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UC-HRLF
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EXCHANGE
Karl Ernst von Baer als Geograph.
Von
Adolf, Heydenreich
aus Nürnberg.
Von der
K. Technischen Hochschule zu München
zur
Erlangung der Würde eines Doktors der technischen
Wissenschaften genehmigte Dissertation.
Referent : Korreferent :
Prof. Dr. Siegmund Günther. Prof. Dr. Hermann Ebert.
Mit 3 Kärtchen.
MÜNCHEN
THEODOR ACKERMANN
Königlicher Hof-Buchhändler.
1908.
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Karl Ernst von Baer als Geograph.
Karl Ernst von Baer, der berühmte deutsch-russische Baers stei-
lung m d«r
Naturforscher gehört zu denjenigen Vertretern seiner Wissen- ^^^^^^
Schaft, welchen die Nachwelt das ehrende Prädikat eines haupt.
„Klassikers" ^) verliehen hat. Seine wissenschaftliche Tätig-
keit macht ihn dieser Auszeichnung würdig; sie stellt ihn in
eine Reihe mit Alex. v. Humboldt, Darwin, Liebig
und anderen Grössen der Naturwissenschaft. Geboren am
17. (29.) Februar 1792 auf seines Vaters Gut zu Piep in
Esthland erhielt er seine erste wissenschaftliche Ausbildung
als Mediziner 1810— 14 zu Dorpat, einer Universität, die da-
mals noch das Gepräge einer rein deutschen Hochschule
trug. Zur Fortsetzung seiner Studien begab er sich 1815
nach Deutschland, wo er zu Wien, Würzburg und Berlin
Schüler der bedeutendsten Gelehrten war, bis er 1817 in
Königsberg Prosektor, 1819 a. o. und 1822 o. Professor der
Zootomie wurde. Eine Zeitlang konnte diese preussische
Universität hoffen, den ausgezeichneten Gelehrten für immer
gewonnen zu haben, da eritschloss sich Baer 1834 als Zoologe
nach St. Petersburg überzusiedeln, das ihn schon 1829 zum
Mitglied der Akademie der Wissenschaften ernannt und
vorübergehend (W. S. 1829/30) bei sich gesehen hatte. Un-
zertrennlich ist nun der Name Baers mit der Geschichte
dieser wissenschaftlichen Körperschaft verbunden, der er fast
ein halbes Jahrhundert angehörte, „nicht bloss ihre Zierde
und ihren Stolz, sondern auch lange Jahre hindurch ihre
Seele bildend. "2) 1862 schied er aus seiner amtlichen Stel-
^) Klassiker der Naturwissenschaften, herausgeg. von L. Brieger-
Wasservogel III. Bd. K. E. v. Baer von Wilh. Haake.
*) Schrenck in der Grabrede. Bei Stieda: Karl E. v. Baer.
Eine biogr. Skizze. Braunschweig 1886, Seite 99.
1
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lung aus und zog sieh von persönlichen Gründen geleitet
nach Dorpat zurück, wo er, bis zum letzten Augenblicke
tätig, 1876 am 16. (28.) November sein reich gesegnetes
Leben schloss.
Karl Ernst von Baer war, wie sein Freund G. v. Hel-
mer sen von ihm in einem Nachrufe sagt, ^) „ein Mann, wie
sie in ganzen Jahrhunderten nur selten erschienen sind. Ein
genialer Mann der Wissenschaft und der Forschung, begabt
mit durchdringendem kritischen Verstände, mit ungewöhn-
lichem Beobachtungstalent, mit Ausdauer und Energie bei
der Arbeit. Die Erde und ihre Bewohner waren das grosse
Feld seines Forschens und er brachte zu seiner Arbeit nicht
nur eine tiefe philosophische Bildung, sondern auch einen
Apparat der gründlichsten Kenntnisse in mehreren Disziplinen
der Naturwissenschaft mit, wie ihn manche grosse Geister
unserer Zeit nicht besessen haben." „Sein Name ist mit
grossen Zügen in das Buch der Wissenschaft und ihrer Ge-
schichte eingetragen."
Das Gebiet von Baers Tätigkeit ist die Naturwissen-
schaft in ihrer weitesten Fassung. Man kann wohl
wie dies auch Stieda^) tut, im allgemeinen sagen, dass
Baer anfangs hauptsächlich Zoologe, Anatom und Embryo-
loge war, dann vor allem Geograph und schliesslich Anthro-
pologe wurde. Und doch war er „keines von allem, er war
viel mehr, er war alles zusammen: Naturforscher im
weitesten Sinne des Wortes; jede der obigen Bezeichnungen
deutet nur eine Seite seiner Tätigkeit an."
„Baers Bedeutung ist eine universale, für alle Zukunft
dauernde. Bleibendes hat er geleistet durch seine Typen-
lehre, Bleibendes durch seine Begründung der Entwicklungs-
geschichte, Bleibendes in Geographie und Anthropologie und
Ethnographie." 3)
^) Helmersen: Nachruf an Baer in der St. Petersburger Ztg.
1876 Nr. 305 bei L. Stieda a. a. O. Seite 194.
*) L. Stieda. a. a. O. Seite 198.
') Stölzle: K. E. v. Baer und seine Weltanschauung. Regens-
burg 1897. Seite 32.
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In seiner allgemeinen Bedeutung für die Naturforschung
ist Baer auch von Stieda und Haake in eigenen Bio-
graphien gewürdigt worden; seine Weltanschauung ist der
Gegenstand einer gründlichen Darstellung Stölzles ge-
worden; nur seine Stellung zur Geographie und ihren
Problemen ist noch nicht im besonderen beleuchtet worden.
Als ein Versuch dazu nun seien die folgenden Ausführungen
gedacht.
Zunächst soll davon die Rede sein, welche Auffassung
Baer von der Geographie als Wissenschaft hatte.
Dabei müssen wir uns daran erinnern, dass um die
Zeit, da Baer sich der Geographie mehr und mehr zuwandte,
diese Wissenschaft bereits in ein neues Zeitalter der Blüte ^
eingetreten war. Aus der unwürdigen Stellung, die sie als
Dienerin anderer Wissenschaften, besonders der Geschichte
eingenommen hatte, hatte sie sich zur Selbständigkeit empor-
geschwungen. Zwei berühmte deutsche Namen sind es, an
die sich diese Entwicklung der Geographie knüpft: Alex,
v. Humboldt u. Karl Ritter. Jener Meister in der Kunst
des wissenschaftlichen Reisens wie in der Darstellung des
Beobachteten; dieser Schöpfer der vergleichenden Länder-
kunde. Ein neuer Geist war durch sie in die Wissenschaft
eingezogen. Baer zeigt sich von diesem erfüllt, wenn er
seine Ansicht über Geographie ausspricht.
Wie er über sie urteilte, welch grosse Bedeutung er ß^jj^urteii
ihr beimass, erkennen wir deutlich aus den Worten, mit^^^srap^^i«-
denen er 1839 das Erscheinen der „Beiträge zur Kenntnis
des Russischen Reiches und der angrenzenden Länder" an-
kündigt. Der Plan zur Gründung dieser Zeitschrift war von
Baer und Helmersen zu einer Zeit gefasst worden, als
Baer infolge seiner Reisen nach dem Norden (Nowaja-Semlja
1832, Finnische Inselwelt 1838/39) und seines regen Verkehrs
mit ausgezeichneten Reisenden wie Zivolka, v. Lütke,
v. Krusenstern, v. Wrangell immer mehr von seinem ur-
sprünglichen Wissensgebiet, der Anatomie und Embryologie,
abgelenkt und der Geographie zugeführt worden war. Manchen
für die Geographie Russlands wertvollen Aufsatz hat dieses
Journal gebracht, und Baer hat zu einigen derselben ein
1*
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Vorwort geschriebeai oder Anmerkungen gdiefert. In dem
I. Bande*) spricht er sich folgendermassen über Geographie
aus: „Die Geographie im weitesten Sinne des Wortes ist
eine Wissenschaft geworden von dem allgemeinsten Interesse,
seitdem die Arbeiten eines Humboldt und eines, Ritter
anschaulich gemacht haben, dass nicht nur die Gesetze der
Verbreitung der organischen Körper, sondern zum grossen
Teile auch die Schicksale der Völker an der Erdoberfläche
geschrieben stehen. In der Tat ist die Weltgeschichte, im
ganzen übersehen, die Entwicklung zweier Bedingungen : der
Beschaffenheit des Wohngebietes der Völker und der inneren
menschlichen Anlage der letzteren. Es ist daher in unseren
Tagen, ausser dem speziell geographischen, auch das ethno-
graphische Interesse sehr gesteigert, und je mehr die euro-
päische Zivilisation sich verbreitet und alle Verhältnisse
gleich zu machen strebt, um so mehr muss man bemüht
sein, treue und vollständige Gemälde der gesellschaftlichen
Zustände auf allen Stufen der Ausbildung zu erhalten. Nur
aus ihnen wird sich die innere Anlage des Menschen, modi-
fiziert nach den Stämmen und Völkern, erkennen lassen. Das
Russische Reich darf diesen Bestrebungen nicht fremd bleiben
und ist ihnen in neuester Zeit nicht fremd.''
^hfsSe^^e.' S^ betont Baer die Wichtigkeit geo- und ethno-
Petereburgs graphischcr Studien als Voraussetzung der Geschichtsforschung
und hält es dabei für eine Ehrenpflicht des Russischen
Reiches, hierin nicht zurückzubleiben. Er fühlt in diesem
Punkte als russischer Patriot, den es schmerzt, dass sein
V^aterland bei dem Wettbewerbe der Nationen auf dem Ge-
biete wissenschaftlicher Betätigung zurückbleiben könnte.
Dies tritt noch mehr zu Tage bei einer anderen Tat Baers,
die sein Interesse für Geographie zeigt, bei der Gründung
der Geographischen Gesellschaft in St. Petersburg 1845. Da-
mals war gerade Middendor ff von seiner sibirischen Reise
zurückgekehrt; man feierte den kühnen Reisenden bei einem
grossen Festmahle. Hiebei empfand man es als einen be-
*) Baer un<i Helmersens Beiträge zur Kenntnis des russischen
Reiches I Bd. St. Petersburg 1839.
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klagenswerten Missstarid, dass kein Verein in Russland be-
stehe, der die Verdienste eines solchen Mannes wie Midden-
dorff gebührend hervorhebe und sie auch im Westen
Europas, etwa in deutscher oder französischer Sprache, be-
kannt mache. Aus solchen Erwägungen heraus schritt man
zur Gründung einer Geographischen Gesellschaft. Baer
und die Admirale V. Lütke und v. Wrangeil bildeten den
Stamm, bald schlössen sich andere Freunde der Geographie
an. Baer wurde i. Vorsitzender der Sektion für Ethno-
graphie. Er hatte wesentlich zur Gründung der Gesellschaft
beigetragen und brachte ihr auch ferner lebhaftes Interesse
entgegen. So schrieb er für das von ihr herausgegebene
Taschenbuch eine Abhandlung „Ueber den Einfluss der
äusseren Natur auf die sozialen Verhältnisse der einzelnen
Völker und die Geschichte der Menschheit'*^), von der hier
gleich die Rede sein soll, weil die schon oben erwähnte An-
sicht Baers über die Stellung der Geschichte zur Geographie
hier weiter ausgeführt ist.
„Das Schicksal der Völker", sagt er, „wird durch die
Beschaffenheit der Wohngebiete, die sie inne haben, mit einer
gewissen Notwendigkeit geleitet und also voraus bestimmt/'
Je mannigfaltiger die Beschaffenheit der Wohnbezirke, desto
mannigfaltiger die Lebensweise und desto höher die Ent-
wicklung der sozialen Zustände. Die Bodengestaltung, d. i.
die Verteilung von Land- und Wasserflächen, von Gebirgen
und Wüsten und die dadurch bedingten klimatischen Ver-
hältnisse sind von bestimmendem Einfluss auf die Geschichte
der Völker. „In der physischen Beschaffenheit der Wohn-
gebiete ist das Schicksal der Völker und der gesamten
Menschheit gleichsam vorgezeichnet." Da aber alle physi-
schen Verhältnisse der Erdoberfläche bestimmt sind durch
die Neigung der Erdachse, so folgert Baer, „war das Fatum
des Menschengeschlechtes in grossen Umrissen voraus be-
stimmt, als die Erdachse ihre Neigung erhielt, als das feste
Land vom Wasser sich schied, als die Berghöhen sich hoben
und die Ländergebiete begrenzten; und die Weltgeschichte
^) Reden und Aufsätze IL Teil i. Hälfte. St. Petersburg 1873.
5. 1—47.
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ist nur die Erfüllung dieses Fatums." Aber, so führt Baer
seinie Gedanken weiter, dieselben Verhältnisse, die von An-
fang an das Fatum der Menschen bestimmten, sind auch
heute noch von Einfluss, obgleich die Eroberungen der
Wissenschaft und der Industrie dem Menschengeschlechte
ausserordentliche Mittel zur Beherrschung der Naturverhält-
nisse gegeben haben. Der zivilisierte Mensch vermehrt sich
rasch, der Boden kann nicht alle ernähren. Der Mangel an
Nahrung wird zur Auswanderung zwingen. Der Mensch
wird daher in ferner Zukunft in seine wahrscheinlich ur-
sprüngliche Heimat, in die heisse Zone zurückwandern.
Aber er bringt einen Gewinn mit, den er sich auf der hohen
Schule der Menschheit, Europa, erworben hat und das ist
die Arbeit. Damit erkennen wir auch, meint Baer, und
dies ist bezeichnend für seine teleologische Weltanschauung,
warum die Erdoberfläche nicht überall gleich üppig für die
Bedürfnisse der Menschen sorgt.
„So wird die Menschheitsgeschichte", und das ist der
Kern von Baers Darlegungen, „nur verständlich durch das
Studium der physischen Verhältnisse, und die Geographie ist
also notwendig die Basis vom Studium der Weltgeschichte.'^
Baer und Mit dicscr Ansicht steht Baer auf einer Stufe mit
K. Ritter, der „unbefriedigt von dem bisher bestehenden
Verhältnis der Abhängigkeit der Geographie von der Ge-
schichte diese Beziehungen für beide Teile fruchtbringender
zu gestalten suchte, indem er die geographische Bedingtheit
der historischen Ereignisse nachzuweisen sich bemühte/'^)
Noch in manch anderer Beziehung zeigt sich eine Ueber-
einstimmung der Anschauungen Baers und Ritters. So
begrüsst Baer freudig die neu aufgekommene Ritt er sehe
Methode des geographischen Unterrichtes. In seiner Selbst-
biographie 2) äussert er sich über den geographischen Unter-
^) S. Günther: Geschichte der Erdkunde, Wien 1904. Seite 292.
*) Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimrates
Dr. K. C. V. Baer, mitgeteilt von ihm selbst. St Petersburg 1869.
Seite 35—38.
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— 7 —
rieht, den er in seiner Jugend genoss. Das einzige, was er
dabei vermisste, war die Berücksichtigung der „Ab-
dachung," wie sie die neue Methode Ritters brachte,
wenn er auch das Fehlen derselben nicht für unersetzbar
hält. Denn, da die Gestaltung der Länder und Staaten
nebst dem Verlaufe der Gebirge und Flüsse durch das da-
mals geübte Copieren der Karten dem Gedächtnis tief ein-
geprägt wurde, so schien es ihm, dass sich die Vorstellung
von den Höhenverhältnissen sehr leicht daran knüpfen Uesse,
wie alle diejenigen finden würden, die vor Ritter ihren
geographischen Unterricht genossen hätten. Sicher sei diese
Vorstellung wesentlich und notwendig für jeden, der ein an-
schauliches Bild von der Gestaltung der Gesamtoberfläche
der Weltteile haben wolle, aber man habe nach seiner An-
sicht Unrecht gehabt, eine Zeitlang wenigstens, diese An-
schauung als fast alleinige Grundlage des geographischen
Unterrichtes zu betrachten. Und zwar hauptsächlich aus
zwei Gründen: Dem Kinde werde es schwer, Abdachungs-
verhältnisse grösserer Ländermassen sich vorzustellen und
diese Vorstellung sich zur Gewissheit zu bringen, wenn man
nicht unausgesetzten Gebrauch von Reliefkarten machen
könne. Zweitens führe die ausschliessliche Betonung der
Abdachungsverhältnisse dazu, dass der Schüler keine rechte
Vorstellung habe von der Lage von Städten und Staaten,
von denen doch ununterbrochen die Rede sei. Als Beispiel
führt Baer dazu einen Königsberger Schüler an, der seiner
Obhut anvertraut war. „Dessen Lehrer," sagt Baer, „war
so begeistert von der soeben erlernten Ritt er sehen Methode,
dass er alle gewöhnlichen Benennungen der Länder und
Staaten verbannt wissen wollte. Wenn ich den Knaben
fragte, wo Lemberg oder Turin liege, so wusste er durchaus
nur zu sagen: im Nordkarpartenlande oder im Südalpen-
lande." „Dass doch jeder Fortschritt," so ruft Baer aus,
„denn das ist die Berücksichtigung der Abdachungsverhält-
nisse in der Geographie gewiss, da sie die Züge der Völker
und die Wege des Handels bedingen, anfangs bis zur Narr-
heit entwickelt werden muss."
Noch bei anderer Gelegenheit in dem Aufsatze : „Ueber
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— 8 —
Flüsse und deren Wirkungen" ^) spricht Baer seine Achtung
vor der neueren plastischen Behandlung der Geographie aus.
Er weist darauf hin, dass Ritter die geographische Wissen-
schaft neu belebt habe, indem er Hochländer und Tiefländer
unterscheidend darauf gedrungen habe, die wahre Gestaltung
der Kontinente nach der grösseren oder geringeren Er-
hebung in ihren einzelnen Teilen zu unterscheiden und so
eine wichtige Anschauung von den Formverhältnissen der
Erdoberfläche zu gewinnen. Dabei nennt er den Unterricht,
welchen die ältesten noch lebenden Personen erhalten haben,
so flach wie die Landkarten. Eine übertriebene Berücksich-
tigung der verschiedenen Abdachungen (Erhebungsverhält-
nisse), wie er sie in seiner Umgebung beobachtet hatte, miss-
billigt er zwar, doch hebt er nachdrücklich die wissenschaft-
liche Wichtigkeit der Abdachungsverhältnisse hervor, da sie
auf die Entwicklung der einzelnen Völker, ihre Berührungen
und Bewegungen den grössten Einfluss ausüben. Der wich-
tige Satz, in dem seine Anschauung zusammengefasst ist,
lautet : „Man kann mit Recht sagen, dass die Naturbeschaffen-
heit der Länder und der Lauf der Flüsse von den Verhält-
nissen der Abdachung abhängig sind, die Geschichte der
Völker aber von jenen beiden ersteren/'
grapWe^ünd Wir haben oben erwähnt, wie Baer in dem Vorworte
^adfßlert für die „Beiträge zur Kenntnis des Russischen Reiches" die
Auffassung. Wichtigkeit ethnographischer Studien für die Geschichte
eben dieses Reiches hervorgehoben hat. Noch eingehender
tut er dies in einem Vortrag, den er als Vorstand der
Sektion für Ethnographie in der Geographischen Gesellschaft
zu halten hatte: „Ueber ethnographische Untersuchung des
Russischen Reiches insbesondere/' 2) „Geschichte,'' sagt
er da, „oder wenigstens Kulturgeschichte und Ethnographie
greifen unendlich vielfach ineinander über, ja sie sind im
Grunde nur ein und dieselbe Wissenschaft. Die vergleichende
Ethnographie zeigt in der Gegenwart Zustände, welche die
1) Reden und Aufsätze IL Teil i. Hälfte. St. Petersburg 1873.
Seite 107 — 169.
^) Denkschriften der Russischen Geographischen Gesellschaft zu
St. Petersburg. I. Band. Weimar 1849. S. 66—92.
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Geschichte als vergangen annehmen muss und nur in der
Gegenwart vollständig kennen lernen und beurteilen kann.
Ausser der allgemeinen Kenntnis der verschiedenen Kultur-
zustände ist die genaueste Kunde von den verschiedenen
Völkern, der jetzigen Zeit wichtig um daraus Schlüsse auf
die Einzelheiten der Geschichte zu machen, wo die eigent-
lichen historischen Nachrichten fehlen. Nichts hat sich bei
einem Volke erhalten, was nicht auf irgend eine Weise Auf-
schluss und zuweilen sehr wichtigen Aufschluss über die
Vergangenheit geben könnte. Körperbeschaffenheit, geistiges
Naturell, Religion und Aberglauben, Sitten, . Nahrungsmittel,
Art der Wohnung, des Hausgerätes, der Waffen, Sprache,
Sagen, Lieder, Märchen, Art der Musik u. a. Künste."
Klar erkennt hier Baer die Bedeutung der Volkskunde
als Quelle der Geschichte. „Die Ethnographie der jetzigen
Zeit gibt die lebenden Bilder für längst entschwundene Zu-
stände anderer Völker, die jetzt in ganz anderen Staats-
einrichtungen leben. Die Geschichte der menschhchen Ge-
schlechter hat eben zweierlei Quellen, solche, welche einst
auf Stein, Pergament und Papier abgefasst wurden und
solche, welche noch jetzt fliessen im Leben der Völker.*'
Die Geschichtsforschung, meint Baer, sollte mit grossem
Eifer auch die geringsten Spuren der Volkseigentümlichkeit
in jeder Beziehung wahren. Er beklagt es, dass man nicht
daran denke, die jetzigen Volkszustände zu erkennen und
2. B. eine russische Balalaika (Musikinstrument) irgendwo
aufzuheben und hält die Geographische Gesellschaft für ver-
pflichtet, alle Mittel, über die sie verfügen könne, vorzüglich
auf die ethnographische Erforschung des Reiches zu ver-
wenden.
Was Baer für die Ethnographie Russlands weiterhin i^^^!^""^^^
wünschte, hat er in einem Vortrag niedergelegt: „Ueber eine ^SidT
bei der Geographischen Gesellschaft anzulegende Sammlung
ethnographischer Gegenstände.'* Dieser Vortrag wurde in
der Sitzung vom 14. (26.) April 1848 verlesen und ist nicht
deutsch gedruckt. Stieda gibt einen Auszug davon. ^)
ij L. S t i e d a : K. C. V. Baer. S. 227/228.
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— lO —
Baer legt den unmittelbaren Vorteil einer ethnographischen
Sammlung dar. Er bestehe darin, dass dieselbe die Eigen-
tümlichkeit des physischen Lebens der Völker, sowie den
Zustand der Künste und Industrie einer bestimmten Zeit-
epoche durch Anschauungsgegenstände darstelle. Der darin
liegende Vorteil könne durch Beschreibung niemals erreicht
werden. Auch gibt Baer ein Verzeichnis der Gegenstände,
wie sie ein ethnographisches Museum enthalten solle. Was
er darin als Sammlungsobjekte vorschlägt, gehört heute zu
dem Grundbestande einer völkerkundlichen Sammlung. Doch
bleibt es Baers Verdienst, dass er sich so lebhaft um das
Zustandekommen eines Ethnographischen Museums bemüht
und seine Errichtung auch erreicht hat.
Auch hat Baer in der Folge der Sammlung zahlreiche
Schädel russischer und fremder Völker zugeführt, die er
geographisch ordnete und teilweise auch beschrieb. Zahl-
reiche Abhandlungen Baers sind auf seine kraniologischen
Studien zurückzuführen, wie über die Schädel von Karagas-
sen, rhätischen Romanen, Papuas und Alfuren, doch sind
die Schriften zu sehr anthropologischer Natur, um hier im
einzelnen besprochen zu werden. Als eine auf Ethnographie
bezugnehmende Arbeit kann man auch Baers Doctor-
dissertation ansehen; sie handelt von den Krankheiten der
Esthen. ^)
Wir haben im vorausgegangenen Abschnitt gesehen,
LeSSi^ST welch' hohe Auffassung Baer von der Bedeutung der Geo-
phischem graphic als Wissenschaft besass und welch* grosse Erwar-
tungen er von ihrer künftigen Entwicklung hegte. Es sei
nun weiterhin hervorgehoben, welche Verdienste er sich
um die Geographie selbst erworben hat. Baer war für sie
tätig durch seine zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten,
durch seine historischen Studien, durch Entwerfen von Reise-
plänen für andere Forscher und Unterstützung derselben
mit Rat und Tat und nicht zuletzt durch seine eigenen
Reisen. Von diesen sei zunächst die Rede. Zwar dienten
Gebiete.
Dissertatio inauguralis medica de Morbis inter Esthenos ende-
micis, quam 1. c. p. defendet auctor Carolus Ernestus Baer in Esthonia
natus. Dorpati 1814.
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BCSE
■MMriMMMMMH
— II —
sie grösstenteils ursprünglich nicht rein geographischen
Zwecken, sie hatten vielmehr hauptsächlich allgemein natur-
wissenschaftliche oder rein praktische Aufgaben zu lösen,
allein sein scharf beobachtender Blick liess ihn auch Wahr-
nehmungen machen, die vom geographischen Standpunkt
aus sehr bemerkenswert sind. Vor allem gilt dies von seiner
Reise nach Nowaja Semlja, die für die Erschliessung dieser
Doppelinsel sehr wertvolle Beiträge lieferte.
Schon in seiner Königsberger Zeit hatte sich Baer ^^Jg^^^J^J
lebhaft mit dem Wunsche getragen eine Reise nach dem
hohen Norden zu unternehmen, um die Lebensbedingungen
und die Verbreitung der Organismen daselbst kennen zu
lernen. Allein an äusseren Gründen war die Ausführung
gescheitert; das Projekt blieb zunächst liegen. Erst durch
die Bekanntschaft Baers mit Zivolka, einem jungen
Marineoffizier, wurde es wieder aufgenommen. Bei diesem
Manne hatte sich Baer nach dem Walrossfange erkundigt;
denn er hatte sich viel mit diesem Tiere beschäftigt und
wünschte selbst eines zu zergliedern. Zivolka war schon
viel im Weissen Meere gefahren und auch bis Nowaja Semlja
gekommen. Er erzählte Baer nicht nur vom Walrossfang,
sondern auch viel von der Insel, für die er grosse Vorliebe
besass. Dadurch „erneuerte sich Baers alte Liebschaft für
den hohen Norden"^) und die alten Reisepläne beschäftigten
aufs neue seinen lebhaften Geist. Mit leidenschaftlichem Eifer
vertiefte er sich in das Studium nordischer Reiseberichte
und legte der Akademie einige einschlägige Arbeiten vor.
In diesen berichtete er über die Reise Zivolkas nach No-
waja Semlja und ihre Resultate. Dann trug er, wie er selbst
erzählt, 2) bei der Akademie darauf an, ihn auf ihre Kosten
dahin zu senden, denn er wolle doch sehen, „was mit so
geringen Mitteln die Natur an Lebensprozessen produzieren
könne." Auch in einem Briefe, den er später aus Kostin-
Schar an seinen Freund Ernst Mayer in Königsberg, den
berühmten Historiker der Botanik, richtete, erzählt er, was
^) Selbstbiogr. S. 553.
^) Selbstbiogr. S. 554.
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— 12 —
ihn bewogen habe „seine alten Knochen nach Nowaja Semlja
zu tragen." Zuvörderst der Wunsch, sagt er, noch ein
Walross zu zergliedern^ dann die Berechnung von zweijährigen,
meteorologischen Beobachtungen aus Nowaja Semlja. „Was
kann in einem solchen Lande gedeihen, dachte ich, und ist
die Flora von Nowaja Semlja nicht darin sehr wichtig, dass
sie uns lehren kann, wie weit eine Menge europäischer
Pflanzen wirklich gehen, deren Grenze man an das Nordkap
versetzt, die aber vielleicht weiter gegangen wären, wenn
jenseits Mageroe noch Land wäre."^) Die Akademie be-
willigte die Reisemittel und Baer ging sogleich Sommer 1837
nach Archangelsk, um von dort aus die Reise anzutreten.
In seiner Begleitung befanden sich Zivolka, Alex. Leh-
mann, ein junger Naturfprscher, ferner ein Zeichner, ein
Laborant und ein Diener.
studienüber Bevor wir aber auf den Verlauf und die äusseren Schick-
Nowaja
Semlja. gale der Expedition eingehen, wollen wir die schon erwähnten,
auf Nowaja Semlja bezüglichen Arbeiten Baers betrachten,
die seiner Reise vorausgingen. Die erste derselben gibt einen
„Bericht über die neuesten Entdeckungen an der Küste von
Nowaja Semlja.*'^) Er meint damit die Expeditionen Pach-
tussows 1832 und Pachtussows und Zivolkas 1833/34.
Zivolka hatte auch eine Karte der Insel angefertigt ; Baer
hatte sie bei ihm kennen gelernt und gibt sie in seinem Auf-
satze wieder. Er bemerkt dazu, dass Nowaja Semlja hier
eine ganz andere Gestalt gewonnen habe, als auf der L ü t -
keschen (1824), der einzigen, auf wissenschaftliche Bestim-
mungen gegründeten, welche seit der Reise der Holländer
(1594— 1596) ins grössere Publikum gekommen sei. Dieser
Unterschied beruhe erstens auf der Zeichnung der Ostküste,
welche technisch korrekt aufgenommen sei und daher volles
Vertrauen verdiene, zweitens in der Verkürzung des nord-
östlichen Teiles, den v. Lü t k e zu erreichen vom Eise gehindert
worden sei. Als das wichtigste Ergebnis der Pachtus-
^) Selbstbiogr. S. 554.
^) Bulletin scientifique de rAcademie Imperiale des sciences de
St. Petersbourg. Tome II, 1837 S. 137— 171.
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— 13 ~
sow'schen Expedition von 1832 bezeichnet Baer die Auf-
nahme der Ostküste der südlichen Hälfte und die Beobach-
tung, dass diese Küste im allgemeinen niedrig und nur in
sehr wechselnden Intervallen ganz frei von Eis sei; als das
Ergebnis der zweiten Expedition unter Pachtussow und
Zivolka die Aufnahme von Matotschkin -Schar und der
Ostküste der Nordinsel bis zur Pachtussow-Insel. Es erfüllt
Baer mit Befriedigung, dass die russische Marine durch
Verfolgung der Ostküste von Nowaja Semija das Gebiet
ihrer Herrschaft weiter ausgedehnt hatte, und er stellt mit
Genugtuung fest, dass die ganze Nordküste der alten Welt von
der Obischen Halbinsel bis zur Beringstrasse von den Russen
entdeckt worden ist, und dass jenseits des Ostkaps im Lande
der Tschuktschen noch nie eine andere Flagge geweht habe
als die russische, wie an der Küste von Nordamerika keine
andere als die britische. Wir erwähnen dies als ein Zeichen
von Baers warmer Liebe für sein Vaterland, denn er fühlte
sich zu gleicher Zeit als Deutscher in nationalem und als
Russe in politischem Sinne. Der Name der Insel Nowaja
Semija erscheint Baer als ein Beweis, dass sie von den
Russen entdeckt worden ist, denn Nowa Sembla ist ein
russischer Name, nicht holländisch oder englisch ; auch hätten
die Holländer schon vor ihrer Abreise Kenntnis von der
Insel gehabt, die sie nur von den Russen hätten erhalten
haben können. In der Tat fand Barendsz, als er 1594
auf Nowaja Semija landete, mannigfache Anzeichen ehe-
maliger russischer Besiedlung. Und dieser holländische See-
fahrer darf, nachdem es zweifelhaft ist, welche Insel — ob
Nowaja Semija oder Kolgujew — Willoughby gesichtet
hat, als der eigentliche historische Entdecker der Insel gelten,
wie überhaupt die Grosstaten bei der Entdeckung der Nord-
westlichen und Nordöstlichen Durchfahrt ausschliesslich
Germanen vollbrachten. Da aber die Russen Nowaja Semija
nicht durch Küstenschiffahrt erreicht haben können, so sieht
Baer in ihrer Fährt dahin auch einen Beweis dafür, dass sie
schon vor Peter dem Grossen Schiffahrt getrieben hätten,
Peter also nicht, wie gewöhnlich behauptet werde, ihr ein-
ziger Lehrmeister darin gewesen sei. Damit wolle er, sagt
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— 14 —
Baer, keineswegs Peters Verdienste schmälern. Und er
hat diese Versicherung dadurch bekräftigt, dass er später
eine Schrift über Peters Verdienste um die Erweiterung
der geographischen Kenntnisse verfasste, in der dieser Zar
als Schöpfer der Schiffahrtskunde in wissenschaftlicher Ge-
stalt gepriesen wird.
Das KHma Wir haben oben erwähnt, dass zu den Gründen, welche
scmijas. B a e r zu seiner nordischen Reise veranlassten, auch der Wunsch
gehörte, die Flora eines von der Natur so wenig begünstigten
Landes kennen zu lernen. Darum nahmen die Temperatur-
beobachtungen, die Pachtussow 1832/33 und Pachtus-
sow und Zivolka 1834/35 angestellt hatten, sein höchstes
Interesse in Anspruch. Er studierte sie durch, berechnete
die mittleren Jahrestemperaturen und berichtete darüber an
die Akademie. „Ueber das Klima von Nowaja Semlja und
die mittlere Temperatur insbesondere."^) Es standen Baer
zwei meteorologische Tagebücher zur Verfügung. Das erste
war auf der Pachtussowschen Reise in den Jahren 1832/33
gefiihrt worden und zwar vom 2. Aug. bis 14. Nov. 1833.
Die Beobachtungen wurden über ein Jahr ausgedehnt und
ununterbrochen von 2 zu 2 Stunden angestellt. Für jede
Beobachtung wurde nicht nur die Temperatur, sondern auch
der Stand des Barometers, die Richtung und Stärke des
Windes und die Beschaffenheit des Himmels aufgezeichnet.
Die Lage der Beobachtungshütte in der Felsenbai an der
Südostüste wurde astronomisch zu 70^ 36' 47" n. Br. und
57^ 47' ö. L. von Greenwich bestimmt. Dennoch ergab sich
aus der Berechnung von 11 monatigen Beobachtungen eine
merklich niedrigere Temperatur als in der fast 3 Grad nörd-
licher sich befindenden Westmündung von Matotschkin-Schar,
nämlich —9,45 ^ Celsius gegen —8,37 ® Geis. Das zweite Journal
wurde auf der zweiten Reise geführt, welche Pachtussow
mit Zivolka unternommen hatte. Es begann am 25. JuU
1834 und reichte bis zum 21. Aug. 1835. Die Hütte lag in
der Nähe der Westmündung von Matotschkin-Schar. Baer
fand die mittlere Temparatur für die Westmündung dieser
*) Bulletin scientifique. Tome II S. 225—238.
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— 15 —
Meeresstrasse aus den arithmetischen Mitteln aller Beobach-
tungen berechnet gleich — 8,37^0 Diese mehr als i ^ betragende
Differenz der mittleren Temperaturen beider Orte findet Baer
zwar auffallend, doch übereinstimmend mit allen Erfahrungen,
welche Seefahrer an diesen Küsten gemacht hätten, und bei
näherer Erwägung der Verhältnisse auch verständlich. Die
Westküste werde von einem weiten Wasserbecken bespült,
das während des grössten Teiles des Jahres eisfrei sei. Die
Ostküste dagegen liege an dem Karischen Meer, das von
drei Seiten von Land umschlossen sei und einem Eiskeller^)
gleiche, und dessen Pforte fast immer durch Eis gesperrt sei.
Dieselbe Wirkung, welche die Lokalverhältnisse der Karischen
Pforte im Süden hervorbrächten, werde weiter nach Norden
durch die hohe Bergkette bedingt, welche längs der West-
küste laufe und einen ähnlichen Einfluss wie an der Küste
von Norwegen äussere. Sie bräche die mildernden Wirkungen
des Wasserbeckens zwischen Lappland, Nowaja Semlja und
Spitzbergen. Westwinde brächten an der Westküste Feuch-
tigkeit, an der Ostküste aber kämen die Westwinde trocken
an und nur Ostwinde bringen, wenn das Karische Meer offen
sei, Feuchtigkeit, die ebenso wenig an die Westküste reiche.
Nowaja Semlja bildet also, zu diesem Schlüsse kommt Baer,
eine Wetterscheide, obgleich die südliche Hälfte nicht einmal
eine bedeutende Bergreihe enthält.
Die mittlere Temperatur Nowaja Semljas berechnet
Baer auf — 8,91 ® C. Er stellt sie in Vergleich zu derjenigen
anderer Länder. Nowaja Semlja ist viel kälter als Grön-
land, bedeutend kälter als die Nordküste von Labrador
( — 3,4^), noch merklich kälter als die Süd- und Westküste
von Spitzbergen ( — 7^). Auch Jakutsk (— 8,07**) ist noch
wärmer. Dagegen ist Nowaja Semlja wärmer als Nischnij
Kolymsk (—10% als Ustjansk ( — 15,240), wärmer als ein
grosser Teil Nordamerikas, z. B. Fort Enterprise ( — 12,13^).
Es fällt nun Baer auf, dass in den nordamerikanischen Gegen-
den Menschen wohnen, in Nowaja Semlja dagegen nicht.
^) Die Bezeichnung der Karischen See als „Eiskeller" hat Baer
mancherlei Angriffe eingetragen, auf die wir später zu sprechen kommen
werden.
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Er sieht den Grund nicht in der geringen Wärme an sich,
sondern vielmehr in der ungünstigen Verteilung derselben.
Der Winter hat nur eine mittlere Kälte von — 19,66*^, ist
mithin nicht viel strenger als im Inneren von Lappland, aber
die mittlere Sommerwärme ist überaus gering mit +2,53^.
Dieser kalte und neblige Sommer ist beinahe der rauheste,
den man kennt, und er schadet nach Baers Ansicht Nowaja
Semlja sehr.
Zu den eben gegebenen Resultaten seiner Berechnungen
fügte Baer noch zwei weitere über den jährlichen und den
täglichen Gang der Temperatur in Nowaja Semlja. ^) Er stellt
die mittlere Temperatur der 12 Monate des Beobachtungs-
jahres für die Westmündung von Matotschkin - Schar und
die Südostspitze der Ostküste nebeneinander und es fällt ihm
dabei auf, dass der März, wie fast überall im Nordpolarge-
biete, so entschieden der kälteste Monat ist in der Reihe
für die Südostspitze, der August der wärmste und der Mai
ungefähr der mittlere. Den Grund sieht Baer in der steten
Hinleitung des Eises im Karischen Meer, durch das eine Ver-
schiebung der Jahreszeiten veranlasst werde. Baer hält es
unter diesen Umständen für ein Unrecht, die meteorologische
Begrenzung der Jahreszeiten hier ebenso anzunehmen wie
gewöhnlich, indem man für den Winter den Januar, für den
Sommer den Juli in die Mitte nimmt. Man solle mit diesen
Monaten den Anfang machen. Er ist überhaupt der Meinung,,
dass die Frage über das Verhältnis des Winters und des
Sommers in den verschiedenen Gegenden nur dadurch be-
antwortet werden könnte, dass man die Kurve, welche der
jährliche Gang der Temperatur beschreibt, für jeden Ort
durch graphische Darstellung oder mathematischen Ausdruck
bestimme und die Epochen der höchsten und niedrigsten
Temperatur als die Mitte von Sommer und Winter annehme*
Man solle, verlangt er, unterscheiden zwischen meteoro-
logischem und astronomischem Jahr.
Baer gibt weiterhin eine Tabelle, in der er für jede
der beiden Stationen (West- und Ostküste) die höchste und
^) Ueber den jährlichen Gang der Temperatur in Nowaja Semljai.
Bull, scient. Tome II 1837 N. 16 u. 17. C. 242—254.
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- 17 -
niedrigste Temperatur für jeden einzelnen Monat zusammen-
stellt und das daraus berechnete mit dem aus allen Tem-
peraturbeobachtungen gewonnenen oder „wahren Mittel" ver-
gleicht. Aus dieser Uebersicht erkennt man, wie sehr in
diesen Gegenden die Berechnung der mittleren monatlichen
Temperatur aus dem höchsten und niedrigsten Stande des
Thermometers während eines Monats von der Wahrheit ab-
weicht. Die Tabelle macht auch anschaulich, dass die grössten
Temperaturdifferenzen nicht in die Sommermonate fallen, wie
in den mittleren Breiten. Dasselbe Ergebnis findet Baer bei
den dreissigmonatigen Beobachtungen von Ross in Boothia
felix, wo ebenfalls die Temperaturunterschiede im Sommer
am geringsten waren, im Herbst rasch zunahmen, im Winter
wieder kleiner wurden und im Frühling wieder wuchsen.
Der November zeigte die grössten Differenzen und zwar in
allen drei Jahren fast dieselben.. Da ganz offenbar, so folgert
nun Baer, diese Temperaturdifferenzen der einzelnen Monate
sich nach dem Wechsel von Tag und Nacht richten, so dürfe
man annehmen, dass unter dem Pole, in der Mitte der Polar-
nacht und insbesondere des Polartages geringe Schwankungen
in der Temperatur obwalten werden.
Die eben erwähnten Beobachtungen, die Ross 30 Mo-
nate alle 2 Stunden in der Nähe des amerikanischen Kälte-
poles anstellen liess, benützt Baer in einem weiteren Aufsatze
nochmals zu einem Vergleiche: „Ueber den täglichen Gang
der Temperatur in Nowaja Semlja."^) Aus der Gegenüber-
stellung der Beobachtungen auf Nowaja Semlja und Boothia
felix schliesst Baer:
1. Dass der tägliche Temperaturwechsel in den Winter-
monaten am geringsten war, dass er dann im Frühling rasch
zunahm, im April und Mai am grössten wurde und im Sommer
wieder bedeutend abnahm.
2. Dass die Differenzen der täglichen Temperatur in
hohen Breiten nicht so gross sind als in mittleren.
3. Dass die grösste Wärme im allgemeinen und beson-
ders im hohen Norden früher eintritt als tiefer im Süden.
*) Bull, scientifique, Tome II, Nr. i8. S. 289 — ^300. 1837.
V. Baer als Geograph.
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— i8 —
4. Dass auch im hohen Norden die grösste Wärme auf
verschiedene Stunden des Tages fällt, dass aber die Diffe-
renzen nicht so gross sind als weiter im Süden.
Sehr auffallend erscheint es Baer, dass in der Karischen
Pforte während des Januars die grösste Wärme um 4 Uhr
nachmittags und im November sogar 2 Stunden vor Mitter-
nacht beobachtet wurde. Ja, in Matotschkin-Schar gewinnt
diese nächtliche Erwärmung zu viel Regelmässigkeit, um sie
zufälligen Strömungen beizumessen. Im November fällt näm-
lich die grösste Wärme auf 6 Uhr nachmittags, im Dezember
zwischen 10 Uhr und Mitternacht, im Januar zwischen Mitter-
nacht und 2 Uhr. Im Februar fällt zwar die grösste Er-
wärmung, welche die Sonne hervorbringt, auf die Zeit nach
dem Mittag, allein es ist deutlich, dass einige Stunden nach
Mitternacht eine geringe Erwärmung vorherging. Dies lässt
nun Baer zu der Vermutung kommen, dass im Winter un-
abhängig von der Sonne ein anderer Grund der Erwärmung
wirke, dessen Erfolg von Monat zu Monat später kenntlich
werde. Da nun beide Beobachtungsorte an Meerengen liegen,
so stellt Baer die Frage, ob nicht, da notwendig fortgehend
die verschiedenen Temperaturen der Ost- und Westküste sich
ausglichen, in der Nacht regelmässig ein Luftstrom aus
wärmeren Gegenden vorbeigehe. Um sich zu überzeugen,
ob der sonderbare Gang der Temperatur im Winter auf
Lokalverhältnissen der Beobachtungen beruhe, zog Baer die
mittlere Temperatur aus den Beobachtungen von Ross auf
Boothia felix aus. Die Tabelle bestätigte seine Vermutung,
dass dort keine solche Erwärmung nach den verschiedenen
Monaten innerhalb der Stunden eines Tages hervortrete.
Aus dem Vergleich der drei Tabellen ersieht nun Baer 5.
dass, je weiter nach Norden, um so entschiedener während
des Polartages die niedrigste Temperatur auf Mitternacht
oder sehr bald nach Mitternacht fällt.
Und 6. endlich scheint Baer aus diesen Uebersichten
hervorzugehen, dass in der Tat der Anfang der Dämmerung
eine abkühlende Wirkung habe, wogegen es aber auch scheine,
dass bei geringer Tiefe der Sonne unter dem Horizonte die-
selbe schon erwärmend wirke.
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- 19 -
Die vier Arbeiten Baers, die seiner Reise vorausgingen, gj^l^l^jj^
legen Zeugnis dafür ab, auf welch' gründliche Weise er sich ^riSch^"*
vorbereitete. Nach solch eingehenden Vorstudien und bei **««»^
der Fülle seines naturhistorischen Wissens und seiner scharfen
Beobachtungsgabe war Baer wie kein anderer geeignet, die
Forschungsreise anzutreten. „Bisher war Nowaja Semlja
bloss im kommerziellen und nautischen Interesse besucht worden,
kein Naturforscher von Fach hatte noch mit dem Zauberstab
der Wissenschaft das Land berührt". i) Baer war der erste
Naturforscher, der die Insel besuchte.
Am 7. Juni 1837 ^'"^.t er seine Reise an. lieber den
Gang derselben berichtet er in zwei Briefen, die er von
Archangelsk aus an die Akademie richtete. 2)^) Am 18. Juni
kamen die Reisenden glücklich in Archangelsk an. Hier
wurde die Geduld Baers auf die erste Probe gestellt. Noch
war noch kein Walrossfänger angekommen, das Weisse
Meer war noch voll Eis. Man benützte den unfreiwilligen
Aufenthalt zu einer Fahrt in die See und zum Sammeln von
Muscheln, Tangen und Küstenpflanzen des Weissen Meeres.
Der von der russischen Marine zur Verfügung gestellte
Schooner war zu klein; Baer mietete deshalb noch die Lodja
eines Walrossfängers. Die fünf Reisenden verteilten sich
auf beide Fahrzeuge, und am 19. Juni segelten sie ab. In
der Nacht vom i. auf 2. Juli kamen sie an der Südküste
von Lappland an. Sie fuhren die Küste entlang und ge-
langten bis Tri-Ostrova an der Ostseite; gelegentlich unter-
brachen sie die Fahrt, um Exkursionen an das Land zu unter-
nehmen. Auf einen Besuch in Kola verzichteten sie wegen
des Zeitverlustes und segelten nun direkt nach Matotschkin-
Schar, wo sie am 17. Juli nach stägiger Fahrt ankamen.
Nachdem die Ausmündung der genannten Meerenge in
geognostischer, botanischer und zoologischer Hinsicht unter-
^) J- Spörer: Nowaja Semlä in geographischer, naturhistorischer
und volkswirtschaftlicher Bedeutung. (Ergänzungsheft 21 zu Petermanns
Mitt. 2. Teil 1867.)
*) Expedition ä Nowaja Zemlia et en Laponie. Premier Rapport
de Mons. de Baer. Bull, scient. Tome II S. 345.
») Tome III. Bullet, scient. 1838 Nr. 5—7. S. 96—107.
2*
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— - .20 —
sucht worden war, wurde etwas tiefer in ihr ein Ankerplatz
für längeren Aufenthalt gesucht. Von hier aus wurden nach
allen Richtungen Exkursionen unternommen. Am letzten
Juli durchfuhren sie Matotschkin-Schar bis an den Ausgang
ins Karische Meer. Nach der Rückkehr an die Westmündung
segelten sie nach Süden und ankerten in der Nähe von
Kostin-Schar an der Mündung eines Flusses Nechwatowa.
Von hier aus unternahmen sie wieder Ausflüge in die Um-
gegend und ins Innere, Am 30. August lichteten sie dann
nach 6 wöchigem Aufenthalt auf der Insel die Anker mit
Kurs nach der Halbinsel Kola. Infolge widriger Winde gaben
sie jedoch die Fahrt dahin auf und erreichten dann am
II. Sept. glücklich Archangelsk, von da in kurzer Zeit
St. Petersburg.
Baer war mit dem Verlauf seiner Reise zufrieden; er
hatte Glück gehabt. Das Wetter war im Vergleich zu dem,^
das frühere Expeditionen gehabt hatten, günstig gewesen^
Schiffe und Mannschaft waren in gutem Zustand zurückge-
kehrt. Die wissenschaftlichen Früchte der Expedition waren
reichlich. 90 verschiedene Arten von Phanerogamen waren ge-
funden worden und mindestens halb so viel Kryptogamen.
lieber 70 Arten wirbelloser Tiere hatte man festgestellt.
Das Felsengebäude Nowaja Semljas war an besuchten Stellen
von Lehmann genauer erforscht worden, Zivolka hatte
die Höhe der bedeutendsten Berge um Matotschkin-Schar ge-
messen, Witterungsbeobachtungen gemacht und magnetische
Beobachtungen angestellt, der Zeichner Abbildungen von
naturhistorischen Gegenständen und landschaftlichen Auf-
nahmen geliefert.
Die Reise hatte einen tiefen und bleibenden Eindruck
auf Baer hinterlassen. Nach fast 30 Jahren noch, 1864, als
er seine Selbstbiographie schrieb, war die Erinnerung lebendig
in ihm. Er sagt:^) „Noch jetzt gehört die Erinnerung an
den grossartigen Anblick des Wechsels der dunklen Gebirge
mit den mächtigen Schneemassen und den farbenreichen^
überaus kurzen und fast sämtlich in Miniaturrasen gesammelten
^) SelbstWographie S. 407.
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21 —
Blumen der Ufersäume, die in die Erde kriechenden, nur mit
döi letzten Schüssen aus den Spalten vorragenden Weiden
zu den lebhaftesten Bildern meines Gedächtnisses. Zu den
schönsten, möchte ich sagen, gehören die Eindrücke der
feierlichen Stille, welche auf dem Lande herrscht, wenn die
Luft ruht und die Sonne heiter scheint, sei es am Mittage
oder um Mitternacht. Weder ein schwirrendes Insekt, noch
die Bewegung eines Grashalmes oder Gesträuches unter-
bricht diese Stille; denn alle Vegetation ist nur am Boden."
Was Baers Reise für die geographische Wissenschaft
besonders wertvoll macht, ist die Tatsache, dass sie, als die
erste wissenschaftliche Expedition nach Nowaja Semlja „für
die Klimatologie und Physiographie dieser Insel den Grund
gelegt''. „Flora und Fauna der Wissenschaft einverleibt und
die Naturverhältnisse der Insel in klaren Zusammenhang mit
der Erdphysik gebracht hat/' ^) „Die Abhandlungen, welche
Baer in den Bulletins der Akademie veröffentlicht hat, haben
ihm mit Recht den Namen eines wissenschaftlichen Entdeckers
der Insel erworben." 2) In ihnen will er der Akademie „ein
physisches Gemälde der von ihm besuchten Gegenden (tableau
physique des contrees visit6es)" geben. Sie umfassen fünf
Artikel.
Der erste handelt von dem Ufer des Weissen Meeres Pflanzen-
gtogr&phi'
und Lappland. ^) Baer hatte, wie erwähnt, die kurze Zeit sche^Resui-
seines lappländischen Aufenthaltes hauptsächlich zur Be-
obachtung der Pflanzenwelt benützt und gibt von derselben
eine anschauliche Schilderung. i,Lappland^', sagt er, „kann
man mit Recht das Land der Flechten und Moose nennen.
Wo der Boden während des Sommers austrocknet, erzeugen
sich Flechten, wo er feucht bleibt, Moose. Und Flechten
und Moose scheinen in einem fortwährenden siegreichen
Kampfe mit der übrigen Vegetation zu stehen.*' Der Anblick
der verkümmerten Bäume und Wälder bestärkte Baer in
seiner Ueberzeugung. „Fügt man noch hinzu," so fährt er
fort, „dass in der Nähe der kleinen Flüsse oder an andern
^) J. Spörer a. a. O. Seite 45.
) »> >i ff »> 45'
*) Bulletin scient. Tome III 1838 S. 132 — 144.
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— 22 —
wasserreich sich erhaltenden Stellen niedriges, aber oft un-
durchdringliches Weidengestrüpp sich bildet, so hat man ein
allgemeines Bild der gesamten Küstengegend des russischen
Lapplandes, das wir teils besucht, teils vom Schiffe aus
immer im Auge behalten haben." Auch das animalische
Leben des Festlandes fesselte Baers Aufmerksamkeit. Er
fand, dass die Zahl und Mannigfaltigkeit der Seevögel, wie
sie sich an der norwegischen Küste zeige, in Lappland nicht
erwartet werden dürfe. Die Zahl der Singvögel in den
Wäldern südlich und nördlich von Archangelsk zeige eine
auffallende Abnahme, die der hühnerartigen Vögel sei an-
sehnlich. Der Ruf des Kuckucks, der sich bis jenseits des 66^
n. Er. hören lasse, werde unter diesen Umständen um so
auffallender. Wir sehen, dass Baer, was bei ihm als Zoologen
ja sehr nahe liegt, sein Augenmerk auch auf die geogra-
phische Verbreitung der Tiere richtet. Zum Schlüsse seines
Aufsatzes spricht er in anregender Weise von der Bevölke-
rung Lapplands und ihren Erwerbsquellen.
Geoiofische Der zweite der Reiseaufsätze handelt von der „Geo-
Resuitate. gnostischeu Konstitution von Nowaja Semlja".^)
Der Geognost der Expedition, der schon erwähnte
Studierende der Naturwissenschaft in Dorpat Lehmann
entwarf einen Umriss von der geognostischen Beschaffenheit
des Landes. Er führte als die wesentlichen, von der Ex-
pedition auf Nowaja Semlja angetroffenen Gesteinsarten
folgende auf: Tonschiefer, Talkschiefer, grauer Quarzfels,
grauer, versteinerungloser Kalk, schwarzer, orthoceratiter
Kalk, Mandelstein, Aupitporphyr. Als Hauptaufgabe der
Expedition auf dem Gebiete der Geognosie bezeichnet Baer
jedoch die Untersuchung darüber, ob das Gebirge auf Nowaja
Semlja eine Fortsetzung des Ural sei oder nicht. Baer be-
ruft sich bei der Lösung dieser Frage zunächst auf Alex.
Schrenck, der im Dienste des kaiserlichen botanischen
Gartens 1838 die Samojedentundra des Archangelskschen
Gouvernements durchreiste. Dieser drang bis zum Ural vor,
untersuchte denselben geologisch und verfolgte die nörd-
^) Bullet, scient. Tome III 1838 S. 151— 159.
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— 23 —
lichsten Ausläufer dieses Gebirges bis nach Waigatsch hin.
Hier herrscht nun, nach seiner Mitteilung, derselbe graue,
versteinerungslose Kalkstein, der Kostin-Schar umgibt und
sich von hier über die Südspitze von Nowaja Semlja fort-
setzt. Es gleichen nicht nur die um Kostin-Schar geschlagenen
Belegstücke denen von Waigatsch einigermassen, sondern
es stimmen auch die anderen geognostischen Verhältnisse
miteinander überein. Baer selbst ist der Ansicht, dass schon
die äussere Form und Lage von Nowaja Semlja in Verbin-
dung mit der Insel Waigatsch fast zu der Ueberzeugung
nötigen, dass die ganze Inselgruppe eine Fortsetzung des
Ural sei. Er findet es daher sehr auffallend, dass.Ludlow,^)
der einzige Geognost, der bisher Nowaja Semlja besucht
hatte, als Resultat seiner Beobachtung die Behauptung auf-
stellte^ dieses Land dürfe nicht als Fortsetzung des genannten
Gebirges betrachtet werden. Um so erfreulicher erscheint
es Baer, dass es den vereinten Bemühungen Lehmanns
und Schrencks gelungen sei, den Zusammenhang voll-
ständig nachzuweisen. Auch Hessen die zahlreichen Klippen,
meint Baer, zwischen Waigatsch und Nowaja Semlja, sowie
das hier gewöhnliche Anhalten des vom Karischen Meer
nach Westen bewegten Eises vermuten, dass unter dem
Niveau des Meeres ein Höhenzug durch diese breite Strasse
gehe. Auch zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja hält
Baer einen versenkten Höhenzug für möglich, der das regel-
mässige Anhäufen der Eismassen erklären könnte. Wäre
dies der Fall, so schliesst er weiter, wäre es eine unterseeische
Fortsetzung des Urals, welche das Wasserbecken südlich
von Spitzbergen von dem Hauptandrange der Wassermassen
aus dem nordsibirischen Eismeere sichere, so wäre der Ural
der grösste Wohltäter Europas, das er gegen die klimatischen
Einflüsse Sibiriens bewahrt, und dann wäre es auch klar,
warum der Golfstrom Spitzbergen so erwärmen könnte, wie
wir es in der Tat erwärmt finden.
^) Lud low, Uralscher Bergwerksbeamter, hatte im Jahre 1807
die Expedition des Kaiserl. Steuermanns P o s p e 1 o w nach Nowaja
Semlja zum Zwecke der bergmännischen Erforschung der Insel mit-
gemacht.
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— 24 —
Im Gegensatz zu Baers Ansicht , däss das Gebirge auf
Nowaja Semlja eine Fortsetzung des Ural sei, steht Spör er. ^)
Er sagt: „Nowaja Semlja und Waigatsch sind geognostisch
nicht als Fortsetzung des Ural, sondern des Pai Chloi anzu-
sehen. Nach dem Resultat der Uralschen Expedition der
Geogr. Gesellschaft schliesst der Ural mit dem Konstanti-
nowsky Kameny ab, und 40 Werst weiter nach N. W. be-
ginnt ein anderer Gebirgszug, der Pai-Chloi mit durchaus
anderer, der von Waigatsch und Nowaja Semlja ähnlichen
Formation/
Auch Hiekisch^) hält den Pai-Chloi für ein durch
seine Richtung und die äussere Form der Berge als selbst-
ständiges zu bezeichnendes Gebirge, wenn es auch in seinen
geologischen Altersbeziehungen vom Ural nicht zu unter-
scheiden sei. Dagegen erscheint ihm die nächste geologische
Verwandtschaft des Pai-Chloi mit den Inseln Waigatsch und
Nowaja Semlja zweifellos.
In Wirklichkeit ist es, wie Toppen^) mit Recht be-
merkt, gleichgültig, ob man die Erhebung von Nowaja
Semlja als Fortsetzung des Ural oder des Pai-Chloi betrachtet,
denn auch diese Gebirge wird man kaum von einander
trennen können, wenn gleich sie durch eine tiefe Boden-
senkung geschieden sind.
Über „Vegetation und Klima von Nowaja Semlja*
Klimatolo- • , t^ • . . * , , ,, .x ^ t t ^
guche Re- spricht Baer m emer weiteren Abhandlung.*) Er schildert
pflanzenver- ^^^ Pflanzendccke der Insel als sehr arm und dürftig. Es
frachtung. fehlt an Humus, dieser ist an den meisten Stellen sehr gering
und vermehrt sich unglaublich langsam, da viele Pflanzen im
Herbste ihre Blätter entfärbt beibehalten. Doch würde No-
waja Semlja noch viel nackter erscheinen, wenn es nicht
viele Pflanzen trüge, die gar keines Humus zu bedürfen
scheinen, sondern nur einer Felsenspalte oder eines lockeren
^) S p ö r e r , a. a. O. Seite 58.
*; H i e k i s c h , das System des Urals, Dorpat 1882 Seite 230.
*) Toppen, die Doppelinsel Nowaja Selmja, Leipzig 1878 S. 80.
*) Bulletin scient. Tome III S. 171— 192.
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— 25 —
Kieses, in dessen Zwischenräumen sich etwas Feuchtigkeit
erhält. Die geringe Vegetation in Nowaja Semlja erscheint
Baer nicht verwunderlich, wenn er sich erinnert, dass nach
den Beobachtungen von Pachtussow die Sommerwärme
dort geringer als in irgend einem Lande ist, von dem wir
sie durch Messung kennen. Es gedeihen aber auch nur
solche Pflanzen, die ihrer inneren Anlage nach eine sehr
kurze Vegetationsperiode haben. Dabei findet sich, dass
bei anscheinend gleicher Beschaffenheit des Bodens im all-
gemeinen die Küste reicher besetzt ist als die von ihr mehr
entfernten Gebiete und spricht die Vermutung aus, dass das
Eis fremde Pflanzen gestrandet habe. Von bestimmendem
Einfluss auf das Wachstum der Pflanzen ist nach Baer
weiterhin die Temperatur des Bodens. Er hat sich wieder-
holt überzeugt, dass, nach der speziellen Lokalität wechselnd,
der Boden in einer Tiefe von 2 V*— 2^/4 Fuss nie auftaut.
Die Boden wärme steigt um so höher, je mehr sich dieser
der Natur des reinen Felsens nähert, und durch diese Wärme
allein, die im allgemeinen höher ist, als die mittlere Tem-
peratur der Luft, wird die Vegetation verständlich. Und nun
spricht Baer über den Bau der Pflanzen Nowaja Semljas
einen Satz aus, der uns heute für die gesamte Flora der
Arktis geläufig ist: ,, Sämtliche Vegetation ist auf die oberste
Schicht des Bodens und die unterste Luftschicht beschränkt*'
und beide sind im Sommer wärmer als die höhere Luft- und
die tiefere Bodentemperatur. Die Wurzeln krautartiger
Pflanzen, stellt Baer fest, dringen gewöhnlich nicht über
2 Zoll in den Boden. Selbst die Holzgewächse gehen nicht
viel tiefer. Es versteht sich von selbst, fügt er bei, dass
sie nie die Form von Bäumen, sondern nur von Sträuchern
haben. Die aus dem Boden hervortretenden Triebe er-
scheinen nur als ganz unbedeutende überirdische Ausläufer
eines unterirdischen Stammes. „In der Tat sind die Wälder
in Nowaja Semlja mehr in als über der Erde."
Welchen Eindruck nun dieser Mangel an Baumwuchs zooeco|ra.
und an jeglichem augenfälligen Gesträuche auf den Menschen »uiute.
macht und welche Wirkung er auf das animalische Leben
ausübt, schildert Baer in einem 4. Artikel : „Tierisches Leben
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— 26 —
auf Nowaja Semlja/' ^) Zuvörderst, sagt er, geht alles Mass
für das Auge verloren. In Ermangelung der gewohnten
Gegenstände von bekannter Dimension, der Bäume und der
menschlichen Bauwerke hält man die Entfernungen für viel
geringer als sie sind und eben deshalb auch die Berge Ar
viel niedriger. Doch beruht diese Täuschung nach Baers
Überzeugung nicht allein auf dem Mangel an gewohnten
Gegenständen, sondern auch auf einer besonderen Durch-
sichtigkeit der Luft. Eine andere Wirkung des Mangels an
Baumwuchs ist das Gefühl der Einsamkeit. Wir haben schon
eine Stelle angeführt, in der Baer von dem Eindrucke spricht,
den die feierliche Stille der Natur auf den Menschen macht.
Auch hier schildert er wieder in anschaulicher und schöner Weise
die Lautlosigkeit der Natur. „Es fehlt bei stillem Wetter
an Lauten und an hinlänglicher Bewegung. Lautlos sind
alle ohnehin spärlichen Landvögel Nowaja Semljas, lautlos
sind auch die verhältnismässig noch viel spärlicheren Insekten.
Auch der Eisfuchs lässt sich nur in der Nacht hören. Trotz
Zeichen tierischen Lebens scheint dieses zu fehlen, weil man
zu wenig Bewegung sieht." Viel lebendiger als die Fläche
des Landes findet Baer die Küste von Nowaja Semlja infolge
der hier nistenden Seevögel. Sie sind oft so zahlreich, sagt
er, dass die dunkle Felswand von ihren weissen Bäuchen
fleckig erscheint. In ihnen sieht er die besten Zeugen,
dass in der Tiefe der See mehr zu holen ist als auf dem
Lande und die „Summe des tierischen Lebens" unter die
Fläche des Ozeans gesunken ist. Auf dem Lande fand Baer
die Zahl der Lemminge trotz der spärlichen Vegetation
gross, auch sah er zahlreiche Eisfüchse, dagegen wenig Eis-
bären, Wölfe, gewöhnliche Füchse und Renntiere. Wichtiger
erschienen ihm die Seesäugetiere, deren Vorkommen stark
wechselt, je nach der Zahl der Expeditionen. Das wichtigste
darunter für die Jagdzüge ist das Walross ; unter den Robben
nennt er 4 Arten. Merkwürdig kommt es Baer vor, dass
sich der grönländische Walfisch niemals in die Umgegend
von Nowaja Semlja zu verirren scheint. Was die Schwimm-
^) Bulletin scient. Tome III pag. 343—352.
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— 27 —
Vögel betrifft, die die „Saison" hier zubringen, so sind nach
Baers Beobachtung, wenigstens in d^r südlichen Insel, die
Saatgänse so allgemein, dass das Einsammeln der ausge-
fallenen Schwungfedern ein Gegenstand des Jagderwerbes
ist. Die Eisenten sind häufig, die Singschwäne, Eiderenten
und -gänse nicht selten. Von der gesamten Klasse der
Amphibien fand Baer keine Spur, von den Fischen wohl
eine reiche Zahl an Individuen, doch eine geringe an Arten.
Im Anschluss an diese 4 Artikel macht Baer noch eine "höhen^aü'
kurze Mitteilung über Zivolkas Messung einiger Berge sS^Ji*
von Nowaja Semlja. ^) Während des Aufenthaltes in der
Meerenge Matotschkin-Schar hatte man mit Hilfe einer an
dem schmalen Küstensaum abgesteckten Basis die Höhe der
bedeutendsten von dieser Gegend aus sichtbaren Gipfel ge-
messen. Die Höhen schwanken zwischen 1841,7 Fuss =
561,72 m (Lütkes erstgesehener Berg) und 3475 Fuss =
1059,87 m (ein Berg am Südufer der Meerenge). .
Nachdem so Baer durch seine Reise und die sich daran ^^iSSmc"
anschliessenden Artikel zur Erforschung Nowaja Semljas Sih«s^
einen namhaften Beitrag geliefert hatte, verfolgte er begreif- ^'^'i^eP**'
licherweise ihre fernere Erschliessung mit regem Interesse.
Schon bald nach seiner Rückkehr wurde in den Jahren
1838/39 eine neue Expedition unter dem Befehle der Leutnants
Zivolka und Moissejew ausgeführt, und Baer, Hess es
sich nicht nehmen, über die Resultate derselben an die Aka-
demie zu berichten. 2) Der Hauptzweck der Expedition die
Nordostspitze aufzunehmen war nicht erreicht worden — dies
blieb Johannsen 1870 vorbehalten — , woran nach Baers An-
sicht die späte Ankunft 1838 und das baldige Erkranken und der
Tod des Führers Zivolka schuld sein mochte. Indessen war
die Expedition nicht ganz ohne Erfolg geblieben. Für die
wichtigste Nachricht, die man zurückgebracht hatte, hielt
Baer die, dass die Kreuzbai keineswegs, wie Zivolka ver-
mutet hatte, eine Meerenge sei, sondern ein tiefer Fjord.
Die Expedition hatte ferner einen Teil der Nordwestküste
*) Bullet, scient. Tome III S. 314.
') Die neuesten Entdeckungen in N. S. aus den Jahren 1838/39.
Bullet, scient. Tome VII S. 133—134.
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- 28 —
au%enommen und gefunden, dass die nördliche Hälfte ' der
Insel ein von tiefen Fjorden eingeschnittenes Land ist.
Das Interessanteste, was die Expiedition aber heim-
brachte, war für Baer wohl das meteorologische Tagebuch,
dessen Resultate er eigens veröfientlichte : „Temperatur-
beobachtungen, die an der Westküste von Nowaja Semlja
unter dem 74* n. Br. angestellt worden sind. ^) Sie sind für
ihn deswegen so interessant, weil er in ihren Resultaten
die Folgerungen hn allgemeinen bestätigt findet, die er selbst
aus den früheren Beobachtungen gezogen hat. So hatte Baer
die Vermutung ausgesprochen, dass die grosse Temperatur-
differenz zwischen dem wärmeren, obwohl nördlicher ge-
legenen Westende des Matotschkin-Schar und der südlicher
gelegenen, aber kälteren Karischen Pforte mit den bisherigen
Erfahrungen über die Verschiedenheit der Temperatur an
der Ost- und Westküste übereinstimme, ja noch auffallender
befunden worden wäre, wenn nicht beide Beobachtungen an
Meerengen angestellt worden wären. Er findet seine Ver-
mutung durch die neuen Beobachtungen sehr auffallend, mehr
sogar als er erwartet, bestätigt. Nicht nur die Gesamttemperatur
des Jahres, sondern die fast aller einzelnen Monate ist höher
befunden worden als 1834/35 im Westende von Matotschkin-
Schar und noch viel mehr als 1832/33 in der Karischen
Pforte, obgleich der neue Beobachtungsort etwas weiter nach
N. liegt als die erstere Meerenge und bedeutend weiter als
die letztere. Auf jede Weise zeigte sich dieser nördliche
Punkt auf Nowaja Semlja wärmer als die früheren südlichen,
vorzüglich aber im Winter. Baer ermittelte die mittlere
Jahrestemperatur in der Seichten Bai auf —7,28® Cels. ; der-
selben steht diejenige von Matotschkin-Schar gegenüber mit
-8,37® und die der Karischen Pforte mit —9,43^ C. Auch
die Verspätung des meteorologischen Jahres gegen das astro-
nomische zeigte sich in der Seichten Bai, obgleich nicht in
dem Masse wie in der Karischen Pforte. Baer kann die
früher schon gefasste Ueberzeugung nicht aufgeben, dass die
Bullet, scient. Tome VII 1840 S. 229—248.
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Bildung und das Schwinden des Seeises der Grund dieser
Verspätung der Temperaturkurven ist. Was den täglichen
Gang der Temperatur betrifft, so erkennt er auch aus
dieser Beobachtung, dass in den Wintermonaten die täglichen
Differenzen am geringsten, in den Sommermonaten etwas
grösser, am grössten aber während des Ueberganges aus
der langen Polarnacht in den Polartag sind. Die grösste
tägliche Erwärmung findet er auch jetzt, wie bei der ersten
Beobachtung des Klimas von Nowaja Semlja, im Sommer
sehr bald nach Mittag. Nur im August tritt die höchste
Erwärmung nach i Uhr ein, im Mai, Juni, Juli, September,
.Oktober sehr bald nach 12 Uhr. Im November, Dezember,
Januar, Februar, März erscheint dagegen die höchste Wärme
nach 2 Uhr und zuweilen sehr viel später. Diies erinnert
ihn daran, dass bei Berechnung des Temperaturganges in
Matotschkin-Schar ebenfalls ein eigentümliches Verhältnis in
der Reihenfolge der erwärmten Stunden hervortrat. Er hält
es nicht für schwer, in Matotschkin-Schar den Grund dieser
zur Regel gewordenen Störung zu erkennen. Die genannte
Meerenge verbindet das Karische Meer mit dem Eismeer,
sowie die Luftmassen über den beiden Meeren. Das Karische
Meer ist fast nie ohne Eis. Es ist daher kälter als das west-
liche Eismeer (Barendsz-See). Die Luft über demselben ist
im grössten Teil des Jahres bedeutend kälter als die Luft,
welche auf dem westlichen Eismeere liegt. In der Höhe
des Sommers mag sie wärmer sein, denn die grossen Länder-
massen, die das enge Meer umschliessen und sich bedeutend
mehr erwärmen als die See geben der Luft über dem Kari-
schen Meer eine höhere Temperatur, als die Luft westlich
von Nowaja Semlja hat. Es muss aber nicht nur eine Aus-
gleichung der verschiedenen Temperaturen durch die Meer-
enge stattfinden, sondern es wird auch mit Ausnahme der
Sommermonate ein fortwährender Luftzug durch Matotschkin-
Schar von Osten nach Westen stattfinden, da, wenn zwei
verschieden erwärmte Luftmassen miteinander in Verbindung
stehen, in den unteren Schichten die kältere gegen die
wärmere strömt. Diesen Verhältnissen meint Baer, muss
man die Depression der mittleren Jahrestemperatur in Ma-
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— 30 —
totschkin Schar gegen die übrige Westküste zuschreiben.
Die kältere Luft über dem Karischen Meer und über Nowaja
Semlja strömt gegen die wärmere über dem Eismeere. In
dieser vorherrschenden Windrichtung liegt, wie Baer nicht
bezweifelt, der Grund der sonderbaren, im Verlauf des Jahres
nach den Tagesstunden scheinbar zirkulierenden Erwärmung,
das Phänomen nun, das in Matotschkin-Schar unverschleiert
hervortritt, das Vorherrschen des Landwindes in den kalten
Jahres- und Tageszeiten (das Karische Meer im Winter als
Land betrachtet) bringt auch wohl nach Baers Ansicht in
anderen arktischen Gegenden die Störungen im täglichen
Gang der Temperatur während des Winters hervor, wenn
auch nicht mit derselben Bestimmtheit. Es zeigt sich auch
in der Tabelle von der Seichten Bai. Die Beobachtung, die
hier Baer gemacht hat, ist ein Beispiel von örtlicher Luft-
bewegung, wie wir sie an Meeresküsten häufig als „Land-
und Seewind" finden. Die Folgerungen, die er aus den
früheren Beobachtungen gezogen hatte, konnte er, wie ge-
sagt, durch die Beobachtungen in der Seichten Bai völlig be-
stätigt finden.
Anderweite Djg eben besprochenc Arbeit Baers über Temperatur-
kbmatologi- *^ ^
be^tenB^rs beobachtungen an der Westküste von Nowa Semlja führt
uns von selbst auf eine andere Gruppe von Arbeiten, die
klimatologischen. Es war für ihn eine interessante Be-
schäftigung, Berechnungen aus Temperaturbeobachtungen
Anderer zu machen, sie zu schon bekannten in Vergleich zu
stellen und Schlüsse daraus zu ziehen. Eine Reihe von
meteorologischen Arbeiten verdankt solchen Studien Baers
ihre Entstehung. So benützt er das meteorologische Tage-
buch, das der Kontreadmiral und ehemalige Verwalter der
russischen Kolonien in Amerika v. Wränge 11 während
seines Aufenthaltes in Neu-Archangelsk auf Sitcha oder Ba-
ranow, einer Insel des Alexander-Archipels an der Westküste
von Alaska, vom November 1831 bis Februar 1835 geführt
hatte, zu einem Artikel „lieber das Klima in Sitcha und den
russischen Besitzungen an der Nordwestküste von Amerika
überhaupt, nebst einer Untersuchung der Frage, welche
Gegenstände des Landbaues in dieser Gegend gedeihen
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_ 31 —
können."^) Er stellt Wran gel Is Beobachtungen gegenüber
die von Kämtz aus älteren Beobachtungen berechneten
mittleren Temperaturen für die Kolonie Nain in Labrador,
die auf der Ostküste von Nordamerika in fast gleicher Breite
mit Neu- Archangelsk liegt. Den schon lang beobachteten Unter-
schied auf der Ost- und Westküste von Nordamerika unter
gleichen Breiten hofft er durch Zahlenwerte mit Sicherheit
bestimmen zu können. In der Tat ergeben die gefundenen
Zahlen diesen Unterschied in auffälliger Weise. Die mittlere
Temperatur von Neu- Archangelsk betrug +7,89*^ Cels., die
von Nain —3,62® C. So ist das. Klima im Verhältnis zu
dem der Ostküste Nordamerikas begünstigt. Doch sprechen
bei Sitcha Lokalverhältnisse mit. Es erfährt den Einfluss
des Kontinents und der See zugleich und hat daher nicht
ein Insel-, sondern ein Küstenklima. Ausserdem ist die Insel,
wie die Küste von hohen Bergen besetzt, wodurch die Aus-
gleichung der Temperaturverschiedenheit zwischen dem
Kontinent und dem Ozean bedeutend gehemmt wird. Diese
Berge sind zudem noch mit dichten Waldungen besetzt, wo-
durch die Luft sehr viel Feuchtigkeit erhält. Neu- Archangelsk
ist also im Sommer kühler und im Winter wärmer als es
ohne dieses Lokal Verhältnis sein würde und kann nicht un-
mittelbar den Lauf der Isotheren und Isochimenen bezeich-
nen. Die russische Kolonie, findet Baer, gibt einen auffallen-
den Beleg dafür, dass die Raumverhältnisse zwischen dem
festen Land und dem Ozean die Abweichung der Isothermen,
Isotheren und Isochimenen bedingen. Die mittlere Tempe-
ratur des Winters in Neu-Archangelsk ist +1,52*^ C, die mitt-
lere Jahrestemperatur +7,39^ C. Dagegen beträgt die mitt-
lere Sommertemperatur von Sitcha nur +13,5^ C, entspricht
also denjenigen Gegenden Europas, wo der Roggen gar nicht
gedeiht. Man dürfe also, meint Baer, nicht erwarten, dass
der Bau von Roggen auf Sitcha gelingen werde, zumal
Sitcha so feucht ist und der Roggai Trockenheit braucht.
*) Bulletin scient. Tome V No. 9 u. 10 1839 S. 129 — 141 «zugleich
auch abgedruckt im I. Bd. der Beiträge zur Kenntnis des russischen
Reiches. S. 290—320.
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— 32 —
Anders sei es mit Gerste, die wahrscheinlich gedeihen werde,
da ihr Feuchtigkeit weniger schadet. Auf dem Küstensaume
baut man einige Gemüsearten und Kartoffeln, die sehr gut
gedeihen. Baer schlägt vor, man solle die Quinoa pflanzen,
die in Südamerika auf einer Höhe gedeiht, welche die Gerste
nicht mehr verträgt.
In der Ausgabe im Bd. I der Beiträge ist der Aufsatz
Baers über das Klima von Sitcha mit einem Zusatz versehen,
der die Stellung der damals russischen Halbinsel als Klima-
scheide betont. Alaska, sagt er da, bildet in seiner Länge
von mehr als 80 Meilen eine ununterbrochene Mauer zwischen
dem Beringsmeer und dem Busen, den die Südsee im Osten
von dieser Halbinsel bildet. Eine lange Inselkette setzt diese
Scheidewand mit einigen Unterbrechungen fort. Die Folge
davon ist, dass das Beringsmeer kälter ist als jener Busen.
Ausserdem ist nicht nur Alaska, sondern auch ein Teil der
Inselkette sehr hoch. Dadurch wird auch die Temperatur-
ausgleichung in den Luftmassen über beiden Meeren gehemmt.
Daher ist kein Meer so reich an Nebeln als das Beringsmeer,
denn fast von allen Seiten kommt der Wind aus einer mehr
erwärmten Luftregion und muss über der Fläche des kalten
Beringsmeeres Nebel absetzen. Wohl nirgends auf der Erde,
meint Baer, ist ein so bedeutender Unterschied der Klimate
in so geringer Entfernung als auf beiden Seiten von Alaska.
Diese Halbinsel scheidet die waldigen von den waldlosen
Ufern, die Kolibris von den Walrossen.
Bemerkungen ähnlicher Art wie die zu Wrangells Be-
obachtungen machte Baer auch zu den Temperaturbeobach-
tungen der Herren Tschichatschew und Dahl in den
Steppen der Kirgisen während des Winters 1839/40: „Petites
notes sur les observationsde temperature, faites pendant Thiver
1839-— 1840 dans les steppes de Kirghises par MU. Tsch. et
D."^) Die Herren hatten aus der Steppe zwei Briefe an Baer
gesendet von denen der eine meteorologische Beobachtungen
dortselbst vom 18. Nov. 1839 bis 27. Februar 1840 ent-
hielt. Baer berechnete aus den Beobachtungen die wahr-
*) Bullet, scient. VII 1840. S. 66.
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- 33 -
scheinliche mittlere Temperatur der drei Wintermonate auf
— 2i^ C. Indem er dieses Resultat mit denjenigen thermo-
metrischer Beobachtungen in analogen Gegenden verglich,
kam er zu dem Schluss, dass die Isochimene der Kirgisen-
steppe gegen Norden fast der Richtung des Meridians folgt.
Zu den meteorologischen Arbeiten ist ferner zu rechnen Studien über
ein Artikel: „Sur la fr^quence des orages dans les regions ^^'^tter.
arctiques;"^) „Ueber die Häufigkeit der Gewitter in den
arktischen Gegenden." 2) Der französische Physiker Arago
hatte im „Annuaire 1838" einen Artikel über den Donner
veröffentlicht und darin die Behauptung aufgestellt, dass es
im offenen Meere oder auf den Inseln jenseits des 75® n. Br,
niemals donnere und dass der 70^ n. Br. die Grenze der
Gewitter bilde.
Der Petersburger Physiker und Akademiker Jakob i
stellte nun bezugnehmend auf diesen Teil der Arago sehen
Arbeit an ßaer die Frage, ob er während seiner nordischen
Reise 1837 Donner über 70^ n. Br. gehört habe oder ob er
irgend eine andere Kenntnis habe von Gewittern, die im
Norden beobachtet worden seien. Baer antwortet Jakob i
in einem ausführlichen Briefe, den er im Auszuge der Aka-
demie mitteilt. Es ist ihm kein Zweifel, sagt er, dass der
Donner immer seltener wird, je weiter man gegen Norden
vorrückt. Indessen scheint es ihm, dass Arago den Donner
zu sehr begrenzt habe, weil er sich nur auf englische Quellen
stützt und auf Thorstensens Beobachtungen in Island.
Baer ist der Ansicht, dass es keine von Menschen erreichte
nördliche Breite gibt, wo der Donner fehlt, und gibt dafür
einige Beispiele. In Island ist das Gewitter ein zwar seltenes,
aber doch sehr gut bekanntes Phänomen. Anderson,
Olafsen und Po v eisen sind ihm dafür Zeugen. ^) In Grön-
land ist der Donner noch seltener, wie Egede und Crantz
versichern.*) Auf dem Kontinente unter den Breiten Islands,
Bullet, scient. VI p. 66—73 oder
^) Petersburger Ztg. 1839 Nr. 273.
®) Anderson: Nachrichten von Island und Grönland. Hamburg
1747. Olafsen: Reise durch Island. Kopenhagen 1774.
*) Egede, Paul: Nachrichten von Grönland. Kopenh. 1790.
V. Baer als Geograph. 3
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— 34 -
vermutet Baer, ist der Donner häufiger als auf dieser Insel.
Uleäborg hat z. B. durchschnittlich 7,3 Donnerschläge im
Jahr, Archangelsk 6,5 Gewitter, Beresow (64®) 6,
Jakutsk 6, Nertschinsk 18 in 6 Jahren. Baer bemerkt,
dass sich die Häufigkeit der Gewitter mehr nach dem Iso-
thermen richtet oder vielmehr nach den Isotheren als nach
den Breitegraden. Der Botaniker Schwenk hat auf seiner
Reise durch das Samojedenland 1837 mehrere Gewitter er-
lebt. Baer selbst beobachtete, als er sich eine Woche in
Russisch - Lappland aufhielt unter dem 68® ein Gewitter.
Rein ecke, der sich zur Erforschung der Küsten des
Weissen Meeres und Russischen Lapplandes dort auihielt,
erzählte Baer, dass er zwischen 69 und 70*^ achtmal Gewitter
beobachtet habe und dass sie alle im Süd-Osten sich gezeigt
hätten. Man kann also nicht zweifeln, folgert Baer, dass im
Zentrum von Lappland die Gewitter häufiger sein werden.
Selbst inmitten des Polareises fehlen sie nicht gänzlich.
V. Wrangell erzählte Baer einen solchen Fall. Es gibt also
keine Gründe, sagt letzterer, um zu bezweifeln, dass die grossen
Inseln des Polarmeeres Gewittern nicht mehr ausgesetzt
seien. Baer widerlegt also Aragos Ansicht durch die mit
Fleiss zusammengestellten interessanten Beispiele aus den
Beobachtungen Fremder und dann zweitens dadurch, dass
er selbst mit Zivolka ein Gewitter an der östl. Mündung
des Matotschkin-Schar unter 75® 10' beobachtet hat.
Baers Diiu- . wij. verlasseu damit die auf Klimatologie bezüglichen
a^ung^en. Arbeiten K. E. v. Baers und wenden uns einer neuen Kate-
gorie derselben zu, den geologischen. Es handelt sich dabei im
wesentlichen darum zu untersuchen, welche Stellung derselbe
zur Erklärung des erratischen Phänomens einnahm und zwar
zu einer Zeit, als die Meinungen darüber noch sehr geteilt
waren. Baer hatte im Sommer 1838 eine Reise durch das
südliche Finnland bis nach Helsingfors unternommen, auf
welcher, wie er selbst erzählt,^) die Schrammen und Ab-
schleifungen der dortigen Felsen fast gewaltsam seine Auf-
Crantz: Geschichte von Grönland. Barby 1765 — 70, Olafsenund
Eg. Povelsens Reise durch Island Kopenh. u. Leipz. 1 7 74—7 9-
*) Selbstbiographie S. 557 bis 55**
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— 35 -
merksamkeit erregten. , J)iese Beobachtungen," so berichtet
er weiter, ^) weckten mein Interesse für diesen Gegenstand
für immer, und da es mir schwer wurde, mich in die von
Aggassiz kühn und geistreich entwickelte Erklärung durch
Gletscher einer ehemaligen Eiszeit zu finden, habe ich Finn-
land noch mehrmals besucht, zuvörderst aber nach dieser
Reise 1838 und im Jahre 1839 eine andere Reise auf die
Inseln des Finnischen Meerbusens unternommen, um mir eine
Ansicht von der Häufigkeit der durch Schwimmeis auch in
jetziger Zeit umhergetragenen Felsblöcke zu verschaffen.
Obgleich ich von manchen in neuerer Zeit angekommenen,
ansehnlichen Blöcken Nachricht erhielt und der Transport
. von kleinen sich als sehr häufig erwies , so dass einzelne
Inseln im Laufe eines Jahrhunderts dadurch auffallend wachsen,
drängten doch die ansehnlichen und zahlreichen Haufen von
grossen Blöcken, die man im Meere selbst aufgeschichtet
findet, zu der Annahme von Gletschern." Der Gedanke
Ag a s s iz', dass beim Transporte grosser Blöcke die Gletscher
einer ehemaligen Eiszeit beteiligt gewesen seien, den Baer
kühn und geistreich nennt, hatte um die Zeit dieser
Reisen eben an Festigkeit gewonnen, wurde aber noch leb-
haft bekämpft von L. v. Buch. 2) Wir sehen, wie Baer
nach beiden Seiten Konzessionen macht. Er bringt Beispiele
für fortgewanderte Felsblöcke. „Zwei Beispiele von fortge-
wanderten Felsblöcken, an der Südküste von Finnland be-
obachtet/'^) Zivolka hatte Baer diese Fälle aus seinem
Tagebuche mitgeteilt, und diesem schienen sie zu den merk-
würdigsten zu gehören, über die man historische Nachrichten
hat. Der eine ist besonders merkwürdig durch die Höhe,
auf welche der gewanderte Stein geführt ist. Dieselbe liegt
drei Klafter über dem Meeresspiegel bei Kittelholm in der
Nähe von Sweaborg auf anstehendem Felsen lose auf. Er
soll 1814/ 15 erschienen sein. Im zweiten Fall in der gleichen
Gegend glauben die Bewohner den gewanderten Stein wieder
1) Selbstbiographie S. 557 bezw. 558.
2) Vgl. darüber Günthers Geophysik IL S. 936.
3) Bulletin scient. Tome II S. 124—126. 1837.
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- 36 -
ZU erkennen, wodurch eine sehr weite Wanderung (V2 Werst
im Winter) nachgewiesen würde. Sie soll 1806/07 erfolgt
seih. Baer ist der Ansicht, dass diese Notizen ebenso wenig
genügen können, das Phänomen im ganzen zu erklären, wie
alle anderen bekannt gewordenen Beispiele von Steinwan-
derungen in historischer Zeit, wenn sie auch für die Theorie
der Verbreitung der Granitgeschiebe des Nordens nicht ohne
Interesse sein werden.
Noch von einer anderen „Wanderung eines sehr grossen
Granitblockes über den Finnischen Meerbusen nach Hoch-
land" gibt Baer Nachricht.*) Es handelt sich um einen un-
geheuren Granitblock, der vom Eise über das Meer nach
der Insel ,>Hochland'' im Finnischen Meerbusen getragen
worden war. Die Eingeborenen behaupten, er sei nicht vor
dem Eisgang des Frühlings 1838 bemerkt worden. Der
Block war scharfkantig und lag nicht weit vom Strande im
Wasser. Baer findet nun eine derartige Verfrachtung eines
Felsens durch das Eis durchaus nicht unwahrscheinlich; er
ist der Ansicht, dickes Eis könne einen gefassten Block in
die weiteste Entfernung, in die es ohne zu schmelzen gelangt,
tragen. Wir sehen, Baer bekennt sich in diesem Fall zur
Drifttheorie, und müssen zugestehen, dass sie hier auch wohl
berechtigt ist.
Damals fesselten ausser diesem Felsblock Baers Auf-
merksamkeit nicht nur der Anblick der unzähligen und un-
geheuren Geschiebe, sowie ihre zuweilen höchst abenteuer-
liche Stellung, sondern vor allem die Furchung der anstehen-
den Felsmassen. Er findet es unbegreiflich, wie sie bis auf
die neueste Zeit die Aufmerksamkeit der Geologen nicht ge-
fesselt haben, und erklärt es sich daraus, dass in Finnland die
Furchen vielleicht deutlicher seien, als jenseits des Bottnischen
Meerbusens in Schweden 2). Was nun ihre Entstehung be-
>) Bulletin sclent V pag. 154—157.
*) Hier kannte Baer die ältere Literatur nicht. Denn schon im
18. Jahrhundert beschäftigten sich Abildgaard und Tilas mit den für
Finnland typischen Gesteinsanhäufungen der Rapaviki. Ersterer er-
klärte sie durch tellurische Umwälzungen; Tilas begnügte sich mit
der Erklärung durch einen ausgiebigen Verwitterungsprozess.
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trifft, so will sie Baer nicht stärkerer Verwitterung oder der
inneren Struktur der Gesteine zuschreiben, sondern einer
mechanischen Einwirkung auf die Oberfläche. Er ist der
richtigen Erklärung auf der Spur, ohne sie weiter zu ver-
folgen. Auch über die Kraft ist sich Baer nicht klar, welche
die Lagerung von manchen Felsblöcken in Finnland bewirkt
hat. Er sah Felsen, die ihm ohne bedeutende Geschwindig-
keit in der Bewegung in die Lagerstätte und die Stellung
gekommen zu sein schienen, welche sie jetzt einnehmen.
Oft, sagt er, hatte es den Anschein, als seien sie mit Vor-
sicht geschoben oder gehoben, hin und wieder waren sie wie
Tischplatten auf ihr Untergestell aufgesetzt. Da sie auch
auf weiten Flächen und auf abgeflachten Bergrücken vor-
kommen, so findet es Baer schwer, nach der jetzigen Gestalt
des Landes die hebende Kraft zu finden. An Gehängen von
verengten Flussbetten erscheinende Blöcke erklärt sich Baer
durch die bewegende Kraft des aufgestauten Eises; aber von
der Reise jener Geschiebe, die auf weiten Flächen oder auf
Bergrücken langsam abgelagert sind, kann er sich keine
Vorstellung machen. Noch im Jahre 1842 nennt er in einem
Artikel über Diluvialschrammen ^) die Vermutung, dass die
erratischen Blöcke aus Skandinavien über die Ostsee nach
Norddeutschland imd Russland gekommen seien, „eine kühne
Hypothese, die bloss in Ermangelung einer anderen Erklä-
rungsweise für das Vorkommen jener Felsstücke und yi^egen
verwandter Erscheinungen in viel kleinerem Massstabe im
Gebiete der europäischen Alpen sich Anhänger erwerben
und bewahren konnte/' Als Baer im Jahre 1839 in Gesell-
schaft seines ältesten Sohnes Karl eine Reise auf die Inseln
Abildgaard: Eine merkwürdige Veränderung auf der Ober-
fläche der Erde in Finnland. Abh. der schwed. Akad. d. W.
XIX. S. 205.
Tillas: Anmerk. über den vorhergehenden Aufsatz. Ebenda
XIX S. 219 bei Günther Geophysik II S 882.
^) Bericht über kleine Reisen im Finnischen Meerbusen in bezug
auf Diluvialschrammen und Verwandte Erscheinungen. Bullet, physico-
math. I Nr. 7 S. 108— 112.
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- 3» -
des Finnischen Meerbusens machte, war es ihm, wie er in
dem gleichen Artikel berichtet, vor allem darum zu tun ge-
wesen, diejenigen in der Ostsee liegenden Inseln, welche aus
hinlänglich harten Felsmassen bestehen, nach Furchen und
Schrammen zu imtersuchen. Zeigten sie sich, so überlegte er,
nicht geschrammt, so hatte man niu- den Beweis von der
Fortbewegung stark reibender Massen bis an das Meer.
Zeigten sich dagegen die Inseln geschrammt, so war damit
der Beweis geliefert, dass dieselben Bedingungen, durch welche
die Felsmassen Skandinaviens geschrammt sind, über einen
grossen Teil des Meeres fortgewirkt haben und es gäbe dann
kein Hindernis anzunehmen, dass sie auch über das ganze
Wasserbecken ihre Wirkung ausgedehnt haben. Nun kommt
Baer in den Finnischen Busen nach Lawin Sari, Wier, Hoch-
land, Aspö und einigen um Aspö liegenden Inseln. Er sieht
Schrammen, Furchen und Abschleifungen in denselben Modifi-
kationen, wie das feste Land von Finnland sie zeigte. Damit
räumt er nach dem Vorausgeschickten ein, dass dieselben
Bedingungen, die in Skandinavien die Schrammen geschaffen
haben, auch auf den Inseln gewirkt haben. Allein eine be-
stimmte Erklärung gibt er nicht. Er sagt nur, dass man aus
dem Transport der Felsblöcke durch Seeis die Entstehung
der Schrammen am wenigsten herleiten könne. Denn unter
diesen seien so tiefe Ausfurchungen, dass man sie nur der
Einwirkung eines sehr starken Druckes auf die reibende Masse
zuschreiben könne. Desgleichen erscheint ihm die Versetzung
durch das Seeis, die für kleinere Blöcke häufig, für grössere
aber doch selten sei, für die allgemeine Erklärung der errati-
schen Blöcke keineswegs ausreichend,
kjn* MhSi* Damit war für Baer die Frage zunächst abgetan, und
^"j.^^°^stu- es vergingen viele Jahre, ohne dass er sich wieder damit
Ke*^e?. beschäftigt hätte. Erst im Jahre 1863 wurde er wieder an
zuf D^*I seine finnische Reise und die sich daran knüpfenden Fragen
hypothese. erinnert. Graf Keyserlingk hatte im Bulletin de TAca-
demie VI eine Notiz zur Erklärung des erratischen Phänomens
gegeben; Baer hatte sie gelesen und war durch die darin
enthaltenen Gedanken angeregt worden, seine Meinung zu
äussern. Er bringt die Keyserlingkschen Ausführungen
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— 39 -
nochmal und knüpft seine Ansicht daran. ^) Keyserlingk
macht zunächst Einwände gegen die bisherigen Erklärungen
der finnländischen Felsblöcke auf weiten Strecken Esthlands,
Denkt man sich, sagt er, Finnland mit Gletschern bedeckt,
die von Felstrümmern überschüttet ins Meer sich hinab-
drängen und deren Eismassen sich schwimmend weithin ver-
breiten, so könnten auf diese Weise geflösste Steinblöcke nur
auf dem Meeresgrund oder an der Küste sich absetzen. Dann
müsste das ganze mit nordischen Blöcken bedeckte Flachland
in jüngster geologischer Zeit Seegrund gewesen und Spuren
davon noch sichtbar sein. Dies lässt sich aber nicht nach-
weisen. Auch die Reibungserscheinungen an den erratischen
Ablagerungen können nicht durch die unregelmässigen, oft
drehenden Bewegungen des schwimmenden Eises hervor-
gebracht werden. Gletschereis, das mittelst Grus allerdings
Rutschflächen zu bilden imstande ist, will Keyserlingk
auch nicht annehmen, da nach seiner Ansicht in einem flachen
Lande wie Esthland die wesentlichen Bedingungen zur Bildung
von Gletschern fehlen. Darum sind ihm die Beobachtungen
eines Herrn v. Stael an der Pernauschen Bucht (Rigaer
Meerbusen) willkommen, weil sie eine besondere Art der
Fortbewegung des Eises von der Meeresfläche aus landein-
wärts und bergauf kennen lehren. Stael hatte mehreremale
beobachtet, wie eine schwimmende Eisfläche von ungeheurer
Ausdehnung gegen das Ufer gedrängt und über das Land
geschoben wurde. Wo die schwimmende Eisdecke des Meeres
auf steile Abstürze des Ufers stiess, drängte sie sich nach
der Beschreibung wie ein Blatt Papier in die Höhe. Überall
wurden gleichzeitig mit dem Eise Steine aus dem Meere ge-
hoben und ans Land gedrängt. Keyserlingk leuchtet dies
ein und er glaubt, dass Packeis, das auf dem Meeresgrund
festsitzt, Steine in recht bedeutenden Meerestiefen erfassen
und an die Oberfläche bringen könne. Hier berührt K ey se r ■
lingk die zu seiner Zeit noch sehr strittige Frage nach dem
sog. Grundeis des Meerwassers und der hebenden Kraft des-
*) Zusatz zu des Grafen Keyserlingks Notiz zur Erklärung des
erratischen Phänomens. Bullet, de TAcad. Tome VI p. 195—207.
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- 40 —
selben. Seine Ansicht erscheint zutreffend, denn nach den
Untersuchungen des Schweden Petterson in der Nordsee
ist die Bildung von ^^Grundeis** in beliebiger Tiefe unter dem
Wasserspiegel und damit auch das Wiederaufholen ver-
sunkener Gegenstände möglich, wenn nur die vertikale Wärme-
verteilung das keilförmige Einschieben einer kalten Schicht
zwischen zwei warme gestattet. Diese Erklärung findet nun
Baer sehr verständlich. Er hatte, wie schon erwähnt, auf
seiner finnischen Reise eine Reihe von Beispielen gesehen,
die erkennen Hessen, dass Felsen von beträchtlicher Grösse
in eine auffallende Lage geschoben worden seien. Auch war
ihm bei einem Vergleich der heutigen Form der Insel Lawen-
Sari mit der auf dem Kartenbild vonSpafariew (26 Jahre
vorher aufgenommen) aufgefallen, dass die Insel an einer Stelle
grösser geworden sei. Hier kommt ihm nun die Keyser-
lingksche Erklärung sehr gelegen. Er sagt sich: An den
Riffen, welche die Insel umgeben, stapelt sich das Schwimmeis
im Frühling in hohen Schichten auf, die schwimmenden Eis-
felder brechen im Andrang und es bildet sich ein Wall von
Bruchstücken, Liegt dieser „Toross" auf stehendem Eis, so
kann er dasselbe durch sein Gewicht leicht zum Brechen
bringen, sinkt nun tiefer und fasst die Steinblöcke auf dem
Grunde, die es weiter nach innen schiebt. Doch will Baer
keineswegs behaupten, dass die Insel nur durch das Antreiben
neuer erratischer Blöcke vergrössert werde, er hält es für
denkbar, dass auch Hebung mitwirkt, zumal dem Besucher
des Finnischen Meerbusens manche Phänomene vorkommen,
welche anzudeuten scheinen, dass die skandinavische, säkulare
Erhebung unter diesem Busen sich fortsetzt. Das Resultat
seiner Nachforschung über die Bewegung der Blöcke möchte
Baer wie folgt ausdrücken: „Sehr grosse Blöcke werden nur
selten und für jede Gegend nur in sehr langen Zwischen-
räumen vom Eise herangeführt, mittelmässige viel weniger
selten, kleine aber und besonders dem Niveau des Meeres
nahe werden so häufig transportiert und insbesondere vom
Eise zusammengeschoben, dass die Bewohner der Gegend
davon wenig Notiz nehmen und die Umrisse der flachen Inseln
sich in einem Jahrhundert ganz merklich ändern können/'
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— 41 -
In dieser Beziehung meint Ba er, greift also das erratische
Phänomen tief in die Jetztzeit ein. Andererseits aber gesteht
er zu, weisen uns die erratischen Blöcke Verhältnisse nach,
die von den jetzigen ganz verschieden scheinen und von
denen es sehr schwer ist, sich eine Vorstellung zu machen
und welche auch auf das jetzige Meer und sein schwimmendes
Eis gar nicht bezug zu haben scheinen. Er meint damit vor
allem die tiefe Verschattung von erratischen Blöcken in die
Schuttmassen des Bodens z. B. in Esthland und die weite
Verteilung der Blöcke. Für sie muss man, das gibt er doch
zu, auf die Gletscher- oder eine andere Hypothese zurück-
gehen, die die schwimmenden Eisfelder diese Blöcke nicht
füglich in Haufen verteilt haben würden, sondern mehr gleich-
massig gewirkt hätten. Das Gesamtresultat seiner Erfahrungen
möchte er darum folgendermassen zusammenfassen : Er glaubt
ein noch fortgehendes oder rezentes erratisches Phänomen
von anderen, die man Diluvialphänomene nennen könnte,
unterscheiden zu müssen. Für das erstere könne das Schwimm-
eis und das jetzige Niveau des Meeres oder ein etwas höheres
den Erklärungsgrund vollkommen abgeben. Über die antiken,
erratischen oder diluvialen Phänomene wagt er keine Ver-
mutung. Wenn man für diese das schwimmende Eis nicht
requirieren wolle, so habe man auch kein Bedürfnis, nach den
Resten von Seetieren zu suchen. Das wäre, so schliesst
Baer, der bescheidene Beitrag, den er zur Kenntnis des
rezenten erratischen Phaenomens geben zu können glaube.
Wir sehen daraus, dass er im allgemeinen ein Anhänger der
„Drifttheorie" ist. Wenn er auch über die von ihm diluvial
genannten Phänortiene keine Vermutung ausspricht, so können
wir doch wohl annehmen, dass er den Transport durch
skandinavische Gletscher, der uns heute als Erklärung ge-
läufig ist, als befriedigende Lösung der Frage zu ahnen scheint.
Wir haben im Vorausgegangenen erwähnt, dass Baer Bemer-
für die Vergrösserung der Insel Laven-Sari auch die Hebung die ver-
des Landes als erklärenden Faktor mit heranzieht und dass ^SrMsen'^
er es fttr möglich hält, dass sich die skandinavische säkulare
Hebung unter dem Finnischen Busen fortsetze. Die Frage
der Niveauverschiebung des Meeres nimmt sein Interesse in
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— 42 —
Anspruch. Als Kapitän Rein ecke daher 1837 bei der Auf-
nahme der Küsten von Finnland Marken in die Felsen ein-
hauen liess, erstattete Baer über diese Arbeit einen Bericht
an die Akademie.^) Aus den Beobachtungen Reineckes
schien eine Erhebung des Landes am Finnischen Meerbusen
hervorzugehen. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass der fest-
gestellte mittlere Wasserstand bei der Admiralität zu St-
Petersburg um 2 Zoll = 7 cm, bei Kronstadt um 6,9
^=^ 24,15 cm, bei Reval um 2,6 := 10 cm und bei Swea-
borg um 8,4 Zoll = 29,40 cm niedriger war als auf den
Hafenpegeln nach Beobachtungen 15 Jahre zuvor. Ob aber
diese Differenzen eine Erhebung des Bodens beweisen, will
Baer dahingestellt sein lassen. Nun berichtete Reine cke
aber auch, dass im Jahre 1800 der mittlere Wasserstand bei
Sweaborg durch 2 Marken bestimmt worden sei, von denen
jetzt eine 8,9 = 31,15 cm und eine 9,8 =- 34,30 cm über
dem Meeresspiegel stehe. Dies ergibt ein Sinken des Wasser-
spiegels bei Sweaborg um rund 9 Zoll =^ 31,5 cm in 40
Jahren; dem steht gegenüber die Senkung des Wasser-
standes bei Hanpönd um die gleiche Zahl von Zoll aber in
85 Jahren. Dies lässt Baer die Hebung sehr ungleichmässig
erscheinen, und er vergleicht sie mit derjenigen an der Küste
Schwedens, die auch unregelmässig befunden worden ist
Beide scheinen sie ihm ein Falten oder Runzeln des er-
starrten Erdreiches anzudeuten. Baer bekennt sich mit dieser
Ansicht zu der Kontraktionstheorie, wie sie Johnston
aufgestellt und Berzelius nach ihm in den lapidaren
Satz gekleidet hat: „Die Ursache des Phänomens ist die
allmählich stattfindende Abkühlung unserer Erde, wobei
sich der Durchmesser vermindert und die erstarrte Rinde
entweder leere Zwischenräume zwischen sich und der Ge-
schmolzenen lassen oder nachsinken muss, wobei sie jedoch
einen zu grossen Umfang hat, um nicht Falten oder Biegungen
^) Bericht über die Marken, die der Capt. Rein ecke bei Ge-
legenheit der Aufnahme des Finnischen Meerbusens zur Bezeichnung
des Wasserspiegels hat machen lassen. Bullet, scient. IX S. 144—146. 1841.
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^ 43 -
zu bilden, so dass sich auf der einen Seite Teile erhöhen,
auf der andern senken müssen".^)
Zu den geologischen Arbeiten Baers sind ferner zu biem^es
rechnen die Abhandlungen, welche sich auf den sibirischen Eisboden«.
Eisboden beziehen, „the groundice or froizen soilof Siberia''^)
wie er ihn nennt. Dass Baer zwischen diese beiden Bezeich-
nungen or = oder setzt, ist kein Zeichen dafür, dass er
zwischen ihnen keinen Unterschied macht. Und doch ist
derselbe, worauf Günther^) mit Bestimmtheit hinweist, ein
wesentlicher, indem froizen soil der unterirdische Eisboden
Sibiriens ist, in dessen Innerem das sonst im Boden frei zirku-
lierende Wasser in gefrorenem Zustande vorkommt, während
ground ice Boden- oder Steineis bezeichnet, das kompaktes,
verschüttetes Eis und ein massgebender morphologischer
Faktor ist. In dem oben genannten ersten Artikel gibt nun
Baer eine kurze Geschichte der Beobachtungen über den Eis-
boden Sibiriens. Er nennt Gmelin als den, der die ersten
Nachrichten vom Eisboden aus Jakutsk brachte, erwähnt den
Gegensatz zwischen v. Buch, Erman und v. Hum-
boldt und hebt das Verdienst des Kaufmanns S c h e r g i n
in Jakutsk hervor, der bei einem Brunnenbau die efsten Ex-
perimente über die Bodentemperatur anstellte. Er fand in
einer Tiefe von 382 Fuss eine Temperatur von —^l2^ R.
= 0,65 Cels., weiter gegen die Oberfläche war die Temperatur
niedriger. Baer hält es bei dem damaligen Stand der Kennt-
nisse über diesen Gegenstand für unmöglich, genau festzu-
stellen, welches die Grenze der Eisbodenschicht ist. Er hofft
daher, dass die Akademie der Wissenschaften die Temperatur-
messungen in den verschiedenen Tiefen genauer vornehmen
werde als es M. Schergin konnte und dass man sich be-
mühen werde, die Tiefe festzustellen, bis zu welcher die Isolation
in Jakutsk wie in anderen Orten eindringe und somit die
^) Vgl. Günther, Ein vergessenes Dokument zur Geschichte
der Erdphysik Ausland 66 S. 129 ff. u. Roh. Sieger: Zur Geschichte
der Kontraktionstheorie Ausl. 66 S. 18.
*) On the ground ice or froizen soil of Siberia. Journal of the
Geogr. Society Vol. VIII. 210 — 213 und Athenaeum 1838 N. 540 S. 169.
') Günther Geophysik I S. 332 und II S. 758.
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Ausdehnung des Eisbodens. Im Anschluss an seihe Mit-
teilung bringt Baer noch den Bericht von A. Er man, der
ihm mitteilt, dass er den fraglichen Brunnen in Jakutsk ge-
sehen habe, er habe damals soFuss = 15,^5 m gehabt und die
Erdstücke daraus hätten die Temperatur — 6^R* = — 7,5Cels.
gezeigt. Er man, der der Frage des Eisbodens das höchste
Interesse entgegenbrachte, war mit dem von Baer gewählten
Ausdruck „ground ice" nicht einverstanden. In einem zweiten
Artikel erklärt darum Baer noch einmal, was er darunter
versteht.^) „Perpetual ground ice'*, sagt er da, ist das Eis,
welches in den arktischen Regionen in der Schicht der Erde
gefunden wird, die unmittelbar unter der von der Sonne auf-
getauten liegt, diese reicht bis zu der Tiefe/ wo die Tempe-
ratur der Erde am Gefrierpunkte ist.'* Die Dicke des immer
gefrorenen Bodens in Ländern festzustellen, in denen die
mittlere Temperatur bedeutend unter dem Gefrierpunkte liegt,
scheint Baer wichtig vor allem mit Rücksicht auf die Theorie
der Quellenbildung. Wenn, sagt er, der Boden, wie es der
Fall ist in Jakutsk, 300—400 Fuss niemals auftaut, dann müssen
alle die kleinen Flüsse, deren Wasser nur im Sommer im
flüssigen Zustande ist, im Winter ganz ohne Wasser sein
und umgekehrt müssen alle Flüsse, welche ganz innerhalb
der Länder mit Eisboden fliessen und doch im Winter Wasser
führen, dieses aus grösseren Tiefen erhalten, als diejenigen,
welche in gefrorenem Zustande bleiben. Diese Wasseradern
müssen den Eisboden durchdringen. Darum wünscht Baer,
dass einige Nachforschungen darüber in nördhcheren Breiten
angestellt würden. Ferner möchte Baer — was er später
ja auch getan hat — Material sammeln, um die südliche
Grenze des ewigen Eisbodens in der alten Welt festzustellen.
Er zeigt an Beispielen, dass man, je weiter man östlich geht,
desto südlicher die Grenze des Eisbodens findet. In den
Wäldern allerdings, wo das Licht der Sonne abgeschwächt
ist, geht das Auftauen nur V* — 6 Fuss (23,5 cm — 1,83 cm weit).
Weit im Osten wird wenig Eisboden gefunden, wahrscheinlich.
*) Recent intelligence of the froizen ground in Siberia. journ. of
the G. S. VIII S. 401—406 auch Athenaeum 1838 N. 565, S. 509.
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so vermutet Baer, weil die Nachbarschaft der See die Tem-
peratur des Bodens hebt. So fand Er man kein Eis im Boden
von Ochotsk. Baer glaubt, dass Fort Gurchill in Amerika
in 59^ n. Br. genau an der Grenze des ewigen Eisbodens
liegt, da die mittlere Temperatur dieses Ortes nur wenig
unter dem Gefrierpunkt steht. Nach der Karte der Grenz-
linie des Eisbodens von Fritz, reproduziert in Günthers Geo-
physik I S. 333 geht diese allerdings noch einige Grad süd-
licher.'
Wir sehen, welch' reges Interesse Baer der Frage des physIfchS''
sibirischen Eisbodens entgegenbrachte, wie ihm überhaupt die siwrien*^*
Erschliessung dieses Landes sehr am Herzen lag. Hat er
auch keine eigenen Beobachtungen an Ort und Stelle aus-
geführt und keine Expedition in das Innere von Sibirien
unternommen, so gebührt ihm doch das Verdienst, die Er-
forschung dieses Landes durch seine Bemühungen um das
Zustandekommen von Expeditionen wesentUch gefördert zu
haben. Nach seiner ersten Reise nach Nowaja Semlja war
ihm die Notwendigkeit einer Reise in den nördlichsten Teil
von Sibirien zum Zwecke der Erforschung der Pflanzen- und
Tierwelt noch dringender erschienen als früher. Es wurde
denn auch eine Expedition dorthin im Schosse der Akademie
1838 in Vorschlag gebracht. Da man aber Zweifel hegte an
der Ausführbarkeit derselben, so beschloss man auf Baer s
Vorschlag zur vorherigen Orientierung durch Vermittlung
des Generalgouverneurs von Westsibirien Fürsten Gortscha-
ko w in Turuchansk eine Reihe von Fragen an Personen^
welche die Taimyrgegend kennen, zu senden. Baer hat sie
mit den Antworten veröffentlicht.^)- Die Fragen, insgesamt 36,
erkundigen sich zunächst nach praktischen Erfahrungen z. B.
über die Art, wie man die Nordküste erreichen könne, ob
mit Hunden oder Renntieren. Andere Fragen beziehen sich
auf die Verteilung der Bevölkerung. Dazu treten noch rein
naturhistorische und geographische Fragen über Vogel- und
Fischarten, Lemminge, über Ursprung, Laufrichtung, Länge
^) Neueste Nachrichten über die nördlichsten Gegenden von Si-
birien zwischen den Flüssen Pjäsida und Chatanga. Baer u. H e 1 -
mersen's Beiträge Bd. IV. S. 269—300.
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von Flüssen, über Eintritt und Dauer des Frostes u. a. Baer
findet, dass in den Antworten manche willkommene natur-.
historische Notiz vorkomme, wie die über die Grenzen des
hochstämmigen Holzes; doch nennt er im ganzen ihren In-
halt sehr niederschlagend. Trotzdem stellte er 1843 ^^^
Antrag an die Akademie, sie wolle eine Kommission er-
nennen, die über die Zweckmässigkeit und Ausführbarkeit
einer Expedition in das Taimyrland beraten, dann später die
Ausführung bestimmen und schliesslich die Überwachung
übernehmen sollte. Die Kommission wurde gewählt, sie be-
stand aus dem Petersburger Zoologen Fried r. v. Brandt,
dem Physiker Fr d. Emil Lenz und Baer. Dieser war es,
der der Akademie einen für die Durchführung der Aufgabe
vorzüglich geeigneten Mann empfahl, den Professor an der
Universität zu Kiew Theodor v. Middendorff Er hatte
diesen ausgezeichneten Forscher kennen gelernt auf seiner
Reise nach Lappland 1840, auf der er ihn begleitete. Über
diese Reise übrigens, welche Baer nach der Halbinsel Kola
führte, ist nicht viel bekannt gegeben worden. Bevor
V. Middendorff seine grosse Reise antrat, unternahm Baer
mit ihm im Sommer 1842 noch eine kleine Reise auf die
Inseln des Finnischen Meerbusens bis nach Helsingfors, damit
Middendorff die Spuren der Eiszeit kennen lernen sollte.
Wir haben die darauf bezügliche Arbeit^) Baers schon bei
der Frage des erratischen Phänomens erwähnt. Dann schrieb
letzterer eine besonders ausführliche Instruktion für M i d d e n -
d o r f f.2) Zwei Aufgaben, heisst es da, sind es vorzüglich, denen
diese Expedition sich zu widmen hat. i. Eine allgemeine
Erforschung der Gegend nördlich von Turuchansk bis Cha-
tanga in geographischer, ethnographischer und naturhistorischer
Hinsicht. 2. Die Untersuchung der Ausdehnung und so viel
wie möglich der Mächtigkeit des bleibenden Eisbodens in
Sibirien, sowie aller übrigen Verhältnisse der Bodentem-
peratur, soweit es die Verhältnisse und Mittel dieser Reise
^) Bericht über kleinere Reisen im Finnischen Meerbusen. Bullet,
phys. math. I No. 7.
^) Instruktion ftlr den Dr. v. Middendorff zu seiner Reise nach
Sibirien. Bullet, physico-math. 1 S. 177—185. 1843.
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— 47 -
erlauben. Die zweite Hauptaufgabe zerfällt in zwei Reihen
von Beobachtungen, von denen die eine auf eine möglichst
genaue Untersuchung des Brunnens in Jakutsk sich bezieht,
die andere aber korrespondierende Beobachtungen in anderen
Gegenden Sibiriens sammeln wird.
Ende des Jahres 1842 trat Middendorff seine Reise ^Midd«^°
an; Baer verfolgte sie begreiflicherweise mit dem grössten **°'^'*
Interesse. Aus den Briefen, die Middendorff an ihn rich-
tete, entnahm er von Zeit zu Zeit Berichte im „Bulletin** der
Akademie. Diese sowie alle seine Aufsätze, welche sich auf
Middendorffs Reise bezogen, hat er später summarisch
zusammengefasst. *) Middendorffs Reise, die von November
1842 bis April 1845 dauerte, war für ihn und alle Teilnehmer
überreich an furchtbaren Anstrengungen und Gefahren ge-
wesen, und seine Berichte lesen sich, wie Günther sagt,*)
stellenweise wie eine ausschweifende Robinsonade. Baer
gab von dem Gange und den Schicksalen der Expedition
„die erste zusammenhängende, höchst anziehend und fesselnd
geschriebene Darstellung". ®)
Von grösster Wichtigkeit musste es für Baer bei seiner
Vorliebe für klimatologische Beobachtungen und bei seinem
Interesse für den sibirischen Eisboden sein, Middendorffs
Beobachtungen darüber zu erfahren. Er bemächtigte sich
mit Eifer der Ergebnisse von dessen Beobachtungen über die
Temperatur in der Luft und im Boden und stellte sie zu-
sammen. Es erschien eine eigene Arbeit von ihm über das
KUma des Taimyrlandes nach den Beobachtungen der Mid-
d e n d o r f sehen Expedition. *) Dieser Forscher hatte Tempe-
raturbeobachtungen an der Boganida in dem Orte Korennoje-
Filippowskoje unter 70^5' n. Br. und 118 ö. L. gemacht.
Baer findet die gegebenen Zahlen deshalb wertvoll, weil sie
uns zuerst ein Mass gaben für die Wirkung der Sonne auf
dem Kontinent in Gegenden, wo sie einige Monate über
*) Summarischer Bericht von Herrn Th. v. Middendorffs Reise
im arktischen Sibirien. Beiträge IX. Bd. 2. Abt. Petersb. 1855.
^) Günther, Geschichte der Erdkunde S. 282.
*) Stieda a. a. O. S. 132.
*) Bulletin physico-math. Tome IV p. 315 — 336.
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- 48 -
dem Horizonte verweilt. Die mittlere Sommertemperatur
betrug + 7,25 ® C. Wenn wir, sagt Baer, den Sommer vom
Aufgehen des Flusses bis zum Bedecken desselben mit Eis
rechnen, so währt er 90 Tage. Fast ebenso lange währt
im allgemeinen die Zeit der Vegetation. Diese kurze Zeit
und die angegebene Intensität der Wärme während derselben
genügt, um Bäume, namentlich Lärchen von 8—10 Zoll zu
erzeugen. Erst unter 72® lag nach dem Ausdruck Mi dd en-
do rffs der Wald in den letzten Zügen.
Kiima und Daraus folgert nun Baer, dass für den Baum wuchs ausser
Pflanzenent- '^ '
wicuung einer bestimmten Quantität Wärme oder einer bestimmten Inten-
nach Baer. **
sität derselben noch ein Schutz gegen den unmittelbaren Einfluss
der Seewinde erforderlich sei. Denn bisher habe man keinen
bestimmten Beweis in Zahlen geben können, dass, auch ab-
gesehen von der Verminderung der Sommertemperatur, welche
das Meer besonders im Norden erzeugt, die Nähe desselben
dem Wachstum der Bäume sei es durch Winde oder auf
andere Weise hinderlich wird, eben weil man dieses Mini-
mum von Wärme noch nicht kannte, mit welchem ein Wald
noch bestehen kann. Da wir nun ein solches von der Boga-
nida haben, so lässt sich, meint Baer, durch Vergleichung
der Sommertemperaturen zeigen, dass eine Menge nordischer
Gegenden waldlos sind, die mehr Sommerwärme haben als
die Waldregion an der Boganida. Ueberhaupt, so steigert
Baer seine Behauptung, hat man durch die Middendorff-
sche Expedition nicht nur auf dem nördlichsten Vortreten
des Landes auch das nördlichste Vortreten des Waldsaumes
kennen gelernt, sondern man darf wohl auch überzeugt sein,
dass, wenn das Land bedeutend weiter vorginge, der Wald
es auch täte. Ja Baer bezweifelt sogar kaum, dass der Wald
bis an den Pol reichte, wenn das Land in weiter Ausdehnung
über denselben hinaus sich verlängerte, da ohnehin mit dem
weiteren Vortreten des Landes der Sommer in derselben
Breite wärmer sein würde.
Ein weiteres, nicht uninteressantes Ergebnis der Tempe-
J*^^[*^Yn r^^^'^'^^^'^^^htungen an der Boganida sieht Baer in dem
Sibirien.
') Vgl. Kärtchen I.
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— 49 — ■ • '^" •'■' .,.^.
Umstand, dass dort die Höhe der Sommerwärme Vuf^di^'t
erste Hälfte des August traf. Da in zwei anderen Beorocfe
tungsstationen, auf welche das Karische Meer und die Luft
über demselben unmittelbare Einwirkung ausüben (Felsenbai
an der Südostspitze von Nowaja Semija und Matotschkin-
Schar), dasselbe Verhältnis beobachtet ist, so bezweifelt Baer
nicht, dass die Retardation der Sommerwärme ihren Grund
in den Verhältnissen des Karischen Meeres selbst habe. Er
wiederholt hier die gleiche Ansicht über das Eis des Kari-
schen Meeres und seine Wirkung, wie er sie schon in den
Aufsätzen über Nowaja Semija geäussert hat. Wir wollen
später noch einmal darauf zurückkommen.
Für viel wichtiger als diese Beobachtungen der Tempe- Bodentem.
^ *^ *^. peraturen u.
ratur m freier Luft hält Baer bei Middendorffs Reise die gefrorene»
. . Erdreich.
Beobachtungen der Bodentemperatur, weil sich hiezu eme
ganz ausserordentliche Gelegenheit darbot, und weil dieser
Gegenstand viel weniger wissenschaftlich erforscht war. Aus
diesem Grunde findet er aber auch nur einige Fragen durch
die Reise gelöst, andere Fragen und neue Zweifel erheben
sich ihm erst jetzt, und es scheint ihm, dass die Temperatur
des Bodens überhaupt und des gefrorenen Bodens insbesondere
noch langjähriger Untersuchung bedürfen wird. Die Mäch-
tigkeit des Eisbodens, in den der Schacht von Jakutsk ge-
trieben ist, erscheint Baer bedeutender als man nach Scher-
gins Temperaturablesungen glauben konnte. Middendorff
berechnete nämlich, dass der Nullpunkt bei Jakutsk erst in
einer Tiefe von 600—700 Fuss (183—213,5 m) zu erwarten
sei, wie schon Erman vermutet hatte. Dass die Temperatur
in den tieferen Schichten, auf welche der Wechsel der Jahres-
zeiten keinen bedeutenden Einfluss mehr ausübt, zunimmt,
erscheint Baer mit genügender Sicherheit bestimmt. Dagegen
bezweifelt er nicht, dass der Scherginschacht mit seiner
Mitteltemperatur von —6,61^ R. (8,26^ Gels.) bei 50 Fuss
{15,25 m) Tiefe keineswegs die Bodentemperatur angibt,
sondern nur das Mass seiner eigenen Abkühlung. Es findet
nämlich, vermutet Baer, innerhalb des Schachtes eine auf-
und absteigende Luftströmung statt, hervorgerufen durch den
freien Zutritt der kalten Luft in den offenen Schacht. Da-
V. Baer als Geograph. 4
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_ gO —
durch erklärt sich Baer auch, dass alle anderen Gruben,
welche man neu anlegte, eine auffallend höhere Temperatur
zeigten. Middendorff hält die Temperaturen in der Wand
des Scherginschachtes im allgemeinen für die normalen, Baer
dag^en kann sich nicht entschliessen, die fast übereinstim-
menden Temperaturen der drei neuen Gruben und die zwei
anderen sämtlich für Abweichungen zu halten. Wenn es
richtig ist, sagt er, dass der Schacht in Jakutsk durch den Zutritt
der atmosphärischen Luft und. die im Schacht unterhaltenen
Strömungen um mehrere Grade abgekühlt ist, so folgt dar-
aus, dass wir die Leitungsfähigkeit für die Wärme im ge-
frorenen Boden nicht kennen und dass man aus dem Scher-
ginschacht nicht auf die Mächtigkeit des Eisbodens schliessen
kann. Unter diesen Umständen und bis die Frage entschieden
ist, ob der Unterschied der Boden- und Lufttemperatur in
Sibirien so gross ist, als wir glauben, hält es Baer für völlig
unmöglich, die Ausdehnung des Eisbodens theoretisch oder
nach der Lufttemperatur einigermassen annähernd zu be-
stimmen. In der Tat können wir auch heute nur das eine
sicher feststellen, dass die Eisbodenschicht eine sehr mäch-
tige ist, ohne genaue Angaben über ihre Dicke machen zu
können. Statt einen solchen Versuch zu wagen, möchte
Baer lieber zusammenstellen, wo die unmittelbare Beobach-
tung bleibendes Bodeneis nachgewiesen hat. In Lappland
ist seines Wissens nirgends bleibendes Bodeneis, auf der
Ostküste des Weissen Meeres scheint ihm aber der Eisboden
bald zu beginnen. Schrenck fand in der Umgegend von
Mesen^) eine gefrorene Schicht in 7 Fuss (engl.) (2,13 m)
Tiefe. Die Insel Ko 1 g u j e w, sowie alle Inseln des Eismeeres
bis zur Beringstrasse haben Eisboden. In der Nähe von
Mesen beginnt der zusammenhängende Eisboden, bis gegen
die erste Hauptkrümmung der Petschora reicht er nach
Schrenck. Nach dem Ural hin scheint Beresow dem Südrande
des Eisbodens nahe zu liegen. Weiter nach Osten am Jenissei
hat man jetzt nach Middendorffs Beobachtungen die
Grenze ziemlich genau festgestellt, da Turuchansk^ fast
') Vgl. Kärtchen I.
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— 51 -
auf dem Rande des Eisbodens zu liegen scheint. Weiter
nach Osten im Gebiete der Len«^ sind die Verhältnisse ausser-
ordentlich verändert. Dass von der Küste bis über Jakutsk
hinaus ununterbrochen Eisboden i^« wusste man von der
Zeit der ersten Besetzung her. Wie ungemein mächtig er ist,
Hessen die Erfahrungen Sc her g ins erkennen. Zur Abschät-
zung der Südgrenze hatte Baer einige Vergleichungspunkte
erhalten. Nach Südosten fand man in Amginsk in 60 Fuss
(18,30 m Tiefe) — 1,5^ R. (1,87^ Cels.) Noch weiter in der-
selben Richtung an der Mündung der Maja wird in der Tiefe,
wo der Einfluss der Jahreszeiten schwindet, die Temperatur
nur sehr wenig unter dem Gefrierpunkte sein. Nach Süd-
westen ist Olekminsk noch innerhalb des Eisbodens, Witimsk
entschieden ausserhalb. Dagegen ist auf dem Witimplateau
nach mehrfachen Nachrichten der Boden selbst am Schlüsse
des Sommers in geringer Tiefe gefroren. Baer bezweifelt
nicht, dass die ganze Höhe südlich der Witimsteppe im Westen
bis zum Baikalsee, im Osten bis zum Flussgebiet des Amur
bleibendes Bodeneis enthält, weil in Nertschinskischen Gruben-
revieren an vielen Stellen Eis in so bedeutenden Tiefen ge-
funden wurde, dass man es nicht für ein Produkt des vor-
herigen Winters halten darf. Ja Baer findet es sogar wahr-
scheinlich, dass der Eisboden aus den Grenzen des russischen
Gebietes heraustritt und mehr oder weniger über die Stadt
Urga reicht. Dass östlich von Jakutsk der Eisboden sich
bis an die unmittelbare Nähe des Meeres hinzieht, schliesst
Baer aus Nachrichten, die Georgi vor sich hatte und die
Eis bei Ochotsk melden. Die Südgrenze mag mit der Reichs-
grenze ziemlich zusammenfallen. Wenigstens fandMidden-
d-orff bei Udskoi am 13. Juni in 6V2 Fuss den Boden ge-
froren, ohne dass er jedoch entscheiden konnte, ob er un-
veränderlich so bleibt und ob dieses Verhältnis allgemein
ist. Aus Kamtschatka kennt Baer keine Nachrichten über
bleibendes Bodeneis. Er glaubt daher, dass es in der süd-
lichen Hälfte fehlt — was ja auch der Fall ist —, und sieht
den Grund teils in der vulkanischen Tiefe, teils in der Lage
zwischen zwei weiten Meeren. In der nördlichen Hälfte,
dem Lande der Korjaken, glaubt er, wird es nicht fehlen.
4*
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— 52 —
keSe^EÜ. Bevor wir die Arbeiten Baers, die sich auf Sibirien be-
ropas. ziehen, verlassen, müssen wir noch, wie oben angekündigt,
den wissenschaftlichen Streit berühren, den seine Aeusse-
rung über das Karische Meer hervorgerufen hatte. In seinem
Aufsatze: „Ueber das Klima von Nowaja Semlja und die
mittlere Temperatur insbesondere ^) hatte Ba er das Karische
Meer mit einem „Eiskeller" verglichen. Diese Bezeichnung
hatte nun vielfach die Vorstellung erweckt, als ob das
Karische Meer gar nicht schiffbar sei. In einem Artikel des
„Ausland'' 1876 Nr. 2 kommt dies besonders zum Ausdruck,
Hier verteidigt v. H e 1 1 w a 1 d den Gothaer Geographen Peter-
mann gegen die schwedische Zeitung „Aftonbladet", die ihn
der Verkleinerung Nordenskiölds beschuldigte, da er die Er-
gebnisse von dessen Expedition (1875) als Bestätigung seiner
schon 187 1 ausgesprochenen Ansicht von einem neuen nor-
dischen See weg hingestellt haben soll, während Nor denskiöld
' diesen schon 1869 prophezeit habe. v. Hellwald zeigt nun,
dass Nordenskiöld seine Voraussetzung nur bedingt gebraucht
habe, und dass die Frage, ob die Karasee schiffbar sei, weder
vonNordenskiöld(i869)noch vonPetermann entschieden
worden sei, weil damals „die von E. v. Baer herrührende
Vorstellung von dem Eiskeller des Karischen Meeres noch
die Oberhand hatte.'* „Hätte," so fragt der Verfasser weiter,
„Peter mann etwa von den Resultaten der Walfischfahrer
keine Notiz nehmen, seine Vorstellung von dem Baerschen
Eiskeller nicht rektifizieren, den alten Irrtum weiterschleppen
sollen?"
An diese Auseinandersetzung knüpft nun B a e r in dem
Artikel: „Verdient das Karische Meer die Vergleichung mit
einem Eiskeller?" 2) an und wendet sich mit Bitterkeit gegen
den Vorwurf, als hätte er behauptet, das Karische Meer
könne gar nicht zu Schiff befahren werden. Er weist
darauf hin, dass er in seinem ersten Aufsatze über den hohen
^) Bullet, scient. Tome II.
2) Ausland 1876 Nr. 11 und Bullet, de TAcad. de St. Petersbourg^
Tome XXI 1876 S. 289—292.
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— 53 —
Norden, ^) in welchem er von den letzten Besuchen ih Nowaja
Semlja spricht, zuerst bekannt gemacht hat, dass die alte
Sage von dem Walrossfänger Loschkin, der Nowaja
Semlja vollständig umsegelt habe, dadurch zur Gewissheit
erhoben sei, dass Pachtussow ein von ihm errichtetes
Kreuz an der Ostküste der Südinsel aufgefunden habe. Dann
hebt Baer hervor, dass er ja selbst das Karische Meer be-
sucht und in seinem Bericht gesagt habe, dass gar kein Eis
zu sehen gewesen wäre. Unmöglich, folgert er daraus, könne
er also behauptet haben, dass das Karische Meer nicht be-
fahrbar sei. Es scheint in der Tat, dass man Baer Unrecht
tut, wenn man ihm die Urheberschaft des Vorurteils gegen
die Schiffbarkeit des Karischen Meeres zuschreibt. Denn
dadurch, dass er es mit einem Eiskeller vergleicht, spricht
er keineswegs zugleich die Unschiffbarkeit desselben aus.
Daran hält er auch in der eben genannten Verteidigungs-
schrift fest Er habe, sagt er, das Karische Meer, das rings
von Landmassen umgeben sei, die im Winter viel kälter
seien als die See und das darum sein Eis länger bewahren
und nur gelegentlich ganz eisfrei sein könne, mit einem Eis-
keller verglichen. Sei denn dies so falsch? Ein Eiskeller
ist eine Räumlichkeit, in welche Eis gebracht wird und in
der es sich lange erhält, weshalb jene Räumlichkeit auch
eine niedrigere Temperatur hat als die Umgebung, denn
selbst wenn das Eis geschwunden ist, unterhalten die abge-
kühlten Erd wände die niedere Temperatur. Wolle man
übrigens, so fährt er fort, die Vergleichung mit einem -Eis-
keller missbilligen, so habe er nichts dagegen; wenn man
aber zu verstehen gebe, er habe das Karische Meer für ganz
unfahrbar erklärt, so könne er das nicht billigen. Gegen
die Hoffnungen Norde nski öl ds, dass ein bleibender Handels-
weg nach dem Jenissei durch die letzte Fahrt der Schweden
(Nor denskiöld mit dem Segler „Pröven" 1875) eingeleitet sei,
spricht sich Baer sehr skeptisch aus: „Zu einem Handelsweg
gehört nicht nur ein Weg, sondern auch Handel. Wenn
Bericht über die neuesten Entdeckungen an der Küste von
Nowaja Semlja. Bullet, scient. T. II.
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aber die Westeuropäer noch mehr bekannrmit dem Karischen
Meer werden, so vertauschen sie vielleicht den Vergleich
mit einem Eiskeller mit dem eines Warenhauses und pflanzen
Ananas und Kokosbäume an den Ufern desselben."
Diese pessimistische Anschauung Baers hat sich später-
hin nicht als zutreflFend erwiesen. Nordens kiöld wieder-
holte 1876 glücklich seine Fahrt nach dem Jenissei mit dem
Dampfer „Ymer" und setzte seinen Taten die Krone auf, in-
dem er 1878 mit der „Vega" die ganze Nordküste umsegelte
und als erster die nordöstliche Durchfährt erzwang.
Wenn auch diese für einen regelmässigen Verkehr
zwischen Europa und Asien nicht geeignet ist, so ist es doch
andrerseits ganz gewiss, dass die Karasee, — entgegen der
Ansicht Baers — als Handels weg zu den grossen sibirischen
Flüssen und damit zum Innern des Landes sehr wohl brauch-
bar ist, wenn nur die Jahreszeit richtig gewählt wird,
bdten^r Wir kommcu nun zu einer anderen Art von Arbeiten
dcsK^? Bäcrs, zu denjenigen, die sich auf seine Fischereireisen
Meerel beziehen. Wenngleich diese Reiseuntemehmurtgen ursprüng-
lich einen rein praktischen Zweck im Auge haben, so sind
sie doch auch für die Geographie von Bedeutung, da
aus ihnen mehrere rein geographische Abhandlungen hervor-
gegangen sind. Die ersten Fischereiexpeditionen, sechs an
der Zahl, unternahm Baer 1851/52 nach dem Peipus-See
und dem Baltischen Meere. Diese für die Geographie nicht
in Betracht kommenden Reisen sind aber nur die Vorläufer
jener „1853 beginnenden, mehrere Jahre anhaltenden Reisen
Baers zur Untersuchung der in staatsökonomischer Beziehung
so überaus wichtigen Fischerei des Kaspischen Meeres, jener
Reisen, welche in praktischer, wie in wissenschaftlicher Be-
ziehung so reiche Resultate lieferten". ^) „Seit langer Zeit,''
so erzählt Baer 2) über die Veranlassung der Expeditionen,
beschwerte man sich über den Verfall der kaspischen Fischerei.
Es galt darum, von derselben ein vollständiges Bild zu ge-
winnen, die Klagen über den Verfall zu untersuchen und
Stieda a. a. O. S. 154.
*) Selbstbiographie S. 565.
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Schomingsmassregeln vorzuschlagen.*' Es wurden drei Jahre
dazu bestimmt, doch dehnte sich die Unternehmung auf fest
vier Jahre aus (1853—57). Ueber den Gang und den äusseren
Verlauf der Reisen erzählt Baer in seiner Selbsitbiographie
in fesselnder Weise. Sie waren reich an Beschwerden und
Anstrengimgen, brachten aber auch reiche Ergebnisse. Diese
sind, soweit sie praktischer Natur, in dem zweiten Band des
in russischer Sprache erschienenen grossen Werkes über
die Fischerei Russlands enthalten, soweit sie wissenschaft-
licher Art, in den sog. „Kaspiscben Studien", zu denen wir
ims jetzt wenden wollen.
Sie geben in ihrer Gesamtheit eine ausfahrliche Be-
schreibung des Kaspischen Meeres, die für die geographische
Darstellung dieses Sees grundlegend ist und als die beste
vorhandene angesehen werden darf. Die erste derselben, ge-
schrieben zu Astrachan am 12. Oktober 1854, handelt von
dem Wasser des Kaspischen Meeres und seinem Verhältnis
zur Molluskenfauna. ^) Bevor Baer von der chemischen Zu-
sammensetzung des Wassers spricht, gibt er zuerst ein Bild
des Kaspischen Meeres. Er zerlegt es in das eigentliche
grosse Becken und die einzelnen abgesonderten Glieder.
Unter diesen steht an erster Stelle die Kara-Bugas. Das
Wasser in ihr bildet eine so stark gesalzene Soole, dass
kein Fisch darin weilt. Sherebzow fand eine Salzschicht
auf dem Boden von unbekannter Mächtigkeit. Baer glaubt
daher, dass dieser Busen eine der Sättigung nahe Salzlauge
enthalte und hält ihn für eine natürliche Salzpfanne von
ungeheuren Dimensionen, welche das Meer selbst ohne fremde
Hilfe speist und in welcher die Steppenhitze die Sole ab-
dampfen lässt. Ausser diesem grossen Becken hält Baer
auch den aus dem nordöstl. Winkel des Kaspischen Meeres
südwestlich sich erstreckenden schmalen Busen Kara-Su
(Kaidak) für einen im Entstehen begriffenen Salzsee und den
Mertwyi-Kultuk, von dem ersterer abgeht, für sehr stark
salzhaltig. Er gründet seine Ansicht auf die Nachrichten
von der Fischlosigkeit dieser Meeresteile und auf den Um-
*) Bulletin physico-math. Tome XIII. 1855 S. 193—210.
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Stand, dass kein Zufluss von Süsswasser erfolgt. Dagegen
haben zwei grössere Busen im Süden, der Astrabadsche und
der von Enseli wegen starken Zuflusses von süssem Wasser
nur geringen Salzgehalt. Nach Ausscheidung dieser einzel-
nen abgesonderten Teile zerlegt nun Baer das übrig
bleibende grosse Becken in zwei Abteilungen, in das nörd-
lich flache und das südlich tiefe Becken. Wenn man, sagt
er, eine fast parabolische Bogenlinie, deren Scheitel gegen
die Wolga gerichtet ist. von dem Agrachanschen Vorgebirge
nach Osten hinüberzieht, nicht nach dem Vorgebirge Tjuk
Karagan selbst, wie gewöhnlich angegeben wird, sondern
auf ein Drittel der Entfernung zwischen diesem Vorgebirge
und dem Südende der Insel Kulaly, so scheidet diese Linie
ein nördliches flaches Becken von einem südlichen tiefen.
Das flache nördliche Becken hat nicht über 9 Faden ==
etwa 17 m Tiefe und enthält nur brackisches, an der Nord-
küste fast ungesalzenes Wasser. Das südliche Becken da-
gegen gewinnt sehr rasch an Tiefe, selbst an der Küste, die
Mitte gilt für unergründlich tief. Neuere Messungen be-
stätigen diese Vermutung Baers nicht, sie ergeben als die
grösste Tiefe 946 m. Das tiefe Becken möchte dieser wieder
in zwei Abteilungen, eine nördliche und südliche teilen, die
Grenze wäre da, wo das Meer am meisten verengt wird,
zwischen dem Apscheronschen und dem Krasnowodkischen
Vorgebirge.
Das flache Becken wird immer flacher an allen seinen
Rändern von dem Absätze der grossen Flüsse und vom
Sande der östlichen Steppe, den der vorherrschende Ostwind
ins Meer treibt. Im tiefen Becken versandet aus demselben
Grunde der südöstliche Winkel. Die Mündungen des Terek
haben sich dem Agrachanschen Vorgebirge um ein paar
Werft genähert. Im tiefen südlichen Becken ist nur die
Mündung der Kura bedeutend vorschreitend. Das flache
Becken ist überall von flachen Steppenländern umgeben mit
alleiniger Ausnahme des Ueberganges von Mertwyi-Kultuk in
den Kara-See, wo der hohe Ustjurt nahe zum Kaspischen
Meere vortritt- Das tiefe Becken aber hat meist hohe Ufer,
hie und da mit schmalem Vorlande; an der Ostküste jedoch
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um den Kara-Bugas und vom Kraswodkischen Busen bis
zum Astrabadschen flaches Land.
Was nun die Beschaffenheit des Wassers betrifft, so
fand Baer folgendes. Er hatte Wasser schöpfen lassen in
der Nähe der Landspitze Tjuk-Karagan, weil er diese Gegend
als den „Mischpunkt" der Wasser beider Becken betrachtete
oder als die Gegend, wo zunächst erwartet werden durfte,
die mittlere Beschaffenheit des Wassers vom Kaspischen
Meer zu finden. Das Wasser zeigte einen Salzgehalt von
1,4 Prozent, doppelt so viel als in dem Wasser, welches
G ö b e 1 nicht weit von der Uralmündung sammelte und mehr
als achtmal so viel als in dem Wasser, das Rose 95 Werst
jenseits der Wolgamündung schöpfte (Göbel 0.6294; Rose
0,1654).
lieber die Molluskenfauna im Kaspischen Meere brauchen
wir uns hier, wo von der Geographie des Sees die Rede ist,
nicht weiter zu verbreiten, wir wenden uns daher gleich der
zweiten der Studien zu. Sie lautet: „Das Niveau des alten
Kaspischen Meeres ist nicht allmählich gesunken, sondern
rasch." Dokumente, die dafür zeugen: „Die Bugors."^) Baer
setzt die Tatsache voraus, dass das Kaspische Meer seinen
Umfang bedeutend verringert und einen ansehnlichen Teil
seines Bodens trocken zurückgelassen hat. Diese Abnahme
des Kaspischen Meeres ist nach ihm, wenn auch für die
historische Zeit sehr alt, mit geologischem Zeitmass ge-
messen, doch sehr neu zu nennen. Sie erfolgte aber nicht,
behauptet nun Baer, allmählich, sondern plötzlich. Wäh-
rend er keine Verhältnisse kennt, welche für eine ganz lang-
same Abnahme sprächen, glaubt er Beweise für plötzHchen
Abfluss gefunden zu haben. Zuvörderst in der ungestörten,
ursprünglichen Lage einer ungefähr 3 Zoll = 91,5 cm mäch-
tigen Schicht von Brackwassermuscheln am hohen Ufer der
Wolga. Ueber derselben liegen zwei Schichten horizontal,
in ihnen sieht Baer nur einen Absatz, welchen die Wolga
auf die Muschelschicht des alten Seebodens abgelegt hat,
aber nicht in einzelnen Jahren, sondern durch eine im grossen
Bulletin de rAcademie Tome XIII. S. 305—332.
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und fast plötzlich wirkende Ueberschüttung, denn es zeigen
sich keine dünnen untergeordneten Jahresschichten, und der
Boden ist salzhaltig. Einen mehr augenfälligen Beweis sieht
er in gewissen Einwirkungen, welche das frühere Meer mit
seiner Brandung an steilen, vortretenden Flussufem hinter-
lassen hat: gewundene, durch Reibsteine ausgearbeitete
Höhlen, die nicht nach unten fortgehen, sondern sich nur in
gewisser Höhe zeigen. Das wichtigste Zeugnis aber für die
rasche und gewaltsame Abnahme des Kaspischen Meeres
findet Baer in den gigantischen Schriftzügen, die es hinter-
lassen hat. Er meint damit die langgezogenen, fi^t paralieieii
Hügel aus „festgedrücktem* Steppenboden, welche sich be-
sonders zusammendrängen, wo die Ufer des Kaspischen
Meeres sich dem Flachlande zwischen der Donschen Steppe
und den Vorbergen des Kaukasus nähern, am meisten aber
gegenüber dem westlichen Ende des Manytschtales. Baer
glaubt nun, dass diese Hügel einen raschen und gewaltsamen
Ab-' oder Zufluss des Kaspischen Meeres und zwar durch die
Kuma- und Manytschniederung nachweisen, einen Abfluss,
der immerhin Wochen und Monate gewährt haben mag.
Ob er aber durch rasche Hebung des östlichen oder irgend
eines Ufers anzunehmen ist oder durch rasches Sinken des
Schwarzen Meeres oder sonstige Ursache kann Baer nicht
beurteilen. Die erwähnten Hügel nennt man Bugors. Sie
sind sämtlich in die Länge gezogen, ihre Länge ist am
häufigsten V2— 3 Werst = 534 m bis 3,281 km. Es gibt auch
solche, die 5,7 und mehr Werst = 6,82 km lang sind. Alle
haben einen breiten Rücken und sanfte Abdachung nach
den Seiten. Sie sind mit Wellen zu vergleichen, die aus
Erdmassen nachgebildet sind. Zwischen ihnen liegen schmale
Wasserarme oder Limane, welche sich zum Teil 30, 40 und
60 Werst = 32, 42, 68 bis 64 km ins Land erstrecken. Die
Bugors aber sind das Ursprüngliche, das Bestimmende, zwi-
schen sie trat das Wasser ein. Um einer Verwechslung der
Bugors, mit langgedehnten Sandhügeln (Dünen) vorzubeugen,
weist Baer daraufhin, dass sie aus Sand und Lehm be-
stehen und Muscheltrümmer und Salze enthalten. Was nun
die Entstehung dieser Burgors anbelangt, so bezweifelt Baer
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sehr, dass die Högel unmittelbare Auswaschungen des noch
weichen und nachgiebigen Meeresbodens sind. Solarige
man nicht ganze Schichten oder grosse Lager von wenig
zerbrochenen Muscheln in ihnen nachweisen kann, hält er
sie nicht für ausgefurchte oder ausgewaschene Reste des
Meeresbodens. Die ganz zerstreuten Muscheltrümmer und
das durch die ganze Höhe gehende, so gleichmässige Ge-
misch von Ton und Sand, die doch ein so verschiedenes
Sinkvermögen haben, lassen ihn glauben, dass die Bugors
sich während eines heftig aufgewühlten Meeres bildeten.
Ihre „dünne Schichtung" würde er am liebsten durch zu-
sammenschlagende Wellen erklären, die in gewisser Regel-
mässigkeit gegeneinander schlagen und auf derselben Stelle
zusammentreffend einen Teil ihres Inhaltes fallen lassen
müssen. Das fächerförmige Streichen der Bugors nach der
Kuma-Manytsch-Niederung und die Art ihrer Schichtung
lässt Baer auf eine gleichzeitige Strömung dahin oder von
da schliessen. Doch kann er sich über die Richtung der
Strömung wegen der mangelhaften Untersuchung kein Urteil
bilden. Bei der eben gegebenen Ansicht über die «Entstehung
der Bugors fühlt Baer selbst heraus, dass das Bedenkliche
und Unwahrscheinliche darin liegt, dass gegeneinander sich
bewegende Wellen längere Zeit in derselben Richtung zu-
sammentreffen müssen, um den Absatz der Bugors zu er-
klären. Darum ist er doch schliesslich geneigt, sie als Pro-
dukte der unmittelbaren Auswaschung anzusehen, wenn man
nur mehr unzertrümmerte Muscheln, die es doch zur Zeit
der Bugorsbildung lebend genug gegeben haben müsste,
finden ^würde oder wenn es sich nachweisen liesse, wohin
sonst der grosse Vorrat lebender Muscheln gespült wurde.
Die nächste, III. der kaspischen Studien spricht von dem Betrachtun-
Salzgehalte des Kaspischen Meeres. „Nimmt das Kaspische ^|^j^***[^^"
Meer fortwährend an Salzgehalt zu? Salzlagunen und Salz- des Kaspi-
seen, die sich auf Kosten des Meeres bilden. Meeresbuchten, ^*^^®° ^***'
die reicher an Salz werden. Salzseen, die auf Kosten des
Landes sich bilden."^)
Bullet, physlco-math. 1855 Tome XIV. S. i— 34.
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— 6o —
Baer führt zunächst die bisher ausgesprochenen An-
sichten über den Salzgehalt des Kaspischen Meeres an und
beurteilt sie dann. GöbeP) hatte die Vermutung ausge-
sprochen, dass das Kaspische Meer, ursprünglich ein Süss-
wassersee aus der angrenzenden Steppe, erst allmählich sein
Salz erhalten haben möge. Eichwald^) hatte ebenfalls das
Wasser des Kaspischen Meetes für sehr salzig und bitter
erklärt und behauptet, dass die Tiere in ihm im Absterben
begriffen seien. Ebenso Stuckenberg. •'^) Hommaire de
Hell*) nahm für das Kaspische Meer 5 Prozent Salzgehalt
an. Dagegen wendet sich nun Baer. Gegen Göbel wendet
er ein: „Die Cardiaceen und andere Salzwassermuscheln,
welche wir in allen Ablagerungen des Kaspischen Meeres,
in den felsigen sowohl als lose in den Steppen in zahlloser
Menge finden, werden wohl nachweisen, dass das Kaspische
Meer von unermesslicher Zeit her salzig war, wahrscheinlich
schon in früheren Bildungsperioden des Erdballs, wo es vom
allgemeinen Meere nicht geschieden sein wird." Es wird
somit als Reliktensee erklärt. Was die Abnahme der Tier-
welt betrifft, so weist Baer auf ein Zeugnis hin, welches
beweist, dass dies nicht der Fall ist Es ist die Zunahme
des Ertrages der Kaspischen Fischerei. Doch verkennt Baer
nicht die Bedeutung der ganzen Frage. Wir haben jetzt,
meint er, ein Kaspisches Meer mit geschlossenem Umfange
und in seiner Umgebung eine weitgedehnte, salzreiche
Steppe. Wenn nun die Verhältnisse so wären, dass das
Kaspische Becken allmählich alles Salz aufnehmen müsste,
welches in dieser. Steppe enthalten ist, ohne von seinem
Salzvorrat bedeutende Quantitäten abzugeben, so müsste es
notwendig an Salzgehalt zunehmen. Dann wäre allerdings
^) Göbel: Reisen in die Steppen des südlichen Russlands. Bd. II
S. 104. Dorpat 1837 — 38.
^) Eich wald: Reise nach dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus
unternommen in den Jahren 1825—26. Stuttgart 1834—37.
^) Stuckenberg: Hydographie des Russischen Reiches. Bd. IV.
S. 38. St. Petersburg 1844—49.
*) Hommaire de Hell: Les Steppes de la mer Caspienne
Tome III S. 398. Paris Strassburg 1843—45.
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— 6i -
möglich, dass maqche Tiere, welche jetzt in ihm leben, nicht
mehr bestehen könnten. Aber — und das bezeichnet Baer
als einen glücklichen Umstand — das Kaspische Meer hat
nicht nur seine Einnahmen, sondern auch seine Ausgaben
an Salz und es kommt nur darauf an, ob es gelingt, beide
gegeneinander abzuschätzen. Der Verlust wird bedingt
durch die Bildung von Salzlagunen und Salzseen. Die Ab-
scheidung von Meeresteilen durch verlängerte Sandbänke
erfolgt auch am Kaspischen Meer, namentlich an der Ost-
küste. Nicht weit von der Alexander - Bai ist der lang-
gezogene Salzsee Karakul von dem Meere durch eine Sand-
bank schon abgetrennt. Als weitere Beispiele für die Ent-
stehungsgeschichte von Salzseen am Kaspisee führt Baer
vier nahe beieinander liegende „Salzmulden" an der Spitze
von Mangischlak zwischen der Festung Nowo-Petrowsk und
dem Hafen an. Sie stellen vier Abstufungen in der Bildung
von Salzmulden dar und es ist für Baer kein Zweifel, dass sie
ihr Salz durch einrieselndes Wasser aus dem Kaspischen
Meere erhalten haben und ihr Salzabsatz allmählich zu-
nehmen muss auf Kosten des Meeres. Aber ausser diesen
Salzmulden gibt es grosse, buchtenförmige Abteilungen des
Meeres, welche salzreicher sind als das allgemeine Becken
und welche auf Kosten desselben ihren grösseren Salzgehalt
gewonnen zu haben scheinen. Baer nennt als solchen ,den
Mertwyi-Kultuk, ganz besonders aber den schmalen Busen,
der davon nach Südwesten abzweigt, den Kara-Su (Kaidak-
Busen). Auch den Kara-Bugas zieht er bei. Dieser ist nach
Sherebzows^) Bericht „beissend salzig" und sein Boden
besteht aus Salz. Durch seinen schmalen Eingangskanal
geht eine Strömung, die fortwährend Seewasser zuführt.
'Wie gross nun der Gewinn und Verlust an Salzgehalt
im Kaspischen Meere ist, das versucht Baer in der vierten
der Kaspischen Studien zu berechnen: „Abschätzung von
Gewinn und Verlust an Salzgehalt im jetzigen Kaspischen
Leutnant Sherebzow unternahm 1847 im Auftrage der Admi-
ralität eine Untersuchung des Kara-Bugas. Er teilte Baer mündlich
seine Beobachtungen mit.
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— 6» -
Meeresbecken. Zufluss salzhaltigen Wassers aus der Wolga-
Uralschen Steppe, aus der Pontisch-Kaspischen Steppe, aus
dem Felsboden der Mangischlakschen Halbinsel, aus dem
Transkaukasischen Salzboden. Abgang desselben (salzhal-
tigen) Wassers durch Bildung von Salzseen und durch Be-
reicherung abgesandeter Buchten."^)
Um den Einfluss der einzelnen Steppengebiete des
Kaspischen Beckens auf dessen Salzgehalt darzutun und
ihre Verschiedenheit anschaulich zu machen, gibt Baer erst
eine Schilderung der Steppen. Die Bilder, die er dabei ent-
wirft, sind mit vortrefflicher AnschauHchkeit gezeichnet.
Ueber den Beitrag von Salz, den die einzelnen Steppen leisten,
äussert er sich, wie folgt : Die Ural-Wolgasche Steppe führt
dem Kaspischen Meere nur sehr wenig Salz zu, eine Quan-
tität, die gegen den jährlichen Verlust des Meeres als ganz
unbedeutend zu betrachten ist. Der Grund liegt in den
verschiedenen Schichten, aus denen die Steppe besteht.
Die eine der sanft geneigten Schichten enthält vorherrschend
Sand, die andere Lehm. Die Sandschichten in der Steppe
sind fast vollständig ausgesüsst, die Lehmschichten dagegen
enthalten noch viel Salz. Das meteorische Wasser senkt sich,
wo es auf Sandschichten fällt, durch diese herab und da das
Kaspische Becken das tiefste dieser Gegend ist, muss es die-
sem zugute kommen. Das Wasser, welches auf die Lehm-
schichten fällt, wird von ihnen mit grosser Zähigkeit fest-
gehalten. Daraus geht hervor, dass das Wasser, das in
der Tiefe fliesst oder sich filtriert, entweder ganz oder fast
rein von Salz ist. Eben weil es in den mehr sandigen
Schichten sich senkt und zuletzt rinnt, sind diese ja aus-
gesüsst. Und aus dem umgekehrten Gründe sind es die
andern nicht.
In der Pontisch-Kaspischen Steppe erscheint es Baer
noch viel augenscheinlicher als in der vorher beschrie-
benen, dass der Sandboden ausgewaschen ist, der Lehm-
boden aber nicht und dass beide hier häufiger wechseln und
schärfer geschieden sind. Ebenso findet er, dass der Boden,
*) Bulletin physico-math. Tome XV. S. 53—59 u. 65—86.
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abgesehen von dem grösseren oder geringeren Sandgehalt,
umsoweniger Salz enthält, je mehr er Neigung hat. Was
mm die Frage betrifft, welchen Beitrag an Salz die Pontisch-
Kaspische Steppe gibt, bemerkt Baer, dass ihm auch hier
kein salzreicher Fluss bekannt ist, der das Meer erreichte.
Dass aber doch ein Teil derselben in die Tiefe dem Meer
zufliesst, dafür scheint ihm das schlechte Brunnenwasser zu
sprechen, das er in der Nähe des Meeresufers antraf. . Er
kommt darum zu dem Schlüsse, dass die Pontisch-Kas-
pische Steppe, obgleich sie viel mehr salzlosen Boden hat,
doch dem Meere mehr Salz zuführt als die Wolga-Uralsche.
Die Felsensteppe von Mangischlak zeigt poröses Gestein,
der Fels zeigt Beimischung von Salz. Das meteorische
.Wasser rinnt von der Oberfläche in die Tiefe. Es verdampft
nur zum geringeren Teil, zum grösseren rinnt es durch den
porösen Felsboden und wird dabei salzhaltig. Baer hält
es nicht für wahrscheinlich, dass eine irgend bedeutende
Menge Salz von hier aus ins Meer gelangt, wenn auch ver-
hältnismässig mehr als aus den vorher genannten Steppen.
Der Salzboden Transkaukasiens endlich ist sehr aus-
gedehnt. Die Steppe wird in Norden von einer fortlaufenden
Reihe abschüssiger Lehmberge begrenzt, welche in ihrer
ganzen Masse salzreich sind. Ein grosser Teil des weit aus-
gedehnten Bodens ist stark mit Salz angefüllt, und Baer
kann sich der Ueberzeugung nicht erwehren, dass dieser
Boden reicher an Salz ist als ein gleicher Umfang der drei
ersten Steppen. Darum ist er auch gar nicht im Zweifel,
dass der Transkaukasische Salzboden dem Meere mehr Salz
zukommen lässt als eine der drei genannten Steppen. Hier
enthält das Wasser selbst grosser Flüsse sehr merkbaren
Salzgehalt.
Die südhche oder Persische Steppe gibt nur süsses
Wasser.
Die Wege nun, auf denen der Verlust des Meeres an
Salz erfolgt, hat Baer schon in der 3. Studie angedeudet.
Er wiederholt: das Meer verliert Salz durch die Bildung
von Salzseen. Beispiele dafür sind die schon genannten
Salzseen bei Tjukkaragan. Manche der Salzlager in der
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- 64 -
Kirgisischen Steppe, fügt Baer noch hinzu, mögen sich auf
Kosten des Kaspischen Meeres gebildet haben. Der Salz-
gehalt im Meerbusen von Kaidak ist viermal so gross als
in^ dem grossen Becken. Man ersehe daraus, dass in sol-
chen Busen des Kaspischen Meeres, welche mit dem grossen
Becken nur eine enge Verbindung haben, die Satzteile sich
anhäufen. Die fortschreitende Abscheidung hat die Zunahme
des Salzgehaltes zur Folge. Das ist auch bei dem Kara-Bugas
der Fall, den Günther^) ein belehrendes Beispiel natürlicher
'Salzbereitung durch Verdampfung des Wassers nennt. Er
hat eine ganz enge Verbindung mit dem grossen Becken
und liegt überdies in einem heisseren Erdstrich. Da findet
ies Baer ganz natürlich oder notwendig, dass die Verdun-
stung in ihm, wie ein „gigantisches Saugwerk" auf das grosse
Becken wirkt.
Baer kommt zu dem Resultat, dass das Kaspische
Meeresbecken jetzt weniger an Salz zu empfangen als abzu-
geben scheint. Damit findet er eine andere Erscheinung in
Harmonie stehend, nämlich das Verhältnis der Muscheln der
Vorwelt zu den jetzigen. Muschelschalen fossiler Formen,
welche man im Ufer und in der Astrachanschen Steppe fand,
gehören Gattungen an, die gar nicht mehr im jetzigen Meere
lebend zu finden sind, sondern in salzreicheren.
Aus alledem folgert nun Baer: Das alte Kaspische
Meer war reicher an Salzgehalt als das jetzige, obgleich es
höchst wahrscheinlich oder fast gewiss eine grössere Aus-
dehnung gehabt hatte.
DicMa- Die V. der kaspischen Studien führt uns in das Tal
nytechscnke. ^gj. Mauytsch. Sic lautet: „Das Manytschtal und der
Manytschfluss.*^) Die Reise Baers in dieses Gebiet war
von wissenschaftlichem und praktischem Interesse; erstens
weil man über das Manytschtal die widersprechendsten Nacji-
richten hatte und seine nähere Bekanntschaft für die genauere
Erkenntnis der jetzigen Gestaltung der Steppe zwischen
dem Schwarzen und dem Kaspischen Meere und der Ver-
gangenheit beider Meere höchst wichtig war, zweitens wegen
Günther, Geophysik IL S. 433,
^) Bulletin physico-math. Tome XV. S. 91 — 112.
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- 65 -
der Möglichkeit einer Kanalverbindung zwischen dem Kas-
pischen- und Asowschen Meere. Der Manytsch war bisher
noch wenig bekannt. Der westliche Teil allerdings war
schon aufgenommen, allein der östliche war noch unbekannt,
kein Naturforscher hatte ihn noch besucht, höchstens No-
maden im Winter, wegen des vollständigen Mangels an
Trinkwasser im Sommer. Pallas, der Petersburger Natur-
forscher und Akademiker, hatte Andeutungen über den öst-
lichen Lauf, den er selbst nicht gesehen, gegeben. Seine
Darstellung des Manytschflusses war richtig, des Tales aber
sehr falsch. Er hatte die Quellen des Manytsch zu weit
nach Osten verlegt, das war deswegen nicht richtig, weil das
Tal sich nach Osten senkt. Parrot,Baers Freund, Natur-
forscher und Reisender aus Dorpat, erhob die ersten Zweifel
gegen die Richtigkeit der Pallasschen Darstellung nach
Berichten von Augenzeugen. Er hörte, dass der öst-
liche Manytsch aus dem Kaiaus seinen Ursprung nehme und
sein Wasser nach Osten fliessen lasse, das Kaspische Meer
aber nicht erreiche. Ein Nivellement, welches späterhin die
Akademie der Wissenschaften anordnete, ergab als Resultat
ein Tieferstehen des Kaspischen Meeres von zirka 84 engl.
Fuss = 25,62 m.
Dies war der Stand der Kenntnisse über den „Manytsch*^
als Baer 1856 in dieses Gebiet kam. Die Resultate, die er
gibt, sind übereinstimmend mit der heutigen Darstellung,
nämlich: Man muss unterscheiden die Manytsch-Niederung,
das eigentliche Manytschtal und den Manytschfluss, oder,
wenn das Wasser sich verloren hat, sein Bett. Für diese
drei Begriffe gebraucht man im Lande den Ausdruck Manytsch,
und die Verwechselungen derselben haben die irrigen An-
gaben veranlasst.
Die Manytsch-Niederung ist nur in der Mitte scharf
begrenzt, nach Norden von dem Südrande der Ergeniberge,
nach Süden von den Vorbergen des Kaukasus. Das Manytsch-
tal ist ein in dieser Niederung scharf ausgearbeiteter, breiter
Graben, der sich in zwei Arme teilt, von denen der nördlichere
nach Osten, der südlichere nach Südosten gerichtet ist. Der
erstere erreicht das Kaspische Meer nicht mehr, der zweite
V. Baer als Geograph. 5
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— 66 —
südöstliche Häuptarm des Manytschtales nimmt vorzüglich
das Wasser aus dem ungeteilten Manytschtale von der Mün-
dung des Kaiaus an, auf. Er ist gegen die Kumaniederung
gerichtet und enthält einige seeartige Vertiefungen. Das
mittlere, d. h. ungeteilte Manytschtal, hat eine ansehnliche
Breite. Das gesamte Tal ist nach zwei Seiten geneigt, sowohl
nach Westen als nach Osten. Der Scheidepünkt dieser Neigungen
ist sehr wenig westlich von der Mündung des Kaiaus. Die
seeförmige Erweiterung, die das Wasser des Kaiaus gebildet
hat, liegt schon ganz auf dem östlichen Abhänge. Bei Hoch-
wasser aber fliesst das Wasser von der westlichen Seite
auch nach der östlichen über. So erklärt sich die Behauptung,
dass der Kaiaus sich nach beiden Seiten ergiesse.
Aus dieser Schilderung des Manytschtales* sagt Baer
weiter, geht schon hervor, wie es mit dem Manytschfhisse
steht. Ein Fluss, der in der Nähe des Kaspischen Meeres
entspringe und bis in den Don flösse, existiert nicht. Wohl
aber fliesst in der westlichen Hälfte des Manytschtales ein
Fluss, der aus den kleinen vom Südende der Ergeni-Berge
kommenden Flüsschen Ilan Sucha und Chara Sucha gebildet
wird, welche das ganze Jahr hindurch einiges Wasser zu
enthalten pflegen. Ausserdem erhält der Fluss Wasser im
Frühling aus dem Kara - Chulussum , dem höchsten Teile
des Tales selbst, und aus der ganzen Breite der Manytsch-
Niederung vermittelst seitlicher A wrage (von Murchison aus
dem Russischen adoptierter Ausdruck für durch Frühlings-
wasser gemachte Einrisse)^) Im weiteren Verlaufe nimmt
der Fluss noch einige kleine Nebenflüsse auf und mündet,
bald seeartig erweitert, bald verengt in den Don. In der
kleineren östlichen Hälfte des Manytschtales fliesst auch
Wasser, aber nur im Frühling oder Spätherbst. Da
es selbst im Winter fehlt, so möchte Baer dieses Wasser
nicht mit dem Namen eines Flusses belegen. Es ist viel-
mehr die östliche Hälfte des Manytschtales nach ihm ein
Awrag, dessen Wasser einesteils die Sakpfützen und Salz-
gründe der Umgegend überschwemmt, andernteils aber in
^) Erklärung nach Stieda a. a. O. S. 260.
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-^ 67 -
die Kuma-Niederung sich ergiesst und zuweilen mit dem
Kumawasser in offener Strömung das Kaspische Meer erreicht.
Für das Kanalprojekt nun zur Verbindung des Asow- *j^^°*;;^*|-
sehen Meeres oder des Don mit dem Kaspischen Meere be- p™^^^^*"^
zeichnet Baer die Tatsache als sehr wichtig, dass die Sohle Kas|Uchem
des Manytschtales ihren höchsten Punkt nicht in der Nähe
des Kaspischen Meeres hat, sondern fast genau in der Mitte
zwischen beiden Meeren. Ein Kanal müsste bei der. tiefen
Lage des Kaspischen Meeres in einer ununterbrochenen
Senkung fortgehen. Natürlich müsste er in das Manytschtal
gelegt werden, doch käme dies wohl zu teuer. Leichter
ausführbar und lohnender erscheint ihm ein Kanal in der
Kuma-Niederung, der den Stromlauf dieses Flusses bis in das
Kaspische Meer wieder herstellte.
Später ergriff Baer noch einmal in der Kanalfrage das
Wort: „Ein Wort über das Projekt den Manytsch zu kana-
lisieren und die öffentlichen Streitigkeiten darüber."^) Er
bekennt sich hier als Gegner des Projektes, da der Erfolg
nur gering und die Schwierigkeiten sehr gross wären.
Im Sommer des gleichen Jahres, das Baer in das ^jf^^^^*^^^"
Manytschtal führte, machte er eine Rundreise um das Kas- ^Me'Sres*''
pische Meer. Das Resultat derselben ist die VI. der Kas-
pischen Studien. „Besuch der Ostküste. Der Chiwasche
Meerbusen und Kolotkins Atlas des Kaspischen Meeres.
Tschelekün oder die Naphtha-Insel. Neft-degil und Fauna der
Insel. Beabsichtigter Leuchtturm auf der Insel Swätoi mit
Benutzung der Gase aus der Tiefe. Inseln der „zwei Brü-
der". Temperatur des Kaspischen Seewassers in der Tiefe
von 300 Faden. Temperatur des Wassers an der Ober-
fläche."2) Baers Besuch galt vor allem der ihm noch unbe-
kannten Ostküste, insbesondere der Chiwaschen Bucht. Diese
hatte Kolotkin in seinem Atlas des Kaspischen Meeres an
die Ostküste als einen tief nach Osten in das Land hinein-
gehenden, im allgemeinen ausgezackten Busen gezeichnet.
Dies gibt Baer Anlass überhaupt in Kürze die Geschichte
*) Petermanns Geogr. Mitteil. 1862 S. 446—451.
*j Bulletin physico-math. Tome XV Nr. 12 u. 13 S. 177—203.
5*
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der kartographischen Darstellung des Kaspischen Meeres zu
berühren. Nach ihm ist die Verden 'sehe Karte die erste im
allgemeinen richtige Karte des Kaspischen Meeres, alle
froheren seien unverbesserlich falsch, die von Olearius^)
nicht ausgenommen. Soimonow verbesserte 1731 den grössten
Fehler der Verden 'sehen Karte, die den nordöstlichen
Winkel an den Mündungen des Ural- und Embaflusses viel zu
weit nach Norden gerückt hatte. Nach ihm hatKolotkin
zuerst das Kaspische Meer in seiner wahren Form dargestellt,
nur die Chiwasche Bucht zeichnete er zu tief hinein in ein
flaches Sandufer als einen Busen mit scharfen Auszackungen,
wie sie nur ein Felsboden geben kann. K a r e 1 i n 1836 zeichnete
sie dann als eine flach abgerundete Einbuchtung. Baer
fand diesen Busen als einen Einsprung des flachen Sandufers.
Er hält es nicht für unwahrscheinlich, dass im Verlauf eines
Jahrhunderts durch Abschneidung von Meerwasser dort Salz-
seen entstehen, wo man damals das Ende der Bucht hinsetzte.
Auf der gleichen Fahrt besuchten sie auch die Naphtha-
insel TschelekOn. Ein Produkt aus der Naphtha, Neft-degil,
welches man ihnen zeigte, erklärte Baer identisch mit dem
Kir Bakus, einem künstlichen Gemisch von dicker Naphtha
mit erdigen Teilen. Beide schienen Baer vorweltliche Naphtha-
ansammlungen zu sein.
Am meisten aber interessierte es Baer auf dieser Fahrt,
dass zuerst ein ernsterer Versuch gemacht wxu-de, den Boden
des tiefen Beckens zu erreichen und aus der Tiefe Wasser
zu schöpfen. Zwar erreichte man den Boden im tieferen
Teile nicht, doch bestätigten die gefundenen Zahlen die Schei-
dung des allgemeinen Beckens in zwei gesonderte, wie sie
Baer schon in der I. Studie schildert. Wasser, welches aus
der Tiefe von 275 Faden = 517 m heraufgeholt wurde,
zeigte eine Temperatur von 15® R. = 18,75® C^^^- ^^^
Temperatur des Wassers an der Oberfläche des Meeres wurde
^) Adam Olearius unternahm mit dem Dichter und Arzt
F 1 e m i n g im Auftrage des Hersogs Friedrich III. von Holstein-Gottorp
eine Gesandtschaftsreise nach Persien und gab nach seiner Rückkehr
t839 eine Beschreibung heraus: „Beschreibung der moskowitischen und
persischen Reise," Schleswig 1647.
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21 V2® R.= 26,9® Cels. gefunden. Baer schätzte die Tiefe an
der Beobachtungsstelle 37%' n. Br. u. 51^15' ö. L.) mit mehr
als 1800 Fuss = 549 m noch zu gering ein.
Was den Salzgehalt betrifft, so fand er ein Ver-
hältnis des Salzgehaltes der Oberfläche zu dem der Tiefe
wie II : 11,75. Daraus ersah er, dass von unten eine fort-
gehende Aufnahme an Salz nicht stattfindet, während von
oben sicher süsses Wasser zufliesst.
Die VII. der kaspischen Studien ist historisch - geo- ali* aJJSIIs.
graphische! Natur. „Der alte Lauf des armenischen Araxes".^)
Baer stellt die Frage: „Wie ist der Widerspruch alter und
neuer Nachrichten über den unteren Lauf des Araxes zu
lösen?" Strabo^) lässt nämlich den Araxes gesondert
vom Kur in das Kaspische Meer sich ergiessen, heute strömt
der Araxes in die Kura. Baer erscheint es nun aus histo-
rischen und naturhistorischen Gründen wissenswert, ob
Strabos Angaben den Tatsachen entsprechen oder nicht.
Dass Strabo nicht die wahre Ausmündung, wie sie damals
bestand, erfahren haben sollte, erscheint Baer bei dem langen
Verkehr dieses Forschers in Armenien, bei den vielen Hilfs-
mitteln, die ihm zu Gebote standen und bei seiner Zuver-
lässigkeit fast unmöglich. Strabo erzählt nun in seiner Be-
schreibung Albaniens Lib. XI. Kap. 4 von den Flüssen Kyros
und Araxes, dass der erstere viel Schlamm im Meere absetze
und die Küste „dünenvoU" mache und der letztere, so wild
er auch herabströme, ihn nicht forttreiben könne. Baer be-
anstandet da an der Uebersetzung das Wort „Schlamm";
es sei Sediment gemeint. Ebenso erklärt er sich nicht ein-
verstanden mit der Uebersetzung von „Mveg"' mit Dünen.
Er möchte es erklären durch „Untiefen" oder „Bänke". Tut
man dies, sagt er, lässt man also das Meer vor den Mün-
dungen des Kur voll Untiefen sein, so ist die Beschreibung,
welche der griechische Geograph vor fast 2000 Jahren gab,
^) Bulletin de la classe historico-philologique. Tome XIV, S.
305—348- 1857.
*) Baer beruft sich hier auf Strabo, Beschrb. Albaniens Lib. XI
Kap. 4 S. 52 nach Groskurds Uebersetzung. Berlin 1831—35.
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noch vollkommen dem jetzigen Zustande entsprechend. Baer
glaubt nun die Lösung des Rätsels gefunden zu haben, in-
dem er ein früheres Flussbett nachweist, welches ehemals dem
alten Araxes angehört zu haben scheint. Er sei keineswegs
mit dieser Frage beschäftigt gewesen, erzählt er, als ihm auf
dem Wege von Lenkoran nach Saljan (1855) ein sehr an-
sehnliches, trockenes Flussbett aufgefallen sei, das in einem
grossen Bogen durch die trockenen Steppen gezogen sei.
Auf seine Erkundigung habe er erfahren, dass der „Kanal",
den er gesehen, ganz für sich ins Meer auslaufe und auf der
andern Seite mit einem See kommuniziere. In diesem See
sieht Baer den Intscha-See. Weiterhin erkannte er nun
aus der Karte des Generalstabes, dass vom rechten Ufer des
Araxes ein stark gewundener Hauptkanal ausgeht, dessen
Zweck nicht ersichtlich ist. Er sieht in demselben ein altes
Flussbett, das aus dem persischen Gebiet in das russische
übertritt. Die Zeichnung endet im Flussbett des „Bolgary
Tschai'*, das letzte Ende des Bettes ist genau nach derti
trockenen Flussbett gerichtet, das Baer getroffen hat. Da-
zwischen liegt noch der Intscha-See, der dieselbe Richtung
hat. Es bleibt nur noch ein Zwischenraum von neun Werst
etwa, in welchem die Karte keine Vertiefung in derselben
Richtung angibt. Sie war aber wohl da uhd wurde nur
undeutlich durch das Ausbleiben des Araxes- Wassers. „Da
hätten wir denn," ruft Baer aus, „den ganzen alten Lauf des
Araxes, wie ihn Strabo beschreibt, gesondert von den Mün-
dungen des Kur, aber doch nahe von ihnen in das Meer
sich ergiessend."
Den Uebergang des Araxes aus diesem alten Flussbett
in ein neues möchte nun Baer auch noch durch eine Reihe
historischer Nachrichten erweisen. Es hat eine Zeit gegeben,
in welcher der Araxes zwei Ausmündungen hatte, eine in den
Kur und eine andere unmittelbar in das Meer. Cl. Ptole-
maeus (Lib. V Kap. 13) sagt es nicht nur bestimmt, sondern
gibt auch die geographische Länge und Breite an. Strabo
muss nur von der Ausmündung ins Meer gewusst haben,
denn er erwähnt der andern nicht. Pomponius Mela, ein
Menschenalter später, hat dieselbe Meinung. Plinius (Lib. VI
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Kap. lo), um zwei Menschenalter später, scheint der erste,
welcher von einem Ausfluss des Araxes in die Kura be-
richtet. Gerade die Zeitfolge der verschiedenen Angaben
über die Mündung des Araxes scheint nun B aer nachzuweisen,
dass die Veränderung im unteren Laufe dieses Flusses im
Anfang der christlichen 2^itrechnung eintrat. Für die Frage,
wie lange nun wohl diese Bifurkation des Araxes bestanden
haben mag, ist B aer neben Moses v. Chorene^) und dem
Araber Ista^clhri^), die von zwei Mündungen sprechen, ent-
scheidend Abulfeda, der seine berühmte Geographie 1321
beendete. Dieser sagt sehr bestimmt: „Der Araxes giesst
sich in den Kur, und beide Flüsse bilden von da an nur
einen, der in das Meer geht.''
Am Schlüsse des 13. Jahrhunderts, das ist das Ergebnis,
zu dem Baer kommt, bestand also wohl keine Gabelung mehr.
Die letzte der 8 kaspischen Studien*^) ist vor den andern ßaera ^.g«-
deswegen besonders wichtig, weil sie das allgemeine Gesetz
über die Gestaltung der Flussbetten enthält, das unter dem
Nanien „Baersches Gesetz'' wohl bekannt ist. Es war eine
alte Wahrnehmung, dass die Flüsse Russlands in der Regel
ein hohes rechtes und ein niedriges linkes Ufer haben. Pal-
las und andere Reisende hatten sie schon gemacht; Baer
war sie bekannt. Ueberzeugen konnte er sich von der Tat-
sache, als er 1853 auf der Wolga von Nischnij -Nowgorod bis
Kasan fuhr. Ebenso, als er 1854 die Wolga zur Zeit der
stärksten Strömung sah. Damals- fiel ihm besonders auf,
wie die Seitenkraft — so will er den Ueberschuss oder Mangel
an Rotationsgeschwindigkeit nennen — in diesem Fluss auf
das rechte Ufer wirkte. Er suchte nach einer Erklärung und
glaubte sie in der Rotation der Erde gefunden zu haben.
Der Satz, den er darüber aufstellt, lautet wie folgt:
M Moses V. Chorene, armenischer Geograph um 450.
^) Istachri, arabischer Geograph aus der ersten Hälfte des X. Jh.,
aus dem Jaqut, Ihn Hauqual und andere Orientalen so viel ge-
schöpft haben.
') Bulletin de l'Academie imperiale de St. Petersbourg. Tome II
1860. S. 1-49; 218-259: 353—382 u. f.
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Das fliessende Wasser bringt, wenn es vom Aequator
gegen die Pole sich bewegt, eine grössere Rotations-
geschwindigkeit mit, als den hohen Breiten eigentlich zukommt,
und drängt deshalb gegen die östlichen Ufer. Umgekehrt
wird das Wasser, welches von den Polen g^en den Aequator
fliesst, mit geringerer Rotationsgeschwindigkeit ankommen
und deshalb gegen das westliche Ufer drängen. Auf der
nördlichen Halbkugel muss also an Flüssen, die mehr oder
weniger nach dem Meridian fliessen, das rechte Ufer das
angegriffenere, steilere und höhere, das linke das über-
schwemmte und deshalb verflachte sein und zwar in dem-
selben Masse, in welchem sie sich dem Meridian nähern.
Auf der südlichen Halbkugel muss umgekehrt das linke Ufer
hoch, das rechte überschwemmt sein.
Es soll nicht unsere Aufgabe sein, das schon so oft
besprochene Baersche Gesetz mit allen den Gründen dafür
und dagegen noch einmal eingehend darzulegen, es kommt
hier, wo es sich um die Feststellung der Verdienste Baers
um die geographische Wissenschaft handelt, hauptsächlich
darauf an, zu betonen, dass er es war, der die Rotation
der Erde als einen Grund zur Erklärung des tatsächlich be-
stehenden Unterschiedes der Flussufer beibrachte. „Dass
ich an die Rotation der Erde dachte," sagt er,*) „habe ich
vielleicht nur dem Umstände zuzuschreiben, dass mich die
Drehung der Winde und der Seestürme öfters beschäf-
tigt hatte." Gleichgültig. Dass er daran dachte, ist sein
Verdienst ; sein Fehler, dass er die Bedeutung dieses Moments
überschätzte, dass er ihm Wirkungen zuschrieb, die es
nimmer zustande bringen konnte, wenn nicht im Bunde mit
anderen kräftigeren Faktoren. Mit ausserordentlicher Zähig-
keit hielt Baer an dem einmal als wahr erkannten Satze
fest, und eifrig bemühte er sich, von allen Seiten bestätigende
Beispiele für die Richtigkeit seiner Anschauung zu sammeln.
Zwar verhehlt er sich keineswegs, dass man Einwände gegen
sein „Gesetz" machen könnte, er übt selbst Kritik, aber er
geht in seinen Zugeständnissen nie so weit, dass dadurch
^) Nachträge zu dem Aufsatz: lieber ein allgemeines Gesetz in der
Gestaltung der Flussbetten. Bullet, de TAcad. 1860. Tome II, S. 373.
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seine ganze Stellung zu der Frage erschüttert würde. Mit
Freuden begrüsst er alle, die sich zu seiner Meinung be-
kennen, mit Erbitterung bekämpft er bis in seine letzten
Tage die Gegner. Denn die Ueberzeugung von der Richtig-
keit seiner Anschauung nahm er mit in das Grab; Ueber
seinen Tod hinaus, jedoch dauerte der Streit um das
„Baersche Gesetz'*. Eine umfangreiche . Literatur entstand
darüber im Laufe der Zeit. ^) Die ganze Streitfrage hat für
uns heute nur mehr historische Bedeutung. Die Bedeutung
der Erdrotation für die Morphologie der Flussbetten ist als
eine geringe erkannt. Sie vermag höchstens, wie Günther
sagt,^) „im Verlaufe sehf* langer Zeiträume mitzuwirken."
Wir schliessen hier eine Arbeit Baers über das P»? »°5«*>-
lichc Was-
Asowsche Meer an. „Ueber das behauptete Seichterwerden ^^^^^,
des Asowschen Meeres;" Bericht einer Kommission an die »<*«»*
' Meeres.
Akademie der Wissenschaften.^) Es war von dem Gross-
fürsten Konstantin Nikolajewitsch an die Akademie der
Wissenschaften sowie an die Geographische Gesellschaft die
Bitte gerichtet worden, ein Urteil über das behauptete
Seichterwerden des Asowschen Meeres abzugeben. Die
Akademie ernannte eine Kommission zur Abstattung eines
Berichtes,* der auch Baer angehörte. Baer verfasste den
Bericht. Zunächst stellt er in demselben historische Nach-
richten über das Asowsche Meer zusammen. Von Herodot
(Lib. IV Kap. 86), dessen Nachrichten zweifellos irrig sind,
abgesehen, bezeichnen alle späteren Nachrichten den „Maeoti-
schen Sumpf als sehr viel kleiner als den Pontus. So
Polybius (Lib. IV Kap. 40), Strabon (Lib. IV Kap. 49)
und Ptolemaeus (Lib. V Kap. 13). Aus diesen Nachrich-
ten zieht Baer den Schluss, dass das Niveau des Asowschen
Meeres seit 2000 Jahren sich nicht merklich verändert hat.
Aehnlich verhält es sich mit der Tiefe. Die Alten nannten
ja schon das Wasserbecken einen Sumpf. Die Tiefe,
welche Polybius den meisten Teilen des Asowschen Meeres
*) Eine genaue Uebersicht über dieselbe gibt Günther: „Die
sichtbaren u. fühlbaren Wirkungen der Erdrotation". Humboldt i. Bd. S.328if.
*) Günther, Geophysik II p. 915.
*) Bulletin de TAcademie. 1861 Tome V S. 72—105.
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— 74 —
gibt, besteht noch jetzt im grössten Teile desselben.
Eine gleiche üebereinstimmung zwischen der Wahrnehmung
des alten Historikers und dem jetzigen Zustand zeigt sich
auch bei der Beobachtung über den Ueberfluss des Wassers.
Pölybius bemerkt, der Don und die andern Flüsse brächten
viel Wasser in dieses Becken, so dass der Spiegel des
Sees sich heben müsste, wenn das Wasser nicht immer
durch den Kimmerischen Bosporus abflösse. Noch jetzt,
sagt Baer, fliesst der Ueberschuss an Wasser, den dieses
Seebecken erhält, durch die Meerenge von Kertsch ab, noch
jetzt bleiben die Sedimente, welche der Don und andere
Flüsse in das Meer führen, grösstenteils in demselben liegen.
Dennoch ist das Seichterwerden des Meeres im allgemeinen
nicht bedeutend und nur für gewisse beschränkte Regionen
sehr merklich. Baer möchte überhaupt, was die Tiefen-
verhältnisse betrifft, zwei Teile des Asowschen Meeres unter-
scheiden: das grosse Becken und den nordöstlich gelegenen
Busen von Taganrog. Die Tiefe des grossen Beckens hat
nachweisbar nicht abgenommen; man sollte daher, meint
Baer, auch aufhören, von einem Seichterwerden des Asow-
schen Meeres überhaupt zu reden. Anders ist es in dem
- engeren Teil des Asowschen Meeres oder dem Taganrog-
schen Busen im weiteren Sinn. In dieser Bucht sind die
Tiefen veränderlich, sie hat etwas von der Natur eines
Flusses angenommen. Die zunehmende Beengung und Krüm-
mung des Fahrwassers macht im Verein mit dem Wechsel
in der Höhe des Wasserstandes die Fahrt auf dem nord-
östlichen Busen des Asowschen Meeres beschwerlich und
gefährlich. Im allgemeinen scheint es Baer, dass die Tiefe der
Bucht seit dem Ende des 17. Jahrhunderts abgenommen hat, aber
weniger als man gewöhnlich glaubt, um höchstens 1—2 Fuss.
Die Ursachen der Eigentümlichkeiten des Asowschen
Meeres nun, seiner Seichtigkeit, der zahlreichen und weit
vorstehenden Landzungen, der zunehmenden Versandung im
nordöstlichen Busen und des auffallenden Wechsels im
Niveau desselben, scheinen Baer einfach aus den Natur-
verhältnissen hervorzugehen, unter denen es steht. Der
Boden, in dem das Asowsche Meer eingegrabien ist, besteht
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vorherrschend aus lockerem Steppenboden; alle Wasser-
ansammlungen in der Steppe sind flach. Aus der Umgebung
werden viele Sinkstoffe eingeführt. Auch der Don setzt eine
Menge SinkstofFe im Taganrögschen Busen ab.
Dass trotzdem das Delta des Flusses seit der Zeit der
Griechen nicht gewachsen zu sein scheint, dafür sieht die
Kommission den Grund in den heftigen- Ost-Ostnordosf- und
Nordostwinden, welche an der Mündung des Don herrschen.
Durch diese Winde entstehen Strömungen, welche die Sand-
teile nach Westen tragen und das Fahrwasser von Zeit zu
Zeit reinigen. Die Sandteile bleiben an den nächsten Land-
zungen liegen. Diese vergrössern sich und dadurch wird
das Fahrwasser zwischen ihnen immer mehr beengt und ge-
wunden. Der Täganrogsche Busen nimmt somit, nach dem
Ausdrucke der Kommission, immer mehr die Natur eines
Flusses an. Auch hielt die Kommission die Behauptung,
dass durch den ausgeworfenen Ballast die Taganroger Bucht
unfahrbar gemacht werde, für einen Irrtum. Die Mündungen
des Don sind seit Jahrhunderten, wahrscheinlich seit Jahr-
tausenden, auch von mittelmässigen Schiffen nicht zu erreichen.
Für eine weitere wissenschaftliche Untersuchung im
Asowschen Meere äussert Baer noch mancherlei Wünsche.
Es sollten neue Lotungen zum Vergleich mit den alten an-
gestellt werden. Dann hält er es auch für nützlich für die
Schiffahrt und die physikalische Geographie, festzustellen,
welchen Einfluss der Luftdruck auf das Niveau der Wasser-
fläche ausübt. Weiterhin bezeichnet er als künftige Auf-
gaben Untersuchungen über den Salzgehalt und den Fisch-
reichtum des Meeres und über die Wassermenge, welche die
kleinen Flüsse jährlich bringen.
Wir wenden uns nun einer Arbeit Baers zu, die der Ge-
schichte der Gegoraphie angehört und den Uebergang bilden soll
zu der letzten Gruppe seiner Schriften, denjenigen, die sich
mit geographischen Fragen aus dem Altertum beschäftigen.
Es ist: „Peters des Grossen Verdienste um die Erwei- Peters des
' ^ , , Grossen
terung der geographischen Kenntnisse".^) Diese Abhandlung . ^^^^^v^j..
*) Beiträge zur Kenntnis des russischen Reiches XVI. Bd. Peters- ^»«"®*^-
bürg 1872.
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B a er s ist, wie Stie da sagt/) ein Dokument für seinen patrio-
tischen Sinn und sein Gerechtigkeitsgefühl, welches den
Männern, die durch ihre Bemühungen Erfolge erzielt haben,
auch die nötige Anerkennung wünscht. Das Werk zerfällt
in zwei Teile, die getrennt voneinander abgefasst wurden,
der erste schon 1849, der zweite erst 1872. Die Veranlassung
dieser Unterbrechung bildete eine Polemik Baers mit dem
Marineleutnant Sokolow über die Bedeutung Be rings und
TschirikowSi Als nämlich Baer den ersten Teil seiner
Arbeit, worin er am Schlüsse Be rings tragischen Tod er-
zählt und seine Verdienste rühmt, vorgetragen hatte, erschien
in einer russischen Zeitung ein Artikel Sokolows „Bering
und Tschirikow". In dem von russischem Chauvinismus
und Deutschenhass getragenen Artikel beschwert sich der
Verfasser darüber, dass man immer nur von Deutschen spreche
(zu denen er auch den Dänen Bering rechnet) und nicht
von den Russen, dass man namentlich immer Bering preise
und seinen Gefährten Tschirikow vernachlässige, der doch
ein viel tüchtigerer Seemann gewesen sei als Bering.
Gegert diesen Angriff wendete sich nun Baer mit einem Ar-
tikel, der den gleichen Titel führt: „BeringundTschiri-
kow".^) In demselben weisst er die unbegründeten An-
klagen gegen Bering zurück. Doch war ihm infolge dieses
Streites die Lust zur Fortsetzung seiner Arbeit benommen.
Erst als sich die Petersburger Akademie zum Feste des
200. Geburtstages Peters des Grossen rüstete, entschloss er
sich zur Beendigung seiner Schrift. In derselben rühmt er
nun mit Wärme die Verdienste des bildungsdurstigen Zaren
um die Erweiterung der geographischen Kenntnisse. Vor
allem sucht er nachzuweisen, dass „die grösste geographische
Entdeckung — nach dem Auffinden von Amerika — welche
die Weltgeschichte kennt", nämlich die Erkenntnis der Tren-
nung der Alten Welt von der Neuen, nichts anderes war
als die Ausführung einer Aufgabe des Kaisers, eine unmittel-
bare Fortsetzung einer von ihm selbst angeordneten Expe-
^) S t i e d a a. a. O. S. 274.
*'*) Petersburger Ztg. 1849- N. 114— 116.
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— 77 —
dition.^) Die Frage über den Zusammenhang oder das Ge-
trenntsein von Asien und Amerika sollte durch eine Expe-
dition gelöst werden. Zur Führung derselben erschien dem
Zaren Kpt. Bering der rechte Mann. Peter selbst schrieb
die Instruktion. Sie bestand nur aus drei Sätzen:
I. „In Kamtschatka oder an einem anderen Ort ein
oder zwei SchifFsbote mit Verdecken bauen.
IL Mit diesen längs der Küste fahren, welche nach Norden
verläuft und wahrscheinlich, da man ihr Ende nicht kennt, ist
dieses Land ein Teil von Amerika.
III. Und deswegen suchen, wo sie mit Amerika zu-
sammenläuft und bis zu irgend einer Stadt einer europäischen
Macht gehen und wenn man irgend ein Schiff sieht, von ihm
erfragen, wie die Küste heisst und es aufschreiben und selbst
an der Küste landen, wahrhafte Nachrichten einziehen und
nachdem man sie auf eine Karte gebracht hat, zurückkehren.
Diese im eigenartigen imperativen Stile geschriebene
Instruktion hatte Peter fünf Wochen vor seinem Tode ab-
gefasst und es ist unleugbar, meint Baer, „dass die Expe-
dition Berings eine Frucht der Saat ist, welche Peter
mit seiner kleinen Instruktion von 3 Paragraphen gesät hat".
Den zweiten grossen Erfolg Peters sieht Baer in der
durch des Zaren Expeditionen gewonnenen Kenntnis von der
wahren Gestalt des Kaspischen Meeres und der Gewissheit,
dass die beiden Flüsse der mittelasiatischen Steppe, der Syr-
und Amu-Darja, sich nicht in dieses Meer ergiessen.
Infolge des unglücklichen Krieges am Pruth 171 1 war
das Russische Reich vom Asowschen und Schwarzen Meere
ausgeschlossen. Das Kaspische sollte nun Ersatz bieten;
seine Erforschung war notwendig, gleichzeitig sollte nach
Peters Plan ein Handelsweg über den Amu nach Indien
eröffnet werden. Peter erhielt durch Bekowitsch, der
Fahrten an der Ostküste des Kaspischen Meeres gemacht
hatte, eine richtige Vorstellung von der Gestalt deselben.
Dies benutzte er, als er 1717 in Paris die Akademie besuchte.
*) Baer erinnert sich hier nicht an die Fahrt des Kosaken Se-
men Deschnew, der schon 1648 in das Beringsmeer eindrang und
als der erste Entdecker der Beringstrasse anzusehen ist.
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Delisle der Aeltere legte ihm eine von ihm entworfene
Karte des Kaspischen Meeres vor, die Peter für falsch er-
klären und verbessern konnte. Die Akademie ernannte den
Zaren T718 auch zum Ehrenmitglied. 1721 entstand auf
Peters Veranlassung die sog. Verden sehe Karte des
Kaspischen Meeres, Von der schon in der 6. der Kaspischen
Studien die Rede war.
Die Versuche, die P e t e r zur Erschliessung eines Handels-
weges nach Indien anstellen liess, scheiterten. Er dachte an
die Gründung eines Stapelortes für den orientalischen Handel
an der Kurmündung. Sein früher Tod verhinderte die Aus-
führung dieses Planes.
Diejopo- In den letzten Jahren seines Lebens beschäftigte sich
^pJ?'^.^^^<^Baer mit der Lösung einiger geographischer Fragen aus der
Ho"mcra V^^^^it* ^^ deren Besprechung wir nunmehr übergehen
wollen. Er bezeichnet die darauf bezüglichen Arbeiten als
„Historische Fragen mit Hilfe der Naturwissenschaften be-
antwortet". Diese Ueberschrift bezeichnet schon den Gesichts-
punkt, von dem aus er die Fragen behandeln will, er möchte
im Gegensatz zu der bisherigen mehr philologischen Be-
urteilung naturhistorische Momente in den Vordergrund treten
lassen. Es sind im ganzen drei Aufsätze, die hierher ge-
hören. Der erste sucht die Lage des biblischen Ophir zu
bestimmen, der zweite einen alten Handelsweg durch Russ-
land nachzuweisen, der dritte den Schauplatz der Fahrten
des Odysseus zu finden,
^phirf Es sei zunächst von der ersten Frage die Rede. „Wo
ist das Salomonische Ophir zu finden?"^) Ophir ist das Land,
in das nach einer Erzählung der Bibel [I. König. Kap. 9 (26/28),
Kap. i^ (V. 11/12)]; IL Chron. Kap. 8 (V. 17/18) Kap. 9{V.rio)]
Salomo mit Hilfe des Königs Hir am von Tyrus eine Flotte
ausgesandt hat, um Gold zu holen, Diese Flotte trachte nach
drei Jahren nicht weniger als 420 Kikkar (Zentner, Talente)
Gold zurück. Man hatte nun dieses Land Ophir in allen
Weltgegenden gesucht, meist nahe bei den Phöniziern oder
in den östlichen Meeren. Auch das südliche Spanien,
^) Reden und Aufsätze III. Teil. Petersburg 1873 S. 112—379.
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Arabien und die Ostküste Afrikas waren dafür angesehen
worden. Baer billigt alle diese Erklärungen nicht. In einer
Anmerkung zu. dem Aufsätze : „Ueber den Einfluss der äusseren
Natur auf die sozialen Verhältnisse der Völker''^) wendet er
sich kurz dagegen. Das südliche Spanien oder ein anderes
Küstenland des Mittelmeeres anzunehmen, erklärt er für un-
statthaft, da sehr bestimmt gesagt wird, dass die Schiffe, die
nach Ophir gingen, an der Nordspitze des Roten Meeres
ausgerüstet wurden. Gegen Arabien wendet er ein, dass
dort weder Ebenholz noch Pfauen, die doch die Expedition
zurückbrachte, zu haben sind. Das Nichtvorhandensein der
Pfauen lässt ihn auch Ostafrika ausschalten. Nach seiner An-
sicht kann Ophir nur der indischen Welt angehört haben
und . zwar aus folgenden Gründen. Die Namen der mit-
gebrachten Gegenstände und diese selbst weisen auf Indien
hin: Sie sind gar nicht hebräisch und wurden deshalb bei
der Uebersetzung ins Griechische zuerst gar nicht verstanden.
Lassen, der berühmte Sanskritforscher, hat nachgewiesen,
dass sie sich von der Sanskritsprache ableiten lassen. Ferner
haben die mitgebrachten Gegenstände, wie Em m er an
Turnert (ein ehemaliger Gouverneur von Ceylon) sagt,
noch heute auf der Insel eine fast gleichlautende Benennung.
Weiterhin führt Baer als Grund an, dass das mitgebrachte
Gold, dessen Quantität ungemein gross ist, von den Israeliten
nicht durch Handel erworben worden sei, da sie keine ent-
sprechenden Tauschobjekte besassen, sondern dass sie es
selbst sammelten, Dazu musste es in reichlichem Masse und
zwar an der Küste vorhanden sein. Ein solch goldreiches
Land ist nun Malakka, das gleich nachdem es den späteren
Völkern des Westens bekannt geworden war, die goldene
Halbinsel, Aurea Chersonesus, genannt worden ist. Die erste
Veranlassung für die Phönizier, nach Malakka zu fahren,
sieht Baer gegeben in dem sehr reichlich und oberflächlich
liegenden Zinnsande. Hatten die Phönizier in den südlichen
Ländern Vorderindiens oder in Ceylon erfahren, dass gerade
nach Osten ein reichlicher Vorrat an Zinn vorhanden war,^ so
1) Reden und Aufsätze. IL Teil S.
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— 8o —
war es für sie eine natürliche Aufgabe, sich in dieses Land
führen zu lassen, zumal sie Zinn zur Herstellung von Bronze
brauchten und vor Entdeckung der Cassiterischen Inseln
einzig und allein von hier beziehen konnten. Dabei werden
sie leicht erfahren haben, dass die Flüsse in Malakka Gold
führen.
Baer kommt also zu dem Schluss, dass die Phönizier
die Israeliten nach Ceylon brachten, und dass sie, da Ceylon
selbst kein Gold lieferte, weiter nach Malakka gingen. Diese
Ansicht findet er noch bestätigt darin, dass in den hebräi-
schen Nachrichten zwei sehr scharf geschiedene Oertlich-
keiten vorkommen, Tarsis und Ophir. Beide liegen auf dem-
selben Wege und da Ophir das Ziel war, so vermutet Baer,
dass mit dem Namen Tarsis^) Ceylon bezeichnet wurde.
Diese Erklärung Baer s, der zugestanden werden muss,
dass sie wohl durchdacht ist, fand in der Folge zustimmende
und ablehnende Kritik. Heute allerdings ist sie in den
Hintergrund getreten. Die am meisten anerkannte Erklärung
ist jetzt diejenige Lassens,^) der Ophir im Nord- Westen Ost-
indiens sucht und den Namen von dem Kirtenvolk Abhira
ableitet.^) Nichtsdestoweniger bleibt Baers Verdienst be-
stehen, dass er, wie gesagt, die Frage von der naturhistori-
schen Seite beleuchtet hat und als Grundlage seiner Er-
klärung nicht wie die meisten die philologische, sondern
' die realistische Seite genommen hat. „Irgend eine Entdeckung,
gleichviel von welcher Seite sie käme^', sagt er selbst in der
Nachrede zu seinem Ophiraufsatze, „könnte noch ein anderes
Ophir nachweisen, allein die leitenden Ideen, denen ich ge-
folgt bin, werden doch wohl ihre Geltung behalten.'*
odysscus Die wichtigste der historisch-geographischen Fragen,
Schwarzen wclchc Bacr ZU bcautwortcn sucht, ist diejenige nach dem
Meere? - "^ ^
*) Tarsis (Tartessus) ist aber ganz sicher in Spanien zu suchen.
^) Lassen: Indische Altertumskunde Berlin 1843 i. S. 538.
') Auch der bekannte Afrikareisende Karl Peters hat eine
Hypothese über Ophir aufgestellt. (Peters: Das Goldene Ophir Salo-
mos, Mtknchen 1895.) Er sieht den alten Namen Ophir in latinisierter
Form bis auf heute in unserem Wort Afrika erhalten und sucht das
Land selbst in dem uralten sabäisch-phönikischeh Goldlande hinter Sofala.
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-- 8i -
Schauplatze der Fahrten des Odysseus Eine Reihe von
Abhandlungen sind ihr gewidmet. Der Kern von Baers
Darlegungen ist der Versuch — entgegen der bisherigen
Anschauung — , die Fahrten des Odysseus nach dem Schwarten
Meer zu verlegen. In einem Begleitworte zur Orientierung
der Leser sagt er selbst : „Der Besuch des Schwarzen Meeres
an sehr verschiedenen Punkten hat mir die Ueberzeugung
gegeben, dass die Auffassung von den Reisen des Odysseus,
wie sie bei den Philologen und Historikern herrschend ist,
eine sehr erzwungene und dem einfachen Text des Homer
nicht entsprechende ist." ^) Zunächst kritisiert Baer die
Karten, welche die Irrfahrten des Odysseus mit aller Ge-
nauigkeit darstellen sollen, die von Voss und v. Spruner
(Atlas antiquus 1865). Er wendet sich dagegen, dass die
Karten die Einfahrt in die Unterwelt nach der Strasse von
Gibraltar verlegen* Bei dem Volke der Kimmerier erreicht
Odysseus den Eingang in die Unterwelt, sagt er, wer gibt
uns das Recht, die Kimmerier an der Strasse von Gibraltar
zu suchen? Kein Schriftsteller des Altertums kennt Kim-
merier in dieser Gegend. Von der vielfach verbreiteten
Meinung, der auch Mannert (Geographie der Griechen und
Römer) huldigt, dass Homer das Schwarze Meer gar nicht
kannte, will Baer nur die Behauptung unbedenklich annehmen,
dass das Schwarze Meer nicht als geschlossenes Becken vor-
kommt. Ja, es erscheint ihm unzweifelhaft, dass der Sänger
der Odyssee dieses Meer über Thracien hinaus in Verbindung
mit dem Mittelländischen sich dachte; Griechenland mit Mace-
donien und Thracien also als eine Insel, Wie die Argonauten,
so meint er, auf dem Heimweg nicht durch den Bosporus
fuhren, so konnte man auch nach der Vorstellung der Odyssee
in das Schwarze Meer kommen, ohne die- bekannten Meer-
engen zu passieren.
Baer stützt sich mit seiner Ueberzeugung, dass die
Honierischen Schilderungen in der Odyssee auf Lokalitäten
des Schwarzen Meeres anzuwenden sind, auf Dubois de
Wo ist der Schauplatz der Fahrten des Odysseus zu finden?
Reden und Aufsätze IIL Teil 1873 S. 13—62.
V. Baer als Geograph. 6
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Montpereux (Voyage autour du Caucase et en Crimee, Paris
1 847), der diesen Nachweis überzeugend schon vor 26 Jahren
geführt hätte. Baer hat die von D'ubois erwähnten Ort-
schaften besucht und schlagende Wahrheiten in seinen An-
sichten gefunden.
So findet er, dass die Schilderung, welche Homer
von der Bucht der Lästrygonen gibt, so genau auf die Bucht
von Balaklava an der Südküste der Krim passe, dass sie
wohl nur nach derselben entworfen und die Uebereinstim-
mung unmöglich eine zufällige sein könne. Die Schilderung
der Unterwelt weiterhin hält Baer für der Meerenge von
Kertsch entnommen, da auf beiden Seiten dieser Strasse,
dem ehemaligen Bosporus Cimmericus, dem historisch be-
glaubigten früheren Wohnsitz der Kimmerier, zahlreiche
Schlammvulkane mit mehr oder weniger Naphthaerguss vor-
kommen, deren Schlünde sehr natürlich die Vorstellung er-
regen konnten, dass durch sie die Geister aus der Unterwelt
aufzusteigen vermögen. Für wichtig und entscheidend be-
tfachtet Baer ferner einige kleine Angaben in der Schilde-
rung der Gegend, in der Odysseus nach Durchschiffung des
Okeanos landen soll. Es soll dort geschehen, wo das Gestade
flach ist und die traurigen Haine der Persephone aus langen
Pappeln und Weiden bestehend sich finden. Nun ist die
Südküste des Asowschen Meeres nahe an der genannten
Meerenge sehr flach, femer fand Baer an diesem Arm bei
Atschujew einen dunklen Pappelhain mit hoher Laubdecke,
der trefflich zu den dunklen Hainen der Proserpina passte.
Die Wohnung der Kirke verlegt Baer ebenfalls in das
Schwarze Meer. Schon die Tatsache allein, sagt er, dass
die Insel der Wohnsitz der Morgenröte genannt wird, hätte
davon abhalten 'sollen, sie im fernen Westen zu suchen.
Die alles zerschlagenden Irrfelsen sieht Baer in der Strasse
von Konstantinopel. Sie besitzt eine starke Strömung und
hat zudem eine Länge von 5 Meilen, während die von Messina
kaum eine habe. (!) Es war also hier wohl mehr Stoff für die
Sage von der in der Felshöhle drohenden Skylla und der
einschlürfenden Charybdis als in der sich schnell erweitern-
den Strasse von Messina. J obst, der die Skylla und Charyb-
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dis ebenfalls in die Strasse von Messina verlegt, bezeichnet
B a e r s Meinung als eine gegenwärtig unverständliche.^) Folge-
richtigerweise sieht dann Baer weiterhin in der Insel Ijnbros
g.n der. Ausmündung der Dardanellen die Insel der heiligen
Rinder des Phöbus Apollo (Thrinakia = dreispitzige). Ihre
Gestalt mit den drei entschiedenen Spitzen konnte von jedem
Schiff erkannt werden, die Gesamtgestalt Siziliens konnten
die Griechen der Homerischen Zeit nicht überblicken.
Doch will Baer keineswegs alle Fahrten des Odysseus
auf das Schwarze Meer beschränken. Den Schauplatz des
Anfangs der Fahrten sieht er auch nur im östlichen Mittelmeer.
Die Lotophagen wohnen in Afrika, Wo früher und später
Lotösesser bekannt waren. Für ihn ist die Hauptsache, dass
Bilder aus dem Schwarzen Meere unverkennbar in der Qdys-
see (X., XL, XIl. Gesang) vorkommen, dass also diese Gegen-
den seinerzeit besucht und bekannt waren, mögen Homer'
nun diese Bilder durch Griechen oder Phönizier zuge-
kommen sein.
Diese Ansichten B a e r s erfuhren im Lit. Zentralblatt Literarische
18742) von einem Herrn Kr. (nach Stieda S. 191 Kammerrungen aber
aus Königsberg) — und zwar mit Recht — eine ungünstige uyp^se.
Besprechung. Es wird ihn vorgeworfen, dass seine Aufsätze
„an umständlicher Breite und oft sehr lästigen Wiederholungen^'
litten, und dass ihm seine „leicht bewegliche Phantasie oft
zu den gewagtesten und unhaltbarsten Kombinationen'' führe.
Dies veranlasste Baer zu einer nochmaligen Bearbeitung der
ganzen Frage. '^j Er wendet sich mit Bitterkeit und Spott
gegen seinen Angreifer, in dem er in erster Linie den wenig
geschätzten Philologen sieht^ .,der wahrscheinlich beleidigt
sei durch die Zumutung, seine bisherige Ueberzeugung zu
ändern." Nicht für Graekologen habe er geschrieben, sondern
nur für Leser von allgemeiner Bildung, und wenn er die
Fragen jetzt nochmals bespreche, so gebe er die Versicherung,
^) J o b st , Skylla und Charybdis, Würzburger Dissertation.
') Leipzig 1874 Nr. 9.
*) lieber die Homerischen Lokalitäten in der Odyssee. Nach dem
Tode des Verfassers herausgegeben von L. Stieda. Braunschweig 1877.
6*
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dass er die Philologen und namentlich die Graekologen weder
zu belehren, noch zu erzürnen wünsche. Er habe selbst
nie geglaubt, dass seine Darstellung schnell als die richtige
anerkannt werden würde, aber er denke, dass sich sein
Rezensent wohl hätte sagen müssen, dass er sich auf Autopsie
berufe, welche Voss, Mannert und Ukert, den Begrün-'
dem der herrschenden Ansicht, abginge,
^teiärg^^g* Baer erneuert in seiner letzten Arbeit die Entwicklung
"lachten"* seiner Ansicht. Bestärkt fühlte er sich in derselben, weil er
unerwartet ein Werk zu Gesicht bekommen hatte, in welchem
zum Teil seine Ansichten über die Lokalitäten der Odyssee
bereits 1858 entwickelt worden waren. Es war ein drei-
bändiges Werk von dem berühmten englischen Minister
W. E. Gladstone: Studies on Homer and the Homerie
age, in dem der Verfasser die zweite Hälfte der Abenteuer
des Odysseus ebenfalls ins Schwarze Meer verlegt.
Wenn nun auch die heutige geographische Wissenschaft
die eben dargelegten Erklärungen des Schauplatzes der
Odysseischen Fahrten, wie sie Baer gibt, nicht teilt, so muss
doch anerkannt werden, dass diese in ihrer Schärfe und
Logik etwas Bestechendes haben, und dass der Eifer, ja die
Leidenschaft, mit denen sie Baer verficht, den vorurteilslosen
Leser für ihn gefangen nehmen, so bedenklich sie auch dem
nüchternen Kritiker erscheinen müssen.
Unterstützt sieht Baer seine Ansicht, dass Homer die
Nordküste des Schwarzen Meeres bis ins Asowsche Meer
hinein und einen Teil der Ostküste sehr gut kannte, noch
dadurch, dass zur ZeitHerodots eine griechische Handels-
niederlassung tief im Inneren des Waldlandes vom jetzigen
Mittelrussland bestand, welche nach Angabe dieses Autors
ursprünglich von Griechen gestiftet war, aber zu seiner Zeit '
schon von einem Gemisch von Griechen und Skythen, den
Kallipoden, bewohnt wurde. Da dieser grossen Niederlassung
notwendig lange eine Handelsbewegung der Griechen voraus-
gegangen sein musste, so schliesst Baer, dass schon zur Zeit
Homers oder sehr bald nach ihm die Griechen bis in diese
Gegend vorgedrungen waren. Ihrem „Handelsweg, der im
5. Jahrh. v. Chr. durch einen grossen Teil des jezt russischen
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wegc in
lanerasien.
- 85 -
Gebietes ging/' widmet er eine Abhandlung. ^) Der Weg,
den Herodot von den Skythen bis zu den Agrippäern be-
schreibt, war von Historikern und Philologen oft und viel
besprochen worden. Baer weicht auch hier von den Resul-
taten derselben ab und versucht eine Deutung mit beson-
derer Berücksichtigung der in dem Berichte vorkommenden
naturhistorischen Winke. Der Weg führte nach Herodots
Schilderung von den Küsten des Pontischen Meeres durch
das Land der Sauromaten (nach Baer die Sarmaten späterer
Zeit). Dann ging er 15 Tage durch eine waldlose Steppe
nach Norden und erreichte schliesslich das Land der Budiner,
In dem Lande dieses nach Herodot zahlreichen und mäch-
tigen Volkes befand sich die griechische Stadt Gelonos, deren
Bewohner ein Gemisch von Griechisch und Skytisch redeten.
Diese Nachricht greift nun Baer als eine sehr wichtige auf,
da sie ihm beweist, dass schon längere Zeit vor Herodot
die griechischen Handelsstädte im Lande der Skythen das
Bedürfnis fühlten, hier im Waldlande Filialen zu errichten.
In dem Lande befand sich nach Herodot auch ein grosser
See, dessen Spuren Baer in einem fast unüberwindlichen Morast
bei Nischnij-Nowgorod erkannt zu haben glaubt. Die hölzerne
Stadt Gelonos sucht er in der Nähe davon und sieht sie für
eine Faktorei des Pelzhandels an. Besonders kühn ist nun
weiter die Deutung, die Baer von dem letzten Ziele des
Weges, den Agrippäern am Fusse unübersteiglicher Ber^e,
gibt. Da sie nach Herodot für heilig gehalten wurden,
kahlköpfig und flachnasig waren, so möchte sie Baer für
Priester eines mongolischen Volkes halten, die als ein von
den Ostländern vorgeschobener Posten die aus Westen an-
kommenden Waren zu empfangen und weiter zu befördern
hatten. Die Frucht, welche die Agrippäer zu ihrer Nahrung
gebrauchten, verwendet Baer dazu, deren Wohnsitz näher
zu bestimmen. Heeren (Ideen über die Politik, den Ver-
kehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten
Welt) erklärt sie für die Vogelkirsche (Prunus Padus); Baer
hält sie für den Oleaster (Elaeagnus hortensis). Da sie sich
^) Reden und Aufsätze III. Teil., Petersburg 1873 S. 62—112.
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in guter Qualität erst am Syr Darja findet, so schreckt Baer
nicht davor zurück, bis dorthin den skytischen Karawanenzug
zu führen. Das unübersteigliche Gebirge, an dessen Fuss
die Agrippäer wohnen, hält er nicht für den Ural, da der-
selbe Einsenkungen hat und das Land westlich von ihm Ur-
wald ist, der nicht von einem Volke zum Aufenthalt gewählt
worden sein konnte. Darum geht er bis zum Belur. ^) Eine
besondere Ansicht hat Baer auch von dem Volke der lyrken,
das Herodot als Nachbarvolk der Thyssageten nennt. Er
berichtet von demselben, dass es bei der Jagd auf Bäume
steige, von dort das Wild anschiesse und dann zu Pferd
verfolge. Diese Jagdprozedur lässt sich nach Baer nur ^üf
vereinzelte Baumgruppen in der Steppe anwenden. Darum
versetzt er die lyrken in die Steppe, ihr Name weist ihn '
auf die wichtigste Stadt im chinesischen Turkestan Jarkend,
Jarken, Irken; sie selbst erklärt er für ein türkisches Volk.
Noch mehr wohl als von den vorausgegangenen histo-
risch-geographischen Arbeiten Baers gilt von der letzten das
Urteil, es seien die Schlüsse, die er aus gegebenen Anhalts-
punkten zieht, zu weitgehend und seine Spekulationen zu
gewagt.
Rückblick. Wir sind zu Ende. Uebersehen wir noch einmal Baers
Tätigkeit auf dem Gebiete der Geographie, so müssen wir
sagen, sie war eine ungemein reiche, fruchtbare, auf alle
Zweige dieser Wissenschaft sich erstreckende. Nicht immer
zwar war sie von dauerndem Erfolg gekrönt. Wie der letzte
Abschnitt zeigte, haben seine Kombinationen über das Land
Ophir, über den Schauplatz der Odysseischen Fahrten oder
gar den Handelsweg nach dem Skythenland die Anerkennung
der Nachwelt nicht gefunden. Auch die Bedeutung des von
ihm so hochgehaltenen „Baerschen Gesetzes" ist heute auf
ein Minimum beschränkt. Trotzdem aber hat er sich durch
seine ernsten Bemühungen um die Erforschung der Wahr-
heit wissenschaftliche Lorbeeren errungen, und seine immer
geistvollen Ansichten haben überaus anregend und befruch-
tend auf dem Gebiete der geographischen Literatur gewirkt;
Offenbar Bolor Dagh-Pamir.
I
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- 87 -
Doch auch direkte Verdienste um die geographische
Wissenschaft hat er sich erworben. Er war es, der als
erster Naturforscher die nordische Doppelinsel Nowaja Semlja
betrat und mit seinen Abhandlungen über sie den Grundton
zu ihrem physischen Gemälde gab. Er war es, der die eisigen
Fluten der nordischen Meere und ihre reizlosen Ufer, wie
die glühenden Steppen der kaspischen Senke forschend durch-
reiste und von beiden gleich lebensvolle, treffliche Schilde-
rungen entwarf. Seine Beschreibung des Kaspischen Meeres
ist die beste bis auf den heutigen Tag geblieben. Die Ge-
setze, die er aus dem Gang der Temperatur abzuleiten wusste,
haben spätere Beobachtungen als richtig , bestätigt. Auch
was er für die Belebung der geographischen Forschung durch
Entwerfen von Reiseplänen und durch selbstlose Unter-
stützung von Reisenden getan; was er femer für die Hebung
des geistigen Lebens Russlands durch Mitbegründung der
Geo- und Ethnographischen Gesellschaft und ihrer Journale
geleistet hat, müssen wir ihm als solches Verdienst anrechnen.
Aus alledem kommen wir zum Schlüsse zu
der Erkenntnis, dass Karl Ernst v. Baer, dem im
Kreise der Naturforscher so hervorragende n Ge-
lehrten, auch unter den Geographen ein Ehren-
platz gebührt.
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Literaturverzeichnis.
Haake, Wilhelm: Karl Ernst v. Baer. 111. Bd. Leipzig 1905. Der
„Klassiker der Naturwissenschaften" herausgegeben von Lothar
Brieger-Wasservogel.
S t i e d a , Ludwig : Karl Ernst v. Baer. Eine biogr. Skizze. Zweite
Ausgabe. Braunschweig 1866.
Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimrats
Dr. K. E. V. Baer, mitgeteilt von v ihm selbst. Veröffentlicht bei
Gelegenheit seines 50 jährigen Doktor- Jubiläums am 29. August 1869,
von der Ritterschaft Esthlands. St. Petersburg.
S t ö 1 z 1 e , Karl : K. E. v. Baer und seine Weltanschauung. Regens-
burg 1897.
S p ö r e r : Nowaja Semlja in geographischer, naturhistorischer und
volkswirtschaftlicher Beziehung. Ergänzungsheft 21 zu Peter*
manns Geogr. Mitteil. 1867.
Toppen: Die Doppelinsel Nowaja Semlja. Leipzig 1878.
H i e k i s c h : Das System des Urals. Dorpat 1882.
S. Günther: Geschichte der Erdkunde. Wien-Leipzig 1904. (I. Teil
der geographischen Enzyklopädit von M. Klar.)
S. Günther: Handbuch der Geophysik, Stuttgart 1897— 1899.
K. E. V. B^e'rs veri^ofife^^m^ geographische Schriften.
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Namen-Index.*^
Abildgaard 36, 37.
Abulfeda 71.
Agassiz 35.
Anderson 33.
Arago 33, 34.
Baer (Karl jun.) 37.
Barendsz 13.
Bekowitsch 77.
Bering 76, 77.
Berzelius 42.
V. Brandt 46.
Brieger- Wasser vogel i, 87.
V. Buch 35, 43.
Crantz 33, 34.
Dahl 32.
Darwin i.
Delisle 78.
Deschnew 77.
Dubois de Montpereux 82.
Egede 33.
Eichwald 60.
Erman 43. 44, 45, 49.
Fleming 68.
Friedrich (III., Herzog) 68.
Fritz 45.
Georgi 51.
Gladstone 84.
Gmelin 43.
Goebel 52, 57, 60.
Gortschakow (Fürst) 45.
Grosskurd 69.
Günther 6, 35, 37, 43, 45. 47, 64,
73, 87-
i Haake i, 3, 87.
i Heeren 85.
V. Hellwald 52.
j V. Helmersen 2, 3, 4, 45.
I Herodotus 73, 84, 85.
r Hiekisch 24, 87.
Hiram (König) 78.
Homer US 81, 82, 83. 84.
Hommaire de Hell 60.
Jacobi 33.
Jaqut 71.
Ibn Hauqual 71.
Jobst 82, 83.
Johannsen 27.
Johnston 42.
Istachri 71.
Kaemtz 31.
Kammer 83.
Karelin 68.
Keyserlingk (Graf) 38, 39, 40.
Klar 87.
Kolotkin 67, 68.
Konstantin (Grossftirst) 73.
V. Krusenstern 3.
Lassen 79, 80.
Lehmann 12, 20, 22, 23.
Lenz 46.
Liebig i.
•) K. E. V. Baer ist aus naheliegender Ursache weggelassen.
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Loschkin 53.
Ludlow 23.
V. Lütke 3, 5. 12, 37.
Mannert 81, 84.
Mayer 11.
V. Middendorft' 45, 46, 47, 4Ö,
5o> 51-
Moissejew 27.
Moses von Chorene 71.
Murchison 66.
Nordenskiöld 52, 53, 54
Olafsen 33, 34
Olearius 68.
Pachtussow 12, 13. 14. 25.
Pallas 65.
Parrot 65
Peter der Grosse 13, 14, 75.
77, 78.
Petermanii 52, 66, 87.
Peters 80.
Petterson 40.
Plinius 70.
Polybius 73, 74
Pomponius Mela 70.
Pospelow 23.
Povelsen 33, 34.
Ptolemaeus 70, 73.
Reinecke 34, 42.
Ritter 3, 4, 6, 7, 8.
Rose 57.
Ross 17, 18.
49i
76.
Salomo (König) 78.
Schergin 43, 49» 5^
Schrenck i, 22, 23, 50.
Schwenk 38.
Sherebzow 55, 61.
Sieger 43.
Soimonow 68.
Sokolow 76.
Spafariew 40.
Spoerer 19, 21, 24, 87.
V. Spruner 81.
V. Stael 39.
Stieda i, 2, 3, 9, 54» ^6, 76, 83, 87.
Stoelzle 2, 87.
Strabo 69, 70, 73.
Stuckenberg 60.
Thorstensen 33.
Tilas 36, 37-
Toeppen 24, 87
Tschichatschew 32.
Tschirikow 76.
Turnert 79.
Ukert 84.
Verden 68, 78.
Voss 81, 84.
Willoughby 13.
V. Wrangeil 3, 5, 30, 31, 34
Zivolka 3, II, 12, 13, 14, 20, 27,
Mf 35-
-)9e-
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