologische
achtung hätte darauf führen müssen. Was geht denn eigent-
vor, wenn die „gerührten" Sinne die Verstandestätigkeit in
egung bringen? Sie erwecken ein leises Gefühl (der Lust
der Unlust oder beider zusammen), welches das Bewusstsein
nlasst, bei den Eindrücken zu verweilen, auf sie „aufzumerken*;
n schliesst sich unmittelbar ein Wundernehmen, d. h. ein Be-
en zu „erfahren". Dieses Thaumazein aber ist in der Tat
Anfang aller Philosophie, denn es löst nun eben die ursprüng-
*e Verstandesfunktion aus : die Frage. Durch die Frage wird
vage Wundem in feste Richtungen eingestellt, in der Frage
dem Begehren ein fester Inhalt gedacht. Mit der Frage
Dut das Verstehen der Wissenschaft, wie das des Kindes, und
all, wo sie verstummt, ist die geistige Entwickelung zum
stand gekommen.
Das ist nun der Leitfaden, an dem die Vernunft in ihrem
len sich zurechtfinden kann. Dieses Zurechtfinden aber ist
fundamentaler Bedeutung. Denn, sobald die Vernunft weiss,
sie will, wenn sie Erkenntnis will, weiss sie auch, was sie
iori voraussetzen muss, damit Erkenntnis möglich sei. Dem-
I müssen sich aus der Analyse der Frage die Kategorien oder
Grundbegriffe der Erkenntnis notwendig und allgemeingültig
ben.
Auch jene andere Einsicht zu gewinnen, was unser Ver-
en aus sich selbst zur Ek^ahrungs-Erkenntnis hergebe, sind
jetzt geschickter geworden; denn dass zum mindesten das
len ein „Zusatz** sei, wird niemand bestreiten. Wollen ist
stbewusstsein ; was aber dem Selbstbewnsstsein entspringt, ist
lototodico XIII. V\
à46 A. Stadler,
leichter vom Vorgestellten zu sondern, als was ihm automatisch zuge-
fügt wurde. Das Wollen macht den sinnlichen Eindruck zu
Zweck, durch die Frage wird er zum Objekt der Erkenntnis, zu
Problem. Dadurch gewinnt er aber eine Eigenschaft, einen Qu-
rakter, den er an sich nicht besass und auch durch keine Ve^
gleichung mit anderen sinnlichen Eindrücken gewinnen konotft
Über die Art dieser Eigenschaft hat der Sinn der Frage Alf«
schluss zu geben. Welche Fragen aber als Urtatsachen der fr
kenntnis zu gelten haben, offenbart uns unmittelbar jede EriDDfr
rung an unser theoretisches Wollen: wir wollen wissen, „was du
ist" und „warum das ist". Und wenn wir die WissenschafteB
betrachten, so finden wir, dass sie in Antworten auf diese Fraget
bestehen.
Diese Fragen enthalten die grundlegenden Hypothesen
Erkennens, durch sie wird vorausgesetzt, dass „das" „etwas
und dass „das" „wegen etwas sei". „Das" ist die anslöseul
Tatsache, der veranlassende sinnliche Eindruck, das Qegébati
das wir vor der Antwort nicht anders bezeichnen können als dnd
den Hinweis, den Fingerzeig. Von diesem Gezeigten sagt
die Vernunft von vornherein eine Beziehung, ein Verhältnis H
macht es zum Glied einer synthetischen Einheit: das ist etwi!
das ist wegen etwas ! Der sinnliche Eindruck muss etwas vt
stellen und muss durch etwas bedingt sein. Im ersten Falle wU
etwas zu ihm hinzugedacht, das gleichsam in oder unter iâ
liege und ihn an sich trage, dem er anhaftend, eigen seL M
hinzugedachte Etwas heisst Ding, der bezogene sinnliche ft
druck Eigenschaft und die Art dieser Beziehung Inbireoi
Im zweiten Falle wird zu dem sinnlichen Eindruck etwas hl*
gedacht, mit dem er so verknüpft sei, dass er ohne es niditn^
banden wäre. Man nennt dieses Etwas Bedingung, den so k**
zogenen sinnlichen Eindruck das Bedingte und die Art dieiff
Beziehung Dependenz.
Diese Voraussetzungen macht nun also die Vemonft m^
hängig von aller Erfahrung, unter keinerlei Vorbehalt, auch niÄ
unter dem, sie in der Erfahrung bestätigt zu finden. Sie Btf^
sie vielmehr im Sinne einer Gesetzgebung: das soll etwas 80i'
das soll wegen etwas sein ! Dass Erfahrung — im Sinne ^ i
Erkenntnis — diesen Gesetzen sich fügt, bedarf keiner Bestätig* i
denn Erfahrung ist nur, was ihnen sich fügt. Sollten die Sbb^ j
wirklich zu Eindrücken gerührt werden können, an deneo *
Die forage als Prinzip des Erkennens etc. 24?
iietischen Normen der Frage sich nicht erzeugen liessen, so
/en solche Eindrücke kein Interesse für die theoretische Ver-
ft, welches im Wollen der Erkenntnis besteht.
Drei prinzipielle Voraussetzungen also sind es, die das Pro-
n der Erkenntnis bestimmen:
dass der Vernunft etwas gegeben sei,
dass sie das Gegebene zur Vorstellung des Dinges ge-
stalten könne,
dass sie das Gegebene als ein Bedingtes darstellen
könne.
Das sind die Bedingungen oder Grundsätze der theoretischen
oblemstellung und zugleich die Kategorien der möglichen Ant-
»rten oder Lösungen. Aus diesen Kategorien müssen sich alle
rigen Grundbegriffe gewinnen lassen, wobei Verschiedenheit in
r Formulierung und Anordnung, nicht aber in der Bedeutung
flieh ist. Denn der Inhalt der Grundbedingungen kann sich
* mit den Grundfragen ändern; das Problem der Erkenntnis
so beständig als die Grundfrage. Wenn freilich unser Wollen
1 ändert, so werden wir andere Antworten verlangen und da-
das Begreifen des Gegebenen auf andere Grundlegungen
tzen müssen.
Und damit ist nun eben, wie mir scheint, die Eigenart des
Qsscendentalen oder idealistischen A priori ins volle Licht ge-
ten. Gewiss ist die Frage auch ein physiologisches A priori;
in wären wir nicht dazu organisiert, so könnten wir nicht
;en. Nun wird aber dieses physiologische A priori durch die
^ der Vernunft zum transscendentalen erhoben, indem die Frage
Postulat der Erkenntnis zur Grundbedingung möglicher Er-
rung gemacht wird. Diese bewährt aber ihre Apriorität da-
ch als transscendentale, dass es möglich ist, synthetische Sätze
riori (Gimndsätze) aus ihr herzuleiten. Die Frage als Reflex-
iregnng schafft keine Mathematik, keine Physik und keine
dk, wohl aber als Erzeugnis unseres Wollens, als welches sie
Grundbedingungen dieser Wissenschaften entwirft.
Und ebenso klar tritt der Idealismus dieses A priori hervor.
ihrer Grundfrage verlangt die Vernunft keine Berechtigung
der „Erfahrung*"; sie bettelt nicht bei ihr, ob die Möglichkeit
^r Erkenntnis wahrscheinlich sei; sie setzt diese Möglichkeit
\r
248 A. Stadler, Die FSràge aïs Prinzip des Erkennetis etc.
voraus, weil sie sie will; sie macht sich eine Idee von der
kenntnis und handelt nach dieser Idee, Sie verfährt in sole
Grundlegung nicht anders als die praktische Vernunft, die ke
Statistik nach dem Für und Wider der Freiheit befragt, sond(
schlechterdings zu handeln gebietet, als ob die Freiheit wirldi
sei. Der Materialismus sucht in den Welten nach dem Thit
auf dem er die Gottheit fände — der Idealismus nimmt sie f
in seinen Willen, d. h. er schafft sie, um sie ewig zu besitzen.
Die Grundfragen der Ästhetik
Iter Icritischer Zugrundelegung von Kants Kritilc
der Urteilslcraft.
Von Prof. Dr. Richard v. Schubert-Soldern.
Inhalt Einleitung. — § 1. Die Subjektivität des Schönen. —
Allgemeinheit des Schönheitsurteiles. — § 3. Unterschied des Schönen
1 Guten, Wahren und Angenehmen. — § 4. Einteilung des Schönen. —
Das Schöne und das Hässliche. — § 6. Das Natur- und Kunit-
)ne. — § 7. Idealismus und Realismus. — § 8. Die architektonische
geistige Schönheit. — § 9. Die Darstellung des Geistigen in der
iir. — § 10. Das Erhabene und das Anmutige. — § lt. Das Tragische
Komische. — § 12. Der Humor. — Anhang: Einige Bemerkungen
Begriff des Stils.
Einleitung.
Was in dieser Arbeit geboten werden soll, ist nicht eine Erörterung
ästhetischen Grundbegriffe im Sinne Kants, sondern eine Fortbildung
«Iben unter Ausschluss jeder Metaphysik. Diese Fortbildung ist aber
freie und selbständige, sie begnügt sich nicht damit, jede metaphy-
le Begründung auszuschliessen und im übrigen die Ansichten Kant«
inehmen, sondern sie untersucht die ästhetischen Tatsachen selbst und
bhängig von den Ansichten Kants. Indem sie aber bei ihrer Analyse
den Ansichten Kants ausgeht und sie an den Tatsachen prüft, gestaltet
sich zu einer freien (allerdings oft sehr freien) Umbildung und Fort-
ung seiner ästhetischen Grundbegriffe. Deswegen habe iqh auch Kant
rends im einzelnen zitiert, denn es war mir nicht darum zu tun, den
erschied meiner Ansichten von seinen festzustellen, sondern ich habe
De Ansichten selbständig an seinen herangebildet und zwar in so
er Weise, dass |mir ein Nachweis im einzelnen unmöglich im allge-
Kien aber unnütz erschien, denn die Kenntnis der Ansichten Kants im
«meinen kann ich wohl bei jedem Leser meiner Arbeit voraussetzen.
Berühren möchte ich noch die Frage, welchen Zweck ästhetische
xlerungen überhaupt besitzen. Ich könnte zwar hier die Phrase ge-
K^hen, dass jede Erforschung der Wahrheit Selbstzweck ist, das kann
T wohl für einige Menschen G^tung haben, durchaus aber nicht für
meisten oder für alle. Jede Wissenschaft ist aus praktischen Zwecken
250 R. V. Schubert-Soldern,
hervorgegangen und findet auch nur durch sie die nötige nuMefl«
Unterlage.*) Die Wissenschaft würde nie öffentliche ünterettiteung mid
Förderung erlangen, wenn sie wirklich nur Selbstzweck wäre, abervoi
die Wissenschaft Selbstzweck ist, der wird ihre praktischen Ziele a
besten fördern, weil er die Wahrheit am höchsten halten wird, welche die
Grundbedingung für alle ihre praktischen Ziele ist.
Ich glaube nun, dass die Ästhetik dem Künstler, Dichter n. s. w. ii
einer Beziehung wenig nützen kann, sie kann ihn nicht anleiten, IM
werke zu schaffen, sie ist m. E. nicht einmal eine notwendige tiieo»
tische Grundlage für ihn wie etwa die Physik für den Physiologen; à
kann, wie ich glaube, ihm gegenüber nur einen Hauptzweck erfüllen, oe
kann ihn vor einseitigen ästhetischen A^nschauungen bewahren, denn jeder
Künstler hat ästhetische Anschauungen, wenn er sich ihrer als solcher
auch gar nicht bewusst ist. Sie kann diesen Zweck aber nur erffiHei.
wenn sie selbst nicht einseitig ist, wenn sie nicht eine ästhetische »
schauung aller Welt als die einzige offenbart und ausruft : so soll es een!
Sie muss sagen, so ist es, so kann es sein, sie muss eine Analyse ds
ästhetischen Ansichten geben, nicht einen Kanon der Kunst. Fflrdei
Künstler aber ist es wichtig, sich eine gewisse Freiheit der ästhetiselA
Anschauungen zu wahren, weil er dadurch sich auch Freiheit in der Be^
nutzung von Natur und Kunst bewahrt, denn seine meist unbewossten ^
deshalb umso gefährlicheren ästhetischen Anschauungen bestimmen lbs ^
seiner Auswahl des Darzustellenden nach Stoff und Technik.*)
Der praktische Hauptzweck der Ästhetik liegt aber, wie ich ^i$x^
in der Erholung, welche die Kunstwerke gewähren, diese Erholung ^
nicht eine Nebensache, nicht ein blosses Ausruhen, sie führt auch glei^
zeitig dem Geiste Nahrung zu, wie das zuströmende Blut den ermfideii^
Bestandteilen des menschlichen Körpers. An nichts erkennt man aß
Charakter eines Menschen besser als worin und wie er seine ErholiiBf
findet und sucht, denn das hängt von seiner Bildung und Moral ab td
diese von Anlagen und Erziehung. Die Ästhetik hat nun m. E. die pith*
tische Aufgabe, das Schöne und die Kunst tiefer erfassen zu lehren mi
dadurch auch die Erholung zu vertiefen, welche das Ästhetische gewihit
Doch glaube ich deswegen nicht, dass die ganze Erziehung des Menschtt
eine ästhetische sein soll, gerade weil das Ästhetische als solches kebe
1) VgL meine Arbeit „Die Einteilung der Wissenschaft als Einteitasi
in die Philosophie" in der „Zeitschr. f. inomanente Philosophie^. Bd. IV
Heft n, 228 f.
*) Schon die Erkenntnis, dass er ästhetische Ansichten hat, wird da
Künstler vorsichtig machen in ihrer Anwendung und den Weg bahnen H
Freiheit der Auffassung. Unter „ästhetischer Ansicht^ verstehe ich hie
aber eine Ansicht, wie ein Kunstwerk beschaffen sein solL Eb
solche Ansicht ist aber m. E. mehr oder weniger Geschmacksache, die u
Regeln gebracht werden kann, die aber nach Ort, Zeit und Individmo
subjektiv verschieden sein müssen. Die Ästhetik hat das Kunstwerk, di
Kunstschaffen, den Kunstgenuss nach ihrer subjektiven Seite hin zu au
lysieren, nicht aber einen Kanon der Kunst zu geben.
Die Grundfragen der Ästhetik etc. 251
ktiscben Ziele haben darf. Dem Ästhetischen praktische Ziele setzen
1 es praktisch-sozial benutzen, ist zweierlei. Es ist gewiss erwünscht,
8 das Ästhetische wie ein Blumengewinde durch das praktische Leben
durchzieht, aber dieses Blumengewinde darf nicht zum praktischen Ziel
Lebens werden (ausser beim Künstler) und darf es auch nicht über-
chem und alle seine anderen Zwecke ersticken.
Indem ich nun an meine Aufgabe herantrete, will ich zuerst eine
apteigenschaft (wenn man will, zwei Haupteigenschaften) untersuchen,
Kant als wesentliches Erfordernis dem Schönen zuschrieb. Es soll
olich subjektiv und doch aUgemein sein.
§ 1. Die Subjektivität des Schönen.
Jede Subjektivität setzt eine Objektivität voraus; diese Be-
ffe der Objektivität und Subjektivität werden aber in den ein-
Ben philosophischen Systemen sehr verschieden bestimmt; diese
rschiedenheit entgeht vor allem durch die mannigfachen traus-
ndenten Annahmen der einzelnen Systeme. Dasjenige, was un-
längig von mir gilt, ist objektiv, was nur für mich gilt, ist
yektiv. Es ist mir aber, was heute wohl ziemlich allgemein
festanden werden wird, „zunächst" alles subjektiv gegeben;
8 in diesem Subjektiven auch objektiv gelten soll, hängt dann
1 der fraglichen transscendenten Unterlage des Subjektiven ab.
les Subjektive, das eine transscendente Unterlage hat, besteht
± objektiv und kann, auch wenn man seine transscendente
terlage nicht oder nicht vollkommen zu erkennen vermag, doch
iektiv genannt werden: es ist das Objektive im Subjektiven,
r den erkenntnistheoretischen Standpunkt ^) giebt es jedoch keine
msscendenz und doch kann er den Begriff des Objektiven nicht
ückweisen, denn dieser Unterschied wird tatsächlich gemacht
i muss daher irgendwie auf tatsächliche Unterschiede zurück-
ührt werden können. Objektiv könnte man nun alles dasjenige
inen, was nach bestimmten Gesetzen sich bestimmen lässt; diese
jektivität gehört sowohl der Aussenwelt wie der Innenwelt an;
;h an der Innenwelt ist alles, das festen Gesetzen unverrückbar
^, „objektiv gegeben""; nur das Unbestimmbare der Innenwelt
„subjektiv gegeben"". Was aber in der Aussenwelt nicht nach
ten Gesetzen bestimmt werden kann, ist deswegen noch nicht
bjektiv gegeben"*, sondern „zufällig". Der aufgestellte Begriff
Subjektivität und Objektivität ist daher unzureichend. E>
1) Vgl meine „Grundlagen einer Erkenntnistheorie", p. 6 ff.
252 R. V. Schubert-Soldern,
wurzelt auch in dem Unterschied zwischen Innenwelt und Ânsseo-
welt Objektiv ist, was der Aussenwelt angehört, subjektiv, was
der Innenwelt angehört. Doch was die Aussenwelt auszeichnet,
ist die unverbrüchliche Ordnung und gesetzliche Aufeinanderfolge
ihrer Elemente. Soweit wir diese Beschaffenheit auch in der
Innenwelt finden, sprechen wir auch von einer Objektivität der
Innenwelt. Deswegen schillert dieser Begriff der Objektivität und
Subjektivität zwischen den Unterschieden gesetzmässiger BestimiD-
barkeit und der Angehörigkeit zur Aussen- oder Innenwelt
Wir wollen nun den Begriff des Schönen in beiden Be-
ziehungen untersuchen, also ob das Schöne streng gesetzlich be-
stimmbar ist und ob es der Aussenwelt oder der Innenwelt an*
gehört.
Würde das Schöne der Aussenwelt allein angehören, so
könnte im Wesentlichen kein Streit darüber herrschen. Audi
wer nie viel Farben und Farbenmischungen im Leben gesehen
hat, wird doch, wenn er nicht farbenblind ist, alle Farben, Farbeo-
Schattierungen und selbst Farbenkontraste unterscheiden könno;
Streit kann hier höchstens über die feinsten FarbenschattieroDges
und Farbenkontraste herrschen. Gilt das auch von den Urteihi
über das Schöne? Man schenke einem mit der Kunst ganzUs*
bekannten ein meisterhaft ausgeführtes urhässliches MenschenbiU;
auch er wird sich vielleicht dahin äussern, einen solchen Ked
möge er nicht einmal geschenkt haben. Man wird nun wohl eis*
wenden, man brauche diesen mit der Kunst Unbekannten nur g^
hörig in die Kunst einzuführen und er wird nun ein anderes D^
teil fällen. Gewiss! Doch was hat sich geändert? Am BU
also in der Aussenwelt rein gar nichts, nur die Innenwelt dtf
Urteilenden ist eine andere geworden. Das Urteil über i^
Schöne hängt daher jedenfalls von der Innenwelt des Urtefl^
ab; freilich nicht von ihr allein, sondern auch vom Tatbestand it
der Aussenwelt. Es ist das Resultat beider Faktoren, der Inoefi'
und der Aussenwelt. Die Innenwelt eines Zeitalters bestiinirt
deshalb seine Schönheitsurteile, seine Schönheitsideale. Vom 6^
kenntnistheoretischen Standpunkt freilich ist alle Schönhmt sib*
jektiv, insofern ein objektiver Tatbestand in der Aussenwelt ok*
eine beurteilende Innenwelt nicht schön genannt werden kaA
denn eine jede Schönheit setzt eine subjektive Beurteilung vorÄ
die aber ohne äusseren objektiven Tatbestand nicht erfolgen la^
Dieser äussere Tatbestand braucht aber nicht das eigentlich 0
Die Grundfragen der Ästhetik etc. 2Ö3
irteilende zu sein; er ist es nur in den bildenden Künsten und
der Musik; in der Poesie und schönen Litteratur wird nicht
äussere Tatbestand (Buchstaben, Einband, Papier, Tinte,
ickerschwärze) beurteilt, sondern ein innerer, durch jenen
seren Tatbestand erst hervorgebrachter. Das führt uns zum
îiten Punkt.
Ist das Schönheitsurteil so genau und unverrückbar bestimmt,
'. etwa das mathematische oder auch nur naturwissenschaftliche?
sh io der Mathematik und Naturwissenschaft hängen die Urteile
i der Innenwelt der Urteilenden ab. Ein wissenschaftlich Un-
âldeter wird den pythagoräischen Lehrsatz nicht verstehen, das
setz der Anziehung der Massen nicht begreifen; bildet man ihn
senschaftlich aus, so wird ihm auch das Verständnis kommen,
"gleichen wir aber ein solches wissenschaftliches Urteil mit dem
lönheitsurteii, so ergeben sich zwei wichtige Unterschiede.
Erstens: Über ein und denselben Tatbestand kann wissen-
aftlich zur Zeit immer nui* ein giltiges Urteil gefällt werden;
mehrere Urteile mit gleichem Recht über ein und denselben
.bestand gefällt werden, sind alle fraglich, nicht aber alle giltig.
Schönheitsurteile können über denselben Tatbestand bei ver-
iedenen Individuen ganz verschieden lauten und doch die gleiche
tigkeit haben, so wenn einer vom Standpunkt der idealistischen
Fassung, der andere vom Standpunkt der realistischen Auf-
mng urteilt. Ja man kann sogar beide Urteile von einem
eren Standpunkt aus verstehen und sogar billigen.
Zweitens: Zwei ganz entgegengesetzte Tatbestände können
hi dieselbe wissenschaftliche Beurteilung erfahren; ich kann
bt dasselbe Urteil fällen über einen Stoff, der tötlich wirkt und
30 anderen, der ernährend wirkt. Über zwei entgegengesetzte
tietische Tatbestände kann ich aber dasselbe Urteil fällen, ich
tu ein idealistisches und ein realistisch durchgeführtes Kunst-
*k in gleicher Weise schön finden.
Daraus folgt, dass entgegengesetzte Schönheitsurteile nie
K^h, sondern nur einseitig sind. Wenn der eine ein Kunstwerk
tuteilt, der andere es lobt, so kommt das daher, dass ihre
enwelten eine verschiedene Ausbildung haben; man kann aber
hi sagen, das eine Urteil müsse falsch sein, sondern beide Ur-
e sind einseitig. Die Vereinigung beider Urteile erfolgt auf
Bm höheren ästhetischen Standpunkt nicht durch Vermittelung
1* Ausmerzung des einen Urteils, sondern durch die E^rkenntnis
254 B. V. Schubert-Soldern,
ihrer Einseitigkeit. Der ästhetisch Durchgebildete yennag
sowohl auf den einen als auf den anderen Standpunkt zu sie
er findet nicht einen Widerspruch zwischen beiden Urte
sondern nur eine Verschiedenheit im Standpunkte der Beurteil
Wenn dagegen der eine Gelehrte behaupten würde, ein Stoff
giftig, der zweite, er sei nicht giftig, so ist hier keine
schiedenheit des Standpunktes möglich, das eine Urteil muss fs
sein, wenn das andere wahr ist. Dasselbe gilt auch für den
jektiven Tatbestand des Schönheitsurteils. Über den objekt
ästhetischen Tatbestand giebt es nicht zwei entgegenge«
gleicherweise gestattete Urteile. Man kann nicht darüber
Recht verschiedener Meinung sein, ob ein Fuss verzeichnel
oder nicht: entweder er ist verzeichnet oder er ist es nicht,
darüber, ob mir ein Kunstwerk gefällt oder nicht gefällt,
zwei entgegengesetzte gleichberechtigte Urteile möglich. '.
wegen giebt es auch falsche Urteile in der Kunst, wenn sie
falscher Beurteilung des Tatbestandes beruhen; nur dass
Kunstwerk bei vollem Verständnis seiner Technik gefallt
missfällt, kann nie falsch sein, sondern die Auflösung des Wi
Spruches ist hier die Erkenntnis seiner Notwendigkeit.
Jedes SchönheitsurteiP) ist daher insofern subjektiv, al
auf der bestimmten Beschaffenheit der Innenwelt des Urteile
beruht und unberechenbar ist; es ist eben unberechenbar, wc
nicht zwei Innenwelten giebt, die sich vollständig gleichen,
Innenwelt hat wenigstens teilweise ihre eigenen ästhetische]
fahrungen gemacht, die nun auch ihre Schönheitsurteile 1
flussen. Jedem Schönheitsurteil muss aber ein objektiver
bestand zugrunde liegen, sonst fehlt ja überhaupt der Gegen
der Beurteilung. Dieser objektive ästhetische Tatbestand ist
aber auch Gegenstand einer eigenen Beurteilung, die weni|
teilweise vom Schönheitsurteil unabhängig ist. Es ist freili(
sonders von Künstlem oft behauptet worden, dass die T(
(und auf ihr beruht der objektive ästhetische Tatbestand) alle
höchstens wurde noch der Komposition ein bescheidenes PlSt
eingeräumt. Dem steht die Thatsache entgegen, dass über
technisch gleich vollendete Kunstwerke zwei ganz versdu'
Schönheitsurteile gefällt werden können; will man das der
1) Ich spreche hier nur von „Schönheitsurteilen**, weü das „I
tische Urteil" oft in einem weiteren Sinn gebraucht wird, der aie Vi
über den objektiven ästhetischen Tatbestand mit umfasst
Die Grundfragen der Ästhetik etc. 25Ö
edenheit der Komposition za gute rechnen, dann muss man
en Begriff stark erweitern und vertiefen. Die äussere Kompo-
n muss dann zur inneren künstlerischen Auffassung werden;
Künstler kann nur das darstellen, was er sieht und empfindet
was er sehen und empfinden will; diese seine Auffassung
hdringt und leitet seine ganze Technik, so dass beide zü-
rnen ein schwer zu trennendes Ganze ausmachen. Natürlich
Dflusst auch die Technik seine Auffassung, doch mehr in dem
le, dass sie sie hemmt und modifiziert, als dass sie sie fördert
leitet. Daher kommt es, dass auch technisch unvollendet«
ke durch ihre Auffassung bezaubern und raffiniert technisch
'hgeführte Werke ihrer Auffassung wegen abstossend wirken
len. Ja gerade oft jene Werke, in denen in einer Frühkunst
Auffassung noch mit der Darstellung ringt, haben den eigenen
ber der Blütenknospe, den die voll aufgeblühte Rose nicht
r besitzt.^)
^) Wenn Marschner (^Die Orundfragen der Ästhetik*^, Zeitschr. f.
inente Philosophie, Bd. IV, 2, p. 178) behauptet, dass man das Schöne
^^itesten Sinne von drei Standpunkten aus behandeln könne, vom
Ipunkt des schaffenden Künstlers, vom Standpunkt des Kunstwerkes
b (objektiver Tatbestand, Technik) und vom Standpunkt des Betrach-
»s und Geniessenden, so hat er gewiss vollkommen recht. Nur kann
» reinliche Scheidung dieser Standpunkte stattfinden. Der Künstler
:b seinem Schaffen gebunden durch die Technik und das Urteü des
»«htenden; das letzte freilich nicht in dem Sinn, als ob er allen
en des Publikums nachgeben sollte, sondern in dem Sinn, dass er
:Yiindestens einen idealen Betrachtenden vorstellen muss. Er arbeitet
für ein Publikum, sonst könnte er sein Kunstwerk auch verborgen
r^ and hätte seinen Zweck doch erreicht; dass das kein Künstler tut,
dass dem Darstellenden ein rein ideelles Publikum nicht genügt.
wird ihn gewiss in seinem Schaffen ein verständiger Beurteüer
* Werke nur fördern und das gilt auch vom Laien in der Kunst,
iiur durch ihn kann der Künstler erfahren, ob er auch verständlich
*<n ist, ob er das ausgedrückt hat, was er ausdrücken wollte. Von
Standpunkt des Kunstwerks gilt dasselbe, eine Technik, die den Be-
enden gänzlich beiseite liesse, wäre ohne Ziel und Zweck. Anderer-
l^ann der Betrachtende den vollen Genuss nie ohne ein gewisses
"^ndnis künstlerischen Schaffens sowohl des subjektiven als auch des
^^ven (der Technik) erreichen. Kant hat, wie jeder Laie, hauptsäch-
^otn Standpunkt des Betrachtenden die ästhetischen Fragen beant-
^y und diesen Standpunkt nehme auch ich hier im wesentlichen ein.
^^ eben kaum vielen gegönnt sein, Fragen der allgemeinen Ästhetik
^en drei Standpunkten gemeinschaftlich behandeln zu können.
256 B. V. Schubert-Soldern,
§ 2. Allgemeinheit des Schönheitsurteiles.
Kant nennt das Schöne subjektiv und doch allgemein, seine
Begriffsbestimmung der Allgemeinheit oder Allgemeingiltigkeit des
Schönheitsurteiles ist aber ziemlich schwankend: bald fällt es mit
der Uninteressiertheit des Wohlgefallens zusammen, bald mit dem
Begriff der Apriorität, d. h. mit einem Gefallen, das auf einem.
Urteil a priori beruht, bald, und das hängt mit letzterem zol-
sammen, mit einem Gefallen, das nicht sinnlich ist. Wir wolieü
nun diese von Kant behaupteten drei Eigenschaften des Schönes
prüfen.
a) Das Schöne beruht auf dem uninteressierten WohlgefallftZ3
Der englische Philosoph und Nationalökonom Smith baut dX<
Moral auf dem Urteil des unparteiischen Zuschauers auf. Das i^
allerdings sehr unbestimmt, denn welcher Zuschauer ist unpart^ J
isch zu nennen, es kommt aber doch auf das hinaus, was EaX3
uninteressiertes Wohlgefallen und Missfallen nennt; nur muss m^^
au Stelle des unparteiischen Zuschauers den unbeteiligten setze^K
Wenn ich etwas betrachte, an dem ich persönlich durch kein^^
Vorteil beteiligt bin, so dass das Betrachten selbst mein einzige
Zweck ist, so werde ich im Betrachten Wohlgefallen, Missfall^^
oder Gleichgiltigkeit empfinden. Dieses Wohlgefallen resp. IGs^
fallen ist uninteressiert, weil ich den Gegenstand nicht zu ein^ '
fremden Zweck betrachte, weil alle persönlichen Vorteile von d^
Betrachtung ausgeschlossen sind. Wenn ich aber in der B^
trachtung nicht verbleibe, wenn ich darüber hinausgehe, wenn e^
Begehren, ein Verlangen in mir wach wird, dann ist mein Wohu—
gefallen nicht mehr uninteressiert, dann begehre ich etwas
mich seiner persönlichen Vorteile wegen. Kant hat das so
gedrückt, dass beim Schönen die Existenz der Sache mir gleict::^
giltig sein müsse. Das ist nun m. E. unrichtig ausgedrückt, deit::::^
auch bei ganz uninteressiertem Wohlgefallen ist mir die Existeo —
der Sache nicht gleichgUtJg, denn nur durch ihre Existenz ist de^^
Genuss der Betrachtung möglich ; die Existenz ist mir nur iiisc^
fem gleichgiltig, dass ich nicht mehr als die Existenz yerlang^
dass ich keine persönliche Beziehung zwischen mir und der Sacbvc.
herstellen will. Bergmann sagt daher sehr richtig:^) »De«*^
nicht das Terlangt der Begriff des Schönen, dass die Lost, 1::»
dasselbe gewähre, überhaupt nicht Befriedigung eines BegebremM
') •Über das SciiOn<?-, Beriin lögT, p, 106.
Die Grundfragen der Ästhetik etc. 257
i\ sondern nur, dass das Begehren, dem es Befriedigung biete,
liglich das Betrachten des Gegenstandes zum Inhalt habe.^
«wegen erzeugt in der Tat das Schöne eine gewisse Ruhe, die
3r nicht in seiner objektiven Beschaffenheit liegt, die oft die
tigste innere und äussere Bewegung aufweisen kann, sondern
Gemütszustande des Betrachters. Weil das Begehren in der
xachtung befriedigt erscheint, so hört alles Streben, das über
Gegenwart hinaus will, auf: es entsteht ein Ausruhen von
rgischen Willensregungen, vom Kampf des Lebens. Allerdings
das nur vom vollkommen Schönen oder wenigstens nur von
1 Schönen, das dem Betrachter vollkommen erscheint, denn so
sich ein Missfallen in das Wohlgefallen einmengt, muss auch
Begehren nach der Abänderung des Kunstwerkes entstehen.
Es wäre jetzt noch der Begriff der persönlichen Beziehung
erläutern, einer der schwierigsten Begriffe, so dass ich nicht
3s, ob mir seine mehr als negative Bestimmung gelingen wird,
'^tiv bestimmt, fasst er alles das in sich, was über die blosse
r^htung des Gegenstandes hinausgeht. Er darf aber nicht
dem Individuellen verwechselt werden, denn die Beziehungen
i Schönen sind stets individuell, sie hängen von der indivi-
Uen Vorstellungswelt des Betrachtenden ab. Das Persönliche
ästhetischen Sinne ist nicht das, was ein Individuum von
sren unterscheidet, sondern dai^enige, was ein Kunstwerk zu
individuellen Zwecken des Betrachters in Beziehung setzt,
also em Kunstwerk zu einem Mittel für das Individuum
ht oder auch nur das Betrachten des Kunstwerkes zu einem
^1 macht. Wenn meine eigene Betrachtung des Kunstwerkes
ein Mittel der Analyse des Schönen wird (etwa zum Zweck
^ Abhandlung), so hört hier das Schöne auf und die Wissen-
^ fängt an. Deswegen ist es so schwierig, ein Kunstwerk
t* bloss seiner Technik, sondern auch seinem ästhetischen Ein-
k nach einer wissenschaftlichen Analyse zu unterwerfen, der
erstand der Analyse droht immerfort unter den Händen zu
^winden.
Darin aber, dass das Wohlgefallen am Schönen nicht über
Betrachtung hinausgeht, liegt auch das, was Kant seine All-
^ingiltigkeit nennt. Denn dadurch, dass jeder Zweck der
^<ihtung, jeder persönliche Vorteil, der aus dem Gegenstände
Betrachtung heraussieht, ausgeschlossen erscheint, stelle ich
^ auf einen Standpunkt, der nicht bloss geeignet ist, mein
25é R. V. Schubert-Soldern,
Standpunkt zu sein, sondern der jedermanns Standpunkt sein kann,
vorausgesetzt, dass er sich mit der blossen Betrachtung begnügt
Allerdings mache ich dabei aber eine Voraussetzung, die nie nod
nirgends zutrifft, dass nämlich die Innenwelt des Andern geniui
dieselbe Beschaffenheit habe wie meine eigene, unter denselbeo
inneren Bedingungen ist das Schönheitsurteil allgemeingiltig, aber
diese Bedingungen sind niemals gegeben, jede Innenwelt hat ihre
eigenen ästhetischen Erfahrungen gemacht, nach der sich ihre
ästhetischen Urteile richten, und deswegen können die Schönheits-
Ursachen zweier Personen nur in den seltensten Fällen, wenn üb»«
haupt, miteinander übereinstimmen. Nichtsdestoweniger erscheiot
dem Einzelnen sein Schönheitsurteil im Augenblick, wo er sich in
ein Kunstwerk vertieft, allgemeingiltig, weil er auch beim Ändern
dieselbe Innenwelt voraussetzt. Diese Allgemeingiltigkeit ist aber
nicht eine logische, sondern eine psychologische oder vielmài
sie ist ein psychologischer Schein, eine psychologische Schrin-
giltigkeit.
Kant hat die Zweckmässigkeit von der Schönheit
wenigstens von der reinen Schönheit, ausgeschlossen. Meines JSs-
achtens mit Unrecht; denn es handelt sich doch bloss darum, dft*
im Betrachten nicht über das Betrachtete hinausgegangen wirA
dass nicht ein Streben entsteht, das über die Betrachtung hinauf'
geht. Darin ist nicht eingeschlossen, dass nur ein Gßgenstaa^
betrachtet wird, man kann auch ein Verhältnis von Gegenstände^
dem Schönheitsurteil unterwerfen: Die Zweckmässigkeit ist abe^^
ein solches Verhältnis von Gegenständen zu einander, auch danf^'
wenn der Zweck ein idealer ist, der in der Aussenwelt nicht ai^'
gewiesen werden kann. Man kann diese Zweckmässigkeit an sicS^
betrachten, ohne dass sich ein Verlangen oder Begebren regt, di^
über diese Betrachtung hinausgehen. Die Zweckmässigkeit kanf^
an sich gefallen, sie hat eine Schönheit für sich, die unabhängig
von meinen persönlichen Vorteilen ist, sie kann in der Betrachtung
selbst als Zweck und nicht als Mittel erscheinen. Das ist ziffl^
grossen Teil bei der architektonischen Schönheit der FalL-
Hier ist der Zweck des Gebäudes die Hauptsache und seine?
Schönheit liegt zum grossen Teil darin, dass der Zweck in alte»
Teilen seinen richtigen (allerdings auch gefälligen) Ausdruck findet —
Nur wenn man nicht bei der Beti^achtung der Zweckmässigka*
stehen bleibt, wenn man zum Gebrauch und Zweck selbst über-
geht, hört die Schönheit auf. Deswegen ist die zwedunässipe
Die Grundfragen der Ästhetik etc< 259
taltung eines Gegenstandes ebenso eine Schönheit, wie die
taltung eines Gegenstandes ohne Zweck, die schön ist.
Die Schönheit der Zweckmässigkeit ist aber freilich eine
ene Art der Schönheit und eine Schönheit, die leichter vom
ssen Betrachten zum Wünschen und Verlangen führt; denn der
reck braucht nur in enger Beziehung zu meinem Begehren zu
ihen, so wird die blosse Betrachtung der Zweckmässigkeit un-
•glich, man strebt, zum Gebrauch selbst überzugehen.
Man wird also dreierlei Arten von Schönheit zu unter-
leiden haben: 1. Die Schönheit eines Gegenstandes, der nur
1 Zweck der Betrachtung, keinen über ihn hinausgehenden
'eck hat. 2. Einen Gegenstand, dessen Schönheit in der An-
nessenheit zu einem bestimmten Zwecke ausserhalb seiner
teht, einer Schönheit, die sich auch in der Natur vorfindet.
Die Schönheit, die Kant die anhängende Schönheit nennt,
h. die Verbindung einer gefälligen Form mit der Zweckmässig-
' des Gegenstandes. Dazu gehören Ornamente, Zieraten, An-
grsel u. s. w. So kann ein Pokal die Schönheit der Zweck-
sigkeit und in seinen Ornamenten und seiner Form anhängende
îJnheit besitzen.
b) Kant versteht unter der Allgemeingiltigkeit des Schönen
i die Apriorität des ästhetischen Urteils. Der Gegen-
(3 soll nämlich gefallen eines Urteils wegen, das vor aller Er-
Ung gefällt wird; aus diesem Urteil entspringt erst das Ge-
il. „Vor aller Erfahrung** hat hier den Sinn, dass das Urteil
b auf einem sinnlichen Eindruck, auf einem sinnlichen Reiz
ben darf. Es bleibt daher nur die Art und VSTeise übrig, wie
Sinnliche aufgefasst und zusammengefasst wird, d. h. die
^^llung des Gegenstandes in der Einbildungskraft (die Art
^eise, wie die Einbildungskraft ihn auffasst) muss überein-
men mit dem Erkenntnisvermögen überhaupt. Mit anderen
"ti^n: nur die Form des Gegenstandes in Raum und Zeit macht
^ Schönheit aus. Denn nach Kant sind Raum und Zeit
>^en der Anschauung a priori und die Einbildungskraft ordnet
sinnlichen Reize in Raum und Zeit: also die Anordnung des
blichen in Raum und Zeit muss Zweckmässigkeit für unser
^imtnisvermögen besitzen. Das heisst wohl, sie muss sich mit
^btigkeit unter einem Begriff überhaupt zusammenfassen lassen,
^t aber unter einen empirisch bestimmten Begriff.
260 R. V. Schubert-Soldern,
Lassen wir die Metaphysik Kants beiseite, so ergiebt siek
daraus, dass Kant den blossen sinnlichen Eindmck nicht n
Schönen rechnet und das wohl mit Recht, wenn man danmt» &
von allen Verhältnissen und Beziehungen losgelösten Sinnesinhito.
versteht. Grün, ein Geruch, ein Ton u. s. w. sind an und fir
sich nicht schön, sie können nur in ihren Verhältnissen unten»
ander und zum Nachfolgenden und Vorangegangenen schön g»»
nannt werden. Auch wenn ich das Grün einer Wiese «Mt
nenne, so tue ich das nur im Gegensatz zu anderen Elemeota
der Landschaft oder vielleicht in Erinnerung an die toten, st»
bigen Farben der Stadt. Ich sehe hier davon ab, dass wenigst«
nach Kant auch dieses VSTohlgefallen an der Farbe kein WoUg^
fallen am Schönen wäre. Den anderen transscendentalen Eröit*
ungen Kants ist aber meines Erachtens kaum etwas zu entnehnia^
was weitere praktische Anwendbarkeit besässe. Dass die Vefr
Stellung in der Einbildungskraft mit unserem Erkenntnisvennöga
übereinstimmen müsse, ist selbstverständlich, so dass dann eigent*
lieh alles schön sein müsste. Tatsächlich kann man auch nidk
Widersprechendes denken noch darstellen; man kann höchstev
unberechtigte Erwartungen an das Vorhandene knüpfen, d. h. te
empirischen Kausalität Widersprechendes vorstellen. Das Lebte
ist aber etwas, was der Schönheit gar nicht entgegen ist, die Dtf*
Stellung eines Wunders, eines Märchens widerspricht durdi«»
nicht den Gesetzen der Schönheit. Auch wenn ich einen histo-
rischen Vorgang in einem Drama oder einem Gemälde g^n &
historische Wahrheit abändere, kann das Dargestellte doch scUi
sein. Auch ist in alledem die blosse Übereinstimmung des V(»^
gestellten mit unserem Erkenntnisvermögen vorhanden, es ist hitf
nur ein Widerspruch mit dem tatsächlichen empirischen Inhalt g^
geben. Nicht weiter kommt man mit der Zweckmässigkeit des
Schönen für unser Erkenntnisvermögen, denn das durch die ^
bildungskraft Vorgestellte muss zweckmässig für unser ErkenntJ**
vermögen sein. Ein positives Moment enthält die Forderung*'
leichten Unterordnung des Schönen unter einen Begriff übeAfl*'
Denn abgesehen davon, dass diese Leichtigkeit ein sehr reWif*
Begriff ist (was dem einen schwer ist, kann dem andern lei*
sein), liegt darin eine Vermengung des Logischen und des SchS»*
Freilich hat auch das Logische seine Schönheit, aber diese i»
doch nicht die einzige.
Die Grandfragen der Ästhetik etc. 261
c) Kant hat aber auch, was teilweise schon erörtert wurde,
Allgemeinheit des ästhetischen Urteils darin gesucht, dass es
t auf dem Sinnlichen, nicht auf dem Empfindungsinhalt beruht.
m ist nur empirisch, das ästhetische Urteil ist a priori; das
iori aber beruht auf Beziehungen und Verhältnissen, die ur-
inglich und vor allem sinnlichen Inhalt, Tor aller Erfahrung
oben sind. Dieses „Vor" aber ist nicht ein zeitliches, es
zeit darin, dass in der Erfahrung Beziehungen gegeben sind
bhängig vom sinnlichen Inhalt selbst, weil sie ursprüngliche
iktionen des Geistes sind, bevor es noch einen Inhalt giebt,
leich sie nur an einem Inhalt in Erscheinung treten können,
diesen Beziehungen der Sinnesinhalte auf einander durch die
bildungskraft gemäss dem Erkenntnisvermögen beruht die
5nheit. Die Schönheit ist daher Form, nicht der sinnliche
lit ist schön, sondern Verhältnisse von Inhalten und diese Ver-
nisse sind unabhängig vom sinnlichen Inhalt, sonst wären sie
it a priori, nicht allgemeingiltig, sie stehen vor aller möglichen
ihrung fest. Darin liegt wieder zweierlei: 1. Dass die Schön-
auf Verhältnissen und nicht auf dem Inhalt beruht, dass die
5nheit blosse Formschönheit ist. 2. Dass die Schönheit auf
men (Urteilen) a priori beruht, die von der Erfahrung, vom
liehen Inhalt unabhängig sind. Da der zweite Punkt schon
tert wurde, haben wir nur noch den ersten Punkt zu prüfen.
Es ist gewiss richtig, dass die Schönheit auf Verhältnissen
iht, aber ebenso richtig, dass sie auf einem Inhalt beiniht, weil
cein Verhältnis, keine Beziehung ohne Inhalt giebt, obgleich es
1 keinen Inhalt ohne jede Beziehung giebt. Alle Verhältnisse
Gleichheit, Ähnlichkeit, des Gegensatzes, alle räumlichen und
liehen Verhältnisse u. s. w. sind ohne Inhalte, zwischen denen
bestehen, undenkbar. Gleichheit und Ähnlichkeit finden sich
1er nur an gleichen und ähnlichen Inhalten, nie für sich; das-
e gilt für räumliche und zeitliche Beziehungen, ein Neben-
Nacheinander ohne Inhalte hat keinen Sinn. Ebensowenig
1 etwas schön oder hässlich genannt werden ohne einen Inhalt;
1 wenn ich von allem Inhalt absehe, so bleiben nur Gleichheit,
lichkeit, Gegensatz, Nebeneinander, Nacheinander als Begriffe
haupt übrig. Wie soll nun ein Nebeneinander an und für
schön sein? Dann müsste ja auch jedes Nebeneinander schön
wenn aller sinnliche Inhalt gleichgiltig ist, dann müssten
Verhältnisse gleicherweise schön oder auch hässlich sein, denn
»iitttiidUB xin. •»Q.
262 R. v. Schubert-Soldern,
was ein Verhältnis zu einem bestimmten Verhältnis macht, ist
immer der Inhalt. Wodurch soll sich ein Nebeneinander von im
andern unterscheiden, wodurch eine Ähnlichkeit von der andern
wenn nicht durch die Inhalte, die ähnlich, die nebeneinander wi
Wenn blosse Verhältnisse schön sind, dann müssen, wenn à
Verhältnis schön ist, alle schön sein, wenn ein Verhältnis hisstiA
ist, alle hässlich sein, weil dann alle Verschiedenheit innerbak
der Verhältnisse aufhört.
Ebensowenig aber kann man behaupten, dass es einen Miit
ohne Beziehungen, ohne ein Verhältnis zu anderen Inhalten gebei
könne. Wenn ich von einer Farbe, etwa „Rot", spreche, so s*i
ich damit schon gewisse Beziehungen zu anderen Farben vonn
Ähnlichkeiten mit und Gegensätze zu anderen Farben. Gäbe«:
nämlich nur rote Farben, dann könnte ich von keiner roten Faih
sprechen, sondern nur von der Farbe überhaupt ; aber auch Farlie
gäbe es dann nur im Gegensatz zu anderen Inhalten, Töoeii
Tastinhalten u. s. w. Gäbe es aber keine anderen Inhalte ù
Farben, dann hätte das Wort Farbe keinen Sinn, dann könnü
ich nur von Inhalten des Bewusstseins sprechen, dann wären &
Farben die einzigen Inhalte. Jeder Inhalt erscheint daher als \t
stimmter Inhalt nur durch seine Beziehungen zu anderen MaltÄ
Wenn ich betone, dass etwas rot sei, so setze ich damit vorm
dass es nicht blau, nicht grün, aber auch kein Ton, kein Geni
sei u. s. w.; ich setze also gewisse gegensätzliche Beziehnng«
voraus, durch die das Rot eben als rot erscheint. Jeder Inhiï
erscheint also als bestimmter Inhalt nur durch seine Verhältnis»
der Ähnlichkeit und des Gegensatzes zu anderen Inhalten, seht
ich von diesen ab, so bleibt nur das leere Wort „Inhalt" fibiit
Daraus ergiebt sich, dass diese Beziehungen (zu anderen Inhaltea)
und die Inhalte unauflöslich mit einander verknüpft sind, da»
jedes Verhältnis nur durch seine Inhalte bestimmt werden b*
und jeder Inhalt durch seine Verhältnisse zu anderen Inhalten ak
bestimmter Inhalt erscheint.
Wenn das richtig ist, dann ist es ebenso unmögM^B
Schönheiten bloss der Verhältnisse wie von Schönheiten bloss *•
Inhalts zu sprechen, weil beide nur in ihrer gegenseitigen B^
Stimmung etwas sind: ein Inhalt ohne Beziehungen zu andafci
Inhalten ist ein Nichts, ein Verhältnis ohne Inhalte ist A
blosses Wort.
Die Grandfragen der Ästhetik etc. 263
Vielleicht könnte man aber die formale Schönheit als die
lönheit räumlicher Formen auffassen. Hier scheint ein
allen vorhanden zu sein, das bloss an der äusseren Form
Igt und mit dem Inhalt nichts zu tun hat. Dagegen spricht
öch zweierlei: 1. Der Raum ist nicht blosse Form, er ist nicht
itisch mit räumlichen Verhältnissen; 2. Raum und räumliche
hältnisse sind nicht vorstellbar ohne Inhalt, ohne qualitative
verschiede.
Was den ersten Punkt anbelangt, so ist der Raum nicht in
mliche Verhältnisse von Qualitäten auflösbar und überhaupt
it in räumliche Verhältnisse, immer bleibt ein unauflösbares in-
tliches Moment zurück. Wenn ich bei der Fläche von ihrer
ilität (Farbe, Tastqualität) absehe, so bleibt nicht eine Be-
lung von mathematischen, ausdehnungslosen Punkten übrig;
Fläche kann nicht in Beziehungen von unendlich vielen aus-
nungslosen Punkten aufgelöst werden. Denn der mathematische
ikt ist eine reine Abstraktion und an sich nicht vorstellbar und
Beziehung von unendlich vielen Punkten (aus denen doch die
che bestehen müsste) ist eine unbeendbare Aufgabe. Deswegen
n der Raum nicht durch die Beziehung von unendlich vielen
ikten zu einander entstehen, weil jeder Punkt schon zu seiner
stellbarkeit den Raum voraussetzt und weil die Zusammen-
sang des Raumes aus unendlich vielen Punkten eine uubeend-
B Aufgabe wäre. Deswegen sind Flächen, Körper Ursprung-
e räumliche Inhalte, ich möchte sagen Raumqualitäten, deren
hematische Konstruktion aus Punkten eine mathematische Fik-
i ist, über deren mathematischen Wert ich nicht urteilen will,
psychologischer oder erkenntnistheoretischer ist aber gleich
1. Daher ist auch die Schönheit räumlicher Gestalten nicht
1 formal, sie besteht nicht in räumlichen Verhältnissen allein,
dem enthält schon ein weiter unauflösbares inhaltliches
nent.
Was den zweiten Punkt anbelangt, so sind Raum und
mliche Verhältnisse unauflösbar in der Anschauung mit Em-
idungsqualitäten verknüpft. Es ist weder eine Ausdehnung,
h ihre Grenze ohne qualitative Unterschiede vorstellbar, mögen
36 nun der Gesichtsempfindung oder Tastempfindung angehören.
18 für den Raum gilt, gilt auch insofern für die Zeit, als auch
se nicht ohne irgendwelchen Inhalt als Zeit vorgestellt werden
m. Da nun gerade die Kunst es wesentlich mit Anschauungen
â64 R. V. Schubert-Soldern,
(im philosophischen Sinn) zu tan hat und nicht mit Abstraktionei,
so erhellt daraus die Notwendigkeit und Bedeutung des inhaltUcha
Momentes für dieselbe.
Form und Inhalt sind so unlösbar in der Anschaunngii
einander verbunden, dass die Schönheit nie rein formal und iick
nie rein inhaltlich sein kann. Es könnte nur die Frage an^
nommen werden, ob nicht einmal die Form, das anderemal te;
Inhalt in einem Kunstwerk überwiegen könnte, eine Frage, di
die ich aber hier, wo nur die fundamentalen Begriffe der ScMfr
heit behandelt werden sollen, nicht eingehen kann.
§ 3. Unterschied des Schönen vom Guten, Wahren unil
Angenehmen.
a) Das Angenehme.
Kant unterscheidet das Angenehme vom Schönen daduri
dass das Angenehme nicht uninteressiert gefalle und das komü
daher, dass beim Angenehmen nur der sinnliche Inhalt gefällt, *r
empirisch ist und der Form a priori, d. h. der Übereinstimme
des Gegenstandes mit der Urteilskraft entbehrt. Für Kant i
daher der Unterschied zwischen dem Schönen und Angeneha«
ein fundamentaler. Dagegen, dass dieser Unterschied em fundi'
mentaler sei, möchte ich folgende Gründe geltend machen: 1. D*
Angenehme kann ebenso uninteressiert sein, wie das Schöne. ^
Uninteressiertheit haben wir ja darin gefunden, dass etwas in dff
blossen Betrachtung gefällt, dass es nicht ein Begehren entig^
das über die blosse Betrachtung hinausgeht. Nach Kant soll ato
die einfache Farbe nur angenehm nicht schön sein können, detf
sie ist ein sinnlicher Inhalt. Es ist aber tatsächlich möglich, dis
eine Farbe ganz uninteressiert gefällt, dass die blosse BetrachtoV
der Farbe gefällt, ohne dass darin ein Begehren über diese Be»
trachtung hinausläge. Deswegen kann man eine Farbe ebenso
wohl schön als angenehm nennen und der Sprachgebrauch nnW*
scheidet nicht genau zwischen diesen beiden Ausdrücken. Ebe»*
kann auch das Murmeln des Baches ein sinnliches WohlgefaO^
erregen, das im Hören aufgeht und kein Begehren erzeugt; «•*
eine gute Speise gefällt mir unmittelbar ohne weiteres Begdö*
ohne weiteren Zweck. Deswegen sagt man auch in Norddeuts*
land, eine Speise schmecke schön und nicht gut oder angenelü
Oie Orandfragen der Ästhetik etc. 265
mit Recht, denn ein fondameiitaler Unterschied zwischen
en Ausdrücken ist nicht vorhanden« Der Feinschmecker isst,
zu essen, und nicht etwa, nm zu leben, wie der Mnsikliebhaber
>, weil er im Hören Vergnügen empfindet und nicht etwa, nm
m zu können, er sei dagewesen. Der Unterschied hier ist
dass die Töne eine mannigfaltigere und ansgesprochenere
2hang von Elementen aufweisen, in der das Einzelne genau
)rschieden, doch wieder ein Ganzes bildet, was beim Geschmack
it der Fall ist: hier gehen die einzelnen Geschmäcke viel zu
* ineinander über und bilden ein schwer nnterscheidbares Ge-
^h. Eben weil die Elemente im Greschmack zu wenig klar und
egrenzt hervortreten, eignet er sich weniger zur Kunst, denn
e verlangt einen Aufbau, in dem ein Element auf dem andern
iht, aus ihm hervorgeht. Also dem Greschmacksinn fehlt die
igkeit tieferer ästhetischer Ausbildung, wenigstens findet sie
nur bei Wenigen und auch da in geringo'em Kasse als bei
höheren Sinnen. Sonst ist aber nicht abzusehen, wanun ein
:enstand des Geschmacks nicht ebenso tethetiseh beurteilt
den könnte, wie der Gehörsinhalt; dasselbe gilt vom Gemeb
vom Getast, die beide freilich die verschwommrasten und ttO'
sten Elemente in sich enthalten und von denen besoodem der
e der ästhetischen Ausbildung vielleicht nodi weniger fiUiig 'mt
die andern Sinne.
Das, was man angenehm nennt, kann also ein ebenso ob*
iressiertes Wohlgefallen erregen wie das Schöne. Doch nennt
1 auch manches angenehm, das kein unint^iessiertes Woblgefali^n
igt: wenn ich etwa einen kleinen hSsslich geformten Apfel b«^
alte, von dem ich weiss, dass er einen feinen Gesebmaek bat,
kann sein Anblick für mich ein sehr angenehmer sein. Hein
blick ist mir aber nur angenehm, weil er die Haffnang t^iwtn
nasses erweckt, also nicht an sich; hier ist das WoblgefaJU^u
ht uninteressiert, es geht über den Gegenstand der Betrachtaii((
aas und erregt ein Begehren. Diesen Anblick des Apfels an-
lehm zu nennen, ist aber nur eine unangemessene AuHârtwMh-
ise, nicht der Anblick des Apfels ist angenehm, sondern min
schmack, der mir gar nicht gegeben ist. Dagegen kann d^r
blick eines rotwangigen Apfels, der vielleicht schlecht stf;tioi<f<:kt,
aninteressiertes Wohlgefallen in mir erregen.
2. Das Angenehme kann ebenso Anspruch auf Allg'^fiHfiii'
itigkeit machen wie das Schöne. Wenn einem iMmÜfm dun
266 R. V. Schubert-Soldern,
Wasser schmeckt, so kann er behaupten, dass jedem Durstig«
Wassertrinken das höchste Wohlgefallen erregen müsse; aUenBnp
nur dem Durstigen, aber das gilt auch ähnlicherweise vom SchoDÄ
Um das Schöne als solches zu fühlen, muss man in StimmoBf
sein, man darf nicht abgespannt, müde, hungrig sein, man oos
auch eine gewisse ästhetische Vorbildung besitzen. Manches An-
genehme gefällt sogar in dem Sinn allgemeiner als das SchöiN^
dass es zu seinem Gefühltwerden weniger Vorbedingungen als d«
letzte braucht: ein blauer Himmel, das saftige Grün der Wieso,
der kühlende Lufthauch im Sommer, der helle Sonnenschein gefiÄ
jedem ohne alle Vorbedingungen. Deswegen sagt Lotze m
Kantischen Standpunkt aus sehr richtig, dass in Bezug auf Sisfi*
lichkeit die Menschen nicht minder von Natur gleichartig oigwi-
siert seien als in Bezug auf Urteüskraft;^) daher ist das Gefalki
am Inhalt ebenso allgemeingiltig wie an der Form. Das erfieK
ja auch daraus, dass Inhalt und Form von einander nicht trefln-
bar sind, dass jeder Inhalt eine Form und jede Form einen M
haben muss«
So ist also das Angenehme ebenso uninteressiert and allp'
mein in seinem Wohlgefallen wie das Schöne, ein fundamenUkr
Unterschied zwischen beiden ist nicht aufzufinden. Dennoch dmeB
die Sprache einen Unterschied zwischen „Angenehm** und „SchöB'f
es muss also doch ein, wenn auch nicht fundamentaler, UntersctM
vorhanden sein. Lotze findet ihn darin, dass wir im AngöiehB»
nur Reize erleiden und uns nicht einer von uns ausgeübten W
keit bewusst werden, durch welche unsere Auffassung erst toH*
endet wird.^ Das Angenehme hat also hauptsächlich das Sitt-
liche und zwar einfache sinnliche Eindrücke zum Gegensti»!
Dagegen liegt das Schöne in einer Mannigfaltigkeit bezieheoto»
verknüpfender, vergleichender Tätigkeiten unseres Vorstellens oW
unserer Einbildungskraft. Das Schöne gehört daher Objdrte» W
höheren Geistesvermögens und zusammengesetzten sinnlichen Bö^
drücken an. Deswegen kann auch dasselbe Objekt schön «*f
angenehm genannt werden, je nachdem sich die Aufmerkstf****
auf die Form (des in ihm Unterscheidbaren Mannigfaltigen) rieh**
oder sich passiv der Lust des Eindrucks überlässt.
In dieser Erörterung Lotzes erscheinen einige Elemente^
einander verbunden, die, wie ich glaube, getrennt beto«**^
^) „Grundztige der Ästhetik" (Diktate aus den VorIe8nngen> P- ^
^ L. c. p. 7.
I
Die Grundfragen der Ästhetik etc. 267
müssen. Es wird darin bekauptet, dass das Angenehme
.ssives Gefühl, ein einfacher Eindruck sei und sich
tens überwiegend auf den Inhalt und nicht auf die Form
lOtze behauptet also zunächst, dass das Angenehme ein
s Gefühl sei, dass man sich darin keiner Tätigkeit bewusst
[. E. ist mau sich freilich einer Tätigkeit überhaupt nie
t, doch lässt das nur eine erkenntnistheoretische Begründung
n der ich hier absehen will. Was Lotze damit eigentlich
ist wohl, dass beim Angenehmen keine Eirgänzung vonseiten
der es fühlt, notwendig sei. Wenn man ein Gemälde be-
t oder eine etwas verwickelte Zeichnung (ohne an derartige
itungen gewöhnt zu sein), so findet man sich nicht gleich
, weil man die notwendigen Ergänzungen in seiner Phan-
icht findet, die Leinwand, Farbe und Zeichnung eigentlich
im Bild machen. Dazu kommt noch, dass man auch Ge-
3rgänzen muss, die selbst nicht darstellbar sind, sondern
isseren Zeichen erschlossen werden müssen. Ist z. B. ein
m Grabe seiner Mutter dargestellt, so kann das Gefühl der
weder gemalt noch gezeichnet werden, ich erschliesse es
a Mienen und aus der Haltung seines Körpers. Solche Er-
gen sind beim Schönen gewiss notwendig, doch soll man
abei keiner Anstrengung, keiner Tätigkeit bewusst werden;
^änzung soll sich möglichst von selbst ergeben, so dass ein
Bewusstwerden der Notwendigkeit der Ergänzung einen
in • der Darstellung oder in der Komposition zur Voraus-
: hat. Je zwangloser sich die Ergänzungen ergeben, je
r sie zum Bewusstsein kommen, desto besser ist die künst-
Î Darstellung. Diese „Tätigkeit", der man sich bei der
itung des Schönen bewusst wird, ist also nicht etwas zum
a Gehörendes, sondern vielmehr etwas zu Elliminierendes,
es auch nie vollständig eliminiert werden kann. Dieselbe
r Ergänzung kommt aber auch bei jedem noch so einfachen
zk vor. Wir haben gesehen, dass wenn man auch nur das
e Element „Rot** an der Anschauung hervorhebt, darin eine
mg auf andere ähnliche und gegensätzliche Farben, sowie
1ère Sinnesinhalte enthalten ist. Es giebt keinen Eindruck,
in von allem andern auch nur im Denken isolieren könnte,
ndem man ihn isoliert, grenzt man ihn von anderen ab,
iheidet ihn von anderen und bezieht ihn eben dadurch auf
2è8 R. V. Schubert-Soldern,
anderes. Also ganz passiv verhält man sich bei keinem noch » Ir
einfachen Datum, an jedes knüpft sich ein Vorstellungsprozess k m
Assoziation, der es von anderen unterscheidet, hervorhebt etc. m
Damit erscheint auch der zweite Punkt erledigt, cIass iai |l
Angenehme ein einfacher Eindruck sei. Allerdings giebt es Bt
drücke, die an sich einfach sind, die nicht weiter analysioi
werden können — aber sie sind eben nur an sich einfaà.
Dieses „An sich** enthält schon eine Abstraktion des Subj
das darin von seinen Zutaten absieht. Tatsächlich erschemt jedes
Datum in mannigfaltigen Beziehungen erfasst und ist gar nicU
anders denkbar und vorstellbar. In diesem Sinne kann man dis
Augenehme auch keinen einfachen Eindruck nennen.
Was schliesslich den dritten Punkt betrifft, dassdasAa»
genehme nur am Inhalt und nicht an der Form hängt, so babeo
wir gesehen, dass der Inhalt von der Form nie getrennt weriei
kann. Man ist überhaupt nur da von einer Form zu reden be*
rechtigt, wo eine räumliche Gestalt iu Frage kommt, oder wo à
Zeichen für etwas anderes steht, wie bei der Sprache. Zwar ist
auch die räumliche Gestalt nicht blosse Form, sie ist auch Inhatti
ebenso ist auch das Wort nicht Form allein, sein Inhalt ist dff
Ton ; dennoch kann man Wort und Gestalt Form nennen in Bezaf
auf etwas anderes, das darin eingekleidet oder ausgedrückt i^ j
Sie erhalten dadurch eine gewisse Selbständigkeit, wefl sieb i*
Wesentlichen derselbe Inhalt durch verschiedene Formen a^
drücken lässt, derselbe Gedanke in verschiedenen Sprachen, ^
selben Gefühle und Gedanken in verschiedenen Gestalten. D<^
Lotze meint, soweit ich ihn verstehe, nicht diese Art von Fot^
sondern ihm hängt das Angenehme an einem Inhalt, der beziehon^
los gefällt, das Schöne ist aber ein Wohlgefallen, das auf eii^^
Beziehung des Mannigfaltigen beruht, wobei das Mannigfailti^
der Inhalt, mehr oder weniger gleichgiltig erscheint. Eine solct^
Trennung von Inhalt und Beziehung giebt es m. E. niemals, dei'
indem das Gefallen auf einem bestimmten Inhalt ruht, schliesst ^
damit alle anderen Inhalte aus. Ein Inhalt erscheint nur dnr^
andere Inhalte bestimmt, ein Gefallen aber an einem unbestimmte
Inhalt ist sinnlos.
Das Angenehme ist daher nicht ein rein passives Gefalm
das ein einfacher Eindruck seinem Inhalt nach hervorruft; iBtM
wäre es vom Schönen der Art nach unterschieden, was nicht d^
Fall ist, auch in der Sprache nicht. Zugestanden muss dHgeg0
Die Grundfragen der Ästhetik etc. 269
en, dass das Angenehme ein passives Gefühl wie das Schöne
das aber an einfactieren Inhalten in einfacheren Beziehungen
t; diese Einfachheit ist auch eine gewisse Einseitigkeit des
liSy denn das Gefallen an einer Farbe ist einseitiger, als das
Uen an einem Gemälde. Das Schöne unterscheidet sich daher
Angenehmen m. £. nicht der Art nach, beide sind Modifika-
in desselben Gefallens, das, an einer Linie gedacht, an dem
1 Ende angenehm, am anderen schön erscheint, so dass beide
Ihlig in einander übergehen.
b) Das Gute.
Kant unterscheidet das Gute an sich vom Wozu-Guten
zlichen). Kant hält aber das Gute und Schöne auseinander,
ehr er auch ihre Übereinstimmung fordert — auch Schiller
bis zu einem gewissen Grade diese Unterscheidung noch fest.
3gen giebt es Ästhetiker, die das Gute mit dem Schönen
jfizieren, wie Plato und Baumgarten, und dazu neigen wohl
idealistischen Philosophen nach Kant. Sie identifizieren es
: direkt, aber das Gute, Schöne und Wahre sind nur drei
}n eines und desselben, so dass dasselbe gut, schön und wahr
je nach dem Standpunkt der Betrachtung. Lotze fasst da-
n das Schöne als einen Ausdruck des Guten an sich auf.
Schöne hat nur seinen Wert, weil in ihm sich jene Formen
ibaren, die das Gute zur eigenen Verwirklichung in der Er-
inungswelt herzustellen strebt.
Mag nun das Gute was immer sein, dass seine Erscheinungs-
e das Schöne sei, ist mehr als zweifelhaft. Wenn das Schöne
Erscheinungsweise des Guten wäre, dann müsste alles Schöne
3ntes sein; diese Ansicht ist aber ohne die geschraubtesten
ide und Deutungen nicht durchführbar. Wo soll sich in einem
Den Gebäude das Gute an sich offenbaren? Das Nützliche
, das ist sein Zweck, der sich in seinen schönen Formen
ibart. Aber das Gute an sich soll ja nicht das Nützliche,
em etwas von zufälligen Zwecken ganz unabhängiges sein,
ist dieses bei einem schönen Gebäude zu finden und inwiefern
innt es Ausdruck im Schönen. Dasselbe gilt für die Musik.
Musik als Erscheinung des Guten an sich ist eine Phrase,
schön klingt, aber nichts erklärt. Auch in der Malerei,
ptor und Dichtung kann geradezu das Böse dargestellt
270 R. V. Schubert-Soldern,
werden. Inwiefern ist nun dieses Böse eine Erscheinungsfonn
des Guten?
Überdies darf man die moralische Wirkung nicht mit der
moralischen Ursache des Schönen verwechseln. Das Schöne kann
gewiss oft moralische Wirkungen hervorbringen, und selbst wenn
alles Schöne moralische Wirkungen hervorbrächte, so brauchte
deswegen das Moralische (Gute) noch nicht die Ursache des
Schönen zu sein. Das Moralische könnte auch nur ein ständiger
Nebenerfolg des Schönen sein, dieses aber wäre deswegen nodi
nicht um des Guten wegen geschaffen.
Soll trotz alledem das Schöne eine Erscheinungsform des
Guten sein, dann müssen wir uns fragen, worin besteht denn das
Gute an sich? Uns ist nur die Erscheinung des Guten an sich
gegeben, das Gute an sich, das hinter ihm stecken soll, kennen
wir nicht und es kann deswegen auch nichts zur Erklärung bei-
tragen. Wie sich das Gute offenbart, können wir niemals ans
diesem selbst, sondern nur aus seinen Offenbarungen, dem Schönen,
kennen lernen; das Gute an sich als Ursache des Schönen ist
also mindestens eine höchst unnütze Erkenntnis.
Das ganze Problem gewinnt einen anderen Sinn, wenn wir
an die Stelle des Guten an sich den Begriff des Moralischen im
Sinne menschlicher Erfahrung setzen. Dieser Begriff kann natür-
lich hier nicht im Einzelnen erörtert werden, besonders da zu
vorliegendem Zweck die Feststellung einiger Hauptpunkte genüjft
Moralische Handlungen wurzeln im gesellschaftlichen Wesen des
Menschen, ein gänzlich isoliertes Wesen könnte weder Mensdi
noch moralisch sein. Das Moralische ist also ein bestimmtes (von
der Gemeinschaft aus welchen Gründen immer gefordertes) gesell-
schaftliches Verhalten des Menschen (was keine Definition, sondwn
nur eine Hervorhebung gewisser wesentlicher Punkte sein soll).
Diese Übereinstimmung mit den Forderungen der Gemeinschaft in
der der Mensch lebt, gefällt jedem unparteiischen, genauer an
dem zu beurteilenden Tatbestand ganz unbeteiligten Zuschaner
(Smith). Dieses Wohlgefallen am Moralischen ist nun gewiss
nicht unmoralisch, aber es ist für sich allein noch nicht moralisclL
Es wäre ganz gut denkbar, dass jemandem eine moralische Hand-
lung bestimmter Art sehr gut gefiele, dass er selbst aber im ge-
gebenen Fall ganz anders handelte. Er fände dann Gefallen am
Moralischen, wäre aber selbst nicht moralisch. Man muss also
unterscheiden zwischen dem Moralischen als Gegenstand der Be-
Die Grandfragen der Ästhetik etc. 271
teilang und eines damit verbundenen Wohlgefallens und dem
)ralischen als Antrieb zum Handeln und eines damit verbundenen
lichtgefühls. Es ist klar, dass die erste Art der Betrachtung
16 ästhetische Betrachtung ist, die ein passives, willenloses
ohlgefallen erweckt. Im zweiten Fall wirkt jedoch die Betrach-
Qg des Moralischen als Antrieb und Nötigung zum Handeln und
hört daher gar nicht in das Gebiet des Ästhetischen. Das Mo-
lische fällt also unter die ästhetische Beurteilung, es gefällt
eresselos in der unmittelbaren Betrachtung; doch nicht der-
lige ist moralisch, der das Moralische richtig beurteilt, sondern
rjenige, der dem Moralischen gemäss will und handelt, sowie
i Künstler ist, nicht der, der ästhetischen Geschmack hat, sondern
r, der diesem gemäss schafft. Das Ästhetische hat daher moralische
irkungen oder kann sie wenigstens haben: es schafft den Sinn für
iter esselose**») Betrachtung und Wertschätzung, welche Momente
ch dem Moralischen zugrunde liegen. Die Erkenntnis und Wert-
lätzung des Moralischen ist aber nicht identisch mit dem Mora-
chsein, denn nur zu oft handelt man nach dem Prinzip: video
îliora proboque, détériora sequor.
Auch soll damit nicht behauptet werden, dass alles Ästhe-
che auch moralisch sei, der Gegenstand des Ästhetischen kann
gar das Unsittliche sein, nur darf die Erzeugung von Unsittlich-
it nie sein Zweck sein. Das Ästhetische oder Schöne im
îitesten Sinne will in der Betrachtung gefallen, darf aber damit
inen andern Zweck verbinden, sei er moralisch oder unmoralisch,
ne dadurch aus seinem Gebiete herauszutreten. Die Darstellung
$0 auch des Unmoralischen in der Kunst kann schön sein, dann
. aber eben die Darstellung und nicht das Unmoralische schön,
emals darf aber die Kunst das Unmoralische rechtfertigen
)Ileu; sobald ein Kunstwerk diese Absicht hat, ist es weder
tbetisch noch moralisch, sondern unästhetisch und unmoralisch.
Das gilt jedoch nur von der Kunst, nur in der Kunst kann
3 Darstellung des Unmoralischen schön sein, in der Natur bleibt
s Unmoralische immer unmoralisch und kann durch keine
itrachtuug schön werden; denn schön kann immer nur die
arakteristische Darstellung des Unmoralischen sein, die in der
itur fehlt.
Dass das Unmoralische ein Gegenstand der Kunst sein kann,
rnht darauf, dass auch das Hässliche ihr Gegenstand sein kann,
1) Im Sinne Kante.
272 R. V. Schubert-Soldern,
dadurch, dass es durch seine charakteristische Darstellung gefallt;
aber eben deswegen, weil das Hässliche und Unmoralische nur
durch seine Darstellung gefallen kann und nicht durch seineo
Gegenstand, kann es auch nur in der Kunst und nie in der Natur
schön sein.^)
c) Das Wahre.
Kant behauptet, dass das Schöne nicht durch einen be-
stimmten Begriff gefalle; dass es durch den unbestimmten BegriS
der Zweckmässigkeit überhaupt gefallen soll, beruht auf meto-
physischen Voraussetzungen, die ich hier beiseite lassen wE
Diese, wie mir scheint, unrichtige Behauptung Kants beruht auf
seiner Begriffslehre. Trotzdem nämlich Kant selbst behauptet,
dass Begriffe ohne Anschauung leer seien, so ist er doch der An-
sicht, dass man solche leere Begriffe wirklich und nicht nur in
blossen Worten denken kann. Nun haben aber meines Erachten»
schon Berkeley und Hume nachgewiesen, dass der Begriff nur am
Konkreten nie an und für sich besteht : so kann ich mir den Be-
griff des Dreiecks nicht vorstellen und nicht denken ausser an
einem konkreten Dreieck in der Wahrnehmung oder Vorstellang.
Ich beachte dabei an diesem konkreten Dreieck nur das, was
jedem Dreieck zukommt und denke so an einem bestimmten Dr»-
eck das Dreieck überhaupt Ebenso giebt es aber auch umge-
kehrt keine Anschauung, kein Konkretum, das nicht von anderem
unterschieden und dadurch begrifflich bestimmt wäre. Wenn ick
einen Apfel male, so weiss ich und jeder Betrachtende, dass «»
ein Apfel ist; Apfel ist er aber nur durch seine bestimmten h^
grifflichen Beziehungen zu anderen Äpfeln und Nicht-Äpfeln, ^
durch Ähnlichkeit und Gegensatz. Als Apfel kann er auch d^
dadurch gefallen, dass er dem Begriff Apfel in der Anscbanun?
entspricht. Wenn es mir gleichgiltig wäre, welchem Begriff ^
Dargestellte entsprechen soll, dann könnte ich den Apfel auch ^
eine Kartoffel malen.
So giebt es keinen Begriff ohne Anschauung, aber auch ï^
Anschauung, die nicht begrifflich bestimmt wäre; deswegen loi^
auch das Schöne stets an einer begrifflich bestimmten Anschaum*
1) Ausser durch Hineintragen der Kunst in die Natur, wenn mm
z. B. einen Gegenstand von charakteristischer Hässlichkeit in der Nat»^
sich als Gegenstand der Kunst denkt.
Die Gnmâfragen der Ästhetik etc. 273
licht an einer Anschauung überhaupt. Das, was eine An-
ting bestimmt individualisiert, sind ihre bestimmten begriff-
Unterschiede ; das Konkrete ist deswegen das begrifflich
chöpfliche.
Der Unterschied zwischen dem Schönen und Wahren besteht
nicht darin, dass das Schöne durch keinen bestimmten Be-
gefällt, und dass die Wahrheit nur durch Begriffe bestimmt
îD kann. Das Schöne wie das Wahre bedürfen bestimmter
ffe, das Schöne bleibt aber bei der Darstellung eines be-
iten Begriffes in der Anschauung stehen, es geht nicht
er hinaus. Das Schöne haftet an der Betrachtung eines be-
iten Begriffes an einer bestimmten Anschauung und mit dieser
lauung hat auch das Schöne sein ganzes Ziel erreicht. Die
chtung eines Gegenstandes vom Standpunkt der Wahrheit
;en setzt immer die begriffliche Bestimmtheit dieses Gegen-
es in Bezug auf ein ganzes System von Begriffen voraus,
lie an einer Anschauung, sondern stets an einem ganzen
SS (einer ganzen Folge) von Anschauungen gegeben ist. Das
e findet daher sein Ziel nie an einer Anschauung oder auch
iner bestimmten Reihe von Anschauungen, es geht immer
er hinaus zu einem System von Begriffen, das unvollendbar
Die Schönheit beruht daher auf einem Verweilen bei einer
lauung oder einem abgeschlossenen Prozess von Anschauungen;
Vahre geht über jede Anschauung, jede Entwickelungsreihe
Anschauungen hinaus, denn sein Ziel ist ein begrifflicher
imenhang, der nur an der Anschauung des Universums
dbar wäre.
Ich will das an einem einfachen Beispiel zu erläutern ver-
Q. Wenn ein Apfel zu botanischen Zwecken gemalt wird,
t er ein Mittel zur Veranschaulichung eines botanischen
ms von Begriffen; zugleich bildet er aber nur ein Glied in
Anschauungen dieses Systems, das bloss Wert hat durch seine
dung zu allen anderen Gliedern und das tritt auch oft in
)arstelluiig hervor: hier leistet oft die schematische Dar-
lg ebensoviel, wie die naturwahre.
Der Apfel als Stilleben gemalt, hat aber keinen anderen
:, als seine Darstellung selbst; auch er hat begriffliche Be-
igen zu anderen Apfelarten und zu Nicht-Äpfeln, aber diese
licht der Zweck seiner Darstellung, sondern nur Mittel seiner
fen Charakterisierung in der einzelnen Anschauung und für
274 ïl. V. Schubert-Soldern, Die Grundfragen der Ästhetik etc.
den Betrachtenden sind sie notwendig zum richtigen Verständnis
der Darstellung. Es findet hier also das Umgekehrte statt: für
das Schöne ist das System von Begriffen nur das Mittel der
richtigen Darstellung des Einzelnen; für das Wahre ist die ein-
zelne Anschauung nur ein Mittel und zugleich nur ein Glied in
der Darstellung eines ganzen Systems von Begriffen.
[Fortsetzung folgt]
Heinrich Gomperz' Weltanschauungslehre.'^
Von August Messer.
Der erste Band dieses Werkes, das mindestens vier Bände
ssen soll, behandelt Aufgabe, Vorbegriffe, Methoden
Einteilung der Weltanschauungslehre (oder „Kosmotheorie").
Als ihre Aufgabe wird bezeichnet, „einen widerspruchslosen
ninienhang aller jener Gedanken herzustellen, die von den
?lwissenschaften, sowie vom praktischen Leben zur Nach-
Dg der Tatsachen verwendet werden". Sie will nicht ge-
le Weltanschauungen erklären, sondern selbst eine Welt-
lauung begründen.
Im gewöhnlichen Sprachgebrauch umfasst die Bedeutung des
es „Weltanschauung" nicht bloss die theoretischen Über-
ingen in den allgemeinsten Fragen des Erkennens, sondern
die obersten Prinzipien der praktischen Stellungnahme gegen-
Dingen und Ereignissen: Gomperz dagegen will den dem
tiischen „^ew^^'a" entsprechenden Sinn von „Anschauung"
fer festhalten, und er unterscheidet darum die „Weltanschau-
ehre" als allgemeinen Teil der theoretischen Philo-
iie von der „Lebensauffassungslehre", die er als allgemeinen
der praktischen Philosophie zuweist. Die Weltanschauungs-
umfasst nicht die ganze theoretische Philosophie, weil wir
r auch die ganze Logik und Psychologie zurechnen, die trotz
engen Beziehungen zur Weltanschauungslehre doch von ihr
iterscheiden sind.
Den Terminus „Metaphysik" dafür zu verwenden, lehnt
K Ursprünglich decke er sich zwar in seiner Bedeutung fast
: mit „Weltanschauungslehre", insofern er zur Bezeichnung
^) Weltanschauungslehre. Ein Versuch, die Hauptprobleme der
Deinen theoretischen Phüosophie geschichtlich zu entwickeln und
ch zu behandeln. I. Bd.: Methodologie. Jena und Leipzig,
ederichs. 1906. XV und 416 S.
276 A. Messer,
dessen diente, was Aristoteles selbst n^tkrj (piXoaoq^ia genainil
hatte, aber die geschichtliche Entwickelung habe dem Wort m
ihm fast untrennbar anhaftende Nebenbedeutung verliehen, die es
empfehlenswert mache, es auf jene philosophische Denkrichtrag
einzuschränken, die „grundsätzlich die Erfahrung überschreite*
und „mit ausserempirischen Begriffen operiere".
Auch die Bezeichnung „Erkenntnistheorie" wird nickt
passend gefunden. Dem „Umfang" nach decke dieser Begriff sidi
zwar mit dem der Weltanschauungslehre, aber die Erkenntnis-
theorie setze das gemeinsame Stoffgebiet einer „einseitig-sab'
jektivistischen Betrachtungsweise" aus und greife damit den
Lösungen vor.
Insofern die Weltanschauungslehre das Vorhandensein andenr
Wissenschaften voraussetzt, ist sie als „sekundäre" Wissen«
Schaft zu bezeichnen. Es gilt insofern für sie das Prinzip der
„Sterilität". Wenn es nämlich als Zweck der Einzelwissea-
Schaft aufgefasst werden kann, „Tatsachen festzustellen und fl
ordnen", so trägt die Weltanschauungslehre als solche hierzu nicht«
unmittelbar bei, sondern sie bezieht sich nur auf die „gedaiiklicke
Nachbildung schon anderweitig festgestellter und geordneter Tat«
Sachen". Sie geht also nicht von „Tatsachen", sondern von »Be-
griffen" und den zwischen ihnen hervortretenden Widersprud«»
aus, und sie sucht diese Begriffe soweit umzubilden, dass 9^
einerseits zur Nachbildung der Tatsachen tauglich bleiben, difl
aber andererseits die zwischen ihnen bestehenden Widersprfi*
gehoben werden.
Ist beides erreicht, so liegt darin die „Verifikation* fii^ 1
die erreichte Auflösung der Probleme. Diese ist freüich weg«> 1
des stetigen Fortganges der praktischen und der« em^Xwssf^
schaftlichen BegrifiEsbildung stets nur eine einstweilige, men»
endgültige.
Das Prinzip der Sterilität, der Enthaltung von derBe»^
beitung der „Tatsachen" selbst, lässt sich freilich nicht fntà^
durchführen. Insbesondere wird der „Kosmotheoretiker" vieHiß»'
auf psychologische Tatsachenfragen eingehen müssen. Dö**
nötigt ihn die gegenwärtige Lage der Probleme der Weltanscb*^
ungslehre, andererseits der „recht unbefriedigende Zustand *^
Psychologie" und die Tatsache, dass sie den hier in BeWfc^
kommenden Fragen „von sich selbst aus nur eine sehr gerilg*
Aufmerksamkeit zuzuwenden pflegt". Freilich ist dabei fß*^^
Heinrich Oomperz* Weltanschauungslehre. 277
3D, dass ein psychologischer und überhaupt ein einzelwissen-
ftlicher Satz für sich allein nie ein Problem der Welt-
hauungslehre auflösen kann. Doch wird es sich herausstellen,
^der Fortgang von der Lösung des psychologischen zu der
kosmotheoretischen Problems auf gewissen Gebieten allmählich
Binem einfachen und leichten schematischen Schritt herab-
t.«
Wenn so die Aufgabe der Weltanschauungslehre faktisch
auf Bearbeitung von Tatsachen hinführt, so lehnt Gomperz
entschieden jenen Radikalismus ab, der die Weltanschauungs-
lerne dadurch zu lösen sucht, dass er „die widersprechenden
inken links liegen lässt und sich unmittelbar an die Tatsachen
'. Niemand kann die Weltanschauungslehre als eine ihrem
riffe nach sekundäre Wissenschaft von yorne anfangen. Wir
in tatsächlich nur die Wahl zwischen kritischer und un-
scher Rezeption der überlieferten Begriffe. Hinter jenem
ikalismus, der unmittelbar auf die Tatsachen zurückzugehen
iebt — vielfach unter verächtlichen Seitenblicken auf die
chphilosophen", die „gelehrten Herren", die „Philosophie-
essoren** etc. —, verbirgt sich in Wahrheit immer eine un-
sche, ihrer selbst nicht bewusste Rezeption überlieferter Auf-
mgen. Um einer solchen zu entgehen, vertritt der Verfasser
idsätjslich eine „kritische*" Rezeption. Damit ist gefordert,
die Weltanschauungslehre bei jedem Schritt vorwärts ihre
ne Geschichte den Hauptpunkten nach berücksichtige. „Sie
J ihre Probleme verfolgen von den ersten Widersprüchen, in
sich die Begriffe der Praxis und der Einzelwissenschaften
ickeln, durch alle Formen, in denen die Kosmotheorie selbst
IQ Widersprüchen zu entgehen suchte, bis zu ihrem gegen-
igen Stande; und erst, wenn sie auch hier noch Widersprüche
bisherigen kosmotheoretischen Begriffe nachweisen kann —
ÎS solche miteinander, sei es solche mit denen der Elinzel-
tnschaften oder der Praxis — , beginnt ihre eigene Arbeit."
Damit sind wir tatsächlich schon bei der „Methode*' der
iDschauungslehre angelangt, aber ehe sich der Verfasser in
Heiner Form über diese ausspricht, behandelt er einige
'begriffe*'. Er führt dabei an einzelnen kosmotheoretischen
emen die Art seines Verfahrens in konkreten Beispielen vor«
zwar erörtert er in dieser Weise die Begriffe „Substanz",
itität", „Relation" und „Form". Diese Darlegungen, die den
Atetaditu XIII. \^
278 A. Messer,
Hauptteil des Buches (S. 44—283) füllen, erheben aber nicht den
Anspruch, die behandelten Probleme „endgültig aufzulösen, sondern
nur auf den Weg zu leiten, auf dem diese Auflösung zu erreichen
sein mag**. Der Gedankengang des Verfassers bei dem ersten
der genannten Probleme soll hier etwas eingehender dargestelh
werden, für die folgenden mögen kurze Andeutungen genügen.
Der „Substanz"begriff wird gefasst als „Korrelat des Ding-
begriffes". „Ding** aber bedeutet „eine einheitliche und behan^
liehe Gruppe, zu welcher wir mehrere und wechselnde, annM
wahrnehmbare Qualitäten zusammenzufassen pflegen**. Das Pro-
blem ist nun : „ob eine solche Gruppe noch neben jenen Quali-
täten ein Element enthalte, das im Gegensatz zu der Mehrheit
und dem Wechsel der letzteren ihre Einheit und Beharrlichkeil
begründe : dieses hypothetische Element nämlich nennen wir Snb-
stanz**. Die ontologische Frage, ob die Substanzen und Qaau*
täten ein subjektives oder auch ein objektives Sein besitzen, soll
dagegen in der ganzen Erörterung ausser Betracht bleiben.
Für den Standpunkt des praktischen Lebens ist das „Ding*
ein „Wirksames und Brauchbares, d. h. etwas, das spontan Eini^
tut und Anderes sich gefallen lässt: also ein Lebendiges**. Die»
Lebendigkeit, die dem Ding, nicht seinem Qualitäten zakomoti
begründet „die Einheit und Beharrlichkeit des Dings gegenute
der Mehrheit und dem Wechsel der Qualitäten**. Dieser Stand*
punkt wird als der des „Ânimismus** bezeichnet, wobei dieser
Ausdruck die Dingbelebung überhaupt bedeuten soll, also in ai-
derem Sinne gebraucht wird als gewöhnlich, wo er „eine h*
sondere Art der Naturreligion, den Seelenkult** bezeichnet.
Die Naturwissenschaft aber, die die „Gesetzmässigköteo
jener Wirksamkeiten und Brauchbarkeiten** nachweist, betrachtet
sie als notwendiges Geschehen an den Dingen und demgemi^
gelten ihr die Dinge selbst (zunächst mit Ausnahme der Mensehei-
und Tierleiber) nicht als lebendig, sondern als tot. Der so ei^
stehende Widerspruch treibt den Substanzbegriff über seine ani-
mistische Form hinaus.
„Um diesem Widerspruch zu entgehen**, legt eine ö*
kosmotheoretische Denkrichtung, die „metaphysische** *•
mehreren und wechselnden sinnlich wahrnehmbaren QualitW
„ein nicht sinnlich wahniehmbares Etwas** zu Grunde, deflS^
Einheit und Beharrlichkeit die Einheit und Beharrlichkeit *
Dinges ausmache, und dem die Qualitäten als Accidenzen ^
j
Heinrich Gomperz' Weltanschauungslehre. 279
làrenzen gegenübergestellt werden. Diese Annahme scheint in
• Tat die Bedürfnisse der Praxis und die der Naturwissenschaft
Tersöhnen, denn sie erklärt die Einheit und Beharrlichkeit des
iges ohne dasselbe zu beleben und so der Notwendigkeit des
scbehens zu entziehen. Das naive Denken, das nur seinen
^enständen adäquat sein will, wird damit befriedigt sein, nicht
iv ein sekundäres Denken, das die „primären Gedanken" über
Gegenstände untersucht. Und zwar ist es nach Gomperz
ziell die „Psychologie", die an dem metaphysischen Substauz-
rriff Anstoss nimmt. Insofern diese nämlich voraussetzt, dass
ler Wissen um die Dinge nur in „Vorstellungen" bestehen
m, und indem sie zeigt, dass solche stets durch „sinnliche
ihrnehmungen" bedingt sind, gelangt sie zu der Forderung,
îh unser Wissen von der Einheit und Beharrlichkeit eines
igs müsse auf sinnlich wahrnehmbaren Elementen desselben
uhen. Indem die Psychologie so einen rein „empirischen
lg- und Substanzbegriff postuliert, entsteht ein neuer Wider-
uch, der den kosmotheoretischen Ding- und Substanzbegriff
^r seine metaphysische Form hinaustreibt" und zwar zu der
eologischen". Unter „Ideologie" versteht der Verfasser die
ikrichtung, die ihren typischen Vertreter in Hume hat. Sie
1 alle Begriffe auf Erfahrung gründen, sie denkt dabei aber
)e Erfahrung lediglich als eine „rezeptive", d. h. als eine
glich aus „Vorstellungen" zusammengesetzte. Von dieser Vor-
setzung aus kommt sie in dem hier vorliegenden Problem zu
I Ergebnis: „das Ding enthält überhaupt kein besonderes sub-
:itielles Element, sondern ist lediglich ein Komplex von Quali-
)n, und auch seine Einheit und Beharrlichkeit erschöpft sich
mach in der relativ beständigen Verbindung dieser Qualitäten".
Dieser Begriff führt nun aber wieder zu einem Widersprach
der Praxis ; denn diese postuliert gerade eine von jener relativ
tändigen Qualitäten-Verbindung unabhängige und über sie
a^usgehende Einheit und Beharrlichkeit. Dieser Forderung aber
mag die Ideologie nicht Rechnung zu tragen, da sie ja ge-
ezu die „Substanz" leugnet. Um diesem Widerspruch zu ent-
len, nimmt eine dritte kosmotheoretische Denkrichtong, die
'itizistische", deren Hauptvertreter Kant ist, an: „unser
"Stand sei so beschaffen, dass er nicht umhin könne, alle vor-
teilten, mehreren und wechselnden Qualitäten unter den Be-
tt der Substantialität zu bringen, d. h. sie auf eine einheitliche
276 A. Messer,
dessen diente, was Aristoteles selbst n^okri ^iloao^ia genannt
hatte, aber die geschichtliche Entwickelung habe dem Wort eine
ihm fast antrennbar anhaftende Nebenbedeutung verliehen, die es
empfehlenswert mache, es auf jene philosophische Denkriebtang
einzuschränken, die „grundsätzlich die Erfahrung überschreite**
und „mit ausserempirischen Begriffen operiere".
Auch die Bezeichnung „Erkenntnistheorie" wird nicht
passend gefunden. Dem „Umfang" nach decke dieser Begriff sich
zwar mit dem der Weltanschauungslehre, aber die Erkenntnis-
theorie setze das gemeinsame Stoffgebiet einer „einseitig-sub-
jektivistischen Betrachtungsweise" aus und greife damit den
Lösungen vor.
Insofern die Weltanschauungslehre das Vorhandensein anderer
Wissenschaften voraussetzt, ist sie als „sekundäre" Wissen-
schaft zu bezeichnen. Es gilt insofern für sie das Prinzip der
„Sterilität". Wenn es nämlich als Zweck der Elinzelwissen-
schaft aufgefasst werden kann, „Tatsachen festzustellen und zu
ordnen", so trägt die Weltanschauungslehre als solche hierzu nichts
unmittelbar bei, sondern sie bezieht sich nur auf die „gedankliche
Nachbildung schon anderweitig festgestellter und geordneter Tat-
sachen". Sie geht also nicht von „Tatsachen", sondern von „Be-
giiffen" und den zwischen ihnen hervortretenden Widersprüchen
aus, und sie sucht diese Begriffe soweit umzubilden, dass sie
einerseits zur NachbUdung der Tatsachen tauglich bleiben, dass
aber andererseits die zwischen ihnen bestehenden Widersprüche
gehoben werden.
Ist beides erreicht, so liegt darin die „Verifikation** für
die erreichte Auflösung der Probleme. Diese ist freilich wegen
des stetigen Fortganges der praktischen und der* einzel wissen-
schaftlichen Begri£Esbildung stets nur eine einstweilige, nie eine
endgültige.
Das Prinzip der Sterilität, der Enthaltung von der Bear-
beitung der „Tatsachen" selbst, lässt sich freilich nicht praktisch
durchführen. Insbesondere wird der „Eosmotheoretiker" vielfach
auf psychologische Tatsachenfragen eingehen müssen. Daxa
nötigt ihn die gegenwärtige Lage der Probleme der Weltanschan-
ungslehre, andererseits der „recht unbefriedigende Zustand der
Psychologie" und die Tatsache, dass sie den hier in Betracht
kommenden Fragen „von sich selbst aus nur eine sehr geringe
Aufmerksamkeit zuzuwenden pflegt". Freilich ist dabei festn-
Heinrich Gomperz* Weltanschauongslehre. 281
^ alle EUemente des Dinges erfahrbar sein müssen**. Mit dem
^fxistischen'' endlich stimmt der „pathempirische** insofern
*fa, als beide in der „Substanz" „eine subjektive Zutat**
^n, „eine Reaktion, die notwendig aus dem Wesen unserer Or-
ation hervorgeht". — Beseitigt sind dagegen die Schwächen
^ B^friffe. Der „animistische" fasste irriger Weise die Vita-
: als etwas in dem Ding Vorhandenes statt als ein von uns
•Ml Qualitäten hinzugefühltes. Der „metaphysische" Begriff
.'Ste die Substanz in das Ding und „aus der Sphäre des Er-
^am, heraus**, und so wird die Frage für ihn verhängnisvoll,
-4r er denn davon wisse. Diese Frage aber wird von dem
.jinpHschen Begriff beantwortet: „Wir wissen hiervon, weil
Einheit und Beharrlichkeit des Dinges unmittelbar fühlen, und
i unser Gefühl ist selbst die Substanz des Dinges.** Der
logische** Begriff ging in die Irre, indem er die „Erfahrung**,
;.lle Elemente des Dinges aufweisen müsse, zu eng fasste,
ch bloss als „rezeptive Erfahrbarkeit**, d. i. „Vorstellbarkeit**
so dazu getrieben wurde, die Substanz zu leugnen. Aber
der „rezeptiven** Erfahrung (dem Inbegriff der Wahr-
'imgen und Vorstellungen) ist die „reaktive** anzuerkennen.
"Gegensatz zu der „passiven** Aufnahme der Wahrnehmungen
' sich das Gefühl als ein „aktives" Reagieren des Bewusst-
* dar. Erfahren wird die Substanz (als „Totalimpression** im
nempirischen" Sinne), weil sie eben als Gefühl erlebt wird;
srestellt** dagegen (d. i. wahrgenommen oder phantasiert) wird
freilich nicht, weil dies überhaupt nicht die Weise ist, in der
^staflUüe erleben.
Im nächsten Abschnitt wird in analoger Weise der „path-
tisehe** Begriff der „Identität" zu entwickeln und zu recht-
;en gesucht: er fasse die von einem Gegenstand ausgesagte
itit als „ein demselben eingelegtes Gefühl der Ichstetigkeit".
•Igenden Kapitel wird dann auf die „Relation" als ein „Ge-
charakterisiert, und zwar als ein solches, „welches vor der
eUiiDg der Relationsglieder vorhergeht, und in welches diese,
nachdem sie sich aus ihm differenziert haben, eingebettet
ju''. Der hieran sich anschliessende Abschnitt über den
mbegrif f " hat einen allgemeineren Inhalt als die vorher-
iden. Als »Form" bezeichnet nämlich der Verfasser „alles,
von Erlebnissen und Erlebnisgegenständen ausgesagt wird,
-^ h nicht als Inhalt einer Vorstellung aufgezeigt werden kann".
280 A. Messet*,
und beharrliche Sabstanz zu beziehen und sie somit als Qualitäten
eines einheitlichen und beharrlichen Dinges zu denken ; und es
sei demnach die Substanz eine subjektive Zutat zu den Quafi-
täten."
Dagegen erhebt nun aber wieder die Psychologie Einsprach.
Sie fordert, dass „alle subjektiven Erlebnisse als ihrer Art nach
bestimmte Tatsachen des Bewusstseins müssen aufzuzeigen sdn;
als solche aber vermag der Kritizismus weder den »Verstandes-
begriff der Substantialität*" (die hinzugedachte Substanz), noch dis
„Bringen der Qualitäten unter diesen Begriffe (das Beziehen de^
selben auf diese Substanz) nachzuweisen. Eine vierte kosmo-
theoretische Denkrichtung, die „pathempirische** löst aber end-
lich auch diesen Widerspruch, indem sie festhält, die von den
Qualitäten zu unterscheidende Substanz sei allerdings eine subjek-
tive Zutat, aber eine solche, die sich im Bewusstsein wirklich
aufzeigen lasse, nämlich ein Gefühl, „und zwar jenes Oesamt-
eindrucksgefühl (Totalimpression), welches der Vorstellung der ein-
zelnen Qualitäten vorangehe und sich erst in sie besondere, dtf
sie aber auch nach dieser Besonderung noch einige, indem sie io
dasselbe eingebettet bleiben^.
Dieser „pathempirische"" Substanzbegriff erfährt nun sem
„Verifikation"*, indem gezeigt wird, dass er alle berechtigten
Momente der vorher angeführten Substanzbegriffe in sich schliesse.
ohne doch den erwähnten Widersprüchen ausgesetzt zu sein
Zunächst ist der „animistiscbe^ Dingbegriff in ihm „au^hoboi''
(im Hegelscheu Sinne). Er erhält Recht, sofern er „die Substani
auffasst als eine unserer Reaktion korrelate, spezifische Vitalität
des Dinges *". Denn wir erleben die Totalimpression der Dinge
nicht lediglich als „unser"" Gefühl, sondern auch als „Dure*
Lebendigkeit. Noch vor der Besonderung der einzelnen Qualitäten
stellt sich uns das Ding dar als „ein Etwas, das wir abwehren
müssen, ja geradezu als ein Etwas, das uns angreift^. Ferner
erhält der „metaphysische"" Dingbegriff Recht, insofern er zu des
Dinge neben den Qualitäten noch „ein einheitliches und behan^
liches, nicht sinnlich wahrnehmbares Etwas, als seine Substam*»
verlangte. Denn die Totalimpression ist von den Qualitäten ve^
schieden und im Vergleich mit ihnen etwas Einheitliches und Be*
harrUches. Auch ist sie nicht sinnlich wahrnehmbar, da ein G^
fühl weder gesehen, noch gehört etc. werden kann. Der «ideth
logische^ Dingbegriff wird anerkannt, insofern er darauf driqft«
Heinrich Gomperz* Weltanschauungslehre. 281
„dass alle Elemente des Dinges erfahrbar sein müssen**. Mit dem
^kritizistischen'' endlich stimmt der „pathempirische** insofern
überein, als beide in der „Substanz" „eine subjektive Zutat"
sehen, „eine Reaktion, die notwendig aus dem Wesen unserer Or-
ganisation hervorgeht". — Beseitigt sind dagegen die Schwächen
dieser Begriffe. Der „animistische" fasste irriger Weise die Vita-
lität als etwas in dem Ding Vorhandenes statt als ein von uns
zu den Qualitäten hinzugefühltes. Der „metaphysische" Begriff
verlegte die Substanz in das Ding und „aus der Sphäre des Er-
lebbaren heraus", und so wird die Frage für ihn verhängnisvoll,
woher er denn davon wisse. Diese Frage aber wird von dem
pathempirischen Begriff beantwortet: „Wir wissen hiervon, weU
wir Einheit und Beharrlichkeit des Dinges unmittelbar fühlen, und
dieses unser Gefühl ist selbst die Substanz des Dinges." Der
^ideologische" Begriff ging in die Irre, indem er die „Erfahrung",
die alle Elemente des Dinges aufweisen müsse, zu eng fasste,
nämlich bloss als „rezeptive Erfahrbarkeit", d. i. „Vorstellbarkeit"
und so dazu getrieben wurde, die Substanz zu leugnen. Aber
neben der „rezeptiven" Erfahrung (dem Inbegriff der Wahr-
nehmungen und Vorstellungen) ist die „reaktive" anzuerkennen.
Im Gegensatz zu der „passiven" Aufnahme der Wahrnehmungen
stellt sich das Gefühl als ein „aktives" Reagieren des Bewusst-
seins dar. Erfahren wird die Substanz (als „Totalimpression" im
„pathempirischen" Sinne), weil sie eben als Gefühl erlebt wird;
^vorgestellt" dagegen (d. i. wahrgenommen oder phantasiert) wird
sie freilich nicht, weil dies überhaupt nicht die Weise ist, in der
wir Gefühle erleben.
Im nächsten Abschnitt wird in analoger Weise der „path-
empirische" Begriff der „Identität" zu entwickeln und zu recht-
fertigen gesucht: er fasse die von einem Gegenstand ausgesagte
Identität als „ein demselben eingelegtes Gefühl der Ichstetigkeit".
Im folgenden Kapitel wird dann auf die „Relation" als ein „Ge-
fühl" charakterisiert, und zwar als ein solches, „welches vor der
Vorstellung der Relationsglieder vorhergeht, und in welches diese,
auch nachdem sie sich aus ihm differenziert haben, eingebettet
bleiben". Der hieran sich anschliessende Abschnitt über den
„Formbegriff" hat einen allgemeineren Inhalt als die vorher-
gehenden. Als »Form" bezeichnet nämlich der Verfasser „alles,
was von Erlebnissen und Erlebnisgegenständen ausgesagt wird,
jedoch nicht als Inhalt einer Vorstellung aufgezeigt werden kann^.
282 A. Messer,
Der Begriff „Form" umfasst somit auch die schon vorher be-
handelten Begriffe „Substanz**, „Identität**, „Relation**; nicht
minder — was hier beiläufig erwähnt sei — die Begriffe „Ob-
jektivität" und „Subjektivität**; denn Wahrnehmungen wie Wdss,
Hart, Süss, Kalt bleiben in Bezug auf ihren „vorsteUbaren" Inhalt
dieselben, ob nun diese Qualitäten als subjektive Zustände unseres
Bewusstseins oder auch als objektive Eigenschaften realer Gegen-
stände gedacht werden. Auch hier werden wieder der Reihe
nach die Auffassungen des Formbegriffs durch den „Animismus**,
die „metaphysische", „ideologische" und „kritizistische*" Denk-
richtung abgehandelt. Die Lösung des Problems, was denn der
eigentliche Sinn der Formaussage sei, soll auch hier wieder der
„pathempirische" Standpunkt geben, nämlich: „die Form ist ein
erfahrbares, allein nicht rezeptiv erfahrbares, somit ein von den
erfahrbaren Vorstellungsinhalten verschiedenes und vielmehr eine
reaktive Zutat zu denselben darstellendes Gefühl". Mittun besagt
der „Pathempirismus" : „der gesamte Inhalt der Erfahrung wird
durch Vorstellungen, ihre sämtlichen Formen durch Gefühle im
Bewusstsein dargestellt."
Nach diesen konkreten Beispielen für das Verfahren bei der
Erörterung der kosmotheoretischen Begriffe und der daraus sieb
ergebenden Probleme wird die Methode selbst noch in allge-
meinerer Form einer zusammenfassenden Besprechung unterzogen.
Ihr charakteristischstes Merkmal besteht, wie wir gesehen haben,
darin, dass die Entwickelung der kosmotheoretischen Begriffe
(bezw, Probleme) von ihrer „animistischen" Gestalt über die
„metaphysische", „ideologische**, „kritische" bis zu ihren „path-
empirischen" verfolgt wird. Wenn in der seither betrachteten
Behandlung der „Vorbegriffe" psychologische ErörterungBn stait
hervortreten, so ist die Methode doch nicht eine psycholo-
gische. Es wurde zwar z. B. das Substanzproblem dorch den
Satz über die Differenzierung der Totalimpression in die Qoali-
täten, das Relationsproblem durch den Satz über die Difienzienmg
des Relationsgefühls in die Relationsglieder aufgelöst Insofos
derartige Sätze Tatsachen aussagen, sind sie allerdings psycho-
logisch. Aber die Auflösung des kosmotheoretischen Problems
besteht nicht in den Sätzen selbst, sondern in der Erkenntnis,
„dass diese psychologischen Tatsachen den Sinn jener kosmo-
theoretischen Begriffe ausmachen". So ist es auch ein lediglich
psychologischer Satz, dass es Gefühle neben Vorstellungen giebt,
Heinrich Gomperz* Weltanscbauungslehre. 283
^dass aber diese Gefühle die Erfahruügsfonnen sind, um die seit
vielen Jahrhunderten der Streit der Metaphysiker, Ideologen und
Kritizisten tobt", das ist kein psychologischer, sondern ein kosmo-
theoretischer Satz.
Die Anordnung, in welche jene fünf Denkrichtungen ge-
bracht worden sind, ist weder als eine ausschliesslich zeitliche,
noch eine ausschliesslich logische anzusehen. Die später ge-
nannten treten zwar später auf, aber dabei können die früheren
noch sehr wohl fortbestehen, und die oft sehr kleinen Zeitunter-
schiede des Entstehens kommen neben der langen Dauer des
gleichzeitigen Bestandes oft kaum in Betracht. Auch kann ein
Denker in Bezug auf verschiedene Probleme verschiedenen Denk-
richtungen zugehören.
Das Schema selbst mit seinen fünf Stufen kann nicht etwa
als einzig mögliches „deduziert*" werden, sondern es ist der ge-
schichtlichen Wirklichkeit entnommen. Freilich ist der Standpunkt
des „Änimismus^, als der Ausgangspunkt der kosmotheoretischen
Entwickelung und spezifische Standpunkt der Praxis in der philo-
sophischen Litteratur fast nur in Spuren und Rudimenten nach-
weisbar. Da erst die Widersprüche, in die der „Animismus^ sich
verwickelte, das Bedürfnis nach kosmotheoretischen Untersuchungen
überhaupt erzeugen, so kann es eine eigentliche Weltanschauungs-
lehre vom Standpunkt des „Animismus"" nicht geben. Und so
moss bei der Entwickelung der kosmotheoretischen Probleme von
ihrer animistischen Urform in der Regel abgesehen werden.
Die Methode selbst stellt sich dar als eine „dialektische""
im Sinne Hegels, und zwar in dreifacher Hinsicht: 1. indem sie
die Probleme durch Ausgleichung von Widersprüchen aufzulösen
sucht; 2. insofern sie diese Auflösung zu verifizieren sucht durch
den Nachweis, dass sie die berechtigten Momente der früheren
Auflösungsversuche „aufgehoben"" in sich enthält; 3. insofern sie
diesen Auflösungsversuchen „nicht nur eine deskriptive, sondern
auch eine konstitutive Funktion in Beziehung auf die gedanklich
nachzubildenden Tatsachen zuteilt"". Dieser letzte Satz — in dem
allerdings das Ergebnis späterer Untersuchung vorweggenommen
wird — bedarf einer näheren Erläuterung. In den Erörterungen
des vorliegenden Bandes ist nämlich im allgemeinen vorausgesetzt,
„dass die fünf verschiedenen kosmotheoretischen Denkrichtungen
mit ihren Begriffen dieselben Tatsachen nachbilden wollen"".
Unter dieser Voraussetzung war das allgemeine Ergebnis gewonnen
284 A. Messer,
worden, dass die Erfahrongsformen sich im Bewusstsein à
Gefühle darstellen — mögen sie nun noch ein anderes objekÜTes
Dasein haben oder nicht. Wendet man aber dieses Verhhrai
auf die Erfahrungsformen der Objektivität und Subjektivitfit selM
an, so würde folgen : „Unter Objektivität verstehen wir die Ver-
knüpfung des Vorstellungsinhalts mit gewissen Objektivitätsgefühten,
unter Subjektivität seine Verknüpfung mit gewissen SubjektiviUitfr
gefühlen. Und hier hat er keinen Sinn mehr zu sagen: „Diese
Gefühle repräsentieren die Objektivität, resp. die Subjektivita
im Bewusstsein — mag nun der betr. Vorstellungsinhalt ao
sich objektiv oder subjektiv sein." Denn wenn wir unter Objd-
tivität und Subjektivität überhaupt nichts anderes verstehen ak
die Verknüpfung mit diesen Gefühlen, so ist ja, sobald diese Ver-
knüpfung einmal feststeht, die Objektivität resp. Subjektivit&t gar
nicht mehr fraglich: der betr. Vorstellungsinhalt ist eben objekti?,
wenn er mit den einen, und subjektiv, wenn er mit den aDderes
Gefühlen verküpft ist. „Animismus" und „Metaphysik" hatten
die äusseren Dinge für objektiv (d. h. verknüpfen mit ihren Vo^
Stellungen Objektivitätsgefühle) und erklären sie darum auch fif
objektiv. „Ideologie", „Kritizismus" und „Pathempirismus" richtea
dagegen gerade ihr Augenmerk auf dieses Für-objektivhalten, «iiod
indem sich ihnen dieses als etwas Subjektives (als eine „Vor
Stellung", als eine „kategoriale Beziehung") und endlich riditig
als ein Verknüpfen mit Objektivitätsgefühlen erweist, erkennen sie
jene Dinge als subjektiv". Aber die dialektische Methode fohrt
nun zu der Einsicht, dass eben dieses „ihr Augenmerk anf das
ITürobjektivhalten richten" und daraufhin „die Dinge für subjektir
erkennen" eine Änderung in der Erlebnisweise dieser Dinge M
(nämlich „ein Verknüpfen derselben Inhalte mit Subjektivittta-
gefühlen"); dass somit einerseits für die „Animisten" und «Heta*
physiker" es sich in der Tat so verhält, wie sie aussagen, dasB
nämlich die Dinge objektiv sind; dass es sich aber andererseita
für „Ideologen", „Kritizisten" und „Pathempiriker" auch so ver
hält, wie sie aussagen, dass nämlich die Dinge subjektiv àsi'
„In Wahrheit verhält es sich eben so, dass es sich für den Soea
auf die eine, für den Anderen auf die andere Weise verhält*
Gerade diese letzten Ausführungen machen nach derÂnsiett
des Verfassers den Terminus „Aufheben" verständlich und keott-
zeichnen sein Verfahren als ein „dialektisches" in der Weùa
Hegels. Sie zeigen aber auch, dass der „Pathempirismus" aelM
Heinrich Gompera' Weltanschauungslehre. 285
ewissermassen die letzte Wegstrecke in dem Durchwandern
)smotheoretischen Probleme aasmacht, während die gesamte
de der Weltanscbauongslehre vielmehr als eine dialektische
^ziehen ist. Das folgende Kapitel ist nun aber noch einer
eren Betrachtung der „pathempirischen*" Methode selbst
met.
Das von Gomperz neu gebildete Wort „Pathempirismus** soll
Standpunkt bedeuten, „der zwar wie der ideologische Em-
us alle Begriffe auf Erfahrung zurückführt, in dieser Er-
lg indes nicht wie jener bloss Vorstellungen, sondern auch
le (als ihre Formen) anerkennt^. Wie in der „dialektischen"
de an Hegel, so knüpft der Verfasser in der „pathempirischen"
renarius an — speziell an seine Einteilung der E-Werte in
lente" und „Charaktere", was seiner eigenen Einteilung aller
sstseinstatsachen in „Vorstellungen" und „Gefühle" entspreche.
,Pathempirismus" ist also „die Denkrichtung, welche die
itheoretischen Probleme durch Aufzeigung der unseren Form-
fen zu Grunde liegenden Gefühle, somit durch psychologische
suchungen aufzulösen sucht. Diese psychologische Methode
dem Kosmotheoretiker durch den gegenwärtigen Stand seiner
9me aufgedrängt. Denn nachdem die „Ideologie" die Er-
Qg subjektiviert und der „Kritizismus" die Formen als die
Iven Bestandteile dieser subjektiven Erfahrung aufgezeigt hat,
nichts übrig, als von diesem Punkte aus den Weg weiter
hnen, zunächst also zu zeigen, „dass als solche reaktiven
Ddteile der subjektiven Erfahrung (des Bewusstseins) nur die
lie in Anspruch genommen werden können". Und dieser
veis eben macht das Wesen der „pathempirischen" Methode
Dem Bedenken gegenüber, dass ihre psychologische Natur
rschleichung psychologistischer Resultate erwarten lasse, wird
f hingewiesen, dass die schliesslichen Ergebnisse gar nicht
ologistisch sein wUrden.
Es wird sodann die Art der psychologischen Untersuchungen,
e die „pathempirische'' Methode ausmacht, näher dargestellt.
:ehören der analytischen (introspektiven) Psychologie, nicht
enetischen au; denn die Begriffe des praktischen Lebens
er Einzelwissenschaften, deren Widersprüche es auszugleichen
sind die Begriffe erwachsener, kultivierter Menschen, nicht
on Kindern, Wilden oder gar Tieren. Diese Ausgleichung
geschieht „durch Aufzeigung jener Bewusstseinstatsachen
286 A. Messer,
and speziell jener Gefühle, deren gedankliche Nachbildnng &
verschiedenen, einander widersprechenden Begriffe ergeben H\
Ausführlich wird in diesem Zusammenhang auf das gegenwirtige
Überwuchern der genetischen Betrachtungsweise und die dann
sich ergebende Irrtümer eingegangen. Ferner wird die EinteÜBH
aller Bewusstseinstatsachen in Vorstellungen und Gefühle gcp*
über anderen Erteilungen zu rechtfertigen gesucht Die qui*
tative Mannigfaltigkeit der Gefühle wird — unter energisd»
Polemik gegen die Beschränkung des Terminus „Gefühl^ auf Lot
und Unlust — als unabsehbar gross bezeichnet. Endlich werta
die Hauptformen der Verknüpfung von Vorstellungen und GetSlil«
ausführlich dargestellt. Diese Verknüpfung — die übriges st*
obwalten soll — darf selbst nicht auf „Relation" zurückgefoW
werden, da „Relation" selbst eine derartige Verknüpfung ist h
Wahrheit ist „die Weise, in der wir Vorstellungen und GefSik
erleben, eine der wenigen ganz fundamentalen Tatsachen nnsenr
Erfahrung, die eben deshalb, weil sie ein Letztes ist, in keiitf
Art mehr auf ein Anderes zurückgeführt werden kann". Sie fW
vom Verfasser deshalb mit dem besonderen Namen „Charaki»
sierung" bezeichnet.
Das den Band abschliessende Kapitel behandelt die Ei»
teilung der Weltanschauungslehre. Es wird dieser EinteflUK
nicht wie es als naheliegend erscheinen könnte, ein System der Eat»
gorien (Formbegriffe) zu Grunde gelegt. Die Arbeit der W*
anschauungslehre wäre vielmehr als beendet anzusehen, „wennÄ
jedem Formbegriff das zu Grunde liegende Gefühl aufgezeigt ■(
wenn dadurch jeder dieser Begriffe von den ihm anhaftai*
Widersprüchen gereinigt wäre". Damit würde für einen künftig*
Aufbau eines Kategoriensystems gerade nur die erste Gmndllp
geschaffen sein; „es würde dann diese Kategorienlehre *
der Weltanschauungslehre sich ähnlich verhalten wie die î*
Kant in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft postoiiB*
Metaphysik zu seiner Kritik der reinen Vernunft selbst". - &*
gehend legt übrigens der Verfasser dar, warum er die HersteW
eines Systems der Kategorien für eine unlösbare Aufgabe hato-
Die von ihm gewählte Einteilung des gesamten Sbotb^^
giebt sich ihm aus folgender Erwägung: Die „pathempiri'*^
Methode, auf die ontologischen Begriffe Objektivität und SalF
tivität angewendet, führt (wie oben gezeigt) zu der for *
„dialektischen" Methode charakteristischen Einsicht, dass **
Heinrich Gomperz* Weltanschauimgslehre. 287
e Begriffe als wandelbare Bestimmungen darstellen, weil ein
derselbe Vorstellungsinhalt bald durch Objektivitäts-, bald
b Snbjektivitätsgefühle ,,charakterisiert'' sein kann; und dass
Br Wechsel „unserer ontologischen Auffassung jener Vor-
ungsinhalte" für diese Inhalte zugleich, „einen Wechsel ihrer
sweise" bedeute. Dieser Auffassungswechsel aber ist, „wie
zeigen wird", innerhalb relativ weiter Grenzen vom Willen
ingig. So kann man den unterscheiden: 1. die „Seinsweise,
er uns die Erfahrung gegeben ist", 2. das „Weltbild, welches
ihr zu gestalten und aufgegeben ist". Der Erste behandelt
„Ontologie": hier gilt es festzustellen, was wir unter Ob-
ivität, Subjektivität u. s. w. verstehen, und unter welchen
ingungen von den Bestandteilen diese Bestimmungen ausgesagt
len. Das Zweite ist der Gegenstand der „Kosmologie".
* handelt es sich darum, zu ermitteln, wie wir diese Auffas-
fsformeu gebrauchen „sollen" und in welchen Fällen wir sie
jene Erfahrungsbestandteile anwenden „sollen". Als der
ck aber, von dem es abhängt, wie wir das ontologische Auf-
iingsvermögen gebrauchen sollen, wird sich die „Erzielung
s geordneten Erfahrungszusammenhangs'' herausstellen.
Vorausgeschickt soll diesen beiden Hauptteilen eine „Noo-
ie" oder „Denklehre" werden. —
Einige Bemerkungen zur Beurteilung des Werkes mögen
an dieses Referat über seinen Inhalt anschliessen. Schon
bisher Gesagte wird genügend gezeigt haben, dass es sich
um einen gross angelegten und leicht zu überblickenden Ge-
cenaufbau handelt. Der Übersichtlichkeit ist auch noch durch
;ere Mittel Rechnung getragen. Der Text ist in eine nicht
frosse Zahl — im ganzen 41 — Paragraphen gegliedert, die
s kurz die Hauptgedanken zunächst hinstellen. An jeden
igraphen schliessen sich dann sehr ausführliche Erläuterungen,
selbst wieder in gross und klein gedruckte Partien i) zerfallen.
letzteren sind sachlichen Exkursen und historischen und pole-
then Auseinandersetzungen gewidmet. Durch unsere knappe
ize der wesentlichen Gedanken des Buches kann natürlich
>) Die Benutzung des Buches hätte noch dadurch erleichtert werden
len, dass die Zahl der Paragraphen und die Nummern der einzelnen
^hnitte der Erläuterungen stets am oberen Rande der Seiten angegeben
ien wäre. Da dies fehlt, so sind Verweisungen nicht immer leicht zu
en, zumal da auch noch ein Register aussteht.
288 A. Messer,
keine Anschauung gegeben werden von dem überaus reichen lo*
halt dieser Erläuterungen. Sie beweisen eine ausserordentliche
Belesenheit des Verfassers und lohnen allein schon das Stndioi
des Buches. Erleichtert wird ein solches durch die schlichte, an-
regende und frische Darstellungsart. So vermag das Badi W
einer erstmaligen, flüchtigeren Lektüre recht anziehend zu wirto
Bei genauerer Erwägung stellen sich jedoch gar manche Be-
denken heraus, von denen einige hier ihre Stelle finden mögen.
Der Verfasser bezeichnet — in .Anknüpfung an die Auf-
gabe, die er der Weltanschauungslehre stellt — sie als eine
„sekundäre^ Wissenschaft, die es unmittelbar nicht mit ^JA
Sachen", sondern mit „Gedanken" i) über Tatsachen zu tun kit
Aber indem er so das „Prinzip der Sterilität" für sie proklamiert,
stellt er einen Grundsatz auf, den er schon in diesem ersten Banl
faktisch durch seine weitausgreifenden psychologischen Untemek'
ungeu fortgesetzt durchbricht. Der allgemeine Grund für diesei
Aufgeben des „sekundären" Charakters der Weltanschauungslekre
scheint mir aber nicht bloss in dem gegenwärtigen Stand der
Psychologie zu liegen, sondern auch in der Sache selbst, d. h. ii
der Eonsequenz der Aufgabe dieser Disziplin, wie er sie fassL Dv
„Verifikation" der kosmotheoretischen Sätze soll ja in der We«
erfolgen, dass für die Auffassungen, durch die die überlieferte
Widersprüche ausgeglichen werden, der Nachweis erbracht wW
„dass sie auch den Tatsachen adäquat sind". Dadurch ist doi
eine unmittelbare Berücksichtigung der Tatsachen gefordert! Uli
natürlich kann auch schon die ganze Arbeit an der Ansgleichmi
der Widersprüche in den vorliegenden kosmotheoretischen ^
danken nur in steter Fühlung mit den Tatsachen selbst erfoll^
da ja sonst das entscheidende Kriterium für das Ausschsl^
fehlerhafter Gedankenelemente fehlen würde.
Ähnlich steht es, wenn man das Verhältnis der Weltanscb»'
ungslehre zu jenen Problemen berücksichtigt, die von kduer *
Einzelwissenschaften, die sich im Laufe der Zeit aus der Pl^
Sophie herausdifferenziert haben, übernommen worden sind, ^
z. B. den Fragen nach dem Dasein und Wesen Gottes und*
Unsterblichkeit der Seele. Diese Fragen beziehen sich nicM H»
1) Die Begriffe „Gedanken" und „Tatsachen" sollen nach derfr
klärung des Verfassers ihre nähere Bestimmung erst später erfahwa JJ"
wollen sie daher wie er selbst „in einem vorläufigen und amrfken'»'
gemeinverständlichen Sinne verstehen".
Heinrich Gomperz' Weltanschauungslehre. âSÔ
Verhältiiis voo Gedanken zu einander, sondern es sind Tat-
tienfragen. Oomperz möchte sie dämm aus der Weitanschauungs-
•e ausscheiden. „Will man fortfahren", so erklärt er, „diese
ähnliche Probleme als philosophische zu betrachten und sie
it etwa der spekulativen Theologie und Psychologie überant-
len, dann muss festgestellt werden, dass die Weltanschauungs-
•e nur ein Teilgebiet der Philosophie ist". Aber kaum hat er
diese Probleme aus der Weltanschauungslehre hinausgewiesen,
siebt er sich doch veranlasst, sie wieder hereinzulassen; denn
ch darauf giebt er zu, dass die Weltanschauungslehre doch
ass habe^ sich mit dem Gottesbegriff zu beschäftigen; denn da
I diesen Begriff vielfach dazu verwendet habe, kosmotheore-
he Probleme „angeblich aufzulösen, so werde man die Durch-
pung jeuer Versuche zu prüfen haben". Aber wird dies mög-
sein, ohne in Tatsachenfragen einzugehen? — Was ferner
Unsterblichkeitsproblem betrifft, so soll die Weltanschauungs-
« zu zeigen haben, dass zwar zur gedanklichen Nachbildung
menschlichen Bewusstsein der Begriff einer nnkörperlichen
stanz unentbehrlich sei, dass aber daraus nichts gefolgert
den könne für eine Fortdauer des Bewusstseins nach dem
e. Eine derartige Erörterung führt doch auch wohl in Tat-
lenfragen hinein. — Übrigens würde auch für eine Disziplin,
die genannten Probleme grundsätzlich ausschliessen wollte, die
eichnung als Weltanschauungslehre zu wenig dem Sprach-
rauch angemessen sein, da die Stellungnahme zu Fragen wie
nach Gott und Unsterblichkeit doch allgemein als grundlegend
die Weltanschauung gilt. Dazu kommt noch, dass auch die
rwiegende Zahl derer, mit denen Gomperz gemäss seiner dia-
iscben Methode sich auseinanderzusetzen hat, weU sie Ver-
er kosmotheoretischer Denkrichtungen, mithin seine Vorgänger
der Weltanschauungslehre sind — , diesen Problemen bei der
izeption ihrer Weltanschauungen eine zentrale Stellung zu-
wiesen haben.
Nach alledem muss es doch als recht fraglich erscheinen, ob
von Gomperz beliebte Charakterisierung seiner Disziplin als
r „sekundären* Wissenschaft und die damit gegebene prin-
)Ue Ausschliessung aller Tatsachenfragen zweckmässig und
'hführbar ist. Lassen wir Tatsachenfragen aber zu, so werden
passend jene abschliessende philosophische Disziplin, die unter
Sendung allgemeinster Ergebnisse der Einzelwissenschaften
â9Ô A. Messer.
eine wohl begründete und in sich übereinstimmende Weltanschauung
zu begründen sucht, — im Anschluss an die Entwickelung der
Terminologie — „Metaphysik" nennen. Auch haben ja ODtologie
und Kosmologie, die Gomperz als die beiden Hauptteile seiner
Weltanschauungslehre aufzeigt, längst als Teile der MeUphjA
in der philosophischen Systematik ihre allgemein anerkannte
Stellung gefunden. Freilich hat Gomperz den Terminus „Metar
physik" in seinem System schon in anderer Weise festgelegt, ni
nämlich eine jener kosmotheoretischen Denkrichtungen zu be«
zeichnen, die in seiner „pathempirischen" überwunden sein sollen
Es führt uns das auf das Schema der fünf Stufen, der«
Durchlaufen das Weseu der „dialektischen" Methode ausmacht
Mannigfache Bedenken erregt hier die Behandlung der erst«
Stufe, des „Animismus", des „Standpunkts der Dingbelebong*,
einer „Denkweise, die vor der kosmotheoretischen Spekulation
hervorgeht".
Dieser Standpunkt wird in doppelter Weise charakterisiert
Zunächst wird er bezeichnet als Standpunkt des „naiven nnl
primitiv-geschichtlichen Bewusstseins". Durch dessen Analj«
seien die nötigen Belege dafür herbeizubringen. So wird auf te
Zeugnis der Sprachen, die auch den unbelebten Dingen Geschlechti'
unterschiede beilegen, Vorgänge als Tätigkeiten ausdrück«
u. s. w. hingewiesen, ferner auch daran erinnert, dass Kindern
einer solchen belebenden Auffassung ihrer Umgebung neigen -
etwa den Tisch schlagen, an den sie sich gestossen. Oompen
hat nun aber selbst in anderem Zusammenhang so skeptisch üM
die genetische Psychologie sich ausgesprochen, dass es eigentüA
auffallen muss, dass er das „naive" und „primitive" BewusstselD,
also das Innenleben von Kindern und relativ kulturlosen Erwaek*
senen, zum Ausgangspunkt seiner Begriffsentwickelung nuu^
Denn was ist für jene Stufe mit einiger Sicherheit festzusteHeo?
Zunächst doch nur, dass gegenüber gewissen Dingen (ob g^
über allen — ist doch sehr die Frage) ein ähnliches praktisch^
Verhalten stattfindet wie gegenüber lebenden Wesen. Wie w»
nun diesem Verhalten gegen Dinge, „als ob" sie lebend wW»
eine bestimmte „Auffassungsweise", bestimmte „Begriffe" ^
sprechen, das mit einiger Sicherheit festzustellen, dürfte isà
kaum möglich sein, da alles Befragen solcher Individuen (sff^
es überhaupt durchführbar ist) die Naivität ihres Verhalttttf 9sir
hebt und Reflexion wachruft. Auch liegt doch der Gedanke ^
Heinrieb Gomperz' Weltanschauungslehre. 201
3 weniger irgend eine bestimmte positive Aoffassungsweise für
erwähnte Verbalten massgebend ist als der Mangel an einer
ben, die Tatsache, dass die Merkmale „lebendige und ,,leblos''
il nicht als solche bemerkt sind. Was aber Kinder betrifft,
in unserem Kulturkreise aufwachsen, so kann man gelegentlich
stellen, dass ihre Behandlung lebloser Dinge wie lebender
îhaus nicht von einer entsprechenden Auffassungsweise be-
bet ist. Sie „spielen^ eben und sind sich dessen, wie ich
;h Befragen schon bei etwa Dreijährigen erkennen konnte,
1 wohl bewusst.
Nun wird aber von Gomperz der Standpunkt des „Animismus"
1 als der der „Praxis'*, und zwar — wie der ganze Zusammen-
Ç nahelegt — als der der Praxis erwachsener Kulturmenschen
dehnet. Zur Begründung hierfür behauptet der Verfasser,
i das Gegenverhalten der Dinge unserem eigenen Verhalten,
Hemmen und Sichfügen dem Widerstehen und Nachgeben
ichartig gedacht" wird. Zunächst überschätzt er doch wohl
i hier das „intellektuelle" Moment, das „Denken" beim prak-
len Verhalten. Wäre an Stelle eines „Dingbegriffs der Praxis"
t eher zu reden von der Disposition zu bestimmten Betätigungen,
faktisch die Dinge in uns als Reaktionen auszulösen pflegen?
Ite man aber einen erwachsenen Kulturmenschen — und sei
auch nur ein „Ungebildeter" — veranlassen, sein Verhalten
3nüber lebenden und leblosen Wesen sich zum Bewusstsein zu
gen, so würde sich ihm doch wohl sofort ein Unterschied
er „Auffassung" aufdrängen.
Wenn ferner gesagt wird: „Das Ding sei der Praxis gegen-
' bestimmt als spezifische Lebendigkeit", so ist doch auch das
>edenken, dass „Lebendigkeit" selbst nur eine Eigenschaft ist
ind nicht einmal die am meisten dauernde. Auch der erlegte
tis — ^ um ein Beispiel von Gomperz zu gebrauchen — hat
i seine Gestalt und seine rote Farbe, er gilt auch noch als
elbe, der vorher seine Räubereien verübt. Nehmen wir also
3t einmal an, die Aufgabe, einen „Dingbegriff" des „primitiven"
iisstseins und einen solchen der „Praxis" festzustellen, sei
u*, und diese beiden Begriffe stimmten überein, so wäre doch
i sehr fraglich, ob sie einfach zu identifizieren wären mit dem
riff einer „spezifischen Lebendigkeit". Wäre dies der Fall,
^ürde ja auch der Naturwissenschaft, die diese Lebendigkeit
Tiet, der Dingbegriff sozusagen allen Inhalt verlieren. Nun
2Ôâ A. Messer,
führt aber Gomperz selbst aus, dass aus dem „animistisdieB*
Begriff unter dem Einfluss der Naturwissenschaft der „metapkj-
sische" entstehe, da die Naturwissenschaft „nur (!) gegen &
Lebendigkeit der Dinge" etwas einzuwenden habe. „Wiid dalier
diese zu einer blossen (qualitativ unbestimmten) Substanz abp»
schwächt, so steht sie dem durchaus nicht mehr (negati?) ert*
gegen." Soll aber bei dieser „Abschwächung" der Begriff irgeol
einen Inhalt noch behaupten, so ist doch wohl an das Merknil
zu denken, das z. B. Descartes in seiner Definition der Snbstaor.
res, quae ita existit, ut nulla alia re îndigeat ad existendum, l)^
sonders scharf hervorgehoben hat. Nun giebt Gomperz selbst n,
dass dieser „metaphysische" Dingbegriff den Bedürfnissen der
Praxis genüge und dem naiven Denken keinerlei Anstoss bereite;
ja er erklärt geradezu, dass der Dingbegriff der Metaphysik stt
als eine Abstraktion vom Dingerlebnis des gemeinen Mannes dl^
stelle.^) Wollen wir also rückschliessend einen „Dingbegriff te
vorwissenschaftlichen Bewusstseins konstruieren, so müsste gerade
jene Selbständigkeit, jenes Fürsichbest^hen als sein wesentliito
Merkmal anerkannt werden. „Substanz" bedeutete dann te
„selbständig für sich Bestehende", nicht „eine spezifische Lebendif
keit", die doch notwendig attibutiv gefasst wird. —
Wie die erste Stufe der von Gomperz konstruierten ^
wickelungsreihe, die „animistische", so bietet auch die letzte, &
„pathempirische" zu mancherlei kritischen Bedenken Vertt'
lassung. Prüfen wir auch hier zunächst am SubstanzbegriK
den „pathempirischen" Standpunkt. Die Substanz wird hier, ^
wir gesehen haben, gleichgesetzt mit einem „Gesamteindrueb'
gefühl", einer „Totalimpression". Belege für diese GleichseöK
glaubt Gomperz allerdings nur in solchen Fällen wirklich •»'
weisen zu können, wo etwas Überraschendes und Neues eriebtwiïi
So werde z. B. bei einem plötzlichen starken Geräusch das ß*"
Samteindrucksgefühl „Schrecken" vor der Qualität „GerWek
erlebt ; oder ein plötzlich aus dem Schlafe Aufgeweckter habe *
Totalimpression „Etwas los!", jedoch keine Vorstellung des ,Wtf?*
Ähnlich sei es bei Totalimpressionen des Weiten, Mächtig«!»
Prächtigen, die uns ein bewunderndes Ah! entlockten, sich«**
^) In Übereinstimmung damit steht, dass GompeiB hexXi^ ^,
gewöhnlichen Belationsbegriffs erklärt, seine metaphysische Aufto>Df '^
im populären Denken die herrschende.
Heinrich Gomperz* Weltanschauungsiehre. 293
allmählig in die Wahrnehmungen der einzelnen Glieder diffe-
jerten, oder bei allgemeinen Eindrücken von Gesichtern als
pathisch, unsympathisch, offen, verschlagen, ohne dass Details
öesichtsbildung aufgefasst sind. Solche Totalimpressionen
3n sich nun nicht restlos in die Qualitäten auf, sondern sie
irrten in gewissem Umfang. Dies werde durch die Tatsache
lesen, dass ein Ding auch noch nach dem deutlich Wahr-
)mmenwerden einen sog. „Eindruck^ mache; auch die analy-
;e Femsicht sei „weit", das analysierte Gesicht „sympathisch",
le Totalimpression eines Dinges, in die die Qualitäten einge-
et seien und durch die sie geeinigt würden, könne „mit Fug
Recht als seine Substanz bezeichnet werden".
Nun soll das faktische Vorkommen solcher Totalimpressionen
t bestritten werden, aber es wird sich doch sofort der Ein-
i erheben: manche dieser Gesamteindrucksgefühle sind offenbar
ektiv, mit „Substanz" meinen wir dagegen stets Objektives!
)arauf finden wir bei Gomperz die Entgegnung: „Die Total-
ession zeigt sich uns einstweilen nur als ein Element des
fes nach seiner subjektiven Seinsweise: die Substanz ist Ge-
sofern die Qualitäten Vorstellungen sind; ob aber auch das
f eine objektive Seinsweise besitze, und was etwa die Substanz
möge, sofern die Qualitäten physische Eigenschaften heissen
len — alle diese Fragen müssen aufgeschoben werden bis zu
späteren ontologischen Untersuchungen." — Aber ist damit
r Bedenken wirklich beseitigt? Wir können ganz wohl das
»logische beiseite lassen; wir können uns völlig darauf be-
änken, den Sinn, die Bedeutung des Substanzbegriffes fest-
BÜen — und das will ja Gomperz angeblich auch — : und
:dem müssen wir sagen: „Substanz" bedeutet uns stets Ob-
ves, Totalimpression dagegen auch Subjektives. Auch ist es
nicht so, dass solche Gesamteindrucksgefühle stets für die
statierung von Dingen bezw. Substanzen die Voraussetzung
m. Ein plötzlicher Knall, der uns erschreckt, wird doch nicht
Ding aufgefasst. Es will mir also scheinen, dass die von
perz angeführten psychologischen Vorgänge nicht geeignet
, uns über die Bedeutung des Substanzbegriffs irgend welche
därung zu verschaffen oder gar seine „pathempirische" Anf-
ing des Begriffs irgendwie zu rechtfertigen.
Die Schwäche dieser Auffassung dürfte sich auch in Fol-
tern verraten. In seinen schon erwähnten Darlegungen über
•BtrtmlUa XIII. %f;^
294 A. Messer,
genetische und analytische Psychologie (S. 312 ff.) betont Gompen
mit Secbt, die genetische Psychologie könne keinen Schritt tmi,
wo ihr die analytische nicht vorgearbeitet habe und spezidl &
„pathempirische" Untersuchung könne nur die analytische zn Gmade
legen. Hier dagegen analysiert er nicht das „Meinen" und Arf
fassen eines Dinges beim gewöhnlichen Verhalten, sondern er
sucht „genetisch" eine Vorstufe davon zu konstruieren. Er erkliit
nämlich, Belege für seine „pathempirische" Deutung des Ding-
begriffs dürfe man nicht dort zu finden erwarten, „wo altbekannte
und längsterwartete Objekte sich uns darbieten, und wo der
Schlendrian der Gewohnheit den psychischen Prozess überhMpl
auf ein Minimum der Lebhaftigkeit herabgesetzt und ihn damit
auch der Selbstbeobachtung entzogen habe". Und auf Gnuil
solcher seltenen Fälle, die er nur der von ihm selbst verpönt«,
genetischen Betrachtungsweise verdankt, und die, wie ebeng^
zeigt, faktisch für unsere Frage nichts beweisen — spricht er m
einem „Gesetz (!)", „dass die Qualitäten eben nie (!) anders ent
stehen als durch Besonderung aus Gesamteindrucksgefühlen*.
So wohlfeil sind denn doch „Gesetze" in der empirischen Psycho-
logie nicht zu haben!
Die Unhaltbarkeit der „pathempirischen" Zurechtlegung to
Substanzbegriffs tritt uns endlich auch bei dem Versuch, ihn»
verifizieren, deutlich entgegen. Im Anfang des § 15 (S. Uî)
nämlich lesen wir, nach dem „Patherapirismus" „sei die Substaö
eine subjektive Zutat, jedoch eine solche, die sich im Bewnsstsea
wirklich aufzeigen lasse, nämlich ein Gefühl: und zwar jeaö
Gesamteindrucksgefühl (Totalimpression)". Bei der Verifikaö«
aber kommt Gomperz selbst das Bedenken — das wir vorhin gegen
ihn geltend machten —, „dass die Dinge wenigstens (subjektW
als objektiv erlebt werden". Deshalb giebt er jetzt zu: ,0
wird daher auch die Totalimpression der Dinge (wenigstens einen
Teil ihrer Momente nach) nicht lediglich als unser Gefühl, sondera
auch als ihre Lebendigkeit erfahren.'' Hat sich damit schon Ä*
wirkliche Bedeutung des Substanzbegriffs als eines Begriffe, ^
Objektives meint, wieder einigermassen zu Geltung gebracht *
erfährt sie eine noch glänzendere Rehabilitierung — freilich wrf
gegen die Absicht unseres Verfassers — , wenn dieser gleich dartP
sagt, der „animistische" Dingbegriff sei vollständig im Bechte,
insofern er die Substanz auffasse als „eine unserer BeaktiöB
korrekte (!) spezifische Vitalität — des Dinges (!)". Gerade arf
Heinrich Gomperz' Weltanschauungsiehre. 295
Yorhergehenden Seite (126) steht zu lesen, unsere Reaktion
38, „die als die Totalimpression in unser Bewusstsein falle",
die Substanz ausmacht; jetzt (S. 127) ist vielmehr die dieser
rtion korrelat spezifische Vitalität — als deren Träger selbst
1er das „Ding" genannt wird — die Substanz. Das hindert
nicht, dass wir wieder auf der folgenden Seite (128) den
finden: „Dieses unser Gefühl ist die Substanz."
Nunmehr ein paar Worte über den „pathempirischen" Iden-
tsbegriff! Ihm zufolge „besteht die Identität in einem dem
mstand eingelegten (endopathischen) Gefühl der Ichstetigkeit
Kontinuität)". Dabei soll sich der „pathempirische" von dem
mistischen" Identitätsbegriff dadurch unterscheiden, dass er
Identitätsbewusstsein nicht für ein solches des Objekts aus-
t, sondern es als ein von uns dem Objekt eingelegtes Gefühl
Irt. — Aber warum dann dieses Gefühl noch Gefühl der Ich(!)-
inuität nennen? Liegt nicht im Ichbegriff, wenn er auf andere
wendet wird, der Nebengedanke: „Dein Gegenüber meint sich
it?«i)
Femer bedeutet doch „Identität" und „Kontinuität" nicht
Bibel Man kann einem Begriffs- oder Satzinhalt, für sich ho-
ltet, Identität mit sich selbst zu sprechen, kann man dafür
n: er besitzt Kontinuität? doch wohl kaum!
Wie stimmt es endlich zu der Ablehnung der genetischen
achtungsweise, wenn Gomperz sagt: „Am allerverkehrtesten
leint uns jetzt die Bestreitung der Identität des Subjekts;
gerade von hier aus ist der ganze Begriff ursprünglich (!)
zogen"!?
Wie „Substanz" und „Identität", so wird auch die „Reaktion"
werden schliesslich alle „Form "begriffe überhaupt vom
hempirischen'' Standpunkt aus für „Gefühle" erklärt. Gefühl
lies, was nicht Vorstellung ist; auch „Urteile" und andere sog.
"standestätigkeiten" werden ausdrücklich auf Gefühle reduziert.
n ist hier der Terminus „Gefühl" nicht wie etwa bei Wundt
Bezeichnung einer Hauptklasse psychischer Elemente verwendet,
em auch ganz komplexe Erscheinungen werden Gefühle
»nnt. Da muss man doch fragen: hat die Unterordnung irgend
i psychischen Vorgangs unter einen Begriff von so ungeheuerem
ang noch irgendwie erheblichen Erkenntnis wert? Und führen
^) Vgl. E. Husserl, Logische Untersuchungen II, S. 83.
2Ö6 À. Messer,
die Erklärungen der einzelnen Formbegriffe, die der „Patbeii-
pirismus" mit Hülfe der Reduktion auf Gefühle vornimmt, nidit
schliesslich auf Tautologien zurück — falls sie nicht imt»Be>
deutungsyerschiebungen leiden? Am Substanzbegriff haben vir
das Erstere, am Identitätsbegriff das Zweite gesehen. Übrig«
findet sich auch in Bezug auf ihn der tautologische Satz: ,,Bi
Identitätsbewusstsein ist es hier wie dort [sc. auf „animistischa"
und „pathempirischen'' Standpunkt], welches in dem identisdia
Objekte noch über die beiden Erlebnisse hinaus, vorhanden ^
und dessen Dasein eben den eigentlichen Inhalt der IdentHit»*
aussage bildet" (S. 174). Ebenso dürfte eine tautologische fr
klärung vorliegen, wenn der Begriff der Mehrheit auf ein ^Aii-
merksamkeitsspaltungsgefühl* zurückgeführt wird (S. 254).
Von viel grösserer Tragweite als diese Frage der psyd»-
logischen Terminologie ist jedoch jene allgemeine Behauptung T«
Gomperz: „dass diese Gefühle die Erfahrungsformen sind, um die
seit vielen Jahrhunderten der Streit der Metaphysiker, Ideolog«
und Kritizisten tobt" (S. 285).
Mit der Aufstellung dieses Satzes geht der „pathempirische"
Kosmotheoretiker über die lediglich psychologische Feststellfflit
„dass es Gefühle neben Vorstellungen giebt", hinaus, und die«
Satz macht also recht eigentlich das Charakteristische dei
„pathempirischen" Standpunkts aus. Gerade dieser Satt
aber scheint uns hervorzugehen aus einer Vermengung realer
psychischer Vorgänge, idealer Bedeutungen von Worten und Sitei
und endlich der damit gemeinten Gegenstände, und eben die»
scheint mir zu beweisen, dass die ganze „pathempirische** Methode
krankt an einem verwirrenden Durcheinander der psychologische«,
der logischen und der erkenntnistheoretischen Betrachtungsweise.
Zur Begründung und Veranschaulichung meines Urteils miga»
einige Beispiele angeführt werden.
Im Anfang der Erörterung über den Identitätsbegriff wir!
ganz richtig unterschieden zwischen den „Anlässen", bezw. „äussert»
Bedingungen" der Identitätsaussage und ihrem „Inhalt'', ihrs*
„inneren Sinn" (S. 137); und als das eigentlich zu behandebfe
Problem wird der letztere bezeichnet, nämlich: ,,was denn eigentÖ
durch die Identitätsaussage behauptet wird?"^) Später dag^
wird die Frage so gefasst: „Welche Bewusstseinstatsache (!) i"
::.•: ij Ähnlich wird das Problem formuliert beasüglich des Beliti**'
b^grilfs' (is. 179) und der Formbegrilfe (S. 217).
Heinrich Gomperz* Weltanschauungslehre. 297
lie des kontiüierlichen Erlebens (und daher mittelbar auch in
a des intermittierenden) der Aussage numerischer Identität zu
inde liegt (!)."^) Und ebenso heisst es S. 311 ganz allgemein:
'as wir unter einem Ding und einer Eigenschaft, einem objektiven
anstand und einem subjektiven Zustand, unter Ich und Du,
er Nebeneinander und Nacheinander, unter Ursache und Wirkung
stehen (!); d. h. (!) auf Grund welcher Bewusstseinstatsachen (!)
diese Aussagen machen, das kann offenbar nicht mit Hilfe
i elektrischen Batterien und automatischen Uhrwerken ermittelt
rden, sondern allein durch Aufmerken auf das, was in uns
geht(!), wenn wir diese Aussage machen — somit durch ein
'halten, das wir ... als ein bloss introspektives bezeichnen
inen*". Aber der (ideale) Sinn von Begriffen und Aussagen und
(realen) psychischen Vorgänge, d. h. die Bewusstseinstatsachen,
Grand deren solche Aussagen erfolgen, sind streng auseinander-
alten. Jene fallen unter die Kompetenz der Logik, diese unter
der Psychologie. Es ist aber lediglich ein Verfahren im Dienste
Psychologie: zu merken auf das, „was in uns vorgeht", wenn
bestimmte Aussagen machen. Das Ergebnis eines derartigen
)bachtens wird aber oft nur in der Eonstatierung einiger —
lieh „sinnbelebter" — Wortvorstellungen im Bewusstsein be-
llen. Neue Einsichten in den Sinn, die Bedeutung von Worten,
1. in Begriffe, gewinnen wir auf diesem Wege nicht; dazu
ssen wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf unsere (realen) Be-
Bstseinserlebnisse bei solchen Aussagen, sondern auf den (idealen)
n von Worten und Aussagen selbst richten, sie etwa mit in-
Uich verwandten vergleichen und die Unterschiede feststellen.
Zu dieser Verwechselung von psychischem Inhalt („Bewusst-
istatsachen**) und logischem Inhalt („Sinn*", „Bedeutung"*, „Mei-
ig** etc.) tritt dann noch die weitere zwischen diesen beiden
l den „Gegenständen'' von Begriffen und Aussagen. So heisst
z.B. S. 276: „Vorstellungsinhalte brauchen nicht notwendig
^as Psychisches zu sein; es wäre denkbar, dass auch ein
^sisches (eventuell auch ein logisches) Gebilde unmittelbar in
dr Vorstellung könnte gegeben sein.** Gleich darauf lesen wir:
ier verstehen wir unter einer Vorstellung eben den Vorstellungs-
1) Dieselbe Verschiebung der Problemstellung sehen wir bei dem
^üonsbegriff S. 191, wo die Frage, was wir mit der Relationsaussage
>&en, gleichgesetzt wird der anderen, was uns dazu veranlasst; vgl auch
'^ 1&6.
298 A. Messer,
Inhalt selbst, sofern er als Teil eines Bewusstseins vorkomint*
Und die Beschäftigung mit diesen „Vorstellungen" bezw. M
Stellungsinhalten" wird ausdrücklich der „psychologischen" Analj»
zugewiesen. Bei dem im Anfang des zitierten Satzes gebrauchtai
Wort „Vorstellungsinhalte", das nicht notwendig etwas „Psychiscbei*
bedeuten solle, wäre man zunächst geneigt, an logische Inhaltes
denken, aber das Weitere zeigt, dass der Verfasser an die in da
Vorstellungen gemeinten „Gegenstände" denkt, denn nur soldi
können unter „physischen und logischen Gebilden" yerstaniei
werden. Freilich können diese nun wieder nicht als „TeilaiKi
Bewusstseins" vorkommen. Oder hat etwa schon einmal einiBi'
lysierender Psychologe bei seiner „introspektiven" Arbeit »100
wirkliche Taler" oder „den pythagoreischen Lehrsatz" gefondei*.
Dieselbe Verwechselung aber zwischen psychischen Inhalten ml
Gegenständen i) zeigt sich in dem oben angeführten — für d«
„Pathempirismus" grundlegenden Satz: Die „Gefühle" seien-*
„Formen der Erfahrung".
Werden aber so nicht nur psychische und logische Inlutt^
sondern auch Gegenstände in die Betrachtung hereingezogen, i
ist es begreiflich, dass Gomperz unvermerkt aus dem Gebiet 4i
Psychologischen und Logischen auch in das des Erkenntnistheorrii*
sehen übergreift, und er infolgedessen der Psfychologie auch ff*
kenntnistheoretische Aufgaben zuweist. So wird an schon ti^
angeführten Stellen behauptet, dass die Psychologie es sei, Ü^
gegen den „metaphysischen" und „kritizistischen" Standpunkt K^
Spruch erhebe. Und dass derartige Äusserungen nicht auf blofl'
Flüchtigkeit beruhen, zeigt sich darin, dass der Verfasser spW
in einer zusammenfassenden Betrachtung (S. 297 f.) die genannt«
Gegensätze, die er jetzt als den „metaphysischen" und den y)^
zistischen" „Grundwiderspruch" bezeichnet, ausdrücklich zwiscb*
^Metaphysik" und „Kritizismus" einerseits und „Psychologie*' •■•
dererseits vorfindet. Dass aber jene Sichtungen erkenntnistheö'«'
tische sind und sie darum nicht in Gegensatz zu einer Psjcholi^
geraten können, die wirklich diesen Namen verdient, das b«***
doch wohl nicht näher ausgeführt zu werden.
^) Schon längst wird dem kundigen Leser die Frage axdgiM!^
sein: Kennt denn Gomperz Husserls „Logische Untersuchangen" Bi|^
•— Ja, er kennt sie; er zitiert sie wenigstens. Freilich kann ick ■>*
finden; dass auch sie im ^Pathempirismus" „aufgehoben" seien.
Heinrich Gomperz' Weltanschauungslehre. 299
•eilich nur durch diese Vermischung der Psychologischen
m Logischen und Erkenntnistheoretischen, die für den
ipirischen" Standpunkt das eigentlich Neue und Gharakteri-
zu sein scheint, ist es möglich, dass Gomperz diesen mit
r anderen Standpunkten (dem „animistischen", „metaphy-
', „ideologischen" und „kritizistischen")in eine Entwicklungs-
ringt, deren Durchlaufen das Wesen der Methode aus-
soU.
}endarum gelingt es aber auch Gomperz nicht, seine mehr-
isgesprochene Absicht, in diesem der „Methodologie" ge-
tn Bande zu den eigentlichen ontologischen Fragen noch
tellung zu nehmen,!) wirklich durchzuführen. So erklärt
1 schon hier in diesen methodologischen Erörterungen:
¥ir uns schliesslich für transscendente Sealitäten entschei-
isen, kann schon jetzt als unwahrscheinlich gelten" (S. 275).
it eben in der Tat doch schon eine Voraussetzung, die „der
leorie selbst" (speziell der Ontologie) „präjudiziert". Er
mlich mit der „ideologischen" Denkrichtung die — als
rständlich hingenommene — Voraussetzung: was nicht „psy-
ches Datum" ist, das kann auch nicht „den eigentlichen
on Begriffen und Aussagen darstellen. ^) Damit ist gerade
sentliche Eigentümlichkeit des Denkens verkannt, die man
igs wieder scharf betont und als „Transscendenz des
$" bezeichnet hat, dass nämlich das Denken sozusagen ein
n auf Gegenstände ist, die von den psychischen Komponenten
akerlebnisses wie von seinem logischen Inhalt wohl zu
leiden sind.
isdrücklich sei dabei betont, dass man durch Anerkennung
ligenart des Denkens der ontologischen Untersuchung nun
twa nach der entgegengesetzten Richtung prl^udiziert.
ie Frage, ob und wie diese „genannten" Gegenstände
lalb" des Denkens bestehen, kann vorläufig noch ganz
üben. Gomperz aber hat sie tatsächlich durch die erwähnte
Btzung schon in venieinendem Sinne beantwortet. Damit
So heisst es z. B. S. 261 : „Und sicherlich dürfen wir in der ko8-
ttischen Methodologie keine Voraussetzungen machen, welche der
eorie selbst präjudizieren würden." Vgl. auch S. 126, 176, 441 ff.
Belege für diese Übereinstimmung von „Pathempirismus und Ideo-
eten aUe „Verifikationen** der behandelten Begriffe; vgL besonden
298 A. Messer,
Inhalt selbst, sofern er als Teil eines Bewusstseins vorkomnl*]
Und die Beschäftigung mit diesen „Vorstellungen" bezw. „ViH^j
Stellungsinhalten" wird ausdrücklich der „psychologischen" Analjal
zugewiesen. Bei dem im Anfang des zitierten Satzes gebrand
Wort „Vorstellungsinhalte", das nicht notwendig etwas „Psychiscb
bedeuten solle, wäre man zunächst geneigt, an logische Inhaltes
denken, aber das Weitere zeigt, dass der Verfasser an die in <
Vorstellungen gemeinten „Gegenstände" denkt, denn nur sokhil
können unter „physischen und logischen Gebilden" yerstantol
werden. Freilich können diese nun wieder nicht als „Teil eioei|
Bewusstseins" vorkommen. Oder hat etwa schon einmal ein ani'l
lysierender Psychologe bei seiner „introspektiven" Arbeit „Ifl
wirkliche Taler" oder „den pythagoreischen Lehrsatz" gefundei*.]
Dieselbe Verwechselung aber zwischen psychischen Inhalten
Gegenständen ^) zeigt sich in dem oben angeführten — für dttl
„Pathempirismus" grundlegenden Satz: Die „Gefühle" seien — fc|
„Formen der Erfahrung".
Werden aber so nicht nur psychische und logische lobalh^l
sondern auch Gegenstände in die Betrachtung hereingezogen, il
ist es begreiflich, dass Gomperz unvermerkt aus dem Gebiet Ml
Psychologischen und Logischen auch in das des Elrkenntnistheore"!^
sehen übergreift, und er infolgedessen der Psfychologie auch «^^
kenntnistheoretische Aufgaben zuweist. So wird an schon ink^l
angeführten Stellen behauptet, dass die Psychologie es sei, d^
gegen den „metaphysischen" und „kritizistischen" Standpunkt Ei^
Spruch erhebe. Und dass derartige Äusserungen nicht auf blo0^
Flüchtigkeit beruhen, zeigt sich darin, dass der Verfasser spit^
in einer zusammenfassenden Betrachtung (S. 297 f.) die genannte
Gegensätze, die er jetzt als den „metaphysischen" und den „kn^
zistischen" „Grundwiderspruch" bezeichnet, ausdrücklich zwischen
^Metaphysik" und „Kritizismus" einerseits und „Psychologie" i^
dererseits vorfindet. Dass aber jene Sichtungen erkenntnistheon^
tische sind und sie darum nicht in Gegensatz zu einer Psychologie
geraten können, die wirklich diesen Namen verdient, das braaetf
doch wohl nicht näher ausgeführt zu werden.
^) Schon längst wird dem kmidigen Leser die Frage axiigestkÇ^
sein: Kennt denn Gomperz Husserls „Logische üi rsuchaogra" nid»*'
— Ja, er kennt sie; er zitiert sie wenigstens. Freilich kann ich «clr
finden; dass auch sie im „Pathempirismus" „aushoben" seien.
^
Heinrich Gomperz' Weltanschauungslehre. 299
Freilich nur durch diese Vermischung der Psychologischen
mit dem Logischen und Erkenntnistheoretischen, die für den
„pathempirischen" Standpunkt das eigentlich Neue und Charakteri-
stische zu sein scheint, ist es möglich, dass Gomperz diesen mit
den vier anderen Standpunkten (dem „animistischen", „metaphy-
sischen'', „ideologischen" und „kritizistischen")in eine Entwicklungs-
reihe bringt, deren Durchlaufen das Wesen der Methode aus-
machen soll.
Ebendarum gelingt es aber auch Gomperz nicht, seine mehr-
fach ausgesprochene Absicht, in diesem der „Methodologie" ge-
widmeten Bande zu den eigentlichen ontologischen Fragen noch
keine Stellung zu nehmen, i) wirklich durchzuführen. So erklärt
er denn schon hier in diesen methodologischen Erörterungen:
„Dass wir uns schliesslich für transscendente Realitäten entschei-
den müssen, kann schon jetzt als unwahrscheinlich gelten" (S. 275).
Er macht eben in der Tat doch schon eine Voraussetzung, die „der
Eosmotheorie selbst" (speziell der Ontologie) „präjudiziert". Er
teilt nämlich mit der „ideologischen" Denkrichtung die — als
selbstverständlich hingenommene — Voraussetzung: was nicht „psy-
chologisches Datum" ist, das kann auch nicht „den eigentlichen
Sinn" von Begriffen und Aussagen darstellen. ^) Damit ist gerade
jene wesentliche Eigentümlichkeit des Denkens verkannt, die man
neuerdings wieder scharf betont und als „Transscendenz des
Denkens" bezeichnet hat, dass nämlich das Denken sozusagen ein
Hinzielen auf Gegenstände ist, die von den psychischen Komponenten
des Denkerlebnisses wie von seinem logischen Inhalt wohl zu
unterscheiden sind.
Ausdrücklich sei dabei betont, dass man durch Anerkennung
dieser Eigenart des Denkens der ontologischen Untersuchung nun
nicht etwa nach der entgegengesetzten Richtung prl^udiziert.
Denn die Frage, ob und wie diese „genannten" Gegenstände
y^ansserhalb" des Denkens bestehen, kann vorläufig noch ganz
offen bleiben. Gomperz aber hat sie tatsächlich durch die erwähnte
Voraussetzung schon in verneinendem Sinne beantwortet. Damit
1) So heisst es z. B. S. 261 : „Und sicherlich dürfen wir in der kos-
motheoretischen Methodologie keine Voraussetzungen machen, welche der
Kosmotheorie selbst prt^udizieren würden." Vgl. auch S. 126, 176, 441 ff.
•) Belege für diese Übereinstimmung von „Pathempirismus und Ideo-
logie*' bieten alle „Verifikationen*" der behandelten Begriffe; vgl besonders
&»0i
300 A. Messer,
hat er sich aber das Verständnis für jegliche DenkrichtoDg, die
ausserbewusst Existierendes annimmt, verbaut. Alle ,,Metaph]f8ik"
hat es nach ihm mit „grundsätzlich unerfahrbarem Seiendes^
(S. 235) zu tun und insofern sie doch darüber Aussagen macht,
krankt sie an einem inneren Widerspruch.
Aber damit, dass man Realitäten als bestehend annimmt, di^
von allen Bewusstseinsdaten verschieden sind — und das tut fak-
tisch nicht nur die Metaphysik, sondern auch die Naturwissenschaft
und jegliche Real Wissenschaft überhaupt — , damit ist dnrchaii-^
nicht ges^, dass diese Realitäten grundsätzlich und in jede^
Hinsicht „unerfahrbar" seien. Wir könnten ja etwa auf Grun^Kd
der Wahmehmungsinhalte, die als Wirkungen jener bewussteebaKr
transscendenten Realitäten aufzufassen wären, über diese selbst
Erkenntnisse gewinnen.
Wir werden aber jene Voraussetzung, die Gtomperz mit d^^^
„ideologischen" Denkrichtung teilt, als eine „psychologistische"^*'
bezeichnen und demnach dieses Prädikat auch der „pathempirische^H^
Methode" beilegen dürfen.
Nun glaubt freilich Gomperz, diese Charakterisierung aHf"^
gründlichste dadurch widerlegen zu können, dass er betont, e^ "^
werde „gar nicht zu psychologischen Ergebnissen gelangen" (S. dOSl^^
Er deutet auch den Gedankengang an, durch den er dem Psyd»— ■*
logismus zu entgehen glaubt. Aber prüfen wir diesen QreäBSUast^--^
gang, so zeigt sich, dass er nur infolge der schon gerügten Begiilh- "^
Verwirrung zu dem gewünschten Ergebnis führt Gomperz erUft^^
nämlich: „In den Vorstellungen haben wir die Inhalte, in dei^^
Gefühlen die Formen der Erfahrung zu suchen. Zu diesen Fonneo^^
aber gehören offenbar auch Objektivität und Subjektivitit,«^ >
und somit auch die diesen Begriffen teils äquivalenten, teils
ordinierten Begriffspaare Gegenstand und Zustand, Körper and
Bewusstsein, Physisch und Psychisch. Auch diesen also werden
— ganz allgemein und schematisch gesprochen — ObjektiTiUUs-
und Subjektivitätsgefühle zu Grunde liegen, und je nach ilirer
Verknüpfung mit Gefühlen von der einen oder anderen Art yM-
man von den Inhalten jener Vorstellungen Begriffe der einen
der anderen Gruppe aussagen. Dann können jedoch sowohl
Vorstellungsinhalte wie die Gefühle an sich weder objdtti^*"
noch subjektiv, weder körperlich noch bewusstseinhaft, weder fkj —
sisch noch psychisch sein, da ja alle diese Prädikate nur auf gewiss
Verknüpfungsformen von beiden sich anwenden lass^L Sonden
Heinrich Gomperz* Weltanschauungslehre. 301
werden dann für diese elementaren Bestandteile der Erfahrung
e Begriffe gebildet werden müssen, welche sich gegen alle
8 ontologischen Kategorien indifferent verhalten" (S. 306).
Zunächst lässt sich hiergegen einwenden, dass die Begriffs-
ie Objektiv-Subjektiv einerseits und Physisch-Psychisch anderer-
8 weder „äquivalent" noch „subordiniert" sind. Denn Physisch
Psychisch sind Bezeichnungen für (reale) Objekte, während
Begriffe Objektiv und Subjektiv sich auf das Verhältnis des
ennens zu seinem Gegenstand beziehen, mag letzterer nur
sisch, psychisch oder ideal (d. h. nur „gedacht") sein. Setzen
z. B. den Fall: ich will einen soeben erlebten Bewusstseins-
It analysieren (also etwas Psychisches erkennen), so kann
le Erkenntnis objektiv sein, d. h. wirklich den Sachverhalt
lanklich nachbilden", oder auch mehr oder minder starken
Bktiven Trübungen unterliegen.
Aber sehen wir einmal hiervon ab, nehmen wir auch an,
perz habe den hier in Betracht kommenden psychologischen
bestand richtig wiedergegeben, so ist doch kein Zweifel, dass
Worte „Vorstellung" und „Gefühl" wie für jedermann, so
i für ihn — ursprünglich — etwas Psychisches bedeuten, und
seine Behauptung, soweit sie psychologischen Inhalts ist, be-
: bei der Aussage: etwas sei objektiv, verbinde sich (im Be-
rtfiein des Aussagenden) die Vorstellung von jenem Etwas mit
n Objektivitätsgefühl (Entsprechendes gilt natürlich für den
iff „Subjektiv"). Nun identifiziert er aber dieses Erlebnis im
^enden mit dem gemeinten gegenständlichen Sachverhalt,
so wird aus dem genannten psychologischen Satz der erkennt-
leoretische (und zwar „psychologistische"): der als objektiv
3hende Sachverhalt (und zwar jeder beliebige) ist Verknüpfung
Vorstellung und Objektivitätsgefühl. Damit ist gesagt: dass
objektiv Bestehende „psychisch" sei. Gomperz vermeidet im
ide nur das Wort und entlässt uns mit dem tröstenden Aus-
auf einen noch zu erfindenden neuen Begriff.
Noch deutlicher zeigt sich in einem anderen Gedankengang,
er dem Psychologismus nur dem Wortlaut, nicht der Sache
entgeht. Die Vermischung von Erkenntnisvorgang und Er-
itnisgegenstand, die wir soeben bei der Behandlung seiner
^n Ur-E^emente Vorstellung und Gefühl festeteilten, macht sich
Uch auch geltend, wo er die Verknüpfung beider bespricht.
* belehrt er uns nämlich, wie wir schon oben gesehen haben^
302 A. Messer,
Gefühl und Vorstellung seien stets verknüpft; „Verknüpfung*' sei
natürlich eine „Relation" ; jede Relation aber sei selbst eine Ve^
knüpfung der Relationsglieder mU einem Relationsgefühl. Deshalb
habe es keinen Sinn, jene Verknüpfung der Ür-Elemente sds
„Relation" zu bezeichnen und sie somit einem weniger allgemeineD
Begriff unterzuordnen ; er werde sie darum mit einem neuen Namen
„Charakterisierung" nennen.
Wer denkt nicht da an das „Wort", das „zu rechter Zeit
sich einstellt"? Wie steht denn in Wahrheit der Sachverhalt?
Erkenntnisgegenstand ist hier das Verhältnis von Gefühl und
Vorstellung. Von diesem wird ausgesagt: es sei eine „Ve^
knüpfung". „Verknüpfung" aber als Begriff, also logisch be-
trachtet, ist zweifellos dem Begriff „Relation" untergeordnet. Der
letztere nämlich hat den grösseren Umfang: nicht bloss eine Ver-
knüpfung, sondern auch eine Trennung, eine Über- und Unte^
Ordnung u. s. w. kann als Relation bezeichnet werden.
Jetzt steigt aber Gomperz ein Bedenken auf — das freilich
nur aus einer ganz psychologistischen Denkweise entspringen
kann. Er sagt sich nämlich: Relation ist ja selbst nur eine
„Verknüpfung" von Vorstellung (der Relationsglieder) und (Rela-
tions-) Gefühl; also ist Relation vielmehr der Verknüpfung unte^
geordnet.
Aber — so müssen wir dagegen erklären — nicht die Rela-
tion selbst ist eine Verknüpfung von Vorstellung und Gefühl;
höchstens das psychische Erlebnis, in welchem ich die Relation
„meine", ist eine Verknüpfung der genannten Bewusstseinselemeote;
die Relation selbst ist der Gegenstand dieses psychischen Erleb-
nisses, genauer: die das Erlebnis durchwaltenden ,Jntenti(Hi"
(„Meinung''). Es hat aber keinen Sinn, die als objektiv konsta-
tierte Verknüpfung von realen psychischen Ellementen eines Erleb-
nisses einem der darin gemeinten Begriffe als (logisch) über- oder
untergeordnet zu nennen. Ganz wohl aber können wir die
Begriffe „Verknüpfung" und „Relation" — beide als „Begriffe",
als logische Inhalte gefasst — auf ihr Verhältnis logischer Übe^
oder Unterordnung untersuchen. —
Hat uns bis jetzt die „pathempirische" Methode beschäftigt,
so wollen wir zum Schluss noch in aller Eürze der „dialektischen''
Methode gedenken und zwar wollen wir uns auf den Gedanken
beschränken, durch den nach Gomperz' Darlegung (S. 302) dfe
dialektische Methode auch noch den Standpunkt des »^blossen''
Heinrich Gomperz' Weitanschauungslehre. 303
„Pathempiristen" überwindet und in sich aufhebt. Abschliessend
und selbst unaufhebbar soll nämlich die Erkenntnis sein, dass für
den „Animisten" und „Metaphysiker" die Dinge objektiv, für den
„Ideologen'*, „Kritizisten" und (blossen) „Pathempiriker" die Dinge
subjektiv sind (S. 303); kurz, dass die Dinge objektiv oder sub-
jektiv sind, je nachdem sie dafür gehalten werden.
Diesen letzten Schritt der dialektischen Methode können wir
freilich nicht mittun; er führt, soweit wir sehen, ins Bodenlose;
der Wahrheitsbegriff selbst scheint uns damit „aufgehoben" zu
werden.
Denn die beiden gen. Gruppen von Denkrichtungen in einen
Gegensatz zu stellen, hat doch nur Sinn, wenn ihre Aussagen
denselben Gegenstand betreffen. Meinen sie also mit dem Worte
„Dinge'* dasselbe, so können die widersprechenden Sätze: „die
Dinge sind subjektiv** und „die Dinge sind objektiv** nicht beide
wahr sein — oder ich weiss sonst nicht, was das Wort „Wahrheit**
bedeuten soll.
Aber da ich vorläufig annehme, dass Gomperz nicht auch
den Satz des Widerspruchs zu „überwinden** beabsichtigt, so kann
ich mir seine paradoxe Behauptung auch nur wieder durch eine
der Begriffsverwechselungen erklären, die uns ja jetzt nichts Auf-
fälliges mehr bei ihm sind.
Die Vertreter jener fünf Denkrichtungen meinten natürlich
mit ihren Aussagen eine von den Bewusstseinserlebnissen beim
Auffassen und Aussagen selbst verschiedene Gegenständlichkeit.
Und auf diese bezogen, bleiben ihre Sätze nach wie vor unver-
einbar. Gomperz aber verwechselt wieder die gemeinte Gegen-
ständlichkeit und die Erlebnisse des Auffassens und Aussagens
und kommt so zu seinem wunderlichen Ergebnis. Heben wir nun
unsererseits diese Verwechselung auf, so bleibt es bei der Fest-
stellung, dass die eine Hauptrichtung der Kosmotheoretiker die
Dinge für objektiv, die andere für subjektiv hält und erklärt,
weil die ersteren die Vorstellungen der Dinge mit Objektivitäts-
gefühlen, die anderen sie mit Subjektivitätsgefühlen verknüpfen.
Um diese Erkenntnis aber zu gewinnen, hätte es doch wohl der
neuen „dialektischen** Methode und ihres Weges durch die fünf
Stufen der „Kosmotheorie** nicht bedurft.
Die neu aufgefundenen Kantbriefe.
Mitgeteilt von Prof. Paul Menzer in Marburg.
Seit dem Erscheinen von Kants Briefwechsel in der Ausgabe der
Berliner Akademie der Wissenschaften hat sich das Interesse für Bnefe
des Königsberger Weisen erheblich gesteigert und manch wertvoUei
Schreiben zu Tage gefördert. Und man darf wohl sagen, dass jeder M
aufgefundene Brief gerade in diesem Falle mit besonderer Freude begM
werden muss. Während wir von Goethe eine so überwältigende Pulle v«
Selbstzeugnissen oder Zeugnissen anderer besitzen, fliessen unsere QaeUen n
Bezug auf Kant ziemlich spärlich. Überhaupt war sein Andenken bâ
denen, die ihm nahe standen, nicht besonders gut aufgehoben. Von den
jugendlichen Kant erfahren wir durch seine Biographen nur einige Anekdottt
und von dem älteren geben sie uns kaum ein lebendiges Bild, sei es^dassdieZa'
rückhaltung eines Freundes, sei es, dass die Verehrung eines Schälen da
unmittelbaren Eindruck seines Wesens nicht geben wollte, oder nicht n
geben wagte. Nur von seinen letzten Jahren und Tagen besiteen wir cd
treues, wir müssen sagen, allzutreues Bild, das uns nur mit Schmerz Ute
das Hinsiechen eines solchen Geistes erfüllen kann. Es ist ein vaiexi^
lieber Verlust, dass wir von dem jugendlichen Kant so wenig wissen, ^
Kant, der aus den Vorreden seiner ersten Schriften so jugendmutii vi
kühn zu uns spricht, der so rücksichtslos liebgewordene MeimmgeDi^
störte und sich vor gänzlicher Verwerfung festgeglaubter Theoreme iii<*^
fürchtete. So war es mit grösstem Dank zu begrüssen, dass Groethnji*
uns den Brief Kants an Lindner vom 28. Okt. 1759 mitteilte, in dem dtf
jugendliche Magister sich also vernehmen lässt: ^Ich meines Theilsiii*
täglich vor demAmbos meines Lehrpults und führe den schweren Haoist'
sich selbst ähnlicher Vorlesungen in einerley Tacte fort. Bisweilen iti^
mich irgendwo eine Neigung edlerer Art mich über diese enge ^pM*
etwas auszudehnen, allein der Mangel mit ungestühmer Stinmie sogbî^
gegenwärtig mich anzufallen und immer wahrhaftig in seinen DroM*
treibt mich ohne Verzug zur schweren Arbeit zurück intentât aap*
atque intonat ore."
Dieser Brief war einer der letzten, den der um das Andenken liii^
so hochverdiente Oberbibliothekar Rudolf Reicke noch kurz vor seinem 1^
lesen durfte. Er gerade hat mit besonderer Freude es begrüsst^ wenn ad^
an seinem Plan alle Briefe Kants darzubieten mitarbeiteten. Leider ist eii^
nicht vergönnt gewesen, sein Werk ganz zu vollenden: der vierte Band d»
Briefwechsels steht noch aus. Doch es besteht die Hoffnung, àiBt^
^
t)ie neu aufgefundenen Kantbriefe. 305
e, von Reicke angesammelte Material in nicht allzu ferner Zeit dem
Lkum dargeboten werden wird. Reickes Nichte, Fräulein Rose Burger,
reue Mitarbeiterin seiner letzten Jahre und mit seinen Manuskripten
Plänen vertraut, wird im Verein mit Johannes Reicke und dem Unter-
neten den Band bearbeiten und zugleich in ihm all die neu aufge-
3nen Briefe im Zusammenhang bringen. Umfangreiche Anmerkungen,
eue Aufschlüsse über Kants Leben enthalten, werden beigegeben werden.
Inzwischen erscheint es nützlich, die Leser der „Kantstudien" über
1 aufgefundene Briefe zu orientieren.
Der erste Brief wurde von Dr. Erich Ebstein in der „Deutschen
zinischen Wochenschrift** 1907 in No. 47 veröffentlicht. Ich gebe
t den Text.
^&0. <^o^(geb. ^abe hit S^te meine fo eben erhaltene mebidnifc^e
Tc^e aujuf (Riefen, ^ie ^lad^tid^t be« ôerm 93ûron oon ^fc^ ift, bem
^fa%e naâ^, eben biefelbe, bte 6ie in ben gdttingifc^en gel. ^n^eigen
m gelefen ^aben, unb oermut^Uc^ oon eben bemfelben auc^ bort^in übet-
ben, toeil et mit gebuchtet Unioerfltât in ^ortefponben) fle^t ^oc^ ift
itoepte "Slbfa^ beéfelben 93latteé neu unb nic^t in bec gbtting. Seitung
Iten. 3(^ bin in biefem Gtücte ber 9Ü>{epnung beé 5c>emi 93aron
^f(^: bog nämlic^ bie epidemia quaest. felbfl oon bet QBeftffifle be«
£anbe« oon ameuta ^et fepn möge, n>eU bie 9<ufftn biefetbe nun
retft )u befuc^en anfangen, unb fle t)on ba nac^ ben futilifc^en
n fbnnen gebtac^t ^aben, mit toelc^en fle gleichfalls Q3etfe^t tteiben, oon
'. benn but(|^ eine, mit stoat unbefannte, abet bo(^ oetmut^lic^e Gemein-
bet untet Œ^ina gehörigen 97{anbfuten, t>om ^mutfKtom anê, mit ge-
rn furilifc^en 3nfeln (beé ^el^toetf« n>egen,) f^at nac^ Œ^ina unb fo
c oetbteitet toetben fönnen. ^enn toäte fle nic^t but(^ itgenb eine neu
ete ®emeinf(^aft auf unfet alte« ^ntinent gefommen, toantm f^attz man
ein fo fernen laufenbe« ®ift nun aOetetft entfielen fe^en? 9n ben eng-
I Seitungen flanb oot einigen QBoc^en bie 9la(^ti(^t: bag bie Snfluen^a
Septembetmonat in America unb ben engl. Kolonien flc^ ^etoot«
n unb bid ^bilobelpbiû audgebteitet ^ütte, Q3on ba fdmtte man mit bet
nrfa^ten, ob bie 6eu(^e aué QBefKen, folglich bem Snnetn oon America,
aué Often, mithin oetmittelft bet eutopäet baJ^in gefommen ^ai leitete
t toa^tfc^einli^et, eben batum, toeil fle in ^metifa alletetft anfleng, ali
ivopa ft^on bié )u beffen toeftlic^en 5^fle butd^taufen ^attt; auc^ i)ahtn
nbianet toenig ®emeinf(^aft unteteinanbet.
3^ glaube bepna^e, bag biefe« bie le%te ^ladf^tic^t fepn toetbe, bie ic^
biefen ^unft ^abe ettoatten fönnen.
ben 31. ^ec. 1782. 3- Äant-*
Der Brief ist gerichtet an den Hofrat Dr. Johann Daniel Metzger,
dessen Beziehungen zu Kant wir schon durch Reickes Abdruck der
iricht an Ärzte" in den „Neuen Preussischen Provinzialblättem"* aus
Jahre 1860 erfahren haben. Weiter wird uns das Interesse Kants am
«ten der Influenzaepidemie bestätigt durch den Brief von Arndt an
vom Frülgahr 1782 (Briefwechsel I S. 263 f.), den Brief von Kraus im
1782 (Briefwechsel I S. 264) und den von Berens an Kant vom
^pril 1782 (Briefwechsel I S. 264 f.)* Ebstein teilt nun mit, dass
306 P. Menzel^,
ausser den erwähnten Nachrichten eine solche eintraf von dem entes
Feldarzt der vereinten Armee und Stabsarzt G. Th. Freiherr von kvk
Sie ist von Ernst Baidinger in sein ,,Neues Magazin für Äizte"" Bil
S. 261, Leipzig 1783, aufgenommen worden. An dieser Stelle findet nck
auch der oben abgedruckte Brief (S. 260) unter der Überschrift: „Hem
Hofrath Metzgers Beyträge zur Geschichte der Influenza von 1782"*. Die
Notiz in den Göttingischen gel. Anz. hat Ebstein ebenfalls abgednxkt
und es sei zur weiteren Orientierung auf seine ausführlichen Erlftaternnges
in der Med. Woch. verwiesen.
Ein anderer Brief wurde von Adolf Kohut in der „Gegenwirf
(No. 39) am 28. September 1907 veröffentlicht. Er ist an Biester mter
dem 31. Dez. 1784 gerichtet. Das Original ist bisher nicht aufgeftmdei
und so sind wir Kohut zu Dank verpflichtet, dass er zuerst eine Abschrift
veröffentlichte, welche er in der Dresdener Bibliothek entdeckte. Si«
findet sich unter den „Ebertiana^ Vol. 3. Die Abschrift macht den ^
druck grösster Sorgfalt, die Kantische Gewohnheit, Datum und Angabeort |
unter den Brief zu setzen, ist beibehalten und auch die sprachlidic^
Eigentümlichkeiten sind bewahrt worden. Leider hat Kohut einen hödtf^
ungenauen Text übermittelt. Wichtige Worte, z. B. das zweite Wort àf^
Briefes „zwey'S und einen ganzen Satz hat er ausgelassen, so dass à^
folgende Abdruck als der erste authentische gelten darf:
^eiUegenbe ^toeç 6tä(f e überliefere i^ toürbigftet ^eunb (u beHcbi^
©ebtûu^e. ©elegentli^ toünf^te ic^ tvo^l p t>enie^men, nic^t fotoo^ «Ki^
bûd ^ublifum barûn beifuUdn)ürbig, fonbetn noc^ )u beftt>eri(en {Itiben xMf^
^enn in betgleidf^en ^uffö^en ^ûbe id^ ^toav mein ^ema {eber^eit ooQfiMA
bur^gebû^t, über in ber *i^udfa^ntng ^ahe xéb immer mit einem ddoiffe^
jbûnge jur QBeitläuftigfeit )u föm^fen, ober id^ hin fo ^u fagen bon^ ^
^O^enge ber ^inge, bie flc^ )ur t)o0{tänbigen (Sntioictltttig barMeten, fo ^
läftigt, t>a% über bem OBeglûffen manche« ^Bendf^igten bie 93oacnbttii9 he^
3bee, bie ic^ boc^ in meiner Semait ^aht, ^u fehlen fc^eint ^an t^ccfM^
fi(^ olébûnn too^l felbft ^inreic^enb, über man n>irb ^nbetti nic^t bfcpfinttfl
unb befnebigenb genug, ^er ^int eined einfe^enben unb anfdc^tfgfi'
<?reunbe^ !ûnn ^iebet^ nü^ttc^ toerben. ^uc^ möd(^te i(^ mamtigmd M^
toifTen, toelc^e ^ûgen bû« ^ublitum toof^l um Uebften ottfgeldfet fe^en mM^
9lö(^ftend n>erbe ic^ in ^toeç bon ben bié^edgen oerfc^^iebenen ^S^B^ wtl^
f(^n)eifen, um ben ©ef^mûcf bed gemeinen QBefend aud^uförfc^en. 9i MS
beftänbig über 3been brüte, fo fe^lf d mir nic^t an Q3ortat^, too^l ob« tm
einem befitimmten ®ntnbe ber ^uén)a^l, ingleicben an 3etl^ midft obgebrot^aM^
^efc^öftigungen ^u n>ibmen; ba ic^ mit einem ^iemlic^ oudgebti^nten CbûpuN^
ben x<fy gern bor bem ^erannaf^enben Unoermögen bed Wieté onlgefW^
^aben möchte, befc^öftigt bin.
90^eine moralifc^e ^b^anblung n>ar etn>a 20 ^ge bot ^Md^ isâiflr
bet^©runert; aber er fcbrieb mir, ba# er pe auf bie90îeffe nic^^t ^gfiMf*"
(önnte, unb fo mu^ fle bid )u Oftem liegen bleiben; ba i(^ bemi oon ^ ^
laubni^, bie 6ie mir geben, ©ebrauc^ machen toerbe
3(^ bin mit ber ooUtommenften ioo^Kic^tung
^önigdberg 3^r ergebenfter
b 31. ^ec. 1784 I K»Dt
Die neu aufgefundenen Kantbriefe. 307
Ebenso unkorrekt wie der Abdruck sind aber auch Kohuts Anmerk-
jen. Es wimmelt in ihnen geradezu von Fehlem und seine Schluss-
Iferungen hätten durch ein Verzeichnis Kantischer Schriften eine Wider-
ang erfahren können. Ich gehe deshalb auf sie nicht weiter ein,
dem bemerke, dass die beiden Stücke wahrscheinlich die Schriften:
►er die Vulcane im Monde" und „Von der Unrechtmässigkeit des
hemachdrucks" sind. Die erstere erschien im Mftrzheft, die zweite im
lieft der von Biester redigierten „Berliner Monatsschrift". Eine Em-
igsbestätigung durch Biester fehlt uns ; erst im Brief vom 5. Juni 1785
Ihnt er „den vortrefflichen Aufsatz, womit der Mai geziert ist",
chzeitig bezieht er sich auf die „ähnlichen Geschenke", welche Kant
prochen hat und fügt daran die Bitte: „Gebrauchen Sie bald unsem
d, um durch uns Ihre Rede ans Publikum zu bringen."
Dass die beiden Stücke die bezeichneten waren, lässt sich auch
h Kants Bemerkung, er wolle „in zwei von den bisherigen verschiedene
er ausschweifen" wahrscheinlich machen. Diese Wendung würde vor-
lich passen auf die Schriften: „Bestimmung des Begriffs einer
schenrace" und „Mutmasslicher Anfang der Menschengeschichte",
he im November 1785 und im Januar 1786 erschienen sind. Die
^re Schrift lag auf einem Gebiet, auf dem sich Kant nicht ganz zu
le fühlte. Als Breitkopf am 21. März 1778 ihn bittet, seine in dem
Ätz „Von den verschiedenen Racen der Menschen" (1775) niedergelegten
îliten breiter auszubauen, antwortet er im Brief vom 1. April 1778
einend, indem er auf die seine ganze Kraft in Anspruch nehmende
it: an der Kritik der reinen Vernunft hinweist und dann hinzufügt:
it^ns müsste es wolil ein abgesondertes Werk sein und könnte
dxlich einen Teil von einer durch andere zu bearbeitenden Naturge-
^te werden, weil alsdann meine Aussichten sehr müssten erweitert
^n und das Spiel der Bacen bei den Tier- und Pflanzen-Gattungen
turlich betrachtet werden, welches mich zu sehr beschäftigen und in
ausgebreitete Belesenheit verflechten würde, die doch gewissermassen
K* meinem Felde liegt, weil die Naturgeschichte nicht mein Studium,
*Ti mein Spiel ist und meine vornehmste Absicht, die ich mit der-
^ habe, darauf gerichtet ist, die Kenntnis der Menschheit auch ver-
^t ihrer zu berichtigen und zu erweitem". In einem anderen Sinne
^^ dann Kant in der Schrift über den „Mutmasslichen Anfang der
-hengeschichte" von den gewohnten Bahnen ab. Er will „eine blosse
^ifie" wagen und verwebt kühn geschichtsphilosophische Konstruktion
**ier „heiligen Urkunde" (1. Mose, Kap. II— VI), die ihm „als Karte"
^ soll. Und gerade diese Schrift kann im Zusammenhang mit dem
^ Brief vielleicht zu einigen Betrachtungen Anlass geben. Kant
2u dieser Zeit in der zweiten Epoche seiner schriftsteUerischen
fc^it. Nach der überraschend schneUen Produktion der 60ger Jahre
^ie grosse Pause bis zur Veröffentlichung der Kritik der reinen Vernunft,
'^heinen nun die grossen systematischen Werke in der kurzen Zeit
^twa 10 Jahren und nicht ohne Besorgnis sieht Kant auf die gewaltige
^^, wenn er an sein zunehmendes, ihn allzufrüh peinigendes Alter
^* Aber das von ihm so oft empfundene Bedürfnis, populär zu
308 P. Menzety
schreiben, erwachte erneut in ihm. Er wollte sich auch wohl gelegentlieh
unabhängig von der schweren Rüstung der philosopischen Begrif&spnuüie
freier ergehen und ausruhen in der Beschäftigung mit leichteren Problemen,
für die er doch immer die Lösung in der Kritik der reinen Vemonft mit*
gefunden hatte. Auch versuchte er früher schon behandelte, besonden
die entwickelungsgeschichtlichen Fragen mit den werdenden Ideen seiner
Etliik in Einklang zu bringen. Den so entstandenen Schriften wohnt da
eigentümlicher Reiz inne. Wir erfreuen uns an der stolzen Sonverftnitit
eines Geistes, der über den Dingen steht und das Bedürfnis empfindet,
aus seiner Höhe zu der Menschheit mahnend und belehrend zu treten;
ein Pädagoge des Menschengeschlechtes spricht zu uns. Und mit d&
Leichtigkeit des Stoffes scheint Kant auch die Leichtigkeit seines schiift*
Steilerischen Ausdruckes wiederzugewinnen, die wir an den Schriften der
sechziger Jahre beobachten. Diese kleinen Aufsätze der 80er Jahre sind
oft stilistische Meisterwerke. Und wer könnte sich dem feinen Spiel
seines Witzes entziehen, wer wird nicht gern dem eleganten Zuge seiner
Gedanken folgen, die leuchtenden Blitze seines Geistes nicht bewundern,
die Lösungen mehr ahnen lassen, als sie wirklich geben? G^legentlick
hören wir auch einmal ein kräftiges Wort gegen die seichte Schwftnnerei
seiner Zeit und leise pessimistische Töne über das menschliche Leben,
dessen Bürde er schwerer und schwerer empfand. Und wie eine Vo^
ahnung des Todes mutet es uns an, wenn es oft die Fragen nach dei
letzten Dingen sind, die sein Gemüt bewegen.
Wir verlassen damit den Brief an Biester und bemerken nur noch,
dass die dort erwähnte „moralische Abhandlung'^ die Grundlegung nr
Metaphysik der Sitten ist. Der Brief Grunerts ist nicht erhalten, doch
aus anderen Quellen erfahren wir, dass das Manuskript der genannten
Schrift im September 1784 abgeschickt war, dass aber erst am 7. Apiil
1785 Kant die ersten gedruckten Exemplare erhielt (VgL Ausgabe der
Akademie IV S. 628.)
Der dritte Brief ist von A. Hamack der Akademie der Winen-
schaften vorgelegt worden, er befindet sich in der Handschriftenabteihinf
der Königlichen Bibliothek, wo Direktor L. Stern ihn auf&nd. Der
Text lautet:
„iôo^ebelgebo^mer ioert
f»Q(^5ue^renbec âerr ^J^agifter.
Sd ift (ändft mein QBunfc^ getoefen, bag flc^ {emanb finben mJUi^ bcr
6û(^- unb 6)>ra(^-^enntni« gnug ^me unb bie S^riti! ind Satdiiiff^e |n &^
trügen 95elieben trüge, ein gettjiffer ^ofeffor in 2t\p^iQ, ein ouf be^ *t
gefc^icfter ^am, ^atte ftc^ t>or einigen Sauren \>Qn iObft boèu uer^oaboi;
über Dermut^U^ (toie ber feel, iôûr^oc^ baffir ^ielt) koegen fiber^ditfter aabcm
"^efc^äftigung, um feine fc^male Sinlttnfte au ergänzen, ed toieber liegen toffn-
iberr ^rof. Schütz in 3enû, bem bie« ^ov^ahtn hamM conunonicirt mi^
^ielt bafttr, bû§ Don feiner (be« £ei))siger Prof.) ^eber, bur<l^ Gefttffeii^ bcr
äc^tloteinifc^en eieganj, n>ieber bie ^aBttcbfeit leidet berftofen toecben Wtt,
unb tnoUte harnais e« übernehmen, bie (ibetfe^ung in biefer QRMfic^t fettp
burc^ftuge^en, loelc^e« bann burc^ obige Urfac^e jugleic^ untei^eben ip.
t)ie neu au^fundenen Kantbriefe. 309
^u4 bet ^xobt, koelc^e 6ie bie ®fite gehabt ^aben 3f»i:em93tiefe bet^^uffigen,
crfe^ i(^ : ba§ 6ie bie testete Gc^toiedgf eit gar koo^l t>ennetben unb bo(^ )u-
^lei^ burc^ Gtennanismen, toie eö but(^ ^eutfc^e oft gefd^e^en if(, ben ^u4-
n^drtigen nic^t unt>erfltänbU(^ fet^n toiirben unb, koegen bed )u treffenben Ginned,
ff%e i(^ in Sf^te Sinfi^t, nûcb einem fo beharrlichen Gtubium, beffen 6ie biefed
QBBert geioürbigt f^aben, ebenfotoof^l t>5aiged 93ertrauen.
fangen 6ie atfo, QBttrbiger ^ann, biefe Arbeit getroft an. QJieUefc^t
tikdt fie mit ber 93efantf(^aft, bie fl^ mit biefen Sachen burc^ bie 93ef(^af«
tilting felbft f»ert>orftnben n>irb, fd^neOer, atô 6ie felbfi {e^t termufben, fort,
fpba§ i(^ i^re iôerauégabe noc^ erleben fan.
âiesu kofinfc^e ic^ gute ©efunb^eit unb fonft guted ®ebeif»en aOer 3^rer fib«
ri^en guten ^bftd^^ten unb bin mit ber DoQtommenfiten iooc^ad^tung
&o, iooc^ebelgeboren
1792 Koenigsberg ergebenfter ©iener
d. 16 October I. Kant.
Der Adressat ist Rudolph Gotthold Raht, welcher im Jahre 1814 als
Bektor der vereinigten protestantischen Schulen und ausserordentlicher
Professor an der Universität Halle gestorben ist. £r schrieb am 8. Sept.
1792 an Kant (XI S. 352/3): „Ich wage es £w. Wohlgeb. einen Entschluss
von mir mitzuteilen, dessen Ausführung einer meiner innigsten Wünsche
ist; den Entschluss, die Kritik der reinen Vernunft in das Lateinische zu
fibersetzen." Er fasste diesen Entschluss, obgleich er sich klar war, dass
seine Absicht nicht „merkantilisch" von Erfolg sein könnte. Ihn trieb
^die Begierde, die überkultivierten Nationen mit der Kritik bekannt zu
machen, und die Begierde nach dem Ruhme, bei déh Völkern, wohin Sie
iMrandem würden, Ihr Dolmetscher zu sein". Als Probe seines Könnens
legte er eine Übersetzung der Anfangsworte der Einleitung zur Kritik
d. r. V. nach der zweiten Auflage bei. Früher als Raht hatten sich
bereits der Feldprediger Johann Bobrik und der Leipziger Professor
Friedrich Gottlob Born mit einer solchen Übersetzung bemüht. Ersterer
berichtet am 20. Nov. 1782 (Briefwechsel I S. 274 f.), dass er eben „die
Übersetzung der Antinomie der r. Vernunft zu Ende gebracht**. Der Plan
kam nicht zur Ausführung. Kant, so berichtet Hamann, war mit ihr.
nicht zufrieden: „Er soll sich beschweren, dass er die lateinische Über-
setzung seiner Kritik selbst nicht verstehe"". (Hamanns Schriften VI. 305
und Oildemeister V, 339). Born teilte Kant am 7. Mai 1786 sein Vorhaben
mit. Dieser ging darauf ein, doch Born arbeitete nicht gerade schnell.
Hartknoch, welcher der Verleger sein sollte, schreibt am 26. Aug. 1789
an Kant: „Herr Prof. Born arbeitet scheint gar nicht an der Über-
setzung ... Er hat schon l&O Thlr. Vorschuss erhalten**. So hatte Kant
allen Grund an dem Zustandekommen der Übersetzung zu zweifeln. Er
brach deshalb wohl die Korrespondenz mit Born ab, wenigstens können
'wir eine Antwort auf dessen Brief an ihn vom 10. Mai 1790 nicht nach-
weisen. Erst im Jahre 1796 erschien mit der Kritik der reinen Vernunft
beginnend eine 4 bändige lateinische Ausgabe von Kants philosophischen
Schriften durch Bom.^) Rahts Plan blieb unausgeführt.
1) Vgl dazu die Briefe No. 249, 263, 303, 304, 819, 404.
xui. ^\
310 P. Menzel»,
Schliesslich seien hier noch zwei Briefe Kants an Hnfeland
mitgeteilt. Der erste wurde in dem Autographenkatalog No. XXXTX von
J. Halle in München angeboten nnd dort zum Teil abgedruckt. Er e^
scheint hier vollständig und lautet:
^oeni9«betd b. 19 ^rU 1797
Qxo: QBo^tgeb.
koecben ^offenüxa^ meinen, burc?> Am. ^. ^eblänber in 93ertttt an 6if;
mit bet ^antfûdung für 3^r ®ef^enf be^ 93u(^d t>on ber SebendDedta*
gerung obgelûffenen, ^rief erholten ^ûben. — Sect erbitte xâ^ for l)et,
toel^er 3f»nen ben gegentoärtigen )u überreichen bie ^^tt ^, âca
Motherby ^etoogenf^eit unb ^eunbfcbûft einen Don ^ngtânbifc^er ^M«af(
in ^önigeberg gebo^renen Jungen ^ann t>on grogem Talent, t)te(er fc^on f^
toorbenen S^entnié, feftem Q3orfû^ unb tugenbf^after, babeç offener unb menf(^-
freunbUcber ^entungéûtt, tt)ie fein QJater ber engl, ^^ego^iont alliier, tm
jebermann geortet unb geliebt unb mein t>ieliäf»riger Dertrautet ffreunb ift -
QBû« Don mir unb, toaé fonp ûuf unferer UniDerfltät in fein ^aâ^ (We ^^
bi^in) einf^lûgenbeé )u lernen toax, i)at er grfinblic^ gelernt unb ]o bitte i4
i^m bie mehrere unb größere ioielf^queHen für fein Gtubium au(^ S^reé Ottt
5U eröfnen ; koobet^ er toegen bed bû)u erforberli^en 5^of^enaufh>anb4 nic^t ii
^erlegen^>eit fet^n »irb.
^ix ift ber®eban!e in ben ^o)>f getommen: eine^iäteti! )u entioerfci
unb fol^e an eie au abreffiren, bie blo« ,,bie <=ma(^tbed®emfit^i fib«
feine tranf^afte förperli^e ^m^flnbungen „au^ eigener ^a^ntng i»orfieiKf
machen foH ; toelc^e ein, n>ie icb glaube, nic^t )u t>era(l^tenbed (périment o^e
ein "ianbered, aie )>ft^^ologif^ed "iHraneçmittel, boc^ in bie £e^ve ber 9ReMcn
aufgenommen |u n>erben oerbiente; n>el^ed, ba i<fy mit ^nbe biefer 9ßo<^ii
mein 74fted Sebenéia^r eintreten unb baburc^ bieder glficflic^ aUt toMS^
^anf^eit (benn Unpöglic^teit, toie ber {e^t epibemifc^ ^ertfc^enbe Upfbt
briicfenbe Sat^arr, n>irb f^iep nic^t gerechnet) abgetoe^rt f^abe, too^l GlosNi
unb 9Ra(^folge betoirten bürfte. — ®o(b mug i^ biefed, toegen anbertoeiH^er
93efc^äftigung, \e^t no^ auéfe^en.
'^em 9)^anne, ber £ebenöt>erlängerung mit fo einleu^tenben Qhunbo
unb ^e^fpielen le^rt, langet unb glüctlic^ed geben ju tofinfc^en, xft fcbulMge
^flic^t, mit beten ^nerfennung unb ooQfommener ioocbac^tung ic^ ieber^eit bbi
3f>t etgebenftet tteuet ^enet
I. Kant,
^n ben Äetten
®octot bet ^t^ne^gela^ttf^eit
unb ^tofeffot Hufeland
in
b ginf(blul. Jena.
Am 12. Dez. 1796 hatte Hufeland sein bekanntes Buch ^Makrobiotik
oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängernd^ an Kant, den „ell^
würdigen Nestor unserer Generation^ gesandt, doch erst Mitte Man ge-
langte es in des letzteren Hände, wie die Nachschrift zum Brief an Hidb-
land ergiebt. Deshalb hat ihn Reicke nach dem 15. März 1797 angeseilt
Aus Hufelands Brief vom 30. Sept. 1797, wo er zwei Briefe Kants «^
wähnt, hatte der Herausgeber des Briefwechsels dann an! einen änderet
ÎMe neu aufgefundenen Santbriefe. 311
Brief g^eschlossen und ihn zu Mitte April 1797 angesetzt. Der neu aufge-
fundene Brief bestätigt also ziemlich genau diese Vermutung.
Den Anlass zu diesem Brief giebt ja der Text selbst, es war ein
Empfehlungsschreiben für William Motherby (1776—1847), den dritten
Sohn eines Freundes, über den sich Hufeland in seinem eben genannten
Brief sehr schmeichelhaft äussert. Weiter vermehrt der Brief unsere
Kenntnis über die Entstehungsgeschichte der Schrift »Von der Macht
des Gemüts*' etc., welche zuerst in Hufelands ,,Joumal der practischen
Arsneykunde und Wundtarzneykunst" im Jahre 17d8 (V. Bd. 4. Stück)
erschien und in demselben Jahre in den ,,Streit der Facultäten'^ auf-
l^nonunen wurde. Vorländer hat darüber im 7. Band der akademischen
Kantausgabe S. 340 f. berichtet.
Der zweite Brief an Hufeland ist das Begleitschreiben zu der
fertigen Abhandlung. Es wurde zuerst von Ebstein als Facsimile ver-
öffentlicht in der Festschrift herausg. von der Gesellschaft der Münchener
Bibliophilen (1908, S. 7). Es lautet:
^önt9«berd b. 6 ^ebr 1798
Äier ^aben 6ic, ®ce^rfefter 5reunbl bie üerfpro^ene ^b^anbïung
^oon ber ^aâ^t be« ©emüt^«'' zc, toet^e 6ie nûc^ 3btem 93elieben in 3 b r
3ouma( etnrücfen, ober anâ^, toenn 6te e« gut finben, [ober auâ^] aie eine ûbgefon«
berte Gcbrift, mit 3^rer 93orrebe ober ^nmerfungen begleitet, ^ttani geben
fönnen; n^obeç iâ^ ftugleicb û0en Q3erbû(bt ûlé ob icb auâ^ n)0bl ^utorfportetn
beobfidt^tigte, oerbitte.
ossäre etloû« im großen 9Reic^t^um 3b^er mebicinif^en ^enntniffe^ toûi
mir in "^nfef^ung meiner ^röntli^tett, bit ic^ 3bnen bef^deben f^ûbe, iôfilfe
ober €rlei(bterung t>erf^ûffen fdnnte: fo toüvbt mir bie 90^itt^eilung beffelben
tn einem ^nDûtf(!(^reiben ûngene^m fe^n; n)ien)of»l i^ offenherzig gefielen
oiti§, bag icb n)enig bûDon ectoarte itnb beé iôtppocrate« iudicium anceps,
experimentum periculosiim )u bef^er^igen übectoiegenbe Urfacben ^u ^aben
0lmibe. S« ift eine groge Günbe alt gett>orben ^u feçn; bûffir man aber
aucb obne ^erfc^onen mit bem $obe befhraft n)irb.
^a% biefe« 3t^nen nur naâ^ einem langen unb glfictlidf^en geben tt>ieber-
fiM^re tt>finf(^t
3^r 93ere^rer unb ergebener
treuer ®iener
I. Kant.
97.6. 6o balb n)ie mdglicb n)firbe iâ^ mir bie iberaulgabe biefer
3cbrift erbitten unb, tt>enn e« feçn !ann, einige n)enige ^emplare berfelben.
I. K.
Eine Antwort Hufelands ist un.« nicht erhalten, doch finden sich auf
dem Brief einige Notizen von ihm, welche eine Diagnose und Medikamente
fflr Kant enthalten. Ebstein hat sie, wie folgt, entziffert:
{^eu>tn\â^to&â^t be* ^Iteri — Congestiones capitis — irrenbe öicbt —
^Ifle ^age Prictio corpjoris] — SlaneHne 93enb[ungl — QBö<^>entL einige (?)
^uftbaber (?) mit (?) Ganb (Genf?) — tagt. 93en>egung. QBdc^entL 2—3 mal
^Pif. Gu^ac[i] 3 III Lact. Sulph[uris] Extr. Seneg. Rhab. ann 3; Extr.
T[ett]crfi] g. s. ut. F. pil. gr. 11 12 (?) etücf. ^rfi^ia^r unb iberbft eine 5^
tMqt Ißod^tn lang biefe ^\üm tagl Et. caet.)
312 P. Men z er, Die neu aufgefundenen Kantbriefe.
Früher war Marcus Herz medizinischer Berater Kants, jetzt sollte
es Hufeland sein, aber seine Mittel konnten den raschen Krftftefall dei
schwachen Körpers nicht aufhalten. Die Klagen, welche wir in beiden
Briefen zu hören bekommen, ertönten nicht zum ersten Mal. Ergreifend
ist es zu vernehmen, wie Kant den ihn quälenden Kopfdruck von einer
eigentümlichen Beschaffenheit der Luft abhängig macht und sogar ein
Katzensterben in England damit in Verbindung bringt und von der Zu-
kunft Besserung seines Zustandes erhofft. Ergreifender aber ist es viel-
leicht noch, wenn wir das letzte Werk Kants prüfen und die hülflosen
Bemühungen des Greises verfolgen, durch immer von Neuem wiederholte
Definitionen eines und desselben Begriffes die irrenden Gedanken fest-
zuhalten. Unermüdlich hat er bis zuletzt geschaffen oder zu schaffen
versucht und beide Briefe bezeugen von Neuem, wie er das Geschick
zuerst zu meistern suchte, dann in ruhiger Resignation dem Zerstönings-
werke der Natur an seinem Körper zusah, das schliesslich ihm das Be-
wusstsein und damit die peinigende Qual seines Unvermögens nahm.
Vorschlag zu einer Änderung
ixtes von Kants Kritik der praktisclien Vernunft.
Von Dr. Heinrich Romundt.
Veröffentlichungen über Kants praktische Philosophie, zamal für
Kreise, wird kaum je die berühmte Apostrophierung der Pflicht,
in der Kritik der praktischen Vernunft, 1. Teil, 1. Buch, 3. Haupt-
bn den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft" (Redam«
3. 106) findet, ganz mit Stillschweigen übergangen werden. Sie hat
her stets folgenden Wortlaut: „Pflicht! Du erhabener grosser
1er du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in
st, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was
e Abneigung im Oemüte erregte und schreckte, um den Willen
gen, sondern bloss ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im
Eingang findet und doch sich selbst wider Willen Verehrung
leich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen
aen, wenn sie gleich in Geheim ihm entgegenwirken — , welches
einer würdige Ursprung und wo findet man die Wurzel deiner
)kunf t, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt
welcher Wurzel abzustammen, die unnachlassliche Bedingung des-
(Verts ist, den sich Menschen allein selbst geben können?"
ich diesem Wortlaut auch der neueren Ausgaben war schon zu
, dass ebenfalls die Originalausgabe von 1788 keinen anderen Text
erde. Diese Vermutung ist dem Verfasser durch eine gefftllige
i Mitteilung des Herrn Professor Natorp in Marburg, der die Her-
von Kants zweiter Kritik in der Berliner Akademieausgabe besorgt,
worden.
otzdem aber können wir nicht unterlassen zu fragen, ob Kant,
auch bei seinem bereits von anderen bemerkten Mangel an Sorg-
!orrekturlesen diesen Abschnitt bei der Drucklegung so hat stehen
n ebenso auch schon geschrieben oder gar gedacht haben kann.
3 sofort ganz bestimmt zu sprechen: Ist der vierte Relativsatz:
von selbst im Gemüte Eingang findet und doch sich
ider Willen Verehrung — erwirbt" in einer solchen Verfassung,
on irgend einem Menschen so ohne Widerspruch gedacht werden
ih unseren bisherigen Erfahrungen in dieser Angelegenheit ist
rauf zu legen, dass der angegebene Relativsatz zunftçh^t
314 H. Romandt,
abgesondert für sich in seinem eigenen Bestände und inneren Zu
hange untersucht werde. Vermutlich ist gerade dies bisher nie
Bei diesem Verfahren aber wird schwerlich jemand bestreiten, diu
Worte, welche von einem vom eigenen reinen Denken aufgestelltes fk-
ausgesagt werden: ^und doch sich selbst wider Willen Vafplli
erwirbt^, zur unentbehrlichen Voraussetzung haben das Vorhergdrii'
Gegensatzes nicht ausserhalb, sondern ganz notwendig innerhaBlt.^
Relativsatzes selbst. Ein Gegensatz aber ist in den Worten, dm.
selbe Gesetz ,,von selbst im Gemüte Eingang^ finde, sicheiVib
enthalten. Wie dagegen, wenn wir lesen würden : „ein G^setE igit*
welches nicht von selbst im Gemüte Eingang findet und d4«
selbst wider Willen Verehrung — erwirbt?" Durch Einsdiiéilb
Wörtchens „nicht^ wäre offenbar der Anstoss innerhalb der Qtip
Aogegobenen Nebensatzes völlig beseitigt. ^
Wird aber durch die so gewonnene Heilung und HersteBn^
Satzes nicht vielleicht Kants ganze Sittenlehre mit ZerstOrm^^i
nichtung bedroht? So kann nach den bisherigen Erfahrungen ag^
Vorschlage bei gelehrten Kennern Kants wohl vermutet werda^jj
dass ein Gesetz der Pflicht nicht von selbst im Gemüte Bisgaj
erklärt sich aus dem, was Kant gleich nachher bemerkt : daif aä
Neigungen, also das, was der blossen Natur im Menschen angèhÔr
sie vor solchem Gesetz als einem höheren verstummen, doch .
he im en ihm entgegenwirken". Auch das, was der ApostrogliF
bar vorangeht und wonach durch den Pflichtgedanken 00^
Eigendünkel wie der Eigenliebe Schranken gesetzt weardmi
dem Menschen natürlicherweise nie gefallen, steht in Eiidelp
dass ein Gesetz der Pflicht — und so künftig zu lesen, sei IH
geschlagen — „nicht von selbst im Gemüte Eingang ündsi*
Man meint vielleicht, besonders der 2. Teil von Kantt^lt
Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft", stimme' tu'
vorgeschlagenen Änderung. Dieser Meinung gegenüber sei ge^
auf S. 189 (bei Redam) innerhalb der Methodenlehre hinznwoisi
nicht für ausreichend hält, bei blosser müssiger Bewundemng
der Sittlichkeit schon stehen zu bleiben. Damit sie für das
Verhalten selbst praktisch werden, sei notwendig, sie „in Bein
Menschen und auf sein Individuum (zu) betrachten; da denn ^
in einer zwar höchst achtungswürdigen, aber nicht so gtML
erscheint, als ob es zu dem Element gehöre, daran er net
weise gewohnt ist, sondern wie es ihn nötiget, dieses oft^ 1«
Selbstverleugnung, zu verlassen und sich in ein L
begeben, darin er sich mit unaufhörlicher Besorgnis des 1
mit Mühe erhalten kann". Diese Worte passen sioherlic
zn der herkömmlichen Lesart, dass das Gesetz der Pflicht „
im Gemüte Eingang findet*^; sie stimmen aber völlig ftbere
vorgeschlagenen Änderung.
ïnaC^JC" -.
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He-
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■ s der Natur
ii/cn, die sich
ilrei Kritiken
rliält sich viel
ilien Hedenken
•ilich Riehl mit
Metaphysik ent-
(It> rîe falsche
iu de» 19. Jfthr-
Aujidniok einer
31 ß H. Romundt, Vorschlag zu einer Änderung des Textes etc.
Begriffen auch sicher der FalL „Verehrung", die g< nau parallel zur
„Achtung" steht (siehe besonders den Schluss des nächsten Absatzes.
Reclam S. 105 f.)> schliesst Beugung, ja Demütigung ein. Verehren kam
ich nur, was über mir, über meinen ^^Neigungen" ist. Verehrung, nicht
Neigung, gebührt dem Wesen des Menschen ,,in Beziehung auf seme
zweite und höchste Bestimmung". Das „und doch" ist also voU begründet
Zur letzten Kl&rung der Sache gehörte vielleicht noch eine genaae
Feststellung des Kantischen Gebrauchs des Wortes ,,G«müt". Es wflide
sich, glaube ich, zeigen, dass dies Wort von Elant im weitesten Umfang
für animus, tpvx^ steht, dass es die vernünftige ebenso wie die sinnüdu
Seite des seelisdien Lebens umspannt. So wird vollends begreiflich, àm
die Pflicht, die allerdings den Vemunf twillen vertritt und zur l^nlichkdt
in bestimmtem (Gegensatz steht, im „Gemüte" von selbst Eingang findet
keine „natürliche" Abneigung in ihm erregt — sie entstammt ja der
eigenen, nämlich vernünftigen „Natur" des Menschen — „und docb'
zugleich Verehrung (welche Beugung einschliesst) ihm (nämlich
sinnlichen Natur) abnötigt.
Nach diesem allen dürfte über den Sinn und damit über die fiicUjf
keit des überlieferten Textes kein Zweifel mehr sein.
Paul Natorjn
Müj
Rezensionen.
Rebelling, F. W. J. v., Werke. Auswahl in drei Bänden. Mit 3
!i8 Schellings, und einem Geleitwort von Prof. Dr. Arthur Drews,
gegeben und eingeleitet von Otto Weiss. Leipzig, Fritz Ëckardt,
(CLXJI u. 816, 682. 936 S.)
Die vorliegende Auswahl aus Schellings Werken ist umfassend genug,
len starken und in allen wesentlichen Zügen klar bestimmten £in-
von Schellings Philosophie zu gewähren, dazu (namentlich bei Be-
htigung der sehr guten Ausstattung) billig genug, um weite Ver-
i^ finden zu können. Einer für die Kant Studien bestimmten
lon stellt diese Tatsache die Aufgabe, danach zu fragen, was
Qg für den Kantianismus, insbesondere für den Kantianismus unserer
u bedeuten hat.
Jnter den grossen Denkern der nachkantischen Zeit ist Schelling
ge, der Kant am nächsten geblieben ist. Seine Naturphilosophie,
r alle Phasen seines Wirkens wesentlich gewesen ist, scheidet ihn
lach den gemeinen Urteil weit von dem Kritiker, aber Hegel hat
licht unrecht, wenn er in seinen Vorlesungen über die Geschichte
dlosophie (Werke Bd. XV) sagt, Schelling sei der Stifter der
a Naturphilosophie, die sich von der gewöhnlichen Physik darin
;heide, dass sie über die Form des Verstandes hinausgehe und den
lativen Be^ff der Natur zu fassen suche: den Anfang hierzu
abe schon Kant gemacht (672 f.). Gewiss, Schellings Naturphilo-
entspricht nicht den Intentionen Kants, aber der Umstand, dass
berhaupt eine Philosophie der Natur hatte und haben konnte, be-
$in viel positiveres Verhältnis zu Kant, als dies bei Fichte möglich
Die Philosophie des absoluten Ich schloss jede unmittelbare Be-
2r zwischen der Natur und dem Intellifiblen aus: für sie konnte es
Philosophie der Natur geben, sonaem nur eine Naturwissen-
;. Fichtes Leugnung eines metaphvsischen Substrates der Natur
un wohl reiner, als Schelling ^tan hat, die Konsequenzen, die sich
ler systematisch-einheitlichen Zusammenfassung der drei Kritiken
n; aber von Kant führt sie viel weiter fort; sie verhält sich viel
er zu dem „Realismus", der sich trotz aller kritischen Bedenken
wieder durchsetzt, und der darum — wie namentlich Riehl mit
betont hat — für das Gesamtbild der Kantischen Metaphysik ent-
•t.
historisch ist Schelling auf Fichte gefolgt, und die Hegeische
ruktion hat es dem philosophischen Bewusstsein des 19. Jahr-
ts tief eingeprägt, dass diese historische Abfolge Ausdruck einer
ischen Notwendigkeit sei : danach müsste Schelling weiter von Kant
»mmen sein, als es Fichte gewesen ist (vgl. bes. Hegel XV, 536).
. Jahrhundert, dem ohnehin eine intensive Beschäftigung mit den
i Trägem der nachkantischen Bewegung bevorsteht, wird hier um-
n haben: Fichte ist der weitest Fortgeschrittene von jenen Dreien
n, und es ist auch gar nicht einmal ganz richtig, dass Schelling
ch bloss auf ihn gefol^ sei; dazu sind die beiden viel zu sehr
iossen gewesen: Schelhngs Naturphilosophie war konzipiert,
318 Rezensionen (Medicos).
ehe sich noch Fichte so weit ausgesprochen hatte, dass Seh. i
dass die Wissenschaftslehre ein anderes Ziel hatte als das
angestrebte. Gewiss war Seh. von Anfang an durch F. mächtig
aber gerade in der Philosophie wiederholt es sich immer wie
Anregungen empfangen werden, wo der eigentümliche Gehalt
regenden doch total missverstanden bleibt. Jeder nur überh;
regende" akademische Lehrer dürfte Fälle solcher Art erlebt hal
es ist klar, dass es in solchem Falle schlechterdings unmöglicl
nicht recht mit den eigenen Thesen harmonierenden Behaupte
Schülers sofort anzumerken, ob hier bloss etwas unreife Verv
vorliegt oder ein Keim zu ganz neuen An- oder Einsichten,
dieser Lage aber befand sich Fichte ^gen Schelling. Am 26. l
1794 hatte ihm dieser seine erste philosophische S<3irift („Über
lichkeit einer Form der Philosophie überhaupt") mit einem Bi
sandt, in dem er sich ihm mit grösster Bescheidenheit als sei
baren und bewundernden Schüler vorstellte. Am 2. Juli 1795,
Seh. inzwischen die Schrift „Vom Ich als Prinzip der Philosof
offen tlicht hatte, schrieb Fichte an Reinhold : „Schellings Schrift
ich davon habe lesen können, ganz Kommentar der meinigen,
hat die Sache trefflich gefasst, und mehrere, die mich nicht v
haben seine Schrift sehr deutlich gefunden. Warum er das i
sehe ich nicht ganz ein. Leugnen wird er es nicht wollen odc
Ich glaube schliessen zu dürfen, er wollte, wenn er mich nicht
stanaen haben sollte, seine Irrtümer nicht auf meine Rechnung
wissen, und es scheint, dass er mich fürchtet. Das hätte er ni
Ich freue mich über seine Erscheinung.** Und diese Freude i
greiüich genug, auch dann nicht ernstlich getrübt, wenn Seh. ^
einmal etwas sagte oder schrieb, was auf F. den Eindruck em<
Lapsus machen musste. F. hat dies selbst später, am 31. Mai
Zeit des beginnenden Bruches, an Seh. geschrieben: „Ihre ei
Äusserung im „Philos. Journal** von zwei Philosophien, einer idei
und einer realistischen, welche, beide wahr, nebeneinander
könnten, der ich auch sogleich sanft widersprach, weil ich sie föi
einsah, erregte freilich in mir die Vermutung, dass Sie die Wiat
lehre nicht durchdrungen hätten, aber Sie äusserten darauf so
viel Klares, Tiefes, Richtiges, dass ich hoffte, Sie würden zei
das Fehlende ersetzen** (Fientes Leben und Briefwechsel * 11, 341 ;
F. hat den 9. von Sch.s „Briefen über Dogmatismus und Kritiz
Auge; seine Entgegnung im Anfang der „Zweiten Einleitni
Wissenschaftslehre**. Aber wie bedeutungslos ihm diese Pläi
schienen war, zeigt aufs beste dde ein Jahr darauf in zukonftsfn
nahe übermütigem Tone geschriebene Vorrede zur 2. Auflage
griffs der Wissenschaftslehre** (1798): es kann kein Zweifel d
dass er bei den Jungen geistreichen Köpfen**, deren er sich hier
feurigen Anhänger rühmt, in allererster Linie an Seh. gedacht l
wenig Jahren Tag es am Tage, dass die beiden einander von à
missverstanden hatten. Seh. hat nie verstanden, was F. eigentlic
hat, und umgekehrt hat F. in seinen heftigen Ausfällen gegen <
philosophie niemals deren philosophisches Motiv getroffen und
seinem grossen Gegner immer nur vorbeigeredet. Es ist ga
wenn man Sch.s Entwickelung gelegentlich so darstellt, als sei
Anhänger der Wissenschaftslehre gewesen, dann aber abgef
andere Wege gegangen: man darf nur sagen, dass Seh. ein p
lang geglaubt hat, Anhänger der W.-L. zu sein: aber seine
phische Absicht hat sich niemals mit der der W.-L. gedeckt, dere
Sinn ihm stets verborgen geblieben ist. (Dass solches Missverstek
gescheiten Menschen widerfahren konnte, kann nur etwa dem v«
Hch sein, der bei der Lektüre eines ernsten philosophischen Buch«
von eigenen Gedanken geplagt worden ist.) — Wenn aber Seh
Rezensionen (Medicus). 319
ÜBnersten Antrieb der Fichtischen Lehre überhaupt kein Verständnis ge-
^ hâbt^ hat, so moss die Hegeische Konstruktion dahinfallen. Hegel sucht
^^ die ^olge der philosophischen Svsteme als ihr notwendiges Hervorgehen
^ AUS einander zu begreifen, ,,so aass die eine Philosophie schlechthin not-
^^ Wtt&dig die vorhergehende voraussetzt" (XV. 690), und die Philosophie
af 8di.s gilt ihm als „die höhere echte Form, die sich an Fichte anschloss"^
^ (94S). Allein tatsächlich kann Sch.s Lehre darum nicht aus der Fichtischen
3 iMTVorgegangen sein, weil Seh. das Prinzip der W.-L. gar nicht in sich
^ anfopenommen hatte, — weil er nur durch Fichtes Worte, nicht durch
Bicfi^€8 Geist angeregt war.
Fällt aber das Recht hinweg, Seh. als den Fortsetzer F.s zu be-
irmcliten, so rückt er ohne weiteres näher an Kant heran. In den ersten
11794 und 96 geschriebenen) Abhandlungen Sch.s ist diese Stellung des
l kaam SCtjährigen Denkers nur dadurch verschleiert, dass ihm sein Glaube,
V mit JF. tibereinzustimmen, einen gewissen Mut giebt, sich in Anlehnung
diesen kritisch ge^en K. zu wenden. Allein man sehe sich den Fall
flauer an, und die Täuschung verschwindet. Die Schrift „Über dieMög-
'seit einer Form der Philosophie überhaupt" bringt z. B. recht unreife
AWHiaagungen über Kants Unterscheidung der synthetischen und analy-
tischen Urteile; ihre Quelle ist offensichtuch die Rezension des Aeneside-
mii8 : dass aber die von F. dort gegebenen Andeutungen gar nicht in F.s
™iip verstanden sind, wird alsbald deutlich, wenn man mit dem (erst
gleichzeitig mit Sch.s Schrift gedruckten) ersten Teil der „Grundlage d.
9^^' W'.-L.^ vergleicht. Der Geist der V7.-L. hat nie in Seh. gelebt. Und
yui lese man etwa den 9. Brief über Dogmatismus und Kritizismus (1796),
denselben, von dem vorhin schon gesagt wurde, dass er F.s Widerspruch
■J'ÄUa^pef ordert hat: man entdeckt sofort, dass es die erkenntnis-
^eoretischen Hauptgedanken aus der Kr. d. Urt. sind, die für
^cää Philosophie entscheiden: nur Äusserlichkeiten der Formulierung
™^^^ten auf einen näheren Zusammenhang mit Fichte raten lassen: aber
™ j^Ährheit ist nicht dessen absolutes Ich, sondern die „Idee" im Kan-
•••chen Sinne ScheUings Problem, wenn er schreibt: „Der Kritizismus
■M«« das letzte Ziel nur als Gegenstand einer unendlichen Aufgabe be-
zj^^'^ten ; er wird selbst notwendig zum Dogmatismus, sobald er das letzte
^lal ala realisiert (in einem Objekt) oder als realisierbar (in irc^end einem
2^^^iiien Zeitpunkte) aufstellt." „Der Kritizismus unterscheidet sich da-
~î^om Dogmatismus nicht durch das Ziel, das sie beide als das höchste
■?*>t«lleii, sondern durch die Annäherung zu ihm, durch die Reali-
^^^?ÜÄ desselben, durch den Geist seiner praktischen Postulate." Die
^^"^••^•ole Unterscheidung der konstitutiven und regulativen Prin-
^/^^^^ ist ihm entscheidend für den Charakter der neuen Philoso{)hie.
p?^^Q kann er ein Jahr später, im Beginn der prachtvollen „Allgemeinen
äi2»^^^^* der neuesten philosophischen Literatur" erklären: „Unser Zeit-
2_-jr iat soweit vorgerückt, aass, unerachtet bei einem grossen Teil der
l^-j^^^^oflsen der alte Aberglaube noch in Achtung steht, doch kein neuer
jkwÊf^f^^^^^^ Irrtum auf lange Zeit Macht und Ansehen erlangen kann,
o^i^ T**^tdeckungen in übernatürlichen Regionen (dem alten Lande des
^J^J^Ä^) hat die Vernunft selbst feierlich Verzicht çetan." So hätte Kant
^l^yy^^^ echreiben können; genau das war seine Meinung von der Stellung
l^i^^^^^^taphysik. — - Aber man darf jene Worte auch nicht mehr sagen
iniinoL * ^ '^® sagen: von „übernatürlichen Regionen" will Seh. nichts
der ^S^ — um so mehr liegt ihm an der Natur selbst, an der Natur, von
j^— l^'^^ Kr, d. Urt gehandelt hat (versteht sich: nach regulativen Prin-
^*^ ^» kritisch, nicht domiatisch). Und wie Kant die organische Natur
o^w^^^tfitzpunkt seiner Naturteleologie gemacht hat, so tut das auch
^Tr^^ig; man vergleiche bes. die (gleichfalls 1797 erschienenen) „Ideen
^*^ ^^^^ Philosophie der Natur" (bes. I, 136 ff. in der neuen Ausgabe).
™^2^%^ orffanischen Natur hört die Möglichkeit auf, mechanisch, aus
VB^I«^^^ XJnachen zu erklären: „Eine Organisation als solche ist weder
320 Rezensionen (Medicos).
Ursache noch Wirkung eines Din^ ausser ihr. Jedes organische Prodnkt
trägt den Grund seines Daseins in sich selbst, denn es im, von sich selbit
Ursache und Wirkung. Kein einzelner Teil konnte entstehen, als in dieMm
Ganzen, und dieses Ganze selbst besteht nur in der Wechselwirkung dtt
Teile^ (1, 136). Ein organisches Wesen ist ein Gkmzes, eine indiviaiuQe
Einheit, ^die sich schlechterdin^ nicht aus der Materie als solchor »
klären lässt. Denn es ist eine Einheit des Begriffs^^ (138). Diese letite
Wendung scheint weit von Kant weggeführt zu haben. Allein es ist »
vörderst nötig, genau zu verstehen, was sie sagen will; die InteipretitiflB
kann an Kant anknüpfen.
Die Kr. .d. Urt. hatte (Einl. II) erklärt, es müsse ^einen Gmnd da
Einheit des Übersinnlichen, was der Natur zum Grunde lieçt, mit do^
was der Freiheitsbe^riff praktisch enthält, çeben^, und nut dieser &
klärung hatte sie die Dinge an sich preisgegeben: das IntellixSiiB
kann, wenn dieser Satz ernst genommen werden soll, schlechterfinfl
nicht als aus „Dingen" bestehend gedacht werden; und umgekehn:
Dinge können nicht „an sich" sein: was den Dinaren als inteUi|<ibki
Substrat zugrunde liegt, ist nicht wieder etwas Dinghaftes, sondern am
übersinnliche, in keiner Verstandesreflexion einznfangende Wirklichkeit,
in der das din^haf te Sein und das Sollen ihren gemeinsamen Grand haben.
Die Verabsolutierung der Unvernunft hat auffi^hört, und hier stimmt nm
Schelling genau mit Kant überein, und nur darin weicht er von ihm ik
dass er an jenem Satze unerschütterlich festh<. Die Dinge an sich sind
und bleiben ihm ein Gegenstand der Bekämpfung und des Spottes, od
wie mancher seiner Zeitgenossen wähnt er, sie seien es auch mt Kant g»
wesen, der sie nur eingeführt habe, um sie und in ihnen den Dogmatiani
zu zerstören. Also von Dingen an sich ist in Sch.s System nicht die
Rede, wohl aber von einem intelligiblen Grunde der nach Verstandei'
kategorien aufgefassten mechanischen Naturerscheinungen. Und dîeeei
InteUigible heisst abermals — hier steht Spinoza Gevatter — Natur, b
dieser (nicht gedachten, sondern wirklichen) Natur sind absolute FreQieit
und absolute Notwendigkeit identisch ^9. Brief über Do^^matismiis od
Kritizismus). Im organischen Wesen stellt sich diese wirkliche Natur bei
deutlich dar und giebt damit der nach Verstandeskategorien verfahrendai
Reflexion eine nie zu lösende Aufgabe. Der Einheit, die im orgamsehei
Wesen das Ganze auf die Teile und die Teile auf das Ganze beDflK
kommen wir nicht mit den nur für tote, abstrakte „Dinge*^ passeoda
Kategorien nahe — denn sie ist etwas Lebendiges — : wir kommea ikr
nur insofern nahe, als wir selbst lebendig sind — also nicht in den total
Produkten unseres Denkens, wohl aber in der lebendigen Tat des Denksni:
da vollziehen wir selbst fortwährend solche Aufeinanderbeziehung f«
Teilen und Ganzem : Das will jener merkwürdige Ausdruck bedeuten, &
Einheit des Or^nismus sei Einheit des Begriffs. »Der Begritf wolot
i n einer jeden Organisation, kann von ihr sAr nicht getrennt werden, im
organisiert sich selbst"^ (I, 137). „Solange ich selbst mit der NaI«
identisch bin, verstehe ich, was eine lebendig Natur ist, so gut, iJsicà
mein eigenes Leben verstehe; begreife, wie dieses allgemeine Laien dtf
Natur in den mannigfaltigsten Formen, in stuf enmässigen EntwickehnM
in allmählichen Annäherungen zur Freiheit sich offenbart: sobald ich aoer
mich und mit mir alles Ideale von der Natur trenne, bleibt mir niekii
übrig als ein totes Objekt, und ich höre auf zu begreifen, wie ein Lebei
ausser mir möfi^lich sei^ (I, 143/4).
Man wird nicht umhin können, in diesen Sätzen wenig Kantiseki
mehr zu entdecken; sie sind bereits von echt Schellinsscher Art Aber
die ihnen vorangestellten Hinweise auf die Kr. d, Urt. liaben gleiehwobl
gezeigt, dass trotz aller äusserlichen Unähnlichkeit über die AlmiiiUBBf
kein Zweifel sein kann. — Dass Sch.s Naturphilosophie ans Kants iM^^'^
Anfangssfründen der Naturw.^' manches geschöpft hat, ist aUbekannt; w
historiscne Einsicht in das Verhältnis der natnrphilosophischen Anicfc»
Rezensionen (Medicus). 321
angen der beiden Denker gewinnt man erst, wenn man den Naturbegriff
der Kr. d. Urt. heranzieht: von da aus versteht man, dass Konsequenz in
Schellings Weiterftihrung der bei Kant geholten Gedanken ist. — Aller-
dings, wenn Kant von „bloss" regulativen Prinzipien handelt, hat man
beim Lesen den Eindruck, dass man sich zu jedem Satze ein Fragezeichen
hinzuzudenken habe; diesen Eindruck erweckt Seh. durchaus nicht. Aber
auch hier ist Seh. nicht im Unrecht: er verwischt den Unterschied des
kategorial für den Verstand Bestimmbaren und des Intelligiblen durchaus
nieht, er ist weit davon entfernt, die wirkliche, die lebendige Natur dem
katefforialen Verstand ausliefern zu wollen ; er nimmt nur das Problem
xttckfialtlos ernst, das ihm durch den (gut Kantischen) Dualismus von
Natur und Freiheit gestellt war, und er macht femer Ernst mit der von
SL zwar im Prinzip auch oftmals anerkannten, in der Durchfilhrung aber
•Denthalben abgeschwächten These, dass theoretische und praktische Ge-
wiflsheit nur der Art, nicht dem Grade nach verachieden seien.
Bereits vorhin wurde auf ein Wort aus den „Philosophischen Briefen
Iber Defätismus und Kritizismus^ hingewiesen, wonacn Freiheit und
Notwenmgkeit in der absoluten Wirklichkeit zusammenfallen. Der Satz
Ist von zentraler Bedeutung. Er ist denn auch nicht bloss für die Natur-
teleologie wesentlich.^) Nach einer charakteristischen Seite mag er hier
aoch besprochen werden. In der „AJlçem. Übersicht der neuesten philo-
eophischen Literatur" von 1797 findet sich eine Stelle, die über das Pein-
]k3i-Enge der riçoristischen Ethik hinaushebt, indem sie sich lediglich auf
den Naturbegriff der Kr. d. Urt. stützt: es heisst da (mit Beziehung auf
moralisierende Ansprüche), ^dass alles in uns klein ist, was nicht die
Natur in uns tut, aass das Erhabene der Moralität selbst, solange sie uns
nicht zur Notwendigkeit geworden ist, unter menschlichen Händen
lieh verkleinert". Das ist ein Blick auf den kategorischen Imperativ von
der Einleitung der Kr. d. Urt. aus. Und Seh. hat den kategorischen Im-
perativ stets in dieser auf dem Boden der Naturphilosophie auch gar nicht
an vermeidenden Weise gesehen: Das Wesen der Natur und das Wesen
der Seele sind ursprünglich eins; aller Gegensatz ist nur scheinbar, die
Liebe ist das Band aller Wesen, und reme Güte Grund und Inhalt der
ganzen Schöpfung: so formuliert Seh. den Grundgedanken seiner natur-
philosophischen Ethik 1807 in der mit Recht viel bewunderten Fest-
rede „Ober das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur^ (111,411/2).
— Anch hier ist Seh. ein wenig weiter gegangen, als Kant gutgeheissen
bitte; allein eigentlich doch nur deshalb, weil K. an den letzten einheit-
liehen Grund von (verstandesmässig begriffener) Natur und Freiheit nicht
recht geglaubt hat und darum allen hierher zielenden Fragen gegenüber
iaMerst schweigsam geblieben ist. Aber wie hätte er auch an jenen
yChrnnd der Einheit^ ernstlich glauben können! Wären doch mit seiner
annähme die Dinge an sieh dahingefallen. Wollte man sich jedoch an
Ueeer Konsequenz nicht stossen und jenen „Gmnd^ gelten lassen, so
mllnte man auch bejahen, was Seh. in den angeführten Sätzen von ihm
inflHtgt. Die Grenzen zwischen Vernunfterkenntnis und Verstandeseinsicht
rinâ aorchaus gewahrt. Man darf auch nicht etwa meinen, die innere
ubereinstimmang der naturphilosophisehen Ethik Sch.s mit der Ethik K.s
laese sich durch Berufung auf dielenigen zahlreichen Stellen bekämpfen,
■n denen K. betont, dass das sittliche Handeln ein von der Natur unab-
Idbigiffes Handeln sei. Dem Wortlaut nach bedeuten solche Stellen frei-
Ueh den striktesten Gegensatz zu Seh. Allein man darf nicht vergessen,
daas bei diesem „Natur" heisst, was bei K. weder Natur noch Freiheit ist,
1) Über die g^eschichtsphüosophisehe Bedeutung des Satzes mag
Bd. Vit S. 183 ff. dieser Zeitschrift nachgelesen werden. Es ist dort ge-
sagt, wie in der Weiterentwickelung der fifeschichtsphilos. Ansätze in
Xanti „Idee zu einer allg. Geschichte in weltbürgerl. Absicht"" Schelling
«md Hegel zusammengehören, während Fichte an ganz andere Gedanken
Santa anknüpft
à2à ilezensionen (Medicus).
sondern der übersinnliche Grund beider; und die Anerkennung dieser
übersinnlichen Einheit ist auf dem Boden K.s notwendig, weil sonst die
Möglichkeit sittlichen Handelns innerhalb des kausal bestimmten Daseins
nicht nur unbe^eiflich, sondern schlechthin ausgeschlossen wäre.
Ks hat sich aus allen diesen Darlegungen ergeben, wie nahe die
Naturphilosophie Sch.s mit K.s Kr. d. Urt. zusammenhängt (-- mit dem-
jenigen Werke also, dem gerade in den letzten Jahren von den Kantianem
gesteigertes Interesse entgegengebracht wird). Und zu allen diesen ent-
scheidend wichtigen Beziehungen ist nun noch hinzuzusetzen, dass Fichte
keine von ihnen teilt. Seh. hat diejenigen Motive der Kantischen Be-
wertung der Natur hervorgezogen, die F. oei Seite gelassen hat nnd aas
systematischer Notwendigkeit auch bei Seite lassen musste. F. sieht in
der Natur kein Leben, er gesteht ihr nur die Kraft zu, zu bleiben, was
sie ist, die vis inertiae. AUes Naturgeschehen ist ihm tot. Wohl hatten
ihn Sch.s erste naturphilosophische Arbeiten veranlasst, sich zunächst mit
freundlichem Interesse diesen Bestrebungen zuzuwenden. Aber er konnte
es nicht glauben, dass die Naturphilosophie wirklich lehre, die InteUicenz
sei eine höhere Potenz der Natur. In Aufzeichnungen, die aas dem «Hihre
1799 zu stammen scheinen, schrieb er über diesen Ssitz: „Nur durch seine
hochpoetische Seite, welche Poesie stets eine Ahnung des Intelligiblen ist,
zieht er an. Jacob Böhme** (N. W. UI, 363). Aber die Philosophie be-
wegt sich nicht in ahnungsvollen Allegorien ; darum lehnt sie jenen Sets
als falsch ab. Und doch darf man sich nur besinnen, was 9ch. anter
„Natur"" versteht, um einzusehen, dass das, was der Satz meint, selbst anf
dem Standpunkt der Kr. d. Urt. gar nichts Absonderliches, fast etwas
Selbstverständliches ist. Aber freilich: die Kr. d. Urt und die W.-L. sind
zwei weit getrennte Welten. — Allein vielleicht könnte hier doch noch
die Frage erhoben werden, ob sich nicht bei F. an Stelle derjenigen be-
deutsamen Berührungen mit K., die Seh. hat und die ihm fehlen, andere
aufzeigen lassen. Indessen, wenn man von dem allzu billigen und nur bei
fanz vager Formulierung halbwe^ zutreffenden Hinweis auf die fttr das
ystem verhältnismässig grössere Bedeutung des Praktischen absieht (denn
bei genauerem Zusehen entdeckt man, dass sich hier F. von K. fast ebtm-
sosehr wie von Seh. scheidet): so ist nur das eine zu sagen, was unmittel-
bar mit der Ablehnung der lebendigen Natur zusammen^hört : Ffir Fjê
Naturbegriff ist die transscenden tale Analytik der Kr. d.r. V. entscheidend,
und infolge davon erhält er denselben Begriff der Naturwissenschaft wie
Kant. Die grossen Naturforscher „gingen allemal von Phänomenen sqSi
nur suchend das Einheitsgesetz, in welchem diese befasst werden konnten,
und gingen, sowie sie ihren Gedanken empfangen hatten, zu den Phäno-
menen zurück, um an ihnen den Gedanken zu prüfen; — ohne Zweifel in
der festen Überzeugung, dass er erst von der ESrklärbarkeit jener aas ihm
seine Bestätigung erwarte"" (Fs sämtl. W. VII, 117). Hier steht V. aller-
dings gegen Seh. an der Seite K.s; allein diese Übereinstimmnng kann
schon darum nicht allzuschwer ins Gewicht fallen, wenn es sich am die
Frage der Verwandtschaft zwischen W.-L. und Kantischer Phüoecmhie
handelt, weil dieser Naturbegriff ^r nicht spezifisch Kantisch ist, sondern
seit Leonardo da Vinci und Galilei immer wieder von Natorforsäiem und
Philosophen in diesem Sinne formuliert worden ist. — Es ist anbestreitbar:
wenn man die Zusammenhänge zwischen K. und Seh. auf der einen, vnd
zwischen K. und F. auf der anderen Seite zählt, so zeigt sich Seh. dnreh
viel zahlreichere Bande mit dem Altmeister verbunden, and wenn man
die Zusammenhänge in ihrer historischen und sjrstematischen Bedeotong
wertet, so verschiebt sich das Bild noch mehr zugunsten Schji. Und hier
ist nun auch sofort die gerade bemerkte Beziehung zwischen K. and F^
die bei Seh. fehlt, in ihrem Wert noch weiter herabzosetseoi. Nimliek,
wenn auch Seh. gelegentlich heftige Ausfälle gegen die grossen Vertreter
der mathematisch-mechaiiischen Naturwissenscä^ ^namentlidi gegen De^
cartes und Newton) richtet, so verkennt er doch aurchaas nicht, dass die
ftezensionen (Medicus). 32â
Natarfonchanff auch einer experimentell verfahrenden Arbeitsweise be-
darf, die die r^aturerscheinunffen nach blossen Yerstandeskategorien auf-
fasst („Vorlesungen über die Methode d. akad. Studiums^, W. II, 662 f.);
nur betont er, dass die so entstehende exoterische Theorie der Natur-
erscheinung:en niemals eine Erklärung der Natur sei, und diesem An-
spruch allein filt sein Kampf gegen die mechanische Naturauffassuiig.
_Es ist wahr, dass man durch Anwendung der Mathematik die Abstände
der Planeten, die Zeit ihrer Umläufe und Wiedererscheinungen mit Ge-
nauigkeit vorherbestimmen gelernt hat, aber über das Wesen oder An-sich
dieser Bewegungen ist dadurch nicht der mindeste Aufschluss gegeben
worden. Die sog. mathematische Naturlehre ist also bis ietzt leerer For-
malismus, in welchem von einer wahren Wissenschaft der Natur nichts
anzutreffen ist** (II, 651/2). Unter der Voraussetzung, dass man sich ernst-
lich SU einem lebendigen gemeinsamen Grunde der Naturerscheinungen
nnd der Freiheit bekennt, ist diese Stellung Sch.s die einzig mögliche;
Kant war hier weniger konsequent ; sein Satz aus der Kr. d. r. V. (ß. 334),
Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen dringe ins Innre der
Natur, stimmt nicht zur Kr. d. Urt. Nur Fichte, dem die Naturerschein-
ungen als metaphysisch wesenlos galten, durfte der experimentellen Theorie
dieser Erscheinungen den Namen „Naturerklärung"" zuerkennen. — Indem
aber fOr F. die Naturerscheinungen wesenlos sind, muss ihm das Grund-
problem der Kr. d. Urt. wegfallen: wenn die Natur keine metaphysische
Wirklichkeit hat, wenn das Nicht-Ich in der W.-L. von vorne herein dem
endlichen Ich entgegengesetzt „eine negative Grösse^^ ((ir^nz im Sinne der
Kmntischen Abhandlung von 1768), dem absoluten Ich entgegengesetzt
aber „schlechthin nichts"" ist (S. W. I, 110), so ist jenes Grundproblem
einer Kluft zwischen Naturbegriff und Freiheitsbegriff gegenstandslos.
Schon im Sommer 1793 schreibt F., die neueren Streitigkeiten über die
fVeiheit kämen ihm „sehr komisch"* vor (Leben und Briefwechsel » II, 612).
Allerdings hatte auch auf ihn die Kr. d. IJrt., namentlich zur Zeit seiner
ersten Mschäftigung mit K., grossen Eindruck gemacht; dass aber die
positiven Ânrerungen, die er aus dem Buche zog, das ihm übrigens damals
„ziemlich dunkel"* erschien (Leben und Briefwechsel I, 111), anderer Art
gewesen sein müssen als diejenigen, die Seh. ebendaher nahm, geht be-
reits aus dem Gesagten hervor (vgl. Leben und Briefwechsel I, lw/6).
Die vorstehenden Ausführungen haben zeigen sollen, wie Seh. von
Anfenff an seine Naturphilosophie in nahem Zusammenhang mit Kantischen
GMauen entwickelt, und zwar gerade mit solchen Gedanken K.s, über
die F. hinausgegangen war. Auch darauf darf hier schliesslich noch hin-
gewiesen werden, dass in den auf Einheit des Systems gerichteten Be-
atarebangen bei Seh. sehr bald — in grossem Unterschied von F. — die
Knnit an die entscheidende Stelle tritt ; auch hier hat die Kr. d. Urt. den
Weg gebahnt, sowohl durch ihre äussere Stellung im kritisclien System,
wie namentlich durch ihre Lehre über das G^nie. Die Hegeische Kon-
struktion der Reihenfolge Kant — Fichte— Schelling hat nach alledem als
eriedigt zu gelten. Wir haben gewiss noch vieles auch von Hegel zu
lernen; aber in seinen Versuchen, die empirischen Zusammenhänge des
historischen Daseins als vernünftig-wirklich nachzuweisen, stelllr er nur
sa oft paue Schemata dahin, wo die echte Forschung frisches Leben
fiadet. Denn diese hat Ehrfurcht vor der Geschichte und wagt es nicht,
sie nach vorgefassten Begriffen zu konstruieren: sondern sehnsuchtsvoll
and keusch giebt sie sich an das unabhängige Leben der historischen
Gestalten hin, um von ihnen zu empfangen, was an freier, unableitbarer
(Mfteswirklichkeit in ihnen erschienen war. Die Depotenzierung F.s zu
einem abstrakt-formalistischen Vermittler zwischen K. und Seh. kann als
Qraisclies Beispiel für jenes Verschablonisieren des geschichtlichen Lebens
gelten. Der historische F. war ein anderer, als der von Hegel also be-
Dtflsste, in der dialektischen Retorte fabrizierte Homunkulus, und mithin
ist auch die Stellung Seh j in der Geschichte der Philosophie eine andere
324 Rezensionen (Medicus).
als die ihm von Hegel zugewiesene und bis heute allgemein angenommene.
Um klar zu stellen, was Seh. für die Kantische Philosophie bâeutet, war
es nötig, die von Hegel stammende Auffassung zurückzuweisen. Diese
Absicht aber hat ihrerseits dies nötig gemacht, zur Beweiaführnng ledig-
lich Schriften aus Sch.s früher Zeit heranzuziehen; auf spätere durfte nur
da hinfi^edeutet werden, wo in ihnen die Fortsetzung emes schon früher
vorhandenen Gedankenganges erkennbar war. Es musste gezei^ werden,
dass Seh. nie Fichtianer gewesen ist, dass er, ohne je vom eigentlichen
Geiste der W.-L. ergriffen gewesen zu sein, seine Naturphilosophie aufge-
baut hat, indem er çanz unfichtische Motive aus der Kr. d. Urt. ausbildete.
Rs mag nun noch mit wenigem darauf hingewiesen werden, dass er much
später, als die Probleme der Religionsphilosophie in den Vordergrund
seines Interesses getreten sind, näher als F. bei K. stehen bleibt.
Für die sehr erheblichen ^Philosophischen Untersuchungen über das
Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhänji^nden
Gegenstände*^ (1809) ist K.s Lehre von der intellieiblen Tat eine der
entscheidendsten Stützen. K. hatte die ausnahmslose natumotwendige
Bedingtheit alles menschlichen Handelns behauptet, trotzdem aber erklärt,
der Mensch könne von einer jeden gesetzwidrigen Handlung, die er be-
geht, mit Recht sagen, dass er sie Mtte unterlassen können : ^denn sie,
mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehört zu einem einzigen Phä-
nomen seines Charakters, den er sich selbst verschafft" (Kr. d. prakt. Y.,
Kehrbach 118). In derselben Weise spricht auch Seh. von der ^unleug-
baren Notwendigkeit aller Handlungen"^, die dennoch der Freiheit des
Willens nicht widerspreche, weil der Mensch selbst den sittlichen Charakter
seines Zeitlebens bestimme durch eine Tat, die nicht der Zeit, sondern
der Ewigkeit angehört: „sie geht dem Leben nicht der Zeit nach yoruiy
sondern durch die Zeit hindurch als eine der Natur nach ewige Tat**.
„Dass Judas ein Verräter Christi wurde, konnte weder er selbä;^ noch
eine Kreatur ändeni, und dennoch verriet er Christum nicht gezwuuMn,
sondern willig und mit völliger Freiheit" (III, 481 f.). Dieser letzte Satz
Sch.s entspricht genau dem berühmten Satze K.8, man könne „einräuntoi,
dass, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, so
wie sie sich durch innere sowohl als äussere Handlungen zeigt, so tiefe
Einsicht zu haben, dass jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns be-
kannt würde, imgleichen alle auf diese wirkenden äusseren Veranlassungen,
man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Ghswissheit, so wie
eine Mond- oder Sonnenfinsternis, ausrechnen könnte, und dennoch dabei
behaupten, dass der Mensch frei sei^ (Kr. d. prakt. V. 120). — Auch hier
führt der Weg von K. zu Seh. nicht durch Fichte hindurch, sondern an
ihm vorbei. Es ist unverkennbar, dass die Lehre vom intelligiblen Cha-
rakter als einer einmaligen, das Erscheinungsdasein schlechthin bestimiiien-
den Tat nur in einer naturphilosophischen Ethik möglich ist: sie nimmt
den Charakter als etwas seinem Wesen nach Festes, fertiges und schliestt
so die sittliche Freiheit aus. Das ganze Zeitleben muss als eine flber-
flüssige und sinnlose Veranstaltung erscheinen, wenn eine zeitlose Tat
entscheidet, wie es abzulaufen gezwungen ist. Aller Wert ist in die seü-
lose Tat verlegt, und man sieht nicht, weshalb man das Zeitdasein ttber-
haupt ernst nehmen sollte. F. aber betont, dass das PfUchtbewusstMta
unbedingt gebietet, die Situationen des Zeitdaseins ernst zu nehmen: die
Sinnenwelt wird ihm „die fortwährende Deutung des Pfüchtgebots, der
lebendige Ausdruck dessen, was du sollst^ (F.s sämtl. W. V, 185). Audi
F. setzt darin einen Kantischen Gedanken fort: denn neben der erwihaten
Lehre K.s steht unvereinbar mit ihr (bes. in der .Grundlegung z. Meta]ilL
d. Sitten") eine zweite Theorie des intelligiblen Charakters, wonach dieser
keineswegs „dem empirischen Charakter gemäss** zu denken ist (ygL Kr.
d. r. V. B. 568), sondern vielmehr das von keinen Schlacken getrttbte reiae
Ich bedeutet: „Als blossen Gliedes der Verstandeswelt würden alle melBe
Handlungen dem Prinzip der Autonomie des reinen Willens voUkcmmMB
Rezensionen (Medicns). 326
iftn sein** (S. W., 2. Hartensteinsche Âosg. IV, 301). Den in dienen
orten angezeigten Weg ist F. gegangen; er führt weit von Seh. ab; er
fuhrt insb^ndere auch nicht znr Lehre von einem positiv Bösen, wo-
rin wieder K. and Seh. ttbereinkommen : denn auch diese Lehre ist nicht
ohne einen naturphüosopbischen Hintergrund möglich, den namentlich Seh.
(in der genannten Abhandlung von 1809) ganz ausgezeichnet hervorgekehrt
bat, der aber auch bei K. deutlich genug erkennbar ist. In der „Religion
ixmerh. d. Gr. d. bl. V." (Kehrbach 69) wird das Böse auf einen „inneren
ersten Grund der Maximen, die mit den Neigungen im Einverständnisse
sind*', zurückgeführt: dieser Grund bestimmt die freie Willkür, bei der
intelligiblen Tat die Befriedigung der Neigungen zur Bedingung der Be-
folgung des moralischen Gesetzes zu machen. Und so gewiss der „innere
erste Ôrund der Maximen** eine positive Grösse ist, so gewiss ist auch das
Böse nicht lediglich Abwesenheit des Guten, sondern etwas Positives.
ScIls Lehre vom Bösen ist zwar unmittelbar mehr von Jacob Böhme als
von K. beeinflusst; aber eine naturphilosophische Denkweise war allen
8 Denkern eigen, und K. war immerhin ein prinzipiell wichtiges Vorbild
ffir die Verknüpfung der Spekulationen über das positive Böse mit der
neuen Philosoplue. Seh. ist im Anschluss an Böhme weit über K. hinaus-
gegangen: Woher jener innerste erste Grund der Maximen? was ist er?
Seh. rahrt ihn zurück auf den dunklen Urgrund in Gott selber, auf das-
jenige in Gott, was in ihm nicht er selbst [nicht die lichte Klarheit des
selbitbewussten Geistes] ist, auf die Natur in Gott. Alles was geworden
ist, hat den Grund semer Existenz in Gott, Gott allein hat den Grund
seiner Existenz in sich: dieser Grund ist seine Natur, die unergreifliche
Basis aller Bealitftt, „das was sich mit der grössten Anstrengung nicht in
Verstand auflösen l&sst, sondern ewig im Grunde bleibt**. Aus diesem
„Dnnkel**, dieser „Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu
S baren**, stammt der Eigenwille der Kreatur, stammt das positive Böse
I, 458 ff.). Gewiss, diese Sätze sind nicht mehr Kantisch, aber sie
lieffen doch in einer Richtung, in die man von der Kantischen Natur-
phuosophie aus kommen kann. Dagegen ist in einer Philosophie des ab-
aolnten Ich ffir eine Verabsolutierung des Bösen keinerlei Anknüpfungs-
mögiichkeit: für Fichte kann die intelli^ble Welt nur eine Welt lichter
Stmflnftiger) ^Freiheit sein, nicht aber eine Welt dunkler ^vemnnftlosor)
rgrflnde. — Ähnlich wie beim Problem des Bösen liegen die historischen
Ymuifipfnngen bei der Frage nach dem Gottesgedanken. K. hat ihn
theisüsch, persönlich ffefasst, und Seh. ist ihm von 1809 ab hierin gefolgt.
Und wieder ist Seh. deijenige, der deutlich zeigt, wie von einer Persön-
lichkeit Gottes nur darum gesprochen werden kann, weil in Gott eine
Natnr, eine von seiner Existenz unabhängige Basis ist QU, 490 f.).
DiesOT Gedanke war bei K. nicht entwickelt, aber unerkannt trägt er
doch auch dessen (allerdings stets etwas skeptische) Aussagen über Gott
and insbesondere auch seine zweifellose Abneigung g[egen den Pantheis-
mus: wenn K. Gott denken soll, so kann er ihn sich nicht anders denken,
denn als ein besonderes Ding an sich — und dieses Ding an sich hat
selbstverständlich seine eigentümliche Natur. Dass damit etwas von der
göttlichen Klarheit Unabhängiges gesetzt ist, hat K. kaum je bedacht; es
möchte ihn vor dem Gedanken geschaudert haben. Er hat es hier wie so
oft Seh. überlassen, die Konsequenzen aus seiner halb formulierten Meta-
physik zn ziehen. F. aber hält sich auch in dieser Frage von der Natur-
nhilosophie fem. Er setzt in Gott allen Persönlichkeitsgehalt, aber nicht
oie Persönlichkeitsform: der Persönlichkeitsgehalt allein ist es, wodurch
wir im höchsten Sinne Ich, wodurch wir frei sind. Alle Form beschränkt,
trannt Olijekt von Objekt, Negatives von Negativem. „Das Absolute wäre
nidlit das Absolute, wenn es unter irgend einer Form existierte** (Leben
md Briefwechsel « ü, 367}.
Spftter, in derPerioae der -positiven Philosophie^ hatSchelling
Fkohleme bevorzugt, die sich treüich kaum mehr mit Kant berühren.
xm. 22
à22 Rezensionen (Medicus).
sondern der übersinnliche Grund beider; und die Anerkemra
übersinnliclien Einheit ist auf dem Boden K.s notwendig, weil
Möglichkeit sittlichen Handelns innerhalb des kausal bestmuntt
nicht nur unbegreiflich, sondern schlechthin ausgeschlossen wftn
Es hat sich aus allen diesen Darlegungen ergeben, wie
Naturphilosophie Sch.s mit K.s Kr. d. Urt. zusammenhängt (-
jenigen Werke also, dem gerade in den letzten Jahren von denl
gesteigertes Interesse entgegengebracht wird). Und zu allen i
scheidend wichtigen Beziehungen ist nun noch hinzuzusetzen, dl
keine von ihnen teilt. Seh. hat diejenigen Motive der Kant
Wertung der Natur hervorgezogen, die F. bei Seite gelassen h
systematischer Notwendigkeit auch bei Seite lassen musste.
der Natur kein Leben, er gesteht ihr nur die Kraft zu, zu bl<
sie ist, die vis inertiae. AUes Naturgeschehen ist ihm tot Vi
ihn Sch.s erste naturphilosophische Anleiten veranlasst, sich zu
freundlichem Interesse diesen Bestrebungen zuzuwenden. Aber
es nicht glauben, dass die Naturphilosophie wirklich lehre, die
sei eine höhere Potenz der Natur. In Aufzeichnungen, die ans
1799 zu stammen scheinen, schrieb er über diesen Satz: „Nur <
hochpoetische Seite, welche Poesie stets eine Ahnung des Intel
zieht er an. Jacob Böhme" (N. W. UI, 363). Aber die Phil
wegt sich nicht in ahnungsvollen Allegorien ; darum lehnt sie
als falsch ab. Und doch darf man sich nur besinnen, was
„Natur" versteht, um einzusehen, dass das, was der Satz meini
dem Standpunkt der Kr. d. Urt. gar nichts Absonderliches,
Selbstverständliches ist. Aber freilich: die Kr. d. Urt. und die
zwei weit getrennte Welten. — Allein vielleicht könnte hiei
die Frage erhoben werden, ob sich nicht bei F. an Stelle dei
deutsamen Berührungen mit K., die Seh. hat und die ihm feh
aufzeigen lassen. Indessen, wenn man von dem. allzu billigen i
fanz vager Formulierung halbwe^ zutreffenden Hinweis auf
ystem verhältnismässig grössere Bedeutung des Praktischen al
bei genauerem Zusehen entdeckt man, dass sich hier F. von K
sosehr wie von Seh. scheidet) : so ist nur das eine zu sagen, wi
bar mit der Ablehnung der lebendigen Natur zusammengehe
Naturbegriff ist die transscendentale Analytik der Kr. d. r. V. ei
und infolge davon erhält er denselben Begriff der Natnrwisse
Kant. Die grossen Naturforscher „gingen allemal von PhSDi
nur suchend das Einheitsgesetz, in welchem diese befasst werdi
und gingen, sowie sie ihren Gedanken empfangen hatten, zu
menen zurück, um an ihnen den Gedanken zu prüfen; — ofaoM
der festen Überzeugung, dass er erst von der Erklärbarkeit jei
seine Bestätigung erwarte" (F.s sämtl. W. VII, 117). ffier stfl
dings gegen Sen. an der Seite K.s; allein diese Obereinstin
schon aarum nicht allzuschwer ins Gewicht fallen, wenn ei i
Frage der Verwandtschaft zwischen W.-L. und Kantiscliar '.
handelt, weil dieser Naturbegriff gar nicht spezifisch Kantisdi i
seit Leonardo da Vinci und Galilei immer wieder von Natmioi
Philosophen in diesem Sinne formuliert worden ist. — Es ist vbI
wenn man die Zusammenhänge zwischen K. und Seh. auf der«
zwischen K. und F. auf der anderen Seite zählt, so zeigt tkk
viel zahlreichere Bande mit dem Altmeister verbunden, wâ
die Zusammenhänge in ihrer historischen und systematisclMli
wertet, so verschiebt sich das Bild noch mehr zugunsten Sdut
ist nun auch sofort die gerade bemerkte Beziehung z^ " " ^
die bei Seh. fehlt, in ihrem Wert noch weiter herabz^
wenn auch Seh. gelegentlich heftige Ausfälle gegen die „
der mathematisch-mechanischen Naturwissenschaft (namentL
cartes und Newton) richtet, so verkennt er doch aurchaufi
Ëezensionen (Medicus). 32â
rforschanff auch einer experimentell verfahrenden Arbeitsweise be-
die die r^aturerscheinunffen nach blossen Verstandeskategorien auf-
<„ Vorlesungen über die Methode d. akad. Studiums^, W. II, 652 f.) ;
betont er, dass die so entstehende exoterische Theorie der Natur-
einungen niemals eine Erklärung der Natur sei, und diesem An-
h allein gilt sein Kampf gegen die mechanische Naturauffassung.
Bt wahr, dass man durch Anwendung der Mathematik die Abstände
laneten, die Zeit ihrer Umläufe und Wiedererscheinungen mit Ge-
keit vorherbestimmen gelernt hat, aber über das Wesen oder An-sich
r Bewegungen ist dadurch nicht der mindeste Aufschluss gegeben
sn. Die sog. mathematische Naturlehre ist also bis jetzt leerer For-
aius, in welchem von einer wahren Wissenschaft der Natur nichts
reffen ist" (II, 651/2). Unter der Voraussetzung, dass man sich ernst-
EU einem lebendigen gemeinsamen Grunde der Naturerscheinungen
der Freiheit bekennt, ist diese Stellung Sch.s die einzig mögliche;
war hier weniger konsequent ; sein Satz aus der Kr. d. r. V. (ß. 334),
ichtung und Zergliederung der Erscheinungen dringe ins Innre der
', stimmt nicht zur Kr. d. Urt. Nur Ficht«, dem die Naturerschein-
I als metaphysisch wesenlos galten, durfte der experimentellen Theorie
' Erscheinungpen den Namen „Naturerklärung" zuerkennen. — Indem
für F. die Naturerscheinungen wesenlos sind, muss ihm das Grund-
3m der Kr. d. Urt. wegfallen: wenn die Natur keine metaphysische
lichkeit hat, wenn das Nicht-Ich in der W.-L. von vorne herein dem
ihen Ich entgegengesetzt „eine negative Grösse^' if!^^^ iin Sinne der
sehen Abhandlung von 1768), dem absoluten Ich entgegengesetzt
^^schlechthin nichts" ist (S. W. I, 110), so ist jenes Grundproblem
Kluft zwischen Naturbegriff und Freiheitsbegriff gegenstandslos,
i im Sommer 1793 schreibt F., die neueren Streitigkeiten über die
sit kämen ihm „sehr komisch" vor (Leben und Briemechsel * II, 512).
lings hatte auch auf ihn die Kr. d. Urt., namentlich zur Zeit seiner
i Beschäftigung mit K., grossen Eindruck gemacht; dass aber die
ren Anregungen, die er aus dem Buche zog, das ihm übrigens damals
üch dunkel" erschien (Leben und Briefwechsel I, 111), anderer Art
len sein müssen als diejenigen, die Seh. ebendaher nahm, geht be-
sas dem Gesagten hervor (vgl. Leben und Briefwechsel I, 1&/6).
Die vorstehenden Ausführungen haben zeigen sollen, wie Seh. von
ig an seine Naturphilosophie in nahem Zusammenhang mit Kantischen
ULen entwickelt, und zwar gerade mit solchen Gedanken K.s, über
, hinausgegangen war. Auch darauf darf hier schliesslich noch hin-
•en werden, dass in den auf Einheit des Systems gerichteten Be-
lügen bei Seh. sehr bald — in grossem Unterschied von F. — die
» an die entscheidende Stelle tritt ; auch hier hat die Kr. d. Urt. den
gebahnt, sowohl durch ihre äussere Stellung im kritischen System,
riAmentlich durch ihre Lehre über das Genie. Die Hegeische Kon-
Ltion der Reihenfolge Kant — Fichte— Schelling hat nach alledem als
gt zu gelten. Wir haben gewiss noch vieles auch von Hegel zu
i; aber in seinen Versuchen, die empirischen Zusammenhänge des
isehen Daseins als vernünftig-wirklich nachzuweisen, stelltr er nur
Ü paue Schemata dahin, wo die echte Forschung frisches Leben
^ Denn diese hat Ehrfurcht vor der Geschichte und wagt es nicht,
■eh vorgefassten Begriffen zu konstruieren: sondern sehnsuchtsvoll
keosch giebt sie sich an das unabhängige Leben der historischen
ben hin, um von ihnen zu empfangen, was an freier, unableitbarer
ÜWirklichkeit in ihnen erschienen war. Die Depotenzierung F.s zu
abstrakt-formalistischen Vermittler zwischen K. und Seh. kann als
«ta Beispiel für jenes Verschablonisieren des geschichtlichen Lebens
Der historische F. war ein anderer, als der von Hegel also be-
j» in der dialektischen Retorte fabrizierte Homunkulus, und mithin
K die Stellimg Schj in der Geschichte der Philosophie eine andere
S28 Rezensionen (Hansen).
den Worten : „Der Grieche stand am Ufer des Meeres** : es wire am Sude
nicht nötig ^wesen, s^nz so weit auszuholen. Doch diese Anastelltuigen
betreffen, wie man sient, Kleinigkeiten, die nicht imstande sind, die Frrade
über die schöne Publikation zu Deeinträchtigen.
Halle a. S. Fritz Medicos.
Hansen, Adolph, Dr., Prof. der Botanik an der Uniyersität (Menen.
Goethes Metamorphose der Pflanzen. Geschichte einer botaniaclien
Hypothese. XII und 880 S. Mit 9 Tafeln von Goethe und 19 Tafeln vom
Verfasser. Giessen 1907.
Es ist eine Freude, dieses vortreffliche Werk anzuzeigen, das mit
der grössten Sachkenntnis die wärmste Liebe zu seinem Gegenstände yer-
bindet Dem Gedankenkreise der „Kantstudien^ liegt sein Thema keines-
wegs so fem, wie es manchem vielleicht im ersten Augenblicke scheinen
möchte — ist doch Gk>ethes Verhältnis zu Kant mindestens zum Teil
durch die Grundbegriffe der Morphologie vermittelt.
Nach einer orientierenden Übersicht über den gegenwärtigen Stand
der Lehre von der Metamorphose der Pflanzen wird Goethes Theorie aoa-
fOhrlich dargele^, dann werden die Schicksale dieser Hvpothese verfolgt
— Unverständnis auf Seiten der Linnéschen Schule, Zustimmung, aber
vielfach Verschlechterung durch die naturphilosophisch gerichteten Bota-
niker. Das ungerechte Urteil der neueren Botaniken bes. auch von Sachs,
über Goethe beruht darauf, dass seine originelle Lehre mit diesen Um-
bildungen verwechselt wurde. Nach Hansens Überzeu^pn^ gjsht die
Gegenwart, ohne es zu wissen, auf Goethe zurück. Sehr wichüff ist dann
die genaue Untersuchung der Vorarbeiten, auf die Goethe sich stfttien
konnte. Die tiefdringende kritische Analyse von Linnés Ansichten und
die eingehende Darstellung von Caspar Friedrich Wolf& bahnbrechenden
Untersuchungen beweisen Goethes Originalität. Es folfft eine historiadie
Darstellung von Goethes botanischen Studien — die treÎQiche Wiedergabe
der Tafeln, die Goethe zeichnen liess, giebt uns ein unschätzbares Doku-
ment dazu. Die letzten Abschnitte sind mehr polemischer Natur, lie
wenden sich gegen Goethes Verkleinerer: L. Celakovsky und seine nor-
dischen Gefolgsmänner Wille und Warming, die Goethe zum Plagiator
Linnés machen wollen, sowie gegen die unkritische Verwechselung der
Metamorphosenlehre mit der Descendenztheorie.
Das Wesentliche an Goethes Metamorphosenbegriff ist die Einsicht,
dass Cotyledonen, Blätter, Knospenschuppen und die verschiedenen Teile
der Blüte sich aus gleichen Anlagen entwickeln (homolog sind), und dass
ihre verschiedene G^taltung durch Funktionswechsel zu deuten ist. (Goethe
hat sich auch bemüht, in seiner Lehre von der „Verfeineruujg^ der fiÛle*
eine chemische Hypothese zur kausalen Erklärunff^der verschiedenen Ao^
bildung der homologen Anlagen zu ersinnen. Die Urpflanze ist keine
„platonische Idee*', sondern ein „Schema*'. Auf diese Ausfühningea
Hansens (S. 275 f.) mache ich alle auShnerksam, die sich für die Frajeeaes
Typusbegri^ interessieren — freilich s'laube ich nicht, dass seine Fxmnn-
lierunffen hier endgültig Klarheit schafien, wohl aber, dass sie B\d das oft
übersehene Problem hinweisen.
H. hat nachgewiesen, dass ungenügende Kenntnis des Originals mid
leider auch rationalistische Verfäl^hung der Geschichte an dem ab-
schätzigen Urteile über Goethes Leistungen Anteil haben. Aber er kennt
auch den tieferen Ges^ensatz der Grundanschauungen, von dem das Urteil
über Goethe abhängt, und er formuliert ihn (S. 110) in einer Polemik
ge^n Dubois-Bevmond in den Sätzen : „Dubois scheint . . . nur das ftr
Wissenschaft zu halten, was sich mechanisch aufKVsen lässt. Es Hast aiek
aber doch nicht leugnen, dass ausser 8chwiiia;enden Molekülen andi die
Formen der Natur mit ihrem Reichtum von WirKungen wirklich ezistteran.
Die spezielle Naturwissenschaft lässt sidb neben der allgemeinen doek
nicht wegleugnen*'. Wohl würde sich der Philosoph hier anden — we-
niger reiuistisch — ausdrücken, aber sachlich ist die Venchiedenhett
Bionen (Medicus). â2â
lerimentell verfahrenden Arbeitsweise be-
en nach blossen Verstandeskategorien anf-
iethode d. akad. Stndinms'', W. 11, 662 f.);
itstehende exoterische Theorie der Natnr-
klftrong der Natur sei, und diesem An-
legen die mechanische Natorauffassnng.
Anwendung der Mathematik die Abstände
mläufe und Wiedererscheinnngen mit Qe^
mt hat, aber ttber das Wesen oder An-sich
i nicht der mindeste Anfsd^nss gegeben
le Natnrlehre ist also bis jetzt leerer For^
er wahren Wissenschaft aer Natur nichts
er der Voraussetzang, dass man sich ernst*
leinsamen Grande der Naturerscheinungen
diese Stellung Sch.s die einzig mOfflicne;
ent ; sein Satz aus der Kr. d. r. V. (3. 884),
' der Erscheinungen dringe ins Innre der
Urt. Nur Fichte, dem die Natureischein-
3 galten, durfte der experimentellen Theorie
m „Naturerklärung" zuerkennen. — Indem
ngen wesenlos sind, muss ihm das Gründ-
en: wenn die Natur keine metaphj^aische
ht-Ich in der W.-L. von vome herein dem
.eine negative Grösse" (ganz im Sinne der
768), dem absoluten Ich entgegengesetast
i). W. I, 110), so ist jenes Grnndproblem
^ff und Freiheitsbegriff gegenstandslos.
3t F., die neueren Streitigkeiten fiber die
jch"" vor (Leben und Briefwechsel * 11, 612).
ie Kr. d. urt., namentlich zur Zeit seiner
3^ossen Eindruck gemacht; dus aber die
3 dem Buche zog, das ihm fibrigens damals
ben und Briefwechsel I, 111), anderer Art
nigen, die Seh. ebendaher nahm, geht be*
(vgl. Leben und Briefwechsel I, 1&/0).
rungen haben zeigen sollen, wie Seh. von
e in nahem Zusammenhang mit Kantischen
ir gerade mit solchen Gedanken Km, fiber
ich darauf darf hier schliesslich noch hin-
auf Einheit des Systems gerichteten Be-
— in grossem Untwrschiea von F. — die
le tritt; auch hier hat die Kr. d. Urt. den
re äussere Stellung im kritischen System,
e ttber das G^nie. Die Hegelsehe Kon-
it— Fichte— Schelling hat uMh alledem als
n gewiss noch vieles auch von Hegel zu
en, die empirischen Zusammenhänge des
iftig-wirklich nachzuweisen, stellt er nur
wo die echte Forschung frisches Leben
;ht vor der Geschichte imd wagt es niehL
zu konstruieren: sondern semisnchtsyoli
das unabhängige Leben der historischen
u empfangen, was an freier, nnableitbnrer
schienen war. Die Depotenziemng F.i zu
Vermittler zwischen K. und Seh. Sann als
jchablonisieren des geschichtlichen Lebens
ein anderer, als aer von Hegel also be-
törte fabrizierte Homunkulus, und mithin
er Geschichte der Philosophie eine indere
330 Rezensionen (Arnoldt).
auch den wuchtigen Ausdruck dieser Gesinnung nicht zurflckhftlt noch
mildert. — Wegen dieses Artikels unter Anklage gestellt, verteidiffte sich
Arnoldt in einer „Bede vor dem Schwurgericht^ (Noyember loôQ)^ in
welcher er den Einzelfall seines persönlichen Schicksals unter aUgememen
und grossen Gesichtspunkten behandelt und so zu ^mbolischer Bedentnng
erhebt, unbekümmert um äussere Folgen und Erfolge. — Neben dieaen
beiden Aufsätzen findet sich noch eine Reihe Abhandlungen in dieaem
Bande vereinigt, deren Grundbestimmung und Tendenz den Titel dieaea
Bandes rechtfertigt und erläutert, so z. B. die Aufsätze: „Herder und der
Begriff des Fortschritts"" ; „Öffentliches Leben""; ^Wahrheit und Wiaaen-
scl^ft"" u. a. m. •— Ausserdem sind in dem ersten Bande die Kritiken und
Referate Amoldts über verschiedene Werke geschichtlichen und philo*
sophischen Inhalts gesammelt. Nicht jedes Referat über diese z. iC Tor-
gessenen Schriften, nicht jede Notiz Arnoldts würde, für sich genommen,
Siteresse und Bedeutung haben. Aber da es sich darum handelt, den
Aufbau einer geschlossenen und eigenartigen Persönlichkeit zu vennchen
und einen selbständigen Denker in seinen Äusserungen vor den Leaer hin-
zustellen, kann man mit Recht Vollständigkeit zum Prinzip der Heraus-
gabe dieser Schriften machen.
In einen grösseren und festeren Zusammenhang treten wir ein mit
dem zweiten Bande : „Kleinere philosophische und kritische Abhandlungen*".
Diese Aufsätze, zusammen mit den im vierten Bande (Band 11 dee Nach-
lasses) vereinigten Schriften: „Erläuternde Abhandlungen zu Kants Kritik
der reinen Vernunft"" sind inhaltlich von Bedeutung und haben Amoldts
Namen mit der Darstellung, Ausführung und Verteidigung der Kantiachen
Lehren dauernd verbunden. Die Reihe dieser Abhandlungen wird mit
einer grösseren Arbeit eröffnet, welche betitelt ist: „Kants transscendentale
Idealität des Raumes und der Zeit. Für Kant gegen Trendelenbuiir.'' In
diesem Werke wird, aus Anlass der Kontroverse zwischen Kuno Fischer
und Trendelenburg, die Kantische Lehre mit Gründlichkeit und in ein«
durch eingehendes Studium gefestigten Auffassung gegen Trendelenbmg
vertreten und durchgeführt. — Den Charakter einer mien und aelbstin-
di^n, aber durch vorgefasste Meinungen und Eitelkeiten nicht beengten
Hin^be an das Gedankensystem des i)hilosophischen Genius traMn aUe
Schriften, welche Arnoldt in philosophischer Betätigung verfasat hat. So
auch seine Habilitationsschrift, die sich in diesem Bande findet: „Ober
Kants Idee vom höchsten Gut"", wenn^eich Arnoldt hier Kanta Lehren
nicht überall zustimmt. So sind diese Schriften wie auch die erlftntemden
Abhandlungen zur Kritik der reinen Vernunft besonders geeignet, in die
Kantische Gedankenwelt einzuführen und zu lehren, den F^blemgehalt
der Kantischen Werke zu erfassen und fortzubilden.
In dieser philosophischen Gesinnung erwuchs Arnoldt die Beachif*
ti^^ung mit den fillassikem unserer Litteratur. Die Abhandlungen zur
Litteratur (Band H) enthalten zwei grössere Aufsätze über Gt>ethe8 Faut
und Leasings Nathan ; daneben eine &ihe von kleineren Abhandlunsen über
Lesaings, Schillers, Goethes Bedeutung, über den „Gegensatz der SchiÜei^
sehen und Goetheschen Weltansicht"", Bemerkungen zu Goetheachen Dra>
men, zu Shakespeareschen Stücken u. a. m. Diese Arbeites sind z. T. IVag-*
mente, aber sie oieten alle etwas inhaltlich Bedeutendes; in der auaführtiihui^
und reichhaltigen Analyse von Goethes Faust und Leasings Nathan ist eni^
bedeutender Beitrag zum Verständnis dieser Werke und zur Anamflngonf^
ihres Ideengehaltes geliefert
Inzwischen ist ein weiterer Band der gesammelten Schriften Bond
Amoldts erschienen; und zwar als Band In die zweite Abteilnng dea^
„Kleineren philosophischen und kritischen Abhandlungen*. Dieêcr Bancs
enthält drei wertvolle Arbeiten Amoldts: „Kiu Prolegomena nieh*^=
doppelt re^^ert Widerlegunjg: der Benno i i en Hypothese*^
zweitens: JSjmta Jugend und die fünf ersten Ji : r Privatdosentar'^^
Rezensionen (Benner— Han). 331
und endlidbi einen kritischen Bericht über .Kant nach Knno Fischers neuer
DanteUong^.
Die erste und dritte Abhandlung, obwohl an andere Meinungen und
DanteUongen anknüpfend und zunflchst nur kritisch oder gar polemisch
«dacht und schrieben, sind dem Verfasser Über diesen anfänglichen
Zweck der Kntik hinausgewachsen und haben in ihrer sachlichen Gründ-
lichkeit and gedanklichen Schärfe einen selbständigen Wert und bleibende
Bedeutung. Die Arbeit über „Kants Jugend und die fünf ersten Jahre
•einer Privatdozentur*' ist als grundlegend für die biographische Forschung
allseitig anerkannt; in ihrem Inhalt äusserst sorgfältig und gediegen, trägt
diese Abhandlung in ihrer Form das Gepräge des selbständigen Amoldt-
•chen Geistes, der den Spuren des Genius nachzuforschen die Gabe hatte,
in dem anscheinend so regelmässigen und einfachen Ablauf des Kantischen
Lebens den zauberhaften Schein der Auserlesenheit entdeckte und in seine
Darstellang verweben konnte. —
Altona^Hamburg. Johannes Paulsen.
Benner, Hvgo. Immanuel Kants Werke in acht Büchern.
Ansigewählt und mit Einleitung versehen von Dr. Hugo Benner. Verlag
▼on A« Weichert, Berlin. 2 Bände.
Diese Ausgabe empfiehlt sich für jeden, der den Wunsch hat, die
Hauptwerke Kants im Zusammenhang zu lesen und zu studieren. Die
Auswahl ist von dem Herausgeber nach dem Gesichtspunkt getroffen, dass
in dieser Ausgabe alles enthalten sei, was für die kritische Philosophie
bedeutsam ist. Demgemäss enthält der erste Band „Beobachtungen über
das G^efühl des Schönen und Erhabenen^. „Träume eines Geistersehers^.
,J)ie Kritik der reinen Vernunft*'. ^Die Prolegomena". Der zweite Band
dieser Ausgabe enthält die „Grunolegung zur Metaphysik der Sitten".
.Kritik der praktischen Vernunft". „Die Kritik der Urteilskraft". „Der
Streit der Fakultäten". „Ailgemeine Naturgeschichte und Theorie des
Himmels". — In diesem zweiten Bande findet man ausserdem interessante
AuafOhrungen Kants über die „Philosophie als einem System^, femer „Von
dem System aller Vermögen des menschlichen Gemüts", endlich eine
^ncyklopädische Introduktion der Kritik der Urteilskraft in das „System
der &ritik der reinen Vernunft". Diese Stücke sind genommen aus
J. J. Becks Auszug aus Kants ursprünglichem Entwurf der Einleitung in
die Kritik der Urteilskraft —
Der Herausgeber hat den Kantischen Schriften eine sachlich orien-
tierende Einleitung vorausgeschickt, welche zugleich über Kants äussere
Lebenaechicksale und seine philoso^ische Entwicklung unterrichtet.
Der Text der Kantischen Werke ist unter ^rücksichtigung der
Akademieausgabe sorgfältigst behandelt. Die hier vorliegende Ausgabe
der Prolegomenen unterscheidet sich zu ihrem Vorteil von der Akademie-
mnbe &durch, dass die Vaihingersche Hypothese von der Blattversetzung
fno. hierüber H. Vaihinger, Eine Blattversetzung in Kants Prolegomena.
Ffiloe. Monatshefte 1879. Bd. 16. S. 821—382} berücksichtigt und die so
enDOffüchte Verbesserung des Textes durchgenlhrt ist. Es oesteht kein
Grono, an der Richtigkeit der Vaihingerschen Hypothese und seines Nach-
weiaea einer Textverschiebung in den fraglichen Abschnitten der Prolego-
umda zu zweifeln. (Vgl. auch: Sitzler, Zur Blattversetzung in Kants
PMeeomena. Mit einem Nachwort von Hans Vaihinger. Kant-Studien.
BdTDL 8. 588 ff.)
Altona-Hamburg. Johannes Paulsen.
Mm« Georg. Die Beligionsphilosophie Kaiser Julians in
seinen Reden auf König Helios und die Gttttermutter. Mit einer
Obenetsung der beiden Reden. Leipzig. Teubner. 1908.
Das Buch çibt keine zusammennängende Darstellung von Julians
Beligionsphilosonhie, sondern zunächst einen Kommentar zu den beiden
Beden, deren Üoersetzung im Anhang abgedruckt ist. Nur kuxs wird
382 Bezensionen (Bertling).
jedesmal am Ende der reli^oDSDhilosophische Inhalt der Bede
gsfasst und zum Schlnss die Stellung Julians innerhalb der nenplatoniachen
hilosophie überhaupt erörtert. Obersetzung wie Kommentar sind anaser»
ordentlich verdienstuch. Diese Reden Julians, die wie kaum eine andere
Schrift die Vermischung der religiösen Bestrebungen der Zeit, insbeaon-
dere der Helios-Mithras-Beligion , mit der neupUtonischen Philosophie
kennen lehren, bieten doch dem Verständnis ausserordentliche Schwierig-
keiten. Eine ^naue Kenntnis der Terminologie des Neuplatonismus ist
dafür unerlAssuch. Und nach dieser Seite liegt auch der Hauptwort der
hier g[ebotenen Erklärungen. Eine umfassende Belesenheit in der nau-
Slatonischen Litteratur setzt den Verfasser in den Stand, die G^eechiehte
er einzelnen Be^mff e innerhalb dieser Schule, oft mit Rückblicken bis auf
Aristoteles und Hato, zu verfolgen. Damit bietet das Buch eigentlich
mehr, als der Titel anzudeuten scheint. Keiner, der sich mit dem Nmi-
platonismus beschäftigt, wird an den hier gegebenen Untersuchungen über
einzelne Begriffe oder philosophische Lehren vorübergehen können« Hier
in eine Besprechung der Einzelheiten einzutreten, ist natürlich unmögUch.
Nur auf einige der längeren Exkurse möchte ich hinweisen: über den
Seelenbegriff, die Elemente, .den xéçfioç voêgoç, Materie und Form, ESngel,
Dämonen und Heroen u. a. Über manches lässt sich natürlich streiten.
So ist es mir zweifelhaft, ob man wirklich so scharf, wie es der Verf. (S.
6 ff.) tut, zwei Richtungen der Seelenlehre innerhalb des Nenplatonismi»
scheiden kann. Deutliche Gliederung des Inhalts und gelegenuiche Para-
phrasen erleichtem das Verständnis der Reden. Die Übersetzung erstrebt
natürlich in erster Linie wissenschaftliche Genauigkeit, weniger eine
künstlerische Form. Trotzdem hätte das häufige Wort yoritàç vielleicht
etwas kürzer übersetzt werden können, als durch den umständlichen Ana-
dmck, der hier dafür gewählt ist. Hoffentlich lässt der Verf. <üe an-
gekündigte Sammlung der Jamblichos-Fragmente bald folgen.
Strassburg LE. IL Wundt.
Bertling, O. Geschichte der alten Philosophie als Weg der
Erforschung der Kausalität für Studenten, Gymnasiasten und
Lehrer. Leipzig. Werner Klinkhardt. 1907.
Der Titel l}ezeichuet den Zweck des Buches. Es soll besonden
solchen, die zum ersten Male an die antike Philosophie herantreten, zur
Einführung dienen. Der Verfasser will hierfür aber nicht nur eine mdmch
historische Darstellung geben. Eine solche lässt, wie er meint, leicht eine
Enttäuschung erleben, da die gesamte Gedankenarbeit der alten Philo-
sophen uns für unsere heutigen philosophischen Probleme keinen Gewinn
mehr zu bieten scheinen. Er will im Gegensatz hierzu zeigen, daas anch
die antike Philosophie einen dauernden, noch für uns wertvoUen Erkenntnis-
ertrag geliefert habe. Er findet diesen auf dem Gebiete des Kmiaal-
problems und unterscheidet zu diesem Zwecke eine dreifache Kansditit
Wir wollen erkennen, wie das Wirkliche so geworden ist, wie es icist
ist (zeitliche K), oder wie jedes Einzelne sich zu dem Andern veraaHa
^itlich verbindende EL), oder, woher und wodurch das Wirkliche seine
Existenz habe und worauf es hinziele (Daseinskraft). Wie man sich ainh
zu dieser Einteilung stellen möge, gewiss ist, dass die antike Pfaüosoj^iie
wichtige und noch heute durcnaus lebendige Erkenntnisse in der Frage «
der Kausalität errungen hat. Aber ob dies cue einzige, ob dies aoeh nur '
die wichtigste und am unmittelbarsten noch heute lebendige Wirkung der '
antiken Philosophie ist? Das wird man nicht mit UnrMht b«sweiféfai -
dürfen, wenn man an die Gebiete der Ethik und der Religionsphüoeopya
denkt, die zumal durch die Vermittlung des Christentums unser Dsoikeo
noch auf weiten Strecken beherrschen. An dieser einseitigen Betonung dar "
einen Frage leidet etwas die historische Darstellung, aber doch nicht so
sehr als man fürchten könnte. Wohl sind die eben berührten Qebiele
gelegentlich etwas kurz weggekommen; z. B. werden die interenantea
Spelpilationen der Sophisten üoer Staat und Recht kaum berührt^ àbw im
Rezensionen (Gatberlet). 333
Gaozen ist die Dantellnng doch eine gleichmässige and die anfangs auf-
gestellte Tendenz drängt sich nicht störend hervor. Das Werk ^bt,
gelegentlich im unmittelbaren Anschluss an Zeller oder Überweg-Heinze,
einen kurzen Überblick über die Entwickelung, der im ganzen klar die
wesentlichsten Punkte heraushebt, minder wichtiges durch kleineren Druck
zorflcktreten lässt. Von der üblichen Auffassung entfernt sich der Verf.
wohl am weitesten bei der Darstellung der elea tischen Philosophie. Ob
er mit seiner Behauptung, das Sein der Eleaten bezeichne die in allem
V^irklichen sich betätigende Daseinskraft, Anklang finden wird, ist mir
freilich zweifelhaft Die jüngeren Naturphilosophen, Empedokles, Anaxa-
goras und Demokrit, wären vielleicht oesser gesondert behandelt und
nicht, wie es hier geschehen ist, zusammen. Unbillig kurz scheint mir
der Skeptizismus abgetan. Gerade die Argumente der Skeptiker, die im
einzelnen überhaupt nicht angeführt werden, sind doch zum Teil noch
hente nicht ganz veraltet.
Strassburg i. E. M. Wundt.
Gnfberlet, C. Der Kamnf um die Seele. 2. verbesserte und
Termehrte Auflage. Kirchman. Mainz 1903.
Referent erhielt schon vor einigen Jahren das vorstehende Buch
von der Redaktion der ,,Kantstudien" zum Zweck der Besprechung. Er
muss indessen offen gestehen, dass er nach der Lektüre einiger Abschnitte
diese Aufgabe ftlr so wenig dringend erachtete, dass er das Buch bei Seite
legte, mit um so ruhigerem Gewissen, als die I.Auflage bereits seinerzeit
in den „Eantstudien" gewürdigt worden ist; eine Kritik, auf die G. in
•inigen entrüsteten Angriffen Quittiert. Ich hätte die Anzeige auch wohl
Mnz unterlassen, wenn ich nient zufällig eine Stelle gefunden hätte, die
bei den Lesern der Eantstudien wohl Interesse erregen dürfte. Ich setze
sie deshalb wörtlich hierher:
„Ein echter Kantianer kann kein wahrer Naturforscher sein, denn
das hauptsächlichste Objekt der Naturforschung, z. B. der Mechanik,
Physik, Chemie, Biologie ist die Bewegung. Bewegung ist aber ein
Verhältnis zwischen âum und Zeit, sie vollzieht sich im Raum und in
der Zeit, ihre Geschwindigkeit wird gemessen durch den Quotienten •^, in
t
dem 8 den durchlaufenen Raum, t die dazu verwendete Zeit bezeichnet.
Db, aleo nach Kant Raum und Zeit nicht in der wirklichen Welt, sondern
als Anschauungsformen im Subjekte sich finden, so ist auch die Beweg^ung
nur ein subjektiver Vorgang, die Naturwissenschaften haben kein wirkliches
Weltot(jekL sondern beschäftigen sich mit Seelenvorgäns^en. Die Natur-
wiasensehaft wird zur Psychologie: eine Konsequenz, cue von manchen
Kttitianem, z. B. von P. Natorp, wirklich gezogen wird; dass aber da-
mit die Naturwissenschaft als solche beseitigt wird, leuchtet eiu.^ (I. Bd.,
8. 149.)
Diese Interpretation wird, wie gesagt, die Leser der Kantstudien
interesaieren ; der Schlusssatz aber insbesondere Herrn Professor Natorp,
der doch einigermassen darüber erstaunt sein dürfte, dass er der Haupt-
vertreter des von ihm so scharf bekämpften Psychologismus ist, noch dazu
dee PlB^chologismus in einer Form, der man gewiss alles Mögliche, z. B.
ffTttodliche Aosurdität, aber keinesfalls Mangel an Konsequenz vorwerfen
leim« — Ich bemerke ausdrücklich, dass icn Entdeckungen von so ver-
btllffender Neuigkeit trotz einigen Suchens in dem Buche nicht weiter ge-
ftniden habe, im Besonderen wird weder Goethe als Thomist, noch Papst
Leo XDL als Hauptvertreter des Empiriokritizismus zitiert.
Im Ernst: ^antverständnis ist eine schwere Sache, die unfreiwillige
Komik seiner Kantinterpretation wollen wir Herrn Gutberiet verzeihen.
Die Behmiptunff über Natorp aber, die G. nicht hätte aufstellen können,
m er eine Schrift von Natorp gelesen hätte, zeugt nicht nur von gänz-
Mangel an Verständnis, sondern auch von Mangel an ehrlichem
.•}24 Rezensionen (Medicus).
als die ihm von Hegel zugewiesene und bis heute allgemein angenommeDe.
Um klar zu stellen, was Seh. für die Kantische Philosophie bâleutet,fir
es nötig, die von Hegel stammende Auffassung zurückzuweisen. Die»
Absicht aber hat ihrerseits dies nötig gemacht, zur Beweisführung ledig-
lich Schriften aus Sch.s früher Zeit heranzuziehen; auf spätere diuntemr
da hingedeutet werden, wo in ihnen die Fortsetzung eines schon frtkei
vorhandenen Gedankenganges erkennbar war. Es musste gezei^ wwdei,
dass Seh. nie Fichtianer gewesen ist, dass er, ohne je vom eififentüchei
Geiste der W.-L. ergriffen gewesen zu sein, seine Naturphilosophie la^
baut hat, indem er ^anz unfichtische Motive aus der Kr. d. Urt. ausbildete.
Es mag nun noch mit wenigem darauf hingewiesen werden, dass er uä
später, als die Probleme der Religionsphilosophie in den Vordei^rnd
seines Interesses getreten sind, näher als F. bei K. stehen bleibt.
Für die sehr erheblichen „Philosophischen Untersuchungen fiber du
Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhftn^feodei
Gegenstände" (1809) ist K.s Lehre von der intellieiblen Tat eine der
entscheidendsten Stützen. K. hatte die ausnahmuose natumotwendi^
Bedingtheit alles menschlichen Handelns behauptet, trotzdem aber eikliit,
der Mensch könne von einer jeden gesetzwidrigen Handlung, die er bfr
geht, mit Recht sagen, dass er sie hätte unterlassen können : ^denn et, ^
mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehört zu einem einzigen Flii' "
nomen seines Charakters, den er sich selbst verschafft" (Kr. d. pndct T., ^
Kehrbach 118). In derselben Weise spricht auch Seh. von der „nnle^^ —
baren Notwendigkeit aller Handlungen", die dennoch der Freiheit dew«
Willens nicht widerspreche, weil der Mensch selbst den sittlichen ChariUer^
seines Zeitlebens bestimme durch eine Tat, die nicht der Zeit, soodoi^
der Ewigkeit angehört : „sie geht dem Leben nicht der Zeit nach tohi^h
sondern durch die Zeit hindurch als eine der Natur nach ewige W^»
„Dass Judas ein Verräter Ghristi wurde, konnte weder er selb^ doc^k
eine Kreatur ändern, und dennoch verriet er Christum nicht geagwimgefc^
sondern willig und mit völliger Freiheit" (III, 481 f.). Dieser letite »^
Sch.s entspricht genau dem berühmten Satze K.s, man könne „einrlu*»..
dass, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungnrti
wie sie sich durch innere sowohl als äussere Handlungen zeigt, soüi
Einsicht zu haben, dass jede, auch die mindeste Triebfeder di^ um ^
kannt würde, imgleichen alle auf diese wirkenden äusseren Veranlasugo^
man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit G^wissheit, so ^
eine Mond- oder Sonnenfinsternis, ausrechnen könnte, und dennoch dM*
behaupten, dass der Mensch frei sei" (Kr. d. prakt. V. 120). — Auch k*
führt der Weg von K. zu Seh. nicht durch Fichte hindurch, senden^
ihm vorbei. Es ist unverkennbar, dass die Lehre vom intcjligiblcn öfr
rakter als einer einmaligen, das Erscheinungsdasein schlechthin bestiiB»^
den Tat nur in einer naturphilosophischen Ethik möglich ist: sie ■DJ*
den Charakter als etwas seinem Wesen nach Festes, fertiges und sdiM
so die sittliche Freiheit aus. Das ganze Zeitleben muss als eine vj^
flüssige und sinnlose Veranstaltung erscheinen, wenn eine zeitloie^
entscheidet, wie es abzulaufen gezwungen ist. Aller Wert ist in die ij^
lose Tat verlegt, und man sieht nicht, weshalb man das ZeitdaseinVf
haupt ernst nehmen sollte. F. aber betont, dass das Pfiichtbewiait^
unbedingt gebietet, die Situationen des Zeitdaseins ernst zu nehmei'jj!
Sinnenwelt wird ihm „die fortwährende Deutung des Pflichtceboli) *[
lebendige Ausdruck dessen, was du sollst" (F.s sftmtl. W. V, 186). ^
F. setzt darin einen Kantischen Gedanken fort : denn neben der eiiifÖJJ
Lehre K.s steht unvereinbar mit ihr (bes. in der „Grundlegung s. IMr
d. Sitten") eine zweite Theorie des intelligiblen Charakters, wonach ^
keineswegs „dem empirischen Charakter gemäss^ zu denken ist (igL r
^ "68), sondern vielmehr das von keinen Schlacken getritote'**
d. r. V. B. 568),
Ich bedeutet: „Als blossen Gliedes der Verstandeswelt wttr&n alte^
Handlungen dem Prinzip der Autonomie des reinen Willens toU1u)IB0^
i
Rezensionen (Medicos). 326
Lfis sein^ (S. W., 2. Hartensteinsche Ausg. IV, 301). Den in diesen
:^n angezeigten Weg ist F. gegangen; er führt weit von Seh. ab; er
insbesondere auch nicht zur Lehre von einem positiv Bösen, wo-
rieder K. und Seh. übereinkommen: denn auch diese Lehre ist nicht
einen naturphilosopbischen Hintergrund möglich, den namentlich Seh.
er genannten Abhandlung von 1809) ganz ausgezeichnet hervorgekehrt
3er aber auch bei K. deutlich genug erkennbar ist. In der „Aeligion
li. d. Gr. d. bl. V." (Kehrbach 69) wird das Böse auf einen „inneren
a Grund der Maximen, die mit den Neigungen im Einverständnisse
, zurückgeführt: dieser Grund bestimmt die freie Willkür, bei der
mgiblen Tat die Befriedigung der Neigungen zur Bedingung der Be-
■3g des moralischen Gesetzes zu machen. Und so gewiss der „innere
Grund der Maximen** eine positive Grösse ist, so gewiss ist auch das
nicht lediglich Abwesenheit des Guten, sondern etwas Positives.
Lehre vom Bösen ist zwar unmittelbar mehr von Jacob Böhme als
!K. beeinflusst; aber eine naturphilosophische Denkweise war allen
Qkem eigen, und K. war immerhin ein prinzipiell wichtiges Vorbild
lie Verknüpfung der Si)ekulationen über das positive Böse mit der
& Philosophie. Seh. ist im Anschluss an Böhme weit über K. hinaus-
igen: Woher jener innerste erste Grund der Maximen? was ist er?
lührt ihn zurück auf den dunklen Urgrund in Gott selber, auf das-
e in Gott, was in ihm nicht er selbst [nicht die lichte Klarheit des
vbewussten Geistes] ist, auf die Natur in Gott. Alles was geworden
feilt den Grund seiner Existenz in Gott, Gott allein hat den Grund
r Existenz in sich: dieser Grund ist seine Natur, die unergreifliche
aller Realität, „das was sich mit der grössten Anstrengung nicht in
«md auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt**. Aus diesem
l^el"^, dieser „Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu
:"en'', stammt der Eigenwille der Kreatur, stammt das positive Böse
•453 ff.). Gewiss, diese Sätze sind nicht mehr Kantisch, aber sie
Q doch in einer Richtung, in die man von der Kantischen Natur-
aophie aus kommen kann. Dagegen ist in einer Philosophie des ab-
an Ich für eine Verabsolutierung des Bösen keinerlei Anknüpfungs-
Ichkeit: für Fichte kann die intellig^ible Welt nur eine Welt lichter
tlnftiger) .Freiheit sein, nicht aber eine Welt dunkler ^vemunftloscr)
Unde. — Ähnlich wie beim Problem des Bösen liegen die historischen
nüpfungen bei der Frage nach dem Gottesgedanken. K. hat ihn
bisch, persönlich ffefasst, und Seh. ist ihm von 1809 ab hierin gefolgt,
wieder ist Seh. deijenige, der deutlich zeigt, wie von einer Person -
keit Gottes nur darum gesprochen werden kann, weil in Gott eine
ir, eine von seiner Existenz unabhängige Basis ist (ni, 490 f.).
ir Gedanke war bei K. nicht entwickelt, aber unerkannt trägt er
auch dessen (allerdings stets etwas skeptische) Aussagen über Gott
insbesondere auch seine zweifellose Abneigung geren den Pantheis-
wenn K. Gott denken soll, so kann er ihn sich nicht anders denken,
als ein besonderes Ding an sich — und dieses Ding an sich hat
tverständlich seine eigentümliche Natur. Dass damit etwas von der
Ichen Klarheit Unabhängiges gesetzt ist, hat K. kaum je bedacht; es
te ihn vor dem Gedanken geschaudert haben. Er hat es hier wie so
»eh. überlassen, die Konsequenzen aus seiner halb formulierten Meta-
^k zu ziehen. F. aber hält sich auch in dieser Frage von der Nator-
sophie fem. Er setzt in Gott allen Persönlichkeitsgehalt, aber nicht
^ersönlichkeitsform : der Persönlichkeitsgehalt allein ist es, wodurch
m höchsten Sinne Ich, wodurch wir frei sind. Alle Form beschränkt,
it Objekt von Objekt, Negatives von Negativem. „Das Absolute wäre
das Absolute, wenn es unter irgend einer Form existierte** (Leben
Briefwechsel ■ 11, 367).
Später, in der Période der ^positiv en Philosophie^ hatSchelling
eme bevorzugt, die sich creüich kaum mehr mit Kant berühren.
336 JEtezensionen (Speck).
oSchaaderf* nach eigenem Geständnis davor. Dass aber die esmkte
Forschung Goethe nichts zu verdanken habe, trifft doch schon mit Rflck-
sieht auf die vom Autor selbst erwähnten Geschichtsdaten, wie die Farben-
lehre — bei der m«in freilich scharf die physiologische Seite von der
physikalischen, insbesondere Reiz und Reizeffekt zu unterscheiden hat —
wie die Pflanzenmetamorphose, ja sogar die Einzelentdeckung des Zwischen-
kieferknochens nicht zu. Auf der anderen Seite ist die moderne Des-
zendenzlehre noch nicht notwendig materialistische Metaphysik, sollte doch
der Begriff des methodischen Materialismus seit F. A. Lange zum min-
desten — um nicht zu sagen: seit Kant — jedem an der exakten
Forschung eini^ermassen Orientierten geläufig sein; oder aber man spottet
über den Begnff der „Exaktheit" nicht ungestraft, weil der Spott auf den
Spötter zurückfällt Und um Goethe selber gerecht zu werden, ist es
mcht genug, seine Ablehnung des materialistischen Entwickelonesbegriffs
zu betonen. Dazu gehört vielmehr auch seine positive Stellung zum
Ëntwickelungsbegriffe. Diese kann jedoch ohne seine Entelechienlehre nie-
mals ganz verstanden werden. Von ihr aber hören wir leider in der Ab-
handlung kein Wort. Daher ist in dieser auch Goethes Anschauung vom
Individuellen durchaus verkümmert. So richtig es ist, dass die Entwicke-
lung für Goethe Darstellung der Erscheinungen als Glieder gesetzmäasi^n
Zusammenhangs bedeutet, so unrichtig ist £e Behauptung: „die Wirklich-
keit, von der er die organischen Wesen ableitet, besteht nicht ans Indi-
viduen". Das unterscheictet ja besonders Goethes Natur von deijeniffen
Spinozas, dass Goethes machtvollste Individualität gerade den Gedanken
aus tiefinnerlichstem Erleben betonte: „Jedes ihrer Werke hat ein eigenes
Wesen, jede ihrer Erscheinungen den isoliertesten Begriff, und doch macht
alles Eins aus", oder „sie lebt in lauter Kindern". Greht auch, wie Gk>ethe
sagt, das Individuum verloren, so ist doch „ihm und anderen daran ge-
legen, dass es erhalten werde^. Denn nj^^^r ist selbst nur Individnnm
und kann sich auch eigentlich nur fürs Individuelle interesderen** . . .
.Wir lieben nur das Individuelle'*. Und der höchst potenzierten Indivi-
dualität, der höchst entelechierten Persönlichkeit, diesem „höchsten Glflok
der Erdenkinder", gegenüber, deren die Natur „nicht entbehren kann*,
ist soear „die Natur verpflichtet", die Erhaltung zu gewährleisten« Ein
Gedanke, in dem die Entwickelungslehre Goethes, so wie er de wirklich
ausgebildet hat, ihren metaphysischen Höhepunkt erreicht, der aber yom
Yenasser überhaupt nicht berührt wird.
Damit wollen wir unsere Kritik beschliessen. Dass es etwas be-
fremdlich wirkt, die Titel des Inhaltsverzeichnisses nicht in. Obereinstiin-
munff mit denjenigen des Textes zu finden, das ist eine Äuaserlichkeit,
die cue Sache nicht berührt und über die wir hinwegsehen wollen.
Immerhin fanden wir rein der Sache nach mancherlei zu bean-
standen. Ja, das Schriftchen hat in erster Linie unseren Widersnnioh
herausgefordert. Dass wir es darum aber für belanglos halten sollt«!,
dagegen spricht wohl schon der Umstand, dass wir uns mit seinen knaroen
zwei Bogen so einfi;ehend beschäfti^n, wie wir es getan haben. Sind
doch der Ernst und der Fleiss, mit dem der Stoff zusammengetragen
wurde, unverkennbar, und auch die blosse Stoffsammlung wird manchem
wertvolle Hinweise geben können. SoUte der Autor seine An^be ein-
mal in etwas erweitertem Umfange aufnehmen und das jetzt nc^ Weit-
verzwei^ zur Einheit begrifflicher Durcharbeitung zusammenfügen, dabei
auch seme Stellung zur modernen exakten Forschung in manchen StfidMn
revidieren, so würde er wohl noch bieten können, was er jetzt hat bieten
wollen. Denn eine Vorarbeit zu einem solchen Unternehmen dürfen wir
in seiner Schrift schon erblicken. WertvoU ist also immerhin unter dieeem
Gesichtspunkte die Zusammenstellung des nicht unerheblichen Stofifee.
Und als besonders fe^lückt seien hier nodi die mancherlei EBnweise anf
die persönliche Grunostimmung, die auch in der theoretischen Anadiamnur
Goethes wirksam ist, hervorgehoben, Hinweise, die oft (wie i« B. & 90
llezensionen (Medicos). 327
>n8 Ideenlehre ; Spinozas lange verkanntes Werk findet feierlich-
m Widerhall. — So hat die neue Zeit der Philosophie eine neue
) gesteUt: die Aufgabe, das neue Selbstbewusstsein zu verstehen,
ler Inhaltlichkeit gewiss geworden ist. Oder, was dasselbe heisst:
S be war, die Inhalte zu verstehen, in denen das Bewusstsein die
eit erfasst und die es gleichwohl als Gestalten seiner f^iheit
Aber wie? Ist denn das Wesen der Wirklichkeit, das Wesen
It — Freiheit? Bei Kant war doch die Freiheit ffanz in das
Subjekt gefallen ! Doch nicht so ganz : in der Kr. d. (M, war der
gemacht, die Freiheit noch anderswo aufisusnchen. Freilich, es war
isatz geblieben. Aber nun, in der Philosophie der neuen Epoche
dem bloss formalen Subjekt auch die Kluft zwischen freiem Snb-
d Wirklichkeit geschwunden: Nicht erst in Hegels Philosophie,
schon in den Lehren Fichtes und ScheUings ist (ue Substanz Sub-
HTorden, und die Systeme der 3 grossen Denker sind charakteristisch
dene Durchfüliruncen dieses Grundmotivs einer Verankerung aller
liischen Probleme in der lebendigen Wahrheit. Von« diesen beson-
.nsprä^ngen, die jeder dieser 3 Denker dem gemeinsamen Grund-
m gieot, gilt das Wort Fichtes: „Was für eine Philosophie man
langt davon ab, was man für ein Mensch ist" (S. W. I, 434); denn
ficht jeder das, was er als die tiefste Substanz seines lebendigen
fasst hat. Schelling und Hegel sind Aristokraten, Seh. ein ästne-
. ein logisch gerichteter; Fichte ist Demokrat: ihm gilt allein die
?eligi(yse Bildung als der Weg zur freimachenden Wahrheit. Diese
tee sind sehr gross, und in den nächsten Jahrzehnten wird mancher
tan sie geführt werden. Aber weit grösser noch als diese Gegen-
i der Abstand, in dem sich die idealistische Philosophie als Ganzes
«t von den konventionellen Oberflächlichkeiten befindet, die sich
lütte des vorigen Jahrhunderts in das „Kultur^-bewusstsein der
«ft fortgepflanzt haben.
7X Hitarbeit an den Aufgaben, die hier der Philosophie warten,
« neue Schellingausgabe ein tüchtiges Stück beitragen. Sie
àaza angetan, Lust und Verständnis für die Forderun^n zu
jJBe die Philosophie heute an uns stellt: denn wenn wir auch
'^^idit im historischen Studium, in der Rückkehr zu unseren Klas-
joken bleiben wollen, so ist doch in Anbetracht unserer philo-
.Uchtlichen La^e kein anderer Weg für uns möglich als der
" ernstes historisches Studium hindurch. „Nur ein Possenreisser
•r Mensch kann auch übersprungen werden" sagt Zarathustra
^T als ein halbes Jahrhundert hat man sich in dem — übrigens
*^nien — Possenreisser^ ahn gefallen, Fichte, Schelling und B^gel
. -^«ni zu haben. Wir wollen es uns von Zarathustra sagen lassen,
«Mensch etwas ist, das überwunden werden muss, und zum
t iolcher Kerle gehört nicht wenig; zu allererst aber dies, dass
i4dich kennen lernt. — Der Verlag von Kritz Eckardt kündigt
f^B der klassischen deutschen Philosophie in biUigen muster-
feetatteten Neuaus^aben erscheinen zu lassen", und die vor-
JiéUingausgabe, mit der das Unternehmen begonnen hat, ent-
ern hochem'eulichen Vorhaben. Papier, Druck, Einband sind
Ue 8 Schellingporträts stehen durchaus auf der Höhe modemer
iien. Im Werktext sind Druckfehler geradezu erstaunlich
Beihenfolge der Schriften ist chronologisch, die Paginierung
samtausgabe ist angemerkt. Auch mit der getroffenen Aus-
'ium sehr einverstanden sein. Das fast 70 Seiten füllende
Sadiregister ist eine nicht zu verachtende Zugabe. Mancher
-^r^eh die etwas gar knappe Fassung des bibliographischen
diuieni; auch nach einer Notiz über die Herkunft der H
'"WtÂd noch manch einer gleich dem Rezensenten vergeblich
^inleitiing ist etwas reichbch breit angelegt; sie beginnt mit
328 Rezensionen (Hansen).
den Worten : „Der Grieche stand am Ufer des Meeres'^ : es wftre am Ende
nicht nötig gewesen, ^anz so weit auszuholen. Doch diese AussteUuBgei
betreffen, wie man sieht, Kleinigkeiten, die nicht imstande sind, die frndi
über die schöne Publikation zu Deeinträchtigen.
Halle a. S. Fritz Medicns.
Hansen, Adolph, Dr., Prof. der Botanik an der Universit&t QieMi.
Goethes Metamorphose der Pflanzen. Geschichte einer botaniaditt
Hypothese. XH und 380 S. Mit 9 Tafeln von Goethe und ISTafehi im
Venasser. Giessen 1907.
Es ist eine Freude, dieses vortreffliche Werk anzuzeigen, das mift
der grössten Sachkenntnis die wärmste Liebe zu seinem Gegenstande TB^
bindet. Dem Gedankenkreise der „Kantstudien" liegt sein Thema keiofl^
wegs so fem, wie es manchem vielleicht im ersten Augenblicke scheinai
möchte — ist doch Goethes Verhältnis zu Kant mindestens zum M
durch die Grundbegriffe der Morphologie vermittelt.
Nach einer orientierenden Übersicht über den gegenwärtigen Stnd
der Lehre von der Metamorphose der Pflanzen wird Goethes Theorie i»
führlich dargele^, dann werden die Schicksale dieser Hypothese yer(d|k
— Unverständnis auf Seiten der Linnéschen Schule, Zustimmung, loSr
vielfach Verschlechterung durch die naturphilosophisch gerichteten Bot^
niker. Das ungerechte urteil der neueren Botaniker, bes. auch vonSadn^
über Goethe beruht darauf, dass seine originelle Lehre mit diesen ü»
bildungen verwechselt wurde. Nach Hansens Überzeugung ^eht äe
Gegenwart, ohne es zu wissen, auf Goethe zurück. Sehr wichü^ ist dm
die genaue Untersuchung der Vorarbeiten, auf die Goethe sidi sUttm
konnte. Die tiefdringende kritische Anal^ von Linnés Ansichten ni
die eingehende Darstellung von Caspar Friedrich Wolf& bahnbredieBdei
Untersuchungen beweisen Goethes Originalität. Eb folçt eine historiBete
Darstellung von Goethes botanischen Studien — die trefiOiehe Wiedeigite
der Tafeln, die Goethe zeichnen liess, giebt uns ein unachätzbares IM»
ment dazu. Die letzten Abschnitte sind mehr polemischer Natur, m
wenden sich gegen Goethes Verkleinerer: L. Celakovsky und seine imt
dischen Gefolgsmänner Wille und Warming, die Goethe zum Plagiifeor
Linnés machen wollen, sowie gegen die unkritische Verwechselung dff
Metamorphosenlehre mit der Descendenztheorie.
Das Wesentliche an Goethes Metamorphosenbegriff ist die Eintiebt,
dass Cotyledonen, Blätter, Knospenschuppen und die verschiedenen Teile
der Blüte sich aus gleichen Anlagen entwickeln (homolog sind), und àm
ihre verschiedene Gestaltung durch Funktionswechsel zu deuten ist. Goetti
hat sich auch bemüht, in seiner Lehre von der „Verfeinerung der SiÜai^
eine chemische Hypothese zur kausalen Erklärung der verschiedenen A»
bildung der homologen Anlagen zu ersinnen. THe Urpiianze ist Um
„platonische Idee", sondern ein „Schema^. Auf diese AusffllmmM
Hansens (S. 275 f.) mache ich alle aufmerksam, die sich für die FraceOBi
TypusbegrifEs interessieren — freilich glaube ich nicht, dass seine FanÊt
lierungen hier endgültig Klarheit schanen, wohl aber, dass sie auf das oft
übersehene Problem hinweisen.
H. hat nachgewiesen, dass ungenügende Kenntnis des Originals ori
leider auch rationalistische Verfälschung der Geschichte an dem ab*
schätzigen Urteile über Goethes Leistungen Anteil haben. Aber er kead
auch den tieferen Gegensatz der Grundanschauungen, von dem das VM
über Goethe abhängt, und er formuliert ihn (S. 110) in einer Pûtaft
ge^n Dubois-Reymond in den Sätzen : „Dubois scheint . . . nur das flr
Wissenschaft zu halten, was sich mechanisch auflösen lässt. Em Iftsst éà
aber doch nicht leugnen, dass ausser schwingenden Molekülen auch äe
Formen der Natur mit ihrem Reichtum von Wirkungen wirklich ezistiena
Die spezielle Naturwissenschaft lässt sich neben der allgemeinen doch
nicht wegleugnen". Wohl würde sich der Philosoph hier andeis — ^
niger realistisch — ausdrücken, aber sachlich ist die VenddedeoM
Rezensionen (Arnoldt). 329
Bwischen physikalischer und morpholoffischer Denkweise scharf heraus*
gearbeitet. Dass Kant bei vorwiegend physikaHscher Orientierung das
Morphologische Problem in der Kntik der teleologischen Urteilskrät er-
iMBt hat, ergab für Goethe die erste Möglichkeit eines Hinüberblickens
in die ihm zunächst so fremde Welt der kiitischen Philosophie. Be-
flierkenswert ist allerdings, dass in einem Entwürfe, der nacn Steiners
Dfttierun«^ vor 1790 liegt (Hansen 54 f., Weimarer (Sophien-) Ausgabe 11,
Bd. 6, 312—319), „transscendentell" und^ priori" in einem von Kant be-
«infinssten Sinne gebraucht werden. Wenn Steiners Datierung (für die
m leider in der Weimarer Ausgabe n, 6, 369 keine Gründe angiebt) richtig
ht, so liegt in dieser sowohl von Vorländer wie von mir bisher über-
■(dienen Stelle ein Dokument der Wirkung von Goethes ersten Kantstudien
(1789) vor.
Goethes Verhältnis zur Naturphilosophie Schellings und seiner Nach-
folger findet bei H. doch nur eine einseitige Beleuchtung. Mit Recht be-
tont er, dass Goethe viel mehr Forscher ist als sie — aber die grosse
^^orwandtschaft der Grundbegriffe, bes. der von H. etwas vernachlässigten
'iritäf* und ^Steigerung^ wird nicht genügend beachtet. Die sehr
eifliche Einseitigkeit des Naturforschers ist aber g^eeignet, den Philo-
ben vor einer ihm naheliegenden vorschnellen Identifikation von Goethe
«na Schellin^ zu warnen.
Sehr mteressant ist Hansens Mitteilung (867), dass die bekannte
BtoUe über Shakespeare, Spinoza und Linné in der „Geschichte meines
kotanischen Studiums^ in aem für die Ausgabe 1831 bestimmten Manu-
ricript von Goethes eigener Hand mit Bleistiit ausgestrichen und überdies
Bit einem Papier überklebt ist. Dagegen ist H« die P^uraUelstelle in dem
Briefe an Zelter vom 7. November 1816 (Weimarer Ausgabe m, 27, 219, 10)
Atgangen: „Dieser Tage habe ich wieder liinné gelesen und bin über
Ueeen ausserordentlichen Mann erschrocken. Ich hal^ unendlich viel von
Ihm g^elemt, nur nicht Botanik. Ausser Shakespeare und Spinoza "wüsste
ich nicht, dass irgend ein Abgeschiedener eine solche Wirkung auf mich
Mtan.*' Hier ist auf eine allgemeine Einwirkung Linnés hiuMdeutet, über
Se uns ein so trefflicher Kenner wie Hansen vielleicht nänere Auskunft
geben kann. Mir giebt die Stelle bisher ein BAtsel aut
Freiburg L Br. J. Qohn.
Arnoldt, Emil. Gesammelte Schriften. Herausgegeben von
Otto Schöndörffer. Verlag von Bruno Cassirer, Berlin 1906. 4 Bände.
Der Herausgeber hat die fi^esammelten Schriften Emil Amoldts in
duronologischer lUihenfolge geordnet in würdiger Auastattun^ erscheinen
liasen. von den vier Bänden trägt der erste die Überschrift: „In der
Bahn freigemeindlicher Ansichten. Kritiken und Referate'*; der zweite
Bund ist ^titelt: „Kleinere philosophische und kritische Abhandlungen".
tê folgt dann der Nachlass, Band I: „Zur Littérature, Band H: „Er-
llvtemae Abhandlungen zu Kants Kritik der reinen Vernunft". ~ Einige
wenige Angaben des Vorworts unterrichten über die äusseren Lebens-
idiicKsale des Verfassers dieser Schriften. Eine Herausgabe der Briefe
Araoldts wird in Aussicht gestellt und es soll dann genaueres über Amoldts
Leben mitgeteilt werden.
Der Inhalt der hier gesammelten Aufsätze und Abhandlun^n ist
raich und mannigfaltig. Alle vereint ihr gemeinsamer Ursprung: die echte
pliiloeophische Gesinnung Amoldts, welche in dem Gedankemeben Kante
wtaen Nährboden gefunden hat. — Von den im ersten Bande vereinigten
Sehriften werden besonders die Abhandlungen und Aufsätze interessieren,
welche sich auf die Beendung und RechÜertigung der philosophischen
Weltanaichts Amoldts Beziehen, soweit sie sein Verhältnis zur Landes-
kirche und zur R'^^-'^rung betritt und sich in der Förderung freigemeind-
fieher Bestrebung .^ dokumentiert. Sehr lesenswert ist gleich oie erste
Abhandlung: „Di) freien Gemeinden und die Regierungen*', welche von
dem Pathos freiheitlicher Gesinnung getragen ist und in welcher Amoldt
330 Rezensionen (Arnoldt).
auch den wuchtigen Ausdruck dieser Gesinnung nicht zurtckhüt a«é
mildert. — Wegen dieses Artikels unter Anklage gestellt, verteidigte éà
Arnoldt in einer „Bede vor dem Schwurgericht* (November 1850), in
welcher er den Einzelfall seines persönlichen Schicksals UDter aligeTneinéQ
und grossen Gesichtspunkten behandelt und so zu ^mboliscber ä&deatpf
erhebt, unbekümmert um äussere Folgen und Erfolge. — Neben
beiden Aufsätzen findet sich noch eine Reihe AbhuidliiDgen in
Bande vereinigt, deren Grundbestimmung und Tendenz den Titel
Bandes rechtfertigt und erläutert, so z« B. die Aufsätze : ^Herder und dtf
Begriff des Fortschritts"; „Öffentliches Leben"; -Wahrheit und Wmot i
Schaft" u. a. m. — Ausserdem sind in dem ersten Bande die Hritaken vd
Referate Amoldts über verschiedene Werke geschichtüehen und pliilt^
sophischen Inhalts gesammelt. Nicht jedes Referat über diese z. T. m^
gessenen Schriften, nicht jede Notiz Arnoldts würde, für sieb genomoM,
Siteresse und Bedeutung haben. Aber da es sich darum bandelt, àm
Aufbau einer geschlossenen und eigenartigen Persönlichkeit zu vermchei
und einen selbständigen Denker in seinen Äusserungen vor den Lasar hia«
zustellen, kann man mit Recht Vollständigkeit zum Prinadp dar Henur
gäbe dieser Schriften machen.
In einen grösseren und festeren Zusammenhang treten wir ein mi
dem zweiten Bande : „Kleinere philosophische und kritische AbbandluD^'.
Diese Aufsätze, zusammen mit den im vierten Bande (Band II des Nacb»
lasses) vereinigten Schriften: „Erläuternde Abhandlungen zu Kant« Eiiïa
der reinen Vernunft" sind inhaltlich von Bedeutung und haben AmdSk
Namen mit der Darstellung, Ausführung und Verteidigung der Kantâcbs
Lehren dauernd verbunden. Die Reihe dieser Abhcmdlangen wir^ mit
einer grösseren Arbeit eröffnet, welche betitelt ist: „Kants transseeudenUli
Idealität des Raumes und der Zeit. Für Kant gegen Trendeienbur^.'' [d
diesem Werke wird, aus Anlass der Kontroverse zwischen Kuno Fisd»f
und Trendelenburg, die Kantische Lehre mit Gründlichkeit und in emer
durch eingehendes Studium gefestigten Auffassung gegen TreDdêleDbarg
vertreten und durchgeführt. — Den Charakter einer freien und s^bstlft-
di^n, aber durch vorgefasste Meinungen und Eitelkeiten nicht be^i|;in
Hm^be an das Gedankensystem des i)hilosophi8chen Genius trageii afla
Schriften, welche Arnoldt in philosopmscher Betätigung verfasst hat So
auch seine Habilitationsschrift, die sich in diesem Bande findet: ^t^
Kants Idee vom höchsten Gut", wenngleich Arnoldt hier Kants Lektt
nicht überall zustimmt. So sind diese Schriften wie auch die erläuten^d«
Abhandlungen zur Kritik der reinen Vernunft besonders geeignet, m d»
Kantische Gedankenwelt einzuführen und zu lehren, den Probkmgehiät
der Kantischen Werke zu erfassen und fortzubilden.
In dieser philosophischen Gesinnung erwuchs Arnoldt die Bmàt^
ti^ng mit den fi^ssikem unserer Litteratur. Die Abhandlittigeii WB
Litteratur (Band IE) enthalten zwei grössere Aufsätze über Goethes Fi«!
und Lessings Nathan; daneben eine Reihe von kleineren AbbandlaugeD ûbff
Lessings, Schillers, Goethes Bedeutung, über den „Gegensatz der Sdülk^
sehen und Goetheschen Weltansicht", Bemerkungen zu Goethesdben Dn-
men, zu Shakespeareschen Stücken u. a. m. Diese Arbeiten sind z. T. Fnf^
mente, aber sie oie ten alle etwas inhaltlich Bedeutendes; in der ausfûfariirJim
und reichhaltigen Analyse von Gk>ethes Faust und Lesüsin^ Nathan wt i '
bedeutender Beitrag zum Verständnis dieser Werke und zur
ihres Ideengehaltes geliefert.
Inzwischen ist ein weiterer Band der gesammelten Schriften
Amoldts erschienen; und zwar als Band m die zweite AbteÜuof iif
„Kleineren philosophischen und kritischen Abhandlupo^n^, Dtesar Bftà
enthält drei wertvolle Arbeiten Amoldts: ^anta . olegomeiia mdt^
doppelt re^jg^ert Widerlegung der B
zweitens: ,,änt6 Jugend und d& fünf er
Rezensionen (Benner— Mau). 331
und endlich einen kritischen Bericht über „Kant nach Kuno Fischers neuer
DuTBtellang^.
Die erste und dritte Abhandlung, obwohl an andere Meinungen und
Darstellungen anknüpfend und zunächst nur kritisch oder gar polemisch
Mdacht und schrieben, sind dem Verfasser über diesen anfänglichen
Sweck der Kntik hinausgewachsen und haben in ihrer sachlichen Gründ-
lichkeit und gedanklichen Schärfe einen selbständigen Wert und bleibende
Bedeutung. Die Arbeit über „Kants Jugend una die fünf ersten Jiüire
•einer Privatdozentur" ist als grundlegend für die biographische Forschung
allseitig anerkannt ; in ihrem uihalt äusserst sorgfältig und gediegen, trtet
diese Abhandlung in ihrer Form das Gepräge des abständigen Amolot-
achen Geistes, der den Spuren des Genius nachzuforschen die Gabe hatte,
in dem anscheinend so regelmässigen und einfachen Ablauf des Eantischen
Liebens den zauberhaften Schein der Auserlesenheit entdeckte und in seine
Darstellung verweben konnte. —
Altona-Hamburg. Johannes Paulsen.
Benner, Hogo. Immanuel Kants Werke in acht Büchern.
An^gewählt und mit Einleitung versehen von Dr. Hugo Benner. Verlag
Ton A. Weichert, Berlin. 2 Bände.
Diese Ausgabe empfiehlt sich für jeden, der den Wunsch hat, die
Hauptwerke Kants im Zusammenhang zu lesen und zu studieren. Die
Aaswahl ist von dem Herausgeber na<£ dem Gesichtspunkt getroffen, dass
in dieser Ausgabe aUes enthalten sei, was für die kritische Philosophie
bedeutsam ist. Demgemäss enthält der erste Band „Beobachtungen über
das Gefühl des Schönen und Erhabenen^. „Träume eines Geistersehers".
JDie Kritik der reinen Vernunft". .Die Prolegomena". Der zweite Band
dieser Ausgabe enthält die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten".
JKritik der praktischen Vernunft". „Die Kritik der Urteilskraft". „Der
Streit der Fakultäten". „Ailgemeine Naturgeschichte und Theorie des
Himmels". — In diesem zweiten Bande findet man ausserdem interessante
Ansfflhrungen Kants über die „Philosophie als einem System**, femer „Von
dem Svstem aller Vermögen des menschlichen Gemüts", endlich eine
^ncyklopädische Introduktion der Kritik der Urteilskraft in das „System
der Kritik der reinen Vernunft". Diese Stücke sind genommen aus
J. J. Becks Auszug aus Kants ursprünglichem Entwurf der Einleitung in
die Kritik der Urteilskraft —
Der Herausgeber hat den Kantischen Schriften eine sachlich orien-
tierende Einleitung vorausgeschickt, welche zugleich über Kants äussere
Liebensschicksale und seine philoso^ische Entwicklung unterrichtet.
Der Text der Kantischen Werke ist unter ^rückdchtigung der
Akademieausgabe sorgfältigst behandelt. Die hier vorliegende Ausgabe
der Prolegomenen unterscheidet sich zu ihrem Vorteil von der Akademie-
anwabe &durch, dass die Vaihingersche Hypothese von der Blattversetzung
fvgL hierüber H. Vaihinger, Eine Blattversetzung in Kants Prolegomena.
Flulos. Monatshefte 1879. Bd. 15. S. 821—332) berücksichtigt und die so
ermöglichte Verbesserung des Textes durchgeführt ist. Es oesteht kein
Gmno, an der Richtigkeit der Vaihingerschen Hypothese und seines Nach-
weises einer Textverschiebung in den fraglichen Abschnitten der Prolego-
mena zu zweifeln. (Vgl. auch: Sitzler, Zur Blattversetcung in Kants
Prolegomena. Mit einem Nachwort von Hans Vaihinger. Kant-Studien.
Bd. Ä. S. 638 ff.)
Altona-Hamburg. Johannes Paulsen.
^^ Man, Oftorg. Die Religionsphilosophie Kaiser Julians in
feinen Reden auf König Helios und die Göttermatter. Mit einer
Cbereetzung der beiden Râen. Leipzig. Teubner. 1908.
^L^ Das Oticli sribt ke zusammenhängende Darstellung von Julians
HM%iofi9philo«o . som i zunftdist einen Kommentar zu den beiden
^fmSm, deren Ü uo Anhang abgedruckt ist. Nur kuxs wird
330 Rezensionen (Amoldt).
auch den wuchtigen Ausdruck dieser Gesinnung nicht zurückhfilt nodi
mildert. — Wegen dieses Artikels unter Anklage gestellt, verteidigte ad
Amoldt in einer „Bede vor dem Schwurgericht^ (November 186Q)f ia
welcher er den Einzelfall seines persönlichen Schicksals unter allgemeineB
und grossen Gesichtspunkten behandelt und so zu ^mbolischer Bedeutmif
erhebt, unbekümmert um äussere Folgen und Eriolge. — Neben diesei
beiden Aufsätzen findet sich noch eine Reihe Abhimdlungen in dieses
Bande vereinigt, deren Grundbestimmung und Tendenz den Titel diem
Bandes rechtfertigt und erläutert, so z. B. die Aufsätze : „Herder und der
Begriff des Fortschritts"; „Öffentliches Leben"; -Wahrheit und WmBùr
Schaft" u. a. m. — Ausserdem sind in dem ersten Bande die Kritiken and
Referate Amoldts über verschiedene Werke geschichtlichen und jèikh
sophischen Inhalts gesammelt. Nicht jedes Referat über diese z. T. Ts^
gessenen Schriften, nicht jede Notiz Arnoldts würde, für sich genommei,
biteresse und Bedeutung haben. Aber da es sich darum handelt, des
Aufbau einer geschlossenen und eigenartigen Persönlichkeit zu vennches
und einen selbständigen Denker in seinen Äusserungen vor den Leser hin-
zustellen, kann man mit Recht Vollständigkeit zum Prinzip der Hen»
gäbe dieser Schriften machen.
In einen grösseren und festeren Zusammenhang treten wir ein mit
dem zweiten Bande: „Kleinere philosophische und kritische AbhandlnsMi^
Diese Aufsätze, zusammen mit den im vierten Bande (Band H des 'SiAr
lasses) vereinigten Schriften: „Erläuternde Abhandlungen zu Kants Kritä
der reinen Vernunft" sind inhaltlich von Bedeutung und haben Amoktfei
Namen mit der Darstellung, Ausführung und Verteidigung der Kantiech«
Lehren dauernd verbunden. Die Reihe dieser Abhandlungen wird wi
einer grösseren Arbeit eröffnet, welche betitelt ist: „Kants transscendentila
Idealität des Raumes und der Zeit. Für Kant gegen Trendelenbuiv." b
diesem Werke wird, aus Anlass der Kontroverse zwischen Knno Fiscte
und Trendelenburg, die Kantische Lehre mit Gründlichkeit und in einer
durch eingehendes Studium gefestigten Auffassung gegen Trendelenbuf
vertreten und durchgeführt. — Den Charakter einer freien und selbstlB-
di^n, aber durch vorgefasste Meinungen und Eitelkeiten nicht beeog^tea
Hingabe an das Gedankensystem des i)hilosophi8chen Ghenios tracen tOi
Schriften, welche Amoldt in philosophischer Betätigung ver&sst hat So
auch seine Habilitationsschrift, die sich in diesem Bande findet: „Ober
Kants Idee vom höchsten Gut", wenngleich Amoldt hier Kants Lehnt
nicht überall zustimmt. So sind diese Schriften wie auch die erlftatendet
Abhandlungen zur Kritik der reinen Vernunft besonders geeignet^ in £t
Kantische Gedankenwelt einzuführen und zu lehren, den Ptoblemgdiift
der Kantischen Werke zu erfassen und fortzubilden.
Li dieser philosophischen Gesinnung erwuchs Amoldt die Dasclilf
ti^ng mit den fi^ssikem unserer Litteratur. Die Abhandlungen wo
Litteratur (Band H) enthalten zwei grössere Aufsätze über €k>ethe8 fnâ
und Lessings Nathan; daneben eine R^ihe von kleineren Abhandlangen tiber
Lessings, Schillers, Goethes Bedeutung, über den „GegensatE der Sefafller
sehen und Goetheschen Weltansicht", Bemerkungen zu Gk>ethe8chen D»
men, zu Shakespeareschen Stücken u.a.m. Diese Arbeites sind s-T.!^
mente, aber sie nieten alle etwas inhaltlich Bedeutendes; in der ansfBhitiftoi
und reichhaltigen Analyse von Gk>ethes Faust und Leasings Nathan ût en
bedeutender Beitrag zum Verständnis dieser Werke und snr Anfrniflmof
ihres Ideengehaltes geliefert.
Inzwischen ist ein weiterer Band der gesanunelten Schriften Safl
Amoldts erschienen; und zwar als Band HI die zweite Abtahnfte
„Kleineren philosophischen und kritischen Abhandluniren^. Dieser ^m
enthlüt drei wertvolle Arbeiten Amoldts: J^smts '. (degomena iiicfei
doppelt re^jgfiert. Widerlegung der Benno ferdmani hen HypotiMee*;
zweitens: „änts Jugend und die fünf ersten Jahres eiiioc' IhivaäfoieBtv^t
Rezensionen (Benner— Mau). 331
d endlich einen kritischen Bericht über „Kant nach Knno Fischers neuer
^ntellimg''.
Die erste und dritte Abhandlung, obwohl an andere Meinungen und
uretellungen anknüpfend und zunächst nur kritisch oder gar polemisch
dacht und schrieben, sind dem Verfasser über diesen anfänglichen
ireck der Kntik hinausgewachsen und haben in ihrer sachlichen Gründ-
likeit und gedanklichen Schärfe einen selbständigen Wert und bleibende
^eotung. Die Arbeit über „Kants Jugend una die fünf ersten Jahre
mer Privatdozentur" ist als grundlegend für die biographische Forschung
aeitig anerkannt; in ihrem Inhalt äusserst sorgfältig und gediegen, trägt
we Abhandlung in ihrer Form das Gepräge des selbständigen Amolot-
ben Geistes, der den Spuren des Genius nachzuforschen die Gabe hatte,
dem anscheinend so regelmässigen und einfachen Ablauf des Kantischen
ihena den zauberhaften Schein der Auserlesenheit entdeckte und in seine
intellung verweben konnte. —
Altona-Hamburg. Johannes Paulsen.
Renner, Hogo. Immanuel Kants Werke in acht Büchern,
lagewählt und mit Einleitung versehen von Dr. Hugo Renner. Verlag
n A. Weichert, Berlin. 2 Bände.
Diese Ausgabe empfiehlt sidi für jeden, der den Wunsch hat, die
inptwerke Kants im Zusammenhang zu lesen und zu studieren. Die
iswahl ist von dem Herausgeber nach dem Gesichtspunkt getroffen, dass
dieser Ausgabe alles enthalten sei, was für die kritische Philosophie
dentsam ist. Demgemäss enthält der erste Band „Beobachtungen über
8 Gefühl des Schönen und Erhabenen'*. „Träume eines Geistersehers".
fie Kritik der reinen Vernunft". .Die Prolegomena". Der zweite Band
Bser Ausgabe enthält die „Grundlegung zur MetaphysÜL der Sitten".
[ritik der praktischen Vernunft". „Die Kritik der Urteilskraft". „Der
reit der Fakultäten". „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des
immels". — In diesem zweiten Bande findet man ausserdem interessante
isftthrungen Kants über die „Philosophie als einem System", femer „Von
m Svstem aller Vermögen des menschlichen Gemüts", endlich eine
«neyklopädische Introduktion der Kritik der Urteilskraft in das „System
r Kritik der reinen Vernunft". Diese Stücke sind genommen aus
J. Becks Auszug aus Kants ursprünglichem Entwurf der Einleitung in
9 Kritik der Urteilskraft —
Der Herausgeber hat den Kantischen Schriften eine sachlich orien-
krende Einleitung vorausgeschickt, welche zugleich über Kants äussere
ibensschicksale und seine philosophische Entwicklung unterrichtet.
Der Text der Kantischen Werke ist unter ^rttcksichtigung der
cademieausgabe sorgfältigst behandelt. Die hier vorliegende Ausgabe
r Prolegomenen unterscheidet sich zu ihrem Vorteil von der Akademie-
rbe &durch, dass die Vaihingersche Hypothese von der Blattversetcung
hierüber H. Vaihinger, Eine Blattversetcung in Kante Prolegomena.
oios. Monatshefte 1879. Bd. 15. S. 821—332) Berücksichtigt una die so
Döglichte Verbesserung des Textes durchgeführt ist Es oesteht kein
und, an der Richtigkeit der Vaihingerschen Hypothese und seines Nach-
lises einer Textverschiebung in den fraglichen Abschnitten der Prolego-
ma zu zweifeln. (Vgl. auch: Sitzler, Zur Blattversetzung in Kants
olegomena. Mit einem Nachwort von Hans Vaihinger. Kant-Studien.
L IX. S. 638 ff.)
Altona-Hamburg. Johannes Paulsen.
Man, Georg. Die Religionsphilosophie Kaiser Julians in
inen Reden auf König Helios und die Göttermatter. Mit einer
>ersetzung der beiden Räen. Leipzig. Teubner. 1908.
Das Buch çibt keine zusammennängende Darstellung von Julians
»ligionsphilosophie, sondern zunächst einen Kommentar zu den beiden
»den, deren Üoersetzung im Anhang abgedraofe^ ist Nur koxs wird
332 Rezensionen (Bertling).
jedesmal am Ende der reli^onsphilosophische Inhalt der Rede
gefasst nnd zum Schlnss die Stellang Julians innerhalb der neuplatoniachn
Philosophie überhaupt erörtert. Übersetzung wie Kommentar sind wasÊn-
ordenthch verdienstfich. Diese Reden Julians, die wie kaum eine andere
Schrift die Vermischung der religiösen Bestrebungen der Zeit, iusbesoa-
dere der Helios-Mithras-Reli|;ion , mit der neupmtoniachen Philosopkie
kennen lehren, bieten doch dem Verständnis ausserordentUche Schwieiig-
keiten. Eine Genaue Kenntnis der Terminologie des Nenplatonisnnu iit
dafür unerlftssüch. Und nach dieser Seite liegt auch der Haaptwert der
hier ^botenen Erklärungen. Eine umfassende Belesenheit in der neu-
Slatonischen Litteratur setzt den Verfasser in den Stand, die Gtoscbiebto
er einzelnen Be&riff e innerhalb dieser Schule, oft mit Rückblicken bis auf
Aristoteles und Hato, zu verfolgen. Damit bietet das Buch eigentüdi
mehr, als der Titel anzudeuten scheint. Keiner, der sich mit dem Ne»-
platonismus beschäftigt, wird an den hier gegebenen Untersuchungen über
einzelne Begri£Ee oder philosophische Lehren vorübergehen können. Hier
in eine Besprechung der Einzelheiten einzutreten, ist natürlich unmöglich.
Nur auf einige der längeren Exkurse möchte ich hinweisen: über den
Seelenbegriff, die Elemente, .den xoçfioç yoeçoç, Materie und Form, Engel
Dämonen und Heroen u. a. Über manches lässt sich natürlich streiten.
So ist es mir zweifelhaft, ob man wirklich so scharf, wie es dfir Verf. (S.
6 ff.) tut, zwei Richtungen der Seelenlehre innerhalb des Nenplatonionni
scheiden kann. Deutliche Gliederung des Inhalts und gelegenuiche Fun-
phrasen erleichtem das Verständnis der Reden. Die ObersetKnn^ eistnbt
natürlich in erster Linie wissenschaftliche Genamgkeit, weniger eine
künstlerische Form. Trotzdem hätte das häufige Wort roritéç vielleicfal
etwas kürzer übersetzt werden können, als durch den umständlich«! Im-
druck, der hier dafür gewählt ist. Hoffentlich lässt der Verf. die »>
gekündigte Sammlung der Jamblichos-Fragmente bald folgen.
Strassburg LE. IC Wondt
Bertling, O. Geschichte der alten Philosophie als Weg der
Erforschung der Kausalität für Studenten, Gymnasiasten nnd
Lehrer. Leipzig. Werner Klinkhardt. 1907.
Der Titel bezeichnet den Zweck des Buches. Es soll besonden
solchen, die zum ersten Male an die antike Philosophie herantreten, nr
Einführung dienen. Der Verfasser will hierfür aber nicht nur eine eàjafmà
historische Darstellung geben. Eine solche lässt, wie er meinte leicht eine
Enttäuschung erleben, da die gesamte Gedankenarbeit der alten Phlkh
sophen uns für unsere heutigen philosophischen Probleme keinen Gewinn
mehr zu bieten scheinen. Er will im Gegensatz hierzu zeiMn, dasi ma
die antike Philosophie einen dauernden, nodi für uns wertvoUen Eikenntnii*
ertrag geliefert habe. Er findet diesen auf dem G^ebiete des Kami»
problems und unterscheidet zu diesem Zwecke eine dreifache Kansiditit
Wir wollen erkennen, wie das Wirkliche so geworden ist^ wie es jetst
ist (zeitliche K), oder wie jedes Einzelne sich zu dem Andern veinttte
^itlich verbindende K.), oder, woher und wodurch das Wirkliche seine
Existenz habe und worauf es hinziele (Daseinskraft). Wie man sich aock
zu dieser Einteilung stellen möge, gewiss ist, dass die antike Fhilosoplne
wichtige und noch heute duräaus lebendige Erkenntnisse in der Inge
der Kausalität errungen hat. Aber ob dies &e einzige, ob dies aneh nnr
die wichti^te und am unmittelbarsten noch heute leoendige Wirkong te
antiken Philosophie ist? Das wird man nicht mit Unrecht besweifdn
dürfen, wenn man an die Gebiete der Ethik und der Religionsphiloeopliie
denkt, die zumal durch die Vermittlung des Christentums unser Denken
noch auf weiten Strecken beherrschen. An dieser einseitigen Betonung te
einen Frage leidet etwas die historische Darstellung, aber doch niclit so
sehr als man fürchten könnte. Wohl sind die eben berührten Gdneto
gelegentlich etwas kurz weggekommen; z. B. werden die intereesswtei
Spekulationen der Sophisten über Staat und Recht kaum berührt^ sto im
Bezensionen (Gutberiet). 333
Ckuizen ist die Darstellung doch eine gleichmässige und die anfangs auf-
gestellte Tendenz drftngt sich nicht störend hervor. Das Werk ^bt,
gelegentlich im unmittelbaren Anschluss an Zeller oder Überweg-Hemze,
einen kurzen Überblick über die Entwickelung, der im ganzen klar die
wesentlichsten Punkte heraushebt, minder wichtiges durch kleineren Druck
snrflcktreten Iftsst. Von der üblichen Auffassung entfernt sich der Verf.
wohl am weitesten bei der Darstellung der eleatischen Philosophie. Ob
er mit seiner Behauptung, das Sein der Eleaten bezeichne die in allem
Wirklichen sich betätigende Daseinskraft, Anklang finden wird, ist mir
freilich zweifelhaft Die jüngeren Naturphilosophen, Empedokles, Anaxa-
goras und Demokrit, wären vielleicht oesser gesondert behandelt und
nicht, wie es hier geschehen ist, zusammen. Unbillig kurz scheint mir
der Skeptizismus abgetan. Gerade die Argumente der Skeptiker, die im
einzelnen überhaupt nicht angeführt werden, sind doch zum Teil noch
liente nicht ganz veraltet.
Strassburg i. £. M. Wundt.
Gntberlet, C. Der Kampf um die Seele. 2. verbesserte und
▼ermehrte Auflage. Eirchman. Mainz 1903.
Referent erhielt schon vor einigen Jahren das vorstehende Buch
Ton der Redaktion der „Kantstudien" zum Zweck der Besprechung. Er
mnss indessen offen gestehen, dass er nach der Lektüre einiger Abschnitte
diese Aufgabe für so wenig dringend erachtete, dass er das Buch bei Seite
legte, mit um so ruhigerem Gewissen, als die 1. Auflage bereits seinerzeit
in den „Kantstudien" gewürdigt worden ist; eine Kritik, auf die G. in
•inigen entrüsteten Angriffen quittiert. Ich hätte die Anzeige auch wohl
Mnz unterlassen, wenn ich nicht zufällig eine Stelle gefunden hätte, die
Bei den Lesern der Kantstudien wohl Interesse erregen dürfte. Ich setze
sie deshalb wörtlich hierher:
„Ein echter Kantianer kann kein wahrer Naturforscher sein, denn
das hauptsächlichste Ob^'ekt der Naturforschung, z. B. der Mechanik,
Physik, Chemie, Biologie ist die Bewegung. Bewegung ist aber ein
Verhältnis zwischen lUum und Zeit, sie vollzieht sich im Raum und in
der Zeit, ihre Geschwindigkeit wird gemessen durch den Quotienten ^, in
dem s den durchlaufenen Raum, t die dazu verwendete Zeit bezeichnet.
Da also nach Kant Raum und Zeit nicht in der wirklichen Welt, sondern
als Anschauunfisformen im Subjekte sich finden, so ist auch die Beweg^g
nnr ein subjektiver Vorgang, die Naturwissenschaften haben kein wirkhches
Weltobjekt, sondern bescmlftigen sich mit Seelenvorgängen. Die Natur-
wissenschaft wird zur Psychologie: eine Konsequenz, £e von manchen
Ijuitianem, z. B. von P. Natorp. wirklich gezogen wird; dass aber da-
mit die Naturwissenschaft als sofcne beseitigt wira, leuchtet ein.** (I. Bd.,
8. 149.)
Diese Interpretation wird, wie fi^esagt, die Leser der Kantstudien
Interessieren; der Schlusssatz aber insoesondere Herrn Professor Natorp,
der doch einigermassen darüber erstaunt sein dürfte, dass er der Haupt-
Tertreter des von ihm so scharf bekämpften Psychologismus ist, noch dazu
des Ps^chologismus in einer Form, der man gewiss alles Mögliche, z. B.
SjTflndliche Aosurdität, aber keinesfalls Mangel an Konsequenz vorwerfen
Sann. — Ich bemerke ausdrücklich, dass ich Entdeckungen von so ver-
blflffender Neuigkeit trotz einigen Suchens in dem Buche nicht weiter ge-
funden habe, im Besonderen wird weder Goethe als Thomist, noch Papst
Leo Xin. als Hanptvertreter des Empiriokritizismus zitiert.
Im Ernst: Kantverständnis ist eine schwere Sache, die unfreiwillige
Komik seiner Kantinterpretation wollen wir Herrn Gutberiet verzeihen.
Die Behauptung über Natorp aber, die G. nicht hätte aufstellen können,
wenn er eine Schrift von Natorp gelesen hätte, zeugt nicht nur von gänz-
Uehem Mangel an Verständnis, sondern auch von Mangel an ehrlichem
334 Rezensionen (Ehlers— Schmidtkuiz).
Wollen; eine solche Behauptung seinen Lesern voizusetKen, ist eine
wissenschaftliche Frivolität. Danach wird man über die femeren^wiss»'
schaftlichen" Elaborate des Herrn Gutberlet, in denen er die Vertreter
der modernen Philosophie vor sein Forum zitiert, zur Tagesordnung übe^
gehen dürfen.
München. v. Aster.
Ehlers, Rudolph. Richard Rothe. (Heft 11 der „Mftnner der
Wissenschaft".) Leipzig, bei Welcker. (58 S.)
Es ist auch heute noch ein ernstes Problem der ReÜA^onsphilosophie,
die Stellung der Religion in ihrer Selbständigkeit gegenüber den anderen
(Gebieten des Geisteslebens und in ihrer organisoien Stellung innerhalb
des Organismus der Geisteskultur kritisch zu begründen. Ha kann es
denn nur dankbar begrüsst werden, wenn immer wieder und so auch ntm
von Ehlers hingewiesen wird auf den scharf- und feinsinnigen Religioiif'
Philosophen, der zugleich einer der tiefsten und innigsten religifisen Fei^
sönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts war und dessen Denken sich mit
ganz besonderem Nachdruck in den Dienst jenes Problèmes stellte — , snf
Richard Rothe. In der Form eines Lebensabrisses tritt in schaifon Um-
rissen einmal die edle Persönlichkeit und zum Andern die originale^ Denk«
art des eigentümlichen Mannes hervor, dem die Reli^on sowohl wie aDei
innerwelthche Geistesleben als Erscheinungsformen eines ^^rossen geisticen
Prozesses und doch wieder als eine freie Tat des intelligiblen lebM, au
sich selbst setzt, gelten, womit er das tiefste Problem aller Etiiik und
Religionsphilosophie im Geiste Kants und Fichtes anzeigt. Das religiflie
Leben ist ihm darum auch notwendig verbunden mit dem sittlichen Leben,
und die allumfassende sittliche — d. i. für ihn fnach Hegel) staatliche Ge-
meinschaft gilt ihm als Boden für die Auswirkung der sittlich-religifiea
Gesinnung. Diese Auswirkung ist aber eine stete, und die chrisÜiGlie
Kultur darum nie eine fertige, sondern stets eine werdende, in der ^eioe
religiös erfüllte Humanität das Gesamtleben j^;estaltet''. Von diesen
Grundgedanken aus entwickelte Rothe seine tie&ten historischen imd
spekulativen Gedanken und seine praktische Mitarbeit an den allgemeiih
geistigen und kirchlichen Problemen der Gegenwart, wobei stets der feise
Geist sich offenbart, in dem sich innige Rdi^ositat mit modernem Gent
verbindet, und der unserer Zeit zwar kein System, aber ein an tief-
dringenden Beobachtungen, Wahrheiten und Gedanken tiberreiches WeA
für die kritische Religionsphilosophie und Denkarbeit überiiaupt dariôetet
Laufen (Baden). H. Maaa
Sohmidtkurz, Hans, Dr. Einleitung in die akademische PI"
dagoj^ik. Halle a. S., Verlag der Buchhandlun|: des Waisenhauses, IW.
Mit emem Materialienanhang, einem bibliographischen Anhang und einen
Autorenregister. (206 S.)
Mit den kritisch besonnenen und logisch scharfen Ansführongen dei
Verf. s tritt ein neuer Zweig der pädagogischen Wissenschaft ins DaseiSi
die akademische Pädagogik. Der akademische Betrieb stellt die eina^ der
Schulbetrieb die andere Spezies der ganzen Pädagogie dar. Gemeinssm iit
beiden der Erfolg, dass Menschen erzogen, innerlich gebildet wefdei.
Auf der Schule ist diese Bildung Selbstzweck, auf der Univenitit (und
den anderen Hochschulen) notwendiger Miteifolg der Tradierung vos
Wissenschaften und Künsten nach den akademischen Prinnpien der Lehis
Lern- und Lebensfreiheit. In sympathischer und klarer Weise fuhrt Sek
jene Prinzipien näher aus und zerstreut mit diesen AasfOhrongai tos
vornherein den Argwohn, als woUe er mit der Übertragimg des^ameai
der Pädagogie auf den üniversitätsbetrieb eine Übertragung auch der
Schulmethoden und des Schulzwangs befürworten. Im Gk^nml weilt er
überall mit grösster Entschiedenheit auf die ditferenten Merkmale Ui,
nur dass es sich hier eben um keine Verschiedenheit -vom disimtes
Dingen, sondern um eine di^unkte Verschiedenheit unter der Knheit dei'
Rezensionen (Speck). 335
selben nächsten Oberbesriffe handle. Die praktischen Folgerungen unseres
Autors gipfeln in der Forderong, dass sich auch die Hocl^chullehrer pftda-
gogisch bilden sollen, unbeschadet der akademischen Freiheit, ohne Ein-
nmrnng irgendwelchen Zwanges. Entsprechend fehlt es dem Buche nicht
an tremicnen, didaktischen Winken für den Hochschulunterricht. So darf
es allen Akademikern zu fruchtbarer Selbstbesinnung über wichtige Seiten
ihrer Tätigkeit empfohlen sein, und auch der Schtümann wird sich durch
dasselbe gefördert fühlen, indem er seine Tätigkeit und die artverwandte,
dennoch vielfach und notwendig abweichende des Universitätslehrers in-
•traktiv verglichen findet
Halle a. S. Hermann Schwarz.
Speck, Johannes, Dr, phil., Oberlehrer an der Domschule zu Cammin.
Der Entwickelungsgedanke bei Goethe. Hanau, Clauss & Feddersen.
1907. (32 S.)
Das Schriftchen zeugt von fieissigen Goethestudien und .hat eine
reiche Fülle von Stoff auf seinen 82 Seiten zusammengetragen. Über eine
Stoffsammlung ist es freilich nicht hinaus^kommen. Der Autor ringt mit
dem reichen Stoffe, aber leider vergebhch. Er hat ihn nicht einmal zu
ordnen, geschweige denn zu meistern verstanden, und der Entwickelungs-
gedanke l)ei Goethe ist so wenig in streng begriffliche Fassung gebracht,
aaas er nirgends klar hervortritt, und dass das Schriftchen ebensogut oder
yielmehr besser hätte den vageren Titel: „Goethes Naturauffassung^^ erhalten
können. Wie wenig der Autor Herr des Stoffes ist, das beweist schon
•eine Disposition, die jeder begrifflichen Gliederung ermangelt. Im ersten
Kapitel sollen die Einzelwissenschaften behandelt werden und zwar nach
den G^egenständen der organischen Natur, der anorg[anischen Natur, end-
lich des Menschen, als ob meser nicht auch zur organischen Natur gehörte.
Das zweite Kapitel handelt dann von der Natur, als ob organische Natur,
anorganische Natur und Mensch nicht selber zur Natur eehOrten. Dieser
Mangel an Kraft des begrifflich gliedernden Denkens wira um so schmerz-
licher empfunden, als gelegentlich der materiiden Ausführung sich hin und
wieder manch treffender Gedanke des Autors findet, dem man gern zu-
stimmt, sodass man bei der Lektüre oft zwischen solcher Zustimmung zur
inhaltlichen Darstellung und dem Unbehagen, das einem das Unterliegen des
begrifflich verarbeitenden Denkens gegenüber dem Stoffe, der Form
gegenüber der Materie, bereitet, disharmonisch geteilt bleibt.
Weniger wird man auch rein material dem dritten Kapitel, das von
der Erkenntnis handelt, zustimmen können. Von der zunächst erörterten
„Identifizierung von Erkennen und Sein** wird man, trotzdem,, oder gerade
weil für Goethe das Erkennen eine „aus dem Inneren am Äusseren sich
entwickelnde Offenbarung^ ist, nicht sprechen dürfen. Das Verhältnis
Goethes zu Kant, von Idee und Erfahrung, muss, nachdem J. Cohns Ab-
handlung über diesen Gegenstand in unserem Schiller-Festheft vorliegt,
dürftig erscheinen, und in dem Abschnitte über Goethes Verhältnis zur
exakten Naturforschung und zur Mathematik ist das Methodologische zwar
im Ghinzen richtiger charakterisiert als in den beiden vorhergenenden das
E^kenntnistheoretische. Aber zu Gunsten Goethes wird gerade wegen
des erkenntnistheoretischen Defizits und des Missverständnisses der mathe-
matischen Physik, in der der „wesentlichste Teil doch deijenige, der der
Bechnunff vorausgeht^, sein soll, die Bedeutung der Mathematik für die
aulLte Naturforschung gänzlich verkannt.
Oberhaupt wird manchmal die moderne Wissenschaft, wie der Autor
meint, zu Gunsten Goethes, in Wahrheit aber auch öfters zu Ungunsten
Goethes bei Seite geschoben. Gewiss ist Goethes Natur nicht die Natur
dee exakten Forschers,^] gewiss verabscheut er den Materialismus, ja er
^) Vgl. dazu und zum Folgenden meine Antrittsvorlesung .Über
GkMthee philosophische Weltanschauung*'. (Preuss. Jahrbücher, rnnd U5,
Heft 8, Berlin 1904.)
336 Rezensionen (Speck).
^chaaderf* nach eigenem Geständnis davor. Dass aber die exakte
Forschung Goethe nichts zu verdanken habe, trifft doch schon mit Rück-
sicht auf die vom Autor selbst erwähnten Geschichtsdaten, wie die Farben-
lehre — bei der m«in freilich scharf die physiologische Seite von der
physikalischen, insbesondere Reiz und Reizeffekt zu unterscheiden hat —
wie die Pflanzenmetamorphose, ja sogar die Einzelentdeckung des Zwischen-
kieferknochens nicht zu. Auf der anderen Seite ist die moderne Des-
zendenzlehre noch nicht notwendig materialistische Metaphysik, sollte doch
der Begriff des methodischen Materialismus seit F. A. Lange zum min-
desten — um nicht zu sagen: seit Kant — jedem an der exakten
Forschung einigermassen Orientierten geläufig sein; oder aber man spottet
über den Begriff der „Exaktheit"' nicht ungestraft, weil der Spott auf den
Spötter zurückfällt. Und um Goethe selber gerecht zu werden, ist es
mcht genug, seine Ablehnung des materialistischen Entwickelnnçsbegiifb
zu betonen. Dazu gehört vielmehr auch seine positive Stellung zmn
Ëntwickelungsbegriffe. Diese kann jedoch ohne seine Entelechienlehre nie-
mals ganz verstanden werden. Von ihr aber hören wir leider in der Ab-
handlung kein Wort. Daher ist in dieser auch Goethes Anschauung vom
Individuellen durchaus verkümmert. So richtig es ist, dass die Entwicke-
lung für Goethe DarsteUung der Erscheinungen als Glieder gesetzmftssifien
Zusammenhangs bedeutet, so unrichtig ist die Behauptung: „die Wirkhck-
keit, von der er die organischen Wesen ableitet, besteht nicht aus Indi-
viduen". Das unterscheidet ja besonders Goethes Natur von dexjenipen
Spinozas, dass Goethes machtvollste Individualität gerade den Gedanken
aus tiefinnerlichstem Erleben betonte: „Jedes ihrer Werke hat ein eigenes
Wesen, jede ihrer Erscheinungen den isoliertesten Begriff, nnd doch macht
alles Eins aus", oder „sie lebt in lauter Kindern". Geht auch, wie Goethe
sagt, das Individuum verloren, so ist doch „ihm und anderen daran ge-
legen, dass es erhalten werde^. Denn nj^^^ ^ selbst nur Individuum
und kann sich auch eigentlich nur fürs Individuelle interessieren* . . .
„Wir lieben nur das In<üviduelle". und der höchst potenzierten Indivi-
Qualität, der höchst entelechierten Persönlichkeit, diesem „höchsten Glflek
der Erdenkinder", gegenüber, deren die Natur „nicht entbehren kann*,
ist sofi^r „die Natur verpflichtet", die Erhaltung zu gewährleisten. Ein
Gedanke, in dem die Entwickelungslehre Goethes, so wie er sie wirkHeh
ausgebildet hat, ihren metaphysischen Höhepunkt erreicht, der aber vom
Verfasser überhaupt nicht bertöirt wird.
Damit wollen wir unsere Kritik beschliessen. Dass es etwas be*
fremdlich wirkt, die Titel des Inhaltsverzeichnisses nicht in, ObereinstiD-
munff mit denjenigen des Textes zu finden, das ist eine Äusseilichkeit,
die oie Sache nicht berührt und über die wir hinwegsehen wollen.
Immerhin fanden wir rein der Sache nach mancherlei zu bean-
standen. Ja, das Schriftchen hat in erster Linie unseren Widerspmdi
herausgefordert. Dass wir es darum aber für belanglos halten sollten,
dagegen spricht wohl schon der Umstand, dass wir uns mit seinen knappen
zwei Bogen so eingehend beschäftigen, wie wir es getan haben. Sind
doch der Ernst und der Fleiss, mit dem der Stoff zusammengetragen
wurde, unverkennbar, und auch die blosse Stoffeammlun^ wird manchem
wertvolle Hinweise geben können. Sollte der Autor seme Aol^gabe ein-
mal in etwas erweitertem Umfange aufnehmen und das jetzt nc^ Weit;
verzweig zur Einheit begrifflicher Durcharbeitung zusammenfügen, dabei
auch seme Stellung zur modernen exakten Forschung in manchen Stöcken
revidieren, so würde er wohl noch bieten können, was er jetzt hat bietai
wollen. Denn eine Vorarbeit zu einem solchen Unternehmen dürfen wir
in seiner Schrift schon erblicken. Wertvoll ist also immerhin unter diesem
Gesichtspunkte die Zusammenstellung des nicht unerheblichen Stoffes.
Und als besonders geglückt seien hier noch die mancherlei Œnweise inf
die persönliche Grundstimmung, die auch in der theoretischen Ansdianinf
Goethes wirksam ist, hervorgehoben, Hinweise, die oft (wie z. B. S. W
Rezensionen (Stange— Froehlich). 337
o geschickt sind, dass es sogar befremden kann, wie jene dem Antor
dnsichtlich der Individualitätsauffassong entgehen konnte.
Halle a. S. Bruno Banch.
Stange, Carl, Professor D. Grundriss der Religionsphilo-
ophie. Leipzig, Dieterichsche Buchhandlung (Th. Weicher) 1907. 8<^. (36 S^
Die 22 Paragraphen dieses Grundrisses sind Diktate, die der Verf.
>isher seinen Zuhörern in der Vorlesung zu geben pflegte. Die dadurch
pebotene Kürze macht die Kritik schwer; denn man weiss nicht, was in
len mündlichen Ausführungen noch näher begründet wird und wie einzelne
niesen etwa bewiesen werden mögen. In der vorliegenden Form unter-
leget die Erkenntnistheorie des Verf. jedenfalls erheblichen Bedenken.
Inter Ablehnung der Ansätze von Kant, Schleiermacher und A. Bitschi
peht er von der religiösen Erfahrung aus. Er bestimmt sie ex ne^tivo
larch eine (wiederum allzu gedrängte) ablehnende Kritik des Kantischen
tiAnomenalismus als ein ^nicht auf Verstandesschluss beruhendes, sondern
rrationales) Bewusstsein aes Übersinnlichen. „Die Überzeugung, dass die
innliche Erfahrung den Begriff der Wirklichkeit nicht erschöpft, sondern
n sich die Nötigung enthält, den vollständigen Begpif der Wirklichkeit
;a suchen, bildet das gemeinsame Merkmal in allen ihren Formen." Dabei
As8t nun der Verf. die ense, anschauliche Bezogenheit der religiösen
Erfahrung auf das Sinnliche oestehen : es ist ihre Eigentümlichkeit, ^dass
ie in analoger Weise wie das Selbstbewusstsein ein Urteil über die Be-
leutung der sinnlichen Erfahrung zum Ausdruck bringt". Das wäre ganz
1er Grundgedanke der (in § 7 kurz und ohne Überzeugungskraft abgefer-
ig;ten] Werturteile Ritschis. Man sieht wohl, dass der Verf. mehr leisten
md der Religion grössere objektive Garantie sichern möchte. Man sieht
iber nicht, dass sein Ansatzpunkt dies möglich macht; denn von welchem
geistigen Faktum feht seine Analyse aus? Da es sich um religiöse Er-
ahrung handelt, doch wohl auch nur von einem subjektiven ! DieWahr-
leitskriterien, die er der „Selbständigkeit" des religiösen Phänomens (§ 2)
md dem „Anspruch" (§ 4) entnimmt, sind längst als methodisch unzulässig
»rkannt, sofern sie nicht mit einer völlig neuen Gesamtauffassung des
s^eistigen in Verbindung gesetzt werden. (Vel. m. Anzeige von Härings
)ofi;matik, Dtsche Lit. Ztg. 1907 No. 22.) Sie oedeuten bisner im Grunde
dcEts als das dogmatische Ausgehen von einer positiven, bereits angenom-
aenen Religion. Aber selbst wenn man das Recht einer solchen nach-
räglichen Konstruktion zugibt, so empfiehlt es sich doch, der geistigen
Constitution der Gegenwart, wie sie sich in der durchgängig von Kant
»eeinflnssten philosophischen und religiösen Erkenntnistheorie ausprägt,
Aber zu bleiben, statt ex abrupto vom Übersinnlichen auszugehen und so
Lie Einheitlichkeit unsres Bewusstseins mehr zu vergewaltigen als zu um-
chreiben. Die hier voi^tragene Erkenntnistheorie beruht nicht auf einer
analyse des frommen 2^tandes und der objektiven Religionsbildungen,
ondem auf einer spekulativen Deduktion, was besonders in der Apologetik
tOrend hervortritt
Charlottenburg. Eduard Spranger.
Froehlich« Job. Ans. „Der Wille zur höheren Einheit". Carl
Sinters Universitätsbuchhanolung, Heidelberg 1905 (165 S.).
Der Wille zur höheren Einheit ist der Gesichtspunkt, unter dem
lie Welt- und Lebensprobleme betrachtet werden müssen. Die Richtigkeit
lieeer „mit dem Anspruch eines umfassenden Weltprinzips auftretenden
i'ormel" zeigt sich vor allem bei der Untersuchung aer Frage „nach dem
)egriff des Sittlichen und seiner Bedeutung im Weltprozess", einer Fra^,
Lie -mit dem Problem der Willensfreiheit zusammenfällt", das seinerseits
rieder nur „im einheitlichen Zusammenhange mit einer grundlegenden
gyeltanschaunng" gelöst werden kann. Die Wahrheit dieser Gedanken zu
irïiftrten ist nach seinen eigenen Worten das Ziel des Verfassers, und
^emiss der Bedeutungi die dem Problem der Willensfreiheit bei diesem
àâS Rezensionen (Froelich).
Versuche zukommt, soll es den grössten Teil der Untersachimg ffir sich in
Anspruch nehmen.
Der innere Gedankengang ist in kurzem Umriss etwa folgender: Die
Empfindungen sind subjektiv geprägte Abbilder der objektiven Welt, die
wesentliche objektive Elemente m sich bergen. Die Welt der Bewegung,
diese äussere Form der Beziehungen, steUt nur eine Seite der olj^jenÎTen
Welt, nämlich die dar, wie sie sich herausgehoben aus unserer subjektiven
sinnlichen Anschauung zeigt, während die andere Seite die „Welt in sidi*'
ist, welche an die Stelle der „Welt an sich" tritt. Zwar ist die objektive
Welt uns in diesem ihrem subjektiven Sein nicht zugänglich, jedoch ergibt
sich vermittelst eines Analogieschlusses, dass die Welt der Bewesong
ebenfalls in sich leuchtet und klingt, auch wenn ihre Wellen auf Kein
organisches Element treffen; sind doch auch Auge und Ohr von dem Lieht
und den Tönen geschaffen worden und nicht umgekehrt. Der Vielheit
des Seins, das uns entgegentritt, liegt das Absolute als Ursein zu Gnmde;
beide Arten des Seins sind per analogiam als Wille zu erschliessen. Du
Ursein, das mit dem persönhchen Gott zu identifizieren ist, stellt sich ab
,Jiinheitswüle" dar, da in ihm Wille und Gesetz in eins zusammenMen.
Der Kern dieses EinheitswiUens ist die Liebe, welche, um sich zu be-
währen, ein Opfer bringen muss, das der Idee ihres eigenen Seins entspricht
Dieses Opfer, wodurch das Ursein etwas von seiner Freiheit als absolutes
Subjekt aufgibt, ist die Vielheit des Seins, die Welt, deren Dasein dem-
nach als eine Selbstoffenbarung Gottes aufisufassen ist. Da hier nun die
Entzweiung und das Streben, diese in der Einheit zu überwinden, herrscht,
so stellt sich die Entwickelung des Weltgeschehens als „Wille zur höheren
Einheit" dar. Daher ist auch das Merkmal der primären Ejräfte, deren es
6 geben soll, und zu denen z. B. die Schwerkraft und die Liebe gehört,
die Polarität, das ist die Sehnsucht einer Zwei, zur Eins zu werden, nicht mr
Null im Ausgleich positiver und negativer Vorzeichen. Alle Entwickelung
ist demnach Keine Auswickelung, sondern die Vereinigung von zwei poltf
entgegengesetzten Kräften. Der Wille hat nun verschiedene Entwickelnngs-
stuien durchzumachen. Die oberste ist der Mensch; auf ihr wird er seiner
selbst bewusst, indem er den Intellekt aus sich heraus gebiert; hier tritt
auch die Entzweiung zwischen Subjekt und Objekt ein. Das Gesetz dei
Weltganzen, das in uns als „Wille zur höheren Einheif* wirksam ist, iit
seinem Wesen nach ein sittliches und unsere sittliche Entwickelung dem-
nach, da sich der individuelle Wille aus der Wahllosigkeit des Triebei
heraus zum Bewusstsein der Freilieit in der Obereinstimmung seiner Nitor
mit dem Gesetz des Weltganzen rin^, eine Entwickelung zur Freiheit
Diese vollzieht sich dadurch, dass im Laufe derselben alle SchruütflB
fallen, die im Subjekt-Objektverhältnis ein Glied dem anderen setzt raà
auf diesem Wege alle in der Richtung des Willens mehr und mehr ei»
werden. Das Wesen der zu erreichenden Freiheit besteht denmach in dff
Selbstbewährung und Selbstbeschränkung ohne allen äusseren Zwa^. — Dio
ist der innere Gedankengang, möglichst in eigenen Worten desVeilttitfi
dargestellt, der aus dem äusseren Gan^ der Erörterung, welcher ii
9 Kapiteln verläuft, herauss^eschält werden kann. — Ich Kann nicht be-
haupten, dass der V. die Aufgabe, die er sich gesetzt, gelöst hat l^
finde die Ausftlhrungen von Windelband in der Schrift ,yÜber Wflleni'
freiheit" und von H. Schwarz in seinem Werke „P$ychologie des WflleBi;
zur Grundlegung der Ethik" bedeutend klarer und das Problem wirfch^
fördernd. Auch ist, meines Erachtens, das Problem der Willensfreiheit
von einseitig metaphysischem Standpunkte nicht befriedigend ra 1B»>>
abgesehen davon, dass ich die metaphysischen Anschauungen des VeiteM^
redit wenig dem Stande der heutigen Wissenschaft angepasst enekta
Dieses leuchtet beim Lesen der Schrift sofort ein, wenn mandieheten^
nen Elemente bemerkt, aus denen sich die Weltauffassung des V. zonnaMr
setzt: ScheUing, Hegel, Schopenhauer, Spencer, Mystizismus und andeni
mehr. Aus Schelling ist entlehnt, dass die ganze Entwickelmig éàt àsià
Selbstanzeigen (Ewald). àâ9
ï Vereinigung polar entgegengesetzter Kräfte vollziehe. Schelling säet:
Ue endlidien Formen Ic^en sich in polare Gegensätze zerlegen. „Die
iterie ist die relative Totalität, sofern zwei Gegensätze in ihr als der
[leren vereinigt sind." „Sie ist die Synthese von Attraktion und Repulsion
: Schwere." Hegel sagt in seiner Encydopädie auch wie der V., dass
I Absolute, das Ursem der sich selbst offenbarende Geist sei. An
lopenhauer erinnert die Art und Weise, wie das ürsein als Wille er-
int wird, der sich in einer Reihe von Stufen objektiviert. Dies genüge,
in es würde zu weit führen, die ^alyse noch weiter zu treiben. Ich
:e nur noch die Bemerkung bei, dass das Buch sich von diesem Gesichts-
ikte als eine Sammlung von Zitaten darstellt, die durch Text ver-
iden sind. Es finden sich dabei auch eine ganze Reihe von wertvollen
danken. So heisst es Seite 158: „Der Wert der Kultur bestimmt sich
zweierlei: einmal in der Anbahnung eines harmonischen Verhältnisses
[sehen Individuum und Gemeinschart, dann aber in der immer um-
lenderen und tiefer eindringenden Aneignung der Natur und ihrer
Lfte durch den menschlischen Geist." Der V. bekennt sich hier zur
»^essionshypothese. So richtig es auch ist, dass alle Kulturentwickelung
immer höheren Stufen führt, ebenso unrichtig ist aber auch, dieses
IT Gebühr zu verallgemeinem und einseitig zum Weltgesetz erheben
"wollen.
Halle a. S. Dr. Rudolf Jorges.
Selbstanzeigen.
Ewald, Oscar. Kants kritischer Idealismus als Grundlage
»n Erkenntnistheorie und Ethik. Berlin, Ernst Hofmann &. Co.
l und 814 S.)
Ich betrachte das Buch als Abschluss einer Tetralogie, deren erstes
Uck „Nietzsches Lehre in ihren Grundbegriffen'' gegen den ethischen,
hbh zweites ^Richard Avenarius als Begründer des Empiriokritizismus"
C«n den logischen Relativismus gerichtet war. Das dritte, ^Kants Me-
•dologie in ihren Grundzügen" sollte mit dem gegenwärtigen Buche
PTttn^lich ein einziges bilden, wurde aber im Interesse einer einheitlichen
position ihm als selbständige Schrift vorausgeschickt. Ihr Ergebnis
* die Überwindung des P&ychologismus, und zwar des immanenten wie
transscendenten, zugunsten der reinen transscendentalen Logik. Da
>^ auch letztere weder historisch noch sachlich eindeutig bestimmt ist,
^Ygiebt sich die Notwendû:keit, sie zum Gegenstande einer selbständigen
^rsuchung zu machen, £e an Kant ihre natürliche Orientierung hat.
K^t war die leitende Aufgabe meiner neuen Schrift gegeben.
Der erste, kritische Teil diente der Elimination aer falschen oder
»^klanglichen transscendentalen Betrachtungsarten. Mit der Grundlegung
^ ^amren Methode und deren konkreter Nutzbarmachung war der zweite,
^tive Teil betraut. Zwei fundamentale Richtungen lassen sich bei Kant
^^licheiden: der progressive, synthetische We^ der „Kritik der reinen
^onft" und der rezessive, analytische, den die „Prolegomena** gehen.
lier deduziert aus einem obersten Grundsatze ein System positiver Er-
ttkutoiswerte. Dieser will aus einem solchen Systeme von ihm bereits
Jl^rkannter und vorausgesetzter Erkenntniswerte die sie begründenden
^ttiten Grundsätze erschUessen. Das zweite Verfahren ist demnach
lobe und Prüfstein des enteren. Die Teüong der Methoden ist von
340 Selbstanzeigen (Ewald).
Kant freilich nicht strens^ eingehalten worden. Insgeheim ist auch die
Kritik der reinen Vernunft von regressiven Gesichtspunkten behenBchi
Wohl wird aus der transscendentalen Einheit der Apperzeption die Ur-
teüsfunktion deduziert und als Erkenntnisquelle legitimiert. Indessen die
einzelnen Urteilsformen und Kategorien werden zwar dem ausseien An-
schein nach aus der von den Prinzipien der Identität und des zureichenden
Grundes beherrschten Urteilstafel der formalen Logik abgeleitet, inWaln^
heit aber lehrt eine gründliche Betrachtung, dass sie, wie insbesondere
das singulare und das unendliche Urteil, £e Kategorien der Wechsel»
Wirkung, in vorausschauender Rücksicht auf die synthetischen Grondsitze
der reinen Erkenntnis entworfen sind. Die eben erwähnte Kategorie der
Wechselwirkung ist nicht aus dem di^unktiven Urteil, sondern ans dem
Grundsatz von der Gemeinschaft der Substanzen gewonnen.
Die Unzulänglichkeit des progressiven Verfahrens ergiebt sich üb-
rigens von selber. Was soll man aus den Sätzen der Identität und dei
Grundes deduzieren? Nichts, wofern man nicht Erfahrung oder Anechao-
ung zu Hilfe nimmt. Man sieht sich somit von selber auf den regresàveD
Weg verwiesen. Es erscheint vonnöten, an konkrete Erkenntnisse aMB»
knüpfen, um auf ihre transscendentalen Grundlagen zurückzugehen. Aber
wo sind denn derartige Erkenntnisse enthalten? Weder in der innerei
noch in der äusseren Erfahrung, weder in der Anthropologie noch in der
mathematischen Physik. Beide sind in stetiger Fortentwickelang be-
griffene Forschungszweige, deren absolute Grundbegriffe von Trankce»-
dentalphilosophie erst zu legitimieren, nicht aber vorauszusetzen âfld^
Dazu kommt, dass Kant mit tülem Nachdrucke das Thema der „Kritik de^^
reinen Vernunft^ in die Grundlegung einer all^meinen, inneren m^^
äusseren Welt umspannenden Erfahrung setzt, wSirend die GmndlegBB^B
der mathematischen Physik und der Psychologie erst den .metaphyoM
Anfangsgründen" und der ^Anthropologie" vorbehalten bleibt. >^u
aber jene Universalwissenschaft, jene universale Erfahrung, der in -7--
„Kritik" der Grund gelegt werden soll. Weder in der Matnematik, nod^
in der formalen Logik, die an sich keine Erkenntnisse bieten, kann ne^
^sucht werden. So ist es nahe gelegen, sie mit der Widimehmimg n ^
identifizieren, die ebensowohl innere wie äussere I^iftnomene in sidi -^
schliesst. Man erblickt dann die Grundfrage des Kritizismus darin, wie ^
aus dem isolieri gedachten Empfindungselementen Wahrnehmung ziuitiBde *
komme. In Wahrheit ist diese Auffassung .weit verbreitet und £uit selber
hat ihr zumal in der transscendentalen Ästhetik unleugbar Nahron^ g^
geben. Sie hat indessen das meiste dazu beigetragen, den kritiidiei
Grundgedanken zu verfälschen. Kant unterschemet streng zwischen üb*
jektiven Wahmehmungsformen und objektiven Erkenntniaformen ^
ordnet bloss die letzteren den Kategorien zu. Auch ist es im Sinne der
transscendentalen Dialektik ebenso unmöglich, aus EmpfindungsatoM
die psychische Realität zu erbauen, wie es nach ihr unmöglich exseheiit)
die physische Realität aus materiellen Atomen zusammenzusetzen, den
das Atom ist wie der mathematische Punkt ein idealer Grenzbegriff n'
kein realer Teil der Wirklichkeit. Schliesslich droht diese AuffiMOV
den Unterschied zwischen Berkeley und Kant zu verwischen, da die Ü^
tifizierung der Kategorien mit psychischen Funktionen die piinzineBe
Differenz von Innenwelt und Aussenwelt verwischt und vom nydndoft
mus zum Subjektivismus führt: die Instanz der Wahrnehmung ist ene
bloss subjektive Instanz. Das kritische Problem ist von Anbeginn fùà
orientiert, wenn man es auf den Übergang der Empfindimg zur Wata^
nehmung bezieht, vielmehr hat es den Übergang von der Wahmehnnv
zur Erkenntnis, von der Empirie zum Begriff, vom Realen sur lofiichfli
Idealität zu markieren. Wenn Kant diese seine Position selber met ji
gentigender Klarheit erfasst hat, wenn er das Erkenntatsproblem seitweilV
wiederum zum Wahmehmungsproblem vergröbert, so ist dies auf B^^
nung eines irrigen Gedankenganges zu setzen. Er wollte die Anwarf*
i
Selbstanzeigen (Ewald). â4l
larkeit der logischen Idealwerte auf die empirische Wirklichkeit durch
len Nachweis sichern, dass beide, logische Erkenntnis und empirische
Vjahmehmung ihrem Formzosammenhang nach von einem und demselben
einen Verstände auferbaut werden. Damit wird der Verstand aber in
ine anhaltbare Doppelstelluuff gedrängt. Er soll zuerst die Empfindung zur
Vahmehmune, sodann die Wahrnehmung zur Erkenntnis läutern, was umso
i^enig^r angeht, als die erste Zuordnung eine solche zweier Realitäten,
lie zweite eine zwischen einer realen und einer idealen Sphäre ist.
He Anwendbarkeit der Erkenntnisbe^riffe auf Wahmehmungsinhalte läefit
ioh überhaupt nicht deduzieren, da ein Standort oberhalb der Erkenntnis
licht ^Wonnen, sondern bloss am faktischen Besitz der konkreten Er-
kenntnisse nachgewiesen werden kann.
Der zweite, positive Teil versucht eine selbständige Grundlegung
ier Erkenntnis. Der regressive und progressive Plan, in ihrer Isolation
Bur Sterilität verdammt, werden vereinigt. Der Ausgang vom Allgemeinen
der Wahrnehmung wird beibehalten, desgleichen der vom Allgemeinen der
formalen Logik. Jenes ist in den räumuchen und zeitlichen Beziehungen
enthalten, dieses im Satz der Identität und des Grundes. Aus den raum-
zeitlichen Relationen, die als solche gleich den Sinnesinhalten der objek-
tiven Wahnehmunç angehören, wird als Prinzip der reinen Anschauung,
das der Mannigfaltigkeit, gewonnen. Indem sich dasselbe mit dem
logischen Prinzip der Identität, dem Fundament aller Begriffsbüdunff, ver-
bindet, entstehen die Begriffe der Menge und besonders der Ziuil als
^asis der Arithmetik. Durch die Anwendung derselben auf die konkrete
^mensionalität von Raum und Zeit entspringen die Kategorien des räum-
chen und zeitlichen Masses und die spezifisch räumliche Kategorie der
estait. Raum und Zeit haben eine Grösse. Bloss der Raum ist aber
staltet. Umgekehrt hat allein die Zeit eine Relation, eine Richtung,
^ der räumliche Richtungsbegriff bereits die Bewegung, somit die Zeit
^i^Qssetzt, also kein reiner, sondern ein abgeleiteter, aus Raum und Zeit
^naxnençesetzter Be^ff ist. Durch Anwendung des Satzes vom Grunde
^^ die zeitliche Relation entstehen die Kategorien der Substanz und der
^^alität. Weder die mathematischen noch die dynamischen Kategorien
^^ an und für sich eine Erkenntnis. Diese kommt erst durch ihre Ver-
ödung für die Aussenwelt in der mathematischen Physik zustande. Da
^ Möglichkeit dieser Verbindung für die Innenwelt nicht besteht, da
^^ Vermöge des exklusiv zeitlichen Charakters der Seelenphänomene und
'^^i* OestiQtslosigkeit eine Durchdrinfi^un^ mit der Mathematik undenkbar
^^jeint, vermag die Psychologe nient m den Rang der mathematischen
^ysilc erhoben zu weiden, sie bleibt auf Beobachtung und Erfahrung
^'"tlndet. Die Kategorien haben für sie daher keine eigentlich trans-
^i^^ental-loffische, wohl aber eine trausscendental-ethische Bedeutung.
^ Kinheit aes Bewusstseins spiegelt hier das Ideal sittlicher Konsequenz,
^^ dem der Mensch seine Individualität bilden soll. Der transscenden-
»v5^ Grundlegung der Physik entspricht als innenweltliches Korrelat
'^t eine empirische Fundierun^ der Anthropologie, sondern eine trans-
^i^dentale Bejgründung der ethischen Psychologie. Die seelische Reali-
^ng der Kategorien, die Art, in der Idealwerte sich den Inhalten des
^PiHschen Bewusssseins mitteilen, behandelt ein Kapitel, das der Phä-
^'^enolo^ie gewidmet ist. Auch ein hypothetischer Übergang zur
^^aphysik wird angedeutet. Der erkenntnistheoretische und ethische
l^iig, die Ideale aiu ihrem fremden Gebiet der Erscheinung anzn-
^^en, die bei aller unüberbrückbaren Distanz der Verstandeswelt und
l^enwelt notwendige Verbindung beider scheint auf ein transscenden-
|!^ Substrat der empirischen R^tät hinzuweisen, in dem Ideal und
^^^klichkeit versöhnt und zur Einheit verflochten sind, in denen der
^^Tt existiert und die Existenz selber Wert ist.
Dr. Oscar Ewald.
tanliftidl*n Xllt
342 Selbstanzeigen (Bauch— Braun).
Baachj Bruno, Privatdozent Dr. Geschichte der neueren Phi-
losophie bis Kant. (Sammlung Göschen.) Leipzig 1908. G. J. GHtechen-
sehe YerlagBhandlung. (174 S.)
Das Süchlein stellt sich eine bescheidene Au^be. Es will ledi^icli,
unter Berücksichtigung des allgemeinen Charakters der Sammlung eine
einfache und, freüich ohne dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit etwy
zu vergeben, für weitere Kreise bestimmte Darstellung der G^eschichte der
neueren Philosophie bis Kant bieten. Diese gliedert sich mir, mdir
innerlich als äusserlich, d. h. auf Grund der al%emeinen systematischen
Problemtendenzen in folgende Epochen: die mond- und reli^onsphikwo-
phische Epoche, die spekulativ-dogmatische Naturphilosophie, die T0^
wiegend rational gerichtete Philosophie, die vorwiegend empirisch ge-
richtete Philosophie, die an die exakte Forschung anknüpfende Natur-
philosophie. Sie bilden, mit Ausnahme der zweiten, die histoiischen
Grundlagen, aus denen in ihrem gesamten Umfange die kritische Fiiüo-
Sophie Kants erwächst. Da die geschichtliche Bedeutung immer ab-
hängig ist von dem Werte der systematischen Grundüberzeugnng,
so musste mit innerer Notwendigkeit die Darstellung den Nachdruck isf
das bleibend Wertvolle legen und diesem gegenüber das VergangUebe
zurücktreten lassen.
Es versteht sich im übrigen wohl von selbst, dass ich in ersttf
Linie die Originalwerke als solche befragt habe. Und wenn beidervoridn
bezeichneten bescheidenen Aufgabe mein Schriftchen auch nicht den
stolzen Anspruch erheben kann und nicht erheben will, immer und fiberall
nur Neues zu bieten oder etwa gar durch sogenannte „Neuheit der Auf-
fassung^ des Alten zu glänzen, so hoffe ich doch nicht bloss Altbeluumtoi
zu wiederholen. Damit ist zugleich gesagt, dass ich neben den Qaelko
auch, wie es der ganze Plan der Samn3ung[ verlangt, dem „neuesten
Stande der Forschung'' ~ von Kuno Fischers richtunggebender Geschichte
der neueren Philosophie an bis zu dem neuesten grundlegenden Werke
Gassirers über die Geschichte des Erkenntnisproblems und bis auf die
S^eziaUiteratur ~ Rechnung zu tragen mich bemüht habe, so sehr ich
mich freilich gerade hinsichtlich der Spezialliteratur auf das WU^ügi/t
und Notwendigste beschränken musste. Ein Beschränkung, die in der
Literaturangabe ihren Ausdruck, aber auch ihre Begründung findet Dm
der heutigen Forschung bereits eine ganz stattliche Fülle deutscher tix^
trefflicher Übersetzungen der fremdsprachlichen wichtigsten Originalweike
zu Gebote steht, ist, wie ich auch hier dankbar betonen möchte, meiser
Arbeit durch den Vergleich von Original und Übersetzung, vielfach n
Gute gekommen.
Weil es mir, wie gesagt, darauf ankommt, am Werte der ^yitemir
tischen Grundüberzeugung der einzelnen Denker ihre geschichtliche B^
deutung zu ermitteln, so wäre der höchste Zweck, den meine Schnft er-
reichen könnte, der, dass sie der Leser nicht eben als Selbstzweck be*
trachten möchte, dass sie ihn vielmehr dazu anregte, sicJi selbst an d«
Studium wenigstens der grössten Denker ssu begeben.
Halle a. S. Brano Bauch.
Braun, Otto, Dr. phil. Hinauf zum Idealismus. (ScheDiOT
Studien.) Fritz Eckardt, Leipzig .1908. (160 S.)
Dieses Buch ist aus der Überzeugung entstanden, dass SchdOi«!
uns ein Führer sein kann zu dem Einen, was Not tut, zu einem tatkifftif*
Idealismus, dem das Wesen der Welt im Geistigen liegt und der an
Geistige in schaffender Tat in der Welt zur G^timjgp bringen will l&bt
„Zurück zu Schelling", sondern durch Schelling „Hmauf zum Idaaüsiv^'
Mit Schellings reinem und glühendem Geiste d^ Idealismus mflsMii «^
uns erfüllen, damit wir Herren des Weltprozesses bleiben und ihii 0
einer Geisteskultur lenken können t Schelling aber kann uns dasn fthm
dçnn seine Art steht uns näher, als man gewöhnlich denkt Wir od
Selbstanzeigen (Hoffmann)« d4d
te im Sachen und Ringen nach etwas Neuem: da fühlen wir uns diesem
iker verwandt, der auch nie fertig war, sondern in dauerndem Sieben
h der Wahrheit seine Lehre umbildete. Sodann sind uns die roman-
hen Strömungen, in denen Schellinç als Führer mitten drin steht,
erlich nahe gekommen, sein Ästhetizismus kann unserer ästhetischen
tur zum Vorbilde dienen und ihr zeigen, nass sie olme eine begrün-
de Metaphysik keinen Halt hat. Schellings Philosophie der Kunst
rt uns zu K. Wa^er und seine Naturphilosophie ist zwar in der Me-
de unbrauchbar, aber in den Resultaten für uns sehr wertvoll Endlich
n Schelling uns in religiösen Dingen den wahren Weg weisen, der an
Gedanken der alten ^stik anknüpft.
Dass wir den älteren Idealismus nicht einfach in unsere Zeit über-
2^n dürfen, ist selbstverständlich. Vor allem müssen wir auf den
üben an absolute Erkenntnis verzichten und uns auf ein induktives
hen der Wahrheit auch in metaphysischen Dingen beschränken. Eben-
dürfen wir nie glauben, der Mensch sei in fertigem Besitze seines
stigen Wesens! Nein, wir müssen dauernd um unsere Persönlichkeit
l^en, das ist ein Anfang auch des Schaffens nach Aussen. Ist aber der
isch nichts Vollendetes, so ist es auch die explisdte Darstellung des
stigen in der Welt nicht; die geistige Welt ist also ein Ideall Auch
»en wir die Individualität dem abstrakt Einen gegenüber zur Geltung
Igen.
Das sind alles Forderungen, die wir an den neuen Idealismus stellen
isen. Trotzdem kann Schelling uns zu ihm führen, denn er besass den
ndlegenden Geist des schöpferischen und lebenzündenden Idealismus.
Schellings Lehre aber führt uns seine grosse einheitliche Persönlich-
t, aus der die Lehre erst entsprungen ist. So habe ich denn versucht,
glichst tief das Wesen dieser Persönlichkeit nach Charakter und Intel-
l zu fassen und daraus die Ei|^enart der Lehre be^eiflich zu madien.
)ei habe ich die Beziehungen des Denkers namenthch zu Goethe näher
ersucht, und hoffe, einiges Neue gefunden zu haben, was auch auf
sthe neues Licht werfen kann. Das Buch besteht aus 7 Abhandlungen :
auf zum Idealismus, Schelling und unsere Zeit, Schellings geistige Per-
Lichkeit und ihr Verhältnis zu Goethes Geisteswesen, Schellings Mo-
de und ihre Beziehungen zu Plato, Goethe und Schiller, Schelling und
Romantik, Schellings Gotteslehre und das religiöse Suchen unserer
t, die Entwickelung des Gottesbegriffes bei Schemng.
O. Braun.
Hoffmann, Karl. Zur Literatur und Ideengeschichte. Zwölf
dien. Oharlottenburg, Günthersche Buchhandlung. 1908. (IX und
S.)
Ich fürchte zwar, dass diese Essaysammlung für den philosophischen
er von nur indirektem Interesse sein dürfte, da die in ihr enthaltenen
eiten vorzugsweise literarische und literarhistorische Stoffe behandehi.
en ausgesprochen philosophischen oder philosophierenden Charakter
en höcnstens fünf Aufsätze; manche andere wieder sind, wie ich ge-
len muss, fast rein philologisch. Nichtsdestoweniger aber habe ich in
gern Gegensatz zu aer heute meist üblichen Auffassung der Literatur-
i^ichte als Wissenschaft den vielleicht verborgenen, doch innieen Zu-
menhang zwischen dem literarischen Leben und dem philosopnischen
iken überall da, wo es der Stoff mit sich brachte, entsprechend hervor^
Icken versucht, beziehungsweise das gerade vorliesfende litermiische
ma besonders von dem auf einen solchen Zusammenhang hinzielenden
ichtspunkte aus betrachtet. Denn sobald ein Dichter sich in seinem
rke mit der Totalität der Seinsbedingungen — wie ihm diese fferade
dem Bildun^vorrat seiner Zeit heraus anblicken — innerlich aof-
mdersetzen will und zu der Gestaltung mehr oder weniger abstrakter
on fortschreitet, gerät er unwillkürlich unter den mittelMren oder an-
344 . Selbstan2eigen (Leclëre)«
mittelbaren Einfluss der eig^entlichen Philosophie, deren Tätigkeit nftmM
der bewussten Bejmffsbildung des sogenannten Zeitgeistes fttr eewOhnlich
vorherzugehen puegt, indem ihre Gedanken mitunter yerhutnismftasg
schnell, mitunter nach und nach in das Geistesleben der breiteren Bildnng»-
schichten hinabsickem und, wenn auch für den flüchtigen Blick nn^
kennbar geworden, in ihm fortwirken. Selbst da, wo jenes nicht der
Fall ist, wo der Dichter keine Ideen gestaltet, wird die literarische Pro-
duktion natura emäss durch ihre Abhängigkeit von den ideellen StrOmnngen
der Zeit mit bestimmt, die ebenso das philosophische Denken z. T. leiten
und in ihm zu bewusstester Abklärung gelangen, z. T. eben fiberhiopt
von ihm herkommen. Ein tieferes Emdnngen in die von der literatiir
uns aufgegebenen Probleme erscheint sonach auf rein literaruchem Wege,
unter gänzlicher Vemachlässig[ung des philosophischen Elementes, oft gar
nicht mehr möglich. — Dies ist der Standpunkt, der meine Auf&snmf
literarischer Din^e im Grossen und Ganzen beherrscht, und von dem icK
hoffe, dass er sich auch in dem von mir angezeigten Buche hie und da
fruchtbringend geltend gemacht hat.
Speziell mit Kant beschäftifirt sich nur der Essa^ über „die fttthe-
tische Interesselosigkeit^. Es handelt sich dort um die Lehre der Kan-
tischen Ästhetik, dass das ästhetische Wohlgefallen „ohne Interesse" sei,
und es wird darzutun versucht, dass diese oft angefeindete Lehre, richtig
verstanden und ausgelegt, zusammen mit der von Kant gewollten Tendenz
der zugleich von ihm gelehrten Begriffslosiçkeit des ästhetischen Verhaltens
einen hohen Grad ästhetischer Einsicht bedeutet.
Charlottenburg. Karl Hoff mann.
Ledere, Albert, Docteur es lettres, professeur agrégé à l'université de
Berne. La Philosophie grecque avant Socrate, chez Blond, Paria.
Bien que cet opuscule fasse partie d'une collection de vulgarisation,
Fauteur, s'inspirant des travaux les plus récents de France et d'iOemagne,
s'est appliqué à faire, des Antésocratiques, une étude scientifique. Il ne lei
considère pas exclusivement comme des philosophes, ainsi qu'on le i^t trop
souvent encore, mais comme des penseurs qm voulaient avant tout faire
de la science, et qui, en ces temps reculés où la véritable science n'oistait
guère et n'était guère possible, se sont trouvé forcés de traiter philosophi-
quement les questions scientifiques. Dans son premier chapitre, il a inaaté,
notamment, sur l'opposition de l'influence de la religion grecque officielle
et de l'influence des Mystères sur la pensée grecque. H a risqué qoel^
hypothèses sur Anaximandre, Empédocle et Anaxagore. Il insiste, dime
manière générale, sur l'importance des idées pythafforéciennes dans tonte la
philosophie postérieure et il traite des Eléates et des Atomistes on pea
outrement qu' on ne le fait d'ordinaire. Il cherche en toute occasion k
lien des conceptions proprement philosophiques et des conceptions sdenti*
flques de ces divers philosophes. Sans cesse il a cherché à se dâEendrede
commenter les textes qui nous sont parvenus à l'aide de doctrines poaténr
eures, bien qu'il ait la ferme conviction que l'idée première de toutes oes
doctrines a été plus ou moins entrevue par les Antesocratiqaes.
Berne (Suisse). A. Leclère.
Leclère, Albert, Docteur es lettres, professeur agrégé à llJnivenité
de Berne. La Morale rationnelle dans ses relations avec la Philo-
Sophie jg^énérale, chez Payot, Lausanne et Alcan, Paris.
L'mtention principale de cet ouvrée est d'opposer une théorie rigoo*
reusement rationnelle et normale de l'Ethique à rempirisme et au sentie
mentalisme sous toutes leurs formes, de fonder, par l'emploi d'une méthode
tout à la fois positive et critique^ le minimum de dogmatisme sans leqael
l'Ethique n' a plus aucun sens. L'auteur a essayé de déduire des princqiei
les plus classiques de la philosophie bien compris, tontes les audaces aoMp
Selbstanzeigen (FlOgel— Walther). 845
les de la morale moderne, sans craindre de paraître, ans uns. rétrograde,
aux autres, révolationnaire. Parti d*un examen d'ensemble des tcmdanoes
aelles les plus significatives et d'une démonstration de la différence
icale de la philosophie et de toute religion, même naturelle, il essaie
) classification, nouvelle i)ar certains points, de Tensemble des sciences et
I parties de la philosophie; il arrive ainsi à construire, en en rassemblant
membres impars dans les disciplines les plus diverses, la science morale
il définit. Puis il tente de déterminer à priori les points de vue philo*
»hiques et moraux véritablement normaux à l'espnt humain; il établit
si une logique préalable de la recherche éthique et il vérifie la valeur de
Morale rationnelle par une historié critique de la Morale depuis les
ßcs jusqu' à nos jours. — Dans une deuxième partie, il construit successi-
nent une Ethologie inductive, individuelle et sociale, une Ethocritiqne.
3 Métamorale discrète et une Ethologie deductive au cours desquelles il
tache la notion de la valeur morale à la raison, dont il en fait une
égorie. Ensuite il établit, en partant des principes qu'il a posés, une
raJe pratique délibérément individualiste dont il fait sortir peu à peu
ites les conséquences altruistiaues dont les doctrines qu'il combat se
lent le monopole. H ne s'est dérobé à Texamen d'aucun des problèmes
plus angoissants de notre époque, sans pitié pour les pr^ugâ les plus
pectables dont il pense que la survivance, en dépit des progrès de la
ence et de la critique, est un danger aussi grand pour la penMe morale
itemporaine que les exagérations de l'Etatisme ou de l'Anarchisme.
§cialement, il s'est appliqué à montrer les rapports des Questions morales
se toutes les autres et à concilier, dans une synthèse cD un caractère à
fois scientifique et critique, les opinions philosophiques les plus diverses.
Berne (Suisse). A. Leclère.
Flügel, O., Monismus und Theologie. Dritte, umgearbeitete
Qage der spekulativen Theologie der Gegenwart. 1906. Göthen,
Schulze. (413 S.)
Inhalt: I. Monismus, U. Monismus und die Grundbegriffe der Theo-
ie, in. Monismus in theologischen Systemen, IV. Monismus der Methode
)r realistischer Pluralismus.
Die Kenner Kants wird es vielleicht am meisten interessieren zu
en, wie philosophische und theologische Monisten Kants Philosophie in
em Sinne deuten. Die Kategoriemehre wird gedeutet als Offenoarnng
I Weltgeistes an den einzelnen Geist. Ein gewisser theologischer Im-
tssionismus will mit Berufung auf Kant der fibersinnlichen Dinge un-
i;elbar im Gefühle innewerden. Die Postulate Kants werden benutot,
ht blos allgemein zum Glauben an die Arelität der Ideale, sondern um
"zutun: was vernünftig ist, ist wirklich und umgekehrt. Und mehr
gleichen.
Wansleben bei Halle a. S. O. FlttgeL
Walther, Martin, Dr. phil. J. J. Herbart und die vorsokra-
che Philosophie. Ein Beitrag zum historischen VerstAndnis der
rbartschen Metaphysik. Dissertation. Halle, Kaemmerer &. Co., 1906.
Man hat Her oarts Metaphysik oft rein als Produkt der nachkantischen
3kulation verstehen wollen. Gewiss hat man in zweierlei Hinsicht dazu
«ses Recht. Einmal ist Herbart tatsachlich durch Ablehnung von
hte*s Ich als des einzigen Realen zu seinem ^ReaUsmus** gekommen.
d dann hftngt Herbarts Spekulation auch wirkhch eng zusammen mit
I realistischen Elementen in Kants Philosophie, dem G^egebensein
I Stoffes unserer Vorstellungen und der Funktion des Affizierens unserer
ne. Die Dissertation betont jedoch, dass man bei diesem Urteil fiber
rbarts Metaph;$rsik ein wesenth<^es Moment fibersieht. Der AuÜNhwuDg
nlich, den seit Kants Emeaemng der Speknlatioii die Qeechiebte der
346 Selbstanzeigen (v. Brockdorff).
Philosophie nahm, ist in jener Zeit fifanz besonders Kants zweitem Nach-
folger, Herbart, zugute gekommen. Herbart ist sich dessen bewnsst, daas
alle Versuche, eine Metaphysik zu finden, bisher gescheitert sind, well min
die ursprünglichen Fragen, die notwendig ledes Nachdenken beschfilti^
müssen una auch das Nachdenken der ältesten Philosophen beschiftift
haben, aus den Augen verloren hatte, weil eine alte, mit jenen nur àviât-
setzte Tradition sich fort und fort erbte, wie alte Bausteine, die bei ihrem
Aufbau nur eine Ruine statt eines Wohnhauses ergaben. Und auch die
erfreuliche Aufregung, die der Metaphysik durch Kant zuteil gewoidfln
ist, hat nach Heroarts Urteil leider dias eigentliche metaphjsifiche WisBen
nicht viel weiter gebracht, sondern nur einige Punkte ins helle Licht
gesetzt.
Auf Grund dieser Tatsache ist Verf. den Spuren einmal nachg;egangeii,
die von Herbarts Metaphysik zu der vorsokratischen Philosophie fahren,
und hat die Beziehungen, die Herbart auf jene genommen hat, darzulegen
versucht. Im Hinter^und lag dabei die leise Hoffnung, dass sich diuch
diese Untersuchung ein Moment ergebe, durch welches das bisherige, nach
Yerf.'s Meinung mcht in allen Punkten zutreffende historische Verstftnânis
der Herbartschen Metaphysik rektifiziert werden könnte. Dedialb handelt
es sich hier nicht zunächst um Wahrheit oder Falschheit der Herbartschen
Metaphysik, sondern nur um Wahrheit oder Falschheit ihres bisherigen
historischen Verständnisses.
Im 1. Abschnitt finden sich die Momente zusammengestellt, die
Herbart zu der alten Philosophie führten. Im 2. Abschnitt ist zuerst ver-
sucht worden, ein gut Teil des Herbartschen Erfahrungsbegriffes, der vom
Kantischen nicht unwesentlich abweicht, auf vorsokratische Rechnung n
setzen. Darauf wird unternommen, in Einzeluntersuchungen die Be-
ziehungen Herbarts zu den älteren Joniem, Heraklit, den Eleaten, da
jüngeren Naturphilosophie nachzuweisen und zu zeigen, dass nic^t nur die
SteUung, sondern in mancher Hinsicht auch die Lösung der Probleme der
Herbar&chen Metaphysik durch die Spekulation jener Männer wesentlich
beeinflusst worden ist. Der 3. Abschnitt endlich möchte an Herbarts Ge*
danken über die Geschichte der Philosophie nachweisen, wie wenig gnecht
in Herbarts eigenem Urteil man bisher verfuhr, wenn man seine SteD&ng
zu der vorsokratischen Philosophie meist nur ganz nebenbei in Betradit sog.
Schönebeck. M. Walther.
Baron €ay y. Brockdorff, Dr., Dozent der Philosophie. Die Ge-
schichte der Philosophie und das Problem ihrer Beffreiflich*
keit. Osterwick-Harz, Leipzig und Wien. Verlag v. A. W. Zickfeldt. 1906.
Diese Greschichte der Philosophie ist zuerst im Jahre 1906 hd
Aug. Lax in Hildesheim erschienen und nunmehr in innerlich grossentdk
äusserlich völlig neuer Form von einem grösseren Verlage dem Publikum
vorgelegt worden.
Die vnssenschaftliche Tendenz der Arbeit hat sich seit 1906 in keiner
Beziehui^ geändert. Wie den Lesern der Eantstudien im vorigen Jahn
auseinandergesetzt worden ist, bemüht sich der Verfasser, die âeschichto
der Philosophie im Zusammexàiange mit dem Verstehen und dem Begreüen
darzustellen und er sucht geradezu einen Parallelismus zwischen des
philosophiegeschichtlichen und dem Verstftndnisfortschritt hervortietim n
lassen. Die vollkommenste Möglichkeit, dem Gange grosser Systanh
entwioklungen zu folgen, besteht nämlich in der Durdidrmgung der och
vertiefenden Vemunfterkenntnis. Daher He^ es nahe, hier g^diichtlidief
Verständnis und „Begreifen^ der Vernunft m eins gehen zu lassen.
Auf diese Weise erschliesst sich überall ein Zusammenhang i^ite-
matisohen Denkens und historischen Verstehens. ^
Das Werk konnte in dieser Auflage auf eine schärfere Polemik Men
die katholischeti Begrifflosi^keiten verzichten, da inzwischen die sma
weiter 8iirflokliegen& Arbeit des Harm Dr. Medicus in den Kant>StiidicB
Selbstanzeigen (v. BrockdorfQ. 347
S. 926 ff. und die des Herrn Dr. Br. Bauch: Kant in ultramontaner
l liberal-kath. Beleuchtung in den Eantstudien Xm Heft 1 und 2 weit-
lende und berechtigte Beachtung gefunden haben. Es ist Herrn Medicus
) Herrn Bauch gelungen, z. B. £e Beurteilungen Kants durch Thomisten
nzend zurückzuweisen und ein für alle mal lächerlich zu machen, sodass
' uns im ganzen einer objektiven Darlegung des mittelalterlichen Denkens
Lmen konnten. Einige Seitenhiebe auszuteilen wollten wir uns freilich
[it versagen.
In der neueren Darlegung sind Kant und Schopenhauer wesentlich
ndlicher erklärt worden als m der ersten Auflage und die Ausführungen
r Heçel und G. J. P. J. Bolland (über den der Verfasser auch einen
inen Artikel im Jahrbuche modemer Menschen Bd. IH 1. Heft heraus-
:eben hat), mussten an einzelnen Stellen verbessert werden.
Stil und Darstellunjg;8weise dürften in der jetzigen Bearbeitung nur
sonnen haben; auch eignet sich diese Auflage gar wohl zur Yorbereitunff
ein philosophisches Examen, zumal wenn an Nachschlagewerken una
8 mögliche behandelnden Kompendien, wie so oft bekutgt wird, die
ersieht verloren zu gehen droht.
Braunschweig. Brockdorff.
Baron Gay v. Brockdorff, Dr., Dozent der Philosophie. Die Kunst
; Verstehens. Osterwieck-Harz, A. W. Zickfeldt 1906.
Die kleine Schrift kann als eine Art Einleitung in die Philosophie
Verfassers betrachtet werden. In populärer Form und mit Heran-
inng vieler Beispiele werden hier aie firossen Fragen behandelt, die
>n seit der griechischen Sophistik über die Mitteilbarkeit fremder Ge-
ken aufgeworfen worden smd.
Die hier vorliegende kurze Psychologie des Verstehens berücksichtigt
h die sprachliche Bildung und ihre Bedeutung für richtiffe Auffassung
. Beurteilung; sie zeigt, wie sehr in unserem geistigen Lebensprozess
Verstehen Lebenserf ordemis ist, und inwiefern eben der Lebensprozess
seiner Periodizität psychische Situationen notwendigen Missverstehens
beiführt.
Die künstlichen Verständnisregeln werden als schwache Aushilfen
ennzeichnet und auf die echt künstlerische Natur des Verstehens in
erem Sinne fällt das volle Licht philosophischer Betrachtungen.
Weltgeschichtliche Persönlichkeiten, wie Napoleon L und ihre
icksale zeigen im Wechsel der Forschungsergebnisse, ein wie hoher
id von Selbsterkenntnis erreicht sein muss, damit man bei dem Urteil
. der Darstellung die richtigen Grenzen und ein weises Mass innehalten
lt. Die Kunst des Verstehens, so au{gefasst, wird zu einem pädagogischen
tel: es fördert die wahrhafte geistige Reife.
Braunschweig. Brockdorff.
Baron Gay von Brockdorff. Die wissenschaftliche Selbst-
:enntnis. Verlag von E. Appelhaus & Comp. Braunschweig 1906.
Es ist sehr schwer, den positiven Charakter dieses Buches einiger-
sen klar zu charakterisieren. Vielleicht dient manchem Leser als ver-
idlicher Wink der Hinweis darauf, dass der Verfasser den Begriff der
taltqualität auf die Formen des wissenschaftlichen Denkens ani^ewandt
So zeigt er an den Widersprüchen des religiösen Bewusstseins eine
me Art und Weise auf, sich zu Widersprüchen zu. stellen. Rechts-
senschaften, Naturwissenschaften usw. weraen entsprechend untersucht.
sc Form der Selbsterkenntnis ftlhrte zu einer neuen Begriffolehre.
i;en Hegel und seine Schule beweist der Verfasser, dass Begriffe und
zelheiten sich nicht im dialektisdien Sinne aufheben, wie wir denn
rhaupt mit vorgeblicher Dialektik ein wenig ao^eriiimt zu haben
iben. Indessen werden die früheren Bearbeitungen mebt dinfieh Ter-
348 Selbstanzeigen (Wilmanns— Kohlmann).
worfen, sondern als Bestandteile des Wahren in einer anderen Auâurao^
nachgewiesen.
Für Anfönger eignet sich das vorliegende Werk nicht. Minderten
sollte man sich mit Goswin Uphues' „Grundzü^n" (Osterwieck 1901) be-
kannt gemacht haben. Noch besser ist es freihch, wenn man sich dimae^
dnrch Biehls Meisterwerke in die Erkenntnistheorie hineinarbeitet
Ich glaube, dass iemand, der der von G. Güttler gestellten Piôf-
aufgäbe der Eantgesellschaft näher treten will, aus meinem Buche manch»
Anregungen über philosophische Forschritte empfangen kann.
Braunschweig. Brockdorff.
John Stuart Mill. Eine Prüfung der Philosophie Sir Wil--
liam Hamiltons. Deutsch von Hilmar Wilmanns. Halle a. S., äuc:
Niemeyer. 1908. (709 S.)
Das vorlie^nde Werk ist nicht allein eine Prüfung der Philosopto
Hamiltons. Es ist vielmehr die Kritik einer Philosophenschule, der»
Grundlehren einer Art des Philosophierens angehören, die, seitdem to
Reaktion gegen Locke und Hume einsetzt hat, die vorherrschende ge*
wesen ist, und in England von Reid, im übrigen Europa von Kant ihns&
Ausgang genommen hat. Die Stellung, die Hanülton an der Spitze dieser
Schule einnimmt, hat Mill hauptsächlich veranlasst, mit seinem Namen di»
in dem Werke enthaltenen Betrachtungen und Kritiken zu verknfipfeiu
Wir besitzen bis heute keine Untersuchung, die den inneren Geg^ensitc
der empiristischen und der rationalistischen Denkweise unmittelbarer auf*
weist, als das vorliegende Werk. Trotzdem seit seinem ersten ErscheineL
fast fünfzig" Jahre verflossen sind, ist es für den Kampf zwischen dieaeL
beiden Denkweisen auch heute noch von höchster Bedeutung und berfihri
so au& engste das Kantproblem und die Grundfragen der Kantiachen.
Philosophie, auf die Mill in seinen Untersuchungen teils direkt zniflck-
greift, die indirekt aber fast durchweg das Streitobjekt bilden.
Das Werk erscheint hier zum ersten Male in deutscher Übersetznof.
Möge diese den Lesern in unserem Lande willkonunen sein und dazu be^
tragen, die nähere Bekanntschaft mit dem scharfsinnigen engliachea
Denker noch weiter zu verbreiten, als dies durch sein Hauptwerk »Syatem
der Logik^, das durch das vorliegende Werk eine Ergänzung «rhftlt, be-
reits geischehen ist.
Hilmar Wilmanns.
Rohlmann, O. Kant und Haeckel. Neue Richtlinien fttr die
Lösung des Zeit-Raumproblems. Greiz, Löffler & Co. 1907. (28 S.)^
Inhalt: Einleitung. — Erkenntnistheoretischer Grundriss. — Dis
Dimensionen von Raum und Zeit im Sfie^ des Wahmehmungsgnmdei.
— Selbstbewusstsein und Weltbewusstsem im Spiegel des Wahmenmnngi'
grandes. — Schlusswort.
In der vorliegenden kurzen Abhandlung wird zum ersten Mal der
Versuch Seemacht, die beiden hervorragendsten Entdeckungen im Gebiete
menschli<men Wissens, die Kopernikanische und Kantische, unter Anlehsiof
an Kants Erkenntnistheorie, in das richtige VerhiUtnis zu einander n
bringen. Zu diesem Zwecke waren zunädist die unsere Erfahrong^-fi^
kenntnis beherrschenden Hauptstandpunkte scharf von einander zu trennes
bezw. auf ihre letzten Prinzipien zurückzuführen; und dann warzuzete
wie die nach jenen Prinzipien gegliederte Grundlajg^ der gesamten JB^
fahrungs-Erkenntnis eine lückenkrae Verbindung zwischen den änssentei
Elementen unseres Wissens herstellt.
^) Redaktionelle Anmerkung: Wir erinnern daran, dass fttr Selbf^
anzeigen die Verantwortung allein den Autoren verbleibt.
Selbstanzeigen (Burckhardt). 349
Da findet sich als unentbehrliches Glied in der Grundlage der Er-
ilirangs-Erkenntnis die Beziehung des wahrnehmenden Subjekts zu seinem
Ejuietensystem , so dass man — vom physiologischen Gesichtspunkte —
£^n kann: wie dem wahrnehmenden Subjekt mit Sinnesorgan und Ge-
rn Mittel zur Aufnahme und Verarbeitung der Sinneseindrücke zur
3Z-fttgung stehen, so ist dem Subjekt im apriorischen Umstand der Be-
»linng zum Planetensystem eine Art höherer Organisation zur XJmspan-
[X^ und Vereinheitlichung des Sinnlichen überhaupt gegeben. Erkennt-
st^Seoretisch betrachtet, dient dieser apriorische Umstand der Konsti-
l^rang der Erfahrung unter dem Gesichtspunkte des rein Tatsächlichen,
i^^^^usstsein — Zeit, Jäaum, Kausalität —, Beziehung des Subjekts zum
anetensystem sind drei gleichwertige Elemente der Grundlage der £r-
tmsrungs-Erkenntnis. Ohne Bewusstsein, Zeit, Raum und Kausalität könnten
jr uns freilich überhaupt keine Vorstellung; vom Planetensystem machen,
^r ohne die apriorische Beziehung des Subjekts zu dem letzteren wären
IS auch nicht Bewusstsein, Zeit, Raum und Kausalität gegeben.
Diese Auffassung, die sich zu Kants transscendentaler Methode
»enso wie zu den herrschenden Grundsätzen der Naturwissenschaft in
fatroffen Widerspruch setzt, mag zunächst befremdlich erscheinen, doch
^xmen Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft, so lange sie sich hier
eilt die Hand reichen, gewisse Schwierigkeiten car nicht überwinden.
Haeckels Erörterunfi^en über Raum und Zeit in den „Welträtseln^
leiben für die eigentliche Lösung des Problems ohne Bedeutung, doch
»»en wir an anderer Stelle der „Welträtsel" in den Vordergrund des
r eltbüdes ein Moment gerückt, welches in erkenntniskritischer Beleuch-
^^g zu der unseren Anschauungen von Raum und Zeit entsprechenden
^^^uidlage der Wahrnehmung führt. Darum konnte ich hier Haeckel
Bii» Schöpfer der Transscendental-Philosophie gegenüberstellen.
Greiz. 0. Kohlmann.
Bnrckhardt, 6. Ed. Die Anfänge einer geschichtlichen
Qndamentierung der Religionsphilosophie. Grundlegende Vor-
^^i^uchung zu einer Darstellung von Herders nistorischer Aunassung der
^««ion, Berlin, Reuther & Reichard 1908. (VI u. 90 S.)
Prolegomena auch zu einer jeden künftigen Religionsphilosophie, die
' ^Wisaenschaft wird auftreten können, liegen in Kants kritischer Philo -
P^e. Die alte spekulative Reli^onsphilosophie ist allmählich aus dem
^i^ch der Wissenschaft ausgeschieden. Nur nach Massgabe und in den
"^^^en exakter empirisch-psychologischer und historischer Methode und
^ als besondere Erscheinungen unter anderen können die gegenwärtigen
^ die aus historischer Oberlieferung zu erschliessenden religiösen Vor-
^^S^ und Gebilde Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung und Aus-
^^Bpunkte philosophischer Ergründung werden.
Die historischen Überlie^rungen nehmen in den Kulturreligionen
^^ tiberaus wichtige Stellung ein; die Geschichtswissenschaft ist daher
^ ^Wichtige Grunmaçe für cue Religionsphilosophie. In Herder pflegen
einen ersten Propheten genetisch-historischer Betrachtungsweise und
L »historischen Sinnes'' zu sehen. In der vorliegenden Sc&ift ist ver-
J^» die vor Herder liegenden Bedingungen für das Entstehen einer
Z^i^ch aufgefassten Welt, besonders die Bedingungen für das Ein-
=^^ifen des religiösen Gebietes in diese Welt aufzuzeigen.
Im 1. Abschnitt sind zunächst „Die ältesten Typen einer Reli-
f ^^pbilosophie ohne den Unterbau genetischer Geschichts-
^^^88ung^ dargestellt. Sodann werden „die geistesgeschicht-
*^^ii Vorbedingungen für eine geschichtliche Auffassung der
r5^ Sehen weit überhaupt" untersucht, während der 8. Abschnitt die
^^tümliche historische Entwicklung und Verwicklung des Verhältnisses
^ Äeligion und Geschichte verfolgt. Das Problem der Scholastik
^^r besonderen Form: vne verhält sich das historische Wissen mm
350 Selbstanzeigen (Fröhlich).
religiösen Glauben? — Die Frage der Aufklärung: wie verhalten sich »
fällige Greschichtswahrheiten und ewige Vernunftwahrheiten zueinander iit
auch noch in den religiösen Bewegungen der Gegenwart die prinnpifilWi
und brennendste.
Zur Klärung dieser Frage mag auch die hier begonnene üntenoehnag
der Geschichte dieser Frage beitragen.
Halle a. S. G. Ed. Burckhardi
Fröhlich, Franz, Dr. phil. Oberlehrer am EönigL Kaiserin Anga^
Gymnasium zu Charlottenburg. Fichtes Reden an die deutseli«
Nation. Eine Untersuchung ihrer Entstehungsgeschichte. Berlin, Vf A
mann 1907. (Ill S.)
Über Fichtes Reden an die deutsche Nation ist bis in die ifinote
Zeit hinein viel geredet und geschrieben worden, zum Teil sehr Tremicii|M^
aber eine Einzeluntersuchung über ihre Entstehungsgeschichte, wie sie hki
angestellt ist, mit Heranziehung archivalischen Materials und des haait
schriftlichen Nachlasses Fichtes auf der Königlichen Bibliothek zu Berüi,
dürfte vielleicht doch eine Lücke in der Fichte-Literatur ausfüllen. Mb
hat bisher die Reden, wie das bei klassischen Werken leicht geschieUt
meist als etwas Gegebenes hingenommen und sich mit der Denâng flm
Inhalts begnügt; in der vorliegenden Arbeit handelte es sich dämm, dit
Kräfte zu erkennen, die in den Reden wirksam geworden sind und itai
weltgeschichtliche Bedeutung bedingen. Kuno Mscher hat aus Fiditv
Reden und sonstigen Schrien von ihm herausgelesen, sein Patriotuai
oder Nationalismus und sein Kosmopolitismus seien ein und dasselbe, m
Windelband hat in seiner Rede über Fichtes Idee des deutschen StM<*
(1890) die gleiche Auffassung vorgetragen. Aber Fidite hat selbst earn
gesagt (8,404), man müsse dag'enige, was die Menschen blos sanften, Sas
nicht zum Nachteil anrechnen, una hinzugefügt: „Die Worte sina ttbeiliiiVt
nichts, und nur das Leben will etwas oedeuten." Hier ist ein M, «•
man mit der Anwendung dieses Satzes auf Fichte selbst Ernst mtdMi
muss. Die Berufung Fichtes zum Ordinarius für Philosophie in SdMg
(März 1806) erfolgte, wie ich aus den Akten des Geheimen Staatwattw
habe mitteilen können, dadurch, dass Hardenberg, ungeachtet des Eimpir^
des Herrn v. Massow, des Nachfolgers von Wöllner, für lachte seine ^
Autorität beim König einsetzte. Seit dieser Berufung fühlte sich IM
längst von Hinneigimg zu dem Staat Friedrichs des Grossen ertBS&, m
greussischer Staatsdiener, ja dieses Ereignis gewann für ihn in MiMi
ochgespannten Pflichtgefühl eine ausserordentliche Tragweite. ^JJ
Richtung auf bestimmte Ziele, wie sie Hardenberg und Stein, Schai^JJP
und Gneisenau und andern preussischen Patrioten vorschwebten, hstlMyi
auch die Reden an die Deutschen gehalten. Schon vor mehr als i**
Jahren (1895) hat Max Lehmann aus den Akten des (jleheimen SteatKidl*
nachgewiesen, dass manches in den Reden, was jetst allgemein und ^
verfänglich klingt, ursprünglich die unmittelbare Beziehnng za dcrN*
sondern Lage Preussens an der Stirn trug und nur dämm einen an^
Wortlaut bekam, weil es vom Zensor, der Fichte und die preuniseke w*
gierung vor Verlegenheiten bewahren wollte, beanstandet wurde, pu*
eben das Grosse: der Yerkünder der Wissenschaftslehre beteiligt flck, *
das Vaterland seiner bedarf, freilich auf seine Weise und so, wiewff*
es kann, an der politischen Arbeit. Allerdings war Fichtes l^s^^'Jj
damals um eine neue Geisteskraft bereichert, den geschichtlichen Saa, j^
es ist denkwürdig, dass sich Fichte in dieser Hinsidit an dem fWJJJ
Florentiner Patrioten Macchiavelli gebildet hat, der seiner Nationjjjj
die Kraft seines Wortes einen Einiger und Befreier zu erwecken |dg
hatte. „Macchiavelli ruht ganz auf dem wirklichen Leben and deaWi
desselben, der Geschichte," so beginnt der Aufeatz, den Fichte Î58j«JJ
1807 in Königsberg über Macchiavelli und seine Schriften ^'^«^''JJjf
Diese Studie, in der sich Fichte erst das Verständnis für pditiacbelav'
Selbstanzeigen (Kichert - Sanas). 351
a erschloss, gab ihm einen festen Standpunkt gegenüber den napo-
(chen Staatsgebüden und führte unmittelbar zu den Beden hinüber.
Fichte mit seinen Ausführungen über Marchiavelli ins Schwarze
ffen hatte, beweist die Tatsache, dass nach dem Pariser Moniteur vom
iniuur 1808, also zu einer Zeit, wo Fichte gerade die Beden hielt, die
ßhrift ^Vesta", in deren erstem Heft der Macchiavelli-Aufsatz stand,
n Königsberg so in Berlin auf hohem Befehl konfisziert wurde. Diese
itungsvolle Schrift über Macchiavelli (St. W. 3,404) hat Kuno Fischer
eben, sie ist auch in dem Gesamtverzeichnis von f^chtes Schriften bei
(3. Aufl. 1900 S. 214—220) nicht angeführt. Windelband hat den
ktz zwar in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen, aber mehr seine
xmderung über den interessanten Inhalt ausgesprochen, statt ihn in das
e Licht zu rücken.
Aus diesen Andeutungen möge man erkennen, am welche Probleme
sh in der vorliegenden Untersuchung handelt; es ist der Versuch, von
durch Quellenforschungen gewonnenen historischen Gesamtanschauung
lern Verständnis der laden näherzukommen.
Charlottenburg. Franz Fröhlich.
Kichert, H. Philosophie. Einführung in die Wissenschaft, ihr
n und ihre Probleme. (Aas Natur und Geisteswelt.) Leipzig 1908.
Teubner.
Das Büchlein fügt sich einer Bändereihe der Teubnerschen Samm-
ein, die gebildete Laien in die einzelnen Wissenschaften, ihre Stel-
in der Wissenschaft, ihre Methoden, Probleme und Aufgaben ein-
n 8oll. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe für die Philosophie ist
IG gross, wie die Notwendigkeit ihrer Lösung von dem stark em-
len wird, der die Batlosifi^keit weiter Kreise and die Miss^ffe in
Vahl der Mittel, das erwachte philosophische Interesse zu befriedigen,
)obachten Gelegenheit gehabt hat. Besonders bedauernswert erschien
Verfasser die Ignorierung der Gegenwartsforschung seitens weiter
hten der Gebildeten und die kritiklose Verehrung der Mode- and
itionsbücher. Der Verfasser, der seine Anschauungen wesentlich auf
jitiflche Philosophie gründet, hat versucht, seine Leser über die Pro-
B der Philosopme möglichst objektiv zu unterrichten, die moderne
hang und ihre Fragestellung dabei besonders berücksichtigend, und
lie den Psychologismus und Positivismus bekämpfenden Forscher he-
ures Interesse zu erregen. Literarische Verweise und eine nicht zu
am bemessene Bibliographie dienen den gleichen Zwecken. Wo er,
Bigene Formulierung verzichtend, den Philosophen selbst das Wort
, üofft er, den Leser dazu anzuregen, die Philosophen „im stillen
gtum ihrer Werke^ selbst aufzusuchen. Vischers Wort, dass es zu
löchsten Aufgaben unserer Zeit gehört, dem Geist Schloss und Biegel
fnen und ihn in die Massen zu verbreiten, stand dem Verfasser dabei
K) wie jenes andere vor der Seele, dass dieses Geschäft auch endlich
loll una gestehen, woher der Inhalt geholt ist.
Pleschen. H. Biche rt
SAnofl, Dr. Similismus, Grundriss- einer neuen Welt-
hauunff. (1. Teil: Positive Darstellung des Similismus, II. Teil:
k christucher Lehren.) Dresden, E. Piersons Verlag, 1907.
Wer eine logische und damit eine die menschliche Vernunft, den
lehlichen Logos befriedigende Lösung des Welträtsels geben will,
die Welt als die Verwirklichung eines bestimmten Be-
fes nachweisen. Diese Aufgabe löst der Verfasser obiger Schrift
«r Weise, dass er die Merkmale des von ihm aufgestellten Welt-
lifes als in der Welt tatsächlich gegeben aufzeigt. Hierdarch er-
't er die Welt, macht sie im wahren and eigentlichen Sinne des
362 Selbstanzeigen (Apel— Siegel).
Wortes begreiflich, verständlich; denn eine Sache begreifei,
verstehen heisst ja, sie als die Realisation eines bestimmten Begriffii
mittelst des Verstandes erfassen. Und so konnte der Aator niuih D»
leg^ung des Wesentlichen seiner Weltansicht mit Hecht sagen: Jim
Weltauffassung ist eine Wesenserkläruns: der Welt, eine Feststèta
des Weltbegriffes, sie ist die erschöpfende Definition der Wer,
was keine der bisherigen Weltanschauungen, weder Theismus noch F»
theismus und Materialismus von sich zu behaupten imstande ist
München. Dr. Sanas.
Apel, Max. Kommentar zu Kants „Prolegomena". Einefii^
führun^ in die kritische Philosophie. I. Teil: Die Grundprobleme der 1^
kenntmstheorie. Buchverlag der Hilfe, Schöneberg-Berlin. (U Bgn.)
Ziel des Werkes soll sein, in möglichst ver^ndlicher Weise ii ài
Studium der Kantischen Philosophie einzuführen. Zu diesem Zweck fli
Abschnitt für Abschnitt der „Prolegomena^' mit Erläuterungen g8idii#
lieber und sachlicher Natur versehen. Von längeren Atisfflnninge& Ul:
ich hervor: die Kausaltheorie Humes, Einfluss Humes auf Kant» gescUdl^
lieber Überblick über die Metaphysik, das Apriori in der Mathematik, df
Streit zwischen Kuno Fischer und Trendelenburg, Kant und die IG#
Euklidische Geometrie, das „Paradoxon", Berkeleys Idealismus nnd lÉl
Widerlegung, Wirklichkeit und Traum, Ding an sich und EnànàBO^
Im Mittelpunkt der Erörterungen steht die Unterscheidung derWw
nehmungs- und Erfahrunssurteile als Kern des Kritizismus.
Der Standpunkt des Verfassers ist die TransscendentalphiloMliUli
wie sie (freilich unter wesentlichen Abweichungen von einander) lü
Cohen, Riehl, Thiele, vor allem von Kant selbst vertreten wiri M
Philosophie vnrd aufeefasst als ein Kampf mit zwei fönten, gügw^
dogmatischen Bationdismus und den sensualistischen Empirismns. «^
Vertreter dieses Empirismus Kant gegenüber kann heute Pauken gctt*
Die Ausführungen dieses Philosophen mussten daher öfters heiangeing
und bekämpft werden. Im übrigen verlieren sich die Erörterungen tf*
in kleinliche Polemik. An geeigneter Stelle sind Anschauungen ^
Fichte, Jacobi, Herbart, Schopenhauer. He&^l, Adickes, KleLnpeter, Son
Vaihinger, Cohen, Riehl, Thiele, Helmh(utz, Poincaré, E. König, Sitff
u. a. berücksichtigt.
Charlottenburg. Max ApeL
Contnrat, Louis. Die philosophischen Prinzipien d«(
Mathematik. Deutsch von Dr. Carl Siegel Philosophisch-soeiologist^
Bücherei, Bd. VH. Leipzig 1908.
Dass die mathematischen Urteile synthetisch a priori sind, giltK»
als feststehende Tatsache, die zur Grundlage seiner transscendeotd*
Ästhetik und damit der ganzen Kritik genommen wird« Lässt sich ^ toi
Voraussetzung vom Standpunkt der modernen Mathematik noch aoino»
halten? Das ist die grosse, nun freilich schon wiederholt aufgewoi^
Frage. Ersetzt man mit Riehl die Terminologie in analytische und spvt
tische Urteile durch logisch-begriffliche und Anschauungssätze, so ^
wandelt sich jene Frage offenbar in die andere : In w e 1 c h e m Ver-
hältnis steht die Mathematik zur Logik und inwieweit
ist sie auf Anschauung gegründet?
Gerade diese Frage steht aber im Mittelpunkte des Coutontsdci
Werkes: Les principes de Mathématiques, das nunmehr in deutscher Üb^
Setzung vorliegt, und schon aus diesem Grunde wäre dieses Weric füf <*f
Kant-âteressenten von Bedeutung. Allein dazu kommt noch, dass iidi&
in einem umfangreichen Anhange direkt mit Kants „Philoso]>hi6 v
Mathematik" auseinandersetzt, wobei er firfindlichste Kenntnis niclili^
der Kantischen Werke, sondern auch der aeutsoken Kant-Literator u ^
Selbstanzeigen (Siegel). âoâ
legt. Bezüglich der interessanten Argomentiening Couturats ge^en-
r Kant im einzelnen muss hier auf das Werk selbst verwiesen weraen.
die Resultate mit wenigen Andeutungen in Richtung der Begründune
pen im Folgenden gekennzeichnet weraen. Bezüglich der Arithmetik
Kant jedenfalls nicht Recht: Die arithmetischen Sätze sind nicht
thetisch. Treffend ist unter anderen Argumenten insbesondere der
weis darauf, dass Kant selbst die Aussage a + b > a als analytisches
eil bezeichnet ; dann kann aber auch die Aussage 7 -f 5 = 12 nicht syn-
tisch sein, sonst müsste a + b > a erst recht es sein. Anders steht die
he im Falle der Geometrie. Der Hinweis freilich auf die in den
chen geometrischen Beweisen zur Anwendung gebrachten Konstruk-
len beweist nichts zu Gunsten Kants. Denn erstens erschaffen Kon-
iktionen in Wahrheit kein neues Element, sondern verwirklichen nur
in der Voraussetzung schon Enthaltene oder kurz: Konstruktionen
iessen nur scheinbar eine Berufung auf die Anschauung ein. Dazu
unt aber noch zweitens — was freihch in engem Zusammenhange mit
I eben Gesagten steht — , dass solche Konstruktionen überhaupt ent-
rt werden können, und man nur einer genauen Ausdrucksweise oedarf,
die Beweisführung in rein begrifflicher Form hervortreten zu lassen.
3 die Beweisführung betrifft, verhält sich also die Geometrie genau so
die Arithmetik. Der Unterschied in der Natur der beiden mathe-
ischen Disziplinen tritt vielmehr nur in den Axiomen hervor. Aus der
lache, dass es ftlr die Geometrie im Gegensatz zur Arithmetik m e h -
'e logisch gleich mögliche Axiomengruppen giebt, schliesst Conturat,
I die auf den gegebenen Raum bezogene Geometrie wenigstens als
ithetische Wissenschaft bezeichnet werden müsse. Denn nur durch
Berufung auf die Anschauung lässt sich die Wahl der einen Axiomen-
ppe aus den verschiedenen begrifflich gleich möglichen rechtfertigen.
Qit ist freilich noch immer nicht entschieden, ob die geometrisdien
Ee synthetische Urteile a priori oder a posteriori sind; auf
le Frage aber, die nur auf psychologisch-erkenntnistheoretischem Boden
beantworten versucht weraen kann, geht Couturat ausdrücklich nicht
Ir ein. Immerhin deutet er an, dass er die extrem empiristischen An-
anungen in dieser Richtung nicht anzuerkennen vermöge und Kants
riorismus in einem freilich sehr eingeschränktem Sinne für die richtige
sorie halte.
Wien. C. Siegel.
354 Mitteilungen.
Mitteilungen.
Von der Feier des 60. Oebnrtstages Wilhelm Windelbands.
In diesem Jahre, am 11. Mai, vollendete einer unserer bedeutendita
Denker, dem insbesondere die Weiterentwickelung der kritischen Phäo-
Sophie die fruchtbarsten Impulse zu verdanken hat, sein sechzigstei
Lebenqahr: Wilhelm Windelband. Im philosophischen Seminar da
Heidelberger Universität hatten sich, um den Festtag würdig zu begeho^
Freunde und Schüler des verehrten Mannes eingefunden, in deren Niio
Vertreter sowohl der älteren als der jüngeren Generation dem Jahilir
ihre Glückwünsche darbrachten. Die schlichten und herzlichen Worte dis
der ältesten Schüler Windelbands und seines nunmehrigen Kollegen a
der Heidelberger Universität, Jellineks, dürften dem Lehrer besondenffr
zeigt haben, was er seinen Schülern bedeutet. Wenn nach dem BeriÄ
der „Neuen Badischen Landeszeitung" Jellinek dem Bewusstsein Auadi«!
gegeben hat, „er wäre nie geworden, was er sei, wenn er "Windelbni
nicht als Lehrer und Führer gehabt hätte", so hat er in aller schbcMB
Kürze am besten bezeichnet, was der Grundgedanke aller war, diek
Erinnerung an ihre akademischen Lehijahre an der Feier unmitteltoi
oder auch nur in der Ferne wenigstens geistig teilnahmen.
Windelband selbst hat in einer kurzen Ansprache seine pbilo^
phische Stellung so präzis gekennzeichnet, dass wir wenigstens die Gralr
gedanken (wieder dem Bericht der „N. B. L.-Ztg." folgend) nn«*
Lesern nicht vorenthalten woUen : Ausgehend von der Geschichte ^
Schüler des Mannes, dessen £rbe er in Heidelberg angetreten, habe t
sich in den 60er und 70er Jahren den naturwissenschaftlichen DisôpUB*
zugewendet. So sei er durch beide Wissenschaftsformen, die Natnr'»
die Kulturwissenschaft hindurchgegangen, und deren beiderseitiges T^
hältnis habe daher auch den Gegenstand seiner eigenen philosophisch
Aufgabe gebildet, die er stets im Kontakte mit den Einzelwissensebi^
aufgefasst habe. So seien ihm seine Gedanken systematisch und histooi*
zugleich erwachsen. Den Wert der grossen idealistischen Systeme fci"
er in einer Zeit zu erkennen gelernt, wo zu einer allgemeinereD i**
erkennung noch mehr fehlte als heute. Deren Bedeutung erkennst
nicht allein aber für die Wissenschaft, sondern für das ganze öeo^
schaftsieben des Volkes, da der Auf blick zu den ewigen Weiten der M«*
den letzten Bückfall alles Volkstums bilde. In diesem Sinne habe er ^
Anfang an gewirkt. Und wenn von dieser Saat in den Herzen derJi^P
etwas aufginge, so würde ihm das nicht bloss der schönste Lohn, sob^
auch der wirksamste Antrieb zu neuem Schaffen sein«
Nun, dass diese Saat im philosophischen Leben bereits aui^^egtf^
ist, darüber kann schon in der Gegenwart keine Frage sein; meM^
ist; das wird noch deutlicher die Zukunft zeigen. Dass für diese Zolf^
Hütteilang^n. 366
Lehrer selbst noch lange Jahre persönlich wirke in stets frischer
'± und in dem von ihm selbst bezeichneten Sinne, das ist der Wunsch
derer, die wissen, was er bisher gewirkt hat. B.
Eine Erweitemng der Därr'schen philosophischen Bibliothek.
Die durch ausgezeichnete Ausgaben von Werken der klassischen
Dsophie (zum Teil in hervorragend gelungenen Übersetzungen, so
iften von Bruno, Descartes, Spinoza, Leibniz) rühmlichst bekannte
agsanstalt von Friedrich Dürr in Leipzig hat nun auch eine moderne
ipendiensammlung in ihren Plan aufgenommen. Es sind bis jetzt darin
:e8ehen eine Emporleitung in die Kritik der Vernunft als Traktat der
node von Professor Messer in Giessen, Ethik und Politik von Professor
)rp in Marburg, Ästhetik von Professor Wentscher in Bonn, Psychologie
Professor Witasek in Graz.
Das zuletzt genannte Werk ist bereits erschienen. Es bietet eine
hickte Übersicht über das psychologische Gebiet, behandelt zunächst
ersten Teile die allgemeine, im zweiten die spezielle Psychologie. In
m grenzt es zunächst das „Gegenstandsgebiet der Psychologie" ab, um
nn zu dem „Verhältnis zwischen physischer und psychischer Tatsachen"
long zu nehmen und nach einer Erörterung über die Begriffe „Seele,
Unbewusstes", die „erste Sichtung des psychologischen Tatsachen-
»ials" zu behandeln und mit „Bemerkungen über Aufgabe und Methode
Psychologie" abzuschliessen.
Der zweite Teil handelt in der ersten Hälfte von der P&ychologie
Geisteslebens, in der zweiten von der des Gemütslebens. Jene gliedert
dem Verfasser in die Psychologie der VorsteUungen und die der Ge-
en. Die zweite Hälfte behandelt die Psychologie der Gefühle und die
^gehrungen.
Es ist hier nicht der Ort, in eine kritische Erörterung der Einzel-
Û einzutreten. Es sei nur betont, dass, auch wer vom Standpunkte
Kritizismus aus die philosophischen Ansichten des Autors nicht teilt
auch auf einem anderen psychologischen Standpunkte als dieser steht,
bei mancher Differenz im Einzelnen selber, doch auch manche An-
ig finden dürfte. Wegen der allgemein verständlichen Darstellongs-
) dürfte sich das Buch besonders aber für Anfänger und weitere Kreise
ehlen.
356 Mitteilungeti.
Dritter internationaler Kongress für Philosophie
Heidelberg, 81. Angiut bis 6. September 1908.
Der internationale Kongress für Philosophie, der im Jahre 1900 in
Paris bei Gelegenheit der Weltausstellung begründet wurde und zum
zweiten Male 1904 in Genf tagte, soll nach dem dort gefaasten Beschlnaie
in diesem Jahre in Heidelberg zusammentreten.
Die staatlichen, städtischen und akademischen Behörden haben ihre
bereitwillige Unterstützung in dankenswerter Weise zugesagt, und wir
beehren uns, zum Besuche der Versammlung einzuladen, welche in der
Woche vom 31. August bis 5. September stattfinden wird«
Nach einem Begrüssungsabend am Montag, den 31. August soll am
Dienstag, den 1. September die erste der vier allgemeinen Sitzungen uod
am Vormittag des Samstag, 5. September, die Schlusssitzung abgehalten
werden, an die sich am Nachmittag ein Ausflug anschliessen wird.
Für die besonderen Arbeiten wird sich der Kongress in folgende
7 Sektionen gliedern : 1. Geschichte der Philosophie ; 2. Allgemeine Philo-
sophie, Metaphysik und Naturphilosophie; 3. Psychologie; 4. Logik nnd
Erkenntnistheorie; 6. Ethik; 6. Ästhetik; 7. Religionsphilosophie.
Die Verhandlungen des Kongresses werden in deutscher, englischer,
französischer und italienischer Sprache geführt.
Anmeldungen zu Vorträgen für die Sektionen werden zunflchst an
den Generalsekretär Dr. Elsenhans (Heidelberg, Pl5ck 79) erbeten, der
sie den noch zu bestimmenden Sektionsvorst&nden überweisen wird. Die
Ausdehnung der einzelnen Mitteilungen sollte die Zeit von 16 Minuten
nicht überschreiten ; den Zeitraum fflr die Diskussion nach Massgabe der Zahl
der Anmeldungen zu begrenzen, bleibt den Sektionsvorstftnden vorbehalten.
Der Preis der Mitgliedskarte beträgt 20 Mk.; sie berechtigt zor
Teilnahme an allen Varanstaltungen des Kongresses und zum unentgelt-
lichen Bezüge des Kongressberichtes. Für Damen, welche zur Familû
eines Kongressmitgliedes gehören, werden besondere Karten zu 10 Mh.
ausgegeben, welche dieselben Berechtigungen wie die Mitgliedskarten,
mit Ausnahme des Anspruchs auf den Kongressbericht, gewähren.
Anmeldungen zur Beteiligung sind im Interesse der Schätzung dei
zu erwartenden Besuchs so früh wie möglich erwünscht; sie erfolgen an
besten in der Form der Einzahlung des Beitrags mit Postanweinuig *^
die Rheinische Kreditbank, Depositenkasse, Ludwigspiatz, in HMébttE»
mit möglichst genauer Angabe der Adresse, an welche sodann die ^
gliedskarte durch die Post zugestellt werden wird.
Im Monat Mai wird eine zweite Einladung mit genaueren Ang*^
erfolgen, die auch Mitteilungen über die Unterkunft in Heidelberg ^
halten werden. Das Heidelberger Organiaatioiui-Komitee.
Gerne bringen wir vorstehende Einladung noch einmal zum Abdrflfi^
nnd machen darauf aufmerksam, dass jeder philosophiach Intereaiie^
an dem Kongress teilnehmen kann.
rftOo.,BBltoiba,
18 Wesen und die Voraussetzungen der Induktion.
Von Nicolai von Babnoff.
Die nachfolgende logische Untersuchung ist auf die Grund-
'aussetzungen der induktiven Methode gerichtet. Zu diesem
eck war eine Feststellung des allgemeinen Charakters des in-
^tiyen Verfahrens zunächst erforderlich. Dies ist auf Grund
er Darstellung und Kritik der modernen Induktionstheorien
rwart, Erdmann) geschehen. Da sich nun als unentbehrliche
indlage einer Theorie der Induktion die konstitutive Bedeutung
Gesetzmässigkeit ergab, so wurde eine Auseinandersetzung mit
jenigen Ansichten notwendig, welche diese These zum Teil aus
ihodologischen, zum Teil aus erkenntnistheoretischen Gründen
änpfen zu müssen glauben.
Es galt ferner, die Schwierigkeiten, welche der induktiven
^hode auf naturwissenschaftlichem Gebiete bei einem ihrer
iptprobleme, der Frage nach der Umkehrbarkeit der Natur-
dtze, erwachsen, zu erörtern, um festzustellen, unter welchen
ingungen die spezielle Voraussetzung der Naturgesetzmässig-
' im engeren Sinne, welche der Möglichkeit einer solchen Um-
Hing zu Grunde liegt, giltig ist. In diesem Zusammenhang
Qte dann auch der Begriff der Kausalgleichung erwogen und die
suche, den Gedanken einer ,,individuellen^ Kausalität einzu-
*en, in Betracht gezogen werden.
Die Induktion in der Geschichtswissenschaft ist nur insoweit
^cksichtigt worden, als notwendig war, um nachzuweisen, dass
Grundvoraussetzung des induktiven Verfahrens auch bei der
üfikation, welche dasselbe auf historischem Gebiete erfährt,
^haus bestehen bleibt.
Die vorliegende Schrift zerfällt dementsprechend in 4 Ab-
üitte:
. Allgemeine Charakteristik der induktiven Methode. Kritik
der Ansichten Erdmanns.
3Ö8 N. V. Bubnoff,
II. Die oberste Voraussetzung des induktiven V^fahrens. Kritik
der gegen die konstitutive Bedeutung der Gesetzmässigkeit
gerichteten Einwände,
ni. Das Problem der ümkehrbarkeit der Naturgesetze. Der^
griff der Kausalgleichung. „Individuelle'' Kausalität
IV. Die Induktion in der Geschichte.
Eine kurze historische Orientierung über die Entwickehcj
des Induktionsproblems ist dem ersten Abschnitt vorausgeschickt
Es ist eine Tatsache, welche dem logisch ongeschnlten Koff
als vollkommen selbstverständlich erscheint, dass im alltägüda
Leben fortwährend von dem, was beobachtet worden, auf du
nicht Beobachtete geschlossen wird, ein Verfahren, dem wir da
grössten Teil unseres Erfahrungswissens verdanken und das fir
als Induktion bezeichnen. Es hat lange gedauert, bis die Logik
diese Schlussweise zum Gegenstand ihrer Untersuchung nuditt
und nach ihrer Berechtigung fragte. Dieses hängt zusammen flit
der Überschätzung des Begriffewissens seitens der platoniiek-
aristotelischen Lehre, welche alles Einzelne — dem Begriff gegenoto
Zufällige — vernachlässigte, weil sie in dem Begriff „mehr als g^
nügenden Ersatz für die unzuverlässige Wahrnehmung zu bata
meinte."^)
Wohl finden wir bei Aristoteles eine Schlussform, welch
der in Frage stehenden entspricht ; es ist dies der Schlnss «i*
dem einzelnen Beispiel '', der Analogieschluss, wie wirihnjeti^
bezeichnen würden. Er nimmt ihn aber als keiner BegrondODI
bedürftig einfach hin und kümmert sich nicht weiter am seiot
Berechtigung.
Den stoischen Angriffen gegenüber haben dann die Epikm^
die unvollständige Induktion in Schutz genommen und nmà^
dieselbe als Grundlage aller Naturerkenntnis sicher zu stellen tsi
weiter zu entwickeln. Obwohl gewiss nicht zu leugnen ist, di9
sie dabei manchen treffenden Gedanken ausgesprochen haben, ^
kann trotzdem das, was uns von ihren Lehren in dieser BiebM
erhalten ist, als erster Versuch einer Theorie der Induktion ni*
angesehen werden.^) Nicht die vorurteilsfreie Erforschung *
1) Sigwart, Logik I, 411.
*) Vgl Fr. Bahnsch: Des Epikureers Philodemus Schrift Uêfi
î)sLB Wesen und die Vorauttetzongen der Induktion. 369
ahrheit, sondern die Verteidigung der Lehrsätze Epikors ist das,
>Taüf es ihnen vor allem ankommt, und so fehlt ihren gelegent-
h und meist in polemischer Absicht niedergeschriebenen Aus-
hrangen der Charakter der Einheitlichkeit. Auch haben sie
:^Iit vermocht, die oberste Voraussetzung der Induktion, den 6e-
nken einer ausnahmslosen Naturgesetzmässigkeit des Geschehens,
Ï klare wissenschaftliche Bewusstsein zu erheben. Im Oegen-
il: zur Erklärung der scheinbaren Abweichungen too den beob-
hteten Gleichförmigkeiten nahmen sie ihre Zuflucht zu der sehr
quemen Theorie von den isolierten Erscheinungen und blieben
K) auch darin ihrem Master treu, der ja die AUgemeingiltigkeit
8 Kausalgesetzes ausdrücklich geleugnet hatte.
Die Skeptiker haben die Berechtigung des Induktionsyer-
brens in Frage gestellt. So wendet sich Aenesidemus gegen
n epikureischen Schluss aus dem Zeichen, das dem Übergang
n dem Wahrnehmbaren zu dem Nichtwahmehmbaren dienen
U, und sucht dann besonders die Nichtigkeit desjenigen Ver-
tirens zu erweisen, welches darauf gerichtet ist, mit Hilfe von
diden die Ursachen der Erscheinungen ausfindig zu machen, i)
if die Bestreitung der Giltigkeit des Induktionsschlusses stützen
» Skeptiker auch ihren Versuch einer Destruktion des Beweis-
rfahrens, mdem sie der Möglichkeit eines Beweises überhaupt
ter anderem entgegenhalten, „dass der allgemeine Obersatz
les Syllogismus doch nur durch die vollständigste Induktion ge-
>iiDen werden könne, diese aber den Schlusssatz bereits inyol-
5re."«)
Im Mittelalter fehlte es an Motiven, welche die Richtung
K* Aufmerksamkeit auf das Induktionsproblem veranlassen konnten,
sich ja die mittelalterliche Logik durchweg in den Bahnen der
i^totelischen Tradition bewegte und sich in der Hauptsache mit
lern formalen Ausbau der aristotelischen Lehren befasste.
Das Induktionsproblem ist ein modernes Problem. Es konnte
^ entstehen, als die Herrschaft der starren scholastischen Be-
if&philosophie gebrochen war, und das wissenschaftliche Inter-
^ sich der ganzen Fülle der Erscheinungen der Wirklichkeit
Wendete. Dabei kam die Unzulänglichkeit des Begriffswissens
iti Bewusstsein. Das tritt uns in einer charakteristischen
1) A. Goedeckemeyer: Die Oeschichte des griech. Skeptizismus,
ipdg 1905. S. 222 ff.
*) Prantl, Geschichte der Logik im Abendlande. Bd. I, S. 502«
360 N. V. Bubnoff,
Äusserung Bacons entgegen. In seiner Schrift „De dignitate et
augmentis scientarium'' klagt er darüber, dass noch Niemand vo^
sucht habe, Rechenschaft darüber zu geben, warum einiges in da
Natur so massenhaft, anderes nur in geringer Menge Torkoome
und vorkommen könne ; mit andern Worten, dass man sich fir
die Wirklichkeit nur insoweit interessiert habe, als sie in einet
fertigen Begriffssystem unterzubringen war, den dem Begriff n*
fälligen Rest aber als bedeutungslos einfach beiseite geschobee
habe, während doch auch die Zahl und Ordnung der Dinge m
wichtiger Gegenstand der Untersuchung sei und einer Erklinu;
durchaus bedürfe. Allerdings nun war Bacon selbst, wie Sigwuto
Darstellung in einleuchtender Weise zeigt, noch durchaus in der
traditionellen scholastischen Begriffslehre befangen, und wenn er
von der inductio per enumerationem simplicem als von eiiMr
„kindischen Sache'' redet, so passt diese Bezeichnung jedenfib
genau so gut auf die Methode, welche er an ihre Stelle setiei
will und als die allein wissenschaftliche yerkündet.
„Die Theorie der Induktion, "* sagt Windelband einmal, JA
nichts weiter als die Besinnung auf diejenige Art der verallge-
meinernden Association, welche als allgemeine Norm für jeds
gelten soll."^) Den associativen Vorgang, welcher die Gnmdligi
für das induktive Verfahren bildet und auf einem uns einwohnei-
den Triebe der Generalisation beruht, hat Hume in klassisd«
Weise geschildert und damit der Unterscheidung zwischen dff
Induktion als psychologischer Tatsache und der Induktion ik
logischer Methode vorgearbeitet. Zwar beziehen sich seine &
örterungen alle auf das psychologische Naturgesetz der Geneni-
sation. Durch dessen Aufstellung soll aber auch nur die psytk»'
logische Frage beantwortet werden, wie es zugehe, dass wir m
lauter Einzelwahmebmungen zu dem Glauben an allgemeine Sito
und zu Schlüssen auf Nichtwahrgenommenes gelangen. Den
Hume ist sich dessen vollkommen bewusst, dass sich auf dieser
Grundlage keine Wissenschaft aufbauen lasse. Bei dem flbp-
tischen Ergebnis seiner Ausführungen konnte es natorUch nidt
sein Bewenden haben, da dies einen Verzicht auf die Wiaei-
Schaft bedeutet haben würde, und so geht man denn in der fol-
genden Zeit darauf aus, ein Prinzip aufzufinden, auf Grund desei
sich der Prozess der Generalisation logisch : litfertigen fie^B*
1) Prftludieu S. 289.
Das Wesen und die Voraunsetzangen der Induktion. 361
J. St. Mill, welcher noch ganz auf dem Boden der Humeschen
Iiehre steht, glaubte ein solches in dem „Axiom von der Gleich-
fSrniigkeit des Ganges der Natur"" entdeckt zu haben. Infolge
seiner empiristischen Voraussetzungen konnte er aber die nicht
sa amgehende Frage, auf welchem Wege denn dieses oberste
Axiom gewonnen sei und worauf seine Geltung beruhe, nur in
der Weise beantworten, dass er auf die Regelmassigkeiten hin-
wies, welche auf vereinzelten Gebieten durch eine Induktion per
ennmerationem simplicem konstatiert wurden, und geriet dadurch
in einen yerhängnisyollen Zirkel. Seine widerspruchsvollen Aus-
ffihmngen sind ganz besonders dazu geeignet, das vollständige
Tersagen des Empirismus deutlich zu machen, wenn es sich um
den Aufbau und die BegitLndung einer allgemeinen Theorie
-handelt Es heisst eben, um mit Sigwart zu reden, den Bock
melken, wenn man aus einer Summe von Tatsachen irgend eine
Notwendigkeit herauspressen will. — Diese kurze historische
Orientierung über das Problem dürfte für unsere Zwecke aus-
reichend sein.
L
Allgemeine Charakteristik der induktiven Methode.
Kritik der Ansichten B. Erdmanns.
Um die Frage nach den Voraussetzungen der Induktion zu
beantworten, wird es vor allem notwendig sein, eine richtige Ein-
sieht in den eigentümlichen Charakter derselben zu gewinnen.
Dasjenige Verfahren, welches man als „vollständige'' Induktion
m bezeichnen pflegt und welches schon Aristoteles unter dem
Namen ènaymyr^ iiA ndvrtav beschrieben hat, scheidet von vorn-
herein aus. Wie schon der Name andeutet, handelt es sich dabei
um ein vollständiges Hindurchgehen durch alles Einzelne, indem
▼on einem jeden Fall im einzelnen etwas festgestellt wird und
die 80 gewonnenen Urteile einfach summiert, sprachlich in einen
Satz znsammengefasst werden. Dies wird dadurch erreicht, daas
die Subjekte der Einzelurteile durch den Gattungsbegriff, unter
den sie fallen und dessen Umfang sie vollständig erschöpfen,
ersetzt werden. Das ganze Veriahren ist also lediglich ein Prozess
der sprachlichen Umformung, und der Erkenntniswert des auf diese
Weise gebildeten copulativen Urteils, welches bloss ,,regi8trierend*
362 N. V. Bubnoff,
allgemein ist, ist gleich dem Erkenntniswert einer streng bestimmtei
Anzahl von Einzelurteilen, dnrch deren Aufzählung es jederzeü
ersetzt werden kann.
Sigwart hat darauf hingewiesen, wie „unmerklich oft die
Einzelbeobachtung in Schlüsse übergeht, welche den Charakter
der Induktion tragen "". Wenn es gilt, aus intermittierenden B^
obachtungen eine kontinuierliche Bewegung oder Verändenmg a
bestimmen, so leuchtet ein, dass nicht alle Stadien des kontiD1De^
liehen Prozesses auf direktem Wege durch Messung begrifffid
fixiert werden. So können z. B. beim Hinabrollen einer Kugel
auf schiefer Ebene nur für bestimmte Zeitabschnitte die in dee-
selben zurückgelegten Wegstrecken durch Beobachtung mit Sicheriiek
festgestellt werden. Was dazwischen liegt, moss erschlossen werden
Dies geschieht nun in der Weise, dass nach einem Gesetz, eioor
Formel gesucht wird, aus der sich die Beobachtungsresultate ab-
leiten lassen. Stimmen letztere dann mit der konstruierten Fonnd
überein, so darf geschlossen werden, dass die ganze Bahn nad
derselben durchlaufen wurde, und es kann für jeden beliebigci
Zeitabschnitt die ihm entsprechende Wegstrecke berechoet
werden.
An diesem Beispiel lässt sich klar machen, dass die indnktite
Methode ein „Reduktionsverfahren ist, das die Prämissen koo-
struiert, aus denen die einzekie Wahrnehmung mit syllogistiseber
Notwendigkeit folgt". Die einzelne Tatsache, welche die Br
obachtung darbietet, wird als Fall einer allgemeinen Regel aaf-
gefasst, und die Aufgabe besteht nun darin, diese Regel ausfindig
zu machen und so zu bestimmen, dass alle Konsequenzen, wdeke
aus ihr entwickelt werden können, mit dem, was anderweiti|
feststeht, durchweg übereinstimmen. Die angenommene R^;el hit
also den Charakter einer Hypothese, welche durch negativa b-
stanzen widerlegt, durch übereinstimmende Erfahrungen dagepi
nur in hohem Qrade wahrscheinlich gemacht wird, niemals aber
den Orad absoluter Qewissheit erreichen kann. Inaofeni iW
sich die induktive Methode auch als „hypothetisdies Venoehi*
verfahren'* charakterisieren, indem eine Reihe von AnoahBei
durchgegangen wird, bis man auf eine stSsst, welche aOen Âi-
forderungen genügt, die an eine berechtigte Hypothese gestelK
werden müssen.^)
*) Vgl Sigwart, Logik ü, S. 484 ff.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 363
Aus dieser Charakteristik der Induktion geht hervor, dass
dieselbe in keinem absoluten Gegensatz zur Deduktion gebracht
werden darf, dass vielmehr „die induktiven Methoden gänzlich auf
dea Ergebnissen der demonstrativen Logik beruhen".^) Alle Be-
weisführung muss sich eben immer auf zwei feste Pole stützen,
welche selber nicht mehr bewiesen werden können: das All-
gemeinste und das Besonderste. Die allgemeinsten Sätze und die
einzelnen Empfindungen sind die unentbehrlichen Grundpfeiler
Mnes jeden Beweises. Da also ein jedes wissenschaftliches Be-
weisverfahren nur durch „gemeinsame Benutzung beider Ausgangs-
punkte zustande kommt'', so ist auch den beiden Beweismethoden,
welche zu einander in dem denkbar grössten Gegensatz stehen,
der deduktiven und der induktiven, dennoch ein Grundcharakter
gemeinsam; dieser ist durch die Tendenz gekennzeichnet, die
Abhängigkeit begreiflich zu machen, in welcher sich das Einzelne
vom Allgemeinen befindet.^
Eine hiermit im wesentlichen übereinstimmende Auffassung
finden wir auch bei St. Jevons. Er unterscheidet 3 Stadien im
Indnktionsprozess :
1. den Entwurf einer Hypothese den Charakter des allgemeinen
Gesetzes betreffend,
2. die Entwicklung der Konsequenzen anis dem Gesetz,
3. die Feststellung, ob diese Eonsequenzen mit den der Unter-
* suchung vorliegenden Tatsachen übereinstimmen.^)
Auf die beiden letzteren Stadien legt er das Hauptgewicht.
Wir sollen, meint er, keinem Gesetz vertrauen, bis wir es nicht
deduktiv ausgearbeitet und gezeigt haben, dass aus den voraus-
g^esetzten Bedingungen die Resultate unausweichlich hervorgehen
mfissen.^) Und er charakterisiert dementsprechend die Induktion
als inverse Operation, welche sich zur Deduktion verhalte wie
die Division zur Multiplikation, eine Ansicht, der sich auch Sigwart
angeschlossen hat, indem er nur darauf aufmerksam macht, dass
aof diesem Wege lediglich die Möglichkeit, nicht aber die Bichtigkeit
dee auf Grund der induktiven Prämissen gewonnenen allgemeinen
Satzes begründet werden kann.
1) Lotze, Logik, S. 368.
S) Vgl Windelband, Präl. Krit. od. genet. Methode.
^) Jevons, Princ. of so. S. 805.
*) Ibid. S. 280,
364 N. V. Bubnoff,
Wir können also konstatieren, dass in Bezug anf den all-
gemeinen Grundcharakter der Induktion eine Reihe bedeutender
moderner Logiker übereinstimmende Auffassungen entwickelt haben
Was nun die Unterscheidung betrifft, welche Sigwart ion»-
halb der induktiven Methode statuieren zu müssen glaubt, so ergiebt
eine genaue Prüfung, dass derselben jedenfalls die Bedeutoof
nicht zuerkannt werden kann, welche er ihr vindizieren möchte.
Es handelt sich nämlich nach seinen Ausführungen um folgenden
Unterschied: die Allgemeinheit des induzierten Satzes kann entwed^
eine numerische oder eine generelle sein, d. h. der SubjektsbegriS
des induzierten Satzes ist entweder eine infima species und nmfasst
dann alle begrifflich nicht unterscheidbaren, nur in Baum und Zdt
getrennten Fälle, oder er ist ein Gattungsbegriff und begraft
dann spezifisch verschiedene, aber in einem allgemeinen BegriS
übereinkommende Fälle unter sich. Demgemäss sei zu unterscheideo
zwischen einer Induktion von Spezialgesetzen und einer generali-
sierenden Induktion. Von fundamentaler Bedeutung sei für jede
Induktion das Beduktionsverfahren. Der Prozess der Generalisatk»
könne dann hinzukommen. Beides müsse aber streng auseinander
gehalten werden.
Nun kommt — nach Sigwarts eigenen Ausführungen — name-
rische Allgemeinheit eigentlich nur einem ESrinnerungsbilde zu, wdcbei
auf eine Reihe für uns ununterscheidbar ähnlicher Dinge passt
Sobald wir nun aber die fliessenden Unterschiede des Vorstellangt'
gebildes begrifflich fixieren, tritt die generelle Allgemeinheit u
Stelle der numerischen. Das Ergebnis einer noch so erschöpfendea
Aufzählung von Merkmalen erweist sich doch immer als eine FamA,
der generelle Allgemeinheit zukommt, denn erstens besitzen die
einzelnen Merkmale eine gewisse Weite für individuelle Unterschkde
und zweitens lassen sich in der Begel immer noch andere hhui-
fügen. ^) Sobald wir also in die logische Sphäre treten, ist mit
einer numerischen Allgemeinheit gamichts anzufangen. Ansserdes
können wir aber niemals mit Sicherheit wissen, ob die in Betndi
kommenden Fälle „vollkommen gleichartig** sind, ob nicht viehndir
auch dort, wo die Ähnlichkeit die denkbar grOsste ist, doch nod
individuelle Unterschiede vorhanden sind. „Wollte man jexm
Grundsatz, dass von Gleichem Gleiches gelte, als Grundlage der
Induktion anwenden, so wäre er schon darum unbranchbar, weO
1) V^ Sigwart, Logik I, S. 862 ff.
Da« Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 366
nicht bloss absolute Gleichheit UDerkeunbar ist, sondern auch in
▼ielen Gebieten individuelle Vei-schiedenheit der Objekte, auf welche
ich meinen Begriff anwenden muss, wenn ich irgend einen Ge-
brauch davon machen will, die Regel ist." ^)
Gesetzt nun aber auch, wir wären im Stande, eine absolute
Gleichheit der Fälle zu erkennen und festzustellen, so fiele damit
offenbar die Voraussetzung für einen Induktionsschluss weg, der
dann ja vollkommen überflüssig wäre, wie dies Sigwart selbst
ausdrücklich hervorhebt. *)
Wenn das sich aber so verhält, dann besteht auch zwischen
den von Sigwart mit so grossem Nachdruck unterschiedeneu Arten
der Induktion keine prinzipielle Differenz. Die Unterscheidung
zwischen numerisch und generell Allgemeinem ist für das induktive
Verfahren von keiner fundamentalen Bedeutung, weil beide Male
ein „induktiv'' Allgemeines^ vorliegt, welches nicht nur das ge-
gebene, sondern auch das mögliche Besondere umfasst. Damit
soll nun natürlich nichts gegen die Unterscheidung der beiden
Momente der Reduktion und der Generalisation im induktiven
Prozess gesagt sein. In abstracto sind sie wohl zu trennen, und
es kann das Hauptgewicht auf den Entwurf der Hypothese geleg
werden. Implicite ist aber der Gedanke der Verallgemeinerung
immer schon in jeder Induktion mit enthalten.
Der in diesem Abschnitt dargelegten Auffassung vom Wesen
der induktiven Methode ist B. EIrdmann mit einer anderen Theorie^)
entgegengetreten, welche er neuerdings den Einwänden Sigwarts
gegenüber wieder zu stützen versucht. Da es Fragen von grund-
legender Bedeutung sind, die dabei zur Erörterung gelangen, so
dürfte eine kritische Beleuchtung der Ansichten Erdmanns not-
wendig sein. Dieser wenden wir uns jetzt also zu.
Erdmann unterscheidet zwei Formen der „unvollständigen''
Induktion: die verallgemeinernde und die ergänzende,') welche
sich in folgender Weise schematisieren lassen:
1) Sigwart, Logik n, S. idO.
^ Ibid. S. 428.
^ Erdmann, Logik I, S. 766.
^ Zur Theorie des Syllogismus und der Induktion. (Festschrift für
E. Zeller.)
^ Die „vollständige Induktion"" in ihren beiden Formen, der Kopu-
lation und Koigunktion, gilt auch ihm mit Recht für keinen besonderen
log. Prozess, sondern lediglich für eine sprachliche Umformung.
366 N. V. Bubnoff,
Verallg. Induktion. Ergänz. Induktion.
Si ist P S ist Pa
S, „ P S „ P
ß
Alle S werden P sein. S wird P sein.
Er sucht nun die These zu beweisen, dass die Indaktioo von
der Deduktion „wesensverschieden" sei. Eün zunächst bloss {o^
melier Vergleich der Induktionsschlüsse mit den syllogistischa
Schlussarten scheint ihm einen deutlichen Hinweis auf die Wesens-
verschiedenheit beider Methoden zu enthalten. Achten wir nia-
lieh lediglich auf die Stellung der gemeinsamen Glieder in de&
Prämissen, so scheint die erste Form der Induktion der zweiten
syllogistischen Figur, die zweite der dritten zu entsprechen.
Ziehen wir nun aber die Schlussweisen in Betracht, so zeigt sidi
eine Reihe von Unterschieden. So ergeben z. B. die Induktion!-
Schlüsse der ersten Form einen allgemein bejahenden Schlusssati,
während in der zweiten Schlussfigur aus zwei' bejahenden Pii-
missen gar nichts folgt; femer sind Induktionsschlüsse aus ver
neinenden Prämissen möglich, während nach ^Uogistischen Begdn
Schlüsse aus vemeihenden Prämissen unzulässig sind ; auch ble3)eD
im induktiven Schhilsssatz alle materialen Bestandteile à&t Pri-
missen erhalten, es wird eine Be:äehung der nicht gemeinsamen
zum gemeinsamen behauptet, während im Syllogismus ein Ver-
hältnis der nicht gemeinsamen Glieder zu einander erschlossen
wird, das Mittelglied im Schlusssatz wegfällt — und so sbcU
Erdmann noch eine ganze Reihe von Unterschieden aus dem Ve^
gleich der beiden logischen Prozesse zu gewinnen. Diese aif
Grund einer rein formalen Betrachtung festgestellten Unteraehiede
weisen, meint er, entschieden darauf hin, dass das Verfahren der
Induktion ein völlig eigenartiges sei und mit dem deduktiven Fnh
zess gar nichts zu tun habe. Ja vom Standpunkt der ^^kgii-
tischen Regeln gesehen, sei das induktive Verfahren str«au; ge-
nommen unzulässig, weil dabei auf ein übergeordnetes AUgemeiDes
geschlossen werde und die Schlüsse ad subaltemantem bekanntlich
verboten seien.
Wie soll nun aber die Berechtigung des indukÜTcn Sehfiessetf
nachgewiesen werden? Dies geschieht bei Erdmann in folgender
Weise : die induktive Behauptung ist ihrem Sinn nach eine Av-
sage über das nicht gegebene Wirkliche. Sie enthält abo eine
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 367
»Erwartung^ und ist insofern keine assertorische Aussage, sondern
eine „Voraussage**. Die induktiven Aussagen verlieren ihren in-
duktiven Charakter, sobald die möglichen Fälle der Bestätigung
nachträglich gegeben werden; sie sind nur Induktionen, soweit sie
Nicht-Gegebenes, Ungewisses umspannen. Sollen sich nun die
Induktionsschlüsse von den ungiltigen Folgerungen ad subalter-
nantera unterscheiden, so müssen in dem gegebenen Besonderen
Bedingungen enthalten sein, die Voraussagen über das Nicht-
Gegebene denknotwendig machen. Wenn also eine Induktion der
Art vorliegt:
Si ist P
S2 „ P
Alle S werden P sein,
so wird di^bd vorausgesetzt, dass die Verknüpfung der gegebenen
81,82... iiût P keine zufällige ist, sondern ihren Grund in
dem allen S gemein9^men Wesen von S findet; dass also in den
nicht beobachteten, aber in dem Schlusssatz mitumfassten Fällen
Ss» S4 . . . die gleichen Ursachen für die Wirklichkeit von P vor-
handen sein werden.
Es wird also nach Erdmann bei dem Induktionsschluss die
Voraussetzung gemacht: die gleichen gegebenen Ursachen bringen
die gleichen Wirkungen heryor.
Diese Voraussetzung enthält zwei aufeinander unreduzierbare
Behauptungen :
1. die gleichen Ursachen werden gegeben sein,
2. die gleichen Ursachen bringen die gleichen Wirkungen hervor.
In der zweiten Behauptung sieht Erdmann das Kausalgesetz.
Diesem erkennt er eine „formale Denknotwendigkeit** zu und defi-
niert diese als „Unmöglichkeit der kontradiktorischen Behauptung"*;
diese sei das einzige Kriterium für alles, was sich als denknot-
wendig ausgiebt. Die dem Kausalgesetz entgegengesetzte Annahme
sei aber für unser Denken unmöglich, weil sie dem Bestände der
Erfahrung widerspreche, auf Grund dessen sich unser kausales
Denken entwickelt hat Wenn das Chaos, von dem einmal Mill
.redet, für uns wirklich würde, so sei zuzugeben, dass der Glaube
an eine Gleichförmigkeit der Zeitbeziehungen bald aufhören würde.
Der Versuch, sich ein solches Chaos in der Phantasie aiwzumalen,
368 N. V. Bubnoff,
müsse aber notwendig fehlschlagen. Der Einfall Mills erweise
sich mithin als ein leeres Spiel mit Worten. Ein Chaos, wie er
es fingiert, wäre ein „beziehungslos gedachter Inbegriff von Be-
ziehungen", ein ganz unvollziehbarer Gedanke.^)
Diese Ausfährungen sind nun aber keineswegs überzeugend,
da es innerhalb eines logischen Zusammenhanges doch gar nicht
darauf ankommt, wie die psychologische Frage nach der HögM-
keit, sich ein solches Chaos in der Phantasie auszumalen, beut-
wertet wird.
Erdmann macht einmal Sigwart den Vorwurf, dass letzterer
auch dort Logiker bleibe, wo er von psychologischen GegenstÄnden
handle, während er selbst immer bemüht sei, das Logische vom
Psychologischen reinlich zu trennen. Das dürfte nun aber doch
wohl eine Selbsttäuschung sein, denn die Denknotwendigkeit wird
bei ihm geradezu zu einem psychologischen Zwang. Zwar sucht
er den empiristischen Konsequenzen zu entgehen; das gelingt ihm
aber durchaus nicht, weil er auf dem Boden der Psychologie
bleibt. Und so leiden seine Ausführungen an einer unhaltbaren Zwie-
spältigkeit: einerseits hat für ihn das Kausalgesetz den Charakter
einer Forderung, eines Postulates; trotzdem scheut er sich anderer
seits, in demselben eine notwendige Annahme zu sehen, in dem
Sinne, wie dies Lotze und Sigwart getan, weil er fürchtet, da-
durch dem Rationalismus in die Arme zu fallen.
Wichtiger für die Theorie Erdmanns ist nun aber die andere
Voraussetzung, welche er dem Induktionsschluss zu Grunde legi
Diese enthält nämlich den eigentlich entscheidenden Gedanken,
das Fundament, auf dem der Gedankenfortschritt der Indukticm
ruht. Sie aus den formalen Grundsätzen unseres Denkens zu be-
gründen, erweist sich als unmöglich; auch aus dem Eansalgeseti
lässt sie sich nicht ableiten. Es bleibt uns also, meint Erdmaim,
nichts übrig als „die breite Heerstrasse der Erfalimng selbst*.
Wir müssen annehmen, dass wir lediglich deshalb in dem unbe-
obachtbaren Gleichartigen die gleichen Ursachen als gegeben tot-
aussetzen, weU sie in dem gegebenen Wirklieben regelmässig auf-
getreten sind. Der Gedanke ist also selbst eine indoktife
Behauptung, die allgemeinste unter den induktiven Behauptongefl.
Diesem Resultat stellt sich aber ein Eünwand entgegen, den Sri-
mann auch gesehen hat. Wenn die Voraussetzung jeder Indoktioo
^) B. Erdmann, Über Inhalt und Geltung des KansalgeaetaseB.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. $69
selbst wieder eine induktive Behauptung ist, so setzt ja die Vor-
aussetzung sich selbst voraus — ein offenbarer Zirkel. Wie löst
nun Erdmann diese Schwierigkeit? Er glaubt dies in folgender
Weise tun zu können: der in Frage stehende Satz ist der Grund-
satz der Induktion und formuliert als solcher das Wesen des in-
duktiven Schlusses; er kann also nichts anderes enthalten, als die
induktive Schlussweise selbst. Ihr Verfahren muss in ihm voraus-
gesetzt sein, weil er lediglich der „urteilsmässige Ausdruck" dieses
Verfahrens ist. Ist das aber eine Lösung? Doch sicherlich nicht.
Wir suchen nach einer Begründung des induktiven Verfahrens
und erhalten die Auskunft, dass diese Begründung im Verfahren
selbst liege. Wir schliessen induktiv, weil wir induktiv schliessen.
Weiter äussert sich Erdmann allerdings über den Grund-
satz der Induktion in einer Weise, die von dem, was eben
dargelegt worden, abweicht. Er sagt, dass dieser Grundsatz
unser Denken charakterisiere, sofern er aus dem Wirklichen die
«Aufgabe" entnimmt, sich auf Grund des erfahrungsmässig Er-
kannten über die mögliche EIrfahrung zu orientieren. Das ist nun
offenbar etwas anderes und stimmt mit den anderen Ausführungen
Erdmanns wenig überein; auch lehnt er ja ausdrücklich die Auf-
fassung Sigwarts, der in dem induktiven Grundsatz eine Voraus-
setzung sieht, welche ^um eines Strebens willen'' gemacht sei, ab.
Hat sich somit Erdmanns Fassung und Deutung der
obersten Voraussetzung der Induktion als unhaltbar herausgestellt,
so werden auch seine gegen die Verwandtschaft der induktiven
Methode mit der Deduktion gerichteten Ausführungen hinfällig. Die
oben erwähnten formellen Unterschiede zwischen Syllogismus und
Induktion beweisen natürlich gar nichts, denn es ist ja Niemand
eingefallen zu behaupten, dass Syllogismus und Induktion in allen
Stücken zusammenfallen, sondern es ist bloss behauptet worden,
dass die Regeln der deduktiven Schlussweise auch für die Induk-
tionsschlüsse giltig sind. Erdmann sucht nun nachzuweisen, dass
sich die Induktion auf die Deduktion auch nicht zurückführen lasse:
zwar lassen sich, meint er, beide Formen der Induktion syllogistisch
darstellen; dadurch wird aber die Induktion keineswegs auf den
Syllogismus reduziert, sondern in dem Obersatz einfach voraus-
gesetzt, und es wird also bloss bewiesen, dass unter Voraussetzung
ihres Grundgedankens denknotwendig geschlossen werden kann.
Um zu zeigen, dass die Induktion eine Umkehrung der Deduktion
sei, wäre vielmehr der Nachweis erforderlich, dass der Grundsatz
370 K V. Bübnoff,
der Indaktion den Orundgedanken der Deduktion, d. h. den Ge-
danken der mittelbaren syllogistischen Prädikation, schon voraus-
setze. Dieser Nachweis muss aber notwendig missgläcken, da
der induktive Grundgedanke dem Grundsatze des Syllogismes
gegenüber etwas durchaus Neues darbietet.
Es ist ganz klar, dass auch diesen Ausführungen EIrdmanos
der Boden entzogen wird, sobald man die Unhaltbarkeit seiner
Deutung der Grundvoraussetzung der Induktion erkannt hat Von
einer Wesensverschiedenheit beider logischer Prozesse kann, wie
Sigwart sehr richtig bemerkt, schon deshalb keine Rede sein, weil
ja jede einzelne Induktion auf einer allgemeinen Voraussetzong
beruht und auf Grund dieiser erschlossen ist.
Allerdings will demgegenüber Erdmann die Sache so aofge-
fasst wissen, dass die allgemeinste Induktion nicht nVor"" der eiD-
zelnen vorhergehe, sondern, dass sie „in"" jeder von ihnen liege.
Wie kann aber dann von einer Begründung dieser durch jene die
Rede sein? Wenn femer Erdmann von einer „Bewährung'' des
induktiven Grundgedankens durch die Erfahrung redet und darin
seine Begründung sieht, so steht dies in offenbarem Widersprach
zu seiner These von der Wesensverschiedenheit der beiden lo-
gischen Prozesse; denn eine solche Bewährung kann doch nur in
der Weise stattfinden, dass jede neue Erfahrung mit den Eoose-
quenzen eines allgemeinen Satzes verglichen und als überein-
stimmend befunden wird.^)
Mit der Auffassung des induktiven Verfahrens hängt anck
die Bedeutung zusammen, welche der Anzahl der Fälle für daa^
selbe zukommt. Wird nämlich die Induktion als ein hypotbetisehes
Versuchsverfahren aufgefasst, welches unter der Voraussetzimg
steht, dass das Gegebene notwendig sei, so besteht der Sinn des
Verfahrens darin, den notwendigen Zusammenhang der Erschein-
ungen aufzudecken. Unter diesem Gesichtspunkt aber stellt sich
die Zahl der Fälle, welche den Ausgangspunkt für das lndakti?e
Verfahren bilden, als gleichgiltig heraus, da sich unter günstigen
Umständen schon in einem einzigen Fall ein notwendiges Ter
halten enthüllen kann. Andererseits hilft eine einfache Häufnng
von Fällen garnichts, um einen Einblick in die Zusammengehörige
keit der Eigenschaften und in die Notwendigkeit des Geschehens
zu erhalten.
^) Vgl, Si^waxt, Logik II, S. 441.
bas Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 371
Sigwart hat durch ein näheres Eingehen auf die Anwendung
.der induktiven Methode gezeigt, dass die Anzahl der Fälle bloss
der Eontrole und der Ausschliessung von Irrtümern dient. Wenn
wir in der Wahrnehmung einmal oder wiederholt bestimmte Merk-
male vereinigt finden, so veranlasst uns ,,der systematisierende
und Notwendigkeit suchende Trieb" zu vermuten, dass diese Merk-
male zusammengehören. Eine einzige negative Instanz genügt,
»am diese Annahme zu widerlegen. Je grösser nun aber das Be-
obachtungsfeld wird, um so unwahrscheinlicher ist es, dass uns
unserer Annahme widerstreitende Fälle begegnen werden. Es
wird also durch eine Häufung von Beobachtungen die Möglichkeit
herabgesetzt, dass wir es mit einem bloss zufälligen Zusammen-
treffen voa Merkmalen zu tun haben. Wenn ferner zwei Ver-
jünge kontinuierlich auf einander folgen, so sind wir geneigt,
einen kausalen Zusammenhang zwischen denselben anzunehmen
und die Succession als eine notwendige zu begreifen.
Wie soll nun aber entschieden werden, ob diese Annahme
auch in der Tat zutrifft oder ob die in Frage stehende Aufein-
anderfolge lediglich als eine zeitliche aufzufassen ist.
Lässt sich in einer Reihe von Fällen feststellen, dass der
eine Vorgang dem anderen unter den gleichen Umständen nicht
immer folgt, dann ist dadurch entschieden, dass ihre Succession
nur zeitlich ist. Dagegen bestätigt das wiederholte Aufeinander-
folgen derselben Veränderungen unter denselben Bedingungen die
Hypothese eines kausalgesetzlichen Zusammenhangs. In dem Aus-
schluss des Zufalls besteht also die Rolle, welche der Anzahl von
F&llen zuerkannt werden muss. Die Forderung dagegen, von
einem möglichst grossen Umfang von Wahrnehmungen auszugehen,
wftre zum Teil widersinnig, weil es auf diesem Wege vor lauter
Vorbereitungen nie zum Beginn einer Induktion käme; zum Teil
aber auch deshalb wenig zweckmässig, weil mit zunehmendem
Umfang der Erscheinungen die Wahrscheinlichkeit, dass sich in
ihren Zusammenhängen einfache Regelmässigkeiten werden nach-
weisen lassen, immer geringer wird.^)
Ganz anders verhält sich nun die Sache bei Elrdmann. In-
folge seiner Auffassung des Induktionsprozesses ist für ihn eine
Mehrheit von Prämissen von prinzipieller Bedeutung. Um sich
davon zu überzeugen, solle man nur versuchen, sich eine isolierte
^) Sigwart, Logik II, S. 607.
â72 N. V. Bubnoff,
Beobachtung zu denken, also anzunehmen» dass gar kein Hilfs-
mittel gegeben sei, um zu bestimmen, ob in dem diese Beob-
achtung zum Ausdruck bringenden Urteil das P dem S wesentlidi
sei, dass man lediglich auf diesen Fall der Beobachtung ange-
wiesen sei. Offenbar lasse sich mit dieser vereinzelten Be-
obachtung gar nichts anfangen. Wollten wir demnach auf dieeer
Grundlage eine Induktion aufbauen, so wäre das ein blindes
Raten, das Gegenteil eines jeden wissenschaftlichen Induzieren!
Ein Schluss vom einzelnen gegebenen Besonderen auf ein proble-
matisches Allgemeines könne niemals ein Induktionsschluss sein.
Scheint demnach ein solcher Schluss in der Wissenschaft vorzu-
liegen, so könne man sicher sein, dass deduktive Elemente in
Spiele sind. Es könne also der Induktionsschluss einer Mehrheit
von Beobachtungen gar nicht entbehren, und zwar müsse diese
logisch betrachtet, um so grösser sein, je wahrscheinlicher der
Schlusssatz werden soll.
Gegen diese ganze Argumentation ist geltend zu machen,
dass es vollkommen unerfindlich ist, auf welche Weise eine blosse
Summierung von Fällen zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des
Induktionsschlusses etwas beitragen kann. Auch hier könnte sus
mit gleichem Recht von einem „blinden Raten" sprechen. Die
Anzahl der Fälle an sich und als solche ist gleicbgiltig for des
Wahrheitswert des induktiven Schlusses.
Schon Galilei hat es gewusst, dass man zur Kenntnis des
Gesetzes nicht durch Vergleichung einer möglichst grossen AniaU
von Fällen einer bestimmten Klasse gelangt, sondern dnrch &
vollständige Analyse eines einzelnen Falles. Deshalb ist bei iha
die „resolutive"* Methode von so grosser Bedeutung.
Worauf es bei dem Induktionsschluss in erster Lmie an-
kommt, das ist die sorgfältige Ausschliessung von Nebentatsachen.
Dies hat Lotze in seiner Logik in besonders einleuchtender Weoe
gezeigt. Er sieht die ganze Kunst des induktiven Ver&hreoii
welches zu allgemeinen Sätzen gelangen will, darin, ans dem ye^
worrenen Material, welches uns die Beobachtung darbietet, &
reinen Fälle einer kausalen Zusammengehörigkeit herauszupripi-
rieren. Dies geschieht, indem die sowohl der Ursache als aaek
der Wirkung anhaftenden unwesentlichen und überflfissigeo Be-
stimmungen durch ein Verfahren, welches sich im EinzeUieo neirr
verschiedenartig gestalten kann, eliminiert v en. Ffir am
Elimination der unwesentlichen Nebenb( .teile ist mm aber
Das Wesen und die Voraiineteungen der Induktion. â7â
nicht die Anzahl der in Betracht kommenden Einzelfälle, sondern
ihre Beschaffenheit von Bedentang. ^Für die Qiltigkeit der (in-
duktiven) Schlnssweise ist die spezifische Verschiedenheit der als
Oattongsexemplare gewählten Einzelheiten eine unerlässliche Be-
dingung.''^) Je grösser diese Verschiedenheit ist, um so höher
ist der „synthetische Wert*' der Induktion zu veranschlagen.
Die oberste Voraussetzung des induktiven Verfahrens.
Kritik der gegen die konstitutive
Bedeutung der Gesetzmässigkeit gerichteten Einwände.
Aus der Kritik der Ansichten Erdmanns muss ganz besonders
deutlich geworden sein, dass eine Theorie der Infunktion nicht
aufgestellt werden kann ohne die Zugrundelegung der allge-
meinsten Voraussetzung eines gesetzmässigen Zusammenhangs der
Wirklichkeit.
Dieses „Prinzip der Naturgesetzmässigkeit'', welches sich
auf den verschiedenen Erfahrungsgebieten je nach dem vorliegen-
den Vt^irklichkeitsmaterial in sehr verschiedenen Formen kundgiebt,
kann niemals direkt bewiesen werden, da ein solcher Beweis sich
notwendig im Zirkel bewegen würde, indem er immer schon das-
jenige voranssetzen mfisste, was er zu beweisen unternähme; es
kann lediglich auf teleologischem Wege begründet werden, indem
gezeigt wird, „dass mit seiner Aufhebung jede Möglichkeit eines
erfolgreichen Nachdenkens über den Zusammenhang unserer Er-
labrungswelt ausgeschlossen wäre*'.^
Wir haben es also mit einem Postulat zu tun; nirgends in
der Natur drängt sich uns ein gesetzlicher Zusammenhang von
selber auf, sondern „dass mehr Ordnung in der Welt sei, als sie
auf den ersten Blick darbietet, wird erst erkannt, wenn die Ord-
nung gesucht wird*".*) Wir können das Oegebene zergliedern,
m> weit wir wollen, wir werden darin nie etwas entdecken, wo-
durch uns die Qewissheit gewährleistet wäre, dass das wiederholt
nsammen Vorkommende notwendig zusammengehöre und das
wiederholt auf einander Folgende in einem gesetzmässigen Zu-
«mynAnhAng stehe. Durch keine Ausdehnung des Beobachtungs-
0 Windelband, Die Lehren vom Zufall, S. 44.
•) V^indelband, Präl. S. 286.
^ Sigwart, Logik II, S. 432.
D XIII. '^t>
3Î4 a. V. Bubnoff,
feldes, durch keine Häufung der Fälle lässt sich ein imbediii{i
allgemeiner Satz begründen. Im Gegenteil mag es öfters vor-
kommen, dass uns die Erfahrung Fälle von scheinbarer R^eDosig-
keit darbietet, dass unter scheinbar gleichen Bedingungen ach
Verschiedenes ereignet, wo es dann vielleicht am nächsten Uge,
die Voraussetzung der Gesetzmässigkeit aufzugeben. Trotrieœ
vertrauen wir ihr unbedingt, und mögen unsere Hypothesen anck
noch so oft im Einzelnen fehlschlagen und durch negatiye In-
stanzen widerlegt werden, „erschüttert wird dadurch niemals die
allgemeine Voraussetzung des gesetzmässigeu Zusammenlumges
der Erscheinungswelt, sondern nur die bestimmte Annahme, die
wir in Bezug auf den notwendigen Zusammenhang eines be-
stimmten Grundes mit einer bestimmten Folge machten**.^)
Am eindringlichsten hat wohl die ganze Tragweite d«
obersten Postulates des gesamten auf die Wirklichkeit gericbtettt
Erkennens Lotze hervorgehoben. Im Hinblick darauf, dass i»
Denken Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit sei, heisst es i»
der Einleitung zu seiner Logik:
„Nun hat jedes Werkzeug die doppelte Verpflichtung, si*
gerecht und handgerecht zu sein. Sachgerecht, sofern es dirà
seinen Bau im Stande sein muss, den Gegenständen, die es b6l^
beiten soll, überhaupt nahe zu kommen, sie zu erreichen, n
fassen und an ihnen einen Angriffspunkt für seine umgestaltesde
Wirkung zu finden ; und diese Forderung erfüllen wir für to
Denken durch das Zugeständnis, dass seine Formen und Qesetie
gewiss nicht blosse Sonderbarkeiten menschlicher 6eisteseinriditnn{.
sondern dass sie, so wie sie sind, beständig und durchgehends aii
das Wesen des Wirklichen berechnet sind.**^)
„Wir könnten offenbar auf die Bearbeitung der WirkUchkeä
durch unser Denken nicht hoffen, wenn wir nicht in dem empi-
rischen Verlauf der Dinge eine allgemeine Gesetzlichkeit als vor*
banden annehmen dürften, die uns erst die Möglichkeit ver
schafft, von den formalen Gesetzen unseres Denkens Nutaeen u
ziehen."*)
Und gerade in Bezug auf eine Theorie der Induktion betoi^
Lotze die Wichtigkeit der in Frage stehenden Voraossetznog mit
besonderem Nachdruck: „Alle Verfahrungsweisen der angewandlai
1) Sigwart, Logik n, S. 435, .
V Lotze, Logik, Einl. S. 10.
^ ibid. S. 678.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 376
k bedeuten etwas nur unter der Voraussetzung, dass die
Jichkeit den inneren Zusammenhang besitzt, den jene Tendenz
Tendenz des Denkens, gegebenes Zusammensein in Zusammen-
rigkeit zu verwandeln) ihr zuschreibt; besässe sie ihn nicht,
ürde der Rechtsgrund nicht bestehen, auf den jede Induktion
stützt, wenn sie eine bestimmte Folgerung aus Erfahrungen
nur für wahrscheinlicher hält als eine andere ; es würde sein
mden haben bei der Aufzählung der Prämissen und der
isssatz würde fehlen."^)
Auf Grund der dargelegten Auffassung erweist sich also die
bzmässigkeit als eine die Wirklichkeit konstituierende Form,
iem nun eine Theorie entgegensteht, welche gerade diesen
leugnet, so dürfte eine Auseinandersetzung mit derselben
wohl zu vermeiden sein. Wir meinen die Rickertsche Theorie
laturwissenschaftlichen Begriffsbildung, welche in einem Ge-
sbegriff gipfelt, der gewissermassen das höchste Abstraktions-
ikt unseres Denkens bildet und dementsprechend dessen
te Entfernung von der erfahrbaren Wirklichkeit bedeutet,
ich nun eine Theorie der Induktion, welche bestrebt ist, zu
meinen von der Wirklichkeit geltenden Sätzen zu gelangen,
auf der Grundlage eines für die Wirklichkeit konstitutiven
!.zesbegriffs errichten lassen dürfte, so müssen wir unter-
in, ob die Gründe, welche gegen diesen Gesetzesbegriff ins
geführt werden, in der Tat stichhaltig sind.
Die neue Einteilung der Wissenschaften unter Zugrunde-
lg des formalen Charakters ihrer Erkenntnisziele ist eine Tat
entscheidender Bedeutung für die Methodenlehre. Sie hat
dnen tieferen Einblick in die eigentümliche logische Struktur
^verschiedenen Wissenschaften eröffnet und allen Versuchen,
Universalmethode zu proklamieren, den Boden entzogen,
hat aber diese wichtige methodologische Entdeckung und der
)f gegen eine Universalmethode auch auf die Erkenntnis-
ie eingewirkt, und zwar hat man aus der richtigen methodo-
;hen Einsicht erkenntnistheoretische Konsequenzen gezogen,
le recht bedenklich sind.
Das Schreckgespenst des Naturalismus der Methode hat nicht
sentlich dazu beigetragen, dass ein Hauptsttick der Kantischen
i angegriffen und eine Theorie angebahnt wurde, gegen
1) ibid. S. 580.
376 N. V. Bubnoff,
welche sich schwerwiegende Einwände erheben lassen. Wir
meinen den Versuch, die Gesetzmässigkeit aus der Kategorie der
Kausalität zu eliminieren, sie mithin aus der Reihe der konsüto-
tiven Formen zu streichen und den reflexiven beizuordnen. Dazu
hielt man sich, wie mir scheinen will, zunächst durch methodo-
logische Erwägungen für berechtigt. Man glaubte, anderenfâlk
wieder einer Universalmethode unrettbar in die Arme zu fallen
„Falls nämlich,^ sagt Rickert, „Formen, die nur methodologisdi
sind, für konstitutiv gehalten werden, kann das die Folge habeo,
dass man die Möglichkeit verschiedener Methoden von vornherein
abweist. Die objektive Wirklichkeit ist nur eine, und was for
ihren Begriff konstitutiv ist, muss sich daher auch in jeder
wissenschaftlichen Methode geltend machen.
Wir können dabei an den Begriff der Gesetzmässigkdt
denken. Nehmen wir an, sie sei eine konstitutive Kategorie, so
gehören die Gesetze für den empirischen Realismus zur objektive
AVirklichkeit selbst, und alle Wissenschaften haben, wenn sie die
Wirklichkeit gründlich erkennen wollen, auch nach ihren Gesetzen
zu suchen. Scheiden wii* dagegen die Gesetzmässigkeit als metho-
dologische Form von der Kausalität, so kann es, obwohl jede
Wirklichkeit kausal bedingt ist, doch Wissenschaften geben, die
sich um Gesetze gar nicht kümmern, sondern individuelle Kanaal-
reihen zu erkennen suchen."^)
Ist nun, so fragen wir zunächst, diese Argumentation in der
Tat zwingend, oder lässt sich vielleicht, bei Âneiicennung der Ge-
setzmässigkeit als einer konstitutiven Kategorie, die M5glichkeä
verschiedener Methoden dennoch aufrecht erhalten?
Nehmen wir einmal an, dass die Gesetzmässigkeit eine die
Wirklichkeit konstituierende Kategorie sei. Wäre dadordi die
Individualität des Geschehens in Frage gestellt? Dies wäre der
Fall, wenn das Geschehen lediglich durch die Gesetze bestisuit
würde. Nun ist aber immer noch ausserdem eine bestimmte Kon-
stellation von Elementen erforderlich, damit die G^etze angreifen,
in Wirksamkeit treten können. Von der jedesmaligen KonsteDa-
tion, welche aus keinem Gesetze ableitbar ist, hängt es ab, welche
Gesetze im gegebenen Fall in Wirksamkeit treten. Der Satx
also, dass das Geschehen individuell sei, wird durch die Ânnalune,
dass die Gesetzmässigkeit für die Wirklichkeit eine konstitutife
^) Gegenstand der Erkenntnis, S. 224.
Das Weian und die Voraussetzungen der Induktion. 377
BedentuDg habe, nicht im geringsteD beeinträchtigt ; und da ja
gerade die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit mit der Wert-
beorteilong eng zusammenhängt, so erleidet auch die Methode der
historischen Wissenschaften dadurch keinen Abbruch, sondern
bleibt in ihrer Eigenart unabhängig von derjenigen der Natur-
wissenschaften und ihr ebenbürtig bestehen. Auf teleologischem
Wege, von den Zielen und Aufgaben aus, die sich die Wissen-
schaften setzen, ist ja ihre Einteilung gewonnen worden. Es
hftngt also ganz von den Aufgaben ab, die sich eine Wissenschaft
setzt, ob sie den gesetzmässigen Zusammenhängen nachzuforschen
oder einmalige Tatsachen festzustellen und ihnen ihre Stelle in
einem historischen Ganzen anzuweisen hat. Jedenfalls liegt beide
Male eine begriffliche Verarbeitung des Wirklichkeitsmaterials vor;
und sieht man in der Begriffsarbeit der Naturwissenschaften eine
Vereinfachung der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der Wirklich-
keit, so findet eine solche in den historischen Wissenschaften
natürlich auch statt. Der wesentliche Unterschied liegt nur in
den leitenden Gesichtspunkten der begrifflichen Bearbeitung, welche
in dem einen Fall mit Rücksicht auf zu gewinnende idlgemeine
Sfttze, im anderen durch Beziehung auf allgemeine Werte ge-
schieht. Es scheint infolgedessen keineswegs berechtigt, die Ge-
schichtswissenschaft in eine unmittelbarere Nähe zur Wirklichkeit
zu rücken als die Naturwissenschaft, ja sie geradezu als Wirklich-
keitswissenschaft zu bezeichnen. Die durch Beziehung auf allge-
. meine Werte gebUdeten Individualbegriffe der Geschichte sind um
nichts weniger Abstraktionsprodukte als die allgemeinen Begriffe
-der Naturwissenschaft, nur dass sie eben einem anderen Prinzip
ihre Elntstehung verdanken* Wenn es sich aber so verhält, so
ist nun auch gar nicht einzusehen, was der Anerkennung der
Gesetzmässigkeit als konstitutiver Kategorie noch im Wege stehen
sollte. Rickert behauptet zwar, dass, falls man dies annimmt,
y,alle Wissenschaften, wenn sie die Wirklichkeit gründlich kenneu
wollen, auch nach ihren Gesetzen zu suchen haben'', womit dann
wieder Wissenschaft und Gesetzeswissenschaft gleichgesetzt sein
würden. Allein dies ist durchaus nicht der Fall. Viehnehr liegt
die Sache so, dass die historischen Wissenschaften gar kein Inter-
esse an der Erforschung der gesetzmässigen Zusammenhänge
haben und sich also darum gar nicht zu kümmern brauchen. Ihr
Interesse liegt in einer ganz anderen Richtung; es ist ihnen ge-
378 N. V. Bubnoff.
rade um das Unwiederholbare innerhalb des allgemeinen Bahmens
der Gesetzlichkeit zu tun.
„. . . die Verarbeitung des Erfahrungsmaterials (kann) ent-
weder auf die Feststellung der allgemeinen Zusammenhänge ge-
richtet sein, die darin gelten, oder auf die Sicherstellung beson-
derer Tatsachen oder Gruppen von Tatsachen. Dieser Unterschied
ist zugleich begrifflich und zeitlich : das Allgemeine fällt mit dem
dauernden Bestand der erfahrbaren Wirklichkeit, das Besondere
mit dem unwiederholbaren Einmaligen zusammen. Derselbe empi-
rische Wirklichkeitskomplex kann dabei unter Umständen beiden
Auffassungsweisen unterworfen werden."^)
Sieht man natürlich in der Geschichte die Wirklichkeits-
wissenschaft xav è^oxriv, dann kann man allerdings so aigumen-
tieren: alles, was für die objektive Wirklichkeit konstitutiv ist,
muss sich auch in ihrer Methode geltend machen, da sie ja die
Wirklichkeit gründlich erkennen will, d. h. möglichst alles aus ihr
herausholen und zum Ausdruck bringen, was in ihr enthalten ist
Sind nun Gesetze auch Wirklichkeitskategorien, dann muss die
Geschichte eine Herausarbeitung derselben anstreben. Aber die
Behauptung, dass die Geschichte Wirklichkeitswissenschaft ii
prägnanten Sinne sei, ist eben nicht aufrecht zu erhalten. Der
Wirklichkeitscharakter wird ihr von Rickert mit Bücksicht auf den
individuellen Inhalt ihrer Begriffe beigelegt, da ja die empirisdie
Wirklichkeit stets individuell sei. Nun hat es aber die Geschidite
mit Wertindividualitäten zu tun, welche aus EHementen bestehen,
die mit Rücksicht auf einen Wert zu einer Einheit zusammen-
gefitsst sind, und ist insofern neuerdings nicht mit Unrecht .ab
LehTB vom Unwirklich-Individuellen bezeichnet worden. **•)
Sobald man also die irrtümliche Meinung, dass die Ge-
schichte in besonderem Grade „Wirklichkeitswissenschaft^ sei,
preisgiebt^ ist die Möglichkeit zweifellos vorbanden, Gesetze for
konstitutive Formen zu halten, ohne schon deshalb einem Umet-
salismus der Methode zu huldigen.
Die Überzeugung, dass die Geschichte die eigentliche Wirk*
lichkeitswissenschait sei, hat bei Rickert ihre Kehrseite in emer
^) Windelband, Die gegenwärtige Aufgabe der Logik and Erkenne
nifilehre in Bezug auf Natur- und Kulturwissenschaft. Ghenfer Kongie»
Bericht 1904. S. 109.
^ Frischeisen-Köhler, Über die Grenzen der natorw. BegriflBifaifahnfl^
Arch, f. syst. Philos., Bd. 12, S. 252.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 379
Theorie der natorwissenschaftlicben Begriffsbildong, aas welcher
sich ein Gesetzesbeg;riff ergiebt, dessen Prüfung wir uns nun zu-
wenden wollen. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Theorie
der Induktion erscheint uns dieser Gesetzesbegriff als ungenügend,
weil er lediglich als Mittel aufgefasst sein will, die uns entgegen-
tretende unübersehbare Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt zu
fiberwinden. Wir glauben es bezweifeln zu müssen, dass die
naturwissenschaftlichen Allgemeinbegriffe schon dadurch zu
eigentlichen Naturgesetzen gestempelt werden, dass sie die
Aufgabe erfüllen, welche Rickert dem naturwissenschaftlichen
Erkennen zuweist.
Fassen wir nun die Art und Weise näher ins Auge, wie in
der in Frage stehenden Theorie der Qesetzesbegriff gewonnen wird.
Unter der Voraussetzung, dass der Sinn des naturwissen-
schaftlichen Erkennens in einer Vereinfachung und Überwindung
der anschaulichen Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit bestehe, wird
das Werkzeug dieses Erkennens, der naturwissenschaftliche Begriff,
daraufhin untersucht, welche Eigenschaften es zu diesem Zweck
besitzen müsse. Es sind dies: Allgemeinheit, Bestimmtheit und
unbedingte Geltung. Die dritte Eigenschaft erweist sich insofern
.als die vornehmste, als erst sie es ist, welche den naturwissen-
schaftlichen Befriff befähigt, das zu leisten, was von ihm in letzter
Instanz verlangt wird. „Soll eine Überwindung der unendlichen
Ffille der Erscheinungen möglich sein, so müssen wir Begriffe
bilden können, unter deren umfang notwendig eine unbegrenzte
Anzahl der Einzelgestaltungen iäUt.^^) Das können nur solche
Begriffe sein, die den logischen Wert von Urteüen haben, d. h.
unter den Gesichtspunkt gestellt werden können, dass sie wahr
sind; und zwar müssen sie UrteUen von unbedingt allgemeiner
Geltung äquivalent sein. Solche Urteile bezeichnen wir als
Naturgesetze.
Auf diese Weise gelangt Rickert durch eine teleologische
Deduktion zu dem Begriff eines Naturgesetzes von der Forderung
aus, die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit unserem
Erkennen zugängUch zu machen. Erkennen aber heisst hier „das
Unbekannte in der Weise als Fall des Bekannten verstehen, dass
das Individuelle, Einzigartige ausgeschieden und nur das Gemein-
same in die Wissenschaft aufgenommen wird. Das höchste Ziel
1) Rickert, Grenzen d. n. B., S. 63,
380 N. V. Bubnoff,
dieser Erkenntnis ist, die zu erkennende Wirklichkeit so oito
allgemeine Begriffe zu bringen, dass diese sich durch die Yerhili-
nisse der Unter- und Überordnung zu einem einheitlichen System
zusammenschliessen, und man wird dabei, wo es angeht, nach
solchen Begriffen streben, deren Inhalt unbedingt allgemein for
die zu untersuchenden Objekte gilt. Wo diese Erkenntnis ge-
lungen ist, da hat man das erfasst, was man die Gesetze der
Wirklichkeit nennt^.^) Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet
sind die Naturgesetze weiter nichts als Werkzeuge, deren sich
unser endlicher Verstand bedient, um der Wirklichkeit Herr zu
werden; sie werden auf teleologischem Wege postuliert, indem ge-
zeigt wird, dass die Naturwissenschaft nur mit ihrer Hilfe die
ihr eigentümliche Aufgabe zu lösen vermag.
Wii* fragen nun aber, unter welchen Bedingungen allgemein-
giltige Aussagen über die Wirklichkeit gemacht werden können;
oder bestimmter, wie beschaffen die Wirklichkeit gedacht werden
muss, um die Bildung von Gesetzesbegriffen zu ermöglichen.
Die Theorie Rickerts sagt uns, dass, wenn es so etwas wie
naturwissenschaftliches Erkennen überhaupt geben soll, dann auch
gewisse urteile von unbedingter Geltung, welche über die Wirk-
lichkeit etwas aussagen, vorhanden sem müssen: „Wir nehmen
an, dass wir nicht nur empirisch allgemeine, sondern auch anbe-
dingt allgemeine Urteile zu bilden im Stande sind, d. h. Urteile,
die für alle Vorgänge und Dinge gelten, wo und wann auch
immer sie sich finden mögen.**^
Unter welchen Bedingungen sind wir nun aber zu dieser
Annahme berechtigt?
Bei der Auffassung, welche Bickert von dem VerhJUtnis y«
Denken und Wirklichkeit hat, scheint ja diese Annahme gerade
ausgeschlossen zu sein. Urgiert man nämlich den Satz von d«
totalen Irrationalität der Wirklichkeit, so ist gar nicht mehr an-
zusehen, wie es die Naturgesetze anfangen sollen von der Wirk-
lichkeit zu gelten. Wohl ist es richtig, dass „vor jeder Beob-
achtung die Möglichkeit ausser Zweifel stehen muss, auf Omod
des Erfahrenen etwas über Unerfahrenes zu wissen, wenn dai
Suchen nach Naturgesetzen einen Sinn haben soll'' und dass, »to-
lange überhaupt Naturwissenschaft getrieben werden soll, man dtf
1) Rickert, Geschichtephilosophie. Festachrift fOr Kuno Kieher,
Bd. n, S. 64.
«) Grenzen d. n. ß., S. 68.
Das Wesen und die Voraussetasungen der Induktion. 381
;ht des erkennenden Subjekts auf den Glauben an unbedingt
gemeine Gesetze und an die Möglichkeit sich ihrer Erkenntnis
ligstens annähern zu können, niemals in Frage stellen darf*".^)
)r dies ist eben nur möglich unter der weiteren Annahme einer
*.hen Struktur der Wirklichkeit, dass das Allgemeine über sie
3 „bestimmende Macht"* gewinnen kann. Widrigenfalls ständen
Naturgesetze der Wirklichkeit völlig fremd gegenüber, ja nicht
mal die Möglichkeit, an der Wirklichkeit Begriffe zu bilden,
se sich dann mehr rechtfertigen.')
Während der Wirklichkeitscharakter der Geschichte durch
Behauptung, dass sie die eigentliche Wirklichkeitswissenschaft
überschätzt wird, so fällt andererseits ein falsches Licht auf
Verhältnis der Naturwissenschaften zu der Wirklichkeit, wenn
is Gewicht im naturwissenschaftlichen Wissenschaftsbetrieb auf
i Prozess der Vereinfachung und Generalisation gelegt und
Qgemäss eine Entfernung von der Wirklichkeit als ihnen
senüich betrachtet wird. Vielmehr ist der Wirklichkeitsgehalt
den Natur- und Geschichtswissenschaften ein ganz gleicher,
l auf beiden Gebieten geht immer das analytische Verfahren
a synthetischen Aufbau voran: in der Geschichte die kritische
htung des vorliegenden Materials zum Zweck der Sicherstellung
' Tatsachen, in der Naturwissenschaft die möglichst genaue
1 erschöpfende Analyse der Erscheinungen durch Beobachtung
1 Experiment. Darin besteht die Annäherung an die Wirklich-
t, die beide Male gleichmässig stattfindet. Es ist neuerdings
einer Besprechung des Rickertschen Buches, wie mir scheinen
1, mit einigem Recht darauf hingewiesen, dass die Aufgabe der
torwissenschaft nicht lediglich darin besteht, die Wirklichkeit
Allgemeinbegriffe zu klassifizieren oder sonst irgendwie über-
bar zu machen ""j dass vielmehr die unermüdliche Arbeit der
rschung darauf gerichtet sei, die naive, beschränkte, von Fehl-
0 Ibid. S. 088.
^ Vgl. Lotse, Logik, S. 569: „In der Tatsache . . ., dass wir AUge-
nes denken können, liegt aUerdings eine Behauptung von realer
tnng: die Welt vorsteUbarer Inhalte, die wir denkend nicht erzeugen,
clem vorfinden, zerfällt nicht atomistisch in lauter singulare Bestand-
B, deren jeder unvergleichbar mit anderen wftre, sondern Ähnlichkeiten,
wandtschaft und Beziehungen zwischen ihnen finden so statt, dass das
iken. Allgemeines bUdend, Besonderes ihm unterordnend und einander
enordnend, durch diese seine formale und subjektive ^wegungen mit
Natur der sachlichen Inhalte zusammentrifft
382 N. V. Bubnoff,
Schlüssen und Einseitigkeiten durchsetzte Erfahrung zu reimpo,
zu erweitern und die Wirklichkeit . . . sowohl in extenâTerf« is
intensiver Hinsicht nicht sowohl zu überwinden, als zu er* si
schliessen."^) ^^Ji
Und nun muss noch erwogen werden, welchen Sinn die h
„Notwendigkeit ""^ welche doch eben den Gesetzesbegriff auszeichnet iqiit
und ihn als solchen von einem blossen Gattungsbegriff des 6e- ,^^
schehens unterscheidet, innerhalb der Theorie Bickerts bat Wir k]&
können dabei an eine Ausführung in dem soeben erwfihnten Aof* ^b
satz „Über die Grenzen der naturwissenschaftlichen BegriffabildnDg* M
anknüpfen. Es wird dort nämlich behauptet, dass aucli ein ré ifa
formales System von Begriffen, welche zu einander in dem Ver- i^q
hältnis der Unter- und Überordnung stehen, z. B. das aristote*
lische, das zu leisten im Stande sei, was Rickert als Angabe dtf ni^
Naturwissenschaft hinstelle, nämlich die Mannigfaltigkeit der Er eieüi
scheinungen übersichtlich zu machen. Der Begriff des Geseiiei 'm,
sei zu diesem Zwecke überflüssig. Zwar unternehme es Bickei^ 'àt
diesen Begriff als die Vollendung der von ihm beschriebeo* <[in
(generalisierenden) Begriffsbildung darzutun. Es scheme al)^ ^\
dass seine begriffliche Entwickelung nicht über das Ideal einv ^lii
blossen Klassifikation hinausführe und der Begriff des GeeeUt^ Un
durch den Kunstgriff einer neuen Fassung des Begriffs des ,4^ ^
gemeinen" gewonnen werde, durch welche dem „Gemeiosun^ ^
das „Notwendige" substituiert wird. Die Auflösung der Begn^
du Urteile sei dabei unwesentlich.^ • i^
Das dürfte nun schwerlich richtig sein. Zonädist kannte W^i
Grund der Rickertschen Voraussetzungen eine vollständige üb*' 1'*^
sieht über die ganze Mannigfaltigkeit der ErscheinuDgeo ^1^
durch Begriffe gewonnen werden, welche unbedingte QAWl^ 1^
sitzen, und daraus ist auch ersichtlich, dass die Auflösmif '^ 1 1|
Begriffe in Urteile ein sehr wesentliches Moment seiner Tl^ I ^
bildet. Der Übergang von denjenigen Begriffen, mit deren flS*!"
sich lediglich eine Klassifikation erreichen lässt, zu den Geß** I ''
begriffen geschieht in der Weise, dass der naturwissensduifi'^ f ^
Begriff unter den Gesichtspunkt gestellt wird, dass er wahr Ä
und wahr sein können eben nur Urteile. Hier tritt abo * ■ ^
Moment der Bejahung, das „praktische" Moment in den Vor*' f «n
^) Frischeisen-Köhler, Ober die Grenzen der natnrw.
Arch, t syst. Philos.» Bd. 12.
«) Ibid. S. 238.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 383
und nan lässt sich auch die Frage beantworten, welchen
die Notwendigkeit des Naturgesetzes bei Rickert hat. Es
3 „Urteilsnotwendigkeit*", die auf einem Sollen beruht, und
ist die Naturgesetzmässigkeit auf ein Sollen reduziert,
stimmt auch vollständig mit der Grundthese der Erkennt-
>rie Rickerts überein, dem Primat des SoUens, und ist im
nstand der Erkenntnis" unzweideutig ausgesprochen: „Zu-
ist klar, dass die Form der Naturgesetzlichkeit nur dann
ive Bedeutung besitzt, wenn sie selbst in einer Form be-
st ist, und daraus folgt, dass es ohne die Anerkennung des
s kein Müssen im Sinne des natnrgesetzlich Notwendigen
würde. "^)
Bei Rickert also bedeutet alle Notwendigkeit — Urteilsnot-
2:keit. Und da die Notwendigkeit des Naturgesetzes auf
Sollen beruht, mithin das Sollen dem Müssen begrifflich
^eht, so besteht auch demzufolge zwischen Sollen und Müssen
Antinomie. Ja eine solche besteht nicht einmal für das
sehe Bewusstsein, falls eben die Gesetze zu den methodo-
len Formen gerechnet, als Produkte der Wissenschaft be-
et werden. Das Sollen, auf welchem sie beruhen, ist dann
h bloss dem endlichen Bewusstsein transscendent, nicht
urteilenden Bewusstsein überhaupt. Man sieht, zu wie
agenden Eonsequenzen das Primat des Sollens führt.
(Vären nun diese Ausführungen richtig, so mOsste sich ein
Naturgesetz auch mit Hilfe eines Sollens formulieren lassen,
auf einer Norm beruht. Das dürfte, nun aber zum min-
terminologisch unzulässig sein. Dem Ausdruck MSollen""
3 dann nämlich eine von der üblichen abweichende Bedeutung
Bn werden, da es ja offenbar keinen Sinn hat, zu fordern,
itwas geschehe, was ohne dies überall und immer stattfindet,
beint also recht bedenklich, die naturgesetzliche Notwendig-
iuf ein Sollen zu reduzieren; es dürfte dieselbe vielmehr
irtig neben der normativen bestehen bleiben und ihr ein
'er Charakter zuerkannt werden.
Endlich scheint die Leugnung des konstitutiven Charakters
esetzmässigkeit auch die Objektivität der Naturwissenschaft
ch zu bedrohen. Die Naturgesetze werden auf diesem
punkt zu Formeln, welche eben nur insoweit gelten, als man
^) Gegenstand der Erk., S. 840.
384 N. V. Bubnoff,
sich im Kreise der Naturwissenschaften bewegt, und es einem da-
rauf ankommt, die Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit für das Er-
kennen übersichtlich zu machen ; das naturwissenschaftliche Er
kennen wird dabei zu einem „Surrogat ""^ einem notwendigen Ersats
für die dem endlichen Verstand unzugängliche ideale ErkenntoiB,
während es doch vielmehr bestrebt sein muss, sich dem wahrai
Sachverhalt zu nähern, die „primären Notwendigkeiten festzih
stellen, mit denen allein wir das unserer Erfahrung zugängliche
Wesen der Dinge zu definieren im Stande sind**,^) wenn ihffl
wahre Objektivität zukommen soll.
Man darf natürlich nicht alle Naturgesetze, welche in den
tat-sächlichen Wissenschaftsbetrieb als solche bezeichnet werden,
für „eigentliche^ Naturgesetze halten, die „primär, objektiv and
konstitutiv'' gelten. Ja es wäre vollkommen denkbar, dass de^
gleichen „eigentliche^ Naturgesetze überhaupt noch nicht gefondeo
sind, und dass die Wissenschaft alle, die sie gefunden zu haben
vermeint, einmal für falsch oder vorläufig und realiter abgdeitet
erklärte. Auch darf man die sprachlichen Formulierungen der
Naturgesetze nicht mit den sachlichen Verhältnissen, welche ibnea
zu Grunde liegen und dieselben erst ermöglichen, yerwecbseln, wie
Liebmann sehr richtig hervorgehoben hat.
„. . . jedes wirkliche und echte Naturgesetz** ist „eine ob-
jektive Einheit in der Vielheit der Einzelfälle, ein anmittelbarer
Beleg für die reale Wesenseinheit der Natur, eine Offenbanmg
und Manifestation des weltbeherrschenden, weltumfassenden oide
ordinans. Auch muss wohl erwogen werden, dass unser Verstand ja
gar nicht in der Lage sein würde, aus dem Naturlauf Oesetse fl
abstrahieren und in £'orm subjektiver Gattungsarteile mat
sprechen, wenn nicht in Rerum Natura eine objektive GtosetsÜA-
keit herrschte . . . Unsere Naturgesetze, wie sie als sprachlidie
Sätze oder mathematische Formeln im Buche stehen, sind freiM
universalia post rem; aber das, was ihnen im Lauf der Dinge
korrespondiert, sind universalia ante rem.^^
„Wäre nicht der Gang der Natur objektiv ein so gleick-
artiger, geregelter, dass uns auf subjektiver Seite die Eonzeptioa
einer zahllose Einzelfälle unter sich begreifenden Formel mSglki
1) Windeiband, Die gegenwartige Aufgabe der Logik mid Ibkaul*
nialehre in Bezug auf Natur- und Kulturwiaaenaàhaft, QeaSet KùDgntt
Bericht. S. 112.
>) Gedanken und Tatsachen, Bd. I, S. 172.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 385
Eürde, verführe die Natur selbst so regellos lannenhaft, dass bei
riederkehr genau derselben Bedingungen trotzdem das eine Mal
eser, das andere Mal ein ganz anderer Effekt einträte, dann . . .
Ute auch die Kenntnis sämtlicher Einzeltatsachen keinen Wert;
wer Verstand . . . wäre dem irrationalen Lauf der Dinge gegen-
}er zur Ohnmacht, zum Müssiggang verurteilt; . . . nicht nur
aturwissenschaft, sondern auch Natur gäbe es dann gar nicht,
ir verstünden die Welt nicht mehr und statt der Natur hätten
ir um uns einen Hezensabbath.*'^)
Freilich gerade den Eantischen Begriff der Natur als eines
aseins, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, lehnt
ickert aufis entschiedenste als Grundlage, von der alle wissen-
ihaftliche Bearbeitung auszugehen habe, ab. Diese Grundlage
t ihm vielmehr dasjenige, was er mit dem Ausdruck „objektive
Wirklichkeit" bezeichnet.
Es ist nun nicht eine Aufgabe dieser Untersuchung, eine
toung der spezifisch-erkenntnistheoretischen Probleme zu ver-
leben, welche sich hier aufdrängen. Auch wäre vielleicht zu
esem Zweck schon ein ganzes System der Erkenntnistheorie er-
rderlich. Vor allem scheint das Verhältnis der konstitutiven
ategorien zu den reflexiven noch einer Klärung zu bedürfen und
üsste die Frage einwandsfrei beantwortet werden, welches das
esentliche Moment sei, das die konstitutive Kategorie zu einer
lohen stempelt.
Indessen darf hier vielleicht auf die Schwierigkeiten hinge-
iesen werden, welche in diesem erkenntnistheoretischen Zentral-
oblem stecken und eine endgiltige Lösung bisher noch nicht
ifonden haben. Wie gross diese sind, kann man sich vielleicht
a deutlichsten zum Bewusstsein bringen, wenn man von der
SLOüschen Theorie ausgeht, dann die Korrekturen in Betracht
3ht, welche Sigwart an derselben vornehmen zu müssen glaubt,
id endlich damit den Rickertschen Lösungsversnch vergleicht,
ir in dieser Frage ganz andere Wege geht.
Es gilt dabei vor allem, sich den bedeutsamen Kantischen
^ff der Regel zu vergegenwärtigen. In diesem haben wir das
38entliche Moment, welches nach Kant die gegenständliche Welt
»DStituiert. „Kant hat den Gegenstand in eine Regel der Vor-
dllongsverbindung anfgelösf (Wmdelband). Dieser Begriff der
i) Ibid. S. 177.
386 N. V. Bubnoff,
Regel schliesst nun bei Kant zwei Qedanken ein: denjenigen mts
Norm und denjenigen eines Allgemeinen. Letzteren hebt Kant
gewöhnlich noch ausdrücklich hervor, indem er Ton einer „aIlg^
meinen Regel" redet. Die Gegenständlichkeit einer Vorstellnngs-
beziehung, welcher Art diese immer sei, kommt also nicht bloss
durch eine Norm zustande, welche gebietet, in diesem besonderen
Fall die Vorstellungen oder Vorstellungselemente auf eine be-
stimmte Art zu verbinden, sondern durch eine Norm, welche in
einem allgemeinen Grundsatz begründet ist und insofern die all-
gemeine Bestimmung einschliesst, dass unter bestimmten Beding-
ungen die Vorstellungsverbindung in einer Weise stattzufinden
habe, welche im Allgemeinen durch den Grundsatz festgelegt ist
Es sind also zwei Momente, durch welche die Objektivit&t dner
Vorstellungsverbindung gewährleistet wird: das Verhältnis des
Besonderen zum Allgemeinen, insofern der allgemeine Grundsatz
die Grenzen festlegt, innerhalb derer eine Vorstellongsverbindnng
stattfinden kann; und der durch die besondere Norm zum Aus-
druck gebrachte Imperativ, welcher gebietet, innerhalb dieser
Grenzen eine ganz bestimmte Vorstellungsverbindong zu ydl-
ziehen.
Diese beiden nach Kantischer Lehre die Erfahrung konsti*
tuierenden Momente hat Windelband scharf hervorgehoben: »Jede
besondere Regel aber, welche die Normalität einer einzelnen V<r-
Stellungsverbindung und damit ihre Gegenständlichkeit ausmadrt,
erweist sich bei näherer Untersuchung als abhängig von einer
allgemeinen Form der Vorstellungsverknüpfung: jene ist nur dann
begründet, wenn sie eine besondere Anwendung von dieser ist
Dass zwei Empfindungen a und b als die gleichzeitigen Eîget-
Schäften eines und desselben Dinges vorgestellt werden sollen, ist
nur möglich durch die Anwendung einer allgemeinen Regel, wo-
nach überhaupt verschiedene Vorstellungsinhalte in der Form der
Substanzialität und Inhärenz mit einander verknüpft werden soDen.
Alle besonderen normalen Vorstellungsverknüpfnngen stehen âbe
in letzter Instanz unter einer Anzahl von allgemeinsten Begds
der Verknüpfung, welche die Voraussetzungen des normalei
Denkens überhaupt bilden."^)
Sigwart schliesst sich der Eantischen Lehre dordiaiui in
und zeigt im Einzelnen, wie die Feststellung eiiies objAtiyei
1) Pr&l. S. 161.
bas Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 38?
iTerhältnisses immer nur auf Grund eines allgemeiuen Gesetzes
(tatthaben kann. Jede Orts- und Zeitbestimmung, Bewegungs-
Wahrnehmung, Beziehung unserer Empfindungen auf einen äusseren
gegenständ, Feststellung der Eigenschaften des Gegenstandes auf
3>nind dieser Empfindungen, Feststellung eines besonderen Kausal-
rerhältnisses — alles das bedarf, um objektive Giltigkeit beau-
rprochen zu können, eines allgemeinen Gesetzes. So sucht Sig-
irart im Einzelnen nachzuweisen, dass »die Forderung vollkommen
pltiger Urteile die natürliche Unmittelbarkeit der erzählenden
[Jrteile auflöst und sie zwingt zu vermittelten zu werden, um
Rrahr und ihrer Wahrheit gewiss zu sein",^) dass „die unmittel-
>are Gewissheit unserer Wahrnehmungsurteile nicht auf einer ab-
soluten Notwendigkeit beruht, ehe ein allgemeines Gesetz gezeigt
ist, nach welchem das Faktum der Wahrnehmung die Anerkennung
ier Existenz eines äusseren Gegenstandes notwendig macht".*)
Nur mit Rücksicht auf die objektive Zeitbestimmung weicht
3r in gewisser Hinsicht von Kant ab. Nach Kant kann eine
lolche lediglich mit Hilfe der Eausalitäts-Eategorie stattfinden.
Srst durch die Anwendung dieser wird eine subjektive Wahr-
lehmungsfolge zu einer „Begebenheit", also einer objektiven Âuf-
linanderfolge der entsprechenden Objekte. „Wenn wir . . . er-
ahren, dass irgend etwas geschieht, so setzen wir dabei jederzeit
roraos, dass irgend etwas vorausgehe, worauf es nach einer Regel
vlgt, weil die blosse Folge in meiner Apprehension, wenn sie
licht durch eine Regel in Beziehung auf ein Vorhergehendes be-
iUmmt ist, keine Folge im Objekt berechtiget. "")
Sigwart gelangt nun im Zusammenhang seiner methodo-
og^cben Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass wir sehr oft nur
lann eine Aufeinanderfolge zweier Veränderungen mit objektiver
SUtigkeit behaupten können, wenn wir den Kausalzusammenhang
iwiachen denselben schon erkannt haben, womit ja die Kantische
Behauptung vollkommen übereinstimmt. Dem scheint nun aber
HB .zum mindesten ebenso gewisser Satz entgegenzustehen, dass
Qjbnlich ein Kausalzusammenhang zwischen zwei Geschehnissen
nur dann erkannt werden kann, wenn ihre zeitliche Aufeinander-
folge mit objektiver Giltigkeit festgestellt ist Somit hätten wir
^e Antinomie. Diese Antinomie versucht Sigwart auf Grund
1) Logik I, S. 419.
«) Logik I, S. 408.
^ Kr. d. r. V. (Kehrbach), S. 186b
386 N. V. Bubnoff,
einer Kritik der Eantischen Lehre zn lösen; er sucht zu léffsù,
dass jede Zeitbestimmung auf der Voraussetzung ruht, dass die
wahrgenommene Zeitfolge mit der objektiven im AllgemdM
übereinstimme. In einzelnen Fällen könne diese Annahme afier-
dings nicht zutreffen ; sie sei also korrigierbar, dürfe aber nidrt
ganz bei Seite geschoben werden, weil dies jegliche Zeitbestüniniiog
unmöglich machen würde. Die Grundlage also für jede Zeil-
bestimmung bildet nach Sigwart die „empirische Vorstellung der
Zeitreihe^ ; diese sei in unserem unmittelbaren Bewusstsein unserer
inneren Vorgänge gegeben und absolut gewiss.^) Die Eantische
Behauptung müsse daher in dem Sinne modifiziert werden, dflss
nicht etwa die Succession der Vorgänge nach einer Eausalr^
stattfinde, sondern dass diese bloss erforderlich sei, um das Zeit-
verhältnis zwischen dem Eintritt einer Veränderung und ihrer
Wahrnehmung in allgemeingiltiger Weise zu bestimmen. Wire
Kant im Recht, so „könnte niemals ein zufälliges zeitliches Snoee-
dieren zweier von einander unabhängiger Vorgänge festgestdit
werden, '^ sondern die Aufeinanderfolge zweier Vorgänge (etwa ém
Schusses und eines Olockenschlages) müsste allemal nach einer
Eausalregel stattfinden.
Hier wird also wieder der bekannte Einwurf gegen die
Eantische Lehre erhoben, dass sie alles Folgen in ein Erfblgeo
verwandle, während Eant doch nur behauptet, dass jedem Vor
gang irgend ein anderer vorhergegangen sein muss, auf welebefi
er nach einer Begel erfolgte, womit noch keineswegs gesagt
ist, dass dies der unmittelbar vorher wahrgenommene Yot-
gang war.*)
Abgesehen aber davon, bedeuten die Sigwartschen A»
führnngen eine ungerechtfertigte Einschränkung der EantisdieB
These auf einen speziellen Fall der zeitlichen Aufeinanderfolge,
denjenigen nämlich eines Vorgangs und dessen Wahmehmiflg*
Nun ist doch aber, wie Sigwart selbst zugiebt, der Eawl-
zusammenhang zwischen einem Vorgang und der WabmehnHOg
desselben ein Teil des allgemeinen Eausalzusammenhanges, od
es ist logisch nicht im mindesten zu rechtfertigen, weshalb gerade
in diesem besonderen Fall der Succession die Eantische BestiflUDOV
gelten soll und in den anderen Fällen des Succediermis nicht
1) Vgl. Logik II, S. 368.
^) Vgl. König, Entwicklung des Kausalproblems, Bd.ï,B.8ISL
t>aa Wesen und die VoraufisetEongen der Induktion. 389
Wohl ist es richtig, dass „die Korrekturen, welche wir anbringen,
um die subjektive Zeit der Wahrnehmung auf die objektive des
Vorgangs zu reduzieren und die individuellen Differenzen in der
Zeit der Wahrnehmungen auszugleichen, nicht direkt die Eaosal-
beziehungen der wahrgenommenen Vorgänge untereinander betreffen,
lODdern die Gesetze, nach denen unsere Wahrnehmungen in ihrer
Zeitfolge vom Objekt . . . bestimmt sind.*'^) Aber dies ist etwas,
las den tatsächlichen Wissenschaftsbetrieb angeht, und jedenfalls
lEoin Einwand gegen den Kantischen Satz, welcher eine allgemeine
sriLenntnistheoretische Bedeutung besitzt.
Während nun Sigwart sich im grossen und ganzen der Kan-
tischen Theorie anschliesst, schlägt Rickert einen ganz anderen
Weg ein. Allerdings ist auch für ihn die „Regel"* dasjenige, was
lie Gegenständlichkeit konstituiert. „Die vom erkennenden Sub-
jekt unabhängige Bedeutung des Dinges als eines Gegenstandes
1er Erkenntnis . . löst sich vom Standpunkt des transscenden-
talen Idealismus vollständig in Urteilsnotwendigkeit auf. Das an-
jfeblich transscendent seiende Ding ist eine transscendente Norm
>der Segel der Vorstellungsverknüpfung.^^ Aber die Bestimmung
1er Allgemeinheit fällt für Rickert aus dem Begriff der Regel
fort; es bleibt bloss diejenige eines Sollens, eines Imperativs.
Sigrwart hatte auf Kantischer Lehre fussend in Bezug auf die
W^ahrnehmungsurteile im Einzelnen zu zeigen versucht, dass eine
CoDStatierung von Tatsachen in allgemeingiltiger Weise nur auf
^rund von allgemeinen Gesetzen erfolgen könne. Für Rickert ist
lagregen die logische Voraussetzung einer konstatierten Tatsache
lie Kategorie der Gegebenheit als Akt der Anerkennung eines
Sollens, welcher lediglich auf individuelle Inhalte bezogen werden
Mum. Es dürfte interessant sein, sich die Abweichung Rickerts
ron Kant in Bezug auf die Lehre vom Objektivität verleihenden
Prinzip an der schon vorhin herangezogenen Kantischen Lehre
ron der Konstituierung einer objektiven Zeitfolge zu vergegen-
irftrtigen. Die Behauptung, dass Jede objektive zeitliche Ver-
Lndemng ein kausal bestimmter Vorgang*' sei, bestehe, meint er,
lann, aber auch nur dann zu Recht, „wenn die notwendige Auf-
dnanderfolge eines Ereignisses auf das andere nicht schon eine
{esetzmässige Aufeinanderfolge ist.^ Nun scheint diese Behaup-
») Sigwart, Logik ü, S. 362. \^h M. Wartenberg, KSt. V, S. 1 ff.
s) Oegenst d. Erk., S. 200.
KMHHMtto XXU. Ift
386 N. V. Bubnoff,
einer Kritik der Kantischen Lehre zu lösen;
dass jede Zeitbestimmung auf der Voraussei
wahrgenommene Zeitfolge mit der objekti
übereinstimme. In einzelnen Fällen könne
dings nicht zutreffen; sie sei also korrigier
ganz bei Seite geschoben werden, weil dies je<
unmöglich machen würde. Die Grundlage
bestimmnng bildet nach Sigwart die „empir
Zeitreihe"; diese sei in unserem unmittelbarei
inneren Vorgänge gegeben und absolut gew
Behauptung müsse daher in dem Sinne mod
nicht etwa die Succession der Vorgänge m
stattfinde, sondern dass diese bloss erforderl
Verhältnis zwischen dem Eintritt einer Ve
Wahrnehmung in allgemeingiltiger Weise z
Kant im Recht, so „könnte niemals ein zufäl
dieren zweier von einander unabhängiger
werden,** sondern die Aufeinanderfolge zweier
Schusses und eines Olockenschlages) müsst(
Kausalregel stattfinden.
Hier wird also wieder der bekannte
Kantische Lehre erhoben, dass sie alles F<
verwandle, während Kant doch nur behau]
gang irgend ein anderer vorhergegangen seil
er nach einer Eegel erfolgte, womit noc
ist, dass dies der unmittelbar vorher wa
gang war.*)
Abgesehen aber davon, bedeuten die
führungen eine ungerechtfertigte Einschränl
These auf einen speziellen Fall der zeitlic
denjenigen nämlich eines Vorgangs und d
Nun ist doch aber, wie Sigwart selbst :
Zusammenhang zwischen einem Vorgang un
desselben ein Teil des allgemeinen Kausab
es ist logisch nicht im mindesten zu rechtfei
in diesem besonderen Fall der Succession die ]
gelten soll und in den anderen Fällen d<
1) Vgl. Logik II, S. 363.
^) Vgl. König, Eutwtcklung des Kausalprobl
Das Wesen und die VoraussetEungen der Induktion. 391
ni.
Das Problem der Umkehrbarkeii der Naturgesetze.
T Begriff der Kausalgleichung. ^Individuelle^ Kausalität.
Die Ânoahme einer gesetzmässigen Ordnung in der Er-
leinnngswelt hat sich uns als notwendige Voraussetzung der
luktiven Methode erwiesen. Sie reicht aber nicht aus, sondern
16 weit speziellere Voraussetzung wird erforderlich, wenn es
h um eine der wesentlichsten Aufgaben der naturwissenschaft-
tien Induktion, am die Erforschung der das Geschehen beherr-
lenden Kausalgesetze handelt. Solange das induktive Verfahren
der Richtung von der Ursache auf die Wirkung stattfindet,
^ die Sache verhältnismässig einfach. Wird in einer Anzahl
1 Fällen beobachtet, dass ein B einem A succediert, so kann
ter Voraussetzung der Notwendigkeit alles Geschehens ge-
ilossen werden, dass irgend ein Gesetz dem Eintreten von B
Grunde liegen muss ; und diese Voraussetzung wird selbst dann
bt umgeworfen, wenn die Beobachtung scheinbar Fälle zeigt,
denen trotz des Vorhandenseins von A die Veränderung B
ht eintritt. Um diese Differenz zu erklären, läge es ja viel-
±t am nächsten, die oberste Voraussetzung der Gesetzroässig-
t alles Geschehens einfach aufzugeben und eine regellose Auf-
anderfolge der Erscheinungen einzuräumen, was aber offenbar
ichbedeutend wäre mit einem Verzicht, die Wirklichkeit zu be-
ifen. „Die Regel, alles als Ursache zu eliminieren, was nicht
es Mal einen Erfolg hervorbringt, würde, konsequent angewendet,
e Gewinnung von Resultaten auf dem Wege der Induktion ver-
)ln.-i)
Daher wird die Verschiedenheit der Wirkungen, wenn die-
len Ursachen vorliegen, daraus erklärt, dass entweder die
icbscheinenden A und B nicht wirklich gleich sind oder mehrere
lachen durch ihre Konkurrenz den Effekt modifizieren. In der
', ist ja auch in Wirklichkeit eine Veränderung niemals der
le und ganze Erfolg einer einzigen einwirkenden Ursache,
dern kommt immer durch die Kombination mehrerer unter ver-
iedenen Umständen verschieden wirkender Ursachen zu Stande.
Nun schliessen wir aber induktiv nicht nur von dem Vor-
idensein bestimmter Ursachen auf das Vorhandensein bestimmter
-kangen, sondern wir vollziehen regelmässig auch den umge-
1) Sigwart, Logik U, S. 498.
392 N. V. Bubnoff,
kehrten Scbluss yon einer bestimmten Wirkung auf eine bestimmte
ürsacbe. Ja man kann sagen, dass gerade diese Schlüsse zu den
wichtigsten und fruchtbarsten in dem tatsächlichen Wissenschafte-
betrieb gehören. Dabei ist aber nicht nur die Voraassetzung gb-
macht, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen, sondern aodi
die umgekehrte, dass nämlich gleiche Wirkungen gleiche Ursacheo
haben. Mit anderen Worten: in der Richtung von der Wirkmig
auf die Ursache kann lediglich unter Voraussetzung einer ein-
deutigen gegenseitigen Zuordnung von Zuständen geschlofflen
werden. Ein allgemeiner Satz, welcher ein derartiges eindeotlges i
Eausalverhältnis zum Ausdruck bringt, ist ein strenges Natto" 1
gesetz und als solches umkehrbar. Zu einer Umkebrang der 1
Naturgesetze sind wir bei weitem nicht immer berechtigt, fi I
liegt hier ein schwieriges Problem vor. Vor allem ist darauf Iub- |
zuweisen, dass nicht alle sog. „Gesetze'' kausale Beziehungen zu
Ausdruck bringen. Das Wort „Gesetz" hat eine vielfache Be
deutung, und wir bezeichnen damit Verhältnisse von sehr Ter
schiedenem Erkeuntniswert. Zwar werden darunter ioiMr
„dauernde Regelmässigkeiten'' verstanden, aber der Sinn denelbei
und ihre Tragweite, der Grad der Notwendigkeit, welcher ihoei
zuerkannt werden darf, ist nicht immer ganz leicht zu be-
stimmen.
Zu den Gesetzen im weiteren Sinne gehören die von Sigwirt
als Beziehungsgesetze bezeichneten Sätze, welche den Einfitt
von Umständen auf die Wirkung einer bestimmten Ursache »
sagen (z. B. Wasser siedet auf hohen Bergen bei geringerer Tel*
peratur als in der Tiefe; dasselbe Pendel schwingt in hohem
Breiten schneller als am Äquator). Dergleichen Sätze woDa
feststellen, dass unter ähnlichen Bedingungen ähnliche ZosUak
aufzutreten pflegen; sie drücken nur die konstante Art und Wein
aus, wie die Dinge sich verhalten, gewähren aber keinen EiidAk
in den kausalen Zusammenbang der Erscheinungen. Wohl lasMi
sie sich zum Teil auf eigentliche Kausalgesetze zarfickfOhni.
Es giebt aber auch solche, bei denen auch eine derartige Zniek*
führnng nicht möglich ist (z. B. die statistische BegelmSssigM^
zum Ausdruck bringenden Sätze).
Auf vielen Gebieten sind wir gezwungen, mit der
tierung solcher empirischer Regelmässigkeiten vorlieb zu
weil wir infolge der grossen Kompliziertheit der ZosammoiUV
nicht im Stande sind, zu den einfachen kausalen
Das Wesen und die Voraosseteungen der Induktion. 393
rzadringen, welche ihnen za Grunde liegen. Es ist ohne Wei-
es klar, dass in allen diesen Fällen ein Schluss in umgekehrter
i^htung, d. h. von dem Vorhandensein gewisser Zustände anf
reo Bedingungen ganz unsicher wäre. Aber auch wo ein kau-
les Verhältnis vorliegt, ist doch der Schluss auf die ausnahms-
;e Zugehörigkeit einer bestimmten Ursache zu einem gegebenen
fekt nicht ohne Weiteres statthaft; ihm steht immer die Mög-
takeit entgegen, ,,dass aus verschiedenen Gründen Gleiches,
înigstens für uns ünunterscheidbares folge". Das Urteil „wenn
ist, so ist B** schliesst das andere „nur wenn  ist, so ist B^
cht notwendig ein. Wenn auch noch so sicher feststeht, dass
n Schlag mit dem Hammer eine Glocke zum Klingen bringt
1er ein Schuss durchs Herz den Tod zur Folge hat, so gilt eben
^h nicht umgekehrt, dass eine Glocke nur durch einen Hammer-
biag zum Klingen gebracht werden, und ein plötzlicher Tod nar
blge eines Schusses durchs Herz eintreten kann.
Sigwart hat es unternommen, an der Hand von Beispielen
zeigen, unter welchen Bedingungen ein Schluss von der Wirkung
^ die Ursache möglich sei. Es stellt sich dabei heraus, dass
solcher um so wahrscheinlicher wird, je grösser der Umfang
t* Erfahrung ist und je mehr sich die Wirkung spezialisiert,
mer aber handelt es sich dabei um einen grösseren oder ge-
^eren Grad von Wahrscheinlichkeit, niemals ist uns die Geltung
)8 umgekehrten Satzes mit absoluter Sicherheit gewährleistet,
a alles Geschehen ein vollkommen konkret bestimmtes ist, so
ithält die Ursache eine Anzahl gleichgiltiger Bestimmungen, die
^b in dem Erfolge in keiner Weise ankündigen. Wir sind also
sht im Stande, sie in ihrer ganzen Bestimmtheit aus dem Er-
ige zu rekonstruieren. Unter Umständen lässt sich nun aber
ßh auf Grund des vorgefundenen Tatbestandes die Überzeugung
winnen, dass ein bestimmter Erfolg nur von einer Art von
dingungen herrühren konnte. Dieses ist zunächst dann der
U, wenn unsere Erfahrung einen sehr grossen Umfang besitzt.
9iin wir eine Beihe von Spezialgesetzen zusammenfassen, so
onen wir um so sicherer sein, ein umkehrbares Gesetz aufge-
illt zu haben, je umfassender das Gebiet ist, dem wir dieselben
Uiehmen. Dass es sich dabei aber nie um vollkommene Ge-
ssheit, sondern immer nur um Wahischeinlichkeit handeln kann,
zh wenn unsere Kenntnis von der Wirkungsweise der tatsäcb-
b vorhandenen Bedingungen noch so umfassend ist, lässt sich
394 N. V. Bubnoff,
an einem Beispiel leicht einleachtend machen: wir beobachteo,
dass überall, wo Organismen entstehen, dies auf dem Wege der
Fortpflanzung geschieht. Auch die scheinbaren Ausnahmen haben
sich für eine genaue Beobachtung eben als scheinbar erwiesen,
indem auch dort Keime entdeckt worden sind, wo solche froher
der Beobachtung entgangen waren. Der ungeheure ümftmg un-
serer Erfahrung in dieser Richtung scheint uns zu der Annahme
zu berechtigen, dass Organismen nur auf diesem Wege entsteh»
können. Und doch ist die Gewissheit, welche diesem Besnltate
zuerkannt werden darf, eine bloss relatiye. Der Umstand, dnss
bisher nirgends eine Entstehung von Organismen ohne frühere
Organismen beobachtet worden ist, berechtigt noch lange nicht a
der Behauptung, dass eine Urzeugung überhaupt unmöglich sei
Dieser negative Satz kann durch eine noch so umfassende Et-
fahrung nicht begründet werden.
Aber es lassen sich Bedingungen aufzeigen, unter denen der
Bückschluss von der Wirkung auf die Ursache mit noch grösserer
Sicherheit vollzogen werden kann, als wenn er sich lediglich iif
die Übersicht eines grossen Gebietes gründet. Wenn uns FRh
dukte entgegentreten von einem ganz bestimmten spezifischei
Charakter, der einer grossen Zahl ähnlicher Produkte einer ganzen
Klasse gemeinsam ist, dann werden wir wohl mit grösster Wata^
scheinlichkeit diese Produkte auf ähnliche Bedingungen zmà'
führen können. Dergleichen eigenartige Gebilde, als da siai
Vogelnester, Korallen u. s. w., weisen ganz deutlich auf Dra
Ursprung hin, und wollten wir annehmen, dass sie anderswoher
kommen, als von den Tieren, denen sie gewöhnlich zugeschrieba
werden, so müssten wir vollkommen unbekannte Ursachen ib*
nehmen, was der schon von Newton mit Becht angestellten Begd
zuwider wäre, dass man bei einer Erklärung nur auf soldie U^
Sachen rekurrieren solle, deren tatsächliches VorkommeD be-
kannt sei.
Auch dann kann die Umkehrung eines auf induktivem Wep
gewonnenen Resultates mit der höchsten Wahrscheinlichkeit toB-
zogen werden, wenn der Erfolg eine spezifische Eombinatitt
vieler von einander unabhängiger Merkmale bildet Wenn 0
nämlich aus der Erfahrung eine Ursache bekannt ist» durch wdeh
gerade diese bestimmte Kombination notwendig r». Stande kotft^
so ist ja von vorneherein im höchsten Qrade nwahrscheiDlkk
dass genau die gleiche Kombination auch von ler andtf^ ^
Das Wesen und die VoraassetEongen der Indoktion. 395
sache herriihreD könne. So lehrt uns die Erfahrung bei der
Spektralanalyse, dass von den uns bekannten irdischen Stoffen
jeder ein ihm eigentümliches Spektrum zeigt Nun sind wir, wie
wohl angenommen werden kann, im Besitz einer annähernd er-
schöpfenden Kenntnis der irdischen Stoffe. Diese berechtigt uns
zu dem Schluss, dass, wo ein bekanntes Spektrum auftritt, auch
der ihm eindeutig zugeordnete Stoff vorhanden sein muss. An
sich wäre es nun freilich gar nicht ausgeschlossen, dass sich in
der Welt zwei Stoffe befänden, die gleiche Spektra zeigten; aber
da die Anzahl der Kombinationen einzelner Ldnien im Spektrum
unabsehbar gross ist, so ist es in hohem Masse unwahrscheinlich,
dass Spektra, die von verschiedenen Stoffen herrühren, vollständig
zusammenfallen sollten. Dennoch kann auch in diesem Fall der
Schluss keine absolute Gewissheit beanspruchen. Nur dann, wenn
die Zusammenhänge so kompliziert werden, dass eine Wiederholung
der gleichen Fälle ausgeschlossen ist, wenn das Geschehen ein
streng individuelles Gepräge erhält, wie dies in der Geschichte
der Fall ist, können Ursache und Wirkung einander eindeutig zu-
geordnet werden.
Es ist also ganz klar, dass wir — mit Ausnahme des letz-
teren Grenzfalles — keine Garantie für die vollkommene Sicherheit
der Umkehrung eines Naturgesetzes ausfindig machen können.
Nur solche Naturgesetze, die elementare Kausalverhältnisse zum
Ausdruck bringen, würden ohne weiteres eine Umkehrung gestatten,
weil eben in ihnen die gegenseitige Zuordnung von Ursache und
Wirkung eindeutig wäre.
Es liegt nun nahe, hier an den Begriff der Kausalgleichung
zu denken und zu meinen, dass die Umkehrung eines Kausal-
gesetzes nur dann möglich sei, wenn dieses sich in die Form
einer quantitativen Gleichung bringen lasse.
Ohne nun hier eine Lösung des viel umstrittenen Kausal-
problems anzustreben, müssen wir doch in diesem Zusammenhang
anf den Begriff der Kausalgleichung näher eingehen und greifen
za diesem Zweck etwas weiter aus.
Es ist ein entscheidender Fortschritt in der Entwickelung
des Kausalproblems gewesen, als man zur Einsicht gelangte, dass
das logisch-analytische Verhältnis des Grundes zur Folge von dem
real-synthetischen der Ursache zur Wirkung scharf gesondert
werden müsse. Bekanntlich war es ein Dogma des Rationalismus,
dass sich alle realen Beziehungen restlos in logische müssten auf-
380 N. V. Bubnoff,
dieser Erkenntnis ist, die zu erkennende Wirklichkeit so anr 'ter
allgemeine Begriffe zu bringen, dass diese sich dnrch die VerliSBIt-
nisse der Unter- und Überordnung zu einem einheitlichen Syst-^^m
zusammenscbliessen, und man wird dabei, wo es angeht, da — ^h
solchen Begriffen streben, deren Inhalt unbedingt allgemein ^^%
die zu untersuchenden Objekte gilt. Wo diese Erkenntnis fjB*rû-
lungen ist, da bat man das erfasst, was man die Gesetze d. ^«er
Wirklichkeit nennt''. ^) Von diesem Gesichtspunkt aus betracht^-«et
sind die Naturgesetze weiter nichts als Werkzeuge, deren si«
unser endlicher Verstand bedient, um der Wirklichkeit Herr
werden; sie werden auf teleologischem Wege postuliert, indem gE"e-
zeigt wird, dass die Naturwissenschaft nur mit ihrer Hilfe ^Ue
ihr eigentümliche Aufgabe zu lösen vermag.
Wir fragen nun aber, unter welchen Bedingungen allgemeS^Ji-
giltige Aussagen über die Wirklichkeit gemacht werden kOnner::ai;
oder bestimmter, wie beschaffen die Wirklichkeit gedacht werd«^n
muss, um die Bildung von Gesetzesbegriffen zu ermöglichen.
Die Theorie Rickerts sagt uns, dass, wenn es so etwas iH^e
naturwissenschaftliches Erkennen überhaupt geben soll, dann am-^^
gewisse Urteile von unbedingter Geltung, welche über die Widert-
lichkeit etwas aussagen, vorhanden sein müssen: „Wir nehn»-
an, dass whr nicht nur empirisch allgememe, sondern auch onl
dingt allgemeine Urteile zu bilden im Stande sind, d. h. ürte^^®«
die für alle Vorgänge und Dinge gelten, wo und wann ai^ ^
immer sie sich finden mögen.^*)
unter welchen Bedingungen sind wir nun aber zu die
Annahme berechtigt?
Bei der Auffassung, welche Rickert von dem Verhiltnis
Denken und Wiridichkeit hat, scheint ja diese Annahme
ausgeschlossen zu sein, ürgiert man nftmlich den Satz von
totalen Irrationalit&t der Wirklichkeit, so ist gar nicht mehr
zusehen, wie es die Naturgesetze anfangen sollen von der Wi^^'
lichkeit zu gelten. Wohl ist es richtig, dass „vor jeder
achtung die Möglichkeit ausser Zweifel stehen muss, auf Gr
des Erfahrenen etwas über Unerfahrenes zu wissen, wenn ä-
Suchen nach Naturgesetzen einen Sinn haben soU^ and dass,
lange überhaupt Naturwissenschaft getrieben werden soll,
i> Riekert, Qeschichtiphüotcqiihie. FetlMhrift fOr Kqbo
Bd. n, 8. 64.
S) Orensen d. n. B., S. 6^
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 397
S entschiedenste bestritten worden von all den Theorien, welche
Kausalität auf Identität zurückführen wollen. Die Entdeckung
Wärmeäquivalents durch R. Mayer und die dadurch veran-
ste Aufstellung des Energiegesetzes hat den Begriff der Kausal-
ichung aufgebracht. Es wurde behauptet, dass nur eine quan-
ktive Gleichung ein sicheres Kriterium für das Vorhandensein
er kausalen Beziehung sei; dass lediglich durch den „roten
den^ quantitativer Übereinstimmung Veränderungen aneinander
[ettet, Kausalzusammenhänge festgestellt werden.
„Die Grössenäquivalenz ist damit das entscheidende Kriterium
es Kausalverhältnisses und setzt daher unseren Untersuchungen
^h dem Zusammenhang der Veränderungen ihr eigentliches Ziel.
B wir von der Vermutung eines Kausalverhältnisses auf die
;wendigkeit einer quantitativen Gleichung der betreffenden
eder desselben schliessen, so können wir umgekehrt von dem
ttfinden jener quantitativen Übereinstimmung auf das Vor-
idensein eines Kausalzusammenhanges schliessen. Alle Kausal-
ammenhänge sind darum Grössen-Gleichheits-Kombinationen von
:iUiderungen ; alle solche quantitativen Beziehungen der letz-
en deuten auf Kausalverhältnisse der Erscheinungen hin.^^)
Der alte Rationalismus erscheint in dieser Theorie wieder in
lemem Gewand. Sieht doch Riel in der Kausalität geradezu
B „Anwendung des Identität^prinzips auf die Zeit"" und defi-
rt die Ursache als „die Summe oder den Teil der gleichviel ob
oittelbaren oder mittelbaren positiven oder negativen Ânte-
«Qtien, aus denen auf begreifliche (log. giltige) Weise auf die-
ige Summe oder denjenigen Teil der in der Zeit folgenden
stände geschlossen werden kann, die wir zufolge dieses
Busses in Bezug auf die Ântecedentien Wirkung nennen. ^^
E die Scblussoperation, durch welche das Folgende aus dem
rhergehenden entwickelt wird, kommt es also danach an: diese
istituiert die kausale Beziehung. „Der Nachdruck der Kausa-
U liegt in der Möglichkeit, die Vorgänge, welche zeitlich gö-
nnt sind, durch einen Schluss zu verbinden.*'^
^) Hickson, Der Kausalbegriff in der neueren Philosophie und in den
tanKdssenschaften. Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. XXV. Jahrg. S. 448.
*) Riehl, Kausalität und Identität Vierte^ahrsschr. f. wias. Philos.
Fahrg., 8. 872 ff.
») Ibid. S. 378.
398 N. V. Bubnoff,
Hume, „welcher bis zam Überdross die Bebaaptang wiederholt,
dass die Wirkung etwas von ihrer Ursache gänzlich Verschiedenes
sei" (Hickson), wird zurechtgewiesen, und ihm wird vorgeworfen,
dass er die logischen und mathematischen Bestimmungen des
Eausalverhältnisses ganz und gar verkenne. Demgemftss wird dib
auch überall dort, wo die Erscheinungen keine mathematische Be-
handlung zulassen, ein quantitatives Verhältnis zwischen denselben
nicht ermittelt werden kann, eine kausale Beziehung einfach ge-
leugnet. Vor allem wird eine Wechselwirkung zwischen physischen
und psychischen Vorgängen für unmöglich erklärt, weil sich
letztere eben nicht quantifizieren lassen. Alle Versuche, die psy-
chischen Phänomene einer zahlenmässigen Behandlung zugänglich
zu machen, sind bisher fehlgeschlagen. Sogar bei dem einfachen
Verhältnis zwischen Reiz und Empfindung ist dies nicht gelungen.
Infolgedessen stellte man die Möglichkeit einer pgychophysischen
Kausalität überhaupt in Abrede und versuchte es, die scheinbare
zwischen physischen und psychischen Vorgängen durch die Theorie
des psychophysischen Parallelismus zu erklären. Nun hat aber
Rickert unwiderleglich nachgewiesen, dass die Theorie des psycho-
physischen Parallelismus, falls sie nicht etwa bloss als Arbeits-
hypothese, sondern als Ersatz für die psychophysische Eausalitit
in Betracht kommt, entweder vollkommen undurchführbar A
wenn man nämlich an den Voraussetzungen festhalten will, welche
die Aufstellung derselben veranlasst haben, oder, da mit ihrer
Durchführung diese Voraussetzungen notwendig wegfallen, fibe^
flüssig wird. Es ist also wenigstens auf diesem Gebiet dar Be-
griff einer Eausalungleichung gar nicht zu vermeiden, da Qlààr
heit offenbar nur im Sinne einer partiellen Identität der
gleichzusetzenden Glieder oder ihrer Zurückführbarkeit anf eâ
gemeinsames Mass verstanden werden kann, und weder das eme,
noch das andere für die Eausalbeziehungen psychophysischer oder
rein psychischer Art zutrifft. „Überall, wo Ursache und Wirina;
weder als inhaltlich identisch, noch als rein quantitativ besthuB-
bare Grössen dargestellt werden können, hat es auch kebei
Sinn, von einer Gleichheit der Ursache mit dem Effekt fl
sprechen.**^)
Man kann aber noch einen Schritt weiter tun und dea
Begriff der Eausalgleichung überhaupt in Frage stellen. Es ist
*) Rickert, Psychophys. Kausalität und psydiophys. PwiDd»
mua, S. 83.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 399
natürlich zuzugeben, dass gewisse Vorgänge (die mechanischen)
eine grössere Einfachheit und Durchsichtigkeit besitzen, vermöge
derer sie uns im höchsten Grade begreiflich erscheinen. Wie
diese „ Begreif lichkeit*" mit der wachsenden Kompliziertheit der
Erscheinungen abnehme und die Eausalverhältnisse sich dement-
sprechend in immer tieferes Dunkel zu hüllen scheinen, hat
Schopenhauer in sehr hübscher Weise ausgeführt, i) Man darf
sich aber durch das Wort „Begreiflichkeit'' nicht irreleiten lassen.
Anch bei den für uns so durchsichtigen mechanischen Vorgängen
ist die „Begreiflichkeit'' keine logisch-analjrtische, sondern hängt
lediglich von ihrer anschaulichen Einfachheit ab. „Überall, wo es
nns nach dem Beispiel Galileis gelingt, die stets zusammengesetzten
Vorgänge in der Natur hinlänglich weit zu zerlegen, treffen wir
schliesslich auf Verhältnisse so einfacher Art, dass sie unserem
Denken, nachdem sie einmal entdeckt sind, eben vermöge dieser
£2infachheit als notwendig erscheinen."') Es wäre a priori gar
nicht vorauszusagen, was aas dem Zusammenstoss zweier Billard-
kugeln erfolgen wird, falls man darüber nicht schon darch frühere
Erfahrungen belehrt wäre. Die Übertragung der Bewegung auf
die ruhende Kugel lässt sich aus der Ursache (dem Zusammen-
stoss) keineswegs deduzieren; und in dieser Übertragung besteht
eben doch der eigentlich kausale Vorgang. Insofern ist es nicht
richtig, „dass die Möglichkeit einer mathematischen Behandlung
der Bewegungsvorgänge uns gestattet, die Wirkung mit Sicherheit
aus ihren Ursachen oder Bedingungen zu deduzieren und wiederum
aus der ersteren die letztere zu gewinnen."') Können wir doch
keinen begreiflichen Grund defür angeben, dass z. B. Reibung
das eine Mal Wärme, das andere Mal aber Elektrizität erzeugt.
Wir können nur sagen, dass, wenn das eine oder das andere ein-
tritt, es immer in bestimmten quantitativen Verhältnissen ge-
schieht, welche auf experimentellem Wege festgestellt worden sind.
Dass die quantitative Bestimmung der Vorgänge eine em-
pfindliche Probe giebt für die Richtigkeit des Gesetzes, unter
welches sie fallen, ist unbestreitbar. Es genügt nicht, im Allge-
meinen den Satz aufzustellen, dass etwa Chinin das Fieber herab-
1) Werke (Griesebach), Bd. m, S. 28ö ff.
^ Riehl, Ober d. Begr. d. Wissenschaft bei Galilei. Vierteljahnschr.
f. w. Ph., Bd. 17.
^ Hickson, Der Kausalbegriff in der n. Philos. VierteijjabrBschr. f.
wiM. Philos., XXIV. Jahrg., S. 478.
400 N. V. Bubnoff,
setzt und Arsenik tötet, sondern es kommt eben auf die Dosis
an.^) Mit anderen Worten: wenn wir es mit messbaren Vor-
gängen zu tun haben, so muss die Wirkung, sofern sie messbar
ist, eine mathematische Funktion der Ursache sein, und diese
mathematische Relation muss in dem betreffenden Kausalgesetz
zum Ausdruck gelangen. Aber damit ist noch gar nicht gesagt,
dass „alle Kausalgesetze die Form von quantitativen Gleichnoges
annehmen müssen." Vielmehr hängt das lediglich dayon ab, ob
diejenigen Vorgänge, von denen das Kausalgesetz gelten soll,
messbar sind. Es ist also sozusagen die Möglichkeit einer mathe-
matischen Formulierung dem Kausalgesetz als solchem zaffillig,
und es ist infolge dessen eine zu enge Begriffebestimmung, weno
man die Naturgesetze definiert als die in Quantitätsbestimmong»
ausdrückbaren, zwischen den veränderlichen Erscheinungen der
Natur unveränderlich geltenden Beziehungen.^) Oiebt es doch
Gesetzeswissenschaften, deren Material sich einer Quantifikatioo
vollständig entzieht wie die Psychologie. Vielmehi- liesse sidi
behaupten, dass die sog. Kausalgleichungen, insofern sie Oleichnng«
sind, die spezifisch kausalen Beziehungen zwischen den Vorgängen
gar nicht zum Ausdruck bringen und, insofern sie letzteres too,
eben keine Gleichungen sind.
Wenn es also zunächst scheinen könnte, dass die Umkehr-
burkeit eines Naturgesetzes davon abhänge, ob es sich dazu eigne,
die Form einer quantitativen Gleichung anzunehmen, da ja die
Glieder einer solchen ohne weiteres vertauschbar sind, so dürfte
aus den obigen Überlegungen dennoch hervorgehen, dass eine eb-
deutige Zuordnung von Ursache und Wirkung keineswegs von der
Möglichkeit einer Quautifikation derselben abhängig gemadit
werden darf, da diese kein für die Kausalverhältnisse als soldte
wesentliches Moment ist.
Somit erweist sich die Kausalität gerade in der vollen quali-
tativen Wirklichkeit als einheimisch und ist ein Eansalverhältnis
als solches immer eine Kausalungleichung. Nur darf man das
Moment der Gesetzmässigkeit nicht ebenfalls ausscheiden woUeo;
denn trennt man dieses auch los, so bleibt etwas ganz Unanssag-
bares übrig, wofür man sich nur noch auf ein Elrlebnis bemta
kann, und was sich logisch in keiner Weise mehr fixieren Usst
1) Vgl. Sigwart, Logik H, S. 488.
^) Hickson, Der Kausalbegriff in der n. Philos. Vierte^ahisschr. i
wiss. Phüos., XXV. Jahrg., S. 87.
Das Wesen und die VoraussetKungen der Induktion. 401
enn logisch fixieren lässt sich jeder Kausalzusammenhang eben
ir durch das Schema des „überall und immer '^y und deshalb hat
ich „alle Wirksamkeit immer die logische Form und die erkennt-
stheoretische Bedeutung der Gesetzmässigkeit ''•O
Die Ausscheidung des gesetzlichen Faktors aus der Kategorie
)r Kausalität hält Simmel für eine mit Rücksicht auf psycho-
tische Strukturverhältnisse bedeutsame Denkmöglichkeit. Der
Bgriff der „individuellen Kausalität", welcher sich dabei ergiebt,
heint ihm ganz besonders geeignet zu sein zur Lösung des Pro-
ems, wie sich die Kausalität mit dem scheinbar gesetzlosen
echsel unseres Seelenlebens vereinigen lasse. Diese individuelle
ausalität kann auch als Orenzfall der Kausalgesetzlichkeit ge-
icbt werden in der Weise, dass sich in ihr die unbegrenzte
iltigkeit des naturgesetzlichen Kausalinhalts zu einer einmaligen
irkung zusammengezogen hat. Erkennbar wäre sie freilich
cht. Die Erkennbarkeit und wissenschaftliche Verwendbarkeit
T Kausalität ist bedingt durch die Wiederholbarkeit der Kausal-
ihen. Trotzdem könnte individuelle Kausalität in der Wirklich-
st bestehen.
Es ist nun allerdings richtig, dass der Aufstellung von psy-
ologischen Gesetzen sehr grosse Schwierigkeiten im Wege stehen.
fts liegt an der Eigentümlichkeit des vorliegenden Materials,
dlches sich in beständigem Fluss befindet. Das seelische Ge-
hehen bietet sich uns dar als ein „zeitlich wandelbarer Gesamt-
»mplex'', und es fehlt das Hilfsmittel der räumlichen Abgrenzung,
Biches uns bei der Untersuchung des äusseren Geschehens zu
dbote steht. Der unaufhörliche Wandel der psychischen Er-
heinungen und die Veränderlichkeit der Subjekte erschweren die
3rgleichung in hohem Grade. Unter diesen Umständen kann es
cht Wunder nehmen, dass exakte Gesetze bisher nicht gefunden
id. Denn dass die sog. Assoziationsgesetze keine „Gesetze"' in
rengem Sinne sind, ist ohne weiteres klar, weil sie sich als
Iche widersprechen.*) Wohl aber müssen ihnen Gesetze zu
runde liegen, nur dass wir infolge der grossen Kompliziertheit
T Zusammenhänge nicht in der Lage sind, dieselben aufzu-
ßisen. Denn wollte man die gesetzmässigen Zusammenhänge
if psychologischem Gebiete in Abrede stellen, so wäre hier dem
1) Windelband, Präludien, m. Aofl, S. 311.
s) Vgl. Sigwart, Logik n, S. 568.
396 N. V. Bubnoff,
lösen lassen and dass folglich ein Eansalverhältnis nor dort T0^
liege, wo dasselbe logisch vollständig begreiflich sei, ^o &
Wirkung schon in der Ursache enthalten sei und auf rem syllo*
gistischem Wege aus ihr entwickelt werden könne. Durch die
grosse Einfachheit der mechanischen Vorgänge irregeleitet, nahn
man an, dass die Kausalzusammenhänge auf diesem Gebiet gioz-
lich analytischer Natur seien.
Die Irrtümlichkeit dieser Ansicht haben zuerst die Occasio-
nisten eingesehen. Sowohl Oenlincx als auch Malebranebe
haben die logische Begreiflichkeit zunächst der psycho-
physischen, dann aber auch der physischen Kausalität abge-
sprochen.^)
Femer hat Joseph Olanvil darauf hingewiesen, dasswff
ein ursächliches Verhältnis niemals aus unmittelbarer Anschaunog
kennen, sondern dass wir dasselbe immer erst erschliessen, ind«
wir das post hoc in ein propter hoc umdeuten; dass aber dieser
Schlnss Yon einer zeitlichen Folge auf ein kausales Wirken keiiM-
wegs zwingend sei.*)
In entscheidender Weise hat dann Hume den synthetisehai
Charakter des Kausalverhältnisses hervorgehoben; immer wieder
sucht er diese wichtige Einsicht in seinen Schriften einzuscbirfen,
immer wieder betont er, dass Alles die Ursache von Allem seil
könne, und dass wir niemals in der Lage sein würden, eiiMi
Grund dafür ausfindig zu machen, weshalb ein Ding die Umekt
eines anderen sem oder nicht sein könne.") Ja, er giebt diesei
Oedanken sogar eine paradoxe Zuspitzung, indem er behanpteli
„dass der Fall eines Kieselsteines, soviel wir wissen, die Sobh
auslöschen, oder der Wunsch eines Menschen die Planeten in ibv
Bahn beherrschen könne"/)
Der Satz der Humeschen Kausalitätstheorie, der deniii'
gischen Charakter der kausalen Beziehung 1>ehaiiptet9 dürfte ik'
ein dauerndes Ergebnis betrachtet werden. Trotzdem ist deiselki
*) Windelband, Gesch. der n. Phüos. Bd. I. S. 199 fi und 8481
König, Entwicklung des Kausalproblems, Bd. I, S. 61.
«) Greenslet, J. Glanvü, N. Y. 1900, S. 104 ff.
^ Treatise on hum. nat. S. 306. „I have inferred from these pm-
ciples, that to consider the matter a priori, any thing may prodnee ttt!
thing, and that we shaU never discover a reason, why any olgeet BtfJ *
may not be cause of any other, however great however iittte At
resemblance may be betwixt them.**
^) Essay on hum. underst., S. 135.
...
Das Wesen und die Voraussetznngen der Induktion. 397
3 entschiedenste bestritten worden von all den Theorien, welche
Kausalität auf Identität zurückfahren wollen. Die Entdeckung
Wärmeäquivalents durch R. Mayer und die dadurch veran-
te Aufstellung des Energiegesetzes hat den Begriff der Kausal-
chung aufgebracht. Es wurde behauptet, dass nur eine quan-
tive Gleichung ein sicheres Kriterium für das Vorhandensein
»r kausalen Beziehung sei; dass lediglich durch den „roten
len^ quantitativer Übereinstimmung Veränderungen aneinander
ettet, Kausalzusammenhänge festgestellt werden.
„Die Orössenäquivalenz ist damit das entscheidende Kriterium
3s Kausalverhältnisses und setzt daher unseren Untersuchungen
h dem Zusammenhang der Veränderungen ihr eigentliches Ziel.
3 wir von der Vermutung eines Kansalverhältnisses auf die
wendigkeit einer quantitativen Gleichung der betreffenden
9der desselben schliessen, so können wir umgekehrt von dem
ttfinden jener quantitativen Übereinstimmung auf das Vor-
densein eines Kausalzusammenhanges schliessen. Alle Kausal-
stmmenhänge sind darum Grössen-Gleichheits-Kombinationen von
änderungen; alle solche quantitativen Beziehungen der letz-
in deuten auf Kausalverhältnisse der Erscheinungen hin.^^)
Der alte Rationalismus erscheint in dieser Theorie wieder in
lemem Gewand. Sieht doch Riel in der Kausalität geradezu
\ „Anwendung des Identitätsprinzips auf die Zeit"* und defi-
t die Ursache als „die Summe oder den Teil der gleichviel ob
littelbaren oder mittelbaren positiven oder negativen Ânte-
3ntien, aus denen auf begreifliche (log. gilüge) Weise auf die-
ge Summe oder denjenigen Teil der in der Zeit folgenden
stände geschlossen werden kann, die wir zufolge dieses
lasses in Bezug auf die Antecedentien Wirkung nennen. ^^)
die Schlussoperation, durch welche das Folgende aus dem
hergehenden entwickelt wird, kommt es also danach an: diese
stituiert die kausale Beziehung. „Der Nachdruck der Kausa-
b liegt in der Möglichkeit, die Vorgänge, welche zeitlich ge-
int sind, durch einen Schluss zu verbinden.*")
^} Hickson, Der Kaosalbegriff in der neueren Philosophie und in den
irwissenschaften. Vierteljahrsschr. f. wiss. Pliilos. XXV. Jahrg. S. 448.
*) Riehl, Kausalit&t und Identität. Vierte^jahrsschr. f. wiss. Phüos.
ahrg., S. 872 iL
») Ibid. S. 878.
402 N. V. Bubnoff,
induktiven Verfahren seine Orundvoranssetzung entzogen; auch
müssten wir dann auf Psychologie als Wissenschaft Verzicht
leisten. Da nun aber die Darlegung Simmeis bloss eine Denk-
möglichkeit entwickelt, welcher eine andere mindestens gleidh
berechtigte gegenübersteht, so dürfen wir wohl diejenige bevor-
zugen, welche sich vom Gesichtspunkt der Methodenlehre ab
zweckmässiger erweist.
In anderer Weise sucht Bickert den Qedanken einer iDdi-
viduellen Kausalität einzuführen. Die Motive, welche ihn daza
veranlassen, sind schon erwähnt worden. Der Umstand, dass
nach seiner Auffassung die Wirklichkeit als individuell gedacht
werden muss in dem Sinne, dass jeder Wirklichkeitsinhalt vob
jedem anderen verschieden ist, dass also die Formen, durch welche
diese Wirklichkeit konstituiert ist, die eigentlichen Weltkategorien,
keine „begrifflichen" Formen, sondern „blosse'' Formen sind,
welche nur auf individuelle Inhalte bezogen werden könneo,
bringt es mit sich, dass auch die Kausalität, falls sie zu den
Wirklichkeitsformen gerechnet werden soll, individuell sein, das
mithin jede kausale Beziehung sich von jeder anderen als yer
schieden erweisen muss. Der Gedanke einer individuellen Kausa-
lität ruht hier also in letzter Instanz auf der Überzeugung yon
der absoluten Individualität der Wirklichkeit; und diese fällt zu-
sammen mit ihrer totalen Irrationalität, da das absolut Individuelle
als solches vom Begriff nicht bezwungen werden, in keinen Be-
griff eingehen kann. Nun kann man aber fragen, worauf sich die
Überzeugung von der absoluten Irrationalität der Wirklichkeit
eigentlich gründe. Offenbar auf die unmittelbare Erfahrung, das
es uns nicht möglich ist, auch das einfachste in der Ânsdianoag
uns gegebene Ding in erschöpfender Weise zu beschreiben. Doitk
diese fundamentale Tatsache scheint nun aber doch der Schlutf
auf die totale Irrationalität der Wirklichkeit nicht in genugmder
Weise begründet. Denn man kann diese Tatsache voll nnd gan
zugeben und sich trotzdem das Wirklichkeitsmaterial in ganz an-
derer Weise denken, etwa ans einer endlichen Anzahl von Ele-
mentarfaktoren bestehend, welche miteinander — unter Voraii-
Setzung der Unendlichkeit von Baum und Zeit — eine nnendlicbe
Anzahl von Kombinationen bilden können.^) Der endliche Ver
^) Vgl. Bickert, Grenzen der naturw. Begriffab., S. 33. „Auch weai
man geneigt sein sollte, das Quantum von Materie, aus dem die Wdft be-
steht, endlich zu denken, so daaa in dieser Hinaicht nur von voriaiifigir
Das Wesen und die Voranssetzangen der Induktion. 40â
Stand wäre dann eben nicht fâMg, bis zu diesen elementaren
Wirklichkeitsfaktoren vorzudringen, es wäre hier eine Qrenze
seiDer Erkenntnisfähigkeit zu konstatieren, und die Individualität
1er von uns unmittelbar aufgefassten Wirklichkeit wäre dabei
irollkommen gewahrt, da ja keine der Kombinationen der Wirk-
ichkeitselemente sich zu wiederholen braucht. Es soll hier noch
;^ar nicht festgestellt werden, wie die Wirklichkeit in der Tat zu
lenken sei. Nur das soll gezeigt sein, dass die Tatsache der un-
ibersebbaren Mannigfaltigkeit, welche Bickert seiner Methoden-
iehre zu Grunde legt, noch nicht zu den erkenntnistheoretischen
Eonsequenzen zu berechtigen scheint, die er in Bezug auf den
Wirklichkeitsbegriff zu ziehen sucht. Die von uns unmittelbar
srfabrbare Wirklichkeit ist immer schon eine „aufgefasste^. Wie
man sich eine „unaufgefasste'' Wirklichkeit zu denken habe, da-
rüber lässt sich schliesslich nur auf teleologischem Wege eine
Entscheidung treffen, und da scheint es nun bedenklich, den kon-
ititativen Charakter der Gesetzmässigkeit in Abrede zu stellen,
iveil dies eine für die induktive Methode unentbehrliche Voraus-
getzong ist.
IV.
Die Induktion in der Geschichte.
Dieser letzte Abschnitt erhebt keineswegs den Anspruch auf
eine auch nur annähernd erschöpfende Behandlung der induktiven
Methode auf dem historischen Gebiet, sondern, wie schon in den
einleitenden Worten hervorgehoben wurde, soll darin lediglich ge-
eeigt werden, dass auch für die Geschichte die Grundvoraussetzung
der Induktion durchaus bestehen bleibe. Nur unter der Voraus-
setzung, dass gesetzmässige Zusammenhänge den festen Bestand
der Wirklichkeit ausmachen, ist auch auf diesem Gebiete das in-
duktive Verfahren möglich. Wohl kommen für die Geschichte
als solche nur die Einzelgestaltungen der Wirklichkeit in Betracht,
aber diese bewegen sich eben durchaus in den Grenzen des
festen Rahmens der Gesetzlichkeit und können nicht aus demselben
herausfallen.
Unabersehbarkeit und nicht von Unendlichkeit die Rede sein könnte, so
nötigt uns doch auch ein endliches Quantum von Materie in einem onend-
liehen Raum und in einer unendlichen Zeit, eine unendliche Anzahl von
Kombinationen und damit eine unendliche Ansahl von verschiedenen an-
schaulichen Einzelgestaltnngen als wirklich
404 N. V. Bubnoff,
„. . . den festen Rahmen unseres Weltbildes giebt jene all-
gemeine Gesetzmässigkeit der Dinge ab, welche, über allen
Wechsel erhaben, die ewig gleiche Wesenheit des Wirklichen zna
Ausdruck bringt : und innerhalb dieses Rahmens entfaltet sich der
lebendige Zusammenhang aller für das Menschenleben wertvoDoi
Einzelgestaltungen ihrer Gattungserinnerung. "^) Diese Einzel-
gestaltungen sind als Fälle des Gesetzes, unter das sie gehörai,
notwendig bedingt ; insofern sie aber einzelne Fälle sind, sind sie
in Rücksicht auf jenes Gesetz zufällig; denn das Gesetz bestimmt
eben nicht die spezifischen Eigentümlichkeiten jedes einzeloea
Falles.^} Dennoch bilden die naturwissenschaftlich grundlegeodeo
Zusammenhänge der Erscheinungswelt die Basis für die mdiTt-
duelle Differenzierung der Einzelfälle, und insofern sind die Vor-
aussetzungen der Naturwissenschaft zugleich auch VoraussetzoDgea
der Geschichte.
Das tut nun aber der Eigentümlichkeit der historischen Me-
thode durchaus keinen Abbruch. Das ganze Gewicht ist eben aoi
die Richtung der Verarbeitung des vorwissenschaftlichen Hateriak
und auf die derselben zu Grunde liegenden Prinzipien zu legen.
Den Historiker interessieren, den Aufgaben und Zielen seiner
Wissenschaft entsprechend, nicht die das Erfahrungsmaterial koi-
stituierenden dauernden gesetzlichen Synthesen, nicht diese gitt
es für ihn herauszuarbeiten, sondern es ist ihm um die Einzelfilk
zu tun, deren individuelle Eigenart ans dem Gesetz nicht abge-
leitet werden kann. Demgemäss kann auch die Aufgabe der In-
duktion auf historischem Gebiet nicht in der Feststellung allg^
meiner Sätze auf Grund einzelner Tatsachen bestehen, senden
lediglich in der Ermittelung der Ursachen, durch deren Wirfcsas-
keit ein historisches Ereignis zu Stande gekommen ist Darin
besteht die kausale Methode der Geschichte, welche uns eioa
Einblick in die Notwendigkeit einmaliger Entwickelangsreiheo ge-
währen soll.
Nun stehen aber dem Historiker die Hilfsmittel, welche dff
Naturwissenschaftler für die Erforschung der kausalen Zusammen-
hänge besitzt, nicht zu Gebote. Es ist ihm nicht möglich, za>
Experiment zu greifen und die als Ursache eines Gescbebeos in
Betracht kommenden Faktoren willkürlich zu variieren. Das tat-
sächliche Experiment muss er durch ein gedankliches ersetzen
1) PräL, S. 876.
>) Vgl Windeiband, Die Lehren vom Zufall S. 29.
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 40a
nd za einem Abstraktionsverfahren seine Zuflacht nehmen.
)ieses Abstraktionsverfahren ist darauf gerichtet, „die Bedeutung
Ines einzelnen Moments für einen Erfolg festzustellen^ und dies
heisst nichts anderes, als die Bedingungen in gewisser Hinsicht
ariiert denken und ermitteln, ob derselbe Erfolg sich an die
eränderten Bedingungen geknüpft haben würde oder nicht. ^^)
)îe Wirkung in ihrer konkreten Totalität kommt für die Ge-
cbichte nicht in Betracht, sondern es werden durch eine Wert-
aslese gewisse Bestandteile derselben herausgehoben und zu einer
historischen'' Wirkung zusammengeschlossen; alsdann werden in
em zeitlich vorhergehenden Erfahrungskomplex gewisse Faktoren
bgeändert gedacht, um zu ermitteln, ob der Erfolg dadurch in
einen wesentlichen Bestandteilen modifiziert werde, und die ent-
prechenden Faktoren sich dementsprechend als kausal wichtig er-
reisen.^ Worauf wir nun unser Augenmerk richten wollen, ist
[er Umstand, dass dieses Verfahren nur unter Hinzuziehung des
.gesamten Schatzes unseres nomologischen Wissens"* statthaben
:ann. Denn wir müssen die kausale Wirksamkeit der einzelnen
■"aktoren des als Ursache geltenden Komplexes kennen, um fest-
tellen zu können, welche davon für die historische Wirkung
lausal wichtig sind und also zu dem Begriff einer historischen
Jrsache zusammengeschlossen werden können. Das nomologische
Vissen, welches bei der gegenseitigen Zuordnung von historischen
Jrsachen und Wirkungen in Betracht kommt, bezieht sich aller-
lisgs in der Regel nicht etwa auf exakte Naturgesetze, sondern
kof Regelmässigkeiten in laxerem Sinn, wie sie uns in der alltäg-
lehen Erfahrung entgegentreten. Diese Regelmässigkeiten müssen
kber in letzter Instanz in den eigentlichen Naturgesetzen begründet
ind im Prinzip auf solche reduzierbar sein, wenn auch eine solche
Deduktion sich für die Zwecke der Geschichte als überflüssig,
a möglicher Weise für unseren endlichen Verstand als unvoU-
dehbar erweisen sollte. Jedenfalls zeigen sich also gewisse regel-
nässige Zusammenhänge als für die Geschichte unentbehrliche
i^oraussetzungen, wenn es auch bloss solche sind, die einer
»höheren Schicht'' angehören, an der „Oberfläche des Geschehens''
lervortreten. Da nun aber solche Regelmässigkeiten nicht anders
1) J. von Kries, Über die Begr. der objekt. Möglichkeit und einige
Anwendungen derselben. Leipzig 1888.
>) Vgl. Max Weber, Krit. Studien auf dem Gebiet der koltnrw.
[x^gik. Arch. f. Sozialwiss. und Sozialpolitik. Bd. XXIT, S. 192 ff.
KaatstodUu Xlll. ^
406 N. V. Bubnoff,
anfgefasst werden können denn als Ergebnisse, welche durch das
Zasammenwirken der zwischen den Wirklichkeitselementen herr-
schenden ursprünglichen Gesetzlichkeiten zu Stande kommen,
so bilden eben auch diese letzteren eine Grundlage für die Ge-
schichte.
Was nun die Ermittelung der Ursachen, also die kausale
Erklärung betrifft, so besteht dabei zwischen dem ganzen wissen-
schaftlichen Betrieb der Naturwissenschaft einerseits und der Ge-
schichte andererseits ein durchgreifender Unterschied. Fassen wir
die Richtung ins Auge, in welcher sich die kausale ErklSnmg
innerhalb der Naturwissenschaft bewegt, so ist es ganz zweifellos,
dass hier die Ursache in dem einer Veränderung unmittelbar
Vorhergehenden gesucht wird, und dass der kausale Zusammen-
hang für um so besser erkannt gilt, je weiter man in seiner
Zergliederung vorgedrungen ist. Die Proximität, die zeitliebe
und räumliche Kontiguität, darf als ein wesentliches Merkmal der
naturwissenschaftlichen Ursache gelten. Diese Richtung der
naturwissenschaftlichen Kausalerklärung, welche auf die Ein-
schaltung immer neuer kausaler Mittelglieder zwischen die or
sprünglich als in unmittelbarem Kausalzusammenhang stehend an-
genommenen Vorgänge bedacht ist, hat schon Th. Brown erkannt
und ausführlich beschrieben. Er bringt dieselbe in Zusammen-
hang mit der Unvollkommenheit unserer Sinne, indem er daraif
hinweist, dass wir ausser Stande seien, in einem Vorgang, weldier
uns einfach vorkommt, die ganze progressive Reihe der aufein-
ander folgenden Glieder zu unterscheiden, und immer gewirtv
sein müssten, neue Zwischenglieder zu entdecken, wodurch dam
zugleich die landläufige irrtümliche Annahme eines lateotei
„Bandes"" zwischen Ursache und Wirkung, welches bei dem Yet-
such, auch die elementaren Kausalverhältnisse begreiflieb n
machen, schliesslich zum Vorschein kommen müsse, psychologiscl
erklärlich sei.^)
Während nun die naturwissenschaftliche kausale ErkUnn;
sich in der soeben angegebenen Richtung bewegt, hat der Histo-
riker im Gegensatz hierzu gar kein Interesse daran, durdi die
Zergliederung des ihm vorliegenden Materials bis zu diesmi de*
mentaren Bestandteilen und den gesetzlichen Beziehungen zwischen
denselben vorzudringen. Er treibt die Analyse nur so weit, ak
1) Th« Brown, Inquiry into the relation of cause and effect 8.Mtt>
Das Wesen und die Voraussetzungen der Induktion. 40?
es für seine Zwecke, welche ihm von den leitenden Oesichts-
inkten seiner Wissenschaft vorgezeichnet sind, erforderlich ist.
le Kategorie der Kausalität hat in der Geschichte eine andere
3dentung und findet hier demgemäss auch eine andere Ver-
endung als in der Naturwissenschaft. Während der Natur-
issenschaftler bestrebt ist, die einem Vorgang unmittelbar vor-
ergehenden Ursachen aufzudecken, kommt es dagegen dem Histo-
^er in der Regel auf weiter zurückliegende Ursachen an; diese
id für ihn wesentlich, weil sie die Erklärung leisten, welche er
(Strebt, wogegen die räumliche und zeitliche Kontiguität der ele-
entaren Ursachen für ihn eben nur eine selbstverständliche
^raussetzung ist und nicht das Ziel, auf das er lossteuert. Er
ird sich also nie einfallen lassen, einen historischen Kausal-
isammenhang für das Erkennen dadurch durchsichtig zu machen,
.SS er versucht, denselben in seine elementaren kausalgesetz-
ihen Beziehungen aufzulösen und ihn auf diese Weise in die
estnischen gesetzlichen Zusammenhänge einzuordnen. Dies wäre
den meisten Fällen überhaupt ein recht missliches Unter-
ihmen; und dann wäre ja damit auch, vorausgesetzt, es gelänge,
r die Zwecke der historischen Erklärung gar nichts geleistet,
elmehr wird der Historiker, einem neuen Bedürfnis des Er-
nnens gemäss, die Wirklichkeit in einer gewissen Distanz er-
icken wollen, welche er von sich aus seinen Zwecken entsprechend
isteilt. 1) Es kann also eine causa remota, die in naturwissen-
haftlichem Zusammenhang nur in weiterem Sinne als Ursache
It, in einem geschichtlichen Zusammenhang die eigentliche
rsache sein, auf welche es ankommt. Auch vernichtet die Zer-
iederung des Geschehens in die im naturwissenschaftlichen
nne primären, elementaren Kausalverhältnisse den spezifisch
storischen Kausalzusammenhang, weil dadurch die historischen
)jekte, die ja naturwissenschaftlich keine Einheiten ausmachen
>d erst durch eine axiologische Synthese zu Stande kommen,
rstört werden. Den Unterschied beider Erklärungsarten hat
mmel in einleuchtender Weise an dem Beispiel einer Erklärung
r Marathonschlacht illustriert Gesetzt nämlich, wir wären im
ande, das Verhalten jedes einzelnen Griechen in dieser Schlacht
i Grund primärer physiologischer und psychologischer Gesetze
irchaus begreiflich zu machen, so wäre damit für eine histo-
^) Simmel, Probleme der Gescbicht^philosophie. III. Aufl., S. 112.
408 N. v. Bubnoff, Das Wesen und die Yoraussetzangen der Induktion.
riscbe ErkläruDg des Vorgangs nicht das Geringste geleistet und
zwar einfach deshalb, weil die historische Fragestellung dadurch
nicht im mindesten berührt wird.^) Ginge man auch in einem
geschichtlichen Znsammenhang auf Zergliederung in einfachste
Elemente aus, so würde man damit eine fiewaßainc elg aXXo yero;
vollziehen und die Antwort erhalten auf eine Frage, die in einen
ganz anderen Zusammenhang gehört. Die besondere Gestaltung
der Kausalverhältnisse in jeder Wissenschaft ist von den Einheiten
abhängig, welche die Bausteine derselben ausmachen. Und diese
Einheiten sind ihrerseits bestimmt durch die Richtung des Er-
kenntnisinteresses, welches in der betreffenden Wissenschaft ob-
waltet und die „Idee^ derselben konstituiert.
Es ist also allemal ein spezifisches Elrkenntnisinteresse,
welches vorschreibt, wie weit innerhalb einer bestimmten Wissen-
schaft in der Zergliederung der Erscheinungen fortgeschritten
werden soll. Daran aber ist festzuhalten, dass die komplizierteren
Zusammenhänge in letzter Instanz auf den elementarsten kausal-
gesetzlichen Beziehungen aufgebaut sind und dieselben immer
schon voraussetzen.
1) Vgl. Simmel, Probleme der Geschichtsphilosophie, S. 90 u. 108.
Zum Begriff der kritischen Ericenntnislelire.
(Mit besonderer Rücksicht aaf
Goswin üphues' „Kant und seine Vorgänger".)^)
Von Richard Hönigswald.
Die positive Leistung der kritischen Philosophie auf theore-
ischem Gebiete liegt in dem Beweise von der Identität der Syn-
hesis in analjrtischen Sätzen und der Verknüpfung von Vorstell-
LDgen im Begriff des Gegenstandes der Erfahrung. Sie liegt
Q. a. W. in der erfahrungsfreien und objektiven, d. h. jeden Re-
ativismus ausschliessenden Bestimmung dieses Begriffes, in der
jünsicht, dass das Sein des Erfahrungsobjektes den allgemeinen
Bedingungen seiner Erkenntnis unterliegen müsse.
Damit ist das Ausmass, in welchem der Relativismus —
>der, wie man ihn a potiori bezeichnen kann, der „Psychologis-
nus"" — als Gegensatz zum kritischen Denken in Betracht
Lommt, eigentlich umschrieben und der Vertreter der kritischen
Erkenntnislehre wenigstens hat keinen Grund der Behauptung
nnes kürzlich erschienenen Werkes zuzustimmen, dass man
»chliesslich nicht mehr wisse, wer Psychologist sei, wer nicht, ja
lass sich die Grenze zwischen den Richtungen und Methoden der
^sychologisten und deren Gegner verwische.*) Im Gegenteil! Je
chärfer der kritische Erkenntnistheoretiker die Besonderheit seiner
Aufgabe erfasst, umso mehr gilt für ihn, gerade im Hinblick auf
ein Verhältnis zur Psychologie, auch heute noch der Eantiscbe
latz: „Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der
1) Qoswin Uphues, Professor der Philosophie in HaUe, Kant und
eine Vorgänger. Was wir von ihnen lernen können. Berlin, C. A.
«hwetschke & Sohn. 1906. Im folgenden wird das Werk abgekürzt
itiert als: K. n. s. V.
*) Dr. Rudolf Eisler, Einführung in die Erkenntnistheorie. Dar-
teilung und Kritik der erkenntnistheoretiflchen Richtungen. Leipzig 1007.
T^erlag von Johann Ambrosius Barth. S. 18.
410 R. Hönigswald,
Wisseuschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen lässt*"
— Wer erkannt hat, dass Psychologie dem Begriffe ihro* Auf-
gabe nach keinerlei Rechtsgrund, also auch den der apriorischen,
aber dennoch gegenständlichen Geltung gewisser Sätze nicht, za
erbringen vermag, der hat zugleich die absolute Selbständigkeit yon
Aufgabe und Methode der kritischen Erkenntniswissenschaft erfasst
und anerkannt. „Das Bedüi^fnis nach Herstellung des begrifflichen
Zusammenhanges der methodisch isolierten Inhalte mit der kon-
kreten, lebendigen Wirklichkeit des Geistes und der Wirksanikeit
geistiger B^unktionen'' ^) mag auch im Erkenntnistheoretiker rege
werden. Die Frage aber ist, ob er dieses Bedürfnis im Rahmen
seiner Wissenschaft zu befriedigen vermag, und darauf giebt es
nur eine Antwort.
Auf dem Boden einer Theorie des Gegenstandes der Er-
fahrung begegnen also Erkenntniswissenschaft und Psychologie
einander nicht. — Wo immer psychologische Gesichtspunkte in
den Fortgang erkenntnistheoretischer Erwägungen eingreifen oder
doch von der Theorie der Erfahrung nicht grundsätzlich fem-
gehalten werden, dort hat sich entweder die Grenze zwischen der
psychologischen und der erkenntnistheoretischen Fragestellung schon
verwischt, oder es hat der Begriff der Erkeuntnislehre überhanpt.
einen von den Gesichtspunkten der Erfahrungstheorie unabhängigen
Inhalt bekommen. — Wie sich ein solcher im besonderen gestalte
mag, ist unter den Gesichtspunkten einer allgemeinen und grond-
sätzlichen Untersuchung gleichgültig. Es ist m. a. W. von prin-
zipiell untergeordneter Bedeutung, ob jener Inhalt sich aus eintf
Verwechselung der logischen Folgerichtigkeit mit objektiver Geltong
herleitet, indem er das Feld der Erkenntnistheorie auf das Grebiet
der ersteren beschränkt,^) oder ob er nur den Begriff des Gegen-
standes von den spezifischen Gesichtspunkten der E^rfahrung zn
emanzipieren sucht, um ihm alles dem Geist bewusst Gegenwärtige
einzuordnen, oder endlich, ob er sich ausschliesslich auf die Ob-
jekte transscendenter Begriffe bezieht. — Jede dieser Mög^ch-
keiten kann immerhin einer „Erkenntnislehre'' zugewiesen werden.
Aber keine von ihnen berührt sich mit den Problemen der kri-
tischen. Denn keine von ihnen dient einer Theorie des O^fen-
standes der Erfahrung. — Der Erkenntniswert der Erfahmng
1) Eisler, a. a. 0., S. 19.
^ Vgl. Cassirer, Kant und die moderne Mathematik. „Kantstadien"
Bd. xn.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 411
wird eben bestimmt durch die logische Valenz der VerknüpfuDg
ihrer Wahmehmnngselemente im Begriff des Gegenstandes und
kritische Erkenntnislehre ist nur die an dem Erfahrungsproblem
orientierte Theorie des Gegenstandes. — Der Erkenntnisbegriff,
der sich in einer von den Gesichtspunkten der Elrfahrung unab-
hängigen Theorie des Gegenstandes ausprägt, ist — er mag sonst
welchen sachlichen Wert immer haben — auf keinen Fall kri-
tisch, d. h. er berührt das Problem vom Grunde der objektiven
Geltung von Wahrnehmungen überhaupt nicht. Er liefert dem-
gemäss für den EIrkenntniswert der Erfahrung auch nur einen
schlechthin heteronomen Massstab, ^) d. i. einen solchen, dessen
Bedingungen die Erfahrung ihrem Begriffe nach niemals genügen
kann. Und nun gestaltet sich die erkenntnistheoretische Situation
in höchst bemerkenswerter Weise: Je mehr jene nichtkritischen
Erkenntnislehren sich ihres Gegensatzes zum Relativismus bewusst
werden, je mehr sie die Norm der absoluten Objektivit&t im
Rahmen ihrer von der Erfahrung unabhängigen Betrachtungsweise
zur Geltung bringen, umso konsequenter sind sie, wenn sie die
E^ahrungstheorie dem Relativismus überliefern, umso mehr fördern
sie also gegen ihre ursprüngliche Absicht, mittelbar, die Ten-
denzen des Psychologismns. Ungeachtet ihres primären Rationalis-
mus, ja infolge dieses letzteren finden sie sich denn auch an
allen entscheidenden Punkten dem theoretischen Kritizismus gegen-
über: der Lehre vom Grunde einer nicht auf Erfahrung beruhenden
Geltung gewisser Sätze für Gegenstände der Erfahrung, der
Lehre vom Begriff und von der objektiven Berechtigung einer
Wissenschaft der Erfahrung.
Es soll nicht behauptet werden, dass das interessante Werk,
dessen theoretische Ausführungen den äusseren Ânlass dieser Be-
>) Dabei kommt natürlich nur die formalistische mid die metaphy-
sische Möglichkeit in Betracht, d. b. die Gleichsetzung objektiver Erkennt-
nis einerseits mit logischer Folgerichtigkeit, andererseits mit transscen-
denten Seinswerten. Denn nur wo es Aufgaben giebt, giebt es Kriterien
and nur wo es von der empirischen Tatsftchlichkeit grundsätelich ab-
weichende Positionen giebt, giebt es Aufgaben. Die „gegenstandstheore-
tiscbe"" Betrachtungsweise nun — sie selbst mag immerhin an solchen
Positionen orientiert sein -— verdeckt in ihrer grundsätzlichen Verallge-
meinerung des Gegenstandsbegriffs den Gegensatz zwischen Tatsachen
and Nonnen. Auch Kriterien sind für sie „Gegenstände*'.
412
R. Ilönig8waldy
trachtungen bilden, von den in ihren Umrissen und Eonsequeuei
eben skizzierten Gesichtspunkten in schematischer Eindeotigkei
beherrscht ist. Wohl aber ist der Einfluss eines und des «oileni
dieser Gesichtspunkte auf die Erkenntnislehre seines Yet&aeB
unverkennbar. — Dadurch aber wird dessen aosdrücklicbe Gegi»
Schaft zum Psychologismus für den kritischen Erkenntnisthe(S^
nur ein neues Motiv für die gründliche Untersachaog sm
Stellung zum kritischen Erfahrungsproblem.
Denn Uphues ist von vornherein ein entschiedener Oegur
jedes Psychologismus: ausdrücklich erklärt er die Psychologista
,,die aus den Empfindungen die Welt aufbauen zu können g^aobei',
bekämpfen zu wollen. — Aber sein Kampf gilt zugleich m
zweiten Gruppe von Gegnern: den „Formalisten, die neben ta
Empfindungen noch allgemeingültige Gesetze annehmen, sie ate
nur auf die Empfindung angewendet wissen wollen und, abgeseki
davon, für nichts halten".^) Ihnen gegenüber verbindet U^
mit dem Begriff der allgemeinen Geltung die Vorstellimg ém.
berechtigterweise über die Erfahrung hinausgreifenden Gebmchl
jener Gesetze. Damit stehen wir vor einer wichtigen The» Ér
Uphuesschen Erkenntnislehre, die in ihrer prinzipiellen BedeotaV
noch eingehender zu beleuchten sein wird. Hier sei nur
vorweggenommen: mit der Gleichsetzung der Begriffe einer
gemeinen und einer über die Erfahrung hinansgreifendeo
verschwimmen notwendig die Grenzen zwischen Wissenschaft irij
Metaphysik. Für den kritischen Erkenntnistheoretiker dt
heisst dies : die Prinzipien der Erfahrung können nicht mdir wà
„Grundsätzen**, sondern bloss nach ^Maximen** verwendet w«to
Auch das kann für den Erfolg des Eaippfes, der dem P^ychAfl^
mus angekündigt ward, nicht gleichgültig sein. Der BelAÜfi**
kann nicht endgültig beseitigt werden, solange die Frage va
dem Grade der Wissenschaftiichkeit der Metaphysik gnmdsitfk
unerledigt bleibt.
Allein, nicht nur von solcher Art sind hier die Bezidifll*
üphues' zur Metaphysik. Mit klarer Absicht und von vente*
schon stellt er vielmehr seine Untersuchung anter die Henaii»
ihrer Gesichtspunkte : Objekte der Metaphysik sind fur ihn Tofl*
Setzungen jeglicher Erkenntnis. In dieser metaphyaiseUi
Form gewinnt bei Uphues der antirelativistische Gedanke p*
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1) K. u. 8. V., S. 6.
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Zum Begriff der kritischen Erkeuntnislebre. 413
Gestalt: alle Erkenntnis und Wissenschaft soll im
ren Grunde der Metaphysik verankert werden. Allein die
icht auf eine Verwirklichung seines Planes ist — auch wenn
von jenen eben genannten Konsequenzen seines Âusgangs-
tes für eine Theorie der Erfahrung absieht — schlechthin
wiss, solange der objektive Erkenntniswert der Metaphysik
Recht bezweifelt werden kann, solange die kritische Lehre
Begriff der Metaphysik und Wissenschaft, die jenen Erkennt-
ert verneint, nicht widerlegt ist.
Diese seine Erkenntnismetaphysik, seine Lehre von der nietaphy-
en Bedeutung aller Erkenntnis also, bestimmt in erster Linie —
sich von selbst versteht — die Haltung üphues' gegenüber
t und dem philosophischen Kritizismus. Sie ist zustimmend,
1er Kritizismus sich in ihren Bahmen einzufügen scheint, ab-
>nd, wo er ihren Konsequenzen widerspricht. ~ Allein, so
auch die Gesichtspunkte jener Erkenntnismetaphysik die
nik Uphues' gegen die kritische Philosophie beherrschen, so
gf ist doch die Würdigung seiner Einwände mit dem einfachen
reise auf jene Gesichtspunkte erschöpft. Diese selbst werden
irer erkenntnistheoretischen Bedeutung vielmehr erst dann
icbend bewertet werden können, wenn einige seiner wichtig-
nach mannigfachen Richtungen hin ausgreifenden und an-
iden Einwände gegen die kritische Philosophie im besonderen
"sucht sind. Von selbst ergiebt sich bei der Ausführung dieses
ÎS eine Rücksichtnahme auf mannigfache Strömungen in der
Qntnistheorie unserer Zeit überhaupt und im Zusammenhange
t eine neuerliche, an manchen Punkten durch die polemischen
thtspunkte vielleicht einigermassen geschärfte Fixierung des
iffes und der Methoden der kritischen Erkenntnislehre.
I.
1. Die Unterscheidung der sinnlichen Erkenntnis von der
tandeserkenntnis, ^welche Kant von der Leibniz- Wolfschen
le übernimmt und an der er auch in der Kritik der reinen
Unft festhält", vermag Uphues nicht zu billigen. Denn er-
ön heisst — so argumentiert er — urteilen. Es gebe keiner-
ilrkenntnis, wenn nicht „in gedanklich und sprachlich in
en oder Wortvorstellungen formulierten Urteilen". Im Urteil
durch das Urteil allein nehmen wir für das in ihm Gemeinte
414 R. HönigswaU,
allgemeine Gültigkeit in Anspruch. Das gelte auch für die sin»-
liehe Erkenntnis, so gewiss auch diese nur durch Urteile and ii
Urteilen möglich ist. „Wenn ich sage, das Zimmer ist warm oder
ich fühle das Zimmer warm, so erhebe ich damit den Anspruch:
dass ich das Zimmer warm finde, solle objekttv oder für alle
Denkenden gelten.'' Nun sei aber das Urteil auch nach Kant
Sache des Verstandes. Also gebe es keine von der Verstandes-
erkenntnis trennbare sinnliche firkenntnis.
Von einer historischen Erörterung, zu welcher die Diskossk«
der Fragen, inwiefern gerade Kant die überlieferte Lehre tm
der Gegensätzlichkeit der beiden Erkenntnisarten in dem kritiscbei
Begriff der Erfahrung überwunden habe und insbesondere w»
sich das Wahmehmungsurteil Kants zur Leibniz-Wolfschen Gegei*
überstellung sinnlicher und verstandesmässiger Erkenntnis yerfaiki
führen würde, mag hier abgesehen werden. Wohl aber erschäit
es zweckmässig, den Eantischen Begriff des Wahmehmungsnrteik
selbst den Darlegungen Uphues' gegenüber kurz ins Auge n
fassen.
„Empirische Urteile, sofern sie objektive Gültigkeit habei,
sind Erfahrungsurteile; die aber so nur subjektiv gältig sioJ,
nenne ich blosse Wahrnehmungsurteile.^^) Es ist klar, das
hier die Bezeichnung Wahrnehmungsurteil eine denominatioi
potiori ist, so gewiss empirische Urteile von subjektiver Gûltigfcâ
auch über Tatsachen des Glaubens, über Vorurteile, Abnnogei
u. s. w. ergehen können. — Das Subjekt im ,,WahmehiDaogi'
urteil"" ist — mag dessen sprachliche Struktur welche imaer
sein — stets die Vorstellung des urteilenden Subjektes, ia
Gegensatz zum „Erfahrungsurteil*", in welchem es der BegnB
eines beurteilten Gegenstandes darstellt. Er&hmngsorteQi
stehen deshalb unter Kategorien, als den Bedingungen der
Möglichkeit von Erfahrungsobjekten. Der Unterscheidung zwi3chei
Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen liegt mithin die BesinnB^f
auf die Geltungsart des Prädikatsbegriffes, worunter bi<ff der
durch die Kopula mit dem Subjektsbegriff verbundene VorsteDiugi-
komplex verstanden ist, zugrunde. Der Unterschied zwisckei
Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen bezieht sich nicht auf die
Materie der Urteile, sondern auf die Form der Behauptung. Dk
beiden Arten von Urteilen unterscheiden sich in Nichts, «ab ii
1) Kant, Prolegomena. Ausgabe von K« Vorländer. LeipiiglW. &H
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 415
1 Fehlen oder dem Hinzukommen eines begrifflichen Grundes
3r Verknüpfung**.^)
Nun kann aber auch die Geltung eines Urteils als solche,
) auch die eines Wahmehmungsurtefls, in einem zweiten Ur-
bejaht oder verneint werden, es kann die durch die erkeunt-
theoretische Funktion des Urteils präsumierte Allgemeingültig-
b einer Verbindung von Vorstellungen ausdrücklich zugestanden
ir deren Anerkennung verweigert werden. Das „Objektiv**
Urteils — wie Meinong sagen würde 2) — kann m. a. W.
a Subjekt einer Aussage gemacht werden, deren Prädikat
Begriff „wahr**, bezw. „falsch** ist: ,dass ich in diesem
mente Wärme empfinde* — ist wahr. Dies meint un-
BÎfelhaft Uphues, wenn er für das Wahrnehmungsurteil,
;w. die „sinnliche Erkenntnis** den Ausspruch erhebt, auch
„solle objektiv oder für alle Denkenden gelten**. — Sicherlich
zt er damit die erkenntnistheoretische Funktion des Urteils,
rstellungen in allgemeingültiger Weise zu verbinden, ins
itige Licht: das logische Subjekt des zweiten Urteils — näm-
i die Vorstellung von der Geltung des ersten — ist nur unter
Voraussetzung jener Funktion möglich. Allein es folgt
aus nicht, dass nunmehr die Berechtigung einer Gegenüber-
Uung von Wahrnehmungsurteil und Verstandeserkenntnis —
) Uphues meint — erschüttert sei. Denn diese Gegenüber-
Uong gründet sich auf eine Verschiedenheit im erkenntnis-
oretischen Verhalten der Prädikatsvorstellung — gleichviel
rin diese Verschiedenheit bestehen und wie der Begriff einer
rstandeserkenntnis definiert werden möchte — ; sie gründet
1 also auf ein Verhalten innerhalb des Urteils und nicht auf
Tatsache der durch das Urteil als Ganzes zum Ausdruck
mnenden Erkenntnis.
M. a. W.: „Ich meine** im Wahmehmungsurteil zunächst
bts anderes, als was in ihm unmittelbar enthalten ist, nämlich
e eigenartige Beziehung zwischen der Prädikatsvorstellung und
D begrifflich-sprachlichen Symbol des urteilenden Subjektes,
Iches hier das logische Subjekt der Aussage bildet. Weil und
em aber diese Beziehung ein Urteil ist, enthält sie die der
enntnistheoretischen Funktion des Urteils, Vorstellungen in
*) Riehl, Philosophischer Kritizismus. Bd. I. Zweite Auflage. 1908.
189.
*) Vgl. A. Meinong, „Über Anuahmen"". 1902. Kap. VII.
4l8 R. HOnigswald,
Auf die Form des Urteils allein gründet sich n&mlich dessen
Ansprach auf allgemeine Gültigkeit der in ihm vorliegenden Ver-
knüpfung von Vorstellungen. Eine Verknüpfung von Vorstellungw
beansprucht erst kraft der spezifischen Form, die sie im Urteil
annimmt, eine Art der Geltung, welche sie über jede tatsftcbliche
Anerkennung oder Ablehnung erhebt. Dieser Anspruch ist
schlechterdings jedem Urteil eigen, gleichviel ob er sach-
lich, d. h. im Hinblick auf die Materie des Urteils berechtigt
ist, oder nicht; denn er ist der Ausdruck der allen Urteflen
als solchen gemeinsamen logischen Form, welche ,,der typischen,
nicht aufeinander reduzierbaren Gestalten, in denen das Wahr-
heitsbewusstsein auftritt'', ^) auch in ihnen sich verkörpern
mag. (Kategorisches, hypothetisches etc. Urteil.) Vermittelst der
Form des Urteils „unterscheiden wir subjektive Begriffskombina-
tionen von objektiven, die als solche ihren Grund in der gemein-
schaftlichen Natur" — d. i. der Form des Denkens haben.')
3. Einer Urteilsdefinition, welche, gleich der Uphuesschen,
den Grund des Anspruches auf allgemeine Gültigkeit der in
Urteil vorliegenden Vorstellungsverknüpfung ausserhalb des Urteils
selbst, d. h. nicht in dessen Form, sucht, eröffnen sich — allge-
mein gesprochen — zwei Möglichkeiten. Entweder man h< —
und diese Möglichkeit beschäftigte uns soeben — die Allgemein-
gültigkeit jener Vorstellungsverknüpfnng für verbürgt durch ihr
Verhältnis zu einem seinem Wesen nach metaphysischen
Faktor; oder man gründet sie auf das Verhältnis des Urteils zu
einer irgendwie »gegebenen*' Wirklichkeit, die das Urtefl sa
„schildern*^ bestimmt wäre. Im ersten Fall begiébt man sich asf
ein der wissenschaftlichen Analyse seiner Natur nach und grund-
sätzlich entrücktes Gebiet: vergeblich sucht man einen eindeutig
und scharf bestimmbaren Begriff der Beziehung zwischen einer
metaphysischen Ewigkeitswelt der Wahrheit und dem UrteiL —
Im zweiten Fall präsumiert man zu Gunsten einer dogmatischen
„Abbildstheorie*", oder man unterlässt es doch, sich auf desk Be-
griff der dem Urteilenden gegebenen Wirklichkeit zu besinnen.
Man verkennt, dass die „Wirklichkeit'' einer Tatsache als soldie
^) Heimich Maier, Logik und Erkenntnistheorie, Sigwart-'FeglwalirffL
1900. S. 240. Vgl. auch meine „Beitrage zur Erkenntnistheorie md Me-
thodenlehre''. Leipzig 1906.1 S. 42 f.
S) Biehl, Beitrage zur Logik. Vierteyahratehrift f. wi«. FUl<wQflûe.
1898. S. lö.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre* 417
isen wir im Urteil; das Urteil allein erhebt uns in ihr zeitlos-
•es Gebiet. „Mit jedem Urteil, für das wir einen Erkenntnis-
in Anspruch nehmen, treten wir in die Welt der Dinge an
oder der von uns unabhängig bestehenden Dinge oder, wie
auch sagen dürfen, in eine Ewigkeitswelt ein."^)
Wie immer man sich nun auch diese selbst und mit ihr das
en der „Wahrheit" im besonderen vorstellen mag, die ent-
idende Frage ist hier zunächst die nach der Natur jener ge-
nässigen „Beziehung" zwischen den im Urteil verbundenen
tellungen „auf das in ihm Gemeinte". — Nun könnte die
chliche Einkleidung der Uphuesschen Urteilsdefinition leicht
Meinung Raum gewähren, es handle sich in ihr um den Ge-
en, dass der Urteilende zwei miteinander verbundene Vor-
mgen, resp. die Vorstellung ihrer Verbindung in „gesetz-
liger" Weise auf die Vorstellung des im üileil Gemeinten
5he. Eine genauere Überlegung lehrt jedoch, dass hier nicht
der Vorstellung des im Urteil Gemeinten, sondern nur von
im Urteil Gemeinten selbst die Eede sein könne, so gewiss
r Eintritt in die „Ewigkeitswelt" sich durch die Vorstellung
• solchen nicht vollziehen würde. Dem im Urteil Gemeinten
i also im Sinne von Uphues irgend eine Art der transscen-
BD Realität zukommen. Gerade dies aber begründet einen
schwer zu beseitigenden Einwand: Es müsste die Art aufge-
. werden können, wie sich die „Ewigkeitswelt" der Wahrheit
dem Ergebnis des zeitlich-psychischen Prozesses, welches im
il vorliegt, in Beziehung setzt.^ So lange dies nicht oder
in Gleichnissen möglich ist, muss die an die Urteilsmaterie
^pfende metaphysische Frage nach dem Wesen der
irheit von dem die Form des Urteils betreffenden erkennt-
heoretischen Problem seiner Allgemeingültigkeit ge-
lt bleiben.
1) K. u. 8. V., S. 76.
»^ Schwierigkeiten bereitete — nebenbei bemerkt — auch der Be-
der ^^Gesetzmässigkeit'' jener Beziehung. Denn entweder ist diese
liologisch; dann läge kein zureichender Grund vor, sie von der
i^Uungsassoziation — was Uphues ausdrücklich tun zu müssen erklart
Inzipiell zu trennen. Oder man denkt im Gegensatze hierzu an eine
::tive Gültigkeit gewährleistende, d. h. urteils massige Gesetzlich-
i& diesem Falle verfiele man •— wie leicht ersichtlich — einer peti-
Hncipii.
420 tl. Hönigswald,
haltes; vielmehr ist er eine Funktion seiner Form, Aiudmek iet
diese letztere konstituierenden ,,objektiyen Einheit der Apper-
zeption^.
4. Nicht über eine Realität ergeht m. a. W. die Aussage
im Urteil; vielmehr wird die Realität bezw. die allgemeine Ofiltig-
keit der im Urteil vorliegenden Vorstellungsverknttpfnng ausge-
sagt. Realität und allgemeine Gültigkeit sind daher nicht Sub-
jekt, sondern in dem bezeichneten, erkenntnistheoretisch genau
umschriebenen, Sinn Prädikat des Urteils.^) — Dm greifbarefl
Ausdruck dieses Prädikates bildet die Kopula ist. Sie ist zu-
gleich der Ausdruck für die Anerkennung des Anspruches auf ^
allgemeine Gültigkeit, der zu Begriff und Form des Urteils ge- —
hört. — Eine andere Frage ist — wie erwähnt — die nach der -:■
Berechtigung dieser Anerkennung, die Frage nach den allge- —
meinen Kriterien für die materiale Wahrheit unserer Aussagen. _ i
Obschon den grundsätzlichen Verschiedenheiten zwischen den Ur- — ^
teilsinhalten angepasst, sind sie doch dem erkennenden Bewusst- — J
sein immanent. Sie liegen für reine Begrif&urteile im Prinzipe «^
des Widerspruches, sie sind für synthetische Sätze a priori durch .mM
das Ausmass bestimmt, in welchem diese den Begriff des Gegen- — m
Standes der Erfahrung definieren, sie liegen für Wahmebmungs- — m
urteile in der Evidenz der Wahrnehmung selbst, während die'^^^i
Wahrheit von Erfahrungsurteilen, dem komplexen Begriff
Gegenstandes der Erfahrung gemäss, einerseits den Kriterien de
Wahrnehmung, andererseits der Norm synthetische Sfttse a prio
unterliegen muss.
n.
1. An die Stelle einer erkenntnismetapbysischen Okidi-
setzung von Wahmehmungsurteil und Verstandesericenntnis unter
dem Gesichtspunkte der formalen Bedingungen des ersteran tritt
für die kritische PhUosophie der Satz, dass Wahmehmimgen als
solche schon unter einem formalen Gesetz der objektiveii Ver»
knüpfung durch den Verstand stehen müssen. Die formale Unte^
scheidbarkeit der Wahrnehmungen an sich schon setst Einheit der
Synthesis voraus. Und so gewiss jene dem Begriff der Walu^
0 Vgl. Riehl, Beiträge zur Logik. VierteUabmehrift 1 wits. Wüo-
Sophie. 1892. 8. 19.
Zum Beg^riff der kritischen Erkenntnislehre. 41 d
schon unter Bedingungen der objektiven Verknüpfung von Vor-
stellungen im Urteil steht, dass m. a. W. dieselbe „Wirklichkeit",
deren Objektivität die ihrer „Darstellung" im Urteil verbürgen
sollte, den Formalgesetzen dieser Darstellung selbst unterliegt,
knrz, man übersieht, dass mit der Berufung auf die Gegenständ-
lichkeit jener Tatsache für die Erklärung der Objektivität des
Urteils nichts gewonnen ist. Wenn also z. B. Wundt das Urteil
im Interesse einer „objektiven Begründung der Urteilsfunktion"
als „die Zerlegung einer Gesaratvorstellung in ihre Bestandteile*
definiert wissen will, ^) so wird dagegen vor allen Dingen einzu-
irendeu sein, dass schon jene Gesamtvorstellung als „Gegen-
stand" unter der formalen Bedingung derjenigen Art der Verknüpf-
ung von Vorstellungen stehen muss, welche nach Wundt erst die
E^dukte ihrer Zerlegung kennzeichnet. Die Zerlegung einer Ge-
samtvorstellung zum Zwecke ihrer (objektiven) Darstellung im Ur-
teil setzt m. a. W. eine Verknüpfung der Teilvorstellungen in der
„Gesamt" -Vorstellung nach der allgemeingültigen Norm des Ur-
teils schon voraus. — Wollte man aber die Objektivität des Urteils
darauf zurückführen, dass in ihm „die Übereinstimmung oder
Nichtübereinstimmung eines Stückes Wirklichkeit oder auch der
Wirklichkeit überhaupt mit gewissen Vorstellungen oder Vorstel-
langsverknüpfungen behauptet werde",*) so mûsste man erst den
Begriff der Wirklichkeit unabhängig von der Form der „Behaup-
tang jener Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung" definiert,
1. h. die kritische Lehre vom Begriff der Natur widerlegt haben.
Entsprechendes gälte natürlich auch unter der Voraussetzung,
lass der Begriff der „Wirklichkeit" etwa auf die von Meinong")
ils „Objektive" bezeichneten Gegenstände ausgedehnt würde; denn
»ach solche unterliegen dem Gesetze der Verknüpfung des
«Mannigfaltigen" in der Form des Urteils, d. h. durch „ein Be-
pnisstsein überhaupt".^) Der Anspruch des Urteils auf objektive
äfiltigkeit gründet sich eben nicht auf die Eligenart seines In-
1) Wundt, Logik. 2. Aufl. 1893. I. Bd. S. 156 f.
*) Vgl. Heymans, Gesetze und Elemente des wissenschaftlichen
Denkens. Leipzig 1905. S. 44.
*) Vgl. Meinong, a. a. 0.; ferner Untersuchungen zur Gtogenstands-
Jieorie und Psychologie. Leipzig 1904. S. 6 und Über die Stellung der
jFegenstandstheorie im System der Wissenschaften. Leipzig 1907. S.20ff.
^) Vgl. hierzu auch Stumpf, Zur Einteüung der Wissenschaften.
ans den Abhandlungen der Kgl. preuss. Akademie der Wissenschaften
rom Jahre 1906. Berlin 1907. S. 9 f.
420 R. Hönigswald,
baltes ; vielmehr ist er eine Funktion seiner Form, Aosdnick te
diese letztere konstituierenden „objektiven Einheit der Am«-
zeption".
4. Nicht über eine Realität ergeht m. a. W. die Aussige
im Urteil; vielmehr wird die Realität bezw. die allgemeine 6fittig>
keit der im Urteil vorliegenden Vorstellungsverknüpfong ausge-
sagt. Realität und allgemeine Gültigkeit sind daher nicht Sib-
jekt, sondern in dem bezeichneten, erkenntnistheoretisch gern
umschriebenen, Sinn Prädikat des Urteils.^) — Den greifbarei
Ausdruck dieses Prädikates bildet die Kopula ist. Sie ist»
gleich der Ausdruck für die Anerkennung des Anspruches iif
allgemeine Gültigkeit, der zu Begriff und Form des Urteils g^
hört. — Eine andere Frage ist — wie erwähnt — die nach te
Berechtigung dieser Anerkennung, die Frage nach den allg^
meinen Kriterien für die materiale Wahrheit unserer Aussaga.
Obschon den grundsätzlichen Verschiedenheiten zwischen den ü^
teilsinhalten angepasst, sind sie doch dem erkennenden Bewisst-
sein immanent. Sie liegen für reine Begriffsurteile im Prinzipe
des Widerspruches, sie sind für synthetische Sätze a priori dnitk
das Ausmass bestimmt, in welchem diese den Begriff des 6eg»
Standes der Erfahrung definieren, sie liegen für Wahmehmimgi'
urteile in der Evidenz der Wahrnehmung selbst, während die
Wahrheit von Erfahrungsurteilen, dem komplexen Begriff te
Gegenstandes der Erfahrung gemäss, einerseits den Kriterien te
Wahrnehmung, andererseits der Norm synthetischer Sätze a prion
unterliegen muss.
n.
1. An die Stelle einer erkenntnismetaphysischen Gläek-
setzung von Wahmehmungsurteil und Verstandeserkenntnis lutff
dem Gesichtspunkte der formalen Bedingungen des ersteren tritt
für die kritische PhUosophie der Satz, dass Wahmehmangai >k
solche schon unter einem formalen Gesetz der objektiven Ter
knüpfung durch den Verstand stehen müssen. Die formale Unter
scheidbarkeit der Wahrnehmungen an sich schon setzt Einheit te
Synthesis voraus. Und so gewiss jene dem Begriff der Wikr
Sophie
0 Vgl. Riehl, Beiträge zur Logik. Vierteüabrsschrifl; f. wi«. T»
. 1892. S. 19.
2um Begriff der kritischen Ërkenntnislehre. 421
imnng angehört, so gewiss steht diese anter dem formalen
setze der Einheit.^) Nor sofern Wahrnehmungen einheitliche
>ilde sind, sind sie „Gegenstände*", Gegenstände freilich nur
i individueller Gültigkeit. Ihr formales Gesetz der Einheit
fasst eben nicht die Bedingungen der objektiven Einheit über-
ipt: es ist auf die Synthesis in Raum und Zeit beschränkt. —
im und Zeit sind die formalen Bedingungen der Einheit von
schauungen als solchen. Wenn also Uphues Raum und Zeit
„Gesetze für das Zustandekommen der Anschauung'' erklärt,
wird man ihm vom Standpunkte des philosophischen Kritizismus
; nicht widersprechen dürfen, wenigstens sofern man den Be-
ff des „Zustandekommens'' nicht psychologistisch missdeutet. —
a diesem, dem kritischen Problem eines „Zustandekommens
räumlichen Anschauung" aber nicht zu trennen ist die natür-
i auch für Uphues grundsätzliche Frage nach der erkenntnis-
oretischen Natur des absoluten Raumes. Welches ist
n Begriff, welches ist sein erkenntnistheoretisches
rhältnis zur Geometrie?
2. Der absolute Raum ist nach Uphues — und entsprechen-
gilt auch von der absoluten Zeit — ein begriffliches Gesetz,
; aus Empfindungen Anschauungen macht. Absoluter Raum
l absolute Zeit sollen sich zu diesen Anschauungen verhalten,
ie beispielsweise das Gesetz oder die Formel der Ellipse zur
gestellten oder gezeichneten Ellipse".*) Dabei leugnet Uphues
neswegs, dass es auch einen Raum als Anschauung gebe. Nur
lauptet er, dass dieser nichts sei als die Versinnbildlichung
es „Raumbegriffes", vielleicht genauer eines Begriffsraumes,
, wie Uphues sagt, „in unserem Bewusstseiu funktioniert".") —
in Zweifel, der Verfasser will den letzten Satz erkenntnistheo-
isch, nicht psychologisch verstanden wissen. Aber auch unter
ser Voraussetzung kann vor allen Dingen die kritische Frage
;b den Merkmalen jenes „Raumbegriffes" nicht umgangen
rden. B^es ist hier von vornherein klar: Kein einziges Merk-
l dieses Begriffes darf der Anschauung entlehnt sein, so gewiss
sich für Uphues nicht um einen Begriff handelt, dessen Gegeu-
1) Vgl. hierzu auch Rickert, Der Gegenstand der Erkenntni«, Ttt-
g;en und Leipzig 1904. S. 166 ff., femer meine Arbeit; „Über die
ire Humes Ton der Realität der Aussendinge. Berlin 1908. S. 49.
«) K. u. s. V., S. 27.
^ Vgl ebenda und S. 117.
KMittt«di«n Uli. 28
424 R. Hönigswald,
Setzungen oder „Formen'' räumlich-zeitlicher Erscheiniuigen bflden,
sein mögen, fällt ausserhalb des Rahmens der erkenntnistheore-
tischen Probleme. Daher kommt es denn auch, dass Kant „in '
seiner Kritik der reinen Vernunft fast nur vom anschaulichen J
Raum und von der anschaulichen Zeit redet".*) Das, was die f
euklidische Geometrie vor anderen möglichen und logisch gleich j
einwandsfreieu „Geometrieen'' auszeichnet, ist eben ihre unmittel-
bare Beziehung zur Anschauung. Diese Beziehung kann nicht ver-
leugnet werden, solange die euklidische Geometrie selbst als gültige <
Norm für die Beurteilung des physischen Raumes betrachtet j
wird. So lange aber muss auch ihre oberste formale Bedingung ^
Anschauung sein und nicht Begriff. — Dass es dabei von dieser -a
formalen Bedingung auch einen Begriff giebt, versteht sich von mi
selbst; ja es ist eine der wichtigsten Aufgaben gerade d^ Geo- — «
metrie und nicht zuletzt auch der kritischen Erkenntnistheorie ^^
jenen Begriff mit wissenschaftlicher Schärfe zn entwickeln.
Die uichteuklidischen Räume sind Begriffe und zwar Be- — ^
griffe von der Gesetzlichkeit einer möglichen Anschauung von mm
Wesen, deren sinnliche Vorstellungsart nicht die unserige ist; ^
vom euklidischen Raum hingegen, der Anschauung ist, haben mm
wir einen Begriff.
6. Warum nun gerade diejenige Mannigfaltigkeit, die wir
den euklidischen Raum nennen, die Form unserer Anschauung
darstellt, ist, wenn man den Ansdruck gestattet, eine meta-
erkenntnistbeoretische Angelegenheit. Die Leistung der
Erkenntnistheorie beschränkt sich auf den Beweis, dass die
Sätze der euklidischen Geometrie auch für den physischen
Raum, von welchem nnabhängig sie demonstriert werden, geltea
müssen, weil sie die Form seiner Anschauung definieren. — Nur
die Verkenuung dieses Sachverhaltes konnte die Meinung von
der Bedeutung der Metageometrie für eine kritische Theorie der
Rntwickelang und praktischer Bedeotnng znrflcksteht, kommt für eine
gmndsatxliche KrOrtemog nicht weiter in Betneht Auch „die Ailoipe
der Chronometrie** sind gleich den geometrischen apriorisch und dennoch
synthetisch, d. h. nicht anf Grund der Erfahrung geltende Normen für dk
erlebte Zeit (Einheit^ Kontinuität, Homogenität, unendliche TeSbttkeit).
Der Begriff der «Chronometrie*' findet ach tehon in Joh. Heinr. Lamberts
«Neues Orgenon** (1764). — \gi, such Liebmsnn, Gedanken mtdTrtMchen
Krster Band. Strassbur^r 1899. S. 41 ; ferner desselben JSor Analjais der
Wirklichkeit ** Dritte AuH. Strassbuifr 1900. S. 104 f.
') K. u, s. \\ S. SO.
2um Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 423
liarakteristik seiner Auffassung von der begrifflichen Natur
laumes gleicbnisweise heranzieht. In der Analysis schien die
etrie sich von den Bedingungen der räumlichen Konstruktion
r Tat emanzipiert zu haben; denn hier liefert doch augen-
ilich erst eine rein logisch-mathematische Überlegung der
3trie die Gesetze der Konstruktion räumlicher Gebilde. Aber
B das letztere verweist uns unzweideutig auf die ffir die gegen-
^e Diskussion bedeutungsvollen Grenzen der analytischen
Btrie; die analytische Geometrie liefert uns wohl die Kon-
ionsgesetze räumlicher Gebilde, sie enthält aber nicht die Be-
lügen der Konstruktion als solcher. Sie liefert genauer
Konstruktionsgesetze nur unter der Voraussetzung
r Bedingungen. — Es fragt sich also, ob nicht der Bê-
les ebenen Dreiecks, aus welchem die Winkelsumme „folgt^,^)
ganze Bestimmtheit erst der den allgemeinen Bedingungen
)soluten dreidimensionalen Raumes gemässen Konstruktion
Gegenstandes verdankt. So gewiss das letztere der Fall
) gewiss ist der Raum der euklidischen Geometrie An-
lung.
Die analytische Geometrie macht also die anschaulichen Be-
igen der Konstruktion nicht nur nicht überflüssig, sie muss
vielmehr, um sich selbst zu verstehen, als ihre unerlässliche
ssetzung geradezu fordern.
L Dass Uphues der Geometrie als Wissenschaft die ern-
te Raum m essung schroff gegenüberstellt, ist vollauf be-
^ und entspricht dem Begriff der Geometrie als apriorischer
iemonstrierender Disziplin. Aber Demonstration schliesst
ruktion nicht aus. Ja, die Geometrie demonstriert ihre
geradezu mit Hülfe der Konstruktion: Demonstration ist
Standpunkte der euklidischen Geometrie gar nichts
'es wie Konstruktion. Daher ist aber auch der Begriff
iklidischen Geometrie von der obersten Bedingung der Kon-
ion, die als solche nur Anschauung sein kann, schlechter-
nicht zu trennen.
>. Was Raum und Zeit unabhängig davon, dass sie die
lulichen Bedingungen einer Demonstration in Geometrie und
Qometrie''^) umfassen, dass sie als solche auch die Voraus-
) 1. c. S. 30.
^ Sie ist die der Geometrie entsprechende apriorische Wiasentchaft
BT Zeit. Wie weit eine solche hinter der Geometrie an logischer
4â4 R. Hönigswald,
Setzungen oder „Formen" räumlich-zeitlicher Erscheinungen bilden,
sein mögen, fällt ausserhalb des Rahmens der erkenntnistheore-
tischen Probleme. Daher kommt es denn auch, dass Kant ,in
seiner Kritik der reinen Vernunft fast nur vom anschaulichen
Raum und von der anschaulichen Zeit redet". ^) Das, was die
euklidische Geometrie vor anderen möglichen und logisch gleich
einwandsfreieu „Geometrieeu" auszeichnet, ist eben ihre unmittel-
bare Beziehung zur Anschauung. Diese Beziehung kann nicht ver-
leugnet werden, solange die euklidische Geometrie selbst als gültige
Norm für die Beurteilung des physischen Raumes betrachtet
wird. So lange aber muss auch ihre oberste formale Bedingung
Anschauung sein und nicht Begriff. — Dass es dabei von dieser
formalen Bedingung auch einen Begriff giebt, versteht sich von
selbst; ja es ist eine der wichtigsten Aufgaben gerade der Geo-
metrie und nicht zuletzt auch der kritischen Erkenntnistheorie
jenen Begriff mit wissenschaftlicher Schärfe zu entwickeln.
Die nichteuklidischen Räume sind Begriffe und zwar Be-
griffe von der Gesetzlichkeit einer möglichen Anschauung tob
Wesen, deren sinnliche Vorstellungsart nicht die unserige ist;
vom euklidischen Raum hingegen, der Anschauung ist, haben
wir einen Begriff.
6. Warum nun gerade diejenige Mannigfaltigkeit, die wv
den euklidischen Raum nennen, die Form unserer Anschairong
darstellt, ist, wenn man den Ausdruck gestattet, eine meti-
erkenntnistheoretische Angelegenheit. Die Leistung der
Erkenntnistheorie beschränkt sich auf den Beweis, dass die
Sätze der euklidischen Geometrie auch für den physischen
Raum, von welchem unabhängig sie demonstriert werden, gelten
müssen, weil sie die Form seiner Anschauung definieren. — Sur
die Verkenuung dieses Sachverhaltes konnte die Meinung von
der Bedeutung der Metageometrie für eine kritische Theorie der
Entwickelung und praktischer Bedeutung zurücksteht, kommt für eine
grundsätzliche Erörterung nicht weiter in Betracht. Auch „die Axiose
der Chronometrie*' sind gleich den geometrischen apriorisch und dennoch
synthetisch, d. h. nicht auf Grund der Erfahrung geltende Nonnen für die
erlebte Zeit (Einheit, Kontinuität, Homogenität, unendliche Teübarkeit>
Der Begriff der „Chronometrie" findet sich schon in Joh. Heinr. Lamboto
„Neues Organon" (1764). — Vgl. auch Liebmann, Gedanken undTatsadMa
Erster Band. Strassburg 1899. S. 41 ; femer desselben ^Zur Anàtpàa dtf
Wirklichkeit." Dritte Aufl. Strassburg 1900. S. 104 f.
') K. u. s. V.. S. 30.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 42Ô
f abrang erwecken. Eine solche besteht nicht; denn es kann
cb dem Grunde der Geltung nichteuklidischer Raumgesetze für
a physischen Raum nicht gefragt werden, solange dieser von
alitÄten erfüllt ist, die nur unter der Voraussetzung des
k lidischen Raumes vorgestellt werden können.^) Die Deuk-
rkeit von nichteuklidischen „Räumen" entscheidet nicht über
a Grund der objektiven Geltung des dreidimensionalen und
dtzt daher in diesem Sinne wenigstens auch keinerlei
cenntnistheoretische Valenz. — Gewiss, auch die Sätze der
îbtenklidischen Geometrie „gelten^* Aber ihre Geltung ist nicht
Q der Art der Geltung euklidischer Sätze. Die Kriterien der
dtong nichteuklidischer Geometrien sind — wenigstens vom
andpunkte der für die Erfahrung Geltung beanspruchenden
issenschaft Euklids aus betrachtet — rein formaler Natur: einer-
its „die antinomiscbe Widerspruchs losigkeit**, wonach
5de Geometrie neben der anderen muss bestehen können,"
dererseits „die immanente Widerspruchslosigkeit", wo-
ch Jede Geometrie in sich selbst widerspruchslos sein muss".^
e Objektivität von Sätzen nichteuklidischer Geometrien hat ge-
S8 nichts zu tun mit der Objektivität der Elrfahrung; m. a. W.
le Sätze entbehren schlechterdings jeder unmittelbaren Beziehung
r Anschauung und mit ihr der Beziehung auf den Begriff der
>jektivität des Angeschauten.^ — Gerade diese Beziehung aber
stimmt den erkenntnistheoretischen Charakter der euklidischen
^ometrie. Nach dem Grunde ihrer objektiven Geltung fragen,
isst daher nicht nach dem Grunde der Geltung ihrer Sätze
►erhaupt fragen. — Für die kritische Erkenntnislehre als eine
leorie der Erfahrung ist die Geometrie m. a. W. ein Problem, nur
fem sie Anspruch darauf erhebt von Dingen a priori zu gelten;
id die Beziehung der Geometrie auf den Begriff der Ekiahmng
rechtfertigen, das allein ist hier die Aufgabe der Erkenntnis-
eorie: sie hat unser Recht auf die Voraussetzung etwa zu be-
iinden, dass die Merkmale des absoluten dreidimensionalen
1) Vgl. Riehl, Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant. Kantstudien,
l. IX, S. 279: femer Riehl, Der phUosophische Kritizismus. Bd. I.
ireite Aufl. 1906. S. 329 f.
^ Bauch, Erfahrung und Geometrie in ihrem erkenntnistheoretischen
srhältnis. ^Kantstudien", Bd. Xn, S. 223.
S) Das Problem der Objektivität der nichteuklidischen Geometrien
ich seiner positiven Seite hin soll zum Gegenstande einer besonderen
ntertachong gemacht werden.
428 R. Hönigrswald,
letzten Sinne vor allem sucht die kritische Erkenntnistheorie, nicht
ohne hierbei zugleich die Bedingungen für das Verständnis der
logischen Eigenart der Geometrie festzulegen.
10. Die Unterscheidung zwischen der Geltung geometrischer
Sätze unabhängig von der Existenz entsprechender Obfekte und
deren apriorischer Geltung für Objekte der Erfahrung ist aber
gerade auch inbezug auf die Lehre Uphues* nicht bedeutungslos.
Denn sie enthält, genau besehen, die Erkenntnis, dass die von
der Existenz entsprechender Objekte unabhängige Geltung von
Sätzen noch nicht Geltung für beliebige Objekte bedeuten müsse,
dass also die von Dingen unabhängige Begründbarkeit eines Satzes, «
seine von Erfahrung unabhängig begründete Geltung, sich mit einer i
Beschränkung eben dieser seiner Geltung auf Gegenstände der n
Erfahrung sehr wohl vertrage.^)
Aber hiervon ganz abgesehen bringt uns jene Unterscheidung *s
vor allen Dingen das Âuseinanderfallen der Begriffe der Denkbar- — -
barkeit und der Objektivität der Erfahrung zu Bewusstsein. . j
Nichteuklidische Geometrien „gelten", sofern sie — in begrOnd — J
barer Weise — denkbar sind; die euklidische Geometrie „gilf auch,«,^
sofern sie die Norm für die Beurteilung der räumlichen Eigen — m,
Schäften von Dingen liefert. Die wissenschaftliche Denkbar— ^-s
keit nichteuklidischer Räume beweist höchstens den Satz Kants <9Bi
dass die Axiome der euklidischen Geometrie nicht analytisctV^
sind,^) sie hat aber nichts zu tun mit dem Bechtsgrund dnr^
apriorischen und dennoch für Gegenstände der Erfahrung gültigeB-^^
Gebrauchs dieser Axiome, d. h. mit den Problemen der kritischer m
Erkenntnistheorie.
11. Dass auch die nichteuklidischen Bäume ungeachtet it
blossen Denkbarkeit, ja vielleicht schon wegen dieser, genaa
wie der euklidische Baum „Gegenstände*' sind — das Wort in
ihm von Meinong erteilten Allgemeinheit verstanden — mag i^^q-
gestanden werden. In diesem Sinne hätte dann freilieb JegUc^Hie
Geometrie, die euklidische wie die nichteuklidische auf alle FK^e
„gegenständliche*' Bedeutung. Aber so gewiss damit der Grtmjid
der apriorischen Geltung der euklidischen für Gegenstände der
Erfahrung noch nicht festgestellt ist, so gewiss wäre auch der
1) Vgl. K. u. g. V., S. 24 f.
«) Vgl. Riehl, Logik und Erkenntnistheorie in „Die Kaltor der
Gegenwart", Teil I, Abt. VI, S. 91 : ferner Eiehl, Der pbiloe. "Kn^aâMom
u. 8. w., Bd. I. Zweite Aufl. 1906. S. 467.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 427
lire als kritischer Erfahrungstheorie wird die Geometrie indessen
«Tch ihren Anspruch auf objektive Geltung, d. h. durch ihren
rnch die Normen für die Beurteilung empirischer Raumver-
1886 zu liefern. Die Erkenntnistheorie prüft die Berechtigung
I Anspruchs, sie sucht den Rechtsgrund etwa für die Behaup-
dass eine in den Sand gezeichnete Figur in geometrischem
i kein Dreieck ist, weil seine Winkelsurame nicht 180®
^. — Die scharfe und für den erfolgreichen Betrieb der
nntnislehre unerlässiiche Trennung der beiden Gesichtspunkte
cht uns natürlich nicht darüber zu täuschen, dass die Âuf-
n, welche Logik und Erkenntnislehre der Geometrie gegen-
zu erfüllen haben, sich vielfach berühren und bis zu einem
Bsen Grade einander bedingen. Denn einerseits motiviert nur
logische Eigenart der Geometrie, ihre Sätze unabhängig von
Erfahrung zu beweisen, die erkenntnistheoretische
B nach dem Grunde der Geltung geometrischer Sätze für die
hmng; wäre nämlich die Geometrie Erfahrungswissenschaft,
entbehrte sie jeder Beziehung auf die Frage, „wie synthe-
e Urteile a priori möglich seien ^. Auf der anderen Seite aber
lag uns erst die Erkenntnislehre das volle Verständnis
logischen Problems der Geometrie zu vermitteln. Der funda-
^e erkenntnistheoretische Begriff der Synthesis muss fest-
en, wenn die logische Eigenart des geometrischen Beweises
«t werden soll. — Es beruht m. a. W. auf einer erkennt-
heoretischen Einsicht, dass ein Beweis für den Begriff
( geometrischen Gebildes nicht ein Beweis aus Begriffen sein
e. Der Beweis als solcher aber ist als Gegenstand der
k von der erkenntnistheoretischen Frage nach dem Grunde
reitung des Bewiesenen füi* die Erfahrung scharf zu trennen.
Die Geometrie definiert das allgemeine Formal-
tz der räumlichen Anschauung. Die Logik der Geo-
ie bestimmt die Eigenart der Methode dieser Defi-
es und die kritische Erkenntnistheorie den Grund
lie Geltung ihrer Resultate in aller Erfahrung.
9. Auf alle Fälle bedeutet die „Wahrheit*" eines Satzes der
tischen Geometrie dreierlei: einmal seine logische und imma-
Widerspruchslosigkeit, dann seine Geltung von allen geo-
i seh en Gebilden, für deren Begriff er bewiesen worden
schliesslich seine Geltung als Norm für die räumlichen
Utnisse in der Erfahrung. Den Grund der Geltung in diesem
422 R. Hönigswald,
stand die Anschauung ist, sondern um einen Begriff, der An-
schauung selbst erst ermöglichen soll. — Nun mag es ja sein,
dass das bekannte Argument Kants, der Kaum der euklidischen
Geometrie müsse Anschauung sein, weil er der Merkmale des Be-
griffs schlechterdings entbehre, nur den Klassen begriff im
Auge habe, dass also der euklidische Raum immer noch „Indiyi-
dualbegriff^ sein könnte. Allein auch dieser Einwand würde das
Problem des Begriffsraumes nichts weniger als klären. Denn der
Satz: ,Der Raum der euklidischen Geometrie ist Individualbegriff'
— wäre gleichbedeutend mit dem Satz: ,Der Raum der eukli-
dischen Geometrie ist der Begriff von einem einzigen Gegenstände',
etwa, wie der Begriff des magnetischen Nordpols. Nun fragt es
sich bloss: welches ist dieser Gegenstand? Dass es der anschau-
liche Raum selbst nicht sein kann, steht von vornherein fest, denn
der anschauliche Raum soll ja durch jenen Begriffsraum erst „er-
möglicht"^ werden. Auch handelt es sich ja gar nicht um einen
Begriff vom anschaulichen Raum, sondern um einen Raum, der
selbst Begriff ist. — Wäre also der Raum der euklidischen Geo-
metrie Individualbegriff, so müsste er bestimmt werden als ein Be-
griff ohne Gegenstand, d. h. ein Begriff ohne Zweck und Be-
deutung. Denn der Begriff ist nichts als das allgemeingültige
Symbol des Gegenstandes, den er bezeichnet. Mag auch sein In-
halt von den Merkmalen dieses Gegenstandes sich noch so wdt
entfernen — man denke an den Unterschied zwischen dem Licht
und der Vorstellung elektromagnetischer Induktionswirkungen,
durch welche gegenwärtig sein Begriff definiert wird — : seine
methodische Bestimmtheit und seinen erkenntnistheoretischen Sinn
erhält der Begriff nur durch die Beziehung auf sein Objekt Es
ist daher unmöglich, jenen Begriffsraum auch nur zu bezeichnen,
der sich zur Anschauung verhalten sollte, wie das analytisdie
Konstruktionsgesetz zu dem entsprechenden geometrischen GebUde.
3. Wäre der Raum Begriff und nicht Anschauung, so
stünden wir augenscheinlich vor zwei Möglichkeiten. Entweder
müsste jeder Zusammenhang zwischen dem Räume und der eukli-
dischen Geometrie geleugnet, oder aber die letztere als eine un-
abhängig von jeder räumlichen Konstruktion demonstrieraide
Wissenschaft aufgewiesen .'werden. Nur die zweite Möglichkeit
kommt augenscheinlich in Betracht. Und weil sie ihre praktische
Verwirklichung in der analytischen Geometrie bereits erfahren zfl
haben scheint, liegt es durchaus nahe, dass Uphues gerade diese
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 423
r Charakteristik seiner Auffassung von der begrifflichen Natur
8 Baumes gleichuisweise heranzieht. In der Analysis schien die
3ometrie sich von den Bedingungen der räumlichen Konstruktion
der Tat emanzipiert zu haben ; denn hier liefert doch augen-
heinlich erst eine rein logisch-mathematische Überlegung der
M>metrie die Qesetze der Konstruktion räumlicher Gebilde. Aber
fade das letztere verweist uns unzweideutig auf die fär die gegen-
Irtige Diskussion bedeutungsvollen Grenzen der analytischen
3ometrie; die analytische Geometrie liefert uns wohl die Kon-
ruktionsgesetze räumlicher Gebilde, sie enthält aber nicht die Be-
ngungen der Konstruktion als solcher. Sie liefert genauer
ne Konstruktionsgesetze nur unter der Voraussetzung
eser Bedingungen. — Es fragt sich also, ob nicht der Be-
iff des ebenen Dreiecks, aus welchem die Winkelsumme „folgt", ^)
ine ganze Bestimmtheit erst der den allgemeinen Bedingungen
s absoluten dreidimensionalen Raumes gemässen Konstruktion
Ines Gegenstandes verdankt. So gewiss das letztere der Fall
^ so gewiss ist der Raum der euklidischen Geometrie An-
hauung.
Die analytische Geometrie macht also die anschaulichen Be-
[igungen der Konstruktion nicht nur nicht überflüssig, sie muss
386 vielmehr, um sich selbst zu verstehen, als ihre unerlässliche
iraussetzung geradezu fordern.
4. Dass Uphues der Geometrie als Wissenschaft die em-
rische Ran m m essung schroff gegenüberstellt, ist vollauf be-
chtigt und entspricht dem Begriff der Geometrie als apriorischer
id demonstrierender Disziplin. Aber Demonstration schliesst
>D8truktion nicht aus. Ja, die Geometrie demonstriert ihre
Aze geradezu mit Hülfe der Konstruktion: Demonstration ist
)m Standpunkte der euklidischen Geometrie gar nichts
ideres wie Konstruktion. Daher ist aber auch der Begriff
r euklidischen Geometrie von der obersten Bedingung der Kon-
ruktion, die als solche nur Anschauung sein kann, schlechter-
igs nicht zu trennen.
ö. Was Raum und Zeit unabhängig davon, dass sie die
achanlichen Bedingungen einer Demonstration in Geometrie und
ihronometrie"*) umfassen, dass sie als solche auch die Voraus-
^) L c. 8. 80.
*) Sie ist die der Geometrie entsprechende apriorische Wissenschaft
n der Zeit. Wie weit eine solche hinter der Geometrie an logischer
426 R. Hönigswald,
Raumes auch die des physischen Raumes sein müssen, dass das
Erümmungsmass unseres Erfahrungsraumes in den grössteOt
wie in den kleinsten Dimensionen, die als solche niemals Gegen-
stand einer Erfahrung sein können, dasjenige des absolaten
Raumes, nämlich Null sein müsse; sie hat zu zeigen, mit weldiem
Rechte wir die geometrischen Eigenschaften unserer Erfahrungs-
objekte an dem Ideale derjenigen Gebilde messen, deren Begrül wir
der Konstruktion im absoluten dreidimensionalen Räume verdanken.
7. „Gelten" würden also auch die auf den Begriff des eu-
klidischen Raumes gegründeten Sätze „wenn unsere E^pfindnngeD
so beschaffen wären, dass wir sie (sc. die geometrischen Gesetze)
gar nicht auf diese Empfindungen anwenden könnten ; wenn viel-
mehr die Beschaffenheit der Empfindungen uns veranlasste, sie zu
räumlichen Gebilden eines vier- oder n-dimensionalen Raumes za
gestalten".^) Eine solche „euklidische" Geometrie aber wäre, îb
dem oben dargelegten Sinne wenigstens, so wenig Gegenstand men
erkenntnistheoretischen Erörterung, wie es jetzt die Gebflde det
Metageometrie sind.
Nicht dies nämlich charakterisiert erkenntnis-
theoretisch zutreffend und erschöpfend die euklidisct»^
Geometrie, dass ihre Sätze auch unabhängig von d^^
Existenz entsprechender Objekte gelten, sondern viel-
mehr dies, dass die Geltung geometrischer Sätze 19'
Objekte von deren Existenz unabhängig ist
8. Diese Unterscheidung enthält mehr als eine blosse Formel
zur Kennzeichnung der Aufgabe, welche die Geometrie der Er-
kenntnislehre stellt Sie hilft uns vor allem die Aufgaben einer
Logik der Geometrie von den transscendentalphilosopbi-
schen Problemen, welche sich an die Tatsache der Geometn^
knüpfen, zu trennen. — Dass die Sätze der euklidischen Geometrie
gelten, auch wenn kein Objekt da wäre, das sie bestätigte, ist
nur ein anderer Ausdruck für das methodische Verhalten der Geo-
metrie ihre Sätze unabhängig von der Existenz entsprechender
Erfahrungsobjekte zu beweisen. Es ist der Ausdruck für die lo-
gische Tatsache, dass die Geometrie ihre Sätze für die Begriffe
ihrer Gebilde beweist, dass also etwa der Satz von der Winkelsamne
des ebenen Dreiecks, einmal gefunden, von allen im absoluten Bamn
konstruierten Dreiecken gelten müsse. Zum Objekt der Erkennt-
1) Vgl. K. u. 8, V., S. 24 f.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 42Ô
Erfahnmg erwecken. Eine solche besteht nicht; denn es kann
nach dem Grande der Geltung nichtenklidischer Raumgesetze für
den physischen Raum nicht gefragt werden, solange dieser von
Realitäten erfüllt ist, die nur unter der Voraussetzung des
euklidischen Raumes vorgestellt werden können.^) Die Denk-
barkeit von nichteuklidischen ,, Räumen'' entscheidet nicht über
deo Grund der objektiven Geltung des dreidimensionalen und
besitzt daher in diesem Sinne wenigstens auch keinerlei
erkenntnlstheoretische Valenz. — Gewiss, auch die Sätze der
oichtenklicßschen Geometrie „gelten''' Aber ihre Geltung ist nicht
von der Art der Geltung eiiWidischer Sätze. Die Kriterien der
Geltung nichteuklidischer Geometrien sind — wenigstens vom
Standpunkte der für die Erfahrung Geltung beansprachenden
f^ösenschaft Euklids aus betrachtet — rein formaler Natur: elner-
^ts „die antinomische Widerspruchs losigkeit", wonach
'^e Geometrie neben der anderen muss bestehen können,"
'«iererseits „die immanente Widerspruchslosigkelt", wo-
^ix Jede Geometrie in sich selbst wldersprachslos sein muss".^
) Objektivität von Sätzen nichteuklidischer Geometrien hat ge-
^ nichts zu tun mit der Objektivität der Erfahrung; m. a. W.
^ Sätze entbehren schlechterdings jeder unmittelbaren Beziehung
Anschauung und mit ihr der Beziehung auf den Begriff der
iektlvität des Angeschauten.^ — Gerade diese Beziehung aber
^mmt den erkenntnistheoretischen Charakter der euklidischen
^Ometrie. Nach dem Grunde ihrer objektiven Geltung fragen,
'^%st daher nicht nach dem Grunde der Geltung ihrer Sätze
Whaupt fragen. — Für die kritische Erkenntnislehre als eine
'heorie der Erfahrung ist die Geometrie m. a. W. ein Problem, nur
•ofem sie Anspruch darauf erhebt von Dingen a priori zu gelten;
lud die Beziehung der Geometrie auf den Begriff der Erfahrang
D rechtfertigen, das allein ist hier die Aufgabe der Elrkenntnls-
Wrie: sie hat unser Recht auf die Voraussetzung etwa zu be-
riinden, dass die Merkmale des absoluten dreidimensionalen
^) Vgl. Riehl, Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant. Kantstudien,
1 IX, S. 279: femer Riehl, Der philosophische Kritizismus. Bd. I.
weàte Aufl. 1908. S. 329 f.
^ Bauch, Erfahrung und Geometrie in ihrem erkenntnistheoretischen
drhftltnis. ^Kantstudien"", Bd. Xn, S. 223.
*) Das Problem der Objektivität der nichteuklidischen Geometrien
ich seiner positiven Seite hin soll zum Gegenstande einer besonderen
ntertachong gemacht werden.
426 R. Hönigswald,
Raumes anch die des physischen Raumes sein müssen, dass das
Erümmungsmass unseres Erfahrungsraumes in den grössten,
wie in den kleinsten Dimensionen, die als solche niemals Gegen-
stand einer Erfahrung sein können, dasjenige des absolaten
Raumes, nämlich Null sein müsse ; sie hat zu zeigen, mit welchem
Rechte wir die geometrischen Eigenschaften unserer Erfahnmgs-
objekte an dem Ideale derjenigen Gebilde messen, deren Begriff wir
der Konstruktion im absoluten dreidimensionalen Räume verdanken.
7. „Gelten"' würden also auch die auf den Begriff des eu-
klidischen Raumes gegründeten Sätze „wenn unsere ElmpfindaDjfeo
so beschaffen wären, dass wir sie (sc. die geometrischen Gesetze)
gar nicht auf diese Empfindungen anwenden könnten ; wenn Tiei-
mehr die Beschaffenheit der Empfindungen uns veranlasste, sie zo
räumlichen Gebilden eines vier- oder n-dimensionalen Ramnes zs
gestalten**.^) Eine solche „enklidische*" Geometrie aber wäre, in
dem oben dargelegten Sinne wenigstens, so wenig Gegenstand eioer
erkenntnistheoretischen Erörterung, wie es jetzt die Gebüde der
Metageometrie sind.
Nicht dies nämlich charakterisiert erkenntnis-
theoretisch zutreffend und erschöpfend die euklidische
Geometrie, dass ihre Sätze auch unabhängig von der
Existenz entsprechender Objekte gelten, sondern viel-
mehr dies, dass die Geltung geometrischer Sätze für
Objekte von deren Existenz unabhängig ist
8. Diese Unterscheidung enthält mehr als eine blosse Formel
zur Kennzeichnung der Aufgabe, welche die Geometne der Er-
kenntnislehre stellt Sie hilft uns vor allem die Aufgaben einer
Logik der Geometrie von den transscendentalphilosophi-
schen Problemen, welche sich an die Tatsache der Geometrie
knüpfen, zu trennen. — Dass die Sätze der euklidischen Geometrie
gelten, auch wenn kein Objekt da wäre, das sie bestätigte, ist
nur ein anderer Ausdruck für das methodische Verhalten der Geo-
metrie ihre Sätze unabhängig von der Existenz entsprecheoder
Erfahrungsobjekte zu beweisen. Es ist der Ausdruck für die lo-
gische Tatsache, dass die Geometrie ihre Sätze für die Begriffe
ihrer Gebilde beweist, dass also etwa der Satz von der Winkelsumme
des ebenen Dreiecks, einmal gefunden, von allen im absoluten Banio
konstruierten Dreiecken gelten müsse. Zum Objekt der Erkennt-
1) Vgl. K. u. s, V., S. 24 f.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 427
oislehre als kritischer Erfahrungstheorie wird die Geometrie indessen
sret durch ihren Anspruch auf objektive Geltung, d. h. durch ihren
inspnich die Normen für die Beurteilung empirischer Raurover-
lUtoisse zu liefern. Die Erkenntnistheorie prüft die Berechtigung
lieses Anspruchs, sie sucht den Rechtsgrund etwa für die Behaup-
nng, dass eine in den Sand gezeichnete Figur in geometrischem
üirne kein Dreieck ist, weil seine Winkelsumme nicht 180®
eträgt. — Die scharfe und für den erfolgreichen Betrieb der
irkenntnislehre unerlässliche Trennung der beiden Gesichtspunkte
raucht uns natürlich nicht darüber zu täuschen, dass die Âuf-
aben, welche Logik und Erkenntnislehre der Geometrie gegen-
l)er zu erfüllen haben, sich vielfach berühren und bis zu einem
^wissen Grade einander bedingen. Denn einerseits motiviert nur
e logische Eigenart der Geometrie, ihre Sätze unabhängig von
1er Erfahrung zu beweisen, die erkenntnistheoretische
rage nach dem Grunde der Geltung geometrischer Sätze für die
rfahrung; wäre nämlich die Geometrie Erfahrungswissenschaft,
im entbehrte sie jeder Beziehung auf die Frage, „wie synthe-
iche urteile a priori möglich seien ^. Auf der anderen Seite aber
rmag uns erst die Erkenntnislehre das volle Verständnis
s logischen Problems der Geometrie zu vermitteln. Der funda-
tntale erkenntnistheoretische Begriff der Synthesis muss fest-
hen, wenn die logische Eigenart des geometrischen Beweises
asst werden soll. — Es beruht m. a. W. auf einer erkennt-
stheoretischen Einsicht, dass ein Beweis für den Begriff
es geometrischen Gebildes nicht ein Beweis aus Begriffen sein
ane. Der Beweis als solcher aber ist als Gegenstand der
gik von der erkenntnistheoretischen Frage nach dem Grunde
• Geltung des Bewiesenen füi- die Erfahrung scharf zu trennen.
Die Geometrie definiert das allgemeine Formal-
setz der räumlichen Anschauung. Die Logik der Geo-
)trie bestimmt die Eigenart der Methode dieser Defi-
tion und die kritische Erkenntnistheorie den Grund
r die Geltung ihrer Resultate in aller Erfahrung.
9. Auf alle Fälle bedeutet die „Wahrheit*" eines Satzes der
Ididischen Geometrie dreierlei: einmal seine logische und imma-
Qte Widerspruchslosigkeit, dann seine Geltung von allen geo-
ätrischen Gebilden, für deren Begriff er bewiesen worden
ur, schliesslich seine Geltung als Norm für die räumlichen
orhältnisse in der Erfahrung. Den Grund der Geltung in diesem
428 R. Hönigswald,
letzten Sinne vor allem sucht die kritische Erkenntnistheorie, nièt
ohne hierbei zugleich die Bedingungen für das Verständnis der
logischen Eigenart der Geometrie festzulegen.
10. Die Unterscheidung zwischen der Geltung geometrischer
Sätze unabhängig von der Existenz entsprechender Objekte und
deren apriorischer Geltung für Objekte der Erfahrung ist aber
gerade auch inbezug auf die Lehre üphues' nicht bedeutungslos.
Denn sie enthält, genau besehen, die Erkenntnis, dass die von
der Existenz entsprechender Objekte unabhängige Geltung von
Sätzen noch nicht Geltung für beliebige Objekte bedeuten müsse,
dass also die von Dingen unabhängige Begründbarkeit eines Satzes,
seine von Erfahrung unabhängig begründete Geltung, sich mit einer
Beschränkung eben dieser seiner Geltung auf Gegenstände der
Erfahrung sehr wohl vertrage.^)
Aber hiervon ganz abgesehen bringt uns jene Unterscheidung
vor allen Dingen das Âuseinanderfallen der Begriffe der Denkbar-
barkeit und der Objektivität der Erfahrung zu Bewusstsein.
Nichteuklidische Geometrien „gelten", sofern sie — in begründ-
barer Weise — denkbar sind; die euklidische Geometrie „gilt" auch,
sofern sie die Norm für die Beurteilung der räumlichen Eigen-
schaften von Dingen liefert. Die wissenschaftliche Denkba^
keit nichteuklidischer Räume beweist höchstens den Satz Kants,
dass die Axiome der euklidischen Geometrie nicht analytisch
sind,^) sie hat aber nichts zu tun mit dem Rechtsgrund des
apriorischen und dennoch für Gegenstände der Erfahrung gültigen
Gebrauchs dieser Axiome, d. h. mit den Problemen der kritischen
Erkenntnistheorie.
11. Dass auch die nichteuklidischen Räume ungeachtet Uirer
blossen Denkbarkeit, ja vielleicht schon wegen dieser, genau so
wie der euklidische Raum „Gegenstände" sind — das Wort in der
ihm von Meinong erteilten Allgemeinheit verstanden — mag zu-
gestanden werden. In diesem Sinne hätte dann freilich jegliche
Geometrie, die euklidische wie die nichteuklidische auf alle Fftlle
„gegenständliche*' Bedeutung. Aber so gewiss damit der Grand
der apriorischen Geltung der euklidischen für Gegenstände der
Erfahrung noch nicht festgestellt ist, so gewiss wäre auch der
1) Vgl. K. u. 8. V., S. 24 f.
*) Vgl. Riehl, Logik und Erkenntnistheorie in „Die Kultor der
Gegenwart", Teil I, Abt. VI, S. 91 : ferner Riehl, Der philos. Kritinsmus
u. 8. w., Bd. I. Zweite Aufl. 1908, S. 467.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 429
idamentale erkenntnistheoretische Gegensatz zwischen eukli-
«her und nichteuklidiscber Geometrie nicht beseitigt. Dieser
gensatz wäre nur durch eine beide Arten von Geometrien um-
seode Betrachtungsweise verdeckt. Es wäre bloss ein Stand-
nkt gewonnen, für welchen der Gegensatz von wissen-
laftlich begründeter Geltung überhaupt und erfahruugsgemäss
ektiver Geltung, von Anschaulichkeit und relativer ünanschau-
ikeit nicht in Betracht kommt.
Ein solcher Standpunkt nun ist auch die Erkenntuisineta-
fsA üphues'. In jenem Reiche des absoluten Seins, in welches
• durch unsere wahren Urteile, gleichviel was sie enthalten
chten, eintreten, besteht eben kein Gegensatz zwischen der
femeinen Gültigkeit einer Verbindung von Begriffen im Urteil
l der Objektivität der Erfahrung. „Begriffliche Sätze" haben
insowohl Ewigkeitswert, wie „Urteile".^) Der Gegensatz
ischen ihnen wird also gleichsam überbrückt; aber überbrückt
ht durch Analyse, sondern durch Abstraktion, durch das
lordnen der gegensätzlichen Tatbestände unter einen um-
senderen Begriff, dort unter den des „Gegenstandes",
r unter den der „Wahrheit": nur vom Standpunkte des
teren aus ist jene Art der prinzipiellen Gleichsetzung der
iidischen und der nichteuklidischen Geometrie, der wir bei
mes begegnet waren, möglich. ^) Deshalb aber ist jener
Ddpunkt auch niemals der des philosophischen Kritizismus, als
T Theorie vom Gegenstande der Erfahrung. Eine solche hat
lediglich mit dem Grunde der objektiven Geltung der eukli-
hen Geometrie, welcher durch eine erkenntnismetaphysische
rachtungsweise schlechterdings nicht bestimmbar ist, zu tun.
eine solche aber kann der absolute Raum nur Anschauung
i, 80 gewiss er den Inbegriff der in keiner analytischen Formel
laltenen Bedingungen der Konstruktion darstellt.
Nicht die logische und mathematische Vollkommenheit der
lidischen Geometrie hat also die Erkenntnislehre zu bewerten,
iern den Grund ihrer absoluten Geltung als Norm für die Be-
»long erfahrungsgemässer Raumverhältnisse hat sie in erster
ie zu bestimmen. Der Mathematiker mag das Recht haben zu
[ären: „Die natürliche Geometrie ist zwar eine einfache aber doch
1) Zu dieser Unterscheidung vgl. Riehl, Beiträge zur Logik. Viertel-
wchrift f. wiss. Philosophie. 1892. S. 16 f.
•) Vgl. üphues, a. a. 0.
430 R. Hönigswald,
auch unvollkommene Versinnlicbung ihres Gedankengehaltes^.^) Die
Frage der Erkenntnislehre ist es, mit welchem Rechte die
„natürliche" Geometrie Anspruch darauf erhebt für die „Natur"*
apriori zu gelten. — Es ist in weitem Umfange eine iünere
Angelegenheit der Geometrie, den Begriff des Raumes beliebig
zu erweitern.^) Aber es ist Sache der Erkenntnistheorie,
festzustellen, aus welchem Grunde der dreidimensionale von
Dingen notwendig gilt und was dieser selbst im Hinblick auf
seine notwendige Geltung von Dingen sein muss, ob Anscbaunng
oder Begriff.
Dem Standpunkt der Metageometrie trägt die Erkenntnis-
lehre vollauf Rechnung, wenn sie die Tatsächlichkeit des
euklidischen Raumes zugesteht: er ist einer unter vielen mög-
lichen. Seine Notwendigkeit aber wird von jener Tatsäch-
lichkeit nicht berührt, denn sie ist eine transscendentale,
d. h. sie besteht in notwendiger oder apriorischer Geltoug
für Dinge: „die tatsächliche Form unserer äusseren Anscbannog
ist zugleich die notwendige Form der angeschauten Dinge".') -
Die metageometrische Einsicht von der „blossen TatsächUchkeit"
des euklidischen Raumes könnte — wie schon angedeutet — die
Fragestellung der kritischen E^kenntnislebre nur in einem Falle
berühren : wenn nämlich jene Einsicht eine Veränderung der Me-
thode der euklidischen Geometrie bedingen würde. Das heisst
m. a. W.: Nur wenn die „Tatsächlichkeit** des dreidimensionalen,
ebenen Raumes die euklidische Geometrie ans einer durch Kon-
struktion demonstrierenden in eine empirisch messende Wissen-
schaft vom Räume verwandeln würde, hätte die euklidische Geo-
metrie aufgehört ein Gegenstand der E^kenntnislehre zu sein; denn
sie hätte ihren Anspruch auf apriorische und dennoch synthetiiBche
Geltung ihrer Sätze aufgegeben. So gewiss jenes nicht zutrifft»
so gewiss bleibt die Geometrie eines der wichtigsten Objekte der
kritischen Erkenntniswissenschaft. ^)
1) Vgl. H. Weber und J. Wellatein, EncyklopÄdie der dementai«
Geometrie. Leipzig 1905. S. 31.
«) Vgl Meinong, a. a. 0., S. 97.
^ A. Riehl, Helmholtz in seinem Verhältnis zu Kant. „Kantstadi«*!
Bd. IX, S. 277.
^) Einen interessanten Beleg für die BAÜosigkeit, mit welcher dar
metageometrische Empirismus dem erkenntnistheoretischen Problem von
der Notwendigkeit der euklidischen Geometrie gegenübersteht, entbftlt
Zum Begriff der kritischen Erkenn tnislehre. 431
12. Dennoch hat auch die Tatsächlichkeit des euklidischen
inmes, seine „Gegebenheit" weitreichende erkenntuisiheoretische
3deQtang: sie verbärgt die relative Selbständigkeit der „Sinnlich-
st" gegenüber dem „Verstände".
Es mag zugestanden werden, dass die primäre Unterscheidung
ants zwischen Sinnlichkeit und Verstand mit einer kritisch noch
cht geläuterten Vorstellung vom Wesen des Begriffes zusammen-
ingt. Noch ist in der transscendentalen Ästhetik augenschein-
ûi der aas einer Mannigfaltigkeit von Inhalten abstrahierte
egriff der Repräsentant des Verstandes, dem nun die anschau-
:h konstruierende Sinnlichkeit gegenübergestellt wird. Noch be-
ifft also diese Unterscheidung „zwischen der blossen Subsumtion
id der synthetischen Erschaffung eines Inhaltes'' mehr „eine
bgrenzung gegen die herkömmliche logische Technik"^) und
t ist klar, dass der Unterschied zwischen diskursivem und reinem
egriff nicht kleiner ist als der zwischen dem ersteren und der
Sinnlichkeit'', der Gegensatz zwischen dieser und dem Verstände
80 weit weniger schroff, als es die transscendentale Ästhetik zu
rdem scheint. So ständen denn also dem „diskursiven" Begriff
if der gemeinsamen Omndlage der reinen Synthesis Verstand
id Sinnlichkeit gegenüber und es liegt keineswegs ferne, die
dbständigkeit der letzteren der in ihr wirkenden Einheit des
^rstandes gegenüber zu unterschätzen. — Kant selbst scheint
t der Frage: Liegen die Sätze der Geometrie „im Räume und
nt sie der Verstand, indem er den reichhaltigen Sinn, der in
lem liegt, bloss zu erforschen sucht, oder liegen sie im Ver-
B. die Erwägung Poincarés: „Woher stammen die ersten Grundlagen
r Geometrie? Sind sie uns durch die Logik auferlegt? Lobatschewsky
b das Gegenteü bewiesen, indem er die nicht-Euklidische Geometrie
int Ist der Raum uns durch unsere Sinne offenbart? Ebenfalls nicht,
an der Raum, den uns unsere Sinne zeigen können, unterscheidet sich
lolut von dem geometrischen Räume. Hat die Geometrie ihren Ur-
mng in der Erfahrung? Eine gründlichere Erörterung zeigt uns, dass
» nicht der FaU ist. Wir schlussfolgem also, dass die Grundlagen nur
»ereinkommen sind; aber diese Obereinkommen sind nicht willkürlich,
d wenn wir in eine andere Welt versetzt würden, welche ich die nicht
iklidische Welt nenne und die ich mir vorzustellen versuche, so müssten
r zu anderen Übereinkommen gelangen." Poincaré, Wissenschaft und
jrpothese. Deutsch von F. und L. Lindemann. Zweite verbesserte Aufl.
npzig 1906. Einleitung S. XV.
1) Gassirer, a. a. 0., S. 33.
432 R. Hönigswald,
Stande uud in der Art, wie dieser den Raum nach den Bedingungen
der synthetischen Einheit, darauf seine Begriffe insgesamt aus-
laufen, bestimmt?" — eine solche Auffassung zu begünstigen.
Aber die Antwort auf diese Frage, so hoch sie auch die Rolle
des Verstandes gegenüber der Sinnlichkeit veranschlägt, lässt uns
doch über die relative Selbständigkeit der beiden Faktoren nicht
im Zweifel. „Der Raum ist etwas so Gleichförmiges und in An-
sehung aller besonderen Eigenschaften so Unbestimmtes, dass man
in ihm gewiss keinen Schatz von Naturgesetzen suchen wird.
Dagegen ist das, was den Raum zur Zirkelgestalt, der Figur des
Kegels und der Kugel bestimmt, der Verstand, sofern er den
Grund der Einheit der Konstruktion derselben enthält Die blosse
allgemeine Form der Anschauung, die Raum heisst, ist also wohl
das Substratuni aller auf besondere Objekte bestimmbaren An-
schauungen, und in jenem liegt freilich die Bedingung der Mögr-
lichkeit und Mannigfaltigkeit der letzteren; aber die Einheit der
Objekte wird doch lediglich durch den Verstand bestimmt, uad
zwar nach Bedingungen, die in seiner eigenen Natur liegen.* ^)
Die Einheit der Konstruktion — das ist die Leistung des
Verstandes an einem für sich bestimmungslosen Substrate der An-
schauung. Dieses Substrat aber und damit die dem Verstände
gegenüber materialen Bedingungen der Konstruktion liefert der
geometrische Raum. Ist dieser „etwas Gleichförmiges und in An-
sehung seiner besonderen Verhältnisse Unbestimmtes", so gilt das
entsprechende auch für den Verstand: Die Tatsache ihrer gegen-
seitigen Determination ist der beste Beweis für ihre relative
logische Selbständigkeit.
Wo immer unter mathematischen Gesichtspunkten die logische
Selbständigkeit der Anschauung zugunsten des Verstandes ge-
leugnet wird, dort entsteht die Tendenz die Mathematik in eine
abstrakte Ordnungslehre, um den Terminus Couturats zn ge-
brauchen, in „Logistik" zu verwandeln, freilich auch die Gefahr,
mit dem Begriff der Grösse auch auf den Zusammenhang mit der
Erfahrung zu verzichten.^ Das spezifische Probfem der kritischen
Raumlehre vor allem wird unter solchen Umständen gegenstands-
los. Wo immer das transscendentale Problem des Raumes verkannt
wird, dort erwacht die Tendenz zur Abstraktion von den anschan-
1) Kant, Prolegomena, § 38.
^) Vgl. Cassirer, a. a. 0.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 43a
eben Bedingungen der Geometrie überhaupt, die Tendenz in der
feoDietrie die „irrationalen"" Elemente der Anschauung und der
Jrösse durch die Begriffe der Ordnung und der Beziehung zu
arsetzen.^) Rationalisten verfallen dieser Tendenz geradeso wie
Empiristen, oder Empiriokritizisten, wenn nur jene eben genannte
Bedingung erfüllt ist.
13. Doch kehren wir zur Uphuesschen Raumlehre zurück.
Dass „Raum und Zeit den Empfindungen anhängende Formen
rind", schliesst unseres Erachtens nicht den Widerspruch in sich,
sie seien selbst schon jenes Neben- und Nacheinander, das sie doch
weh Kant erst ermöglichen sollten.^) Es bedeutet für die kritische
Erkenntnislehre vielmehr nichts anderes als dies: Raum und Zeit
imfassen den Inbegriff der anschaulichen und nicht dem materi-
Jen Grunde der Erfahrung entstammenden gesetzlichen Beding-
ögen des Neben- bezw. des Nacheinander, deren empirische
estimmungen gleich den Empfindungen durch jenen materialen
niad selbst bedingt sind.
Raum und Zeit sind vermöge der Eigenart der Bestimmungs-
'Oiente ihrer Begriffe anschaulich; jene Bestimmungselemente
inzigkeit, Stetigkeit, Unendlichkeit) können m. a. W. nur im
i^blick auf empirische Anschauungen bestimmt, wenn auch nicht
Ä ihnen abgeleitet werden. — Wie es nun komme, dass der
«olute Raum und die absolute Zeit die gültigen Normen für die
Aufteilung empirischer Anschauungen liefere, dass sie die Gesetze
^ physischen Raumes und der erlebten Zeit darstellen, das
A m Bezug auf sie das transscendentale Problem. Und die
•ösung dieses Problems liegt in dem Beweise, dass die Ver-
Dilpfung in der Einheit des absoluten Raumes und der absoluten
eit zugleich die Bedingungen enthalte, unter welchen empirische
Qschauungen als solche stehen müssen. Der physische Raum ist
izigy stetig und unendlich, weil er dem Gesetze des absoluten
lumes, dessen „Sein" sich in der Geltung für den relativen er-
höpft, unterliegt. — Eben deshalb ist die Befürchtung, Raum
d Zeit könnten mit den Empfindungen, welchen sie als An-
[lauungsformen anhaften, „in das Gebiet des bloss Relativen*"
rabgezogen werden,*) nicht begründet: denn die Anschauungs-
rmen des absoluten Raumes und der absoluten Zeit sind objek-
1) VgL Pasch, Vorlesungen über neuere Geometrie. Leipzig 1882.
«) VgL K. u. s. V., S. 24 und 116.
^ K. u. 8. V., S. 26.
434 k. Hönigswald,
live Bedingungen der empirischen Anschauung. Das beweist ihn
Beziehung zur synthetischen Einheit der Apperzeption, der Um-
stand also, dass sie, mit Kant zu reden, nicht nur „Formen der
Anschauung", sondern auch „formale Anschauungen"^) and.
„Raum und Zeit sind, subjektiv betrachtet. Formen der Sinnlich-
keit, aber um von ihnen als Objekten der reinen AnschanuDg
sich einen Begriff zu machen (ohne welches wir gar nichts von
ihnen sagen könnten), dazu wird a priori der Begriff eines Zu-
sammengesetzten, mithin der Zusammensetzung (Sjrnthesis) ta
Mannigfaltigen erfordert, mithin synthetische Einheit der App«^
zeption in Verbindung dieses Mannigfaltigen."^ Raum und
Zeit sind Funktionen der Einheit in der AnschanuDg.
Sie gehören zu einem System von allgemeinen Bedingungen der
Einheit, welchen nur ein „Bewusstsein" genügen kann. Dasirt
der erkenntnistheoretische Sinn des Satzes von ihrem „subjektiveo*
Ursprung. Denn Raum und Zeit stammen nicht aus und Ter-
gehen nicht mit dem empirischen Bewusstsein, so wenig wie
Geometrie oder Chronometrie. Raum und Zeit entspringen ak
Funktionen der Einheit der Form eines Bewusstseins, sie gehM
zu dem System von Bedingungen der Einheit, in welchem dieie
Form besteht.
Wäre der absolute Raum nicht Form der Anschauung, dm
müsste vor allen Dingen vom physischen Räume eine vergleichead-
empirische, d. h. eine messende im Gegensatz zu einer demon-
strierenden Wissenschaft geschaffen werden. Wir mfisBtei
m. a. W. den Faden der Forschung genau dort aufnehmen, wi
ihn die alten Ägypter mit ihrer Erfahrungsgeometrie fall^ ge-
lassen; und das Licht vor allem, welches, „dem, der als erster da
gleichschenkligen Triangel demonstrierte, aufging,^ würde nosere
Pfade im physischen Räume niemals erhellen. — Dann aber win
auch der physische Raum entweder selbst ein Ding neben ander«
oder sein Begriff würde zusammenfallen mit dem der Baoa-
erfüUung. Geometrie wäre „Naturphilosophie" geworden. AI«
hiervon ganz abgesehen, müssten unter der Voraussetzung der
zweiten Annahme die in der Tatsache der Symmetrie b^grBo-
deten wahren Unterschiede der räumlichen Beschaffenheit tob
1) Kr. d. r, V. (Ausgabe von Vorländer), S. 161.
1) Kant, Über die Fortschritte der Metaphysik xl s. w. Beiii«»
Schriften zur Logik und Metaphysik. Herausgegeben von KariToittoder.
Leipzig 1906. Dritte Abteüung. S. 102.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 435
ogen in dem Verhältnisse der Teile zneinander liegen — ein
bloss, der sich durch die Tatsache niemals rechtfertigen lässt.
Das Phänomen der Symmetrie kann nur in der Beziehung re-
iver Ranmverhältnisse auf einen absoluten Raum bestehen. —
ese Erwägung war denn auch für Kant das zeitlich erste Motiv
r die Annahme, „dass nicht die Bestimmungen des Raumes
>lgen von den Lagen der Teile der Materie gegeneinander,
idern diese Folgen von jenen sind": es wurde ihm klar, „dass
der Beschaffenheit der Körper Unterschiede angetroffen werden
nnen, und zwar wahre Unterschiede, die sich lediglich auf den
soluten und ursprünglichen Raum beziehen, weil nur durch
r das Verhältnis körperlicher Dinge möglich ist; und dass . . .
r dasjenige, was in der Gestalt eines Körpers lediglich die Be-
hung auf den reinen Raum angeht, nur durch die Gegenhaltnng
t anderen Körpern vernehmen können."^)
Weil aber der euklidische Raum, so schloss Kant später,
Dem Begriffe nach als „reine"* Anschauung Form der An-
lauung sein muss, so müssten einerseits die ihn voraussetzenden
setze der euklidischen Geometrie auch für die angeschauten
Ige notwendig gelten, andererseits könne er selbst nicht aus
1 Dingen stammen, vielmehr sei er die Art „des Bewusstseins
îrhaupt** räumlich vorzustellen. Man sucht in einer solchen
Stimmung vergeblich den Keim eines Relativismus, von welchem
liues die kritische Raumlehre bedroht glaubt. Ja, gerade in
er Bestimmung überwindet die kritische Erkenntnislehre
m Relativismus. Der absolute Raum wie die absolute Zeit
len den Inbegriff der objektiv gültigen Raum- bezw. Zeit-
Btze, weil sie dem „Bewusstsein überhaupt", als der obersten
lingung aller Gegenständlichkeit, und nicht den Dingen selbst
ehören.
An das „Bewusstsein überhaupt" reicht eine Wissenschaft
den empirischen Gesetzen des individuellen Bewusstseins, die
cbologie, nicht heran. Diese bestimmt daher auch niemals den
griff des absoluten Raumes, sie kann höchstens die zeitlichen
lingungen der Entstehung unserer Vorstellung vom absoluten
ime erörtern. Die Psychologie der Geometrie ist keine Wissen-
^) Kant, Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden
Räume. Kleinere Schriften zur Logik und Metaphysik. Zweite Aof-
5. Herausgegeben von Karl Vorlftnder. Leipzig 1905. Zweite Ab-
ang. S. 86.
436 R. Honigswald,
Schaft von dem Recbtsgrund ihrer objektiven Qeltang. Dass
dieser von der Erf abrang unabbängig, d. b. apriori erbracht
werden kann, ist daher auch keine These, zu welcher die Psycho-
logie als solche zustimmend oder ablehnend Stelloog nehmen
könnte. Es giebt kein naturwissenschaftliches Forschongsergebnis,
das über die apriorische Lehre des Kriüzismas zu entscheiden
vermöchte.^)
m.
1. Es ist von Uphues ebenso konsequent, wie es dem
Standpunkt der kritischen Philosophie widerspricht, die streng
formale Natur eines „Bewusstseins überhaupt'' zu leugnen. Wie
für ihn Raum und Zeit nicht Formen der Anschauung waren, so
bestreitet er auch die formale Natur des ^»Bewusstseins uberhaupt*".
— An dem Begriff selbst hält er jedoch, gerade zum Zwecke des
Beweises einer überindividuellen Geltung von Baum und Zeit, fest
— Aus diesem Sachverhalt nun ergiebt sich für ihn eine eigen-
artige Alternative: wir müssten — so meint er — ,,entweder mit
den Indem die individuellen Bewusstseine, das Ich mit dem Du
und das Du mit dem Ich verselbigen oder die individuellen Be-
wusstseine mit einem allumfassenden, eben dem göttlichen Be-
wusstsein in Zusammenhang bringen, in dem die apriorischen Ge-
setze Raum und Zeit ihren letzten Grund haben''.^) — Die Folge-
richtigkeit der Alternative selbst kommt für die vorliegende Er-
örterung nicht in Betracht. Wichtiger erscheint es, die Glieder
der Alternative auf ihre erkenntnistheoretische Valenz zu prüfen.
Und hier steht vor allen Dingen eines fest: Weder das erste,
noch das der Auffassung Uphues' augenscheinlich näherstehende*)
zweite Glied vermag eine über das individuelle Erleben hinaos-
reichende Geltung von Raum und Zeit zu gewährleisten.
Das erste zunächst nicht, weil es sich, kurz gesagt, nur auf
den Inhalt des empirischen Bewusstseins bezieht. — Gewi»,
auch der kritischen Auffassung ist der allgemeine Gedanke
^) Vgl. hierzu E. v. Cyon, Das Ende der apriorischen Lehre tod
Kant. Vorrede zn seinem Werk: Das Ohriabyiinth als Organ dar
mathematischen Sinne für Raum und Zeit. Berlin. Verlag Ton JnUni
Springer. 1906.
«) K. u. 8. V., S. 27.
^ Vgl ebenda, S. 107.
2un) Begriff der kritischen Etkenntnislebfe. 437
„Verselbigung" der individuellen Bewusstseine nicht ganz
Ist doch das „Bewusstsein überhaupt^ für sie geradezu die
ping, unter welcher das individuelle und zeitlich wirkliche
istsein zum Repräsentanten eines „möglichen'' wird. — Damit
st auch schon der Gegensatz zwischen der Auffassung üphues*
ier des philosophischen Kritizismus fixiert. Denn nicht die
seitige „Verselbigung" individueller Bewusstseine schlecht-
aeint der Kritizismus, also eine Art empirischer Verselbigung,
rn „Verselbigung" nur sofeni sie Unterordnung aller individuellen
sstseine unter deren gemeinsames allgemeinstes Gesetz bedeutet
5 Gesetz eben ist das „Bewusstsein überhaupt". Es ist der
piff jener Bedingungen der Einheit durch Verknüpfung,
en nur ein empirisches Bewusstsein genügen kann. Für ein
isstsein überhaupt" besteht der Gegensatz der individuellen
sstseine nicht mehr; allein nicht deshalb, weil es als ge-
•massen übergeordnetes Wesen den Inhalt aller individuellen
sstseine absorbiert, gleichsam von allem, was das individuelle
jstsein enthält, „weiss", sondern, weil es die allgemeinste
^ung ist, welcher jedes individuelle Bewusstsein als solches
en muss. Das „Bewusstsein überhaupt" ist die jedem Be-
sein gemeinsame „Möglichkeit, zu sich selbst Ich zu sagen".^)
nur im Hinblick auf diese Möglichkeit ist es „in allem Be-
sein ein und dasselbe";^) im Hinblick auf diese Möglichkeit
aber auch — und das ist hier das entscheidende — eine
lie Bestimmung des empirischen Bewusstseins. — Aber auch
weite Glied der üphuesschen Alternative unterliegt schwer-
iden Bedenken. Denn es lässt nicht nur die Frage nach
rkenntnistheoretischen Natur des göttlichen Bewusstseins,
•n vor allen Dingen auch die nach dem Verhältnis des letz-
zu Raum und Zeit offen.
2. Allein üphues leugnet die formale Natur des „Bewusst-
überhaupt" ganz besonders im Hinblick auf die Beharrlich-
des Ich. „Wie sollen wir" — so fragt er — „von Syn-
i in unserem Bewusstsein, von Urteilen, Erinnern and
rerkennen reden können, wie sollen wir überhaupt Bewusst-
orgänge als unsere eigenen bezeichnen und von fremden
i) Kant, über die Fortschritte der Metaphysik u. s. w. Kleinere
en zur Logik und Metaphysik. Herausgegeben von Karl Vorländer.
j; 1906. Dritte Abteilung. S. 95.
^ Kr. d. r. V. (Ausgabe Vorlünders), S. 141.
(•tadUu xiu. 29
438 R. Hftnigswald,
unterscheiden können, wenn wir mit Kant leugnen wollen, dass
das Ich beharrlich dasselbe bleibt? Und das muss doch geleugnet
werden, wenn es nichts anderes ist als die bei all unseren Akten
beständig wiederkehrende, also mit diesen Akten auch beständig
sich in die Vergangenheit verschiebende blosse Form unseres Be-
wusstseins."^) — Wie steht es nun um diese sachlich weitaus-
greifenden Einwände?
Die „transscendentale Apperzeption" — oder das „Bewusst-
sein überhaupt "", denn um dieses handelt es sich auch hier — ist,
weil es die formale Bedingung eines möglichen Bewusstseins dar-
stellt, zugleich der Inbegriff der Bedingungen der Objektivität
sinnlicher Vorstellungen oder, was dasselbe ist, der formalen Be-
dingungen des Gegenstandes der Erfahrung. Sie ist diejenige
Einheit, durch welche wir die subjektiv gültige Mannigfaltigkeit
der Erfahrung im Begriffe eines allgemeingültigen Gegenstandes
verknüpfen. M. a. W. : Nicht die Dinge an sich selbst sind
Gegenstände der Erfahrung, sondern die in der Einheit des Be-
griffes vom Gegenstande vereinigten Erscheinungen von Dingen.
Jene Einheit aber ist nichts als der Gedanke eines objektiven
Grundes der Erscheinungen, mithin in allen Gegenständen der
gleiche, also formal. Und weil Gegenstände in der Erfahrung
keine andere Funktion haben als die, den Grund ihrer Erschein-
ungen zu bilden, so ist jene Einheit eine Bedingung des Gegen-
standes der Erfahrung. Nun kann aber der Begriff der Einheit ,
nur definiert werden im Hinblick auf die Verknüpfung durch ein m
Bewusstsein. Deshalb ist die jedem Bewusstsein als solchem ge —
meinsame, d. h. formale Art der Verknüpfung — und diese isLM
das „Bewusstsein überhaupt" — eine Bedingung des allgemein —
gültigen Gegenstandes der Erfahrung.
Die tatsächliche Erfüllung jener Bedingungen durch di^
Dinge nun ist von der Existenz empirischer Bewusstsein^
schlechthin unabhängig: die objektive Natur besteht weiter, andHE
wenn „ich" nicht da bin, d. h. sie fährt fort, Gegenstand eme^sö
möglichen Erfahrung zu sein. Daraus folgt, dass die Beding^B
ungen für die Objektivität der Natur, also das „Bewusstsein übea^
haupt", mit dem empirischen Bewusstsein nicht zusammenfalle^
können. Im Gegensatze zu diesem ist jenes die zeitlich und ms-
haltlich nicht bestimmte Bedingung für die ^'^«^chkeit, dass
») K. u. s. V„ S. 244 f.
2um Begriff der kritischen ßrkennttiislehre. 439
Dinge Qegenstände der Erfahrung werden können. Sie ist die
Norm, gemäss welcher ein mögliches empirisches Subjekt seine
Vorstellungen nach empirischen Begeln der Psychologie ver-
knüpfen muss, damit sie allgemeingültig, d. h. auf Objekte be-
zogen seien. Im Hinblick gerade hierauf bestimmt Kant das
«Bewusstsein überhaupt" durch die Möglichkeit, das zu ver-
knüpfende mit dem an sich leeren Qedanken zu begleiten: ich
denke. In der Tat ist es nichts anderes, als die mit dieser Mög-
lichkeit, die natürlich mit psychologischer „Fähigkeit" nichts zn
tun hat, gegebene Bedingung der Einheit. Das „Bewusstsein
überhaupt" ist daher nicht ein Wesen, das denkt, sondern das in
dem leeren Begriff des Denkens gelegene Formalgesetz der Ver-
Iniüpfung, zugleich das Formalgesetz des Verknüpften selbst. —
Ist nun dieser Begriff eine Bedingung des Gegenstandes der Er-
:fahning, dann steht der letztere zugleich auch unter der Be-
dingung eines möglichen Bewusstseins von der Identität seiner
selbst. Denn „nur dadurch, dass ich ein Mannigfaltiges in Einem
£ewnsstsein verbinden kann, ist es möglich, dass ich mir die
Identität des Bewusstseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle,
d. i. die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der
Toraussetzung irgend einer synthetischen möglich"; — und
andererseits ist nur die Vorstellung der Identität des Bewusst-
seins der psychologische Ausdruck seiner Funktion als synthetische
Einheit. So verbürgt also gerade die Reflexion auf den for-
malen Charakter der transscendentalen Synthetis den von Uphues
vertretenen Grundsatz von der Identität des Ich.
3. Das Bewusstsein von der Identität des Ich hängt nun
freilich mit einer Kenntnis der „wahren" — wenn man so sagen
dürfte —, der »objektiven" Beschaffenheit des Subjektes nicht
zusammen: Das „Ich der Apperzeption" kann über „die Identität
der Person" niemals entscheiden.^) Von jener spricht denn auch
in der Kritik einer apriori von Dingen urteilenden Vernunft
Kant, von dieser handelt in dem angeführten Zusammenhange
Uphnes. Kant erörtert „die Identität des Bewusstseins meiner
selbst in verschiedenen Zeiten" nur als „eine formale Bedingung
meiner Gedanken und ihres Zusammenhangs", welche „die nume-
rische Identität meines Subjekts" nicht verbürgt;') Uphues da-
gegen jenes beharrlich dasselbe bleibende Etwas, das unseren Be-
») Vgl. Kant, Kr. d. r. V. (Ausgabe von K. Vorländer), S. 846.
>) Ebenda S. 788.
440 R. Hönigswald,
wusstseinsvorgäügen zugrunde liegt. ^) Und deshalb trifft die
Argumentation Uphues' zugunsten dieses „Etwas" die Lehre Kaots
höchstens nur an der einen für das Wesen ihrer Aufgabe freilich
recht wenig bedeutsamen Stelle, wo Kant gleichsam zum Beweise der
Vei*schiedenheit zwischen formaler Identität des Bewusstseins and
numerischer Identität der Person, zum Beweise also, dass „ohn-
erachtet der logischen Identität des Ich doch ein solcher Wechsel
vorgegangen sein kann, der es nicht erlaubt, die Identität des-
selben beizubehalten", das bekannte Gleichnis der elastischen
Kugeln heranzieht.^) „Nehmt nun, nach Analogie mit dergleicheo
Körpern, Substanzen an, deren die eine der anderen Vorstellungen
samt deren Bewusstsein einflösste, so wird sich eine ganze Reihe
derselben denken lassen, deren erste ihren Zustand samt dessen
Bewusstsein der zweiten, diese ihren eigenen Zustand samt dem
der vorigen Substanz der dritten und diese ebenso die Zustinde
aUer vorigen samt ihrem eigenen und deren Bewusstsein mitteilte.
Die letzte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr ver-
änderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewusst sein, weil jene
zusamt dem Bewusstsein in sie übertragen worden, und dem-
unerachtet würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen
diesen Zuständen gewesen sein.^ Das Kantsche Oleicbnis mag ja
in seiner ganzen Anlage — wie Uphues darlegt — *) verfehlt
sein. Was es aber nach Kants Absicht leisten soll, ist in dem
Problem der kritischen Philosophie wohlbegründet. Es ist nichts
anderes als die Beantwortung der Frage, ob die formale Identität
des Ich, sofern es niemals Gegenstand, ja, streng genommen unt«r
dem Gesichtspunkt der Gegenständlichkeit nicht einmal gedacht
werden kann oder aber die numerische Identität der Person, also
das „mir" zugrundeliegende Wesen die oberste Bedingung der Mög-
lichkeit von Objekten der Erfahrung darstellen. Das Kantische
Gleichnis, das den letztgenannten Fall ausschliessen will, zeigt, wie
man mit jeder Theorie vom „Wesen" des Ich den Eahmen der kri-
tischen Philosophie und damit auch den Boden einer fruchtbaren
Auseinandersetzung mit Kant verlässt. Die Frage nach dem Wesen
des Ich' verhält sich zum kritischen Problem der transscendentalen
Apperzeption, wie etwa die Frage nach dem Realgrunde der Drei-
dimensionalität des Raumes der euklidischen Geometrie zur Er-
1) K. u. 8. V., S. 246.
•^) Kant, a. a. 0.
3) K. u. s. V., 246 f.
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 441
irteniog des Grundes der objektiven Geltung der geometrischen
Axiome oder — um ein weiterhergeholtes Beispiel heranzuziehen
— wie die Leibnizsche Lehre von den Kraftzentren zu der
öalileischen Theorie der Bewegung.
4. Aber auch auf dem Boden einer eminent „antimetaphy-
nscheu'' Erkenntnislehre kann die logische Identität des Ich mit
1er numerischen Identität der Person gleichgesetzt werden. Ja,
Bese Gleichsetzung steht geradezu im Zentrum der Position des
Empiriokritizismus der Gegenwart Freilich gilt sie hier —
Ban denke an die Philosophie M ach s — nicht wie bei Uphues
lern Beweise, sondern der Widerlegung der These von der
mmerischen Identität der Person. Allein, da dieser üntei-schied
Ui der grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Bedeutung jener
sileichsetzung nichts ändert, so erscheint ein Exkurs in die
Ifachscbe Erkenntnislehre auch im Zusammenhange unserer Dar-
egnng gerechtfertigt.
Mach bekämpft die Berechtigung der Vorstellung von der
omerischen Identität der Person und glaubt damit auch die von
er logischen Identität des Ich getroffen zu haben. Das Ich
ann nach Mach nicht mit sich selbst identisch bleiben, so gewiss
ie „Elemente", aus welchen es besteht, wechseln. Denn „die
lemente bilden das Ich. Ich empfinde Grün, will sagen, dass
IS Element grün in einem gewissen Komplex von anderen Ele-
enten (Empfindungen, Erinnerungen) vorkommt."^) — Allein —
Qd das ist für unsere Haltung entscheidend — die Vorstellung
nes solchen Ich-Komplexes — sein Begriff mag vollziehbar sein,
1er nicht — ist niemals eine beweiskräftige Instanz gegen die
nnahme einer logischen Identität des Ich; und zwar deshalb
icht, weil er sie in der Beziehung seiner Elemente zu einander,
i deren Ordnung nach einem Prinzip der Einheit schon voraus-
itzt. Die Machschen Sätze: „Wenn ich aufhöre grün zu em-
ßnden, wenn ich sterbe, so kommen die Elemente nicht mehr in
er gewohnten, geläufigen Gesellschaft vor. Damit ist alles ge-
igt^) — bestritten höchstens nur die IdentitÄt der Person; —
egen die logische Identität des Ich beweisen sie nichts. Denn
1) Mach, Analyse der Empfindungen. Fünfte Auflage. Jena 1906. S. 19.
') Ebenda; vgl. hierzu Külpe, Die Philosophie der Gegenwart in
Deutschland. Leipzig 1904. S. 17—25. Femer meine Schrift: Zur Kritik
er Machschen Philosophie. Berlin 1903 und meinen Aufsatz: Empiristi-
cher und kritischer Idealismus. Beilage z. Allg* Ztg. vom 5- Sept. 1908.
442 R. Hönigswald,
diese ist nur ein anderer Ausdruck für die formale Voraassetzuiig
der Möglichkeit einer „Gesellschaft" von Elementen überhaupt.
Ja, sie ist die formale Voraussetznng jedes einzeluen Ele-
mentes selbst als eines von anderen nnterscheidbaren Gebildes.
„Oegeben"" sind diese Elemente eben nur im Hinblick auf die
Spezifizität ihres Inhaltes oder als methodische Ausgaugsponkte der
erkenntnistheoretischen Überlegung. Als „Elemente'' aber sind
sie gedacht;^) als „Elemente" sind sie — um eine treffende Be-
zeichnung B. Bauchs zu gebrauchen — schon ^für die ErkenntÉ
bestimmt".^) — Mach will die These von der Identität des „W
widerlegen, indem er dessen komplexe Struktur enthüllt, indem er
es aus „Elementen'' bestehend aufweist; in Wahrheit behauptet
er aber die Identität des Ich schon im Begriff, d. h. mit der
formalen Einheit seiner Elemente. Hume, aid den der Empim-
mus sich so gerne beruft, sah hier weitaus schärfer. Wohl gibt
es auch für ihn kein mit sich selbst identisch bleibendes Ick.
Auch für ihn ist es nur jenes berühmte „Bündel verschiedener
Perzeptionen, die einander mit unbegreiflicher Schnelligkeit folg«
und beständig in Fluss und Bewegung sind^. Aber schon erM
er die Umrisse des kritischen Problems der formalen Synthese
„Alle meine Hoffnungen schwinden, wenn ich daran gehe, è
Faktoren zu bezeichnen, welche unsere successiven Perzeptioneo
für unsere Vorstellung oder unser Bewusstsein vereinigen. M
kann keine Theorie ausfindig machen, die in diesem Ponktek'
friedigt.''^ Diese Sätze enthalten die schärfste Kritik der fr
kenntnistheorie Humes und den treffendsten Hinweis auf ^
Punkt, an welchem Kant sie überwand: die synthetische Sokfli^
der Apperzeption, den formalen Grund der Verknüpfung ii ^
Erfahrung.
Wo der scharfe Begriff des letzteren fehlt, dort verftDt i»
eben als Metaphysiker wie als Antimetaphysiker dem ^Vvnkfl
mus der Personalität".
Gewiss, die Vorstellung von der „Gegebenheit'' der He««*
will bei Mach nur der „voraussetzungslose" Ausdruck des 6t
dankens sein, dass sie die derzeit letzten Bausteine dar Wiri^
1) Vgl. Hell, Ernst Mach« Phüosophie. Stuttgart 1907. ^^ ^ .
^ Bauch, Zum Begriff der Erfahrung. Philos. Wochewcariß*'
Literaturzeitung. Bd. I.
3) Home, A treatise of human nature. Ausgabe vùt L ^ ^^
^e. Oxford 1396. S. 636 f. Vgl. auch Riehl, a. a. 0^ & lÜ
Zum Begriff der kritLschen Erkenntuislehre. 443
bilden. — Es kann hier nicht untersucht werden, inwieweit
üeser Funktion gewachsen, inwieweit sie dagegen — wie
h selbst einmal sagt — „Abstraktionen" darstellen.^) Sicher
[ass sie als qualitativ bestimmte Einheiten den formalen, wie
materialen Bedingungen der Erkenntnis unterliegen müssen:
rie auf der einen Seite vom Gesetz der reinen Synthesis be-
cht werden, so wenig entziehen sie sich auf der anderen den
physischen Gesichtspunkten der kritischen Erkenntnislehre,
7on der Vorstellung der qualitativen, wie der räumlich-zeit-
1 Spezifizität des „Gegebenen"" nicht zu trennen siod.
ö. Auf diese letztere konzentriert und in der Besinnung
hren Grund erschöpft sich das „metaphysische** Interesse des
-etischen Kritizismus. Der theoretische Kritizismus berührt,
rs gesagt, seinem Begriffe gemäss die metaphysische Frage
dem Sein nur an einem Punkte, dort nämlich, wo er auf
Sein als auf eine Bedingung objektiver Erkenntnis reflektiert,
kritische Erkenntnistheorie hat in diesem Sinne an dem „Ding
ich" — Problem nur methodisches Interesse: es ist für sie
Inbegriff der ausserzeitlichen Bedingungen für die materiale
die erkenntnistheoretische Spezifizität der apriori nicht erkenn-
1 Elemente des Erfahrungsobjektes, d. h. sowohl für die quali-
e und intensive Besonderheit des Erfahrungsmaterials, wie
r, dass in einem bestimmten Fall eine bestimmte Kategorie
estimmter empirischer Determination die Allgemeingültigkeit
^Gegenstandes der Erfahrung verbürgt. Den Begriff solcher
igungen fixieren, heisst die Einführung des vielumstrittenen
iffes vom „Ding an sich** rechtfertigen. Wer also die Be-
igang dieses letzteren Begriffs leugnet, muss vor allem die
irspruchslosigkeit jenes ersteren bestreiten. Damit ist die
iage und das Prinzip der Diskussion hinreichend klar be-
nêt. Das Kriterium für das oft bezweifelte Recht zur Frage
der Existenz von Dingen an sich ist das Problem der Mog-
elt eines Begriffs von ausserzeitlichen Bedingungen für die
ifizität des Erfahrungsinhaltes. Dieser Begriff aber ist
ellos möglich, so gewiss der bekannte Einwand Jakobis durch
indamentale Unterscheidung der Kritik zwischen „Grundsatz**
Begriff"*, zwischen Denken und Erkennen widerlegt ist. Nur
Erkenntnis begriff involviert nämlich die Vorstellung der
^) Vgl Mach, Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 1906. S. 181 Anm.;
' Hell, a. a. 0.. S. 29.
444 R. Hönigswald,
„Bedingung** einen Widerspruch mit dem Prädikat der Ausseraeitr
lichkeit, als Denkmittel verträgt sie sich mit ihm durchans. „Eß
ist sehr wohl möglich, sich der Kategorien nicht bloss in Aa-
sehung der Gegenstände der Sinne, sondern für Dinge überhaupt
zu bedienen, aber nur für etwas, was wir sonst nicht erkemiett»
als nur, dass es nicht Erscheinung ist.**^) Sofern die smiüiclxc
Bedingung für die Anwendung der Kategorie fehlt, fungiert sxc
eben nicht als Erkenntnisbegriff, „indessen doch immer die objek-
tive Realität des Begriffs bleibt. "2)
Cas sir er hat gewiss nicht unrecht: „Existenz ist nichts ,ai]
sich selbst'; sondern was mit diesem Begriff gemeint ist, kaac
immer erst durch die Hinzufügung einer bestimmten Erkenntnis-
bedingung festgestellt werden. Wir sprechen im populären
Sprachgebrauch sowohl von der „Existenz** eines sinnlich wahr-
nehmbaren Einzeldinges, wie von der der Kraft oder des Atoms;
von der „Existenz** der Zahl tt, wie von der der »Einwohner im
Monde*. Erst die schärfere erkenntnistheoretische Analyse zägi
uns, dass es unkritische Naivität ist, alle diese Bedeutungen durch-
einander zu werfen; dass es sich hier um eine anschauliche Ge-
wissheit, dort um eine reine gedankliche Setzung, dass es siA in
dem einen Falle lediglich um die vollkommene logische Determi-
nation, in dem anderen um ein mögliches empirisches Sein handelt,
das wir im Fortgange der Erfahrung dereinst tatsächlich antreffen
könnten. Somit ist das ,Sein* eines Inhalts überhaupt kein ein-
deutiger Begriff, sondern wird dies erst, wenn die Erkenntnis^
Instanz, auf die wir die Aussage beziehen, feststeht: wenn wi^
wissen, ob die Empfindung oder die logische Schlussfolgerung, ot'
das Denken oder die Anschauung für ihn einsteben sollen. Immei^
rauss ein bestimmtes prinzipielles Forum angegeben werden, imme^
muss gleichsam ein Index und Exponent des Wissens zugefii^
werden, damit das Urteil über das Sein seinen klaren Sinn erhti*-
Abgelöst von jeder Beziehung auf irgend ein Mittel der Er-
kenntnis überhaupt, verliert der Begriff des Seins jede fesfc^
inhaltliche Bedeutung.**') — Das sind Sätze von grosser priozi-
pieller Wichtigkeit und hervorragender begrifflicher Schärfe. Die
1) Kant, Reflexionen (Erdmann 1386).
V Vgl. auch Riehl, a. a. 0., 669.
1) Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wiaseii-
Schaft der neueren Zeit. Zweiter Band. Verlag von Bruno Cassirer.
S. 594.
Zum Begriff der kritifichen Erkenntnislehre. 445
irage ist ihnen gegenüber nur, ob wir die Behauptung einer
Ixistenz des Dinges an sich von jedem Mittel der Erkenntnis ab-
äsen, wenn wir sie an die kritische Analyse des Gegenstandes
er Erfahrung knüpfen. Die Erkenntnisinstanz für das Recht der
^haaptnng einer Existenz von Dingen an sich ist eben die kri-
sehe Analyse des Begriffs vom Gegenstande der Erfahrung. Im
[inblick auf diese Instanz erhält das Ding an sich die Funktion,
Bf Inbegriff der ausserzeitlichen Bedingungen des Gegenstandes
BT Erfahrung zu sein. — Der Einwand, dass für den Begriff der
■zistenz von Inhalten stets Instanzen einstehen, die bei aller
^'rschiedenheit doch darin übereinkommen, dass sie sich der frag-
chen Inhalte unmittelbar bemächtigen, während die Voi-stellung
oer Existenz des Dinges an sich ihren Sinn und ihre Bedeutung
"äi von dem kritischen Begriff des Erfahrungsobjektes entlehnt,
ïtbehrt der prinzipiellen Begründung. Denn er übersieht die
renge methodische Einheit des Erkenntnisproblems und der
Möslehre der Kritik. Ihr Problem ist die Begründung des
H^htes gegenständlicher Erkenntnis und sie spricht von der Exi-
'nz der Dinge genau in dem Umfange, in welchem deren Be-
iÖ einen Bestandteil jener Begründung bildet. — Ebensowenig
Scheidet der Einwand, der Begriff einer Existenz von Dingen
Völlig unbestimmt; liegt doch gerade in seiner Unbestimmtheit
1 ganzer Wert für die Theorie der Erkenntnis. In jener Un-
tjmmtheit allein findet der Gegensatz des Begriffs einer Exi-
^3 von Dingen an sich zur Vorstellung der Existenz als Er-
^Btnisbegriff, d. i. zum Begriff der Objektivität, seinen
-quaten Ausdruck. Die Unbestimmtheit des Existenzbegriffs in
^^r Anwendung auf Dinge an sich ist nur eine andere Be-
-Imung für die Funktion der Ding-an-sich- Vorstellung als eines so-
^«nnten Grenzbegriffs. „Der Begriff eines Noumenon ist bloss
Orenzbegriff, um die Anmassung der Sinnlichkeit einzu-
^^ken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber
îchwohl nicht willkürlich erdichtet, sondern hängt mit der Ein-
^^iUiknng der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives
^^er dem Umfang derselben setzen zu können."^)
Gewiss, auch Uphues hat Recht: der einfache Schluss von
^ Erscheinung auf etwas, was erscheint, ist analytisch und be-
llst für das reale Dasein der Dinge au sich noch nichts. Allein,
0 Kant, Kr. d. r. V. (Vorländer). S. 274.
446 R. Hönigswald,
diese Bemerkung träfe Kant nur dann, wenn er das reale Dase^^
der Dinge mit Hülfe dieses Schlusses hätte erweisen wollen, od^^^
wenn er es unterlassen hätte zu zeigen, dass eine Erkenntnis d^^
Dinge nur in deren Beziehung auf die Einheitsfunktion eio^
„Bewusstseins überhaupt" in den Formen der Anschauung, d. b«
als Erscheinungen möglich ist. Gerade dieser Beweis aber ist das
Ergebnis des theoretischen Kritizismus, weil er die Voraussetzung
für die Beantwortung der fundamentalen Frage nach der Möglich-
keit synthetischer Urteile a priori ist. Nicht der blosse Begriff
der Erscheinung, der Beweis für die Gültigkeit dieses Begrifis
vielmehr ist der Rechtsgrund für die These von der Existenz j
von Dingen an sich.^)
Als Grenzbegriff liegt die Vorstellung real existierender
Dinge an sich nicht jenseits einer dogmatisch aufgepflauzteD
Schranke der Erkenntnis, „einer Umzäunung, die nicht über-
schritten werden darf", 2) sondern einer Grenze, die, eben weil
sie vom Begriff der Erkenntnis gezogen ist, durch Erkenntnis
nicht überschritten werden kann. — Sie kann nicht überschritteo,
aber sie kann auch nicht beseitigt werden, am allerwenigsten auf
dem Boden und mit dem methodischen Rüstzeug der kritischen
Erkenntnistheorie selbst. Denn die Frage, die mit dieser Forde
rung implicite bejaht ist, verneint der Kritizismus: der gesamte
Inhalt der Erfahrung kann aus den Formalgesetzen der Erkenntnis
niemals hergeleitet werden. Wohl entspricht es dem Begriff der
kritischen Philosophie, das Walten dieser Formalgesetze sich immer
deutlicher zu Bewusstsein zu bringen, die Erfahrung methodisch
und erkenntnistheoretisch immer mehr zu rationalisieren. Aber
je gründlicher sie diesen Bedingungen ihres Begriffes genugi>
umso schärfer muss sie auch auf die materialen Angriffspunkte
jener Formalgesetze reflektieren. Denn hier liegen, gleichnisweise
gesprochen, die für die Funktion der Formalgesetze der Erfahrung
notwendigen Widerstände, hier liegen die Voraussetzungen für die
tatsächliche Herrschaft der Einheitsgesetze des Verstandes. Wie
man diese materialen Voraussetzungen der Erfahrung als solde
und deren Bedingungen nennt und wo man sie beginnen lässt,
ist prinzipiell gleichgültig. Der Versuch, sie zu eliminieren, aber
involviert den Beweis für die durchgängige Apriorität sämüicber
Wissenschaften. So lange dieser nicht erbracht werden kann,
1) Vgl. Riehl, a. a. 0., S. 562.
2) K. u. s. V., S. 45.
Zum Be^ff der kritischen Erkenntnislehre. 447
80 lange hat auch der methodische Begriff eines „Dinges an sich"*,
80 lange hat der Begriff des Seins neben dem der Geltnng in der
Erkenntnistheorie Bürgerrecht. — In dem methodischen Begriff
der Gegebenheit konzentriert sich das metaphysische Interesse des
Kritizismus. Eine Wissenschaft von den Bedingungen des üe-
K^benen als solchen gibt es nicht, weil diese den Voraussetzungen,
fie an den Begriff der Wissenschaft geknüpft sind, widersprechen.
»Die Kritik der reinen Vernunft bejaht das Metaphysische, sie
verneint die Metaphysik."^)
6. Die Position üpbues' freilich treffen diese Bemerkungen
nicht; seine Polemik gegen den Ding-an-sich-Begriff gründet sich auf
Erwägungen anderer und eigener Art. „Wer sagt uns denn, dass die
Empfindungen und die aus ihnen entstehenden Vorstellungen Âffek-
tionen des Subjekts durch den Gegenstand sind? Soll das etwa
daraus geschlossen werden, dass wir das Bewusstsein haben, sie
würden uns aufgedrängt? Aber wie oft ist das bei Phantasie-
vorstellungen der Fall, werden wir doch unter Umständen von
Dinen förmlich verfolgt. Oder daraus, dass wir nicht das Bewusst-
sein haben/ dass sie aus unserem Inneren stammen? "2) — Die
Frage, die Uphues hier zur Diskussion stellt, ist diese : entscheidet
der Zwang der Wahrnehmungen über die Annahme der realen
Existenz von Dingen an sich als materialer Voraussetzungen all-
gemeingültiger Objekte der Erfahrung? In Übereinstimmung mit
Uphues können wir diese Frage unter Hinweis auf das Phaenomen
der Phantasievorstellungen verneinen. Aber wir müssen hinzu-
fügen: der philosophische Kritizismus behauptet auch nicht, was
jene Frage bezweifelt. Die kritische Philosophie behauptet die
reale Existenz von Dingen an sich zunächst nur, sofern gegebene
Wahrnehmungen den konstitutiven Bedingungen der Erfahrung
genügen. Diese Beschränkung ist begründet in dem spezifischen
Problem der kritischen Philosophie; in ihrer Frage nach der Mög-
lichkeit synthetischer Urteile a priori, nach den Orenzen einer
möglichen Erkenntnis von Dingen. Genügen nun gegebene
Wahrnehmungen jenen Bedingungen nicht, dann folgt für die kri-
tische Philosophie freilich auch noch nicht, was Uphues anzu-
nehmen scheint, dass ihnen Dinge an sich überhaupt nicht zu-
grunde lägen; denn wäre es so, dann müsste der Inhalt auch
dieser Wahrnehmungen in formal-apriorische Bestimmungen auf-
t) Biehl, a. a. 0., S. 684.
>) K. u. 8. V., S. 72.
448 R. Hönigswald,
gelöst werden können. Vielmehr folgert die kritische Philosophie
daraus mit Recht nur dies, dass die ihnen zugrundeliegende Bea-
lität von anderer Beschaffenheit sei wie die, welche die materialen
Bedingungen von Gegenständen der Erfahrung ausmacht. Sie
folgert die Spezifizität der materialen und ausserzeitlichen Be-
dingungen jener cerebralen Prozesse, die wir für unsere PhanUsie-
gebilde verantwortlich machen. — Mit dieser Folgerung wider-
spricht sich der Kritizismus durchaus nicht. Denn nicht die
Eigenschaftslosigkeit, sondern nur die Unerkennbarkeit
der Beschaffenheit von Dingen an sich selbst hat er mit Hülfe
der transscendentalen Methode erwiesen.
Mit solchen Erwägungen berühren wir das komplizierte Pro-
blem der „Affektion" des „Subjektes" durch „Dinge an sich".
Die historische Frage nach der vielleicht nicht völlig einden-
tigen Stellung Kants zu diesem Problem soll hier unerörtert
bleiben. Sie ist mit hervorragendem Scharfsinn von H. Vaihinger
diskutiert worden.^) Für uns steht die systematische Be-
deutung des Begriffes von der „Affektion" des Subjektes, die
Frage nach dem Sinn dieses Begriffes in der kritischen Erkennt-
nislehre im Vordergrund. — Da der Begriff der Affektion von
dem der Empfindung nicht zu trennen ist, kann die Affek-
tion auch vom Begriff des empirischen Bewusstseins nicht getrennt
werden, d. h. sie kann nicht getrennt werden von der durch
irgendwelche „Inhalte" realisierten Möglichkeit zu sich selbst
„ich" zu sagen. Bedenkt man nun, dass der erkenntnistheorische
Begriff der Affektion von dem einer zeitlichen Beziehung zwischen
einem räumlich äusseren und dem einer Wahrnehmung zugeord-
neten cerebralen Prozess strenge geschieden werden muss, so darf
man die Affektion des Subjektes durch Dinge an sich kurz als
die Determination des transscendentalen Bewusstseins im empi-
rischen durch Dinge als Erscheinungen kennzeichnen. Das Pro-
dukt dieser Determination als solches ist das Objekt der Psycho-
logie, zugleich das Substrat — soweit die materialen Beding-
ungen hierfür erfüllt sind — für die weitere Betätigung der
reinen Synthesis bei der Bestimmung des Erfahrungsobjektes.
Das Ding an sich der kritischen Philosophie ist weder eigen-
Schafts- noch beziehungslos, es ist das Ding ausserhalb der Be-
aehuDgen und Bedingungen der Erfahrung; zugleich aber das
1) VgL Vaihinger, „Zu Kants Widerlegung des Idealismus" in den
Strttssbarger Abhandlungen zur PhUosophie. Freiburg und Tübingen 188i
Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre. 449
sofern es der Beziehang auf die Bedingungen der Erfahrung
ist. In diesem Sinne ist es der Inbegriff der auf die Formen
Erfahrung gerichteten Bedingungen des Erfahrungsinhaltes.
lese Beziehung ist das an ihm methodisch wesentliche. Es
Äjenige an ihm, was einerseits die „Affektion" des Subjektes er-
cht, andererseits der „Affinität des Mannigfaltigen" zum Grunde
Denn diese ist der Ausdruck dessen, dass Wahrnehmungen
nögliche Bestimmungen empirischer Gegenstände von vorn-
II begreiflich, durch Begriffe verknüpfbar, d. h. von vorn-
a an der Form des Begriffes orientiert sein müssen: das Ge-
durch welches als Erscheinungen „gegebene" Dinge zu
cten der Erfahrung werden, ist zugleich das Gesetz, nach
lem Dinge als Erscheinungen „gegeben" sind.^) „Die Dinge,
ms a posteriori gegeben werden, müssen ebenso wohl ein
iltnis zum Verstände haben, d. i. eine Art der Erscheinung,
*ch es möglich ist, von ihnen einen Begriff zu bekommen,
in Verhältnis zur Sinnlichkeit, d. i. eine Art des Eindrucks,
rch es möglich ist, Erscheinung zu bekommen. Daher wird
was uns a posteriori durch Sinne nur bekannt werden kann,
der allgemeinen Bedingung eines Begriffes stehen, d. i. der
[ gemäss sein, wodurch es möglich ist, von Dingen Begriffe
ekommen; demnach wird alles so erscheinen, dass es eine
chkeit sein muss, es (seiner Form nach) a priori zu er-
in."
7. So definiert also der kritische Begriff der Erfahrung
theoretischen Begriff des Dinges an sich selbst in negativer,
in positiver Beziehung. Je weniger entwickelt der Er-
agsbegriff ist, um so schwankender ist auch der Begriff des
iS an sich, um so leichter werden dem letzteren konstitutive
nale des Gegenstandes der Erfahrung beigelegt. Die Defi-
des Dinges an sich als eines obgleich nicht eigenschafts-
so doch schlechthin unerkennbaren und nur auf die Form
Erfahrung bezogenen Faktors ist vom Standpunkte einer
1) Vgl. Rie hl, Einführung in die Philosophie der Gegenwart. Leip-
08. S. 126; vgl. auch Rickert, a. a. 0., sowie Groos, Beiträge
Noblem des „Gegebenen^. Zeitschrift f. PhUosophie und phüosoph.
. Bd. 130, Heft 9; femer Natorp, Zur Streitfrage zwischen Empi-
ond Kritizismus, Arch. f. system. Philosophie, 1899 und meine
^ „Über die Lehre Iluraes von der Realität der Aussendinge", Berlin
S. 51.
450 R. Hönigswald,
psychologisierenden Erfahrungstheorie, etwa vom Standpwnlrt«
Humes aus, nicht möglich: hier wird das Ding an sich zur Sub-
stanz, hier wird die Substanz, dieses allgemeine Formalgesete
des Seins von Dingen in der Erfahrung zu einem nach Malt
und Form unbestimmten Etwas, zu jenem „dunklen B3umpen, den
wir" — wie Mach^) es einmal ausdrückt — „zu unseren Wahr-
nehmungen unwillkürlich hinzudenken." — Dies vor allem ist es,
was eine logische Erfahrungstheorie an dem Ding an sich ,,der
Philosophie des Inselreiches", ausstellen muss, dies der Punkt, an
welchem Uphues mit einem der bedeutendsten Vertreter jener
Philosophie übereinstimmt: auch für Uphues^) ist das Ding an
sich wie für Hume ein „beharrliches Etwas", das den eigentlichen
Gegenstand der Wahrnehmung bildet, es ist das Objekt der
Lockeschen, nicht das Ergebnis der Kantischen Kritik des E^
fahrungsbegriffes. Und wie bei Hume, so wurzelt auch hier die
Lehre von der Beharrlichkeit des Dinges an sich in einem über
die Erfahrung hinausgreifenden Gebrauch des Grundsatzes der
Substanz.*) — Die Motive freilich sind im Grunde verschieden.
Bei Hume ist der Verwendung des Substanzbegriffes keine
objektiv gültige Grenze gesetzt, weil dieser Begriff für ihn nnr
1) Mach, Populärwissenschaftliche Vorlesungen. Zweite AiifL Leip-
zig 1897. S. 225 ; vgl. noch meine Schrift, Über die Lehre Homes tod
der Realität der Aussendinge. Berlin 1904. S. 96.
2) K. u. u. V. S. 161.
3) Uphues freilich entgeht dieser Konsequenz zunächst durch die
Trennung der Begriffe von Beharrrlichkeit und Substanz. (Vgl K. n.
s. V. S. 141 und 149.) Für ihn ist das Substanzgesetz nur das Gesetz der
Eigenörtlichkeit, der Satz also: Ein Ding kann nicht zugleich mit anderen
denselben Ort einnehmen. (S. 138.) Allein, die Konsequenz dieser TrennoDg
wird, sofern man ihre Berechtigung überhaupt zugestehen sollte, wieder
paralysiert durch die sehr scharf betonte Unterscheidung zwischen der
anschaulichen und der gedachten Substanz. Jene ist nicht behar^
lieh und unterliegt dem Fluss des Werdens. Diese ist das G^esetz, doidi
das wir die Substanz als Träger der wechselnden und veränderlichen
Sinneseigenschaften betrachten (S. 149). — - Wir denken nach Uphues ^in
und mit der anschaulichen Substanz*' auch jenes „beharrlichen Etwas^; von
welchem oben die Rede gewesen, um so auch die anschauliche Substani
als ein — relativ-beharrliches au&ufassen. — Daraus ergiebt sich dann
weiterhin ein gewisses Schwanken in der erkenntnistheoretischen Be-
wertung jenes „beharrlichen Etwas^ ; es ist auf der einen Seite der eigent-
liche Gegenstand der Wahrnehmung (S. 161), auf der anderen Seite ist es
von seiner Erscheinung, wozu auch das Eigenörtliche gehOrt, durchaus
unabhängig (S. 163).
Znin Begri^ àer kritischen Erkenntnislehre. 451
Betracht kommt als das Mittel zur Befriedigang eines subjek-
60, wenngleich der Laune und dem Zufall seiner biologischen
gründung zufolge entrUckten, Erkenntnisbedürfnisses. Seine sub-
lotialen Dinge an sich haben die Aufgabe, den Wahrnehmungen
Q vom belief mit der unwiderstehlichen Gewalt des Instinktes
forderten Rückhalt zu geben. Bei Uphues hingegen wurzelt
> dogmatische Verwendung des Substanzbegriffes in der Tren-
ag des Begriffes der „Gültigkeit" der Kategorien von dem
er Anwendung. Nur diese letztere, nicht auch die erstere sei
• die Erfahrungswelt beschränkt. — Wird der Begriff einer
renze** der Anwendung von Kategorien nicht psychologistisch
sverstanden, dann kann jener Begriff von vornherein nichts
eres bedeuten, als die Grenze eines gültigen Gebrauchs von
egorien.
8. Dennoch liegt der Grund für die Gegenüberstellung von
iwendung" und „Gültigkeit" bei Uphues nicht in diesem
plen psychologistischen Missverständnis. Er liegt weitaus
er: er entspricht durchaus seiner Auffassung von der erkennt-
heoretischen Bedeutung des Raumes und der Geometrie. Auch
• wurde - wie oben dargelegt — ein Gegensatz konstruiert
sehen der Art und dem Umfange der Geltung, zwischen der
sache der von der Existenz entsprechender Objekte unab-
gigen Geltung geometrischer Lehrsätze und der Beschränkung
r Gültigkeit auf Gegenstände möglicher Erfahrung. Die kri-
tie Philosophie konnte diese Gegenüberstellung nicht aner-
oen, denn gerade sie verbindet ja in ihrem Ergebnis die bei
lues getrennten Gesichtspunkte: sie zeigt, wie es verständlich
dass das Beschränktsein der Geltung der euklidischen Geo-
rie auf die Erfahrung unabhängig von aller Erfahrung be-
jen wird. — Nicht die „Wahrheit" jener Sätze an sich näm-
, sondern deren Geltung für die Erfahrung, ungeachtet dessen,
; sie unabhängig von aller Enfahrung, also auch unabhängig
der Existenz entsprechender Objekte, bewiesen werden, ist
Problem der kritischen Erkenntnislehre; und die Lösung dieses
blems schliesst zugleich die Beschränkung der gültigen An-
dbarkeit jener unabhängig von aller Bestätigung durch Er-
ung geltenden Sätze auf Gegenstände möglicher Erfahrung
ich.
Mit der Konstruktion eines erkenntnistheoretischen Gegen-
168 zwischen der Gültigkeit und der Anwendung yon Sätzen,
462 Ë. Hönigswald,
beziehungsweise mit der unbedenklichen Beschränkung der er-
kenntnistheoretischen Betrachtungsweise auf die Frage der Gültig-
keit von Sätzen schlechtweg, verlässt man daher den Boden der
kritischen Philosophie. Denn im Gegensatz hierzu lehrt der
philosophische Kritizismus, dass gegenständliche Geltung in der
Erfahrung eine besondere, nämlich die durch Wahmehmungen
bestimmte, Art der allgemeinen Geltung überhaupt bedeute.
Up hu es hat die ideale Geltung allein im Auge. Dies bahnt ihn
den Weg zu seiner Erkenntnismetaphysik, dies begründet uns
einerseits seine Beziehungen zum — aristotelischen — Piaton und zu
Thomas von Aquino, andererseits die unleugbare Verwandtschaft
seiner Erkenntnisprinzipien, sofern man von deren theologischen
Elementen absieht, mit denen der „Wissenschaftslehre" Bolzanos,
der „Gegenstandstheorie" Meinongs und der „Logistik** Con-
turats. Bei allen diesen Denkern handelt es sich, — ungeachtet
der tiefgehenden Unterschiede zwischen ihren besonderen Absichten
und der zur Verwirklichung der letzteren aufgewandten Mittel -
gleichwie für Ulphues darum, den Begriff der „Gültigkeit** von
Inhalten, im besonderen von Urteilen, von jeder Beziehung auf
deren „Anwendung" zu befreien; im Gegensatz zur kritischen
Philosophie ist für alle das letzte ihren erkenntnistheoretischen
Erwägungen subintelligierte Ziel daher nicht die Feststellung des <
Grundes und die Definition des Begriffs der Objetivität der
Erfahrung sondern der Begriff jener Gültigkeit, bezw. der
„Wahrheit** selbst. Wodurch dieser Begriff im besonderen sym-
bolisiert wird , ob in platonisierend-thomistischer Weise, durch die
Vorstellung einer Existenz in Gott — oder durch eine Verallge-
meinerung des Gegenstandsbegriffes, ist von prinzipiell unterge-
ordneter Bedeutung. Sicher ist, dass konsequenterweise keiner
der genannten Standpunkte dem Problem des philosophischen Kri-
tizismus gerecht zu werden vermag, obschon keiner von ihnen
dieses Problem beseitigt.
Die Rolle der Erkenntnislehre beginnt erst diesseits vom
metaphysischen Problem der Wahrheit. Nicht deren Wesen, son-
dern nur deren Bedeutung in der Erkenntnis interessiert sie; in
der EIrkenntnis aber bedeutet Wahrheit ein bestimmtes, je nach
der Beschaffenheit unserer Aussagen verschiedenen Grundsätze
gemässes Verhalten dieser Aussagen. Die Erkenntnislehre inte^
essieren bloss jene Grundsätze als die Kriterien der Wahrheit.
Ja das spezifische Problem der kritischen EIrkenntnislehre ist es.
Zum Begriff der kritischen Ërkenntnislehre. 453
Eriterinm der Wahrheit derjenigen Sätze festzustellen, die fiir
ge der Erfahrung nicht auf Or und der Erfahrung gelten, die
lin notwendig gelten, die aber dennoch nicht aus blossen
l^riff en Geltung beanspruchen. Und sie findet dieses Kriterium
A, dass jene Sätze implicite die konstitutiven Bedingungen
Oegenständen der Erfahrung enthalten, Bedingungen, deren
)griff die an (anschaulichen) Erscheinungen von Dingen sich
Ltigende erkenntnistheoretische Funktion des Urteils darstellt.
Nur von Urteilen, nicht aber auch von der erkenntnis-
kretischen Funktion des Urteils, Vorstellungen überhaupt in
emeiner Weise zu verbinden und von deren Besonderungen,
Kategorien, kann „Wahrheit*" prädiziert werden; denn Kate-
ien sind material nicht bestimmte logische Formen von ür-
3n. An Kategorien kann m. a. W. nicht unterschieden werden
wie etwa an den Sätzen der Metageometrie — zwischen
dgkeit und Anwendung. Vielmehr sind hier die Bedingungen
letzteren zugleich auch die der ersteren. In dem Begriff
Kategorie schon ist, gleichwie in dem Begriff der reinen
men der Anschauung die Unmöglichkeit einer Trennung zwischen
tigkeit und Anwendung begründet. Ihre Beziehung auf den
riff der Erfahrung schliesst eine solche Trennung von vorn-
hin aus.
In hohem Grade bestechend ist es in diesem Zusammenhange,
i Uphues das Verhalten der Kategorien mit dem der Zahlen
gleicht. „Es ist" — so sagt er — ... „mit den Kategorien
t anders als mit den Zahlen, die jede für sich allgemeingeltende
objektive Gesetze darstellen — zwei ist die Hälfte von vier,
Doppelte von eins u. s. w. -— auch wenn es gar keine zähl-
n Dinge gibt." 0 Der kritische Erkenntnistheoretiker könnte
3m Satze nur unter einer Voraussetzung zustimmen, nämlich
I, wenn zugleich gezeigt würde, dass die Zahl, als mögliches
^bnis einer arithmetischen Operation betrachtet, gleich der
^gorie reine Synthesis wäre. Das aber ist sie nicht. Sie
— um an das Beispiel Uphues' anzuknüpfen — als Summe,
Produkt u. s. w. betrachtet Ergebnis der reinen Synthesis,
t aber reine Synthesis selbst. — D. h. die Synthesis der Kate-
rn ist nicht mit den in der Zahl gegebenen materialen Gesetzen
ergleichen, sondern höchstens mit dem formalen Gesetz, ge-
1) K. u. s. V., S. 81 f.
uit0todl«u xiu. 30
454 U. Hönigswald,
nauer mit der Einheit jeuer Gesetze. Uphues identifiziert liier
m. a. W. das Ergebnis der Synthesis mit der Synthesis selbst
Da nun aber jenes Produkt der Synthesis — ungeachtet seiner
formalen Bedeutung gegenüber dem sinnlich bestimmten Inhalt der
Erfahrung — der reinen Synthesis gegenüber immer noch ma-
teriale Bestimmungen enthält, so geht durch jene Gleichsetzong
der streng formale Begriff der Synthesis verloren. Dies stimmt
überein mit Uphues' materialer Bestimmung der synthetischen Ein-
heit; aber es vermag der Lösung jener fundamentalen Probleme
des Kritizismus, die auch Uphues anerkennt, nicht zu dienen.
Kategorien haben also als konstitutive Formalprinzipien der
Erfahrung nicht, gleich anderen „Wahrheiten", eine über das
mögliche Mass ihrer objektiven Anwendung hinausreichende „Gültig-
keit". Ihre Gültigkeit erschöpft sich vielmehr — um es nach-
drücklich zu wiederholen — in ihrer Anwendung.
Aber auch wenn dies nicht der Fall wäre, bedeutete Gültig-
keit schlechtweg noch nicht Gültigkeit für „Dinge an sich"", so
gewiss mit der idealen Geltung der „Wahrheit" die Vorstellung
der Beschränkung ihrer Geltung auf irgend eine reale Position,
also auch auf jenseits möglicher Erfahrung stehende Dinge,
schlechterdings unvereinbar ist. Eine von der Anwendung auf
Erfahrung schlechthin unabhängige Geltung von Kategorien ist
noch keine Geltung von Kategorien für Dinge an sich.^)
Eine Erkenntnislehre, der die Metaphysik nicht von vornherein
zum Problem wird, muss den Kontakt mit dem Problem der
Erfahrung verlieren. Es ist nur ein scheinbarer, weil in un-
kontrollierbare metaphysische Vorstellungen ausmündender Ersatz
für diesen, wenn Uphues für alle, also auch für die erfahrungs-
massige Erkenntnis auf die „Gedanken Gottes" zurückgreift Denn
der Rechtsnachweis für die Annahme, dass die Gedanken Gottes
den Realgrund aller Erkenntnis, ja sogar der blossen Denkbarkeit
von Dingen überhaupt bilden, ist auf dem Boden der Erkenntnis
nicht zu erbringen. Und auch die Argumente der Erkenntnis-
Wissenschaft versagen dort, wo es sich z. B. um Beweis oder
^) „Die reine Logik^ — schreibt Ewald im Verlaufe einer Diskussion
verwandter Probleme — „bleibt eine Lehre vom Idealen. Die Metaphysik
handelt von einer Realität. . . . Diese Differenz vermag das Moment des
Absoluten nicht zu überbrücken, das der Logik und der Metaphysik, der
Wertlehre, sowie der Seinslehre gemeinsam ist.^ Ewald, Kants Methodo-
logie in ihren Grundzügen. Berlin 1906. S. 99.
2iira Begri^ àer kritischen Erkenntnislehre. 455
Widerlegung eines der Hauptsätze der Uphnes'schen Erkenntnis-
metaphysik handelt: „Für die Wirklichkeiten, die seine (Gottes)
Gedanken sind, hat Gott auf sein Besitz- und Eigentumsrecht an
flmen mit seinem Willen verzichtet, sich insofern ihrer entäussert
nnd ihnen dadurch eine Selbständigkeit geliehen, die ihnen ihrer
Mator nach wegen ihrer völligen Abhängigkeit von ihm in Wirk-
Hehkeit nicht zukommt. ''^)
IV.
Die Beziehungen Kants zu seinen Vorgängern können nicht
geleugnet werden. Aber je klarer das Eigenartige dieser Be-
äehnngen zu Bewusstsein kommt, umso schärfer tritt auch die
Selbständigkeit der Kant'schen Problemstellung hervor. Und gerade
hier ist bei aller Mannigfaltigkeit jener Beziehungen zur Vergangen-
heit dies eine gewiss, dass Kants theoretische Philosophie die Kritik
des Begriffes der Metaphysik enthält. Dass er selbst die Meta-
physik nicht missen wollte, weil „ihr Grund die durch empirische
Begriffe niemals zu befriedigende Vernunft ist^, ') entscheidet eben
nicht über seine Stellung zur Frage nach dem logischen Rechte
ihres Bestandes als Wissenschaft. —
Der Biograph Kants kann an dessen Schicksal, „in die Meta-
physik verliebt zu sein**, nicht achtlos vorübergehen; und auch für
die Beurteilung der sachlichen Stellung des Kritikers der reinen
Yerannft zur Metaphysik ist es gewiss wichtig, sich darauf zu
besinnen, das ihm alles Wissen nach ihr hin zu konvergieren schien.
„Der Mathematikus, der schöne Geist, der Naturphilosoph: was
richten sie aus, wenn sie über die Metaphysik übermütigen Spott
treiben? In ihrem Innern liegt der Ruf, der sie jederzeit auffordert,
in das Feld derselben einen Versuch zu tun. Sie können, wenn
sie als Menschen ihre letzten Zwecke nicht in Befriedigung der
Absichten dieses Lebens suchen, nicht umhin, zu fragen: Woher
bin ich? Woher ist das Ganze? Der Astronom ist zu diesen
Fragen noch mehr aufgefordert. Er kann sich nicht entbrechen,
etwas zu suchen, was ihn hierin befriedigte. Bei dem ersten
Urteil, was er hierüber fällt, ist er im Gebiete der Metaphysik. ''')
1) K. u. 8. V., S. 208.
S) Metaphysische Vorlesungen, Pölitz, S. 18.
^ Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben
von Bmmo £rdniann. Leipzig 1884. No. 128.
80*
4Ö6 R. fiönigswald, Zum Begriff der kritischen Erkenntnislehre.
Allein, je mehr man den tiefen Ernst solcher Sätze würdigt, umso
imponierender wird die Absicht von Kants Kritik des Begriffes
eben dieser Metaphysik einer Kritik, deren Wesen Ausmass und
Methode der Satz kennzeichnet: „Dogmatische Metaphysik ist, die
ohne kritische Untersuchung der Hauptfrage: wie ist synthetische
Erkenntnis a priori möglich? vorgeht."^) Unter diesen — metho-
dischen — Gesichtspunkten hat Kant das logische Recht des
Bestandes der dogmatischen Metaphysik geprüft und verneint, indem
er den Erkenntniswert der Erfahrung bejahte: nur von Gegen-
ständen der Erfahrung sind von aller Bestätigung durch Erfahrung
unabhängig gültige Sätze möglich. Das Problem der Metaphysik
ist für Kant das Problem der Wissenschaft selbst.
Uphues verkennt dies sicherlich nicht. Nur muss er in der
Konsequenz seines Standpunktes die Berechtigung schon der
Kantischen Frage ablehnen. Denn in der Kantischen Frage
schon liegt, vom Standpunkte Uphues' aus betrachtet, unzweifel-
haft eine petitio principii. Von diesem Standpunkte aus giebt es
auf die Kantische Frage augenscheinlich nur die eine Antwort:
Metaphysik ist Wissenschaft, weil Wissenschaft in tiefstem Grunde
Metaphysik ist. Mit metaphysischen Voraussetzungen tritt Uphues
an die Prüfung erkenntnistheoretischer Probleme heran und die
Eigenart dieses seines Ausgangspunktes bestimmt auch auf der
ganzen Linie sein Verhältnis zum philosophischen Kritizismus. <-
Gerade dieses Verhältnis aber giebt seiner Kritik der Kantischen
Erkenntnislehre jenen eigenartigen Einschlag von Originalität und
Tiefsinn, welcher die Beschäftigung mit ihr so anziehend und
lehrreich gestaltet. — Dem Kritizismus, der in seiner negativen
Bedeutung nach Kants eigener Meinung „nur das stille Verdienst
hat, Irrtümer zu verhüten'', ist die Metaphysik und damit audi
der Standpunkt Uphues' nicht Parteisache. Er vermag diese ab-
zulehnen, ohne doch die Erhabenheit ihrer theologisierenden
Wahrheitslehre zu verkennen. Er betätigt ihr gegenüber das
Prinzip, worauf seine eigene Position sich gründet: die Trennung
der Ansprüche objektiver Erkenntnis von den subjektiven, wenn
auch unabweisbaren Forderungen der Vernunft.
1) Ebenda, No. 205.
Untersuchungen zur Grundlegung der
allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie.
Von Dr. Anton Marty.^)
Den vornehmsten Gegenstand des Werkes, dessen vorliegenden ersten
Bind ich, einer freundlichen Aufforderung der Redaktion dieser Zeitschrift
folgend, hier in kurzem Auszug, jedoch mit eingehender Rücksicht auf mein
Verhältnis zu Kant, wiederzugeben mir erlaube, bilden die Grundprobleme
einer allgemeinen, deskriptiven Bedeutungslehre. Dass ich
als Philosoph an ihre Lösung gehe, wird nicht Wunder nehmen. Sie ist
Ja vornehmlich Angabe des Psvchologen. Und die Grammatiker, welche
Anfang dazu boten, haben eben damit ein Stück wirklicher oder ver-
ineinthcher psychologischer Arbeit getan. Meist waren sie auch bemüht,
och dabei mehr oder weniger an die Leistungen der Philosophen von Fach
aozuBchliessen und auf sie zu stützen; wie auch umgekehrt die Philo-
sophen ihrerseits in ihren psychologischen, logischen und metaphysischen
Ohtersuchungen bewusst oaer unbewusst sich an Sprache und Grammatik
inlehnten. Das gilt u. A. auch von Kant in gewissem Masse. Für das
[Jmgekehrte aber sind jedenfalls seine Lehren ein sprechendes Zeugnis,
md schon Fr. Pott hat darauf hingewiesen, wie einst Gottfr. Hermann,
J. F. Bemhardi, Reinbeck, Roth u. Â. „in einmütiger Gier und gleichwie
/erabredetermassen" nach den Kantischen Kategonen g^riffen, um sie für
len Zweck der Grammatik auszubeuten. Offenbar, indem sie in ihnen
dlgemeine Züge alles menschlichen Denkens zu erblicken glaubten oder
Begriffe, die durch Reflexion auf verschiedene fundamentale Weisen der
D^kt&tigkeit gewonnen würden.
Was mich betrifft, so kann ich die Kantische Klassifikation der Ur-
«ile, die ihm bekanntlich die Grundlage für die Deduktion der Kategorien
>ot, nicht durchaus als der Natur der Dinge entsprechend ansehen, mdem
ch ffar manche Einteilungs^lieder derselben nicht für elementare Modi
1er Urteilsfnnktion halte, wie sich dies in den Ausführungen des zweiten
Sandes näher zeigen wird, wo im Einzelnen vom sprachlichen Ausdruck des
Jrteils, Interesses und Vorstellens die Rede sein wird. Aber auch
lehon in Hinsicht auf diese Dreiteilung der psychischen Vorgänge, die
eh im vorliegenden ersten Band als Grundlage für die fundamentale
teheidung der autosemantischen Sprachmittel (in Aussagen, Emotive und
iTorstelfungssuff gestive) darzutun suche, musste ich von Kant abweichen,
ier mir mit ünredit (obwohl mit vielen anderen zusammen) die Phänomene
les Interesses in Gefühle und Willensakte, als zwei vermeintlich grond-
irerschiedene Klassen, zu scheiden scheint, während er andererseits das
Urteilen nicht fundamental vom Vorstellen trennt, sondern beide unter
lern konfusen Namen „Denken*' in eine Grundklasse zusammenrechnet.
Auch darin konnte ich mit Kant nicht übereinstimmen, dass er (in
len sog. Formen des äusseren und inneren Sinns) etwas wie subjektive Vor -
(tellungsmodi lehrt. Was an seiner Lehre von der Zeit trotzdem Rich-
dges ist, wird im zweiten Bande zu würdigen sein. Aber im höchsten
Gerade bedenklich erscheint mir, dass durch die Annahme solcher subjek-
tiver Formen des Anschauens und „Denkens^ das, was die innere Erfahrung
Beigt, ebenso zur blossen „Elrscheinung^ wird, wie das, was die äusseren
*) Mit Bezu^ auf mein gleichnamiges Werk, welches vor Kurzem
bei M. Niemeyer m Halle a. S. erschienen ist.
458 A. Marty,
Sinne uns unmittelbar darbieten, so dass es hier wie dort zweifelhaft, ja
nach Kant eine unlösbare Frage ist und bleibt, was dem im Bewnsstsein
Erscheinenden in Wirklichkeit entspreche. Wohl lässt es sich hören,
wenn die moderne Physik und Physiologie lehrt, die Sinnesanschauungcn
im Sinne der Inhalte unserer Empfindungen (der Farben, Töne u. s. w.)
seien blosse Erscheinungen : aber wenn dies auch von den „Sinnesanschan-
unçen" im Sinne der psychischen Vorgänge des Sehens, Hörens u. s. w.
selbst gelten soll, wo bleibt die unumiänguch nötige, unmittelbar sichere
Grundlage für unser Erf ahrungs wissen ?
So kann ich die Annahme subjektiver Vorstellungsmodi, durch
welche all unser Anschauen und Denken bedingt sei, nur im höchsten
Grade bedenklich finden. Aber hinzufügen muss ich, dassm. E. allerdings,
wer überhaupt auf dem Gebiete des Vorstellens im strengen Sinne ver-
schiedene Modi und Formen statuiert, wie uns dieselbe Materie ge^-
wärtig sein könne, sie notwendig für subiektiv halten muss. Objektive,
verschiedene Modi des Vorstellens beim selben Objekt scheinen mir durch
die Natur dieser Grundklasse psychischer Betätigung ausgeschlossen. Wie
m. E. überhaupt das Wesen des Bewusstseins in einer ideellen Adäquatioo
mit etwas besteht, aber in so verschiedenem Sinne wie die Grattungeo
psychischer Verhaltungsweisen verschieden sind, so liegt speziell dum
Vorstellens in einer Verähnlichung mit dem Was der Ge^nstände, dtf
des Urteils in einer Konformation mit ihrem Sein und Nichtsein, dag
des Interesses in einer Adä^uation zu ihrem Wert und Unwert.
Da es auf dem Gebiete des Vorstellens nicht in analogem Sinne
wie z. B. beim Urteil, verschiedene Modi giebt, so ist da auch nicht in
streng analogem Sinne von einem Inhalt im Unterschied vom Gegen-
stand zu reden. Nur in einem wesentlich verschiedenen Sinne kann dies
hier geschehen, indem man, wo etwas eine Mehrheit von Seiten darbietet,
wonach es in die Vorstellung aufgenommen sein kann, diese verschiedenen
Seiten, wodurch es bald so, bald so, unvollständig vorgestellt ist, den
(wechselnden) Inhalt, und das Ganze den Gegenstand nennt.
Dagegen scheint es mir nicht passend, etwa Inhalt und Gegenstand
in der Art zu unterscheiden, dass man Inhalt das nennte, was bloei
Zeichen eines Wirklichen ist, wie z. B. die empfundenen Farben, die Töne,
Gegenstand hingegen das, wofür jenes ein Zeichen ist, z. B. die wirklichen
phyôkalischen Vorgänge, auf welche die empfundenen Farben, Töne
u. 8. w. uns schliessen lassen. (Dies heisst eoen besser: das bloss e^
schlossene Wirkliche und jenes : das in der Anschauung Gegebene aber
nicht Wirkliche.) Die obige Unterscheidung aber lässt sich sowohl an
dem einen wie dem anderen machen; wie denn der gemeine Mann, der
an die Existenz von Farbigem, Tönendem glaubt, an dem, was er Körper
nennt, ganz ebenso verschiedene Seiten unterscheidet, wie der Physiker
an dem, was ihm Körper heisst. Und beide g^eben dem Ghemzen anf
Grund dieser verschiedenen Seiten, die sie an ihm unterscheiden, ver-
schiedene Namen. Für diese Unterscheidung zwischen etwas Zosammes-
gesetzten, dem — wenn es existierte —jede aus einer gewissen Beihe von
Vorstellungen unvollständig entspräche und den verschiedenen Seiten,
wonach es so unvollständig in die Vorstellung aufgenommen ist, scheinen
mir die Namen Vorstellungs-Gegenstand einerseits und Vorstellnngs-Inhalt
andererseits wohl zu passen, und darin haben wir, wie eben angedeutet,
die Lösung für die Frage, was die Namen nennen einerseits und was
sie bedeuten andererseits.
Die Erörterung dieses Problems, samt dengenigen nach der Be-
deutung der Aussagen, sowie deijeniffen der interesseheischenden Äusser-
ungen, femer die Klarstellung der Frage, was im Untersdiiede von der
Bedeutung (die eine vermittelte Funktion oder Weise des Zeichenseins
ist) da^enige sei, was jede dieser Klassen autosemantischer Sprachmiitel
äussert oaer ausdrückt (d. h. das, wofür sie in unmittelbarer Weise
Zeichen sind), bildet den Mittelpunkt der Untersuchungen des vorliegenden
ersten Bandes.
Untersuchungen zur Grundlegung etc. 459
Man hat den Terminus Vorstellungsinhalt (wie er denn überhaupt
livok geworden ist) bekanntlich auch für den sosr. immanenten Oegen-
ttd der Vorstellung verwendet, und es könnte Einer meinen, in ihm
das zu suchen, was die Namen bedeuten, im Gegensatze zu dem, was
nennen. Allein — von aUem anderen abgesehen — wäre diese Lösung
on darum nicht zu billigen, weil der sog. immanente Gegenstand —
) ich ebenda gezeigt zu haben glaube — eine Fiktion ist und in keinem
«ntlichen Sinne ist, existiert oder besteht.^) Es bleibt also bei der
ffen Deutung des Unterschieds von Inhalt und Gegenstand der Vor-
Qung, und wenn man unter Vorstellungsgegenstand das versteht, was
leren Vorstellungen entsprechen kann, sofern es zugleich ein Ge-
nntes und Gegenstand der Rede sein kann, dann darf man auch
;en: nur unser begriffliches Denken schaffe Gegenstände. Denn das,
»von wir zueinander sprechen oder das, was durch unser Sprechen und
nnen vermittelt wird, sind nicht Anschauungen, die bei verschiedenen
^chischen Individuen ins Unendliche variieren können, sondern nur Vor-
Uungen, von denen dies nicht gilt und in diesem Sinne begriffliche
danken.*)
Ich sagte, die Lehre von der Bedeutung der autosemantischen Sprach-
tel bilde den Mittelpunkt der Untersuchungen dieses ersten
ndes. Was die synsemantischen (d. h. nicht für sich bedeutenden) be-
ft, die neben den autosemantischen zu unterscheiden sind, so ist hier
' das allgemeinste über sie geboten, insbesondere ihre Klassifikation in
ihe, die loj^isch (d. h. in einer richtigen Analyse der Bedeutungen)
Tflndet sina und solche, von denen dies nicht gUt. Die weiteren Aus-
rungen darüber soll der zweite Band bringen.
Die Unterscheidung zwischen selbstbedeutenden und bloss mitbe-
tenden Sprachmitteln ist von fundamentaler Wichtigkeit. In ihr ist
Wahre an der Unterscheidung von Stoff und Form auf dem Gebiete
Bedeutungen beschlossen, die m. E. recht im Mittelpunkte der deskrip-
in Semasiologie liegt, und deren Klarstellung ich darum zur Ha up tau f-
)e meines Buches gemacht habe. Ihr ist nicht bloss der grössteTeil
zweiten Stücks der „Untersuchungen" gewidmet, sondern in gewissem
ae auch das dritte und vierte Stück (die im zweiten Bande folgen
den). Einleitend aber habe ich (im zweiten Stück) auch über oie
1) Dass es einen immanenten Gegenstand gebe, wird jetzt von ver-
edener Seite in Abrede gestellt, doch meist nicht mit der wünschens-
ten Klarheit und Konseauenz. Eine solche Inkonsequenz scheint es
z. B., wenn solche, die aas immanente Objekt leugnen, doch wieder
on sprechen, dass Farben, Töne u. s. w. von uns ^erleot" würden u. dgL
in um erlebt zu werden, müssen sie doch vor allem sein, und da Farben,
le u. s. w. schlechtweg (wie auch diese Autoren zugeben) nicht exi-
ren, bliebe doch nichts übrig, als dass, was da existieren und erlebt werden
, eben die Farben, Töne u. s. w. als immanente Objekte des Bewusstseins
n. So kann ich denn die Bede von einem Erlebtwerden der Farben
, w. nur als einen Bückfall in die Lehre von immanenten Gegenständen
shen« und dahin gehört es natürlich auch, wenn çelehrt wird, dass wir
*ch jene sog. Inhidte die wirklichen Gegenstände enassten oder^meinten*^.
lehrten ja auch die Scholastiker von den species sensibiles und intelli-
ües, sie seien das quo intelligitur.
*) Natürlich ist auch dann nicht i'edes Vorstellen ein Gegenstandsbe-
»tsein, wenn damit das begriffliche Bewusstsein des Gegen-
nds als solchen und im Gegensatz zum Subjekt des Be-
sstseins gemeint ist. Aber neben diesem engeren Smn vomGegen-
id und Gegenstandsbewusstsein giebt es einen weiteren •— und er ist
nächste und natürlichste — wonach es jedem Vorstellen wesentlich
einen Gegenstand zu haben, auch den Anschauungen, und hier heisst:
m Gegenstand haben, nichts anderes, als die wirlliche oder mögliche
alle Verähnli(^ung mit irgend einem Was.
460 A. Marty, Untersuchungen zur Grundlenong etc.
Termini Stoff und Form im Allgemeinen und die Äquivokationen, die hier
üblich sind, gehandelt (wobei schon Anlass war, Kante zu gedenken) und
habe dann — um diese Begriffe in ihrer speziellen Anwendung an! sC'
mantischem Gebiete noch mehr ins Licht zu rücken — alle wichtijgeD
Bedeutungen in Betracht gezogen, welche diese Termini speziell im BezSke
der Spraäe und Grammatik haben. Hier war neben dem Begriffe der
äusseren vor allem auch deijenige der „inneren Sprachform^ zn klären,
und die richtige Beschreibung und Ao^enzung der Erscheinungen, die
passend mit dem letzteren Namen bezeichnet werden, war um so wich-
tiger, als sie vielfach teils Übersehen, teils falsch aufgefasst (namentlich mit
der Bedeutung verwechselt) wurden und diese Verkennunç folgenschwere
Irrtümer auf dem Gebiete der deskriptiven wie der genetischen Semasio-
logie und weiterhin auch in der Psychologie, Log^ und Ethik, ja selbst
in der Metaphysik gezeitigt hat.^)
Was aie Fragen der genetischen Semasiologie betrifft, deren Behand-
lunfi; nicht ei^ntliche Aufgabe des Werkes ist, konnte doch der Autornicht
umhin, da und dort seine bezüglichen Ansichten auszusprechen. Und da ihnen
aus neuester Zeit insbesondere die Lehren Wundts (seine Opposition gegen
die „teleologische Sprachbetrachtung^ und seine Theorie vom regul&ren
und singulären Bedeutungswandel) entgegenstehen, so wurde demgegen-
über — um nichts versäumen — ein Anhang eigens ihrer Begründung
und Rechtfertigung gewidmet.
Das erste Stück der „Untersuchungen" aber beschäftigt sich mit
dem Begriff und den Aufgaben der Sprachphilosophie und ihrem Verhfiltnis
zur Psychologie, mit dem Wesen der allgemeinen Grammatik und der
Frage nach der Möglichkeit einer solchen.
^) Statt vieler anderer Beispiele sei nur Nietzsche erwähnt, der -
in Folffe Gänzlicher Missdeutung der inneren Sprachform — hinsichtlich
der eäu8(men Termini rundweg leugnet, dass hier etwas wie eine wirk-
liche Übertragung von einer Bedeutung auf eine davon unterschiedene
(eine donatio inter vivos) stattgefunden nahe. Es handle sich, meint er,
immer um „Vererbung", d. h. der Bedeutungswandel sei stets eine Wirkmif
einer ebensolchen Umwandlung der Begrine gewesen. Andere ziehen alf-
gemein aus dem Umstand, dass unsere Bezeichnungen für Psychisches
meist oder immer von etwas Physischem hergenommen sind, in voreiliger
Weise die (in Wahrheit absurde) Konsequenz, die letzteren Begriffe hätten
sich aus den ersteren irgendwie umgewandelt oder vei^einert, und kein
Geringerer als A. Bain meint, in jener Tatsache liege ein Beweis, wie viel
die Psychologie, der Phvsiolo^e verdanke. •— Ein erstaunlich schlechtes
Argument! — Überall aber spielt hier die Verkennung der wahren Natur
der Erscheinungen der inneren Sprachform die bedenklichste Bolle. Bei-
spiele anderer psychologischer Irrtümer, wie auch solcher in der Logik
und Metaphysik, die auf einer Verwechselung der inneren Sprachform und
Bedeutung beruhen, wird insbesondere der zweite Band bringen.
Thesen zur ^^Grundlegung des Intuitivismus^^
Von N. Losskij in St. Petersburg.*)
1. Dem Yorkantischen Empirismus und Rationalismus liegen folgende
matische Voraussetzungen zugrunde:
a) das Ich ist vom Nicht-Ich abgeschlossen, so dass die Zustände
der Welt des Nicht-Ich nicht als Bestandteil in die Erkenntnisse,
die Eigentum des erkennenden Subjekts sind, einzugehen vermögen ;
b) der Erkenntnisprozess besteht ganz ans Zuständen des erkennenden
Subjekts;
c) das Wissen von der Aussenwelt und die Aussenwelt selbst decken
sich nicht, sie sind in Bezug auf einander transscendent;
d) die Erfahrung ist das Ergebnis einer Einwirkung der Aussenwelt
auf das Ich, welche im Ich subjektive Zustände hervorruft.
2. Die dogmatischen Voraussetzungen des vorkantischen Empirismus
Rationalismus führen zu einer skeptischen Lehre von der Aussenwelt,
dich zur Lehre, dass die äussere Erfahrung bloss aus sinnlichen Er-
lifisen besteht, dass das Nichtsinnliche nicht Inhalt der äusseren Er-
rang sein kann, und mithin die Zusammenhänge und Relationen der
isenwelt nicht in der Erfahrung gegeben sein können.
3. Sofern der vorkantische Empirismus und Rationalismus von der
'aussetzunfip ausgehen, die Aussenwelt sei inbezug auf das Wissen von
Aussenwelt transscendent, stossen ihre Erkenntnistheorien auf unlösbare
bleme und gelangen zu folgenden widerspruchsvollen Resultaten:
a) der Empirismus behauptet, dass alle Daten des Wissens von der
Aussenwelt infolge der Einwirkung von aussen auf das erkennende
Subjekt gewonnen werden (sie sind den Bedingungen der Ent-
stehung nach transscendent); deshalb hat die Erkenntnis keine
transscendente Geltung, sie trägt durchweg einen immanenten
(dem Bestände nach) und dabei subjektiven (der Geltung nach)
Charakter;
l>) der Rationalismus dagegen behauptet, das es ein — der Geltung
nach — transscendent es Wissen gibt, dass dasselbe jedoch aus-
schliesslich aus Elementen besteht, die dem erkennenden Geiste
entspringen, d. h. dem Bestände und der Entstehung nach diesem
immanent sind.
4. Ein Ausweg aus den Schwierigkeiten und Widersprüchen, an
en die Erkenntnistheorien des vorkantischen Empirismus und Ratio-
ismus scheitern, lässt sich nur dann finden, wenn die Abgeschlossenheit
erkennenden Subjekts vom erkannten Objekte aufgehoben wird, und zwar
ch die Voraussetzung, dass die transsubjektive Welt dem Er-
antnisprozesse immanent ist.
5. Kant hat die Scheidewand zwischen dem erkennenden Subjekte
l der transsubjektiven Welt vernichtet, allein auf Kosten der Selbst-
idigkeit der zu erkennenden transsubjektiven Welt, nämlich durch die
ire, dass die zu erkennende transsubjektive Welt bloss eine Erscheinung
das erkennende Subjekt sei.
^) Mit Bezug auf das gleichnamige Buch des Verfassers (Professor
ier Universität Petersburg), das in deutscher Übersetzung (von K. Strauch)
Verlag von M. Niemeyer in Halle a. S. 1908 erschienen ist. Ftofessor
ak\j hat im Jahre 1907 Kants Kritik d. r. V. ins Russische übersetzt.
,,Das Erkenntnisproblem''.
Von Ernst Marcus.
(Herford 1905). 95 S. Eine Erwiderung des Autors.
Der Herr Rezensent hat (Bd. XIII, S. 140 ff. der Kantstadien) die
Form, die Polemik und das geschichtliche Beiwerk meiner Schrift sowie
die Vorzüge der Marburger Schule sehr eingehend besprochen, da^e^
m. £. über den Inhalt und die Tendenz zu wenige mitgetdlt, so dass sdi
der Leser kein vom Rezensenten unabhängiges Urteil bildcai kann. Ich
bringe daher mit freundlicher ibnis der Redaktion eine knne Dl^
Stellung des logischen Aufbai < e Art nachtrftgücher Selbstanzeige:
Das Problem in urspruu^ixu t Gestalt z^äUt in die beiden Teil-
probleme: Das Sensualproblem oder „peripherische Problem" und das Zenini-
problem (Problem des Kausalgesetze», RationalçroUem). Ich zeige m
zunächst, wie das Problem auf die Philosophen seit Descartes wirkte, (Am
auf die sonstigen Leistungen de Iben einzugehen (denn das gehört nicht
zu meinem Thema, sondern i Lieblingstfaema des Bezenfienten).
I. Worin besteht das o Lproblem? — Die Fra^ beantwoitet
sich, wenn man untersucht, wunui die Lockeecfae Tlieorie scheitert. 8ai
Grundsatz ^Alle Erkenntnis beruht ]Mif Empfindimg:" hat die Koi»eqiie4
dass wir unmittelbar nur unsere limpfincumsen wahmehmen. DiM*
erkennen wir nicht, was jenseits der Rmpfindnng üc^ imd als oeni
Ursache auf sefasst wurde, nämlich die KOrperwelt. mer mneste die
Theorie durch Gewaltmittel ergänzt werden. Locke liewliiit die fr
gänzung durch den Satz: ^die Körper eikemien wir (nicfat umnittdlA
sondern) durch Schluss"*; Berkeley (i m die K^per ebenso w<^ imninei^
zu machen, wie es die Empfindui ^cn sind) aginst âe durch den Si^^
^die Körper sind (unmittelbar ei^ai^te) Ideen^. Hier sicüit maa dentiicii«
wie das Problem beide Forscher in ihre Bahnen swingt, «nd vie die
natürliche Lösung des Problems auf den Be^;ri£f der^^hnmanenz^ yervé^
Aber das Problem scheidet sich noch nicht djeottich von der LOsosg. ^
lautet isoliert: Wie gelangen wir fiber die Empfindung fci>'
aus zur Erkenntnis der Körperwelt? I^ ^PrtAilem wird Ton Lodv
und Be^eley verquickt mit prob atischen Lösnagen. Qm Anchh**
die Polemik gegen diese Lö i tnge ksh eine neue ^neciittiifN
Theorie der exzentrischen Emj ng tot die der BeBensent wolil wà^
bemerkte.)
IL Das Zentralprobl« tet: Wie ist es snf natftrlichea W4>|
zu erklären, dass wir das Kcmw » tz för zweü^kis ctiUâg hattea? i^
Hume, der Entdecker des Prob» vevqfmdct es aât emer prohlflBstii^
Lösong, statt es unabhängig vou «ueser hÎBEittÉeilleiL J&wo&ikafleLM
einttPtoblems, die für i^ihr gel tteii imd «iisge«l»en wird, yfSfàa^
das Problem und entzieht es dem tticke des FonäeB, eben wfâ tf |J| ]
Problem schon für gelöst ansieht, oder wml das l^äaem tàAyot^ ;
Losung nicht hinre^end abhebt.
m. Kants LösungsveisQch: Unter der Hand JLmals füfli*" J,^
Probleme zusammen ; er löst sie mit eànem Gxäf dmvdi m lad éBi0
Theorie ; de sind für ihn zwei geometrische ^^^ die den gVB>
Punkt bestimmen: .
L Das Zentralproblem wird en t ^ isiiiart asd di0 dP |
„Das Erkenntnisproblem". 465
it und entdeckt; so führt das verallgemeinerte Zentralproblem zur
orie vom apriorischen Räume.
2. Die Lockesche Sphäre der unmittelbaren Erkenntnis endigrte,
wir sahen, bei der Empfindung. Mit der Entdeckung zu 1. drmgt
t ins Jenseits der Empfindung vor. Denn er erweitert die Sphäre
immanenten Sinnlichkeit ins Unendliche durch den apriorischen imma-
:en Raum, und die Sinnlichkeit greift hinüber ins Jenseits der Em-
dung auf die den Raum erfüllenden Erscheinungen und damit auf die
t der Körper, die nunmehr unmittelbar, nicht mehr, wie bei Locke,
h Schluss oder, wie bei Berkeley, als Ideen erkannt sind.
3. Damit ist zugleich der Grund gelegt zur nattlrlichen Erklärung
apriorischen Gewissneit, d. h. zur Lösung des Zentralproblems.
Hier sieht man, dass Kants Lehre als natürliche Lösung des in
rohesten Grundlinien dargestellten Problems auftritt, dass wir also
keine dialektische Philosophie (aus ,,blossen Begriffen"), sondern eine
a m is che (wenn man will: metadynamische) Weltkonstruktion vor
haben, die unter dem Drucke zweier natürlicher I^obleme entstanden
das Motiv des wahren Forschers ist stets das Problem. Übrigens ent-
ide ich in dieser Schrift keineswegs darüber, ob die Kantische Lösung
\ig ist. Denn das Problem ist das Thema, nicht seine Lösung.
IV. Tendenz : Ich schliesse mit der Forderung : Schutz dem Pro-
i! Man soll nicht zweifelhafte Lösungen für wahr ansehen und aus-
m. Kant selbst hat das Problem geschützt durch die Worte der
'orrede: „Nil actum reputans, si quid superesset agendum^. Er fordert
: Das Problem muss ganz und exakt gelöst sein, oder man soll ge-
en, dass es gar nicht gelöst ist. Andernfalls wird das grosse natür-
i Problem durch Scheinlösung verschüttet. Kants Lehre aber muss
i der sachlichen Frage beurteilt werden, inwiefern, ob und warum
las Problem gelöst hat. Zurück zum scharf präzisierten, von allen
mgen isolierten Problem und von da zur Lösung des besonderen Pro-
ie der Interpretation Kants!
Wir haben also jetzt zwei Probleme vor uns: das Erkenntnisproblem
das Interpretationsproblem. Die endgültige Lösung beider Probleme
unmöglich, wenn man sich bei einer zweifelhaften Lösung beruhigt
sie empfiehlt, statt das „non liquet"" zuzugestehen und jede proble-
ische Lösung sJs wissenschaftlich unzureichend zu verwerfen.
Wie sehnlich namentlich problematische Lösungen des luterpreta-
aproblems wirken, zeigt sich deutlich an der Stellungnahme des Herrn
sosenten. Er bemerkt, dass ich entweder die Schriften Cohens „nicht
ite**, oder sie „totschwieg;", daher „unverantwortlich" oder „leichtfertig"
ohr (S. 143). Diese Disjunktion ist unvollständig. Es besteht die
^ Möglichkeit, dass ich sie kannte, aber nicht in der Lage war, ihnen
beanspruchte Vorzugsstellung einzuräumen, und so verhält es sich
üich. Ich kann nicht anerkennen, dass der Begründer der Marburger
üe, so gross auch seine Verdienste um die Wiederbelebung der Kant-
^ung sind,: „^ie Erkenntnis des K. sehen Systems als einer
ich notwendigen Einheit, als eines Ganzen, in dem die
le sich bedingen, geleistet" hat. Das Marburger System ist
ttt identisch mit dem Kantischen, enthält daher keineswegs eine „Er-
iHtnis" des K.schen Systems, sondern eine Interpretation Kants von
kitens zweifelhafter Richtigkeit. Ich erbiete mich zu dem
^weis, dass Cohens Interpretation von Anfang an (d. h. schon in der
HMrie der Erfahnmg") verfehlt ist, woraus sich die erheblichen späteren
eichungen von Kant (die ohne Grund als Ausbau bezeichnet werden)
ifen. Der Herr Rezensent würde sich selbst davon überzeugen, wenn
Bikachte, die Kritik der r. Vernunft (also das (^uellenwerk) unab-
ig von der Marbur^er Interpretation zu würdigen. Dass er Kants
M>hens Lehre identifiziert, ist ein Beweis, wie schädlich die proble-
^^ Lösung des Interpretationsproblems auf ihn wirkte. Sie veran-
466 É. Marens, ,,t>as Erketititnisproblein".
lasst ihn, diese Interpretation in das Kantische System hineinzule^n, statt
es selbständig und unbeeinflusst zu interpretieren. Um nur eins anzu-
führen : Cohen macht aus dem Eantischen Raum (dem unendlich g:ros8en
Platz für die Eörperwelt, dem sinnlichen Jenseits der Empfindone, der
„Form der Erscheinung**) eine „erscheinende Beschaffenheit" (Th. q. M
IL Aufl., S. 153), weil er die Bedenken Trendelenburgs u. A. gegen die
Annahme eines unendlichen Gefässes (oder Organs) der Anschauung teilt,
und statt diese Bedenken als Einwand gegen die Lehre geltend zu
machen, die entgegengesetzten klaren Aussprüche Kants durch
eine restrictive Interpretation beseitigt. Von einer Interpretation Kants,
die in Fühlung mit dem Erkenntnisproblem, mit seinem Motiv steht und
an diesem sich orientiert, ist gar nichts zu bemerken. Vollends in der
Logik Cohens geht jede Fühlung mit dem Gmndproblem verloren. In
seiner Logik hat alle Erkenntnis ihren Ursprung im reinen Denken (der
Raum wird zur Kates^orie), obwohl diese Behauptung zur L(ysung irgend
eines natürlichen Phroblems gar nicht erforderlich ist, ja mit natürlichen
Factis im Widerspruch steht. Sind in der Tat die apriorischen Sätze aos
dem Denken (der Logik) ableitbar, so sind sie nicht mehr synthetische
Urteile (wie Kant behauptet), sondern analytische, bedürfen daher
nicht der von Kant gegebenen Erklärung, und man kann die Kritik der
r. Vernunft entbehren, braucht also nicht das Marburger System mit ihr
zu identifizieren.
Wenn daher der Rezensent meine Polemik „in Hemdsärmeln" tadelt,
so rechtfertigt er ihre Enerve selbst, indem er an der eigenen Person
beweist, wie schwer es ist, nut meiner hier vorgetragenen Tendenz durch-
zudringen. Er selbst gehört zu denen, die sich bei einer von vielen pro-
blematischen Kantinterpretationen beruhigen, sie geradezu als eine ^Er-
kenntnis" Kants empfehlen und damit die Schüler und künftigen Forscher
veranlassen, es dabei bewenden zu lassen, statt sich an neuen Versuchen
zu beteiligen. Ich habe also allerdings den Rezensenten (als meinen
Leser) veranlassen wollen, die Sache sehr „traffisch" zu nehmen; dai
tat er nicht, nimmt dagegen seinerseits meinen polemischen Ton (die natfi^
liehe Stimmung des Schriftstellers, vielleicht eine zu übermütifi^ Laune,
über deren Berechtig^ung^ man streiten kann) und das geschichüiche Bei-
werk viel zu tragisch. Hätte die Sache — wie ich beabsichtigte — ihn
ergriffen, so war der Ton (als subjektive Zutat) nebensächlich.^)
Essen-Ruhr. Ernst Marcus.
^y Der Rezensent wundert sich darüber, dass ich die Darstellnogs-
weise Kants (im Gegensatz zur Marburger Schule) angreife, dass ich so
wenig „konservativ" bin; indessen erstrebe ich etwas neues, Gasman
heute noch nicht hat, nämlich eine endgültige zweifelsfreie Lösung
des Erkenntnis- und des Interpretationsproblems, und mit dieser Fra^
hat die Frage der Pietät gegenüber Kant nichts zu tun. Die Frage ist
eine sachliche, Kants Person ist ohne Einfluss darauf, und Kants Vortrags-
weise und Stil ist für ihre Beantwortung, daher für mich unerheblich.
Warum bei mir also konservative Gesinnung vorausgesetzt wurde,
kann ich nicht wohl einsehen. Rez. hält mir femer Cassirers ^gleichnamige
Schrift als Muster vor. Indessen ist meine Abhandluns; kein geschicht-
liches Compendium; sie trifft nicht, was bisher mit dem Erk.-Problem
geschehen ist, sondern was wir tun sollen, um es zu lösen. Das Histo-
rische ist hier nur Illustrationsmittel.
l^ant und das Erkeuntnisproblem. 46?
Kant und das Erkenntnisproblem.
Eine Entgegnung des Rezensenten auf die vorstehende Erwiderung seiner
Anzeige.
1. Der Herr Verfasser macht mir den Vorwurf, ich habe ,,ttber den
Inhalt und die Tendenz^ seiner Schrift zu wenig mitg^eteilt, so dass sich
der Leser kein vom Rezensenten unabhängiges Urteil bilden könne, und er
hält daher „eine Art nachträglicher Selbstanzeige*' für Müg. Ich darf
hiergegen verweisen auf meine Anzeige S. 141, Z. 5 v. u. — S. 142, Z. 12;
ebenda Z. 26-40; S. 143, Z. 18—23; ebenda Z. 42—48; S. 146, Z. 34—38;
ebenda Z. 52 — S. 146, Z. 24; S. 146, Z. 34-36; 41-50; 52—54; S. 147.
Z. 19-30; ebenda Z. 46 — S. 148, Z. 1; ebenda Z. 8—17; 28-33; 38—50;
tô— 66; in allen diesen Abschnitten glaube ich weiter nichts als tatsächliche
Inhaltsangaben der Marcus^schen Schrift gebracht zu haben. An jene
Khliesst sich freilich fast immer eine weitaus längere Kritik an. Ich bin
mir bewusst, in dieser wie in jenen die Forderungen der Sachlichkeit so
^eit erfüllt zu haben, als es in einer Rezension, me niemals die Lektüre
i«8 besprochenen Werkes selbst ganz ersetzen kann, möglich ist.
2. Was der Herr Verfasser in I. II. vorbringt, erscheint mir so wenif
leu, dass ich auch jetzt noch der Meinung bin, dass die Skizze, die ich
>• 148, Z. 38—50 davon entworfen habe, völlig genüge, um davon einen
^gnff zu geben. Damals übrigens konnte ich der Formulierune, die M.
f- 58 seiner Schrift) dem Zentralproblem gab: „Was veranlasst den
eoschen zu der sicheren Vorstellung, dass alles Geschehen, jede, auch die
^linfffügigste Veränderung eine Ursache haben müsse ?^ zustimmen; die
docn, welche er nun im Eingange von II. bringt, scheint mir deshalb
dniger glücklich« weil sie sich zu eng an die zuSllige Form hält, unter
T Hume das Problem fasste — und verfehlte — . Femer behaupte ich, dass
B Erkenntnisproblem nicht auf die von dem Herrn Verfasser aufgestellten
i<ien Erscheinungsformen beschränkt ist; als das Problem, welches jedem
^cnntnisversuche zum Grunde liegt, drängt es in der Geschichte der
ilosophie und Wissenschaft in mannigfachen Formen zu tage, die metho-
tcli präzisiert erst das Problem klar erkennen lassen. Ich gebe zu, dass
^\e ^ wenn er auch viele Vorgänger hatte, die wie er das „peripherische
ol)lem** bearbeiteten — sich zur Veranschaulichunç einer Verquickung des
ol)lems besonders eignen mag; die Charakterisierung des Hume*schen
•simgsversuches habe ich bereits in meiner Rezension als treffend an-
i^annt. Der Herr Verfasser wird indes zugestehen, dass auch andere Denker
tl^ocke und Hume als Objekte dienen könnten, dass das Problem u. a. auch
mathematischer und theologischer „Verquickung" nach oben drängte und
eilt bloss als „peripherisches^ und „zentrales" Problem „in ursprünglicher
^talt" auftrat. Diese letztere ist natürlich eine — methodisch notwendige
' Abstraktion, die sich durch die beiden extremsten Punkte bestimmen
SBt, indes auch von anderen Punkten her zugänglich ist. Wie das £r-
enntnisproblem „ward", wenn der Ausdruck gesittet sein soll, scheint
ûr in trefflicher und exakt er Weise durch Cassirers Buch dargetan;
^ S. 140 meiner Rezension. Dass M. (brieflich) Cassirers Schrift a priori
blehut, scheint mir zu beweisen, dass er bewusst und absichtlich aui eine
l^ljkte Einsicht in die Zusammenhänge zwischen der Geschichte der
"^^ophie und der systematischen Arbeit am Erkenntnisproblem verzichtet.
3. Dies tritt auch klar und offenkundig aus dem zweiten Abschnitt
^^ Erwiderung hervor: „Ich zeige nun zunächst, wie das Problem auf
^ ^bilosophen seit Descartes wirkte, ohne auf die sonstigen Leistungen
jl^^ben einzugehen (denn das gehört nicht zu meinem Thema)." Er
'^«fcn: Locke, Berkeley, Hume. Das sind „die Philosophen seit Descartes^.
' ^^echt zur Auswahl mag schliesslich unbestritten bleiben, aber ftir
einmal Gewählte muss exakte Behandlung gefordert werden. Auch
^^eias zwischen „geschichtlichem Beiweni", als welches ich z. B.
^* 148 meiner Rezension notierten Schnitzer M.s betrachte, und dem
468 p. Wüst,
das Problem angehenden, nun, sagen wir einmal in M.s Sinne: eeschicht-
liehen Illustrationsmaterial wohl zu unterscheiden. Ist das Kapitel über
Descartes, das über Leibniz auch „geschichtliches Beiwerk"? Es scheint
mir nötig, darauf hinzuweisen, dass der Herr Verfasser in seiner Erwiderung
meine Bemerkungen zu D. u. L. (S. 147, 148) mit keinem Worte berührt,
wie es denn überhaupt lehrreich ist, durch einen Vergleich festzustellen,
worauf M. nicht erwidert. Die ahistorische Einseitigkeit des Herrn Ver-
fassers schädigt denn auch seine systematische Einsicht in den Eampi am
das Problem vor Kant ganz bedeutend. Ihm ist es mit Recht zu tun nm
mathematische Präzision in der Erfassung 1. des peripherischen, 2. des
Zentralproblems, 3, der Vereinigung beider. Wodurch aber soll das ele-
mentarste Forschungsmaterial dargeboten werden, wenn nicht durch Fest-
stellung des Problems in den wichtigsten Lösungsversuchen? Wie da«
Problem bei Descartes und Leibniz „festgestellt" wird, habe ich S. 147 1
meiner Rezension zu zeigen versucht. Aber alles, was über D. und L. nicht
gesagt wird, jedoch gesagt werden müsste, wenn anders es sich in
jenen Abschnitten überhaupt darum handeln soll „die BestandteUe des
Problems klar vor Augen zu stellen und zugleich zu zeigen, dass das
Problem das Zentrum ist, um das sich die Versuche der bedeutendsten
Philosophen lagern" (Erkpr. S. 22), schiebt der Herr Verfasser beiseite als
„sonstige Leistungen", auf die er nicht eingehe, weil „das nicht zu seinem
Thema gehöre".
So entfällt denn unter dies „historische Beiwerk", das der Herr
Verfasser zu „kompilieren" verschmäht, mit vielem anderen auch Leibnis'
klare Erkenntnis des apriorischen Raumes, die er z. B. in dem Brief-
wechsel mit Clarke (jetzt am besten zugänglich bei Cassirer-Buchenao,
L.s Hauptschriften zur Grundlegung der Philos. I, 120 ff.) so unzweidentiç
wie nur möglich entwickelt hat. U. s. w. u. s. w. ! Es Hessen sich Bände füllen
mit dem, was der Herr Verfasser nicht sehen wollte. So werden uns denn
bei D. und L. von Marcus nicht „die Bestandteile des Problems klar vor
Augen" gestellt. Es ist vielmehr des Herrn Verfassers „eigner Geist", ia
dem die oeiden Problembearbeiter sich bespiegeln, und zwar so, dass ihre
Arbeit in diesem Bilde nicht wiederzuerkennen ist. Ich will mit dieser
Bemerkung beileibe nicht jener „objektiven" Auffassung der Philosophie-
feschichte das Wort reden, die in geschichtlichem Beiwerk — diesmal ist
as Wort ernstgemeint — erstickt und im übrigen nur den Stoff reden
lässt; im Gegenteil glaube ich, dass die Arbeit, welche früher an dem
Problem geleistet worden ist, nur dann für uns zur Erkenntnis des Problems
und zu seiner getreuen Bewahrung fruchtbar werden kann, wenn die selbst-
erarbeitete systematische Überzeugung uns bei (freilich peinlich genauer)
Betrachtung jener Arbeit leitet. Aber eine Arbeitsweise, welcne jede
historische Vorarbeit zur systematischen Erkenntnis des Problems als
„Beiwerk" bei Seite schieben zu können meint, welche in wesenlosem
Scheine das, was uns alle bändigt — den ach so unbequemen Stoff weit
hinter sich lässt, um ein derart emseitig beleuchtetes Bild von D. u. L «i
geben, dass ihre eigentliche Arbeit am Erkenntnisproblem gar nicht
erscheint; eine solche Arbeitsweise läuft Gefahr, das „fruchtbare Bathos
der Erfahrung" unter den Füssen zu verlieren, eine Niederung, die m
bewohnen ja bekanntlich selbst der eine oder andere König im ]E&idie des
Geistes nicht verschmäht hat.
4. Die Ausführungen des Herrn Verfassers unter III, 1—3 sind
gleichfalls nicht neu. S. 148 f. habe ich darzutun versucht, warum ich sie
zur klaren Darstellung des Kantischen Lösungsversuches für nicht geeignet
halte. Die von M. in III. geforderte Lösung „mit einem Griff durch ein
und dieselbe Theorie" gab Kant dadurch, dass er das „peripherische Pïoblem*'
auflöste in die Frage: wie ist sinnliche Wahrnehmung möglich? und diese
Frage mit der Erweiterung des Zentralproblems, mit der Frage: wie sind
konstruktive Urteile a priori möglich?, verknüpfte. Die so entstehende
vertiefte Frage lautet nun für ihn: wie ist Eitahrung möglich? Damit
Kant und das Erkenntnisproblem. 46?
Kant und das Erkenntnisproblem.
Eine Entgpegnung des Rezensenten auf die vorstehende Erwiderung seiner
Anzeige.
1 . Der Herr Verfasser macht mir den Vorwurf, ich habe „über den
Inhalt und die Tendenz^ seiner Schrift zu wenig mitg^eteilt, so dass sich
der Leser kein vom Rezensenten unabhängiges Urteil bilden kOnne, und er
hAlt daher „eine Art nachträglicher Selbstanzeige*' für nötig. Ich darf
hiergegen verweisen auf meine Anzeige S. 141, Z. 6 v. u. — S. 142, Z. 12;
ebenda Z. 26-40; S. 148, Z. 18-28; ebenda Z. 42—48; S. 146, Z. 34—88;
ebenda Z. 52 — S. 146, Z. 24; S. 146, Z. 34-86; 41-60; 62—54; S. 147,
Z. 19-80; ebenda Z. 46 — S. 148, Z. 1; ebenda Z. 8—17; 28-88; 38—50;
63—66; in allen diesen Abschnitten glaube ich weiter nichts als tatsächliche
Inhaltsangaben der Marcus'schen Schrift gebracht zu haben. An jene
schliesst sich freilich fast immer eine weitaus längere Kritik an. Ich bin
mir bewusst in dieser wie in jenen die Forderuns^en der Sachlichkeit so
weit erfüllt zu haben, als es in einer Rezension, die niemals die Lektüre
des besprochenen Werkes selbst ganz ersetzen kann, möglich ist.
2. Was der Herr Verfasser in L II. vorbringt, erscheint mir so wenig
neu, dass ich auch jetzt noch der Meinung bin, dass die Skizze, die ich
S. 148, Z. 38—50 davon entworfen habe, völlig genüge, um davon einen
Begriff zu geben. Damals übrigens konnte ich oer f^rmulierung, die M.
2. 68 seiner Schrift) dem Zentralproblem gab: „Was veranlasst den
enschen zu der sicheren Vorstellung, dass alles Geschehen, jede, auch die
l^ringfügigste Veränderung eine Ursache haben müsse ?^ zustimmen; die
Jedocn, welche er nun im Eingange von II. bringt scheint mir deshalb
weniger glücklich, weil sie sich zu eng an die zufiuiige Form hält, unter
der Hume das Problem fasste — und verfehlte — . Femer behaupte ich, dass
das Erkenntnisproblem nicht auf die von dem Herrn Verfaraer aufgestellten
beiden Erscheinungsformen beschränkt ist; als das Problem, welches jedem
Erkenntnisversuche zum Grunde liegt, drängt es in der Geschichte der
Philosophie und Wissenschaft in mannigfachen Formen zu tage, die metho-
disch präzisiert erst das Problem klar erkennen lassen. Ich gebe zu, dass
Locke ^ wenn er auch viele Vorgänger hatte, die wie er das „peripherische
Problem*^ bearbeiteten — sich zur Veranschaulichunç einer Verquickung des
Problems besonders eignen mag; die Charakterisierung des Hume'schen
LOaongsversnches habe ich bereits in meiner Rezension als treffend an-
erkannt. Der Herr Verfasser wird indes zugestehen, dass auch andere Denker
alaLoeke und Hume als Otjekte dienen könnten, dass das I^blem u. a. auch
in mathematischer und theologischer „Verquickung^ nach oben drängte und
nicht bloss als „peripherisches"* und „zentndes"* Problem „in ursprünglicher
Gtetalt" auftrat. Diese letztere ist natürlich eine — methodisch notwendige
— Abstraktion, die sich durch die beiden extremsten Punkte bestimmen
lA»t, indes auch von anderen Punkten her zugänglich ist. Wie das Er-
kenntnisproblem „ward^, wenn der Ausdruck gestattet sein soll, scheint
mir in trefflicher und exakt er Weise durch Gassirers Buch dargetan;
Y^ S. 140 meiner Rezension. Dass M. (brieflich) Gassirers Schrift a priori
amehnt, scheint mir zu beweisen, dass er bewusst und absichtlich auf eine
exakte Einsicht in die Zusammenhänge zwischen der Geschichte der
Philosophie und der systematischen Arbeit am Erkenntnisproblem verzichtet.
8. Dies tritt auch klar und offenkundig aus dem zweiten Abschnitt
seiner Erwiderung hervor: „Ich zeige nun zunächst, wie das Problem auf
die Philo60i>hen seit Descartes wirkte, ohne auf die sonstigen Leistungen
derselben einzugehen (denn das gehört nicht zu meinem Thema).^ Er
führt an : Locke, Berkeley, Hume. I>as sind „die Philosophen seit Descartes^.
Du Recht zur Auswahl mag schliesslich unbestritten bleiben, aber für
das einmal Gewählte muss exakte Behandlung gefordert werden. Auch
kh wei« swiachen „geschichtlichem BeiwenL*', als welches ich z. B.
die S. 148 meiner Rezension notierten Schnitaeer M.s betrachte, und dem
470 P. Wüst,
eins sind, seiet die Kr., das Quellenwerk, das „unabhängig von vorgefMsten
Meinungen (der Herr Verfasser verzeihe, dass ich schon wieder ans seiner
Rüstkammer ein Stück gegen ihn abfeuere!] gewürdigt werden" mm
Wozu Zitate! Und Kant soll „wegen der Grösse seiner Entdeckung"
„Lampenfieber" gehabt und deswegen „die Grösse seiner ümw&lzmig"
nicht nur „durch eine scholastische, trockene Sprache abgeschwacht^
sondern auch „seine Lösung versteckt haben" (Erkprobl. S. 13 f.). Wora,
so fra^e ich abermals (vgl. S. 146 meiner Bez.), hat Kant die Prolegomeni
geschrieben? Wozu hat er in hunderten von Anmerkungen der Kr. immer
und immer wieder auf sein Problem, das er freilich nicht von dem Problem
der Kritik der Erkenntnis losgelöst wissen wollte, da ihm „beide" sachlich
als ein Problem galten, hingewiesen, wenn nicht, um es klar und deutlich
vor jedermann hinzustellen? Und dieser Denker soll „Lampenfieber" gehabt
haben! Es ist unmöglich, diese nicht nur den Menscnen und Schrift-
steller Kant, sondern das innerste Gefüge des Kantischen Systems selbst
ansehende Behauptung auch nur mit einem triftigen Belege aus Kants
Briefen oder Schriften zu erhärten. Wenn Kant so dachte, dann handelte
er klüger, wenn er seine Schriften klar (im Sinne von Marens) abfassteond
sie posthum veröffentlichte. Er hat es aber nicht getan, und des sind
wir fröhlich. Der Herr Verfasser täte also besser, anstatt sich mit seiner
problematischen Lösung des Interpretationsproblems zu begnügen — prob-
lematisch, weil Kant sehr offen und sachlich das schreiben wollte, wtt
er dachte — und gedacht wissen wollte — zuzugeben:
1. dass hier ein Problem der Kantinterpretation vorliegt,
2. dass dieses Problem aufs innigste mit Kants Lösung des £^
kenntnisproblems zusammenhängt,
3. dass er dies Problem zu lösen versucht hat, ohne aus Kant
selbst einen Beweis dafür erbracht zu haben, dass a) die
„Kritik der Erkenntnis" eine Scheinanlage, dass also b) Kaat •
„literarisches Lampenfieber" gehabt habe; dass also
4. das Problem eine andere Lösung finden muss, als er sie in
seiner „Vermutung" (Erkpr. S. 13) zu geben versucht hat.
Ich verlange also „Schutz für das Problem'^
6. Die Stilfrage hängt nun mit der unter 5 behandelten aufs engs^
zusammen. Auch sie weiss der Herr Verfasser in der kurzen Anmerknng
am Schluss seiner Erwiderung als nebensächlich abzutun. Wenn ich in
meiner Bezension Pietät bei der Kantinterpretation forderte, so hat das
mit Personenkultus nichts zu tun, sondern ich habe bei meinen Ausführongen
zu Kants Stil die sachliche Achtung gegenüber dem Faktum der
Kantischen Wissenschaft, als der ja, leider, nun einmal nicht zu umgehenden <
Grundlage jeder Kantinterpretation gemeint. Die literarische Form ab
solche erscheint mir nun einmal als die „notwendige Form dieser £^
scheinung'^^ d. h. des Kantischen Werkes. Sie ist das mstorische Material,
von dem die Kantinterpretation auszugehen hat, also zur Beurteilung àsx
8 ach lichen Frage nicht „unerheblich". Bei Wernicke, Kant . . . und kein
Ende? (^1907 S. 10 ff.) scheinen mir etliche in dieser Richtung liegende
praktische Winke gegeben zu sein. Wohin aber die Methode des Benm
Verfassers, von dieser sachlichen „Pietät" Abstand zu nehmen und das
historische Material als nebensächlich zu behandeln, führt, geht aus dem
oben skizzierten Ergebnis seiner Kantinterpretation hervor. Wamm ich
bei ihm trotzdem „konservative Gesinnung voraussetzte" ? Nun, weil seine
Schrift das Kantische Motto trägt, das er auch in seiner Erwiderang abe^
mais anführt ^Nil actum reputans si quid superesset agendum", und wol
ich „konservativ** ^enug bin, um Verständnis des Stiles und der literarischen
und historischen Eigenart eines Autors für die erste meinetwegen Aamen
Vorbedingung eines sachlichen Verständnisses zu halten. Kants ,^erBon*
kommt erst in zweiter Linie. Wer an die Kantiu iiretation herantritt
unbekümmert um das Gegebene; wer das G^fäss z< Igt, um schneller
zu dem gewünschten Inhalt zu gelangen, dem wx < in kostbarer Tnl
Kant und das Erkenbtnisproblem. 471
davon anter den Händen zerrinnen. Vielleicht nicht alles; „dass man nämlich
einzelne Sätze von ihm, d. h. ihn im ""wesentlichen** versteht, ist
wirklich schwer zu vermeiden" (Erkpr. S. 14), aber es bleibt dann doch
ein gewaltiges „a^endum^. Darf das liegen bleiben? Die Fra^e der
loflseren Tatsache der Kr. mit allen Gegebenheiten ist nicht zu soieiden
▼on der „sachlichen"" Frage des Interpretationsproblems, des Kantischen
LOsongsversuches. Der Herr Verfasser hat diese Frage beiseite geschoben,
tzotz seines Mottos. Hier liegt ein Problem, hier der Weg zu einer
iweifelfreien Lösung. Ich weiss nicht, ob der Herr Verfasser ihn ein-
leUagen wird. In seiner Erwiderung geht er auf dürrer Heide, wie mir
scheint, und die rinssumher liegende „schöne grüne Weide"" sieht er nicht.
7. Nachdem der Herr Verfasser in seiner Erwiderung seine Stellung
so Kant klarer als vorher aufgedeckt hat, indem er dartut, dass es für ihn
lieh nicht sowohl um Kant, sus vielmehr um seine, des Verfassers, Inter-
pretation des Problems, handelt, wobei ihm Kant nur als unerlässliches
niutrationsmaterial dient, sehe ich wohl ein, dass ich den „Vorwurf""
ffkonservativer"" Gesinnung zurücknehmen muss. Ich hatte darunter das
treue Festhalten an den Leitgedanken des Philosophen verstanden, das
weit über jener Buchstabentreue steht, die vor lauter Bäumen den Wald
sieht sieht, ein Festhalten, das sich rein im Prinzip wenigstens in der oft*
maligen Betonung des NU actum auszusprechen schien, wenn es auch in
der Praxis aus den Augen verloren wurde. Und ein Zweites sehe ich ein :
dan nämlich einer solchen Auslegung Kants die Interpretation Cohens
freüich nicht das erlösende Wort zu sprechen vermag. Ich hatte dies
geglaubt, weil mir eben die Forderung des Nil aäum als die erste erscheint;
cine Fordi rung, die mir, von M. kommend, jetzt wie jenes Herr Herr-sagen
ÛD Ohre klingt, weil sie nicht in die Tat umgesetzt wird, vor allem nicht,
so weit das Interpretationsproblem in Frage kommt. Ich hatte es an-
genommen, weil mir Cohens Interpretation die Auswirkung jener Forderung
^ büdeu schien, weil ich für sie das Prädikat iener „konservativen^
Tendenz in Anspruch nehmen zu dürfen glaubte, die der Herr Verfasser
K wie er mich nun belehrt, weit von sich weist, weil er aus Kant etwas
•vöQig Neues'' herauslesen will — wenn es nur das Neue wäre, was
Kant erarbeitet haben wollte! . . . Ich s&ge: „glaubte"". Nun, ich darf,
^^ nach der Erwiderung des Herrn Verfassers noch, das Praesens ge-
sehen. Denn ich bin noch der Meinung, dass Cohen „die Erkenntnis
^ Kultischen Systems, als einer in sich notwendigen Einheit, als eines
^tmsen, in dem die Teile sich bedingen, erreicht*" hat.
Der Herr Verfasser rät mir, den Versuch zu machen, „die Kr. d. r. V.
(also das Quellenwerk) unabhän^g von der Marburger Interpretation
m würdigen*'. Ob ich das jemals können werde, weiss ich nicht, glaube
BS aber nicht. Denn erst die Interpretationsweise Cohens hat mir den
i^eg zu derjenigen Einheitlichkeit des Verständnisses erschlossen, die
eh für das oberste Kriterium einer Erkenntnis überhaupt halten muss.
)èr Herr Verfasser scheint zu glauben, das Quellen werk komme denen,
ie von Hermann Cohen und Paul Natorp lernen durften, erst in zweiter
inie und werde durch die „Interpretation"" gewissermassen beiseite ge-
hoben. Es ma^ ja Kant„ausleger"" geben, denen Kant nur zum Gefäss
irer eigenen Meinungen wird; aber das Wesen der „Marburger Schule**
der Ausdruck ist mir nun einmal entschlüpft und mag darum bleiben,
eil ich für ihn ja doch eine andere sachliche Basis voraussetze als das
rare in verba magistri, worin dem Herrn Verfasser das Wesen der Schule
[ Hagen scheint — besteht eben darin, dass sie niemals ein fertiges Er>
unüB der Interpretation überliefern wollte, andererseits auch nicht lehrt,
d .einer von vielen möglichen Kantinterpretationen"" sich zu beruhigen,
Mem weil sie Anregung zum selbständigen Eindringen in das Geroge
m Kantiachen Systems geoen will; weil ihr die Methode auch hier &b
vie. gmndk^^de Moment bedeutet, von dessen Verständnis aus die
ÎBnBbt selbständig zwar, doch mit gesetzlicher Notwendigkeit erarbeitet
ML Ein bewosstes Abstrahieren von jener Grundvoraussetzung des
31«
470 I>, Wüst,
eins sind, zeiflft die Kr., das Quellenwerk, das „unabhängig von voiyfawtiqn
Meinungen (der Herr Verfasser verzeihe, dass ich schon wieder ans aeiiier
Rüstkammer ein Stück gegen ihn abfeuere!] gewürdigt weiden" nrnss.
Wozu Zitate! Und Kant soll „wegen der wiVsse seiner Entdeckung^
„Lampenfieber^ gehabt und deswegen „die Grösse seiner ümwftlsiing'
nicht nur ^durch eine scholastische, trockene Sprache abgeschwicht*',
sondern auch „seine Lösung versteckt haben" (Brkprobl. S. 18 f.). Wozu,
so fra^ ich abermals (vgl. S. 146 meiner Bez.)> l^t Kant die Prolegomena
geschrieben? Wozu hat er in hunderten von Anmerkungen der Kr. immer
und immer wieder auf sein Problem, das er freilich nicht von dem Problem
der Kritik der Erkenntnis losgelöst wissen wollte, da ihm „beide" sachlich
als ein Problem galten, hingewiesen, wenn nicht, um es klar und deutlich
vor jedermann hinzustellen? Und dieser Denker soll „Lampenfieber" gehabt
haben! Es ist unmöglich, diese nicht nur den Menscnen und l^hrift-
steller Kant, sondern das innerste GetfXf;e des Kantischen Systems selbst
an^hende Behauptung auch nur mit einem triftigen Belege aus Kants
Briefen oder Schriften zu erhärten. Wenn Kant so dachte, dann handelt«
er klüger, wenn er seine Schriften klar (im Sinne von Marcus) abfasste und
sie posthum veröffentlichte. £r hat es aber nicht getan, und des sind
wir fröhlich. Der Herr Verfasser täte also besser, anstatt sich mit seiner
problematischen Lösung des Interpretationsproblems zu beffnfigen — prob-
lematisch, weil Kant sehr offen und sachlich das schreioen wollte, wis
er dachte — und gedacht wissen wollte — zuzugeben:
1. dass hier ein Problem der Kantinterpretation vorliegt,
2. dass dieses Problem au& innigste mit Kants Lösung des £^
kenntnisproblems zusammenhängt,
8. dass er dies Problem zu lösen versucht hat, ohne aus Kant
selbst einen Beweis dafür erbracht zu haben, dass a) die
„Kritik der Erkenntnis" eine Scheinanlage, dass also b) Kant.
Jiterarisches Lampenfieber" gehabt habe; dass also
4. aas Problem eine andere Lösung finden muss, als er sie m
seiner „Vermutung" (Erkpr. S. 13) zu geben versucht hat.
Ich verlange also „Schutz für das Problem**!
6. Die Stilfrajge hängt nun mit der unter 5 behandelten aufo engste
zusammen. Auch sie weiss der Herr Verfasser in der kurzen Anmerkimg
am Schluss seiner Erwiderung als nebensächlich abzutun. Wenn ich in
meiner Rezension Pietät bei der Kantinterpretation forderte, so hat das
mit Personenkultus nichts zu tun, sondern ich nahe bei meinen Ausführungen
zu Slants Stil die sachliche Achtung gegenüber dem Faktum der
Kantischen Wissenschaft, als der ja, leider, nun einmal nicht zu umgehenden
Grundlage jeder Kantinterpretation gemeint. Die literarische Form als
solche erscheint mir nun einmal als die j^notwendige Form dieser Er-
scheinung**^ d. h. des Kantischen Werkes. Sie ist das historische Material,
von dem die Kantinterpretation auszugehen hat, also zur Beurteilung der
sachlichen Frage nient „unerheblich". Bei Wernicke, Kant . . . und kein
Ende? ("1907 S. 10 ff.) scheinen mir etliche in dieser Richtung liegende
praktische Winke gegeben zu sein. Wohin aber die Methode aes fitom
Verfassers, von dieser sachlichen „Pietät" Abstand zu nehmen und das
historische Material als nebensächlich zu behandeln, führt, geht aus dem
oben skizzierten Ergebnis seiner Kantinterpretation hervor. Warum ich
bei ihm trotzdem „konservative Gesinnung voraussetzte"? Nun, weil seine
Schrift das Kantiscne Motto trägt, das er auch in seiner Erwiderung aber-
mals anführt ^Nil actum reputans si quid snpereeset agendum", und weü
ich „konservativ** genug bin, um Verständnis des Stiles und der literaiisohen
und historischen Eigenart eines Autors für die erste meinetwegen äussere
Vorbedingung eines sachlichen Verständnisses zu halten. Kants „PeiBoo*^
kommt erst m zweiter Linie. Wer an die Kantinterpretation fa«rantrilt
unbekümmert um das G^egebene; wer das GMte lersoliligt, um sehneUer
zu dem gewttnschten Inhalt zu gelangen, dem wird etil koetbarar TM
Kant und das Erkenntnisproblem. 471
davon anter den Händen zerrinnen. Vielleicht nicht alles; „dass man nämlich
einzelne Sätze von ihm, d. h. ihn im "^wesentlichen** venteht, ist
wirklich schwer zu vermeiden'' (Erkpr. S. 14), aber es bleibt dann doch
ein ^waltiges „agendum''. Darf das liegen bleiben? Die Fra^e der
Inworen Tatsache der Kr. mit allen Gegebenheiten ist nicht zu soieiden
von der ,,sachlichen'' Frage des Interpretationsproblems, des Kantischen
Löeongsversnches. Der Herr Verfasser hat diese Frage beiseite geschoben,
tarotz seines Mottos. Hier liegt ein Problem, hier der Weg zu einer
zweifelfreien Lösung. Ich weiss nicht, ob der Herr Verfasser ihn ein-
schlagen wird. In seiner Erwiderung geht er auf dürrer Heide, wie mir
scheint, und die rinfisnmher liegende „schöne grüne Weide'' sieht er nicht.
7. Nachdem der Herr Verfasser in seiner Erwiderung seine Stellung
zu Kant klarer als vorher aufgedeckt hat, indem er dartat, dass es für ihn
sich nicht sowohl um Kant, als vielmehr um seine, des Verfassers, Inter-
pretation des Problems, handelt, wobei ihm Kant nur als unerlässliches
Dlottrationsmaterial dient, sehe ich wohl ein, dass ich den „Vorwurf"
„konservativer" Gesinnung zurücknehmen muss. Ich hatte darunter das
treue Festhalten an den Leitgedanken des Philosophen verstanden, das
weit über jener Buchstabentreue steht, die vor lauter Bäumen den Wald
nicht sieht, ein Festhalten, das sich rein im Prinzip wenigstens in der oft-
maligen Betonung des NU actum auszusprechen schien, wenn es auch in
der Praxis aus den Augen verloren wurde. Und ein Zweites sehe ich ein :
dass nämlich einer solchen Auslegung Kants die Interpretation Cohens
freilich nicht das erlösende Wort zu sprechen vermag. Ich hatte dies
geglaubt, weil mir eben die Forderung des Nil aäum als die erste erscheint;
eine Fordtrung, die mir, von M. kommend, jetzt wie jenes Herr Herr-eagen
im Ohre klingt, weil sie nicht in die Tat umgesetzt wird, vor allem nicht>
so weit das Interpretationroroblem in Frage kommt. Ich hatte es an-
genommen, weil mir Cohens Interpretation die Auswirkung jener Forderung
zu bilden schien, weil ich für sie das Prädikat iener „konservativen^
Tendenz in Anspruch nehmen zu dürfen glaubte, die der Herr Verfasser
ja, wie er mich nun belehrt, weit von sich weist, weil er aus Kant etwas
^ydllig Neues*^ herauslesen will — wenn es nur das Neue wäre, was
Kant erarbeitet haben wollte! ... Ich saee: „glaubte". Nun, ich darf,
auch nach der Erwiderung des Herrn Verfassers noch, das Praesens ge-
braachen. Denn ich bin noch der Meinung, dass Cohen „die Erkennais
des Kantischen Sjrstems, als einer in sich notwendigen Einheit, als eines
Gassen, in dem die Teile sich bedingen, erreicht" Imt.
Der Herr Verfasser rät mir, den Versuch zu machen, „die Kr. d. r. V.
(alfo das Quellenwerk] nnabhänffig von der Marburger Interpretation
m würdigen". Ob ich das jemals Können werde, weiss ich nicht, glaube
es aber nicht. Denn erst die Interpretationsweise Cohens hat mir den
W^ m deijenigen Einheitlichkeit des Verständnisses erschlossen, die
ieh für das oberste Kriterium einer Erkenntnis überhaupt halten mnss.
Der Herr Verfasser scheint zu glauben, das Quellenwerk komme denen,
die von Hermann Cohen und Paul Natorp lernen durften, erst in zweiter
Linie und werde durch die „Interpretation" gewissermassen beiseite ge-
sdioben. Es ma^ ja Kant„ausleger" geben, denen Kant nur zum G«&s
ikrar eigenen Meinungen wird; aber das Wesen der „Marburger Schule'^
— der Ausdruck ist mir nun einmal entschlüpft und mag darum bleiben,
weil ich für ihn ja doch eine andere sachliche Basis voraussetze als das
ümupe in verba magistri, worin dem Herrn Verfasser das Wesen der Schule
sa üagen scheint — besteht eben darin, dass sie niemals ein fertiges Er-
mkm» der Interpretation überliefern wollte, andererseits auch nicht lehrt,
Ssi .einer von vielen möglichen Kantinterpretationen" sich zu beruhf
SflMcm weil sie Amregung zum selbständigen Eindringen in das Ge
to Xanüschen Systems geben will; weil ihr die Methode auch hier
enUL gnmdlegendie Moment bedeutet, von dessen Verständnis aus die
mn^ÙM selbständig zwar, doch mit gesetzlicher Notwendigkeit erarbeitet
wild. Ein bewusstes Abstrahieren von jener Grundvoranssetzung des
8l«
472 P, Wüst,
Verständnisses wäre gegen mein wissenschaftliches Gewissen und fOr mich
gleichbedeutend mit einem Verzicht auf Erkenntnis überhaupt.
Denn das „non liquet^' der Cohenschen Interpretation kann ich nicht
zugestehen; dazu fehlt ein nicht unwichtiges Moment: die innere Übei-
zeug[ung jenes non liquet, die der Herr Verfasser bei mir yorauszusetzen
scheint. Auch ich kann mich nicht „bei einer zweifelhaften LOsim^
beruhigen". Dass die Cohensche eine solche sei, davon haben mich die
allgemein gehaltenen Äusserungen des Verfassers, auf die ich nicht dn-
gehen kann, da sie zur Diskussion keine sachliche Handhabe..bieten, eben-
sowenig überzeugen ' können, als seine eine tatsächliche Äusserung zur
Raumtneorie: „Cohen macht aus dem Eantschen Baume (. . . der „Form
der Erscheinung**) eine „erscheinende Beschaffenheit" (Th. d. Sri, \
S 153), weil er die Bedenken . . . gegen die Annahme eines unendlichen
Gefässes (oder Organs) der Anschauung teüt und statt diese Bedenken
als Einwand gegen die Lehre geltend zu machen, die entgegen-
gesetzten klaren Aussprüche Kants durch eine restrictive Interpretation
eseitigt." Jenes eine Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen und
darum unklar. Es lautet vollständig (a. a. 0., Zeile 7 v. u.) : „ . . io
wenig die Materie einer Erscheinung wirkliche Materie, sondern nnr
erscheinende ist, so weniç ist die Form der Erscheinung ein mate-
rielles, aufnehmendes Behlutnis oder Werkzeufi^, sondern eine erschei*
nende Beschaffenheit, eine isolierte Bedingung. Die Form ist
Form der Erscheinung. Durch diese Verbindung allein kann
der Terminus für eine genaue und erschöpfende Bestimmung
vorbereitet werden. i) . . . Von wirklichen Dingen, denen einedielän-
drücke derselben aufnehmende Subjektivität begegnete, ist nirgend die
Bede.^ Man sieht, der Nachdruck hegt auf „Erscheinung"; und „erKhei-
nende Beschaffenheit"* soll nicht etwa die Beschaffenheit eines dinglichen
Substrats sein, sondern ist zu verstehen als zu den Bedingungen der
Möglichkeit des Gegenstandes gehörige Form, d. h. Bedingung der &
scheinung. ^Aus der Form der Erscneinung'^ wird also nichts andern
„jg;emacht"; sie wird lückenlos, d. h. ohne Zuhülfenahme durchaus metaphy-
sischer, von den Bedingungen der Gegenstände abliegender und mit ihnen
nicht verbindbarer jenseitiger „Gegenstände" interpretiert. Denn „der an-
endlich grosse Platz für <ue Körperwelt", wie das „sinnliche Jenseits der
Eropfindunff^ des Herrn Verfassers mtlssen als solche angesprochen weiden.
Femer madit Cohen sehr wohl ausführlich a. a. 0. S. 154— 156 u. iL seine
„Bedenken ... gegen die Annahme eines unendlichen Gefösses (oder
Orfifans) für die Anschauung" geltend . . . allerdings braucht er diei
nicht „als Einwand gegen £e Lehre" Kants zu tun: auch bedürfen die
allerdings „klaren Aussprüche Kants" (es handelt sich vor allem um du
„im Gemüte a priori bereit liegen") nicht einer „restrictiven Interpretation",
wie denn eine solche Cohen auch nicht giebt; jene Wendung findet viel-
mehr durch weitere klare Aussprüche Kants ihre lückenlose Dentong,
während die Auffassung „Gefäss" und „Organ" zu einer psycholoffisehen
Metaphysik führen, von der keine Brücke zu den Bedingungen der E^
kenntnis führt, wie sie Kant dachte.
8. Die Frage nach dem Verhältnis der „Logik" Cohens zu Kant
steht auf einem anderen Blatte; auf sie habe ich in meiner Rezension
keinen Bezug genommen ; von einem „Identifizieren" in dem Sinne des
Herrn Verfassers kann iJso keine Bede sein. Eine Widerleernnf der Kritik
an Cohens Logik gehört nicht hierher. Es scheint mir über£es zweifel-
haft, ob sie Zweck hätte, da der Herr Verfasser schon den methodischen
Begriff des „Ableitens" — der mit dem methodischen Ausgannpunkte von
Kants „Analytik" zusammenfällt — durchaus verîehlt. Von dem Versuche
jenes „Nachweises" betr. Cohens Kantinterpretation und System kann und
will ich den Herrn Verfasser natürlich nicht zurückhalten. Sein Ergebnii
ist mir nach den oben behandelten Stichproben nicht zweifelhaft.
1) Durch mich gesperrt.
Kant und das Erkenntnisproblem. 473
9. Der Herr Verfasser glaubt, ich tadele die Energie der Form
ner Polemik. O nein! Auch g^egen Niederschläge „übermütiger Laune"
t)e ich nichts einzuwenden. Beides scheint mir im Ge^nteil Kern und
Ebse der Polemik auszumachen (vgl. 8. 140—141 meiner Bez.); aber
im ich von einer Polemik „in Hemdsärmeln" sprach und von einem
ei«eifen im Ton", so meinte ich damit nicht „Unehrerbietigkeit^ oder
rgL, ich meinte und meine noch jetzt, dass der Ausdruck auch der
iroffsten Energie und der kräMgsten Selbstsicherheit (der oft nötig ist!)
r gewinnen kann, wenn er die messerscharfe Grenze des guten Ge-
imackes innehält; und jene Wendung vom „Ton" ist durchaus musika-
sh fi;emeint. Der „Ton'' steht mir zwar, wenn eine Di^uiÜLtion ge-
dert würde, in zweiter Linie, aber als Form ist er doch mehr als „sub-
tive Zutat''. Die Dissonanzen des Herrn Verfassers habe ich nicht
.giach genommen. Vom Tragischen zum Komischen giebt es ja gar
liehe Schattierung. . . .
10. Wenn eine Sache in sich selbst sicher ruht, so kommt es wenig
rsuf an, ob sie von dem und jenen oder auch vielen verfehlt wird. Jen
une dies so weni^ tragisch, wie alle menschlichen Unvollkommen-
ten und Disharmonien (vgl. S. 143 meiner Bez.), weil ich an den Sieg
( richti«^ verstandenen Problems glaube. Ernst nehme ich allerdings
t Tatsacme des Streites um Kant; aber es liegt mir jede „traffische"
nenmg darob fem. Der Herr Verfasser hingegen verlangt onenbar,
solle die Tatsache, dass man die Frage nicht nach seiner Weise liest,
agisch" nehmen, was ich einmal leider nicht kann.
Unter allen, denen die Sache Kants am Herzen liefft, vom selbstän*
(sten Philosophen bis zum kurzsichtigsten „Kärrner"^ gelten gewisse
twendige Grundgesetze, aber noch ist unter ihnen die Abstellung eines
rias der Unfembarkeit bisher nicht für notwendig erachtet worden,
man denn doch schliesslich der Meinung war, dass das Problem sich
bst schützen würde. Wenn es aber einmal nötig werden sollte, und
r Alte von Königsberg sich nach einem Statthalter auf Erden umsehen
iairte, damit sein Erbe unter den zwar historisch verdienstvollen, sonst
sr exBC^recklich kurzsichtigen Kantforschem nicht ganz und gar zerstört
rde, so müsste es doch zweifelhaft erscheinen, ob er jenes verant-
irtimgsvolle Amt dem Herrn Verfasser zu übertragen sich entachliessen
ante, da er als Grundlage für die Ausübung der Schlüsselgewalt wohl
le gewisse „Pietät" in sachlicher Ansicht verlangen könn&, eine For-
nmg, deren Erfüllung durch den Herm Verfasser nach allem Obigen
ndettens zweifelhaft erscheinen muss.
Die Frage nach dem Erkenntnisproblem steht für mich mit der
ntfrage in unzertrennlicher Verbindung. Ich habe diese Auffassung,
\ mir der sachlidien Basis nicht zu entbehren scheint, eingehend genug
lirflndet, um diese Entgeffnung für meine letzte erklären zu dürfen.
i bin auch der Meinung, dass Objektionen und Besponsionen ohne Ende,
er ebensolche pldlosophische Briefwechsel, die in früheren Zeiten so
1 Arbeit getan haben, heute nur mehr Unbefangene zu belehren ver>
igen. Q9X bald müsste nach weiterem Fortspinnen der Debatte eine
mmunff kommen, die mich in modernerer Fassung aussprechen liesse
aë Voltaire seinen ehrlichen Candide, nach so viel unnützen Schnl-
ehâgkéiten, zum Beschlüsse sagen lässt:
Xasst uns unser Glück besorgen, in den Garten gehen, und arbeiten."
■ftome eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik,
ra und Mietan, bei Job. Friedr. Hartknoch, 1766, S. 128.)
Düsseldorf. Paul Wüst.
Anm. d. Bed.: Nachdem sowohl Autor, wie Beferent noch einmal in aus-
lefantester Weise ihre Meinung vertreten haben, schliessen wir die Debatte.
Rezensionen.
James, William. Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannig-
faltigkeit. Materialien und Studien zu einer Psychologie und Pathologie
des religiösen Lebens. Ins Deutsche übertragen von Georg Wobber-
min. Leipzig, Hinrichsche Buchhandlung, 1907. (XVm und 471 S.)
Das vorliej?ende Werk gehört zu den bedeutendsten Werken der
amerikanischen Psychologie und es ist deshalb mit Dank zu begrflssen,
dass es jetzt durch eine sehr gute Übersetzung — sie liest sich »
fi^latt wie das Orignal — allgemein zugänglich geworden ist; denn »
umge es nur enghsch vorçelegen hat, hat es leider in Deutschland nicht
jene Beachtung gefunden, die es, besonders auch durch die Verarbdtiing
eines umfangreichen Materials, verdient. Einer hinreichenden WertschAtEnng
stand ausser der fremden Sprache freilich wohl mit der Umstand in
Wege, dass, soweit in Deutschland psychologisch gearbeitet wird, das
Literesse bei den meisten lange einseitig und eng auf die sogenannte
naturwissenschaftliche Psychologie konzentriert gewesen ist. An dieser
Tatsache haben selbst zwei solche Meister der Psychologie wie W. Dil-
they und Th. Lipps, wenigstens insofern weitere Kreise in Betnebt
konmien, nur ein geringes zu ändern vermocht. Auch Wundt ist mit
seinen weitergehenden Bestrebungen im wesentlichen allein gebUeben.
So gross war aie Missgunst der Zeit. Dem tiefer Sehenden kann es nicht
ent^hen, dass ein Umschwung bevorsteht, der sich unter anderem auch dmch
die einsichtsvolle Einführung der .systematischen Selbstbeobachtung' àxaà
Ach (Die Wülenstätigkeit und T^enken) und die Arbeiten der Wfin-
bnrger Schule Eülpes anbahnt. i kann keine Frage sein: mit dem
Steigen der Bewertung sorgsamer Selbstbeobachtung wird auch die
Sch&tzung der wesenuich deskriptiven Psychologie wieder zunehmen.
Damit m keine Minderschätzung der sogen, naturwissenschaftlichen Vtf'
chologie gegeben. Es ist ledigüch die Gesamtaufgabe der Psychologe
von einem höheren lätandpunkt aus erfasst. Die naturwissenschafthäe
Psychologie ist ein Teil, aber sie ist nicht das Ganze der Ffeychologie.
Wird diese Weitung des Blicks sich erst durchgesetzt haben, so wird dinn
auch die Brücke zu den Geisteswissenschaften geschlagen *and das von
Dilthey schon 1894 1) geforderte Mittelglied zwischen ihnen und der
deskriptiven Psychologie im Anschluss an die grossartigen Leiston^en
von Lipps geschaffen werden. Ein Teil davon wird die Psychologie der
religiösen Enebnistypen sein.
Mit dieser Position befinden wir uns wohl auf dem Standpunkt, den
heute auch Kant einnehmen würde. Er hätte, im Gegensatz zu seinem
bekannten Urteil in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissen-
schaft, die Einführung des Experiments in die ^ychologie geschätzt and
ihr die gebührende Stellung eingeräumt. Er hätte aber andererseits die
deskriptive Psychologie, der er emen so grossen Raum in seinen Vorlesansen
ffh, nicht geopfert. Er hätte vielmenr vor allem gesehen, zu wéâta
Erweiterung und Vertiefung uns jetzt durch die Wendung des fotereeses
^) Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie
(Abh. d, BerL Akad.), S. 140 f.
Rezensionen (James). 47Ô
neunzehnten Jahrhunderts auf | das Historische die Möglichkeit ge-
«en ist. Kant ist oft mit Härte sein ,ungeschichtlicher Sinn' vorge-
rfen worden. Wenn er hier etwas vermissen lässt, so teilt er es mit
1er Zeit. Es kann aber wohl kaum die Frage sein, dass er zu unserer
t auch für das Geschichtliche vollen Sinn gehabt hätte. Sein ganz
versaler, auf volles Bekanntwerden mit der Welt gerichteter Sinn, der
^as vom griechischen Geiste in sich hatte und dem die sich so häufig
lende Diskrepanz zwischen geisteswissenschaftlichem und naturwissen-
^iftlichem Interesse und Verständnis fremd war (was ihn im eminen-
ten Masse zur Philosophie prädisponierte), hätte sich dem Historischen
ht verschlossen.!) Wie allem anderen, hätte er auch ihm seinen Platz
l^ewiesen, freilich auch ein Übermass von Ansprüchen zurückgewiesen.
Und so hätte er auch die Analyse der religiösen Zustände, wie sie
mes vorlefi;t, als für den Philosophen interessant, nicht abgelehnt, wenn
ihnen auch den Namen ,Erfahrunfi;' nicht ohne weiteres zugebilligt,
idem zum mindesten erst eine (auch heute noch dringena nötige)
itik der religiösen Erfahning< gefordert hätte. —
James beginnt seine Untersuchungen mit einer Darlegung der Be-
iinngen, die zwischen Beligiosität und nervöser Veranla^ng oestehen.
se Erörterungen sind überaus einsichtsvoll und es ergiebt sich, dass
9 Beziehungen, sobald es sich um die höheren Grade des religiösen
)ens handelt, sehr enge sind. Wie denn überhaupt eine gewisse psy-
pathische Konstitution infolge ihrer höheren Gefühlserregbarkeit (die,
m sonst die intellektuellen Vorbedinj^unjg;en erfüllt sind, auch für or-
te intellektuelle Leistungen von Wichtigkeit ist) der tieferen Ent-
kelunç seelisch-geistigen Lebens höchst förderlich ist. Speziell in Be-
auf die Beligiosität ist zu sagen : es giebt wohl keinen Bâigionsstifter,
len Mystiker oder Heiligen, bei dem nicht eine psychopathische Prädisposi-
i bestand. Mit dieser hohen Bedeutung des Abnormalen sich abzufinden und
in das Wertbewusstsein der Welt und des Lebens au&unehmen und
in zu verarbeiten, ist eine Aufgabe, die der neuen Philosophie nicht
Murt bleibt. Auch James hat eine klarere Stellung dazu durch
Feststellung anzubahnen gesucht, dass die Herkunft iiffendwelcker
enntnisse ^er Erlebnisse mit ihrer Richtigkeit und uirem Wert
its zu tun hat, denn auch die Erlebnisse und Einsichten des normalen
wehen sind in seiner Konstitution nicht weniger begründet als die
nicht mehr normalen.
Der Gegenstand der Untersucl ngen James* ist die Beligiontät
seelisches Erlebnis; ihre objektiven Erzeum in den äusseren
Stationen, auch die spezielleren D < . werden von der
rachtung ausgeschlossen. Es zei|w- u, ut lülvu Formen der Reli-
ntät der Ernst und die Feierlicl < C i gemeinsam ist.
on hier im Anfang der UntersuchuuK of -'" »uch die gro«en
j^ensätze, wie sie etwa zwischen « trotz äusMr-
«r Gemeinsamkeiten bestehen. Li .< \Lmuuo k $t fühl bei
. HeiHgen — Stoische Fassung am < { «. ua^^s selbst
it mit seinen Sympathien das ganze . u ii< durchaus auf der
te des Christentums: die Stoa ist ihm u m uiiisuu. Dem, der nicht
rohnt ist, dem Ghristentum stets dui di Vorrang zu geben, wird
^) Ganz fremd ist ihm übrigens das Geschichtliche durchaus
kit gewesen. Wenn wir auch Jachmanns Äusserung (5. Brief): „Sr
aas eine umfassende Altertumskunde aller Völker und eine ebenso aus-
breitete Kenntnis der alten, neuen und neuesten Geschichte^ als wohl
ras übertrieben ansehen möchten, so ist doch Borowskis Aus-
e nnerschütterbar, dass Kant ihm selbst erklärt hat, er habe die
Bände der Schröckschen Kirchengeschichte Wort für Wort durchge-
»n. Das setzt auf jeden Fall ein wesentlich grösseres historisches Inter-
s voraus, als man Kant gewöhnlich zuspricht und Jaehmanns Angabe
Igt nicht mehr so fn^pierend wie im ersten Augenblick«
476 Rezensionen (James).
James* Charakteristik der Stoa ebenso ^frostig* erscheinen, wie er selbst
diese Geisteshaltonç findet Für die grossaîtige SeelenTerfassmig der
römischen Stoiker, für das trotz aller Ergebung mannhafte Gegrflnmtsein
dieser Menschen auf sich selbst, hat das Werk doch wohl nicht die rich-
tige Beurteilung gefunden.
Ein eigenes Kapitel ist der „Realität des Unsichtbaren'' sewidmet
Sehr oft ist m den Berichten der homines religiosi von einem aeatlichen
Bewusstsein der Gegenwart Gottes die Rede, ein Vorgang, der natürlich
j -__x. i._i._^__i. j _v j «__^_ philosophische 7*-^
das grOsste psychologische und ebenso das grOsste philosophische InteresM
beansprucht. Indem James nun diese Angaben mit anderen das Bealitäts-
problem betreffenden kombiniert, glaubt er sich zur Annahme eines be-
sonderen spezifischen Realitatssinnes befugt. So sehr die nicht gewöhn-
liche Einsicht in die Bedeutung des Gegenstandes hervorzuheben ist, so
kann ich mich der Lösung des !nroblems durch James nicht anschlieasen.
Die nähere Erörterung werde ich in einer besonderen Abhandlung fiber
das Realitätsbewusstsein entweder selbständig oder im Zusanunenhange einer
grösseren Arbeit geben.
Zu den am besten gelungenen Partien des James'schen Wert»
möchte ich die Herausarbeitung zweier religiöser Typen: des leicht-
mütiffen und des schwermütigen rechnen. Der erste Typus ist von einem
fast krankhaften permanenten Glücksgeffihi und Optimismus erffillt: ihm
ist es geradezu Sünde, sich über irsend einen Gegenstand Sorgen zu machen.
Er ist von einer unbeschreiblich heiter-leichtmütigen Zuversicht zur Gk>tt-
heit. In diesem Zusammenhang erhalten wir wichtige Mitteilungen
über die ^[egenwärtigen mind-cure- und Christian science-Bewegungen in
Nord-Amenka, deren psychischer Einfluss auf den seelischen Gesamtzustand
des Menschen äusserst interessant ist.
Weitere grosse Kapitel behandeln das ,Dqppel-Ich und den Akt der
Einsweidung* sowie das Phänomen der 3^kehning': in beiden Fällen zeigt
das innere Leben einen Bruch. Alle diese Menschen nahen es in sich er&hren,
dass es zwei Arten des Lebens giebt, ein »natfirliches* und ein »geisUiches*,
die im Kampf mit einander liegen und von denen das eine au^pegeben
werden muss, um das andere zu oesitzen. Der erst genannte l^us fühlt
in der Tiefe seiner Brust den Kampf dieser verschieden gmchteten Tendenzen
und erst allmählich gelangt er zu innerer Einheitlichkeit. Auch die eigent-
liche .Bekehrung' ist dem nahe verwandt. Sie wird von James an der
Hand einer grossen Zahl von Dokumenten einer eingehenden Analvse
unterworfen, wobei auch die Bedeutsamkeit dieser Dinge für die psycho-
logische Erforschung der Struktur der Persönlichkeit gestreift wircL Der
Verfasser bekennt sich in diesem Zusammenhange von neuem zu der Lehre
der englisch-französischenPs^chologie von dem dâoublement de personnalité
d. d. oer Annahme, dass es in einzielnen Personen zwei getrennte Bewusst-
seinssphäien giebt, die sich nach aussen als solche kundgeben. James sieht
darin geradezu den „wichtigsten Fortschritt^ der Psychologie seit jener
Zeit, als er sich ihrem Studium zu widmen begann, und zi^t diese
Lehre ietzt auch zur Erklärung einzelner religiöser &lebnisvorgänffe heran,
so auch der Bekehrung. Es ist nicht mö^oh, hier darauf nUier ein-
zugehen. Allgemein ist zu sagen, dass diese Dinee jetrt dringend die
Ni^untersuchunj^ auch seitens aer deutschen Forschung erfordern, zumal
jetzt diese Theorie des subconscious in der Analyse und tieferen Erforschung
des Seelenlebens im Ausland eine ganz ausserordentliche Ansdehnungan-
nimmt. Wir können einer Untersuchung der zu Grunde liegendenPhä-
nomene jetzt nicht länger aus dem Wege gjehen. —
Der Zustand der vollendeten Religiosität gleichsam ist der der
Heiligkeit, von dem jB;leichfalls eine nähere Analyse unternommen wird.
Bei oieser (Gelegenheit ^ht James audi Über das rein Psychologische
hinaus und versucht eine wertphilosophische Stellungnahme zu den
,Heiligen', diesen Menschen, denen das Religiöse zum ausschliesslichen
Zentrum ihres Lebens geworden ist. Das abschliessende Urteil ist das
Rezensionen (James). 477
Bm modernen Wertbewnsstsein allein entsprechende einer individualistischen
oleranz. Die »Heiligen' sind wertvoll in ihrer Existenz, aber es kann
Icht jeder ein solcher sein. Weniger in der Methode, als in der Tendenz
nd diese Betrachtungen sympathisch. Es scheint mir, dass wir hinaus
ifissen über die alten Lebensideale, die selbst im Humanitätsideal noch
uner eine zu starke Tendenz zu einem allgemeingiltigen Typus zeigen,
uf der anderen Seite steht eine Auffassung, die allen Wert auf das
ortschreiten der objektiven Werte legt, eine Ansicht, der Fichte zu-
istrebt^) und die auch Nietzsche nicht fremd blieb. Diesen Extre-
en gegentlber wird das neue Lebensideal die Synthese bedeuten. —
Den Höhepunkt der religiösen Erlebnisse bildet die Ekstase der
iystiker. Diese Partien scheinen mir weniger gelungen. Hier zeigt sich
»onders deutlich, wie nötic eine Kritik der religiösen Er-
ihrnnç ist. Die Versenkung in die Geschichte hat uns s^genüber dem
ationalismus eine ungeheure Vertiefung gebracht, aber das Nachfühlen
emder Seelenzustände darf nicht zu einer Preisgabe der Kritik an den aus
inen hervorgegangenen Behauptungen führen, sonst verlieren wir auf der
nen Seite, was wir auf der anderen gewannen. Es ist freilich so, hinter
ie Evidenz können wir nicht mehr zurück, aber es giebt auch darin
Ttnm, wie wir vom Standpunkt Husserl's aus wenigstens noch immer
lauben. (Freilich liegt hier ein schwerstes Erkenntnisproblem.) Und so
ird die Aufgabe einer Ejritik^der religiösen Erfahrung eben die sein: zu
rmitteln, was wirklich Erfahrung und was Ausdeutung oder noch anderes
L James selbst zeiçt eine zu grosse Neigung, alle Behauptungen der
^jrstiker, auch die über die Erlangung höherer, nicht aussprechbarer
maichten sofort für objektiv richtig zu halten. Auch hier wird wieder das
ibconsdous zur Erklärung herangezogen. In ihm finde, so deutet es
unes an, eine Kommunikation der endlichen Seele mit dem göttlichen
eiste statt, die dann in der Ekstase ins Bewusstsein tritt. Eine Theorie,
cf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen kann.
Die letzten Partien des Werkes handeln vom Verhältnis der religiösen
eflexion zum religiösen Leben, von Opfer, Beichte und Gebet und noch
nmal näher von der Bedeutung des subliminalen Bewusstseins für die
eliffion, und schliesslich erhalten wir eine zusammenfassende Charak-
nmk und Beurteilung des religiösen Lebens überhaunt, Betrachtungen, die
IS dem psychologischen Gebiet in das eigentlich religions*philosophische
)ertreten. Ihre Tendenz ist die sogenannte „pragmatische", die jetzt in
nerika überhaupt zur herrschenden geworden ist.
Das ist in Kurzen Zügen der Gedankengang des Werkes. Es ist ein
«ndardwork der Beligionspsychologie. Dazu macht es besonders
e Durcharbeitung eines umfassenden und weit verstreuten Materials von
dlbstzeugnissen über die religiösen Zustände. Wertvoll ist dann vor allem
6 Herausarbeitung bestimmter Typen im Gebiet des religiösen Lebens.
er Gegensatz, in dem sich James sogar in mehreren grundsätzlichen
ragen der Psychologie zu uns befindet, tritt in diesem Werk nicht hervor.
n wenigsten vermag ich mich mit den mehr zur Philosophie hin ge-
gfenen Erörterungen in Übereinstimmung zu fühlen, wennschon das Werk
ich darin geistreich ist. Hier sieht man am deutlichsten, wie die grossen
Bistanjg;en Xiipps* und Husserls uns vorwärts bringen werden.
Ziu der vortrefflichen Übersetzung ist nur der eine Einwand zu
achen, dass leider kein Bericht über die an einzelnen Stellen vor-
oiommenen Kürzungen und Streichungen des Originals erstattet ist.
Lese Unterlassung erschwert die Benutzung der Übertragung anstelle des
riginals wesentlich. Es wären vielleicht ilberhaupt diese Textänderungen
wer unterblieben, da sowohl Autor wie Publikum einen. .gewissen An-
rmdi auf das unveränderte Original haben. Es blieb dem Übertragenden
1) Diesen Nachweis erbracht zu haben ist das wichtigste Verdienst
n* neuesten Darstellung der Fichteschen Ethik: M. Raich, Fichte, seine
Uiik und seine Stellung zum Problem des Individualismus. Tübingen 1905.
478 Rezensionen (James— ^Schiller).
ja die volle Möglichkeit, in Vorwort oder Anmerkungen seinen
Standpmikt zu wahren.
Endlich habe ich bei dieser Gelegenheit eine allgemeine Klage fiber
die starke Vemachlftssi^ng der religionspsycholosîschen literator durch
unsere grossen Bibliotheken zu erheben. Nicht nur fehlen Haapterzeagni«e
der zeitgenössischen ausländischen religiösen Beweffongen, die gewi«
keinen wissenschaftlichen Selbstwert haben, wohl aber fOr das Stodinm
der Religiosität von Wert sind, sondern selbst wichtige wisaenaehafftliehe
religionspsychologische Werke bleiben unaniteschafit. So sehr fOr
dieses ganze j^osse Gebiet auch eine Vertienmg nnd die Erreichnng
grösserer Präzision der Analyse zu fordern und zu erhoffen ist, so können
och die bisheri^n, meist englisch-amerikanischen Arbeiten nicht un-
berücksichtigt bleiben. Sie haben zum mindesten als Vorarbeiten ihze
Bedeutung. Ich möchte etwa eine Eontrolle anempfehlen^ was tos
den Werken, die von James berücksichtigt sind, fehlt. Eine Anzahl
n&herer Angaben stehen eventuell zu Gebote.
Berlin. Dr. E. Oesterreich.
James, Wüliam. Pragmatism a New Name for Some Old
Ways of Thinking. Popular Lectures on Philosophy. London, Bombay
and Calcutta 1907. (XIV + 309 S.) Gross 8. Dasselbe ins deutsche über-
setzt von Wilhelm Jerusalem. Philosophisch-soziologisehe Bücherei. Bd. I.
Leipzig 1908. (XIV + 194 S.) Gross 8.
Schiller, F. C. S. Studies in Humanism. London 1907. (XVm
+ 492 S.) Gross 8.
James' „Pragmatism" ist in Deutschland wie überall seit langem mit
Spannung erwartet worden. Un nun, da das Buch erschienen ist^ macht
sich aller Orten eine gewisse Enttäuschung breit. Gar zu widersinnig in
der Tat sind die meisten und zumal die grundlegenden Gedanken des
Werkes zugespitzt. Viel zu widersinnig, um einer Irenndlichen Aufnahme
den Weg zu bahnen. So hat es von alten Seiten böee Antworten geregnet,
und die Ablehnung ist fast allgemein. — Missverständnisse! wie uns James
in einer Selbstverteidigung saä;^) aber sicher Missvezständnisse, die durch
die Form des Buches verschuldet sind.
James' „Pragmatism" als Buch bringt nicht eigentlich die Grund-
lagen seiner Lehre: weder die psychologischen, noch die losîschen, noch
die sachlichen, — wenn man unter sachücJi die Geburt des Pragnuûûmns
aus der Untersuchung der vorhandenen Wissenschaften veratehen wilL —
Der Zweck des Werkes ist vielmehr, einem weiteren Leserkreise in vdks-
tümlicher Art klar zu machen, was der Pragmatismus wolle, und wie er
sich gewissen philosophischen Spitzfindigkeiten gejgenüber verhalte. Der
Büsserfolff des Buches schreibt sich nicht zum wenigsten von dieser seiner
Eiffentüimichkeit her. Denn jene weiteren Kreise, an die es sich richtet»
haben nicht verstanden. Die aber verstanden haoen, suchten vergebens
nach der Begründung. Das Letztere war unschwer vorauazusehen. So
hätte uns James durch ein freundlicheres Entgegenkommen gegen die
natürlichen Erwartungen seiner Leser viel langweiligen Zank ersparen
können.
Der eigentliche Zankapfel zwischen den Pragmatisten und den
Pragmatistengegnem ist der Begriff der Wahrheit. Ist die Wahrheit ein
je nach dem Stande der Wissenschaft sich änderndes fiQUfsmittel des
Denkens, oder ist es eine ein für alle Mal gültige Weise der Feststdlnmr?
Besteht das Wahrsein einer Aussage in ihrer Verwendbarkeit, oder bestent
es in ihrer Übereinstimmung mit den behaupteten Tatsachen? Indem die
Praffmatisten das Erstere m schroffem Gragensatz g^gan das Letstere
bejiuien, haben sie den Vertretern der Philosophie als wissensehaft einen
Fehdehandschuh hingeworfen, der von diesen nur allzu ynSdg mdg^
nommen ist.
1) The Phüosophical Review. Bd. XVD S. 1 fL (Janqariieft 19QB.)
jSelbstanzeigen (James— Schiller). 479
üi eenug hat uns der Pragmatismus damit eines jener scholas-
i^^^chte bescheert, durch die die Philosophie sich von Zeit
f den Wissenschaften berüchtij|;t macht. Als ob der Begriff
fc ein künstliches Erzeugnis sei, dessen Feststellung von den
Cfcbhän^e! Der Wahrheitsbegriff ist ein ausschliessliches Eigen-
«iche, in der er die Meinung der Übereinstimmung einer Be-
fc den behaupteten Tatsachen erworben hat. Keine Philosophie
an diese Meinung in die einer Verwendbarkeit umwandeln.
Inders verhält es sich, wenn man den Zank um den Wahrheits-
>lchen beiseite schiebt und sich der Erfahrungswelt zuwendet,
ar Welt gegenüber viele Wahrheiten im eigentlichen von der
«inten Sinne des Wortes, und sind solche Wahrheiten frucht-
in hier die Pragmatisten mit „Nein" antworten, so stehen sie
srem Boden. Fast alle neueren Untersuchungen über das Ver-
eisteswissenschaften einerseits, der Naturwissenschaften andrer-
iins in der Tat gelehrt, dass nur der kleinere Teil unseres
dner wahrheitsgetreuen Abbildung und der bei weitem ^össere
zweckentsprechenden Umbildung des Erfahrungsstoffes besteht.
L dem diese letzteren Umbildungen ihrem Zwecke entsprechen,
das Mass ihres Wissenschaftswertes.
er Anerkennung dieses Sachverhaltes steht man dem Pragma-
telbar zur Seite. Allein, wäre der Pragmatismus nichts anderes,
in Mtlhe haben zu verstehen, inwiefern er oine philosophische
ing sei. Er wäre in der Tat lediglich eine zusammenfassende
[ft der Lehren, die die Einzelwissenschaften gegeben haben. —
oes Pragmatismus liegt denn auch an einer anderen Stelle,
hat geglaubt, die Lehre von der Umbildbarkeit des Erfahrungs-
anfiten eines ihm teuren Gedankenganges ausdeuten zu dürfen.
8t der Zweck der Wissenschaft letzten Endes der Mensch, der
IGttel der Erkenntnis zu einer Befriedigung seiner Lebens-
âiin£;t. Ist also Wissenschaft Umbildung des Erfahrungsstoffes
schaxtswert zweckentsprechende Verwendbarkeit solcher Um-
m ist jener Zweck, dem entsprochen werden muss, der Mensch.
aschen willen ist die Wissenschaft da; nicht der Mensch um
ihaît willen. Daher ist jener Wissenschaftswert, von dem die
àchaften sprachen, durchaus an die Befriedi^ng des Menschen
^wonnenen Ergebnisse geknüpft. Was aem Menschen am
drlich ist: das ist das wissenschaftlich Wertvollste.
nicht wahrscheinlich, dass der Pra^atismus den Geistes- und
«haften selbst seine neue Lehre im Ernste würde anbieten
würde damit auch schwerlich Erfolg haben. Diese Wissen-
g^n ihre Verfahrungsweise nicht von der Philosophie zu borgen.
.<Mophie selbst aber und für die Religion nimmt der Pragma-
nerRennunfi; rein menschlicher Lebensbedürfnisse sdlen Ernstes
Er wira damit im Rechte bleiben. Die Philosophie als
mg und die Religion sind in ganz anderer Weise mit dem
r verkündiger durchfärbt, als jene rein sachlichen Wissen-
t 68 aul ihren Arbeitsstoff, nicht auf den arbeitenden Menschen
auch bei dem Pragmatismus der Philosophie und Religion wird
fnterschiede zu machen haben. Es giebt mehr, und es giebt
j^matistische Philosophien und Religionen. Die Weltanschauung
Herder, Hegel, Spencer, die ihr Gemütaleben den Ergebnissen
itnia anzuschmiegen suchten, war ihrem Wesen nach weniger
dikf als jene anderen Philosophien der Rousseau, Kant, Goeuie,
an der Mensch mehr als die Welt im Mittelpunkte des
nd.
n Fliilosophen dieser letzteren Art gehört James. Der Prag-
der Form, wie ihn sein neues Buch darbietet, ist weniger das
478 Rezensionen (James — Schiller).
ja die volle Möglichkeit, in Vorwort oder Anmerkungen seinen eigenen
Standpunkt zu wahren.
Endlich habe ich bei dieser Gelegenheit eine allgemeine Klage über
die starke Vernachlässigung der religionspsycholoçischen Literatur durch
unsere gössen Bibliotheken zu erheben. Nicht nur fehlen Haupterzeugniase
der zeitgenössischen ausländischen religiösen Bewerbungen, die gewis
keinen wissenschaftlichen Selbstwert haben, wohl aber für das Studium
der Religiosität von Wert sind, sondern selbst wichtige wissenschaftiiche
religionspsychologische Werke bleiben unaniprescham. So sehr für
dieses ganze grosse Gebiet auch eine Vertiefung und die Erreichung
frösserer Präzision der Analyse zu fordern und zu erhoffen ist, so können
och die bisherigen, meist englisch-amerikanischen Arbeiten nicht un-
berücksichtigt bleiben. Sie haben zum mindesten als Vorarbeiten ihre
Bedeutung. Ich möchte etwa eine Kontrolle anempfehlen, was too
den Werken, die von James berücksichtigt sind, fenlt. £me Anzihl
näherer Angaben stehen eventuell zu Gebote.
Berlin. Dr. K. Oesterreich.
James, William. Pragmatism a New Name for Some Old
Ways of Thinking. Popular Lectures on Philosophy. London, Bombay
and Calcutta 1907. (XIV 4- 309 S.) Gross 8. Dassâbe ins deutsche flbe^
setzt von Wilhelm Jerusalem. Phüosophisch-soziologisehe Bücherei. Bd. L
Leipzig 1908. (XIV + 194 S.) Gross 8.
Schiller, F. C. S. Studies in Humanism. London 1907. (XVUI
+ 492 S.) Gross 8.
James' „Pragmatism" ist in Deutschland wie überall seit langem mit
Spannung erwartet worden. Un nun, da das Buch erschienen ist^ macht
sich aller Orten eine gewisse Enttäuschung breit. Gar zu widersinnig in
der Tat sind die meisten und zumal die grundlegenden Gedanken dei
Werkes zugespitzt. Viel zu widersinnig, um einer freundlichen Aufnahme
den Weg zu bahnen. So hat es von allen Seiten böse Antworten geregnet,
und die Ablehnung ist fast allgemein. — Missverständnisse! wieunsJamei
in einer Selbstverteidigung sa^;^) al r sicher Missverständnisse, die duieh
die Form des Buches verschuldet sinu.
James' „Pragmatism^ als Buch bringt nicht eigentlich die Grund-
lagen seiner Lehre: weder die psychologischen, noch die lo^schen, noch
die sachlichen, — wenn man unter sachüch die Geburt des Pragmatismiif
aus der Untersuchung der vorhandenen Wissenschaften verstehen will —
Der Zweck des Werkes ist vielmehr, einem weiteren Leserkreise in volks-
tümlicher Art klar zu machen, was der Pragmatismus wolle, und wie er
sich gewissen philosophischen Spitzfindigkeiten gegenüber verhalte. Der
Misserfolg des Buches schreibt sich nicht zum wenigsten von dieser sâncr
Eisten tümlichkeit her. Denn jene weiteren Kreise, an die es sich richtei,
haben nicht verstanden. Die aber verstanden haben, suchten vergebeoi
nach der Begründung. Das Letztere war unschwer vorauszusehen. So
hätte uns James durch ein freundlicheres Entgegenkommen gegen die
natürlichen Erwartungen seiner Leser viel langweiligen Zank ersparei
können.
Der eigentliche Zankapfel zwischen den Pragmatisten und dea
Pragmatistengegnern ist der Begriff der Wahrheit. Ist die Wahrheit eis
je nach dem Stande der Wissenschaft sich änderndes HttIfsmittel des
Denkens, oder ist es eine ein für alle Mal gültige Weise der Feststelhmi?
Besteht das Wahrsein einer Aussage in ihrer Verwendbarkeit, oder bestât
es in ihrer Übereinstimmung mit den behaupteten Tatsachen? Indem die
Pragmatisten das Erstere m schroffem Gegensatz gegen das Letstere
bejahen, haben sie den Vertretern der Philosophie als Wissensdiaft einen
Fehdehandschuh hingeworfen, der von diesen nur allzu willig ao^
nommen ist.
1) The Phüosophical Review. Bd. XVH S. 1 ff. (Januarheft 1906.)
jSelbstanzeigen (James— Schiller). 479
Deutlich genug hat uns der Pragmatismus damit eines jener scholas-
tischen Wortgerechte bescheert, durch die die Philosophie sich von Zeit
zu Zeit unter den Wissenschaften berüchtigt macht. Als ob der Begriff
der Wahrheit ein künstliches Erzeugnis sei, dessen Feststellung von den
Philosophen abhänge! Der Wahrheitsbegriff ist ein ausschliessliches Eigen-
tum der Sprache, m der er die Meinung der Übereinstimmung einer Be-
hauptung mit den behaupteten Tatsachen erworben hat. Keine Philosophie
der Weß kann diese Meinung in die einer Verwendbarkeit umwandeln.
Ganz anders verhält es sich, wenn man den Zank um den Wahrheits-
bemff als solchen beiseite schiebt und sich der Erfahrungswelt zuwendet.
Gibt es (üeser Welt gegenüber viele Wahrheiten im eigentlichen von der
Sprache gemeinten Sinne des Wortes, und sind solche Wahrheiten frucht-
bar? — Wenn hier die Pragmatisten mit „Nein" antworten, so stehen sie
auf viel festerem Boden, fust alle neueren Untersuchungen über das Ver-
ùdiren der Geisteswissenschaften einerseits, der Naturwissenschaften andrer-
seits haben uns in der Tat gelehrt, dass nur der kleinere Teil unseres
Wissens in einer wahrheitsgetreuen Abbildung und der bei weitem grössere
Teil in einer zweckentsprechenden Umbildung des Erfahrungsstoffes besteht.
Das Biass, in dem diese letzteren Umbildungen ihrem Zwecke entsprechen,
ist zugleich das Mass ihres Wissenschaftswertes.
Mit der Anerkennung dieses Sachverhaltes steht man dem Pragma-
tismus unmittelbar zur Seite. Allein, wäre der Pragmatismus nichts anderes,
80 würde man Mühe haben zu verstehen, inwiefern er eine philosophische
Neuerscheinung sei. Er wäre in der Tat lediglich eine zusammenfassende
Wiederholung der Lehren, die die Einzelwissenschaften gegeben haben. —
Das Wesen des Pragmatismus liegt denn auch an einer anderen Stelle.
James hat geglaubt, die Lehre von der Umbildbarkeit des Erfahrungs-
stoffes zu Gunsten eines ihm teuren Gedankenganges ausdeuten zu dürfen.
Für James ist der Zweck der Wissenschaft leteten Endes der Mensch, der
durch das Mittel der Erkenntnis zu einer Befriedigung seiner Lebens-
bedürfnisse dringt. Ist also Wissenschaft Umbildung des Erfahrungsstoffes
und Wissenschaxtswert zweckentsprechende Verwendbarkeit solcher Um-
bildung: dann ist jener Zweck, dem entsprochen werden muss, der Mensch.
Um des Menschen willen ist die Wissenschaft da; nicht der Mensch um
der Wissenschaft willen. Daher ist jener Wissenschaftswert, von dem die
Einzelwissenschaften sprachen, durchaus an die Befriedigung des Menschen
durch die gewonnenen Ergebnisse geknüpft. Was dem Menschen am
meisten förderlich ist: das ist das wissenschaftlich Wertvollste.
Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Pragmatismus den Geistes- und
Naturwissenschaften selbst seine neue Lehre im Ernste würde anbieten
wollen. Er würde damit auch schwerlich Erfolg haben. Diese Wissen-
schaften pflegen ihre Verfahrungsweise nicht von der Philosophie zu borgen.
Für die Philosophie selbst aber und für die Religion nimmt der Pragma-
tismus die Anerkennung rein menschlicher Lebensbedürfnisse allen Ernstes
in Anspruch. Er wird damit im Rechte bleiben. Die Philosophie als
Weltanschauung und die Religion sind in ganz anderer Weise mit dem
Wesen ihrer verkündiger durchfärbt, als jene rein sachlichen Wissen-
schaften, die es auf ihren Arbeitsstoff, nicht auf den arbeitenden Menschen
absehen.
Aber auch bei dem Pragmatismus der Philosophie und Religion wird
man noch Unterschiede zu machen haben. Es giebt mehr, und es giebt
weniger pragmatistische Philosophien und Religionen. Die Weltanschauung
der Spinoza, Herder, Hegel, Spencer, die ihr Gemütsleben den Ergebnissen
ihrer Erkenntnis anzuschmiegen suchten, war ihrem Wesen nach wenifi^r
mraffmatistisch, als jene anderen Philosophien der Rousseau, Kant, Goeuie,
Fichte, denen der Mensch mehr als die Welt im Mittelpunkte des
Denkens stand.
Zu den Philosophen dieser letzteren Art gehört James. Der Prag-
matismus in der Form, wie ihn sein neues Buch darbietet, ist weniger das
482 Resensionen (Panlfien).
berührt um so sympathischer, als er sich dadurch nicht hat beeintrftchtigen
lassen, dass der Autor neben der Anerkennung der (Bedeutung PiaolBent
auch die Grenzen dieser Bedeutung scharf und klar erkannt hat Er
sieht diese Grenzen sehr richtig in Paulsens Stellung zur kritischen Phi-
losophie Kants, in deren theoretischen Teil, wenigstens in seinen „tieften
Tieten*^ er so wenig „eingedrungen** ist, dass er ,,Ejint durch die Aa^
Schopenhauers" ansieht, und gegen deren praktischen Teil er „mit einer
ganzen Anzahl gftnzlich unhaltbarer Gründe" zu Felde zieht. Für den
Menschen Paulsen legt gerade das aber das glänzendste Zeugnis ab, dasi
man bei der schroffsten sächlichen Differenz sogar in allen Fundamental«
und Prinzipienfragen ihm durch die innigsten Sympathien persönlich yer»
bunden sem konnte. Für die Unterscheidung von Penon and Sache —
das konnte vielleicht gerade der entschiedenste sachlidie G^egner am
ehesten erfahren, sobald er mit Paulsen in persönliche Berflhrunff kam —
bedeutet dieser ein in der Gelehrtenwelt seltenes Vorbild jener Gerechtig-
keit, die des anderen Freiheit achtet, wenn sie ihre eigene IVeiheit wahrt
Das war auch ein Grundzug des Lehrers Paulsens, dem der Autor mit
Recht eine besondere Beachtung schenkt. Dass seine DarsteUung über-
haupt auch dem edlen und lauteren Menschen gilt, das sei besonders an-
erkannt.
Halle a. S. Bruno Bauch.
Paulsen, Johannes. Das Problem der Empfindung. L Die
Empfindung und das Bewusstsein. Philosophische Arbeiten, herausgegeben
von H. Cohen und P. Natorp. I. Bd., 4. Heft. A. Töpehnann, Giessen 1907.
In dieser gründlichen und fi^ediegenen Arbeit hat Paulsen durch eine
eingehende Analyse der Empfinoungder jetzt im Schwünge befindlichen
Psychophysik und Psychologie den We^ vorgezeichnet, auf dem sie ans
ihrer scholastischen Befangenheit in die Bahnen exakter Forschung ge-
langen kann. Ich kann mer nur aus der Fülle des Gebotenen einzeme
Punkte streifen. Jeder, der sich für die Probleme: Leib und Seele,
Materie und Bewusstsein interessiert, muss zum Paulsenschen Buche selbst
greifen.
Die Psychophysik im Sinne Fechners, die den Übergang von Be-
wusstsein in Materie und von Materie in Bewusstsein studieren möchte,
konstruiert auf Grund der dogmatischen Voraussetzung einer inneren und
einer äusseren Wahrnehmung eine doppelte Reihe von Erscheinungen : die
psychischen und die physischen. Obwohl die Annahme der Wesenseinheit
des Physischen und des Psychischen (so dass also das Physische das von
einem Subjekt betrachtete Psychische ist) die Einheitlichkeit jener Reihen
der Erscheinung herstellen könnte, wurd diese Folgerung vereitelt durch
die andere Voraussetzung, dass gewisse psychische Er^einung^ eine
vom Bewusstsein unabhängige physische Realität besitzen. P. zagt, wie
auf diese Art ein System entstâit, das sich jeder Kontrole entzieht. Der
Ausgangspunkt ist verkehrt. Verkehrt ist auch das Verhältnis von Reiz
und Empfindung in der Psychophysik. Die Empfindung soll snim Otjekt
einer sinnlichen Anschauung werden; sie soll in demselTOu Verhältnis zum
Psychischen stehen, in dem der Reiz zum Physischen steht. P. weist
nach, dass die Empfindung die Empfindung des Reizes ist und daher
quantitative Bestimmungen nur vom Reiz und nicht von der Empfindung
gelten können. Die Empfindung an sich ist kein Olgekt; sie wird vi^
mehr im Reize objektiviert, ßaraus folgt, dass die I^chophysik das
Webersche G^esetz falsch interpretiert Das Webersche GoBetc bestammt
die Empfindung als die ebenmerkliche Unterscheidung zweier Reize. Da-
durch, aass die Psychophysik vermittelst der Empfindung nicht den Refi^
sondern wiederum die Empfindung beurteilen will, verwandelt sie die
Unterschiedsempfindung in den Empfindungsunterschied. Empfunden wild
alsdann die Differenz zweier Empfindungen. P. legt im Folgenden dar,
wie die Empfindung der Ausdruck der Subjektivität ist, die» um der ün-
zuverlässigkeit der Individualität entzogen za werden, auf olgektive Be-
Rezensionen (Sternberg). 481
dieses Archiv inacht, werden gerade den Lesern der Kantstadien sehr
willkommen sein (S. 126 f.). Jachmann bekämpft den alten Spruch ^non
scholae sed vitae". — „Der reine Vemunftbegriff einer Schale nmiasst
also eine Veranstaltang durch Menschen, welche die höchsten Zwecke der
Menschheit erkennen und an sich selbst erreicht haben, der Welt die
emporkeimende Generation zu entziehen und sie für diese höchsten
Zwecke der Menschheit auszubilden.^ Die Schule trete also aus dem
Dienste der Welt and sei „eine Bildnerin zur Humanität^. Sie erstrebt
rieichmftssige Ausbildung aller Kräfte und ist ihrem inneren Wesen nach
fflr alle Stände dieselbe.
In den Dienst dieses von Fichte imd vom Neu-Humanismus her be-
stimmten Ideals werden dann Pestalozzis Methoden gestellt.
Goethe antwortete Passow, der ihm seine und Jachmanns Pläne
mitgeteilt hatte, durchaus ablehnend. Ër hält es für ein Unglück, „dass
man die Grundsätze und Maximen, nach welchen man lehrt und handelt,
früher als die Lehre und das Handeln selbst öffentlich werden lässt^, er
spricht von .der babylonischen Verwirrung, welche durch den Pestalozzi-
schen Erziehungsgang Deutschland ergriffen^ (130/131) und glaubt dem
Unternehmen weniç Glück weissagen zu können. — Es scheint mir un-
nötig, hier — wie Muthesius es tut — den Gegensatz Goethescher und
Kantischer Betrachtungsart heranzuziehen. Kant hätte in Jachmanns
I^n sicher nur eine Karikatur seiner Lehren gesehen. Dass auch Pesta-
lozzis eigentliche Meinung durch Jachmann verfehlt wird, betont Muthe-
sius selbst; er meint, Goethe habe an Pestalozzi bes. die gleichartige Er-
ziehang für alle Stände abgelehnt.
1814 war dann Goethe in Frankfurt und Wiesbaden viel mit An-
hängern Pestalozzis zusammen. In Wiesbaden besuchte er de TAspées
Sehale, die ganz nach Pestalozzis Grundsätzen eingerichtet war (168 ff.).
1816 ging er wieder zu de l'Aspée. Boisserée berichtet nun, wie Goethe
von den Rechenkünsten einer Schülerin jener Anstalt abgestossen wurde,
and wie ungünstig sein G^samturteil lautete (171 f.). Er vermisst die
Ehrfurcht in dieser Erziehung. Als Goethe dann die „pädagogische Pro-
vinz** entwarf, suchte er bei Fellenberg (der doch im Grunde nur Schüler
Pestalozzis war) Ersatz für Pestalozzi. Muthesius erklärt dieses Verhalten
wohl ganz richtig (209): „Goethe hat den Pestalozzianismus in seinen
schwächsten Seiten kennen gelernt, und seine starken Seiten sind ihm
verborgen geblieben*^. Die Überschätzung der Methode — und welcher
Methoae! — durch Pestalozzis Anhänger (z. T. auch durch Pestalozzi
selbst) ist in der Tat äusserst abstossend. Dass auch sie Gutes wirkte,
nämlich die Aufmerksamkeit auf die zweckmässigere Gestaltung des An-
fangsunterrichts lenkte, dem Lehrer einen höheren Begriff seiner Arbeit
£b, ist gewiss richtig. Gerade dies aber lag Goethe i^mer. Bei Pesta-
si selât steht die Lebendigkeit des Menschen und die Regelungswut
der Mathode in einem tragischen Gegensatze.
Jeder, der sich für Goethe, jeder, der sich für Geschichte der Pä-
daffo^k interessiert, ist Muthesius für seine sorgfältige und gut geschriebene
Aroeit Dank schuldig.
Freiburg L Br. J. Cohn.
Sternberg, Gurt. Friedrich Paulsen f, Nachruf und kri-
tische Würdigung, Tempelkunstverlag, Berlin- Wilmersdorf 1908.
(16 S.)
Das Schriftchen will lediglich „mit ein Paar Strichen die Rieht«
linien des Paulsenschen Denkens^ vergegenwärtigen. Das ist ihm —
namentlich bei seiner von vornherein beabsichtigten Beschränkung auf
einen Druckbogen — recht gut gelungen. Mit lUcht wird für die Wür-
digung der Verdienste Paubens der Nachdruck der Betonung auf den
Pädagogen und Lehrer gelegt, ohne dass dabei die anderen Richtungen
seiner Wirksamkeit zu kurz kämen. Der persönliche Zug der Verehnuig,
Liebe und Dankbarkeit, der durch das ganze Schriftchen hindurchgeht,
482 Rezensionen (Paulsen).
berührt um so sympathischer, als er sich dadurch nicht hat beeinträchtigen
lassen, dass der Autor neben der Anerkennung der [Bedeutung Paulsens
auch die Grenzen dieser Bedeutung scharf und klar erkannt hat. fö
sieht diese Grenzen sehr richtig in Paulsens Stellung zur kritischen Phi-
losophie Kants, in deren theoretischen Teil, wenigstens in seinen ^tiefiten
Tiefen" er so wenig „eingedrungen" ist, dass er „Kant durch die Augen
Schopenhauers" ansieht, und gegen deren praktischen Teil er „mit einer
ganzen Anzahl gänzlich unhaltbarer Gründe" zu Felde zieht. Für den
Menschen Paulsen legt gerade das aber das glänzendste Zeugnis ab, dass
man bei der schroffsten sachlichen Differenz sogar in allen Fundamental-
und Prinzipienfragen ihm durch die innigsten Sympathien persönlich ver-
bunden sein konnte. Für die Unterscheidung von Person und Sache —
das konnte vielleicht gerade der entschiedenste sachliche Gegner am
ehesten erfaliren, sobald er mit Paulsen in persönliche Berührung kam —
bedeutet dieser ein in der Gelehrtenwelt seltenes Vorbild jener Gerechtig-
keit, die des anderen Freiheit achtet, wenn sie ihre eigene Freiheit wahrt
Das war auch ein Grundzug des Lehrers Paulsens, dem der Autor mit
Recht eine besondere Beachtung schenkt. Dass seine Darstellung über-
haupt auch dem edlen und lauteren Menschen gilt, das sei besonders an-
erkannt.
Halle a. S. Bruno Bauch.
Paulsen, Johannes. Das Problem der Empfindung. 1. Die
Empfindung und das Bewusstsein. Philosophische Arbeiten, herausgegeben
von H. Cohen und P. Natorp. I. Bd., 4. Heft. A. Töpelmann, Giessen 1907.
In dieser gründlichen und gediegenen Arbeit hat Paulsen durch eine
eingehende Analyse der Empfindungder jetzt im Schwünge befindlichen
Psychophysik und Psychologie den Weg vorgezeichnet, auf dem sie ans
ihrer scholastischen Befangenheit in die Bahnen exakter Forschung ge-
langen kann. Ich kann mer nur aus der Fülle des Gebotenen einzelne
Punkte streifen. Jeder, der sich für die Probleme: Leib und Seele,
Materie und Bewusstsein interessiert, muss zum Paulsenschen Buche selbst
greifen.
Die Psychophysik im Sinne Fechners, die den Übergang von Be-
wusstsein in Materie und von Materie in Bewusstsein studieren möchte,
konstruiert auf Grund der dogmatischen Voraussetzung einer inneren und
einer äusseren Wahrnehmung eine doppelte Reihe von Erscheinungen: die
psychischen und die physischen. Obwohl die Annahme der Wesenseinheit
des Physischen und des Psychischen (so dass also das Physische das von
einem Subjekt betrachtete Psychische ist) die Einheitlichkeit jener Reihen
der Erscheinung herstellen könnte, wird diese Folgerung vereitelt durch
die andere Voraussetzung, dass gewisse psychische Erscheinung^en eine
vom Bewusstsein unabhängige physische Realität besitzen. P. zeigt, wie
auf diese Art ein System entsteht, das sich jeder Kontrole entzieht. Der
Ausgangspunkt ist verkehrt. Verkehrt ist auch das Verhältnis von Beiz
und Empfindung in der Psychophysik. Die Empfindung soll zum Objekt
einer sinnlichen Anschauung werden ; sie soll in demselben Verhältnis tm
Psychischen stehen, in dem der Reiz zum Physischen steht. P. weist
nach, dass die Empfindung die Empfindung des Reizes ist und daher
quantitative Bestimmungen nur vom Reiz und nicht von der Empfmdimg
gelten können. Die Empfindung an sich ist kein Objekt; sie irad viel-
mehr im Reize objektiviert. Daraus folgt, dass die Psychophysik daa
Webersche Gesetz falsch interpretiert. Das Webersche Gesetz bestimmt
die Empfindung als die ebenmerkliche Unterscheidung zweier Reize. Da-
durch, dass die Psychophysik vermittelst der Empfindung nicht den Bei£,
sondern wiederum die Empfindung beurteilen will, verwandelt sie die
Unterschiedsempfindung in den Empfindungsunterschied. Empfunden wird
alsdann die Differenz zweier Empfindungen. P. le^ im Folgenden dar,
wie die Empfindung der Ausdruck der Subjektivität ist, die, um der ün-
zuverlässigkeit der Individualität entzogen za werden, auf objektive Be-
Rezensionen (Lang). 483
stimmiuigen ^bracht werden muss. Darin besteht die Aufgabe der Psy-
chologe. „Diese (obj. Bestimmungen) betreffen alsdann den äusseren und
materiellen Vorgang, welcher in der Physiologie für das Bewusstsein an-
genommen und gesucht wird^' (S. 27). Die neuere Psychophysik fLipps)
will die Annahme von der Gegebenheit der Empfindung dadurcn ver-
bessern, dass sie nach einer Reihenfolge und Ordnung der Empfindung
sucht. Aber auch hier bleibt die Empfindung als Grösse erhalten. P.
fahrt den Beweis : „Gleichheit und Mass wie Stetigkeit sind Bestimmungen
des Denkens und nicht der Empfindung" (S. 52).
Bei Wundt ist die Empfinaung nicht mehr etwas ursprünglich Ge-
g^ebenes, sondern das Ergebnis einer Analyse. Trotzdem krankt die phy-
siologische Psychologie an einem inneren Widerspruch: Es wird zwar die
Selbständigkeit der doppelten Erscheinun^reihe verworfen, aber durch
den Begrin der inneren Wahrnehmung wird das psychische Geschehen
als konkret wirkliches wieder lebendig. Die Empfinaung wird unmittel-
barer Inhalt der Erfahrung. Während bei Wundt nicht mehr wie bei
Fechner nach einer Ableitung des Psychischen aus dem Physischen ge-
fragt wird, sondern die Materie als ein Erzeugnis des Bewusstseins gilt,
stimmen beide doch darin überein, die Tatsächlichkeit der Empfindung
in der inneren Wahrnehmung zu behaupten. Die Psychologie begeht
dabei den Fehler, die Empfindung als vom Reize verursacht zu denken,
wobei das im Anfang von Wundt abgelehnte Problem der Bewusstheit
sich wieder erhebt.
In der Sinnesphysiologie wird der Begriff der Empfindung wissen-
aehaftlich behandelt. Johannes Müller hat bereits die Problematik des
Begriffes der Empfindung dargetan. Seinem wissenschaftlichen Tiefblick
ist es auch zu veraanken, dass die Korrelation von Reiz und Empfindung
und damit der G^anke der Reihe der physischen und psychischen Er-
seheinuiiffnn aufgegeben wurde. In der Physiologie bedeutet der Reiz
die Objeltivität einer physikalischen Bestimmung. Er ist als ein Erzeug-
nis des Bewusstseins vorausgesetzt. Der Reiz ist die äussere Anlass-Be-
dingon^ zur Änderung des Nervenzustandes. Dieser Änderung korrespon-
diert die Empfindung. Der materielle Vorgang der Nervenbeweg^ung darf
natOrlich nicht in Gegensatz treten zum Bewusstsein. Der logische Be-
griff der Empfindung wird für die Physiologie vorausgesetzt. Die Em-
{ifindimg bedeutet für die Physiologie das Problem der biologischen Ver-
riehtang der Sinnesorgane. Chemie und Phvsik treten in den Dienst der
Physiologie; und die Empfindung wird dadurch selbst ein Element des
reinen Mwusstseins.
Michelstedt (Hessen). Dr. G. Falter.
ig, A., Dr. Das Kausalproblem. Erster Teil: Geschichte des
KanaalDroblems. Bachem, Köln 1904. (V und 618 S.)
Die philosophische Literatur wies bisher zwei grössere Monographien
sur G^erohichte aes Kausalproblems auf, nämlich Goering, Über den
Begriff der Ursache in der griechischen Philosophie (Leipzig 1874) und
KOniç, Die Entwickelung des Kausalproblems in der neueren Philosophie
(fjcipEig 1889 — 90). Bei idler Anerkennung des wissenschaftlichen Wertes
dieaer Vorarbeiten findet L. doch eine ^ubearbeitung desselben Stoffes
angeseigt, weil keiner der genannten Historiker die ganze Entwickelungs-
geschichte des Kausalproblems behandelt, und keiner dabei den Standpunkt
der »intellektualistischen Philosophie"" vertreten habe. Der vorliegende
erte Band des Werkes giebt nach einer längeren Einleitung die Geschichte
dM Kansalbegriffes von den ältesten griechischen Naturphuosonhen bis auf
Kant, Schopenhauer und Maine de Biran; ein zweiter, der bisher nicht
erachienen ist, soll die geschichtliche Entwickelung bis zur Gegenwart
wetter verfolgen und eine „Theorie der Kausalität auf geschichtlicher
Qrnndlage*' bwten.
In der Einleitung werden die im Kausalproblem zusammengefassten
Fragen vorl&afig formuliert, die verschiedenen möglichen Arten mrer Be-
484 ßezensionen (Laûg)^
antwortung dargelegt und nach ihrer Bedeutung für die philosophische
Weltanschauung im allgemeinen gewürdigt. Der Verfasser bedient sich
dabei der schon vom Ref. in seinem oben genannten Buche zur Charak-
teristik der verschiedenen Theorien benutzten Begriffsge^nsfttze des
Positivismus und Rationalismus, Phänomenalismus und Realismus, Empi-
rismus und Apriorismus, denen er noch diejenigen des Nominalismus and
Piatonismus, des Piatonismus und Aristotelismus, des Theismus und des
Atheismus hinzufügt. Ebenso ist die Reihenfolge der im historischen
Hauptteile behandelten Denker, wenn wir von der antiken und mittel-
alterlichen Philosophie absehen, naturgemäss in beiden Arbeiten dieselbe,
die kritische Beurteilung der Theorien führt dagegen zu ganz anderen
Ergebnissen. Sehr bezeichnend unterscheidet L. von vornherein fünf
Perioden in der Geschichte des Kausalbegriffes, die Periode der Vor-
bereitung (vorsokratische Philosophie), die des Aufbaues (Plato, Aris-
toteles), die der Auflösung (Rationalismus und Empirismus der Neuzeit
bis Kant), die kritische Periode (Kant, Schopenhauer, Maine de Biran)
und die Periode der Reproduktionen im 19. Jahrhundert. Man konnte
dieser Einteilung zustimmen, sofern unter „Aufbau" nur die Herausarbeitong
und Festlegung gewisser Allgemeinbegriffe, unter »Auflösung" die logische
Kritik derselben verstanden würde; aber nach L. hat man dabei an die
Schaffung und Vernichtung von Erkenntniswerten zu denken: die ganze
Bewegung des Denkens von Descartes bis Hume wird m. a. W. als eine
rückläufige auffi^efasst, die im absoluten Skeptizismus endet, und auch den
„kritischen^ Phüosophen soll es nicht gelungen sein, dasjenige wieder aof-
zubauen, was der Rationalismus und der Sensualismus zerstört hatten, „weil
ihre Opposition gegen die Lehrsätze der Hume'schen Kausalitfttstheorie
nicht gegen das G-anze, sondern bloss gegen einzelne Teile derselben
gerichtet war". (S. 411.) Auch die neueste Philosophie hat, wie die Be-
zeichnung der fünften Periode erkennen lässt, keinen Fortschritt gebracht,
und so sieht man voraus, dass der etwaige 2. Band des Werkes als der
Weisheit letzten Schluss die Rückkehr zur platonisch-aristotelischen Lehre
empfehlen wird. Wir betrachten gerade umgekehrt die Entdeckung der
im Kausalbegriff liegenden Schwierigkeiten und Probleme als eine hervor-
ragende Leistung der Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts, die danût
den Grund gele^ haben für alle weiteren Forschungen auf diesem Gebiete;
aber es würde vergeblich sein, gegen eine Geschichtsauffassung zu streiten,
der die rücksicht^ose Kritik der Voraussetzungen unseres Denkens, die
folgerichtige Durchbildung eines Standpunktes deswegen als eine „Ve^
irrung" des Erkenntnistriebes erscheint, weil sie uns manche gewöhnte
Vorstellungsweisen zweifelhaft macht, und so beschränken wir uns auf
einige Bemerkungen über die Einzelheiten der Lang'schen Darstellung.
Die Wiedergabe der in Betracht kommenden Lehren ist sorgttltig
und eingehend und zeufft von gründlichem Quellenstudium; dass dal^i die
Beziehungen des Kausalbegriffes zu den Fragen der spekulativen Theologie
und Psychologie besonders hervorgehoben werden, entspricht dem Inte^
essenkreise des Verfassers und der ursprünglichen Bestimmung seines
Buches. Umso mehr fällt es auf, dass er das System des G^ulincx, denen
früher sehr seltenen Schriften durch die Ausgabe von Land (1893) allgemein
zugänglich geworden sind, nicht eingehender berücksichtig hat. Infolge-
dessen tritt auch der Einfluss, den die Beschäftigung mit dem psycho-
physischen Problem auf die Gestaltung der Anschauungen über das Wesen
des Kausalnexus geübt hat, nicht genügend hervor. Insbesondere gewinnt
man kein klares Bild von den treibenden Motiven der Leibniz^schen Meta-
physik, zumal dabei die Einwirkung des naturwissenschaftlichen Kraft-
begriffes ganz übersehen wird. Ebenfalls muss gerügt werden, dass der
Verfasser oei der Erörterung des Prinzips vom zureichenden Grunde die
wichtige Unterscheidung von Vemunftwahrheiten und Tatsachen kaum
erwähnt, ohne die das Prinzip im Sinne von Leibniz kaum zu vei>
stehen ist.
Rezensionen (Lang — deSopper). 485
Bei Kant giebt der Verf. zunächst eine ausführliche Darstellung
des ganzen erkenntnistheoretischen Systems, das er auf drei „Grund-
gedanken'' zurückführt: „1. Die Denknotwendigkeit ist keine Seinsnot-
wendigkeit; vom Denken darf man niemals auf ein jenseits des Bewusst-
seins gelegenes Sein schliessen. 2. Die Begriffe und die Verstandesgesetze
haben einen objektiven Wert, insofern sie Bedin^ng der Möglichkeit der
Mathematik und der Erfahrungswissenschaften sind. 3. Das Ding an sich
ist unerkennbar''. Ob die Unterscheidung synthetischer und anSytischer
Urteile, die Konstatierung des A priori in Mathematik und Naturwissen-
schaften, die idealistische Theorie des Raumes und der Zeit nicht Grund-
gedanken von mindestens gleichem Gewicht sind, ist vielleicht Ansichts-
sache; wenn aber die Ablehnung des ontologischen Beweises, die Hervor-
hebung des Unterschiedes zwischen Folge und Wirkung, der Zweifel an
der transscen deuten Giltigkeit der reinen Begriffe unter dem Schlagworte
der Abkehr vom dogmatischen Rationalismus in einen (den ersten) Grand-
gedanken zusammengezogen werden, so liegt hier eine heillose Verwirrung
vor, die weiterhin wenig Gutes erwarten lässt. Die Folgen treten dann
auch bald zu Tage. So wird (S. 427) behauptet, dass auch der Satz des
Widerspruches im Sinne Kants ein synthetiscner genannt werden mttsste,
..weil die kritische Philosophie jedes Denkgesetz, wofern dasselbe Seins-
gültigkeit beansprucht, ein synthetisches Gesetz nennt.'' Die Lehre von
der Idealität des Raumes soll sich bei Kant in Wahrheit auf folgende
Schlussfolgerung aufbauen: ,,Die mathematische Denknotwendigkeit ist
keine Seinsnotwendigkeit — nun aber beruht die erstere auf den An-
schauungen von Raum und Zeit — also sind Raum und Zeit keine Sinnes-
formen, sondern Bewusstseinsformen^ (S. 436). Hinsichtlich des Kausal-
ßroblems selbst giebt L. zu, dass die Kantische Lösung die einzig mö^
che sei, wenn man die Voraussetzungen der phänomenalistischen Philosophie
als richtig anerkenne (S. 490); der Phänomenalismus stelle aber ein Vor-
urteil dar, mit dem Kant von vornherein an das Kausalproblem heran-
fstreten sei. Denn nur bei der Annahme, dass Ursache und Wirkung, als
rscheinungen im Räume, lediglich durch Beziehungen des Neben- und
Nacheinander verbunden seien, habe die Lehre von dem „alogischen Cha-
rakter der Kausalität^ einen Sinn; „verstehe ich aber unter Ursache einen
Körper, der auf einen anderen einwirkt, so wäre es gewiss ein logischer
Wiaerspruch, wenn nicht auf die Bewegung von A die Bewegung von B
folgen würde" fS. 418). Zur Bestätigung dieser Ansicht, welche verkennt,
dass der Begrifi des Wirkens gerade das Problematische Element in dem
Kausalitätsgedanken bezeichnet, wird seltsamerweise die bekannte Stelle
aus dem Versuch über die negativen Grössen angeführt, wo Kant erklärt,
dass er sich durch die Wörter Ursache und Kran ,,nicht abspeisen'' lasse.
Nach alledem wird man sich nicht wundem, wenn L. zu aem Ergebnis
kommt, dass Kant sich um die Lösung des Kausalproblems nicht hätte zu
bemühen brauchen, wenn er Aristoteles und die Scholastiker besser ge-
kannt hätte, denn von diesen sei die von ihm gesuchte Synthese des Em-
pirismus und Rationalismus bereits geleistet worden.
Sondershausen. Dr. Edm. König.
de Sopper, A. J. David Humes Kenleer en Ethick. L
Leiden, A. W. Sythoff, 1908. (XII und 200 Paç.)
Herr A. J. de Sopper hat den ersten Teil einer der Humeschen Er-
kenntnistheorie und Ethik gewidmeten Schrift als Dissertation zur
fSrlangung der Doktorwürde in der theologischen Fakultät herausgegeben.
Dass ein Theologe sich mit einem skeptischen Standpunkt gründUuch ver-
traut zu machen sucht, ist schon eine erfreuliche Erscheinung: doppelt
erfreulich ist es. wenn das Resultat dieser Beschäftigung durch die licht-
volle Übersichtlichkeit der Entwickelun^, die Klarheit in der feinsinnig
reproduzierten Problemstellung, die kritische Schärfe der Untersuchung
und die bei einem Theologen erst recht zu schätzende, einfache imd natür-
liche Grazie der Darstellung einen vollgültigen Beweis liefert, dass dieser
KaotttiidUn TUt. 32
406 Rezensionen (de Sopper).
Theologe eine nicht fi;ewöhnliche philosophische und schriftstellerische Be-
gabung mitgebracht hat.
Dieser erste Teil fän^t mit einer Einleitung an, in welcher der
Verfasser aus der gegenseitigen Abhängigkeit von Erkenntnistheorie und
Ethik und Humes Anerkennung dieses Verbandes (mit ausdrfickUcber
Bevorzugung der Ethik als des ihn am meisten interessierenden Objektes)
den zu venolgenden Qans der Untersuchung in diesem Sinne ableitet,
dass erst der Standpunkt der Erkenntnistheorie, den Hume vorfand, durch
eine genaue Darstellung der Leistungen seiner Vorgänger klargestellt
werden soll. Hier kann ich die Bemerkung nicht zurückhalten, dîass der
Verfasser nach meiner Meinung gut getan hätte, in einer Vornntersncbung
zu zeigen, dass man wirklich berechtigt ist, im All^meinen einen
nennenswerten Einfluss der Erkenntnistheorie auf die Ethik anzunehmen,
voraus^setzt, dass man unter Ethik nicht nur eine mehr oder wenirar
analytische Beschreibung, sondern auch eine Erklärung des ethischen Tat-
bestandes, wohl gar eine normierende und gesetzgebende Wissenschaft
versteht — wenn solche überhaupt möglich ist. Es liegt ja der starke
Verdacht vor, dass dasjenige, was Einfluss der Erkenntnistheorie auf die
Ethik zu sein scheint, entweder auf einer halb- (resp. un-) bewussten Be-
einflussung der erkenntnistheoretischen Gedanken von Seiten einer be-
stimmten ethischen Grundansicht oder auf einer parallelen gemeinschaft-
lichen Abhängigkeit von Seiten des Characters bîeruht, was oft auf das-
selbe hinausläuft, weil die ethische Grundansicht in den allermeisten
Fällen eine Funktion der charakterologischen Bestimmtheit der Persön-
lichkeit ist. In diesem Falle würde, wenn Schopenhauer auch nur zun
Teile Recht hätte mit seiner Behauj^tung, dass der Intellekt der gehorsame
Diener des Willens ist, Hume in einer Selbsttäuschung befangen gewesen
sein, als ihm ein Enquiry concerning human Understanding zur Fest-
stellung dieser ethischen Vorschriften („The end of all moral spéculations
is to teach us our duty") notwendig erschien. Vielleicht dünkt den Ver-
fasser der Einfluss der Erkenntnistheorie auf die Ethik so zweifellos f^t-
wiss, dass er einen Beweis überflüssig findet; vielleicht aber beabsichtigt
er nachher, bei der Darstellung und aer Kritik der Humeschen Ansichten,
diese Frage zu behandeln.
Nach Bacon, Hobbes und Locke kommt Berkeley an die Reihe.
Die Darstellung und Kritik Berkeleys ist der Glanzpunkt des Buches.
Die Gedanken dieses grossen Geistes werden wie ein zartes Gewebe mit
verständnisvoller Sorgfalt, so dass kein Faden abreisst, analysiert und be-
leuchtet, und die iiitellektuelle Freude, mit welcher der Verfasser die
feinen Gedanken dieses Kant an Konsequenz überragenden Idealisten ver-
folgt, zusammen mit dem Scharfsinn seiner Kritik, macht den Abschnitt
über Berkeley zu einer ebenso genussreichen wie belehrenden Lektfire.
Ich behaupte: Kant an Konsequenz überragenden. Denn wenn Hen
de Sopper (S. 136, Fussnote) sagt, Kant habe Recht, wenn er auf den ein-
schneidenden Unterschied zwischen seinem und dem Berkeleyschen Idea-
lismus hinweist, und was Spicker gegen Kant anführt, beruhe nach seinem
Dafürhalten auf Missverständnis und Voreingenommenheit, so scheint mir
im Gegenteil Spickers Urteil nur darum nient gerecht, weil er die Supe-
riorität Berkeleys, was die idealistische Konsequenz anbelangt, kaum ge-
nug accentuiert. Wenn er Kants Vorwurf, „die Erfahrung bei Berkeley
könne kein Kriterium der Walirheit haben, weil er den Erscheinungen
nichts a priori zu Grunde gelegt habe,*' mit der Bemerkung abwast,
Berkeleys Philosophie selbst könne als eine ^bsolute Aprioritätslehre*
bezeichnet werden, und wenn er weiter von Kant sagt; „Mit all seiner
Apriorität ist es ihm nicht gelungen, das Ding an sich, d. h. eine in
Wahrheit objektive und reale Welt ausser uns zu erreichen ; folglich steht
er auf einem Boden mit Berkeley" (S. 103), so scheint mir Spicker, von
seiner nicht vollkommen genauen Terminologie abgesehen, eine evidente
Wahrheit auszusprechen. Denn Kant sagt zwar, firoleg. § 13, Anm. Ulf
Rezensionen (Lasson). 487
die Existenz der Sachen zu bezweifeln, (,,die Bezweifelung derselben aber
macht eigentlich den Idealismus in rezipierter Bedeutung aus"), sei ihm
^niemals in den Sinn gekommen'^; die Frage ist aber, mit welchem
Hechte nicht der Mensch, sondern der PhUosoph Kant nicht gezweifelt
hat, und dieses Recht steht und fällt mit dem Recht, Termini wie Vor-
stellung, Erscheinung, Gegenstand, Objekt, Ding, innerhalb der Grenzen
derselben Argumentation in verichiedenen Bedeutungen zu gebrauchen.
Aber vieUeicht ist, hinsichtlich der terminologischen Konsequenz Kants
in dieser Sache, Dr. de Sopper anderer Meinung und es wäre wohl eine
längere Auseinandersetzung erforderlich, uns darüber zu verständigen.
Der jetzt vorliegende Teü schliesst mit der Perspektive, dass Hume,
der hoffnungsvoll an seine {philosophische Aufgabe herantrat, in seiner
allmählichen Enttäuschung ,,eine ontogenetische Rekapitulation und Ver-
vollRtändi^rung^ deq'enigen phylogenetischen Prozesses zeigen wird,
welchen der englische Empirismus von Bacon bis Hume durchhef. Wenn
der in dieser Weise angekündigte zweite Teil dem ersten in Klarheit der
DarsteUung, in kritischer Schärfe und schriftstellerischer Grazie gleicht,
so wird <ue holländische Litteratur mit einem tüchtigen Werk über die
englische Philosophie bereichert sein.
Den Haag. Dr. J. A. der Mouw.
Lasson, G. J. G. Fichte und seine Schrift über die Be-
stimmung des Menschen. Eine Betrachtung des We^es zur geistigen
Freiheit. Berlin, Trowitzsch & Sohn, 1908. (45 S.)
Die kleine, klar geschriebene Broschüre unternimmt es an der Hand
von Fichtes „Bestimmung des Menschen" den Weg aufzuweisen, den der
nach Freiheit ringende Menschengeist notwendig nimmt. Fichte ist in
seiner eigenen Entwickelung diesen Weg gegangen und hat ihn in der
genannten Schrift gezeichnet. Zweifel, Wissen und Glauben nennen sich
aie drei Bücher derselben, und Fichte bestimmt damit die 3 Hauptstationen
des Weges zur geistigen Freiheit. Mit dem methodischen Zweifel beginnt
er, vor allem mit der Frage: Was bin ich selbst? Da erkennt denn der
Mensch, dass er zunächst ein Glied der Natur ist. Ich finde aber eine
Freiheit in mir: wie lässt sich das mit dem System der Natur, das mich
umfangen hält, vereinen? Um das zu begreifen, inuss der Mensch sich
von sich selbst entfremden und sich sein eigentliches Wesen, die Vernunft,
gegenüberstellen. Es ist der Standpunkt des subjektiven Idealismus. Das
denken besinnt sich auf sich selbst, um von sich zu wissen. Damit wird
der Mensch von dem Irrtum befreit, in der Natur die wahre Wirklichkeit
zu finden, und wird nach der Entfremdung auf sich selbst zurückgewiesen ;
80 kommt er zum „Glauben", d. h. zu innerer Überzeugung des Geistes
von seiner Freiheit. Hier liegt der ungeheuere Fortschritt, den Fichte in
der Philosophie gebracht hat; er setzt« neben den Satz „das Ich produ-
ziert seine Welt^, den zweiten „das Ich produziert sicli selbst''. Damit
gewann er den Begriff des Geistes als der schöpferischen Tätigkeit, in
er Handeln und Denken eins ist. Von der Tathandlung des Ich aus
erhält die Wirklichkeit ihren Sinn. Durch mein Handeln wim eine bessere
Welt herangeführt, indem wir auch, wie Faust, neues Land den Menschen
gewinnen. Vor allem aber gehört der Mensch einer ewigen, unsichtbaren
Welt an, und das am meisten, wenn er sich von der Sinnenwelt losreisst.
Gott ist das Gesetz dieser übersinnlichen Welt, er ist das geistige Band
der Vemunftwelt. So ist Fichte zum absoluten Idealismus vorgedrungen.
Lasson ist es gut gelungen, den Hauptgedanken Fichtes wiederzugeben,
vielleicht hätte sich dieser Gedanke noch klarer aus Fichtes eigenem
Wesen be^eifUch machen lassen. Jedenfalls hat Lasson des Denkers Be-
deutung richtig erkannt, wenn er sagt, es sei das Wichtijjste an Ficht«,
dass er sich vor allem um die geistige Befreiung seiner Zeit bemühte.
Hamburg. Dr. 0. Braun.
82*
488 Rezensionen (Nestle — Horneffer).
Nestle, Wilhelm. Die Vorsokratiker. In Auswahl überaetit
und herausgegeben. Diederichs. Jena 1908.
Immer wieder zieht es den Menschengeist zu den dunklen Regionen
seiner Geschichte, immer wieder glaubt er aus dem geheimnisvollen Dunkel
Lichter aufblitzen zu sehen, die ihm tiefe, alte Wahrheiten aufleuchten
lassen. Das alte Wahre, fass es an ! mahnt uns Goethe und spottet über
die Verächter der längst gefundenen Wahrheit: „Wer kann was Dummes,
wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht?" Grosse
Gedanken ruhen in den Fragmenten der alten griechischen Kultur. Ein
Trümmerfeld betreten wir da, und doch glauben wir Wege zu finden,
Zusammenhänge zu entdecken, die uns zu den höchsten Kulturhöhen
führen. Charakteristische Gestalten treten uns da entgegen, scharf um-
rissene Persönlichkeiten, die wir klar erkennen können ; wenn wir auch
nur wenige Äusserungen von ihnen haben, so etwa vonHeraklit. DeuÜidi
sehen wir in ihm den Aristokraten von starkem Geiste, der in sich die
schaffende Macht des Genies fühlte, der in tiefen Intuitionen das Wesen
der Welt erfasste und hinter dem Schein das Sein im Werden sah. Mit
Verachtung blickte er auf die gemeine Menge, nur das Geistice war ihm
heilig, ihm strebte er nach. Auch die ganze äussere Welt hielt er fflr
einen Kehrichthaufen. Nur an das Werden der Vernunft glaubte er, das
war auch der Inhalt seiner Religion, während er den äusseren Kultoi
scharf ablehnte.
Diese Gestalten leben in dem Bande Vorsokratiker neu auf, den
Diederichs letzt herausgebracht hat. Die Fragmente von 27 Denkern sind
in Auswahl wiedergegeben und Prof. Nestle hat eine 100 Seiten lange
Einleitung geschrieben, die dem Laien das Verständnis des Zusammen-
hanges üoermittelt. An den Laien wenden sich ja diese Ausgaben und
tun recht damit; denn das Unglück unseres modernen Lebens ist, da»
den „Gebildeten die wahre Bildung verloren gegangen ist, dass sie ratlos
den Aufgaben der Geisteskultur gegenüberstehen^. Auf diesen Grundfehler
hat ja die bewege Versammlung des Goethe-Bundes in Berlin hin^
wiesen. Nun, geistige Kultur enthalten die Schriften der Vergangenheit,
neben den der deutechen stehen in erster Reihe die der griediischen
Kulturwelt. Möge auch dieser Band die Geistesbildung fördern.
Hamburg. Dr. O. Braun.
Horneffer, A. Piaton: Der Staat. (Antike Kultur, Band 1.)
Übersetzt von A. Horneffer. Leipzig, Klinkhardt, 1908.
Immer neue Übertragungen der tiefsten Werke griechischen Denkens
treten auf; und wir können uns freuen, dass es so ist. Denn jede nenc
Sammlung findet wenigstens einige neue Leser, und so werden immer
mehr Menschen durch die lebenspendenden, ewig jungen Denkmäler der
Geisteskultur zur Vertiefung ihres Wesens geführt. Diederichs Verlag
hat schon eine stattliche Anzahl auch von Platon-Übersetzungen gebracht,
die im Allgemeinen sehr gelungen sind. Aber „Der Staat" fehlt noch,
und so ist es besonders glücklich, dass das neue Unternehmen mit diesem
Hauptwerk beginnt. Die Herausgeber der „Antiken Kultur", Gebrüder
Horneffer, haben sich durch ihr Buch „Das klassische Ideal" bereits einen
Namen gemacht und kommen jetzt dem Wunsche nach, die von ihnen als
so wertvoll hingestellte griechische Kultur auch lebendig zu machen. Bei
der Übersetzung haben sie es sich zur Richtschnur gewählt, den Text
möglichst aus dem Geiste der deutschen Sprache wieder entstehen £n
lassen, ohne doch das Original etwa umzuarbeiten. Das ist ja das Ideal
jeder guten Übersetzung, es kommt mm auf die persönliche Kunst an, es
zu erfüllen. Horneffer ist das in hohem Grade gelungen, die Übersetzimg
hat einen guten, reinen Stil, man merkt seitemang nicht, dass es eine
Übersetzung ist — das ist wohl das höchste Lob. Die echtgriechischen
Redewendungen echt deutsch wiederzugeben, ist eine unlösbare Schwierig-
keit, es wäre vielleicht am besten, sie ganz an manchen Stellen, nament-
lich bei kurzen Antworten, fortzulassen.
Rezensionen (Leser— GTomperz). 489
Apologie, Phädon und Kriton sollen folgen, übersetzt von E. Hör-
neffer. Ein Vergleich mit Kiefers Übertragungen wird da am Platze
sein. Jetzt können wir nur den Herausgebern „Glück auf" zurufen, denn
die Lösung der grossen Aufgabe scheint uns würdig begonnen. Auch
äuBserlich ist der erste Band besonders glücklich gestaltet.
Hamburg. Dr. 0. Braun.
Leser,H.,Dr. J.G.Fichte: Reden an die deutsche Nation.
In ursprünglicher Gestalt neu herausgegeben. Deutsche Taschenbibliothek,
Einhorn-Verlag München 1908. (71 u. 3ß5 S.)
Im Jubi&umsiahre der Reden ist eine würdige Neuausgabe derselben
erschienen. Dass Fichte in höchstem Grade geeignet ist, Erzieher unserer
heutigen Nation zu sein, wird immer mehr eingesehen. Den Materialismus
sind wir glücklich los, nun bedroht uns der Epikureismus einer nur ästhe-
tischen Kultur oder wieder eine Verflüchtigung in das Reich abstrakter
Ideen nnd logischer Begriffsentwickelungen, wie E. v. Hartmann es aller-
dings in genialer Weise errichtet hat. Fichte aber zeist uns, was einzig
Not tut: die Umsetzung der Idee in geistige Tat. Das ist das
Anaseichnende des deutschen Wesens, dass bei ihm nie Leben und Lehre
auseinander fallen dürfen. Das Wesen der Welt ist schaffende Tat, und
unsere Au^be ist es, mit eigenem Schaffen an grossen Zielen daran teil-
zonehmen! Weil der Kern des Lebens in der schaffenden Tat bei
dem Deutschen ruht, deswegen ist es so schwer, das, was echt deutsch
ist, in Begriffen dem klar zu machen, der es nicht weiss!
Lesers Ausgabe ist mit grosser Freude zu begrüssen. Der Text hält
sich genau anöden ersten der Reden vom Jahre 1808, Erläuterungen er-
klären einige Äusserungen des Textes und behandeln das Eingreifen der
Zensur. Wertvoll aber ist vor Allem die Einleitung, die Fichtes Wesen
und seine Lehre tief fasst nnd sehr richtig charakterisiert. .In Fichte
haben wir den grossen Philosophen der Tat, den Philosophen des Herois-
mus vor uns, der das ganze erstarrte Sein unseres Lebens in seine schaf-
fenden Gründe zurückschlingt, um es von hier in freier Tat neu entstehen
zu lassen." Fichtes Bedeutuns^ ist es, dass er sich nicht einspann in ein
selbstherrliches Reich der Gedankenträume, sondern dass er von der Idee
zur Tat kam! Dass sich solch schaffende Tat nur in dem Rahmen
der Nation entfalten kann, das war die Grundeinsicht Fichtes. Hier
gliedert sich dann seine Erziehungsidee im Sinne Pestalozzis an: zur
nationalen Tat muss die Jugend erzogen werden.
Wie gesagt: Lesers Einleitung ist sehr g^eeignet, Fichte uns inner-
lich nahe zu bringen. Mö^e dieses Buch wirklich ein Taschenbuch für
recht viele werden, denn ewige Jugend strahlt von ihm aus.
Hamburg. Dr. O. Braun.
Gomperx, Heinrich. Das Problem der Willensfreiheit.
Jena, Diederichs, 1907. (166 S.)
Windelbands so hervorragende Vorlesungen „Über Willensfreiheit"
haben an Gomperz' Buch ein Gegenstück gefunden: beide zeichnen sich
ans durch begriffliche Klarheit und strenge Wissenschaftlichkeit, beide
versuchen durch Kl&rung des im allgemeinen Bewusstsein so verwirrten
Freiheitebegriffes und den Vorgäns^n beim Zustandekommen einer
Willensentscheidung das i^eiheitsproblem der Lösung nSJier zu bringen.
Gomperz unternimmt es, Determinismus und Indeterminismus als gleich
onricntige Theorien zu entwaffnen, indem er eine Grundvoraussetzung
beider zu widerlegen sucht: das Bestehen einer allgemeinen Kausalität.
Wir müssen scheiden zwischen periodischer und dynamischer Kausalität,
d. h. zwischen Gesetzmässigkeit die Aufeinanderfolge und Notwendigkeit
des Hervorbringens. Welcher von diesen Kausalitätebegriffen kann auf
das Problem des Entstehens der einzelnen Wollungen und Tätigkeiten
angewandt werden? Analysieren wir den dynamischen KausalitäteDecriff,
so leigt sich, dass wir von einer „Notwendigkeit" nur bei wirklich
490 Kezensionen (Gomperz).
passiven Bewegungen sprechen können. „Eine aktive Körperbewegung
z. B. ist immerdar begleitet von einem Gefühle der Tätigkeit: eben hier
entspringt ja der Begriff der Tätigkeit überhaupt. Allein einen Vorgang
als Wirkung denken, heisst . . . dem Gegenstande, an dem dieser Vorging
sich vollzieht, in Beziehung auf diesen Vorgang ein Gefühl des Leidens
einlegen. Und einen Vorgang als notwendige \Virkung denken, heisst.
jenem Gegenstande in Begiehung auf diesen Voryang ein Gefühl des
Leidens nach einer Niederlage, somit das Gefühl eines gewaltsamen, er-
zwungenen Leidens einlegen. Nun ist es jedoch unmöglich, einem und
demselben Gegenstande in Beziehung auf einen und denselben Vorgang
ein Gefühl der Tätigkeit und ein Gefühl des Leidens, oder gar des er-
zwungenen Leidens einzulegen — ebenso unmöglich, als es wäre, einen
Menschen zugleich liegend und stehend ... zu denken. Es ist daher
auch unmöglich, eine willkürliche menschliche Tätigkeit als — im dyna-
mischen Sinne — notwendige Wirkung einer bestimmten Ursache zu
denken" (S. 121 — 122). „Im dynamischen Verstände sind demnach Deter-
minismus und Indetenninismus beide abzulehnen : der Wille ist weder der
allgemeinen Notwendigkeit des Geschehens unterworfen, noch von ihr
ausfi^enommeu, weil es eine solche allgemeine Notwendigkeit gar nicht
giebt" (S. 123). Es könnte also nur die allgemeine Gesetzmässigkeit sein,
der auch das Seelenleben unterworfen ist. Unter dieser aber können wir
nichts anderes verstehen, als den Entschluss aller denkenden Wesen, jede
gegebene Tatsache als eine gesetzlich bedingte aufeufassen. So ist also
die allgemeine Kausalität ein^Postulat, das wir an die Dinge heranbringen.
Gomperz ist hier u. A. in Übereinstimmung mit einem uns zu früh ent-
rissenen, logisch besonders scharfsinnigen Philosophen, Ludwig Busse, der
den Charakter der Kausalität als menschliche Voraussetzung besonders
scharf betont hat, doch er wies auch darauf hin, dass die Welt uns bei
diesem Bestreben, einen Grund für jede Wirkung zu finden, entgegen-
kommt, und dass infolgedessen in der objektiven Welt etwas der Kausa-
litätsvorstellung entsprechendes vorhanden sein muss (vgl. Busse, Philo-
sophie und Erkenntnistheorie, Leipzig 1894, ein ungemein klares und wert-
volles Buch). Auch die vollständige Bestimmtheit menschlicher Willens-
akte durch rein seelische Gesetze ist ein Postulat, ja die Aussichten
auf eine gesetzmässige Ordnung des Seelenlebens sind noch viel geringer,
als auf dem physischen Gebiet. Ja, ist es denn überhaupt denkbar, diese
Kausalität als allgemein herrschend wie in der Natur zu postulieren?
Die mechanistische Theorie antwortet: ja. Ihre Konsequenz ist, dass man
es als möglich ansehen muss, das Manuskript des „Urfaust^ etwa aus der
Leistungsfähigkeit von Goethes Gehirn und den äusseren Anregungen zu
berechnen. Gomperz lehnt die logische Möglichkeit einer solchen
Berechnung ab, er entwickelt eine „spontanistische" Theorie: die mate-
riellen Elemente der Wirklichkeit besitzen gewisse individuelle und mo-
mentane Besonderheiten ihres Verhaltens und alle ^^Natur^setze" sind
nur Durchschnittsregeln. Die organischen Körper besitzen eine Struktur,
bei der sich diese Besonderheiten verstecken, so dass die Abweichungen
von der Regel hier merklicher werden, als auf dem anorganischen ue*
biete. Absolut gesetzlos ist deswegen der Lebensprozess nicht, die Ge-
setze lassen sich nur nicht exakt angeben. So liesse sich bei Kenntnis
der physiologischen und psychologischen Fähigkeiten in Goethe etwa von
ihm sagen, er werde auf den gegebenen Anregungen hin durch Konsep-
tion einer cross angelegten Dichtung reagieren, diese oder jene Gedanken
werden dann eine Rolle spielen — mehr aber nicht !
So ist denn heute eine Entscheidung zwischen Determinismus und
Indeterminismus überhaupt unmöglich, wir nähern uns ihr durch genauere
Erkenntnis der Gesetze des organischen und psycliischen Lebens.
Der entscheidende Punkt der interessanten Untersiichnng von Crom-
perz ist die Überwindung des dynamischen Kausalbe^riffs. £ßer hätte
eine Kritik einzusetzeYi, die ich mir für eine ausführlichere Behandlung
Rezensionen (Gottschick). 491
des Gegenstandes verspare. Sehr wohltuend berührt an dem Buche, dass
eine rein theoretische Behandlung gegeben wird und die Freiheitsfrage
von allen praktischen „Eonsequenzen" losgelöst wird. Von der anderen
Seite aus liesse sich das Freiheitsproblem nur auf Grund einer umfassen-
den Weltanschauung fruchtbar erörtern.
Das Buch enthält in seinem ersten Teil eine Geschichte des Pro-
blems in der bisherigen Philosophie. Abweisen möchte ich hier nur die
Behauptung, Schelling habe die Kantische Freiheitslehre im wesentlichen
wiederholt (S. 46). Das ist wohl im „System des transscendentalen Idea-
lismus"" der Fall, aber hier spielt es nur eine nebensächliche Rolle. Da-
gegen in den „Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit"
(1809) geht Schelling seinen ganz eijj^enen Weg, der weit über Kant hin-
ausfüiirt. Als interessant erwähne ich noch die Ausführungen über die
„Wahrscheinlichkeit der Willensentscheidungen**. Unrichtig erscheint mir
daran nur, dass die „Stücke" der Motive durch die Dauer ihrer Herr-
schaftsphasen im Bewusstsein gemessen werden sollen! Oft herrscht ein
Motiv, dem ich nachher nicht folge, sehr lange im Bewusstsein; da tritt
ein neuer Gedanke über die Schwelle, der sofort einleuchtet und zum
Motiv wird, — dem folge ich dann, trotzdem er nur wenige Sekunden im
Bewusstsein herrschte.
Doch genuç der kleinen Ausstellungen — im Ganzen ist es ein
ernster und wichtiger Beitrag zur Lösung des Freiheitsproblems.
Hamburg. Dr. O. Braun.
t Gottschick, Johannes, D., Professor der Theologie in Tübingen.
Ethik. Tübingen 1908. I. C. B. Mohr. (XV und 280 S.)
Bevor ich auf den Inhalt des Werkes eingehe, schicke ich eine kurze
Übersicht über die Einteilung desselben voraus.
In den „Prolegomena" werden die ^allgemeinen Merkmale und Be-
ziehungen des Sittlichen", sowie ^die Aufgabe der theologischen Ethik**
erörteiT. Der 1. Teil handelt dann von den „Prinzipien der christlichen
Sittlichkeit". Der 2., ausführende Teil gliedert sich in drei Abteilungen:
I. „Die prinzipiellen Bestandteile des evangelischen Lebensideals." U. ^ie
sitüichen Gemeinschaften im Lichte des evangelischen Lebensideals." IE.
„Die Entwickelung des Einzelnen in den sittlichen Gemeinschaften im
Lichte des evangdischen Lebensideals (Individualethik)." Ein ausführliches
Sach- und Namenregister ist beigefü^.
Gottschick gehört zu deigenigen theologischen Ethikem, welche
ernstlich Fühlung mit der philosophischen Ethik suchen. Wie er über das
Verhältnis der theologischen zur philosophischen Ethik denkt, zeigen fol-
^nde Worte: „Die Theologie setzt die Arbeit der philosophischen Ethik
msofem voraus, als die Analyse der sittlichen Wirklichkeit . . .
für sie die Voraussetzung der Erledigung ihrer wissenschaft-
lichen Aufgabe, weil das Mittel ist, den wissenschaftlichen Ort ihrer
Sonderau^be darzustellen. Sofern aber beide ein bestimmtes sittliches
Ideal aufstellen . . ., handelt es sich im Falle der Differenz um den Kampf
mehr oder minder entgegengesetzter Lebensanschauungen .... Wer von
beiden mehr Anrecht aiu den Namen der Wissenschaft hat, hängt vom
tatsächlichen Verfahren ab." Also auch die theologische Ethik hat nach
G. unter Benutzung der Leistungen der philosophischen Ethik von einer
Analyse der sittlichen Wirklichkeit auszugehen.
Bei der Lösung dieser Aufgabe zeigt sich G., wie es öfters bei theo-
logischen Ethikem der Ge^nwart der Fall ist, in hohem Masse von dem
modernen Relativismus beemflusst. Am meisten tritt dies hervor in der Er-
örterung über den Ursprung des G^ewissens. Das Gewissen ist nach G.
^ein geschichtlicher und individueller Erwerb, Ausdruck der sitt-
lichen Bildung der ganzen Persönlichkeit, die in der Wechselwirkung
mit dem sittlichen Leben der Gemeinschaft gewonnen ist**. Dies
folgert G. einerseits aus der „grossen Ungleichurtigkeit des Gtowissens**,
„die durch Geschichte und Ethnologie bezeugt wird*, andererseits aas der
492 Rezensionen (Gottschick).
„offenbaren Korrespondenz zwischen dieser Verschiedenheit und dcB wirt-
schaftlichen, politischen, reli&riösen und ,anderen Lebensbedingunsen der
Gemeinschaft und ihren geschichtlichen Änderungen," sowie aus der „Be-
ziehung desjenigen Gewissensinhalts, der wirklich überall gleichartig ist,
zu den überall gleichen Existenzbedingungen ^emeiuschafthchen Lebens".
Ebenso führt er das Bewusstsein des Sollens, der sittlichen Verpflichtung
auf den Einfluss des Milieus zurück. „Die Erfahrungen in der Erziehung
beweisen, dass die Ehrfurcht vor den Autoritäten, welche die
sittlichen Normen in der Gemeinschaft vertreten, die erkennbare
psychologische Wurzel des Gefühls von ihrer Verbindlichkeit ist."
Belege für diese Thesen, bei denen G. anscheinend sehr von dem von den
ethischen Empirikern beigebrachten Material abhängig ist, werden nicht
gegeben.
Diese prinzipiellen Anschauungen haben auf die Darstellung des
Systems der christlichen Ethik, welche des Verfassers eigentliche Amgabe
bildet, den unvermeidlichen Einfluss gehabt. Wie bei den philosophischen
Ethikem, welchen Gottschick nahesteht, die einzelnen sittlichen Normen
aus den Gemeinschaftszwecken (Gesamtwohl etc.) abgeleitet werden, so
bei ihm aus einem Gemeinschaftszweck höherer Art, der Verwirklichung
des Reiches Gottes. Und wie jene Ethiker konsequenterweise von unbe-
dingten sittlichen Normen nichts wissen wollen, da es bei einer sittlichen
Entscheidung nach ihrer Voraussetzung immer nur darauf ankommt, ob
durch die betreffende Handlung der jeweilige Gesamtzweck gefördert
wird, so auch Gottschick. Er redet zwar, ähnhch wie jene philosophischen
Vertreter einer teleologischen Ethik von „Durchschnittsregeln^, aber diese
sind „von einem Rechtsgesetz spezifisch verschieden." Letzteres muss unter
allen Umständen befolgt werden, bei ihnen dagegen muss im einzelnen
Falle ihrer Anwendung gefragt werden, ob Handlungen, die nach
ihnen erfolgen, unter den besonderen Umständen auch das
rechte Mittel zur Beförderung des Reiches Gottes sein wür-
den. Wenn das nicht der Fall ist, so erleiden sie im beson-
deren Falle keine Anwendung.'' Auch S. 260 wird die christiidie
Ethik eine „gesetzesfreie, teleologische Moral" genannt.
Gegen diese Auffassung gelten natürlich dieselben Bedenken, welche
so oft gef^en die Erfolgsethik auf dem philosophischen GTebiet vorgebracht
worden sind. U. a. würae von diesem Standpunkt aus eine widerrechtUcbe
Beseitigung von Ketzern und anderen der Entwickelung des Reiches
Gottes schädlichen Menschen sittlich gerechtfertigt sein, vorausgesetzt,
dass der Schein des Rechts dabei aufrechterhalten oder die gewaltsame
Beseitigung ganz heimlich vorgenommen veürde. Andere nicht geringere
Schwierigkeiten kommen noch hinzu, auf deren Erörtemng ich mer ver-
zichten muss und um so leichteren Herzens verzichten kann, als ich mich
in meiner Kritik des sittlichen Bevnisstseins S. 15 ff. ausführlich mit der
teleologischen Ethik auseinandergesetzt habe. Dagegen wird es sich
empfehlen, noch einen Blick darauf zu werfen, wie ein theologischer
Ethiker von der Bedeutung Gottschicks sich zu derjenigen Richtung ethi-
scher Forschung stellt, welche ich der Beqnenüichkeit halber die aprioris-
tische nennen möchte.
Die Entstehung des bestimmten sittlichen Bewusstseins aus einer
idealen Anlage würde sich, wie G. S. 17 meint, allenfalls vorstellen laœen,
„wenn man mit Kant und Fichte die sittliche Vernunft so formell fassen
aürfte, wie sie auch auf dem theoretischen Gebiet sich als wirk-
sam erweist^'. Dies ist aber nach G. nicht möglich. Sowohl die von
Elant als die von Fichte aufgestellte abstrakte Formel für das Sittengesetx
fewinne einen sittlichen Sinn erst dann, „wenn man ihnen heimlicn viel
onkretere Anschauungen substituiert. Mit dieser Bemerkung hat G. nun
freilich durchaus recht; nur würde ich das missverstänfiiehe „heim-
lich*' beanstanden. Welche Kluft zwischen Kants kategorischem Im-
perativ und den tatsächlichen sittlichen Normen gähnt, und wie Elant die
Rezensionen (Rüge). 493
etzteren in Wirklichkeit auf ganz andere Weise ableitet, als es zunächst
len Anschein hat, habe ich selbst neuerdings in meiner „Ethik Kants""
Berlin 1907) dargestellt. Aber daraus folgt noch keineswegs, dass man
las Wesen der „sittlichen** Vernunft nicht ebenso formell fassen dürfte
ne das der theoretischen. Vielmehr ist Kant nach meiner Überzeugung
rotz der verfehlten Ausführung völlig jm Recht. Es ist m. E. methodisch
iorchaus ungerechtfertigt, von der Übereinstimmung oder Nichtüberein-
timmung der sittlichen Einzelnormen auszugehen oder auch nur denselben
in entsdieidendes Gewicht beizulegen. Das führt mit Notwendigkeit zu
iner falschen Problemstellung, ebenso wie es auf dem Gebiet der Logik
•der Erkenntnistheorie der fSü sein würde, wenn man auf dem Wechsel
md der Verschiedenheit der theoretischen Anschauungen die Beweisführ-
ing aufbauen wollte. Hier wie dort kommt es darauf an, die gesetzmässige
Betätigung des Geistes kennen zu lernen, durch welche die konkreten Ver-
teilungen zustande kommen, und ebensowenig wie aus der Verschiedenheit
1er theoretischen Anschauungen ein Schluss auf die Verschiedenheit
las theoretischen Denkens und seine Gesetze gezogen werden kann, eben-
owenig aus der Verschiedenheit der sittlichen Anschauungen auf die Ver-
chiedenheit des sittlichen Denkens und seiner Gesetze. Nun ist allerdings
Cants kategorischer Imperativ keineswegs ein vollständiger und zutreffen-
1er Ausdruck für die Betätigung der Vernunft auf dem sittlichen Gebiet,
lach meiner Meinung würde es neissen müssen: „Die Betätigung der Ver-
lunft auf dem sittlichen Gebiet besteht in der Be^^ründung geistiger Ge-
oeinschaft Die Gesetze dieser Betätigung, d. i. die Bedingungen der
Möglichkeit erfolgreicher Betätigung der praktischen Vernunft (ent-
prechend den Bemn^ngen der Möglichkeit der Erfahrung auf theo-
eÜBchem Gebiet^ sind Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Freiheit des
3^edankenaustauscnes und Freiheit des Handelns oder Selbstbestimmung."
^ie von hier aus die konkreten sittlichen Anschauungen der Menschheit
verständlich werden, auch die Ideale der christlichen Ethik, habe ich in
Deiner „Kritik des sittlichen Bewusstseins" und in meiner „Ethik Kants**
m einzelnen dargestellt.
Der Ge^nsatz zur Prinzipienlehre des Verfassers hindert natürlich
licht eine weitgehende Zustimmung zu der Beurteilung der konkreten
ittUchen Lebensverhältnisse, welche weitaus den grössten Teil des Buches
n Anspruch nimmt. Hier werden insbesondere oie Theologen manches
bedeutsame und Beherzigenswerte finden. Vor allem den vielen Schülern
S-ottschicks aus alter und neuer Zeit wird das gediegene und aus lang-
ähri^er gründlichster Beschäftigung mit dem Gegenstande erwachsene
^erk eine erfreuliche Gabe sein.
Mtlnsteri. W. Wilhelm Koppelmann.
Rnge, Arnold. Kritische Betrachtung und Darstellung
les Deutschen Studentenlebens in seinen Grundzügen. Tübingen
Mohr) 1906. (XH und 184 S.)
Es ist in der heutigen Zeit fi:ewagt, eine von Sensationslust freie,
uritiflche Abhandlung über das akademische Leben und Treiben zu
tchreiben. Denn, abj^esehen von den politischen und reli^ösen Bestreb-
ingen, für die dabei eingetreten werden kann, steht der Streit zwischen
^^achstadium und allgemein wissenschaftlicher Bildung im Vordergrund.
Cr beschäftig nicht nur die Mittelschulen, sondern die Universitäten;
lenn auch sie müssen der Entwickelung folgen und — wie schon in
'ruberen Zeiten — hat sich auch hier die Methode etwas verschoben, da
ie zu der Frage nach der Fortbildung der Fachwissenschaften und nach
len Zugeständnissen an das praktische Leben, ohne die Einheit des Wissens
sa zerreissen, Stellung nehmen musste. — Selbst das werktätige Volk
scdgt in seinem Streben, an der allgemeinen „Geistesbildung, so weit es
n seinen Kräften steht, teilzunehmen, welche Wege der Student ein-
«hlagen muss, um den ganzen Vorteil aus seinen Universitätqahren zu
liehen. Er wird nicht nur dem niederen Utilitätsideal nachstreben dürfen.
494 Rezensionen (Hoffmann).
einen recht grossen Spezialwissenstoff sich anzueignen, damit er in der
heutigen, von wirtschaftlichen Kämpfen schwer bewegten Zeit bestehen
kann ; sondern er wird darauf bedacht sein müssen, sich eine richtige Auf-
fassung vom Leben und seinem Sinn anzueignen. Die allgemeine Bildung
und die freiwissenschaftliche BetÄtigung tritt neben die Forderung der
Erziehung zum tatkräftigen Leben und der gründlichen Vorbereitung zum
Lebensberuf. Die Erkenntnis muss um der Erkenntnis willen gepflegt
werden, es darf nicht nur des praktischen Zwecks halber nach den Kennt-
nissen gesucht werden. „Alles Wissen muss aus dem ursprünglichen
Wissen fliessen; alle Wissenschaften sind Teile der einen Philosophie,
nämlich des Strebens, an dem Urwissen teilzunehmen" (Schelling). Damit
ist aber der Weg dem Jünger der Wissenschaft gewiesen. Er wird sich,
gerade in den ersten Semestern, bestreben, eine vemunftgemässe Leben»-
Führung sich anzueignen, eine Persönlichkeit aus sich herauszubilden, die
auf die Stimme ihres Gewissens achtet und ihre Pflicht erfüllt, boUte sie
auch der Neigung entgegentreten. Damit fällt die Pflicht der Charakter-
bildung zusammen, die ja für den, welcher einen oberflächlichen realen
Zweckstandpunkt verschmäht, einen eminent wertvollen Faktor selbst für
die praktische Lebensbetätigung bildet. Damit ist aber auch das Ideal
der Universitäten als der Stätten freier, zweckvoller Geisteskultur gewahrt,
und ganz besonders wird die Pflege der Philosophie und ihrer Nachbar-
gebiete wieder in den Vordergrund gerückt. Schleiermacher sagt: die
ersten beiden Semester sollte jedermann Philosophie studieren. Für die
heutige Zeit giebt er die beherzigenswerte Mahnung, in den erstes
Universitätgahren an seiner allgemeinen Wissens- und Charakterbildung
zu arbeiten. —
Eine Schrift, die von solchen Gesichtspunkten geleitet wird, wm
jedem, der für das Studium der Philosophie in der heutigen Zeit eintritt^
und der in der Lebensauffassung, wie sie im deutschen Idealismus b^
gründet ist, die Aufgabe erfüllt sieht, willkommen sein. Buge geht von
lesen Gesichtspunkten aus, indem er hofft, dass statt der Vemichtong
des alten Ideals der alte und der neu aufkommende Bildungstrieb bestehen
bleiben möge Er ^aubt, trotz der Unmenge von Schriften, die auf das
akademische Leben Bezug nehmen, in „absolut-kritischer" Weise Wert'
massstäbe für ein zweckmässig einzurichtendes Studentenleben geben zn
können, im Kampf gegen die Sensationsschriften über das Studentenleben,
und im Kampf gegen die Unwissenheit weiter Kreise über das Studenten-
leben. Er hat sich neben Schleiermacher und J. E. Erdmann — ein ans-
führUches Litteraturverzeichnis befindet sich am Schluss — Fichtes ,d^
duzierten Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt*
und seine Rede „über die einzig mögliche Störung der akademischen
fVeiheit^' als Muster gesetzt. Nach Festlegung des obersten Prinzipes
kommt er auf die wichtige Frage der Lehr- und Lemfreiheit, um dann
das akademische Studium und das akademische Leben im einzelnen za
behandeln. Mag bei diesen Einzelfra^en — die genauer zu erörtern hier
nicht der Ort ist — da und dort auch eine andere Lösung versucht werden,
so behält diese Darstellung des Studentenlebens doch für den Verfechter
echter philosophischer Bildung i^en Wert.
freiburg i. Br. Dr. A. Maas.
Hoffmann, K. Zur Litteratur und Ideengeschichte (12 Sta-
dien). Charlottenburg (Günther) 1908. (Vm und iß S.)
Die in diesem Buch gesammelten, früher in einzelnen Zeitschriften
veröffentlichten Aufsätze gehören zum Teil in das Gebiet der litento^
feschichte, zum Teil in das der Philosophie. Dazu enthält es noch eine
tudie über den „Ursprung der deutschen Schriftsprache", die unter ihren
früheren Titel p,Zur deutschen Kulturbedeutung Böhmens im 14. Jahr-
hundert^ das eigenartig Neue, die sprachlichen Bestrebungen der böhnü-
sehen Kanzlei und die wichtige Stellung des Prager Deutsdi ffir die
deutsche Schriftsprache schon in der Überschrift angedeutet hätte, während
Rezensionen (Hoffmann). 495
unter der neuen Bezeichnung der Aufsatz trotz verschiedener gelegent-
licher Anmerkungen einseitig erscheint. — Die Aufsätze „Die dramatische
Stimmung^, Hauptmanns „Symbolismus", eine Ehrenrettung von „Und
Pippa tanzt", zur nationalen Bedeutung des Göttinger Dichterbundes" und
„Das deutsche Element in der modernen Litteratur"^ seien hier als litte rar-
historisch wertvolle Essays nur aufgezählt, wenngleich gerade bei dem
letztgenannten die Zusammenhänge mit der Entwickelung der Philosophie
des 19. Jahrhunderis leicht konstruierbar sind.
„Der Irrtum im Ideal der Moderne" zeichnet in scharfen Strichen
die beiden Hauptseiten der Weltanschauung der modernen Litteratur-
ricbtung, die bis ,zur „Lebensfreude" gesteigerte Bejahimg des einzelnen
Lebens und die Übertrag|iing dieser Lebensfreude des einzelnen Wesens
auf die ganze Natur. jDer Mensch soll das Universum mit seinem Ich-
geffihl anfüllen und sich dabei vom Universum gleichsam aufsaugen lassen".
Dieser einzigartigen Persönlichkeit mit ihrer ungebändigten Willenskraft
stellt er als Gegensatz das Ideal des abstrakten Individualismus des 18.
Jahrhunderts entgegen, um damit zu beweisen, dass der Irrtum im Ideal
der Moderne eben von der Unterschiebung mancher dem Gedankenkreis
des 18. Jahrhunderts entnommenen Ideen über die Individuen als quali-
tativ nicht unterscheidbare Wesen herrührt, durch die dann der Gedanke
des gesteigerten Lebensgefühls des Einzelnen auf das Leben aller ein-
geführt werden konnte. Das dadurch hervorgerufene merkwürdige
Schwanken zwischen individual gearteter Persönlichkeit und Ausgleichung
aller Gegensätze in der müden Hingabe an die Natur behandelt auch der
Aufsatz „Dehmels Gedankendichtung", wobei trotz aller Anerkennung der
Bedeutung Dehmels für die moderne Geistesrichtung doch festgestellt
wird, dass die ganze Richtung über Häckel Mnaus zuletzt zum Suostanz-
begriff Spinozas zurückkehrt.
In der Studie „Die ästhetische Interesselosigkeit" wird der Kan-
tiache Satz „Der Gegenstand eines Wohlgefallens ohne alles Interesse
ist schön" für eine notwendige Begleiterscheinung des ästhetischen
Scliauens erklärt, wenn auch damit allein das ästhetische Verhalten
nicht erschöpft ist. Das ästhetische Schauen muss ein Lustgefühl sein,
das ohne jeden weiteren Nebenzweck und Nebengedanken beglückt, es
moss aber auch von jedem blossen Sinnenreiz getrennt werden. Gerade
der zweite Punkt ist schwerer zu deduzieren; denn das ästhetische Lust-
Mfflhl ist von dem Charakter des betreffenden Gegenstandes abhängig.
Es werden bei einem Frauenkörper geschleditliche Reize als Bedingungen
für die ästhetische Empfänglichkeit eine Rolle spielen; sie greifen aber
beim reinen ästhetischen Verhalten nicht in unser Sinnesleben ein. Kants
Verdienst ist es femer, das ästhetische Anschauen vom intellektuellen
Durchdringen eines Gegenstands (man vergleiche damit die unrichtige
Wortzusammenstellung schöne Wissenschaften) aber auch von der Sphäre
des Ethischen abgegrenzt zu haben. „Das Kunstwerk wird durch seine
äussere Zwecklosigkeit aus den Beziehungen unserer theoretischen und
praktischen Interessen herausgehoben, und damit das Gemüt des ästhe-
tisch Geniessenden von diesen Beziehungen gelöst". Der Verfasser trennt
die Kantische Lehre scharf von der aus dem Grundcharakter der Schopen-
hanerschen Philosophie sich erklärenden Theorie der passiven, willenlosen
Hingabe an den geschauten Gegenstand; für ihn ist dies interesselose
Schauen eine eminent aktive Betäti^ng des Nacherlebens eines Kunst-
werks, wenn auch alle Tätigkeit, die nicht zur ästhetischen Aufnahme
gehört, ausgeschaltet wird. Der „Spieltrieb ".Schillers ist ein Kiüturtrieb,
und er stellt im Gegensatz zu den blossen Nützlichkeitswerten einen
Knlturwert dar: Das ist im letzten Grund der Kern des eng mit dem
interesselosen Schauen zusammenhängenden Aufsatzes „über Kulturwerte".
Diesen Studien schliesst sich ein Essay über Kierkegaard als Denker
an, in dem eine Gleichstellung der Lebensauffassungen Schopenhauers und
des dänischen Pessimisten versucht wird; der letzte Aufsatz ,,vom Wege
496 Selbstanzeigen (Simon).
des Gedankens'^ schildert in kurzen Zügen den Kampf der Philosophen
der neuen Zeit über die Begriffe Geist und Materie, Idealität und Reali-
tät. — Wenn der Verfasser m seinem Vorwort sagt, dass die vereinigten
Aufsätze den verschiedensten Wissensgebieten angehören und nur durch
die sich gleichbleibende Denkungsweise des Autors in einen inneren Zn-
sammenhang treten, so wäre eine andere Anordnung der Aufsätze mit
Rücksicht auf ihren stofflichen Zusammenhang am Platze gewesen. Es
können gerade bei einem derartigen Buch die Grundgedanken nur in
grossen Zügen angedeutet werden, um den Charakter der Sammlung zn
skizzieren. Das Buch giebt ausserdem in seiner ausserordentlichen Mannig-
faltigkeit eine Fülle von Anregungen und geistvollen Erklärungen.
Freiburg i. Br. Dr. A. Maas.
Selbstanzeigen.
Simon, M. ,,Üb er Mathematik", Philos. Arbeiten herausgeg. von
H. Cohen und P. Natorp. H. Band, 1. Heft.
Die kleine Schrift ist aus der Erweiterung der Einleitung zur zwei-
ten Auflage der Dialektik und Methodik des Rechnens und der Mathematik
in Baumeisters Handbuch (München 1908) hervorjg^gangen. Verfasser,
welcher sich bewusst ist, auf philosophischem Gebiete nur ein Dilettant
zu sein, hätte es nicht gewagt, diese aogerlsseuen Bemerkungen über Zeit,
Raum, Zahl, Unendlichkeit, Kontinuität und einiges andere, als „philw.
Arbeit^ auszugeben, wenn ihn nicht die verehrten Herren Herausgeber,
insbesondere H. Cohen, dazu ermutigt hätten. — Übrigens hat die Arbeit
eine ziemlich lange Entstehungsgeschichte. Sie ist hervorgegangen ans
der Pflicht, die jedem Lehrer und ganz besonders dem Lehrer der Mathe-
matik obliegt, sich selbst nach Ejrärten klar zu werden über das, was er
zu lehren hat. Mit dem infinitären Prozess und seinem Abschlnss, dem
Grenzbegriff, habe ich mich seit 1872 intensiv beschäftigt, seit Ernst Lsas
an mich die Bitte richtete, ihm ein Privatissimum über Mathematik zu lesen.
Als ein kaum zu rechtfertigender Übergriff erscheint mir jetzt die
Parallele zwischen Kant und Leibniz. Zu meiner Entschuldigung kann
ich anführen, dass ich mich, seitdem ich 1893 den Artikel Differential-
rechnung für die 6. Aufl. des Meyerschen Konversationslexikon bearbeitete,
viel mit Leibniz beschäftigt habe, und an den Werken von E. Cassirer
eine treffliche Unterstützung fand.
Mit mehr Berechtigung habe ich über Piaton und Aristoteles eini^
historische Bemerkungen einstreuen können, da auch für die mathemati-
schen Grundbegriffe die Pythagoreer, Eleaten, Demokrit, Piaton mid Aris-
toteles massgebend sind. Insbesondere hat mich der Timäos stark ang^
zogen, und von den vielen Bedingungen, welche für das Verständnis dieser
vielleicht merkwürdigsten Schrift des grössten Hellenen zu erfüllen sind,
konnte ich einigen ziemlich befriedigena genügen. Aber mein vorgerücktes
Alter und die Überlast der Arbeit hat mich an einer Literpretation des
Timäos gehindert.
Sollte ein oder der andere Philosoph von Fach aus dieser Plauderei
Anregung schöpfen, einige von den zahlreichen Klippen, von denen die
Grnnalagen der Mathematik starren, mit den Mitteln seiner wirklich gründ-
lichen erkenntniskritischen Methode zu sprengen, so hätte die Arbeit ihren
Zweck erfüllt.
Strassburg i. £. Max Simon.
Selbstamseigen (Messer—Kroner). 497
Messer« A. Professor Dr. Empfindung und Denken. (199 S.)
Verlag von Quelle und Meyer, Leipzig 1908.
Ich versuche in dieser Schritt die in den letzten Jahren veröffent-
lichten Untersuchungen, die es zum ersten Male unternehmen, das „Den-
ken" mit den Methoden der experimentellen Psychologie zu erforschen,
zusammenfassend zur Darstellung zu bringen und sie zu den bedeutsamsten
neueren logischen Werken (Husserls Logischen Untersuchungen und der
2. Aufl. von B. Erdmanns Logik Bd. I) in Beziehung zu setzen. — Obwohl
die erwähnten psychologischen Untersuchungen ohne jede Bezugnahme
auf Kant durchgeführt wurden, so haben sie doch dazu geführt, die Grenz-
linien zwischen Empfindung und Denken so zu ziehen, wie sie auch Kant
fezogen hat. In der Kritik d. r. V. S. 57 A. 1 (Beclam^ hat er mit beson-
erer Deutlichkeit ausgesprochen, dass er unter Empnndungen Bewusst-
seinsinhalte versteht, „die an sich kein Objekt . . . erkennen lassen". Eben-
so hat es sich auf Grund jener psychologischen Analyse der Denkvorgänge
als zweckmässig erwiesen, das „Denken" als Inbegriff der Funktionen des
„Ge^enstandsbewusstseins^ (durch das überhaupt erst „Objekte" für uns
da sind) von den Empfindungen zu scheiden. Dadurch ergab sich auch
ein prinzipieller Gegensatz gegen die „sensualistische" und „Associations"-
psychologie, die diesen Unterschied nicht macht und in dem Denken
lediglich eine Nachwirkung, bezw. ein Entwicklungsprodukt aus den Em-
pfindun^n sieht.
Die nähere Analyse des „Gegenstandsbewusstseins" führte femer
auf die Kantischen Kategorien. Enmich hat das Buch auch insofern Be-
ziehune auf eine grunmegende Frage der Kantinterpretation, als es in
einem besonderen Kapitel den Unterschied der psychologischen und der
logischen Betrachtung des Denkens darzustellen unteminunt.
Giessen. A. Messer.
Kroner, Riehard. Über logische und ästhetische Allge-
meingflltigkeit. Kritische Bemerkungen zu ihrer transscendent^en
Begründung und Beziehung. Freib. Dissertation, Leipzig, Fritz Eckardt,
1908. (Xm und 99 S.)
Die Arbeit steht auf kritischem Boden. Ihr Hauptzweck besteht in
einer Nachprüfung des von Kant in seiner Kritik der Urteilskraft dar-
gestellten Verhältnisses der Allgemeingültigkeit des ästhetischen Urteils
und der transscendental-logischen Allgemeingültigkeit. Bei dem Versuche,
eine eindeutige und widerspruchslose Auffassung der Bestimmungen Kants
KVL gewinnen, stiess ich auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Ich fand,
dass Kant das Wunder der singularen, auf ein subjektives Gefühl sich
gründenden ästhetischen Urteile, die dennoch den unerhörten Anspruch
auf apriorische Gültigkeit erheben, vergeblich zu erklären sich bemüht.
Es gàingt ihm nicht, die ästhetische Allgemeingültigkeit in den Rahmen
seiner aus der Kritik der reinen Vernunft stammenden Begriffe zu spannen,
es bleibt eine von ihm selbst zugestandene Dunkelheit zurück, und man
wird bei aller Genialität seiner Gedanken bisweilen das Gefühl gewalt-
samer Konstruktion nicht los.
Den Grçnd dafür glaube ich in einer Vermischung transscendentaler
und syllogistischer Begr£idun^motive sehen zu müssen. Da diese Ver-
mischung ihre Wurzeln bis tief in die Grundlagen der kritischen Philo-
sophie erstreckt, so musste ich meine Anschauung von dem Wesen der
logischen Allgemeingültigkeit und der transscendentalen Deduktion der
Kategorien entwickeln, ene ich zu meinem eigentlichen Thema, der Kritik
des ästhetischen Urteils, gelangen konnte. Diese Kritik sucht in ihrem
negativen Teile Kants Auffassung auf Grund des gewonnenen Verständ-
nisses fär die erwähnte Vermischung transscendentaler und syllogistischer
Begründon^pmotive zu interpretieren und gleichzeitig zu zersetzen; in
ihrem positiven Teile aber giebt sie einige Hinweise auf eine einwands-
freiere Formiüierang und Lösung des Problems der Beziehung von logi-
scher und ästhetischer Allgemeingültigkeit.
498 Selbstanzeigen (Becher).
Den wesentlichsten Dienst zur Lösung meiner Aufgabe leistete mir
die Erkenntnistheorie Heinrich Rickerts, denn durch sie wurde ich auf die
Bedeutung der Allgemeingültigkeit singularer logischer Urteile aufmerksam
gemacht und befähigt, die Bedeutung der Allgemeingültigkeit des ästheti-
schen Qrteils in analoger Weise zu verstehen.
Freiburg i. Br. Richard Kroner.
Becher, Erich. Philosophische Voraussetzungen der exak-
ten Naturwissenschaften. Leipzig, J. A. Barth, 1907. (VI u. 243 S.)
,,Den Inhalt der folgenden Darstellung bilden eine philosophische
Rechtfertigung und Deutung der Grundannahmen von Physik und Chemie.
Diese Wissenschaften stehen auf dem Standpunkte einer realistischen Auf-
fassung der Aussenwelt. . . . Physik und Chemie fassen die Aussenwelt
als körperlich auf, als zusammengesetzt aus elementaren Körperteilchen,
aus Molekeln, Atomen, vielleicht zuletzt aus Elektronen. Die exakten
Naturwissenschaften betrachten endlich alle körperlichen Vorgänge als
Bewegungsvorgänge, die sich an jenen elementaren Körperteilchen oder
an ihren Komplexen abspielen. Die Annahme einer körperlichen Aussen-
welt, die aus Molekeln, Atomen und Elektronen aufgebaut ist, und die da-
mit auf das engste zusammenhängende kinetische Naturauffassung sollen
im folgenden erkenntnistheoretischen Angriffen gegenüber verteidigt
werden.^ Eine erkenntnistheoretisch-methodologische Rechtfertigung dir
grossen Hypothesenbildungen, kann aber nur gelingen, wenn jene Hypo-
thesenbildungen von jedem unnützen Beiwerk oefreit werden. ... So er-
giebt sich eine besondere Auffassung vom Wesen der grossen physikalisch-
chemischen Hypothesen, eine Deutung der Grundannahmen der exakten
Naturwissenschaften . . ." (Vorwort S. in, IV). In der Einleitung werden
der Siegeszug der kinetisch-atomistischen Auffassung und die gegen-
wärtige Lage skizziert. Dann werden allgemein das Wesen und der
Wert der Hypothesen untersucht und ihre Notwendigkeit verteidigt, Di-
mit sind die Mittel zur Prüfung der Aussenweltshypothese bereitet. Diese
wird zunächst kritisch beleuchtet, dann begründet, indem sie ans der An-
nahme der Regelmässigkeit des Weltgeschehens abgeleitet wird. Erkennt
man eine Aussenwelt als regelmässiges Antezedens (als Ursache) der Em-
pfindungen an, so ergeben sich auch mit WahuBcheinlichkeit gewisse Er-
kenntnisse über dieselbe. Wir können „(relativ) beharrende Existenzen,
Veränderunfi:en, kausale Zusammenhänge, Unterschiede, speziell solche,
die denen des Raumes und der Zeit in den Wahmehmung^en entsprechen,
Gleichheiten (wenigstens angenäherte) und Zahlverhältnisse erkennen"
(S. 113). Wir können in übertragenem Sinne von Körpern als Dingen der
Aussenwelt sprechen, kurz die Grundbegriffe der exakten NatorwisBen-
schaft und im übertragenen Sinne auf die Aussenwelt anwenden« Die
Erfahrung führt zur Bildung der kinetischen Hypothesen, wie am Bei-
spiel der mechanischen Theorie des Schalles dargetan wird. Die weitere
Durchführung der Fetischen Hypothesen wird durch die Annahme der
Diskontinuität der Materie möglich. Auch die Molekular- und Atomhypo-
thesen der modernen Naturwissenschaft sind aus der Erfahrung ableitmr,
ergeben sich durch einfache Analogieschlüsse und Überlegungen, wie sie
den alltäglichsten Annahmen zu Grunde liegen. Eine Reihe von Gründen
für die Diskontinuitätsauffassungen wird angeführt und untersucht.
Endlich wird die Elektronentheorie ins Auge gefaast and mit ihr
die „kinetisch-elektrische^^ Naturauffassung. Ihr VerhSltnis zur älteren,
„kinetisch-elastischen" Hypothese wird erörtert. Das führt zur Unte^
suchung der Begriffe der Trägheit, der Kraft und der Femwirknng. Ve^
fasser sucht zu zeigen, dass die Annahme der Femwirkung, event einer
zeitlich sich fortpflanzenden, durch die neueren Erfahrungen und Hypo-
thesen keineswegs abgetan worden ist, dass eher vielleicht die lllier*
annähme entbehrlich scheint.
Die atomistisch-kinetische Naturauffassung erscheint so als eine
wohlbegründete Hypothese, nicht als blosse Fiktion. Damit soll die M^
Selbst^nzeigen (Becher). 499
lichkeit nicht bestritten werden, dass die Aussenwelt weit reicher ist, als
das naturwissenschaftliche Weltbild ahnen lässt, dass es viele Qualitäten
^ben mag, deren Erkenntnis der naturwissenschaftlichen Erfahrung un-
zugänglich ist.
Bonn. Erich Becher.
Becher, Erich. Die Grundfrage der Ethik. Versuch einer
Begründung des Prinzips der grössten allgemeinen Glück-
sehgkeitsförderuug. Köln, M. Du Mont-Schauberç. (VU u. 217 S.)
Im ersten Kapitel wird dargelegt, wie die geistige Entwickelung
der Menschheit eine Antwort auf die Frage fordert: wie sollen wir
handeln? Diese Grundfrage der Ethik muss unabhän^g von reli^öser
und philosophischer Metaphysik beantwortet werden. Die mataphysischen
Gesamtbilder der «Wirklichkeit sind im besten Falle mögliche Hypothesen;
wir dürfen nicht einem bestimmten metaphysischen Systeme eine Wahr-
scheinlichkeit zusprechen, die praktisch als Gewissheit behandelt werden
könnte. Auch ist der Zusammenhang zwischen metaphysischen Hypo-
theses und ethischen Überzeugungen nicht derart, dass die letzteren aus
den ersteren logisch folgten. Vielmehr muss vorher feststehen, was als
gut und recht zu gelten hat, ehe aus der Metaphysik ethische Konse-
quenzen ableitbar sind. Die Grundfraj^e der Ethik erfordert eine unab-
hängige Untersuchung. Dann ist es eine weitere Aufgabe des Metaphy-
sikers, eine Verbindung der theoretischen Philosophie mit der Ethik zu
finden.
Die Antwort auf unsere Grundfrage bildet die Aufg:abe der nor-
mativen Ethik. Neben dieser bleibt Raum für eine deskriptive und er-
klärende Moralwissenschaft. Beide Gebiete hängen vielfach zusammen.
Zur Beantwortung unseres Grundproblems sind die Begriffe des Handelns
und des Sollens zu untersuchen. Um Einseitigkeit zu vermeiden, muss
der Begriff des Handelns weit gefasst werden, im Sinne von Willenshand-
lang, sodass auch die inneren Prozesse der Motivation und des Entschlusses
der Untersuchung zugänglich werden. Das Sollen im gewöhnlichsten
Sinne ist ein Erlebnis, welches einen befehlenden Willen voraussetzt.
Das Sollen, von dem unsere Grundfrage spricht, kann indess nicht restlos
auf den Willen der Mitmenschen und ihrer Verbände zurückgeführt
werden. Ihm entspricht eine Gesamtheit von befehlenden Tendenzen in
uns, das Gewissen. Doch können wir bei der Gewissensethik nicht stehen
bleiben. Auch Kants Forderungen weisen über diese hinaus, auf eine
Zielethik hin. Diese erscheint nicht als ein Gegenstück der Gewissens-
ethik, sondern als eine Fortbildung, die durch die Analyse des Gewissens
sich als notwendig ergiebt. Auf aer einen Seite drängen die grossen in-
dividuellen Unterschiede in der Gewissensentwickelung zur Aufstellung
einer entscheidenden Instanz; auf der andern Seite ßrdem die Unvoll-
kommenheiten und Widersprüche in den eigenen Gewissenstendenzen
einen harmonischen Ausgleich durch die Vernunft.
Wir versuchen, <ne tieferen Gewissenstendenzen zu einem „vor-
nehmsten und grössten Gebot" zu verbinden. Gewissen und Vernunft
fordern nicht, dass wir die Individuen als gleich betrachten; denn diese
sind nicht gleich; sie führen aber immer mehr dahin, gleiche Erlebnisse
an sich gleich hoch anzuschlagen, mögen sie in uns selbst oder in anderen
beseelten Wesen sich finden. Ohne die Inhalte der Freude, Lust und
Seligkeit, des Schmerzes, des Leids u. s. w., kurz ohne das Algedonische
könnte es uns ganz gleichgültig sein, wie der Strom des äusseren und
inneren Geschehens liefe. Dies führt zu dem Gedanken, dass es auf die
algedonischen Erlebnisse allein ankomme, dass positive Gefühle schlecht-
hin das zu erstrebende, negative das zu bekämpfende seien. In Ver-
bindung mit der Maxime, gleiche Erlebnisse gleich anzuschlagen, ohne
Bficksicht auf das erlebende Sidividuum, kommt man so zur Forderung der
all^^emeinen Glückseligkeitsförderung, dem (leider!) sogenannten Utili*
tansmos.
4?
B;
500 Selbstanzeigen (v. d. Pfordten).
Es ist zu prüfen, ob in der Tat damit unsere tiefste Gtowiams-
tendenz, überhaupt unser innerstes Wollen gefunden ist. Das Hast sich
nur durch eine Untersuchung der Konsequenzen dartun. Zunftchst werden
zahlreiche Einwände geprüft. Im Interesse der Glückseligkettsförderuiff
sind feste innere Anlagen vonnöten, die die Tendenz haben, leidmindema
und glückbringend zu wirken. Hierher jyrehöreii die Tugenden. Dia
Gesamtheit würde schlecht dabei fahren, wenn vor jeder Handlung das
letzte Ziel ins Auçe ^efasst würde. Viel sicherer %virken in den m eisten
Fallen feste Gefühls- und WilleDarichtungen^ starke MenscIienJiehe, Pflicht-
fefühl, Tapferkeit, Besonnenheit, Massigkeit, Wahrhaftifi^keit, Gerecht!^
eit u. s. w. So hat die ülückseügkeitcethik keine Umwertung aller
Werte zu fordern, sondern eine Entwickelnne unseres ethischen Bewttsst*
seins in der Richtung ^«n terlauEen, die von der Menschheit einj^e^cblagcn
wurde, die im Grossen nnd öan/.en audi von den Weltreliiponen ge-
wiesen wird.
Der Widerstreit zwischen der Betonung des Zieles der Handlungen
und der sittlichen Wertung der Gesinnung ist nur ein scheinbarer. IHe
Gesinnung bedeutet mehr als der einzelne Erfolg, weil sie dauernde,
stetige Leistungen allein garantieren kann. So ist es in der Ordnung.
wenn sie vorAÜem betont und auch dann noch hochjj^eschätet wird, wenn
die flandlungsfolgen fatale waren. Die Glückseli^keitsethik hat durchans
jene Hochschätzung der Gesinnung zu fordern, jene Maasstabe sittlicher
Billigung und Missbilligung zu ver&ngen, die ihr so oft entgegengehalten
wurden.
Zweierlei mag hervorgehoben werden : Die Glflckseligkeitsethik steht
nicht notwendig im Gegensatz zur Gewissensethik, sondern Usst sich aus
dieser entwickem. Sie Olsst sich nur begründen, indem ihre Eonseauenzen
vor Augen gestellt werden. Dann scheint sie nur die Yereinheitiichung
dessen zu sem, was wir im Grunde wollen, wohin besonnene Menschenliebe
und Gewissen, das sittliche Bewusstsein überhaupt im ^^anzen zielen.
Bonn. Erich Becher.
y. d. Pfordten, Otto, Freih. Vorfragen der Naturphilosophie.
Heidelberg, Winter. (146 S.)
Der für den Interessenkreis der Kantstndien wichtigste Teil des
vorliegenden Buches ist der darin gemachte Versuch einer natorphiloso-
phischen Erkenntnistheorie. Kant und die Erkenntnistheoretiker nach
ihm gehen im Wesentlichen von einer Kritik unseres Erkenntaisy er-
mögen s aus, also von der rein subjektiven Seite, walu:end man die Ten-
denz meiner Arbeit etwa erkenntnispraktisch nennen könnte, weil sie
nach den Resultaten des Denkens fragt und von deren Erfolg der Einzel-
wissenschaften aus urteilen will. Unter den Gebieten der r^atorwiswn-
schaft hat bisher nur die Mathematik und theoretische Ph^rsik eine aolche
Anwendung gefunden ; sie ergeben nur einen Phftnomenalismus (oder phi-
losophischen Idealismus) als Erkenntnis-Standpunkt, weil die Art dieser
Wissenschaftan durchaus phänomenal ist und nur auf die Benehangen
und G^esetze geht, ohne einen wirklichen Seinabegriff zu ihren Kooftnk-
tionen zu benötigen.
Dagegen zielt die Chemie auf die Dinge ond die Yer^demngen
der Substanz und ist daher in viel höherem Orade geeignet, den Er^lg
der naturwissenschaftlichen Be^ffsbüduDg zu zeigen. Besonders die eis-
gehende Diskussion der chemischen Synthese (3, 15) zeigte d<âs der
eigentliche Vorgang dabei, die sogen. Eeaktiun, mcbt mehr rein phAno*
menai erklftrt weiden kann. Sie findet statt auf Grundlage imierer m-
duktiy gewonnenen Hypothesen und die Natnr gehorcht liier unserem
Denken, indem das nacn jenen Hypothesen erwartete Resultat in zahl-
losen Fällen wirklich eintritt. Hier erkennen entweder wir eine Ansäen-
weit bez. etwas von dem wahren Wesen tier Dinge — oder die Dinge
erkennen uns und erraten unsere Hypothesen. Ein suli^ektives Bild oder
Phänomen kann man einen von uns tieahsicl^tigten, geJeitetan und in
Selbstanzeigen (van Biëma). 501
unserem Sinne erfolgenden Naturrorgang nicht mehr nennen; der Phäno-
menalismus genügt nur der Betrachtunfi^ eines Seins, nicht aber der
Lenkung eines Werdens. Kants Gedanke (speziell Prolegomena § 86):
„Der Verstand . . . schreibt der Natur seine Gesetze vor" kann nur dann
Wert behalten, wenn man sagt : „Die Gesetzmässigkeit", das apriori dieser
im Allgemeinen bleibt diskutabel (S. 22). Aber der Erfolg der chemischen
Spekulation (und der auf sie aufgebauten Synthese) beweist, dass diese
keine willkürliche ist, sondern dem Wesen der Dinge irgendwie ent-
sprechen muss.
Um diese Entsprechung, die zwischen naivem Realismus und Idea-
lismus die Mitte hält, zu charakterisieren, habe ich das Wort Eonfor-
mismus (Konformitäten) gewählt. Die Begriffe der Chemie speziell
müssen Konformitäten zu den .Dingen an sich^ darstellen, sonst wäre der
Erfolg unserer Synthesen undenkbar. Dieser giebt uns die Gewissheit,
dass es eine Aussenwelt ffiebt, die wir erkennen, und dass wir in unserer
Erkenntnis zwar nicht Alles haben (das wäre Identität unserer Begriffe
mit dem Wesen der Dinge), aber auch nicht Nichts (rein subjektive
Bilder oder Symbole) (S. 34). Das denkende, Begriffe und Wissenschaft
bildende. Ich ist dem Realen fremd, ausser und neben das es sich denkend
stellt, das ihm verwandte, aber nicht gegebene Wesen suchend und es
niemals völlig erreichend.
Die übrigen Teile des Buches beschäftigen sich mit der Festlegung
dieses Konformismus gegenüber den allgemeinen Fragen des Monismus
oder Dualismus, von Raum und Zeit und dem Kausal&pesetz; sowie den
speziellen naturphilosophischen Theorien Ostwalds und Machs.
Ein zweiter spekulativer Teil ist von speziell naturphilosophischem
Interesse und erörtert den „Sinn" der Naturgesetze, die causae fiendi und
das seit Jahrhunderten vernachlässigte Problem der Form. In diesem
finden sich erneute Anknüpfungspunkte an die Erkenntnistheorie und den
Kantischen Formbegriff (S. 137). Die durchweg mathematisch orien-
tierte Denkweise vermag das qualitative und damit die äussere, reale
F6rm, die den Inhalt unserer Sinnesempfindungen bildet, niemals zu
treffen. Aber eine umfassende Naturphilosophie kann das Qualitative auf
die Dauer nicht ignorieren und von Seite der Physik her bekommen Be-
firiffe neuerdings erhöhte Geltung, so besonders der der Intensität (S. 139 ff.),
aie direkt auf das Formproblem hinweisen. In diesem laufen die Fäden
des ganzen Buches in einen Knoten zusammen; diese letzten Erörterungen
weisen wesentlich auf die Zukunft hin und die Aufgaben, die eine Natur-
philosophie bewälti^n muss, wenn sie ein Gesamtbild des Natur-
geflchehens geben will.
StrassDurg i. E. Dr. 0. von der Pfordten.
van Biéma, Emil, docteur es lettres, professeur de philosophie au
lycée de Tours. L'espace et le temps chez Leibniz et chez Kant.
(1 vol. in-so.) Félix Alcan, éditeur.
Quel est exactement le fondement de Topposition des théories de
ren>ace et du temps de Leibniz et de Kant? Non seidement il n'est pas
aise de répondre à cette question, mais le sens précis de chacune de ces
théories est lui-même bien difficile à établir. Et pour résoudre ces dé-
licats problèmes, le lecteur français n*était aidé, jusqu^à présent, par aucun
livre spécial.
Celui de ranteor vient combler cette lacune. Il nous guide
à travers la complexité des problèmes spéciaux que suppose résolus une
théorie générale de Tespace et du temps, et détermine, en fondant chaque
assertion sur des textes précis, quelles solutions Leibniz d'abord, Kant en-
suite, ont voulu faire prévaloir de ces divers problèmes.
Cette étude est précédée d'un exposé des jugements de Kant sur la
théorie leibnizienne de la sensibilité, et des raisons qui Tont conduit à
rendre d'abord Leibniz, puis tes disciples, responsables de la confusion de
l'objet de sensibilité et ae robjet d'entendement.
KanUtsdivD XUI. 38
502 âelbstanzeigen (van Biétna—Bergmann).
Elle est suivie d^un examen approfondi de l'opposition des deox
théories et de ses conséquences, L'auteur reprend les proolèmes de Taprio-
rite, de rintuitivité et de la subjectivité pour montrer ce que, sur chaque
point, Kant apporte d'irréductiblement opposé aux vues de Leibniz, n est
surtout préoccui)é de la subordination logique, chez les deux philosophes,
des idées essentielles.
La subjectivité de l'espace et du temps apparait chez £[ant conune
la conséquence nécessaire de leur caractère d'intuitions a priori, tonte la
théorie se trouve ainsi expliquée i)ar la préoccupation de sauvegarder le
caractère spécifique du donné sensible en même temps que la valeur de la
réalité empiriq^ue, les preuves d'ordre transcendental sont prévalentes.
La relativité de l'espace et du temps (simples ordres) chez Leibniz
ne résulte pas moins nécessairement de sa conception de la réalité absolue
du monde, liée elle-même à son principe de raison suffisante et à sa con-
ception de Dieu ; et l'auteur déss^e des lettres à Qarke le serme d'une
antinomie, qui correspond assez oien, mutatis mutandis, a la célèbre
antinomie kantienne.
Tours. E. van Biéma.
van Biéma, Emil, docteur es lettres, professeur de philosophie an
lycée de Tours. Martin Enutzen, la critique de l'harmonie pré-
établie. (1 vol. in-8^ 3 frs.) Félix Alcan, éditeur.
Martin Enutzen, connu surtout comme maitre de Kant, est un des
représentants les plus intéressants de l'école Wolfienne. Son œuvre prin-
cipale, une curieuse thèse de 1735 qui prétend concilier l'expérience, le
piétisme, et la philosophie leibnizienne, est cependant fort peu connue
en France. Ce Système des causes efficientes essaye de fonder l'in-
flux physique, théorie condamnée par Leibniz, précisément sur les prind-
Ses ae la monadologie leibnizienne, et d'expliquer les rapports de l'âme et
u corps de manière à satisfaire en même temps les exigences de la raison
et celles de la foi.
L'auteur fait connaître la genèse de cette œuvre; il en domvB
ensuite une analyse très fidèle ; enfin dans le 3°**chapitre, les objections
de Foucher et de Bayle contre l'harmonie préétablie, auqnelles se
ralliait Knutzen, sont examinées, la liaison incussoluble qui unit dies
Leibniz la théorie de la monade et celle de rhfuroonie est mise en pleine
lumière, ainsi que les confusions grâce auqnelles Knutzen semble mener à
bonne fin son œuvre paradoxale.
Par là, ce livre peut servir d'introduction à l'étude du dogmatisme
leibnizio-wolfien d'Eberhard et de ses amis, de cette philosophie qui croT-
ait pouvoir atteindre le supra-sensible dans le sensible, et contre laqudue
s'éleva la Critique de Kant.
Tours. E. van Biéma.
Bergmann, Hugo, Dr.phil. Untersuchungen zum Problem der
Evidenz der inneren Wahrnehmung. Halle a. S., Niemeyer 1906.
Die Lehre von der Einsichtigkeit der innem Wahrnehmung, jah^
hundertelang für unanfechtbar gehalten, ist in der letzten Zeit m iCiss-
kredit geraten. Dies ist, wie ich glaube, die Folge davon, dass man ihre
Tragweite nicht abgegrenzt hat und sich dann oft •— wie ja auch anders-
wo — mit der Berufung auf die innere Evidenz der Mühe des Beweisens
entschlug. Meine Schrift will eine solche Umerenzung und dadurdi eine
Sicherung des Satzes leisten. Resultat ist: Evident sind die einfachen
(thetischen) Urteile, mit denen wir die psychischen Vorfi;ftnge in uns ane^
kennen. Dass dieses Anerkennen nicht mit dem einfiichen Dasein der
psychischen Tatsachen identisch ist, glaubte ich gegen Cornelius und
Up hu es aufrechthalten zu können. Dagegen musste ich zugeben, dass
der Satz der Evidenz innerer Wahrnehmung nicht die Prftdikationen be-
trifft, in denen wir das Angeschaute beschreiben und deuten. Dass es
auch hier Richtigkeit und Evidenz giebt, bleibt unangeswdfelt Aber
Selbstanzeigen (Jungmann— Wenzîg). oÔâ
wahrnehmen heisst nicht deuten. Cornelius, Husserl, Messer und an-
dere Forscher haben dies zwar bestritten und darauf hingewiesen, dass
jede Wahrnehmung etwas wahrnehme, also eine „Beziehung auf den
G^egenstand" darstellt: die letztere soll aber erst Resultat einer Deutung
sein, während ungedeutet die seelischen Vorgänge, und zumal die Empfin-
dungen, „erlebt werden, aber nicht gegenständlich erscheinen". Demgegen-
über meine ich, dass keinerlei Deutung die Beziehung auf den Gegenstand
(nicht etwa auf die Dinge ; Begriff e wie „Tisch" und „Stuhl" ttSlen uns
allerdings erst durch eine Bearbeitung zu;) in die psychischen Vorgänge
hineintragen könnte, wenn sie nicht m ihnen als ihr eigenstes Wesen läge.
Man hat dann auch gesagt, dass un interpretiert auch die äussere
Wahrnehmung, das Sehen, Hören u. s. w., (das Anerkennen von Farben,
Tönen u. s. w.) einsichtig ist. Aber wie wollte man diesen Satz halten,
wenn man der Naturwissenschaft zugeben musste, dass mindestens einige
von den Qualitäten, die wir wahrnehmen, in Wahrheit nicht existieren?
Man hat diesen Widerspruch verhüllt, indem man für die Farben, Töne
schlechtweg die yorgestellten Farben und Töne, für die wirklichen die
immanenten Objekte setzte. Allein die Annahme der immanenten Ob-
jekte ist, wie zuletzt Marty überzeugend nachgewiesen hat, eine fiktive
gewesen.
In einem letzten Abschnitt, in dem ich mich insbesondere mit
Meinongs Lehre von den evidenten Vermutungen auseinandersetzen
musste, versuche ich einiges zur Lösung der schwierigen Probleme beizu-
tra^n, die sich auf die Zeitanschauung in der Innern Wahrnehmung
beziehen.
Prag. Hugo Bergmann.
Jnngmann, R. René Descartes. £ine Einführung in seine
Werke. Leipzig, Fritz Eckardt, 1908. (X und 234 S.)
Natorps historisch-kritische Beurteilung eines fragmentarisch er-
haltenen Jugendwerkes Descartes' macht eine umfassende Nachprüfung
der herkömmlichen Des car tes -Interpretation notwendig. Das Unter-
nehmen ist umso mehr am Platze, als die imponierende, kritische Neuaus-
^be der Briefe des französischen Philosophen einen genaueren Einblick
in die Denk- Werkstätte, aus der die künstlerisch abgerundeten Werke
hervorgegangen sind, gestattet als dies bisher möglich gewesen ist. —
Ausgenend von seiner Mathematik und seiner Physik habe ich diese
Aufgabe zu lösen versucht. Es war mir dabei nicht darum zu tun, die
Descartes'sche Philosophie kritisch zu prüfen, sondern darum, Des-
cartes verständlich zu machen, zu zeigen, wie er sich aus dem Tatsachen-
material seiner Zeit zu einem dasselbe Deherrschenden einheitlichen Welt-
bilde durchgearbeitet und dabei unveräusserliche Normen des menschlichen
Geisteslebens festgelegt hat. Die Resultate führen mich zur Überzeugung,
dass Descartes mit Unrecht zum Antipoden Kants gestempelt wira.
Sachlich-logisch muss er Kant ganz nahe gerückt werden; auf dem Mittel-
wege, in welchen Empirismus und Rationalismus, Idealismus und Dogma-
tismus einmünden, reichen sie sich über die politischen und zeitlichen
Grenzen hin die Hand. —
Paris. K. Jungmann.
Weiizig, Carl, Prof. Dr. Die Weltanschauungen der Gegen-
wart in Gegensatz und Ausgleich. Leipzig, Queue Sl Meyer, 1907.
(14. Bd. der lämmlung „Wissenschaft und Bildung''.) (VI und 162 S.)
Die Welt ist oer in Zeit und Raum ausgespannte gegenständliche
Inhalt unseres Bewusstseins. In der Analyse dieses Bewusstseinsinhalts
besteht die Arbeit unserer modernen (phänomenalistischen) Erfahrungs-
wissenschaft. Ihr Ergebnis ist das wissenschaftliche Weltbild. Ausser
dem Bewusstseinsinhalt ist mir aber als psychisches Erlebnis noch ge-
geben das Selbstbewusstsein. Es ist die psychische Tatsache, dass mir in
33*
504 Selbstanzeigen (Spir).
jedem bewnssten Augenblick bewusst ist, dass der gegenständliche Be*
wnsstseinsinhalt heryorgebracht oder bewirkt wird anrch mein tätiges
Ich nnd zugleich, da dieses nur auf Beize hin tätig ist, durch eine andere
tätige Ursache : die Weltursache oder das Weltpnmdp. Beide tätige Ur-
sachen, das Ich und das Weltprinzip, sind im Unterschied von dem ge^n-
ständlichen Bewusstseinsinhaft nicht gegenständlich^ d. h. können mcht
durch Analyse verdeutlicht werden. Die Wissenschaft hat aber geglaubt
und glaubt heute noch, aus dem Selbstbewnsstsein, das im Sinne der mo-
dernen Psychologie dem Wundtschen Apperzeptionsakt entspricht, durch
Denkoperationen mehr, als das unmittelbare p^chische Erlebnis bietet,
herausbringen und so zu einer Erkenntnis der tVeltursache gelangen zu
können. In diesem Erkennenwollen der Weltursache besteht jede Welt-
erklärune, und durch sie wird das Weltbild der phänomenalistischen
Wissenschaft zur metaphysischen Weltanschauung. Der Verf. zeigt nun,
dass in den verschiedenen met^hysischen Weltanschauungen, die inner-
halb der Wissenschaft unserer 2feit einander feindlich gegenüberstehen,
immer nur dasselbe eine psychische Phänomen des Selbstbewusstseins ein-
seitig aufgefasst und durch das Denken verschieden gedeutet wird. In
dieser Erkenntnis liegt ein Verstehen der Berechtigung der verschiedenen
Weltanschauungen und zugleich auch die Aufdeckung des Er&dinmgsbe-
Standes, der der Eantischen Fundamentallehre, dass keine Wissensäaft
über unser Bewusstsein hinauszudrineen vermag, zu Grunde liegt und sie
bestätigt. Die Kantischen apriorischen Formen unserer Erkenntnis sind
selbst eine eigenartige erkenntnistheoretische Ausdeutung eben diesei
psychischen Erlebnisses des Selbstbewusstseins.
Breslau. G. Wenzig.
Sj^ir, A. Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung
der kritischen Philosophie. 4. Aufl. mit Titelbild nebst einer Skizze fiber
des Autors Leben und Lehre von Helene Claparède-Spir. Leipzig 1906.
Joh. Amb. Barth, Verlag. (647 S.)
In diesem soeben erschienenen 1. Band der Neuausgabe seiner
„Gesammelten Werke^ hat Spir vornehmlich seine Erkenntnisfehre darge-
stellt, die die Grundlage semes ganzen philosophischen Systems bilcfot
Im ersten Teil ist die Norm des Denkens, ab dem Begriff des Abso-
luten, dem Satze der Identität, dem „Ding an sich" entsprechend — be-
handelt; im zweiten Teil, die Welt der Erfahrung, deren Erforschung
durch die Naturwissenschaften zu dem endgültigen, unwiderlegbaren —
schon von Kant festgestellten — Ergebnis führt, dass die physische Welt
einer absoluten Wirklichkeit entbeml, uns aber eine soldie vorspiegelt,
vermittels unserer Sinnesempfindungen, die Kraft ihrer unwandelbaren
Gesetzmässigkeit derselben den Schein einer beharrlichen, absoluten
Wirklichkeit verleihen. Tatsächlich ist jedoch in der Körperwelt — der
Welt der „Phänomenal nirgends etwas unbedingtes, IfitsichselbstidentischeB,
kurz keine wahre Substanz anzutreffen. Unsere ganze Erfahrung beruht
folglich auf einer systematisch organisierten, natfirlichen Täuschung, welche
au&udecken und zu begründen Autoibe der Philosophie ist. Die wahre
Erkenntnis der Tatsachen kann uns aSein zur hohem J^nsicht fflhren, ans
der sich sodann mit logischer Notwendigkeit eine neue Welt und Lebens-
anschauung ergiebt.
Charakteristisch für A. Spirs geistige Entwickelung mag entschieden
der Einfluss Kants gewesen sein, der sich schon sehr fr& bei ihm geltend
machte. Als er noch in der Marineschule weilte, fiel ihm eines Tages
die „Kritik der reinen Vernunft" unter die Hände; worfiber er lange nach-
grübelte; von da an bekundete sich seine Leidenschaft zur Phifoeophie,
der er fortan sein Leben weihte. Dass er dem Studium Kants, dem er
sich femer ganz besonders gewidmet hat, viel verdankte, beweist schon
der Umstand, dass seine Ideen in naher Beziehung zu den Kantischen
fitehen, wenngleich er auch nicht stets mit ihm ûbereinstimmen konnte,
Selbstanzeigen (Miller). Ô05
da er, zu anderen Schlüssen geführt, weitergehende, selbständige Wege
verfemte.
. l)em oben erwähnten Werke habe ich — die Tochter Spirs — ausser
dem Bilde des Philosophen, eine kleine Einleitung beigefügt, in der ich
seinen Lebenslauf kurz zu schildern und seinen Gedankengang im Umriss
zu veranschaulichen, mich bestmöglich bemüht habe; dabei die innige
Hoffnung und Zuversicht hegend, oass die von meinem Vater vertretenen
Lehren in immer weiteren Kreisen Interesse und Verbreitung finden, und
immer mehr Früchte tragen mögen.
Genf. Helene Claparède-Spir.
Hamma, Matthias. Geschichte und Grundprobleme der Philo-
sophie. 2. Auflage. Gr. 8«. L Teil „Geschichte" (XVI, 84 S.); II. Teil
„System" (XV, 136 S.). Münster, Theissing, 1908.
Herr Bruno Bauch, der hier einem Vertreter katholischer Welt-
anschauung die Spalten der „Eantstudien" öffnet, glaubte in seinem Auf-
satze „Kant in neuer ultramontaner und liberal-katholischer Beleuchtung*'
konstatieren zu müssen, dass „das ultramontane Unvermögen, die philo-
sophische Tat Kants zu verstehen, ein radikales sei" und dass wir es in
den besprochenen Erscheinungen nicht mit etwas Vereinzeltem, sondern
mit etwas Typischem zu tun hätten". In beiden Fällen scheint mir das
doch zu schwarz gesehen. Von Herrn Sentroul, dem Löwener Neoscho-
lastiker (und neosâiolastisch darf hier wohl gleich „ultramontan"-philo-
sophisch gesetzt werden) giebt B. selbst zu, dass „er sich wenigstens um ein
Verständnis für die Lehre des grössten Denkers aer Neuzeit bemüht habe^,
von dem ebenfalls preisgekrönten Tübinger Theologen, Herrn Aicher,
wird man zugeben müssen, dass er nicht beim „Bemühen" stehen blieb,
{'a ich behaupte (und werde an anderer Stelle den erschöpfenden Beweis
iefem), dass dieses objektive, emstwissenschaftliche, unbefangene und
unpolemische Verhältnis zu Kant bei den bedeutendsten philosophischen
Schulen katholischen Charakters der Löwener und der Tübinger, die Regel
war und ist und dass deren namhafteste Vertreter nie zögerten, mit
Clemens Bäumker „einen Immortellenkranz niederzulegen am Grabe
des ^feisteafi^waltigen Denkers". Hier erinnere ich nur an die zahlreichen
Tflbmger 'fiieoloffen, die nun schon fast ein Jahrundert lang bei der dortigen
philosophischen Fakultät sich erfolgreich um den Lorbeer bewarben. Einen
der interessantesten davon, den foider allzii^ung verstorbenen Tübinger
Repetenten Matthias Hamma, dem kein geringerer als Christoph Sigwart
einst die Palme reichte, suchte ich durch eine Neuauflage seines einzigen
Werkes einer unverdienten Vergessenheit zu entreisten, nauptsächlich aes-
halb, weil bei seiner Darstellung der modernen Philosophie der Ton ein
ganz besonders würdiger und darum für seine Glaubensgenossen vorbild-
licher ist. Die Leser der „Kantstudien" werden übeirascht sein zu ver-
nehmen, dass für diesen katholischen Priester Kant nicht „das Büblein" ist,
^das mit Steinen nach den ewigen Ideen wirft", sondern „der mächtig
Ôeist, der alles bisher Geleistete umgestaltete'', der „Stamm, der die bis-
herigen Wurzeln in sich vereinigena, Träj^er aller jüngeren Gedanken-
schöpfnngen wurde", dass nach Hamma die Philosophie „als menschliche
Vemunftwissenschaft sich weder Rat noch Befehl von einem andern Stand-
pnnkt als dem der menschlidien Vernunft darf geben lassen". Auf dem
Grund eines solchermassen unbefangen ausgesuchten historisch-empirischen
Materials baut der Verfasser sein metaphysisches System auf, das schon
der Tübinger Preisrichter als „originell" rühmte und das in seinem gene-
rellen Teil in folgenden Endsätzen gipfelt: 1. Das Seiende ist, und das
Nichtsdende ist garnicht. 2. Alles Inende ist Setzung, Selbsterhaltong
geffen Nichtsein und Anderssein, ist Tun, Kraft, Wirken. 3. Alles
Seiende als Setzung gegen Nichtsein ist Selbstnnterscheidun^. 4. Alles
Seiende ist Abgrenzung von Nichtsein und innere Begrenzung m Einheit;
es ist Wesen. 5. Alles Seiende als Wesen ist Unterschied von allem
fi
506 Selbstanzeigen— Mitteilungen.
Seienden. 6. Alles Seiende ist Einheit, welche die Vielheit an sich tr&et;
als solches ist es der Zahl zugänglich, d. h. mathematisch. 7. AUes
Seiende ist ideell räumlich und zeitlich; wenn es real vieles Seiende
giebt, so ist dies real räumlich und zeitlich. 8. Alles Seiende ist in Be-
wegung. 9. AUes Seiende ist Substanz, welche Akzidenzen an sich
trägt, und welche konstant bleibt im Wechsel und Werden der Akzi-
denzen. 10. Kein Seiendes dagegen ist Nichtsein, keines rein all-
gemeines, keines rein passives Sein, keines ist unendlich (ohne
Ende, ohne Grenze weder der Zahl noch dem Baum noch der Zeit
nach). — Auf dem Fundament dieser ontologischen Thesen, die Hamma
empirisch und induktiv zu begründen sucht, glaubt er als Krone seines
Systems den Gottesbeweis unter Ausschaltung des Zweckmässigkeite-
argnmentes folgendermassen einwandfrei formulieren zu können: Die
Weltdinge sind real viele, und diese reale Vielheit fordert eine ihr zu Ghronde
liegende reale Einheit. Die Weltding^e sind real unterschieden und ids
solche gesetzmässige Unterschiede. I^derschiedensein und G^esetemSssij^
keit setzt aber Unterscheidung voraus, folglich ist der reale Weltgrund ein
unterscheidendes i. e. denkendes Sein. Abgewiesen ist hierdurch der
Materialismus und Naturalismus und sämtliche Philosophie des Unbewnssteo.
Aber nicht abgewiesen ist der Pantheismus. Denn ob der intelliffente
Weiterund die absolute Idee im hegelianischen Sinne sei, welche durch
Selbstunterscheidung alle Unterschiede i. e. die ^nze Welt aus sich heraoi
gebiert, oder der theistische Gott, das lässt sich auf der Stufe der ko«-
mologischen und teleologischen Weltbetrachtung nicht erkennen. Die
Entscheidung fällt für den Verfasser zu Gunsten des Theismus durch die
vom pantheistischen Standpunkte aus völlig unerklftrbare empirische
Tatsache des sittlichen Bewusstseins in seinen maimigf altigen Ver-
ästelungen der individuellen und sozialen Lebensführung. —
Bad Meinberg (Lippe). Dr. Alfred Miller.
Mitteilungen.
Preisaufgabe.
Für die „Krugstiftung * an der Halleschen Universität hat die Philo-
sophische Fakultät auf Antrag von Professor Dr. Paul Menzer folgende
Preisaufgabe gestellt:
Der Gottesbegriff
in seiner Bedeutong für Kants Naturphilosophie
in dessen vorkrittseher Periode.
Zur Bewerbung werden nur Studierende der Universität Halle
zugelassen. Ablieferungsfrist 1. Oktober 1909. Preis: 160 M.
Berichtigung.
Auf S.328 (Heft UI) Z.ll v.u. lies: ..nationalistischen'* statt ^rationalistischen"
Mitteilungen. 507
Erwiderung auf einen Angriff auf die Kantgiudien.
In dem „Frankforter Israelitischen Familienblatt^ in der Nummer
vom 4. Dez. 1908 findet sich ein Artikel von Maxime Le Maître-Giessen:
„Jüdische Professoren. Ein Beitrag zur jüdischen Martyrologie." In diesem
Artikel, der auch sonst sehr viele Uebertreibungen enthftlt, heisst es U.A.:
^aihin^er in Halle gibt seit Jahren die „Kantstudien^ heraus. In diesen
Kantstudien werden alle Gelehrten und Philosophen, die zur Kantischen
Philosophie irgend welches Verhältnis haben, behandelt — der Nestor der
Kantiscnen Philosophie in Deutschland, Hermann Cohen, wird systematisch
totgeschwiegen.^ Der Verfasser dieser Bemerkung kann unmöglich die
,,Kant8tudien^ jemals selbst in den Händen ^habt haben; jene Behauptung
widerspricht vollständig den Tatsachen. Diese Tatsachen lassen sidi um
so leichter konstatieren, als jeder der bis jetzt erschienenen 13 Bände der
„Kantstudien^ ein sorgfältiges ^Personenregister^ sowie ein vollständiges
^Verzeichnis der besprochenen Novitäten" enthält. In keinem der 13 Bände
fehlt der Name Cohen, in einzelnen ist er sogar sehr oft genannt, so so-
gleich in Bd. I 16 mal, in Bd. IV 11 mal, in Bd. XI 15 ma], in Bd. XU
11 mal, in Bd. XIH 8 mal; der VIH. Bd. wird eröffnet mit einer 29 Seiten
langen Abhandlung über: „Cohen's Loffik der reinen Erkenntnis" von
einem ihm nahe stehenden Gelehrten, ftofessor Dr. Staudinger in Darm-
stadt. Durch diese Tatsachen wird die oben angeführte Behauptung
von Maxime Le Midtre als eine völlig irrige widerlegt.
Höchstens könnte man sich darüber wundem, dass unter den auf dem
Umschlag der Kantstudien aufgezählten hauptsächlichsten „Mitwirkenden^:
(Adickes, Boutroux, Caird, Crei^hton, Dilthey, £rdmann, Eucken, K. Fischer,
Heinze, Reicke, Riehl, Windelband) der Name Cohen's fehlt. Aber als ich
im Herbst 1896 die „Kantstudien'' ins Leben rief, habe ich Cohen auf-
sefordert, sich an denselben zu beteiligen und zu erlauben, dass ich seinen
Namen den eben genannten Namen hinzufüge. Ich erhielt folgende Antwort :
Berlin N., Invahdenstr. 18 I, d. 9. 10. 95. Hochgeehrter Herr Kollege!
Ihr Prospekt mit Ihrem freun^chen Begleitschreiben sind mir nach manchen
Wanderungen durch die Schweiz endlicn zugegangen und haben mir Freude
gemacht. Ich danke Ihnen sehr für die gütigen Worte der Anerkennung,
welche Sie mir bei diesem Anlass aussprechen, und mit denen Sie meinem
Arbeitereemüt sehr wohl getan haben, umsomehr, als ich in dem ganzen
VierteUdrhundert, in dem ich nun in der bestimmten Richtung arbeite,
durch herzliche Anerkennung nicht verwöhnt worden bin. Sie müssen mir
daher verzeihen, dass ich jetiet, nachdem ich die W^e lange Zeit einsam,
und nur von wenifien Anhängern begleitet, meinen Wes; gegangen bin, mich
nicht mehr entsclmessen kami, Ihrer freundlichen Aufioraerung, der ich bei
anderen Lebenserfahrungen gern gefolgt wäre, anders als mit aufrichtigem
Danke zu entsprechen. Wenn ich einmal etwas fertig brin^n kann, was
ich Omen anbieten darf, so will ich es gern tun und der Zeitschrift selbst
in jedem Sinne das beste Gedeihen wünschen. Aber für die Mitwirkung bei
der Redaktion kann ich mich nicht verantwortlich machen. Mit nochmaligem
Duike und kollegialem Gmsse ihr sehr ergebener H. Cohen.
Leider hat Cohen den von mir begilndeten und seit eini^ien Jahren
gemeinschaftlich mit Privatodozent Dr. Bauch hier — der übrigens auch
ULngst seinerseits Herrn Dr. Görland, einen der nächsten Schüler Cohens,
zu einer besonderen, bis jetzt freilich noch nicht eingelieferten Abhand-
lung eigens über das System Cohens aufgefordert hat ~ herausgegebenen
„Kantstudien^ keinen Beitrat gegeben. Auch zu der von mir im Jahre
1904 gegründeten „Kant^esâlschaft" habe ich Cohen leider vergeblich
eingeladen. Aber |man wird wenigstens zugestehen, dass die Kantstudien
das ihrige getan haben, um Cohen gerecht zu werden.
Halle a. S., d. 8. Dez. 1908.
Prof. Dr. H. Vaihinger.
508 Mitteilungen.
Walter Simon-Preisaufgabe.
Das Problem der Theodicee in der Philosophie
und Litteratur des 18. Jahrhunderts mit
besonderer Rücksicht auf Kant und Schiller.
Die Verkündigung des Ergebnisses der Preisbewerbung um diese im
Juni 1906 ausgeschriebene Preisaufgabe sollte in den .Kantstudien* im Dezember
1908 erfolgen.
Aus zwei Gründen ist es jedoch nicht möglich gewesen, diesen Termin
einzuhalten. Einmal ist einer der 3 Preisrichter, Professer Dr. Eugen Kühnc-
m a n n an der Universität Breslau, unerwarteter Weise zum drittenmal zum sog.
. Austauschprofessor ■ für Amcrilta ernannt worden, und musste im September
seine Reise dahin antreten, so dass er seine Beteiligung an den Arbeiten der
Preisrichtericommission mitten abbrechen musste. An seine Steile wurde von ihm
und von den beiden anderen Preisrichtern, Professor Dr. Paul Natorp in
Marburg und Professor Dr. Theobald Ziegler in Strassburg i. E. in Überein-
stimmung mit der Geschäftsleitung der Kantgesellschaft, Professor Dr. Paul
Menzer an der Universität Halle cooptiert. Natüriich sind durch diesen
Wechsel die Verhandlungen der Kommission aufgehalten worden.
Zum Anderen ist aber auch die Arbeit der Preisrichterkommission dadurch
eine unerwartet grosse geworden, dass nicht weniger als 7 sehr umfang-
reiche Abhandlungen zur Preisbewerbung eingelaufen sind, deren genaue Prüfung
mehr Zeit in Anspruch nimmt, als ursprünglich in Aussicht genommen war.
Diese 7 Abhandlungen werden im Folgenden nebst ihren (abgekürzten) Mottis
hier aufgeführt, was zugleich als Empfangsbestätigung für die rechtzeitige Ein-
sendung der betr. Abhandlungen seitens der unbekannten Verfasser dient:
Seiten
No. 1 Motto: „Kannst du nicht . . .- . . . . 652
. 2 „ n®coç (tvttitioç , . ." 267
. 3 , ^AlUs Hödiste . . .* 485
, 4 , „D«M schönste Glück . . .' .955
, 5 „ nOXâaiÂSv Ott . . .* 652
dazu noch Anmerkungen . . . 528
n 6 „ „Unter einer Theodicee . ." . . 956
« 7 , Principibus . . .* 573
Summa: 5068
Es ist selbstverständlich eine überaus grosse und verantwortungsvolle
Arbeit für die Preisrichter, diese fünftausend Seiten (meistens Grossquart und
Folio) sorgfältig durchzulesen und gerecht zu prüfen. Das Ergebnis wird nun-
mehr in der nächsten Generalversammlung der Kantgesellschaft, am 22. April
(Kants Geburtstag) verkündigt und sodann durch die Presse (speziell die Königs-
berger Zeitungen, femer die „Nationalzeitung*, «Kölnische Zeitung* und .Frank-
furter Zeitung' u. A.) öffentlich bekannt gemacht werden. Das ausführiiche
Gutachten der Preisrichter wird in dem 2. Hefte des nächsten Jahrganges der
. Kantstudien • abgedruckt werden.
Halle a. S. im Dezember 1908.
Der Geschäftsführer der nKantgeselIschaff".
H. Vaihingen
Mitteilungen. Ô09
An die Mitglieder der Kantgesellschaft
Aus verschiedenen Gründen, teilweise typographisch-technischer
Natur, erscheint dieses Schlussheft des Xni. Bandes einige Woehen später
als sonst. Doch ist das erste Heft des XIV. Bandes auch schon in Angriff
genommen, so dass dieses voraussichtlich ebenfalls bald in die Hände
unserer Mitglieder ^langen wird.
Fast gleichzeitig mit diesem Hefte versendeten wir das Ergänzung-
heft No. 11 (Müller-üraunschweig, Die Methode einer reinen Etmk
u. s. w.) an unsere Mitglieder. Wie schon auf dem Umschlae^ und am
Schluss dieses 11. Heftes bemerkt wurde, kann Heft No. 10 (Amrhein,
Kants Lehre vom Bewusstsein überhaupt u. s. w.) wegen amtlicher Ver-
hinderung des Verfassers erst Anfang des nächsten Jahres versendet
werden; das umfangreiche Heft ist schon bis zum 8. Bogen gedruckt und
wird ca. 11 Bogen umfassen.
Im Laufe der letzten Monate haben wir noch für das Jahr 1908
folgende Jahresmitglieder gewonnen (vgL das vorhergehende Verzeichnis,
Bd, Xni, Heft 1 u. 2, S. 186):
KgL Universitätsbibliothek in Göttingen.
Dr. phiL Nicolai von Bubnoff, Freiburg i. Br., Zasiusstrasse 24.
Frau Professor Helene Claparède-Spir, Genf, Champel 11.
Oberstabsarzt Dr. Jos. Ans. Froehlicn, Dresden, Loschwitzerstrasse 4.
Adolf Hinze, Technischer Direktor, Wronke (Prov. Posen).
Geheimer Beg.-Bat Professor Dr. J. Im elm an n, Berlin-Cnarlottenburg 4,
Giesebrechtstrasse 18.
Dr. Richard Eroner, Freiburg i. Br., Schwimmbadstrasse 19.
Dr. J. Lange-Lonkorrek, Lonkorsz, Westpreussen.
Dr.phil. Iwan Lapschin, Privatdozent an der Universität St. Petersburg,
Eirotchn^ja 7.
Professor Dr. Rudolf Lehmann, an der Akademie Posen W. 3, Derff-
lingerstrasse 10.
Karl Linnebach, Leutnant im Badischen Pionier-Bataillon No. 14,
Kassel, Schlangenweg 9.
Dr. N. Losskij, Professor an der Universität St. Peterburg, Kabinets-
k^a 20.
Walter Mechler, cand. phiL, Jena rWeimar, Sedanstrasse 16 ^.
Joan Mongesco (aus Rumänien) z. Z. Leipzig, Hofmeisterstrasse 6 ^.
Referendar Fritz Münch, Strassbur^ i E.. Judengasse 34.
Dr. med. Robert Nitzsche (A. Zosimus) Dubuque (Jowa) U. S. A.
Cand. phil. Hans Prag er, Wien XIX« 1, Leideraorferstrasse 15.
Kgl. Realschuldirektor H. Richert, Pleschen, Prov. Posen.
Dr. P. H. Ritter, ord. Professor der Philosophie in Utrecht.
Professor Dr. P. Schwartzkojpff, am Gymnasium zu Wemi^rode a.Harz.
Dr. Theodor Valentiner, Oberlehrer am Alten Gymnasium, Bremen,
Humboldtstrasse 72.
Dr. J. Waldapfel, Professor am Übungs^ymnasium des Kgl. Unj^-
rischen Seminars für Kandidaten des höheren Schulamts, Buda-
pest Vm, Trefortstrasse 8.
Achim V. Winterfeld, Steglitz bei Berlin, Filandastrasse 1.
Dr. phil. et med. K. Wize, Jezewo bei Borek (Prov. Posen).
Professor D. Dr. G. Wobbermin, Breslau 18, Carmerstrasse 17.
Halle a. S., im Dezember 1908.
Der Geschäftsführer der ^Kantgesellschaft^.
H. Vaihinger.
Sach-Register.
Absolute, das 76. 200.
Achtung 3.
Âesthetik 97. 112. 124 f. 206. 249 ff.
Affektion 448.
Allgemeingültigkeit 76. 497.
Analogieschluss 368.
Angenehme, das 266 ff.
Animismus 278.
Anmut 102.
Anschauung 215. 424.
Anthropologie 207.
Anthropomorphismus 211.
Apperzeption (transsc.) 434. 469.
Apriori 205. 213. 247.
Assoziation 360. 497.
Atom 217. 498.
Aufklärungsphilosophie 69.
Aussenwelt 251. 461. 498.
Autonomie 49. 55. 92. 140.
Autorität 49. 492.
Axiome 428 ff.
Begriff 424.
Bewusstsein überhaupt 206. 215. 437 ff.
Bibel 5.
Bildung 105. 494.
Bi(^ogie 199.
Chemie 498. 600.
Christentum 3. 47 ff. 475.
Chronometrie 423 ff.
Constitutiv 375 ff.
Darwinismus 41.
Demonstration 423.
Denken 485. 497. 504.
Dependenz 246.
Depersonnalisation 135 f.
Deszendenztheorie 328. 336.
Determinismus 489 f.
Dialektik 215.
Dichtung 115.
Ding (-Kategorie) 246.
Ding-an-sich 163. 320 f. 438 ff.
Dogmatismus 209 f.
Doppel-Ich 476 f.
Dynamik 215.
Egoismus 189.
Einbildungskraft 56. 126.
Einfühlung 206.
Einzelwissenschaft 276.
Empfindung 152. 426 f. 464 f. 482 f. 497.
Empiriokritizismus 200. 441.
Empirismus 153. 200 f.
Energetik 199. 217. 397.
Erfahrung 138. 152 f. 242 ff.
Erhabene, das 97. 123.
Erkenntnistheorie 69. 130 f. 409 ff.
Erklärung 28.
Erscheinung 438 ff. 472.
Ethik 3. 90. 139. 491 f. 499.
Eudämonismus 139. 162.
Evidenz 502.
Existenz 444.
Form (Begr. d. F.) 125. 277. 601.
Frage 238 ff.
Freiheit 3. 80. 320. 487 ff.
Gefühl 296 ff.
Oegebenheit 389. 442.
GegenständUchkeit 35. 77. 160. 300.
G^genstandstheorie 228. 411.
Oeist 223.
Gemeinschaft 421 f.
Generalisation 360 ff.
Genetisch 21.
Genie 78 f. 186 f. 145.
Geometrie 169. 212. 424 ff.
Register.
511
lichte 16 ff. 79 f. 386. 403 ff.
imack 114. 123.
Ischaft 206.
iz 24. 158.
«zlichkeit 370.
ssen 499.
)en 42 f.
ueligkeit 499.
imatik 457 ff.
Bbegriff 446 ff.
dsätze 226. 386.
das 269 ff.
Tonomie 45. 140.
inität 67. 83. 103. 481.
•these 498.
das 215. 437 ff. 487.
60. 83. 116.
ität 216. 277.
itätsphilosophie 60. 104. 133.
ogie 279.
menz 76. 461 ff.
enninismus 489.
idaalismus 205.
idualität 83. 107 f.
ition 367 ff.
itismus 158.
-enz 246.
iwelt 250.
ligibel 106. 123. 320.
esselosigkeit (ästh.) 256. 495.
"sion 361.
ionalität (d. Wirkl.) 402 ff.
t als Persönlichkeit 145.
neue Briefe 193 f. 304 ff.
neue Büste 165.
sein Grab 167 ff.
sein Persönlichkeitsbegriff 194ff.
sein Stil 145.
Verhältnis zur Geschichte 475.
„ Medizin 193.
gorie 59. 139. 226.
g. Imperativ 93. 492.
olizismus 32 ff. 48 ff. 505.
algleichung 357. 391 ff.
KausaUtät 16 ff. 21 f. 216. 358 ff . 483 f.
489 f.
Kausalschiuss 391 f.
Kirche 50.
Komposition (künstler.) 255.
Konfessionalismus 40. 46.
Konformismus 501.
Konstruktion 423.
Kosmologie 287.
Kritizismus 131. 206 f.
Kultur 21. 27. 47. 160.
Kunst 112. 124. 207.
Logik 221. 245.
Logistik 432 f.
Materie 482. 498.
Mathematik 157. 199. 496. 500.
Menschheit 2. 103. 451.
Metageometrie 153. 212. 424 ff.
Metaphysik 69. 200. 499.
Methodenlehre 375 ff.
Monismus 182.
üatur 80. 198. 222. 320. 487.
Naturalismus 35.
Naturgesetz 157. 357 ff.
Naturphilosophie 208. 817.
Naturwissenschaft 27. 216.
Neovitalismus 199.
Nicht-Ich 215.
Nomologisch 25. 28. 405.
Notwendigkeit 77. 485.
Offenbarung 34.
Ontologie 204. 286.
Pädagogik 210 f. 334 f.
Panlogismus 235 f.
Parallelismus 133. 398.
Paralogismus 442.
Pathempinsmus 284.
Person 1 ff.
Persönlichkeit 3. 15. 194 ff.
Phänomenalismus 76. 485. 501.
Phänomenologie 222.
Physik 199. 49a 500.
Physiologie 199.
512
Register.
Positivismus 138. 230.
Pragmatisinus 478 ff.
Protestantismus 82 ff.
Psychologie 26. 124. 149. 199. 483.
Psychologismus 79.
Psychopathologie 135,
Psychopliysik 482 f.
Rationalismus 34 f.
Raum 153. 213. 421. 472.
Realismus 163.
ReaUtät 131. 204. 476.
Rechtsphilosophie 210 f.
Regel 24.
„Reiner Fall" 26. 372.
Reiz 239 f.
Relation 277.
Relativismus 409 ff.
Religion 47. 149. 204. 474 ff.
Rezeptivität 101.
Romantik 197 f. 231.
Sache 2.
Schöne, das 113. 119. 123. 253.
Scholastik 52. 359.
Schriftglaube 49.
Schule 481.
Semasiologie 459 f.
Sinnesqualitäten 263.
Sinnlichkeit 72. 87.
Sittlichkeit 119.
Skeptizismus 209 f. 359.
Sollen 95. 383.
„Spieltrieb" 495.
Spiritualismus 132.
Spontaneität 101.
Sprachphilosophie 457 f.
Staat 96.
Stoizismus 475.
Studentenleben 498.
Substanz 227. 278.
Succession 227. 388.
Syllogismus 359 f. 497.
Symmetrie 435.
Synthesis 239. 427 ff.
Technik (künstler.) 254 f.
Theologie 491 f.
Transscendentalphilosophie 69. 153.201.
Transscendenz 461.
Tugend 95. 500.
IJebersinnliche, das 73.
Ultramontanismus 32 ff. 43 ff.
Universalismus 205.
Unsterblichkeit 69.
Urteil 360 f. 412 f. 458.
Vernunft 46. 80. 227. 246 f.
Vemunftwesen 81.
Verstand 240 f.
Vorsehung 63.
Vorsokratiker 488.
Wahre, das 272 ff.
Wahrnehmung 136. 214. 887. 502.
Wahrscheinlichkeit 392.
Webersche Gesetz, das 482.
Wechselwirkung 133. 398.
Weltanschauung 257 ff. 503 f.
Weltgeist 230.
Wert 211. 228. 337.
Widerspruchsgesetz 485.
Wüle 245. 489 f.
Wirklichkeit 70. 418. 504 f.
Wissenschaftslehre 318 f.
Wohlgefallen (ästh.) 256 f. 344.
Würde 102.
Zahl 453 f.
Zeit 263. 421. 472.
Zufall 81. 157. 251.
Zweck 206.
Zweckmässigkeit 258 ff.
Register.
513
Personen-Register.
474.
lis 236.
er 605.
:agoras 338. 344.
limander 344.
arch 11.
oteles 3. 93. 96. 122.
i 276. 332.
•Idt 142.
larius 200 f. 286. 462.
)n 156. 214. 486.
aker 506.
460.
h 89. 205. 212. 347.
>. 442.
Qgarten 110. 118. 122.
64 f. 69.
mann 256.
eley 146 ff. 155. 214.
l. 340. 464. 486.
hardt 457.
Witz, K. V. 86. 93.
lenbach lOl.
ne 325.
ind 221.
ino 130 f. 462.
wski 476.
roax 167.
tano 226. 286.
m 406.
o 218.
enau 147.
er, Rose 305.
e 122.
in 13.
or 158.
rer 140. 146 ff. 212 ff.
K 431 f. 444 466 f.
tovsky 32a
•o 8. 12.
le 91.
en 11.
Cohen 131. 142 ff. 214.
238. 464 f. 471 f. 482.
607.
Cohn 2.82.
Ck)mmer 32 f.
Comte 167. 200.
Cornelius 502 f.
Coumot 199.
Couturat 199, 212. 482.
462.
Cues. Nik. v. 147.
Cyon 436.
Dacheröden, K. v. 93.
Darwin 235.
Dehmel 496.
Demokrit 333.
Descartes 146 f. 292. 322.
468. 484. 603.
Diderot 116.
DUthey 96. 136. 203. 222.
232. 474.
Dionysius Thrax 11.
Drews 219 f.
Dreyer 213.
Drill 142. 145.
Dubois-Reymond 328.
Dubos 85. 116.
Dühring 232.
Dugas 136.
Ebbinghaus 208. 232.
Ebstein 306.
Eisler 409.
Elsenhans 224. 227.
Empedokles 833. 344.
Engel 63. 86. 110.
Epiktet 7.
Epikur 122.
Erdmann, B. 331. 373. 497.
Erdmann, J. E. 484.
Eucken 152.209f. 222f. 236.
Euklid 212.
Ewald 464.
Falckenberg 33.
Farges 51 f.
Fechner 163. 482.
Ferguson 91.
Feuerbach 160.
Fichte 40. 60 f. 76. 80.
82. 88. 108. 110. 128.
160. 197 f. 201. 216.
219 ff. 230. 236. 817.
321 ff. 846. 360. 462.
477. 479 f. 487. 489.
494.
Fiedler 232.
Finck, F. N. 128.
Fischer, H. E. 146. 213.
Fischer, K. 211. 330. 360.
Forcellini 6.
Forster 73. 98.
Fries 222. 224. 227. 236.
Frischeisen - Köhler 231.
378. 382.
Galilei 322.
Oebert 46. 48.
Oellius 4.
Qentz 63. 73.
Geulincx 396. 484.
Glanvil 396.
Glossner 32 iL
Goethe 65. 101. 106. 106.
110. 126. 127. 236. 304.
328. 479. 490.
Goldschmidt 142.
Gomperz 201. 277.
Gregor von Nazianz 13.
Greiner 194.
Grelling 225.
Grimm, J. 4. 140.
Groethuysen 805.
Groos 206.
Haeckel 202. 348 f. 495.
Haller 101.
Hamann 69. 72. 120.
514
Register.
Hardenberg 360.
Hamack 117. 308.
Hartmann, Ed. v. 203.
219 f.
Hauptmann, Gterh. 496.
Haym 68. 61. 66. 88 f.
99. 128.
Hegel 40. 61. 83. 88. 110.
137. 169 f. 197 ff. 216.
220 f. 230. 283 ff. 319.
321. 323. 326. 347. 462.
479.
HeU 442.
Hemsterhuis 101. 116, 118.
127.
Heraklit 488.
Herbart 166 f. 346.
Herder 67. 69. 87 f. 101.
106. 108. 110. 116 f. 234.
479.
Hermann 487.
HQrz, Henr. 98.
Herz, Marc. 312.
Hessenberg 226.
Heymans 419.
Hicksou 397. 399 f.
Hubert 199.
Hobbes 166. 214. 486.
Höffding 194. 236.
Hönigswald 148.
Homeffer 233.
Haber, Th. 63.
Hufeland 310 f.
Humboldt, Alex. v. 66.
101. 109.
Humboldt, Wilh. v. 67 ff.
164 f. 286.
Hume 79. 146 ff. 167.214.
247 f. 272. 279. 396 f.
442. 460. 464. 467. 484.
Husserl 130. 227 f. 298.
477. 486 f. 497. 608.
Hutcheson 91.
Jachmann 476. 480 f.
J^cobi 16. 40. 63 ff. 69 fL
84. 87. 92 ff. 98ff. 284.
443.
James 149. 232. 475 479-
Jerusalem 480.
Kaftan 33 ff.
Eertz 213.
Keyserling 233.
Kierkegaard 495.
König 388.
Kömer 66. 77. 112. 114.
120.
Kohut 306.
Kraus 43.
Krishaber 136 f.
Kühnemann 82. 117. 126.
129,
Külpe 213. 441. 474.
Lange 232.
Lask 210.
Lasson, G. 22.
Lavater 69. 119.
Lehmann, M. 232.
Lehmann, R. 360.
Leibniz 16 f. 64. 78. 75.
84 f. HO. 122. 146 ff,
199. 213 f. 218. 413 f,
468. 484. 496.
Leitzmann 61. 106 ff.
Leroy 13.
Lessing 64.
Liebmann 384. 424.
Lindner 304.
Lipps 136. 206. 208 f.
217 ff. 232. 474. 477.
Lobatschewsky 212.
Locke 146 f. 214. 450.
464 ff. 486.
Lotze 137. 201. 266 ff.
374. 881.
Lucian 10.
Luther 5 f. 34 ff.
RIacchiayelli 360 f.
Mach 202. 232. 441 f. 460.
462. 603.
Maeterlinck 231.
Maier 189. 418.
Maine de Biran 484.
Malebranche 396.
Marschner 255.
Marty 503.
Massow 350.
Mayer, R. 897.
Medicus 52. 21.S. 215. 346.
Meier 110.
Meinong 228 f. 415. 419.
430. 452. 603.
Melanchtbon 13.
Mendelssohn 63 f. 86. 110.
121.
Messer 232.
Mül 167.
Moritz, K. Ph. 110. 116.
127.
Motherby 311.
Müller, Joh. 163. 483.
Münch 211.
Münsterberg 232.
Natorp 143. 147.199.218.
232. 333. 449. 471. 482.
603.
Nelson 224. 226.
Newton 147. 214. 322.
Nietzsche 40. 231 f. 460.
477.
Nitzsch 3.
Novalis 233 ff.
Oesterreich 116.
Ostwald 202. 208 f. 211.
217. 232.
Pasch 433.
Passow 480.
Paulsen 33. 54. 203. 205.
232. 481 f.
Pestalozzi 480 f.
Pfleiderer 60.
Pick 136.
Plato 3. 41. 56. 63. 110.
118. 127. 332. 462. 484.
488.
Plotin 219.
Poincaré 199. 212. 481.
Polybius 6.
Registei*.
Ôlô
467.
Sebleientiacher 367. 494.
Tolstoi 231.
as 12.
Schksier 57 f. 126.
Trendelenburg 330.
g:oras 480.
Schlossmann 194.
Troeltsch 207. 232.
Schömann 11.
Trubezkoj 462.
309.
Schopenhauer 75. 220. 232.
474.
390. 46â. 4B2. 484. 496.
IJphues 348. 409 ff. 602.
ke 462.
Schubert, Joh. 236.
e 142. 304. 310.
Schütz 308.
72. 93.
Schuppe 54. 462.
Taihinger 238. asi.
232.
Schwenck 5.
Varro 11.
eck 467.
Seneca 8.
Veronese 168.
135.
Sentroul 51 f. 505.
Vinci, Leon, da 322.
rt 118. 149. 161 f.
Servet 18.
Vischer 361.
ff. 209. 215.
218.
Shaftesbury 87. 91. 96 ff.
Volkelt 203.
. 375 ff. 398. 403 f.
110.
Vorländer 142. 213. Sil.
449. 462. 498.
Siegel 234.
204 f. 317. 348.352.
Sigwart 232. 3731 385 ff.
Warming 328.
ff. 416 ff. 428 ff.
400.
Weber 480.
Simmel 107. 223. 232. 401.
Wegener 64 f.
il 150. 387.
407.
Wellstein 430.
ikranz 58.
Smith, Ad. 91. 270.
Wille 828.
457.
Sommer 88. 118. 125.
Willmann 62 ff.
eau 87. 92. 95.
479.
Spencer 479.
Winckelmann87. 110.1161
U 199. 212.
Spicker 486.
Winddhand 149. 162.2041
Spinoza 214. 218. 479.
210. 216. 218. 229. 232.
328.
SsDlowjew 462*
850, 373. 378 ff. 404.
;hick 234.
Stammler 199.
Wobbermin 213.
iki 194 f.
Steinthal 11. 58. 89. 128.
WöUner 350.
I 32 f. 43.
Stem 308.
Wolf, F. A. 480.
ling 61. 76. 88.
104.
Stimer 282.
Wolff, Ch. 16. 64. 69 ff.
. 118. 126. 128.
133.
Stumpf 200 f. 228 f. 232
84. 87. 413 1
. 197 f. 201.
209.
419.
Wolff. Kasp, Fr. 328.
. 819 ff . 230. 233 ff.
Sulzer 85. 110. 116. 118.
Wundt, W. 153. 201 ff. 208
ff. 343. 462. 491.
122.
211. 232. 410. 474. 483
er 67 ff. 67. 80
. 82.
!. 100. 106. 108.
112.
Taine 136.
. 126. 496.
Teles 8.
Xenophon 63.
pp 120.
Tertullian 12.
çel, Fr. 76.
Thomas 66. 452.
Zola 232.
516
Register.
Besprochene Kantische Schriften.
(Chronologisch.)
Allgem. Naturgeschichte und Theorie
des Himmels 331.
Der einzig mögl. Beweisgrund zu einer
Demonstration für das Dasein Gottes
71.
Versuch über die Krankheiten des
Kopfes 136.
Beobachtungen über das Gefühl des
Schönen und Erhabenen 331.
Träume eines Geistersehers 136. 331.
Von dem ersten Grunde des Unter-
schiedes der Gegenden im Räume
48Ö.
Von den verschiedenen Rassen der
Menschen 307.
Kritik der reinen Vernunft 66. 110. 116.
142. 144 f. 1Ô9. 163. 240. 256. 307 ff.
323. 413. 437. 439 f. 447. 471.
Prolegomena 331. 413. 432. 501.
Idee zu einer allgemeinen Geschichte
in weltbürgerl. Absicht 82.
Ober die Vulkane im Monde 307.
Vonderünrechtmässigkeit des Bücher-
nachdrucks 307.
Bestimmung des Begriffs einer
Menschenrasse 306.
Grundlegung zur Metaphysik der
Sitten 96. 306. 308. 331.
Metaphysische Anfangsgründe der
Naturwissenschaft 47 f.
Kritik der praktischen Vernunft t
313 ff. 324 f.
Kritik der Urteilskraft 67. 76. 78. 88 f
. 95 ff. 110 f. 113 ff. 121 ff. 249 ff.
319 ff. 327 ff. 331.
Die Religion innerhalb der Grenzen
der blossen Vernunft 213. 825.
Die Metaphysik der Sitten 16. 157 ff.
Über die Macht des Gemütes 310 f.
Der Streit der Fakultäten 213. 331.
Anthropologie 135. 213.
Fortschritte der Metaphysik 4.S4. 437.
Vorles. über Metaphysik 455.
Reflexionen 444. 555.
Briefe 193. 304-312.
Verfasser besprochener Novitäten.
Antoniade 163.
Apel 352.
Amoldt 329.
Bauch 342.
Becher 498.
Bergmann 502.
Bertling 382.
van Biéma 501.
Biermann 164.
Beelitz 157.
Braun 133. 342.
von Brockdorff 346.
Burckhardt 349.
dlaparède-Spir 504.
Conrad 162.
Drews 317.
Ehlers 334.
Eisler 130.
Engel 164.
Ewald 339.
Flügel 155. 345.
Fröhlich, F. 36a
Fröhlich, J. A. 337.
€k>mperz 489.
Gottschick 491.
Gutberiet 333.
Hamma-MiUer 505.
Hansen 328.
von Hartniann 137.
Register.
517
Hoffmann 343. 494.
Homeffer 488.
James 474. 478.
Jungmann 503.
König 162.
Kohlmann 348.
Koppelmann 161.
Kroner 497.
liang 483.
Lasson 169. 487.
Ledere 344.
Leser 489.
Lossk^ 461.
Marcus 140.
Marty 467.
Mau 331.
Messer 497.
Mott-Smith 163.
Muthesius 480.
Nestle 488.
Gestenreich 136.
Paulsen, J. 162. 482.
Petronievics 168.
V. d. Pfordten 600.
Renner 331.
Richert 361.
Rüge 160. 493.
Sanus 351.
Schiller 478.
Schmidtkunz 334.
Siegel-Couturat 352.
Sigwart 139.
Simon 496.
de Sopper 154. 486.
Speck 335.
Spir 504.
Stange 337.
Sternberg 481.
Troeltsch 149.
Walther 345.
Weiss 317.
Wenzig 603.
Wilmanns 848.
Verzeichnis der Mitarbeiter.
Antoniade 163—164.
Apel 362.
von Aster .S33— 334.
Baensch 18—31.
Bauch 32—56. 335—337.
342. 481—482.
Beclier 498—500.
Bergmann 502—503.
van Biéma 501—502.
Biermann 164.
Boelitz 157—158.
Braun 137—139. 342—343.
488—491.
von Brockdorff 346—348.
von Bubnoff 367-408.
Burekhardt 349—360.
K&ntHodlen XIU.
€laparède-Spir 604—505.
Cohn 328—329. 480—481.
Conrad 162—163.
Engel 164—165.
Eucken 1—17. .
Ewald 197—237. 339—341.
Falter 482—483.
Flügel 156-166. 346.
Fröhlich 360-361,
Honigs wald 409—466.
Hoffmann 133-136. 348
-344.
Jacoby 478-480.
Jorges 339.
Jungmann 503.
König 162. 483—486.
Kohlmann 348—349.
Koppelmann 161— 162. 491
—493.
Kroner 497-498.
Lasson, G. 159—160.
Ledere 344—346.
Losskij 461—463.
Haas, A. 493-496.
Maas H. 139-140. 149 -
162. 334.
34
518
Register.
Marcus 464—466.
Marty 457—460.
Medicus 317—328.
Menzer 304—312.
Messer 130—133.274-303.
497.
Miller 506—006.
Mott-Smith 153-154.
der Mouw 585. 587.
Watorp 315—316.
Oesterreich 474—478.
Paulsen. J. 152—153. 829
—331.
Petrenievics 158—159.
V. d. Pfordten 500—501.
Bichert 351.
Eomundt 313—314.
Buge 160—161.
Sanus 351—352.
von Schubert-Soldem
—279.
Schwarz 334—335.
Siegel 352—353.
Simon 496.
de Sopper 154—155.
Spranger 57—129. 135-
137. 337.
Stadler 238—248.
Trendelenburg 2—17.
Vaihinger 165-197. 607
-509.
Walther 345-346.
Wenzig 503—504.
Wümanns 348.
Wüst 140—149. 467-473.
Wundt, M. 331—333.
Ergänzungshefte der „Kantstudien".
(Verlag von Reuther & Reichard in Berlin W. 9.)
Für Abonnenten der „Kantstudien" zu ermässigtem Preis.
= Für Jahresmitglieder der „Kantgesellschaft** gratis. =
Zum Band XI (1906).
1. €ruitniann, J., Dr. phiL Kants Gottesbegriff in seiner
positiven Entwicklung. IV u. 104 S. Mk. 2.80. (Mk. 2.10.)
2. Oesterretch, K., Dr. phil Kant und die Metaphysik.
VI u. 130 S. Mk. 3.20. (Mk. 2.40.)
3. Döring, O., Dr. jtir. et phü. Feuerbachs Straftheorie
und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie. IV u. 48 S.
Mk. 1.20. (Mk. 0.90.)
Zum Band XII (1907).
4. Kertz, 6?., Dr. phü. Die Religionsphilosophie Joh. Heinr.
Tieftrunks. Ein Beitrag zur Geschichte der Kantischen Schule.
Mit einem Bildnis Tieftrunks. Vni u. 81 S. Mk. 2.40.
(Mk. 1.80.)
5. Fischer, H. E., Dr. phü. Kants Stil in der Kritik der
reinen Vernunft nebst Ausführungen über ein neues Stil-
gesetz auf historisch -kritischer und sprachpsychologischer
Grundlage. VHI u. 136 S. Mk. 4.-. (Mk. 3.—.)
6. Aicher, Sev,, Dr. phü. Kants Begriff der Erkenntnis,
verglichen mit dem des Aristoteles. Gekrönte Preis-
schrift. XII u. 137 S. Mk. 4.50. (Mk. 3.60.)
l.Dreyer, M., Dr. phü. Der Begriff Geist in der deutschen
Philosophie von Kant bis HegeL IV u. 106 S. Mk. 3.20.
(Mk. 2.40.)
Zum Band XIII (1908).
8. (ySuUivan, Joh/n M., Dr. phU. Vergleich der Methoden
Kants und Hegels auf Grund ihrer Behandlung der Kategorie
der Quantität. VI u. 129 S. Mk. 4.50. (Mk. 3.60.)
9. RndemakfiTf Franz, Dr. phü. Kants Lehre vom inneren
Sinn in der Kritik der reinen Vernunft. 45 S. Mk. 1.75. (Mk. 1.40.)
10. Amnrhein, Hems, Dr. phü. Kants Lehre vom ^Bewusstsein
überhaupf" und ihre Entwickelung bis auf die Gegenwart.
l\. MiUler-Braunschweig, KoatI. Die Methode einer reinen
Ethiky insbesondere der Kantischen, dargestellt an einer Ana-
lyse des Begriffes eines „praktischen Gesetzes". VI u. 73 S.
Mk. 2.80. (Mk. 2.10.)
(Fortiettung utmtekend.)
Ergänzungshefte der „Kantstudien".
(Verlag von Reuther & Reichard in Berlin W. 9.)
Für Abonnenten der „Kantstudien^ zu ermässig^m Preis.
= Für Jahresmitglieder der „Kantgesellschaft" ^atis. =
Zar Publikation in den „Ergänzungsheften'* der Eantstudioft
sind für das Jahr 1909 folgende Arbeiten in Aussicht genommmil
Stiche, Kurt, Dr. pkä. Kants Prinzip der Autonomie itt
Verhältnis zur Idee des Reichs der Zwecke.
Jorges, Jß*, Dr. phiL Kants Lehre vom Rechtszwang.
Eine vergleichende Studie mit besonderer Rücksicht auf Rudidf
Stammler.
Schmiti, Karl. Kants Einfluss auf die englische Ethik.
Ausserdem noch andere Arbeiten, u. A. voraossichtlich eiot
Abhandlung über „Das Problem der Theodicee, mit besondmr
Rücksicht auf Kant und Schiller".
j^n die J4itglieder der Xantgesellschqff.
Tjeft // erscheint ausnahmsweise vor Jjeft !0. 3>er Verfasser
vonJjefi töy das schon beinahe fertiççestellt ist, ist durch amt-^
liehe Çeschâfte abgehalten worden, so dass das fpe/t erst anfangs
nächsten Jahres erscheinen kann; Tjeft W wird noch zum Jahr-^.
gang /9Câ als €rgànzungshefl nachgeliefert. \
Tjalle ff. 5., im 2>ezember 1908.
Ç. Vaihiifjftr.
r4aex.^a*».i
Ml
Band XUI. Heft 4.
^ 8 1908
KANT-
STUDIEN.
PHILOSOPHISCHE ZEITSCHRIFT
UNTER MITWIRKUNG VON
E. ADICKES, É. BOUTROUX, EDW. CAIRD,
J. E. CREIGHTON, W. DILTHEY, B. ERDMANN, R. EUCKEN, M. HEINZE
A. RIEHL, F. TOCCO, W. WINDELBAND
UND MIT UNTERSTÜTZUNG DER .KANTGESELLSCHAFT-
HERAUSGEGEBEN VON
D"«- HANS VAIHINGER 1^3 D« BRUNO BAUCH
PROFKSSOR IN HALLE. PRIVATDOCRNT IX HALLE.
BERLIN,
VERLAG VON REUTHER & REICHARD
1908.
WILLIAMS é NOROATK, LKMCKB * BUECHKKR,
LONDON. NEW YORK.
If LK hOlIDIKU. CARLf) rrLAVSRN,
1>AR18. TORINO.
An«ir< beB ■«» •• 1lea««;b«T \%%ll.